Lust for Blood von Akai-chan (One-Shots) ================================================================================ Kapitel 4: Empty Rooms ---------------------- Es regnete. Ich weiß noch genau, wie wir uns deshalb unter einen der Bäume gestellt hatten. Und dabei hatte noch am Vormittag die Sonne geschienen. Seltsam, hatte ich mir noch gedacht, dieser plötzliche Wetterumschwung. Ein wenig hatte ich mich dennoch darüber gefreut. Doch so unerwartet, wie sich an jenem Tag das Wetter geändert hatte, hat sich auch unser aller Leben verändert. Ich weiß es noch, als wäre es gerade erst passiert. Es regnete an dem Tag, als Toshi starb... Eigentlich sollte es ein schöner Tag sein. Eigentlich wollten wir alle ganz groß feiern. Yi-Che hatte ihr Kunstwerk vollendet. Ihre großes Wandgemälde im Park wurde bei einer kleinen Feierlichkeit enthüllt und es sollte eigentlich ihr Tag sein - ihr großer Tag. 'Eigentlich'... 'Sollte'... Doch all das war nicht. Zwar fing alles genau so an, doch schon bald lief alles komplett aus dem Ruder. Noch heute, nach all den Jahren, frage ich mich oft, wie es so weit hatte kommen können. Dabei kenne ich die Antwort doch schon längst. Es war, wenn man so will, ein Zusammenspiel vieler kleiner Dinge, vieler kleiner Zufälle. Und es waren unglückliche Zufälle, so viel steht fest. Unsere nächtlichen Ausflüge, bei denen wir regelmäßig irgend welche Kleinkriminelle ausnahmen, waren nur ein Aspekt. Zwar wahrscheinlich der ausschlaggebende für Toshi's Tod, aber dennoch... Wir hatten uns irgendwann mit den Falschen angelegt. Sie waren uns nach einiger Zeit auf die Schliche gekommen. Es hatte mich zwar gewundert, dass Toshi zu spät war, doch ich hatte mir auch nichts weiter dabei gedacht. 'Wahrscheinlich verschlafen.', war meine Erklärung. Wie naiv zu glauben, wir könnten ewig so weiter machen und ständig nur Glück haben. Wie naiv zu glauben, es würde niemals etwas schief gehen... Es ging schief, viel zu schief. Und Toshi kostete es das Leben. Als ich ihn mit diesen Typen sah - mit Handschellen gefesselt, zusammengeschlagen und voller Angst - wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass es kein großartiger Tag war. Über den Streit mit Kei hatte ich mich zwar auch nicht gerade gefreut, doch so etwas kam bei uns öfter vor. Vor allem wegen diesem einen Thema, von dem ich ja - so seiner Meinung nach - eh keine Ahnung hatte. Natürlich ist es für einen Menschen nicht einfach, einen Vampir zu verstehen, der kein Blut trinken will. Doch ich machte mir Sorgen um ihn, um einen meiner besten Freunde. Er sah von Tag zu Tag schlechter aus, wurde noch blasser als er ohnehin schon war, und immer schwächer. Es war zum Schreien. Du stehst daneben und musst zusehen, wie sich jemand, der dir alles bedeutet, unnötig kaputt macht. Aber wie schon gesagt, diese Streitereien kamen bei uns öfter vor und ich hatte mich bereits irgendwie daran gewöhnt. Mehr als ihm immer und immer wieder zu sagen, er solle mit seiner scheiß Diät wieder aufhören, konnte ich nicht tun. Als er mich in seiner Wut anschrie und fragte, ob er mein Blut trinken solle, hätte ich ihm am liebsten ein dickes, fettes 'Ja!' entgegen geschmettert. Mit Freuden hätte ich ihm auch den letzten Tropfen gegeben. Ich hätte ihm alles gegeben. Absolut alles, ohne Ausnahme. Seit er mir damals als Kind das Leben gerettet hatte, gehörte es doch sowieso ihm. Alles gehörte ihm und er hätte damit machen können, was er wollte. Ich hätte mich nicht beklagt. Doch ich wusste, das war alles andere als das, was er von mir hätte hören wollen. Also schwieg ich. Der Gedanke daran, dass ich ihm alles gegeben hätte, er es aber nicht wollte, war auch der eigentliche Grund für meine Tränen gewesen. Das und die Tatsache, dass ich mir immer noch Sorgen machte. Doch auch darüber verlor ich kein Wort und ließ mich statt dessen von ihm trösten. Natürlich hatte er in der Zwischenzeit auch nicht auf mich gehört und seine Diät weiter fortgesetzt. Er kam völlig ausgezert und schwach durch den Regen zu uns. Der einzige Vorteil, den er bei seinem ersten Angriff hatte, war der Überraschungsmoment. Irgendwie drehte er es noch so hin, dass einer der Typen auf den anderen schoß und wir damit nur noch einen Gegner hatten. Doch kurz darauf lag er auch schon am Boden, kam nicht mehr hoch und wurde ebenfalls mit einer Waffe bedroht. Und was macht Toshi? Er stellt sich vor Kei, um ihn zu beschützen. Die ganze Zeit schon wollte ich zu ihnen, wollte ihnen irgendwie helfen. Doch Son hielt mich zurück. Ich weiß, er hat es nur gut gemeint und wollte nicht, dass ich vielleicht selbst noch erschossen werde. Ich aber hätte ihn in dem Moment dafür verfluchen können. Ich verfluche ihn heute noch. Und mich selbst verfluche ich dafür, dass ich Toshi nicht wenigstens zurief, er solle aus dem Weg gehen. Er wusste nicht, dass Kei ein Vampir war und dass er durch eine einfache Kugel nicht sterben konnte. Nur Shinji und ich wussten das. Aber Toshi... Toshi wusste es nicht, auch wenn er sich vielleicht gefragt haben mag, warum Kei in all den Jahren nicht gealtert war. Er wusste es nicht und wollte einen Untoten vor dem Tod bewahren. Allein der Gedanke daran schmerzt unheimlich... Dann kam der Schuss und Toshi brach zusammen. Irgendwie schaffte es Kei, den Schützen von dort wegzulocken und mit ihm im Gebüsch zu verschwinden, so dass wir drei zu Toshi konnten. Ich weiß nicht, wie es gekommen wäre. Vielleicht war es auch Toshi's Schicksal, an diesem Tag zu sterben? Doch um ehrlich zu sein, dieser Gedanke widerstrebt mir gewaltig. Ich wünschte, wir hätten ihn irgendwie retten können. Und wenn ich seine Kugel höchstpersönlich hätte abfangen müssen... Er hätte nicht sterben dürfen. Und ich hab ihm noch gesagt, als er da in meinen Armen lag und seine letzten Atemzüge tat, er solle es bloß nicht wagen jetzt zu sterben. Er hat mir noch erzählt, seine Mutter habe nach ihm gesucht und er würde sie am nächsten Tag in genau diesem Park hier treffen... Er hat nicht auf mich gehört. Ich konnte es einfach nicht fassen. Mein bester Freund war tot. Ich weiß nicht, wie ich das Gefühl, das in diesem Moment, da ich das begriff, in mir tobte. Einerseits war ich leer, absolut leer. Doch gleichzeitig war ich auch von Trauer, Schmerz, Wut und Zorn erfüllt. Richtig seltsam... Ich werde es wohl niemals vergessen. Yi-Che hat geweint, glaube ich. Ich bekam kaum noch etwas mit. Es war, als wäre ich in einen durchsichtigen Vorhang gehüllt. Ich sah und hörte alles, doch es kam kaum etwas in meinem Bewusstsein an. Langsam ließ ich seinen leblosen Körper zu Boden gleiten und sah auf. Son stand ein paar Schritte von uns weg. Gleich nachdem wir zu Toshi gerannt waren, hatte er sich um Kei gesorgt und war in dessen Richtung verschwunden. Nun konnte ich sehen, dass er wie angewurzelt dastand und in die Gegend starrte. Ich ging auf ihn zu und Yi-Che folgte mir. Ich konnte mir schon denken, was Son sah. Kei hatte sich diesen Typen als seine nächste Mahlzeit ausgesucht. Das Bild, das sich uns bot, war auch für mich seltsam. Ich hatte Kei nie besonders oft beim Trinken zugesehen, aber so hatte ich ihn noch nie erlebt. So gierig... So ohne jede Kontrolle über sich selbst. Er hatte einen so wahnsinnigen Blick, dass mir ein weiterer eiskalter Schauer über den Rücken lief. Seine ach so tolle Diät hatte ihn die Beherrschung verlieren lassen. Ich sagte ihm, er solle aufhören, immer und immer wieder. Ich flehte schon. Ich erzählte ihm, dass Toshi gerade gestorben war, doch er reagierte nicht. Er sah nur einmal auf und grinste auf eine recht durchgeknallte Art... Er machte mir Angst. Und nicht nur mir, auch Son und Yi-Che waren sichtlich verstört. Wahrscheinlich wäre es mir an ihrer Stelle auch so gegangen. Als Kind mag ich anders reagiert haben, als ich ihn das erste Mal trinken sah, doch was wäre gewesen, wenn ich ihm erst später begegnet wäre? Und vor allem, wenn ich ihn so gesehen hätte, wie die beiden... Ich brachte sie nach Hause. Dort erzählte ich ihnen, was sie da genau gesehen hatten, auch wenn sie sich das vielleicht schon denken konnten. Ich erzählte ihnen auch, wie sich Kei ständig mit seinem Schicksal herumquälte - immerhin hatten wir erst vor ein paar Stunden wieder darüber gestritten. Ich erzählte ihnen auch, wie ich ihn damals gefunden und er Toshi, meinen Bruder und mich gerettet hatte. Ich erzählte ihnen, wie menschlich er doch noch war... Son schien die Vampirgeschichte recht gefasst aufzunehmen. Es war zwar immer noch ein Schock für ihn, aber er hat nichts weiter dazu gesagt. Trotzdem konnte ich ihm genau ansehen, wie er Kei zu hassen und zu verabscheuen begann. Auch das machte mich traurig, denn an Kei selbst hatte sich schließlich nichts geändert. Sie hatten nur eine Sache bisher nicht gewusst, das war alles. Dadurch, dass sie es nun erfahren hatten, hatte sich Kei doch nicht verändert. Es war alles so unwirklich... Bei Yi-Che war es ähnlich, auch wenn sie ihn nicht hasste oder verabscheute. Ich konnte an ihren Gesichtszügen sehen, wie sich ihre Haltung ihm gegenüber verändert hatte. Es hatte mir zwar nie so wirklich gefallen, dass sie anscheinend Interesse an ihm gezeigt hatte, doch ich dachte, ich könnte sie auch nicht zwingen, sich statt in ihn in mich zu verlieben. Gefühle lassen sich nicht manipulieren und Liebe lässt sich nicht erzwingen. Oh ja, ich liebte sie. Doch das ist eine andere Geschichte und gehört nicht hierher... Auf dem Rückweg zu unserer Wohnung ging ich wieder durch den Regen. Nass war ich so oder so schon, also was sollte es? Ich ging langsam und machte mir über dies und das meine Gedanken. Ich ließ die Ereignisse alle nochmal revu passieren, bis ich wieder an Toshi dachte und erneut zu weinen begann. Es war so grausam. Er war schon seit der Zeit im Waisenhaus ein Teil meines Lebens gewesen. Eine lange Zeit, eine sehr lange Zeit... Und nun fehlte dieser Teil. Er fehlte und würde niemals wieder kommen... Ich fragte mich, wie es nun weiter gehen sollte. Wie ich Son und Yi-Che noch unter die Augen treten sollte. Ob sie mich überhaupt noch sehen wollten? Dass sie Kei nicht noch einmal begegnen wollten, wusste ich auch ohne sie fragen zu müssen. Ich fand es unfair. Sehr unfair sogar... Kei hatte nie um ein solches Leben gebeten und er war damit alles andere als glücklich. Wie oft hatte er Albträume gehabt? Wie oft hatte er mich traurig angelächelt? Er hatte sowieso immer nur traurige Augen gehabt... Wie oft hatten wir uns schon in den Haaren gehabt, weil er es angeblich nicht mehr ertragen konnte, Blut zu trinken? Viel zu oft... Hätte ich die Möglichkeit gehabt, ihm auch nur ein kleines Stück seines Leids abzunehmen, ich hätte es getan. Er hielt mich immer für selbstsüchtig. Doch wenn es um ihn ging, hätte ich alles andere aufgegeben. Er bedeutete mir alles. Hätte er die Chance gehabt, wieder ein Mensch zu werden und ein ganz normales Leben zu führen, ich hätte ihm Yi-Che überlassen, wenn er das gewollt hätte. Ich weiß, glücklich zu werden ist schwer. Doch ich hätte ihm alles Glück der Welt gewünscht, selbst wenn das bedeutet hätte, dass ich für den Rest meines Leben unglücklich gewesen wäre. Wie schon gesagt, mein Leben gehörte sowieso bereits ihm... Doch was mir am meisten Sorgen bereitete war Kei selbst. Ich wusste, er würde sich selbst für sein Verhalten verachten. Wenn es ganz schlimm wäre, würde er selbst mich nicht mehr an sich heran lassen. Es würde schwer werden, ihn zumindest ein bisschen zu trösten und ihn wieder zum Lächeln zu bringen, überlegte ich. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Und dann war da auch noch die Frage, ob ich so tun sollte, als wäre nichts gewesen, und mich wie immer verhalten sollte, oder nicht. Ich zerbrach mir den Kopf und zerbrach mir den Kopf... Als ich dann vor unserer Tür stand, hatte ich immer noch keine Antwort gefunden. Ich wusste ja nicht einmal, was ich sagen sollte, wenn ich ihn sehen würde. Wie ich ihn begrüßen sollte... Also holte ich einmal tief Luft und betrat die Wohnung. 'Ich sage einfach das, was mir als erstes einfällt.', nahm ich mir vor. Doch letztlich war es egal, denn die Wohnung war leer. Zunächst dachte ich mir nicht viel dabei und sah in allen Zimmern und Ecken nach, für den Fall, dass er sich irgendwo verkrochen hatte. Doch ich fand ihn nicht. Also musste er noch draußen irgendwo herumgeistern. Auch da dachte ich mir noch nicht viel dabei. Vielleicht ging er auch noch im Regen durch die Straßen und musste nachdenken. Es wäre nicht das erste Mal gewesen... Außerdem war viel passiert. Selbst als er auch mitten in der Nacht noch nicht da war, war ich davon überzeugt, dass er noch vor Sonnenaufgang wieder hier sein würde. Wo sollte er auch sonst hin? Dies hier war sein Zuhause. Ich war seine Familie. Es gab für ihn keinen anderen Platz... Doch auch in dieser Sache sollte ich bald eines besseren belehrt werden. Nachdem ich ein paar Stunden geschlafen hatte, war er immer noch nicht wieder da. Deshalb ging ich in der Wohnung auf und ab. Ich war unruhig, warum konnte ich mir nicht erklären. Ich machte mir immer noch Sorgen um Kei. Dass er so lange fort blieb, war an sich nichts ungewöhnliches. Und doch sah ich jede neue Minute wieder auf die Uhr, während ich auf ihn wartete. Wenn man an die Situation dachte, in der er steckte, wäre es durchaus denkbar gewesen, dass er sich zu viele Vorwürfe machte. Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen, was er aus Kummer alles tun könnte... Und so wurde ich immer ungeduldiger. Ungeduldiger und unruhiger. Bis mir auffiel, dass etwas fehlte. Seine Bürste, seine Schuhe... Panik beschlich mich zusammen mit einer bösen Vorahnung. So schnell wie möglich stürmte ich ins Zimmer und riss die Schranktüren auf. Auch hier dasselbe Bild: Seine gesamten Sachen waren wie vom Erdboden verschluckt. Alles komplett weg, nicht eine Unterhose hatte er da gelassen. Wieder konnte ich es nicht fassen. Tränen stiegen mir in die Augen, auch wenn ich gegen sie ankämpfte. Ich brach vor dem Schrank zusammen und schrie. Ich schrie vor Wut, vor Verzweiflung, vor Enttäuschung, vor Schmerz und vor Einsamkeit. Ich rief nach ihm, rief seinen Namen. Ich schrie, er solle gefälligst zurück kommen, doch natürlich tat er das nicht. Es war nun schon zum zweiten Mal, dass ich an diesem Tag von einem meiner besten Freunde verlassen worden war. Das war zu viel. Ich fühlte mich verraten. Wie konnte er mich einfach so verlassen? Und das, ohne sich zu verabschieden, sondern heimlich hinter meinem Rücken!? Das war nicht fair... Das war einfach nicht fair. Ich weiß nicht mehr, was ich dann tat. Oder was ich auch nur dachte. Zweifellos dachte ich an ihn, aber was genau dachte ich? Irgendwie stolperte ich auf die Straße. Ich suchte die halbe Stadt nach ihm ab, auch als es schon hell geworden war. Vor dem Sonnenlicht musste er sich immerhin irgendwo verstecken und konnte nicht weiter. Die Frage war nur, wie weit war er in der Zwischenzeit schon gekommen? Und in welche Richtung war er verschwunden? War er überhaupt noch hier in Malepa? Je mehr ich darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien es mir, dass ich ihn wirklich würde finden können. Ich rechnete sowieso nicht damit, dass er mir antworten würde, wenn ich nach ihm rief. Wieder hätte ich einfach nur schreien können. Es war so unerträglich, dieses Gefühl, dass ich irgendwie alles verloren hatte. Doch ich rannte weiter durch den Regen. Weiter und weiter und immer weiter. Irgendwann fand ich mich an der Seitengasse wieder, die ich damals als kleiner Junge auch entlang gegangen war, kurz bevor ich ihn in dieser Ecke gefunden hatte. Instinktiv ging ich dort hin. Kaum eine Sekunde später sah ich ihn wie damals vor meinem geistigen Auge wieder auf dem Boden liegen. Mit den langen, blonden Haaren, verdreckt und völlig fertig. Die Erinnerungen überwältigten mich und wieder brach ich in Tränen aus. Ich zitterte. Ich wimmerte. Ich flüsterte seinen Namen, bat darum, ihn wieder zu sehen. Ich hätte wohl alles dafür gegeben, dass er nur wieder bei mir wäre. So stand ich da, inmitten der alten Trümmer, die so viele Erinnerungen verbargen. Und es regnete immer noch... Ja, ich weiß es noch genau, als wäre es eben erst passiert. Es regnete an dem Tag, als Toshi starb... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)