Schnee von ZombieOnTour ================================================================================ Kapitel 1: Fremde Angst ----------------------- Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage wovor. Frank Thiess, (1890-1977), dt. Schriftsteller Mut ist, wenn man Todesangst hat, aber sich trotzdem in den Sattel schwingt. John Wayne Völlige Dunkelheit umgibt mich. Dunkelheit und Stille. Es macht mir Angst, doch ich unternehme nichts dagegen, ohne zu wissen warum. Rufe nicht nach jemanden, versuche nicht, etwas zu sehen. Es kommt mir vor, als wäre ich nur ein unbeteiligter Zuschauer, der weiß, dass etwas nicht stimmt, der es weiß, aber nichts unternehmen kann, fühle mich eingesperrt in einen fremden Körper. Ich konzentriere mich auf ein Geräusch. Irgendwas muss es hier doch geben, außer mir und der Panik, die in mir aufflammt, sich von der gestaltlosen Schwärze um mich herum ernährt, an mir zerrt. Ich höre ein schwaches Atmen und ein leises Geräusch. Bin ich es?, frage ich mich, bekomme keine Antwort. Nur sehr langsam wird es klarer, entpuppt sich als Stimmen. „Du solltest dich besser beeilen!“ Eine Frau. Ihre Worte sind hetzend, ungeduldig. Ihre Stimme ist hart, nicht gewohnt, dass man sich ihren Befehlen widersetzte. „Ich weiß nicht, was das Problem ist ... die Werte sind in Ordnung, allerdings können die Nanomaschinen sie verfälschen. Ich sag ja immer wieder, erst nach dem Erwachen einsetzen, aber Nein, auf das kleine Genie hört ja niemand!“, brummt eine zweite, deutlich jüngere Stimme, die klingt, als gehöre sie einem Jungen, nicht älter als 17. „Deine Meinung zählt nicht! Mach deine Arbeit!“ „Ich könnte mich mit ihm verlinken. Dann kann ich das System besser checken.“ Etwas fällt klirrend zu Boden, wird schnell wieder zusammen gerafft. Als er wieder spricht, sind seine Worte nur schwer zu verstehen, er klingt eingeschüchtert. „Ja, kein Verlinken, hab verstanden ... nur mit dem Programm über den Computer laufen lassen“, nuschelt er mit zittriger Stimme. Die Frau schweigt. Ich höre einen Schrei, brauche etwas, ehe ich begreife, das ich schreie, das die beiden über mich geredet haben, doch dieses ich macht mir angst. Ich reiße die Augen auf, kann dennoch nichts sehen. Die Dunkelheit ist einem schmerzenden, hellen Weiß gewichen. Mein Atem geht stoß weise, unregelmäßig. „Na bitte, geht doch“, sagt die junge Stimme triumphierend. Das ist das letzte, was ich klar verstehe, ehe sich erneut der Schleier der Dunkelheit um mich legt. Das nächste Erwachen ist anders. Ich weiß, dass ich mich hier befinde, dass dieser Körper meiner ist, doch nach wie vor habe ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, dass etwas anders ist, als es eigentlich sein soll. Es macht mir Angst, mehr noch, als bei meinem ersten Erwachen. Ich liege auf einem Bett, zumindest fühlt es sich so an, und kann mich nicht bewegen. In meinem Kopf ist ein beständiges, leises Summen, nur unterbrochen von einem schmerzhaften Pochen. Immer wieder habe ich das Gefühl, als würde mir jemand Elektroschocks verpassen. Ich schließe die Augen und versuche zu schlafen, eigentlich eher, von hier weg zukommen, doch es gibt nur das Hier. So sehr ich auch versuche, mich in Erinnerungen zu flüchten ... ich finde keine! Es ist alles leer, als hätte es nie etwas vor dem Jetzt gegeben. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann mich an nichts erinnern. Das Geräusch einer sich öffnenden Tür holt mich in die Wirklichkeit zurück. Ich schaffe es, meinen Kopf leicht zur Seite zu drehen. Ein Junge schlüpft leise durch den Spalt in der Tür und schließt diese wieder. Er hat wirres, rotblondes Haar und in seinen Augen liegt eine erschreckend klare Intelligenz. An seiner Schläfe befindet sich ein Datalink und ein kleines rotes Lämpchen, das in dem Implantat eingelassen ist, blinkt kontinuierlich. „Ich hoffe, es ist nicht allzu schlimm, aber die Gewöhnungsphase ist immer etwas ... unangenehm“, sagt er, als müsse er sich für etwas entschuldigen. An seiner Stimme erkenne ich den Jungen wieder, der bei meinem ersten Erwachen anwesend war. Ich schweige, weiß nicht, was ich sagen soll, ob ich überhaupt reden kann. Der Junge zieht sich einen Stuhl neben das Bett und holt einen kleinen, flachen Computer aus seiner Tasche. „Ich bin Jason“, stellt er sich vor, während er das Gerät einschaltet und seine Finger über die Holotastatur fliegen, als hätte er in seinem ganzen Leben noch nichts anderes gemacht. „Ich soll dich fit machen. Dir alles beibringen. Mit den Nanos und dem Implantat und dem Ganzen“, erklärt er, als müsste ich wissen, wovon er spricht. Leise summend überfliegt er die Anzeige, die in dem Hologrammfeld über dem Computer schwebt. „Haben sie dir schon irgendwas erzählt oder haben sie dich erstmal in ruhe gelassen?“, fragt er, lässt mir allerdings keine Zeit in irgendeiner Form zu antworten, sondern redet munter weiter. „Sah ziemlich übel aus, als sie dich hergebracht haben. Weiß allerdings nicht, ob du einer von den Freiwilligen bist. Glaube eher, du bist eines der armen Schweine, die sie einfach so herbringen. Nach der Explosion gab es viele davon.“ Er steht auf, verschwindet aus dem Bereich, in dem ich ihn sehen kann. Nichts von dem, was er sagt, ergibt für mich einen Sinn. Verzweifelt versuche ich, die Zusammenhänge zu verstehen, denn irgendwas sagt mir, dass ich es können muss. Ich will Fragen stellen, doch kein Wort kommt über meine Lippen, so sehr ich es auch will. Er scheint es zu bemerken, denn er kommt zurück in mein Sichtfeld. „Versuch es besser nicht, zu reden mein ich, ... Oh! Beiß die Zähne zusammen, dass tut jetzt weh.“ Seine Hand berührt mein Gesicht, drückt gegen meine Schläfe. Ich höre etwas einrasten, dann durchzuckt ein heller, plötzlich aufflammender Schmerz meinen Körper. So plötzlich, wie er gekommen war, verebbt er wieder. Mein ganzer Körper zittert, ich fühle mich anders als vorher, abgesehen von dem schmerzhaften Pochen, das in jeder Zelle von mir vorhanden zu sein scheint. Die Sicht verschwimmt mir vor Augen, rote Sterne blitzen auf, kurz stehe ich davor, das Bewusstsein zu verlieren, doch dann ist alles weg. Ich fühle nur noch, wie ich auf dem Bett liege, hektisch atme. Der Schmerz ist wie weggeblasen. „Was...“, bringe ich krächzend hervor. Meine Stimme ist mir nicht fremd, was mich wundert, war doch ansonsten alles ungewohnt, seit ich aufgewacht bin. Aufgeregte Schreie, Feuer... Neben mir jemand, dessen Name mir entfallen ist. Er ist jünger als ich, sein Haar ist so hellblond gefärbt, dass es beinahe weiß ist. In seinen Augen liegt ein Ausdruck purer Angst. „Wir müssen hier weg, Nin! Bitte lass uns endlich verschwinden! Ich hab Angst!“, wimmert er, Tränen glitzern in seinen Augen. Er packt mich am Arm, versucht verzweifelt, mich fortzuziehen, doch ich reiße mich mit Leichtigkeit los. „Das geht nicht! Komm!“ Ich ziehe ihn mit. Zu den Flammen. Mein Herz rast. Ich habe mindestens genauso viel Angst wie er. Sie zieht an meinen Eingeweiden, versucht mich in die Knie zu zwingen, flüstert mir leise zu, dass es aussichtslos sei, dennoch renne ich, ihn hinter mir herziehend. „Es könnte noch jemand am Leben sein!“ Mühsam kämpfen wir uns durch den Strom panischer Menschen, der uns entgegenkommt. Ich achte nicht darauf, wie viele von ihnen verletzt sind, wie viele tot. Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm stolpert, versucht aufzustehen, schreit panisch, wird niedergetrampelt, bis sie sich nicht mehr rührt. Irgendwer hebt das weinende Kind auf, bevor dieses dasselbe Schicksal erleidet wie seine Mutter. „Nin! Es bringt nichts, den Helden zuspielen! Helden sind immer die, die zu erst sterben“, höre ich ihn hinter mir rufen, merke, wie er versucht, sich aus meinem Griff zu befreien, also verstärke ich ihn. „NINIAN!“ Es kommt ganz plötzlich, wie beim ersten Mal. Von einer Sekunde auf die nächste steht alles in Flammen. Schmerz durchfährt mich, um mich herum Feuer. Der Junge liegt reglos neben mir, mein Herz setzt aus bei dem Gedanken, er könne tot sein. Wegen mir. Und auf das Orangerot des Feuers folgt schwarze Finsternis. „HEY! Wach bleiben!“ Die Ohrfeige ist nicht schmerzhaft, holt mich aber dennoch in die Gegenwart zurück. Der Junge (Jason?) steht neben mir. „Wir sind noch nicht fertig.“ „Was ist passiert?“, frage ich heiser. Jason schweigt eine Weile, lässt sich dann seufzend auf den Stuhl fallen. „Ich will es dir eigentlich nicht erzählen, aber irgendwann muss ich es.“ Er wirft einen hektischen Blick zur Tür. „Du wurdest bei einer Explosion schwer verletzt. Nicht nur du, auch viele andere.“ Unsicher kratzt er sich an dem Implantat. „Dieser verdammte Krieg macht noch alles kaputt“, murmelt er, ehe er fortfährt. „Sie haben dich hier hergebracht und versorgt. Sobald dein Zustand stabil war, haben sie es installiert.“ Rasch wirft er mir einen Blick zu, bevor er ins Detail geht. „Du hast bei der Explosion deine Beine und den rechten Arm verloren …“ „Was …“ Eilig sehe ich zur Seite. Das, was Jason sagt, ergibt keinen Sinn! Ich sehe es doch! Ich sehe doch, dass mein Arm da ist! Ich spüre ihn! „Theoretisch ist er so gut wie der Alte, nein besser“, versucht er zu erklären, wirkt etwas unbeholfen. „Ich hab es konstruiert.“ Er beißt sich auf die Unterlippe, sucht nach Worten der Erklärung, doch scheinbar ist er nicht sonderlich gut darin, mit Menschen umzugehen. Seufzend wendet er sich dem kleinen Computer zu. Das Hologrammfeld verändert sich, zeigt nun statt mir unverständlichen Daten eine menschliche Silhouette und ein Skelett. Da, wo sich die Beine und der rechte Arm befinden sollten, ist nur ein kompliziertes Gewirr zu erkennen. „Die Gliedmaßen sind komplett maschinell. So wie bei einem Roboter, mit dem Unterschied, dass sie mit einer synthetischen Haut überzogen und viel präziser sind“, erklärt er voller Stolz. „Sie sind mit deinem Nervensystem verbunden und daher kannst du sie nutzen, als wären sie deine normalen Beine. Du musst es nur neu lernen. Das ist die einzig gute Sachen an dem Ganzen hier …“ Die Anzeige erlischt und er steht auf. „Ich … Ich versteh das Ganze nicht“, sage ich heiser. „Keine Sorge, das wird noch. Und wunder dich nicht, dass du keine Erinnerungen hast. Sie haben sie gelöscht. Das machen sie mit jedem hier. Du bist jetzt kein freier Mensch mehr sondern ihr Eigentum. Glieder dich ein und nimm es hin, etwas anderes kannst du nicht tun, denn offiziell bist du Tod.“ Bevor ich weitere Fragen stellen kann, die unzählig in meinem Kopf herumschwirren, verschwindet er wieder, lässt mich alleine. Verwirrt und desorientiert. Nur eines ist mir klar, ich habe Angst. Und wahrscheinlich ist diese sogar berechtigt. Kapitel 2: Antworten -------------------- Der Mensch ist ein Nichts, das die Eigenschaft besitzt, hartnäckig dumme Fragen zu stellen. Anonym Mein Zustand wechselt zwischen wach, Koma ähnlichem Schlaf und Alpträumen, an die ich mich im wachen Zustand nicht mehr erinnere. Ich bin allein in diesem weißen Zimmer. Tage oder auch nur Stunden, vielleicht Wochen. Ich weiß es nicht. Jegliches Zeitgefühl scheint mit meinen Erinnerungen verschwunden zu sein. Es gibt nur noch diesen Raum, mich und die Fragen, die mir seit Jasons letztem Besuch im Kopf herumschwirren. Es kommt mir eine Ewigkeit vor, seit ich ihn das letzte Mal sah. Aus irgendeinem Grund sehne ich mich nach seiner Gesellschaft. Vielleicht nur, weil er der einzige Beweis ist, dass es noch eine Welt dort draußen gibt. Die Tür öffnet sich. Ich setze mich auf, sehe hin. Jason kommt in Begleitung eines Mannes, der auf mich wie ein Wandschrank wirkt, in das Zimmer. Groß, breitschultrig. Erst auf den zweiten Blick sehe ich, das dieser Mann (eher das Ding, der Ausdruck ist passender.) mehr Maschine als Mensch zu sein scheint. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, bei dem Gedanken, dass ich vielleicht auch so aussehe. In den Augen des Dings ist eine so vollkommene Leere, dass ich mich frage, wie viel Mensch noch in dieser Hülle steckt, allerdings glaube ich, dass ich es nicht herausfinden möchte. Ich schweige, beobachte Jason, wie er den Stuhl, der in dem Raum steht, ans Bett zieht und sich seufzend darauf niederlässt. Er wirft dem Schrank an der Tür einen Blick zu, ehe er sich an mich wendet. „Wie geht’s so?“, fragt er, kratzt sich an seinem Implantat. Er scheint keine Antwort zu erwarten, darum sage ich weiter hin nichts und starre ihn nur an. „Kannst du deine Beine und den Arm bewegen? Bist du die letzten Tage etwas gelaufen oder so? Kannst du sie benutzen?“ Ich nicke stumm. „Ich komme klar“, antworte ich schließlich, sehe unsicher zu der Maschine, die sich nicht einmal gerührt hat, seit sie den Raum betreten hatte. Sie steht einfach nur neben der Tür und starrt geradeaus. Jason folgt meinem Blick, nickt, als würde er dasselbe denken wie ich, doch ich frage nicht nach, was er meint, was das sei. „Gib mir deinen Arm, den rechten“, fordert mich der Junge auf und ohne ein Wort komme ich seiner Aufforderung nach. „Sieht es nicht perfekt aus?“, fragt er leise, begeistert, scheint für einen Moment vergessen zu haben, dass ich noch anwesend bin. Fasziniert streicht er über die synthetische Haut und ich zucke kurz weg, da es kitzelt. Ja, er hat recht. Es ist perfekt. Eine perfekte Nachbildung eines natürlichen Armes. „Wie fühlt es sich an, es zu bewegen? Hast du Schwierigkeiten?“, fragt Jason, sieht mich mit einem freudigen Blitzen in den Augen an. Ich schüttle den Kopf, folge mit meinem Blick der Bewegung seiner Hand. „Das ist gut, sehr gut“, murmelt er. „Ich hätte nicht gedacht, dass du es so gut annimmst. Bei den Anderen hatte es nicht geklappt.“ „Den Anderen?“, frage ich nach, ziehe instinktiv den Arm weg, als Jason an eine Stelle drückt und sich eine Art Klappe öffnet, Drähte und Anschlüsse in meinem neuen Arm freilegt. Ich verziehe das Gesicht angesichts des Schmerzes, der mich durchfährt. „Die Empfindlichkeit ist wohl noch zu hoch eingestellt, aber Schmerzempfinden ist vorhanden, sehr gut“, murmelt Jason nachdenklich, ehe er auf meine Frage antwortet. „Ja, die Anderen.“ Er nickt, schließt ein Kabel an, dessen anderes Ende er mit seinem kleinen Computer verbindet. Er wirft noch mal einen Blick seinem Begleiter zu, ehe er fortfährt. „Sie haben es schon an vielen versucht. Aber die Meisten nehmen nur die alte Technik an. Du bist der Erste, bei dem es funktioniert, diese Gliedmaßen anzuschließen und zu benutzen. Ich sag immer wieder, dass es an der Verdrahtung mit dem Zentralennervensystem liegt, dass sie es komplett falsch machen, aber naja, auf mich hört keiner. Bin ja nur das kleine Genie, das es entwickelt hat, sonst nichts.“ Er lächelt flüchtig, wird zunehmend unsicherer, sieht immer öfter zu der Maschine hinüber, bis er schließlich schweigend etwas in seinen Computer eingibt und letztendlich die Verbindungskabel wieder abzieht, die Klappe mit einem Druck schließt. Ich sehe zu, wie die Ränder sich wieder mit der restlichen Haut verbinden, bis sie komplett verschwunden sind. „Du solltest etwas schlafen“, schlägt er vor, steht auf, nimmt noch einmal meinen Arm, scheinbar um zu begutachten, ob auch nichts mehr von der Öffnung sichtbar ist. Ich merke, wie er mir etwas Kleines in die Handfläche drückt, mich mit flehendem Blick ansieht, ehe er sich umwendet und zusammen mit dem Wandschrank das Zimmer verlässt. Vorsichtig taste ich mit den Fingern nach der Stelle, an der Jason die Klappe geöffnet hatte, brauche eine Weile, ehe ich den Druckpunkt finde und sich die Öffnung freilegt. „Na also“, murmle ich, lege vorsichtig den kleinen Chip an die (hoffentlich) richtige Stelle und schließe es wieder, lege mich auf das Bett und schließe die Augen. Natürlich hat es seinen Grund gehabt, dass der Junge mir die Anschlüsse gezeigt hatte. Soweit ich ihn bisher einschätzen kann, tut er nichts, was ihm nichts bringt. Oder wozu er nicht gezwungen wird. Ich versuche mich zu entspannen, spüre nach einiger Zeit, wie die Elektronik anfängt zu arbeiten. Es ist ein ungewohntes, fremdes Gefühl und in mir flammt die Angst auf, ich könnte eines Tages so sein wie der Wächter, der mit Jason hier war. Eine kalte, herzlose Maschine. Nein, ich würde es mit aller Macht verhindern. Aber habe ich darauf überhaupt einen Einfluss? Ich denke eher nicht. Nachdem, was Jason erzählt hatte, ist es unwichtig, was ich will. Du musst dich entspannen, sagt eine leise Stimme zu mir. Sie kommt mir seltsam vertraut vor. Vielleicht ist es ein Element des Computers, der Maschine, die jetzt Teil von mir ist. Aber etwas sagt mir, das dem nicht so ist und eine Trauer überfällt mich, dass ich am Liebsten schreien würde, um den Schmerz loszuwerden. Was hatte mir Jason da nur gegeben? Vertraue ich ihm etwa zu sehr? Aber wenn nicht ihm, wem soll ich dann trauen, wenn ich wissen will, wer ich bin, was hier los ist. „Jetzt sei nicht so misstrauisch! Nin. Komm schon, entspann dich. Ich singe auch für dich, wenn du das möchtest.“ „Würdest du das tun? (Sei still!) Na gut. (Nein!)“ „Wenn du dich nicht entspannst, wird es nie besser. Und bisher hat es noch bei jedem geholfen.“ Ein leises Lachen, genauso sanft wie die Stimme. „Wer ist jeder?“ (Wach auf!) „Jetzt sei doch nicht gleich eifersüchtig. Nin, du übertreibst ein wenig.“ „Ich will es wissen.“ Zierliche, zarte Hände drücken mich zurück. Ich lächle in ein Gesicht, dass ich nicht erkenne. Seidiges, blondes Haar kitzelt mich, als sie sich über mich beugt. (Wach auf! Bitte … ich will es nicht sehen. Bitte …) „Mein Bruder zum Beispiel, aber das spielt jetzt keine Rolle. Ich komme gleich wieder. Warte hier.“ Sie verschwindet in dem weißen Nebel der Umgebung. Ich lege mich zurück, schließe die Augen. Keuchend schnappe ich nach Luft, habe ein Gefühl, als hätte mein Herz für einige Sekunden ausgesetzt. Ich schlucke, sehe mich um, versuche mich zu beruhigen. Ich kann weder eine Mauer noch einen Himmel sehen. Ich bin weder im Freien, noch in einem Raum. Die Schwärze um mich ist nicht dunkel und undurchdringlich. Es ist merkwürdig, kaum zu beschreiben. „Es hat funktioniert! Wunderbar.“ Ich fahre herum, sehe, dass Jason hinter mir steht. „Ich hatte erst Bedenken, ob der Chip funktioniert, aber scheinbar waren die unbegründet.“ Er kommt näher, grinst munter, erfreut. „Wo sind wir?“, frage ich, sehe mich noch einmal um, blicke dann wieder zu ihm. „Kann ich schwer sagen. Du hast es ausgesucht. Eigentlich soll das Programm einen sicheren Ort, den man gut kennt, auswählen, aber ich habe vergessen, dass du keine Erinnerung hast. Tut mir Leid.“ Jason seufzt, kratzt sich am Hinterkopf, lässt sich auf den Boden fallen. „Ich hatte noch nicht einmal Gelegenheit dich nach deinem Namen zu fragen, falls du ihn kennst.“ „Ninian“, antworte ich murmelnd, setze mich ebenfalls. Jason nickt. „Du kannst dir sicher denken, dass das nicht der Grund ist, dass wir hier sind, oder? Ach was frag ich …“ Er wirkt unsicher, sucht nach den richtigen Worten. Ich schweige und warte ab. „Nun gut … eigentlich darf ich dir nichts erzählen. Sie sagen immer, Unwissenheit ist eine Tugend und je weniger man weiß, desto seltener stellt man sich gegen sie.“ „Wer sind 'sie'? Warum die Geheimniskrämerei?“, frage ich ungeduldig. „Und was ist das für ein Ort? Seit ich hier bin, habe ich mit keinem anderen Menschen gesprochen als mit dir, niemand anderen gesehen außer den Cyborg, dich und die Frau am Anfang. Habe ich irgendetwas verbrochen, dass ich das Zimmer nicht verlassen darf? Was zur Hölle geht hier vor?“ Ich bemühe mich ruhig zu bleiben, merke, wie ich zitter. Mir ist bewusst, dass dies vielleicht die einzige Gelegenheit ist, jemals eine Antwort auf die Fragen zu bekommen, die in meinem Kopf herumschwirren. „Eines muss dir klar sein, wenn sie jemals von dem, was wir hier machen erfahren, sind wir beide tot! Naja, zumindest du. Mich brauchen sie noch.“ Jason seufzt erneut, fängt dann an, es mir zu erklären. „Als die Regierung merkte, dass sie dabei sind, diesen dämlichen Krieg zu verlieren, suchten sie nach einer Möglichkeit, dies zu ändern. Einer ihrer hochrangigen Forscher brachte eine geheime Forschungsstation zur Ansprache, die schon im letzten Krieg eingerichtet wurde und die in den vergangenen Jahren fast in Vergessenheit geraten war. Sie hatten versucht, eine perfekte, menschliche Kampfmaschine zu züchten, mussten aber immer wieder Fehlschläge erleiden und irgendwann begannen sie Verwundete her zu bringen, versuchten diese zu optimieren, wie sie es nennen. Ich nenne es einfach nur grausam. Dieser Mann heute gehört dazu, genauso wie du. Todgeweihte, Schwerverletzte. Menschen, die für gewöhnlich in den Flüchtlingslagern oder auf dem Schlachtfeld gestorben wären. Sie löschen ihre Erinnerungen, machen sie zu willenlosen Sklaven, experimentieren mit ihnen. Nicht viele überleben und es wird für sie immer schwerer neues Material zu finden. Ich muss für sie Dinge erfinden, die ihnen dabei helfen, die wenigen Opfer am Leben zu erhalten, sie in Kampfmaschinen zu entwickeln. Die, die überleben werden wieder in den Krieg geschickt, als Sonderkommando. Ich war einmal dabei, als sie einen Trupp mit einer neuen Waffe getestet hatten. Ich sollte es mir ansehen, damit ich die Waffe hinterher verbessern könnte. Es war schrecklich. Sie haben die Waffe nicht einmal benutzt. Löscht man das Bewusstsein eines Menschen, bleibt nur der Instinkt. Sie hatten den Befehl zu töten und sie taten es. Wie Tiere.“ Jason schüttelt sich. „Ich will gar nicht mehr daran denken. Dieser Krieg stürzt uns alle noch ins Verderben.“ „Warum? Wie können sie so etwas tun?“ Eine alte Wut flammt in mir auf, ich balle die Hände zu Fäusten. „Weil Menschen grausam sind. Sie haben Gefallen an so etwas. Man muss sich nur die Spiele des alten Rom ansehen. Nur ein Beispiel. Es gibt noch mehr. Menschen erfreuen sich an solchen Dingen.“ Jason spricht, als würde er von einem Tier reden, nicht von seiner eigenen Art. "Dich werden sie auch wieder in den Krieg schicken. Genau wie die anderen. Ich konnte die Leiterin der Abteilung, in der du dich befindest, davon überzeugen, dass du noch Probleme hast, dass du nicht einsatzfähig bist.“ „Wieso tust du das? Scheinbar bin ich nicht der Erste, mit dem du hier zu tun hast?“ Ich sehe ihn aufmerksam an. Er weicht meinem Blick aus. „Weil du anders bist. Du bist stark, du hast dir deinen Willen und deine Persönlichkeit bewahrt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum du noch lebst, warum du mit deinen neuen Körperteilen klarkommst. Die Anderen vor dir haben oft die Operation nicht überlebt, und wenn sie es doch haben, sind die spätestens nach ein paar Tagen gestorben. Ich glaube, es liegt daran, dass sie nicht leben wollten. Wie auch? Sie hatten keinen Grund, keinen Willen es zu tun“, antwortet Jason. Ich schweige, spüre, dass mehr dahinter steckt, als er zugibt. „Warum?“, frage ich nach einiger Zeit leise. „Warum erzählst du es mir, warum tust du das alles, obwohl du weißt, dass es Folgen hat?“ Jason sieht schweigend nach unten, antwortet nicht. „Sag es mir“, fordere ich ihn drängend auf. „Du bist der Einzige, der es schaffen könnte.“ „Was schaffen?“ „Von hier zu fliehen!“ Er sieht mich flehend an. In seinem Blick liegen Angst und Hoffnung. „Ich will hier weg. Doch sie lassen mich nicht gehen. Ich weiß zu viel, ich bin zu wichtig für sie. Bitte … nimm mich mit! Ich kann dir helfen zu fliehen. Dieser Ort ist die Hölle. Du wirst es noch erleben, glaub mir. Ich bin seit fünf Jahren hier. Seit fünf gottverdammten Jahren! Ich halt es nicht länger aus! Ich will nicht weiter mit ansehen, was sie tun.“ Er klingt verzweifelt, meint es ernst. Ich will ihm kein Versprechen geben, dass ich vielleicht nicht halten kann. Wo sollte ich schon hin können? Es gibt keinen Ort, an den ich mich erinnere, keinen Menschen … „Kannst du mir meine Erinnerung wieder geben?“, frage ich leise, muss an die Frau denken, die sanfte Stimme, das Gefühl, als sie mit mir sprach. Ich will wissen, wer sie ist. Teil meiner Erinnerung und nur eine Einbildung. Tief im Inneren weiß ich die Antwort bereits, doch ich höre nicht auf sie. „Ich kann es versuchen“, antwortet Jason ehrlich. „Aber ich kann es nicht garantieren.“ Ich nicke, sehe ihn an. „Das ist auch alles, was ich kann. Es versuchen.“ Der Junge scheint sich mit meiner Antwort zu frieden zu geben, denn er fragt nicht weiter, steht auf. „Du darfst niemanden merken lassen, dass du etwas weißt. Du musst versuchen, dich anzupassen. Auch wenn es schwerfällt. Sobald sie herausfinden, dass du nicht wie die anderen bist, werden sie dich töten oder dein Bewusstsein komplett löschen“, rät er mir. „Ich habe noch eine Frage … ich erinnere mich an einen Jungen, der bei mir war. Bei der Explosion … Er hat wasserstoffblonde Haare, stechend grüne Augen. Weißt du, ob er noch lebt?“ Ich sehe zu ihm, stehe ebenfalls auf. Traurig sieht Jason mich an, nickt, ist im nächsten Moment verschwunden. Ich starre zur Decke, das helle Licht schmerzt in meinen Augen, doch ich wende den Blick nicht ab. Freude mischt sich mit Schuld. Er lebt noch, aber er ist hier. Wenn es stimmt, was Jason gesagt hatte, wäre der Tod besser zu ihm gewesen. Ein Wort kommt mir in den Sinn. Eden. Das Paradies. Merkwürdig, hatte Jason diesen Ort doch als Hölle beschrieben. „Warum nennst du dich Eden?“ „Weil man im Paradies keine Angst haben braucht, aller Schmerz, alles weltliche ist vergessen.“ Ich schließe die Augen, falle in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Kapitel 3: Paradies ------------------- Wenige Tage nach meinem Gespräch mit Jason wird mir von jemand Fremden gesagt, dass es an der Zeit wäre, zu den Anderen gehen. Die Anderen … Ich sehe, was Jason gemeint hatte. Jedes Gesicht in das ich blicke ist leer, vollkommen Ausdruckslos. Es macht mir Angst, dass ich auch einmal so sein könnte, darum füge ich mich lieber, sehe keinen der Wachen an, tue alles, was man mir sagt, auch wenn es in mir rebelliert, ich nichts anderes will, als dem zu entfliehen. Ich trage die selbe Kleidung wie die anderen, mein Haar ist ebenso kurz geschnitten worden, bin nur ein unbedeutender Teil eines großen Ganzen. Ich muss mich mit jedem Tag mehr zwingen, nicht auf zufallen, mich unterzuordnen, zuzusehen, nichts zu unternehmen, wenn sie jemanden weg bringen weil er sich nicht angepasst hat. Ab und zu entfliehe ich dem Ganzen und unterhalte mich mit Jason mithilfe des Chips und des Programms darauf. Es tut gut, ich-selbst zu sein, auch wenn es nur für kurze Zeit ist. Es hilft mir, alles zu überstehen. Sei es das Gleichsein oder das Training auszuhalten, dem ich unterzogen werde. Sie Wachen, die immer zu um mich herum sind, sind mehr Maschine als Mensch und Jason ist der Meinung, dass der Computer bereits das Denken dieser Männer übernommen hat. Eine grausige Vorstellung. Ich sehe mich unauffällig um, gehe zu dem mir zugewiesenen Platz. Ich erkenne ihn sofort, ein Blick genügt, als ich ihn geduckt zwischen den Anderen sitzen sehe. Mein Herz klopft, als ich um den Tisch herum auf ihn zu gehen, die zitternde Hand ausstrecke und sie ihm auf die Schulter lege. „Eden“, flüstere ich, kaum hörbar. Er fährt zusammen, dreht sich zu mir um. Ich habe angst, in seinem Blick das selbe Nichts zu sehen wie bei dem der anderen. Er sieht mich verständnislos, ängstlich an, als hätte ich ihn geschlagen. „Eden“, flüstere ich erneut und Erkennen legt sich auf sein Gesicht. Ich kann nicht sagen, ob er sich freut, mich zusehen, ob er wütend ist oder mich wirklich bewusst als den erkannt hat, der ich bin. „D … du …“, stammelt er atemlos, sieht mich mit seinen stechend grünen Augen an, ehe sein Blick auf einen Punkt hinter mich wandert und er sich ängstlich duckt, sich von mir weg dreht. Unsanft packen mich zwei der Wachen, obwohl eines dieser Monster ausreichen müsste, um mich zu halten. „Kontakt zu anderen ist untersagt“, knurrt die Wache rechts von mir, zieht mich von Eden weg, versucht mich zu Boden zu drücken, mich bewegungsunfähig zu machen. „Lasst mich los“, brülle ich zornig und alles, was ich in den letzten Tagen verdrängt, hingenommen oder herunter geschluckt hatte, kam mit einem Mal hervor, zusammen mit einer unbändigen Wut auf diesen Ort, den Menschen, die ihn erschaffen hatten, die mich hier hielten und mir meine Freiheit, meine Individualität, mein Leben gestohlen hatten. Ich versuche mich aus dem Griff zu befreien, reiße meinen Arm los, spüre zum ersten Mal die Kraft, die ich besitze, schlage zu, merke wie die Nase des Wächters zertrümmert wird. Er weicht zurück, schlägt die Hände vor das Gesicht. Ich fahre herum, ducke mich instinktiv vor dem Schlag des Anderen weg, ramme ihm mein Knie in den Magen, als er sich krümmt noch unters Kinn, den Ellbogen mit voller Wucht in den Nacken. „Packt ihn!“, höre ich jemanden rufen, springe auf einen der langen Tische, renne zu seinem Ende. Leere Gesichter starren mich an, emotionslos, willenlos und keiner versucht mir zu helfen. Wenigstens auch den Wachen nicht. Edens Blick folgt mir, ich spüre es förmlich, sehe zurück, stolpre, stürze. Etwas trifft mich in der Seite, ich schnappe keuchend nach Luft, rappel mich auf, werfe mich gegen eine Wache, bringe sie nur zum Wanken. Überall sind Hände, Schläge, ich ringe nach Atem, der Schmerz treibt mir Tränen in die Augen. Es hört erst auf, als ich mich nicht mehr bewege. Zitternd liege ich am Boden, habe Mühe mich wach zuhalten. Mein Blick ist verschwommen, als ich aufsehe. Jemand tritt zu mir, sieht auf mich herab. Ich verstehe die Worte nicht, versuche unter Schmerzen aufzustehen. Renn, brüllt es in mir. Renn oder du bist tot! Mit letzter Kraft springe ich auf, schlüpfe durch die Wachen, renne so schnell ich kann. Durch eine offene Tür, auf einen leeren Gang, stolpre immer wieder, kann verhindern zu stürzen, werfe hastige Blicke zurück, biege in Gänge ein, die alle gleich aussehen, vorbei an leeren Gesichtern, erschrockenen Forschern. Immer weiter, egal wohin, einfach fort. Bebend komme ich zum Stehen, beuge mich vor, stütze mich auf meine Knie, schlucke trocken, lausche. Alles was ich höre ist fernes, gedämpftes, aufgeregtes Rufen. Ich habe sie abgeschüttelt. Ein flüchtiges Lächeln huscht über mein Gesich. Ich bin schnell, schneller als sie, vielleicht auch als jeder andere hier. Die Vorstellung gefällt mir. Ich richte mich langsam auf, atme noch einmal tief durch, zucke vor Schmerz zusammen, ehe ich mich genau umsehe. Über mir hängt eine Kamera, das Auge auf mich gerichtet. „Verdammt!“, fluche ich. Wie hatte ich nur so leichtsinnig sein können? Es ist doch logisch, dass sie hier Kameras installiert haben. Ich gehe weiter, diesmal nicht panisch, sondern in gleichmäßigem Laufschritt, suche nach einem Ort, ohne Kamera, renne fast in ihn hinein, als ich unachtsam um eine Ecke biege. „Hallo Nin“, sagt er leise, die Arme unsicher um den Körper geschlungen, sieht mich an. „Ich dachte, du wärst tot …“ „Du … du erinnerst dich an mich?“, frage ich ungläubig, unsicher. Irgendetwas sagt mir, dass ich in seiner Nähe vorsichtiger sein muss, doch so sehr ich auch nachdenke, ich weiß nicht warum. „Ja … an einiges. Auch weil du mich so genannt hast … Eden … wie das Paradies.“ Sein Blick wirkt verträumt, abwesend, als sehe er etwas, das nicht da ist. „Du hättest das nicht tun sollen, Nin … sie sind wütend. Suchen immer noch dir und wenn sie dich finden, werden sie dich töten.“ „Und was ist mit dir?“ „Ich habe mich nicht widersetzt … ich tue dass, was ich soll.“ Eden macht einen Schritt auf mich zu, bleibt dennoch unsicher außer Reichweite stehen. „Eigentlich müsste ich dich hassen“, sagt er leise. „Hättest du mich nicht in die Flammen gezogen, wäre ich nicht hier, wären wir beide nicht hier.“ Es versetzt mir einen Stich. Immerhin weiß ich, dass es meine Schuld ist. „Es tut mir Leid“, sage ich ehrlich, seufze. „Du hast Recht. Wäre ich nicht so besessen darauf gewesen, den Helden zu spielen, wären wir beide nicht hier. Auch wenn ich nicht mehr weiß, warum ich es getan habe. Aber ich kann es nicht ändern. Und ich weiß nicht, ob ich es tun würde, wenn ich könnte, ob ich anders handeln würde.“ Wie er mich ansieht, als wäre er ein kleines Kind, dass man bei etwas verbotenem erwischt hatte. Von jemandem, vor dem es Angst hat, den es verehrt und gleichzeitig hasst. Er weicht meinem Blick aus, geht einige Schritte zurück. „Mir tut es auch Leid, Nin“, sagt er leise. Ich höre Schritte hinter mir, fahre herum, sehe genau in den Lauf einer Waffe, drehe mich schnell zu Eden um. Er sieht mich nicht an, lässt die Wachen hinter sich vorbei, versteckt sich hinter ihnen. Augenblicklich weiß ich wieder, warum man ihm nicht trauen darf, dass er sich immer hinter dem versteckt, der ihm am meisten Schutz bietet, der stärker ist als er. doch dieser Erkenntnis kommt zu spät. Sie packen mich, drücken mich unsanft zu Boden, so sehr ich mich auch wehre, so sehr ich auch versuche, mich zu befreien, ich habe keine Chance. Eine kalte Angst legt sich um mich, ich schnappe nach Luft, angesichts de Gewichtes auf meinem Rücken, sehe zu Eden auf, doch er weicht meinen Blick aus, wendet sich ab. Etwas sticht mir in den Hals, ein träger, dichter Schleier legt sich um mein Bewusstsein. Ich kann nicht dagegen ankämpfen, werde von der Dunkelheit verschluckt. „Das ist erbärmlich.“ „W … was?“ „Dass du immer demjenigen nachrennst, von dem du meinst, dass du dich gut hinter ihm verstecken kannst!“ Betreten sieht er zu Boden, zeichnet mit seinem Fuß Kreise in den trockenen Sand. Ich seufze, schüttle den Kopf. „Jetzt zieh nicht so ein Gesicht. Lass dir lieber etwas Rückgrat wachsen. Das ist ein Tipp, mehr nicht.“ Er schweigt immer noch. „Meine Fresse. Wie heißt du überhaupt?“ „Eden“, nuschelt er unsicher. „Das ist ein ungewöhnlicher Name“, entgegne ich, ziehe die Brauen hoch und mustere den hageren Jungen neben mir. Er nickt still. „Heißt du wirklich so?“ Ich muss zugeben, der Name passt zu ihm. Mit dem hellem Haar und den stechend grünen Augen gleicht er doch stark einem Engel. Nur die Flügel fehlen. „Nein. Ich habe ihn mir selbst gegeben.“ „Warum nennst du dich Eden?“ „Weil man im Paradies keine Angst haben braucht, aller Schmerz, alles weltliche ist vergessen.“ Er sieht zu mir auf. In seinem Blick liegt ein Funkeln, als wäre es eine Vorstellung, die ihm sehr gut zu gefallen scheint. „So etwas gibt es nicht.“ Ich schüttle entschieden den Kopf. „Du wirst nie so einen Ort finden, egal wie lange du danach suchst. Und ich bezweifle, dass es den Garten Gottes, wie es uns die Geistlichen weiß machen wollen, überhaupt gibt.“ Ich lasse mich zurück fallen, sehe in den Sternenhimmel. „Du musst dir selber einen Garten Edens schaffen. Und aufpassen, ihn nicht zu verlieren.“ „Meinst du?“ „Sonst würde ich es ja wohl kaum sagen, oder?“ Kapitel 4: Zerstörte Hoffnung ----------------------------- Ich fühle mich seltsam träge als ich aufwache, versuche den Kopf zudrehen, mich um zusehen, doch ich kann weder ihn, noch einen anderen Teil meines Körpers großartig bewegen, merke, dass ich an eine Art Tisch gefesselt bin. Ich schließe wieder die Augen, versuche meinen zitternden Körper zu beruhigen, die Panik zu verdrängen. Wie hatte ich nur so dumm sein können! Ganz einfach, weil du es nicht besser wusstest, sagt eine Stimme in meinem Kopf. Ja, das stimmt. Ich hatte es vergessen. Den Grund, warum man Eden nicht trauen darf. Viel mehr beschäftigt mich die Frage, warum ich so erpicht darauf gewesen war, mit ihm zu reden, so sehr gehofft hatte, dass er sich an mich erinnert. Weil er der einzige Teil ist, der von meiner Vergangenheit übrig geblieben ist. Weil ich schuld an seinem Schicksal bin. Na prima. Scheinbar bin ich einmalig darin mich selbst aufzumuntern, immerhin vergesse ich so, dass ich wieder ein Gefangener bin. (Ich sollte Unterricht darin geben, sich selber in Panik zu versetzen!) Ich versuche nicht mehr daran zu denken, mich auf den hektischen Schlag meines Herzens zu konzentrieren, ihn zu beruhigen, zu entspannen. Eine Tür öffnet sich, Schritte erklingen in dem stillen Raum. Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben. Gleichmäßig Atmen … nicht in Panik geraten … lass sie denken, du würdest noch schlafen, lausche auf das, was sie tun, was sie sagen. Wieder diese leise Stimme … entweder werde ich allmählich verrückt, oder es ist ein Teil des Programms, dass Jason mir gegeben hat. Ich hoffe auf letzteres. „Er scheint noch zu schlafen, Mam'.“ Eine fremde Stimme, jung, dennoch älter als Jason. „Scheinbar war die Dosis zu hoch. Wir könnten trotzdem anfangen.“ „Nein. Ich will warten, bis er wach ist. Und schafft mir Jason endlich her!“ Eine Frau … Ich kenne ihre Stimme. Natürlich! Sie war dabei gewesen, als ich das erste Mal aufgewacht bin. Der Klang der rauen, befehlenden Stimme lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Ich lausche weiter. Erneut öffnet sich die Tür, jemand stolpert in den Raum, stürzt zu Boden. „Das nächste Mal etwas freundlicher, wenn es geht“, brummt Jason, versucht damit, seine Angst zu überspielen, doch sie ist so deutlich, dass ich stark bezweifle, dass er irgendjemanden der Anwesenden täuschen kann. Die Gefühle in seiner Stimme lassen auch meine Panik wieder aufflammen. Anfangen … womit? Nein, ich will keine Antwort! Ich brauche es nicht, denn Jason hatte es mir gesagt, was passiert, wenn ich mich widersetze. „Nun, ich dachte, dass du vielleicht dabei sein willst, wenn wir ihn löschen. Damit du zusiehst, wie deine jämmerliche Hoffnung zerbricht“, sagte die Frau kalt, lacht leise. Jason schweigt. „Hast du wirklich geglaubt, wir wissen nicht, was du tust? Wie naiv bist du eigentlich?“ „Ich habe nichts getan“, antwortet Jason leise, mit zitternder, verzweifelter Stimme. Zorn mischt sich unter meine Angst, doch ich zwinge mich, ruhig zubleiben. „Deine Werkstatt wird genauso überwacht wie alles andere hier. Doch keine Sorge, wir werden dir nichts tun, aber ich denke, das weißt du auch so. Du wirst nur an die Leine gelegt. Und du hast uns sicher die ganze Zeit belauscht, nicht wahr?“ Ihre Stimme ist direkt über mir. Ich öffne die Augen, blicke in ein Gesicht, dessen Alter ich nicht einschätzen kann, dessen Augen mich mit einer unglaubliche Vorfreude auf das gleich Geschehene ansehen. „Du brauchst mich nicht so hasserfüllt anstarren Junge, du bist selber Schuld an der ganzen Sache. Probanden, die sich nicht unterordnen können werden eliminiert. Und da es zu schade wäre, dich zu töten, löschen wir einfach dein Bewusstsein erneut aus und dieses mal komplett. Bin ich heute nicht großzügig? Ich lasse dich leben, auch wenn du davon nichts mehr haben wirst.“ Ich merke, wie ich wieder anfange zu zittern, ziehe an den Fesseln, versuche mich los zu reißen, ohne Erfolg. Die Frau wendet sich von mir ab, an den jungen Forscher, der neben einem Kontrollpult steht. Ich lasse meinen Blick schweifen, versuche soviel von meiner Umgebung zu erhaschen wie möglich, entdecke Eden, wie er hinter den anderen steht, den Blick abwendet, als ich ihn ansehe. Schuldbewusst beißt er sich auf die Unterlippe, schlingt die Arme um sich. Jason sitzt noch immer auf dem Boden, zitternd, ängstlich. Ich begreife, dass er alles auf eine Karte gesetzt hatte, dass er bis jetzt fest überzeugt gewesen ist, mit meiner Hilfe von hier zu verschwinden. Ich schließe die Augen, will das nicht mehr mit ansehen, will nicht beobachten, wie sie alles vorbereiten, um mich auszulöschen. Vergeblich ziehe ich ein letztes Mal an den Fesseln. Wie hatte ich nur so dumm sein können zu glauben, von hier fliehen zu können. So unglaublich es auch für mich ist, ich kann Eden nicht dafür hassen, dass er mich in diese Falle gelockt hatte. Alles was ich spüre ist Mitleid mit ihm und die Panik, die Gewissheit, nicht wieder aufzuwachen. „Ha! Ich hab dich gefunden! Jetzt bist du dran!“ „Du bist gemein, du hast gemogelt!“ Das Mädchen lacht nur über meine Worte. Sie weiß genau wie ich, dass ich nicht verlieren kann. Trotzig verschränke ich meine Arme vor der Brust, schiebe die Unterlippe vor und sehe demonstrativ weg, doch sie lacht noch immer. Ich kann nicht anders, als ebenfalls zu grinsen. Sie legt den Kopf zur Seite, sieht mich herausfordernd mit ihren saphirblauen Augen an, streckt mir die Zunge raus. „Zähl bis hundert“, flüstert sie mir zu, ehe sie lachend davon rennt. Ich halte mir die Hände vor das Gesicht, linse zwischen meine Finger hindurch um zu sehen, wohin sie rennt und fange an zu zählen. „Lass die Augen zu! Nin, ich meine es ernst. Hör auf zu schummeln.“ Ich muss über ihren Versuch ernst und streng zu klingen leise lachen. Es passt nicht zu ihrer sanften Stimme, zu ihrem Wesen. „Lachst du mich etwa aus?“, fragt sie mit gespielter Empörung. „Nein, nein, keine Sorge, das würde ich niemals wagen“, stritt ich kopfschüttelnd ab, spüre, wie sie mir einen leichten Schlag zwischen die Rippen verpasst, muss nur noch mehr lachen. „So geht das nicht! Ich hab dir die Regeln doch erklärt“, brummt sie beleidigt. Ich ziehe sie zu mir, verliere mich in ihrem Blick. „Soso, die Regeln also. Wenn ich mich recht erinnere, änderst du sie immer zu deinem Besten, da darf ich doch wohl ein bisschen schummeln, oder?“, frage ich lächelnd. „Sonst wäre es ja unfair und du gewinnst am Ende noch.“ „Das ist ja der Sinn des Ganzen. Du änderst die Regeln so, dass du gewinnst oder du verlierst, wenn du es nicht tust“, antwortet sie, spielt mit einer Strähne ihres blonden Haares. „Kann man es nicht ändern, damit alle als Sieger hervor gehen?“ „Ich denke nicht. Einer muss der Verlierer sein, sonst gibt es keinen Gewinner. Aber du solltest dafür sorgen, dass du ersteres bist. Und jetzt mach die Augen zu und entspann dich. Glaub mir, hinterher ist alles wieder gut.“ Sanft drückt sie mich zurück, schenkt mir einen flüchtigen Kuss, ehe sie mir eine Hand auf die Augen legt und leise lacht. „Weißt du was? Du bist viel zu stur um einfach aufzugeben, aber diesmal wirst du nicht gewinnen“, flüstert sie leise in mein Ohr. Übrig bleibt nur Stille. Stille und ein unendliches Nichts. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)