The short stories of Eternity Sword von Flordelis (Kurzgeschichtensammlung) ================================================================================ Vorherbestimmt -------------- Es war spät geworden, die Feier hatte viel zu lange gedauert. Der Junge mit dem abstehenden schwarzen Haar schlief bereits auf der Rückbank, als seine Eltern sich endlich von ihren frisch verheirateten Freunden verabschiedet hatten und ebenfalls ins Auto gestiegen waren. Sie lächelten sanft, als sie ihren Sohn so friedlich schlafen sahen. In diesem Moment wusste noch niemand, dass die Familienidylle in weniger als einer halben Stunde nicht mehr existieren würde. Am allerwenigsten der kleine Yuuto, der von dem Kuchen träumte, den er auf der Feier gegessen hatte – und von der braunhaarigen Miko, die er vor kurzem am Schrein gesehen und so schön gefunden hatte. Er bemerkte nicht den müden Fahrer im entgegenkommenden Wagen, dessen Auto auf ihre Fahrbahn geriet. Innerhalb seiner Traumwelt bekam er auch den überraschten Schrei seiner Mutter, das Fluchen seines Vaters, den Knall und das Knirschen von Metall nicht mehr mit, das seine Eltern mit einem Schlag aus dem Leben riss. Der Polizist schüttelte traurig seinen Kopf, während er die ineinander verkeilten Fahrzeugwracks begutachtete. In der Ferne konnte er die Sirene eines Krankenwagens hören, der langsam näherkam. „Ich glaube nicht, dass da noch viel für einen Sanitäter übrig geblieben ist.“ Die Fahrzeuge hatte zwar kein Feuer gefangen, doch waren sie wirklich so ineinander verkeilt, dass niemand diesen Unfall wirklich überlebt haben könnte und wenn dann zumindest nicht mindestens lebensgefährlich verletzt. Doch er sollte eines Besseren belehrt werden. Im Wagen des offensichtlichen Unfallverursachers war nur der leblose Körper des Fahrers zu sehen gewesen. Im Wagen der Unfallgegner waren zwei eingequetschte Menschen auf den vorderen Sitzen mehr zu erahnen als zu sehen. Er sah auf den Rücksitz – und wollte schon erneut seufzen, als er etwas bemerkte. Die Sanitäter standen inzwischen bereits mit einer Bahre und einem Leichensack neben dem Krankenwagen. Sie hatten schon so viele Unfälle gesehen, dies war nichts Neues für sie. Der Polizist sah zu ihnen hinüber und formte seine Hände vor seinem Mund zu einem Trichter: „Sanitäter! Hier lebt noch jemand!“ Er konnte sehen, wie sie sich erstaunte Blicke zuwarfen und den Leichensack eilig gegen die Erste-Hilfe-Gegenstände austauschten. Er sah wieder durch das Fenster auf den schwarzhaarigen Jungen, der friedlich atmend schlief und wie durch ein Wunder unverletzt zu sein schien. Da er ein Lächeln auf den Lippen trug, wusste er wohl noch nichts von dem Unfall, auch wenn der Polizist sich nicht erklären konnte, wie das möglich war. Er hatte den Glauben an Wunder schon lange verloren, aber selbst viele Jahre später sollte er, wann immer er an diesen kleinen Jungen im Unfallwagen zurückdachte, der festen Überzeugung sein, dass dies ein Wunder gewesen war. Unzählige Sterne glitzerten am Himmel über ihm. Noch nie zuvor in seinem siebenjährigen Leben hatte er so viele auf einmal gesehen. Als ob jemand eine Dose voll Glitzerstaub auf einem dunkelblauem Teppich ausgeschüttet hätte. Yuuto saß auf einem Hügel, ein Mädchen neben sich, die er nicht erkennen konnte, aber es fühlte sich gut an, sie bei sich zu haben, nicht allein zu sein, getröstet zu werden... Trost? Warum brauchte er Trost? Was war geschehen? Auf einem anderen Hügel, weit weg von seinem, konnte er seine Eltern sehen. Sie winkten lächelnd unter Tränen. Warum weinten sie? Als er ihnen zurückwinkte, drehten sie sich um und gingen davon, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Wo gingen sie hin? Warum ließen sie ihn allein? „Mach dir keine Sorgen“, hörte er eine leise Stimme. „Das Schicksal hält etwas Großes für dich bereit.“ Er sah sich um, konnte aber nicht erkennen, woher die Stimme kam. Das Mädchen neben ihm hatte keinen Ton von sich gegeben, sich nicht einmal bewegt. „Eines Tages wirst du es verstehen. Du bist zu wichtig, um zu gehen, Yuuto. Und jetzt wird es Zeit, aufzuwachen.“ Es war nicht einfach gewesen, zu verarbeiten, dass er nun allein war, dass seine Eltern ihn nie mehr umarmen würden. Es war schwer gewesen, zu verstehen, warum er nicht nur überlebt, sondern auch völlig unverletzt gewesen war. Aber es hatte kein Weg daran vorbeigeführt, es zu realisieren. Viele Leute hatten sich um ihn gekümmert, aber da er keine lebenden Verwandten mehr hatte, war er ein Adoptionsfall geworden. Und wieder schien das Schicksal mitzuspielen, als er schon wenige Monate nach dem Unfall einem Ehepaar gegenüberstand. Ein kleines Mädchen mit braunem Haar hatte sich hinter den Beinen ihres Vaters versteckt. „Yuuto, das ist die Familie Takamine, bei der du fortan leben wirst.“ Es führte kein Weg daran vorbei, also warum sollte er nicht das Beste daraus machen? Immerhin schienen sie nett zu sein. „Hallo“, sagte er leise. „Hallo, Yuuto“, sagte die Frau zu ihm. Sie drehte ihren Kopf zu dem kleinen Mädchen. „Kaori, sag doch auch Hallo.“ Das Mädchen schielte hinter den Beinen ihres Vaters hervor und lächelte leicht. „Hallo.“ Yuuto lächelte ebenfalls. Wenn er zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, dass auch diese Familie bald zerstört werden würde, hätte Yuuto die Adoption verweigert, doch ohne dieses Wissen blieb ihm nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass die Zukunft es gut mit ihm meinte. Bitte ----- Yuuto und Kaori waren bald unzertrennlich geworden. Es hatte keinerlei Anpassungsschwierigkeiten gegeben, es war als wären sie schon immer Geschwister gewesen. Die Eltern waren sichtlich erleichtert und freuten sich darüber. Sie hatten Kaori nicht als Einzelkind aufziehen wollen, aber auch keine Kinder mehr bekommen können – und nun hatten sie sogar einen großen Bruder für das Mädchen. So oft Yuuto und Kaori konnten, verbrachten sie Zeit miteinander, Zeit, die sie in ihrer eigenen kleinen Welt teilten, davon träumend, was die Zukunft ihnen wohl bereithielt. Ihre gemeinsame Urlaubsreise sollte das erste Mal sein, dass die beiden Kinder mit einem Flugzeug flogen. Und da teilten sich ihre Meinungen erstmals. Während Kaori vor Aufregung kaum schlafen konnte, vor dem Tag ihrer Abreise, war Yuuto nervös. Die fast schon hundertprozentige Sicherheit, dass etwas Schlimmes passieren würde, verfolgte ihn bis in seine unruhigen Träume, so dass er immer wieder schweißgebadet aufwachte. Obwohl seine Adoptiveltern ihn immer wieder beruhigten und ihm sagten, dass es keinen Grund zur Besorgnis gab, schaffte er es nicht, seine Sorgen abzuschütteln. Schon bald wurden sie das erste Mal ziemlich wütend auf ihn und seine Paranoia und so blieb Yuuto nichts anderes übrig, als seine Angst für sich selbst zu behalten und die Nacht schlaflos zu verbringen. Die Furcht begleitete ihn den ganzen nächsten Tag noch wie ein Schatten. Von dem inzwischen so vertrauten Haus der Adoptiveltern, bis zum Flughafen und auch in das Flugzeug hinein. Die sorglosen Gesichter der anderen und die stoische Ruhe der Stewardessen trug ebenfalls nicht zu seiner Beruhigung bei. Er hoffte nur, dass er nach der Landung nicht mehr so nervös sein würde. Es gefiel ihm nicht. Das Gefühl als würden seine Innereien sich verknoten und seine Knie immerzu zittern war unerträglich. Kaori schlief trotz der Aufregung und der Nervosität noch im Flieger ein. Yuuto, der neben ihr saß, beneidete sie darum. Wie gern wäre er auch einfach eingeschlafen und hätte seine Furcht vergessen. Aber es ging nicht. Er zwang sein Herz zur Ruhe, versuchte, tief durchzuatmen und sich einzureden, dass alles in Ordnung war und nichts passieren würde. Aber die kleine Stimme in seinem Kopf sagte ihm das Gegenteil und sie schwieg einfach nicht. Als die Maschine zu ruckeln anfing, spürte er tief in seinem Inneren eine seltsame Form der Befriedigung. Er hatte als einziger recht behalten – er und sein schlechtes Gefühl. Obwohl die Stewardessen alle zu beruhigen versuchten, machte sich schon bald Panik unter den Fluggästen breit. Die Turbulenzen ließen nicht mehr nach. Yuuto hielt Kaori schützend in den Armen, so gut es ging, da sie beide angeschnallt waren. Das Mädchen weinte leise, während er sich seltsamerweise völlig sicher fühlte. Die Angst war verflogen und war von einer tiefgreifenden Sicherheit ersetzt worden. Aus irgendeinem Grund wusste er genau, dass ihm nichts passieren würde. Aber was war mit Kaori? Er war sich sicher, dass er es verkraften könnte, wenn seinen Adoptiveltern etwas geschah... aber nicht, wenn seiner Adoptivschwester etwas zustoßen würde. Yuuto schloss seine Augen. Bitte, Kaori darf nichts geschehen... „Verlangst du nach Macht?“ Er öffnete seine Augen wieder. Sein verwirrter Blick ging fragend umher. Nirgends war jemand zu sehen, der ihn angesprochen hatte. Was war das gewesen? Eine Stimme in seinem Kopf? „Verlangst du nach Macht?“ Da war es wieder! Eine tiefe, dunkle Stimme, nicht gerade sehr vertrauenserweckend, aber womöglich der einzige Strohhalm, an den er sich klammern konnte. Wieder schloss er seine Augen, zog Kaori näher zu sich. Bitte! Beschütze Kaori, das ist alles, was ich will! „Ist dies dein Wille?“ Ja! Beschütze, Kaori! Bitte! „So sei es. Der Vertrag ist zustande gekommen, du bist fortan der Vertragsschließende. Nutze meine Macht.“ Damit verstummte die Stimme. Yuuto verstand nicht, was eben passiert war. Oder was das alles zu bedeuten hatte, aber ihm blieb auch nicht viel Zeit, es herauszufinden. Das Rütteln wurde stärker. Yuuto kniff seine Augen zusammen – und verlor das Bewusstsein. Die Nachricht über den Tod seiner Adoptiveltern nahm Yuuto erstaunlich gelassen zur Kenntnis. Im Gegensatz zu Kaori, die sich tagelang unter ihrer Bettdecke im Krankenhaus verkroch und dort weinte. Niemand nahm es ihr übel. Es war wie ein Wunder gewesen, dass die beiden Kinder als einziges diesen Flugzeugabsturz überlebt hatten, Yuuto sogar völlig unverletzt, so dass er das Krankenhaus bald wieder hatte verlassen können. Es war unklar, wie es weitergehen sollte. Man redete darüber, die beiden Kinder wieder zu trennen und zu neuen Adoptivfamilien zu geben, weit entfernt voneinander. Gespräche, denen Yuuto still lauschte, untätig, etwas zu tun oder auch nur zu widersprechen. Er wollte nicht wieder von Kaori fort. Er brauchte sie, genauso wie sie ihn brauchte. Man durfte sie doch nicht einfach wieder auseinanderreißen. Doch es war nicht er, der diesen Umstand augenblicklich klarstellte, sondern Kaori selbst, die eines Tages aufsprang und deutlich zum Ausdruck brachte, dass sie sich niemals von Yuuto, der für sie wie ein echter Bruder war, trennen würde, niemals. Yuuto hatte sie noch nie so bestimmend und wütend erlebt, weswegen es ihn nicht wunderte, dass sich schließlich auch diejenigen, die sich mit ihrem Fall befassten, überreden ließen, Milde walten zu lassen und die beiden nicht zu trennen. Yuuto war ihr dankbar dafür, wenngleich er wieder diese seltsame Stimme in seinem Hinterkopf hörte, die ihm sagte, dass es noch nicht vorbei wäre, dass er noch etwas schulden würde. Doch die Zeit dafür war noch nicht gekommen – und er hoffte, dass sie auch niemals kommen würde. Aber wie so oft erwiesen sich Hoffnung und Schicksal als trügerisch... Schwur ------ Die Tage im Krankenhaus, in dem er seit diesem Unfall lag, kamen ihm unendlich lang vor. Der Unfall, bei dem seine Eltern, die einzigen, die keine Angst vor ihn gehabt hatten, umgekommen waren. Der Unfall, an dem er sich die Schuld gab, obwohl nicht er, sondern ein Hund dafür verantwortlich gewesen war. Sein ganzes Leben lang hatten die Menschen und auch die Tiere Angst vor ihm gehabt. Woran lag es nur? Waren es seine weißen Haare? Seine roten Augen? Oder hatte er eine so furchteinflößende Aura? Er wusste es nicht und er bekam auch nie eine Antwort darauf. Auch die Krankenschwestern wichen ihm aus, betraten sein Zimmer nur widerwillig und verließen es fluchtartig, sobald alle Untersuchungen vorbei waren. Dabei hatte er nie etwas getan, um das zu verdienen. Er war doch nur ein Kind, anders als andere Kinder, aber nichtsdestotrotz ein menschliches Wesen. Er konnte es nicht verstehen, andere Kinder wurden nicht so behandelt. Also was unterschied sie von ihm? Tag für Tag starrte er aus dem Fenster und beobachtete andere Kinder, die von ihren Eltern und anderen Verwandten besucht werden. Er selbst hatte keine Verwandten mehr, keine Freunde, keine Bekannte, niemand, der ihn besuchen kam. In seinen nächtlichen Träumen sah er sich stets in einer anderen Welt, mit einem Schwert an seiner Seite, umringt von Leuten, die zu ihm aufsahen und ihn bewunderten. Warum konnte es nicht auch in der Realität so sein? Doch eines Tages sollte sich alles ändern. Die Tür zu seinem Krankenzimmer war oft offen, so dass die Schwestern nur schnell reinsehen mussten, ohne hineinzugehen. Zehn Tage nach seiner Einlieferung lief ein braunhaariges Mädchen an seinem Zimmer vorbei – und hielt plötzlich inne. Sie sah zu ihm hinein und erwiderte seinen neugierigen Blick. Lächelnd kam sie herein. „Hallo. So allein?“ Er nickte. Ohne Einladung setzte sie sich auf den Stuhl neben seinem Bett. „Ich bin Kaori Takamine. Wie heißt du?“ „Sh-Shun Akitsuki.“ „Warum bist du ganz allein hier?“ Mit zitternder Stimme erzählte er ihr seine Geschichten, mit der absoluten Sicherheit, dass sie auch Angst vor ihm bekommen und weggehen würde. Aber stattdessen hörte sie ihm aufmerksam lächelnd zu und unterbrach ihn kein einziges Mal. Als er fertig war, saß sie immer noch da und lächelte unverändert, wenngleich sich ein wenig Mitleid in ihren Blick geschlichen hatte. „Ab sofort wirst du nicht mehr allein sein. Lass uns Freunde sein, ja?“ „Freunde? Bist du sicher?“ Sie nickte lächelnd. Von da an kam Kaori ihn jeden Tag besuchen. Schon bald erfuhr Shun, dass er im selben Schulbezirk wie sie lebte und dass sie bald auf dieselbe Schule gehen würden, sobald sie beide wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden wären. Anscheinend hatte sie ihn einen Flugzeugabsturz überlebt, gemeinsam mit ihrem Adoptivbruder, der allerdings unverletzt geblieben war. Schon das Erwähnen seines Namens – Yuuto Takamine – erweckte in Shun ein tiefes Gefühl der Abneigung und des Abscheus. Irgend etwas tief in seinem Inneren schien ihn zu kennen und ihn zu hassen, wenngleich er ihn nie gesehen hatte. Nie, bis zu dem Tag, an dem Kaori aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Es war der Tag, an dem Shun das erste Mal die Krankenhausflure durchquerte, um nach ihr zu suchen, da sie noch nicht erschienen war. Kaum hatte er den schwarzhaarigen Jungen erblickt, schrie etwas in ihm danach, ihm an die Gurgel zu gehen. Das musste Yuuto sein, ohne Zweifel. Der Junge sah ihn an und schien ebenfalls nicht sonderlich begeistert zu sein. Kaori kam mit einer Tasche aus dem Zimmer heraus. „Ich bin fertig, Yuuto.“ Sie sah den Gang hinunter und entdeckte ihren neuen Freund. „Oh, Shun, du bist es!“ „So, das ist er also“, sagte Yuuto abfällig. Shun zuckte zusammen. Sie hatte also mit Yuuto über ihn gesprochen? Was hatte sie ihm gesagt? „Kaori, wohin gehst du?“, fragte Shun, ohne ihren Bruder weiter zu beachten. Sie lächelte. „Ich werde heute entlassen, ich bin wieder gesund.“ Enttäuschung breitete sich in ihm aus. „Oh... verstehe.“ „Aber keine Sorge, ich werde dich weiter besuchen kommen, damit du schnell wieder gesund wirst und wir uns jeden Tag in der Schule sehen werden.“ Er nickte. „... okay. Aber wo wirst du jetzt wohnen?“ „Bei mir“, sagte Yuuto scharf. Shun sah ihn an. Ihre Blicke begegneten sich, beide eiskalt, das einzige Gefühl darin, Hass. Warum war das nur so? Sie trafen sich heute das erste Mal und dennoch hatte Shun das todsichere Gefühl, dass er ihn schon eine Ewigkeit kannte – und schon immer gehasst hatte. Und die leise Stimme in seinem Kopf, die ihm das einflüsterte, half ihm auch nicht gerade weiter. „Bist du sicher, Kaori?“ Sie nickte lächelnd, nicht im Mindesten unsicher, wie Shun sich das gewünscht hätte. „Yuuto ist mein Bruder, ich liebe ihn, also bleibe ich bei ihm.“ Shun runzelte seine Stirn, nickte aber. Yuuto verabschiedete sich frostig von ihm, nahm Kaoris Tasche und lief den Gang hinunter. Kaori umarmte Shun noch einmal, verabschiedete sich von ihm und ging ebenfalls davon. Er sah den beiden mit gerunzelter Stirn hasserfüllt hinterher. Yuuto war nicht gut für Kaori, ganz und gar nicht. Aber wie sollte er ihr das klarmachen? Auch wenn sie ihm im Moment noch nicht glaubte, irgendwann würde sie das. Dafür würde er sorgen, das schwor er sich in diesem Moment. Und wenn es ihn das Leben kosten würde. Valentinstag ------------ „Nozomu-kun...“ Der braunhaarige Junge sah auf und erblickte seinen silberhaarigen besten Freund Zetsu. „Huh?“ Nozomu hatte gar nicht gemerkt, dass die Stunde schon wieder vorbei war, so vertieft war er in seine Tagträumereien gewesen. Nozomi und Satsuki waren nirgends zu sehen – überhaupt waren alle Mädchen aus dem Klassenzimmer verschwunden. „Nozomu-kun, träumst du wieder?“ „Ähm... wahrscheinlich. Was gibt es, Zetsu?“ „Weißt du, welcher Tag morgen ist?“ Nozomu überlegte, da sein Gedächtnis ihn aber im Stich ließ, warf er einen Blick auf Nozomis Unterrichtsnotizen. Seine Kindheitsfreundin war wesentlich ordentlicher als er und hatte daher tatsächlich über den Notizen auch das Datum des heutigen Tages eingetragen. „Oh...“ „Ganz genau“, sagte Zetsu lächelnd. „Valentinstag. Deswegen stehen die ganzen Mädchen draußen auf dem Gang rum und diskutieren, was sie wem schenken und welche Rezepte sie verwenden wollen.“ Nozomu seufzte. „Jedes Jahr derselbe Schwachsinn. „Unzufrieden mit deinen Geschenken?“ „Ich hasse das Tohuwabohu, das Nozomi dafür immer veranstaltet. Ich glaube, sie fängt immer schon eine Weile vorher an, Kekse zu backen und Pralinen zu machen.“ Zetsu lachte. „Und was sagt dir das?“ „Dass Nozomi gerne kocht?“ Noch ein Lachen. „Oh, dummer kleiner Nozomu.“ Fragend sah er Zetsu an, machte aber keine weiteren Anstalten, etwas zu sagen. Shinsuke betrat grinsend das Klassenzimmer. „Yo, Akatsuki! Bring morgen lieber eine Tasche mit. Die Mädchen sind ganz wild darauf, dir jede Menge zu schenken.“ Zetsu schmunzelte. „Ist das so, ja? Mhm, ich freue mich schon auf die Schokolade.“ Shinsuke sah zu Nozomu. „Setoki-kun, du kriegst nur von Nagamine und Ikaruga-senpai etwas.“ „Das reicht mir auch vollauf“, meinte er. „Ich steh nicht so auf Süßkram.“ „Es geht doch nicht um den Süßkram“, erwiderte Shinsuke empört. „Die Süßigkeiten sind nur ein Symbol. Es geht darum, wie viele Mädchen einen mögen.“ „Das ist mir genauso egal“, sagte Nozomu gleichgültig. „Im Prinzip reicht doch eine.“ Zetsu lachte über Shinsukes entsetzten Gesichtsausdruck. „Ja, so ist Nozomu-kun. Bescheiden und genügsam.“ Nozomu lehnte sich zurück. „Könntet ihr aufhören, über mich zu sprechen, während ich dabei bin?“ „Aber warum denn?“, fragte Zetsu spöttisch. „So macht das doch viel mehr Spaß.“ „Ihr nervt.“ Zetsu und Shinsuke lachten. Schließlich verabschiedete sich der Silberhaarige und ging wieder in sein Klassenzimmer zurück. Nozomu seufzte innerlich. Ich hasse den Valentinstag... und den Tag davor. Am nächsten Morgen wurde Nozomu wider seine Erwartungen nicht von Nozomi geweckt und auch nicht von Satsuki. Eigentlich gab es dafür nur eine Erklärung: Sie hatten beide die ganze Nacht hindurch gebacken und was man sonst so tat. Er hatte das noch nie getan, obwohl er wusste, dass einen Monat später White Day war und er sich da eigentlich revanchieren müsste. Aber bislang hatte er jedes Jahr Schokolade für diesen Zweck gekauft, statt sie selbst herzustellen. So sehr er Nozomi und Satsuki auch mochte, das war es ihm nicht wert. Außerdem würden sie an seinem Backwerk ohnehin höchstens sterben. Und dafür wollte er nicht verantwortlich sein. In aller Ruhe trank Nozomu einen Kaffee, verzichtete auf den Rest des Frühstücks und ging schließlich in die Schule. Er hatte keinerlei Erwartungen an den heutigen Tag, hatte er nie gehabt und er war nie enttäuscht worden. Auf das Chaos könnte er allerdings verzichten. Wie jedes Jahr standen die begehrten männlichen Schüler bereits von Schülerinnen umringt auf dem Hof und nahmen dankend die Schokolade und die Plätzchen an. Die schüchternen Schülerinnen dagegen strebten zu den Spinden der Auserwählten, um ihnen dort ihre Geschenke zu hinterlegen. Es war jedes Jahr dasselbe. Und wie jedes Jahr war auch diesmal nichts in Nozomus Schließfach – und er erwartete auch nicht, dass sich das im Laufe des Tages ändern würde. In Richtung seines Klassenzimmers fand Nozomu schließlich auch Zetsu, der vergnügt lächelnd in einer plappernden Mädchenmenge stand und dabei immerzu Schokolade und andere Geschenke in eine extra dafür mitgebrachte Tasche tat. Als er Nozomu entdeckte, hob er die Hand. „Hallo, Nozomu-kun.“ Er erwiderte das Winken nur knapp und ging vorbei. Sein Sinn stand mit Sicherheit nicht danach, sich in eine Horde wilder Mädchen zu stürzen, die alle Zetsus Aufmerksamkeit suchten. „Akatsuki-kuuuuuuun~“, kam es sofort von ihnen, damit er seine Aufmerksamkeit wieder ihnen zuwandte. Der Silberhaarige lachte und wandte sich wieder den Mädchen zu. Nozomu betrat sein Klassenzimmer. Shinsuke saß bereits auf seinem Platz, Plätzchen und Schokolade vor sich aufgereiht. Misato, die hinter Nozomu das Klassenzimmer betrat, schmunzelte. „Mhm, Shinsuke, ich wusste gar nicht, wie beliebt du bei den Mädchen bist.“ „Das kommt nicht von ungefähr. Ich hab mich bei denen beliebt gemacht.“ Nozomu grinste. „Ach? Hast du allen Geschenke gekauft?“ Shinsuke schnitt ihm eine Grimasse, wurde dann wieder ernst. „Habt ihr Akatsuki gesehen? Beneidenswert wie die Mädchen auf ihn abfahren.“ „Stellt euch vor was passieren würden, wenn sich herausstellen würde, dass Akatsuki auf Jungs steht“, spottete Misato. „Tut er das denn?“, fragte Shinsuke. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, tut er nicht, das habe ich mir nur ausgedacht. Dabei wären Setoki und Akatsuki das perfekte Paar.“ Während Shinsuke lachte, antwortete Nozomu nicht darauf. Erneut öffnete sich die Tür, Nozomi kam herein. Sie wirkte unausgeschlafen und übermüdet, aber als sie Nozomu sah, lächelte sie. „Guten Morgen, Nozomu-chan.“ „Guten Morgen.“ Plötzlich fiel ihm ein, dass er sie eigentlich hätte von zu Hause abholen können. Warum hatte er nicht früher daran gedacht? Allerdings schien sie das nicht zu stören. „Nozomu-chan, ich...“ „Nozomu-kun!“ Satsuki wirbelte ins Klassenzimmer. Trotz der Schatten unter ihren Augen wirkte sie frisch und fröhlich. „Ich habe etwas, extra für dich!“ Sie hielt ihm eine Tüte mit Keksen hin. Nozomu räusperte sich. „Danke, Senpai.“ Er nahm ihr die Tüte ab. Die meisten Kekse schienen angebrannt oder zerbrochen zu sein, aber einige wirkten völlig in Ordnung. Ja, die waren garantiert selbstgebacken. Satsuki lächelte vergnügt. „Wenn dir schlecht wird, kannst du mich anrufen und ich komme bei dir vorbei, um dich zu heilen.“ „Äh, ja... danke, Senpai.“ Nozomu wandte sich wieder an Nozomi. „Du wolltest etwas sagen.“ „Ähm, ja.“ Sie griff in ihre Tasche und holte ebenfalls etwas heraus. Es war eine Schachtel mit Pralinen. Dafür hatte sie wohl die ganze Nacht gebraucht. „Vielen Dank, Nozomi.“ Sie lächelte, während er ihr die Schachtel abnahm. „Sie sind bestimmt richtig lecker.“ Nozomi nickte. „Ich hoffe es.“ Allerdings strahlte sie vor Selbstbewusstsein. Sie war sich absolut sicher, dass die Pralinen schmecken würden. Sanae betrat das Klassenzimmer. Satsuki erschrak. „Oh je, ich muss los! Bis später!“ Damit wirbelte sie wieder hinaus. Shinsuke sah ihr hinterher. „Oh Mann, Setoki ist zu beneiden.“ Nozomi schnaubte leise und setzte sich auf ihren Platz. Den Heimweg, mehrere Stunden später, machten Nozomu, Nozomi, Satsuki und Zetsu wie so oft zu viert. Der Silberhaarige war bepackt mit Pralinen, anderer Schokolade und Plätzchen. Dabei hatte er nach eigenem Bekunden bereits jede Menge davon gegessen. „Wie kannst du so viel davon essen?“, fragte Nozomu. „Zucker wird zu Energie, die ich wiederum in meinen ganzen Jobs brauchen kann. Um den Valentinstag herum fehle ich nie irgendwo.“ „Am White Day dafür umso mehr“, bemerkte Satsuki. Zetsu lachte. „Ich kann doch nicht für jedes Mädchen, das mir heute etwas geschenkt hat, etwas machen. So viel Zeit habe ich auch nicht.“ „Ich hoffe, dass wenigstens Nozomu-kun, am White Day etwas vorbereitet.“ Er seufzte leise. „Äh, sicher.“ Nach der Hälfte der Strecke trennten sich die Wege der Gruppe. Satsuki und Zetsu gingen jeweils in andere Richtungen davon, lediglich Nozomu und Nozomi liefen gemeinsam weiter. „Nozomu-chan, soll ich Abendessen für dich machen?“ „Mhm, wenn du willst.“ Sie lächelte. „Natürlich.“ Er lächelte ebenfalls. An seinem Haus angekommen, ließ er Nozomi zuerst rein. Ein leises Klingen, wie das einer Glocke, erklang plötzlich. Nozomu warf einen Blick umher, konnte aber nichts entdecken. Schließlich zuckte er mit den Schultern und ging ebenfalls hinein. Niemand sah das kleine blonde Wesen mit dem Glöckchen am Handgelenk, das Nozomus Haustür beobachtete und sich langsam vollständig in Luft auflöste, bis wirklich absolut nichts mehr da war. Der Gott der Zerstörung ----------------------- Man nannte mich einst Jiruol, den Gott der Zerstörung und des Schlachtens. Mein Name wurde weithin im gesamten Zeitbaum gefürchtet. Man flüsterte, wisperte ihn leise und heimlich in geschlossener Runde, aus Furcht, meinen Zorn auf sich zu ziehen. Ich kannte keine Gnade, wer mir im Weg stand wurde ausgelöscht, ohne Rücksicht auf die Motivation meines Gegenübers. Ich hatte Macht und dafür lagen die Frauen mir zu Füßen, verehrten mich und verzeihten mir jede noch so brutale Auslöschung eines anderen Lebewesens. Es gab nichts, was mir nicht gelang und ich wusste, ich würde mein Ziel bald erreichen. Ich würde bald wieder zu meiner alten Macht zurückfinden. Sie hatten geglaubt, sie könnten mich wegsperren und mich langsam sterben lassen. Sie hatten geglaubt, sie könnten aus Bruchstücken meiner Macht neue Götter schaffen. Doch ich würde ihnen zeigen, was es bedeutete, sich mit Jiruol anzulegen. Ich würde sie bereuen lassen, je meinen Namen gehört zu haben. Sie alle sollten mich in meiner vollen Blüte erleben – kurz bevor ich sie auslöschte. Es fehlte nicht mehr viel, nicht mehr viele Götter und ich würde vollständig sein. Doch dann kam er dazwischen. Rutsurujis Selbstmord an der Schwelle zum Tod nahm mir nicht nur die Möglichkeit, seine Macht in sich aufzunehmen, sondern sorgte auch für eine für mich gefährliche Situation, indem das Mana unkontrollierbar wurde. Narukana, meine letzte Gefährtin, opferte sich, um das Mana wieder zu beruhigen. Zurückgelassen, allein stand ich im Inneren des Zeitbaums, nicht wissend, wohin ich als nächstes gehen sollte. Doch die Entscheidung wurde mir bereits abgenommen, denn Faim, die Frau, die ebenfalls bei uns gewesen war, wendete sich plötzlich gegen mich. Ich tat, was ich konnte, doch am Ende siegte sie, als mein natürlicher Feind. Ich, Jiruol, besiegt von einer Frau! Einer Frau, die als mein Feind erschaffen wurde! Doch diesmal wurde ich nicht nur eingesperrt, diesmal wurde ich getötet, endgültig. Die Welt um mich herum wurde schwarz – und dann war da nur noch Stille. Ich weiß nicht, wie viele Jahre vergangen waren, als mein Bewusstsein zu mir zurückkehrte. Mich wieder aus der tiefen Dunkelheit holte, die mich samtig umhüllt hatte. Die Erinnerungen kehrten langsam zurück, suchten mich heim und führten mir meine Vergangenheit immer und immer wieder vor Augen. Wenn sie mich verließen, um auf eine neue Gelegenheit zum Zuschlagen zu warten, ließen sie mich nicht gebrochen zurück, sondern stärker als zuvor, entschlossen, mich an all jenen zu rächen, die mich hierhin verbannt hatten. Doch wohin? Die Erkenntnis ließ nicht lange auf sich warten, traf mich dafür aber umso unerwarteter. Ich, Jiruol, der Gott der Zerstörung, der mit einem einzigen Wort für Chaos und Angst im Zeitbaum gesorgt hatte, der nie vor einem Kampf weggelaufen war – war in einem menschlichen Körper wiedergeboren worden! In einem schwachen, zerbrechlichen Menschenkörper. Womit hatte ich ein solches Schicksal, das mir fast grausamer als der Tod schien, verdient? Nicht ich hatte den Krieg angefangen, im Gegenteil, ich hatte ihn sogar beenden wollen – meine Methoden mögen fragwürdig gewesen sein, doch waren meine Ziele zumindest anfangs edel gewesen. Was geschehen wäre, wenn ich den Krieg beendet hätte, vermag ich nicht zu sagen. Womöglich hätte ich den Zeitbaum verlassen, also warum musste so etwas geschehen? Und der Krieg... war er vorbei? Tobte er immer noch? Andererseits: Mit wem sollte er toben? Ich hatte die Mächte aller Götter bis auf Rutsurujis in mir aufgenommen, konnte es sie überhaupt noch geben? Aber bevor ich mir Gedanken über die anderen Götter machte, musste ich mir Gedanken machen, wie ich aus diesem Körper ausbrechen – oder ihn mir zu eigen machen – könnte. Auch wenn meine Erinnerungen wieder da waren, meine Macht war ohne einen Körper, mit dem ich sie benutzen konnte, nichts wert. Und mit jedem Jahr wuchs das Bewusstsein des Junge, in dem ich lebte, noch mehr und verdrängte mich. Egal wie sehr ich versuchte dagegen anzukämpfen, er ließ nicht locker und ging weder auf meine Schmeicheleien noch auf meine Drohungen ein. Ich musste mich wohl damit abfinden, dass ich nie wieder zu meiner alten Form zurückkehren würde, auch wenn ich diesen Gedanken hasste und ihn verabscheute. Doch meine Chance kam. Der Junge brauchte Hilfe, um seine kleine Freundin zu beschützen – vor einem Hund. Ich war der Gott der Zerstörung, ich sollte mich mit einem Hund abgeben? Doch trotz meines Sträubens half ich ihm schließlich, gab ihm die Macht, die er brauchte, um den Hund auszulöschen. Ich genoss dieses Gefühl, ein Leben auszulöschen, auch wenn es kein Menschenleben war, ich hatte es so lange nicht mehr getan, es war ein wundervolles Gefühl! Dem Jungen gefiel es allerdings gar nicht. Er fürchtete sich mehr als zuvor vor dem, was in ihm lauerte, vor mir. Und ich unterstützte diese Furcht mit Einflüsterungen und Albträumen, die ich ihm bescherte. Wenn der Junge seinen Körper freiwillig aufgab, würde er mir gehören und ich könnte endlich wieder meine volle Kraft nutzen. Und dann eines Tages... kehrten die Eltern des Jungen nicht nach Hause zurück. Einsam und verloren wand sich seine Seele vor mir, flehte um Mitleid und Hilfe. Erbärmlich, was einen Menschen zerbrechen konnte, statt ihn stärker zu machen, was für mich nur normal gewesen wäre. Ich sah meine Chance gekommen, sein Bewusstsein endgültig auszulöschen und seinen Körper zu übernehmen, um den Zeitbaum in ein neues Zeitalter der Furcht und der Schmerzen zu führen. Doch da fiel mir etwas an ihm auf. Dieser Junge hatte etwas, eine ganz besondere Fähigkeit, die ich nie gehabt hatte, die ich nie haben würde, die aber wichtig war, wenn ich die ultimative Waffe verwenden wollte. Der Junge hatte die Fähigkeit, sein Herz mit dem anderer Menschen zu verknüpfen, Freundschaften herzustellen und sie zu pflegen, auf dass sie wachsen. Etwas, was ich nie gelernt hatte, nie hatte einsetzen können, egal wieviel Macht ich auch besaß, egal wie sehr ich es mir gewünscht hatte. In diesem Moment, als ich ihn so vor mir liegen sah, reifte ein Plan in mir heran. Ich würde diesem Jungen meine Aufmerksamkeit schenken, ihn erziehen, zu einem Kämpfer machen, damit er eines Tages die Waffe für mich führen könnte. Der Tag, an dem ich hoffentlich endlich meine Rache vervollständigen könnte. White Day --------- Am 13. März fand sich Satsukis Vermutung wieder einmal bestätigt. Zetsu hatte sich kurzfristig krank gemeldet, auch wenn er am Tag zuvor noch völlig fit mit seinen drei Freunden nach Hause gegangen war. Der Lehrer schöpfte keinen Verdacht, machte stattdessen ein besorgtes Gesicht und äußerte seine Bedenken, ob der Schüler nicht vielleicht irgendeine heimtückische Krankheit hatte, die ihn in unregelmäßigen Abständen wieder ans Bett fesselte. Nozomu, der sich das von Satsuki in der Mittagspause erzählen ließ, stellte sich dagegen vor, wie Zetsu bequem zu Hause auf dem Sofa lag und sich Animes reinzog. Zumindest stellte Nozomu sich so den perfekten Krankheitstag vor. Er konnte sich so etwas nicht leisten. Wenn er krank war, saß Nozomi den ganzen Tag an seiner Seite und ließ ihn nicht einmal aus dem Bett aufstehen. Warum Zetsu aber schon am Tag vor dem White Day krankmachte, das entzog sich Nozomus Verständnis. Andererseits war es sicher besser, bestimmt griff Zetsu auf seine Erfahrungswerte zurück, denn den ganzen Schultag hindurch, liefen Schülerinnen den Gang hoch und runter und klagten lautstark darüber, dass ihr „Liebling“ nicht da wäre und wie sie ihm nun zustecken sollten, welche Süßigkeit sie am nächsten Tag haben wollten. Nozomu kümmerte sich nicht wirklich darum. Er hatte ohnehin nur zwei Mädchen, denen er etwas schenken musste. Ob er es wollte wusste er nicht genau, aber er musste. Immerhin hatten Nozomi und Satsuki ihm etwas zum Valentinstag geschenkt. Er war nur froh, dass er nichts Großartiges kaufen musste, das ließ sein knappes Budget ohnehin nicht zu. Aber wie sollte er Schokolade oder Kekse hinbekommen? Vom Kochen und Backen verstand er immerhin nicht viel. Irgendwie musste er also improvisieren und wenn es die ganze Nacht dauern würde. „Also, Nozomu-kun, denk daran“, erinnerte Satsuki ihn noch einmal, bevor sie sich am Abend trennten, „ich will nur Süßes in denen nicht zu viel Zucker ist. Sonst werde ich dick und unansehlich.“ Nozomi schnaubte. „Wenn du dich beim Essen zurückhalten oder mehr Sport machen würdest, müsstest du dir darum keine Gedanken machen, Senpai.“ „Oh, ich mache schon genug Sport“, versicherte die Schülersprecherin ihnen. „Welchen?“, fragten Nozomi und Nozomu gleichzeitig. Sie lachte nervös. „Oh, nicht so wichtig.“ Die beiden Kindheitsfreunde warfen sich einen Blick zu. Beiden war klar, dass Satsuki etwas vor ihnen verheimlichte, aber sie ließen es erst einmal gut sein und verabschiedeten sich von ihr. Zusammen liefen Nozomu und Nozomi den Rest des Weges nach Hause. „Soll ich dir vielleicht helfen, Nozomu-chan?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich schaffe das schon irgendwie allein, keine Sorge.“ Sie lächelte. „In Ordnung. Aber ich hole dich morgen früh ab, damit du nicht verschläfst, ja?“ „Nein, das muss auch nicht sein. Wir sehen uns dann ja in der Schule.“ Sichtlich enttäuscht verabschiedete sie sich schließlich von ihm. Er betrat sein Haus und zog sich erst einmal um. So, jetzt zu den wichtigen Dingen. Eigentlich müsste ich noch ein Kochbuch haben – irgendwo. Seine Mutter hatte einst ein Kochbuch für Schokolade und Kekse gekauft, also musste es auch irgendwo noch sein. Die Frage war nur: Wo? Fragen konnte er sie nicht. Genau wie sein Vater war sie vor wenigen Jahren in einem Kriegsgebiet während ihrer Arbeit als Reporterin verschwunden. Obwohl sie offiziell als vermisst und nicht als tot galten, wusste er tief in seinem Inneren, dass sie nicht mehr am Leben waren und nie nach Hause zurückkehren würden. Inzwischen hatte er diese Tatsache akzeptiert und sich damit abgefunden. Satsuki und Zetsu hatten ihm gezeigt, dass man keine Eltern brauchte, um glücklich sein zu können. Und wenn die Sehnsucht nach Autoritätspersonen doch mal zu groß wurde, hatte er immer noch die Nagamines oder Tsubaki Sanae, seine Lehrerin, die ein Freund seines Vaters gewesen war. Aber im Moment könnte er jemanden brauchen, der ihm sagte, wo das Kochbuch abgeblieben war. Nachdem er das Buch gefunden hatte, hatte er die ganze Nacht gekocht und gebacken. Aber das Ergebnis war ungenießbar. Die Schokolade schmeckte mehlig und alt, die Kekse nach Papier, sofern sie nicht zerbröselten, bevor man sie in den Mund bekommen hatte. „Oh Mann... das kann ich niemandem schenken. Was mach ich jetzt?“ Vielleicht komm ich davon, wenn ich in der Schule einschlafe? Müde genug bin ich ja. Seufzend machte er sich auf den Schulweg, bevor Nozomi oder Satsuki auf die Idee kamen, ihn abzuholen und ihre Geschenke gleich einzufordern. Es war seit langer Zeit das erste Mal, dass er unter den ersten Schülern in der Schule war. Von seiner Klasse war sogar noch niemand da, zumindest nicht im Eingangsbereich. Frustriert öffnete Nozomu sein Fach – und zuckte erschrocken zusammen. „Huh? Was...?“ Jemand hatte ihm zwei Tüten mit Keksen und weißer Schokolade in sein Fach gelegt. Neugierig nahm er den Zettel, der dabeilag an sich. Da ich mir denke, dass du das mit den Keksen und der Schokolade nicht hinbekommst, habe ich mir erlaubt, dir die Arbeit abzunehmen. Du willst es dir doch nicht mit Nagamine oder Senpai verscherzen, oder? Sag einfach, dass du es gemacht hast. Zetsu Nozomu schmunzelte. „Auf dich kann ich mich eben immer verlassen. Selbst, dass du dich nicht auf mich verlässt, Zetsu.“ Zufrieden nahm er die Tüten an sich und ging in sein Klassenzimmer. Ich darf nicht vergessen, Zetsu zu danken, wenn ich ihn wieder sehe. Ich frage mich nur, wann er das alles hergebracht hat. Während er die Eingangshalle verließ und sich weiterhin fragte, wie Zetsu das wohl angestellt hatte, bemerkte er nicht, wie ein schwebendes Wesen mit lavendelfarbenem Haar ihm zufrieden hinterhersah. Auftrag erledigt, Meister Zetsu. Damit verschwand sie, ohne dass überhaupt irgendjemand Notiz von ihr genommen hatte. Füreinander bestimmt -------------------- Es kam nicht oft vor, dass die königliche Familie Aigears einen gemeinsamen Ausflug mit der Kutsche unternahm, besonders nicht seit der Geburt ihrer Tochter Katima, was auch schon fünf Jahre her war. Zum ersten Mal sah das kleine blonde Mädchen die Stadt und ihre Bewohner aus der Nähe – wenn auch nur durch das Fenster der königlichen Kutsche. Ihre blauen Augen leuchteten, während sie den Blick schweifen ließ, um so viel wie möglich von dem zu sehen, was es zu sehen gab. „Aaaaaah, Mama, schau! Da läuft ein Hund, schau!“ Begeistert deutete sie auf einen braunen Streuner, der mit heraushängender Zunge an der Kutsche entlanglief und dieser zu folgen schien. Die Königin lachte leise über das Verhalten ihrer Tochter. Katima war ein Geschenk des Himmels gewesen und genau so wurde sie auch behandelt. Abgesehen davon, dass man sie in den ersten fünf Jahren quasi im Schloss eingesperrt hatte, damit ihr nichts passieren würde. Die königliche Familie verfügte über genug Feinde, die ihnen schaden könnten und man wollte ihnen keine Möglichkeit geben, das durch Katima zu tun. Bislang machte die Prinzessin sich nichts daraus, für sie war das Schloss und der Grund noch groß und voller Abenteuer und Geheimnisse. Aber wie lange würde das noch anhalten? Um ihr ein wenig Abwechslung zu bieten, hatte die Familie an diesem Tag beschlossen, einen Ausflug zu machen. Immerhin sollte Katima irgendwann Königin werden und dafür musste sie gut vorbereitet sein und auch wissen, was ihr Volk beschäftigte und wie es lebte. Erst im Marktbezirk hielt die Kutsche an und ließ die königliche Familie aussteigen. Die Prinzessin kniete sich sofort zu dem Hund, der mit wedelndem Schwanz stehengeblieben war. Lachend strich sie ihm über den Kopf. „Awwww, er ist so weich! Wie schön.“ „Prinzessin, macht Euch nicht das Kleid schmutzig!“ Das Kindermädchen kniete sich neben sie und zupfte an dem vornehmen blauen Stoff herum. Das Mädchen kümmerte sich aber nicht darum, sondern streichelte lieber den Hund weiter. „Und seid vorsichtig!“, fuhr das Kindermädchen fort. „Er könnte Flöhe haben.“ Sie wurde nach wie vor ignoriert, erst als die Königin nach ihr rief, horchte die Prinzessin auf: „Katima, kommst du?“ Ihre Eltern sahen zu ihr hinüber. Sie stand wieder auf. „Ja, ich komme!“ Erleichtert stand das Kindermädchen auf und lief bereits voraus. Katima wollte ihr folgen, wandte sich vorher aber noch einmal an das Tier, von dem sie sich verabschieden wollte. Der Hund bellte und lief in eine dunkle Gasse. Kurz davor blieb er noch einmal stehen und sah sich zu ihr um. Scheinbar wollte er, dass sie ihm folgte. Katima vergaß ihre Eltern und lief dem Hund lächelnd hinterher. Die Königin und das Kindermädchen riefen ihr noch etwas hinterher, aber das hörte sie schon nicht mehr. Immer wieder blieb der Hund mit wedelndem Schwanz stehen, um sicherzugehen, dass sie ihm noch folgte. Sie empfand es als eine Art Spiel, weswegen sie ihm lachend folgte. Sie dachte nicht an das, was alles passieren könnte, in ihrer heilen kleinen Welt existierte das Böse noch nicht. Vor einer Frau in einer schwarzen Robe blieb der Hund wieder stehen. Katima blieb ebenfalls stehen und sah die Frau neugierig an. Die zu der Robe gehörige Kapuze war tief in die Stirn gezogen, aber dennoch konnte die Prinzessin sehen, dass die Frau sehr hübsch war. „Prinzessin Katima Aigears...“ Auch die Stimme der Unbekannten klang melodisch und erweckte Vertrauen in dem Mädchen. Sie nickte lächelnd. „Ja, das bin ich.“ Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht der Frau. „Ich freue mich, Euch hier zu treffen. Aber Ihr solltet nicht allein in dunklen Gassen herumlaufen.“ Katima lachte. „Ich bin nicht allein. Du und der Hund seid doch da!“ Für einen Moment herrschte perplexes Schweigen, dann begann auch die Unbekannte zu lachen. „Eine sehr interessante Logik, Eure Hoheit. Darf ich Euch eine Frage stellen?“ „Natürlich.“ Die Frau neigte zufrieden den Kopf. „Es geht um Eure Zukunft. Habt Ihr eine Vorstellung davon?“ Katima nickte eifrig. „Ich werde später mal Königin und dann werde ich einen gutaussehenden Ritter heiraten, so einen wie den in meinen Träumen.“ Ihre Augen leuchteten wieder, die Frau schien noch um einiges zufriedener zu sein. „Was für ein Ritter denn?“ Die Prinzessin lächelte, es war das erste Mal, dass jemand sie danach fragte, alle anderen hatten ihre Träume nur als Fantasiegespinste abgetan. „Er ist groß und stattlich, hat langes dunkelblondes Haar, braune Augen und ist ein guter Schwertkämpfer. Außerdem ist er sanft und nett und er wird immer auf mich aufpassen.“ Sie lachte vergnügt, während sie an diese Traumgestalt dachte, von der sie absolut hingerissen war. Auch wenn sie noch ein Kind war, so hoffte sie doch, dass sie diesen (oder zumindest einen ähnlichen) Mann eines Tages finden würde. Tief in ihrem Inneren fühlte sie, dass er sie beschützen und nie unglücklich machen würde. Und da dieses Gefühl so tief in ihr wurzelte, musste es wahr sein, also musste es ihn geben und sie würde ihn finden, wo oder wann auch immer. Die Frau in der Robe nickte lächelnd. „Eure Hoheit, vergesst diesen Traum niemals und denkt daran, wenn Ihr diese Person treffen solltet.“ „Also werde ich ihn treffen?“, fragte Katima hoffnungsvoll. Ein leises Lachen erklang. „Das kann ich Euch nicht sagen, aber gebt das Träumen nicht auf. Manchmal werden Träume wahr, denkt daran.“ Die Prinzessin wollte noch etwas sagen, aber die Stimme ihres Kindermädchens lenkte sie für einen Moment ab. Als sie wieder zu der Frau sah, war diese verschwunden. Doch statt Verwunderung war sie begeistert davon. Das muss echte Magie sein! Toll! Der Hund saß mit wedelndem Schwanz vor ihr und sah sie erwartungsvoll an. Katima streichelte ihn noch einmal, bevor sie zu ihrem Kindermädchen zurückging. „Tut mir Leid, dass ich weggelaufen bin.“ „Macht das bitte nicht noch einmal, Prinzessin.“ „Nie wieder“, versprach Katima lächelnd. Sie winkte dem Hund zu, ergriff dann die Hand des Kindermädchens und ging gemeinsam mit ihr davon, zurück zu ihren Eltern, ohne zu wissen, dass sie diese Begegnung bald schon wieder für viele Jahre vergessen würde. Bis zu dem Tag, an dem sie auf der Aussichtsplattform von Cresting das erste Mal auf Cynard Asturions treffen und bald darauf auch wieder eines wissen würde: Manchmal werden Träume wahr. Nur ein Scherz(?) ----------------- Neugierig sah sich Nozomu in Zetsus Apartment um. Es bestand gerade mal aus einem kleinen Flur, einem Zimmer, so wie einem Bad und einer kleinen Küche. Aber dem Silberhaarigen schien es zu reichen, immerhin lebte er ja auch alleine. Für Nozomu, der allein in einem Haus wohnte, war es dagegen schon zu klein. Über kurz oder lang hätte er in diesem Apartment mit Sicherheit Raumangst bekommen. Zusammen saßen er und Zetsu auf dem Boden an einem kleinen Tisch. Der Silberhaarige verfügte erstaunlicherweise über keinen Fernseher und auch keine Stereoanlage oder sonst irgendeinen Luxus, den man in anderen Zimmern von Jugendlichen erwarten würde. Dabei arbeitete er so hart... ging das wirklich alles allein fürs Überleben drauf? Immerhin schien Zetsus Kühlschrank gut gefüllt zu sein, denn sie saßen beide bereits an ihrer zweiten Portion Reis und Rindfleisch. Ob Zetsu sein Geld lieber für das teure Fleisch ausgab, statt für Unterhaltungselektronik? Warum kaufte er nicht einfach Fisch? Der war um einiges billiger. Da ihn diese Frage nicht losließ, stellte Nozomu sie schließlich, worauf Zetsu lachte. „Das ist ganz einfach. Ich mag keinen Fisch, Fleisch aber schon. Und außerdem kommen bei Fleisch keine weiteren Kosten dazu, wenn ich es mal gekauft habe.“ Nozomus fragender Blick, brachte ihn dazu, weiter zu erklären: „Das Fleisch esse ich einfach, aber ein Fernseher muss ans Stromnetz angeschlossen werden, was meine Energierechnung in die Höhe schnellen lassen würde. Außerdem hätte ich ohnehin kaum Zeit zum Fernsehen, ich muss ziemlich viel arbeiten und lernen.“ „Und heute nicht?“ Zetsu hatte ihn aus eigenem Antrieb zum Abendessen und zur Übernachtung eingeladen, was Nozomu überrascht und gewundert hatte. Er war mit dem Silberhaarigen befreundet, aber dennoch kam ihm dieser immer ein wenig distanziert und eigenbrötlerisch vor. Dennoch (oder gerade deswegen) hatte er nicht lange gezögert und Zetsus Einladung angenommen. Satsuki und Nozomi hatten darüber wieder ihre „Nozomu liebt Zetsu“-Witze gerissen und wahrscheinlich grinsten sie immer noch bei dem Gedanken, aber Nozomu ging es mehr darum, dass ihn Zetsus Apartment interessiert hatte. Er stand nicht auf Männer, also warum sollte er etwas mit seinem besten Freund anfangen? Der Silberhaarige lachte. „Nein, heute nicht. Manchmal habe sogar ich frei. Also dachte ich mir, ich könnte ja dich mal einladen. Immerhin sind wir Freunde, nicht?“ Nozomu nickte. „Stimmt.“ Für eine Weile herrschte Schweigen in der Wohnung, das nur von einer tickenden Uhr unterbrochen wurde. Nozomu hatte die Uhr genauer in Augenschein genommen, während Zetsu das Essen gemacht hatte und sich darüber gewundert. Das Ziffernblatt bestand aus 13 Zahlen, so dass sie natürlich nicht die richtige Zeit anzeigen konnte. Durch das gläserne Gehäuse hatte Nozomu auch das Innenleben begutachten können, aber selbst das hatte ihn mit mehr Fragen als Antworten zurückgelassen. Normalerweise bestanden Uhren aus einem kunstvollen Geflecht von ineinander übergreifenden Zahnrädern und anderem kleinen Schnick-Schnack, aber diese Uhr... Nozomu verstand die Funktionsweise nicht und etwas tief in ihm hielt ihn davon ab, Zetsu danach zu fragen. Es war eine unbegründete Furcht, aber es schien ihm, dass etwas Schlimmes geschehen würde, sobald er die Wahrheit hinter dieser Uhr kannte. Also speicherte er es unter Seltsamkeiten ab und versuchte, nicht mehr daran zu denken. Schließlich beendete Zetsu sein Essen und schob die leere Schüssel von sich. Mit ungewohnt ernstem Gesicht sah er auf den Tisch hinunter. „Nozomu, ich muss dir etwas sagen.“ Der Braunhaarige schob ebenfalls seine leere Schüssel von sich und sah seinen Freund fragend an. „Was gibt’s denn?“ Es musste etwas Schlimmes sein, wenn sogar Zetsu sich so ernst verhielt. „Ich habe dich nicht ohne Hintergedanken eingeladen.“ Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Nozomus Magen aus, aber er schob es auf Zetsus Kochkunst (von der er ohnehin nicht überzeugt war). Er schwieg, der Silberhaarige fuhr fort: „Und ich habe mich auch nicht ohne Hintergedanken mit dir angefreundet.“ Nozomu lachte nervös, um das ungute Gefühl in seinem Inneren zu verdrängen. „Willst du jetzt etwa über mich herfallen?“, krächzte er mit brüchiger Stimme. Er wollte sich selbst dafür schlagen, aber Zetsu lachte leise. Doch das Lachen war humor- und leblos, ganz anders als das, das er sonst zur Schau trug. „Nein, das nicht.“ Er hob den Blick und sah Nozomu direkt an. Seine blauen Augen glitzerten kalt, sein Lächeln wirkte bösartig und hinterhältig. Die Worte aus seinem Mund raubten Nozomu fast den Atem: „Ich werde dich töten, Setoki.“ Nozomus Hals zog sich zu. Hatte er eben richtig gehört? Zetsu wollte ihn umbringen? Aber weswegen? Was hatte er dem Silberhaarigen getan? Sie waren doch Freunde... Die Fragen drehten sich in seinem Kopf, während sein Gegenüber ihn mit unveränderter Miene musterte. Doch plötzlich verzog sich Zetsus Mund zu einem richtigen Lächeln, im nächsten Moment begann er herzhaft zu lachen. Nozomu blinzelte verwirrt. „Huh?“ „Das war nur ein Scherz“, brachte Zetsu hervor. „Warum sollte ich dich denn umbringen, hm?“ Unauffällig atmete der Braunhaarige aus. „Na ja, ich weiß auch nicht... das habe ich mich ja auch gefragt. Aber ich fand das nicht lustig.“ Schlagartig verstummte Zetsus Lachen, entschuldigend sah er seinen Freund an. „Es tut mir Leid. Das war wirklich nicht ernst gemeint, ich wollte dich nur ein wenig ärgern.“ „Wie immer halt“, grummelte Nozomu. „Ganz genau. Und wie immer bist du darauf hereingefallen. Bin ich so überzeugend?“ Sein Freund nickte bestätigend, was Zetsu durchaus zu freuen schien. Er lächelte vergnügt. „Gut zu wissen. Gut, was machen wir jetzt?“ Einige Stunden später lagen beide auf einem Futon im Dunkeln. Während Nozomu bereits schlief und immer wieder leise seufzte, starrte Zetsu an die Decke. In seinem Kopf warf er die Gedanken hin und her, wägte das Für und Wider gegeneinander ab und kam schließlich so wie immer zu dem Schluss, dass es notwendig war – und zwar schnell. Er setzte sich auf und warf einen kühlen Blick auf den schlafenden Nozomu hinunter. Der Junge hatte keine Ahnung, wer er mal gewesen war und neben wem er da eigentlich gerade schlief. Zetsu beneidete ihn ein wenig darum. Was gäbe er dafür, das alles einfach vergessen zu können und ein ganz normales Leben zu führen? Stattdessen zog er aus dem Nichts ein Masamune, das im einfallenden Mondlicht silbern leuchtete. Vorsichtig, um Nozomu nicht zu wecken, legte er die Klinge an den Hals des Jungen. Dann besann er sich anders, hob den Arm, so dass die Spitze auf Nozomus Körper zeigte und bewegte sie zu dessen Brustkorb weiter. Er müsste nur noch zustoßen und schon hätte er sein Ziel erreicht und er könnte endlich den letzten Teil seines Plans verwirklichen. Noch einmal sah er das bleiche Gesicht und den geschockten Ausdruck vor sich, nachdem er ihm diese Tat angekündigt hatte, gefolgt von dem erleichterten Aufatmen, als es sich nur als Scherz herausgestellt hatte. Nozomu hatte nicht ahnen können, dass Zetsu es sehr wohl ernst meinte. Nur deswegen war er doch in diese Welt gekommen. Nur noch eine kleine Bewegung... Doch sein Arm rührte sich nicht. Jede Faser seines Körpers sträubte sich dagegen, Nozomu in diesem arglosen Zustand auch nur zu verletzen. Leise seufzend ließ er das Schwert wieder verschwinden. „Ich hasse dich, Nozomu...“ Der immer noch schlafende Junge registrierte die Worte nicht, drehte sich stattdessen auf die Seite, ohne sich stören zu lassen. Zetsu schüttelte seinen Kopf und legte sich wieder hin. Mit gemischten Gefühlen betrachtete er Nozomus Hinterkopf. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, Setoki. Du solltest lieber bereit sein, wenn ich ernst mache. Damit drehte er sich auf die andere Seite und glitt bald ebenfalls in einen traumlosen Schlaf. „Sie mag Erdbeeren.“ -------------------- Landis schirmte seine Augen vor der Sonne ab und blickte an dem Berg hinauf. „Da oben? Wirklich?“ Eneko nickte. „Zumindest wenn Cynard recht hat.“ „Uh... wie soll ich da hochkommen?“ Seine Entschlossenheit schwankte angesichts dieses Hindernis, aber erneut kam ihm ihr Gesicht in den Sinn. Also blieb ihm nichts anderes übrig, er musste da hoch. Eneko schüttelte sich, als er an der Wand hochzuklettern begann. „Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“ Natürlich bin ich sicher. Sie verschwand mit einem Seufzen, während er sich bei seiner Kletteraktion die Hände aufschürfte. Doch er verdrängte den Schmerz, als er wieder ihr Gesicht vor sich sah. Er konnte nicht einfach aufgeben, besonders nicht, nachdem er schon so weit gekommen war. Wenngleich weit in diesem Fall relativ war. Eigentlich hatte er lediglich Cynard gefragt, ob es so etwas in dieser Welt gab und war dann auf dessen Anraten losgezogen, aber der Weg zu diesem Berg war recht weit und kompliziert gewesen, also war er wohl doch weit gekommen. Hastig verdrängte er die Gedanken und kletterte weiter. Ein normaler Mensch hätte das ohne Ausrüstung oder gar vorherige Klettererfahrung nie geschafft, doch Landis zog Energie aus seinem Shinken, was ihn schließlich an die Spitze des Bergs brachte. Der Effekt seiner Waffe ließ nach, erschöpft blieb er für einen Moment sitzen. Anstrengend... ich werde nie wieder klettern. Schließlich stand er wieder auf und lief weiter. Es dauerte nicht lange, bis er das Gesuchte tatsächlich fand: „Endlich, die Erdbeeren!“ Ein verwildeter Strauch dieses Gewächses befand sich hier, genau wie Cynard gesagt hatte. Dabei war Landis' größte Befürchtung gewesen, dass sich der Ritter geirrt haben könnte. Die Frucht hieß in dieser Welt vollkommen anders, es wäre gut möglich gewesen, dass er sich falsch ausgedrückt und Cynard etwas anderes verstanden hatte. Glücklich pflückte Landis einige der Früchte und legte sie in einen eigens dafür mitgebrachten Lederbeutel. Wie kommen wir jetzt am besten wieder runter? „Dort hinten gibt es einen steilen Weg ins Tal hinunter. Allerdings müssen wir dann einen seeeeeehr großen Umweg zu Monobe nehmen.“ Na ja, was anderes bleibt uns wohl nicht übrig. Runterklettern ist schlimmer als hoch. Entschlossen folgte er Enekos Anweisungen, die ihn in die richtige Richtung führte. Manchmal fragte er sich, woher sein Shinjuu sich so gut in Gegenden auskannte, in denen er noch nie zuvor gewesen war. Eneko hatte ihm noch nie darauf geantwortet, aber Rehme hatte ihm den Hinweis gegeben, dass es wohl mit ihrer Fähigkeit die Gedanken und Gefühle von toten Seelen aufzufangen und widerzugeben. Ein tiefes Knurren ließ Landis innehalten. Uh, was ist das? „Klingt nach einem wilden Tier.“ Er wandte den Kopf und erblickte eine ihm unbekannte gelbe Wildkatze mit schwarzen Streifen. Die Pranken schienen größer zu sein als Landis' Kopf und das Gebiss als ob es spielend jeden Knochen zermalmen könne. „Oh-oh... liebes Kätzchen?“ Das Tier knurrte noch einmal. „Böses Kätzchen...“ Unvermittelt rannte Landis los, die Wildkatze folgte ihm mit riesigen Sprüngen. Kannst du nichts tun, Eneko? „Was denn? Soll ich sie anfauchen?“ Wofür habe ich dich eigentlich? Er hörte, wie Eneko schnaubte, dann blieb sie stumm. Er kümmerte sich nicht darum, konzentrierte sich lieber auf den Weg vor sich. Modernde Baumstämme lagen in unregelmäßigen Abständen als Hindernis vor ihm, über die er erst drüberklettern musste. Allerdings ging es der Wildkatze auch nicht sonderlich besser, so dass kein großer Zeitverlust entstand. Er lief weiter – und spürte plötzlich, wie der Boden unter seinen Füßen wegbrach. Mit einem überraschten Schrei stürzte er hinab. Als die Benommenheit von ihm abfiel, sah er sich um. Er lag in einer Höhle, durch die Öffnung in der Decke fiel Licht, der Rest war in Dunkelheit getaucht. Die Wildkatze lief nervös um die Öffnung herum und sah immer wieder hinunter, wobei sie ein Fauchen ausstieß. Die wäre ich wenigstens los. Aber was mache ich jetzt? Eneko antwortete darauf nicht, vermutlich war sie immer noch eingeschnappt. Seufzend richtete er sich auf. Er spürte keine Schmerzen, das war zumindest etwas Positives. Besorgt sah er nach den Erdbeeren, aber auch diesen ging es bestens, als ob er sie gerade eben erst eingesteckt hätte. Erleichtert machte er sich auf den Weg, den Ausgang zu finden, obwohl er bereits nach wenigen Schritten nichts mehr sehen konnte. Wie unpraktisch. Vorsorglich hatte er eine Packung Streichhölzer eingesteckt, die er nun suchte. Mit einem Lächeln auf den Lippen, zog er sie heraus und entzündete eines der Hölzer. Das Licht reichte nicht weit, aber immerhin verhinderte er so, gegen etwas zu laufen oder in ein Loch zu stürzen. Nach wenigen Metern verlöschte das Licht wieder. Landis seufzte und wollte ein neues Streichholz anzünden, als er hinter sich plötzlich etwas Leuchtendes bemerkte, gefolgt von einem tiefen Knurren. Nur zögernd wandte er den Kopf – und hielt augenblicklich die Luft an. Hinter ihm stand ein fischähnliches Monster aus dessen Stirn ein Fühler wuchs. Am Ende des Fühlers befand sich eine Art Laterne, die ein schwaches, rötliches Licht von sich gab. Das Wesen knurrte noch einmal. Mit einem erschrockenen Schrei ließ Landis die Streichhölzer fallen und rannte davon. Das Monster lief hinter ihm her und gab dabei seltsame Geräusche von sich, die er nicht einordnen konnte – und das eigentlich auch gar nicht wollte. Bereits zum zweiten Mal an diesem Tag verlor er plötzlich den Boden unter den Füßen und fiel in die Tiefe. Das Wesen folgte ihm nicht, was ein Glücksfall war, denn diesmal spürte er einen heftigen Schmerz in seinem rechten Arm, sein linkes Bein fühlte sich taub an. Er richtete sich wieder auf und humpelte weiter, einfach liegenzubleiben konnte er sich auch nicht leisten. Zu seinem Glück fand er kein weiteres Ungetüm, aber dafür schon bald den Ausgang aus der Höhle. Erleichtert atmete er auf, als er wieder ins Freie trat. Sein Blick ging weit über die Ebene, in einiger Entfernung konnte er Monobe erkennen. Puh, endlich. Noch einmal stellte er sicher, dass es den Erdbeeren gut ging, dann begab er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht in Richtung der Monobe-Akademie. Jatzieta starrte ihn schockiert an. „Landis, was ist denn mit dir passiert?“ Der Junge war über und über voller Schmutz, in seinen Haaren hingen Blätter und kleine dornige Äste. Sein rechter Arm war noch dazu aufgeschlagen und blutig. Er lächelte verlegen und erzählte ihr in Kurzform, was alles geschehen war. Sie hörte ihm aufmerksam zu, während sie sich vorsichtig um seine Verletzungen kümmerte. „Verstehe~ Warst du schon bei Ruputna?“ Er nickte. „Ja, aber sie schläft gerade, also bin ich erst hierher gekommen.“ „Erhoffst du dir etwas davon?“, fragte Jatzieta kichernd, mit dem typischen zweideutigen Unterton in ihrer Stimme. Landis schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Ich habe das ohne Hintergedanken gemacht.“ Überrascht blickte sie ihn an. „Ohne Hintergedanken? Bist du sicher, dass du ein Mann bist?“ Mit einem schiefen Grinsen nickte er. „So ziemlich.“ „Aber warum hast du es dann gemacht?“, fragte sie verständnislos. Er zuckte mit den Schultern. „Sie mag Erdbeeren.“ Freitag, der Dreizehnte ----------------------- „Yuuto-sama, wollt Ihr wirklich nicht rauskommen?“ Ratlos stand Espelia vor der geschlossenen Zimmertür. Ihr Befehlshaber hatte sich in seinem Zimmer verbarrikadiert und weigerte sich beharrlich, dieses auch nur für eine Minute zu verlassen. Nicht einmal sein Frühstück, das noch immer auf dem Boden vor der Tür stand, hatte er angerührt. Langsam machte Espelia sich Sorgen – und vor allem sollten sie an diesem Tag eigentlich wieder in den Krieg ziehen, wobei Yuuto sie anführen sollte. Aber wie sollte er das machen, wenn er in seinem Zimmer bleiben würde? „Ich bleibe hier drinnen!“, verkündete er. „Den ganzen Tag, bis Mitternacht!“ Orupha gesellte sich zu Espelia. „Was hat Papa denn?“ Espelia hob ratlos die Schultern. „Ich weiß es nicht. Er sagt es mir nicht.“ Das kleine Mädchen hämmerte kurzentschlossen gegen die Tür. „Papa! Warum kommst du nicht raus!?“ „Habt ihr schon mal auf den Kalender geschaut?“, stellte er als Gegenfrage. Die beiden Spirits sahen sich ratlos an. Espelia legte den Kopf schräg. „Heute ist der Dreizehnte, und?“ „Heute ist Freitag, der Dreizehnte!“, erwiderte er leicht gereizt. „Und?“, fragten die beiden Spirits gleichzeitig. Er stöhnte genervt. Für ihn war der Zusammenhang offensichtlich, für die Spirits allerdings nicht. In Phantasmagoria gab es diesen Aberglauben immerhin nicht. „An einem solchen Tag geschehen immer schlimme Dinge! Ich setze keinen Fuß vor die Tür, sonst müssen wieder Leute wegen mir sterben!“ Espelia und Orupha sahen sich erneut verwirrt an. Von einem solchen Aberglauben hatte keine von beiden je gehört. Und wie sollte man den davon überzeugten Yuuto von dieser Sache abbringen? „Und jetzt lasst mich allein!“, rief er ihnen durch die Tür zu. „Sonst passiert euch doch noch etwas!“ „Wie Ihr wollt, Yuuto-sama.“ Espelia verneigte sich vor der geschlossenen Tür und ging davon. Orupha warf einen traurigen Blick auf das Holz und folgte Espelia. Die Dritte im Bunde, Aselia, wartete bereits vor dem Haus auf die beiden. Ihr betont kühler Blick suchte nach Yuuto. Als sie ihn nicht fand, legte sie den Kopf schräg. „Wo ist er?“ Espelia zeigte wieder auf das Haus. „Er bleibt heute hier, es geht ihm nicht so gut.“ Es war besser, ihr nichts von diesem Aberglauben zu erzählen, sie würde es ohnehin nicht verstehen und interessieren tat es sie auch nicht. Wie Espelia erwartet hatte, zuckte Aselia mit den Schultern. „Dann gehen wir ohne ihn.“ Sie hatte ihn bis zu seiner Ankunft nicht gebraucht und sie würde ihn auch nach wie vor nicht brauchen. Espelia und Orupha nickten. „Gehen wir.“ Gemeinsam begaben die drei sich auf das Schlachtfeld. Yuuto saß unterdessen in seinem Zimmer und sah den Spirits aus seinem Fenster hinterher. „Endlich sind sie weg.“ In seinem Inneren hörte er wie 'Motome' humorlos lachte. „Ich treffe selten solche Idioten wie dich. Dass so jemand wie du mein Meister ist, ist geradezu beschämend.“ „Wenn ich nicht wäre, würdest du niemanden treffen“, knurrte Yuuto wütend. Er hasste dieses Schwert aus tiefster Seele, aber solange seine Schwester nicht in Sicherheit war, musste er sich damit arrangieren. 'Motome' lachte wieder, aber Yuuto wusste, dass es nur wütend war und nicht anders zu reagieren wusste. Normalerweise schickte er ihm dann Schmerzen, aber langsam schien das dem Schwert wohl keinen Spaß mehr zu machen. Von einem unguten Gefühl getrieben, hob Yuuto plötzlich den Blick zum Himmel. Die restliche Farbe verschwand aus seinem Gesicht. „Das kann doch nicht sein...!“ Ein Komet raste aus dem Himmel direkt auf die Hütte hinunter, zumindest wenn Yuuto die Flugbahn richtig einschätzte. 'Motome' lachte noch einmal. „Das beendet unsere Zusammenarbeit wohl.“ Yuuto knurrte wieder, ihm blieb allerdings nicht mehr viel Zeit, anders zu reagieren. Ich habe doch gewusst, dass Freitag, der Dreizehnte nur Unglück bringt, war sein letzter Gedanke, bevor der Komet das Haus und den verbliebenen Bewohner unter sich begrub. Vergnügt kichernd legte Shun das Fernrohr wieder weg. Endlich war sein größter Traum in Erfüllung gegangen, heute Abend würde er ausgiebig feiern müssen, denn wie oft in einem Leben geschah so etwas schon mal? Uruca hob eine Augenbraue, während sie seinem anhaltendem Kichern lauschte. „Alles in Ordnung, Meister Shun?“ „Aber sicher doch“, antwortete er. „Wie wir erwartet haben, hat der Komet genau das Haus getroffen, in dem sich Yuuto aufhielt – und wie ich ihn kenne, hat es ihn dabei auch erwischt.“ Immerhin war heute Freitag, der Dreizehnte und Yuuto vermied prinzipiell alles, was Unglück brachte. Uruca zog die Mundwinkel nach oben, aber ein richtiges Lächeln entstand dabei nicht. „Dann könnt Ihr ja glücklich sein, Meister.“ „Und wie ich das bin. Sag dem Koch, ich will heute Filetsteak essen.“ Sie verneigte sich und ging gehorsam davon. Zufrieden lehnte Shun sich auf seinem Stuhl zurück. „Oh ja, so fühlt es sich an, wenn man ein Gewinner ist.“ Ihr letzter Wunsch ------------------ Erschöpft stolperte sie durch den Wald. Dabei hielt sie sich den linken Arm, aus dem immerfort Mana strömte, ohne dass sie es verhindern konnte. Aber wenigstens war sie nun in Sicherheit, auch wenn sie nicht wusste, in welcher Welt sie gelandet war. In ihrer Panik hatte sie einfach einen beliebigen Spirit Corridor geöffnet und war geflohen, hatte den Zeitbaum verlassen, damit der Gott der Zerstörung ihr nicht folgen konnte. Dennoch würde sie sterben, das Mana, das geradezu aus ihrem Körper floh und sie immer kraftloser zurückließ, sagte ihr das. Aber immerhin war ihr ihr Orichalcum-Name geblieben, sie würde wiedergeboren werden, um Rache an Jiruol zu nehmen... vielleicht. Schleppend bewegte sie sich weiter, sie seufzte leise. Warum musste sterben so lange dauern? Und warum war sie dabei ganz allein? Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal völlig allein dem Tod ins Auge blicken würde. Andererseits hätte sie aber ohnehin nie geglaubt, irgendwann zu sterben. Sie war nicht umsonst eine Göttin, die allerdings auf der „falschen“ Seite gestanden hatte. Jiruol war stärker als sie alle, das war ihr inzwischen klar. Doch die Erkenntnis kam viel zu spät. Ein leises Geräusch ließ sie innehalten. Vorsichtig wandte sie den Blick zu dem Gebüsch, aus dem das Geräusch gekommen war. Ihr Körper zitterte, während sie sich in allen Farben ausmalte, was sich in diesem Gebüsch alles befinden könnte. Sie atmete erleichtert auf, als schließlich nur ein Kaninchen herauskam – gefolgt von einem Mann. Nervös sprang sie zurück, nur um direkt in die Knie zu gehen. Der Mann, der sie erst in diesem Moment bemerkte, sah sie verwirrt an. „Alles in Ordnung?“ Er wollte näher kommen, doch sie schüttelte den Kopf. „B-bleib weg! Komm nicht näher!“ Ihre Gedanken überschlugen sich, sie konnte nicht mehr klar denken, ihn nicht einmal fragen, ob er wirklich einer ihrer Feinde war. Beruhigend hob er die Hände. „Schon gut, ich tue dir nichts, versprochen.“ „W-wer bist du?“, fragte sie mit zitternder Stimme. Er legte eine Hand auf sein Herz. „Ich bin Vidar. Und du?“ Langsam beruhigten sich ihre Gedanken wieder, ihr Körper zitterte weniger. „Alnine...“ Sie erwartete nicht, dass er ihren Namen kennen würde, was er tatsächlich nicht tat. Aber er kam wieder näher. „Das sieht nicht gut aus. Du bist verletzt.“ Sie schüttelte mit dem Kopf, ihr schwarzes Haar flog dabei wild hin und her. „Nein, i-ich...“ Bevor sie den Satz beenden konnte, knickten ihre Beine unter ihr weg, sie stürzte zu Boden – und landete weich in den Armen von Vidar. Verwirrt sah sie ihn an. „W-wieso...?“ „Shhht, ganz ruhig“, sprach er mit sanfter Stimme. „Sprich nicht so viel.“ Vidar schloss die Augen, grüne Manafunken sammelten sich um ihn herum. Er hat ein Shinken, fuhr es ihr durch den Kopf. Aber er kommt mir nicht wie ein Feind vor. Er ist... so nett. „L-lass das“, flüsterte sie. „Es ist zu spät.“ Alnine wusste bereits, dass nichts und niemand sie mehr retten könnte. Die Verletzungen, die Jiruol ihr zugefügt hatten, waren viel zu tief und zu zahlreich. Als Vidar seine Augen wieder öffnete, sah sie einen traurigen Ausdruck darin. Warum ist er so traurig? Wir kennen uns doch gar nicht... Er machte Anstalten, aufzustehen. „Warte hier, ich hole dir Hilfe. Irgendjemand wird dir schon helfen können, auch wenn ich es nicht kann.“ Gegen ihren Willen klammerte sie sich an ihn. „N-nein, bitte geh nicht. Lass mich... lass mich nicht allein. Ich will nicht... allein sein.“ Warum hatte sie das nur gesagt? Sie kannte ihn ja nicht einmal. Aber besser ein Unbekannter als vollkommen allein zu sterben. Unschlüssig sah er zwischen ihr und der Richtung, in der sie ein Dorf vermutete, hin und her. Ihr flehender Blick schien ihn schließlich nachgeben zu lassen. Er seufzte leise. „Gut, ich bleibe bei dir.“ Sie bedankte sich lächelnd und ließ sich wieder in seine Arme zurücksinken. Ihr Blick ging an ihm vorbei zum sternenübersäten Himmel. „Es ist... wunderschön hier, nicht?“ Vidar nickte. „Ja, ist es.“ Sie schwieg wieder für einen Moment. „Eigentlich... ist sterben gar nicht so schlimm.“ Ob es die sichere Gewissheit war, dass sie sterben würde oder die beruhigende Wirkung seiner Arme, ihr Innerstes fühlte sich auf einmal vollkommen gelassen, vorbei waren die Rachegedanken oder die Furcht davor zu sterben. Vidar sah sie lächelnd an. „Du musst dir auch keine Sorgen machen. Du verschwindest nicht ins Nichts, du hast einen Orichalcum-Namen, also wirst du wiedergeboren werden... und ich bin sicher, dass du dann ein schönes Leben haben wirst.“ Er fragte nicht, woher sie kam und von wem sie derartig verletzt worden war, wofür Alnine ihm dankbar war. Nicht einmal gedanklich wollte sie diesen Kampf erneut durchgehen. Behutsam strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Sie lächelte angestrengt. „Glaubst du das wirklich?“ Sein Lächeln, als er nickte, war so überzeugend, dass sie nicht anders konnte als selbst daran zu glauben. Ja, sie würde mit Sicherheit ein schönes Leben haben, wenn sie erst einmal wiedergeboren war, vielleicht sogar ein Leben, in dem sie ihr Shinken nicht benutzen musste. Lächelnd schmiegte sie sich an ihn. „Ich mag dich... ich wünschte, ich hätte dich früher getroffen.“ Er legte den Kopf schräg. „Du bist wirklich ziemlich seltsam. Wir kennen uns doch kaum.“ „Aber deine Stimme verrät mir, dass du nett bist“, sagte sie leise. „Außerdem bist du bei mir geblieben, statt mich allein zu lassen.“ „Ich... verstehe.“ Doch sein verwirrtes Gesicht sagte genau das Gegenteil. Sie glaubte zu spüren, wie ihr Körper leichter wurde, gleichzeitig verschwanden auch die Sorgen und Bedenken der letzten Zeit. „Ich wünschte, ich hätte dich früher getroffen“, wiederholte sie. „Vielleicht treffen wir uns ja mal wieder“, meinte er aufmunternd. „In einem anderen Leben.“ Lächelnd sah sie ihn an. „Das wünsche ich mir.“ Angestrengt hob sie den Oberkörper, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. Vidars Gesicht wurde schlagartig rot, doch bevor er etwas dazu sagen konnte, sah er nur noch Manafunken in seinen leeren Armen. Alnines Körper hatte sich endgültig aufgelöst. Träge schwebten die Funken in den Himmel davon, Vidar sah ihnen nachdenklich, aber lächelnd hinterher. So kurz diese Begegnung auch gewesen war, diese Alnine hatte etwas in seinem Inneren berührt, wie noch nie jemand zuvor. Diese junge Frau, die sich schwer verletzt einfach einem Wildfremden anvertraut und diesen in den letzten Minuten sogar in ihr Herz geschlossen hatte, nur anhand seiner Stimme. Besonders ihr letzter Wunsch hatte ihn gerührt. Er schloss die Augen und legte eine Hand auf sein Herz, bevor er den Manafunken einen Wunsch hinterherschickte: „Ich wünsche mir auch, dass wir uns wiederbegegnen.“ Selbst wenn sich nur unsere Herzen aneinander erinnern. Begegnung --------- Ein bisschen genervt war er von dieser Welt ja schon. Egal wann er hierher kam, immer schien es einen mittelschweren Konflikt zu geben. Zur Zeit war es irgendeine Eternal namens Sospita, die wohl versuchte, das Urböse zu mimen. Doch was sie da ablieferte war gerade einmal lachhaft. Er konnte darüber nur den Kopf schütteln, einzugreifen lag ihm fern. Dass er diese Welt überhaupt besuchte, war eigentlich etwas, was er nicht tun sollte. Immerhin lag sie außerhalb seines Zeitbaums, in dem gerade ein Krieg tobte. Aber gerade deswegen brauchte er endlich etwas Ruhe und die fand er nur hier. Andere Welten außerhalb seines Reviers kannte er nicht und innerhalb seines Zeitbaums gab es nirgends Ruhe. Wenigstens war es bereits Nacht, so dass niemand ihn sehen konnte. Allerdings würde es nicht mehr lange dauern, bis der Mond aufgehen würde. Und in dieser Nacht sollte es Vollmond geben. Vor seinem Zielort blieb er stehen. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Jemand außer ihm befand sich auch hier. War es ein Freund oder ein Feind? Vorsichtshalber legte er eine Hand auf die Klinge seines Schwertes, bevor er die Grotte betrat. Dunkelheit empfing ihn, aber das Gefühl, dass er nicht allein war, ließ ihn einfach nicht los. Aufmerksam huschten seine Augen umher, doch nicht einmal sie schafften es, die Finsternis zu durchdringen. Er spürte die Bewegung mehr als dass er sie sah. Ohne weiter zu überlegen, zog er sein Schwert. Keine Sekunde zu früh, wie er feststellte. Etwas traf auf seine Klinge und ließ ihn leicht in die Knie gehen. Sein Schwert begann sacht zu glühen – genau wie das seines Gegenübers. Irritiert blickte er erst auf die große Klinge, die er noch nie zuvor gesehen hatte, bevor er deren Träger musterte. Es war eine Frau, deren grüne Augen ihn intensiv musterten. Ihr braunes Haar fiel knapp über ihre Schultern. „Du hast ein Shinken“, bemerkte sie. „Du auch“, erwiderte er monoton. Er kannte diese Frau nicht und er hoffte, dass sie ihn auch nicht erkennen würde – doch seine Hoffnung ging nicht auf. Sie schmunzelte. „Das ist 'Gyouten', nicht? Du musst Rutsuruji sein.“ Seufzend verzog er sein Gesicht. „Richtig geraten.“ „Sehr begeistert siehst du ja nicht aus. Willst du nicht erkannt werden?“ „Eigentlich wollte ich meine Ruhe.“ Sie legte den Kopf schräg. „Stimmt ja, du bist hier weit weg von deinem Zeitbaum. Das hat mich schon ein wenig gewundert.“ Er steckte sein Shinken wieder ein, so dass nur noch ihres leuchtete. „Darf ich dann wenigstens auch deinen Namen erfahren?“ „Aber sicher doch. Ich bin Vartanian.“ Was für ein seltsamer Name. „Wie kommst du an dein Shinken?“, fragte er neugierig. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich bin eine Göttin? Genau wie du.“ Es schien ihm als würde sie nicht die Wahrheit sagen, doch er kümmerte sich nicht darum, besonders nicht, als sie fortfuhr: „Nur bin ich keine Kopie von Jiruol. Schade eigentlich...“ Rutsuruji verzog erneut sein Gesicht. „Sag mir nicht, dass du so etwas sein wollen würdest.“ Sie lächelte ihm zu. „Aber sicher. Es muss doch eine riesige Ehre sein, die Kopie einer solch großartigen Person zu sein.“ „Wenn du meinst“, bemerkte er trocken. Er hasste es, über Jiruol zu reden oder immer nur als dessen Kopie angesehen zu werden. Natürlich war er froh, zu existieren und auch über eine annähernd ähnliche Macht wie Jiruol zu verfügen – aber er war inzwischen eine eigenständige Person. Dennoch wurde er immer nur als Kopie des großen Jiruol behandelt. Sogar Et Ca Repha und die verwaltenden Götter hatten ihn immer als solche bezeichnet. Dabei besaß er einen Namen. Vartanian legte ihren Kopf in die andere Richtung. „Mhm, scheint, du magst ihn nicht besonders.“ „Er ist mir egal.“ Rutsuruji zuckte mit den Schultern und ging an ihr vorbei. Ohne sich weiter um sie zu kümmern setzte er sich auf einen Baumstamm, der in der Grotte lag. Vartanian ließ ihr Schwert sinken, als sie sich ihm zuwandte. „Ah, du bist also hier, um dir das anzusehen, hm?“ „Ich habe doch gesagt, ich will nur meine Ruhe. In meinem Zeitbaum herrscht gerade Krieg, egal, wo ich hingehe, überall finden die anderen Götter mich. Hier suchen sie mich aber nicht.“ Eigentlich hatte er gehofft, dass sie endlich gehen würde, doch stattdessen setzte sie sich neben ihn. Als sie ihr Shinken wieder einsteckte, war alles wieder in Dunkelheit getaucht. „Du hast es wohl nicht leicht, hm?“ Er zuckte nur mit den Schultern. Doch ihr Schmunzeln konnte er trotz der Dunkelheit wahrnehmen. „Na ja, bei uns herrscht auch Krieg“, bemerkte sie beiläufig, worauf von ihm nur wieder ein Schulterzucken folgte. „Du bist schon komisch.“ Er seufzte laut. „Bitte! Ist es so schwer, einfach ruhig zu sein?“ Diesmal war sie es, die mit den Schultern zuckte. Schweigend betrachteten beide den Teich, der sich ebenfalls in dieser Grotte befand. Er musste durch einfallendes Regenwasser entstanden sein, immerhin gab es eine Öffnung an der Decke, durch die Wasser einfallen konnte. Vartanian scharrte mit den Füßen auf dem Boden. Der Anflug eines schlechten Gewissens überkam Rutsuruji, immerhin wusste er nicht, weswegen sie eigentlich hier war, was sie hier suchte. Aber dass sie genau wie so viele andere ein Fan von Jiruol zu sein schien, reichte ihm bereits, sie ihm unsympathisch sein zu lassen. Als ob er keine eigenständige Persönlichkeit hätte und das einzig Gute an ihm die Tatsache, dass er ein Klon war, wäre. Es war nervend – und verletzend. Plötzlich seufzte sie. „Tut mir Leid, dass ich das gesagt habe.“ „Vergiss es“, erwiderte er. „Ich bin das gewohnt.“ Für einen Moment schwieg sie, doch schließlich fuhr sie fort: „Das ist bestimmt nicht einfach.“ Wieder einmal zuckte er mit den Schultern. Sie grummelte leise. „Du bist blöd, weißt du das?“ „Du verhältst dich wie ein Kleinkind“, erwiderte er darauf. Demonstrativ wandte sie sich von ihm ab. Sie murmelte noch etwas, was er allerdings nicht verstand. Warum verschwindet sie nicht einfach? Ein Strahl Mondlicht fiel plötzlich in die Grotte und traf direkt auf das Wasser. Die Pflanzen im Teich reagierten darauf, indem sie das Licht zurückwarfen. Der gesamte Teich wirkte nun illuminiert, aber auch der Rest der Grotte reagierte darauf. Das Moos an den Wänden begann ebenfalls sanft zu glühen. Die blauen Kelche der Blumen, die auf dem Boden wuchsen, schienen ebenfalls von innen heraus zu leuchten. Mit leuchtenden Augen tippte Vartanian gegen eine der Pflanzen. Ein leises Klingen erfüllte die Grotte. Erstaunt blickte Rutsuruji auf die Blumen. Egal wie oft er bislang hier gewesen war, noch nie hatte er das ausprobiert – aber warum auch, mit so etwas hätte er nicht gerechnet. Vartanian bemerkte seinen Blick. Lächelnd sah sie ihn an. „Das sind Glockenblumen, ich muss wohl nicht erklären, woher der Name kommt, oder?“ Er schüttelte seinen Kopf. „Nein, natürlich nicht.“ Es erklärte sich doch von selbst. „Schlauer Junge“, bemerkte sie schmunzelnd. Für eine Weile beobachteten und genossen sie beide schweigend das Spektakel. Doch schließlich stand Rutsuruji seufzend wieder auf. „Ich muss wieder los.“ Vartanian nickte ihm zu. „Ich wünsche dir noch viel Erfolg – aber gegen Jiruol hast du eh keine Chance.“ Er zog ihr eine Grimasse und ging erleichtert davon, damit er endlich wieder allein sein könnte. Ihren ernst gemeinten Abschiedsgruß, den sie ihm hinterherrief, beantwortete er nur mit einem knappen Wink. Noch ahnte er nicht im Geringsten, dass er und Vartanian sich erst in ihrem nächsten Leben wiederbegegnen und sich dann auch noch unsterblich ineinander verlieben würden. Ihre einzig wahre Liebe ----------------------- Die Schüler munkelten bereits seit langem darüber. Geheimnisse waren schon immer interessant gewesen, aber dieses hier erreichte eine völlig neue Ebene von interessant. Die Vorstellung, dass sie nicht nur verliebt war, sondern ihn als ihre einzig wahre Liebe bezeichnete, sorgte für diesen besonderen Status. Dass sie sich überhaupt verlieben konnte, war für viele eine Überraschung, wenngleich besonders für die Jungen eine erfreuliche. Weniger euphorisch dagegen war die Nachricht, dass sie anscheinend bereits jemanden gefunden hatte, den sie als ihre einzig wahre Liebe bezeichnete. Doch nach der ersten Enttäuschung wurde eifrig spekuliert, wer es wohl sein könnte. War es der Brigadeführer Salles? Er verbrachte tatsächlich viel Zeit mit ihr, wenngleich das auch daran liegen könnte, dass sie seine rechte Hand war und daher über seine Entscheidungen Bescheid wissen musste. Außerdem konnte sich keiner der Schüler vorstellen, dass Salles wirklich für irgendjemanden romantische Gefühle aufbringen könnte – dafür wirkte er einfach zu trocken. Aber vielleicht der Bogenschütze Subaru? Man konnte die beiden oft miteinander beobachten, wie sie lachend Geschichten über früher miteinander austauschten. Dagegen sprach allerdings sein Dasein als Android – und sie würde sich doch niemals in ein künstliches Lebewesen verlieben, oder? Möglich wäre auch Sorluska, allerdings sprach nicht nur sein komplettes, respektloses Verhalten ihr gegenüber dagegen, sondern auch die Tatsache, dass er bereits mit Thalia zusammen war – und diese würde das Fremdgehen bestimmt nicht akzeptieren. Wäre er es also, wäre er längst einen Kopf kürzer. Dann war da noch Nozomu, für den ohnehin jedes Mädchen zu schwärmen schien. Aber er zeigte sich eher genervt, als interessiert, sobald es um diese Frau ging – wenngleich das auch nur eine gelungene Methode sein könnte, um von sich abzulenken. Aber er war bereits mit Satsuki zusammen und fremdgehen schien ihm nicht wirklich zu stehen oder gar in den Sinn zu kommen. Zetsu wurde von der allgemeinen Diskussion ausgeschlossen. Man sprach ihm einstimmig einen anderen Frauengeschmack zu, ausgehend von Leana, mit der er (angeblich) eine Beziehung führte. Eine Sache, von der auch noch nicht alle Schüler überzeugt waren. Aber nun, es ging ja aktuell nicht um Zetsu, sondern um sie. Landis, Ruputnas Freund, wurde genau wie Zetsu direkt ausgeschlossen – allerdings nur wegen seinem total ergebenem Verhalten gegenüber seiner Freundin. Landis und fremdgehen? Niemals! Die letzte vorhandene Möglichkeit, die von den Schülern angesprochen wurde, war, dass es eben einer von ihnen war, der als große Liebe angesehen wurde. Es war immerhin von ihr selbst bestätigt worden, dass sich dieser Jemand mit ihnen auf Reisen befinden würde. Aber würde man das der entsprechenden Person nicht auch ansehen? Immerhin müsste er einer der glücklichsten Menschen auf der Monobe-Akademie sein. Da alles spekulieren aber kein Ergebnis brachte, blieb ihnen nur, sie selbst zu fragen. Doch bei jeder vorgeschlagenen Person setzte sie nur ihr vielsagendes Lächeln auf, das jeder als Daneben-Geste erkannte. Und so blieb die Frage, wer denn nun Jatzietas einzig wahre Liebe war. Keiner der Schüler ahnte, dass es sich dabei nicht um eine Person handelte. Und Jatzieta würde sich hüten, irgendjemandem von ihrem geheimen Sake-Vorrat auf der Krankenstation zu erzählen. Sake... ihre einzig wahre Liebe, die für immer halten würde. Ungeschickte Liebesbriefe ------------------------- Der mit viel Gefühl geschwungene Füller tanzte über das Papier und hinterließ dabei Spuren von Tinte, die geschwungene Buchstaben ergaben. All ihre Empfindungen wurden in diesen Zeilen, niedergeschrieben, die in enormer Geschwindigkeit das Blatt füllten. Ihm all das zu sagen, ihm gegenüberzustehen und ihm dabei in die Augen zu sehen, das würde sie niemals können. Zu lange kannten sie sich bereits und die Angst, dass ein solches Geständnis die ganze Freundschaft beenden würde, war viel zu groß, viel größer als das bisschen Mut, das sie dafür aufbringen konnte. Aber die Gefühle konnten auch nicht für immer in ihrem Inneren bleiben, sie mussten raus, irgendwie. Also schrieb sie diese Empfindungen auf, unzählige Blätter voller Wörter, die versuchten, auszudrücken, was sie für ihn fühlte. Doch kein Brief konnte das wirklich. Auch dieser würde dasselbe Schicksal erleiden wie alle anderen davor. Er würde in einen Umschlag gesteckt, dieser würde beschriftet werden und dann würde er in einer Schublade landen, in der sich bereits Dutzende seiner Art befanden. Jeder mit einem anderen Inhalt, anderen Formulierungen, aber immer mit demselben Kern. In jedem einzelnen versuchte sie, diese Gefühle in Worte zu fassen, mal mehr, mal minder erfolgreich. Doch keiner der Briefe war bislang gut genug, um ihn der entsprechenden Person zu geben. Nicht einmal am kommenden Tag, dem Valentinstag. Seit Jahren war es Tradition, dass sie ihm etwas schenkte. Anfangs hatte sie gehofft, dass er damit endlich von selbst einsehen würde, was sie für ihn empfand – doch seine Intelligenz war doch um einiges niedriger, als sie befürchtet hatte. Er hatte tatsächlich angenommen, dass es ein Mitleidsgeschenk war, weil er von den anderen Mädchen nichts bekam. Am Liebsten hätte sie laut geschrien, doch stattdessen hatte sie nur nickend gelächelt und seitdem ging das Spiel jedes Jahr so. Aber sie war sich sicher, dass er eines Tages endlich seinen Irrtum einsehen würde. Vielleicht sogar schon morgen, wenn sie ihm die mit viel Liebe selbstgemachte Schokolade überreichen würde. Schließlich beendete sie den Brief mit einem Herz und ihrem Namen. Routiniert griff sie nach einem Umschlag, faltete das Papier so wie die davor und steckte es in das Kuvert. Abschließend schrieb sie, fein säuberlich, den Namen des Empfängers darauf: Shinsuke Mori. Sie warf einen letzten zärtlichen Blick darauf, dann öffnete sie ihre Schublade. Ein gerahmtes Bild, das sie und Shinsuke im Kindergarten zeigte, lag zuoberst auf allen Briefen. Die Erinnerung daran brachte Misato zum Lächeln. Schon damals waren sie unzertrennliche Freunde gewesen, sie hoffte, dass dieser Zustand anhalten oder zumindest endlich in gegenseitige Liebe münden würde. Dafür musste sie nur endlich den Mut aufbringen, ihm ihre Gefühle zu gestehen. Vielleicht konnte sie das schon morgen... aber irgendwann würde sie es sicherlich schaffen und dann könnte sie ihm mehr als nur Schokolade schenken. Immer noch lächelnd legte sie den Brief in die Schublade und schloss diese schließlich wieder, die Gefühle und Erinnerungen sorgsam ebenfalls einschließend. Eingeloggt ---------- Ein Blick durch sein Wohnzimmer offenbarte ihm eine schreckliche Gewissheit: Es gab nichts zu tun. Alles war aufgeräumt, die Küche und das Bad auf Hochglanz poliert, der Müll weggebracht, die Hausaufgaben erledigt – und es war gerade einmal 19 Uhr. Was für jeden anderen Jugendlichen in Nozomus Alter eine frohe Botschaft gewesen wäre, stürzte ihn allerdings in ein Dilemma. Wenn es nichts zu tun gab, blieben ihm nur zwei Alternativen: Sich langweilen und Senpai am nächsten Tag anlügen oder... Sein Blick wanderte verstohlen zu dem Laptop, der auf einem Schreibtisch in der Ecke stand. Satsuki hatte ihm bei ihrem Besuch vorhin dieses Spiel heruntergeladen, unter der Voraussetzung, dass er sich auch wirklich einloggen und mit ihr spielen würde. Dabei hatte er das nicht einmal gewollt, aber Senpai konnte sehr... überzeugend sein. Also hatte er zugestimmt, mit der eigenen Bedingung, dass er sich erst um seinen Haushalt und seine Schulaufgaben kümmern würde. Dummerweise hatte das alles weniger Zeit in Anspruch genommen, als von ihm gehofft. Damit, sich zu langweilen, besaß Nozomu keinerlei Probleme, er war diesen Zustand gewöhnt. Aber Satsuki durchschaute all seine Lügen sofort, als ob sie ein wandelnder Lügendetektor wäre. Eine durchaus nervige Eigenschaft, die sie leider auch nie ablegte. Also blieb ihm wohl keine andere Wahl, denn ihr Zorn war schlimmer, als ein wenig sinnloses Grinden in irgendeiner nicht existenten bunten Fantasy-Welt. Der Registrierungsprozess dauerte nicht lange, das Downloaden der Updates dafür schon. Nozomu nutzte die zusätzliche Viertelstunde – in der er hoffte, dass es noch länger dauern würde – um nachzusehen, ob sein Bad wirklich noch glänzte. Zu seinem Unglück tat es das sogar. Schließlich konnte er das Spiel starten, ein Ladebildschirm erschien und machte schon bald dem animierten Titelbildschirm Platz. Nozomu kümmerte sich nicht um das Kätzchen, das ihn begrüßte, sondern gab die Daten seines Accounts ein. Bevor er einen Server wählte, sah er noch einmal auf den Zettel, den Satsuki ihm hinterlassen hatte. Deutlich stand der Name des Servers, verziert mit einigen Herzchen auf dem cremefarbenen Untergrund. Genervt rollte er mit den Augen, dann wählte er diesen Server aus und wurde auf eine neue Seite weitergeleitet. Der Hintergrund gefiel ihm schon mal recht gut, die helle Stadt und das blaue Meer hatten etwas äußerst Anziehendes auf sich. Nun kam es nur noch darauf an, wie der Rest des Spiels sein würde. Leise grummelnd stellte er sich einen Charakter zusammen – natürlich nahm er einen männlichen Krieger, alles andere sagte ihm nicht sonderlich zu –, gab ihm den unkreativen Namen Setoki und ließ sich mit diesem schließlich mit dem Server verbinden, was wieder einmal unheimlich viel nervenaufreibende Zeit erforderte. Doch schließlich – Nozomu überlegte bereits, ob er nicht doch lieber ins Bett gehen sollte – befand er sich mitten im Spiel. Andere Avatare wuselten an ihm vorbei, die meisten zu Fuß, manch andere auf seltsam anmutenden Reittieren, die bei Nozomu zumindest ein amüsiertes Schmunzeln hervorriefen. Mit so etwas würde er sicherlich nie reiten und wenn Satsuki sich auf den Kopf stellen würde. „Mhm, wie steuert man jetzt?“, murmelte er leise vor sich hin, während er durch die Gegend klickte. Ein leises, genervtes Seufzen entfuhr ihm, als seine Figur sich schließlich in Bewegung setzte. Er dachte an all die Dinge, die er tun könnte, wenn er nun nicht spielen würde: Löcher in die Luft starren, an die Wand starren, sich durch das Fernsehprogramm zappen, ein Bishôjo-Spiel spielen, einen Manga lesen... alles wäre besser, als in dieser seltsamen Welt festzuhängen und darauf zu warten, dass - Er konnte den Gedanken nicht mehr beenden, als plötzlich schon zwei andere Avatare vor ihm standen, eine Kriegerin und eine Priesterin. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass sie aufgetaucht waren. Zuerst überlegte er, die beiden zu ignorieren, doch anhand des Chatfensters in der linken unteren Ecke konnte er sehen, dass es bei dem Gespräch der beiden um ihn ging. Offensichtlich hatten die beiden seinen Namen sofort erkannt und stritten sich nun auch virtuell um seine Aufmerksamkeit. Seufzend tippte er selbst eine Nachricht ein. „He, Satsuki, he, Nozomi.“ Sofort beendeten die beiden ihr Gespräch und schrieben fast gleichzeitig: „Woher weißt du, dass wir es sind?“ Das war nicht sonderlich schwer, dachte er bei sich, gab zur Antwort aber nur ein „Ich bin gut im Raten“ von sich, was von beiden ohne weitere Umschweife akzeptiert wurde. „Was willst du nun machen, Nozomu-kun?“, fragte Satsuki. Am Liebsten ins Bett. Wieder einmal antwortete er etwas anderes: „Keine Ahnung. Was kann man hier machen?“ „Du solltest erst einmal aufleveln“, beschloss Nozomi. „Wir können ins Jagdgebiet nahe des Walds gehen.“ „Ach was“, fuhr Satsuki sofort dazwischen. „Das ist doch langweilig! Nozomu-kun geht sofort mit uns zur Sandbucht!“ Nozomu stellte sich vor, wie Nozomi wutschnaubend vor ihrem PC saß, doch im Spiel blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Avatar eine frustrierte Geste ausführen zu lassen. „Das ist viel zu gefährlich, Senpai!“, kommentierte sie diese schließlich. „Nozomu-chan ist noch längst nicht so weit!“ „Unsinn! Er wird ewig brauchen, um zu trainieren, wenn du es so langsam angehen lässt.“ „Aber das Schild untersagt Anfängern den Zutritt zur Sandbucht!“ Die beiden waren so sehr in ihren Streit vertieft, dass Nozomu die Gelegenheit nutzte, um langsam wegzugehen – wenn er gewusst hätte, wie man langsam läuft. Mit einer rennenden Spielfigur hatte es doch etwas von einer Flucht. Doch die Mädchen schienen ihn trotzdem nicht zu bemerken. Sein Weg führte ihn in die Richtung, von der Nozomi zuvor gesprochen hatte. Wie er die beiden kannte, wäre er bereit für die Sandbucht, bevor sie von seinem Verschwinden überhaupt Notiz genommen hatten. Ein User, der ihn ebenfalls mit seinem Vornamen ansprach, ließ ihn wieder inne halten. Fragend wandte Nozomu sich dem anderen Avatar zu. Es war eine Magierin, die recht freizügig gekleidet war und äußerst anmutig vor ihm stand. Der Name Nanashi schwebte gemeinsam mit ihrem HP-Balken über ihrem Kopf. Vor dem Laptop hob Nozomu eine Augenbraue. Ihm fiel absolut niemand ein, der das sein könnte, außer... Sein Verdacht bestätigte sich bereits im nächsten Moment, als der Avatar kicherte und dann eine Nachricht eingeblendet wurde. „Nozomu-kun, wer sonst hat einen solch einfallslosen Namen?“ In diesem Moment fehlte ihm eindeutig eine genervte Geste für seinen Avatar. „Und was ist mit dir, Zetsu? Wie kamst du denn auf deinen Namen?“ Die Magierin schien plötzlich zu weinen. „Gefällt er dir denn nicht? Ich finde ihn schick.“ „Wie auch immer. Musst du nicht arbeiten oder sowas?“ „Ausnahmsweise nicht“, antwortete Zetsu, während die Magierin kicherte. „Und in meiner Freizeit bin ich oft hier.“ Bislang hatte Nozomu nicht einmal gewusst, dass Zetsu überhaupt Kenntnis davon besaß, dass das Internet existierte. Manchmal wirkte er wie aus einer anderen Welt. Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen, die Chatbox füllte sich mit allerlei Gerede der anderen User, unter anderem auch der beiden Mädchen, denen immer noch nicht aufgefallen war, dass Nozomu schon lange nicht mehr da war. „Streiten die sich mal wieder wegen dir?“, fragte Zetsu. Am Liebsten hätte Nozomu leise seufzend genickt, aber das konnte Zetsu schlecht sehen und hören, also antwortete er mit einem knappen „Ja“. Das war der Magierin ein erneutes Kichern wert. „Weißt du, was du machen solltest, um sie so richtig zu ärgern?“ Der Gedanke, etwas solches zu tun, war verlockend, weswegen Nozomu nicht lange zögerte und nach der Methode fragte. „Heirate mich.“ Immer wieder las Nozomu den Satz, um sicherzugehen, dass er sich nicht verlesen hatte. Nein, es stand tatsächlich das da, was er bereits beim ersten Mal zu sehen geglaubt hatte. „Äh, wie bitte?“ „Nicht in echt natürlich. Du sollst meine Magierin heiraten.“ Um die Worte zu unterstreichen, kicherte der Avatar noch einmal. Es würde weniger unwirklich sein, wenn das Kichern nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören wäre, fuhr es Nozomu durch den Kopf. „Also? Was ist?“, fragte Zetsu. „Willst du?“ Eigentlich ist es ja egal, es ist ja nur virtuell. Also stimmte Nozomu zu. Da Zetsu aus irgendeinem Grund tatsächlich einen Verlobungsring mit sich herumtrug („Man weiß ja nie, wann man einen braucht, nicht?“), wurde nur wenige Sekunden später eine Textbox eingeblendet, in der Nozomu gefragt wurde, ob er Nanashi heiraten wolle. Ohne zu zögern klickte er auf „Ja“ – und bekam dafür im nächsten Moment die Mitteilung Setoki hat den Heiratsantrag von Nanashi angenommen. Doch offenbar bekam nicht nur er diesen Schriftzug zu lesen, denn im nächsten Moment konnte er in der Chatbox die ungläubigen Reaktionen von Nozomi und Satsuki bewundern, die sich so einig wie selten waren: „WAAAAAS!?“ Danach kam nichts mehr. Wenige Sekunden später kicherte die Magierin noch einmal. „Die beiden haben sich ausgeloggt. Du bist jetzt frei, Nozomu-kun.“ Nozomu stellte sich Zetsus charmantes Lächeln, das er so oft trug, in diesem Moment vor. Bestimmt saß er auch so vor seinem PC oder Laptop oder wie auch immer er dieses Spiel spielen konnte. Nozomu verabschiedete sich nur knapp. In den nächsten Tagen loggte er sich nicht mehr ein, weder Satsuki noch Nozomi sprachen ihn jemals wieder auf das Spiel an. Von Zetsu erfuhr Nozomu, dass die beiden sich seit diesem Vorfall auch nicht mehr in die Weiten des RPGs gewagt hatten. Offenbar war der Schock zu viel für sie gewesen. Zur Hochzeit von Setoki und Nanashi kam es nie, aber das kümmerte Nozomu nicht weiter. Hauptsache er war das Spiel wieder los und konnte sich wieder ausgiebig seiner Langeweile widmen. Contenance ---------- Ein wenig unwohl fühlte sie sich schon, als sie die Stadttore hinter sich ließ und langsam auf den Palast zulief. Allerdings lag es keineswegs an ihrem Begleiter, der sich äußerst neugierig umsah, sondern einzig und allein an der Furcht vor dem, was eine bestimmte Person über ihn zu sagen hätte. Natürlich liebte sie ihn, besonders dafür, dass er alles in seinem Leben für sie geopfert hatte, seine Familie, seine Heimat... für ihn gab es nur noch sie. Aber was, wenn ihre rechte Hand in ihm nicht dasselbe sehen würde wie sie? Was, wenn das Volk ihn nicht mögen würde? Ein wenig verunsichert blickte sie zu Cynard hinüber, der neben ihr lief. Selbst in einer vollkommen fremden Umgebung wirkte er so als ob er über alles die Übersicht besitzen würde. Keine einzige nervöse Falte, kein bisschen Unsicherheit, es war als ob er schon immer hier gelebt hätte und nun nach einer langen Reise heimkehrte – also in etwa so wie sie sich fühlen müsste. Sein selbstsicherer Blick, obgleich er nicht ihr galt, entlockte ihr ein Lächeln und ließ auch sie wieder ein wenig positiver sehen. Bestimmt wäre ihr erster Ritter genauso begeistert von diesem Mann wie sie. Sie hatten gerade die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als plötzlich einige der Stadtbewohner auf sie aufmerksam wurden. Kaum war das geschehen, wurden sie plötzlich von Leuten umlagert, die alle gleichzeitig auf sie einsprachen. Kurz zuvor war ihr gar nicht aufgefallen, wie viele Personen sich außer ihnen auf den Straßen befunden hatten. Hilflos lächelnd sah sie von einem zum anderen, aber keiner schien einem anderen den Vortritt lassen zu wollen, so dass die Stimmen immer noch durcheinander sprachen und ihr nicht einmal die Möglichkeit gaben, darauf zu reagieren, da sie keine der Fragen verstehen konnte. Erst als die Blicke auf Cynard fielen, verstummten alle nach kurzer Zeit wie bei einem Kollektiv. Katima sah ebenfalls zu ihm hinüber, um seine Reaktion zu betrachten. Erstaunt nahm sie zur Kenntnis, dass keinerlei Unbehagen in seinem Gesicht zu lesen war. Nein, er wirkte so normal wie eh und je. Ein leises, verträumtes Seufzen entfuhr ihr, was sofort von allen zur Kenntnis genommen wurde und sie dieses sofort bereuen ließ. „Eure Majestät, wer ist dieser Mann?“, fragte ein Soldat, der ebenfalls in der Menschenmenge stand und als einziger seine Sprache wiedergefunden zu haben schien. Sie zögerte einen Moment. Sollte sie wirklich hier, direkt nach ihrer Rückkehr, bereits sagen, wie sie zu Cynard stand, noch bevor Kuromei ihn überhaupt gesehen hatte? Sollte sie dem Volk ihren Plan mitteilen? Wieder warf sie einen prüfenden Blick zu Cynard, der immer noch schwieg und ihr offenbar die Wahl lassen wollte – oder er wusste einfach nicht, was er all diesen fremden Menschen sagen sollte. Also blieb es wohl ihre Entscheidung, ob sie die Verkündung ihres Plans vorziehen sollte. Aber warum eigentlich nicht? Immerhin war sie sich doch sicher, dass Kuromei mit ihrer Wahl einverstanden sein würde, also gab es nichts zu bedenken. Demonstrativ griff sie nach Cynards Hand, was dieser mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm. „Sein Name ist Cynard Asturions, er ist mein zukünftiger Ehemann.“ Zu Katimas Überraschung nahm das Volk die Nachricht ihrer geplanten Hochzeit mit einem Fremden äußerst gelassen – nein, eher erfreut – zur Kenntnis, Kuromei dagegen war zu ihrer Verwunderung nicht sonderlich erbaut. Streng saß er Cynard gegenüber an dem Tisch, den die Königsfamilie sonst nur zu taktischen oder diplomatischen Gesprächen nutzte. Sein Blick wirkte wie der eines Vaters, der im Begriff war, seine einzige Tochter herzugeben, dabei war er nur einige Jahre älter als Katima. Doch selbst das schien Cynard nicht aus der Ruhe zu bringen. Sein eigener Blick blieb stets friedlich, sein Lächeln veränderte sich um keine einzige Nuance. Das war wahrer Adel, der da durch seine Adern floss und ihn selbst in solch einem Fall die Contenance wahren ließ. Nur Katima wusste – oder besser: ahnte – was in diesem Moment wirklich in ihm vorging. Sie war sich sicher, dass ein buntes Spektrum an Nervosität und Furcht durch sein Inneres tobte und er das nur nicht zeigen wollte oder vielleicht sogar nicht einmal konnte. „Woher stammt Ihr, Sir Cynard?“, fragte Kuromei schließlich, um das eingetretene Schweigen zu durchbrechen. „Aus der Mana-Welt“, antwortete der Gefragte. „Meine Familie herrscht über das Land Asturion. Ich gehöre einem Nebenzweig an, das bedeutet, dass mein Cousin herrscht, ich war einer seiner Ritter.“ Mit einem Lächeln erinnerte Katima sich an ihre erste Begegnung mit ihm zurück. Damals war sie in die Stadt gegangen, um ein wenig allein zu sein – nur um dann auf König Aretas zu treffen. Kurz darauf war Cynard erschienen, mit einer Nachricht von den Minion-Corps-Leadern. Damals waren sie sich das erste Mal begegnet und sie war sofort von ihm angetan gewesen, weswegen sie eine weitere Begegnung mit ihm gesucht hatte, um ihn näher kennenzulernen. Damals hätte sie nicht gedacht, dass sie eines Tages gemeinsam mit ihm und Kuromei an einem Tisch sitzen würde, um herauszufinden, ob er ein geeigneter Heiratskandidat war. Etwas, wovon sie ohnehin schon lange überzeugt war. Kuromei nickte, seine Miene war immer noch unbarmherzig und zeigte keinerlei Regung. „Dann habt Ihr bereits Erfahrung, was das Ritterleben angeht.“ Cynard nickte. „Mein ganzes bisheriges Leben. Ich bin zuversichtlich, dass ich auch für den Schutz von Katima Aigears sorgen kann.“ Selbstsicherheit schwang in jedem seiner Worte mit, aber kein bisschen Arroganz. Katima konnte sehr gut für ihren eigenen Schutz sorgen, aber zu hören, dass Cynard dasselbe tun wollte, gefiel ihr. Die Vorstellung, dass er sie beschützen würde, ließ ein angenehmes Gefühl in ihrem Inneren entstehen, das sie wieder zu einem Seufzen verführte. Die beiden Ritter sahen sie fragend an, weswegen sie hastig abwinkte. „Oh, nichts, nichts. Sprecht nur weiter.“ Kuromei sah wieder Cynard an, dieser erwiderte seinen Blick so geduldig wie zuvor. „In Ordnung, ich habe ohnehin nur noch eine Frage.“ Er schwieg für einen Moment, Katima schluckte schwer. Sie hatte so das Gefühl, dass ihr die kommende Frage ganz und gar nicht gefallen würde und hoffte, dass Cynard das richtige antworten würde. Mit Sicherheit war das die für Kuromei wichtigste Frage, die er sich bis zum Schluss aufgehoben hatte. „Ist die Königin noch unberührt?“ Katima japste nach Luft, ihr Gesichtsausdruck spiegelte Panik wider. Doch Kuromei beachtete sie nicht und selbst wenn, hätte er ihr Verhalten nur darauf zurückgeführt, dass ihr die Frage unangenehm war und nicht, dass die Antwort ein einfaches „Nein“ war. Noch dazu war es Cynards Initiative gewesen, die dazu geführt hatte. Würde Kuromei das erfahren... Panisch sah sie zu Cynard hinüber und war abermals überrascht, als sein Gesicht immer noch keinerlei Anzeichen von Nervosität zeigte. Er lächelte nach wie vor während er Kuromei ansah und ohne mit der Wimper zu zucken antwortete: „Aber natürlich. Es liegt mir fern, die Königin zu entehren.“ Sie blinzelte überrascht. Wie konnte er nur lügen, ohne dabei rot zu werden, besonders bei dieser Frage? Andererseits schien es genau diese Antwort zu sein, die Kuromei schließlich darin bestätigte, dass die Königin die richtige Wahl getroffen hatte. Er lächelte plötzlich ebenfalls und sah dabei genau so aus, wie Katima ihn in Erinnerung hatte. Erleichterung durchströmte sie, als sie dieses Lächeln bemerkte. Damit stand ihrer Hochzeit endgültig nichts mehr im Weg. Als sie wenig später mit Cynard den Beratungsraum wieder verließ, blickte sie ihn bewundernd an. „Du hast dich wirklich gut geschlagen.“ „Hast du denn etwas anderes erwartet?“, fragte er deutlich amüsiert. „Das war immerhin nicht das erste Mal, dass ich mich mit einem Ritter oder Adeligen unterhalte.“ Für einen kurzen Moment in diesem Raum hatte sie das tatsächlich vergessen, befürchtet, dass er sie tatsächlich verraten würde, was mit Sicherheit dazu geführt hätte, dass Kuromei ihn kurzerhand des Schlosses verwiesen hätte. Doch Cynards tatsächliche Reaktion war die einzig Vernünftige in dieser Situation gewesen. „Wie schaffst du es, zu lügen, ohne rot zu werden?“, fragte sie. „Contenance, meine liebe Katima“, antwortete er lächelnd. „Sie stets zu bewahren ist äußerst wichtig für einen Ritter. Zumindest brachte mein Vater mir das bei.“ Katima wusste nicht viel über die Ausbildung eines Ritters, weswegen sie sich auf seine Worte verließ und nur verstehend nicken konnte. „Aber findest du es gut, Kuromei gleich am Anfang anzulügen?“ Ein wenig nagte das schlechte Gewissen an ihr, auch wenn das der einzig mögliche Weg gewesen war, Kuromei zu besänftigen. Doch ab sofort mussten sie ihn immer anlügen und das gefiel ihr nicht wirklich. Nach der Hochzeit würde sie Kuromei die Wahrheit erzählen, zumindest nahm sie sich das vor. Cynard lachte leise. „Soll ich zurückgehen und ihm sagen, dass wir schon miteinander intim waren?“ Panisch warf sie wieder einen Blick umher und atmete erleichtert auf, als sie bemerkte, dass keiner anwesend war, der das gehört haben könnte. Der gesamte Gang war leer, lediglich weit entfernt liefen Angestellte geschäftig umher. Auch wenn es sich ein wenig einsam anfühlte, war es ein Stück Heimat und gemeinsam mit Cynard würde sie auch nicht mehr allein fühlen. Schließlich sah sie wieder ihn an. „Nein, sollst du natürlich nicht.“ „Dann ist alles in Ordnung. Willst du mir jetzt dein Schloss zeigen?“ „Willst du dich nicht vorher ausruhen?“, fragte sie besorgt. Er schüttelte lächelnd mit dem Kopf. „Nein, ich möchte gern, dass du mir deine Heimat zeigst.“ Sie nickte, doch plötzlich hielt sie nachdenklich inne. Etwas an diesem Satz störte sie, doch es dauerte einen Moment, ehe sie darauf kam, was genau es war. „Nicht meine Heimat“, wies sie ihn lächelnd zurecht. „Unsere.“ Seine Gesichtszüge wurden weich, sein Lächeln schien von noch mehr Wärme erfüllt zu sein. Ohne etwas zu sagen legte er seinen Arm um ihre Schulter, um sie näher zu sich zu ziehen und lief gemeinsam mit ihr los. Glücklich schmiegte sie sich an ihn, vergessen waren all die negativen Gedanken des heutigen Tages und ihres bisherigen Lebens. Ja, sie war sich sicher, dass von nun an alles in ihrem Leben gut werden würde. Unser Wiedersehen ----------------- Es heißt, man sieht sich immer zweimal im Leben. Bislang hatte ich mich gefragt, ob das auch zutraf, wenn einer der beiden zwischendurch gestorben war, aber nun war ich sicher, dass es so war. Mein Blick glitt über die zerstörte Stadt. Wohin mein Auge auch blickte, überall erkannten sie nur Trümmer und Rauchsäulen, die sich in den Himmel kräuselten. Eine Katastrophe war vor kurzem hier geschehen und hatte sowohl der Stadt als auch aller Einwohner dem Boden gleichgemacht. Ein trauriger Anblick – doch deswegen war ich nicht hier. Das, was diese Stadt zerstört hatte, war derartig machtvoll gewesen, dass es mich angezogen hatte. Je mehr ich mich umsah und dem Mana lauschte, das der Luft innewohnte, desto größer wurde meine Gewissheit: Die Katastrophe war von einem Shinken ausgelöst worden. Und ich war mir sicher, dass es nicht irgendeines war, sondern von 'Hanto', dem Rebell. Als ich dem Shinken damals das erste Mal begegnete, war es derselbe Anblick gewesen. Dieses Mal unterschied sich das Gefühl in meinem Inneren von damals. Ich erinnere mich gut daran, dass die Furcht, das Shinken könnte in meiner Anwesenheit noch einmal eine solche Katastrophe verursachen und mich ebenfalls dahinraffen, meinen Körper wie Espenlaub hatte zittern lassen. Es hatte angehalten bis zu dem Moment, in dem ich dem Träger des Shinken begegnet war. Dieser hilflose junge Mann, der mir nur stotternd davon berichten konnte, dass Banditen aus den Bergen seine Heimat überfallen hatten, war mir leibhaftig in Erinnerung geblieben. Aus Mitleid hatte ich den neu gewordenen Eternal unter meine Fittiche genommen, um ihm zu helfen, mit seinen Kräften auszukommen. Damals hätte ich nicht geahnt, dass er mich eines Tages enttäuschen würde, indem er mich für diese Sospita verlassen und auf ihre Reinkarnation hinarbeiten würde. Was immer ihn an diesem Eternal fasziniert hatte oder wofür er ihre Macht gebraucht hatte... Aber diesmal war das Gefühl dementsprechend anders. Ich wusste ungefähr, was mich erwarten, welcher Person ich gegenübertreten würde, sobald meine Suche beendet war und trotz seines Verrats freute ich mich darauf. Er würde ein völlig neuer Mensch sein, noch kein Eternal, ohne Erinnerung an sein letztes Leben und damit formbar. Es gab mir eine neue Chance, meinen alten Fehler wiedergutzumachen und ihn dieses Mal für die richtige Seite kämpfen zu lassen – und dieses Mal würde ich es schaffen, dessen war ich mir sicher. Mit langsamen Schritten bahnte ich mir meinen Weg durch die Trümmer. Es war eine moderne Stadt gewesen, mit Sicherheit war die Zerstörung längst bekannt und Regierungen spekulierten auf einen Terroranschlag, während sie versuchten, das Geschehen zu rekonstruieren. Möglicherweise wäre es besser, wenn die Menschen von Shinken wüssten, das würde ihnen die Angst nehmen – oder aber sie verstärken. Solange Rogus der Meinung war, dass es besser wäre, die Menschen im Unklaren zu lassen, so lange würde ich mich daran halten. Ich fand es aber erstaunlich, wie oft solche Dinge geschahen, wenn Shinken erwachten. Diese unkontrollierte Kraft, die mal eben einer ganzen Stadt den Erdboden gleichmachte, war mit Sicherheit für viele der neuen Shinkenträger furchteinflößend – und für mindestens ebensoviele auch faszinierend. Vielleicht war dies ein Test der Shinken, um herauszufinden, zu welcher Seite sie gehörten, Law oder Chaos. Ich erinnere mich nicht mehr an den Pakt mit meinem Shinken, entweder war es schon so lange her oder ich hatte es verdrängt – beides erschien mir möglich. Mein Gefühl führte mich auf ein Gelände, das einst zu einer Schule gehört haben musste. Mein Herz wurde schwer, als ich an all die Kinder dachte, die hier gestorben sein mussten. So viele Tote wie ich bereits gesehen hatte, berührten mich keine mehr – außer eben die Kinder. Selbst für Rogus, der seine Gerechtigkeit erbarmungslos durchzusetzen versuchte, galten sie noch als reine Wesen, denen man keinen Schaden zufügen durfte. Wie hatte 'Hanto' ihnen das antun können? Als ich auf die Trümmer zulief, hörte ich ein leises Schluchzen. Es schien von einem Kind zu kommen, mein Herz machte einen Sprung, als ich daran dachte, dass es nur eine Person geben konnte, die das alles überlebt hatte. Mein Körper begann wieder zu zittern, doch dieses Mal aufgrund der Aufregung und nicht wegen der Furcht vor einem weiteren Angriff. Ich folgte dem Schluchzen, bis ich schließlich bei einem kleinen Jungen ankam. Er saß zusammengekauert auf dem Boden, Staub lag auf seinem schwarzen Haar. Langsam ging ich auf ihn zu. Erschrocken hob er plötzlich den Kopf, die Hoffnung, die für einen kurzen Moment in seinen Augen aufgeglommen hatte, erlosch sofort wieder, als er feststellte, dass er mich nicht kannte. Statt etwas zu sagen, schluchzte er noch einmal. Ich kniete mich vor ihn. „Geht es dir gut?“ Er antwortete nicht. Seine braunen Augen musterten mich ängstlich. „Keine Angst, ich tue dir nichts“, versicherte ich ihm. „W-w-w-was ist passiert? Was habe ich getan?“ Seine Stimme zitterte und schien jeden Augenblick wegzubrechen. Ich wollte meine Hand heben, um ihm über den Kopf zu streichen, doch ich konnte sehen, dass ihn das nur mehr verängstigen würde. „Keine Sorge, es ist nicht deine Schuld“, beruhigte ich ihn. Er schien mir nicht zu glauben, aber er erwiderte auch nichts mehr. Je länger ich ihn betrachtete, desto sicherer war ich mir. Er sah genauso aus wie der letzte Träger von 'Hanto', auch seine Stimme klang so und seine ersten Worte waren damals dieselben gewesen – nur war er dieses Mal viel jünger und auch noch kein Eternal, soweit ich das spüren konnte. Also war nur sein Orichalcum-Name, aus welchem Grund auch immer, erwacht, der Pakt war aber nicht erneuert worden. Das hatte auch noch Zeit, bis er erwachsen war. Aufmunternd lächelte ich ihm zu. „Mein Name ist Renka. Es freut mich, dich kennenzulernen, Träger von 'Hanto'.“ Rekrut ------ Tag 1: Heute kam in der Heimat der Brigade an. Ein furchtbarer Ort, hätte ich vorher gewusst, wie es hier aussieht, hätte ich dem nie zugestimmt. Offenbar ist es nur ein vorübergehender Aufenthaltsort für diese... Gruppe. Das ist schon wieder zu viel gesagt, bislang sind sie nur zu zweit, ich wäre das dritte Mitglied, falls der andere meiner Aufnahme zustimmte. Egal, in dieser Welt gibt es jedenfalls jede Menge... Bäume. Ich hasse Bäume, ich verabscheue sie. Aber in meiner Heimat durfte ich das niemandem sagen, da waren sie so selten, dass jeder mich sofort schockiert ansah, sobald ich nebenbei erwähnte, dass man sie von mir aus gänzlich ausrotten könnte. Ich hoffe nur, ich muss nicht für immer hier bleiben, sondern werde andere Welten aufsuchen dürfen, bevor ich noch Wurzeln schlage und selbst zu einem Baum werde. Es grenzt fast schon an Ironie, dass mein Shinjuu Hua Po ein Baumgeist sein soll. Jedenfalls wurde ich Salles Cworcs vorgeführt, dem Anführer der Brigade, wegen der ich ja hier bin. Ich hatte mir viel unter diesem Mann und all den Erzählungen über ihn vorgestellt, aber keinesfalls einen solch trockenen und langweiligen Kerl. Sein langes grünes Haar und seine Kleidung verhießen Rebellentum, aber seine blank polierte Brille und seine einschläfernde Stimme bezeugten seine Langeweile. Abschätzend taxierte er mich von oben bis unten, während Jatzieta, die mich aufgegabelt hatte, im Plauderton von unserer ersten Begegnung erzählte. „Und dann wurde sie von all diesen Lakaien umstellt und hat sich mit einem Shinken gerettet – und mich gleich mit. Tolle Leistung, huh? Da dachte ich mir gleich, dass wir sie doch ganz gut gebrauchen könnten.“ Er warf ihr einen gelangweilten Blick zu, ehe er wieder mich ansah und dann leise schnaubte. „Ja, sicher.“ Sehr überzeugt schien er nicht, aber was kümmerte mich das? „Gut. Wir werden bei der nächsten Schlacht sehen, was du kannst. Solange solltest du dich besser ausruhen.“ Ich ließ mir von Jatzieta mein Zimmer zeigen, wo ich beschloss, dieses Ereignis niederzuschreiben. Was ich von all dem halten soll, weiß ich noch nicht, dafür ist die Situation noch zu neu und unbekannt. Aber bislang bin ich mir zumindest über eines sicher: Ich kann Salles nicht ausstehen. Tag 2: Einige Lakaien griffen uns heute an und ich musste natürlich raus an die Front, gemeinsam mit Salles, den es überhaupt nicht zu interessieren schon, ob ich kämpfen konnte oder nicht. Er überließ mich vollkommen mir selbst, eine trügerische Freiheit, denn sobald ich zu weit weg ging, rief er mich sofort zurück. Es hätte nur noch gefehlt, dass er gepfiffen und mit einem Hundekuchen gewinkt hätte. Bei jedem anderen hätte ich angenommen, dass er sich Sorgen um mich machte, aber nicht bei Salles. Er wollte nur mit eigenen Augen sehen, wie ich versage. Aber nicht mit mir! Ungeachtet des kalten Winds, der nach meiner Kleidung griff und auch mein Haar umherwirbelte, so dass ich kaum noch etwas sehen konnte, wirbelte ich meinen Stab herum. Mana-Partikel tanzten um das Metall und schienen die Lakaien beim bloßen Kontakt zu verletzen. Neidvoll blickte ich immer wieder zu Salles, der schon längst in einem See von Manafunken versunken und deswegen kaum noch zu sehen war. Die Funken konnten sich gar nicht so schnell auflösen wie er Lakaien tötete. Ich war wesentlich langsamer – aber immerhin war das auch erst mein zweiter Kampf. Er nahm darauf allerdings keine Rücksicht, als er mich schließlich wieder abschätzend musterte. „Sehr mit Ruhm bekleckert hast du dich ja nun nicht.“ Die scharfe Erwiderung lag mir bereits auf der Zunge, mein Fuß zuckte schon, doch ich hielt mich mit erstaunlich viel Willenskraft zurück. „Ich hoffe, das ändert sich noch“, fuhr er fort. „Sicher“, brachte ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Seit ich vorhin sein Shinjuu – einen Baum! – gesehen hatte, war er mir noch um einiges unsympathischer als zuvor. Als ob es vom Schicksal bestimmt war, dass ich ihn nicht ausstehen können sollte. Mit gerunzelter Stirn, was bei ihm ein Normalzustand zu sein scheint, brachte er mich wieder zu meinem Quartier zurück, wo ich gerade diesen Eintrag schreibe, immer noch wütend über den heutigen Tag. Meine Abneigung gegenüber diesem selbstgefälligen und herablassenden Kerl steigt. Tag 5: Die letzten Tage kam ich nicht dazu, etwas aufzuschreiben. Salles Cworcs – dieser inkompetente Vollidiot – verdonnerte mich zum Training mit Jatzieta, deren einzige kompetente Handlung bislang daraus bestand, mich anzuwerben. Ansonsten übertrifft sie Salles in Idiotie bei weitem, da wundert es mich nicht wirklich, dass er der Anführer der Brigade und sie seine rechte Hand ist. Wobei mich dieses Anführer immer noch wurmt – die Gruppe besteht einschließlich mir nur aus drei Leuten, meine Güte. Mag ja sein, dass er nach Großem strebt und bereits vorausdenkt, aber noch ist er immer noch nur ein Idiot in meinen Augen. Das Training mit Jatzieta war nervenaufreibend. Nicht nur wegen all der Verbrennungen, die ich durch ihre bescheuerte Laterne erlitten hatte, sondern auch wegen ihrem ewigem Gelaber. Ich glaube, ihre Zunge kann gar nicht stillstehen. Wie nervig! Aber ich darf ja nichts sagen. Ich glaube, wenn ich noch lange hier bleibe, wird meine eigene Zunge noch abfallen, weil ich mir dauernd draufbeißen muss, um nichts zu sagen. Auf wütende oder trotzige Reaktionen der beiden konnte ich gut verzichten, lieber wartete ich auf mein Magengeschwür, das mich dann mit Schmerzen ablenken würde. Aber nun gut, ich habe ja noch dieses Tagebuch, in dem ich mich abreagieren kann, also wird das schon... irgendwie. Tag 6: Owwww, ich HASSE Salles Cworcs! Heute meinte er, mir irgendeinen seltsamen Vortrag über Lakaien halten zu müssen und dass ich immer darauf achten soll, welche Farbe sie besitzen, weil sie dann über unterschiedliche Fähigkeiten verfügen. Als ob ich zurückgeblieben wäre, ich habe schon öfter gegen Lakaien gekämpft. Aber... dass er mir erzählte, wie diese Wesen entstehen und wer und warum sie entsendet, war ziemlich interessant. Nicht wegen ihm, bei seiner Stimme wäre ich beinahe eingeschlafen, sondern eher wegen dem Informationsgehalt. So habe ich auch erfahren, dass es die Bringer des Lichts sind, denen wir diese Angriffe immer zu verdanken haben. Sie wollen Welten vernichten... ich frage mich, weswegen. Als ich Salles diese Frage stellte, antwortete er allerdings nicht. Ich frage mich, ob er es nicht weiß oder ob er es nur nicht sagen will. Außerdem scheint in seinem Zimmer ein junges Mädchen zu wohnen, jedenfalls konnte ich einmal einen Blick auf sie erhaschen – aber ich habe keine Ahnung, wer sie ist und weder Jatzieta noch Salles wollen es mir sagen. Neben meiner Abneigung wächst langsam auch mein Misstrauen ihm gegenüber. Tag 8: Gestern gerieten wir in einen Kampf mit Lakaien, bei dem ich schwer verletzt wurde – weil Salles es offenbar nicht einsah, mir zu helfen. Er stand nur dabei und sah zu, wie das Katana mir beinahe meinen Arm abgesäbelt hätte. Ich konnte den Kampf natürlich trotzdem gewinnen, aber diese Schmerzen...! Salles sagte mir immer wieder, dass das eine Lektion für mich sein sollte, selbst als er die Verletzung schließlich heilte. Keine Ahnung, was ich daraus lernen sollte, außer dass Verletzungen höllisch wehtun – und das wusste ich auch schon vorher. Ehrlich gesagt fand ich es ekelhaft, sein Mana während der Heilung in mir rotieren zu spüren, das möchte ich nie wieder erleben, nicht von ihm und auch von niemand anderem. Ich muss besser werden, viel besser, damit so etwas nicht mehr geschieht! Tag 11: Heute erzählte Salles mir recht beiläufig mehr über Shinken und kam dabei auch immer wieder auf meines, auf 'Shousa', zu sprechen. Er meinte, es wäre ein außergewöhnlich starkes Shinken. Als Jatzieta sich darüber wunderte, dass ich es führen konnte, erwiderte er nur, dass es noch lange nicht seine ganze Kraft entfesselt hätte, weswegen jeder es führen könnte. Ich bin mir sicher, dass das wieder eine Spitze gegen mich war und dass er mich eigentlich am Liebsten loswerden wollen würde. Aber warum sagt er das dann nicht einfach? Ich HASSE ihn! Tag 20: Da die Lakaien-Angriffe nicht mehr abrissen, sie aber offensichtlich nur hinter uns her waren, haben wir uns eine neue Welt für unser Hauptquartier gesucht. Hier ist es wesentlich angenehmer, es gibt weniger Bäume – worüber mein Shinjuu sehr bestürzt ist – und dafür um einiges mehr Felsen. Kein Wunder, immerhin durfte ich mitentscheiden, wohin wir als nächstes gehen. So manch anderer würde sich wohl über das Vertrauen freuen – ich glaube aber, dass dies nur ein Test von Salles war. Möglicherweise ein psychologischer, vielleicht aber auch etwas anderes, jedenfalls weigere ich mich zu glauben, dass er das aus Freundlichkeit oder Vertrauen heraus tat. Natürlich hat er dieses Mädchen mitgenommen, aber bei genauerem Hinsehen scheint sie nur eine Puppe zu sein, jedenfalls lebt sie nicht. Als ich Salles darauf ansprach, wehrte er mich allerdings unwirsch ab und sagte mir, dass es mich nichts anginge und ich ihn nie wieder danach fragen sollte. Ich hasse diesen Kerl... ich will nach Hause... Tag 23: Wir haben die Welt erkundet, die ich ausgesucht habe. Sie ist zwar mit Mana gefüllt, aber niemand scheint hier zu leben. Eigentlich sollte ich das als „perfekt“ betrachten, aber seltsamerweise weckt es in mir nur Sehnsucht nach meiner Familie. Ich will zurück nach Hause... Aber das ist nicht möglich, meine Welt existiert nicht mehr... Meine Familie existiert nicht mehr... Ich habe nur noch mich... ... Tag 30: Die letzten Tage war ich damit beschäftigt, deprimiert zu sein, außerdem geschah nicht sonderlich viel, was es wert wäre, es aufzuschreiben. Bis heute... Ich saß an einem See und blickte auf dessen makellose Oberfläche, die wie aus einem Guss wirkte. Diese Perfektion so wundervoll ich sie anfangs fand, so störend empfand ich sie nach einer Weile, weswegen ich kleine Steine ins Wasser warf, um Wellen entstehen zu lassen. Leider hielten sie nicht sonderlich lange und nach zehn Kieseln verlor ich auch die Lust daran. Als ich Schritte hörte, seufzte ich lautlos. Es konnten nur zwei Personen sein und anhand des Geräuschs wusste ich sofort, dass es Salles war – ausgerechnet! Warum konnte es nicht Jatzieta sein? Die wäre mir lieber gewesen, aber am Allerliebsten wäre ich gern allein gewesen. In dieser Welt hätte ich dafür die beste Voraussetzung gehabt... Salles setzte sich auf einen Felsen mir gegenüber und fixierte mich forschend über den Rand seiner Brille hinweg. Ich erwiderte den Blick unwillig, schwieg allerdings. Vielleicht würde er einfach wieder gehen, wenn ich nichts sagte. „Wie geht es dir?“, fragte er schließlich, mit überraschend sanfter Stimme. In diesem Moment kam er mir vor wie ein Vater und nicht wie der Möchtegern-Anführer und Idiot, den ich sonst in ihm sah. „Was denkst du denn, wie es mir geht?“, erwiderte ich mit einer Gegenfrage. Meine Lehrer hatten es immer gehasst, wenn ich auf diese Art antwortete, weswegen es mir irgendwann zu einem persönlichen Vergnügen geworden war, es absichtlich zu machen. Aber Salles schmunzelte amüsiert darüber. Er machte eine ausholende Bewegung mit seinem Arm. „Nachdem du diese Welt ausgesucht hast, dachte ich mir, dass es dir nicht sonderlich gut geht.“ Also hatte ich recht und es war ein psychologischer Test gewesen. Ich runzelte meine Stirn, sagte aber nichts und wie erwartet sprach er stattdessen: „Du hast eine Welt gewählt, in der nichts außer uns lebt. Du wünschst dir also Isolation – vermutlich aus Angst davor, verletzt zu werden.“ „Unsinn!“, fauchte ich. „Mich kann nichts verletzen!“ Er ließ sich von meinem Verhalten nicht beeindrucken und blieb vollkommen ruhig, was mir gegen meinen Willen Bewunderung abrang. Diese stoische Ruhe war wirklich erstrebenswert. „Es muss schwer sein, plötzlich ins Ungewisse gestoßen zu werden und mit vollkommen fremden Menschen, die man nicht mag, zusammensein zu müssen.“ Überrascht hob ich meine Augenbrauen. „Woher...?“ Las er etwa mein Tagebuch? Für einen kurzen Moment machte ich mir Sorgen, dass er tatsächlich jedes einzelne Wort gelesen und nun vorhatte, mich hier allein zurückzulassen, ohne jede Möglichkeit, diese Welt wieder zu verlassen. Doch er schmunzelte nur nach wie vor, also gehörte das wohl nicht zu seinem Plan. „Du bist ziemlich einfach zu durchschauen. Dass du uns nicht magst war noch eines der einfachsten Dinge. Aber ich fürchte, vorübergehend werden wir es zusammen aushalten müssen.“ Mir lag die Frage auf der Zunge, ob er und Jatzieta mich mögen würden, doch ich schluckte sie hinunter. Eher würde ich sterben als so etwas zu fragen. Plötzlich wurde er wieder ernst als hätte er gewusst, was ich in dem Moment gedacht hatte. Mit gerunzelter Stirn blickte er in den Himmel. „Sobald wir diese Welt verlassen haben, kann ich dich hinbringen, wo du willst. Und dann wirst du, wenn du es wünschst, nie wieder etwas von der Brigade hören. Du könntest ein vollkommen normales Leben führen, so wie andere Mädchen in deinem Alter.“ Ich erinnerte mich an die ständig schnatternden Gänse aus meiner Schule, die inzwischen wohl nur noch Staub waren, wie der Rest meiner Welt. Was hatten sie nochmal den ganzen Tag getan? Rumhängen, über Jungs reden, einkaufen, über andere lästern... zumindest soweit ich als Außenseiterin es mitbekommen hatte. Würde so mein normales Leben aussehen? Und wenn ja, war das dann besser oder schlechter als das, was ich mit den beiden durchmachte? „Du hast noch Zeit zum Überlegen“, fuhr er schließlich fort und sah mich wieder an. „Der Versorgungsturm braucht noch zwei Tage, bis er uns wieder ein Tor öffnen kann. Denke gut darüber nach.“ Ich deutete ein Nicken an, in der Hoffnung, dass er nun endlich gehen und mich wieder meinen Gedanken überlassen würde. Immerhin musste ich abwägen, ob es nicht vielleicht wirklich besser war irgendwo ein vollkommen neues Leben fernab der Brigade, anzufangen. Salles blieb stur sitzen, griff aber plötzlich in seine Tasche. „Ach ja, ich habe noch etwas für dich. Bislang kam ich nicht dazu, es dir zu geben, dabei habe ich es bereits in der letzten Welt gekauft.“ „Ein Geschenk?“ Ich konnte mich nicht daran erinnern, Geburtstag gehabt zu haben – und ob Salles jemals etwas von Weihnachten gehört hatte? Vielleicht gab es aber auch einen ganz anderen Grund für das Geschenk... Er zog ein Stück Stoff hervor, das ich auf den zweiten Blick als ein Barett wiedererkannte. Es war dunkelblau, fast schon schwarz und zumindest von der Farbe her gefiel es mir gut – aber warum kaufte er mir so etwas? Er setzte mir das Barret auf meinen Kopf und brachte es in die richtige Position, bevor er sich lächelnd wieder ein wenig zurücklehnte. „Mhm, es passt wirklich zu dir.“ Ehrfurchtsvoll hob ich meine Hand, um die Kopfbedeckung vorsichtig abzutasten. „Sie wird nicht meine Gedanken lesen oder so etwas, oder?“ Seine Perplexität über diese Frage ging bald in ein amüsiertes Lachen über. „Aber nein. Ich dachte nur, du würdest vielleicht etwas brauchen, das deine Haare beim Kampf ein wenig unter Kontrolle hält.“ Also war ihm tatsächlich aufgefallen, dass ich deswegen Probleme hatte. Einerseits ärgerte es mich, dass er Zeuge meiner Schwäche geworden war, andererseits rührte es mich aber auch, dass er dem Abhilfe schaffen wollte, ohne mir vorzuschlagen, mein Haar abzuschneiden. Während ich mich noch zu überwinden versuchte, mich zu bedanken, wurde er wieder ernst. Aber es war eine andere Art von Ernsthaftigkeit, nicht die trockene, die er sonst zur Schau trug, sondern eine, die man von einem Vater erwartete, der eine wichtige Unterhaltung mit seinem Kind führte. In diesem Moment fühlte ich mich sogar wie eine widerspenstige Tochter, die alles ablehnte, was von ihren Eltern kam, obwohl sie doch nur das Beste wollten. Fast schon breitete sich Schuldbewusstsein in meinem Inneren aus – aber nur fast. „Die letzte Zeit war sehr turbulent, ich fürchte, ich konnte nicht einmal ansatzweise der Anführer sein, der ich gerne wäre. Aber ich verspreche dir, dass sich das bessern wird, wenn du und Jatzieta bei mir bleibt und wir noch mehr Shinkenträger rekrutieren.“ Was machte ihn so sicher, dass ich bleiben würde? Oder war das wieder nur ein psychologischer Trick? „Du bist sehr wichtig für die Brigade – für Jatzieta und mich. Es wäre bedauerlich, wenn du dich entschließen würdest, uns zu verlassen, aber nachvollziehbar. Wir waren nicht gerade... die besten Kampfgefährten in der letzten Zeit.“ Da ich weiterhin schwieg richtete er sich wieder auf und wandte sich zum Gehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mein gemurmeltes „Danke“ hören konnte, denn er hielt noch einmal kurz inne, ehe er schließlich wirklich davonging. Nachdenklich sah ich ihm hinterher. Vielleicht war Salles doch nicht so übel... Tag 32: Morgen werden wir in eine neue Welt aufbrechen – ich bin schon mal gespannt, was für eine Salles aussuchen wird. Sein amüsierter Blick zu mir heute, sagt mir, dass es wohl eine Welt sein wird, die mir gefallen könnte – oder das genaue Gegenteil. Bei diesem Mann weiß man doch nie. Mal abwarten... Tag 33: Die neue Welt ist der Wahnsinn! Alles ist so technisch, so bunt, so laut! Ich LIEBE es! Es kommt wir wie Jahre vor, seit ich zuletzt Autos oder Fernseher oder Einkaufshäuser gesehen habe. Und nirgends gibt es auch nur einen echten Baum zu sehen – außer ich blickte aus dem Fenster unseres Hotels in den Park hinüber. Wenn ich mich entscheiden würde, die Brigade zu verlassen, wäre es genau diese Welt in der ich wohnen wollen würde. Aber ich habe beschlossen, bei den beiden zu bleiben. Was sollen sie ohne mich denn schon tun? Eine kompetente Person braucht diese Einheit doch. Scheint als würden wir zusammenbleiben müssen, eine große, glückliche Familie... Allein der Gedanke löst Übelkeit in mir aus, tss. Mal schauen, wie man in diesen Betten schläft~ Tag 35: Die beiden scheinen ihren Spaß zu haben, mich dabei zu beobachten, wenn ich fernsehe oder Musik höre und mir dabei wünschte, die Serie oder die Band hätte es auch in meiner Welt gegeben. Es ist regelrecht peinlich, aber in mir scheint ein Fangirl zu leben. Wann immer ich diesen silberhaarigen Protagonisten aus diesem Anime sehe, setzt mein Gehirn vollständig aus und – wie Jatzieta meinte – würde ich immer wieder hingerissen seufzen. Natürlich redete ich mich damit heraus, dass ich seinen flüssigen und fehlerlosen Kampfstil bewundere, aber sie scheint mir nicht zu glauben. Überraschenderweise fand ich heute aber auch Bücher, die ich damals gelesen hatte. Ich muss eines davon wohl sehnsuchtsvoll genug angesehen haben, als ich mit Salles in der Buchhandlung war, denn als ich am Abend wieder ins Hotelzimmer kam, lag es auf meinem Bett. Was erwartet er sich eigentlich davon? Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen, ich brauche keine Bestechungsgeschenke mehr. Aber dennoch... das war eine ziemlich nette Geste. Vielleicht ist er wirklich ganz in Ordnung. Tag 40: Langsam frage ich mich, wo die beiden das ganze Geld herbekommen, dass wir so lange hierbleiben und noch dazu so viel einkaufen und essen gehen können. Aber ich frage besser nicht, Jatzieta antwortet ohnehin nicht und Salles mag es offensichtlich nicht, wenn man ihn etwas fragt, was er nicht von sich aus selbst erzählen will. Also genieße ich lieber und blättere zufrieden in meinem Buch herum, das Salles mir gekauft hat. Oh und Jatzieta hat mir einen neuen Füller gekauft, um in mein Tagebuch zu schreiben. Ob sie sich wirklich einschleimen wollen? Wäre zwar verständlich, aber ich habe nicht das Gefühl, dass es das ist... vielleicht will ich es auch nur nicht glauben. Tag 45: Die restlichen Tage vergingen wie im Flug, ich bedauere es richtig, dass wir wieder gehen mussten. So werde ich nie erfahren, wie der Anime mit dem gutaussehenden Protagonisten ausgeht. Aber gut, was sein muss, muss sein. Ich bin ja froh, dass sie mich wieder mitgenommen haben. So ungern ich es auch zugebe, aber ich gewöhne mich langsam an die beiden und sie sind inzwischen weniger nervig. Die neue Welt ist... na ja. Alles ist so mittelalterlich und es gibt viel zu viele Bäume, aber selbst diese stören mich nicht mehr so sehr wie früher. Manche Leute nehmen Anti-Depressiva, ich reise mit Salles und Jatzieta herum... aber nun fühle ich mich wesentlich ausgeglichener als früher. Auch nicht schlecht. Die nächsten Tage werden aber anstrengend, Salles sucht hier irgendwas, also werden wohl erst einmal keine Einträge mehr folgen. Tag 54: Wir haben gefunden, was Salles suchte: Ein äußerst seltsames Schwert, dessen Klinge gespalten ist. Außerdem besteht sie aus einem Material, das ich nie zuvor gesehen habe, es scheint fast schon durchsichtig. Ob man damit wohl kämpfen kann? Aber was will er damit? Er schien erleichtert, als wir es endlich gefunden hatten und betrachtete es geradezu wie den Heiligen Gral. Ich glaube, es ist ein Shinken... dabei hat er doch schon eines. Auch Jatzieta weiß nicht, was er damit will. Sehr seltsam... Tag 56: Nach einem Tag Ruhe gab Salles mir bekannt, dass er mich und Jatzieta nun auf die Suche nach neuen Rekruten schicken würde. Das bedeutet, wir werden beide unabhängig voneinander in andere Welten reisen und dort Shinkenträger suchen. Das ist so aufregend! Er warnte uns vor einer bestimmten Person, Jiru-irgendwas, dem wir mit Vorsicht begegnen sollten. Gleichzeitig wurde uns aufgetragen, nach Welten Ausschau zu halten, in denen wir unser Hauptquartier einrichten könnten. Ich kann kaum glauben, dass ich nach noch nicht einmal zwei Monaten bereits eine solch wichtige Aufgabe bekomme. Er muss mir wirklich vertrauen. Morgen früh geht es los und ich bin so aufgeregt, dass ich kaum schlafen kann. Mich irritiert nur, dass ich tatsächlich befürchte, dass ich die beiden vermissen könnte... Aber es wird ja nicht für lange sein. Salles meinte, dass wir nur zehn Tage in der anderen Welt verbringen und dann erst einmal zurückkehren sollen. Also freue ich mich am besten schon einmal auf unser Wiedersehen vor, statt über unsere Trennung in Depressionen zu verfallen. Tag ???: Ich weiß nicht, wie viele Tage inzwischen vergangen sind oder wo genau ich mich gerade befinde oder wie weit ich von Salles und Jatzieta entfernt bin. Aber heute fand ich dieses Tagebuch wieder und wollte deswegen einen abschließenden Eintrag für mein Leben bei der Brigade schreiben. Ich kann froh sein, noch zu leben. Es war an meinem dritten Tag in der Welt, in die Salles mich geschickt hatte. Es war eine hübsche Welt, genau wie für mich gemacht. Die einzigen Bäume standen in Naturschutzgebieten, ansonsten gab es nur öde Ebenen und große Städte. Ich war recht glücklich dort – bis ich einem Shinkenträger begegnete. Ich konnte nicht einmal nach seinem Namen fragen, ich bemerkte ihn erst, als er mich bereits angriff und schon im nächsten Moment spürte ich ein Brennen in meinem Gesicht, das meine Haut und meine Augen zu verzehren schien. Nie zuvor spürte ich solch starke Schmerzen wie in diesem Moment, nicht einmal mein gebrochener Arm, als ich noch jünger war, konnte da mithalten. Was um mich herum vorging, kann ich nicht sagen. Ich wand mich auf dem Boden, die Hände auf mein Gesicht gepresst, meine eigenen Schreie verhinderten, dass ich etwas anderes hören konnte. So sehr ich Salles' Heilungszauber beim letzten Mal verabscheut hatte, so sehr wünschte ich mir diesen nun herbei, damit die Schmerzen endlich aufhörten. Als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte, verkrampfte mein Körper sich augenblicklich, aber innerlich spürte ich, dass keine Gefahr von meinem Gegenüber ausging. „Shhh, ist schon gut, ganz ruhig.“ Nur langsam ließ mein Schreien nach, die beruhigende Gegenwart der Frau – so viel hatte ich aus ihrer Stimme heraushören können – half dabei, die Schmerzen in den Hintergrund rücken zu lassen. Mit sanfter Gewalt löste sie meine Hände von meinem Gesicht, während sie mit mir zu sprechen begann: „Keine Angst. Ich bin Tokimi Kurahashi, ich tue dir nichts. Ich will mir das nur mal ansehen...“ Obwohl ich mich vor dem Anblick meiner Hände fürchtete, die ebenfalls zu brennen begonnen hatten, öffnete ich meine Augen – nur um nichts zu sehen. Abgesehen von einigen Schemen, die wohl von sich bewegenden Lichtquellen stammten, blieb alles dunkel. Aber das erschrockene Luft holen von Tokimi lenkte mich sofort davon ab, bevor ich in Panik ausbrechen konnte. „W-was ist los?“ Das Brennen breitete sich langsam auf meinen restlichen Körper aus. Womit auch immer dieser Shinkenträger mich angegriffen hatte... es schien mich vollständig auffressen zu wollen. „Das ist nicht gut“, murmelte Tokimi. Ich konnte etwas rascheln hören, dann drückte sie mir etwas in die Hand. Das kühle, vertraute Metall linderte das Brennen meiner Handflächen, schutzsuchend griff ich mein Shinken fester. „Das ist wichtig, du musst mir zuhören“, wisperte Tokimi gehetzt. Mein Geist, der erstaunlich klar war, konzentrierte sich vollkommen auf ihre Stimme, die mir verriet, dass ich nicht sonderlich gut aussah. „Wenn du weiterleben willst, musst du einen Pakt mit deinem Shinken schließen, du musst ein Eternal werden... sonst stirbst du!“ Ich wollte fragen, was ein Eternal denn bitte sein sollte oder was es diese Fremde interessierte, ob ich lebte oder starb, aber stattdessen musste ich an Salles und Jatzieta denken und dass beide ohne mich doch vollkommen verloren wären. Ohne meine Hilfe, meine Unterstützung, würde die Brigade doch nie überleben, ich konnte hier nicht sterben! Ohne etwas zu fragen konzentrierte ich mich auf mein Shinken, hörte die klare Stimme meines Shinjuu in meinem Inneren, das mir etwas erzählte, dessen Bedeutung und Tragweite ich in jenem Moment nicht erfassen konnte. Ohne mir anzuhören, was die Vor- und Nachteile dieses Pakts wären, stimmte ich ihm schließlich zu – und schon im nächsten Moment waren die Schmerzen verschwunden, mein Blick nur noch verschwommen. Tokimi atmete erleichtert aus. „Dem Ursprung sei Dank.“ Ich wollte immer noch so vieles fragen, doch meine Zunge war so schwer und auch ohne Anregungen von meiner Seite aus, half Tokimi mir nach oben und brachte mich fort – weg von dieser Welt. Wenige Tage später war meine Sicht fast vollständig zurück, da meine Augen aber dauerhaft geschädigt worden waren, bekam ich von den Leuten, bei denen ich war, eine Brille mit der ich wieder so wie früher sehen konnte. Es erinnerte mich schmerzhaft an Salles, nach dem ich die anderen fragte, doch keiner konnte etwas mit diesem Namen oder der Brigade anfangen. Niemand wusste, wovon ich sprach. Meine einst braunen Augen waren inzwischen rot geworden, eine Nachwirkung des Zaubers dieses anderen Shinkenträgers, der beinahe meinen ganzen Körper verschlungen hätte, um mein Mana und mein Shinken zu zersetzen. Tokimi war hinter diesem Mann hergewesen, um zu verhindern, dass er anderen das antut, was er mir tat – einige Tage danach gelang ihr das sogar. Ich konnte mich nicht darüber freuen. Die anderen erklärten mir, dass sie Chaos-Eternal wären, die unter Rogus für den Erhalt aller Welten kämpfen und damit das Gegenstück zu den Law-Eternal wären. Ich verstand davon kein Wort, nur so viel: Als ich ebenfalls zu einem Eternal geworden war, hatte ich unweigerlich sämtliche Verbindungen zu meiner Vergangenheit gekappt. Niemand würde sich an mich erinnern. Weder Salles, noch Jatzieta, nicht einmal meine Eltern, wenn sie noch leben würden. Zum zweiten Mal in meinem Leben war mir meine Familie genommen worden. Salles und Jatzieta würden nicht nach mir suchen, sie würden sich nicht einmal daran erinnern, dass sie mich gekannt hätten, sie würden nicht wissen, dass ich beinahe gestorben wäre auf einer Mission, auf die er mich geschickt hatte. Alles, was mir geblieben war, war dieses Tagebuch und das Barett, das Salles mir geschenkt hatte, auch wenn es mit meinem nun kurzen Haar nicht mehr seinen ursprünglichen Zweck erfüllte. Als mir das bewusst geworden war, weinte ich die ganze Nacht, bis zum frühen Morgen, an dem Tokimi mich aufsuchte. Sie lächelte warmherzig, als sie mir anbot, bei ihnen zu bleiben – alles, was ich dafür tun musste, war, Rogus die Treue zu schwören. Ich dachte nicht lange darüber nach, denn ich besaß keinerlei Alternativen. Also schwor ich diesem Mann Treue und Loyalität, obwohl ich zuvor nie ein Wort mit ihm gewechselt hatte. Ich versprach, alles in meiner Macht stehende zu tun, um seine Ziele, die nun die meinen sein sollten, zu erfüllen – ohne Rücksicht auf Verluste. Das Leben hier ist nicht sonderlich schlimm, es ist recht angenehm, aber es gibt so viele Eternal, die hier wohnen, dass es keine familiäre Atmosphäre wie bei der Brigade gibt. Die Brigade... Selbst so viele Tage – es sind inzwischen mindestens zwei Jahre seit meinem Beitritt bei den Chaos-Eternal vergangen – blicke ich manchmal noch sehnsuchtsvoll in den Himmel. Von Zeit zu Zeit stelle ich mir dann vor, dass Salles und Jatzieta doch nach mir suchen, dass sie mich nicht vergessen haben. Aber ich weiß, dass dies nur eine Wunschvorstellung ist. In ihren Erinnerungen gibt es mich nicht mehr, keines unserer Gespräche hat für sie jemals stattgefunden. Wann immer ich das denke, zieht meine Brust sich schmerzhaft zusammen, so dass ich mir hastig wieder ins Gedächtnis rufe, dass ich die beiden einmal gehasst habe und meine Sympathie für sie nur ein Schutzmechanismus war, nicht doch noch ein Magengeschwür zu bekommen. Mein ganzes Leben war ich ohne jemanden ausgekommen, der mich mochte, ich werde das auch noch weiterhin aushalten, wenn es sein muss für immer. Mein altes Leben liegt hinter mir, versunken in dem See mit seiner makellosen Oberfläche in der Felsenwelt – nun beginnt mein neues Leben als Shousa Alona. Hybris ------ Er war gelangweilt. Nicht vom Krieg an sich, er liebte die Schlacht, genoss es, wann immer er Leben nehmen durfte, was er dann stets bis zur letzten Sekunde auskostete und deswegen liebte er diese Welt, diese Zeit, in der ein ewiger Krieg zu herrschen schien, der bereits vor seiner Geburt begonnen hatte. Er war ein Soldat, nicht um sein Heimatland zu verteidigen, sondern um zu töten, egal wen – und der einzige Weg, das auf legalem Weg zu tun, war eben dieser. Aber dennoch war er gelangweilt. Zwar tötete er wirklich gern, aber er empfand keine Befriedigung darin, Fliegen zu erschlagen. Das war wohl der beste Vergleich, den er für seine Gegner – und auch für seine Verbündeten – fand. Sie alle waren nichts weiter als nervige kleine Insekten, die man mit einem einzigen gezielten Schlag zerquetschen konnte. Er aber sehnte sich nach der Herausforderung, er wollte einen Kampf, einen, bei dem er endlich spürte, wie das Adrenalin durch seine Adern schoss, wie sein Körper sich anspannte, wie er dem Tod ins Auge blickte. Aber bislang hatte er einen derartigen Gegner nicht auf dem Schlachtfeld gefunden. Selbst die gefürchtesten Soldaten, die man gegen ihn in den Kampf geschickt hatte, waren nicht einmal einen einzigen Schweißtropfen wert gewesen. Es war bedauerlich, denn je mehr Soldaten er tötete, in der Hoffnung, endlich einen würdigen Gegner zu finden, desto näher rückte das Ende des Krieges und damit auch das Ende seiner Suche, die wohl erfolglos im Sande verlaufen würde. In dieser Welt würde er den Gegner, den er suchte, nicht finden, das war ihm inzwischen bewusst. Aber es gab keine Möglichkeit, woanders danach zu suchen. Er würde sterben, an Langeweile vermutlich, sobald der Krieg vorbei war. Und genau das stand ihm kurz bevor. Alle auf dem Hof versammelten Soldaten unterhielten sich aufgeregt über das, was sie tun würden, sobald alles vorbei war, sobald der Frieden eingezogen war. Sie freuten sich auf diese Zeit, obwohl sie noch nicht einmal wussten, ob sie bis dahin überleben würden. Allerdings schien auch jeder von ihnen zu denken, dass er sie beschützen würde, wofür er aber nicht einmal ein müdes Lächeln übrig hatte. Ihm stand nicht der Sinn danach, jemanden zu beschützen, dass er sie nicht tötete, lag auch nur daran, dass er sonst schneller im Kerker wäre als ihm lieb sein konnte. Es gab nur noch eine einzige Schlacht und dementsprechend schlecht war seine Laune, selbst als er sich durch die Horden feindlicher Soldaten kämpfte. Wobei selbst er kämpfen als schlechte Bezeichnung empfand, immerhin kostete es ihn stets nur eine einzige, rasche Bewegung mit seinem Schwert, die ihm kaum Mühe abverlangte, um alle anstürmenden Soldaten zu Boden zu reißen, wo sie entweder verletzt oder gar tot liegenblieben oder sich dazu entschieden, sich zu ergeben. Noch in der ersten Schlacht waren ihm selbst jene dann zum Opfer gefallen, doch war das mit der Zeit derart langweilig geworden, dass er sich entschieden hatte, sie zukünftig zu ignorieren. Der Krieg würde enden, sobald diese Schlacht vorbei war und in diesem Moment wünschte er sich nichts sehnlicher als dass dies nie eintreten möge. Und in jenem Moment erstrahlte ein gleißendes Licht in der Mitte des Schlachtfelds. Augenblicklich erstarrten alle Soldaten und wandten sich dem Strahl zu, der durch die Wolken gebrochen war. Doch es war mehr als nur Licht, er konnte es spüren, darin wurde noch etwas transportiert, etwas Machtvolles, das seinen ganzen Körper sofort in helle Aufregung versetzte und ihn innerlich frohlocken ließ. Es war fast als ob der Kriegsgott persönlich seinen Wunsch erhört hätte und nun vom Himmel herabstieg, um ihm eine Herausforderung zu bieten. Während die anderen Soldaten den Lichtstrahl nur verwirrt anblickten, fühlte er sich wie magisch davon angezogen, so dass er darauf zulief. Er konnte sehen, wie Frauen aus dem Licht entstanden und auf dem Schlachtfeld landeten. Frauen mit ungewöhnlichen Haarfarben, grün, rot und blau, mit Flügeln auf ihren Rücken und einer Haut, die so weiß war, dass sie aus dem feinsten Porzellan angefertigt zu sein schien. Während er lief, hörte er, wie die anderen Soldaten etwas von Engeln murmelten, die gekommen waren, um die Schlacht zu beenden und die Menschen in ein neues Zeitalter zu führen, genau wie es in den alten Schriften beschrieben worden war. Doch er spürte etwas anderes, er spürte Feindseligkeit, Hass und der Wunsch nach Vernichtung im Inneren dieser Engel, die von einem eigentümlichen Schimmer umgeben waren. Ein leises Lachen erklang – und dann stürmten die Wesen bereits los. Waffen erschienen urplötzlich in ihren Händen, mit denen sie äußerst geschickt durch die Reihen der Soldaten preschten, jeder einzelne Hieb fällte einen Mann, während diese sich offensichtlich nicht zur Wehr setzen konnten. Ihre Schwerter zersplitterten, wann immer sie auch nur in die Nähe dieser Wesen kamen. Doch er selbst schien von all dem unberührt, keiner der Engel griff ihn an, während er sich seinen Weg zu der Lichtsäule bahnte als würde er von dieser gerufen werden. Und da keines der Wesen wirklich Anstalten machte, ihn anzugreifen, musste etwas daran stimmen. Sie spürten, genau wie er schon sein ganzes Leben, dass er anders war und dass er würdig war, zu erfahren, was sich in dieser Lichtsäule verbarg. Einen Schritt vor dem Glanz hielt er wieder inne. Obwohl er direkt hindurchsehen konnte als wäre es aus Glas, wusste er einfach, dass es auch etwas im Inneren gab, das es wert war, gesehen zu werden. Sollte er hineintreten? Oder sollte er sich abwenden und es mit diesen Wesen aufnehmen? Doch ehe er sich entscheiden konnte, was er tun sollte, spürte er plötzlich, wie die machtvolle Energie im Inneren des Strahls herabzusinken schien, in einer irrsinnigen Geschwindigkeit, die ihm nur den Bruchteil einer Sekunde ließ, um eine Entscheidung zu treffen. Doch eine solche Situation war er aus all seinen Kämpfen gewohnt, so dass er wie jedes Mal einfach nur seine Klinge hochriss, um den Angriff abzuwehren. Aber dieses Mal passierte etwas anderes als sonst. Die fremde Klinge traf so kraftvoll auf seine, dass seine Füße einige Millimeter in den Boden versanken, sein Arm schmerzte heftig, aber er stand noch immer, was seine Feindin zu freuen schien. An dem hellen Lachen erkannte er sofort, dass es eine Frau war – doch bei genauerem Hinsehen stellte er überrascht fest, dass es sich eher um ein Mädchen handelte. Ihr langes, weißes Haar war zu zwei Pferdeschwänzen gebunden, das sie niedlich erschienen ließ, genau wie die Kappe, die sie auf dem Kopf trug, aber in ihrem Gesicht konnte er die unbändige Sehnsucht nach Gewalt erkennen, so ähnlich wie er es sah, wenn er in den Spiegel blickte. Sie stellte sich aufrecht vor ihn, musste aber den Kopf heben, um ihn ins Gesicht blicken zu können. Der Stab in ihrer Hand, von dem die machtvolle Aura ausging, war geringfügig größer als sie. „Ich bin überrascht“, sprach sie. „Als ich in diese Welt kam, habe ich nicht damit gerechnet, jemandem wie dir zu begegnen. Ein Eien Shinken mit dem bloßen Arm abzufangen, ist geradezu erstaunlich.“ Er erwiderte nichts darauf. Sein ganzer Körper zitterte aufgrund eines Gefühls, das er nicht kannte, aber dessen Beschreibung er von den anderen Soldaten oft gehört hatte: Es war Furcht – aber darin schwang noch etwas anderes mit, das bislang ebenfalls unbekannt für ihn gewesen war. Doch diesem Gefühl folgend, kniete er sich vor das Mädchen, so dass er nun ein wenig kleiner war als sie. In ihren Augen konnte er einen zufriedenen Schimmer erkennen. „Oh, du weiß offensichtlich, wie man sich seinem Vollstrecker gegenüber verhält.“ Die Engel waren von ihr geschickt worden und da diese gerade dabei waren, jeden auf dem Schlachtfeld zu töten, war es nur logisch, dass er daraus folgerte, dass es ihr Ziel war, zumindest sämtliche Soldaten, egal welchen Reiches, auszulöschen, auch wenn er nicht wusste, warum oder wer sie überhaupt war. Das Gefühl der Furcht verebbte langsam, der Respekt blieb allerdings. Die Differenz an Kraft zwischen ihnen beiden, erfüllte jede Faser seines Körpers und ließ ihn vor Ehrfurcht zittern. „Aber ich glaube, es wäre eine Schande, dich einfach zu töten.“ Dabei musterte sie ihn von oben nach unten und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Er schwieg noch immer, doch spürte er eine gewisse Erwartungshaltung von ihrer Seite aus, die ihn schließlich dazu brachte, doch den Mund zu öffnen: „Ich dachte immer, ich wäre der stärkste Krieger, der existiert, dass es niemanden gibt, der mich besiegen kann.“ Sie lachte leise. „Wo ich herkomme, gibt es noch viel mehr meiner Sorte.“ Es gab also noch mehr starke Krieger, die ihn mit diesem Gefühl von Furcht, Respekt und purem Adrenalin erfüllen könnten. Als ihm das bewusst wurde, wurde sein alter Wunsch durch jenen ergänzt, ihr zu folgen und sich diesen anderen Kriegern zu stellen, gegen sie alle zu kämpfen – und sie dann zu töten. Der Stab in ihrer Hand leuchtete auf, während dieser Wunsch ihn erfüllte, offenbar reagierte er darauf, denn das Mädchen lächelte daraufhin. „Oh, ich verstehe. Ja, ich finde, das ist eine gute Idee.“ Es kam ihm vor als würde sie mit sich selbst sprechen, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass sie mit dem Stab redete und dieser auch mit ihr. Doch dann wandte sie sich wieder ihm zu. „Ich bin Houou Temuorin. Wenn du mir deine Treue schwörst, werde ich dich mit mir nehmen und dir helfen, die Stärke zu erlangen, die du benötigst, um andere Gegner meines Kalibers herauszufordern.“ Das alles amüsierte sie sichtlich, sie lächelte vergnügt als wäre das ein Spiel für sie, bei dem sie kurz davor stand, endlich zu gewinnen. Ein wohltuender Schauer fuhr über seinen Rücken, er dankte dem Kriegsgott dafür, dass er Temuorin zu ihm geschickt und damit seinen größten Wunsch erfüllt hatte, selbst wenn sie dafür nun sämtliche Menschen dieser Welt töten würde. Er legte eine Hand auf sein Herz – das nach Meinung vieler seiner früheren Kameraden ein Eisklotz oder ein Stück schwarzer Kohle sein musste – und atmete tief ein, ehe er zu sprechen begann: „Ich, Takios, schwöre Houou Temuorin die ewige Treue.“ Er hatte nicht lange überlegt, aber dennoch wusste er, dass er das nicht bereuen würde, dass sich seine Träume erfüllen würden, wenn er ihr folgte – und er sollte recht behalten. Wenngleich er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte, dass ewig in diesem Fall ausnahmsweise auch wirklich für immer bedeutete... Lasfolt ------- Die Atmosphäre war aufgrund des absurd hohen Managehalts geradezu erdrückend. Er stand nicht zum ersten Mal hier an diesem Ort, sah nicht zum ersten Mal auf das Schwert, das in einem großen Kristall steckte, wo es sein Leben fristete, gezwungen, für die Nöte der Menschen Mana in Äther umzuwandeln. Zumindest hatte er das früher einmal gedacht. Früher, als er noch an Youtias und Ios Seite die Natur von Eien Shinken, Spirits und Mana erforscht hatte, eine Zeit, die ihm inzwischen wie aus einem ganz anderen Leben vorkam. Aber er erinnerte sich noch äußerst gut daran, vermisste noch immer den Geruch Youtias, die sanfte Stimme Ios und den ruhigen Schlaf an der Seite der beiden. Was war nur geschehen, dass diese Zeit, die so perfekt gewesen war, einmal hatte enden müssen? Was war geschehen, dass sie nun auf zwei vollkommen unterschiedlichen Seiten standen? Er musste nicht lange darüber nachdenken, um die Antwort zu finden. Die Erkenntnis, was in dieser Welt wirklich geschah und von wem sie regiert wurde, hatte sie voneinander getrennt. Kaum hatte sie ihn ereilt, war es ihm unmöglich gewesen, sie wieder zu vergessen. Sie war wie eine Zecke, die ihren Kopf in die Haut ihres Wirts bohrte, so dass man sie nicht einfach wieder abschütteln konnte und die, wenn man sie zu unsanft zu entfernen versuchte, ihr Gift in den Körper ihres Opfers entließ und ihn langsam dahinsiechend verenden ließ. Er hatte versucht, diese Zecke schnellstmöglich zu entfernen und war nicht nur vergiftet worden, der Kopf war steckengeblieben und nagte einfach weiter, bereitete ihm geradezu körperliche Schmerzen, die er an diesem Tag zu beenden bedachte. Dem einfachen Mann auf der Straße mochte das alles möglicherweise gar nicht interessieren oder gar kümmern, aber er als Wissenschaftler, der an den freien, menschlichen Willen glaubte, konnte nicht einmal diesen Gedanken ertragen. Deswegen hatte er einen Plan gefasst, einen, von dem er selbst wusste, dass er größenwahnsinnig war. Nein, mehr noch, dieser Plan setzte sich über den Willen sämtlicher anderer Bewohner dieser Welt hinweg, das wusste er – aber es kümmerte ihn nicht. Zum einen weil er ohnehin der Überzeugung war, dass sämtliche Menschen dieser Welt bereits unwissentlich beeinflusst wurden und zum anderen, weil er nur das Beste für sie alle wollte, auch wenn er im Moment verkannt wurde. Aber sein Vorhaben war das einzig Vernünftige in dieser ohnehin zum Untergang verurteilten Welt. Hastige Schritte, die hinter ihm innehielten, rissen ihn aus seinen Gedanken. Aufgrund des heftigen Aufwallens des Manas und dem erhöhten Äther-Ausstoßes war ihm bereits bewusst geworden, dass im Reaktor gekämpft wurde – und er musste sich nicht erst umdrehen, um zu wissen, wer gekommen war. Nicht nur, weil er der einzige war, der ernsthaft die Kraft aufbringen könnte, zu ihm vorzudringen, sondern auch, weil er die von dem Shinken ausgehende bösartige Macht spürte. Eigentlich hatte er geglaubt, mit zwei Etrangern in seinem Dienst und einigen kleinen Spielzeugen, die noch aus seiner Studienzeit stammten, hätte er leichtes Spiel gegen Rakios. Aber offenbar war der Entschluss von Rakios' Etranger wesentlich stärker. „Also bist du gekommen“, sprach er, die Augen immer noch auf den Kristall gerichtet. „Nein, möglicherweise sollte ich sagen, dass du dazu gebracht wurdest, zu kommen. Wir treffen uns erneut, Etranger Yuuto von 'Motome'.“ „Warum tust du das?!“, konnte er die aufgebrachte Stimme des Etrangers hinter sich hören. „Was kann gut daran sein, alles zu zerstören?“ Er fuhr zu Yuuto herum, um dem Etranger in die Augen zu sehen. Zuletzt war er ihm begegnet, als dieser gemeinsam mit Königin Lesteena in Malorigan gewesen war, um ihm eine Kooperation im Kampf gegen das Imperium Sargios vorzuschlagen. Damals hatte der Etranger recht gefasst, aber auch ein wenig nervös und ungeduldig gewirkt. Kaum etwas an seiner Erscheinung hatte darauf schließen lassen, welch enorme Willenskraft sich in ihm verbarg und dass er genau wie ein maloriganischer Steppenwolf niemals wieder losließ, wenn er sich erst einmal festgebissen hatte. An diesem Tag sprühte er geradezu vor Entschlossenheit, seinen Gegenüber von seinem Plan abzuhalten, seine braunen Augen schienen Funken zu sprühen und für einen kurzen Moment wusste Quedgin, der Präsident von Malorigan und derzeit der größte Feind aller Lebewesen von Phantasmagoria, nicht so recht, ob es das Shinken in Yuutos Händen oder der Etranger selbst war, der nur darauf brannte, seinen Gegenüber in einen Kampf zu verwickeln. Quedgin machte eine Kopfbewegung zu dem Shinken in Yuutos Hand. „Du hast gekämpft, wie dieses 'Motome' dir befohlen hat. Du magst es vielleicht tun, um deine Schwester vor dem Imperium zu retten, aber...“ Er hielt einen Moment inne, verzog das Gesicht in einer gequälten Grimasse. „Weißt du, was jenseits davon liegt? Nein, du kannst es nicht wissen.“ Yuuto schwieg, machte aber auch keine Anstalten, etwas anderes zu tun, als ihn hasserfüllt anzusehen, so dass Quedgin fortfuhr: „Hmpf... Nun, das ist in Ordnung. Alles in allem tust du nur das, was dein Shinken wünscht. Du handelst, wie die Shinken verlangen, um die Welt zu erschaffen, die von den Shinken begehrt wird.“ Noch einmal machte er eine kurze Pause, um sich selbst zu sammeln und Yuuto diese Worte verarbeiten zu lassen, ihm möglicherweise die Gelegenheit zu geben, anhand seiner Geschichte zu erkennen, dass Quedgin im Recht war. Trotz dem Schmerz, der Wut und der Abscheu, die ihn in diesem Moment wieder überkam und die ihn erst bis zu diesem Punkt geführt hatte, blieb seine Stimme gefasst, wie die eines Mannes, der sein eigenes Schicksal bereits kannte und auch akzeptiert hatte – und genau genommen stimmte das sogar. „Mein Feind bist nicht du. Es ist nicht einmal das Imperium. Meine Feinde sind die Shinken, um die diese Welt kreisen.“ Quedgin zog ein Shinken hervor und betrachtete es ein wenig gedankenverloren. Ihm fehlte der ominöse, geradezu verheißungsvolle Schimmer, der bei diesen sonst zu sehen war, aber die Macht, die ihm innewohnte, war dennoch absolut unverkennbar. Schon als er es das erste Mal gesehen hatte, war ihm das sofort aufgefallen. „Dieses 'Kakon' ist anders als die Shinken, die ihr alle habt. Es ist ein Eien Shinken mit keinem eigenen Willen...“ Er neigte den Kopf ein wenig, während er sah, wie Yuuto unwillkürlich schluckte. Auch wenn das Shinken keinen Willen besaß – oder vielleicht gerade deswegen – hatte es Quedgin über alles, was in dieser Welt vor sich ging, aufgeklärt. Und gemeinsam mit diesem war in ihm dann der Plan herangereift, den er auszuführen gedachte. „Ich weiß nicht, was genau ihm fehlt, aber es ist das einzige Eien Shinken, das von einem Menschen genutzt werden kann. Wird es der Wille der Menschheit oder jener der Shinken sein, der die Zukunft an sich reißt...?“ Noch einmal schwieg er, das Mana im Raum begehrte ein weiteres Mal auf, er glaubte, dass das Kernstück des Reaktors ihn auslachte, auf das geradezu nutzlose Shinken in seiner Hand hinabblickte und es verspottete, während es versuchte, sich mit dem Kern zu verbinden. Yuuto reagierte immer noch nicht, der Wille zu kämpfen schwand für einen kurzen Moment aus seinen Augen, er schien unsicher, wusste nicht, ob er Quedgin wirklich aufhalten sollte oder ob es nicht das Beste wäre, möglicherweise doch alles zu einem Ende kommen zu lassen. Aber da war immer noch das Shinken in seiner Hand, das eine solche Entscheidung nicht akzeptieren würde. „In der fernen Zukunft wird diese Welt unausweichlich ihrem Ruin gegenüberstehen. Aber das wird in Übereinstimmung mit dem Willen der Eien Shinken geschehen.“ Noch einmal machte er eine Pause, aber nur weil er von Zorn überschwemmt wurde. Das Shinken in seiner Hand begann gewaltsam, sich mit dem Kern des Reaktors zu synchronisieren, als es seinen Willen registrierte. Der Raum wurde mit Licht gefüllt, während Quedgin gleichzeitig spürte, wie sein Körper sich zu verändern und etwas an ihm zu zehren begann. Das Shinken erfüllte ihm seinen Wunsch, aber nur im Austausch gegen seine Seele, genau wie er es erwartet hatte. „Wenn so etwas Bestimmung ist, dann lehne ich es ab!“, stieß er wütend hervor, während das Shinken seine Seele verschlang. „Ich werde die Welt genau jetzt, von Menschenhand, auslöschen!“ Während immer mehr von seiner Selbst schwand und zu einem Teil von 'Kakon' wurde, gab es nichts mehr, was ihn davon abhielt, seinem Wut und seiner Hass auf diese Fremdbestimmung freien Lauf zu lassen, endlich all das auszusprechen, was ihm seit Jahren bereits auf der Seele brannte. „Ich werde keine Welt akzeptieren, in der mir von den Shinken erlaubt wird, zu leben und in der ich so leben muss, wie die Shinken es verlangen!“ Er glaubte, hoffte geradezu, Verständnis in Yuutos Augen zu sehen, aber noch bevor er sichergehen konnte, ob das wirklich so war, raubte das Shinken ihm das Augenlicht und auch die Erinnerung an seinen Gegenüber, lediglich sein Hass blieb und sein Wunsch, die Menschheit von den ihr vollkommen unbekannten Ketten zu befreien. „Wir leben nicht mit der Erlaubnis irgendjemand anderes. Wir sind am Leben!“ Und aus diesem Grund war es ihm immer zuwider gewesen, zu wissen, dass die gesamte Welt und ihre Geschichte von den Shinken geformt wurde, seit Anbeginn der Zeit und bis an ihr Ende. Er wollte das nicht akzeptieren, sie alle waren Individuen, sie waren in der Lage, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, die Geschichte zu formen, so wie sie es wollten und wie es für die Menschen am besten war. Kein Gott, kein Eien Shinken, niemand hatte das Recht, ihnen vorzuschreiben, wie sie leben sollten! Niemand durfte ihren freien Willen einschränken, nicht einmal unbewusst! Er würde dem allen ein Ende setzen, er würde diese Welt zerstören und sich dem Willen der Shinken widersetzen! Er würde beweisen, dass Menschen stärker waren! Er würde sie alle in die Freiheit führen! Jene Freiheit, die er sich in seinem tiefsten Inneren immer gewünscht hatte, selbst während seines Studiums, all seine Forschungsjahren hindurch und auch für die Dauer seiner Regierung in Malorigan. Schon allein wegen dieser Freiheit, die er endlich für sich gewinnen würde, bereute er nichts, nicht die Tode so vieler unschuldiger Menschen, die seine Tat unweigerlich nach sich ziehen würde, nicht der Untergang dieser Welt, der damit einherging, gar nichts. Doch in seinem allerletzten Moment, bevor 'Kakon' das letzte Stück seiner Seele fraß, erinnerte er sich ein letztes Mal an Youtia und Io und die wohltuende Ruhe, die er in der Gegenwart der beiden stets empfunden hatte, die zarten Bande der Liebe, durch die sie alle drei trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft verbunden gewesen waren. Und das einzige, was er bereute war, dass sein altes Leben mit ihnen nie zurückkehren würde. Etranger -------- Der Gesang von Vögeln weckte ihn, doch noch öffnete er nicht seine Augen, sondern versuchte erst einmal zu rekapitulieren, was geschehen war. Plötzlich war da dieses Licht gewesen, dann war alles vor seinen Augen schwarz geworden – und nun spürte er, dass er auf dem Boden, nein, auf Gras, lag. Er hörte Vögel singen und roch... nichts. Was ungewöhnlich war, denn als er das Bewusstsein verloren hatte, war er gerade auf dem Heimweg gewesen und die Straße, die er nutzte, roch immer nach irgendetwas. Nach Fisch, frisch gekochtem Reis oder auch nur nach Autoabgasen. Aber seine Nase und seine Lungen füllten sich hier mit angenehm sauberer Luft. Schließlich öffnete er die Augen. Wenigstens am Himmel hatte sich nichts geändert, er war blau, so wie immer und von vereinzelten weißen Wolken verhangen, die sanft von dem Wind vor sich hergetrieben wurden. Vorsichtig setzte er sich aufrecht hin, um sich weiter umzusehen. Er befand sich auf einer Wiese, deren saftiges grünes Gras verriet, wie gesund sie war, zahllose Blumen sprossen mittendrin hervor und wiegten sich mit den Halmen im Wind, der auch sein weißes Haar zerzauste. Wo immer er war und wie auch immer dort hingekommen war, er befand sich auf jeden Fall weit weg von zu Hause. Doch noch spürte er darüber weder Furcht noch Panik, er war noch weit davon entfernt, zu begreifen, dass er sich in Schwierigkeiten befinden könnte. Er müsste nur ein Haus finden, dort könnte er dann nach einem Telefon fragen – und auch gleich seinen genauen Aufenthaltsort herausfinden – und dann würde seine Familie ihn schon wieder nach Hause holen, alles kein Problem also. Er stand auf, auch wenn seine Beine sich noch ein wenig wackelig anfühlten und lief aufs Geratewohl in irgendeine Richtung davon, da ihm jede gleich erschien. So sehr er sich auch nach einer Straße umsah, er konnte keine entdecken und so langsam beschlich ihn ein unangenehmer Gedanke. Möglicherweise war er immer noch bewusstlos, war bei einem Unfall ins Koma gefallen und lag nun im Krankenhaus, während sein Geist sich durch eine fremdartige Welt bewegte, in der es keinerlei Technik oder Großstädte gab. Diese Vermutung festigte sich besonders, als er schließlich eine Burg entdeckte. Sie war nicht verfallen, aber auch keine Touristenattraktion, sie sah neu aus – und war offensichtlich bewohnt. Eine Mauer umgab sie und hielt Fremde draußen und ihre Bewohner im Inneren. Auch wenn er genau wusste, dass er hier kein Telefon finden würde, riet ihm seine Vernunft, dass es besser wäre, dort Hilfe zu erfragen. Noch glaubte er immerhin, dass es nur ein wenig Unterstützung bedarf, ihn wieder nach Hause zu bringen. So lief er an der Mauer entlang, bis er schließlich zu einem Durchgang kam, der allerdings von zwei Soldaten bewacht wurde. Er sah auf den ersten Blick, dass sie keine Japaner waren, dafür waren sie groß gebaut und ihre kantigen Gesichter waren braungebrannt von der Sonne. Ihre Augen konnte er wegen der Metallhelme, die sie tief in die Stirn gezogen hatten, nicht erkennen, aber er wusste auch so, dass keine Armee der Welt ihre Soldaten so ausrüsten würde. Der Verdacht, dass er sich gar nicht mehr in seiner Welt befand, wie auch immer das hätte gehen sollen, erhärtete sich weiter. Während er sich den Wachen näherte, überlegte er noch, was er ihnen sagen, wie er erklären sollte, dass er nicht wusste, wie er eigentlich hierher gekommen war und dass er nur wieder nach Hause wollte. Doch als die beiden sich um zuwandten, wurden jegliche Gedanken aus seinem Gehirn gefegt. Sie hoben ihre Schwerter, in denen sich das Sonnenlicht brach und ihn blendete und redeten dabei in wirren Worten, deren Sinn er nicht verstand auf ihn ein, nein, sie schrien regelrecht. Verängstigt blieb er stehen und schüttelte immer wieder den Kopf, dabei murmelte er undeutlich einige Wörter, um zu verstehen zu geben, dass er nicht wusste, was sie von ihm wollten, dass er sie nicht verstehen konnte – und plötzlich wurden sie beide wieder still. Ihre Blicke waren auf seine Kleidung gefallen, er glaubte zu sehen, wie sie blass wurden, dann gab einer ein ersticktes Keuchen von sich, während der andere nur ein Wort ausstieß: „Etranger!“ Das war zumindest ein Begriff, mit dem er etwas anfangen konnte. Er war französisch und bedeutete Fremder... aber er war mit Sicherheit nicht in Frankreich gelandet. Die Sache wurde immer mysteriöser und der Wunsch, dass es wirklich nur eine Komafantasie war, immer stärker. Einer der Soldaten rannte hastig ins Innere der Burg davon, der andere schien vor Angst wie gelähmt zu sein. Er verstand es nicht. Warum sollte man einen Fremden fürchten? Vor allem, wenn er kleiner und wesentlich schwächer war als man selbst und er noch dazu unbewaffnet war. Außerdem fragte er sich, warum man gerade dafür ein französisches Wort gebrauchte. Er überlegte, ob es nicht vielleicht besser wäre, wegzulaufen, solange er nur mit dieser einen Wache herumstand, aber seine eigenen Beinen schienen festgewurzelt zu sein und weigerten sich beharrlich, auch nur einen Schritt in irgendeine Richtung zu tun, seine Augen starrten nach wie vor auf das scharf aussehende Schwert in der Hand der Wache. So dauerte es nicht lange, bis der Soldat, der zuvor weggelaufen war, mit Unterstützung wieder zum Tor zurückkehrte. Auch die Dazugekommenen musterten ihn mit blassem Gesicht, einer von ihnen rief ihm etwas zu, aber erneut konnte er nur den Kopf schütteln und gleichzeitig die Schultern heben, um zu zeigen, dass er nicht verstand, was sie sagten. Es war keine Sprache, die ihm auch nur im Mindesten bekannt vorkam, lediglich das Wort Etranger kannte er. Erst als einer von ihnen ihm mit hastigen Gesten zu verstehen gab, dass er mit ihnen kommen sollte, nickte er sofort und lief los, um zu zeigen, dass er durchaus gewillt war, mit ihnen zusammenzuarbeiten, solange sie ihn dafür nicht bedrohten. Während sie durch die Stadt liefen, hielten die Soldaten mehrere Schritte Abstand von ihm, als fürchteten sie sogar, ihm zu nahe zu kommen, da sie ihn dann möglicherweise aus Versehen anfassen könnten. Auch die Bewohner der Stadt, die allesamt innehielten, um den Tross furchtsam zu betrachten, hielten sich fern von ihm. Manche packten sogar ihre Kinder fester, damit diese auf gar keinen Fall auf ihn zulaufen könnten. Er verstand es einfach nicht, absolut nicht, es machte keinen Sinn. Während er innerlich immer wieder seine erste Begegnung mit den Wachen nachspielte, um herauszufinden, ob er irgendetwas getan hatte, was sie derart verstimmt haben könnte, führten sie ihn in die Burg hinein und dort direkt in den Thronsaal, wo sich nur eine einzige Person aufhielt. Es war ein beleibter Mann, dessen Kopf fast schon ein wenig zu klein erschien. Eine Brille auf seiner Nase half ihm, alles und jeden mit einem hochmütigen Blick zu mustern. Vor diesem Mann blieben sie wieder stehen. Einer der Soldaten sprach ihn an und gestikulierte wild zwischen ihm und dem Mann hin und her. Dieser musterte ihn interessiert durch seine Brillengläser, die im Feuerschein der Kerzen glitzerten. Auf ein kurzes Winken seiner Hand rauschten alle Soldaten hinaus und ließen ihn allein mit dem seltsamen Mann, der ihn weiterhin musterte. Kaum waren die Türen geschlossen, winkte der andere ihn lachend mit sich und auch wenn ihm das nicht im Mindesten gefiel, ließ er sich zum Thron führen. Auf diesem saß kein Herrscher, gleich welches Geschlechts oder Alter, er fand lediglich ein Schwert, dessen seltsam geformte, rote Klinge im Feuerschein glitzerte. Er konnte nicht anders als diese Waffe anzustarren und das lag nicht nur an der absolut einmaligen Form. Eine seltsame, ihm vollkommen unbegreifliche Aura umgab das Schwert, lockte ihn und wollte, dass er es an sich nahm. Er schaffte es nicht, diesem Verlangen zu widerstehen, nein, er wollte es nicht einmal. Was immer das war, es verhieß ihm Macht, die er brauchte, um seine tiefsten Wünsche und seinen Schwur zu erfüllen – und genau das benötigte er. Macht, so viel wie er bekommen konnte. Die Energie des Schwertes drang in ihn ein, kaum, dass er die Hand auf den Griff gelegt hatte, eine vollkommen unbekannte Macht breitete sich in ihm aus, übernahm ihn allerdings nicht, sondern ergänzte ihn vielmehr, wurde zu einem Teil von ihm, auf den er nach Belieben zugreifen konnte. Während sein Kopf sich mit Wissen füllte, das er in seinen Körper fließen ließ, fuhr er herum, um den Mann zu betrachten, der mit ihm im Raum stand – und als er wieder etwas sagte, konnte er plötzlich jedes einzelne Wort verstehen: „Willkommen in Sargios, Etranger von 'Chikai'.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)