The Wasted Time of Our Lives von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: 旋律の力 - Senritsu no chikara - The Force of Melodies ------------------------------------------------------------- „Wir brauchen noch ein paar mehr ruhige Songs zum Ausruhen.“, merkte Ken an. „Ja, auf jeden Fall... Wie wäre es, wenn wir endlich einmal den Fans die Freude machen und ‚Anemone’ spielen?“, schlug Tetsu vor. ~Bitte nicht...~ Ich schloss innerlich die Augen. Ken meinte dazu: „Keine schlechte Idee. Wir wollten schon lange ein Orchester auf die Bühne holen. Außerdem haben wir dann eine Pause nach diesen vielen schnellen Songs.“ Yukihiro nickte nur. „Muss das sein?“, warf ich etwas missmutig ein. „‚Anemone’ ist ziemlich schwer zu singen. Ich würde wahnsinnig viel dafür üben müssen.“ „Na gut, das stimmt. Für dich ist das alles andere als eine Zeit zum Ausruhen. Außerdem könnten wir uns das Orchester für das 25-jährige Jubiläum aufheben.“ Er grinste keck, fuhr nach einem gedankenverlorenen Moment fort: „Aber dann will ich auf jeden Fall ‚Forbidden Lover’ und ‚Anata’ in der Setlist haben.“ Ich seufzte. Innerlich. Bei ‚Forbidden Lover’ würden meine Gedanken bei einer Person sein, bei der sie in letzter Zeit ohnehin zu oft waren, und mittlerweile war ich dermaßen verwirrt, dass ich bei ‚Anata’ gar nicht mehr wissen würde, an wen ich dabei denken sollte. Ich öffnete das schwere Eisentor, trat über die Schwelle auf den Gehweg einer nahezu unbewohnten Straße, die in eine Brücke mündete. Und da war es wieder. Ich konnte nie erklären, woher es kam. Ich wusste nicht, warum ich es fast immer nur dann bemerkte, wenn ich mich auf dieser Straße befand. Ich hatte keine Ahnung, weshalb es immer häufiger auftrat, dieses Gefühl, dass ich etwas vorhatte, dass ich etwas tun wollte. Es war da. Doch was war es? Was hatte ich vor? Was wollte ich tun? Wollte ich nicht einfach nur nach Hause? Nein, das war es nicht. Obwohl ich sehr erschöpft war; da war ich mir ganz sicher. Doch was war es dann? Es war, als wollte ich genau in die entgegengesetzte Richtung. Es war, als wollte ich an einen bestimmten Ort. Das ließ mein Gefühl durchschimmern. Mehr jedoch nicht. Es machte mich wahnsinnig, nicht zu wissen, was dieses Gefühl mir sagen wollte. Es war schrecklich, den Grund dafür nicht zu kennen. Ich wusste nicht, woran es lag, dass ich dieses Gefühl nicht verstand. Mittlerweile konnte ich ausschließen, dass es daran lag, dass ich zu wenig darüber nachdachte. Denn in letzter Zeit ging mir dieses Gefühl nicht mehr aus dem Kopf, und nicht mehr aus dem Körper. Ich glaubte, es immer öfter zu spüren, auch wenn ich nicht auf dieser Straße war. Das verstärkte meinen Wunsch, dahinter zu kommen, was es war. Ich hatte auch schon überlegt, mir Rat bei Tetsu zu holen. Oder bei Gackt. Doch ich hatte das Gefühl, dass es besser war, mit niemandem darüber zu sprechen. Auch dafür erfuhr ich keinen Grund. Ich wusste es einfach, instinktiv. Zumindest glaubte ich das. Ich ließ mich auf das neue Sofa fallen und sah mich im Raum um, betrachtete die neue Einrichtung. Ich war zufrieden. Vor einer Woche war ich hier eingezogen und jetzt waren alle Dinge, die ich brauchte, endlich an ihrem lange durchdachten Platz. Eigentlich hatte ich Hyde gebeten, mit mir Möbel aussuchen zu gehen, doch er hatte wieder einmal keine Zeit gehabt. Ich fragte mich, ob ich, seit ich in seine Nähe gezogen war, vielleicht etwas zu viel Zeit von ihm in Anspruch nehmen wollte. Es wäre grausam, wenn er das so sehen würde. Wundervoll wäre es, würde er stattdessen seinen Terminkalender dafür verfluchen, dass er so voll war. Ich seufzte. Tagträume. Eine schlechte Angewohnheit. Doch ich konnte es nicht ändern. Ich schaute zu der offenen Balkontüre, die Sonnenstrahlen hineinbat, die die Gardinen erleuchteten. Der Wind spielte mit dem langen weißen Stoff, wehte ihn leicht der Decke entgegen. Ich stellte mir vor, es wären Engelsflügel, die jeden Moment ausgebreitet würden. Ich sah Hyde, wie er einen letzten Blick zurück warf und durch die Tür, über das Balkongeländer, in den glasklar blauen Himmel entschwebte. Ich sah ihm nach, mit einem traurigen Lächeln im Gesicht. Ob er sich wohl schon einen Wunsch ausgedacht hatte, für den er meinen Geschenkgutschein einlösen wollte? Ich versuchte nicht abzuschweifen, nicht daran zu denken, was ich wollte, wofür er ihn einlöste. Es war nicht einfach. Es war einfach unmöglich. Er legte die beiden Blätter Papier beiseite und stand auf. Zielstrebig ging er auf den Gitarrenständer zu, griff nach dem Instrument, setzte sich wieder auf das Sofa und begann zu spielen. Er spielte, dachte nur an das Gefühl, das ihn ausfüllte, wenn er diesen Text las, und da war sie - die Melodie, die er gesucht hatte. Er legte sich die Seiten zurecht und begann zu singen: I can’t stand you - being so near I don’t want to hear your voice whispering in my ear I wished you’d disappear from my memories I wish you far away from my fantasies You’re here, here in my head Ceaselessly torturing me I thought I already had enough tears shed Why haven’t you turned your back on me? Wishing to be one of your admirers To live in their dream world Far, so far away from you Without hope of becoming someone close to you Why do you stare at me like this Your eyes goring through mine I know you can see right inside me Why don’t you give me a sign? You’re here, so show me Show me if you know that I love you Would you still be my friend - Could you? If you know, if you only knew Wishing to be one of your admirers To live in their world of dreams and imagination Far, so far away from you Without hope of becoming someone dear to you You’re around, I’m shivering What the hell are you doing with me? You embrace me gently, smiling What the hell are you doing to me? Why the hell are you so near? You’re around, all around me You keep smiling your beautiful smile at me There are just a few words I wanna hear Why the hell are you so - silent? Wishing to be one of your admirers To live in their world of imagination Far, so far away from you Without hope of becoming someone loved by you You’re around, the feelings grow It’s so hard to suppress them, impossible to ignore There are so many things I want you to know Why the hell am I so - silent? Why am I not like all the others? Admiring you from far away Knowing that my wish you will never hear Why the hell am I so near? Why are we so close to each other? And why do I want you to be even closer “Closer, closer, closer“ I beg As close as my wings are to my back I want to be one of your admirers I want to live in their dream world So far from your being - so kind Without hope of being on your mind Die Melodie verklang. Er lauschte ihrem Verschwinden. Eine Träne folgte ihr, stürzte sich in den Stoff, der sein pochendes Herz beschützte, und war verschwunden. Das einzige Anzeichen dafür, dass sie einmal existiert hatte, war die Spur, die sie auf seiner Wange hinterlassen hatte. Als das Telefon klingelte, saß Hyde noch immer auf dem Sofa, noch immer die Gitarre in der Hand, doch er spielte nicht mehr, wartete nur gedankenverloren, unbewusst darauf, dass ihn etwas aus seinen Gedanken holte. Das Klingeln des Telefones hatte es geschafft. Hydes Blick fiel auf das schwarze Gerät, das auf seinem Schreibtisch stand. Wenn es klingelte, bedeutete es entweder, dass jemand aus geschäftlichen Gründen anrief, denn es war seine Geschäftsnummer, die dieses Telefon zum Klingeln brachte, oder jemand, der aus irgendeinem Grund niemals, unter keinen Umständen, die private Nummer wählen wollte. „Ja?“, fragte Hyde in den Hörer hinein, nachdem er die Gitarre beiseite gelegt, aufgesprungen und zum Telefon gegangen war. „Ich bin es.“, kam es von der anderen Seite der Leitung, mit einem fast schon entschuldigendem Unterton. „Ga-chan, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht die Geschäftsnummer wählen sollst?“, wurde er sogleich zurechtgewiesen. „Entschuldige. Aber so gehst du doch am schnellsten ran.“, führte Gackt als Argument an. „Es ist aber nicht die Funktion eines Geschäftstelefons, Privatgespräche damit zu führen.“, belehrte Hyde ihn. „Du weißt doch gar nicht, ob ich nicht geschäftlich anrufe?“, stellte Gackt Hydes Vorwurf in Frage. „Tust du doch eh nicht.“, setzte Hyde voraus. „Komm erst einmal zu mir. Ich habe meine Wohnung fertig eingerichtet. Sie muss eingeweiht werden.“, erwiderte Gackt nur, ohne auf die Annahme des anderen einzugehen. Hyde blickte einen Moment aus dem Fenster, überlegte, ob er noch etwas zu erledigen hatte, stellte das Gegenteil fest und meinte: „Okay, ich esse nur noch etwas und dann komme ich zu dir.“ „Lass uns doch zusammen essen gehen. Ich habe auch noch nichts gegessen.“, warf Gackt ein. „Na gut. Dann bis gleich.“, ließ er den anderen wissen und legte auf. Als erstes verstaute er den Liedtext wieder an einem sicheren Ort, stellte die Gitarre in ihren Ständer zurück und verließ dann, nach einem prüfenden Blick, sein Arbeitszimmer, um sich umzuziehen. Auch wenn die Wasserflecken nicht mehr zu sehen waren. Es klingelte. Darauf hatte ich gewartet. Nachdem ich noch einen Prüfgang durch meine neue Wohnung gemacht und festgestellt hatte, dass alles zu meiner Zufriedenheit aufgeräumt war, saß ich nur wartend auf dem Sofa, mit Erwartung dieses Augenblicks. Auf dem Weg zur Tür warf ich nochmals einen Blick in den Spiegel, zupfte ein oder zwei Haarsträhnen zurecht, bevor ich die Tür öffnete. „Hast du doch noch etwas gegessen?“ Diese Frage konnte ich mir nicht verkneifen. „Warum?“, fragte er zurück, innehaltend. „Weil du so lange gebraucht hast.“, gab ich zurück. „Aber egal, jetzt bist du ja hier.“ Ich umarmte ihn, noch zwischen Tür und Angel. „Du hast ja Gänsehaut...“, stellte Hyde überrascht fest und fragte etwas besorgt: „Ist dir kalt?“, während er mich losließ - und mich wirklich Kälte aussetzte. Weil es sonst keine andere Erklärung gab, die ich gewagt hätte, ihm gegenüber auszusprechen, bejahte ich seine Frage. „Ein bisschen vielleicht...“ „Du frierst doch sonst nie. Wirst du krank?“, wollte Hyde noch eine Brise besorgter wissen. „Schon möglich.“, meinte ich lediglich und wollte ablenken: „Wie warm ist es draußen?“ „Es geht. Aber wenn dir kalt ist, solltest du lieber etwas Wärmeres anziehen.“, riet er mir. „Dann tue ich das mal schnell.“, sagte er und ging in sein Schlafzimmer. Ich sah mich indes im Wohnzimmer um, warf einen Blick in die Küche, auf den Balkon. „Sieht echt klasse aus.“, rief ich in Richtung Schlafzimmer. „Gefällt mir wirklich!“, fügte ich noch nachdrücklich hinzu. „Mir auch!“, rief Gackt zurück und ich hörte, dass er dabei lächelte. Ich lächelte mit. Auf dem Weg zum Sofa, auf das ich mich zum Warten niederlassen wollte, kam ich am Schreibtisch vorbei und sah ein Englischwörterbuch aufgeschlagen darauf liegen. Ich schlenderte, wie beiläufig, in dessen Richtung. Dieses Bild hatte meine Neugier geweckt. Ich beugte mich über die aufgeschlagene Seite und suchte nach einem Hinweis, der mir verriet, nach was Gackt gesucht hatte. Zu meinem Bedauern war nichts markiert, kein Abschnitt, kein Wort, nicht einmal ein winzig kleines Kreuzchen war aufzufinden. Ich ließ flüchtig meinen Zeigefinger über die Seiten fahren, auf der Suche nach einem Wort, von dem ich mir vorstellen konnte, dass Gackt es in einem Songtext verwenden würde. Bei dem Wort „kanashimi“ verweilte meine Fingerspitze einen Moment länger als bei den anderen Zeilen. Warum passte dieses Wort so gut zu ihm? Warum beschrieb es seinen momentanen Zustand so treffend? Ich schüttelte diesen Gedanken von mir. Es könnte jedes dieser Wörter sein. Vielleicht hatte er auch einfach nur einen Text zu übersetzen versucht. Etwas enttäuscht, da ich nichts herausgefunden hatte, wollte ich mich abwenden, als ich aus dem Augenwinkel mehrere Blätter Papier wahrnahm, die ein wenig unter dem wuchtigen Wörterbuch herausragten. Ich hielt in der Bewegung inne. Ein wenig schuldbewusst warf ich einen Blick zur Tür, durch die Gackt jeden Moment zurückkommen könnte. Es war vielleicht sehr privat. Vielleicht. Vorsichtig hob ich das Lexikon an und zog eine beschriebene Seite durch den entstandenen Spalt heraus. Es war eindeutig Gackts Handschrift. Ich hätte sie unter tausenden wiedererkannt, obgleich er eher selten mit lateinischen Buchstaben schrieb. Noch ungewöhnlicher war - wie man mit einem Blick ersehen konnte , dass der Text in englischer Sprache verfasst worden war, komplett auf Englisch. Ich begann zu lesen: Watching your innocent face As you played in the glimmering waves Running all over the beach barefoot How I adored you Your name we wrote in the sand And the shells we adorned it with Shoulder to shoulder We watched as the waves wiped it away before us The orange sun I saw with you at dusk Making a face about to cry the big farewell The blue sky slows its breathing To embrace the red setting sun As I too held you, I closed my eyes All the joy and sadness The countless encounters and partings Just as it did back then The orange sun oversees them all Back when we dreamed of an eternity Laughing, we held each other for so long It’s stunning how much I think of you That’s all I needed to satisfy myself Don’t cry, we can meet again anytime Just by closing our eyes Ich wusste bereits nach den ersten Zeilen, um was für einen Text es sich handelte. Wie hätte ich unseren Song nicht wiedererkennen können? Und da war es, das Wort, das er nachgeschlagen hatte. ~Sadness...~ „So, wir können gehen.”, hörte ich Gackt sagen, bereits auf dem Weg zu mir. Schnell tat ich das Blatt Papier zurück an seinen Platz und wandte mich versucht unauffällig vom Schreibtisch ab, der Wohnungstüre zu, als Gackt auf mich zukam. „Es gefällt mir wirklich sehr, wie du deine Wohnung eingerichtet hast.”, wollte ich ihn noch einmal wissen lassen und zugleich mein in meinen Ohren verdächtiges Schweigen übertönen. „Danke.”, bedankte sich Gackt, ein wenig verlegen, eigentlich kaum sichtbar - für jemanden, der ihn nicht kannte. „Wo wollen wir hingehen zum Essen?”, fragte er, um davon abzulenken. „Wie wäre es, wenn wir deine Küche einweihen?“, fragte ich zurück. Es war wie immer ein wundervolles Gefühl, mit Hyde durch die Gassen der Innenstadt zu spazieren. Wir beide wie immer mit dunklen Sonnenbrillen, um unerkannt zu bleiben. Einmal hatten wir uns etwas besonders Effektives einfallen lassen, um nicht erkannt zu werden: Wir hatten uns einen Mundschutz angezogen, taten, als wären wir erkältet, aber ansonsten nichts Außergewöhnliches, verdeckten, ohne Sonnenbrillen zu tragen, unser halbes Gesicht und machten es somit selbst unseren größten Fans schwer zu erahnen, wer wir waren. Die halbe Zeit, die wir so durch die Straßen gingen, amüsierten wir uns nur, erfreuten uns an unserer brillanten Idee. War das eine Zeit... Ein, zwei Jahre zuvor, in Taiwan, war das nicht einmal nötig gewesen. Dort konnten wir uns frei bewegen, unverschleiert. Es war ein so befreiendes Gefühl. Ein Gefühl, das wir teilen konnten... „Lust auf Okonomiyaki?“ Ich bemerkte, dass mein Blick starr geradeaus gerichtet war, blinzelte, um meine Augen Hyde zuzuwenden. Sie schauten mich erwartungsvoll an. „Wo warst du denn gerade mit deinen Gedanken?“, wollte er neugierig wissen, mit einem leichten Lächeln um die Lippen. ~Wie oft hätte ich gerne eine Kamera in der Hand...~ „Ich musste gerade daran denken, wie wir einmal mit Mundschutz mitten durch Tokyo gelaufen sind...“, gab er mir doch tatsächlich zur Antwort. Ich lachte, einerseits wegen der Erinnerung, andererseits wegen der Freude über seine Offenheit. „Ja, das war ein Erlebnis...“, begann nun ich zu sinnieren. „Das sollten wir mal wieder machen.“ „Ich bin dabei.“, sagte Gackt, ohne zu zögern, was das Lächeln in meinem Gesicht spürbar vertiefte. „Morgen?“ Sie sahen sich an, ihre Schritte wurden langsamer, ihre Herzschläge schneller. „Morgen.“ „Hast du mittlerweile eigentlich ein paar Songideen?“, fragte Hyde mit einem Mal unerwartet. Wir waren auf dem Rückweg, schon fast wieder bei meiner Wohnung angelangt. „Ja, aber...“, begann ich automatisch, meine Gedanken bei „The Difference between Real Love and Fake“, einem Songtext, den ich wenige Tage zuvor geschrieben hatte. „Aber?“, fragte er nach, nachdem ich für mehrere Momente geschwiegen hatte. „Sie werden wahrscheinlich wieder verworfen.“, sagte ich einfach, als wäre es nichts Außergewöhnliches, als wäre es keine Lüge. „Wieso? Gefallen sie dir nicht?“, wollte er stirnrunzelnd von mir wissen. „Doch, sie sind nur... nicht für alle Ohren bestimmt.“, drückte ich mich vage aus. „Wie meinst du das?“ Einen Augenblick lang glaubte ich zu sehen, dass er diese Frage zwar verständnislos klingend stellte, doch genau wusste, was ich gemeint hatte - und es nachvollziehen konnte, wie es war, wenn man einen Song nicht preisgeben wollte. Aus privaten Gründen. „Die Songs sind... eher nur für mich.“, umschrieb ich es auf andere Weise. Seine Erwiderung ließ mich meine Theorie, dass er nur so tat, als kenne er dieses Anliegen nicht, anzweifeln. „Du schreibst Songs, die du nicht veröffentlichen willst? Warum? Wenn sie doch aber gut sind.“ „Sie sind... zu persönlich.“, versuchte ich, meine Hemmungen zu erklären. „Viele Songs sind sehr persönlich, aber gerade deshalb sind sie gut. Sie sind... echt. Sie drücken Gefühle am besten aus. Echte Gefühle.“ Hyde sah mich an, als erwartete er, dass ich ihm Recht gab. „Schon möglich.“, meinte ich, in der Hoffnung, damit das Thema abzuschließen. Doch bevor ich ein neues gefunden hatte, das ich ansprechen konnte, stellte Hyde seine nächste Frage, zögerlich. „Darf ich sie mir anhören?“ Es war mehr eine Bitte als eine Frage. Ich durfte es ihm nicht erlauben. Doch ich konnte ihm nichts abschlagen; das wusste ich. Wusste er das auch? Wie er mich ansah. So unschuldig, so hoffnungsvoll. Konnte ich diese Hoffnung zerstören? „Ich habe noch nichts aufgenommen.“ Immerhin war es die Wahrheit. Und keine klare Abweisung. „Darf ich dann “ „Ich habe es auch nicht vor.“, fügte ich hinzu, ihm wohl wissentlich ins Wort fallend. Ich hoffte, dass er es dadurch nicht wagen würde, weitere Fragen zu stellen. „Kann ich trotzdem die Texte sehen?“, fragte er nach kurzem Schweigen leise, nahezu enttäuscht klingend, obgleich ich ihm noch nichts versagt hatte. Als wüsste er, dass ich es tun würde. „Ich überlege es mir.“, wich ich seiner Frage aus. Wir schwiegen eine Weile. Dann ergriff Hyde wieder das Wort. „Aber wenn du die Songs nicht aufnimmst... wenn du sie nur im Kopf, aber nicht abgeschlossen hast... belasten sie dich dann nicht auch irgendwie?“ Er sah mich unsicher an. Ich blickte erstaunt zurück. So hatte ich das noch nie gesehen. Natürlich wusste ich, dass sie mich belasteten - weil ihr Inhalt dasselbe tat , doch dass es mich stärker belasten würde, wenn ich nicht komplett mit ihnen abschloss, um mich von ihnen vielleicht sogar loslösen zu können, wenn ich sie nicht vollkommen beendete, sodass sie, von allen Seiten betrachtet, fertig waren und ich nichts mehr damit tun konnte, nichts mehr ändern konnte, nichts mehr ändern wollte, daran hatte ich nicht gedacht. ~Es ist fast dasselbe wie mit dem Fotoalbum... Ich muss damit abschließen.~ „Vielleicht hast du recht. Vielleicht sollte ich die Songs doch aufnehmen.“ „Aber sie mir nicht zeigen.“, führte er meinen Satz weiter. Es war eine halbe Frage. Er hatte wohl gemerkt, dass ich es nicht vorhatte, sie ihm zu offenbaren. „Ich denke nicht.“, erwiderte ich ehrlicher. Es war das Gegenteil eines Vertrauensbeweises. Ich hatte ein grausames Gefühl. Es erinnerte an Verrat. ~Ich bin ein Verräter.~ „Und wenn ich es mir wünsche?“, kam es noch leiser von Hydes Lippen, noch zaghafter. „Wie meinst du das?“, kam es nun aus meinem Mund. „Wenn ich meinen Gutschein dafür einlöse...“ Ich atmete unwillkürlich ein. „Wieso solltest du das tun? Was nützt es dir?“ Für so etwas war der Gutschein nicht gedacht. „Was versprichst du dir davon, zu wissen, worum es in den Songs geht?“ „Ich will dich besser verstehen.“ Es war ein wundervoller Satz. Es war Engelsgesang in meinen Ohren. „Vielleicht erkenne ich in den Songs dein Problem und kann dir helfen.“ ~Du wirst es erkennen... Aber kannst du mir dann helfen? - Nur wenn du dasselbe fühlst...~ „Also?“, fragte er nun am zögerlichsten. „Ich...“ Was sollte ich sagen? „Mein Gutschein sagt es ja eindeutig: Es gibt keinen Wunsch, den ich dir nicht erfüllen werde, sofern ich es kann. Also werde ich dir diesen Wunsch erfüllen, wenn du das willst.“ Ich hatte keine Wahl. „Ja, ich will.“ Das war genau die Antwort, die ich hören wollte - auf eine andere Frage. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)