Silhouette of myself. von Papierherz (Sasuke und Sakura.) ================================================================================ Prolog: Auseinandergerissen. ----------------------------  Sie hatte immer schon ein glückliches Leben geführt. Mit einer intakten Familie, Freunden und die Schule lief auch gut. Sie hat nie jemandem Probleme gemacht und hat ihre eigenen immer für sich behalten. Sie sehnte sich immer nach einer Person, der sie alles anvertrauen konnte und die sie verstand. Doch es war schwer so jemanden zu finden. Doch sie war ja glücklich. Sie musste glücklich sein, so wie man es von ihr erwartete. Erst letztes Wochenende war ich auf eine Party eingeladen. Die Geburtstagsparty des absolut beliebtesten Mädchens der Schule. Und ich hatte einen riesen Spaß… Nein, in Wahrheit nicht. In Wahrheit saß ich zu Hause und habe gelernt und Klavier gespielt und mein Zimmer bis auf das letzte und kleinste Staubkorn geputzt. Die sieben Weltwunder wären nichts dagegen, wenn ich nur zu einer Party eingeladen, oder gar sogar hingehen würde… dürfte. Aber so fing meine Geschichte nicht an. Sie fing damit an, dass meine beste Freundin Ino mir vorschlug, die Schule zu wechseln. Wir besuchten nämlich eine reine Mädchenschule in London. Ich hatte keinerlei Probleme damit, doch Ino war Feuer und Flamme mit der Idee auf eine gemischte Schule zu gehen und Jungs außerhalb ihrer Freizeit zu sehen und mit ihnen zu Reden. Doch ich machte keine voreiligen Entscheidungen. Ich lebte in einem goldenen Käfig, das war mir bis dahin noch nie wirklich aufgefallen. Für mich war es Normalität, dass ich nicht wie andere in meinem Alter war, dass ich nicht auf Partys ging, sondern zu Hause saß und dass ich meine Entscheidungen nicht selber traf. Und ich konnte nichts dagegen tun… Vielleicht konnte ich, aber ich tat es nicht. Weil ich Angst hatte, vor der Veränderung. Ich wollte es, ich war bereit, doch die Angst war zu groß, viel zu groß. Es war wie eine Regenwolke, die permanent über mir schwebte und mit sich auch Wut, Enttäuschung und schlechte Erkenntnisse brachte. Wenn ich so still neben Ino ging, dachte ich mir manchmal, wie einfach es wäre, einfach wegzulaufen. Ich habe schon viel von den Jungendlichen gehört, die einfach wegliefen, nie wieder auftauchten. Das wollte ich. Verschwinden und nie wieder auftauchen. So in meine Gedanken vertieft, bemerkte ich nur leicht, wie Ino ihr Gesprächsthema langsam auf die Schule lenkte. “Was hältst du von einem Schulwechsel?”, fragte sie und ich blickte sie überrascht an. Das war immer einer der vielen Dinge, an die ich nie gedacht habe, da meine Eltern meine Schule ausgewählt haben. Ich vertraute ihnen… vollkommen. “Was meinst du?” Seufzend warf sie ihr goldblondes Haar nach hinten. Sie hatte wahrlich das Antlitz eines Engels. Ihre langen blonden, glänzenden Haare, die türkisblauen Augen, die ihr Gesicht schmückten und die zierliche aber dennoch weibliche Figur einer Ballerina. Ja, ich beneidete sie. Denn ich war das krasse Gegenteil. Meine Haare waren kurz, filzig und pink. Außerdem war ich klein und zu dünn und von weiblichen Rundungen gab es kaum eine Spur. “Ich möchte auf eine gemischte Schule. Ganz einfach. Und du sollst mitkommen.” Ich griff nach einer kurzen pinken Haarsträhne und zwirbelte sie zwischen den Fingern. Eigentlich fand ich die Idee ja doch ganz gut. Aber ich wusste, dass meine Mutter Angst hatte, dass ich die Schule vernachlässigen würde und mir damit meine ganzen Zukunft verbauen würde. “Ich weiß nicht.”, murmelte ich einfach. Natürlich wusste ich nicht. Ich wusste gar nichts, da mit die Entscheidungen immer abgenommen werden. “Wie, du weißt nicht?”, fragte Ino gereizt und ihre Augen blitzen bedrohlich auf. “Meine Eltern halten nicht so viel von gemischten Schulen.” “Deine Eltern, deine Eltern. Verdammt, Sakura! Ich frage dich, nicht deine Eltern!” Inos Stimme wurde laut und schriller. Wir standen inzwischen schon an der Straße, in der sie wohnte. Bevor ich sagen konnte, dass ich das nicht so meinte, und bevor ich ihr überhaupt mein Herz ausschütten konnte, entfernte sie sich zwei Schritte. Die Regenwolke über meinem Kopf grollte verdächtig. “Was wird bloß aus deinem Leben, Sakura?” Nun klang ihre Stimme niedergeschlagen und das versetzte mir einen Stich ins Herz. Ich hasste es, sie so zu hören. Besonders, wenn ich Schuld war. “Mit meinem Leben ist alles okay.” Theoretisch. Und eigentlich klang ich überzeugend, denn ich war in alle den Jahren eine gute Lügnerin geworden. Aber sie schüttelte nur den Kopf und ging noch einen Schritt nach hinten. Diese Entfernung zwischen ihr und mir war mich nicht geheuer. Wollte sie mir etwas damit andeuten? In meinem Kopf ratterte es gewaltig, auf der Suche nach einer Antwort. Bevor sie sich umdrehte, sagte sie mit Nachdruck: “Nein, Sakura, das ist nicht dein Leben, sondern das deiner Eltern.” Aus der Regenwolke wurde eine dunkle Gewitterwolke und die Blitze schlugen erbarmungslos nur so auf mich ein. Kapitel 1: Glück zählt. -----------------------  Ich hörte noch wie die Haustür ins Schloss fiel, bevor meine Mutter sich einige Sekunden später vor mir aufbaute. Ihr braun gefärbten Haare waren ein wildes Durcheinander und sie hatte eine frustrierten Gesichtsausdruck. Doch das kümmerte mich gerade herzlich wenig. Es tat so weh. Einen kurzen Augenblick lang schaute ich sie an, bevor ich versuchte, mich an ihr vorbeizudrängen, doch sie versperrte mir den Weg. “Fräulein. Weißt du eigentlich, dass du zu spät bist?” Ja, verdammt!, schrie ich in Gedanken, ich weiß, dass ich zu spät bin. Mein Herz schien sich krampfhaft zusammen zu ziehen. Für mich ist es zu spät. “Sind doch nur zehn Minuten.”, murmelte ich stattdessen. Meine Gedanken würde sie nie hören. Sie verdiente es nicht. Dabei liebte ich sie doch so sehr. “Ha!”, schrie sie auf und warf die Arme in die Luft. “Nur? In zehn Minuten kann vieles passieren. Ich hab mir verdammt viele Sorgen gemacht.” Worüber? Dass mich deine Kollegen mit einem ungepflegten Jungen alleine sehen? Oder dass man schlecht über dich redet? Ich senkte meinen traurigen Blick und ging an ihr vorbei. “Das wird noch ein Nachspiel haben. Und jetzt macht deine Hausaufgaben!” Danke der Nachfrage, aber mir geht es schlecht. Ich war so bedeutungslos. Ich verdiente nicht einmal nach mir selber gefragt zu werden. Es tat so verdammt weh. “Sakura.” Ich verharrte in meiner Bewegung, meine recht Hand schon auf der Türklinge meines Zimmers. Meine jüngere Schwester Anzu schaute mich mit einem breiten Grinsen an. “Du bist wieder zu Hause.”, sagte sie erfreut und stellte sich neben mich. Sie war ein bisschen kleiner als ich und hatte ebenfalls gefärbte Haare, doch ihr waren weinrot. Meine Mutter hatte damals fast einen Nervenzusammenbruch gekriegt, doch Anzu war anders als ich. Ganz anders. Sie bekam nur ein Nicken von mir. Dann trat ich in mein Zimmer und sie folgte mir. Während ich meine Tasche abstellte, warf sie sich in mein Bett und starrte immer noch grinsend an die Decke. Ich wünschte, ich wäre so glücklich wie sie. Was habe ich falsch gemacht? Seufzend fuhr ich mir durch die Haare. Ich hasste sie. Ich hasste meine Hände. Ich hasste mich. Verdammt. “Sakura?” Ich blickte überrascht auf. Sie hatte sich aufgesetzt und schaute mich mit ihren großen, grünen Augen an. “Hm?” Ihr Augen strahlten. “Ich bin verliebt!” Glücklich… Ich lachte leise. Doch mein Herz blieb stumm. “Wer ist denn der Glückliche?” Plötzlich sprang sie auf mich zu und nahm meine Hände in ihre. Etwas verwundert schaute ich sie an. Dann legte sie sich eine Hand auf ihr Herz. “Er ist ein Gott, Sakura! So wunderschön. Ich muss ihn dir unbedingt vorstellen.” Ich nickte. “Aber weiß Mama schon davon?” Anzu verdrehte die Augen. “Pf! Die würde doch nur Stress machen. Aber ihm macht es nichts aus, durch das Fenster zu klettern.” Fenster? Klettern? Ich dachte, mich verhört zu haben. Er war also schon hier gewesen? Ich machte mir Sorgen. Sie war doch erst 16. “Wie alt ist er denn?”, versuchte ich so beilläufig wie möglich zu fragen, während ich meine Schulsachen auspackte. Eigentlich hatte ich keine Lust, diese heute zu machen. Ich hielt inne. Ich würde sie heute nicht machen. “Er ist 18.” “Was?”, zischte ich und drehte mich zu ihr um. Das war unmöglich! Was dachte sie sich dabei? “Anzu! Der ist doch viel zu alt für dich!” Sie wirkte beleidigt, doch dann lächelte sie. “Es sind nur zwei Jahre. Außerdem bin ich glücklich! Und das zählt.” Glücklich sein. Das zählt. Mit diesen Wort verließ sie mein Zimmer und ließ mich zurück. Langsam sackte ich in meinen Stuhl, fuhr mir durch die Haare und krallte mich in ihnen fest. Hatte ich etwa kein Recht dazu? Sie hatte mich abgelenkt, doch nun kamen die Erinnerungen wieder. Inos Satz hallte immer und immer wieder in meinem Kopf. Ich versuchte angestrengt, nicht an ihre Worte zu denken, doch sie waren wie ein spitzer, scharfkantiger Stein, der sich in meinem Herzen mit jedem Schritt, den ich tat, hin und her wand und bleibende Wunden hinterließ. Bis jetzt war doch alles immer perfekt gewesen, wieso stürzte plötzlich alles über mir ein wie eine Katastrophe? Bisher dachte ich, dass ich alles richtig machte, so wie ich es tat und so wie meine Eltern es mir vorschrieben. Habe ich etwas mein ganzes bisheriges Leben aus dem Fenster geschmissen, weil ich nie auf mein Herz gehört habe? Wie sehr habe ich mich eigentlich verstellt? Wer war ich überhaupt? “Verdammt!”, murmelte ich. Das war einfach zu viel. Dieses Gewicht, was auf meinen Kopf drückte, er drohte deswegen zu platzen. Wie konnte das passieren? Wie konnte es so weit kommen… dass nicht mal ich wusste, wer ich wirklich war? Aber vielleicht reagierte ich auch einfach über. Bis jetzt war ja auch alles okay gewesen. Zwar nur okay, aber es war nicht so, dass ich unzufrieden war. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass ich noch nie daran gedacht habe, dass ich unzufrieden sein sollte? Doch wenn ich sah, wie manche Menschen einfach glücklich waren, fragte ich mich schon, wo war mein Glück geblieben? Ich hab mich noch nie so wirklich frei und glücklich gefühlt. Natürlich habe ich oft gelacht, aber irgendwie war es nie das Lachen, das einfach vom Herzen kam und unbeschwert war. Ich schüttelte den Kopf. Das musste ich mir alles einbilden. Und Ino meinte es sicherlich auch gar nicht so, wie sie es gesagt hatte. Es war eine Lüge. Mein Leben war eine Lüge. Dieser Tag war absolut zum Kotzen! Ich schloss dir Tür zu und warf mich anschließend aufs Bett. Es war erst später Nachmittag und meine Augen fühlten sich so schwer an. Ich wollte nur noch schlafen. Und nie mehr aufwachen. Doch ich wachte wieder auf. Als ich meine Augen öffnete, war es draußen dunkel, mein Zimmer nur schemenhaft zu erkennen. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Kurz vor Mitternacht. Ich rollte mich auf die Seite und starrte aus dem Fenster, welches ein bisschen Licht von der Straßenlaterne in meiner Zimmer ließ. Meine Mutter hatte sicherlich versucht, mich aufzuwecken. Ihr Kontrollzwang war verrückt. Wieso fiel mir das alles erst jetzt auf? Mein Vater war so selten da, ich vergaß manchmal, wie er wirklich aussah, meine Mutter viel zu oft zu Hause. Und wer hatte entschieden, wie die Möbel in meinem Zimmer stehen sollen? Ich nicht. Es war verrückt, vielleicht sogar krank, doch ich konnte es nicht ertragen und schloss die Augen. Ich habe das nicht verdient. Ein leises, dumpfes Kichern drang zu mir durch. Eindeutig Anzu. Erneut öffnete ich meine Augen. Ihr Freund war wieder da. Wie er wohl aussah? Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Wieso hatte sie so viel mehr Glück in ihrem Leben. Nein, ich konnte ihr soviel Glück nicht gönnen, wenn ich selber nicht so etwas fühlen durfte. Unfair, unfair, unfair. “Und jetzt husch, husch, ab nach Hause mit dir.”, hörte ich Anzu sagen. Ich konnte meine Neugierde nicht halten und sprang auf, um aus dem Fenster zu spähen. Und tatsächlich kam er durch das Fenster, doch ich konnte nicht viel erkennen. Er musste sie wirklich lieben, wenn er so etwas auf sich nahm. Aber ich konnte es nicht verstehen. Wie konnte sie sich trauen, unseren Eltern so etwas zu verheimlichen, so etwas zu wagen? Natürlich konnte ich es nicht verstehen, ich war ein ganz anderer Mensch. Ich muss mich ändern. Konnte ein Kopf explodieren? Meiner fühlte sich so an. Die Kopfschmerzen waren so unerträglich, ich wollte schreien. Ich wollte mir den Kummer von der Seele schreien, wenn es etwas ändern würde. “Sakura?”, fragte meine Mutter und klopfte leise an meine Tür. Ich wollte nicht raus. Ich wollte nicht in diese Schule. Doch anstatt mich zu weigern, ging ich zur Tür und schloss sie auf. Ich will doch gar nicht. Sie strafte mich mit einem wütenden Blick. Ja, trampel auf mir rum, darauf habe ich die ganze Zeit gewartet. “Was fällt dir ein, deine Tür abzuschließen? Ist dir eigentlich klar, wie spät es ist? Du kommst zu spät! Mach dich sofort fertig und mach dich auf den Weg.” Dieses Pochen an meiner Schläfe wurde stärker. “Tut mir Leid.”, sagte ich zerknirscht und ging sofort ins Bad, um mich fertig zu machen. Wieso sah sie nicht, dass es mir schlecht ging? Und wieso verschwieg ich es? Ich wollte sie nicht enttäuschen. Ich wollte eine gute Tochter sein. Denn nur eine gute Tochter machte ihre Eltern glücklich. Wieso konnte ich andere glücklich machen, aber mich selber nicht? Stumm ging ich in die Küche. Es sah aus wie immer. Auf dem Tisch hatte meine Mutter ein großes Frühstück errichtet, doch dieses mal hatte ich keinen Hunger. “Iss schnell auf und dann fahr ich dich zur Schule.” Ich drehte mich um, um meine Mutter anzusehen. Sie lächelte mich glücklich an, als hätte sie alles vergessen. Ich wollte auch so schnell vergessen, doch das war unmöglich. Jede einzelne Erinnerung brannte sich in meinen Kopf. »Die Erinnerungssplitter liegen herum und ich trete rein.« Ich wollte nicht, dass sie mich zur Schule fährt. Zeit für eine Veränderung. Oder? “Ich hab aber keinen Hunger.”, sagte ich. Keinen Hunger mehr auf Enttäuschung, auf verletzende Erinnerungen. Sie lächelte immer noch. “Gut, dann pack ich dir etwas mehr für die Schule ein. Und du ziehst schon einmal deine Schuhe an. Ich komme gleich.” Ich musste mich dazu zwingen, das zu sagen. Ich wollte sie nicht verletzten, damit tat ich mir selber wer, dennoch konnte es so nicht weiter gehen. Es war nicht fair, dass ich andere glücklich machte, die mich permanent verletzten. Meine Mutter hatte immer nur an sich gedacht, mit allem was sie tat, wieso fällt es mir erst jetzt auf? Sie wollte mich zur Schule bringen, damit die Nachbarn nicht mitbekamen, dass ich zu spät kam und sie darauf ansprachen. Mir war es egal, was sie dachten, solange sie mich nicht verletzten. So wie sie es immer tat. “Ich gehe aber zu Fuß.”, sagte ich. Jetzt hielt sie inne. Kurze Zeit regte sie sich nicht. Hab ich sie verletzt? Erschrocken? Als sie sich umdrehte, war ihr Lächeln verschwunden und sie hatte eine finstere Miene aufgelegt. “Was sagst du da? Du kommst zu spät! Und außerdem möchte ich nicht noch eine Tochter wie Anzu.” Den letzten Satz murmelte sie so leise, während sie sich umdrehte, doch ich hörte es. Ein Stich ins Herz. Anzu war kein schlechter Mensch, weil sie glücklich war. In diesem Moment verspürte ich einen Hass auf meine Mutter wie nie zuvor. Mich durfte sie herumschubsen, beleidigen, mich verletzten oder ignorieren, aber nicht versuchen das Glück meiner Schwester zu zerstören. Augen auf. Die Welt sieht ganz anders aus. “Eine Mutter wie du hat Anzu als Tochter nicht verdient.”, donnerte ich. Mein Verstand setzt aus. Ich packte mein Schulbrot und lief raus, ohne auf die Worte zu achten, die meine Mutter mir hinterher rief. Sie stießen auf taube Ohren. Was war Träne und was Regen? Ich wusste es nicht. Kopflos bin ich aus dem Haus gestürmt, bin weggelaufen so schnell ich konnte. Wohin kannst du schon rennen, um vor dir selbst zu fliehen? Ich starrte meine Schuhe an, die vollkommen durchnässt waren. Die einzigen Geräusche, die zu mir durchdrangen, waren mein einsames Schluchzen und das Plätschern des Regens. Meine Haare klebten in meinem Gesicht, so wie der Schmerz in meiner Seele. Ich blickte gen Himmel, der Regen peitschte in mein Gesicht. Konnte er nicht einfach meinen Schmerz mit sich spülen? Bitte. Es war der dumpfe Schlag, der mich vollkommen durcheinander brachte, als ich in die nächste Straße einbog. Mit einem Mal saß ich auf dem nassen Boden. Meine Hände schmerzten höllisch, nachdem ich versucht habe, mir abzustützen, meine Augen brannten von den vielen Tränen… Und mein Herz zerriss. Hielt ein Engel mir die Hand hin? Ich war so verdattert. Er war wunderschön. Seine schwarzen Haare glänzen vom Regen und fielen ihm trotzdem locker in sein wunderschönes Gesicht, seine dunklen Augen auf mich geheftet, seine große Hand in meine Richtung gestreckt. Ich ergriff sie. Seidenweich. Seine Haut war seidenweich. Ich wollte, dass er meine Hand nie wieder losließ. Halt mich fest, für immer! Ich versuchte ihn anzulächeln, doch es traf mich wie ein Schlag. Ich sah schrecklich aus und er war wunderschön. Doch ich versuchte mein Lächeln aufrecht zu erhalten, so wie ich es immer tat, um den Schmerz aus meinem Gesicht zu verdrängen. “Tut mir Leid.” Er nickte kurz, während er mich mit einem skeptischen Blick musterte. “Schon okay.” Er bückte sich, während ich benommen ins Nichts starrte und hielt mir meine Tasche hin, die mir aus der Hand gerutscht war. Wann ist das passiert? Mein Kopf war vollkommen leer, nur sein Gesicht und seine Stimme waren noch dort. Ich bedankte mich leise und er ging an mir vorbei, ohne ein weiteres Wort. Mein Herz hatte so schnell geflattert und füllte mich wieder mit Leben, doch plötzlich setzte es wieder aus. Schon lange nicht mehr, hatte ich mich so lebendig gefühlt. Ich schloss die Augen und dachte an ihn und mein Herz schlug wieder schneller. Komm zurück. Ich will mich wieder lebendig fühlen. Ob ich ihn jemals wieder sehen würde? Ob er auch an mich dachte? An das, was passiert ist? Hatte er sich auch so gefühlt? Ob der Regen aufgehört hatte zu fallen, um ihn nicht aus meinen Gedanken zu spülen? Ob das Liebe auf den ersten Blick war? Kapitel 2: Pech verfolgt. ------------------------- ERINNERUNGSSPLITTER  Es war ein freudiges Lachen. So unbekümmert. Sanft hüpften meine langen Haare mit mir, während ich auf dem Bett sprang, neben mir meine kleine Schwester, die sich lachend neben mir kugelte. So unbeschwert. Ich lachte lauter, wedelte vergnügt mit meinen Armen in der Luft. Die Matratze unter mir sank mit jedem Hüpfer unter meinem kümmerlichem Gewicht. Ein Blick nach unten, meine Schwester war weg. Doch ich lachte weiter. Bis mich etwas am Arm packte und ein donnernder Schmerz in mir hoch kroch. Meine Wange glühte und ich starrte entsetzt in das Gesicht meiner Mutter. Es tat so weh, so weh. Ich wollte schreien, weglaufen, doch sie krallte sich in meinen Arm fest. Schmerz. Schmerz. Schmerz. Was habe ich falsch gemacht? Ihr Gesicht verschwamm, die heißen Tränen kullerten meine schmerzende Wange hinunter. Meine Beine waren so schwach, ich sackte zusammen. Das Schluchzen schüttelte mich so stark. Die Luft blieb mir weg. Ich konnte nicht mehr atmen. Was habe ich falsch gemacht? Sie schimpfte. So laut. Meine Ohren taten weh. Meine Wange glühte. Mein Herz zerriss. Ich war doch immer so ein braves Kind gewesen. Ich habe doch nie Ärger gemacht. Was habe ich falsch gemacht? Plötzlich war es still. Ich wollte mich nicht rühren. Angst. So unbeschreibliche Angst. Kaum noch Luft zum Atmen. Mein Gesicht vollkommen benetzt von Tränen. Ich blickte auf und sah Anzu in der Tür stehen. Regungslos. Sie schaute mich an. Ihre Augen so mitleidvoll. In dem Moment beschloss ich, meine Mutter nie mehr zu verärgern. In dem Moment beschloss Anzu, nie so zu werden wie ich. Was habe ich falsch gemacht? “Sakura, das ist falsch.” Ich folgte Inos schmalen Finger, die mich auf einen Fehler in meiner Rechenaufgabe hinweißte. “Mhm.”, brummte ich und strich es durch. Viel zu weit weg waren meine Gedanken, als dass ich mich jetzt auf Mathe konzentrieren konnte. Es war ein unangenehmes Kratzen an meiner Wange und ich blickte zur Seite. Ino hielt mir ihre Haarspitzen ins Gesicht und kicherte. Ich schenkte ihr ein kleines Lächeln und wandte mich wieder meiner Aufgabe zu. Doch die Zahlen konnten nicht meine Gedanken verdrängen, die immer noch um ihn schwirrten. Das war doch völlig absurd! Ich kannte ihn nicht und ich würde ihn nie wieder sehen, basta! Aber irgendwie wollte das nicht in meinen Kopf rein, irgendetwas ließ ihn immer wieder in meine Gedanken. War es die Einsamkeit meines Herzens? “Sakuraaa.” Ich warf einen kurzen Blick zu meiner besten Freundin. Sie erinnerte sich nicht mehr an ihre Worte, sie tat als wäre dies nie geschehen. Dabei machte es mich kaputt, es quälte mich. “Was ist?”, fragte ich. “Mir ist langweilig.” Nur ein weiteres Nicken von mir. Und die Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich starrte stur gerade aus. Ich würde jetzt nicht weinen, nein, nicht jetzt. Und am besten nie wieder. Nie wieder weinen. Das war es nicht wert. Der Kampf gegen die Tränen war so schwer, denn mein Herz fühlte sich an wie ein riesiger Klumpen in meiner Brust, der verzweifelt versuchte, mich wieder zum Leben, zum Fühlen zu verleiten. Aber ich wollte nicht mehr. Es sollte alles an mir und dem Herzklumpen abprallen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Ino mich mit einem argwöhnischen Blick betrachtete. Es war so schwer, jetzt noch ein hübsches, glückliches Lächeln vorzutäuschen. Denn ich war weder hübsch, noch glücklich. Hässlich und einsam. Und ich wusste, dass das jeder so sah und so empfand. Selbst Ino, die mir immer wieder versuchte einzureden, sie wäre nicht hübscher als ich. Doch es war eine Tatsache. Daran würde sich auch nie etwas ändern. Ich bemerkte wie meine Gedanken langsam abschweiften und unsere Mathelehrerin an der Tafel noch einige Aufgaben notierte. Doch das war egal. Eigentlich war alles egal. Wer vom Pech verfolgt wurde, durfte so etwas sagen. Und ich wurde vom Pech verfolgt. Der ganze Schultag zog an mir vorbei, als wäre ich gar nicht existent. Ich saß meine Stunden ab und beteiligte mich kein einziges Mal. Dabei war ich doch immer so gut gewesen, doch heute… ab heute schien alles anders zu sein. Selbst Ino war ganz anders. Sie redete nicht mehr so viel mit mir, sie warf mir nur noch seltsame Blicke zu, die ich nicht einordnen konnte. Aber es war so schwer zu realisieren, was um mich herum geschah, wenn in meinem Kopf immer das eine zu sehen und zu hören war. “Hast du mir überhaupt zugehört?” Ach ja, Ino war noch da. Ich hatte sie vollkommen vergessen, aber ich fühlte mich so unbehaglich, den gleichen Weg sind sie gestern zusammen gegangen. Und es tat immer noch weh zu wissen, dass Ino einfach Recht hatte. “Nein, nicht wirklich.”, antwortete ich wahrheitsgemäß. Meine Mutter meinte immer, ich soll nicht lügen. Hübsche, süße Mädchen lügen nämlich nicht, das hatte sie immer gesagt. Damals noch. Was würde sie heute sagen? Ino schüttelte den Kopf. “Ist auch nicht so wichtig.” Plötzlich umarmte sie mich und ging davon. Etwas verwirrt, brauchte ich Zeit um zu realisieren, dass sie schon abbiegen musste. Ich würde unsere Freundschaft zerstören. Das war sicher. Ich hatte das Gefühl, als würde ich alles kaputt machen, so wie mich alles kaputt gemacht hatte. War das denn fair? Oder hatte ich nicht einmal Recht dazu? »Ich komme hier nicht weiter, bin tausend Mal gescheitert.« Als ich plötzlich realisierte, wo ich mich befand, einige Meter vor meinem zu Hause, wollte ich wegrennen. Die Angst drückte mir schwer auf die Lungen, bekam kaum noch Luft und mein Herz schlug so laut, dass ich nichts anderes mehr mitbekam. Ich wollte noch nicht nach Hause. Meine Mutter würde im Flur auf mich warten, Anzu würde in ihrem Zimmer sitzen und mein Vater wäre noch nicht zu Hause. Was würde passieren? Ich wollte es mir nicht ausmalen. Also drehte ich mich herum und ging in eine kleine Straße hinein, die ich selten benutze. Ein Spaziergang, mehr brauchte ich jetzt nicht. Ich musste mich beruhigen, Selbstbewusstsein aufbauen. Das war genau das, was mir so oft fehlte. Es war viel leichter, selbstbewusst zu sein, wenn Ino nicht dabei war. Neben ihr fühlte ich mich immer so hässlich, noch hässlicher als ich eigentlich war. Doch jetzt war ich alleine und kein Mensch beachtete mich. Bis gerade eben. Ich weiß nicht, wie es passierte und was in meinem Weg lag, doch mein Fuß stieß gegen ein Hindernis und ich fiel. So wie mein Herz vor langer Zeit in ein schwarzes Loch fiel. Doch es wurde nicht gerettet, so wie ich. Seine Augen waren so atemberaubend, ich dachte, es gäbe nichts schöneres. Sein Griff stark und dennoch so einfühlsam, ich wollte, dass er mich nie wieder los ließ. Das zweite Mal. Das Schicksal hasste mich. Ich wollte ihn doch gar nicht wieder sehen. Oder? Ich lag noch immer in seinen Armen und starrte ihn erschrocken an. Kein Wort kam über meine Lippen und er sagte auch nichts. Nur ein Blick, mehr schenkte er mir nicht. Dann, war es ein Lächeln, dass sein wunderschönes Gesicht atemberaubend machte?, sagte er: “Du solltest vorsichtiger sein.” Nur ein Nicken, mehr konnte ich nicht machen. Ich war so erstaunt. Dabei wollte ich doch nicht mehr an ihn denken, aber wieso tat mir das Schicksal so weh? Ich hab das nicht verdient. Und dann stand ich wieder auf meinen Füßen und er verschwand ein weiteres Mal. Wieso lief er mir noch einmal über den Weg? Jetzt saß er in meinem Kopf fest und ich wollte ich rausschütteln, rauszerren, doch er wollte nicht, ich konnte nicht. Es war schrecklich. Und seltsam. Konnte es Zufall sein, dass ich ihm in die Arme fiel? Aber er hielt mich wahrscheinlich für das dümmste, was ihm je über den Weg gelaufen ist. Ein kleines, hässliches Entlein, das nicht laufen konnte. Um mich herum drehte sich die Welt weiter, während ich dastand und mich nicht mehr recht bewegen konnte. Mein Kopf war wie leergefegt, ich dachte nichts und ich fühlte nichts und ich wollte es auch nicht. Mit stummen Mund und stummen Herzen ging ich nach Hause, wo mich die Hölle erwartete. Wie jeden Tag. Es herrschte drückende Stille, als ich die Tür aufschloss. Keine liebende Mutter, die mich erwartete, oder eine kleine Schwester, die sich auf einen freute, oder ein Vater, der einen vermissend umarmte. Nur eine Mutter, die in den Flur stürmte, mit einem wütenden Gesichtsausdruck, eine kleine Schwester, die auf der Treppe stand und einen wie fremd anstarrte und einen Vater, der desinteressiert in der Küche saß. “Wie siehst du denn aus?”, fragte meine Mutter und musterte mich mit einem argwöhnischem Blick. Und wieder bemerk ich, wie ich immer tiefer falle, wie das Gewicht mich immer weiter in die Tiefe zerrt. Fiel ihr plötzlich auch auf, wie schrecklich ich war? “Bist du etwas durch den Regen gelaufen? Was denkst du dir dabei? Immerhin bin ich diejenige, die sich dann um ein krankes Kind kümmern muss!” Du egoistische, egoistische, egoistische Mutter! Ich war so wütend, aber es tat auch weh, wenn sie so etwas sagte. Vielleicht war es nicht böse gemeint, aber es war so verletzend. Aber das bemerkte sie natürlich nicht, das würde sie nie. “Ist doch mein Problem.”, antworte ich. Kurzschlussreaktion. Ich wollte sie nicht verärgern, das war nicht geplant. Ich konnte beobachten, wie sich ihre Miene erhärtete und sie mich mit zugekniffenen Augen anstarrte. “Fräulein, ich weiß nicht, was du dir seit Tagen erlaubst, aber so geht das nicht weiter. Mach, dass du auf dein Zimmer kommst.” “Ich glaube aber Sakura möchte mit uns essen.”, hörte ich Anzu sagen, die nun die Treppe runter kam und mich hinter sich in die Küche zog. Ich war ihr verdammt dankbar, dass sie mir half, als ich den Blick meiner Mutter gesehen habe. Sie frage sich bestimmt, was sie falsch gemacht hatte. Ich konnte es ihr sagen. Alles. Mein Vater blickte nicht mal von der Zeitung auf, dabei habe ich sein Gesicht das letzte mal vor zwei Wochen richtig gesehen, als ich ihm im dunklen Flur ausversehen in die Arme gelaufen bin. Aber das war nicht so schön gewesen, wie dem unbekannten in die Arme zu fallen. Ich schloss frustriert die Augen. Wieso erinnert ich mich schon wieder an ihn? Wieso konnte mich der Gedanke nicht einfach in Ruhe lassen? Und jetzt raus aus meinem Kopf! Das Essen verging unangenehm still. Meine Mutter gönnte mir keinen einzigen Blick und mein Vater saß wie ein völlig Fremder am Esstisch, während Anzu die einzige war, die ab und zu munter drauf los plapperte. Dieses Familienverhältnis war ein einziges Wrack. Wenn ich daran dachte wie munter es immer bei Ino war. Sie stritten sich oft, sehr oft, doch es war immer um einiges liebevoller als dieses Szenario hier. Nachdem ich lustlos in meinem Essen gestochert hatte, stand ich auf und entsorgte es. Lieber verbringe ich die Zeit alleine schweigend in meinem Zimmer als diesem Tisch. Ohne ein weitere Wort, aber mit den Blicken meiner Mutter im Nacken kleben, verließ ich das Zimmer. Schweigen kann mehr wehtun, als ausgesprochene Worte. Ich war armselig. Mit meinen 17 Jahren lag ich an einem normalen Tag einfach nur in meinem Bett und starrte an die Decke. Was machten all die anderen Leute? Sie waren draußen mit ihren Freunden, sie hatten Spaß. Ich drehte mich auf die Seite und starrte nun auf meine Tür. Worauf wartete ich eigentlich? Auf ein Wunder? Würde es einfach so vom Himmel und mir in den Schoß fallen? Schön wäre es. Meine Augen schlossen sich automatisch und ich versuchte an etwas anderes zu denken. Immer diese negativen Gedanken, das konnte doch so nicht weitergehen. Vielleicht sollte ich einfach rausgehen, ohne Grund und ohne Ziel. Das Klopfen an meiner Tür riss mich aus meinen Gedanken. Noch bevor ich jemand hereinbitten konnte, wurde die Tür aufgerissen. Anzu stand da mit einem großen Lächeln auf dem Gesicht. Ich richtete mich auf. “Was möchtest du?” Sie verdrehte die Augen, allerdings nicht ohne ihr Lächeln zu verlieren. “Ach, sei doch nicht so missmutig! Ich wollte nur mal sehen, wie es dir geht. Hast du dich mit Mama gestritten?” Ich nickte. Sie trat von einem Fuß auf den anderen. “Nun lass mich dir nicht alles aus der Nase ziehen. Erzähl schon.” Wieso interessierte sie das so? Konnte ich ihr einfach sagen, was ihre eigene Mutter über sie sagte? Dass sie sich nicht so eine Tochter gewünscht hatte? Aber wenn ich es mir so überlegte, wahrscheinlich juckte Anzu das nicht wirklich. Sie würde mit den Schultern zucken und sagen, ihr sei es egal, bald würde sie sowieso ausziehen. “Du kennst sie doch. Sie nervt.”, versuchte ich mich rauszureden. Die beiden hatten ein schon genug gespanntes Verhältnis. Ich wollte nicht daran schuld sein, dass sie sich gar nicht mehr ausstehen konnten. Anzu lachte kurz auf. “Allerdings. Ich dachte schon, du merkst das nie!” Es war seltsam. Es fühlte sich an, als wäre ich die kleine Schwester, die so viel zu lernen hatte. Und du hilfst mir. “Hach.”, seufzte sie dann und zuckte kurz mit den Schultern. “Ich geh jetzt mal. Bin noch verabredet.” Sie zwinkerte mir zu. Wollte sie mir etwas damit sagen? Dass sie sich mit ihrem Freund traf? “Mit wem denn?” Sie hatte meine Neugierde geweckt - und ich wollte immer noch wissen, wer es war. Sie grinste. “Kannst du dir schon denken.” Und bevor ich ein weiteres Wort sagen konnte, bevor ich einen Einwand einwerfen konnte, zwinkerte sie mir zu und stürmte aus der Tür. Dann war ich wieder alleine. Körperlich, seelisch. Die Zeit schien zäh wie Kaugummi, sie wollte nicht verfliegen. Wie lange ich nichts tuend saß, lag, stand wusste ich nicht. Ich konnte mir nicht die Zeit vertreiben, ohne an Dinge zu denken, die ich verdrängen wollte. Er schwirrte ständig in meinem Kopf rum, seine Stimme übertönte manchmal alle anderen Geräusche. Die Worte meiner Mutter haben sich in meinen Kopf gebrannt. Mit einem Seufzen setzte ich mich auf mein Bett und fuhr mir durch die Haare. Draußen dämmerte es schon und die Gardinen wehten sachte mit dem Wind, der durch das gekippte Fenster kam. Wie schön es doch war, schweiften meine Gedanken um absolut banale Dinge. Mein Kopf fühlte sich dann angenehm leicht. Automatisch schloss ich die Augen und ich hätte mit Leichtigkeit einschlafen können, bis ich unten lauten Krach hörte. Es schepperte, als hätte meine Mutter eine Pfanne auf den Boden geworfen. Dann hörte ich nur noch das dumpfe auftreten der Füße auf der Treppe und das Lachen von Anzu hallte durch das Haus, während sie in ihr Zimmer lief und von unten nur laute Gezeter zu hören war. Harmonie wird komplett überbewertet. Oder? Ich stand vor Anzus Tür, um sie zu fragen, was passiert sei, als ich ein lautes Rumsen und ihr Lachen von drinnen hörte. “Alles in Ordnung?”, hörte ich die Stimme meiner Mutter von unten hören. Wieso kam sie nicht selber hoch? Wieso machte sie sich nicht die Mühe, nach ihrer eigenen Tochter zu sehen? “Ja.”, sagte ich schlicht und legte meine Hand auf die Türklinke. War ihr Freund da? Ich wollte sie nicht wirklich stören. Aber die Neugierde gewann Oberhand. Sie stand immer noch lachend im Raum und er saß in ihrem Schreibtischstuhl. Als die Tür aufging, blickten beide zu mir und ich starrte ihn geschockt an. Scheiße. Kapitel 3: Hoffnung stirbt. --------------------------- ERINNERUNGSSPLITTER  Ein Familienfest. Lautes Lachen, lautes Reden, laute Musik, laute Feier. Und leise saß ich da, auf meinem Stuhl in diesem unbequemen Kleid. Es zwickte und drückte. Ich fühlte mich unwohl. Ich wollte nach Hause. Ich wollte, dass die ganzen Menschen aufhörten, mich anzustarren und über mich zu reden. “Das ist unsere kleine Sakura.” Mein Name wurde genannt. Ich blickte auf. Meine Mutter. Und ein fremder, alter Mann. “Sag Hallo, Sakura.” Ich begrüßte ihn nuschelnd und drehte meinen Kopf weg. Widerlicher Kauz. Ein nervöses Lachen von meiner Mutter. “Sie ist nur schüchtern.” Die restlichen Worte, die sie austauschten hörte ich nicht. Ich blickte mich um, aber Anzu war nirgendwo zu entdecken. Ich würde wohl den ganzen Abend alleine hier sitzen. Wie erwartet packte meine Mutter mich am Arm. Ich zuckte vor dem Schmerz zusammen und starrte auf den Boden, als sie mit ihrem Mund ganz nah an mein Ohr kam und flüsterte: “Sei nicht so unhöflich. Ich will, dass wir einen guten Eindruck machen.” Vielleicht sollte ich mich einfach unter den Tisch verkriechen und nie wieder auftauchen. Ich würde niemanden stören, niemanden blamieren. Wäre ich nicht da, wäre alles perfekt. Aber so ist das nun einmal nicht. Die letzten Minuten fühlten sich an wie ein Traum. Als wäre ich genau in diesem Moment aufgewacht, denn vor Schreck blieb mein Herz stehen. Wie konnte ich jemals so naiv gewesen sein zu glauben, dass das Schicksal auf meiner Seite war, mir einen glücklichen Moment hätte schenken wollen? Ich war dumm gewesen. So dumm, glauben zu können… denken zu können… an ihn zu denken. Ich lehnte immer noch gegen meine Tür. Anzu hatte inzwischen aufgegeben mit den Fragen, was mit mir los sei. Ich konnte nicht einmal meine Gedanken richtig ordnen. Sie schwirrten umher und setzten sich zu abstrusen Dingen zusammen. Erschöpft sank ich auf den Boden nieder. Ich wollte nicht weinen oder mich selbst bemitleiden, jetzt wollte ich einfach die ganze Welt hassen. Und ihn dafür, dass er mir über den Weg gelaufen ist und dafür, dass Anzu sich auf ihn eingelassen hat. Bestimmt ist er kein Umgang für sie. Ich schlug mit meinem Kopf gegen die Tür. Wieso war es so schwer, nicht an ihn zu denken? Mein Kopf leer - Mein Herz voll. Ob er mich wohl auf erkannt hat? Oder liefen ihn immer rosahaarige Mädchen um, die ihn dann mit solch einem Blick anstarrten, als wäre ein Engel vom Himmel gefallen? Ich starrte meine Hand an, die in der Luft hin, weil mein Arm auf meinem Knie lag. Dann wanderten meine Augen weiter zum Fenster. Einen Moment lang schaute ich auf die sanft wehenden Gardinen, ohne dass ein Gedanken meinen Kopf plagte. Doch mir wurde keine ruhige Minute gegönnt. Ich konnte es nicht ausschalten. Die Gedanken kamen unaufhörlich und schlugen auf mich ein. Wie es wohl war, wenn der fleischgewordene Traumprinz durch das eigene Fenster kletterte in der Abenddämmerung, nur um dich noch einmal zu sehen, dir gute Nacht zu wünschen, um von dir zu träumen? Wie es wohl war, geliebt zu werden? Aber das konnte doch einfach nicht wahr sein. Hasste mich die Welt denn so sehr? Mein Magen zog sich zusammen und mein Atem ging schneller, als sich die Verzweiflung ausbreitete und ich musste mir aller Kraft gegen die Tränen kämpfen. Ich wischte mir über die Augen und versuchte es zu verhindern, aber sie flossen erbarmungslos meine Wangen hinunter. Ich würde es schon schaffen, ihn zu vergessen. Er war der Freund meiner Schwester, ich kannte ihn nicht wirklich. Das war einfach nur eine Überreaktion, weil ich immer so alleine war und weil er einfach so umwerfend war. Mehr war es nicht. Und jetzt konnte ich ihn getrost vergessen. Dabei könntest du mich so glücklich machen. Ich horchte in die Stille hinein. Es schien, als wäre ich komplett alleine in dem Haus. Ich hörte weder den Fernseher, der unten wahrscheinlich lief, noch ein einziges Geräusch aus Anzus Zimmer. Das plötzliche Klopfen an meiner Tür ließ mich vor Schreck stark zusammenfahren. “Sakura!”, hörte ich die schrille Stimme meiner Mutter durch das Holz der Tür. “Du hast seit Tagen nicht mehr Klavier gespielt. Komm sofort runter!” Schwermütig stand ich auf und öffnete die Tür nur einen Spaltbreit. “Ich will jetzt nicht.” Sie stemmte die Arme in die Hüften und warf ihr volles Haar zurück. “Was du willst, ist nicht von Bedeutung.” Sie sagte es so, als wäre es das normalste der Welt, ihrer Welt. Als könnte es meine nicht komplett zerstören, in Stücke reißen. Mit Füßen zertrampelt. “Trotzdem.”, sagte ich. Es war kein gutes Argument, eigentlich war es gar keines. Aber ich wollte nicht nachgeben, dafür reichte dieses eine Wort vollkommen. Denn schon war meine Mutter wieder auf 180, doch bevor sie in mein Zimmer stürzten konnte, um mich in Grund und Boden zu schimpfen, warf ich die Tür ins Schloss und schloss sie ab. “Mach mir keine Probleme, Sakura!” Ein einziges Problem. Mehr war ich nicht. „Um Gottes Willen, lass mich endlich in Ruhe!“ Ich war wütend. Wieso konnte sie nicht einfach mal verstehen, wie ich mich fühlte, wieso zwang sie mich, wieso versuchte sie mich in eine Form zu pressen, die an allen Ecken und Enden zwickte und drückte? Nichts tat so weh, wie zu wissen, dass es ihr auch noch egal war, wie es sich anfühlte, so behandelt zu werden. Ich war ihre Tochter, verdammt! Hat sie keine Schuldgefühle!? Es tat weh. Ich wollte so sehr, dass es aufhörte, dass mich jemand aus diesem Albtraum herausholt. Gibt es denn keinen Notausgang? Wenn das Licht am Ende des Tunnels erlischt, ist es plötzlich egal, welchen Weg du einschlägst. Ich habe meine Familie und mein Leben geliebt. Jetzt find ich an, es zu hassen. Sie schnaubte laut, damit ich es hörte. Vielleicht, damit ich mich schuldig fühlte, ihr widersprochen zu haben, aber ich fühlte nichts. Wenn ich ein Herz hätte, wäre es grau. Das, was in meiner Brust schlug, war nur ein Klumpen Muskeln, der mich versuchte am Leben zu halten. Doch die Gefühle waren weg. Ich würde mein Herz gerne hinausschreien aber es steckt fest. Ich hörte, wie meine Mutter an Anzus Tür klopfte, während ich rührungslos in meinem Zimmer stand. Nachdem der dumpfe Klang auf der Treppe der Schritte meiner Mutter erklang, klingelte mein Handy. Ich blickte mich um und versuchte, das Geräusch zu orten. Ich benutzte es nicht oft und nicht viele versuchten mich überhaupt durch das Ding zu erreichen. Als ich es endlich unter einigen Blättern ausfindig machen wollte und mich meldete, hörte ich Ino Pläne für den Nachmittag schmieden. Ich stimmte zu. Was Besseres zu tun, hatte ich nicht und freiwillig in diesem Höllenschlund sitzen, wollte ich nicht wagen, also blieb mir nichts anderes übrig. Auch wenn ich mein Herz sorgfältig verschließen und ein falsches Lächeln auf meine Lippen zaubern muss. Auch wenn ich noch Zeit hatte, nahm ich meine Sachen und ging die Treppe hinunter. Am liebsten wollte ich einfach durch diese Tür gehen, in eine andere Welt, wo ich frei war von Sorgen und Kummer, doch selbst dort empfing mich das Unglück verkleidet als das scheinbar schönste Geschöpf auf Erden. Absurde Gedanken. Wieso stecken sie in meinem Kopf fest? „Fräulein, wo willst du hin?“ „Raus.“ Raus aus dem Haus, aus der Stadt, aus dem Leben. Die Tür stand schon offen, als meine Mutter meinen Arm packte und mir ins Gesicht schaute. „Was?“, fragte ich. Überraschung spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder. Aber sie musste damit leben, jetzt wurde alles anders. „Wohin gehst du?“, fragte sie, ließ aber meinen Arm los. „Raus!“, wiederholte ich mich. „Sonst interessiert dich doch auch nichts.“ Nachdem ich das hinzugefügt hatte, drehte ich mich mit einem letzten wütenden Blick um und ging durch unseren grünen Garten, durch das Gartentor – und dann war da plötzlich dieses Gefühl der Freiheit. „Sakura, was ist mit dir?“ Ich hatte die Gespräche nicht mitbekommen. Wir hatten uns in ein Café gesetzt. Es war klein und es schien, als wären mehr Besucher da, als es eigentlich aufnehmen konnte. Das Gemurmelt strömte auf einen zu, als wolle es einen wegschwemmen. Während Temari und Ino sich unterhielten und TenTen zeitweise nur am Telefon hang, rührte ich in meinem Getränk herum. „Was soll mit mir sein?“, fragte ich und blickte auf. Alle drei starrten mich an, aber keine von ihnen lächelte. Mein Mund verzog sich zu einem Lächeln. Wenigstens einer sollte glücklich scheinen. „Ach nichts, du scheinst so abwesend.“, antwortete Ino und schlürfte an ihrem Kaffee. Ich legte meinen Kopf schief, mein Lächeln immer noch auf den Lippen. „Wirklich? Tut mir Leid.“ Eigentlich sollte ich die Entschuldigung ernst meinen, aber irgendwie… wusste ich nicht einmal, wofür ich mich entschuldigte. War ich denn diejenige, die das tun musste? Immerhin sollten sich alle anderen entschuldigen, dass sie mir ihr perfektes Leben unter die Nase rieben – auch wenn sie es nicht mit Absicht taten, aber es schnürte dennoch etwas in mir ab. Und bevor mich jemand weiter auf meinen Zustand ansprechen konnte, trat Hinata mit ihrem Freund Naruto ein. Ich war ihnen dankbar dafür, denn ich wusste nicht, wie lange ich verschweigen konnte, dass langsam mein scheinbar perfektes Leben bröckelte und mit jedem weiteren Moment zu einstürzten drohte. Doch schon im nächsten Augenblick wollte ich mit einem Schnippen verschwinden, unsichtbar werden, völlig belanglos sein wie meine Gefühle, auf denen alle rumtrampelten, denn hinter ihnen tauchte er plötzlich auf. Sein Gesicht zeigte keine Regung als er eintrat, nur nahm es einen amüsierten Zug an, als Naruto von einer alten Dame angerempelt wurde. Manchmal sind da so Momente, an denen ich denke, ich könnte dich vergessen… Plötzlich saß er da, so nah in meiner Nähe. Als ich mich wieder daran erinnerte, dass ich noch etwas zu trinken hatte, war es bereits zu kalt, zum Genießen. Ich fühlte mich wie vor einem großen Auftritt – alles andere war unwichtig, da waren nur dieses Zittern und das Herzklopfen. Das konnte doch nicht wahr sein, wieso konnte ich meinen Körper nicht kontrollieren, aber meine Gefühle? Und dann denke ich, es ist sinnlos. Du kontrollierst meine Gedanken und meine Gefühle. Es war so schwer, den Blick von ihm zu wenden und noch schwerer, mir klarzumachen, dass das alles so sinnlos war. Sinnlos, sich Hoffnungen zu machen. Verdammte Hoffnung. Stirb endlich! Absolut sinnlos, dass ich so oft an ihn dachte. Er dachte wahrscheinlich kein Stückchen an mich. „Sakura, verdammt!“ Überrascht blickte ich hoch. Mir wurde wieder heiß, als ich bemerkte, dass selbst Sasukes Augen auf mich gerichtet waren. „Was denn?“ Ich war vollkommen weggetreten, wie mir plötzlich klar wurde. Ino seufzte und ich blickte sie fragend an. „Ich hab mich nur wegen dem Schulwechsel erkundigt.“ Sie zuckte mit den Schultern und fuhr fort: „Ich möchte auf Narutos und Sasukes Schule wechseln. Scheint ganz angenehm dort zu sein und wenn alle Schüler so sind, wie die beiden, kann’s nur spaßig werden.“ Ich nickte auf ihren Vortrag. Schön und gut, aber was sollte aus mir werden? „Und?“ Ich schaute sie an. „Was und ?!“ Ino verdrehte die Augen. “Was ist mit dir?“ Ich fing an die Serviette zu zerfetzten, die die ganze Zeit vor mir lag. Verdammte Schule, verdammte Familie, verdammte Freunde, verdammtes Leben. „Ich weiß es nicht, Ino, verdammt! Du kennst meine Eltern. Frag nicht immer.“ Sie blickte mich an, als hätte ich sie und ihre gesamte Familie beschimpft. „Wie sprichst du bitte?“, fragte sie amüsierte und ein Grinsen umspielte ihre Lippen. Ich spürte Sasukes neugierigen Blick auf mir. Ich wusste es selber nicht. Es war der Drang, endlich anders zu sein, als meine Eltern es von mir verlangten und alle es von mir erwarteten. Vielleicht würde ich so endlich mal wissen, wie es war zu leben. Vielleicht war es auch nur ein Hirngespinst. Bis du gar nicht mehr fühlst, dass du gar nicht mehr fühlst. „Anders.“, antwortete ich auf Inos Frage. Dann ging ein leises Lache durch die Reihe. Aber es war schön – es war schön, nicht dafür ausgelacht zu werden, was man war, sondern nur für das, was man vorgab zu sein. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare und warf einen Blick auf die Uhr. Zeit zu gehen. Ohne ein Wort stand ich auf, das Stuhlbein zog sich quietschend über den glattpolierten Boden. Die Blicke fielen wieder auf mich. Es war sehr ungewohnt, aber dennoch… „Du gehst?“, fragte Ino und schaute sie verwundert an. Ja, vielleicht hatte ich vor mich zu verändern, meinen eigenen Weg zu gehen, doch das hieß noch lange nicht, dass ich mich komplett gegen alle Regeln stellen würde – noch nicht. Ich nickte. Und dann war ich wieder alleine. Und genau dann kam plötzlich wieder das Gefühl, als würde jemand mein Herz und meine Lunge zuschnüren. Doch Atmen rettete mich nicht. Wieder brannten Tränen in meinen Augen, doch genau das wollte ich nicht mehr – nicht mehr weinen. Keiner hat meine Tränen verdient. “Macht es dir etwas aus, zu warten?“ Ich dachte, ich würde sterben, als mein Herz stehen blieb. Ich war so überrascht, total überrumpelt. Sasuke stand plötzlich neben mir und schaute mich an mit solch durch dringlichen Augen. „Was?“, fragte ich. Hatte er das gerade wirklich gesagt oder war das nur ein Traum, ein Hirngespinst von mir? Ich wusste nicht, ob das ein Grinsen oder gar ein Lächeln auf seinem Gesicht war, denn im nächsten Moment steckte er sich schon eine Zigarette an. Ein Raucher. Meine Schwester hatte einen schlechten Geschmack. Und das Schlimme daran war: Genau das traf meinen Geschmack. Er bemerkte meinen erstaunten Blick und hob seine Augenbrauen an. Und ich durfte mich wieder an ihm sattsehen. „Was ist?“ Ich schüttelte meinen Kopf. Nichts war, nur dieses übermächtige Gefühl in mir für eine Person, die meine ganze Welt auf den Kopf stellte. „Nichts.“, murmelte ich und riss meinen Blick von ihm. Es wäre viel einfacher, würde er mir einen Grund liefern, ihn nicht mehr zu mögen. Denn es störte mich nicht, dass er rauchte, dass er nicht besonders freundlich zu sein schien – aber das reichte nicht aus. Ich rümpfte die Nase, als ich den Geruch des Zigarettenrauches einatmete. Verstohlen warf ich noch einen Blick auf Sasuke, der dies allerdings bemerkte. Nun grinste er mich amüsiert an. „Willst‘ mal ziehen?“ Ich bin verrückt geworden. Verrückt nach ihm. Ich zuckte mit den Schultern und versuchte seinem Blick standzuhalten und verdrängte das Gefühl, ihm in die Arme zu fallen. „Ich denke nicht.“ Ich räusperte mich, um meine schwache Stimme zu verdecken. Doch Sasuke schaute mich immer noch an, dann nahm er einen kräftigen Zug von seiner Zigarette und blies den Rauch in meine Richtung. Ich rümpfte ein weiteres Mal die Nase, hielt mich selber vorm Husten zurück. „Angsthase.“ Und ich wusste nicht, was mich überkam. Mein Herz schlug schneller, aber ich wollte es ihm beweisen, ich wollte vielleicht einfach nur einen guten Eindruck machen, was vollkommen falsch war, denn es würde rein gar nichts an allem ändern, aber ich nahm ihm seufzend die Zigarette aus der Hand und unter seinem amüsierten Blick zog ich an ihr. Zu allererst spürte ich nichts, nur der Geschmack brannte sich nieder und ich verzog das Gesicht. Es war nicht gerade angenehm und als ich den Rauch hinaus blies, überkam mich ein kräftiges Husten. Sasuke neben mir lachte. Und dann hab ich vergessen, was um mich herum geschah. Er legte seine Hand auf meinen Rücken, während ich mir die Tränen aus den Augenwinkeln fischte und sagte leise: „Daran gewöhnt man sich.“ Ich verstand ihn beinahe nicht, denn mein Herz schlug so laut, dass mir Kopfschmerzen drohten. Doch ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Ich hoffe, dass du das nicht mit meiner Schwester machst.“ Und da verflog es wieder. „Nein. Mit ihr würde ich das nie machen.“ Hoffnung stirbt zuletzt. Aber sie stirbt. Kapitel 4: Nichts nützt. ------------------------ ERINNERUNGSSPLITTER.  Das Blatt hing schlaff in meinen Händen. Um mich herum laute Stimmen, die auf mich einschlugen, mich unter sich begraben, während ich taub und mit diesem Gefühl in mir, das so drückend erschien, als würde eine große Masse auf mir lasten, auf meinem Stuhl saß. Ino lachte. Jemand klopfte auf ihre Schulter. Und hörte auf. Wie mein Herz aufhörte zu klopfen, als ich diese Stimme vernahm. „Na, Sakura, was hast du für eine Note?“ Ich blickte auf. Hass. Abscheu. Schmerz. Hass. Karin stand mir gegenüber. Hände in die Hüften gestemmt. Dieser fiese Ausdruck in den Augen. Ich sollte lügen. Lügen. Aber meine Mutter hatte mir verboten zu lügen. Meine Mutter, die mich für diese Note einsperren würde, wenn nicht so gar schlimmeres anstellen. Dann dieses missbilligende Lachen von Karin, als sie sich wissend umdrehte und davon ging. Ein mitleidiger Blick von Ino. „Ist ja nur eine Note.“ Ja, eine Note. Für mich. Für sie. Für alle. Außer meine Mutter. Zu Hause wartete die Hölle auf mich. Eine Hölle und doch so kalt wie Eis. Vielleicht war es nur die Schule, vielleicht war es nur eine Note, doch für meine Mutter Grund genug, mir zu verdeutlichen, dass sie mich nicht als Tochter wollte. Das ist nicht gut genug war. Dieses Gefühl war immer noch da und fraß sich in mich rein wie ein kleines fieses Insekt. »Das Leben ist viel leichter hinter sich zu bringen, wenn man ab morgens einfach nichts mehr spürt.« Vielleicht sollte ich das versuchen. Einfach nichts mehr spüren. Kalt werden. Mein Herz verschließen. Nie wieder fühlen. Dann hätte ich doch keine Probleme mehr, oder? Er schien so weit weg, auch wenn er neben mir ging und das riss mir mein Herz aus der Brust. Ich spürte dieses drückende Gefühl und spannte mein Kiefer an, als sich die Tränen wieder in meinen Augen sammelten. Meinen Blick richtete ich weg von ihm, weg von dem, was diesen Zustand auslöste, und dabei konnte er doch nichts dafür. Es war einfach diese Tatsache, dass ich so schrecklich war, schrecklich genug, um solche Gefühle zu haben, für jemanden, der absolut tabu für mich war. Das war so moralisch verwerflich, aber ich wollte dieses Verbot brechen. Ich war ein Monster. Wissend, dass, wäre es möglich, gäbe es eine Chance, mir meine Schwester egal wäre. Doch es gab weder die Möglichkeit, noch die Chance. Denn ich war nicht bestimmt dazu, in irgendeiner Weise Glück zu empfinden. Vielleicht für eine kurzen Moment, wenn er mir einen Blick schenkte, wenn mein Herz hüpfte, mir ganz warm wurde – aber diese Moment, so schön und so selten, würden mir nicht mein Leben retten. Ich fuhr mir durch die Haare und seufzte leise. Ich machte mir zu viele Gedanken, wenn dem nicht so wäre, würde mir vielleicht einiges viel leichter fallen. Aber ich ließ mich doch schon genug von meinen Gefühlen leiten, ich konnte sie nicht die komplette Kontrolle übernehmen lassen. Ich hatte Angst, was passieren würde. Dieses schreckliche Gefühl der Unwissenheit. Das Leben war ungerecht. Wieso musste mir das alles wiederfahren? Wieso durfte ich miterleben, wie andere glücklich waren, wenn ich selber daran zerbrach? Einen kurzen Moment dachte ich daran, Sasuke in ein Gespräch zu verwickeln, doch den Gedanken verwarf ich sofort wieder. Ich war ihm schon nah genug, auch wenn ich mich danach sehnte, ihm noch näher zu sein, noch mehr über ihn zu wissen, aber es war einfach unmöglich. Ich wollte und doch sträubte ich mich dagegen. Nichts wird jemals nah genug sein. Früher gab es noch diese Momente, an denen ich dachte, ich könnte glücklich sein, für genau diesen Augenblick, doch nun blieben sie weg. Sie war verschwunden. Oder verrottet? „Was machst du heute Nacht?“ Seine Stimme brannte sich in meinen Kopf und mir wurde beinahe schwindelig. Wie zum Teufel machte er das? „Ich denke mal, schlafen.“ Er gab einen Ton von sich, der leicht nach einem Lachen klang, doch nur ein kleines Grinsen schlich sich auf sein wunderbares Gesicht, als ich ihn kurz anblickte. Ich bereute es, denn es war so schwer, wieder davon wegzukommen. „Interessant.“ Ich atmete tief ein und aus. Mir wurde ganz warm und tausend Fragen schwirrten in meinem Kopf umher. War ich etwa so langweilig? Ich war sicherlich total uninteressant für ihn. Komplett das Gegenteil von Anzu. Ein sinnloser Zeitvertreib. „Lust mitzukommen?“, fragte er plötzlich und riss mich aus meinen Gedanken. „Wohin?“ Nachts wo hingehen, hatte ich noch nie gewagt. Gar niemals. Ich hatte dies nie in Erwägung gezogen. Vielleicht wäre es mal Abwechslung zu meinem öden Leben. Und Schule schwänzen… war ja vielleicht sogar mal gesund. „Wissen wir noch nicht.“ Sasuke gab immer kurz Antworten, sodass ich mich unwohl fühlte und dennoch immer mehr wissen wollte. Es war so unglaublich, was er mit mir anstellte. Hatte er denn keine Ahnung, welche Auswirkung er auf mich hatte? „Wer ist wir?“, fragte ich, um seine Stimme ein weiteres Mal zu hören. Ich beobachtete, wie er sich eine weitere Zigarette anzündete. Zu gerne würde ich wissen, wie sich meine Hand in seiner anfühlte, und meine Lippen an seinen, aber das war unmöglich. Schmerzlich und unmöglich. „Anzu, ich und ein paar andere.“ Ich nickte nur. Ich würde dir alles geben. Tut mir nur Leid, dass es nicht so viel ist. Irgendwie tat es wieder weh und ich konnte es nicht beschreiben. Unbeschreibliche Schmerzen waren immer noch die Schlimmsten, denn es gab keinen Ausweg, keine Lösung, damit man sie nicht mehr fühlte. Oh, wie gern wäre ich einfach taub für sowas, kalt und taub, keine Schmerzen mehr. Aber es war so schwer. Ein Blick genügte und mein Herz schlug schneller, lauter, unheilvoller – und doch schmerzhafter. Immer mehr darüber nachdenken, machte es nicht besser, ich wusste es. Es machte es schlimmer, das wusste ich, ich war mir völlig im Klaren darüber, was ich mir selber antat, aber ich konnte es nicht verdrängen, verstecken und wenn ich es tat, grub es sich immer wieder an die Oberfläche. Dieses Gefühl war wie ein Parasit. Hässlich, schmerzhaft, unumgänglich, einfach da. „Und?“ Und? Und wahrscheinlich könnte mich keiner davor retten, dass ich mich verlor, dass ich bald nicht mehr weiter wüsste, dass ich mich selber zu Grunde richtete. Nicht einmal du. „Du wirst es heute Abend schon sehen.“, murmelte ich und rieb mir mit dem Handballen mein rechtes Auge. Nicht weinen, keine Tränen vergießen, niemand war es wert, nichts war es wert. Nur du und diese ganze Sache hier. Es bedarf keine langen Worte, um mich zu in irgendeiner Weise zu beschreiben. Ich war ein Fehler, ein Problem, eine unerschütterliche Tatsache, das beste Beispiel dafür, was schief gehen konnte. Was hatte ich schon? Gute Noten? Nein, nein. Die gehörten der Vergangenheit an, ich war nicht mehr dazu im Stande, mein Leben im Griff zu halten, alles glitt aus meinen Händen. Meine Familie, meine Freunde, mein Leben. Was übrig blieb war… pures Nichts. Nichtssein, Nichtskönnen, ein einziger Nichtsnutz. Man hat mich aus einem Albtraum gerissen und die Realität gesetzt. Sie war nicht besser. Die Haustür stand offen, kleine Tüten zierten den Aufgang zum Haus. Ich blieb vor ihnen stehen, hoffte, so einfach könnte man mir den Weg versperren, mich selber in meine persönliche Hölle zu begeben. Mir fiel es wieder schwer zu atmen, es war einfach ein großer Stein, hart, matt und schwer, in meinem Brustkorb. „Oh Schatz, du bist da.“ Ich blickte auf und meine Mutter strahlte mich an und plötzlich drückte sie mich an sich und ich tat nichts. Meine Arme hingen schlaff hinunter. Sie drückte mich weg und schaute mich verwirrt an. „Hast du was?“ Ja… so vieles. Doch nein, nein keine Worte würden das ausdrückten, kein Mensch würde es verstehen. Ein Lächeln, so falsch, eine kleine Schauspielerei, die ich mir erlaubte. „Nein, nichts.“ Und dann war sie glücklich und ich zerbrach. „Ich hab eingekauft…“ Ein Redeschwall ergoss sich über mir aber stieß auf taube Ohren. So taub wie meine Hände, die plötzlich kalt waren und zitterten, so taub wie mein Herz, dass schlug und doch stockte und stolperte. Stille. Erdrückend. Schmerz. Schmerz. Stille. Ich stand wiederrum alleine im Garten, denn meine Mutter war ohne ein weiteres Wort, oder während ihres Wortschwalles – ich wusste es nicht – verschwunden im Haus und ließ mich einfach stehen. Ist ja nicht so, als wäre es etwas Neues für mich, stehen gelassen zu werden. Ein Schauer überzog meinen Körper, die Gedanken überschlugen sich, ich konnte sie nicht mehr fassen, meine Augen wurden feucht und ich rannte in mein Zimmer. Der einzige Ort, an dem ich endlich ich selbst sein konnte, wo meine Gefühle nicht übersehen, zertrampelt oder verhöhnt worden. Dabei wünschte ich auch, ich könnte mich in deinen Armen so fühlen. Nichts nützt. Nichts nützt, jemanden zu zerstören. Eine Priese Nichts, machte dein Leben zu einer Hölle, zu etwas, dass niemand braucht, machte dich zu jemandem, den niemand braucht. Und du kannst nicht dagegen ankämpfen. Es frisst sich in dich hinein, es frisst dich auf und es wird nicht aufhören, bis du aufgibst, bist du versagst. Mein Kämpfen hat so wenig Sinn, keinen Sinn. Sinnlos. Alles. Wirklich alles. Was musste ich noch tun, damit nicht nur ich es begriff, sondern auch verstand? Ich hörte das leise Tappen von Füßen im unteren Stockwerk, das leise Murmeln meiner Schwester im Nebenraum, während mein Blick aus dem Fenster gerichtet war, auf den langsam dunkler werdenden Himmel. Leicht konnte man schon die Sterne vernehmen, die in dem bunten, leicht von Wolken verschleierten Himmel, leuchtend hangen. Ein so schöner Anblick, fast zu schön, um war zu sein. So wie er es war. Es war so absurd. Ich wusste nichts von ihm, ich kannte ihn nicht wirklich und dennoch war dieser Drang da, einfach bei ihm zu sein – und mehr wissen zu wollen. Und in dem Moment beschloss ich ebenfalls, dass ich heute Nacht nicht in meinem Bett verbringen würde, nicht in diesem Haus, nicht alleine und doch mit dem Gedanken nicht alleine, sondern bei ihm. Ich würde heute Nacht nicht nur in Gedanken bei ihm sein, nicht nur in Gedanken frei sein, sondern auch in der Realität. „Sakura, Abendbrot ist fertig.“ Mir drehte sich wortwörtlich der Magen um und der Gedanke an Essen trieb Schwindel und Übelkeit hoch und ich schüttelte den Kopf, wohlwissend, dass meine Mutter es nicht sah, aber für mich selber. „Ich hab keinen Hunger.“ Sie riss die Tür mit solch einem Ruck auf, dass mir das Herz stehen blieb und Schweiß in die Poren trat. Erschrocken starrte ich sie an. „Stell dich nicht so an.“, sagte sie kalt, als sie meine Reaktion sah. Wo war die liebevolle, umsorgende Mutter von vorhin verschwunden? Dieser ständige wechselt brachte mich selber um den Verstand. Ich habe aufgehört, mir deine Liebe zu denken. Nachdem ich ihr verdeutlich habe unter wilden Gesten und lauter Stimme, dass ich nicht essen wollte, und im Kopf auch ich mir selber verdeutlichte, dass ich nicht mehr so sein wollte, wie sie es sich wünschte, dass ich endgültig, mit ihr und all ihren Taten, Plänen fertig war, verließ sie mit einem Blick das Zimmer, welcher mir verdeutlichte, dass für sie dieses Thema nicht abgeschlossen war und mich noch etwas erwartete. Ich lag wieder wach in meinem Bett, starrte an die Decke und meine Gedanken führten Spaziergänge, fern von hier, fern von mir selber. Wie stark doch dieser Wunsch war, endlich fern von hier zu sein; es schien als schreie alles in mir nach einem fremden Ort, einem Ort, wo ich all dies vergessen konnte, was mich so sehr plagte. Aber das würde mir verwehrt bleiben, das wusste ich. Es war unmöglich so einfach diesem Teufelskreis zu entkommen – der einzige Weg war einfach, dass ich endlich tat, was ich wollte, was ich mir wünschte. Heute würde ich damit anfangen. Endgültig. Ich hörte, wie die Tür leise und langsam aufschwang, ein letzter Blick aus dem Fenster verriet mir, dass es inzwischen langsam dunkel geworden ist und leichter Schein der Straßenlaterne erleuchtete mein Zimmer. „Sakura?“, sprach Anzu und trat leise ein. Ich richtete mich auf, aufgestützt auf meinen Ellbogen und schaute sie an. Sie hatte ein Lächeln auf den Lippen, ihre Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden und sie trug wie immer ihre lässige Jeans mit Sneakers und einem Kapuzenpullover; ich wusste, dass sie sich so am wohlsten fühlte. Wie fühlte ich mich eigentlich am wohlsten? Ich wusste es nicht, denn ich habe nicht probiert, was mir gefiel. „Ich hab gehört, du willst mitkommen.“ Sie hielt ihr Handy in die Luft, bevor sie es einsteckte. Dann schloss sie sachte die Tür und schloss hinter sich ab. Mit federnden Schritten näherte sie sich dem Fenster, lehnte sich weit heraus. Ich schaute sie verwundert an, ohne eine Ahnung, was dies zu bedeuten hatte. „Okay, die Luft ist rein.“, sprach sie plötzlich. Verwirr kräuselte ich die Stirn, bis sie plötzlich einen Fuß aus dem Fenster hängen ließ. Ich sprang auf. „Anzu!“, flüsterte ich in einem strengen Ton. Sie lachte leise und führte ihren Finger zu ihren Lippen, um mir zu verdeutlichen, dass ich zu laut war. Ich blickte zu meiner Tür, wandte mich aber wieder schnell zu ihr, bevor sie weiteren Blödsinn anstellte. „Was hast du vor, Fräulein?“, fragte ich sie und stellte mich direkt neben sie. Ihr Gesicht nahm kurz eine ernste Miene an, als sie sagte: „Du sprichst ja wie Mama.“ Und damit schaffte sie es auch, mich leise zu stellen. Eigentlich wollte ich dies für mich tun. Aber irgendwie tat ich doch alles für dich. „Und jetzt komm einfach hinter mir her. Ich weiß, was ich tue.“ Plötzlich war sie weg und mein Herz setzte aus. Mit einer Bewegung hing mein Oberkörper aus dem Fenster, damit ich erkennen konnte, was Anzu angestellt hatte. Sie stand allerdings nur knapp zwei Meter unter meinem Fenster, denn dort befand sich das kleine Dach, das unseren Hauseingang überdeckte. Mit einem Mal wurde mir klar, welch Vorteile ich mir hatte entgehen lassen, all die Jahre, die ich mich nicht getraut hatte, auch nur etwas zu wagen, was nicht den Regeln entsprach. Wieso hatte es so lange gedauert, mir die Augen zu öffnen? Und wieso öffnet sie so banale Dinge plötzlich, dass ich beinahe darunter zu ersticken drohte? In mir schlich diese Aufregung hoch, die den gesamten Körper anspannte, meinen Verstand aussetzte und mich dazu trieb, mir all die Dinge auszumalen, die ich nun tun könnte, wollte, musste. Dieser Drang war plötzlich zu stark, dass ich mich kaum noch bändigen konnte. Mit unvorhergesehenem Elan folgte ich Anzu. Nur einige Sprünge und beinahe halsbrecherische Aktionen später, liefen wir lachend nebeneinander her. Es gab keinen Moment, der so unbeschreiblich schön war, wie dieser, den ich nun erlebte, keinen Augenblick, der vergleichbar war, mit diesem hier, der mich beflügelte und mir zeigte, dass ich doch imstande war, diese prickelnden Glücksgefühle zu spüren. Ich fühlte mich frei. Fühlte sich Freiheit wirklich so an? Anzu hielt mir plötzlich etwas hin, was ich in der Dunkelheit nicht sofort erkennen konnte, doch der leicht beißende Geruch und ein Blick zu ihr verriet mir, dass es eine Zigarette war. Ich nahm sie ihr ab und drehte sie leicht zwischen den Fingern. Unschlüssig. Doch ich war selber überrascht von mir, denn dass Anzu rauchte, machte mir nichts aus, und dass ich im nächsten Augenblick an der Zigarette in meiner Hand zog, fühlte sie nicht falsch an. Wie in einem dieser Filmmomente schauten meine Schwester und ich uns an, ein langer Blick, ihrer wie immer mit solch einem Glück funkelnd und meiner zum ersten Mal lodernd, denn dieses Gefühl machte sie plötzlich breit in mir und beflügelte mich, als ich das nächste Mal einen kräftigen Zug nahm und unweigerlich zurückdachte an Sasuke. Ja, so fühlte sich Freiheit an. Kapitel 5: Schönheit verblasst. ------------------------------- ERINNERUNGSSPLITTER.  Bitter. War der Schmerz, der meine Glieder durchfuhr. Die Tränen, die meine Wangen hinab glitten. Der Blick meiner eigenen Mutter, als sie mich wieder an den Haaren packte und mich anschrie. So viel verletzender als alles andere. Dieses Gefühl, nichts wert zu sein. „Hör verdammt noch mal auf zu weinen.“ Und ein weiterer Schlag. Der Schmerz war so unbeschreiblich. Dabei tat die Gewissheit, dass es meiner Mutter nichts ausmachte, dass ich weinte, mehr weh, als die körperlichen Schmerzen, die sie mir zufügte. Sah sie es denn nicht? War sie denn so blind? Was trieb sie bloß dazu, dies zu tun? Weitere Tränen flossen. Träne um Träne vergoss sich und tropfte zu Boden, auf dem ich kauerte, schluchzend, verlassen, verletzt. Nutzlos. „Lass dir das eine Lehre sein.“ Lehre genug, um zu wissen, dass ich dir nichts bedeutete. Wir saßen an einem kleinen Feuer, direkt am Fluss Thames. Der Geruch des Wassers schien so klar und rein in der Luft, als ich sah, wie sie alle lachten, laut redeten und als ich sah, dass Sasuke mitten in ihnen saß, so fehl am Platz und doch so richtig, mit einer Zigarette, die ihm im Mundwinkel hang, während er auf einer alten Gitarre spielte, so leise, kaum zu vernehmen. Sobald wir ankamen, blickten alle auf und Ino, die dabei war, sprang auf und umarmte mich lachend. Ich nahm ihre Worte nicht war, so benebelt war ich gewesen, doch schenkte ich ihr ein Lächeln, das sie scheinbar zufrieden stimmte. Alles schien so richtig. Und doch so falsch. Anzu setzte sich sofort zu Sasuke und drückte ihm einen Kuss auf den Kopf, den er unkommentiert ließ. Komplett. Er ging nicht darauf ein, rührte sich nicht von der Stelle, machte keine Anstalt. Doch Anzu ließ das ebenfalls kalt. Sie lachte nur über einen Kommentar von Naruto, der ihr ein Bier in die Hand drückte und es sogleich bei mir auch tat. Unschlüssig, was ich tun sollte, starrte ich auf das Etikett der grünen Flasche in meiner Hand. So viele Gedanken rasten durch meinen Kopf, ich konnte sie nicht auffangen und ordnen. Ein wirres Durcheinander. „Nun hab dich nicht so, Sakura. Das wird dich nicht umbringen!“, hörte ich Anzu sagen, die mir in der Luft zuprostete und dann aus ihrem Bier trank. Es könnte mich gar nicht umbringen. Eigentlich bin ich schon tot. Doch sie hatte Recht, wie so oft. Und ich bereute es nicht, dass ich mitgekommen bin, dass ich endlich Dinge gewagt habe, zu denen ich mich bis dahin nicht getraut hatte. Denn ich verstand mich besser den je mit all den Leuten, führte Gespräche, dich mich zum Lachen brachten, einem richtigen Lachen. Nicht das aufgesetzte, was ich so oft trug, um die andern einfach nur glücklich zu stimmen. „Sag mal, Sakura…“, fing Ino an und drehte ihre Flasche in der Hand, bevor sie mich mit blitzenden Augen fixierte. „Was hat dich dazu getrieben?“ Ich blickte sie an. „Was meinst du?“ Sie lachte leise und fuhr fort: „Was hat dich dazu getrieben, plötzlich so… anders zu sein?“ Vieles. Weniges. Er. „Ach, so einiges, weiß du…“, redete ich mich raus und nahm einen kräftigen Schluck. Mein Herz blieb stehen. Als er sich plötzlich neben mir niederließ, seine Gitarre ablegte und sich eine Bierflasche nahm und gekonnt öffnete. Mehr als der Alkohol benebelte er meinen Verstand. Ich hab nichts von dir und du hast alles von mir. „Hätte nicht erwartet, dass du kommst.“ „Ich auch nicht.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. In letzter Zeit tat ich aber so vieles, was nicht von mir erwartet wurde und es gefiel mir so unglaublich gut. Und doch holten mich meine eigenen Gedanken wieder zurück in die Realität, die ich nicht wahrhaben wollte, immer wieder quälte ich mich selber und konnte einfach nicht aufhören. So sehr mit all dies hilft, genauso tat es das nicht. Es war ein einziger Zwiespalt, wie mein ganzes Leben. Ein Unordnung, die man unmöglich wieder in Reih und Glied stellen konnte. Plötzlich riss mich Ino auf die Beine, sodass ich fast vorne überkippte, so überrascht, das mein Herz fast stehen blieb, doch kein Schrei verließ meine Lippen, die ich versucht hatte zu versiegeln. Ich spürte die Blicke auf mir und seiner brannte sich beinahe in mich hinein, dass es schmerzte. Ich wollte dieses Gefühl wieder, um das, was sich nun über mich legte, wie eine schwarze, schwere Decke, verdrängen zu können. Vielleicht war er doch nicht so gut für mich, wie ich dachte. Vielleicht war seine Schönheit nur ein Trugbild. So ein Trugbild wie ich mir selber. Und doch schaffte ich es, mich von ihm loszureißen, denn plötzlich fühlte sich alles so einfach an, auch wenn mein Kopf sich so schwer anfühlte und doch leer zur gleichen Zeit. Ich war auf Ino gefallen, die mich nicht mehr halten konnte und nun lagen wir lachend auf dem Boden und der Schmerz in meinem Bauch war doch so angenehm, dass ich ihn nicht verdrängen wollte und konnte. Plötzlich schien alles wieder so einfach, wenn meine beste Freundin mir endlich wieder wie die beste vorkam, meine Freunde wie welche von mir wahrgenommen wurden – es war wunderbar. Niemals, niemals hätte ich mir das vorstellen können, dass es so einfach war, etwas zu vergessen, was so unvergesslich schien und sich so in mich hineingefressen hatte. Und doch habe ich es geschafft. Ich stand schwankend auf und zog Ino auf die Beine, die sich ihren Bauch vor Lachen hielt und mich umarmte. Ich war so sehr von diesen Gefühlen beflügelt, dass ich vergaß. Ich vergaß all das Leid, all den Kummer und ich fühlte mich federleicht an, das Atmen fiel mir so viel leichter als sonst, es war wunderbar. Ich fühlte und spürte und tanze, wie ich es schon immer wollte. Ja, ich tanzte, etwas, dass ich nie machen wollte, was ich nie gewagt habe, doch plötzlich schien das alles so normal, so einfach, alles hatte seinen Sinn und saß auf dem richtigen Platz. Ich fühlte, wie der Rausch des Alkoholes mich dazu brachte, dass ich lachte, lebte, liebte, er umhüllte mich wie eine Aura und ich ignorierte alles um mich herum, als ich in seinen Armen lag, weil ich mich vor Lachen so sehr schüttelte, dass ich kaum noch auf den Beinen stehen konnte und atmete seinen Geruch ein, als ich nach Luft schnappte, denn diese blieb mir weg voll Erschöpfung. Ich war nicht betrunken vom Alkohol. Sondern von der Liebe. Vielleicht war all dies nur ein Traum, den ich mit der Realität verwechsel – es war einfach zu schön, um wahr zu sein, dieses Glücksgefühl, diese Freude, die in mir aufkam, es konnte nicht der Realität entsprechen, denn diese schmerzte, biss und kratze mich innerlich und doch schien sich plötzlich ein wohliges Pflaster auf diese Wunden zu legen. Und das war so ungewohnt, so seltsam, ich konnte es nicht wahrhaben, vielleicht wollte ich es gar nicht wahrhaben. Ich hatte das Gefühl, mir einreden zu wollen, dass es mir schlecht ging, dass ich dieses Glück vergaß, damit ich endlich wieder der Wahrheit, von all diesen trügerischen Gefühlen verdeckt, in die Augen blickte. Denn ich hatte Angst, dass diese Fassade zersplitterte, in sich zusammenbrach, und mir nicht mehr verheimlichte, was mich wirklich erwartete. Und plötzlich waren alle wunderbaren Gedanken fort. Es plagte mich plötzlich wieder alles, was ich so sehr versucht hatte zu verstecken. Ich tat mir selber weh, aber ich wollte mich nicht weiterhin belügen. Ich konnte keine Tatsachen verdrängen, wenn ich so still dasaß und ins Feuer starrte. Diesem trügerischen Glück mochte ich nicht vertrauen, es hatte mich zu sehr, zu oft enttäuscht und mir Schmerzen zugefügt. Wieso sollte ich mir dann nicht selber das Leid antun, indem ich die Welt sah wie sie war? Es würde mir leichter fallen, denn ich wusste, dass ich Recht hatte und wenn ich mich dem Schicksal übergab, dann war ich ausgeliefert und ich wollte meine Fäden selber in der Hand halten. Anzu setzte sich neben mich und Sasuke zu ihrer anderen Seite. „Woran denkst du?“, fragte sie mich lächelnd, während ich mit unbewegter Miene weiterhin dem Feuer beim Tanzen zusah. Ich beobachtete die Funken, die kurz in der Luft schwebte und dann verschwanden, wie das verkohlte Holz ins ich zusammenbrach und das Feuer unentwegt seine Gestalt änderte. Ich denke daran, aufzugeben. „Nichts besonderes.“, murmelte ich und stieß ein Stück Holz zurück ins Feuer. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete ich, wie Anzu in Sasuke Armen lag und mit seiner Hand spielte, und dabei stumm ins Feuer starrte. Ich hatte schon viele Schmerzen gefühlt, ich hatte verdammt vieles durchgemacht, aber das war etwas Neues, ein neuer Schmerz, wie ich ihn noch nie gespürt habe. Irgendwie drückte es so verdammt, als würde mein Herz zerquetscht, die Luft schien auf einmal auch nicht mehr so leicht zu atmen, als wäre sie zäh und dickflüssig. Ein völlig absurdes Gefühl. Aber zu stark und real, als könnte ich es einfach ignorieren. Ich sah sie an. Sie gehörten zusammen, Anzu liebte ihn, so wie er sie liebte – ich hatte dort nichts verloren, ich konnte mich nicht einfach hinein schleichen in diese Beziehung, als wäre es etwas Selbstverständliches. Nichts konnte ich tun, als zu zusehen, wie ich weiter zu Grunde ging und anderen dafür ihr Glück gönnen musste. Ob das unfair war? Sicherlich. Aber wäre es nicht auch unfair, anderen solch etwas Schönes zu vergönnen? Sicherlich. Ich hatte versucht einen neuen Weg einzuschlagen. Dass es sich anfühlte, als würde ich barfuß auf Glas gehen, hatte ich nicht ahnen können. Würde sich eine neue Abzweigung eröffnen, müsste ich mich entscheiden, würde ich denselben Weg gehen oder den Alten… ich wüsste es nicht. Mochte ich lieber diese Enttäuschung spüren, diese Ziehen in der Brust, wenn ich bemerkte, dass ich keine Chance mehr hatte, dass ich auf Dinge hoffte, die nicht geschehen würden, oder lieber diese Enttäuschung, nichts probiert oder erlebt zu haben? Ich konnte es nicht sagen. Ein letztes Mal drehte ich mich noch um, nachdem ich mich verabschiedet habe, denn ich dachte mir, dass es Zeit wurde, wieder zurück zu gehen, in die Welt, in die ich gehörte, und nicht die Zeit der Anderen zu vergeuden. Ich drehte mich um und warf noch einen letzten Blick zu ihm, denn nun saß er dort alleine. Er sah es, es machte mir nichts aus und dann kam dieses kleine Winken, dass ich nur mit einem traurigen Lächeln beantwortete und wieder ging ich. Und wieder floh ich, wie ich es immer tat. Den ganzen Weg über nach Hause schien es, als wäre mein Kopf wie leergefegt gewesen. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen; und doch nahm ich meine Umwelt ebenfalls kaum war, ich wusste, welchen Weg ich gehen musste, doch die Autos, die an mir vorbeifuhren, hinterließen nur ihr Geräusch, doch der Anblick war verschwommen, als würde ich träumen. Wäre es ein Traum, wärst du jetzt bei mir. Dann war ich plötzlich auch schon da und starrte auf die Haustür. Es brannte nur Licht im Wohnzimmer und zog meinen Schlüssel aus der Tasche. Das Klimpern war so laut, dass es mir in den Ohren schmerzte und der Ton schien sich wie ein Messer in meinen Kopf zu bohren. Ich hatte noch nie versucht, so leise ins Haus zu gelangen, doch ich zögerte auch einen Moment, ich wusste nicht wieso, ich hatte nur das Gefühl, als würde mich, sobald ich die Tür öffnete, eine Welle Unheil erwischen und mit sich spülen. Absurd. Ich schlich mich zur Wohnzimmertür. Leise Schritte, mit schien sogar mein Herz schlug leiser, als wäre selbst es von den überwältigenden Gefühlen müde und erschöpft, denn so viel war ich und es nicht gewohnt. Und doch schien es Jubelschreie auszustoßen, immer noch und unaufhörlich. Ich wollte dieses Gefühl nicht vergessen, welches mich vorhin so übernommen hatte. Und in diesem Moment… da geschah es doch. Es war seltsam, wie komisch Menschen waren, wie sie einem vorlogen, sie würden einen lieben, immer für einen da sein, der Mensch sein, der immer in deinem Leben war, der dir das Leben schenkte, machte, erheiterte. Und doch verließen sich dich, ließen dich sitzen, alleine, ohne ein Wort darüber zu verlieren, oder es stellte sich heraus, dass all das eine Lüge war, was dir immer vorgespielt wurde, dass du nur ein Produkt warst. „Hätte ich das gewusst… und dass es doch noch klappt, nie hätte ich sie adoptiert.“ Geflüsterte Worte, und doch bohrend wie ein Schwert, das sich wetzte und dann in mein Herz stach, darin herumwühlte, und doch unzufrieden mit dem, was es angerichtet hatte. Ich ließ mich gegen den Türrahmen nieder und hörte mit geschlossenen Augen zu. Es war, als würden die Karte neu gelegt werden und ich würde nie erfahren, welches Blatt auf meiner Hand lag. Als spielte ich blind gegen das Schicksal um mein Leben. Es forderte mich heraus, doch es stand schon fest – ich war der Verlierer. „Du übertreibst – “ „Nein!“ Die Stimme wurde wieder so laut und hysterisch und ich erzitterte. „Schau es dir an! Hätte ich das ahnen können… Nein.“ Es herrschte Stille, im Raum. Es herrschte Leere, in mir. „Jetzt ist es sowieso zu spät- aber bald kann sie auf eigenen Beinen stehen.“ Nein, das konnte ich nicht. Das würde ich niemals können. Denn meine Beine waren zu schwach, die Stützpfeiler meines Lebens eingesägt und eingebrochen. So wie mein Leben selber. Wie ein Produkt erworben. Ob man mich verkaufen konnte? Wie viel würden sie bekommen? Wahrscheinlich nichts. Ich bin wertlos. Ich wusste, dass sie über mich redeten. Es war, als hätte ich es schon vorher geahnt, es war dieses Gefühl, der Gewissheit, das ist ich doch so selten spürte, aber ich verstand, wenn es in mir aufkam. Ich wusste, dass sie mich meinten. Und dieses Wissen tat weh. Ich stolperte leise davon, hielt mich an dem Geländer, als ich leise schluchzend die Treppe hinaufging, denn es fühlte sich an, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Es gab Dinge im Leben, die es ausschlaggebend veränderten. Dich nicht nur in eine andere Richtung führten, die Fäden zogen und somit alles anders machten, nein, die dich selber dazu brachten, genau diese Fäden herauszureißen, und mit eigenem gefunden und gewonnen Willen selber kämpfen ließen, einen Weg entlang, den man sich selber ausgesucht hatte. Und vielleicht waren so wenige Dinge geschehen, die so vieles geändert haben. Doch nun fühlte ich, als wäre all dies so belanglos gewesen – plötzlich stürzte alles wieder ein. All die Gefühle und Gedanken vergessen, weggefegt, um der gähnenden Leere Platz zu machen, die sich in mir verbreitet, mich auffraß und sich nicht bekämpfen ließ. Sie war doch immer stärker, als ich selber. Aber vielleicht war das ausschlaggebend. Mein Leben war wirklich wie eine Pralinenschachtel. Ich wusste auch nie, was mich erwartete. Aber die Schokolade war immer verdammt bitter. Kapitel 6: Sehnsucht plagt. --------------------------- ERINNERUNGSSPLITTER.  Es war ein sehr kurzer Moment. Seine Augen. Seine Hände. Seine Haare. Sein Gesicht. Ein kurzer Atemzug, ein kurzer Herzschlag, ein Augenaufschlag… und er war weg. Seit beinahe zwei Wochen hatte ich niemanden mehr getroffen, außer Anzu und Ino. Allerdings war das kein Problem für mich – ich fühlte mich unglaublich wohl, dass ich meine Ruhe hatte vor den ganzen erdrückenden Gefühlen und dem Chaos, das so vieles auslöste. Es tat vielleicht ganz gut. Dachte ich zumindest. Ich dachte kaum noch an ihn. Manchmal, wenn ich es doch tat, waren aber diese Gefühle weg, als wäre er nur etwas Banales, dem ich neutral gegenüberstand. Aber es kam immer wieder. Eine Welle an Gefühlen, die mich unter sich begrub, und ich zappelte umher, wie ein Fisch, der das Schwimmen verlernt hatte. Immer wieder fühlte ich dieses Gewicht, dass mein Herz erschweren ließ. Und dabei ging es mir doch eigentlich gut. Eigentlich. Ich hatte Sasuke lange Zeit nicht gesehen, ich vergaß ihn manchmal, nicht einmal meine Familie störte mich in letzter Zeit – als hätte ich sogar gelernt, den Schmerz zu ignorieren. Aber wieso fühlte ich mich dann trotzdem so? Es ist dieser Schmerz, wenn du deine Gefühle unterdrücken musst. Ich konnte es wirklich nicht beschreiben, dieses Zerren in mir drin, was mich einerseits plagte und mir doch zeigte, wie wunderbar es war, wenn ich nicht alleine war, wenn er neben mir stand, wenn mich wieder dieses kleine Glücksgefühl, blickte er mich an. Ich sollte daran festhalten, denn das große Glück, das würde ich nie finden. Es war unglaublich, wie ich immer noch diese kurzen Berührungen von Sasuke spürte, als wäre sein Arm immer noch um mich gelegt, als hätte er mich nie losgelassen. Mein Herz schlug bei dem Gedanken jedes Mal ein kleines bisschen höher und ich driftete ab in meine kleine Traumwelt, in der alles so schön schien. Sagte ich, dass ich nicht mehr an ihn dachte? Das war eine große Lüge. Und ab diesem Moment bekam ich dich nicht mehr aus dem Kopf. Ich machte mir keine Mühe mehr, jemandem zu gefallen. Es war viel leichter, als ewig darauf zu achten, was von einem gehalten wurde, negative Seiten hatte dies natürlich auch. Meine Mutter, so sehr ich mich sträubte, sie weiterhin so zu nennen, spürt das am meisten; redete sie mit mir, so war immer dieser Unterton in ihrer Stimme, der mir damals so oft einen Stich ins Herz versetzte. Erstaunlicherweise tat mir das nun nichts mehr. Ich wusste nicht wieso, ich wusste nicht, wie ich das so schnell hinter mich bringen konnte, all diese Ereignisse, die so vieles prägten und doch veränderten, aber es schien beinahe über Nacht geschehen zu sein. Inzwischen gab sie mir nur noch Anweisungen, schlug mich in Gedanken wohl mit Händen und Füßen, denn sie wagte es nicht mehr, irgendeinen körperlichen Kontakt mit mir aufzunehmen. So lange hatte mir ihre Liebe gefehlt und nun war der letzte Rest im Nichts verblasst. Wenn ich so in meinem Zimmer saß, dachte ich daran, wie Sasuke neben mir saß, wie ich manchmal mit ihm redete und dann schlug mein Herz plötzlich so stark, dass ich kaum noch Luft holen konnte; es war so ein unbeschreiblich starkes Gefühl, nur durch ihn ausgelöst, durch seine kurzen, banalen Berührungen – wieso war mir das so wichtig? Wieso versetzte es mich in so einen Zustand? Ich hörte etwas, das mich aus meinen Gedanken riss, doch konnte ich nicht zuordnen, was es war und woher es kam. Ich setzte mich auf und stand nun in meinem Zimmer, lauschte einen Moment in die Stille, als ich wieder hörte, wie jemand meinen Namen rief. Mit wenigen Schritten näherte ich mich meinem offen stehenden Fenster und ein Blick hinaus verriet mir, dass Ino unten stand und mir mit einem sanften Lächeln zuwinkte. Ich lehnte mich weit aus dem Fenster und sie trat einen Schritt näher. Mir war vollkommen bewusst, wieso sie nicht klingelte – sobald sie es tat, kam meine Mutter mit einem mörderischen Blick hinaus und ließ sie nur unter Widerwillen ins Haus und selbst dann versuchte sie sie so schnell wie möglich, hinaus zu scheuchen. Diese Frau wurde zu einer grässlichen Hexe. „Kommst du mit raus oder darf ich reinkommen?“, fragte Ino. Ich entschied mich für ihren ersten Vorschlag. Solange wir nur unter uns blieben, konnte ich mich nach den Tagen hinaus wagen. Ich verließ einfach das Haus, ohne mich zu verabschieden, das tat ich in letzter Zeit immer so, denn meine Eltern wussten, dass ich sowieso irgendwann wieder zurückkam, also scherten sie sich nicht darum. Was für ein Zeichen von elterlicher Liebe… „Wieso hast du dich nicht gemeldet?“ Ich sah, dass Ino mich anschaute, doch ich blickte nur weiterhin nach vorn. Denn sonst konnte ich das nicht so einfach. „Ich wollte einfach mal alleine sein.“ Sie lachte kurz auf. „Das bist du doch ständig.“ Es tat weh, als sie das sagte. Ich wusste es, doch ausgesprochen entsprach es noch mehr der Realität und so holte es mich einfach schneller ein. Aber sie wusste doch, dass ich nicht wie sie war – hübsch und glücklich und offen… Scheinbar wollte sie das nicht einsehen. „Das musst du mir nicht unbedingt sagen.“, murmelte ich und wagte es nicht, sie anzusehen. Ich hatte eigentlich nicht wirklich Lust auf dieses Gespräch, es würde eh nicht gut enden. Sie lachte kurz auf. „Ach komm Sakura, es ist einfach wahr.“ Ich blieb stehen und meine Hand verkrampfte sich. Als ob sie mir sagen müsste, was wahr ist und was nicht. Ich wusste es selber, ich wusste es mit Sicherheit besser als sie. Natürlich wollte sie mich nur verstehen, das wusste ich, doch es war nicht so einfach. „Ino, lass das bitte. Du verstehst mich eh nicht.“ Sie blickte mich verwundert an, als sie ebenfalls stehen geblieben ist. Ich konnte nicht in ihren Augen ablesen, was in ihrem Kopf vorging… und irgendwie wollte ich das auch nicht. Irgendwie hatte ich sogar Angst davor, es zu erfahren. Sie war meine beste Freundin. Aber das hieß nichts, solange ich mich so seltsam fühlte, solange ich in diesem Chaos festsaß, das sie nicht verstand. „Ich weiß echt nicht, was mit dir los ist. Wieso erzählst du mir nicht einfach mal, was bei dir vor sich geht?“ Weil ich es selber nicht weiß… Es war schwer, ihr in die Augen zu blicken, es war schwer, so vor ihr zu stehen – ich wollte ihr etwas erzählen, ich wollte ihr mein Herz ausschütten, aber irgendwie wollte ich es auch nicht. „Du würdest es eh nicht verstehen, es ist viel zu kompliziert.“ Ich setzte mich wieder in Bewegung, ich wusste, dass ich am liebsten einfach weglaufen wollte. Vor ihr und von dem ganzen Rest, der mich auf ewig zu verfolgen schien. Doch sie kam mir hinterher; was hatte ich auch anderes erwartet? „Wieso erzählst du es nicht einfach? Das weißt du doch gar nicht!“, hörte ich sie sagen, als sie mich wieder einholte. Ich wusste zu schätzen, dass sie sich solche Sorgen machte, dass sie versuchte, mir zu helfen, aber ich wollte das alles nicht. „Lass mich einfach in Ruhe.“ Ich wollte lieber weglaufen, als mich alle dem zu stellen. „Ich hab keine Lust mehr auf das, was du hier ständig abziehst. Wenn du nicht mit mir reden willst, brauchst auch nicht mehr so tun, als wärst du meine Freundin!“, sagte sie und ihre Stimme wurde etwas lauter. Ich blieb stehen und blickte sie stumm an. Irgendwie tat das weh… aber es schien beinahe, als habe ich genau darauf gewartet, als hatte ich gewusst, dass das kommt. „Ich dachte, du wärst meine beste Freundin.“ Ich biss mir auf die Lippen, als die Worte meine Lippen verließen und ich sie stumm anblickte. Da war keine Gefühlsregung in ihrem hübschen Gesicht, kaum eine Emotion in ihren Augen. Sie schien weder traurig, noch wütend. Und genau das machte mich traurig und wütend. Es schien ihr kaum etwas auszumachen. „Dinge ändern sich.“, sagte sie nun wieder etwas leiser und wandte ihren Kopf um. „Nein, Ino, nicht Dinge, sondern Menschen.“ Alles, was ich jetzt brauche, ist ein Wunder… Manchmal hatte ich das Gefühl, dass immer dasselbe passierte, immer wieder erlebte ich genau das Gleiche, doch es traf mich genauso stark, wie beim ersten Mal. Ich weiß nicht, ob es an mir lag oder an den Momenten, die mich immer wieder heimsuchten, aber es war verdammt hart, immer wieder dasselbe durch zu leben. Es musste nicht einmal wirklich ein weiteres Mal geschehen; diese Momente brannten sich in meinen Kopf und wider meines Willens durchlebte ich es noch einmal. Selbst schöne Momente versetzten mir einen verdammt schmerzhaften Stich ins Herz, denn ich wusste, ich würde sie nicht noch einmal erleben. In Wirklichkeit erleben. Träume bedeuteten mir nichts mehr. Sie blieben einfach eine Wunschvorstellung, ein einfacher Traum. …oder dich. Ino und ich hatten uns nur noch stumm angesehen, bis sie mit einem Schnauben einfach davon gegangen ist. Es hat schon wehgetan, natürlich. Sie war mir wichtig, sie war meine Freundin, sie war meine beste Freundin, aber selbst das half ihr nicht, mich zu verstehen. Wenn ich mich nicht selber verstand, wie sollte sie es tun? Ihr Leben war perfekt, sie war perfekt – sie konnte mich nicht verstehen. Und deswegen war ich wieder auf dem Weg nach Hause, vor dem ich so oft fliehen wollte. Mein Fernweh war so groß, unglaublich groß, beinahe unersättlich. Und trotzdem kehrte ich immer wieder nach Hause zurück. An der Tür stand meine Mutter. Und sie rauchte. Ich hab sie lange nicht mehr rauchen sehen, ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, was beim letzten Mal passiert ist, dass sie es getan hat. Doch sie schaute mich mit einem wütenden Blick an und fragte, nachdem sie den Rauch ausblies: „Wo warst du?“ Ich zuckte mit den Schultern und sagte: „Ein bisschen mit Ino draußen.“ Eigentlich wollte ich mich an ihre vorbeidrängen, doch sie versperrte mir den Weg und schaute mich mit eiserner Miene an und durchbohrte mich mit ihrem Blick. „Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber könntest du dich bitte wieder normal verhalten?“ Ich strich meine Haare hinters Ohr, um etwas Zeit zu schinden, aber ich wusste einfach nichts darauf zu sagen, was Sinn ergab. Zurzeit ergab gar nichts mehr Sinn. „Lass mich doch einfach in Ruhe.“, sagte ich und wollte mich noch einmal an ihr vorbeidrängen, doch sie packte meinen Arm und in mir stieg Wut auf, die beinahe den Schmerz, der mir durch ihren Griff hinzugefügt wurde, verblassen lassen hat. Aber ich spürte ihn immer noch und es tat verdammt weh. „Fräulein, ich bin deine Mutter. Ich lasse dich sicherlich nicht in Ruhe.“ Ich riss mich los. Und es tat noch mehr weh. Die Wut kochte in mir und ich hatte mich beinahe nicht mehr unter Kontrolle. Meine Hände verkrampften sich und ich hörte nur noch ein Rauschen in meinen Ohren und wie die Tränen langsam meinen Blick verschleierten. „Pah, meine Mutter? Du bist alles, nur nicht meine Mutter!“, schrie ich und rannte hinauf in mein Zimmer, wo ich die Tür zuknallte und abschloss. Ich lauschte in die Stille hinein. Da war kein Geräusch mehr, kein Wort, kein Hauch. Aber ich war noch immer aufgewühlt. Die Tränen traten aus meinen Augen und ich packte einige Sachen einfach mit der Hand und warf sie in meine Tasche und lief wie blind durch mein Zimmer. Ich wusste nicht, was ich alles mitnahm, doch ich stürmte beinahe kopflos aus meiner Zimmertür, dann aus der Haustür und nachdem ich einige Meter gerannt bin, blieb ich erschöpft stehen und wischte die Tränen weg, die nicht aufhören zu fließen. Ich wollte noch weiter fliehen, vor meiner Familie, vor meinem Leben, vor mir selber. Doch das war unmöglich, denn immer wieder führte mich irgendetwas zurück. Und ich wusste nicht was. Am liebsten mochte ich genau in diesem Moment in den Arm genommen werden. Ich fühlte mich alleine wie noch nie. Mir fehlten einfach Arme, die mich umschlossen, und mir zeigten, dass ich nicht so einsam war, wie ich mich fühlte, dass jemand da war, der mir half, der mir auch immer helfen würde, der da war und mich vielleicht sogar ein kleines bisschen verstand. Ich spürte, wie jemand an meinem Zopf zog und drehte mich schnell herum und erblickte sein Gesicht. Mir blieb beinahe das Herz stehen, doch dann schlug es weiter, stärker und schneller als vorher. „Was machst du hier?“, fragte er skeptisch und beäugte mich von oben nach unten. Ich wischte mir mit dem Ärmer über die Augen. Sicherlich waren sie komplett rot vom Weinen, ich musste mal wieder schrecklich aussehen. So konnte er sich ja nicht mit mir blicken lassen. Eigentlich wollte ich mich selber auslachen, dafür, dass es mir so wichtig war, wie ich mich benahm und wie ich aussah, wenn er in der Nähe war. Aber ich möchte ihm einfach gefallen. Ich wusste nicht, wieso. Es war doch eh alles aussichtslos. „Hab mich mit meiner Mutter gestritten.“ „Und jetzt stehst du hier draußen herum?“ Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Es war nicht das, was er sagte, sondern, dass er mit mir sprach, wie er mit mir sprach – als wüsste er alles, als könnte er mich verstehen. Es tat gut. Zu gut. Mit dir war ich glücklich. Obwohl wir nie zusammen waren. „Ich will nicht mehr nach Hause. Bin einfach weggelaufen.“, sagte ich wahrheitsgemäß und beobachtete, wie er seine Augenbraue anhob und mich skeptisch musterte. Er wusste, dass ich die Wahrheit sagte, er musste es wissen. „Und wohin willst du jetzt?“ Ich zuckte mit den Schultern. Es war mir egal, Hauptsache nicht mehr zurück nach Hause, Hauptsache weg von hier, weg von dem, weg von mir. Bloß nicht weg von dir. „Willst du mit zu mir?“ Ich blickte ihn geschockt an. Zuerst dachte ich, ich hätte mich verhört, doch dann wurde mir klar, dass ich richtig verstanden hatte. Irgendetwas in mir protestierte lautstark und ich wollte darauf hören, aber es war so schwer. Ich biss mir auf die Lippen und beobachtete jede einzelne seiner Bewegungen, jedes einzelne Zucken seine Augen. Es war so faszinierend. Mir war es am liebsten zuzusagen, aber ebenfalls ein Graus, es zu tun. Mich vor solch eine Entscheidung zu stellen, war die reinste Qual – Und trotzdem hatte ich zugesagt. Was sollte ich anderes tun? Es war die einzige Möglichkeit, einige Zeit von zu Hause wegzubleiben. Ich wollte mich nicht bei Ino melden, das würde ich nicht ertragen, ich wollte niemanden anderen stören, der nicht verstand, was mit mir los war, der mich mit unangenehmen Fragen durchlöchern würde. Sasuke war genau das Gegenteil. Er schien zu verstehen, was los war, auch wenn ich kein Wort darüber verloren habe, was genau passiert ist und er schien auch nicht erpicht darauf, zu erfahren, was genau es war. Es störte ihn nicht, es nicht zu wissen. Es störe ihn nicht, einfach still für jemanden da zu sein. Es störte ihn Gott sei Dank nicht, dass ich in seiner Nähe war. Jeder Schritt auf dich zu ist ein Schritt fern von meinem Verstand. Es war ganz angenehm in seinem Garten zu sitzen. Seine Eltern, die mich nett begrüßt hatten, haben auch keine unangenehmen Fragen gestellt, sie scherten sich scheinbar nicht einmal darum, dass ein fremdes Mädchen abends in ihrem Haus war. Sie hatten ein großes Haus, wie fast jeder in dieser Gegend, aber es war irgendwie etwas prunkvoller, konnte man meinen. Der Garten war um einiges größer und gepflegter als unserer. Er gefiel mir. Sie hatten einen kleinen Teich, irgendwo plätscherte ein kleiner Brunnen und ich lauschte ihm, während ich mein inzwischen leeres Glas in den Händen umher drehte. Ich fragte mich, was Anzu wohl gerade machte, wenn Sasuke nicht bei ihr war. Was machte ich eigentlich bloß bei ihrem Freund? Die Frage verblasste so schnell, wie sie gekommen war, als er sich neben mich niederließ und stumm nach vorne blickte. Ich wandte mich zu ihm, musterte sein schönes Gesicht, seine Haare, die ihm lässig ins Gesicht vielen, seine dunklen unergründlichen Augen. Seine Präsenz so nah machte mich beinahe verrückt und benebelte gehörig meinen Verstand. Eigentlich wollte ich es nicht fühlen, diese Wärme, die in mir hochstieg, dieses Gefühl, dass meinen Verstand einnahm, aber ich konnte nicht dagegen tun, egal sie sehr ich mich sträubte. Denn genauso stark, wie ich es verabscheute, liebte ich es und sehnte mich danach. Und egal, wie falsch es war, solange es sich in diesem Moment richtig anfühlte, konnte ich nichts dagegen tun. Müde legte ich meinen Kopf auf seine Schulter, blickte zwar weiterhin gerade aus, doch sah, wie er verwundert den Kopf zur Seite drehte, und mein Gesicht musterte, ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut und mich durchlief ein Schauer. Seine Nähe war so atemberaubend. Mich habe ich schon längst aufgegeben. Das Einzige, was bleibt, bist du. Kapitel 7: Vertrauen bricht. ---------------------------- ERINNERUNGSSPLITTER.  Es war noch nie so einfach zu vergessen. All diese Erinnerungen fühlten sich an, wie ein leeres Zirkuszelt, trist und grau. Und ich in der Manege umhüllt von Nichts war… wie ein trauriger Clown. Ich war schnell eingeschlafen, zu schnell. Denn in meinen Gedanken war ich immer noch neben Sasuke, saß noch neben ihn, spürte noch seine leichten Berührungen, seine Haare, die meine Wange kitzelten. Es war, als lauschte ich noch seinem ruhigen Atem, der über meine Haut strich, als wäre seine Präsenz noch anwesend. Mein Herz schlug so stark und laut, ich hatte Angst, er würde an den Wänden wiederhallen und somit noch lauter werden. Es war ein schönes und doch beklemmendes Gefühl, wenn ich daran dachte. Als würde es en meinem Herzen hängen und sich dort festkrallen und meinen Verstand komplett aussetzten. Manchmal, wenn ich nicht gerade versuchte an etwas anderes zu denken, schien ich wie komplett weggetreten, dachte nur noch daran, an meine Gefühle, an mein Herzrasen, an dieses Sträuben in mir, dass mich immer wieder überkam, meldete sich mein Verstand zu Wort. Doch er schrie zu leise, denn mein Herz war viel zu laut. Ich mochte am liebsten immer darüber reden. Doch genauso gern einfach nur schweigen. Es war so ein Chaos in mir drin. Wie konnte ich sowas Schönes nur so falsch sehen… entweder verletzte ich mich selber oder meine Schwester. Ich war verdammt. Ich hab es nie gemocht, nach Hause zu gehen. Doch jetzt fiel es mir noch schwerer. Nicht nur, weil ich wusste, was mich erwartet, sondern weil es eben noch ungewohnt war, dass ich einfach eine Nacht fehlte. Aber das Schlimmste war, dass ich von Sasuke weg musste. Es war beinahe, als zerrte mich noch etwas zurück zu ihm, doch ich musste gehen und konnte dem Verlangen nicht folgen. Ich musste einfach gehen. So weh es mir auch tat. Es ist schwer so zu tun, als wäre es mir nicht wichtig. Als ich vor der Tür unseres Hauses stand, ich wusste nicht einmal, wie lange, es schien, als würde ich mit leerem Blick einfach nur auf das Holz starren und mit den Gedanken wo anders sein, wusste ich nur eines: Ich wollte da nicht wieder hinein. Ich wollte bloß weg, weg zu Sasuke. Mehr nicht. Wieso waren diese Gefühle so stark? War es wirklich so etwas wie Liebe, oder sehnte ich mich nur danach, weil ich noch nie ein sowas gefühlt habe? Doch ich wollte, dass es Liebe war, ich wollte es so sehr, bildete ich es mir dadurch nur ein? Vielleicht konnte ich all diese Gedanken an Sasuke viel leichter verjagen, als ich dachte, vielleicht konnte ich all das schneller vergessen, als es mir bisher möglich war. Vielleicht. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ich stolperte zwei Schritte zurück vor Schreck, als mein Herz beinahe stehen blieb. Es wäre mir recht gewesen. Meine Mutter stand dort, mit wutverzerrtem Gesicht. Ich fühlte nichts dabei. Absolut gleichgültig. Sie packte mich und sagte, als wäre es die Antwort auf die letzten Worte, die ich an sie gewandt habe: „Sowas wie du kann auch nicht meine Tochter sein.“ Ich hatte es so lange versucht. Ich starrte sie an, als hätte sie mich soeben geohrfeigt, was mir in dieser Situation plötzlich wie eine Streichelei vorgekommen wäre. Ich hatte es versucht, eine Zeit lang geschafft, so zu tun, als würde es mir nichts bedeuten, als würde ich überhaupt nichts dabei fühlen, wenn ich diese Frau vor mir anblicken würde, aber es war nicht so einfach, wie ich gedacht hatte, denn durch ihre Worte kam wieder diese Welle an schrecklichen Gefühlen wieder und vergrub mich unter sich. Mein Herz fiel wie Glas zu Boden und schien zu zerbrechen. Erneut. Immer wieder. Weder ich noch sie sagte was. Dann ging ich einfach an ihr vorbei, ohne ein Wort, ohne einen Blick und stieg die Treppe hinauf. Das war’s. Mein Leben lag wieder einmal in Trümmern. Als ich in mein Zimmer kam, in das kein Licht drang, weil die Wolken sich vor die Sonne geschoben haben, als wollte sie das Wetter so sein lassen, wie meine Stimmung, schien alles so trostlos wie schon so lange nicht mehr. Am liebsten wollte ich mich einfach hinlegen und schlafen und nicht mehr aufstehen. Das wäre alles so einfach und es würde keine Mühe machen und ich würde nichts mehr fühlen, denn ich könnte nie wieder etwas falsch machen. Es wäre so einfach. Aber dennoch ist es so schwer. Mit einem Seufzen warf ich mich auf mein Bett und schloss meine Augen, die angefangen hatten zu brennen und ehe ich mich versah, durchfuhr ein unangenehmer Schauer meinen Körper, ließ mich auf die Seite rollen. Ich machte mich klein und ließ stumm die Tränen laufen. Während ich dort lag, lauschte ich dem Regen der nun gemächlich und allmählich anfing gegen mein Fenster zu klopfen, ganz sacht und dann wieder wie ein Hagelschauer. Ich fühlte mich so müde, aber ich konnte einfach nicht einschlafen, als wolle ich mir selber unbewusst verbieten, etwas zu verpassen. Doch es geschah ja einfach nichts. Wie lange ich dort lag, das wusste ich nicht, es war mir auch egal. Ich hatte alles vergessen, das Einzige, was jetzt noch durch meinen Kopf schoss, waren die Gefühle, als Sasuke mich berührt hatte, ganz sacht, aber es hatte sich tief in meinen Kopf gebrannt. Es schien, als würde er immer noch neben mir sitzen. Als wollte ich mich davon überzeugen, dass er wirklich nicht mehr da war, blickte ich zu meiner linken und schein beinahe enttäuscht festzustellen, dass ich mir dieses Gefühl wirklich nur einbildete und allein war. Niemals würde ich vergessen, wie schön ich es fand. Ob es überhaupt eine Ahnung hatte, wie verrückt er mich machte? Ich drehte mich auf den Bauch und starrte zum Fenster. Wie es für Anzu wohl war, wenn ihr geborener Traumprinz zu ihr durchs Fenster stieg? Mit müdem Blick beobachtete ich, wie die Wolken wieder weiterzogen und den Regen mit sich nahmen. Ich könnte hinaus, laufen, einfach laufen, ganz weit weg, aber ich fühlte mich so träge… und ich war viel zu feige, also würde ich einfach weiter hier sitzen und nichts tun. Darauf warten, dass vielleicht irgendwann ein Wunder geschehen würde. Einfach so. Schwungvoll sprang ich vom Bett und öffnete das Fenster, setzte mich davor auf den Boden und lauschte dem leisen Singen der Vögel, dem Autolärm und den laut schließenden Haustüren der Nachbarn. Und wieder dachte ich an den Moment mit Sasuke, als wäre sie ihm ergeben, als würden meine Gedanken und Gefühle mehr über mich herrschen, als ich jemals über diese könnte. Sie beherrschten mein Herz und meinen Verstand. Dann hörte ich ein Geräusch draußen, was nicht in den alltäglichen, normalen Verlauf passte und sprang auf, als wäre es genau das gewesen, worauf ich gewartete habe und drehte mich zum Fenster. Mit Schock starrte ich die Person dort unten an. Sasuke. Doch er ging nicht zu Anzu, er stand einfach da, eine Kippe im Mund und starrte zu mir hoch, als würde ich mit ihm reden, doch ich starrte ihn nur stumm an. Ich wüsste ja nicht einmal, was ich ihm sagen sollte, wenn doch alle meine Gesten die gleiche Botschaft schrien. Ich wollte ihm sagen, dass Anzu wahrscheinlich in ihrem Zimmer war, doch das wusste er sicherlich. Deshalb schenkte ich ihm nur ein kleines Lächeln, welches er vielleicht gar nicht sah und setzte mich wieder in meine alte Position und starrte an die Wand und versuchte sein Gesicht zu vergessen und dass er vielleicht immer noch dort unten stand und wartete. Ich versuchte es so angestrengt und gerade, als ich dachte, dass ich es vielleicht geschafft hatte, als ich mich im Muster der Tapete verlor, da hörte ich wiederrum ein Geräusch, dass nun nicht mehr so weit weg war. Erneut sprang ich auf und ging einen Schritt zurück… …und plötzlich stand er da. Ich starrte ihn erschrocken an und konnte kein Wort über die Lippen bringen. Vielleicht hatte er sich einfach im Fenster geirrt… aber war das möglich? Wo sie doch gerade erst von diesem verschwunden war und er Anzu schon so oft besucht hatte? „Was… Was willst du hier?“, stotterte ich und wusste nicht, ob ich ihn ansehen sollte oder einfach weiter stumm die Wand hinter ihm anstarren. So war es viel leichter mit ihm zu reden, da mich ein Blick in seine Augen immer den Verstand kostete. Doch er sagte nicht, stattdessen schritt er auf mich zu und das nächste was ich wusste, war, dass ich seinen Atem ganz nah an meinem Gesicht spürte und dann… seine Lippen auf meinen. Ich riss erschrocken die Augen auf. Er hatte mein Gesicht in seine großen Hände genommen, seine weiche Haut auf meiner, war wie ein freudiger Tanz klitzekleiner elektrischer Stöße, die mich durchfuhren. Ich wusste kaum, was mir geschah… doch ich drückte ihn weg. Das war unmöglich, das war falsch. Doch er vertrieb meinen Verstand, fegte meinen Kopf leer und füllte ihn nur mit sich. „Lass… Lass das. Lass mich.“, murmelte ich leise, denn mehr konnte ich nicht sagen. Ich war immer noch wie benebelt, musste mich beinahe festhalten, damit mich diese Gefühle nicht in die Knie zwangen. Es war absurd, wie ich fühlte. Lächerlich. Ich war lächerlich. Wie konnte ich mich nach sowas sehnen? Das mich nur noch mehr verletzte… und nich nur mir, sondern auch Anzu. Ich hörte nicht, was Sasuke sagte, bevor er wirklich wieder verschwand. Das hatte ich beinahe auch einfach übersehen, bevor ich mir auf mein Bett fallen ließ und wieder an die Wand starrte. Mein Herz raste immer noch, schlug mir beinahe bis zum Hals und mir war immer noch total warm und ich fühlte beinahe immer noch seine Lippen auf meinen. Es war einfach… unbeschreiblich. Was hatte ihn dazu gebracht, das zu tun, wo er doch mit meiner Schwester zusammen war? Dabei dachte ich, er fühlte überhaupt nicht so wie ich. Wir haben so wenig miteinander geredet, so wenig miteinander gemein… und trotzdem… er hat es getan und mir – mir bescherte es nie geahnte Schmetterlinge im Bauch. Ich wusste nicht, was geschah, da öffnete sich meine Zimmertür und plötzlich stand Anzu mit Zornesröte im Gesicht in meinem Zimmer und starrte mich an. Wenn Schmetterlinge zu Messern werden. „Was war das? Wieso war er hier?“ Ich versuchte mich zu fassen und stand auf. „Was meinst du?“ Sie lachte freudlos auf und erdolchte mich daraufhin mit ihren Blicken. Ich blieb reglos stehen und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. „Du warst noch nie eine gute Lügnerin, Sakura.“ Dabei hatte ich mir doch beinahe mein ganzes Leben vorgelogen, wollte ich ihr am liebsten entgegen schreien, doch ich blieb stumm und beobachtete sie weiter, was sie scheinbar zur Weißglut brachte. Mit einem lauten Donnern knallte sie meine Zimmertür zu, doch von meinen Eltern kam daraufhin keinen Mucks. Plötzlich war es, als würde sie ein Abgrund vor mir auftun und mich in sich hineinziehen, als Anzu mir näher kam und nun direkt vor mir stand. „Ich weiß nicht, was in deinem Kopf vorgeht, und ich will es auch nicht wissen, aber lass die Finger von meinem Freund, ist das klar? Wir haben schon genug Probleme ohne dich!“ „Schon daran gedacht, dass die Probleme durch mich kommen?“ Ich wollte mir am liebsten die Hand vor den Mund halten, doch ich hielt mich zurück. Es war einfach aus meinem Mund geflohen, ohne dass ich es zurückhalten konnte. Anzu schien erst nicht zu verstehen, weil sie mich überrascht musterte und die Augenbrauen anhob. „Was soll das denn heißen?“, rief sie aufgebracht. Sie packte mich an den Schultern und versuchte mich auf das Bett hinunter zudrücken, damit sie mich scheinbar von oben herab beschimpfen konnte, doch ich ließ mich endlich mal in meinem Leben nicht in die Knie zwingen. Sie starrte mich erschrocken an und ließ dann von mir ab, bevor sie mich wieder fragte. „Was soll das heißen?“ Doch bevor ich antworten konnte, fuhr sie fort. „Ich dachte, ich könnte dir als Schwester vertrauen, aber scheinbar ist nicht mal das möglich.“ „Liegt vielleicht daran, dass ich nicht deine Schwester bin.“ Ich spukte die Worte aus, als wären sie etwas Widerwertiges und diesmal überkam mich nicht die Trauer, sondern es packte mich die pure Wut auf alles. „Hör endlich auf, ständig Blödsinn zu reden!“, rief sie wütend. „Das ist kein Blödsinn! Ich bin nicht deine Schwester, kapiert? Deine Eltern haben mich adoptiert! Ich – bin – nicht – deine – Schwester!“ Ich sagte jedes der letzten Worte mit solch einem Nachdruck und Lautstärke, dass es vielleicht selbst die Nachbarn hätten hören können. Zunächst schaute sie mich nur stumm an, doch dann wurden ihre Augen größer und nur Abscheu war in ihnen zu sahen. „Oh ich verstehe. Du willst also nur davon ablenken, damit ich vergesse, das du auf Sasuke stehst, was? Du widerst mich an.“ Ich sah, dass sie sich umdrehen wollte, doch sie zögerte, als ich meinen Mund öffnete. „Kein Problem, bist sicherlich nicht die erste. Und ja, okay, ich stehe auf Sasuke. Aber wie es scheint, steht er nicht mehr auf dich, oder wieso denkst du, war er in meinem Zimmer.“ Ihre Augen weiteten sich vor Schock und ich war kurze Zeit von meinen eigenen Worten überrascht, doch ich ließ mir nichts anmerken. „Was… Du bist meine Schwester! Wie kannst du mir so etwas antun?!“, brüllte sie und schubste mich, doch nicht stark genug, sodass ich nur einen Schritt nach hinten taumelte. Doch ich griff nach ihren Schultern und sagte ihr erneut, dass ich nicht ihre Schwester war und dass es mein absoluter Ernst war. Doch sie schüttelte wütend den Kopf. „Das ist mir scheißegal! Das entschuldigt nicht, was du getan hast!“ „Ich?!“, rief ich hysterisch. „Ich habe gar nichts getan! Schließlich ist er durch mein Fenster gestiegen.“ Stumm blickte sie mich an und drehte sich um, ging zur Tür und ich hielt sie nicht auf. Ich hatte mehr gesagt, als ich sagen wollte und ich wusste nicht, ob das gut oder schlecht war, ob ich es bereuen sollte, oder darauf stolz sein, doch noch nie, hatte ich mich so mit ihr gestritten. Und noch nie hatten ihre Worte so sehr wehgetan. Bevor sie aus der Tür verschwand, sagte sie: „Ich hasse dich.“ Ich hasse mich selber. Kapitel 8: Träume zerplatzen. ----------------------------- ERINNERUNGSSPLITTER. Wie ich all das erklären soll? All die Taten, all die Gefühle? Jeden Fehler, jedes Pech, und doch all das Glück, die Faszination, dieses Kribbeln und Kitzeln – dieses Gefühlschaos…? Ich liebe dich. Reicht das? „Papa ist im Krankenhaus.“ Die Tür schloss sich wieder und ich starrte weiterhin auf das leere Blatt Papier vor mir. Was sollte ich dazu sagen? Nichts. Das, was ich am besten konnte. Was schon immer am besten für mich war. Wieso hatte ich das bloß aufgegeben. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Jetzt, da Anzu mich abgrundtief hasste, da ich Sasuke von mir weggestoßen hatte, meine Mutter mich nicht mehr als ihre Tochter sah, meine eigentlich beste Freundin mich vollkommen ignorierte. Das einzige, was ich jetzt noch fühlen konnte, war die einsame Leere in mir. Gähnend lehnte ich mich zurück und Tränen der Müdigkeit schossen in meine Augen, die ich mit ein paar Mal Zwinkern schon verscheucht hatte. Nicht einmal mehr richtig weinen konnte ich. Tatsächlich war ich zu nichts mehr fähig, nur noch dem sachten Wind lauschen, den Regentropfen zuschauen, die Sonne auf meiner Haut spüren, wenn sie durch das Fenster trat. Doch es war nichts so schön, wie dir zu lauschen, zuzuschauen, dich zu spüren. Ich fing an formlose Dinge auf das leere Blatt Papier zu malen, während ich in Gedanken immer weiter abschweifte. Ob ich Anzu einfach hätte etwas vorlügen sollen? Vielleicht würde sie mich dann besser verstehen, so wie mein ganzes vorheriges Leben. Sie konnte mit der Lüge scheinbar besser leben, als mit der Wahrheit. Galt das für mich auch? Fühlte ich mich nun elender als damals? Vielleicht nicht. Vielleicht bemerkte ich nur, dass es mir damals auch nie besser ging, ich es mir nur immer vorgespielt hatte. Immerhin konnte ich doch nicht traurig sein. Ich war immer glücklich gewesen. Meine Mutter hatte immer gesagt, ich wäre ein glückliches, kleines Mädchen. Dann war ich es dann doch auch. Dachte ich damals. Ich war ja nicht einmal ihre Tochter. Es wäre wahrscheinlich am Besten mit Anzu zu reden und mich für das zu entschuldigen, was ich gesagt hatte… aber sollte ich mich für die Wahrheit entschuldigen? Für meine Gefühle? Für die Wut, die sich in mir angestaut hatte, weil mich das ganze Leben belogen und hintergangen hatte? Nein. Das wollte ich nicht. Einmal wollte ich dazu stehen, was ich getan habe, selbst wenn es wehtat zu wissen, dass Anzu mich dafür hasste, was ich war, wer ich war. Aber ich konnte es ihr nicht verdenken. Sasuke gehörte zu ihr und nicht zu mir und nur weil mein Herz, das selber stumm blieb, es nicht ertragen konnte, hab ich all das zerstört. Und wer wusste schon, was dies alles für Sasuke war. Vielleicht ein Spiel. Vielleicht auch Ernst. Es sprach so wenig, so selten, was seine Stimme umso bedeutungsvoller, wertvoller machte. Ich schweifte erneut zu den Gedanken an ihn ab, er fraß sich regelrecht in meinen Kopf und wollte dort nicht mehr verschwinden. Was konnte ich also tun? Mit einem Kopf voll von Sasuke konnte ich mich nicht bei Anzu entschuldigen. Das wäre so… paradox. Ich war so taub für Gefühle. Ein Geräusch kam von Anzus Zimmer, doch ich tat nichts, sagte nichts, ignorierte es und drehte mich herum, starrte aus dem Fenster hinaus. Ob ich mich bei Ino entschuldigen sollte? Doch ich habe an nichts Schuld, ich tat nur das, was ich endlich mal für richtig gehalten hatte. Sie waren alle nicht daran gewöhnt. Ich war bereit, nur die anderen waren es nicht. Ich beobachtete einen Schwarm Vögel vorbeiziehen. Wie es wohl war so frei zu sein? Im Himmel umherzufliegen, ohne Ziel, ohne Zügel und ohne Grenzen. Grenzenlose Freiheit. Es war sicher wunderbar. Hoch oben in den Lüften, fernab von allen Gefühlen, die einem nur Probleme machten, fernab von all den grausamen Taten der Menschen. Beinahe wie eine andere Welt. Ein anderes Leben. Ein neues Leben. Vorhin war die Tür zugeknallt und ich dachte, dass Anzu und ihre Mutter vielleicht ins Krankenhaus gefahren sind, um ihren Vater zu besuchen. Also konnte ich einfach verschwinden, ohne dass jemand etwas merkte und ohne jemandem eine Erklärung schuldig zu sein. Ich trat hinaus aus meinem Zimmer, nachdem ich nach meiner Jacke gegriffen hatte und doch bevor ich aus der Haustür treten konnte, wurde ich aufgehalten. „Wo willst du hin?“ Ich drehte mich zu Anzu herum, die ebenfalls im Flur stand, doch soeben aus der Küche gekommen war, mit einer emotionslosen Miene aber diesen stechenden Augen. „Raus.“, sagte ich schlicht und zog meine Schuhe an. Ich konnte ihr nicht in die Augen schauen, in die Augen, die Sasuke so verliebt angesehen haben, mich immer so verständnisvoll und mit Liebe. Die Augen, die nun so kalt waren. „Dich interessiert es ja nicht einmal, wie es Papa geht. Wie egoistisch bist du eigentlich?“, fuhr sie mich an und ich versuchte einfach standzuhalten. Etwas länger all das hier auszuhalten, einfach nur noch ein bisschen. Aber sie hat so recht. „Ich… tut mir leid.“, murmelte ich und wandte mich von ihr ab. Irgendetwas tat weh, irgendwo so wie es immer war, nur etwas mehr, etwas stärker. Sie schnaubte. „Was ist denn passiert?“ Es fiel mir erst jetzt auf, dass ich es wirklich nicht wusste, dass ich wirklich verdammt egoistisch gewesen war, einfach die Tatsachen ignoriert habe, wie tragisch und wichtig diese Situation eigentlich war. Aber konnte man mir verübeln, dass ich endlich mal an mich dachte? Ja… ja, ich verübelte es mir. „Er hatte einen Unfall!“ Ihre Stimme war noch immer laut, doch brach am Ende ihres Satzes, doch sie weinte nicht, sie hielt nur ihren Mund zusammengepresst und schien dagegen anzukämpfen, wie ich es so oft getan hatte. Am liebsten wollte ich sie einfach in den Arm nehmen, ihr Trost spenden… …aber wie, wenn ich selber Trost brauchte? Doch ich hielt den Mund und starrte an Anzu vorbei. Eigentlich musste ich mich nur umdrehen, einfach nur umdrehen und ich konnte weggehen. Von hier. Der Ort, der mir gerade so sehr zusetzte, der mir das Herz erschwerte und einfach jeden schönen Gedanken zu vertreiben schien. Aber ich konnte mich nicht von der Stelle rühren, ich stand einfach nur da, gegenüber von meiner Schwester, die sie immer noch für mich war, selbst, wenn ich adoptiert war. Sie war und ist meine Schwester. „Ich hab mit ihm Schluss gemacht.“ Sie riss mich aus meinen Gedanken und nun überschlug sich das Chaos in mir erneut. Ich konnte kaum einen Gedanken fassen, denn alles in mir arbeitete so schnell und mein Herz schien so schnell zu schlagen, dass ich tief Luft holen musste, um mich zu beruhigen. „Was?“ Nur für dieses eine sinnlose Wort. „Wieso?“ Es war absolut unerklärlich für mich und schaute sie an, wartete darauf, dass sie auf mich losging, mich schlug, mich anschrie. Aber sie tat nichts dergleichen. Sie tat etwas, dass mir viel mehr zusetzte, mir viel mehr wehtat, als es dies je hätte tun können. „Ich liebe ihn, immer noch. Aber das war zu viel. Außerdem leidest du.“ In mir zerbrach erneut etwas, neben meinem Herz und ich biss mir schmerzhaft auf die Lippen, um meinen Schmerz irgendwie zurückzuhalten. „Das war nicht nötig“, antworte ich. „ich leide schon mein ganzes Leben.“ Sie blieb stumm. Und ich auch. Es war ein stiller, kurzer Moment, der irgendwie plötzlich doch alles erklärte – eigentlich war es egal, wie sehr wir uns gestritten hatten, eigentlich war es egal, dass um jemanden ging, den wir beide… liebten. Das einzige, was nun wichtig war, war die Tatsache, dass wir uns hatten und brauchten. „Ich hätte nie gedacht, dass… na ja, das du nicht meine richtige Schwester bist.“, murmelte sie leise und ein trauriges Lächeln zierte ihr Gesicht; es passte nicht zu ihr, es war absolut fehl am Platz. Sie war eigentlich das kleine fröhliche Mädchen, dem man nichts anhaben konnte – eigentlich war dieses Lächeln das, was ich sonst immer trug… nicht nur ich war nicht mehr ich selbst. „Ja… schon eine Überraschung, was?“ Es klang etwas zu munter, aber ich hatte mich damit abgefunden. Mich zerrte es so oder so von hier weg und wie viel leichter fiel es mir nur, wenn ich wusste, dass ich eigentlich wirklich nicht hier her gehörte, dass ich nicht und nie dazu gehörte, dass ich einfach weg gehen konnte, ohne eine Spur zu hinterlassen, da sie niemals hier begonnen hatte. Es fiel mir so viel leichter. Und das alles zu verändern, so schwer es auch war, ging an mir vorüber, weil dies alles nur ein Trugbild war, dies alles nicht ich – denn es war ein Lügenschloss umgeben von trügerischen Rauchwolken, die alles verschleiert haben und nur dieses eine kleine Lüftchen von Schicksal ließ alles in sich zusammenfallen. Vielleicht sollte es so sein, vielleicht sollte ich die Ketten einfach ablegen und aus diesen Mauern ausbrechen. Und dann ging sie plötzlich auf mir zu und umarmte mich, drückte sich fest an mich und murmelte: „Du bist trotzdem meine große Schwester.“ Ich wäre beinahe in Tränen ausgebrochen, aber ich wollte nicht und konnte nicht. Ich hatte so oft wegen traurigen Momenten geweint, ich wollte es nun nicht auch bei den glücklichen tun, aber es tat mir verdammt gut, dass sie mir verzieh, dass sie mich als ihre Schwester sah. Es tat verdammt gut zu wissen, dass jemand an meiner Seite war. Als ich das Haus verließ und mich auf den Weg machte, bereute ich es nach einiger Zeit, so in Gedanken vertief aus der Tür gegangen zu sein und meine Füße mich einfach tragen zu lassen, denn ich erkannte die Straße wieder, noch bevor all diese Erinnerungen und Emotionen wieder in mir hochkamen, bevor ich mich wieder danach sehnte – ich war nicht weit weg von Sasukes Haus. Was erwartete ich? Dass er mir über den Weg lief, dass er vielleicht gerade aus der Haustür trat, wenn ich vorbeiging? Ich wusste es nicht und ich blieb stehen, unschlüssig darüber, was ich nun tun sollte, ob ich meinem Herzen, dem Verlangen, folgen sollte oder meinem Verstand, der langsam dahinglitt mit all den überschwappenden Gefühlen. Aber irgendwie schien das Schicksal sich gegen meinen Verstand zu stellen… und es wunderte mich verdammt wenig, doch der Schock stand mir sicher im Gesicht, als er aus dem Gartentor trat, sich eine Zigarette anzünden wollte, doch in der Bewegung inne hielt, als er mich unschlüssig dort auf der Straße stehen sah. Ich wusste nicht, ob das ein Lächeln war, was kurz auf seinen Lippen zu sehen war, doch einen Moment später verdeckte seine Hand seinen Mund und als er sie wieder hinunternahm und auf mich zu kam, wobei ich diesen Drang hatte einfach plötzlich wegzulaufen und wiederrum einen auf ihn zuzugehen und ihn fest in meine Arme zu nehmen, gab es kein Anzeichen eines Lächelns in seinem Gesicht. Aber schon allein sein Gesicht zu sehen, den Mund, der meinen geküsst hatte, ließ mein Herz schneller schlagen und ich konnte meine Augen nicht mehr von ihm abwenden und der Drang, ihm nahe zu sein, wurde immer und immer größer. Er blieb vor mir stehen. Einfach so… aber wirklich einfach? „Hey…“, sagte ich leise und schluckte den Satz, der mir auf der Zunge saß, hinunter und biss mir auf die Lippen, welche mir viel lieber auf seinen gefallen würde. Und für diesen Gedanken wollte ich mich am liebsten selber schlagen, denn mein Herz machte dabei einen Hüpfer. Er sagte nichts, sondern starrte mich nur an und ließ mich beinahe dahin schmelzen. Wieso hatte er bloß so eine verdammte Wirkung auf mich? „Geht’s dir gut?“ Ich wusste nich, ob er ahnte, dass ich darauf anspielte, ob es ihm etwas ausmachte, dass Anzu Schluss gemacht hatte, denn er ließ sich nichts anmerken, es sah nicht aus, als würde es ihm so viel ausmachen und schmerzen wie Anzu – denn vielleicht tat es das auch nicht, doch das machte es mir umso schwerer, dass ich dieses Gefühle für ihn hegte. Ich konnte nichts mehr tun, ich stand zwischen zwei Stühlen. Sasuke, den ich nicht mehr vergessen konnte, und Anzu, die ich nicht verletzen wollte mit meinen Gefühlen zu ihm. Und so sehr ich endlich auch mal an mich denken wollte, egal, wie egoistisch das klang, so sehr wollte ich auch nicht wieder die Beziehung zu Anzu auf die Probe stellen, selbst, wenn sie mir sagte, sie wollte nicht, dass ich leide. Aber ich würde leiden, egal, wen ich wähle. „Wieso bist du hier?“ Er überging einfach meine Frage und ließ immer noch nicht den Blick von mir, was mich beinahe zusammenschrumpfen ließ und ich mich umso schrecklicher zu fühlen schien. „Ich… keine Ahnung. Weißt du, Anzu geht es ziemlich schlecht wegen der ganzen Sache und-“ „Anzu denkt zu oft an sich.“ Ich verstummte augenblicklich und starrte ihn nun mit großen Augen an. Das letzte, was ich wollte, war, dass er schlecht über Anzu redete, schlecht über sie dachte, und besonders, dass ich es auch tat. „Nein, überhaupt nicht.“, widersprach ich ihm. „Ganz im Gegenteil.“ Wir blieben stumm, ließen den Wind durch die Haare fliehen und ich blickte wieder zu Bode, nicht imstande auch nur ein Fünkchen Selbstvertrauen aufzubauen, um ihm gewachsen zu sein, um den Gefühlen gewachsen zu sein, die sich in mir aufbäumte, wenn ich ihn sah. „Wieso… wieso hast du das getan?“ Ich ging davon aus, dass er wusste, was ich meinte und ich war erleichtert, als er es tat. Doch umso mehr verdammte ich mich für diese Frage, als er mein Kinn in seine Hand nahm und ich ihn unweigerlich anblicken musste. Er hatte kein Lächeln in seinem hübschen Gesicht, aber der Blick in seinen Augen raubte mir den Atem und ich wartete nur noch darauf, ihn Ohnmacht zu fallen nur mit seinem Blick vor meinen Augen. „Keine Ahnung… aber ich würde es wieder tun.“ Ich atmete scharf ein und konnte wiederrum nach unten blicken, da sein Griff nur sanft gewesen war, aber mein Herz mich daran hinderte, dagegen anzukämpfen. Ich konnte gegen nichts mehr ankämpfen, ich konnte nur noch an seine Berührungen denken und mir immer wieder auf die Lippen beißen, da mein Herz sich dabei ungewollt schwer anfühlte, aber mein Verstand nun selbst nach mehr schrie. „Ich muss los, aber wie sehen uns.“ Es war seltsam, wie er immer so schnell verschwand und den wunderschönen Moment mit sich nahm, aber die Gefühle bei mir ließ. Es war so unbeschreiblich, wie sehr ich mich danach verzerrte und eigentlich wollte ich es nicht, eigentlich wollte ich nicht immer an ihn denken, immer an jeden einzelnen Augenblick, den ich mit ihm teilte, an seine Augen, seine Haare, seine Lippen – auf meinen – seinen Arm um mich… aber ich tat es dennoch immer wieder und immer wieder fühlte es sich so an, als würde es genau dann passieren, doch wenn ich mich vergewisserte, dass es nur meine verrückt spielenden Gefühle waren, sehnte ich mich so unglaublich stark danach. Zögerlich ging ich wieder den Weg zurück, der mich hierher geführt hatte und dachte darüber nach, wann ich ihn das nächste Mal sehen würde, und wie es sein würde – und was würde ich tun? Meinen eigenen Gefühlen folgen oder immer wieder darauf achten, dass die anderen glücklich blieben und mich selbst dafür unglücklich machen? Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, öffnete wie in Trance die Haustür und kaum war ich über die Schwelle getreten, verblassten all die wunderbaren Erinnerungen an Sasuke, als meine Mutter mich umarmte; ich konnte nicht sagen, was es war, kein Ekel oder Hass, aber ich wollte sie am liebsten von mir stoßen und wieder aus dem Haus verschwinden, doch dann hielt ich die Luft an und erstarrte. „Dein Vater ist gestorben.“ – Er war nicht mein Vater. Aber ich trauerte trotzdem. Und jetzt bitte zurückspulen. Ich will von vorne anfangen. Epilog: So, Endstation. -----------------------  Ich starrte auf das weiße, bedruckte Blatt vor mir, gebannt, als würde es sich jeden Moment in Luft auflösen, als würde es vielleicht vor meinen Augen verbrennen, einfach so. Aber es tat nichts, lag reglos da, wie ich auf meinem Stuhl saß, alleine und ohne eine Anstalt zu machen. Damit hatte doch alles erst begonnen; dieser Schulwechsel, diese Idee von Ino – und nun? Plötzlich war alles okay… oder sollte es sein. Vielleicht dachte meine Mutter das. Wenn sie unterschrieb, wenn sie mich von der alten Schule ließ, wäre alles okay, würde ich sie wieder als Mutter ansehen, würde ich vielleicht damit leben können, dass davor alles eine Lüge war, dass ich immer ein getrübtes Bild von meinem Leben hatte. Aber so einfach war das nicht – es war eben nicht einfach so. Aber vielleicht musste ich mich damit abfinden, ich hab mich immerhin schon mit vielem abgefunden, egal, wie schwer, absurd oder absolut krank es war. Ich wusste nicht mehr, wie viele Tage oder Wochen vergangen waren, seit der Todesnachricht, wie viele Tage ich vielleicht ein bisschen getrauert habe, um den Menschen, der sich mein Vater genannt hatte, um den Menschen, den ich so selten zu Gesicht bekam, ich wusste nicht, ob ich überhaupt getrauert habe. Ich wusste nicht einmal, wie ich einfach so wieder mit Ino redete, als wäre nichts gewesen, wie ich einfach verzieh, ohne nachzudenken – aber es versetzte mir immer noch einen Stich, ich verzieh, aber vergaß nicht, doch das bemerkte keiner. Und irgendwie war alles anders; wenn ich mich umblickte, um mich herum alles gleich, wenn ich in mich hineinblickte, in mir drin – alles anders. Aber ich hatte mich nicht verändert, ich habe mich selbst gefunden. Und doch fragte ich mich, ob all das dafür nötig gewesen war, ob es nicht viel leichter hätte sein können, ohne dass man Herzen brach, Menschen verlor und sich selber nicht mehr wiedererkannte. Aber ich würde es ja nie herausfinden, und eigentlich wollte ich es auch nicht – ich war nun glücklich, so wie es war. Und Anzu sagte nichts, wenn ich mich mit Sasuke traf, was in letzter Zeit öfters der Fall war. Wir standen uns nahe, aber nie nah genug, um meine Sehnsucht zu stillen. So sehr ich mich danach verzerrte, hielt ich mich immer wieder zurück, immer wieder in Gedanken an jede einzelne Erinnerung, denn die Erinnerungssplitter bohrten sich noch immer in mein Herz, welches doch immer höher schlug, wenn ich ihn sah, wenn ich wusste, er wartete auf mich. Ob es halten würde? Ich wusste es nicht. Und wie lange war ungewiss. Aber manchmal blieb mir der Atem weg, mein Herz schien zu zerspringen, wenn ich in seinem Arm war und vergaß, dass ich nie wusste, was passieren würde, dass wir nie wirklich das Paar waren, was ich mir gewünscht hatte und es vielleicht auch nie sein würden, wenn er mir einfach so, federleicht, einen Kuss auf die Stirn setzte, während ich meine Augen schloss und jeden klitzekleinen Moment davon genoss und mir einprägte… … und dann suchte ich die Repeattaste – und dann der Abspann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)