Cold Case von june-flower (Anthologie) ================================================================================ Cold Case - Winter. Erst am Ende -------------------------------- A/N Huhu! Wer auch immer gerade mitliest, er lasse sich einen wunderschönen Sonntag wünschen! Es schneit noch immer und ich liebe Schnee. Ich habe 5h lang Physik geübt und nur 5 Aufgaben geschafft und werde hochkannt durch diese Klausur segeln, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Außerdem hatte ich auch sonst einen recht vergnüglichen Abend... Gelaber beiseite, viel Spaß mit diesem neuen Kapitel meiner (längst nicht mehr so) kleinen Anthologie. Ich liebe es sehr - trotz... Hm, ihr werdet sehen. Es drückt meine Gefühle in der letzten Zeit ziemlich genau aus. Ich hoffe, es gefällt euch! Cold Case – Winter. Erst am Ende Das Geräusch war eigentlich viel zu leise, als dass Kat Miller es normalerweise gehört hätte. Aber irgendetwas in ihr – vielleicht ein Instinkt, vielleicht eine Ahnung – liess sie anhalten und den Weg durch den leeren Flur nocheinmal zurückgehen, bis sie den Laut wieder vernahm. Als sie dann auch erkannte, um welches Geräusch es sich handelte, schrak sie zurück. Unmöglich. Das konnte nicht sein. Absolut unmöglich. Zu schockiert, um einen klaren Gedanken zu fassen, starrte sie weitere Sekunden auf die geschlossene Tür, vor der sie stand, und zwang sich mit tauben Gliedern, alles noch einmal durchzugehen. Das Geräusch, welches sie wahrgenommen hatte, war eindeutig eine Person, die weinte – leise und hoffnungslos, so hoffnungslos, dass es einem das Herz brach zu lauschen. Und weil Kat vor der Damentoilette der Philadelphia Mordkommission stand, gab es nur eine einzige Person, um der es sich bei der Person im Inneren des Raumes handeln konnte: Um ihre beste Freundin und Kollegin Lilly Rush – und zwar aus dem simpelsten aller Gründe: Außer ihnen beiden gab es keine Frauen in der Mordkommission. Folglich musste die Person in der Toilette Lil sein, die weinte, als würde ihr das Herz brechen – und das wiederum war ein Gedanke, den Kat einfach nicht akzeptieren konnte. Denn Lil weinte nicht. Punktum. Lil war stark. Sie wusste immer einen Ausweg. Sie verzweifelte nicht – und erst recht nicht würde sie sich auf der Toilette einschliessen und weinen! Was konnte es geben, dass die toughe Lilly Rush so aus der Bahn warf? Kat schloss die Augen und rieb sich die Stirn und überlegte fieberhaft, was sie tun sollte. Lil würde es ihr übel nehmen, dass sie sie gehört hatte, egal, ob sie nun in den Raum trat oder nicht. Sie würde es ihr noch übler nehmen, wenn sie versuchte, mit ihr zu sprechen. Andererseits war etwas, das Lil so zur Verzweiflung brachte, vermutlich etwas, mit dem sie alleine einfach nicht mehr klar kam... Kat richtete sich auf und legte die Hand auf die Klinke. Kaum hatte sie sie gedrückt, verstummte das Weinen im Inneren und wich einem hastigen Schluchzen. Noch einmal holte sie tief Luft und trat ein. Lil sah furchtbar aus. Ihre Augen waren rot und verquollen, ihr Gesicht leichenblass und Tränenspuren, die sie nicht rechtzeitig hatte wegwischen können, glitzerten wie silberner Schnee auf ihren Wangen. Gerade war sie dabei, sich mit einem Stück Papierhandtuch die letzten Tränen aus dem Gesicht zu wischen, da trat Kat in den Raum und sie erstarrte. Auch Kat blieb wie angewurzelt stehen. Alles, was sie zuvor noch hatte sagen wollen, schien wie von Zauberhand aus ihren Gedanken verschwunden zu sein: die tröstenden Worte, der sanfte Spott, die aufmunternden Allgemeinplätze. Beim Anblick ihrer Kollegin wusste sie plötzlich, dass keine der alten Weisheiten hier angebracht war – im Gegenteil. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Kat Miller das Gefühl, es sei besser, wenn sie einfach gar nichts sagte. Stumm starrte sie Lil an, die ihr trotzig den Rücken zudrehte. Ihre Schultern zitterten. „Was ist denn?“, fragte sie und wischte sich mit kaltem Wasser durch das Gesicht. Es machte die Sache nicht besser. Sie sah aus, als wäre sie gestorben. Zögerlich trat Kat einen Schritt näher und überlegte, ob sie ihr eine Hand auf die Schulter legen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Was konnte sie jemandem sagen, der so offensichtlich litt? „Ist alles in Ordnung, Lil?“ Ein Blick, der normalerweise wütend gewesen wäre, aber nun nur entsetzlich traurig und müde wirkte, traf sie im Spiegel. „Warum?“ „Na ja...“ Sie stand mit verheulten Augen vor dem Spiegel und fragte allen Ernstes, warum etwas nicht in Ordnung sein sollte? Ganz kurz verspürte Kat den heftigen Drang zu lachen. Dann gab sie sich einen Ruck. „Lil, ich sehe doch, dass etwas nicht stimmt. Komm schon. Ich bin deine Freundin – bedeutet das nichts?“ Eine Weile lang sah Lil sie nur im Spiegel an, dann konnte man förmlich sehen, wie sie aufgab: ihre Schultern sackten hinunter und sie schloss die Augen fest. Trotzdem lief eine weitere Träne ihre Wange glitzernd wie ein Diamant hinunter und platschte leise auf den gefliesten Boden. „Danke, Kat“, quetschte sie würgend hervor. „Danke.“ Kat trat auf sie zu und zog sie sanft an sich. Normalerweise hätte Lil sich gewehrt. Heute sank sie vorwärts in die Umarmung und schlang die Arme um Kats Taille. Wieder weinte sie, als würde sie brechen. Für Kat, die es gewohnt war, dass Menschen weinten wenn sie etwas wollten, das sie nicht bekamen, oder wenn sie etwas verloren hatten, was sie dennoch haben wollten, war Lils Weinen auf eine bestimmte Art schrecklich: Es war absolut bar jeder Illusionen, völlig frei jeder letzten, verzweifelten Hoffnung, die man manchmal hören konnte. Egal was Lil quälte – sie machte sich keinerlei Illusionen darüber. Kat spürte, wie sie unwillkürlich vor Mitleid die Zähne zusammenbiss und sich verzweifelt fragte, was sie tun konnte, um den Schmerz ihrer Freundin zu mildern. „Wofür?“, fragte sie leise und spürte, wie Lils Arme sich fester um sie schlangen, als könne sie sich so selbst davor bewahren, zu zerbrechen. „Für alles“, flüsterte Lil und vergrub den Kopf tiefer an ihrer Brust. Kats dicker Pulli wurde nass, aber das kümmerte sie nicht. „Dass du meine Freundin bist. Das habe ich nicht verdient.“ „So ein Quatsch“; empörte sich Kat ebenso leise. „Warum solltest du keine Freundin verdient haben! Rede keinen Unsinn, Lilly Rush!“ Lil machte ein Geräusch halb zwischen Lachen und Weinen. „Danke, dass du mich so erträgst wie ich bin“, flüsterte sie wieder. „So wie du bist bist du das, was Lilly Rush ausmacht“, gab Kat zurück und warf sich selbst im Spiegel einen kurzen, hilflosen Blick zu. Es passte nicht zu Lil, sich solche Gedanken zu machen – und sie spürte genau, dass es nicht der wahre Grund für ihren Zusammenbruch war. „Warum sagst du so was jetzt, Lil?“ Eine Zeit lang weinte sie nur leise. Dann hauchte sie: „Weil ich es noch nie gesagt habe. Und ich wollte es sagen, bevor... Bevor...“ „Bevor was?“ Sie kam dem Problem näher. Unwillkürlich drückte sie Lil fester. „Bevor es zu spät ist.“ Sie weinte jetzt haltlos. „Man merkt es immer erst am Ende, oder?“ „Was?“ „Wie wichtig es war. Wie schön. Was...“ Sie musste Luft holen. „Was man verliert. Man merkt es immer erst am Ende.“ „Da ist was dran“, sagte Kat leise. Sie hatte noch immer keine Ahnung, was Lil bedrückte. Aber da sie nichts mehr sagte, hielt sie sie einfach nur fest. Dennoch schienen ihre Tränen nicht versiegen zu wollen. Immer weiter und weiter weinte sie, beinahe zu leise, um echtes Weinen zu sein, aber mit der selben absoluten Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die Kat auch zuvor schon gespürt hatte. Irgendwann machte Kat sich los und nahm ihre Freundin bei den Schultern. „Lil. Ich bringe dich nach Hause. Ich hole nur eben unsere Jacken und Taschen.“ Lil wollte etwas einwenden, aber Kat liess nichts gelten. „Du bleibst jetzt hier. Ich bin in ein paar Minuten zurück. Beweg dich nicht vom Fleck, verstanden?“ Sie nickte und Kat zog sich den Schal über den feuchten Fleck auf ihrem Pulli und ging zur Tür. Im Hinausgehen warf sie einen letzten Blick auf Lil: Sie lehnte an der gefliesten Wand, die Augen geschlossen – und noch immer kamen Tränen. In ihrem Innersten wuchs Wut – eine gewaltige Wut auf denjenigen, der ihr das angetan hatte. Egal, was „das“ auch sein mochte – es hatte sie zerbrechen lassen. Entschlossen marschierte Kat über den Flur, durch das Büro und in den Pausenraum, ohne auf Menschen zu treffen. Freitagabends im Winter versuchte jeder Polizist, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen... Aber im Pausenraum rannte sie schnurstracks in Vera hinein, der eine Flasche Wein in der einen und eine Torte in der anderen balancierte. „Achtung!“, fuhr er sie erschrocken an. Kat blieb kurz stehen, um ihn von oben bis unten zu mustern, dann trat sie an die Garderobe und nahm ihren und Lils Mantel. „Was – um die Uhrzeit Torte? Das kann doch nicht gesund sein!“ „Wir haben Grund zum Feiern“, sagte Will Jeffries, der in dem Moment den Raum betrat, Scotty Valens und John Stillman direkt hinter sich. Überrascht schaute Kat auf. „Ach? Was denn?“ Stillman deutete auf Scotty. „Fragen Sie ihn.“ Kat sah Scotty an. „Also?“ „Nun, ich...“ Der Detective zögerte, dann breitete sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht aus. „Ich werde befördert!“ Überrascht schaute Kat ihn an und streckte die Hand aus. „Glückwunsch – das sind ja tolle Neuigkeiten!“ Dankend schüttelte er die dargebotene Hand. „Danke. Bleiben Sie doch auch, Kat, und trinken ein Glas mit uns? Vielleicht bleibt Lil auch noch...“ Suchend sah er sie um. „Merkwürdig. Ich habe sie schon längere Zeit nicht mehr gesehen. Wo ist sie bloß?“ Kat zog die Brauen zusammen. „Ihr geht es nicht gut“, sagte sie aber nur. „Ich bringe sie nach Hause.“ „Ach so“, sagte Scotty und für einen Moment wirkte er enttäuscht. Dann hob er seine Schultern. „Da kann man nichts machen.“ „Haben Sie es ihr schon gesagt, Scotty?“, fragte Will und stellte einige Weingläser auf den Tisch. Scotty nickte mit leuchtenden Augen. „Das ist unglaublich. Damit habe ich nicht gerechnet...“ Er lachte. „Darauf gehofft vielleicht, aber nicht gerechnet. Das...“ „Das ist ein großer Sprung auf der Karriereleiter für sie, Scotty“, sagte Stillman und legte ihm die Hand auf den Rücken. Kat hatte plötzlich ein schlechtes Gefühl. Scotty nickte wieder. „Es wäre natürlich noch besser, wenn ich hierbleiben könnte“, sagte er mit leuchtenden Augen. „Aber es ist ja nicht so weit weg – und wir werden uns bestimmt oft sehen können!“ „Darauf können Sie wetten!“ Vera schlug ihm so fest auf die Schulter, dass er fast in die Knie ging. „Moment mal“, sagte Kat langsam, als es ihr dämmerte. „Sie werden versetzt?“ „Natürlich“, sagte Stillman und sah sie an. „Ich denke nicht daran, meinen Posten hier schon so bald aufzugeben, Kat.“ „Das meine ich nicht“, sagte sie und suchte fieberhaft nach Worten. „Ich meine... Was hat Lil eigentlich dazu gesagt?“ „Lil?“ Scotty zuckte die Achseln und starrte sie befremdet an. „Sie hat sich für mich gefreut. Wieso? Sie wird einen neuen, guten Partner bekommen, der Boss hat es versprochen. Stimmts, Boss?“, wandte er sich an Stillman, der bestätigend nickte. „Natürlich.“ Kat schloss die Augen und verfluchte die Idiotie – oder einfach schlichte Blindheit – der männlichen Kollegen. „Ich bringe Lil dann nach Hause“, sagte sie und fühlte sich plötzlich ebenso müde wie Lil ausgesehen hatte. Plötzlich hatte sie eine ungefähre Ahnung davon, was ihrer Freundin solche Schmerzen bereitete. Arme Lil. Ihr war das Selbe passiert wie so vielen anderen Menschen zuvor, und sie hatte es richtig erkannt: Man merkte es erst am Ende. Man merkte erst, wie wichtig ein Mensch für jemanden war, wenn man ihn verlor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)