Geschichte einer Nacht! von Lea ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war Samstagnacht, 23:34 um genau zu sein, als ich gerade in der Küche unserer Wohngemeinschaft stand und einen Schrank reparierte. Alles war blitzblank sauber und aufgeräumt, sodass man vom Boden essen könne, wenn man es wollte. Ich hatte gerade eine Mutter aufgehoben, welche mir zuvor zwischen den Fingern durchgerutscht war, als ich die Scharniere am Küchenschrank befestigen wollte. Die Woche davor war die Tür plötzlich heruntergefallen, weil die alten Gelenke durchgerostet waren. Ich hatte mich bereit erklärt es zu reparieren, wenn die anderen dafür die Küche aufräumten. Eigentlich hatte ich nicht gedacht, dass sie es wirklich machen würde und jetzt hatte ich den Salat. Am Nachmittag war ich noch schnell einkaufen gegangen, damit ich das Türl richten konnte. Allerdings gab es dann interessantere Dinge als Küchenschränke und so war der Tag schneller vergangen als mir lieb war. Mit einem erleichterten Seufzen legte ich den Schraubenzieher endlich zur Seite und lehnte mich etwas müde gegen die Arbeitsfläche. Mein Blick ging zur Uhr und ich beobachtete wie der Minutenzeiger auf die Neun sprang. Erneut seufzte ich. Danach lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Was jedoch nicht weiter verwunderlich war, denn ich stand bloßfüßig auf den eisigen Fließen des Küchenbodens. Gerade als ich mich in mein Zimmer begeben wollte, wurde es plötzlich dunkel um mich herum. Ich blinzelte irritiert. Vorsichtig taste ich mich zu dem Lichtschalter vor und betätigte ihn. Nichts tat sich, aber auch rein gar nichts. Abermals lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter, doch diesmal lag die Ursache nicht am Küchenboden. Langsam sank ich, an den Schrank gelehnt, hinunter und schlang meine Arme um meine Beine. Ich hatte Angst im Dunkeln. Es ist nicht gerade das, womit man als Junge gesegnet war. Eigentlich war es das komplette Gegenteil: eine Schande. Dazu kam noch, dass es nicht nur dunkel war, sondern stockdunkel. Der Strom war komplett ausgefallen. Kein einziges Lämpchen brannte mehr. Erst jetzt bemerkte ich den Sturm der draußen tobte. Der starke Wind ließ die Zweige des nahe stehenden Baumes gegen die Fensterscheibe schlagen. Ab und zu blitze es, wodurch es kurz gleißend hell wurde. Ich hätte mir den Horrorfilm nicht anschauen sollen. Mein Puls beschleunigte sich schnell und mein Herz schlug so heftig gegen meine Brust, dass ich Angst hatte es würde gleich herausspringen. War es vorher auch schon so still gewesen? Die Wohnung war so ruhig. Unangenehm ruhig! Früher hatte ich mit vier älteren Schwestern unter einem Dach gelebt, die WG war auch immer sehr lebhaft, aber die Situation hier und jetzt behagte mir überhaupt nicht. Diese Stille war erdrückend. In der Einsamkeit frisst sich der Einsame selbst auf, in der Vielsamkeit fressen ihn die Vielen. Nun wähle. Warum musste mir dieser Spruch gerade jetzt einfallen? Kopfschüttelnd versuchte ich all meine Ängste von mir zu werfen, aber es wollte mir nicht so wirklich gelingen. Tief einatmend nahm ich all meinen Mut – oder besser gesagt das, was davon noch übrig war – zusammen und richtete mich auf. Mit nur wenigen Schritten hatte ich es in das Wohnzimmer geschafft, als es erneut blitzte. Ein Schrei hallte von den Wänden, als ich auf die Knie sank und schützend meine Arme über mich hielt. Doch es passierte nichts. Ich war mir sicher jemanden gesehen zu haben! Gleich hier vor der Wand, aber dort stand niemand. Plötzlich wurde die Tür eines Zimmers aufgerissen. „Hallo?“, ertönte eine mir vertraute Stimme. Sie gehörte Markus, aber hatte dieser nicht gesagt, er würde ebenfalls nicht zu Hause sein? Alle meine Mitbewohner waren für diesen ‚Abend’ ausgeflogen und würden wohl erst in den Morgenstunden zurückkommen. „Mark?“, kam es krächzend aus meinem Mund, da ich mir nicht sicher war, ob ich mich vielleicht doch verhört hatte. Erneut erhellte ein Blitz die Wohnung und nun konnte ich ihn genau erkennen, wie er da in der Tür stand. Sein weißes Shirt und die ebenfalls weiße Hose reflektierten das Licht, dass man glaubte er würde in einer Waschmittelwerbung mitspielen, ehe er wieder mit den Schatten verschmolz. Ich hörte leise Schritte, welche sich mir langsam näherten. „Ja. Was machst du da Stoffel?“, wollte er wissen, während er sich vorsichtig neben mir auf den Boden hockerlte. Normalerweise nannte er mich so um mich zu ärgern oder zu necken, aber diesmal schien er anders als sonst. Schwang da etwa Besorgnis in seiner Stimme mit? „Ich…“ konnte ihm unmöglich antworten! Er würde mich sicher auslachen, wenn ich ihm sagte, dass ich Angst vor der Dunkelheit hatte. Allerdings wollte ich meinen Mitbewohner auch nicht anlügen. „Hast du gerade geschrieen?“, kam sogleich die nächste Frage. Ich schluckte. Ja, ich hatte geschrieen und das wahrscheinlich wie ein Mädchen! „Ja“, flüsterte ich und machte mich schon auf alles Mögliche gefasst, nur nicht auf das was folgte. „Warum?“ Er hatte überhaupt keinen herablassenden Kommentar abgegeben, wie er es sonst für gewöhnlich tat. „Da war jemand! An der Wand!“, antwortete ich ihm leise. Markus erhob sich daraufhin wieder und wandte sich um, um seinen Blick durch die Wohnung zu schweifen zu lassen. Erneut blitzte es auf, was mich heftig zusammen zucken ließ. „Ich glaube, du hast dich vor deinem eigenen Spiegelbild erschreckt.“, kam es schließlich von ihm. Auch wenn ich ihn nicht sehen konnte, so wusste ich, dass er über das ganze Gesicht grinste. Seine Stimme änderte sich, wenn er ein Lachen unterdrückte. Mir war dies aufgefallen, weil ich immer derjenige war über den er sich amüsierte. Irgendetwas war mit mir falsch gelaufen, so viel Pech konnte ich doch gar nicht anziehen! „Meinem Spiegelbild?“, fragte ich und die Skepsis war gut heraus zu hören, während ich versuchte etwas in der Wohnung auszumachen. „Ja. Da Karin ausgezogen ist, hat sie ja auch ihr Bild was hier gehangen hat mitgenommen, aber der Rahmen ist dageblieben und hinter dem Passepartout ist eine Folie, die wie ein Spiegel funktioniert“, erklärte er, während er wieder in die Hocke ging. Mit seinen strahlenden weißen Klamotten konnte ich ihn in der Dunkelheit mittlerweile gut erkennen. Allerdings konnte ich nicht sagen was für ein Ausdruck auf seinem Gesicht lag. Der leere Bilderrahmen hatte also mein Schreckgespenst hervorgerufen, dass ich mich einmal vor mir selbst fürchten würde, hätte ich auch nie gedacht. Ich seufzte leise vor Erleichterung. Keinen Augenblick später spürte ich plötzlich Markus warme Hand auf meiner Schulter. „Du solltest dich entweder besser anziehen oder dich nicht auf den kalten Boden setzen. Du bist eiskalt!“, stellte er mit Besorgnis in der Stimme fest. Seit wann war er so fürsorglich? Normalerweise zog er mich doch immer auf und stellte mich vor allen wie den größten Blödmann dar. Obwohl er es nie so richtig ernst gemeint hatte, war es doch merkwürdig, wenn er sich jetzt so anders verhielt. Irgendwie bereitete es mir Unbehagen. „Setz dich auf die Couch. Ich werd’ mal schau’n ob ich irgendwo Kerzen finde.“, sagte Markus, ehe ich etwas erwidern konnte. Trotzdem musste ich ihm Recht geben. Ich fror und wenn ich noch lange dort sitzen geblieben wäre, hätte ich mir wahrscheinlich eine Verkühlung geholt. Als ich mich aufrichten wollte, ergriff seine Hand meinen Oberarm und zog mich auf die Beine. Ich war weder ein Winzling noch klein und doch schien es überhaupt nichts ausgemacht zu haben. Nachdem er mich zur Couch geführt hatte, verschwand er im wahrsten Sinn vor meinen Augen. Egal wie sehr ich mich anstrengte, ich konnte in der Wohnung nichts erkennen, obwohl ich wusste was sich dort alles befand. Erleichtert ließ ich mich auf dem Möbelstück nieder und zog die Knie an die Brust, um meine Arme darum zu schlingen. Meine Angst war immer noch nicht ganz verflogen, aber zumindest war ich nicht alleine. Obwohl ich Markus nicht sehen konnte, so hörte ich doch wie er in einigen Laden herumkramte und schließlich zum kleinen Couchtisch zurückkam. Ein kurzes Zischen erklang, als sich das Streichholz durch die Reibung entzündete, und ein schwacher Lichtschein erhellte das Gesicht meines Mitbewohners, welcher konzentriert eine Kerze auf den Tisch stellte und auf dieser schließlich eine kleine Flamme zu lodern begann. Mit einem Seufzen ließ er sich neben mich auf die Couch fallen und grinste mich schelmisch an. Ich wusste nicht was in seinem Kopf vorging, aber ich war mir sicher, dass ich es nicht wissen wollte! Er war manchmal wie ein Tier, das Angst riechen konnte. „Du hast wirklich Angst im Dunkeln?“, wollte Markus von mir wissen und sein Blick durchbohrte mich regelrecht, während er ein breites Grinsen auf den Lippen hatte. Ich ließ meinen Kopf sinken und legte meine Stirn auf meinen Knien ab, bevor ich leicht nickte. Ich wollte ihn nicht ansehen, während er begann sich über mich lustig zu machen. Verheimlichen hätte ich es nicht mehr können, da er es bereits herausgefunden hatte. Wenn er etwas wusste, was noch nicht offen ausgesprochen worden war, hatte er immer genau diesen Blick im Gesicht und diesen allwissenden Klang in der Stimme. Anstatt mich jedoch auszulachen, spürte ich plötzlich wie sich seine Hand sich auf meinen Rücken legte und sanft über diesen strich, was mir einige Schauer hinunterlaufen ließ. „Du dachtest, ich würde mich jetzt über dich lustig machen, stimmt’s?“ Ich nickte erneut, sah ihn jedoch nicht an. Es war die gleiche Situation wie zuvor, nur dass das Thema ein wenig anders war. Ein wenig zuckte ich zusammen, als er sich plötzlich zu mir hinüber lehnte. Ich konnte seinen Atem an meinem Hals spüren, während seine Hand meinen Rücken hinauf fuhr und seine Finger mich an meinem Haaransatz kraulten. „Es gibt niemanden dem ich etwas vormachen könnte und damit auch keinen Grund dich bloß zu stellen“, flüsterte er mir ins Ohr und ich erstarrte für diesen Moment zu einer richtigen Salzsäule. Ich wusste, dass es die Wahrheit war, was er da sagte, aber ich verstand nicht warum er es tat. Langsam hob ich meinen Kopf und wandte mich vorsichtig zu ihm. Markus war mir noch genauso nahe wie vor einem Augenblick, was mir einen kalten Schauer den Rücken hinunter jagte. „Ich verstehe nicht“, gab ich zu und verzog das Gesicht etwas, als er sich immer noch nicht von mir entfernte. Obwohl ich nichts gegen seine Gesellschaft hatte, so war es doch ein Unterschied ob man zusammen auf einer Couch saß, oder der andere einem regelrecht auf die Pelle rückte. Markus strich immer noch über meinen Nacken, als ob er damit überhaupt nicht aufhören wollte. „Hast du gewusst, dass es Dinge gibt, die man besser im Dunkeln macht? Oder das es einfacher ist, diese Dinge im Dunkeln zu tun?“, fragte er mich daraufhin und sah mir unentwegt in die Augen. Sein Ausdruck war ernst, was mich stutzen ließ. „Was denn?“, hörte ich mich daraufhin selbst sagen. Kaum waren die Worte aus meinem Mund geflogen, war mein Schicksal besiegelt, was ich daran erkannte, dass sich ein Grinsen auf seine Lippen legte. Ich begann wirklich an meiner Intelligenz zu zweifeln. Noch bevor ich irgendwas hinzufügen konnte, hatte sich Markus zum Couchtisch hinunter gebeugt und die Kerze ausgeblasen. Sofort brach Finsternis über uns herein, doch auch wenn ich ihn nicht mehr sehen konnte, so spürte ich ihn umso besser. Seine Hand lag immer noch auf meinem Nacken, welchen diese leicht streichelte. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass meine Alarmglocken eigentlich schon lange Sturm läuteten, aber ich hatte es zu spät bemerkt. Markus Hand fuhr hoch in mein Haar und hielt meinen Kopf sachte fest. Gerade als ich protestieren wollte, spürte ich seine Lippen auf den meinen. Ein bittersüßes Gefühl breitete sich in mir aus und ich war unfähig mich auch nur irgendwie zu bewegen. Mir kam es vor als ob es eine halbe Ewigkeit gewesen wäre, bis er sich wieder von mir löste. Jedoch entfernte er sich nicht, da ich immer noch seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte. „Ich mag dich“, flüsterte er mir zu und ich konnte das Zittern in seiner Stimme hören. Er scherzte nicht, dessen war ich mir sicher, doch was war meine Meinung zu dem Ganzen? Ich hatte nichts gegen ihn und wenn er nicht gerade auf mir herum hackte, dann war er auch ein sehr angenehmer Geselle. Gingen meine Gefühle über Freundschaft hinaus oder lagen dort ihre Grenzen? Ich wusste es nicht. Markus schien meine Unsicherheit zu merken. „Du musst mir nicht sofort antworten. Denk darüber nach, ob es für dich okay wäre…“, sprach er leise und schlang seine Arme um mich. Vorsichtig zog er mich näher und drückte mich sanft an seine Brust. Zuerst wollte ich mich dagegen wehren, aber es fühlte sich nicht falsch an. „Ist es in Ordnung wenn ich… dich noch eine Weile so halte?“, fragte Markus und strich mir über den Rücken. „Nur… bis das Licht wieder angeht“, antwortete ich und versuchte das Gefühlschaos in meinem Inneren aufzuräumen. Ich war hin und her gerissen und wusste gar nicht wo ich anfangen sollte. „Versuch dich zu entspannen… oder soll ich die Kerze wieder anzünden?“ Seine besorgte Stimme klang angenehm und löste wohlige Schauer aus, welche mir den Rücken hinab liefen. „Nein, schon okay…“, sagte ich leise und kuschelte mich an ihn. Obwohl ich mir dabei eigentlich noch nicht sicher war, so wollte ich dieses angenehme Gefühl länger genießen und schaltete meinen Verstand ab. Langsam glitt ich in das Land der Träume, während mich Markus starke Arme behütend hielten. Der Sturm legte sich bis zum Morgen und auch die Stadtwerke schafften es die gerissene Stromleitung wieder in Ordnung zu bringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)