An Elicoorian Christmas Carol von Saria-chan ================================================================================ Kapitel 4: Der dritte Geist --------------------------- Albel spürte, wie die Kälte, die seit der Ankunft des Geistes beständig in seiner Kammer zugenommen hatte, ihre frostigen Finger nach der Wärme in seinen Gliedern ausstreckte und versuchte, sie daraus zu rauben. Doch das war nichts, womit sich der Anführer der Schwarzen Brigade beeindrucken ließ. Ariglyphs Winter waren niemals mild und wenn sie ihn ängstigen wollte, brauchte es schon mehr als ein paar solcher jämmerlichen Taschenspielertricks. Seine Rubine hatten daher nicht viel mehr als ein abfälliges Leuchten für die Wesenheit übrig, die sich ihm nährte und schlussendlich vor ihm stehen blieb. Anders jedoch als wie bei ihren beiden Vorgängern blieben ihre Lippen verschlossen, kein Wort – weder der Begrüßung noch des Tadels – durchbrach die schwere Stille, welche sich über den kleinen Raum gesenkt hatte. Weitere Augenblicke verstrichen und immer noch schwieg sie, was in dem Schwertkämpfer den Eindruck erweckte, dass sie tatsächlich stumm war. Nun, dies wäre zumindest ein Fortschritt zu den anderen beiden Plagegeistern, welche ihn zuvor heimgesucht hatten. „Der Geist der zukünftigen Sternfeuerfeste also“, schlussfolgerte Albel schließlich und verschränkte die Arme vor der Brust, während er auf die weibliche Entität unweit vor ihm hinabblickte. Sie nickte und streckte ihre feingliedrige Hand fordernd in Richtung des Elicoorianers aus. Dieser war allerdings alles andere als gewillt, noch länger nach der Pfeife irgendwelcher überirdischen Wesen zu tanzen, die womöglich ohnehin nur seiner Fantasie entsprangen. Er war Albel Nox, Anführer der Schwarzen Brigade, und nicht irgendeine dieser schwächlichen Maden. Dieser Abschaum ohne Stolz ließ eine solch respektlose Behandlung vielleicht widerspruchslos über sich ergehen. Der Krieger nicht. Vernichtend blickte er auf die ihm dargebotene Hand. „Ich muss dich enttäuschen, ich werde nicht mit dir kommen. Sag deinen Freunden, dass ich keine Lust mehr auf ihre Spielchen habe“, knurrte er. Vergangenheit und Gegenwart hatten schon genug unangenehme Gefühle aufgewühlt, der Vierundzwanzigjährige brauchte und wollte die Zukunft nicht sehen – vielleicht auch, weil sich ein Teil von ihm vor den Konsequenzen fürchtete, die aus seinem bisherigen Handeln erwachsen waren. Der Krieger zog es jedoch vor, jene schwache Seite seiner Selbst in den hintersten Winkel seines Geistes zu verbannen. Ihre ausgestreckte Hand des Geistes zur Seite schlagend schob er sich in ihr vorbei und stieß die Tür auf. Der junge Mann hatte jedoch kaum einen Schritt aus dem Raum getan, als sich die hageren Finger, deren Berührung gleich eisigem Feuer auf seiner Haut brannte und ein kaltes Schaudern durch sein Rückrat jagte, um die seinen schlossen und ihn wieder stoppen ließen. Gleichzeitig fegte ein Sturm durch den Gang, ließ die Flammen der Fackeln wild tanzen und die Konturen des Gemäuers verschwimmen. Albel kniff die Augen zusammen, als ihm die starke Böe ins Gesicht schlug. Langsam öffnete er die Lider wieder. Obwohl sie sich immer noch an der gleichen Stelle wie zuvor befanden, hatte sich das Bild vor seinen Augen verändert. Der Boden der Fakultät war überzogen mit dem Staub vieler Jahre, die lichtspendenden Fackeln schon lange verloschen. Dunkelheit kauerte in den Ecken der Gänge, durch die der frostige Atem des Winters zog und wenn es hier noch Leben gab, dann nur jenes der Monster und Tiere, die auf der Suche nach Beute durch die Korridore streiften. Rost hatte die Angeln der zersplitterten Tür zerfressen, in der sie standen, und das Zimmer dahinter war schon seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Das Rot von Albels Seelenspiegeln streifte misstrauisch über die Szenerie, die ihm wie ein schlechter Scherz vorkam. Die eigentlich nur ein schlechter Scherz sein konnte, wenn er sich in Erinnerung rief, dass der Kontakt mit einem Geist ihn in die jeweilige Zeit brachte, welche die Wesen verkörperten. Aber dies konnte unmöglich die Zukunft der Trainingsanstalt sein. Niemals hätte Albel solch eine Verwahrlosung geduldet, auch in Hunderten von Jahren nicht. Was zur Hölle war hier passiert? Welche Made war dafür verantwortlich, dass sich dieser Ort in so einem schlechten Zustand befand? Der Anführer der Schwarzen Brigade schwor sich, wenn er den Abschaum fand, der die Fakultät so hatte verkommen lassen, dann würde er höchstpersönlich dafür sorgen, dass dieser die Kaserne wieder in einen ansehnlichen Zustand brachte... indem Albel den Boden mit dem Gesicht dieses unglücksseligen Idioten aufwischte. Doch das kurze Gefühl der Genugtuung, welche ihm diese Vorstellung brachte, schwand nur allzu rasch und machte die hässliche Erkenntnis, dass hier sehr viel mehr im Argen war als lediglich die grobe Vernachlässigung des Reinigungsplans, nur noch deutlicher. Albel nahm einen langen Atemzug und blickte dann zornig zurück auf den Geist, als wäre die weibliche Wesenheit der Ursprung allen Übels – was sie streng genommen ja auch war, zumindest in den Augen des Schwertkämpfers. „Meine Männer ... wo sind sie?“ Die weibliche Wesenheit zeigte sich von dem Groll des Elicoorianers wenig beeindruckt, nahm ihn fast gleichgültig hin. Jedoch konnte der Krieger erkennen, wie sie unter ihrer weiten Kapuze bestätigend nickte und seiner Anweisung nur Sekunden später nachkam. Der raue Sturm fegte einmal mehr durch den Raum, verwischte die Umrisse ihrer Umgebung und gab ihnen eine neue Form. Als Albel erkannte, wie aus seinem Zimmer von Kaminruß geschwärzte Wände wurden, die über ihm dunkel gegen den bleigrauen Himmel kauerten, wusste er augenblicklich, dass der Geist ihn nach Ariglyph gebracht hatte. Es war einer der weniger schönen Tage, welchen die Hauptstadt des gleichnamigen Reiches erlebte. Heftiges Schneegestöber begrenzte die Sicht auf wenige hundert Fuß und ein eisiger Wind pfiff durch die Gassen, der selbst unter den dicksten Mantel kroch. Nicht viele Menschen waren auf der Straße, und wer es war, der beeilte sich, schnell wieder nach Hause zu kommen Albel wartete mit zunehmender Ungeduld und nachdem immer mehr Minuten verstrichen, ohne dass etwas passierte, auch mit wachsender Wut. War das irgendeine Art von krankem Spiel, um ihn mürbe zu machen? War es diesen Wesen nicht mehr genug, seine Ruhe zu stören und ihn mit Dingen zu belästigen, die er weder sehen noch hören wollte? Er bekam übel Lust herauszufinden, ob dieser Geist wirklich so stumm war, wie er tat. Ob er schrie, wenn er ihn mit seiner Kralle zerfetzte? Doch gerade, als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, ertönte unweit von ihnen eine Türglocke, welche die Aufmerksamkeit des Elicoorianers auf sich zog. Drei Männer erschienen in dem hölzernen Rahmen, wovon zwei den dritten mit einem unsanften Stoß auf den matschigen Straßenboden beförderten. Nicht, dass der jämmerliche Trunkenbold davon noch sehr viel schmutziger hätte werden können. Die armselige Gestalt, die der Wirt und sein Gehilfe aus der Schänke geworfen hatten, starrte vor Dreck und ihren unangenehmen Körpergeruch konnte Albel selbst auf diese Entfernung hin wahrnehmen. „Und lass dich hier nie wieder blicken!“ schimpfte der stämmige Betreiber und schüttelte angewidert den Kopf. „Das war schon der dritte diese Woche“, sagte der Schankmeister mehr zu sich selbst als jemand anderem und fuhr sich mit der Hand über den kahlrasierten Kopf. „Wollt Ihr es ihnen verübeln? Sie wissen nicht, wohin. Viele sind von ihren Familien verlassen worden oder hatten erst gar keine“, erwiderte sein Lehrling und blickte auf den Säufer, der sich aufrappelte und davon hastete. „Trotzdem. Ich finde, diese ehemaligen Soldaten der Schwarzen Brigade werden langsam zu einer Plage. Der König sollte irgendetwas gegen sie unternehmen. Morgen beginnt das Sternfeuerfest und sie verschandeln den Anblick unserer schönen Stadt.“ Hatte Albel dem Gespräch anfangs nur mit wenig Interesse gelauscht, wurde er bei den letzten Zeilen umso aufmerksamer. Das Wort „ehemalig“ stand mit der Präsenz eines unheilverkündenden Boten über all dem und obwohl er nicht sagen konnte woher, wusste der Schwertkämpfer mit einer tödlichen Gewissheit, dass sich diese Aussage nicht nur auf einzelne Männer der Brigade bezog, sondern auf die Gesamtheit der militärischen Abteilung. Zwischen Zorn und Unglauben, dass man die Schwarze Brigade tatsächlich aufgelöst haben sollte, wandte er sich wieder an den Geist. „Ehemalig?“ bellte er und ballte seine Kralle zu einer Faust. „Ehemalig? Was soll der Humbug?“ Rasch fand seine gesunde Hand den Weg zur Katana und die Katana drohend ihren Weg in Richtung des transzendenten Wesens. Die weibliche Wesenheit schien nach wie vor unbeeindruckt von den Ausbrüchen des Elicoorianers, aber das war dem Vierundzwanzigjährigen herzlich egal. Der Krieger fühlte sich verraten und hintergangen – von wem wusste er nicht genau, aber er würde es noch herausfinden und dieser jemand hatte dann hoffentlich bereits mit seinem Leben abgeschlossen. Wer immer dafür verantwortlich war, dass seine Einheit nun auf den Straßen Ariglyphs lebte, durfte auf keine Gnade hoffen. „Sag mir sofort, was das zu bedeuten hat, oder du bist die längste Zeit ein Geist gewesen, Abschaum“, grollte er. Der Geist der zukünftigen Sternfeuerfeste bewegte in einer verneinenden Geste den Kopf und die smaragdfarbenen Augen unter der weiten Kapuze blickten ihn mit einem Ausdruck an, in dem eine gewisse Machtlosigkeit lag, aber gleichzeitig auch Abweisung. „Du legst es wohl wirklich darauf an, dass ich deine Sterblichkeit a- “ noch ehe der Rest der grimmig gesprochenen Worte die Lippen des Kriegers verließ, hob das überirdische Wesen den Arm und deutete auf eines der Fenster über ihnen. Albels rubingleiche Iriden folgten der ausgestreckten Hand und fanden an ihrem Ende eine Reihe reinweißer Papiersterne, welche mit großer Sorgfalt hinter die Scheibe geklebt worden waren. Er runzelte die Stirn während er zu ergründen versuchte, was die nicht sehr gesprächige Wesenheit ihm mitzuteilen versuchte. Als er sich jedoch beim Anblick dieses Schmuckes ins Bewusstsein rief, dass hier morgen das Sternfeuerfest beginnen würde und ihm auch die anderen beiden Geister nur Ausschnitte der vergangenen und aktuellen Feierlichkeiten gezeigt hatten, dämmerte es ihm, dass die Wesen ihn offensichtlich nur zu Ereignissen bringen konnten, die unmittelbar um die Feste herum geschahen. Was gleichzeitig bedeutete, dass der Vorfall, welcher zur Auflösung der Brigade geführt hatte, wohl zu einer anderen Zeit stattgefunden haben musste. Mit einem frustrierten Schnauben steckte er das Schwert wieder in die Scheide. „Na gut, dann bring mich zum Schloss“, knurrte er. Wenngleich er nicht mit den ‚Schatten’, wie der letzte Geist die Menschen dieser Visionen bezeichnet hatte, sprechen konnte, so hoffte er dennoch, durch die Gespräche der Bediensteten etwas in Erfahrung zu bringen. Auf das Nicken der Wesenheit hin griff der Elicoorianer nach dessen weiter Kutte und wie nunmehr schon so viele Male zuvor löste die Berührung einen Ortswechsel aus. Die Mauern der Gebäude um ihn herum schrumpften wieder zu den Wänden eines Zimmers zusammen, bogen sich einander entgegen und schlossen sich zu einer Decke aus Steinquadern über Albels Kopf zusammen. Das spärliche Inventar des Raumes lag im letzten Zwielicht des Tages, denn die Nacht trieb bereits ihre Schatten über den Himmel. Zudem war es sehr kalt in der kleinen Kammer. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ein wärmendes Feuer zu zünden und auch sonst waren keine Anstrengungen unternommen worden, welche das Gemach vielleicht etwas behaglicher gemacht hätte. Tatsächlich deutete sehr wenig darauf hin, dass dieses Zimmer überhaupt bewohnt war. Einmal mehr misstrauisch sah der Anführer der Schwarzen Brigade in Richtung der überirdischen Erscheinung. „Was soll das jetzt? Wo sind wir hier?“ Wortlos deutete der Geist auf einen Anderthalbhänder mit breiter Klinge, welcher in einer Ecke des Raumes an der Wand lehnte. Es war eine Waffe, die Albel unter Hunderten von Schwertern wohl immer wiedererkannt hätte, hatte er sie doch selbst über ihre wochenlange Reise hinweg oft genug in Fayts Hand gesehen und ihren Biss selbst schon schmerzhaft zu spüren bekommen. Albel lächelte abfällig. „Ich kann mich auch selbst zum Narren machen. Das hier kann unmöglich das Zimmer dieses Idioten sein. Es würde überquellen vor kitschigem Sternfeuerfestschmuck.“ Wie in einer Antwort wandte der Geist den Kopf zur Tür, hinter der in der Stille der Schlossgänge gerade zwei Stimmen laut wurden. „Fayt, bitte!“ „Nein, Maria!“ „Nur für ein, vielleicht zwei Stunden. Etwas Gesellschaft bringt dich bestimmt auf andere Gedanken.“ „Ich sagte nein und dabei bleibt es!“ “Fayt... “ Die Zimmertür öffnete sich und warf warmes Fackellicht in den kalten, dunklen Raum und machte ihn dadurch doch nicht heimeliger. Gegen den rötlichen Schein zeichneten sich die Schatten eines schlaksigen, jungen Mannes und einer etwas kleineren Frau ab. „Mir ist der Spaß an diesem Abend vergangen. Albel hatte damals recht... dieses Fest ist nur etwas für Idioten.“ Das triumphierende Lächeln auf den Zügen des Elicoorianers schwand gleichsam mit dem Erwachen von Marias traurigem. „Ich verstehe schon. Gute Nacht, Fayt.“ Der Erdling warf sich mit einem frustrierten Laut auf die ausgekühlte Schlafstätte. „... warum bin ich überhaupt mitgekommen?“ Der Krieger starrte noch einen Moment lang die Gestalt an, welche mit verschränkten Armen auf dem Bett lag, dann ballte er die Hand zu einer wütenden Faust und trat einige Schritte näher. Er hatte sich diese Vorstellung lang genug angesehen. Ihm war egal, dass diese Ereignisse weit in der Zukunft lagen, in diesem Moment waren sie für den Schwertkämpfer real – ebenso wie der Schmerz, der sich ob Fayts Anblick bohrend in das Herz des Vierundzwanzigjährigen fraß. „Was tust du da, du verdammter Idiot?! Du solltest unten sein und nicht hier!“ Das alles hier war so nicht richtig. So verkehrt. So vollkommen falsch. Er erinnerte sich an das unbekümmerte Lachen des Jugendlichen aus der letzten Version und an den blauäugigen, unverbesserlichen Optimismus Fayts während der gemeinsamen Reisen. Das Leuchten in den smaragdfarbenen Iriden des Erdlings, wenn er sich im Kreis seiner Freunde befand. Das war es, wie es sein sollte. Diese Bitterkeit und das abweisende Verhalten, das war nicht Fayt... das war... „Hör auf so zu tun als wärst du ... du... ich!“ Albel realisierte es in dem Moment, in dem er die Worte, welche von Fayts Schatten ungehört verhallten, laut aussprach Die Person, welche dort auf dem Bett lag, hätte genauso gut er selbst sein können. War dies, wie er auf andere Menschen wirkte? War dies hier etwa... seine Schuld? Der Krieger führte die Hand zur Brust, aus der das quälende Ziehen einfach nicht weichen wollte. Der Anführer der Schwarzen Brigade hatte sich gewünscht, dass die Menschen die Sinnlosigkeit dieser Feierlichkeiten endlich einsahen, doch nicht ... so ... So ungern er es auch zugab, ihm war es lieber, wenn Fayt weiter in seiner kleinen, naiven Welt lebte, in welcher der Himmel immer blau war und die Sonne immer schien ... denn es machte Albels eigene Welt selbst etwas wärmer. Mit einem metallischen Kreischen formte sich die Kralle des Elicoorianers zu einer Klaue und seine Rubine schwenkten gleich lohenden Flammen hinüber zum Geist der zukünftigen Sternfeuerfeste. „Mach, dass er mich hört!“ keifte er den die weibliche Wesenheit an. Er würde Fayts Verhalten nicht länger akzeptieren. Es wurde Zeit, dass jemand diesem blauhaarigen Idioten den Kopf wieder zurechtrückte. Allerdings machte der Geist dem Schwertkämpfer einen Strich durch die Richtung, indem er langsam den Kopf schüttelte. Es war jene Geste, welche den letzten von Albels Geduldsfäden endgültig reißen lies. Er langte nach dem Umhang des Geistes und zog ihn grob zu sich heran. „Hör mir gut zu, du nutzlose Made. Wenn du nicht willst, dass ich wieder in die Hölle zurückschicke, aus der du gekommen bist, dann lieferst du mir besser schnell ein paar Antworten.“ Er spürte, wie ihm die Kälte aus dem Körper der Wesenheit in die Glieder kroch, doch es kümmerte ihn nicht. „Was ist hier geschehen? Warum ist er so?“ Das blasse, feingeschnittene Gesicht unter der Kapuze wich seinem wütenden Blick aus und die waldfarbenen Seelenspiegel verschwanden hinter zusammengekniffenen Lidern. „Jetzt tu nicht so zögerlich, sondern zeig es mir.“ Drohend hob er die Klaue auf Höhe ihres Halses, doch just in dem Moment öffnete die weibliche Wesenheit wieder die Augen – mit einem Blick, der kalt wie der Winter war und kein Mitleid mehr kannte. Krachend brachen die Wände um sie herum auseinander und ließen sie auf weiter Flur stehen; das Inventar des Zimmers und auch Fayt waren plötzlich verschwunden. Die Nacht hatte das Land in Dunkelheit getaucht und der halbe Mond, dessen Licht vereinzelt durch die dichte Wolkendecke drang, vermochte die Umgebung kaum zu erhellen. Irgendwo in der Finsternis donnerte das Meer wütend gegen die Klippen und ein kalter Wind brachte den Geruch von Schnee mit sich. Eine einsame Gestalt stand unweit der Stadttore Kirlsas. Als Albel sie erblickte, spürte er sofort eine natürliche Antipathie in sich erwachen und verzog missgestimmt das Gesicht. Hätte er doch bloß nicht gefragt. Dennoch, er wollte wissen, was genau Fayt so verändert hatte, und so trat er widerwillig ein paar Schritte näher. „Ich weiß wirklich nicht, was Fayt an diesem Kerl findet“, grummelte Sophia, gerade, was ein schmallippiges Lächeln auf Albels Gesicht zauberte. Er konnte dieses „Kompliment“ postwendend zurückgeben. Auch er verstand nicht, wie es der Erdling länger als eine Stunde mit diesem Mädchen aushielt, ohne das Bedürfnis zu verspüren, sich vor die nächstbeste Klinge zu werfen ... oder ihr jene in die Kehle zu rammen. „Aber wenn es ihm wirklich so wichtig ist, dass Albel zu diesem Fest kommt...“, murmelte sie und festigte entschlossen den Griff um ihren Stab, der ihr durch einen Zauber gleichzeitig als Lichtquelle diente, „... dann sorge ich auch dafür, dass er kommt.“ Das Lächeln auf Albels Lippen wuchs und zeigte sogar eine winzige Spur von Anerkennung. So wenig er das Erdenmädchen auch mochte, eines musste er dieser Göre lassen – mutig war sie. Auch wenn es gleichzeitig unendlich dumm von ihr war zu glauben, dass er sich so einfach überzeugen lies. Der Anführer der Schwarzen Brigade war ihrem Weg entlang der Steilküste noch nicht lange gefolgt, als er die Veränderung in der Umgebung bemerkte noch ehe es Sophia tat. Jedoch nur Sekunden später schreckte auch sie zusammen, nachdem ein Schatten am Rande des schmalen Lichtkreises vorbeihuschte, den ihr Stab warf. Dann ein Knurren, gefolgt von einem Bellen und ein gelbes Augenpaar, welches in der Dunkelheit aufblitze und wieder verschwand.. Schützend hob Sophia den Stab vor sich, den Blick fest auf die Stelle gerichtet, wo die bernsteinfarbenen Iriden vor einigen Momenten geleuchtet hatten. „Lass mich in Ruhe, du Monster!“, war ihr Versuch, der wolfsähnlichen Kreatur zu drohen. Fast schon spöttisch tauchte der drahtige Umriss im äußersten Zwielicht des Helligkeitszaubers auf und verschwand darauf wieder. Angespannt folgte sie der Bewegung und übersah dabei das zweite Ungeheuer, welches sich lautlos von hinten anschlich. Albel hingegen hatte es sehr wohl im Blick, genau wie er das Unausweichliche kommen sah und doch nicht sehen wollte. Ein erschrecktes Kreischen entfuhr Sophias Kehle, als sich das pirschende Monster auf ihren Rücken stürzte und sie das Gleichgewicht verlor. Obwohl der Krieger selbst so manchen Gegner gleich einem wildem Tier mit seiner Kralle zerfetzt hatte, wandte er bei dem Gemetzel, welche von den verzweifelten Todesschreien des Mädchens begleitet wurden, die Augen ab. Er versuchte sich einzureden, dass es ihre eigene Schuld gewesen war und die gerechte Strafe für ihre Dummheit. Hier lediglich das Gesetz des Stärkeren seine Erfüllung fand, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass er diesen Vorfall durch sein eigenes Verhalten provoziert hatte. Wäre er nicht zu stolz gewesen, um sich zu den Feierlichkeiten im Schloss herabzulassen und stark genug gewesen, die Schatten seiner Vergangenheit hinter sich zu lassen, dann wäre dies hier niemals geschehen. Es schien auf einmal nur logisch, dass Fayt sich in der vorherigen Vision so abweisend verhalten hatte, wusste Albel doch nur selbst zu gut um den Schmerz, den der Verlust eines wichtigen Menschen bedeutete. Und er wusste ebenso, dass Sophia für Fayt wichtig gewesen war. Niemals wieder, hatte sich der Elicoorianer geschworen, hatte er eine Person so nah an sich herankommen lassen wollen, dass sie eine Rolle in seinem Leben spielte oder er in seiner. Aber dieser verdammte Idiot hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen und das traurige Ergebnis tauchte nun den felsigen Boden vor den Toren Kirlsas in blutiges Rot. Mit dem Mädchen würde auch gleichzeitig jener Teil von Fayt sterben, der in Albel zwar regelmäßig Unglauben und Frustration ausgelöst hatte, ihn jedoch gleichzeitig mit einer Art skurriler Faszination für diese Weltanschauung erfüllt und seinen von Tod beherrschten Schicksalsweg etwas lebendiger gemacht hatte. Der Krieger hatte es außerordentlich gut verstanden, mit seiner Einstellung Fayt effektiv in einer Kopie seiner Selbst zu verwandeln und es tat ihm leid. Aufrichtig und ehrlich leid. „Ich verstehe“, sagte Albel leise und alle Wut, die zuvor in seiner Stimme gewohnt hatte, war mit einem Mal verschwunden. Er verstand plötzlich so vieles was er vor wenigen Stunden noch vorgezogen hatte zu ignorieren, nur eine einzige Sache nicht. Es war eine Frage, welche beständig in ihm gewachsen war und jetzt immer mehr drängte, über seine Lippen zu kommen. Gleichzeitig fürchtete er sich nach all den Bildern dieser nunmehr sehr langen Nacht, sie zu stellen. Ja, Albel Nox, der gnadenlose Anführer der Schwarzen Brigade, fürchtete sich vor einer einfachen Aneinanderreihung von Worten, die dann schlussendlich aber doch seine Kehle verließ. „Wo... war ich bei all dem?“ Der Geist, welcher ihm die ganze Zeit wie ein Schatten gefolgt war, trat neben ihn und legte die kalten Finger um Albels Handgelenk. Der Wind um sie herum brauste auf und schien mit seinem Pusten die Nacht selbst hinfort zu blasen. Es wurde wieder Tag, mit einem makellos blauem Himmel über dem Bergpfad, auf dem sie nun standen. Der Schnee, welcher über den zerklüfteten Felswänden lag, strahlte gleißend weiß in Sonnenlicht und der Weg vor ihnen führte hoch in das Massiv hinter Kirlsa. Die Möglichkeit auf einen Abstieg hatte eine Lawine wohl schon vor langer Zeit zunichte gemacht, indem sie mit ihrer zerstörerischen Gewalt ein großes Stück des schmalen Steinpfades herausgerissen hatte. Sie traten näher an den von der Natur geschaffenen Abhang heran, auf dessen Grund Albel eine Gestalt ausmachen konnte – wahrscheinlich hatte der Wanderer oder was immer diese unglückliche Seele auch gewesen war, bei dem Versuch, die Kluft zu überwinden den Halt verloren. Als einmal mehr die Minuten ins Land zogen, ohne dass der Geist sich rührte, machte der Schwertkämpfer sich schließlich die Mühe, einen genaueren Blick auf den erstarrten Körper weit unter ihnen zu werfen. Der Wind zerrte an dem braunen Mantel mit Pelzkragen, der noch immer über den Schultern des Mannes lag. Die eisige Luft hatte feine Eiskristalle in die bernstein- und onyxfarbenen Strähnen gewoben und seine blasse Haut mit einem glitzernden Gewand von Pulverschnee überzogen. Mit dem Tod hatte der Frieden auch endlich einen Weg auf sein Gesicht gefunden. Die blauen Lippen umspielte ein fast schon sanftes Lächeln und die sonst angespannten Züge wirkten gelöst. „Das... bin ich...“ keuchte Albel fassungslos – ein leises Flüstern, das der kalte Sturm von seinen Lippen riss und verwehte. Das sollte seine Zukunft sein? Einsam und vergessen auf dem Grund einer Schlucht, unehrenhaft gestorben bei einem Sturz, weil... ihm niemand geholfen hatte? Weil... niemand ihn vermisst hatte? Er wollte es nicht glauben, aber gleichzeitig spürte Albel, wie ein verzweifeltes Lachen in seinem Brustkorb aufwallte. Vielleicht... vielleicht hatte er es auch nicht anders verdient. Vielleicht war es tatsächlich seine gerechte Strafe dafür, dass er seinen Männern gegenüber so kaltherzig gewesen war und die Leute, die versucht hatten, seine Freunde zu sein, so abweisend behandelt hatte. Ein plötzlicher, heftiger Stoß in den Rücken ließ ihn das Gleichgewicht verlieren und den Abhang hinabstürzen, direkt in die Arme seines leblosen Spiegelbildes. Der Anführer der Schwarzen Brigade wich nach einem kurzen Moment der Benommenheit augenblicklich von dem kalten Körper zurück und sah nach oben, wo der Geist nur noch ein undeutlicher Schatten im aufbrausenden Schneesturm war. Das Herz schlug panisch in seiner Brust und stolperte in einem noch halsbrecherischen Tempo weiter vorwärts, als er den eisigen Wind auf seiner Haut deutlicher fühlte als je zuvor. Er sollte das weiße Grab mit seinem zukünftigen Ich teilen, schoss es ihm durch den Kopf, aber er wollte nicht. Konnte nicht ... ! „Nein, halt! Lass mich nicht hier zurück! Ich werde mich ändern! Bitte ...!“ Er stob nach vorne, um die verschwimmende Gestalt des Geistes zu erreichen, als seine rechte Hand, mit der er sich gegen den Hang abstützen wollte, nur leere Luft statt festen Stein fand... und er eine Rolle schlagend aus seinem Bett stürzte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)