Das Geständnis von Lea ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war ein normaler Mittwochnachmittag, sofern man seinen Geburtstag normal nennen konnte. Meine Freunde waren alle entweder auf der Uni oder in der Arbeit, sogar meine Mitbewohner waren nicht zu Hause. Am darauf folgenden Wochenende war eine große Feier geplant, eigentlich waren es zwei, am Vormittag mit der engeren Familie und am Nachmittag stieß dann der Rest hinzu, wo Verwandte und Freunde dazu gehörten. Wie immer hatte ich das Radio aufgedreht, da es um diese Zeit absolut nichts Gescheites im Fernsehen spielte und mir diese drückende Stille auf die Nerven ging, während ich die Fische eines Mitbewohners fütterte, welcher zur Zeit ein Semester im Ausland absolvierte. Während ich die – wie ich fand – merkwürdigen Streusel ins Wasser schüttete, schwammen die Wasser an der Glasscheibe entlang und glotzten zu mir heraus. Nachdem ich die Dose neben dem Aquarium abgestellt hatte, tippte ich mit dem Finger sachte gegen die Scheibe, woraufhin sie sich über ihr Futter hermachten. Ich fand schon immer, dass diese Tierchen etwas sonderbar waren, aber so gut kannte ich mich mit diesen nun auch wieder nicht aus, um zu sagen ob sie wirklich abnormal waren. „Und nun möchte jemand etwas ganz dringendes loswerden. Also dann leg mal los!“, erklang es plötzlich aus dem Radio. Ich sah von den Wasserlebewesen auf zum Rundfunkempfänger, als ob ich so besser hören könnte. Es war ungewöhnlich, dass Anrufer um diese Uhrzeit eine Durchsage machen konnten, dafür war ein Programm im späteren Verlauf des Tages zuständig. Gerade als ich mich wieder zu dem Aquarium wandte, ertönte eine mir bekannte Stimme aus den Lautsprechern. „Hi Michi! Ich möchte dir auf diesem Wege alles Gute zum Geburtstag wünschen und…“ Es hörte sich ganz nach Andreas an, welcher einer meiner Mitbewohner war. Wir hatten nie besonders viel Kontakt gehabt, aber ich war mir sicher seine Stimme wieder zu erkennen. „Ich hab dich wirklich sehr gern.“ Allerdings war es unmöglich, dass Andreas so etwas tun würde. Nach der Ansage herrschte kurze Zeit Funkstille. Ich dachte schon, dass wäre alles gewesen und wollte meiner üblichen Arbeit nachgehen, schließlich gab es unzählige Leute die Michael hießen, ganz zu schweigen von der weiblichen Variante. Nur weil Name und Geburtstag übereinstimmten, bedeutete das noch lange nicht, dass wirklich ich damit gemeint war. „Nur für dich!“, kam es knapp aus dem Radio, ehe der nächste Song eingespielt wurde. Es war mein Lieblingslied! Ich hatte einen wirklich komischen Geschmack was Musik anging, als das wirklich ein anderer (oder eine andere) Michi damit gemeint sein konnte, war ziemlich ausgeschlossen! Name, Geburtstag und Lieblingslied, dazu noch die Stimme, welche sich sehr stark nach meinem Mitbewohner Andreas anhörte. Konnte dies ein Zufall sein? Allerdings fragte ich mich, woher dieser jemand gewusst hatte, dass die angesprochene Person auch wirklich zuhörte? Wenn ich nicht damit gemeint war, dann… Es war doch nicht möglich, dass so etwas auf mehrere Leute zutraf, oder? Ich hatte noch lange Zeit darüber gegrübelt ob es nun so war oder nicht, was ich davon halten sollte und wie ich mich Andreas gegenüber verhalten sollte. Erst am späteren Nachmittag hatte ich mich wieder halbwegs gefasst und die Sache in einen hinteren Winkel meines Gedächtnisses verbannt, sodass ich wieder meinem Studium nachgehen konnte. Am Abend kam dann auch wieder Leben in die Wohnung, als alle nach der Reihe nach Hause kamen, auch Andreas. Dieser verhielt sich jedoch vollkommen normal, wie ich fand. Er blickte mich ein paar Mal fragend an und wollte wissen ob er etwas im Gesicht hatte, als ich ihn wohl einige Sekunden zu lange angestarrt hatte. Es war schwer in ihm zu lesen. Andreas hatte schulterlange hellbraune Haare, welche ihm meistens vor die Nase fielen und die Sicht in sein Antlitz verdeckten. Selbst wenn man einen Blick auf seine blauen Augen erhaschen konnte, sahen diese einen meist mürrisch an. Bis auf seine Stimme und die Tatsache, dass er wusste wann ich Radio hörte, war es vollkommen ausgeschlossen, dass er wirklich diese Durchsage gemacht hatte. Es passte überhaupt nicht zu seinem Wesen. Selbst seine Art zu reden unterschied sich von der, die der Junge im Radio gehabt hatte. Bestimmt war es nur Zufall gewesen. Selbst nachdem ich mir dies lange genug eingeredet hatte, beschäftigte mich der Gedanke weiterhin. Tag um Tag verstrich, während ich immer wieder Andreas beobachtete. „Du starrst mich schon wieder an!“, sagte er ruhig, aber es hörte sich trotzdem wie das Knurren einer wilden Bestie an. Ich fuhr aus meinen Gedanken auf und starrte – nun wirklich - total verblüfft seinen Rücken an, welchen er mir schon seit einer halben Stunde zugewandt hatte, während er sich etwas zu Essen machte. Ich hatte am Küchentisch Platz genommen, weil ich Hunger gehabt hatte und hoffte, dass etwas für mich abfiel. „Tu ich nicht!“, entgegnete ich entrüstet und richtete mich etwas auf dem Sessel auf. Daraufhin wandte er kurz seinen Kopf in meine Richtung und sah mich einen Augenblick lange an, ehe er seine Konzentration wieder auf die Pfanne richtete. Andreas hatte seine Haare mit einem Zopfringerl nach hinten gebunden, sodass sie ihn nicht beim Arbeiten behinderten. „Was machst du dann hier?“, wollte er anschließend wissen. Ich schwieg. Ich würde nicht freiwillig zugeben, dass ich hier wartete, um mir Essen zu erschnorren! „Wenn du hoffst, etwas von meinem Futter abzukriegen, hast du dich geschnitten!“, brummte er. „Tu ich nicht!!“, fuhr ich ihn nun an und wollte gerade etwas hinzufügen, als ein lautes Knurren die Küche erfüllte. Augenblicklich lief ich knallrot wie eine Tomate an und schlang meine Arme um meinen Bauch, als ob ich ihn damit zum Schweigen bringen könnte. „Soso.“, spottete er und drehte sich nun vollkommen zu mir herum. Kurz maß er mich mit seinen blauen Eiskristallen, bevor er zum Geschirrschrank hinüber ging und etwas herausholte. Ich war wütend und beschämt zugleich, während ich auf meine Hände hinab sah. Gerade als ich aufstehen wollte, stellte er mir einen Teller hin. Ich blickte ihn überrascht an. Hatte er nicht gerade gesagt, dass ich nichts abkriegen würde? „Dafür schuldest du mir einen Gefallen!“, bemerkte er, was bei ihm jedoch wie eine Drohung klang. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter, während ich nach kurzem Zögern zustimmend nickte. Hungrig wie ich war stürzte ich mich regelrecht auf das noch dampfende Gericht und musste doch mit Erstaunen zugeben, dass es ausgezeichnet schmeckte. Ich hätte Andreas nie zugetraut so kochen zu können. Während des Essens schwiegen wir uns beide an und ich versuchte ihn auch nicht zu offensichtlich dabei zu beobachten. Mir ging andauernd die Nachricht aus dem Radio durch den Kopf. Ich wusste nicht einmal über meine eigenen Gefühle Bescheid, wie ich mir zu meinem Bedauern eingestehen musste. Ja, ich konnte Andreas gut leiden, aber würde es darüber hinausgehen, sofern er mich wirklich mochte? Da ich bald mit meinem Latein am Ende war, suchte ich Rat bei einem Profi. „Hey Mike! Lange nicht mehr gesehen. Wie geht’s dir denn?“, wollte Elisabeth – die nur Elli genannt werden wollte - wissen, als sie sich mir gegenüber auf den Sessel fallen ließ. Ja, ich war der Meinung, dass Frauen sich viel besser in Gefühlsangelegenheiten auskennen und deswegen hatte ich meine beste Freundin um ihren Rat gebeten. „Geht so und dir?“, erwiderte ich und hatte die Hand zum Gruß erhoben. „Super eigentlich. Also, um ehrlich zu sein, will ich gar nicht lange um den heißen Brei herum reden, sondern lieber gleich zur Sache kommen. Vor allem da du am Telefon ja sooo viel darüber erzählt hast. Einen Café Latte, bitte.“ Elli wandte sich kurz zu dem Kellner, um ihre Bestellung abzugeben und richtete anschließend ihre ganze Konzentration auf mich. Unbehagen stieg in mir auf, während sie mich regelrecht mit ihren Blicken durchlöcherte. Wir kannten uns lange genug, um zu wissen was in dem anderen in bestimmten Situationen vorging. Ich seufzte. „Okay… Also Andreas kennst du ja… Ich denke, er hat mir ein Geständnis übers Radio zukommen lassen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, weder was ihn angeht, noch mich“, erzählte ich im Flüsterton. Es war mich nun doch etwas peinlich über so ein Thema zu reden. Doch sie winkte ab. „Zu allererst solltest DU dir darüber klar werden wie du zu der Sache stehst, vor allem da du nicht weißt, ob dein Gegenüber wirklich das gemacht hat, was du denkst. Was ich damit sagen will ist folgendes: Stell dir alle möglichen Fragen und versuche sie ehrlich zu beantworten. Und da du mich ja um Hilfe gebeten hast, werde ICH dir diese Fragen stellen und du musst einfach nur antworten, aber ehrlich! Das wichtigste zuerst: Kannst du dir vorstellen schwul zu sein? Kannst du dir das vorstellen?“ Ich musste mir eingestehen, dass ich mich genau um diese Frage gedrückt hatte. Jedoch ging ich in mich und versuchte es mir einen Augenblick lang vorzustellen. Ich konnte an Ellis Gesichtsausdruck erkennen, dass ich wohl eine Grimasse schnitt. „Ich weiß nicht… möglich.“, sagte ich schließlich nach langem Zögern. Ihr Grinsen verriet mir, dass sie bestimmt an etwas Schweinisches dachte. „Okay. Was denkst du über Andreas? Was fällt dir ein wenn du an ihn denkst?“, wollte sie als nächstes wissen und versuchte dabei vollkommen seriös zu bleiben. „Er kann nett sein, wenn er will. Er ist ziemlich eigen… zurückhaltend, schweigsam, des öfteren barsch, aber obwohl er immer so klingt als würde er einem jeden Augenblick an die Gurgel springen, ist er harmlos. Er nimmt sein Studium ernst und ist fleißig“, beendete ich schließlich meine Beschreibung und kam mir ziemlich albern dabei vor. „Was fühlst du, wenn du an ihn denkst?“ Ich stöhnte und verdrehte die Augen. „Ach, komm! Ich erzähl’s nicht weiter, das weißt du!“ Elli sah mich neugierig an. Sie hatte eindeutig Blut geleckt. „Ja, aber es ist mir trotzdem unangenehm!... Wie soll ich sagen?... Ich weiß nicht so recht… Ich kann ihn gut leiden, aber ob es mehr ist…“ Ich zuckte mit den Schultern und traute mich nicht sie anzusehen, stattdessen spielte ich mit meiner Serviette, welche sich in immer kleiner werdende Futzel zerlegte. „Gut. Ich werde jetzt einfach vor mich hinreden und du kannst dir nachher aussuchen ob du etwas davon machen willst oder nicht.“ Ich nickte ihr zustimmend zu, während sie den Kaffee in Empfang nahm und an dem Milchschaum nippte. „Versuch herauszufinden ob er sich dir gegenüber anders verhält als bei anderen. Es können schon Kleinigkeiten sein, bietet er nur dir einen Sitzplatz an, wen ihr einen DVD Abend veranstaltet oder reicht er immer dir das Popcorn. Es könnte auch sein, dass er immer versucht in deiner Nähe zu sein oder er reagiert darüber viel gereizter als wenn jemand anderes sich ihm nähert. Du könntest versuchen ihn ab und zu ‚versehentlich’ zu berühren, also ich meine jetzt nichts Perverses oder so. Einfach das sich eure Hände mal streifen oder du ihn am Arm festhältst, was dir halt einfällt und was nicht zu sehr auffällt. Dabei kannst du auch gleich deine eigenen Gefühle ergründen, ob du es als angenehm empfindest oder nicht. Und jetzt der krönende Abschluss: Versuch dich an ihn ran zu machen, wenn du dir wegen deiner Gefühle sicher bist.“ Meine Kinnlade klappte herunter und knallte gegen die Tischkante, als sie das sagte. Ich hatte ja schon mit einigen blöden Ideen gerechnet, aber das übertraf nun wirklich alles. „Bist du wahnsinnig?“, platzte es aus mir heraus, aber sie schien es einfach zu überhören. „Es gibt einen ganz einfachen Trick: Du trinkst etwas und wirfst dich ihm dann an den Hals, wenn er drauf eingeht, hast du deine Antwort und wenn er es nicht tut, auch. Aber bei letzterem kannst du dich auf den Alkohol ausreden und alles bleibt beim Alten.“ Ich musste zugeben, dass diese Idee, so absurd sie auch klang, einleuchtend war. Sie hatte mir sogar angeboten mir dabei zu helfen, also nicht zu trinken, sondern eine gute Gelegenheit dafür zu finden. Es gab eine größere Party, auf welcher auch meine ganze WG eingeladen worden war, dort würde sie etwas für mich einfädeln. Bis dahin hatte ich noch Zeit, um heraus zu finden was ich von ihm hielt und wie meine Gefühlswelt aussah. Jeden Tag versuchte ich irgendwie mit Andreas Kontakt zu treten, wobei ich anfangs nur mit ihm sprach und erst nach einiger Zeit den Mut hatte, den Worten von Elli Taten folgen zu lassen. Immer wenn ich ihn irgendwo berührte, egal ob ich versuchte ihn vom Kühlschrank wegzudrängen, ihm die Fernbedienung aus der Hand zu nehmen oder seinen Arm ‚versehentlich’ mit meinem streifte, in mir löste es immer dieselbe Reaktion aus. Ich war höchst erfreut über die flüchtige Berührung, um nicht zu sagen glücklich. Trotzdem hatte ich weder den Mut noch das Selbstbewusstsein es Andreas direkt ins Gesicht zu sagen, dass ich ihn mochte und vielleicht sogar mehr als das. Es gab diese unsichtbare Linie, über die ich mich nicht darüber traute. Ich musste mir eingestehen, dass ich Angst hatte abgewiesen zu werden. Nicht einmal in Gedanken schaffte ich es meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Doch die Party rückte immer näher und damit wurde ich immer unruhiger. Elli rief mich in der letzten Woche vor dieser täglich an, um sich zu erkundigen wie es mir ging und ob ich an dem Plan festhalten wollte. Sie würde mich zwar nicht drängen, aber irgendwie schien es als ob sie es sich zur Aufgabe gemacht hatte, mich mit Andreas zu verkuppeln. Schließlich war es soweit. „Endlich. Ich hab schon die ganze Zeit auf dich gewartet“, rief Elli erfreut, als sie mich in der Eingangstür stehen sah und auf mich zukam. Kaum dass sie mich erreicht hatte, hakte sie ihren Arm an meinem ein und zog mich so durch die Besuchermenge. Einige Leute kannte ich von der Universität, aber die meisten waren mir schlichtweg unbekannt. Bei der improvisiert aufgebauten Bar machten wir Halt und Elli drückte mir ein Glas in die Hand. „Lass uns anstoßen! Auf dich und dass du den Mut hast es durchzustehen“, sprach sie theatralisch, aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ein leichtes Klirren ertönte, als unsere Sektschalen aneinander schlugen, welches jedoch sofort in der lauten Musik unterging. Ich nippte an dem Getränk. Es war nicht so viel Alkohol enthalten, zumindest hoffte ich, dass mich meine Geschmacksnerven dabei nicht im Stich ließen und mir etwas falsches vermittelten. Ich hatte bisher noch keine Alkoholprobleme gehabt, aber man konnte schließlich nie vorsichtig genug sein. Mit jeder Stunde, die verstrich, wurde die Musik lauter und ich immer nervöser. Ich stand in einer Ecke des Raumes, welcher als Diskothek diente und beobachtete die umherwippende Masse. Schließlich löste sich Elli aus dieser und gesellte sich zu mir. „Wenn ich nicht wüsste, was in dir vorgeht, würde ich sagen du siehst krank aus. Mach dir nicht solche Sorgen! Soll ich dir noch was zu trinken bringen?“, grinste sie mich an. Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Seh’ ich wirklich so schlimm aus?“, wollte ich von ihr wissen, da es mich doch etwas beunruhigte. „Nein, aber du siehst ziemlich müde aus.“, stellte sie fest und ich konnte ehrlich gemeinte Besorgnis in ihrer Stimme hören. „Ich konnte letzte Nacht nicht schlafen und-“ Ich musste gähnen. „Ich will einfach nur nach Hause“, gestand ich und drückte mich von der Wand ab, als sich Elli erneut bei mir einhakte. „Na, dann werd’ ich wohl dafür sorgen müssen, dass du nach Hause kommst!“, meinte sie hoch erfreut und zerrte mich über die Tanzfläche. Ich konnte nicht wirklich sagen wo wir überall noch hingegangen waren, da ich mich versuchte auf den Boden zu konzentrieren, da mir von dem Alkoholpegel in meinem Blut nun doch etwas schwindlig war. „Na, du siehst ja auch nicht sehr erfreut aus“, rief sie Andreas zu, kurz bevor wir ihn erreichten. „Bleibst du noch lange?“, wollte Elli sogleich wissen, als er sich zu uns wandte und uns fragend ansah. Ich riss mich zusammen und blickte zu ihm hoch. Er sah wirklich nicht besonders amüsiert aus, doch das schien eher an dem vielen Lärm zu liegen, als irgendwelchen Zuständen die andere Personen zu so einer Zeit hatten. „Hatte ich nicht vor“, antwortete Andreas und wollte gerade zu einer Frage ansetzen, als ihm Elli zuvorkam: „Kannst du Mike nach Hause bringen? Oder mitnehmen, wenn du gehst? Ich finde er sieht nicht besonders gut aus, auch wenn er das bestreitet.“ Ich musste Elli meinen Respekt zollen, da selbst ich ihr diesen kleinen Schauspielakt abnahm, obwohl ich wusste worauf sie damit abzielen wollte. Ich versuchte elend auszusehen und hob beschwichtigend die Hand, als ob ich es nicht wagen würde ihr zu widersprechen. „Ja. Ich werde jetzt gehen, so erwischen wir wenigsten noch die Straßenbahn“, entgegnete er und zog sich seine Jacke an, welche er in der Hand gehalten hatte. „Bist du nicht mit dem Auto hier?“, fragte Elli und sah ihn mit einem Stirnrunzeln an. Ich hatte eigentlich dasselbe vermutet. „Ja, aber ich hab schon was getrunken“, meinte er und deutete auf das leere Glas auf dem Tisch in unserer Nähe. „Sehr brav! Dann wünsche ich euch eine gute Nacht und kommt gesund nach Hause.“, sprach Elli und löste sich von mir, nur um mich im nächsten Augenblick in Andreas Arme zu schupsen. Dieser ergriff meinen Oberarm, während Elli sich mit einem breiten Grinsen von uns abwandte und wieder auf der Tanzfläche verschwand. Andreas deutete mir mit einem Kopfnicken, das wir gehen würden und setzte sich kurz darauf in Bewegung. Wahrscheinlich wäre ich dutzende Male gegen irgendwie Ecken und Kanten gelaufen, wenn er mich nicht festgehalten hätte, da mein Schwindel sich noch mehr zu verschlechtern schien. Erst als wir an der frischen Luft – sofern man Stadtluft als frisch bezeichnen konnte – waren, begann sich die Welt um mich herum wieder gerade zu stellen. Doch selbst nachdem ich nicht mehr hin und herwankte, ließ mich Andreas nicht los und bestand darauf, dass er mich so bis nach Hause brachte. Als wir dort nach etwa einer halben Stunde ankamen, war ich fast wieder komplett nüchtern und dafür umso nervöser. Mein Herz hämmerte wild in meiner Brust, während ich mir meine Schuhe auszog und meinen Mut sammelte. Doch es kam etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. „Hast du noch Lust fernzusehen oder willst du dich lieber hinlegen?“, wollte Andreas von mir wissen. „Ja, fernschau’n klingt gut. Was spielt’s denn?“, kam meine überraschte Gegenfrage. „Eine Dokumentation über die Kreuzzüge.“ „Ah, okay. Klingt interessant“, sagte ich knapp. Mit einem Nicken machte er sich auf den Weg ins Wohnzimmer, während ich mich in die Küche begab. Schokolade lag noch im Kühlschrank, aber darauf hatte ich nicht wirklich Lust. Meine Suche nach etwas Leckerem führte mich schließlich in das Gefrierfach. Mein Blick heftete sich an das Erdbeereis auf das ich sofort Gusto hatte. Mit zwei Löffeln, Schalen in gleicher Anzahl und der Eisbox kam ich ins Wohnzimmer getapst und setzte mich links neben Andreas, welcher bereits den Fernseher eingeschaltet und das richtige Programm gewählt hatte. Das Intro hatte gerade begonnen, als ich die beiden Schüsselchen befüllte und eine davon Andreas reichte, welcher sie dankend entgegen nahm. Erst kam ich auf die Idee, dass ich ihn hätte fragen können, ob er wirklich etwas essen wollte, schließlich hatte es auf der Party mehr als genug zu futtern gegeben, doch jetzt war es zu spät und sicherlich albern, wenn ich ihn darauf ansprechen würde. Gebannt starrten wir auf den Fernseher, während ich mich immer wieder zu überwinden versuchte mit Andreas auf das Thema Radiogeständnis zu kommen. Als wir beide unsere Eisschalen auf dem Couchtisch abgestellt hatten, bemerkte ich aus den Augenwinkeln, dass er mich ansah. Ich wandte meinen Blick zu ihm. „Was ist?“, wollte ich von ihm wissen, doch da streckte er schon seine Hand nach mir aus und strich über meine Wange. Ich bekam eine Gänsehaut, während mir gleichzeitig unbeschreiblich heiß wurde. „Du hattest da was picken.“, erklärte er und zog seine Hand wieder zurück um sich einen Finger in den Mund zu stecken, auf welchem etwas Erdbeereis klebte. „Du hast da auch etwas…“, bemerkte ich schließlich und deutete mit dem Zeigefinger auf meine rechte Wange, woraufhin er sich über seine eigene fuhr. „Nein, da“, besserte ich mich dann aus und deutete auf die gegenüberliegende Seite. Abermals versuchte er den vermeintlichen Fleck aus seinem Gesicht zu entfernen, was ihm jedoch nicht gelang, da dieser gar nicht vorhanden war. Irgendwie hatte mich seine Aktion auf diese vollkommen bescheuerte Idee gebracht, aber Ellis Worte schwirrten ungehalten durch meinen Kopf. „Immer noch?“, wollte Andreas wissen und sah mich fragend an. Ich nickte. „Dann mach es bitte weg!“, forderte er mich etwas genervt auf, da es ihn wirklich störte. Mein Herz raste und schlug heftig gegen meine Brust, dass ich Angst hatte es könnte jeden Augenblick herausspringen. Ich beobachtete seinen Gesichtsausdruck, während ich etwas näher zu ihm rutschte und mich langsam zu ihm hinüber beugte. Panik machte sich in mir breit, da ich nicht wusste wie er auf das Folgende reagieren würde, aber ich wollte es tun. Sachte legten sich meine Lippen auf seinen Mundwinkel. Kurz strich ich mit meiner Zunge darüber, woraufhin sich abermals der süße Geschmack des Erdbeereises in meinem Mund ausbreitete. Die Welt hätte untergehen können und ich hätte es nicht bemerkt. Alles was ich wahrnahm war seine Nähe, seine warmen Lippen und sein Duft. Er roch nach dem Rasierwasser, welches er jeden zweiten Morgen verwendete, und schwach nach Zigaretten, was wohl daran lag, dass auf der Party sehr viel geraucht worden war. Langsam löste ich mich von ihm und richtete mich auf. Verdutzt sah Andreas mich an. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass er mich anschrie oder zumindest angewidert dreinschaute, aber all dies war nicht der Fall. „Was sollte das denn?“, fragte er mich und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ich mag dich auch.“, kam es vollkommen plump über meine Lippen. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken, weil es mir so peinlich war, was ich gerade von mir gegeben hatte. Andreas blickte mich vollkommen entsetzt an. „Woher weißt du das? Ich meine… Wieso denkst du das?“, sagte er und stotterte etwas dabei. Ich war verwirrt. „Hattest du mir das nicht zu meinem Geburtstag übers Radio gesagt?“ Er schüttelte den Kopf und ich bemerkte, dass er rot geworden war. Ich weiß nicht wieso, aber ich fand ihn auf einmal irgendwie süß. „Aber trotzdem magst du mich?“, fragte ich neugierig, schließlich hatte ich seinen Versprecher gemerkt. Es dauerte einige Augenblicke, bis er schließlich nickte. Da saßen wir ohne zu reden und ohne zu wissen was wir tun sollten. „Darf ich dich küssen?“, fragte ich flüsternd. Obwohl der Fernseher rannte, hatte sich eine merkwürdige Stille auf uns gelegt gehabt und ich versuchte diese zu durchbrechen. Immer noch sahen wir beide uns an, als er abermals nickte. Langsam rutsche ich neben ihn und legte meine Hände auf seine Wangen. Hauchend verteilte ich Küsse auf sein Gesicht, bevor meine Lippen sich auf die seinen legten. Wir hatten beide unsere Augen geschlossen. Ein angenehmes Kribbeln erfüllte meinen Körper, als er meinen Kuss erwiderte. Es war ein berauschendes Gefühl, welches viel zu schnell verschwand, als sich unsere Lippen trennten. Einen Moment lang sahen wir uns erneut schweigend an, ehe wir unsere Blicke im stillen Einverständnis zum Fernseher wandten und die Dokumentation zu Ende schauten. Wir waren beide wesentlich nervöser gewesen, als wir uns eingestehen hätten wollen. Nach der Ausstrahlung gingen wir beide schlafen, ohne noch ein Wort, über das was geschehen war, zu verlieren. Wir hatten gerade erst zu einander gefunden und unsere Beziehung würde langsam erblühen, schließlich hatten wir jede Menge Zeit um unseren Rhythmus zu finden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)