Schnee von ZombieOnTour ================================================================================ Kapitel 2: Antworten -------------------- Der Mensch ist ein Nichts, das die Eigenschaft besitzt, hartnäckig dumme Fragen zu stellen. Anonym Mein Zustand wechselt zwischen wach, Koma ähnlichem Schlaf und Alpträumen, an die ich mich im wachen Zustand nicht mehr erinnere. Ich bin allein in diesem weißen Zimmer. Tage oder auch nur Stunden, vielleicht Wochen. Ich weiß es nicht. Jegliches Zeitgefühl scheint mit meinen Erinnerungen verschwunden zu sein. Es gibt nur noch diesen Raum, mich und die Fragen, die mir seit Jasons letztem Besuch im Kopf herumschwirren. Es kommt mir eine Ewigkeit vor, seit ich ihn das letzte Mal sah. Aus irgendeinem Grund sehne ich mich nach seiner Gesellschaft. Vielleicht nur, weil er der einzige Beweis ist, dass es noch eine Welt dort draußen gibt. Die Tür öffnet sich. Ich setze mich auf, sehe hin. Jason kommt in Begleitung eines Mannes, der auf mich wie ein Wandschrank wirkt, in das Zimmer. Groß, breitschultrig. Erst auf den zweiten Blick sehe ich, das dieser Mann (eher das Ding, der Ausdruck ist passender.) mehr Maschine als Mensch zu sein scheint. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, bei dem Gedanken, dass ich vielleicht auch so aussehe. In den Augen des Dings ist eine so vollkommene Leere, dass ich mich frage, wie viel Mensch noch in dieser Hülle steckt, allerdings glaube ich, dass ich es nicht herausfinden möchte. Ich schweige, beobachte Jason, wie er den Stuhl, der in dem Raum steht, ans Bett zieht und sich seufzend darauf niederlässt. Er wirft dem Schrank an der Tür einen Blick zu, ehe er sich an mich wendet. „Wie geht’s so?“, fragt er, kratzt sich an seinem Implantat. Er scheint keine Antwort zu erwarten, darum sage ich weiter hin nichts und starre ihn nur an. „Kannst du deine Beine und den Arm bewegen? Bist du die letzten Tage etwas gelaufen oder so? Kannst du sie benutzen?“ Ich nicke stumm. „Ich komme klar“, antworte ich schließlich, sehe unsicher zu der Maschine, die sich nicht einmal gerührt hat, seit sie den Raum betreten hatte. Sie steht einfach nur neben der Tür und starrt geradeaus. Jason folgt meinem Blick, nickt, als würde er dasselbe denken wie ich, doch ich frage nicht nach, was er meint, was das sei. „Gib mir deinen Arm, den rechten“, fordert mich der Junge auf und ohne ein Wort komme ich seiner Aufforderung nach. „Sieht es nicht perfekt aus?“, fragt er leise, begeistert, scheint für einen Moment vergessen zu haben, dass ich noch anwesend bin. Fasziniert streicht er über die synthetische Haut und ich zucke kurz weg, da es kitzelt. Ja, er hat recht. Es ist perfekt. Eine perfekte Nachbildung eines natürlichen Armes. „Wie fühlt es sich an, es zu bewegen? Hast du Schwierigkeiten?“, fragt Jason, sieht mich mit einem freudigen Blitzen in den Augen an. Ich schüttle den Kopf, folge mit meinem Blick der Bewegung seiner Hand. „Das ist gut, sehr gut“, murmelt er. „Ich hätte nicht gedacht, dass du es so gut annimmst. Bei den Anderen hatte es nicht geklappt.“ „Den Anderen?“, frage ich nach, ziehe instinktiv den Arm weg, als Jason an eine Stelle drückt und sich eine Art Klappe öffnet, Drähte und Anschlüsse in meinem neuen Arm freilegt. Ich verziehe das Gesicht angesichts des Schmerzes, der mich durchfährt. „Die Empfindlichkeit ist wohl noch zu hoch eingestellt, aber Schmerzempfinden ist vorhanden, sehr gut“, murmelt Jason nachdenklich, ehe er auf meine Frage antwortet. „Ja, die Anderen.“ Er nickt, schließt ein Kabel an, dessen anderes Ende er mit seinem kleinen Computer verbindet. Er wirft noch mal einen Blick seinem Begleiter zu, ehe er fortfährt. „Sie haben es schon an vielen versucht. Aber die Meisten nehmen nur die alte Technik an. Du bist der Erste, bei dem es funktioniert, diese Gliedmaßen anzuschließen und zu benutzen. Ich sag immer wieder, dass es an der Verdrahtung mit dem Zentralennervensystem liegt, dass sie es komplett falsch machen, aber naja, auf mich hört keiner. Bin ja nur das kleine Genie, das es entwickelt hat, sonst nichts.“ Er lächelt flüchtig, wird zunehmend unsicherer, sieht immer öfter zu der Maschine hinüber, bis er schließlich schweigend etwas in seinen Computer eingibt und letztendlich die Verbindungskabel wieder abzieht, die Klappe mit einem Druck schließt. Ich sehe zu, wie die Ränder sich wieder mit der restlichen Haut verbinden, bis sie komplett verschwunden sind. „Du solltest etwas schlafen“, schlägt er vor, steht auf, nimmt noch einmal meinen Arm, scheinbar um zu begutachten, ob auch nichts mehr von der Öffnung sichtbar ist. Ich merke, wie er mir etwas Kleines in die Handfläche drückt, mich mit flehendem Blick ansieht, ehe er sich umwendet und zusammen mit dem Wandschrank das Zimmer verlässt. Vorsichtig taste ich mit den Fingern nach der Stelle, an der Jason die Klappe geöffnet hatte, brauche eine Weile, ehe ich den Druckpunkt finde und sich die Öffnung freilegt. „Na also“, murmle ich, lege vorsichtig den kleinen Chip an die (hoffentlich) richtige Stelle und schließe es wieder, lege mich auf das Bett und schließe die Augen. Natürlich hat es seinen Grund gehabt, dass der Junge mir die Anschlüsse gezeigt hatte. Soweit ich ihn bisher einschätzen kann, tut er nichts, was ihm nichts bringt. Oder wozu er nicht gezwungen wird. Ich versuche mich zu entspannen, spüre nach einiger Zeit, wie die Elektronik anfängt zu arbeiten. Es ist ein ungewohntes, fremdes Gefühl und in mir flammt die Angst auf, ich könnte eines Tages so sein wie der Wächter, der mit Jason hier war. Eine kalte, herzlose Maschine. Nein, ich würde es mit aller Macht verhindern. Aber habe ich darauf überhaupt einen Einfluss? Ich denke eher nicht. Nachdem, was Jason erzählt hatte, ist es unwichtig, was ich will. Du musst dich entspannen, sagt eine leise Stimme zu mir. Sie kommt mir seltsam vertraut vor. Vielleicht ist es ein Element des Computers, der Maschine, die jetzt Teil von mir ist. Aber etwas sagt mir, das dem nicht so ist und eine Trauer überfällt mich, dass ich am Liebsten schreien würde, um den Schmerz loszuwerden. Was hatte mir Jason da nur gegeben? Vertraue ich ihm etwa zu sehr? Aber wenn nicht ihm, wem soll ich dann trauen, wenn ich wissen will, wer ich bin, was hier los ist. „Jetzt sei nicht so misstrauisch! Nin. Komm schon, entspann dich. Ich singe auch für dich, wenn du das möchtest.“ „Würdest du das tun? (Sei still!) Na gut. (Nein!)“ „Wenn du dich nicht entspannst, wird es nie besser. Und bisher hat es noch bei jedem geholfen.“ Ein leises Lachen, genauso sanft wie die Stimme. „Wer ist jeder?“ (Wach auf!) „Jetzt sei doch nicht gleich eifersüchtig. Nin, du übertreibst ein wenig.“ „Ich will es wissen.“ Zierliche, zarte Hände drücken mich zurück. Ich lächle in ein Gesicht, dass ich nicht erkenne. Seidiges, blondes Haar kitzelt mich, als sie sich über mich beugt. (Wach auf! Bitte … ich will es nicht sehen. Bitte …) „Mein Bruder zum Beispiel, aber das spielt jetzt keine Rolle. Ich komme gleich wieder. Warte hier.“ Sie verschwindet in dem weißen Nebel der Umgebung. Ich lege mich zurück, schließe die Augen. Keuchend schnappe ich nach Luft, habe ein Gefühl, als hätte mein Herz für einige Sekunden ausgesetzt. Ich schlucke, sehe mich um, versuche mich zu beruhigen. Ich kann weder eine Mauer noch einen Himmel sehen. Ich bin weder im Freien, noch in einem Raum. Die Schwärze um mich ist nicht dunkel und undurchdringlich. Es ist merkwürdig, kaum zu beschreiben. „Es hat funktioniert! Wunderbar.“ Ich fahre herum, sehe, dass Jason hinter mir steht. „Ich hatte erst Bedenken, ob der Chip funktioniert, aber scheinbar waren die unbegründet.“ Er kommt näher, grinst munter, erfreut. „Wo sind wir?“, frage ich, sehe mich noch einmal um, blicke dann wieder zu ihm. „Kann ich schwer sagen. Du hast es ausgesucht. Eigentlich soll das Programm einen sicheren Ort, den man gut kennt, auswählen, aber ich habe vergessen, dass du keine Erinnerung hast. Tut mir Leid.“ Jason seufzt, kratzt sich am Hinterkopf, lässt sich auf den Boden fallen. „Ich hatte noch nicht einmal Gelegenheit dich nach deinem Namen zu fragen, falls du ihn kennst.“ „Ninian“, antworte ich murmelnd, setze mich ebenfalls. Jason nickt. „Du kannst dir sicher denken, dass das nicht der Grund ist, dass wir hier sind, oder? Ach was frag ich …“ Er wirkt unsicher, sucht nach den richtigen Worten. Ich schweige und warte ab. „Nun gut … eigentlich darf ich dir nichts erzählen. Sie sagen immer, Unwissenheit ist eine Tugend und je weniger man weiß, desto seltener stellt man sich gegen sie.“ „Wer sind 'sie'? Warum die Geheimniskrämerei?“, frage ich ungeduldig. „Und was ist das für ein Ort? Seit ich hier bin, habe ich mit keinem anderen Menschen gesprochen als mit dir, niemand anderen gesehen außer den Cyborg, dich und die Frau am Anfang. Habe ich irgendetwas verbrochen, dass ich das Zimmer nicht verlassen darf? Was zur Hölle geht hier vor?“ Ich bemühe mich ruhig zu bleiben, merke, wie ich zitter. Mir ist bewusst, dass dies vielleicht die einzige Gelegenheit ist, jemals eine Antwort auf die Fragen zu bekommen, die in meinem Kopf herumschwirren. „Eines muss dir klar sein, wenn sie jemals von dem, was wir hier machen erfahren, sind wir beide tot! Naja, zumindest du. Mich brauchen sie noch.“ Jason seufzt erneut, fängt dann an, es mir zu erklären. „Als die Regierung merkte, dass sie dabei sind, diesen dämlichen Krieg zu verlieren, suchten sie nach einer Möglichkeit, dies zu ändern. Einer ihrer hochrangigen Forscher brachte eine geheime Forschungsstation zur Ansprache, die schon im letzten Krieg eingerichtet wurde und die in den vergangenen Jahren fast in Vergessenheit geraten war. Sie hatten versucht, eine perfekte, menschliche Kampfmaschine zu züchten, mussten aber immer wieder Fehlschläge erleiden und irgendwann begannen sie Verwundete her zu bringen, versuchten diese zu optimieren, wie sie es nennen. Ich nenne es einfach nur grausam. Dieser Mann heute gehört dazu, genauso wie du. Todgeweihte, Schwerverletzte. Menschen, die für gewöhnlich in den Flüchtlingslagern oder auf dem Schlachtfeld gestorben wären. Sie löschen ihre Erinnerungen, machen sie zu willenlosen Sklaven, experimentieren mit ihnen. Nicht viele überleben und es wird für sie immer schwerer neues Material zu finden. Ich muss für sie Dinge erfinden, die ihnen dabei helfen, die wenigen Opfer am Leben zu erhalten, sie in Kampfmaschinen zu entwickeln. Die, die überleben werden wieder in den Krieg geschickt, als Sonderkommando. Ich war einmal dabei, als sie einen Trupp mit einer neuen Waffe getestet hatten. Ich sollte es mir ansehen, damit ich die Waffe hinterher verbessern könnte. Es war schrecklich. Sie haben die Waffe nicht einmal benutzt. Löscht man das Bewusstsein eines Menschen, bleibt nur der Instinkt. Sie hatten den Befehl zu töten und sie taten es. Wie Tiere.“ Jason schüttelt sich. „Ich will gar nicht mehr daran denken. Dieser Krieg stürzt uns alle noch ins Verderben.“ „Warum? Wie können sie so etwas tun?“ Eine alte Wut flammt in mir auf, ich balle die Hände zu Fäusten. „Weil Menschen grausam sind. Sie haben Gefallen an so etwas. Man muss sich nur die Spiele des alten Rom ansehen. Nur ein Beispiel. Es gibt noch mehr. Menschen erfreuen sich an solchen Dingen.“ Jason spricht, als würde er von einem Tier reden, nicht von seiner eigenen Art. "Dich werden sie auch wieder in den Krieg schicken. Genau wie die anderen. Ich konnte die Leiterin der Abteilung, in der du dich befindest, davon überzeugen, dass du noch Probleme hast, dass du nicht einsatzfähig bist.“ „Wieso tust du das? Scheinbar bin ich nicht der Erste, mit dem du hier zu tun hast?“ Ich sehe ihn aufmerksam an. Er weicht meinem Blick aus. „Weil du anders bist. Du bist stark, du hast dir deinen Willen und deine Persönlichkeit bewahrt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum du noch lebst, warum du mit deinen neuen Körperteilen klarkommst. Die Anderen vor dir haben oft die Operation nicht überlebt, und wenn sie es doch haben, sind die spätestens nach ein paar Tagen gestorben. Ich glaube, es liegt daran, dass sie nicht leben wollten. Wie auch? Sie hatten keinen Grund, keinen Willen es zu tun“, antwortet Jason. Ich schweige, spüre, dass mehr dahinter steckt, als er zugibt. „Warum?“, frage ich nach einiger Zeit leise. „Warum erzählst du es mir, warum tust du das alles, obwohl du weißt, dass es Folgen hat?“ Jason sieht schweigend nach unten, antwortet nicht. „Sag es mir“, fordere ich ihn drängend auf. „Du bist der Einzige, der es schaffen könnte.“ „Was schaffen?“ „Von hier zu fliehen!“ Er sieht mich flehend an. In seinem Blick liegen Angst und Hoffnung. „Ich will hier weg. Doch sie lassen mich nicht gehen. Ich weiß zu viel, ich bin zu wichtig für sie. Bitte … nimm mich mit! Ich kann dir helfen zu fliehen. Dieser Ort ist die Hölle. Du wirst es noch erleben, glaub mir. Ich bin seit fünf Jahren hier. Seit fünf gottverdammten Jahren! Ich halt es nicht länger aus! Ich will nicht weiter mit ansehen, was sie tun.“ Er klingt verzweifelt, meint es ernst. Ich will ihm kein Versprechen geben, dass ich vielleicht nicht halten kann. Wo sollte ich schon hin können? Es gibt keinen Ort, an den ich mich erinnere, keinen Menschen … „Kannst du mir meine Erinnerung wieder geben?“, frage ich leise, muss an die Frau denken, die sanfte Stimme, das Gefühl, als sie mit mir sprach. Ich will wissen, wer sie ist. Teil meiner Erinnerung und nur eine Einbildung. Tief im Inneren weiß ich die Antwort bereits, doch ich höre nicht auf sie. „Ich kann es versuchen“, antwortet Jason ehrlich. „Aber ich kann es nicht garantieren.“ Ich nicke, sehe ihn an. „Das ist auch alles, was ich kann. Es versuchen.“ Der Junge scheint sich mit meiner Antwort zu frieden zu geben, denn er fragt nicht weiter, steht auf. „Du darfst niemanden merken lassen, dass du etwas weißt. Du musst versuchen, dich anzupassen. Auch wenn es schwerfällt. Sobald sie herausfinden, dass du nicht wie die anderen bist, werden sie dich töten oder dein Bewusstsein komplett löschen“, rät er mir. „Ich habe noch eine Frage … ich erinnere mich an einen Jungen, der bei mir war. Bei der Explosion … Er hat wasserstoffblonde Haare, stechend grüne Augen. Weißt du, ob er noch lebt?“ Ich sehe zu ihm, stehe ebenfalls auf. Traurig sieht Jason mich an, nickt, ist im nächsten Moment verschwunden. Ich starre zur Decke, das helle Licht schmerzt in meinen Augen, doch ich wende den Blick nicht ab. Freude mischt sich mit Schuld. Er lebt noch, aber er ist hier. Wenn es stimmt, was Jason gesagt hatte, wäre der Tod besser zu ihm gewesen. Ein Wort kommt mir in den Sinn. Eden. Das Paradies. Merkwürdig, hatte Jason diesen Ort doch als Hölle beschrieben. „Warum nennst du dich Eden?“ „Weil man im Paradies keine Angst haben braucht, aller Schmerz, alles weltliche ist vergessen.“ Ich schließe die Augen, falle in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)