Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Prolog: Wiedersehen macht Freude -------------------------------- Die Oberfläche war ruhig. Im Innern wurde das Wasser von kleinsten Lebewesen aufgewühlt, doch dem See sah man dieses Treiben nicht an. Es wehte kein Wind. Selbst die blass roten Blätter des Waldes um das Gewässer herum waren grau. Es war eine kalte Nacht, ohne eine Wolke am Himmel. Einzig allein die Sterne und der Mond der Illusionen hoch über der Bergkette in weiter Ferne hauchten der Oberfläche Lebendigkeit ein. Die Gestirne schafften ihre nahezu perfekten Ebenbilder. Es gab nur ein Schatten als Warnung. Wasser regte sich, schlug Wellen und geriet immer mehr in Wallung, je größer der Schatten wurde. Ein riesiger Körper, bedeckt von Schuppen, deren Weiß von der Nacht verschlungen wurde, sank in das Gewässer. Das riesige Reptil klappte die Flügel zu Vorderläufen zusammen. Für einen Drachen sollte der bescheidene See kaum mehr als eine große Pfütze sein, doch war es scheinbar genug um daraus zu trinken. Denn der Himmelsdrache erhob sein majestätisches Haupt, beugte den Hals und berührte mit der Spitze seines Lippen losen Mundes das kühle Nass. Jedoch trank der Drache nicht, sondern ließ zwischen seinen Furcht erregenden Reißzähnen eine zierliche Gestalt hindurch schlüpfen. Speichel floss und schälte sich von dem vermeintlich Todgeweihten ohne einen Rest zu hinterlassen ab. Die durch einen Mantel mit Kapuze verhüllte Person stand bis zu ihren Knöchel tief im Wasser und umschloss mit einer Hand den Riemen ihrer Sporttasche. Erst sah sich etwas um, dann senkte sie den Kopf und nahm die Stille in sich auf. Vor der spektakulären Landung waren noch die Stimmen der Nacht und ihrer Bewohner zu hören gewesen, doch inzwischen waren sie verstummt. Nur die heiße Luft aus dem Rachen der Bestie durch stieß die geräuschlose Nacht. Plötzlich wandte sie sich um und eine weibliche Stimme gesellte sich zu dem kraftvollen Atem ihres Partners. „Du hast es tatsächlich gefunden. Wie kann kann ich dir danken, Tetsuya?“ Der Drache schmiegte seinen Kopf an den edlen Stoff ihres Mantels. Die Frau fuhr sanft mit ihren zarten Fingern über seine Schuppen. „Es wird wieder eine Zeit kommen, in der wir uns so oft treffen können, wie wir wollen. Ich verspreche es.“ Das Haupt drehte sich etwas zu Seite und ein Auge sah sie direkt an. „Mir fällt es auch nicht leicht. Aber du weißt genauso gut wie ich, dass es an der Zeit ist mich meiner Zukunft zu stellen. Ich kann nicht ewig davonlaufen und ich will es auch nicht.“ Sanft stupste das gewaltige Reptil sie an, woraufhin sie lachte und notgedrungen ein weiteres Mal das Wasser aufschreckte. „Ich wusste, du würdest mich verstehen.“, versicherte sie sarkastisch. „Lass mich dir beim Start helfen, sonst ist gleich kein Tropfen mehr im See.“ Nur wenige Augenblick nach ihrer Bitte stieg der Drache in die Höhe, ohne auch nur einen Flügelschlag auszuführen. Das ab perlende Wasser regnete unter ihm herab. Erst als er zwanzig Meter vom Boden weg war, breitete er seine Schwingen aus und flog elegant davon. Der kräftige Windstoß schien der Person am Boden nichts auszumachen. Sie sah ihm nach, bis keine Spur mehr von ihm am Sternenhimmel war. Dann fasste sie sich mit ihrer rechten Hand vor die Brust und holte einen blass rosa Anhänger hervor. Nachdenklich betrachtete sie die Kette, die sie schon fast ihr Leben lang begleitet hatte. Schließlich schloss sie die Augen, wandte ihren Blick nach innen, visualisierte ihren Standort, versicherte sich ihrer Wache, verpackte beides in einen Gedanken, den außer sie nur eine weitere Person verstehen konnte, und sandte ihn in die Welt hinaus. „Ich warte auf dich, Van.“ „Ah! Wie ich diesen Ausblick vermisst habe!“, rief Merle freudig auf und lief auf das Panzerglas zu, hinter dem dem die Dächer Farnelias zu sehen waren. Van indes, der von einem langen Tag gezeichnet war, schleppte sich die letzten Stufen zum höchsten Zimmer seiner Villa hoch, das unter einer Kuppel verborgen war. Auf der Innenseite schmückte eine täuschend echt gemaltes Abbild des nächtlichen Himmels Farnelias die Wand und verbarg zusammen mit dem Boden die ganze Einrichtung, bis auf ein Bett, das einsam in der Mitte stand. „Also, worüber wolltest du mit mir reden?“ fragte Van ungeduldig. Sonst war er nicht so harsch seiner besten Freundin und eigens adoptierten Schwester gegenüber, doch er fühlte sich ausgelaugt und wollte nur noch ins Bett. Sie hingegen war gerade erst in Farnelia angekommen und tänzelte quick lebendig im Raum umher, wobei ihr dunkelblaues Kleid Wellen schlug. „Was denn? Ich war ein halbes Jahr lang weg und darf mich nicht einem freuen, wieder zu Hause zu sein?“ „Klar darfst du, aber dafür brauchst du mich nicht.“, erwiderte Van trocken und wandte sich der Treppe zu. „Hier geblieben!“, befahl Merle herrisch. „Willst du nicht einmal wissen, wie es um Sophia steht?“ „Du hast mir bereits versichert, dass es ihr gut geht, schon vergessen?“, konterte er. „Als ich dich begrüßt habe, war das meine zweite Frage gewesen. Für heute reicht mir das, den Rest höre ich mir morgen an.“ „Und Details interessieren dich nicht?“ „Heute nicht. Morgen ja.“ Merle blieb in ihrer Rolle der edlen Dame. Elegant, fast verführerisch ließ sie sich auf das Bett nieder und strich einladend über die Decke. „Komm schon, Van! Ich weiß doch, dass du nicht schlafen kannst, ohne zu wissen, wie es ihr ergangen ist.“, behauptete sie mitfühlend. „Ich weiß nur, dass du mich nicht schlafen lässt, ehe du mir nicht alles erzählt hast.“, seufzte Van, woraufhin Merle über beide Wangen grinste. Er setzte sich neben sie. „Ich höre.“ „Sie regiert über Chuzario, auch wenn sie noch nicht gekrönt worden ist, aber das weißt du sicherlich selbst.“, sprudelte es aus ihr herraus. „Der Adel dort ist ein Schlangennest. Ich hab allein in der ersten Woche fünf hastig vorbereitete und schlampig ausgeführte Anschläge auf ihr Leben abgewehrt. Die Ratsherren einer jeden Stadt drängten auf die Teilung des Reiches, da sie sich selbst schützen und verwalten könnten, und Sophia den Antrag von keinen ihrer Söhne angenommen hat. Da kam ihr der Ausnahmezustand, den sie wegen der Flüchtlingswelle und der neuen Bedrohung von der ehemaligen Hauptstadt aus, verhängen musste, sehr gelegen. Die Armee unterstützt sie und nachdem der Ausnahmezustand wieder aufgehoben worden ist, standen die Städte vor vollendeten Tatsachen und jede der örtlichen Regierungen musste ihren Anspruch auf die Herrschaft anerkennen.“ „Ich will gar nicht erst wissen, was alles im Hintergrund abgelaufen ist.“, kommentierte Van. „Verraten könnte ich es dir eh nicht, sonst müsste ich dich töten.“, lachte Merle. „Was denkt die Bevölkerung über sie?“ „Mit der Entscheidung, den Regierungssitz in die Stadt zu verlegen, die dem verseuchten Gebiet am nächsten ist, hat sie viel Eindruck hinterlassen. Man hat ihren Willen zu kämpfen wahrgenommen und die meisten sind bereit ihren Teil zu leisten. Das ganze Land schwelgt im Patriotismus.“ „Hoffentlich steigt ihr das nicht zu Kopf.“, äußerte sich Van besorgt. „Das wird es nicht.“, war Merle überzeugt. „Dafür hast du ihr zu viel Bodenständigkeit verpasst. Im Übrigen glaubt sie immer noch, dass ihr Vater lebt, und lehnt eine Krönung deswegen ab.“ „Gibt es denn überhaupt noch Überlebende in Sarion?“ „Ein paar hundert. Ihre Standorte sind bekannt, doch sie weigern sich ihre Heimat zu verlassen. Wir halten Kontakt, versorgen und beobachten sie. So stur, wie sie sind, richten sie sich auf ein Leben in ständiger Gefahr ein. Das Gute daran ist, dass wir durch sie Erkenntnisse über die Diener der Gezeichneten und über den Umgang mit ihnen gewinnen.“ Neugierig musterte sie Van, doch der stellte keine weiteren Fragen. Stattdessen gähnte er. „So, jetzt bist du dran!“ „Was?“ „Ich hab dir meine Neuigkeiten überbracht.“ „Gut, wenn ich es recht bedenke, hab ich auch ein paar für dich.“, gab sich er geschlagen. „Erstens: Man hat bei mir um deine Hand angehalten. Zweitens...“ „Halt, Auszeit!“, unterbrach ihn Merle und fuhr entsetzt mit ihrem Oberkörper hoch. „Man hat was gemacht?“, hakte sie nach. „Man hat mich gefragt, ob du heiraten willst. Genau genommen waren es fast zehn Freier.“ „Du hast hoffentlich jeden einzelnen mit Arschtritt hinaus befördert.“ „Ich habe ihr Anträge und Geschenke registrieren lassen und sie mit der Nachricht entlassen, dass du die freie Wahl hast und sie von deiner Entscheidung hören würden.“, beruhigte sie Van. „Ein Kopie der Liste findest du in deinen Gemächern, die, wie ich anmerken möchte, schon lange fertig sind, was die zweite Neuigkeit ist.“ „Und die dritte?“, erkundigte sich Merle misstrauisch. „Über die letzten paar Monate haben sich etwa ein Dutzend Katzenmenschen in Farnelia niedergelassen. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, wegen dir.“ Nun war Merle geplättet. Noch nie hatte sie jemanden ihrer Art gesehen, geschweige denn gesprochen. Katzenmenschen lebten sonst abseits der Zivilisation in kleinen Familien oder allein, wenn man den Gerüchten trauen konnte. Wirklich einmal und wahrhaftig mit ihnen zu sprechen... „Wirklich? Ich meine...echt?“ „Zwei Familien. Sie kamen unabhängig voneinander und sahen bei ihrer Ankunft ziemlich mitgenommen aus. Ich hab sie bei unseren Dienern untergebracht. Bis jetzt haben sie ihre Zeit mit Unterricht verbracht, der sie auf ein Leben in Farnelia vorbereiten soll. Kann ich diese Angelegenheit dir überlassen?“ „Ja!“, platzte es aus Merle heraus. „Sie dürfen doch bleiben, oder?“ „Die Entscheidung...“, setzte Van zur Antwort an, doch er hielt plötzlich inne. Sein Augen richteten sich auf das Fenster des Zimmers und blickten in die Ferne. Auf einmal war seine Müdigkeit wie fort geblasen und Schmetterlinge flatterten in seinem Bauch. Er schwieg, doch Merle wusste auch so, was gerade geschehen war. Schließlich sprach er sie darauf an: „Du weißt es, nicht wahr? Nur deswegen bist du zurückgekommen.“ „Um nichts in der Welt würde ich mir dein verdattertes Gesicht entgehen lassen.“, antwortete sie mit einem breiten Lächeln auf ihren Lippen. „Nun geh schon! Ein Pferd mit Verpflegung steht bereit. Ich halte hier solange die Stellung.“ Überglücklich umarmte Van sie und stürzte dann vor Freude jauchzend die Wendeltreppe hinunter. „Ja, die Liebe.“, seufzte Merle und ließ sich zurück aufs Bett fallen. Ihren Blick auf die Sterne fixiert, fragte sie sich, was Allen wohl gerade träumte. So schnell es das Pferd zuließ, jagte Van durch den Wald. Die Zeit und der Weg schienen im Schatten der dicht gedrängten Bäume endlos zu sein. Nur das gehetzte Schnauben seines Hengstes ließ ihn ahnen, wie lange sein überstürzter Aufbruch her war. Doch er fühlte es, sein Ziel war nahe. Zusehends blitzten Sonnenstrahlen durch die Wald, statt von den Stämmen absorbiert zu werden. Erst erkannte das Glitzern eines Sees und dann eine zierlich Gestalt. Er konnte nicht glauben, was er spürte. Er musste es mit eigenen Augen sehen. Scharf bremste er sein Pferd ab und sprang rücksichtslos aus dem Sattel. Protestierend wieherte das erschöpfte Tier. Langsam, als wollte er das Wesen vor ihm nicht erschrecken, näherte er sich dem See. Er war nur noch zehn Meter entfernt, als die Gestalt ihre Hände hob und die Kapuze vom Kopf nahm. Die Morgensonne umspielte ihr Gesicht, das ihm aus seinen Träumen so gut bekannt war, und badete es in einer goldenen Aura. Ihr Lächeln war der Hammer, der die Ketten an seinen Füßen sprengte. Sein Glück kaum fassend rannte Van auf sie zu, stemmte sie stürmisch in den farbigen Himmel und drehte sie wie ein Karussell. Hitomi lachte laut und weinte Tränen. Sie breitete ihre Arme aus, ließ sich von ihm tragen, während der Anblick seines strahlenden Gesichtes sie erfüllte. Doch seine Freude trug ihn zu weit. Er verlor die Kontrolle über seinen Schwung und beide stürzten vom Ufer ins kühle Nass. Das Wasser federte Hitomi nur wenig ab, doch obwohl die Landung ihren Rücken ihr Schmerzen bereitet hatte, lachte sie weiter. Van, der auf sie gefallen, betrachtete sie erst besorgt, dann erleichtert. Wie so oft zogen ihre glänzenden grünen Augen ihn magisch an und ihre geschwungenen Lippen forderten ihn auch ohne Worte. Der See war an der Stelle so flach, dass er gerade so an ihre Schläfe reichte. Zärtlich hob Van mit einer Hand ihren Kopf an und streichelte mit anderen ihre Hüfte. Überrascht fühlte er ihr weiches Haar. Es floss an ihrem Hals entlang und berührte bereits ihren Nacken. Entschlossen jede einzelne Veränderung seiner Geliebten zu erfahren, führte er ihren Mund zu seinem. Die Berührung dauerte nur einen Augenblick. „Ich liebe dich.“, flüsterte er. Es war ein Geständnis, dass er schon immer loswerden wollte und nun endlich hatte er es nicht mehr zurückhalten können. Als Hitomi dies hörte, wurde aus ihrem Lachen ein Lächeln und sie streckte sie ihm weiter entgegen. In sein Ohr hauchte sie: „Ich weiß.“ Ein weiteres Mal brachen für Van alle Dämme und beide schmiegten ihre Lippen aneinander. Kapitel 1: Ein Bund für die Ewigkeit ------------------------------------ Die grellen Strahlen stachen selbst durch seine Lider in die Netzhaut und rüttelten ihn aus dem erholsamsten Schlaf seit seiner Krönung. Plötzlich jedoch kam ein Schatten über sein Gesicht und statt der Sonne streichelten zierliche Fingerkuppen seine Wange. Genüsslich schmiegte Van sich in die warme Handfläche. Diese Geborgenheit... „Öffne deine Augen, Liebling. Die Sonne lacht.“, sprach eine fürsorgliche Stimme zu ihm. Sie war wie aus einem Traum, einer alten Erinnerung, so überirdisch schön. „Mutter?“, fragte er und folgte ihrer Aufforderung. Einen Moment sah er ihr Antlitz so deutlich, dass sie es sein musste. Doch als sich sein Blick an das Licht gewöhnt hatte, erkannte er Hitomi umgeben von einer gleißend gelben Aura. „Ach, du bist es!“ Van war fast enttäuscht, aber nur fast. „Was für ein Morgengruß!“, erwiderte sie sarkastisch. „Uns steht echt ein lange Ehe bevor.“ Auf ihren Ellbogen gestützt, betrachtete sie ihn mit Funkeln in ihren Augen. „Hast du je daran gezweifelt?“, entgegnete Van todernst und rieb sich die Augen. „Wie lange hab ich geschlafen?“ „Fast einen ganzen Tag lang.“, antwortete Hitomi dankbar über den Themenwechsel und zog die Decke über seine Schultern. Die Gefahr eines Streits war real gewesen, wie ihr gerade klar geworden war. „Wie ein Baby!“ Van betrachtete sie liebevoll, wurde dann aber nachdenklich. Sie wirkte matt, längst nicht so lebendig wie am Vortag. „Was ist mit dir?“, fragte er besorgt und brachte seinen Kopf auf eine Höhe mit ihren. Hitomi lächelte geschmeichelt. Sanft küsste sie ihn. „Ich habe Wache gehalten. Diese Gegend ist nicht die sicherste.“ „Einen ganzen Tag lang?“ Van konnte nicht glauben, was er da hörte. „Wie es sich für eine Mutter gehört.“, antwortete sie schelmisch. „Das wirst du mir ewig vorhalten.“, klagte er sie vergnügt an. „Klar.“, bestätigte sie und drückte ihre Lippen auf seine Stirn. „Lass uns aufstehen! Ich möchte dir etwas zeigen.“ „Wieso denn?“, beschwerte er sich. „Es ist gerade so gemütlich.“ Ohne auf seine Einwände einzugehen, krabbelte sie aus dem gemeinsamen Lager und streckte sich. Zu ihn hinunter gebeugt bot sie ihn eine Hand an. Eine Göttin hätte keinen überwältigenden Anblick bieten können, ging es Van durch den Kopf. Verzaubert ließ er sich von ihr hoch ziehen und die wenigen Meter zum flachen See führen. Die Berührung des kühlen Wassers an seinen Füßen erinnerte ihn an den gestrigen Tag. „Was ist mit unserer Kleidung?“, fragte er verlegen. „Sie sind bestimmt längst trocken.“, versicherte Hitomi und führte ihn immer weiter in das Gewässer hinein. Plötzlich blieb sie stehen und umarmte ihn innig. Er erwiderte diese Geste der Einigkeit. Dabei hob er sie leicht an. Auf ihren Zehenspitzen stehend ruhte ihr Kinn auf seiner Schulter, ihre Schläfe war gegen seine gepresst. Die Berührung ihrer Brüste auf seiner Brust entfachte ein Glühen in seinen Lenden. „Breite deine Flügel aus!“, flüsterte sie. Es dauerte, bis Van ihre Bitte vernommen und verarbeitet hatte, doch dann folgte er ihr ohne zu zögern. Mit einem Schwung trat das blendend weiße Gefieder aus seinen Schulterblättern und verteilte ein Dutzend Federn in der Luft. „Lass dich gehen.“, forderte sie ihn auf. Er wollte sich das nicht zwei Mal sagen lassen, doch bevor er sie küssen konnte, strichen ihre Hände über seine Flügel und ein Strudel zog an seinem ungeschützten Bewusstsein. Ohne zu wissen, wie ihm geschehen war, fand er sich schwebend umgeben von einen grünen Schimmer über einem See wieder, der verdächtig dem ähnelte, in dem sein materieller Körper gerade stand. Der einzige Unterschied war der Mond der Illusionen, der majestätisch über die Nacht wachte. Neben ihn war seine Gefährtin. Sie hielt seine Hand und das selbe rätselhafte Licht umgab sie. Im Gegensatz zu ihn war sie jedoch nicht im Geringsten überrascht. „Hitomi, was ist mit uns passiert? Ist dies eine deiner Welten?“, erkundigte er sich verwirrt, woraufhin sie einen Finger auf seinen Lippen legte. „Nein, dies ist eine Erinnerung. Sieh hin, dann wirst du verstehen.“, erklärte sie gespannt. Van wollte sie gerade fragen, worauf er achten sollte, da entdeckte er eine Frau, die mitten im See stand. Sie trug ein elegantes, fremdartiges Kleid, das ihren oberen Rücken und ihre Schultern unbedeckt ließ. „Ist sie meine Mutter?“ staunte er. „Aber...“ „Ist das so schwer zu glauben?“, erwiderte Hitomi lächelnd. „Du selbst trägst diese Erinnerung. Ich habe dich nur zu ihr geführt.“ Van hörte ihre Worte, doch er verstand sie nicht und setzte zur nächsten Frage an, als ein helles Leuchten seine Gedanken unterbrach. Das Licht des blauen Mondes spiegelte sich plötzlich um ein vielfaches im Wasser wieder. „Was passiert hier? Warum zeigst du mir das?“ Van rang um seine Fassung. Er hatte gehofft sich nie wieder an diese Zeit des schmerzhaften Abschiede erinnern zu müssen. Eine Bewegung am Ufer des Sees erlangte seine Aufmerksamkeit. Halb im Schatten der Bäume verborgen, standen Vargas und sein Vater, beide in voller Rüstung und beobachteten das Profil seiner Mutter. „Warum?“, wiederholte er verzweifelt. Hitomi drückte seine Hand fester und sandte ein Gefühl der Zuversicht. Er konnte das Gefühl jedoch unmöglich teilen. „Das ist...“, staunte Vans Vater. Das schwarze Haar der Frau schwang im Wind gegen ihren Rücken und darüber hinaus. Ihre Hände schienen dieser Bewegung zu folgen, bis sie diese zur Seite ausstreckte, ihren Kopf in den Nacken legte und zwei mächtige Schwingen ihr langes Haar teilten. Vargas reagierte geschockt. „Eine vom Drachenvolk. Nachfahren von Atlantis, dem dämonischen Volk aus der Sage...“ Schützend stellte er sich vor seinem Herrn und legte die Hand an sein Schwert. „Geht zurück, Herr! Es ist zu gefährlich.“, verlangte er, doch der König packte mit einer Hand seine Schulter. „Hör auf, Vargas! Das soll ein Dämon sein? Sie ist so schön...“, entgegnete er fasziniert. „An so einem Dämon könnte ich mein Herz verlieren.“ „Herr...“, protestierte sein Gefolgsmann, doch er ließ sich nicht beirren. Ohne Vargas Beachtung zu schenken trat er in den See und schreckte dabei einen Vogelschwarm auf, der sich lautstark erhob. Vans Mutter wandte sich ihm zu und nahm ihre Flügel dabei in einer schwungvollen Bewegung mit. Der König blieb erst stehen, als er nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt war. „Ihr seid Goou von Farnelia, oder?“, fragte die Frau mit lieblicher Stimme. Ihr Blick war klar und ganz auf ihn gerichtet. „Woher kennt ihr meinen Namen?“, erkundigte er sich verwirrt. Dass eine Fremde so direkt und ohne Ehrfucht mit ihm sprach, war er nicht gewohnt. „Heute Nacht, wenn der Phantom-Mond über den westlichen Bergen steht, wird der Mann des Schicksals kommen.“, sagte sie auf. „Das wurde mir bei meiner Geburt prophezeit.“ „Schicksal?“, wunderte sich Goou. „Ja,“, bekräftigte sie. „dies ist eine schicksalhafte Begegnung.“ „Schicksal...Wie ist euer Name?“ „Varie.“ Van standen Tränen in den Augen. Ohne etwas zu sagen verfolgte er die Unterhaltung seiner Eltern. Sein Vater trat noch näher an seine Mutter heran und bot ihr seine starke Hand an. Sie legte ihre in seine und er umschloss sie sanft mit seinen Fingern. „Varie,“, sprach sie an. „würdet ihr mit mir kommen?“ „Ja, König Goou.“ Kurz nachdem sie dies seinem Vater versprochen hatte, riss das Bild ab und Van fand auf dem See wieder, genau an der Stelle, an der sich seine Eltern zum ersten Mal berührt hatten. Er hielt Hitomi inzwischen nicht mehr, sondern sie stand auf ihren eigenen Füßen. Von seinen Armen eng umschlungen lauschte sie an seine Brust gepresst dem gehetzten Herzschlag. „Vielen Dank, Hitomi.“, flüsterte er tief berührt. „Ich habe fast vergessen, wie meine Mutter aussah, wenn sie lächelte.“ „Du hast den Verlust deiner Eltern noch nicht überwunden.“, stellte sie fest. „Jedenfalls nicht ganz.“ „Nein,“, gab er zu. „obwohl Merle und auch Vargas seiner Zeit alles dafür getan haben.“ „Sie war nicht immer traurig. Sie teilt viele glückliche Erinnerungen mit dir, Falken und Goou.“ „Ja, ich wünschte nur ihr Glück hätte länger gedauert. Du hättest sie sehen sollen, wie sie am Bett meines Vaters weinte...“ „Es hat dir das Herz gebrochen.“, erwiderte sie voller Verständnis. „Ich habe es gesehen und glaube mir, dein Anblick hat mir fast das Herz gebrochen.“ Ihre Augen wandten sich ihm wieder zu. „Lass mich dir versichern, dass deine Mutter in keinem Augenblick irgendetwas bereut hat. In der kurzen Zeit, in der deine Eltern zusammen waren, liebten sie sich für ein ganzes Leben.“ „Ich glaube, ich verstehe.“, meinte er bedächtig. „Du möchtest mir damit sagen, dass bei uns genauso sein könnte. Schließlich brichst du bald nach Astoria auf und ich kann mir unmöglich sicher sein, dass du wiederkommst.“ „Nein, so ist es nicht. Ich komme zurück.“, versicherte sie entschlossen. „Vertrau mir!“ „Und wenn nicht?“, zweifelte Van. „Wenn du wirklich denkst, es könnte soweit kommen, dann liebe mich, hier und jetzt, für ein ganzes Leben, aber sperr mich nicht ein!“, forderte sie ihn auf. „Einverstanden.“, seufzte er. „Aber wir sollten dafür zurück zum Lager gehen.“ „Du hast recht.“, stimmte Hitomi grinsend zu. „Ich weiß auch schon, wie wir uns wärmen können.“ „Schön.“, neckte er sie verspielt. „Ich wollte schon immer wissen, ob du kochen kannst.“ „Ich brat dir gleich eine.“, erwiderte sie ebenso scherzhaft. Van küsste sie um seiner Freude Ausdruck zu verleihen, dann ließ er sie los. Das Wasser rauschte, während er ein paar Schritte zurück trat. Er nahm die gleiche Haltung ein, mit der sein Vater seine Mutter eingeladen hatte. „Hitomi, würdet ihr mit mir kommen?“ Daraufhin lächelte sie so warmherzig, dass er das Gefühl hatte, die Sonne würde an diesem Tag ein zweites Mal aufgehen. Mit der Gewissheit, dass dies ein Schwur für die Ewigkeit sein würde, vereinten sich ihre Hände. „Ja, König Van.“ Kapitel 2: Erdrückendes Wiedersehen ----------------------------------- Ein kalter Wind riss an Hitomis Mantel, woraufhin sie ihn näher an sich presste. Sie stand auf dem Rand einer steilen Wand aus weißen Fels und blickte auf ein mit Dächern ausgekleidetes Tal hinab. Erinnerungen blitzten auf, verlassene Ruinen, durch die riesige Erdrachen streiften, ausgebrannte Häuser und durchlöcherte Gyumelefs. Schnell jedoch ersetzte sie die Bilder durch hart arbeitende Menschen, die vergnügt miteinander schnatterten, während sie ihren Besitz wieder aufbauten. Als sie Gaia vor mehr als drei Jahren verlassen hatte, war Farnelia eine Stadt im Aufbruch gewesen. Jetzt, da sie zum wiederholten Male zurückkehrte, war jeglicher Optimismus verflogen und die harte Realität hatte die Bürger eingeholt. Sie mussten mit ansehen, wie sie unter den Mahlsteinen der Politik zerrieben wurden. Van trat näher an sie heran und legte fürsorglich seinen Arm auf ihre Schulter. Ohne Gegenwehr ließ sich Hitomi an ihn drücken. „Mach dir keine Sorgen.“, versuchte er ihr Mut zu machen. „Du wirst ihnen ihre Hoffnung wiedergeben.“ Hitomi brachte ein niedergeschlagenes Lächeln zustande. Manchmal vergaß sie, dass beide ständig ihre Gedanken miteinander teilten. „Erwartest du nicht etwas viel von mir?“, zweifelte sie. „Ich bin keine Führungspersönlichkeit.“ „Aber du bringst die Leute dazu, dir zu vertrauen.“, widersprach Van. „Wie vielen Leuten hast du schon die Zukunft vorher gesagt? Alle glauben dir, obwohl du ihnen nur ein paar bunt gemalte Karten vor die Nase legst.“ „Viel zu oft.“, seufzte Hitomi. „Außerdem hast du mir nicht geglaubt.“ „Das ist Vergangenheit, mein Schatz, und lenkt nur von der Zukunft hab.“ Liebevoll drückte er ihr ein Kuss auf die Wange. Sie kicherte und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Stadt, deren Straßen in der Sonne glitzerten. „Ich habe Farnelia vermisst...etwas zumindest...obwohl ich hier nie lange gelebt habe.“ „Natürlich hast du das.“, behauptete Van großspurig. „Schließlich ist Farnelia deine Heimat.“ Noch nicht, dachte Hitomi bedrückt. Im nächsten Augenblick wurde ihr klar, dass Van diesen Einwand gespürt haben musste und überdeckte ihre Zweifel mit Zuversicht. Schwungvoll wandte sie sich ihm zu. „Lass uns gehen.“, schlug sie mit einem entwaffnenden Lächeln vor. „Die Zeit wartet nicht auf uns.“ Verwirrt ließ sich Van an der Hand hinunter ins Tal führen. Das Paar stieg den Pfad ins Tal hinab, über den die Bevölkerung im Kriegsfall floh. Hitomi empfand ihn als sehr schmal, dafür, dass er bereits Tausenden das Leben gerettet hatte. Schließlich kamen in das kleine Waldstück hinter der Villa, in dem sich auch Familiengrab befand, neben dem Escaflowne ruhte. Mitten im Wäldchen hielt Hitomi inne. „Sag mal, missbraucht sich Merle gerade selbst als Köder für eine ihrer Fallen?“ „Wie kommst du darauf?“ „Sie kommt schnell näher und wird verfolgt, macht sich aber keine Sorgen.“, klärte sie ihren Feund auf. „Kannst du ihren Standort und ihre Gefühle nicht spüren?“ „Nur wenn ich mich darauf konzentriere.“, gab Van zu. „Ansonsten strömt nur eine wage Andeutung der Stimmung meiner Umgebung auf mich ein.“ „Warum hast du dich dann während den drei Jahren, in denen ich weg war, abgeschottet?“ „Selbst ein Spur von Verzweiflung kann eine feste Moral untergraben, besonders wenn dieses Gefühl stetig ist. Außerdem hatte ich Angst, dass du und auch Merle meine Niedergeschlagenheit bemerken würdet, also hab ich mich eingemauert.“ „Auf jeden Fall ist Nachhilfe angesagt.“, verkündete Hitomi mit hoch gezogener Nase. „Es ist fast schon ein Verbrechen, so viel Potenzial nicht zu nutzen.“ „Dann wirst du mich wohl privat unterrichten müssen.“, nahm Van den Wink auf. „Nur wir beide, auf Escaflowne, über den Wolken, während du meine Hand hältst und mir...“ Weiter kam er nicht, denn plötzlich prallte ein Geschoss auf ihn und warf ihn um. Merle lag über ihn und rieb überglücklich ihre Wange an seine. „Oh wie schön, dass du wieder da bist, Bruderherz!“, rief sie. „In jeder Sekunde, die ich mit diesen klebrigen Bürokraten zu tun hatte, habe ich an dich gedacht.“ „Ja!“, lachte Van trocken. „Das freut mich, Merle. Könntest du bitte von mir runter gehen?“ Doch die Besitzerin des warmen Fells über ihn wollte nicht hören und klammerte sich fest. „Bitte hilf mir, Hitomi!“ Sie lächelte zu Antwort und umgab sich mit einem unsichtbaren, kugelförmigen Schild aus Gedankenenergie. Van ahnte böses. Einen Augenblick später wurde alles um ihn herum finster und das Gewicht auf seinen Körper vervielfachte sich. Gedämpft drangen quiekende Kinderstimmen zu ihm hindurch, während er nach Luft rang. Hitomi hielt angesichts des Knäuel aus Armen und Beinen vor ihr ein lautes Lachen zurück, doch konnte sie nicht verhindern, dass ihr eine Freudenträne ins Auge stieg dank dem Anblick ihrer Freundin zwischen den vielen Katzenkindern verschieden Alters. Merle wandte sich ausgelassen um den kitzelnden Fingern zu entkommen, die nach ihr langten, und versuchte es den Bälgern mit gleicher Münze heimzuzahlen. Unter der Masse aus Kleidung, weißen, schwarzen, braunen, roten, hellem und dunklen Fell versuchte Van sich hinaus zu zwängen. Da entschied Hitomi, dass, wenn sie nicht bald eingreifen würde, bald keinen Freund mehr hätte. „Schon gut, ihr Süßen, macht bitte Platz.“, bat sie freundlich und schob die Kinder sanft beiseite. „Lasst ihn atmen!“ Jedem der großen Augenpaare, das zu ihr aufblickte, schenkte sie ein breites Lächeln, doch das alles half nicht. Kaum hatte sich Hitomi die Aufmerksamkeit eines Kindes verschafft, stürzte sich dieses wieder auf seine Spielkameraden, und sie kam nicht voran. Schließlich wurde es Merle, die Vans zunehmende Missbilligung spürte, zu bunt. „Geht AUSEINADER!!!“, schrie sie aus Leibeskräften, aber die Kinder lachten nur. Mit ihren Krallen jagte sie die Meute von ihrem Herrscher herunter. Nun, da sie verteilt innerhalb eines kleinen Radius kichernd auf der Erde tollten, konnte Hitomi die sieben Katzenkinder besser in Augenschein nehmen. Von einem Kleinkind bis zu einem Fast-Teenager waren alle Altersstufen vertreten. Sie trugen warme Hosen und dicke Hemden, stabile Kleidung zum Spielen und Spaß haben. Noch waren sie mager, doch die Energie, die sie versprühten, verriet Hitomi, dass es ihnen in Farnelia nicht schlecht ging. Merle half derweil ihrem Bruder auf die Beine. Ausgiebig vergewisserte sie sich, dass er unverletzt war. Langsam aber sicher beschlich Hitomi das Gefühl, das fünfte Rad am Wagen zu sein, bis Merle sich urplötzlich zu ihr umdrehte und über sie her viel. Sie umarmte Hitomi oberhalb ihrer Schultern, während die Hände ihrer Freundin hinter ihrem Rücken zueinander fanden. Von dem Gewicht der Katzenfrau fast umgeworfen torkelte Hitomi zurück. „Herrlich dich endlich wieder in der Realität knuddeln zu können.“, freute Merle sich. Die vergangen Monate über hatten sich die beiden in durch Gedanken geschaffene Räumen getroffen und dort ihre Plauderstündchen genossen. Van und Hitomi hatten dies ebenso gehalten, doch zerbrach er sich gerade Kopf darüber, was seine Schwester und seine Freundin während ihren Treffen miteinander unternommen hatten. Die Ergebnisse seiner Fantasie und die daraus folgende Erregung bei ihrem Liebsten behagten Hitomi ganz und gar nicht. „Du lässt deine Haare wachsen.“, fiel Merle auf, als ihre Hand über Hitomis Hals strich. „Ist das die große Überraschung?“ „Nicht groß genug?“, gluckste sie. „Oh doch.“, versicherte Merle, zumal dies längst nicht die einzige Veränderung an ihrer Freundin war. Sie wirkte um einige Erfahrungen reifer, ihr Gesicht strahlte eine ungewohnte Ruhe aus und ihre Körpersprache zeugte von einem neuen Selbstbewusstsein, dass nicht nur von mehr Wissen zu kommen schien... Nun war es Merle, die ihre Phantasie spielen ließ. „Du musst mir alles erzählen!“, platzte es aus ihr heraus. „Alles, was du und Van die letzten Tage über getrieben habt.“ Hitomi lief bis oben hin rot an. „Bitte entschuldige, Merle, aber...“, meldete sich ein sehr einsamer Van zu Wort „Du passt solange auf die Kinder auf! Spiel mit ihnen Fangen! Mit dem Pferd hast du vielleicht sogar eine Chance.“, wies Merle ihn an. „In etwa einer Stunde sollen sie zum Essen in die Villa kommen.“ Ehe er widersprechen konnte, schleppte Merle Hitomi zum Regierungssitz. Hitomi und Merle hockten sich auf dem Bett des Kuppelzimmers der Herrschervilla gegenüber. Obwohl es helllichter Tag war, ragte über dem einzigen Möbelstück im Raum ein nächtlicher Himmel mit dem Mond der Illusionen als Blickfang. Unter dieser Kulisse verschränkten die beiden ihre Händer ineinander und berührten sich mit geschlossenen Augenlider an der Schläfe. Sie befanden sich schon seit über einer Stunde in dieser Haltung, als Hitomi schließlich die Augen öffnete und lehnte sich zurück. Merle, die sich ebenfalls wieder zurück in die Realität versetzte, starrte sie erwartungsvoll an. „Tut mir Leid, Merle, aber ich kann keinen Hinweis finden, der erklären könnte, wie Allen plötzlich solche Fähigkeiten im Aufspüren anderer Lebewesen entwickeln könnte.“, entschuldigte sie sich. „Na ja, einen Versuch war es wert.“, meinte Merle. „Ich versteh aber nicht, warum wir solange damit warten mussten.“ „Wenn ich deine Erinnerungen lese, strömen Eindrücke verschiedener Sinne auf mich ein.“, erklärte Hitomi geduldig. „Gedanken reichen nicht aus, um eine solche Informationsflut zu bewältigen. Ich brauchte daher direkten Kontakt zu deinem Kopf.“ „Ach, es ist zum Haare raufen!“, beschwerte sich Merle. „Mein eigener Freund ist mir ein Rätsel.“ „Damit bist du aber allen Verehrerinnen überlegen.“, beschwichtigte Hitomi. „Du hast eine Seite von ihm erlebt, die nur wenige kennen.“ „Wie du zum Beispiel?“, forderte Merle sie heraus. Hitomi ließ ihr diesen Sieg. „Nein, so ausgelassen wie in deiner Gegenwart habe ich ihn nur einmal erlebt und das auch nur ein paar Sekunden lang.“ „Ach ja? Wann?“ „Als wir uns das erste Mal gesehen haben, in seiner Festung. Um seine Leute von mir abzulenken, hat er einen Scherz auf ihre Kosten gemacht. Nur einen Augenblick später war er wieder der scharmante Ritter und hielt mir einen Vortrag über seine Pflichten.“, erzählte sie. „Dann erkennt er mich wohl nicht als Dame an.“, grübelte Merle. „Kein Wunder, eigentlich tut das niemand.“ „Niemand?“ „Zumindest kein Mann. Jeder scheint zu denken, er könne sich in meiner Gegenwart alles erlauben.“ „Siehst du das nicht etwas schwarz? Aus deinen Erinnerungen habe ich eher den Eindruck, man begegnet dir mit Ehrfurcht.“, wandte Hitomi verwundert ein. „Auch Allen? Oder Franziskus?“, entgegnete Merle zweifelnd. „Die, die es sich leisten können, lassen alle Etikette mir gegenüber fallen.“ „Franziskus? Du meinst Sophias verschollenen Vater?“ „Genau. Sie hat ihn mir als kalt, berechnend und autoritär beschrieben. Seine eigene Tochter! Auch Van war der selben Meinung. Mir gegenüber jedoch war er sehr freundlich, so als würden wir uns gut kennen, dabei traf ich ihn nur ein einziges Mal.“ „Er kennt Van.“, gab Hitomi zu bedenken. „Aber es stimmt, du hast die Kraft die für Frauen verborgenen Seiten von Männern aufzudecken. Wahrscheinlich weil sie sofort merken, dass du eine von ihnen bist.“ „Ich bin ein Mann?“, fragte Merle entsetzt. „Nein!“, lachte Hitomi verlegen. „Doch du bist auch keine verhätschelte Lady, die beschützt und umsorgt werden muss. Du sorgst für dich selbst und das bringt dir zumindest bei selbstbewussten Männern Sympathie und Neugierde ein.“ „Und wenn sie nicht selbstbewusst sind?“ „Dann werden sie dir wahrscheinlich feindselig begegnen, da sie Angst haben, oder sich hinter Schmeicheleien verstecken.“ Da Merle in Gedanken versank, suchte Hitomi nach einem Weg sie hochzuziehen. „Van erwähnte da etwas von mehreren Briefen mit teurem Umschlägen und brisanten Inhalt, die von Boten überbracht worden sind.“ „Er hat es dir erzählt?“ „Natürlich. Wir haben keine Geheimnisse voreinander, selbst wenn sie andere betreffen.“ „Toll!“, brach es aus Merle heraus. „Wie gut, dass ich auf eure Verschwiegenheit zählen kann.“ Nach einem langen Seufzer fuhr sie fort. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Mehr oder weniger sind alle Antragsteller Nieten. Allein die Hälfte kommen aus Astoria. Vier davon sind vom niedrigen Adel, der fünfte ein reicher Bürger, und alle sind der Meinung, dass eine Prinzessin aus einem Bauernstaat gerade gut genug für ihre Söhne ist. Von vier weiteren Anträgen war ich geschmeichelt. Sie stammten allesamt von Jünglingen meines Alters aus verschiedenen Ländern, die auf dem Turnier hier in Farnelia Zuschauer oder Teilnehmer dabei waren. Sie alle trugen einen Hauch von Verzweiflung und das verhältnismäßig kleine Geschenk lässt darauf schließen, dass ihre Eltern nichts von den Plänen ihrer Söhne wussten. Der letzte Absender ist ein reicher aber auch sehr alter König aus dem Norden, der mich noch nie gesehen hat. Er ist berühmt für seinen Zoo der exotischen Tiere. Aus der ganzen Welt sind dort Lebewesen eingesperrt, die auch nur ein bisschen grotesk erscheinen. So mancher Tiermensch soll dort auch schon gelandet sein.“ „Ja!“, kommentierte Hitomi den Bericht. „Wie gut, dass du Allen hast.“ Merle amüsierte sich innerlich herrlich über Hitomis Wink mit dem Zaunpfahl, der einem ganzen Zaun glich. Wenn sie wissen wollte, wie weit sie mit Allen war, warum fragte sie nicht einfach. „Mag sein, aber solange er an Astoria gefesselt ist, wird es zu keiner Vermählung kommen. Dafür sind die diplomatischen Beziehungen zu schlecht. Außerdem stellt sich die Frage, wer zu dem anderen zieht.“ „Ach was, das mit den Beziehungen hab ich geregelt, wenn ich aus Palas zurückkomme. Wenn ihr beide dann irgendwann heiratet, wird es ein Fest der Freundschaft werden.“, äußerte sich Hitomi zuversichtlich. „Und was die Heimatwahl betrifft, denkst du wirklich, dass du für alle Zeit in der Villa leben wirst?“ „Willst du mich etwa raus schmeißen?“ „Ich und auch Van möchten, dass du dein eigenes Glück findest und dich dabei von uns nicht einschränken lässt. Die wenigsten Menschen wohnen Zeit ihres Lebens im Elternhaus. Die meisten werden flügge, ziehen aus und gründen ihre eigene häusliche Gemeinschaft. Van wird dich wohl kaum jemals auf die Straße setzten, aber er erwartet von dir genauso wenig, dass du bleibst. In seinen Augen bist du erwachsen und kannst deine eigenen dummen Entscheidungen treffen.“ „Und was denkst du?“ „Dort, wo ich herkomme, sind Menschen in deinem Alter noch Kinder. Sie gehen zur Schule und überlassen es den Eltern ihr Leben zu regeln. Selbst ich hätte, als du mich geholt hast, noch mindestens ein halbes Jahr gebraucht, bis ich aus dem Haus meiner Eltern ausgezogen wäre. Daher fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass hier alle etwas schneller erwachsen werden.“ „Versteh ich dich richtig?“, wunderte sich Merle. „Gerade du würdest mich hier behalten wollen, wo ich Van für mich beanspruchen kann?“ „Natürlich muss es nicht sein, dass du in unserem Zimmer schläfst, und wenn wir das ein oder andere Mal auch zu zweit, also ohne dich, essen könnten, wäre das prima. Aber du bist und bleibst seine Schwester und wer bin ich, dass ich dir dein Recht auf eine enge Bindung zu ihm untersagen könnte.“, erklärte Hitomi ausgiebig. „Du machst dir Sorgen um mich!“, warf Merle ihr verstimmt vor. „Natürlich sorge ich mich.“, verteidigte sie sich. „Dank Van habe ich alle Erinnerungen, die er mit dir teilt. Ich sehe vor mir, wie ihr gemeinsam aufgewachsen seit, wie ihr gemeinsam gelacht und geweint habt, als wäre ich dabei gewesen. Glaubst du, es wäre für mich auch nur irgendwie möglich, dich nicht als kleine Schwester zu betrachten?“ „Verstehe. Ist das eine Nebenwirkung des Bandes, dass euch verbindet?“ „Es liegt wohl eher an meinen eigenen Kräften.“, gab sie zu. „Jeder Anwender von gedanklicher Energie bildet mindestens eine Fähigkeit aus, die seinem Charakter entspricht und ihn von anderen abgrenzt. Ich habe die Fähigkeit bei Kontakt die Erinnerungen eines Wesens einzusehen. Da ich zu Van ständig Kontakt halte, habe ich auch Zugriff auf alle seine Erinnerungen.“ „Das erklärt deinen Blick in die Vergangenheit. Was ist mit deinem Blick in die Zukunft?“ „Diese Fähigkeit ist nicht einzigartig. Van hat auch schon eine Vision gehabt. Dabei fließen Eindrücke aus dem Unterbewusstsein über die Stimmung in der Umgebung und eigene Gedanken ineinander, und ergeben eine Prognose. Da ich bereits sehr früh mit der Wahrsagerei angefangen habe, brechen diese Visionen viel öfter und klarer aus dem Unterbewusstsein hervor, als bei einem Menschen üblich. Ich hatte in dieser Hinsicht einfach nur zu viel Training. Dummerweise sind meine eigenen Gedanken so stark, dass sie die Zukunft in Richtung meiner Prognosen verändern können.“, erzählte Hitomi bedrückt. „Wer weiß, wie viel Schaden ich so schon angerichtet habe.“ „Niemand. Auch du nicht, also zerbreche dir darüber nicht deinen schmucken Kopf.“, beruhigte Merle sie. „ Außerdem hast du deine Gedankenenergie inzwischen unter Kontrolle, oder nicht?“ Hitomi nickte, doch sie war noch immer niedergeschlagen. „Komm, lass uns die Kinder suchen und mit ihnen spielen. Danach wirst so fertig sein, dass du nur noch tot müde ins Bett fallen wirst und ich wie immer mit Van allein essen kann.“ „Von wegen!“, nahm Hitomi die Herausforderung an. „Und wenn ich dich höchst persönlich zudecken muss. Heute Abend gehört Van mir!“ „Ha! Du träumst ja jetzt schon!“ Kapitel 3: Finstere Aussicht ---------------------------- Schweiß tropfte von ihrem zarten Kinn auf den Boden, als Siris Übungskampf mit ihrem Schüler einen Augenblick Ruhe fand. Beide trainierten und lebten in verborgenen Räumen unter Baron Trias Anwesen in Palas, der Stadt, in der Siri als Attentäterin gesucht wurde. Ihren Blick starr auf Ryu gerichtet, justierte sie den Griff an den schmalen Dolchen in ihren Händen. Diese beiden Waffen waren ihr die liebsten. Sie waren ein unfreiwilliges Geschenk und ein Andenken an ihren Traum Allen Shezar. In einer düsteren Tropfsteinhöhle unter seinen ehemaligen Stützpunkt hatten sie stürmisch von einander Abschied genommen. Im Austausch für seine Dolche hatte sie ihr Schwert in seine Obhut gegeben. Eigentlich war es nie ihr Schwert gewesen. Es hatte sich fremd angefühlt und viel zu oft hatte sie es aus der Hand gelegt. Allens Dolche hingegen verschmolzen mit ihrem Körper und waren ein Teil ihrer selbst. Ohne Vorwarnung stürmte sie seitlich an Ryu und damit an seiner Verteidigung vorbei. Ihr Schüler wehrte den ersten Dolch mit einer Parade vor seiner Schulter ab, ließ seine Meisterin durch ihren eigenen Schwung getragen an ihn vorbei treten und trieb seine Klinge senkrecht auf ihren Rücken zu. Doch Siri kannte diesen Konter bereits, da er ihn jedes Mal verwendete, wenn ein Feind übereifrig über ihn herfiel. Doch jetzt sollte Ryu lernen, dass ein Trick nie zwei Mal und erst recht nicht hundert Mal beim gleichen Gegner funktionierte. Blind fing sie sein Schwert mit gekreuzten Dolchen über ihren Kopf ab, wirbelte herum und drückte dabei sein Klinge zu Seite. Ein Tritt in seine steinharten, dennoch ungeschützten Bauchmuskeln beförderte ihn quer durch den Raum. Überrascht beobachtete sie, wie er seinen Flug bremste, indem er sein Schwert in den Holzboden trieb. Nur einen Augenblick später waren beide Schultergelenke ausgekugelt und er rollte unkontrolliert aus. Hilflos lag ihr Schüler auf seinen Rücken mit ausgestreckten Armen dar und stöhnte. Seufzend kam sie auf ihn zu und beugte sich zu ihm hinab. Sein Instinkt war hellwach, wie sie zugeben musste, aber nicht bei Verstand. „Schwachkopf!“, schalt sie ihn fürsorglich. „Du kennst noch immer nicht deine Grenzen.“ Ohne Rücksicht auf weitere Schmerzen renkte sie beide Arme umgehend wieder ein. Dann kniete sie sich hinter ihm und legte beide Hände auf seine Schulter. Sie entspannte sich, schloss ihre Augen und fuhr mit ihrem inneren Auge in seinen Körper. Deutlich fühlte das Pochen seines Herzens und den alles durchdringenden Blutfluss. Schicht um Schicht stapelten sich Gewebe aufeinander, verwoben sich miteinander und schlossen sich zu Organen zusammen. Ein eigene, sehr lebendige Welt für sich. Information über Zellintegrität, Stoffwechsel und elektrischer Signale fluteten ihren Kopf. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie in seinen Körper sehen. „Wie geht es ihm?“ Die fordernde Stimme, die sie sowohl in ihren Kopf als auch durch ihre Ohren gehört hatte, riss sie aus ihrer Wahrnehmung zurück in die triste Realität. Siri sah zu ihrem Meister auf, erhob sich jedoch nicht. Er hatte sie schließlich ebenfalls nicht begrüßt. „Beide Schultern waren ausgerenkt. Ich wollte mir gerade die Schäden ansehen.“ „Das wird warten müssen. Ich habe etwas mit dir zu besprechen und nur wenig Zeit.“ „Ja, Meister.“, bestätigte sie und half Ryu aufzustehen. Sie wies ihn an, in seinem Zimmer auf sie zu warten. Als ihr Schüler die Tür hinter sich zu gemacht hatte, fragte Trias: „Wie lange wird die Heilung dauern?“ „Ich weiß es nicht.“, gab Siri ehrlich zu. „Bei einem Menschen würde die Behandlung Monate in Anspruch nehmen, aber bei unserer Art gab es meines Wissens einen solchen Fall noch nie. Es dürfte jedoch sehr viel schneller gehen.“ „Du hast recht.“, bestätigte Trias. „Bisher ist so etwas bei uns nicht vorgekommen. Ich erwarte einen genauen Bericht.“ „Ja, Meister.“ „Ich habe Neuigkeiten für dich“, eröffnete ihr Trias. „Wenn alles nach Plan läuft, bist du bald frei.“ Siri sah ihren Herren erstaunt an. Es gab eine Abmachung zwischen ihnen, dass sie von dem Augenblick an nicht mehr seine Untergebene wäre, in dem Allen stürbe. Für sie war es eine Zwickmühle. Sie sehnte ihre Freiheit herbei, bangte aber gleichzeitig um Allens Leben. Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, den geistlichen Fesseln zu entfliehen... „Möchtest du mehr wissen?“ „Warum solltet ihr mir mehr erzählen?“, wich Siri der Antwort aus. „Ihr teilt eure Pläne niemanden mit, es sei denn, es ist absolut notwendig.“ „Bei dir ist genau dies der Fall!“ „Warum? Ich kann unmöglich...“ „Ich weiß, dass du nichts tun kannst, was den Tod deines Geliebten auch nur indirekt fördern könnte.“, unterbrach Trias sie. „Als meine Schülerin gestehe ich dir diese Freiheit zu, denn ob du es glaubst oder nicht, deine Liebe wird ein starker Antrieb der Zerstörung dieser Welt sein.“ „Aber warum...“ „Weil ich möchte, dass du begreifst, dass es keine Möglichkeit gibt, ihn zu retten und sein Tod unausweichlich ist.“ Siris Blick sackte samt Kinn nach unten. Sie konnte es nicht mehr ertragen in die kalten Augen ihres Meisters zu sehen. Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, brach eine weitere Hoffnung entzwei. „Ich höre!“, verkündete sie mit mühsam kontrollierter Stimme. „Ich habe vor ein paar Stunden Aston mitgeteilt, dass Hitomi Kanzaki in Farnelia gesehen worden ist. Aus Farnelia dürfte innerhalb der nächsten Woche ein Brief eintreffen, der meine Information bestätigt. Dass ich sie ihm jedoch sehr viel früher überbracht habe, dürfte bei ihm Zweifel bezüglich ihres Aufenthaltes der letzten Monate wecken. Ich werde diese schüren und ihn zu dem Schluss kommen lassen, dass König Van von Farnelia einer Flüchtigen bei sich Unterschlupf gewährt hat. Sobald er das glaubt, werde ich ihm folgenden Plan unterbreiten. Er soll eine Eingreiftruppe entsenden, die aus einem Träger mit einem halben Dutzend unserer neuesten Guymelefs und ein paar hundert Soldaten besteht. Diese Truppe wird einen von mir ausgesuchten Unterhändler begleiten. Dieser wird das Fräulein Kanzaki verhaften und auf den Träger bringen lassen. Sobald sie in der Luft ist, wird er den König mit den Vorwurf des Verrats konfrontieren und ihn zur Übergabe der Herrscherinsignien bewegen. Derweil postieren sich die Guymelefs oberhalb der Schlucht und bedrohen so Farnelia. Der König hat andere Wahl als zu kapitulieren. Somit befinden sich seine Liebste und Farnelia in Astons Gewalt.“ „Das wird nie funktionieren!“, äußerte sich Siri zuversichtlich. „Mein König ist kein Feigling. Er wird kämpfen. Sechs Guymelefs sind kein Problem für ihn und Escaflowne.“ „Natürlich sind sie das nicht, aber Aston vertraut mir. Ich werde ihm versichern, dass die Zaibacher nur mit einem Dutzend ihrer Guymelefs Farnelia zerstört haben und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Verteidigung der Stadt intakt und in voller Stärke vorhanden war. Farnelias jetzige Streitkräfte sind nicht ansatzweise mit den damaligen zu vergleichen. Deswegen würden auch sechs Guymelefs reichen.“, erklärte Trias überheblich lächelnd. „Aber zu einem Kampf wird es sowieso nicht kommen. Allen Shezar wird nämlich der Kommandant der Guymeleftruppe sein. Nachdem, was er alles Chuzario erlebt hat, wird er es nicht übers Herz bringen, den Schießbefehl an seine Untergebenen weiterzugeben, geschweige denn ihn auszuführen.“, prophezeite er spöttisch. „Hitomi wird von ihrem strahlenden König in Weiß gerettet werden und Farnelia wird weiterhin frei, aber isoliert sein. Allen Shezar wird selbstverständlich für die Schlappe verantwortlich sein. Man wird ihn des Hochverrats anklagen und hinrichten.“ Siri schluckte. Allen war tatsächlich naiv genug um in diese Falle zu laufen. „Dann wirst du frei sein und ich kann in aller Ruhe Farnelia erobern, ohne dass ihnen jemand zu Hilfe kommt. Aston wir darauf vertrauen, dass die Grenzfeste zu Farnelia halten wird. Ehe er merkt, dass die Invasion nicht aus Farnelia, sondern aus Dörfern in Astoria kommt, von denen niemand seit einer Ewigkeit etwas gehört hat, wird es zu spät sein und Palas wird fallen. Und ich werde von meiner lächerlichen Rolle befreit sein.“ „Und was dann? Gaia wird wohl untergehen, nur weil Farnelia und Astoria ausgelöscht werden. Außerdem wird Vasram nie riskieren, auch ein Opfer zu werden. Eher werden sie alle betroffenen Gebiete in einer Kugel aus Licht verschwinden lassen.“ „Mitsamt aller Überlebenden.“, stimmte Trias zu. „Doch dadurch können sie mich auch nicht aufhalten. Ich habe längst meine Diener über weitere Länder verstreut. Wer weiß, vielleicht bekomme ich Vasram soweit, dass sie jedes Land auslöschen, in dem das Gerücht auftaucht, dass meine Leute gekommen wären. Wenn ja, werde ich den Augenblick noch als Lebender genießen können, wenn Gaia ins nichts entschwindet. Sollte ich jedoch vorher getötet werden, wirst du mein Erbe antreten und mein Ziel verfolgen.“ „Warum sollte ich? Nur weil Allen..?“ „Hast du eine Ahnung, wessen Seele das Schwert enthielt, das du so großzügig an ihn verschenkt hast?“, gab Trias eine Frage als Antwort zurück. „Nein.“, gab Siri ehrlich zu. Ihren Meister anzulügen hatte sie schon vor Monaten aufgegeben. „Sie war meine Frau.“ Siri schluckte. „Was ist passiert?“ „Wenige Jahrzehnte, nachdem wir Gaia bevölkert hatten, erkrankte sie. Die Lebewesen, die von der alten Welt zur unserer neuen transportiert worden waren, brachten auch neue Krankheiten mit. Ich konnte zwar ein Gegenmittel finden, aber für sie kam es zu spät. Ich war bei ihr, als ihr Körper starb. Sie ist die Wächterin der Lebenden. Als solche kennt sie das Wesen aller Geschöpfe, ihre Position und ihre Gedanken.“, klärte Trias seine Schülerin auf. „Indem du Allen dein Schwert überlassen hast, hast du vielen Menschen aus Chuzario das Leben gerettet. Menschen, die jetzt keine Heimat haben und als Aussätzige gebrandmarkt werden. Menschen, die wegen dir noch sehr viel länger und mehr leiden müssen, als ihre toten Nachbarn. Glaubst du, du hast ihnen einen Gefallen getan?“ „Das ist nicht wahr!“, dementierte Siri den Tränen nahe. „Erforsche deine Gefühle! Du weißt, dass es wahr ist.“, hielt er dagegen. „Diese armen Seelen haben nichts mehr außer ein Leben in Qual.“ „Die ihr ihnen bereitet habt.“, konterte sie. „Und du hast sie ihr ausgeliefert!“, schlug Trias zurück. „Sie alle könnten schon längst erlöst sein.“ Dann verrauchte sein Wut. „Meine Frau ergeht es noch schlimmer. Als Wächterin muss sie die Aufgabe erfüllen, die ihr bei der Erschaffung von Gaia auferlegt worden ist, solange der Planet existiert, doch sie ist dabei zu einem ewigen Leben der Einsamkeit verdammt. Wenn niemand das Schwert führt und es unnütz verstaubt, kann sie nichts wahrnehmen, während sie wie ein Rad im Getriebe von Gaia weiter funktioniert. Sie braucht einen Träger, auf dessen Sinne sie zugreifen kann, um überhaupt leben zu können und nicht lebendig tot zu sein.“ „Warum hattet ihr mich dafür auserwählt.“ „Weil sie immer noch an Gaia glaubt. Sie möchte den Planeten bewahren. Wenn Allen stirbt, wirst du den gleichen seelischen Schmerz fühlen, wie ich beim Tod meiner Frau. Das hätte sie ebenfalls überzeugen sollen, dass das Leben nicht erstrebenswert ist, sondern das Heil im Nichts liegt. Zusammen wärt ihr unschlagbar gewesen.“ „Aber daraus wird jetzt nichts mehr.“, erwiderte Siri trotzig. „Nein, stattdessen wirst du, wenn mein Körper jemals zerstört werden sollte, meinen Seelenstein an dich nehmen und ihn immer bei dir tragen.“, klärte Trias sie lächelnd auf. „Ich habe diesen Befehl bereits so tief in deinen Kopf eingebrannt, dass er mich überdauern wird. Du wirst dich dem Zwang, mich immer bei dir zu haben, nicht entziehen können. Gemeinsam werden wir dann auf die Erlösung aller Wächter hin arbeiten. Damit auch sie endlich Frieden haben!“ „Ich hasse euch!“ „So? Dann sollte ich dich wohl freilassen, da du es in meiner Nähe offenbar nicht aushältst.“, entgegnete er gelassen. Er nahm ihre Hand samt den Dolch und ritzte mit der Klinge einen seiner Finger an. „Trink mein Blut, dann bist du frei!“ „Verarschen kann ich mich selbst. Warum solltet ihr...?“ „Bei jedem unserer Art sind Antiviren für den jeweils eigenen Virenstamm im Blut. Sie verhindern, dass wir bei einem Unglück, bei dem das eigene Virus ins Blut gelangt, uns selbst versklaven. Ohne diese Vorsichtsmaßnahme würde ein jeder von uns versuchen sich selbst mental zu binden. Das Ergebnis wäre eine endlose Schleife aus Gedankenketten, so als würde man zwischen zwei gegenüber stehenden Spiegeln stehen und in einen hinein sehen. Mit anderen Worten, Wahnsinn.“ Trias hielt ihr den Finger weiter hin, doch ein Strudel aus widersprüchlichen Gefühlen hielt Siri zurück. Einerseits verachtete sie ihren Meister, wünschte ihm den Tod, ihr selbst die Freiheit, andererseits würde sie alles tun, um seinen Willen auszuführen, und war ihm Treu ergeben. Das Wissen, dass diese Ergebenheit durch Zwang verursacht wurde, machte sie nicht weniger real. Und dann war da noch der wachsende Zweifel, gepaart mit Eifersucht auf Allen und Merle, und dem Gefühl verraten worden zu sein. „Du kannst es nicht.“, stellte ihr Meister vergnüglich fest. „Tief im Herzen weißt du, dass ich Recht habe. Du willst, dass alles endet!“ Trias steckte den Finger wieder ein und wandte sich zu Gehen. „Hör auf dich selbst zu belügen.“ Am liebsten wollte sie im Boden versinken. Vom heutigen Tage an, das wusste sie, gehörte sie ganz und gar Trias, ihrem Meister. Kapitel 4: Gewissensbisse ------------------------- Äußerlich war Allen wie immer die Ruhe selbst, als er beobachtete, wie zwei seiner Männer seinen Guymelef im Hangar des Crusadors startklar machten. Innerlich kochte er. Ihm wurmte nicht nur, dass statt Scheherazade ein neu entwickelter Guymelef auf ihn wartete, der den der Zaibachern sehr ähnlich war, bis auf ein paar Elemente am Design, und natürlich eine Eigenentwicklung Astorias darstellte. Die letzten Monate war er ausgebildet worden, dieses Konstrukt zu steuern, so wie es von allen Himmelsrittern verlangt worden war, doch würde er ihn jederzeit gegen seinen alten Guymelef tauschen. Anstatt mit einem Langschwert kämpfte er nun mit einer Klinge in jeder Hand, die er dank flüssigem Metalls nach Belieben in eine Vielzahl anderer Waffen umwandeln konnte. Natürlich hatte die Ingenieure die Flammenwerfer mit eingebaut. Die Maschine konnte auch fliegen, was ihm überhaupt nicht geheuer war. Aber am meisten bereitete es ihm aber Kopfzerbrechen, dass die Armee Astorias zusehends mehr dem alten Feind glich, auch wenn die meisten Veränderungen noch geheim waren. Er fragte sich, wer beim letzten Krieg wen erobert hatte. „Haben sie noch Fragen, Herr Ritter?“ Allen, der einen himmelblauen Fliegeroverall trug, wandte sich von dem Guymelef ab und sah den jungen Adligen an. Er war schmächtig, trug blaue, reich geschmückte Gewänder und hatte ein überhebliches Lächeln, das nur so danach schreite ausgetrieben zu werden. Dieser Mann, der noch ein halber Bursche war, war sein Vorgesetzter für die Dauer der jetzigen Mission. „Ich steige aus, postiere mich mit fünf weiteren Guymelefs, deren Piloten ich nicht kenne, weil sie sich auf einem anderen Schiff befinden, am Rand des Tals von Farnelia und sichere von dort aus den Luftraum, um eine erfolgreiche Übergabe von Hitomi Kanzaki zu gewährleisten. Obwohl der Luftraum mit insgesamt sechs Guymelefs gesichert wird, landen sie, Hochwohlgeboren, mit dem Crusador in der Stadt und nehmen sie persönlich entgegen, während gerade Mal zwei meiner Männer sie beschützen. Was soll ich daran nicht verstehen?“ „Ironie steht ihnen nicht, Ritter. Woher sie auch immer diese scheußliche Angewohnheit her haben, legen sie sie ab.“, mahnte der Adlige. „Ich erwarte auf dem Boden einfach kein Schwierigkeiten. Der König wird wohl kaum seine eigene Stadt zum Schlachtfeld werden lassen. Dennoch ist er im Besitz von Escaflowne. Sollte es sich ihr Freund anders überlegen und uns nachjagen, holen sie ihn vom Himmel. Hab ich mich klar ausgedrückt?“ „Glasklar, Hochwohlgeboren.“, versicherte Allen. „Farnelia ist Sichtweite, Kommandant.“, rief Gades durch eines der Sprechrohre. Allen trat näher an dieses heran, öffnete es und befahl: „Öffne den Hangar.“ „Verstanden.“ Die schwere Tür öffnete sich und gab den Blick auf eine flache, bewaldete Ebene frei, über der eine dichte Masse aus grauen Wolken hing. Große Tropfen schlugen auf das Deck ein. „Die Tarnmäntel werden uns dort draußen nichts nützen.“, gab Allen zu bedenken. „Ich hatte nie vor sie einzusetzen.“, gab der Adlige bekannt. Wir stoßen Farnelia ganz offen vor dem Kopf, übersetzte der Himmelsritter. Grübelnd stieg zur Pilotenkanzel seiner Maschine und stellte sich in ihr rein. Seine Arme und Beine verschwanden in den Kontrollen. Die Kanzel schloss sich und Flüssigkeit wurde in den Innenraum gepumpt, bis sie ihm zum Hals stand. Dann verhärtete sich ihre Oberfläche. Ekelhaft. Was geschieht hier? Diese Frage stellte sich Allen schon, seitdem er die Befehle das erste Mal in Händen gehalten hatte. Der König wusste von seinem guten Verhältnis zu Van, Hitomi und Farnelia allgemein. Wieso bekam er das Kommando über Luftunterstützung bei dieser Übergabe. Sie wollen, dass du versagst, meldete sich eine weibliche Stimme in seinem Kopf. Allen fluchte lautlos angesichts der Einsicht, die er gerade bekommen hatte. Nach dem Massaker der Gezeichneten in Chuzario hatte er gelernt dieser Stimme zu vertrauen, obwohl er ihr kein Gesicht zuordnen konnte. Seit dieser schrecklichen Schlacht in Chuzario, die er zusammen mit Merle geschlagen hatte, wusste er immer schon im voraus, wenn ihn jemand angreifen wollte. Suchte er eine bestimmte Person, musste er nur an diese Denken und er wusste den Aufenthaltsort einen Moment später. Wieso er das alles konnte, konnte nicht einmal Merle ihm sagen. Von der weibliche Stimme würde er ihr wohl nie erzählen, dafür hatte er viel zu viel Respekt vor der rohen Kraft, die in ihr wohnte. Während er den Guymelef zum Ausstieg bereit machte, rätselte er weiter. Die Befehle für diesen Einsatz hatte er von einem Herren in seiner Villa bekommen. Vor ein paar Tagen war Allen nach dem Dienst zu seinem Haus zurückgekehrt und hatte den gut gekleideten Herren vorgefunden, wie er gerade mit seiner Schwester sprach. Den Diener, der sich um seine Schwester kümmerte und einer von Allens ehemaligen Untergebenen war, hatte der Eindringling zuvor unauffällig niedergeschlagen, gefesselt und versteckt. Ohne viele Worte zu verlieren hatte der Mann dem Hausherren die Mappe mit den Befehlen in die Hand gedrückt und ging. Allen verstand diese Botschaft, doch stand sie im unversöhnliche Gegensatz zu dem, was die Stimme ihm gesagt hatte. Hatten verschiedene Fraktionen an Hitomis Auslieferung gepfuscht? „Alle Einheiten breit?“, fragte Allen laut. Zackig trudelten die Statusmeldungen über Funk in sein Ohr. Ein Paar der Stimmen hatte er innerhalb der Leibgarde des Königs schon einmal gehört. „Ausrücken!“ Der Crusador befand sich jetzt dicht über dem Rand der Schlucht zur Stadt hin. Allen schaltete auf die Düsen in den Beinen um und schwebte mehr oder weniger elegant hinaus. Krachend landete er zwischen niedrigen Gestrüpp. Dann sah er sich um, so gut es das Visier zuließ. Der Crusador schloss alle Öffnungen und sank zur Stadt hinab. Derweil kreiste ein größeres Schiff über der Stadt, von dem aus fünf weitere Guymelefs starteten. Auch dieser Träger war Teil des Rätsels. Es konnte nicht nur zwölf Guymelefs transportieren, sondern auch hunderte Soldaten aufnehmen. Wie weit war er ausgelastet? Die Guymelefs stellten sich in gleichen Abständen über der Schlucht um Farnelia herum. Inzwischen hatte die spitze, rote Form des Crusador fast den Boden des Platzes vor dem Stadttor erreicht und eine Kutsche hielt auf das Schiff zu. Davon abgesehen bewegte sich nur ab und zu etwas in den Straßen. Ob das am Regen lag? Die Kutsche hielt an und ein paar Schatten stiegen hinaus. Allen wusste, dass sich nun die Plattform des Crusadors herab senken sollte, zusammen mit dem Unterhändler, Gades und einem seiner Soldaten. Einer der Schatten löste sich von den anderen und verschwand unter dem Schiff. Eine halbe Minute später hob es ab und strebte dem Himmel entgegen. Allen atmete erleichtert auf. „Himmelsritter Allen Shezar, halten sie ihre Position. Ich brauche das Geschwader noch.“ Einen Moment lang ärgerte ich Allen darüber, dass der Unterhändler seinen Namen erwähnte hatte, doch dann fiel ihn ein, dass Merle, Hitomi und Van seine Anwesenheit zweifellos schon gespürt hatten. „Ja, Hochwohlgeboren.“ Warum, schoss Allen durch den Kopf. Die Übergabe sollte mit dem Abheben des Crusadors vorbei sein. Sein Schiff schloss sich dem Träger beim Rundflug an. Lange Zeit passierte nichts. Allen brannte die Geduld durch. Er wechselte die Frequenz seines Funkgeräts. „Gades, was ist los?“ „Ich hab keine Ahnung, Kommandant. Der Unterhändler bestand darauf zurück zu bleiben.“ „Was ist mit Hitomi?“ „Sie ist hier. Ich habe sie in eine der Kojen gebracht.“, berichtete sein Stellvertreter, keuchte dann aber auf. Plötzlich vernahm Allen unverständliche Rufe. „Was ist los?“ „Hitomi! Sie besteht drauf, dass wir den Hangar öffnen. Sie reißt das Schiff auseinander.“ Einem Gedankenblitz folgend schaltete Allen auf die Gefechtsfrequenz. „Feuern sie auf die Stadt! Hören sie mich Allen? Feuern sie!“, befahl der Unterhändler laut und deutlich. „Wieso? Sagen sie, was dort unten vor sich geht.“, verlangte Allen. „Das geht sie nichts an!“, schnautzte der Unterhändler zurück. „Verweigern sie den Befehl?“ Plötzlich verstand Allen seine Position. Die anderen seines Geschwaders rührten sich nicht, obwohl sie den Befehl ebenfalls verstanden hatten. Eine solche Treue zur Befehlskette hatte Allen bisher noch nicht erlebt. Das Gesicht seiner Schwester erschien ihm. Still und verschlossen, dennoch funkelten ihre Augen vor Lebensfreude. Sein Vorgesetzter fragte derweil unablässig weiter. „Verweigern sie den Befehl? Antworten sie!“ Eine Bewegung forderte seine Aufmerksamkeit. Er traute seinen Augen nicht. Spielte die Entfernung ihm einen Streich? Die Klappe zum Hangar des Crusadors bewegte sich, als würde jemand sie verbiegen. Dann fiel etwas aus dem Schiff, doch anstatt auf dem Boden aufzuschlagen, schwebte es auf der gleicher Höhe wie sein Guymelef in der Luft der Mitte Farnelias entgegen. Allen aktivierte die Zielvorrichtung. Mit jedem Augenblick zweifelte er mehr an seinem Verstand. Das unbekannte Objekt war Hitomi. Sie stand in der Luft. Energie entlud sich bogenförmig an ihren Füßen. Sie streckte die Arme zur Seite aus und ließ dann beide Hände um sich rotieren. Einem Impuls der weiblichen Stimme folgend machte Allens Konstrukt ein Satz rückwärts. Neben ihn wurde die Vegetation geköpft. Den anderen Guymelefs brachen die eigenen Beine weg und sie fielen krachend zu Boden. „Mein Geschwader ist außer Gefecht. Nur bin ich bin übrig.“, unterbrach Allen den Wortschwall des Unterhändlers verwirrt. „Was? Schießen sie!“ Aus dem Nichts tauchten zwei waagerechte, leuchtende Scheiben in seinem Blickfeld auf, die etwa so breit waren, wie sein Guymelef. Sie trafen sich auf der gegenüberliegenden Seite des Tals und schossen dann an Hitomi vorbei auf ihn zu. Zeitgleich führte Hitomi hinter ihren Rücken zusammen und stieß sie dann in seine Richtung. Während er instinktiv zur Seite auswich, dämmerte es Allen, wer für die Zerstörung der Guymelefs verantwortlich war. Die Scheiben schrammten an ihm vorbei. Hatte die Quelle der Stimme sie sichtbar gemacht? Schieß!, verlangte nun auch die Stimme. Dann sterben Unschuldige, weigerte sich Allen und überlegte fieberhaft. Hitomi ließ die Arme sinken, die Scheiben wurden langsamer. Statt ihn direkt anzugreifen, flogen sie nun im einem Kreis, dessen Mittelpunkt er selbst war, und verkleinerten stetig den Radius. Hitomi Kanzaki wird es nicht zulassen, versicherte ihm die Stimme und verlangte wiederholt Vertrauen in seine Freunde zu haben. Die Scheiben waren nun ganz nah. Zähneknirschend hob Allen seine Arme und drückte ab. Erhitzte Geschosse flogen auf den gegenüberliegenden Rand der Stadt zu, doch bevor sie Hitomi passieren konnten, prallte sie gegen eine unsichtbare, gewölbte Barriere. Wo Allen sie getroffen hatte, tanzte goldenes Licht über die größer werdende Oberfläche. Er feuerte weiter, veränderte immer wieder die Stellung seiner Arme und er trat zurück. Den Spuren der Einschläge zur Folge hatte sich eine Kuppel über das gesamte Tal gespannt. Während er noch dabei war Hitomi zu bewundern und auf ihre Verteidigung ein zu dreschen, knackte das Funkgerät. „Himmelsritter, ein Guymelef hält auf sie zu.“, warnte ihn der Funkoffiziers des Trägers. Allen stellte den Beschuss ein und wandte sich um. Durch die Zielvorrichtung erspähte Allen den langen, blonden Schopf von Merles Maschine. Er lächelte. „Endlich etwas, dass ich verstehe!“, äußerte er sich zufrieden. Der Kampf sollte hart werden, doch sie würde ihn kaum töten. Oder doch? Aus den Armstumpfen seines Guymelef schossen kurze Schwerter. Vor ihm setzte Merle auf und aus den Pfoten förmigen Armenden kamen die gleichen Waffen. Das würde ein interessantes Duell werden. Ihre überlegene Kraft konnte sie nicht einsetzen, die Maschine bestimmte Stärke und Geschwindigkeit. „Warum?“, schrillte es aus ihrem Guymelef „Wie weit gehst du noch? Bedeute ich dir denn gar nichts?“ „Ich liebe dich.“, gestand Allen ohne zu zögern. Dass sie ein Angriff auf Farnelia so persönlich nehmen würde, hatte er nicht erwartet. „Aber hier geht es mehr als um Liebe.“ „Du lügst! Was könnte größer sein?!“, schrie sie ungläubig. „Verantwortung.“, belehrte er sie gerührt von ihrer naiven Art und griff brüllend an. Die Arme über Kreuz führte er seine Schwerter dem Unterleib ihres Guymelefs entgegen. Merle hockte sich hin und streckte aus einer Drehung ihres Kampfläufers ihr Bein aus. Von ihrer Gewandtheit vollkommen überrascht, wurde Allen vom Boden gesichelt, bevor er zu nahe kommen konnte. Lautstark schlug er auf. Sofort war ihr Guymelef über ihn. Ein Fuß blockierte einen seiner Arme, eine Klinge bedrohte seine Kanzel, während die andere seinen zweiten Arm außer Gefecht setzte. Mit dem Gewicht auf dem letzten Bein presste sie seine Maschine auf die Erde. „Gib auf!“, befahl sie, woraufhin er erleichtert aufatmete. Das ging schnell. Die Wahl der Dolche als ihre Lieblingswaffen machte für ihn jetzt viel mehr Sinn. Er hatte sich wirklich das schwierigste aller Mädchen ausgesucht. „Ich gebe auf.“, teilte er ihr ernst mit. Er war sich sicher, dass sie den freudigen Unterton seiner Aussage vernommen hatte. Zumindest Hochverrat konnte ihm keiner mehr vorwerfen. Er öffnete seine Kanzel, richtete sich auf und sah in ihre Klinge. Kapitel 5: Weg in die Krise --------------------------- Van öffnete Hitomi und Merle die Tür zum gesicherten Konferenz Raum der Villa De Farnel und ließ die beiden beiden Damen vor ihm eintreten. Seit der Verhaftung Allens waren ein paar Stunden vergangen, in denen Merle und Hitomi gebadet und gegessen hatten. Beiden hatte die Verteidigung der Stadt viel abverlangt. Merle wurde von Hitomi vorgelassen, da das Katzenmädchen momentan die wichtigste Frau Farnelias war. Außerdem bereitete Hitomi der Gedanke den Herren im Raum zu begegnen Unbehagen und riss sich daher nicht sonderlich darum die erste zu sein. Sobald alle drei drinnen waren und die Tür hinter ihnen geschlossen war, nahm Van und Merle schützend Hitomi in ihre Mitte. Die drei alten Herren, die bereits am Tisch saßen, erhoben sich zum Gruß. Während die Begrüßung- und Vorstellungsfloskeln kurz und knapp ausgetauscht wurden, zählte Hitomi in Gedanken auf, was Van ihr über Fiston, dem Vertreter der Bürger Farnelias, Josua, dem Vertreter der Tagelöhner, und Sagos, dem Vertreter der Bauern in den Dörfern, erzählt hatte. Der König hatte die Ernennung dieser Männer zulassen und ihnen ein Anhörungsrecht gewähren müssen, um sein Volk wieder zu vereinen. Für ihn war dieser Rat der Volksvertreter wenn überhaupt nur ein Barometer für die Stimmung der Bevölkerung, für Hitomi war der Rat erste Anzeichen von Demokratie im Land. Nachdem sich alle sechs Anwesenden gesetzt hatten, kam Josua gleich zur Sache. „Was ist bei der Übergabe des Weibes schief gegangen, euer Majestät?“, verlangte er zu wissen. „Sie werden meine zukünftige Frau mit Respekt behandeln, Herr Josua.“, mahnte Van verstimmt. „Was eure Frage betrifft, eigentlich war die Übergabe selbst ohne Probleme verlaufen. Der Crusador war bereits mit Fräulein Kanzaki in der Luft, als der Unterhändler Astorias darauf bestand, dass ich die Landung des Trägers gestatte und ihm die Regierungshoheit über Farnelia übertrage.“ „Mit welcher Begründung?“, fragte Fiston. Er schien als einzige der Vertreter nicht überrascht zu sein. „Angeblich habe ich dem Fräulein über die vergangenen Monate Zuflucht in Farnelia gewährt. Da ich gegen die Verträge der Allianz verstoßen hätte, hätte Astoria im Namen der Allianz das Recht, dies zu verlangen.“ „Stimmt das?“, erkundigte sich Sagos. „Nein.“, dementierte Van ohne jeglichen Zweifel. „Wo war sie dann die ganze Zeit über.“ „An einem geheimen Ort.“, warf Hitomi ein. „Es tut mir aufrichtig Leid, meine Herren, aber ich kann nichts weiter mitteilen, als dass König Van weder weiß, wo ich war, noch meine Gastgeber in irgendeiner Form unterstützte.“ „Könnt ihr es beweisen?“, meldete sich Fiston zu Wort. „Nein, Astoria kann aber auch nicht seine Position belegen. Sie werden verstehen, meine Herren, dass ich ihnen Farnelia nicht auf Grund ungerechtfertigter Anschuldigungen überlassen möchte.“, begründete Van den Widerstand gegen die Kräfte Astorias. „Was passierte, nachdem ihr die Forderungen zurückgewiesen habt?“ „Der Unterhändler befahl den sechs Guymelefs das Feuer auf die Stadt zu eröffnen. Währenddessen befreite sich das Fräulein Kanzaki aus dem Crusador und zerstörte mit ihren Fähigkeiten fünf der sechs Angreifer. Der letzte konnte Schüsse abfeuern, doch sie schützte die Stadt durch eine Barriere.“ „Ich nehme an, das war das Feuerwerk, das ganz Farnelia beobachten konnte. Wie habt ihr das geschafft?“, platzte Josua dazwischen. „Ich kann mit meinen Gedanken abgeschlossene Räume erschaffen. Am einfachsten kann ich mir eine Kugel vorstellen, aber ich kann auch Form und Größe verändern und die Barrieren bewegen.“ „Mit euren Gedanken?“, amüsierte sich Josua . „Warum kann außer euch das niemand?“ „Wenn ihr daran glauben würdet, dass ihr es könnt, dann könntet ihr es auch.“, belehrte Hitomi ihn ernst. „Prinzessin Merle besiegte daraufhin den letzten Guymelef, der von dem Himmelsritter Allen Shezar gesteuert wurde. Ich habe den Träger gestattet die Überreste der Guymelefs aufzusammeln und beiden Schiffen Astoria die Heimreise erlaubt. Die sechs Piloten und der Unterhändler sind in Gewahrsam. Drei der Piloten sind leicht verletzt, die anderen trugen keine Schäden davon.“, beendete Van seinen Bericht, um die Diskussion zu unterbinden. „Meinen Glückwunsch.“, lobte Fiston die Prinzessin. „Euer Sieg ist eine beachtliche Leistung.“ Merle bedankte sich. „Die Entwicklung dieser Übergabe jedoch ist eine einzige Katastrophe. Farnelia liegt an der Grenze zum verseuchten Gebiet und ihr widersetzt euch dem einzigen Verbündeten, der uns jetzt noch helfen könnte. Die Evakuierungspläne im Falle der Invasion, die wir mit Astoria über die vergangenen Monate ausgearbeitet haben, sind hinfällig geworden. Wir sind den Gezeichneten schutzlos ausgeliefert.“ „Ich nehme an, dass der Herr der Gezeichneten genau darauf gewartet hat.“, stimmte Van zu. „Aber wir haben noch eine andere Quelle von Schiffen. Draiden, der Vorsitzende der Händlerallianz, hat uns Unterstützung zugesichert.“ „Warum haben wir uns Astoria überhaupt an den Hals geworfen, wenn wir doch Schiffe haben.“, wunderte sich Sagos. „Weil die Händlerallianz und deren Kommunikationsnetz noch immer ein Mythos ist und Draiden möchte, dass es so bleibt. Wir sind eine von drei Regierungen, die überhaupt einen Zugang zu diesem Netz haben.“, sagte Merle. „Der Rest der Monarchen Gaias hat keine Ahnung und so können die Händler und Volk sich bei der Entwicklung der Wirtschaft gegenseitig helfen, ohne dass politische Interessen sie stören. Draidens Schiffe sind für den absoluten Notfall, weil deren Einsatz eine fortgeschrittene Koordination unter den Händlern offensichtlich machen würde. Jetzt, da wir Astorias Unterstützung verloren haben, sollten wir uns auf Chuzario konzentrieren. Sie haben zwar ihre eigenen Probleme, dennoch hätten wir dort am ehesten eine Chance für Unterstützung bei der Verteidigung und der Evakuierung unseres Landes.“ „Es gäbe da noch einen dritten Weg.“, verkündete Hitomi. „Überlassen sie mir die Katzenpranke mitsamt den Gefangen. Ich werde mich der Allianz in Pallas stellen und ihnen ihre Leute wiedergeben.“ „Ich fürchte, ein solches Opfer würde nicht reichen.“, gab Fiston zu bedenken. „Es ist zu einem Kampf zwischen Prinzessin Merle und dem Ritter Allen Shezar gekommen. Außerdem hat sich Farnelia der Allianz widersetzt. Lassen Astoria und Vasram dies auf sich sitzen, werden weitere kleine Staaten unserem Beispiel folgen. Sie müssen uns also den Gezeichneten ausliefern, damit jedes Mitglied der Allianz weiß, was passiert, wenn man sich den großen Zwei in den Weg stellt.“ „Wir sollten das Fräulein und die Gefangenen dennoch übergeben, wenn auch nur zur Schadensbegrenzung.“, meinte Sagos. „Diese Geste wird nichts bringen, wenn wir Chuzario um ihre Flotte bitten und im Gegenzug unser ganzes Getreide anbieten.“, widersprach Fiston. „Ich nehme an, ihr habt eine bessere Idee.“, forderte Sagos seinen Kollegen heraus. „Wir würfeln.“, schlug Merle vor. Alle Anwesenden wandten sich ihr zu. Das Mädchen biss sich verlegen auf die Lippen. Nicht einmal Van und Hitomi hatte sie die Idee unterbreitet, die sie jetzt vortragen wird. Aber...wer nicht wagt, der nicht gewinnt. „Einige Händler haben zweifellos die Ereignisse hier beobachtet. Gerüchte werden sich über das Händlernetz verbreiten, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. Vor allem die kleineren Länder der Allianz werden wissen wollen, ob an dem Gerede der Straße etwas dran ist. Wir bestätigen und korrigieren die Gerüchte bei den Monarchen persönlich und stoßen so eine Initiative an, die verlangt, dass der Willkür von Astoria und Vasram Schranken gesetzt werden. Zusammen haben die kleinen Staaten genug Gewicht um so eine Änderung der Verträge zu erzwingen. Wir müssten nicht einmal die Führung der Initiative übernehmen. Mit Sicherheit nimmt ein anderer Monarch uns diese Aufgabe ab, um selbst mehr Einfluss zu bekommen.“ „Und so sind wir nur ein Land unter vielen, mit denen es sich der Rat der Allianz nicht verscherzen kann. Sie haben nicht einmal einen Grund auf uns persönlich sauer zu sein.“,stimmte Josua zu. „Und wenn sie es wären, würde es wieder als Willkür ausgelegt werden.“ „Nur, wie sollen wir die Gerüchte persönlich bestätigen. Kaum jemand der hohen Herren wird uns einladen um uns anzuhören, und hier her kommen werden sie ganz gewiss nicht.“, wandte Sagos ein. „König Van und das Fräulein Hitomi werden in einem Monat heiraten. Zu diesem Zweck wird die zukünftige Königin von Farnelia binnen der nächsten zwei Wochen in jedes Land reisen, um die wichtigsten Einladungen zu persönlich überbringen und sich vorzustellen. Als Beweis deiner Zeugenaussage können wir dir die Aufnahmen des Funkverkehrs mitgeben. Dein erstes Ziel wird Pallas sein, wo du die Gefangen abgibst. Die letzten zwei Wochen wirst du dich dem Volk von Farnelia bekannt machen. Die Etikette kennst du ja bereits.“ „Aber ich muss die Vorwürfe gegen mich aus der Welt schaffen, Merle.“ „Das kannst du auch, aber nach der Hochzeit. Du hast als Königin eine Chance auf ein faires Urteil, als standeslose Frau wird es nicht einmal eine Verhandlung geben. Aston würde dich sofort irgendwo hin schaffen wollen, wo du ihm als Lustsklavin dienen kannst.“, prophezeite Merle. „Nur über meine Leiche.“, sagte Hitomi entschlossen. „Du würdest natürlich fliehen und alles ist so wie vorher. Der einzige Unterschied wird dann sein, dass es Farnelia nicht mehr lange geben wird.“ „Kaum ein Monarch wird bei dieser kurzen Frist zur Hochzeit zusagen können.“, brachte Fiston das nächste Gegenargument zur Sprache. „Egal was passiert, für Farnelia wird eine harte Zeit kommen. Die Hochzeit ist daher für das Volk und nicht für den Adel. Sie werden eine letzte Gelegenheit zum Feiern bekommen, ehe der Sturm über uns herein bricht.“, hielt Merle dagegen. „Ich hab dich nicht adoptiert, um mir meine Zukunft zu diktieren.“, äußerte sich Van verdrossen. „Tu nicht so, als würde ich dich zu etwas zwingen, was du nicht schon vorhast.“ „Und was, wenn ich trotz allem für den Ausbruch der Zaibacher Kriege verantwortlich gemacht werde?“, sorgte sich Hitomi. „Farnelia wird wohl kaum nichts tun können, wenn dessen Königin gefangen genommen wird.“ „In dem Fall führe ich einen Staatsstreich durch, der König Van entmachtet.“, lächelte Merle spitzbübisch. „Was auch immer er dann tut, ist nicht mehr Sache des Staates Farnelia. Selbst wenn die ganze Sache mit der Initiative schief geht, wäre die Situation nach der Hochzeit nicht schlimmer als davor. Wir können uns immer noch an Chuzario halten und binnen zwei Monate schaffen es die Gezeichneten nicht vor unsere Stadt, da ihnen die Transportmittel fehlen.“ „Ich bin einverstanden.“, verkündete Van. „Ich auch.“, seufzte Hitomi. Unter dem Tisch griff sie nach Vans Hand und lächelte fast unsichtbar. Eine seltsame Zufriedenheit breitete sich ihr aus, die sich langsam zu Freude steigerte. Wenigstens das Ja-Wort würde sie ihrem Liebsten noch geben können, egal was die Zukunft brachte. „Wir können euch nicht davon abringen, Majestät. In dem Punkt versagten schon mächtigere Leute bei eurem Vater. Aber bitte sorgt dafür, dass das Volk eure Liebe überleben wird.“, bat Fiston nachgebend. „Das wird es.“, versicherte Van. „Ich garantiere mit meinem Leben dafür.“ „Ich ebenfalls.“, schloss Merle sich an. „Dann sollten wir jetzt die Details klären.“, bestimmte der König und schaute jedem der Runde in die Augen. „Hat jemand bezüglich der Hochzeit Wünsche?“ Kapitel 6: Schmerzhafte Entwirrung ---------------------------------- „Das ist alles?“, wunderte sich Hitomi, als sie den himmelblauen Fliegeroverall und Schwert samt Scheide und Gürtel betrachtete, die auf den Tisch einer Asservatenkammer lagen. „Mehr hatte Allen nicht dabei?“ „Die Ingenieure Astorias müssen sich ihrer Sache sehr sicher sein. Nicht einmal Überlebensausrüstung haben wir in seinem Guymelef gefunden, geschweige denn Nahrung oder Wasser. Selbst das Funkgerät ist fest eingebaut.“, amüsierte sich Merle. „Also, warum sollte ich dir die Sachen zeigen?“ „Ich spüre nichts ungewöhnliches an Allen, das erklären könnte, wie er meinen Energiescheiben ausweichen konnte, und auch deine Erinnerungen konnten mir nicht weiterhelfen. Vielleicht ist ein Gegenstand für seine Kräfte verantwortlich, dann müsste er ihn aber beim Kampf bei sich gehabt haben.“ „Wie könnte ein Gegenstand dafür verantwortlich sein.“ „Energiesteine wandeln Gedankenenergie in physische um, weswegen Drachen nichts Essen, nicht einmal atmen müssen und Guymelefs sich bewegen.“, erinnerte Hitomi und nahm ihre Kette ab. „Sein Anzug wird es wohl kaum sein. Übrigens, warst du dabei, als er ihn ausgezogen hat?“ „Hä, spinnst du?“, fragte Merle peinlich berührt. „Entschuldige, ich dachte, du würdest dir eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen.“, antwortete sie, als wäre es das natürlichste der Welt. Nachdenklich betrachtete Hitomi ihre Kette, mit dem blass rosa Stein. „Mal sehen, ob wir etwas finden.“ Dann hielt sie das Schmuckstück über das Schwert in der Scheide. Mit einer Handbewegung regte sie die Kette zum Schwingen an und führte sie langsam über die Waffe, von der Spitze bis hin zum Griff. Als sie am äußersten Ende des Schwertgriffes angekommen war, änderte sich die Schwingung zu einer Kreisbahn. „Treffer.“, verkündete sie. „Sie dir mal bitte das Schwert an. Ist etwas im stumpfen Ende versteckt?“ Merle nahm die Waffe in die Hand und das besagte Ende unter die Lupe. „Da ist ein kleiner Spalt. Dank der schwarzen Farbe kann man ihn kaum erkennen.“ Sie grub die Spitzen von zwei ihrer Krallen in das Holz und zog mit sanfter Gewalt eine Umhüllung von dem Griff. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, was darunter verborgen war. „Was ist?“ Zur Antwort wendete Merle das Schwert in Hitomis Richtung. Deutlich konnte Hitomi einen Edelstein erkennen, der in dem Griff steckte und exakt ihrem Anhänger glich. Sie sah ihre Theorie bestätigt. Merle interpretierte den Ausdruck in den Augen ihrer Freundin richtig. „Du weißt, was mit Allen los ist.“ „Bis jetzt hatte ich es nur geahnt.“, entschuldigte sich Hitomi. „Er ist eine Partnerschaft mit einem Wächter eingegangen.“ „Einem Wächter?“ „So nennt das Drachenvolk die Erschaffer von Gaia. Als der Planet erschaffen wurde, flossen von jedem der Beteiligten dessen individuelle Vorstellung in das Werk mit ein. Der Grad des Einflusses jedoch war abhängig von der Stärke des Willens und von der Genauigkeit der Vorstellung. Auf Grund dessen waren es im Endeffekt nur wenige hundert, die das Grundgerüst von Gaia erschufen. Das Wissen einiger weniger Gelehrte zum Beispiel bildete das Fundament der Physik auf diesem Planeten. Diese Mitglieder des Drachenvolkes bezahlten aber einen hohen Preis dafür, dass ihre Wünsche im besonderen Maße berücksichtigt wurden. Ihre Seelen wurden Teil der Maschinerie, die das Konstrukt Gaia erhält. Sie werden Wächter genannt, verfügen über ungeheure Kräfte und sind unsterblich. Selbst wenn ihre Körper vernichtet werden, bleibt ein Edelstein zurück, der in ihrem Rückenmark steckt. Ihre Seelen sind in diesen Steinen gefangen, damit sie weiterhin die Energieflüsse in Gaia steuern können. Daher nennt das Drachenvolk diese auch Seelensteine.“ Bislang hatte Merle schweigend zugehört. Als Hitomi ihre Erklärung stoppte und sie voller Erwartung ansah, stellte sie ihre erste Frage: „Du willst mir also weismachen, dass es unsterbliche Wesen gibt, die in diesen Steinen wohnen.“ „Ja, im Prinzip könnte man es so ausdrücken.“ „Ah ja! Du hast etwas von einer Partnerschaft erwähnt.“ „Diese Seelen sind verflucht. Sobald sie ihre Körper verlieren, verlieren sie auch ihre Sinnesorgane. Sie können nichts wahrnehmen und sind dazu verdammt in einer Leere aus zu harren. Zwar können sie diese Leere mit einem Ort, der ihrer Vorstellung entspringt, füllen, doch sind sie auch dort gefangen und wirklich neues bietet sich ihnen nicht. Schließlich haben sie jeden Winkel ihrer Phantasie selbst erschaffen. Um wieder etwas von der Umwelt wahrnehmen zu können, müssen sie eine Symbiose mit einem Lebewesen eingehen, das ihnen seine Sinne zur Verfügung stellt. Damit das Wesen den Seelenstein bei sich behält, erfüllen sie die Wünsche des Wesens so gut es mit ihren eigenen Kräften möglich ist. Meist wird dieser Vertrag unbewusst geschlossen, ohne dass die Seele des Steins mit ihrem Partner in direkten Kontakt tritt. Ob sich Allen also bewusst ist, wem er seine Kräfte verdankt, kann ich nicht sagen.“ „Weißt du, wer in diesem Stein wohnt?“, hakte Merle nach. „Nein, um das herauszufinden, müsste ich Allens Bindung mit der Seele brechen und selbst eine schließen. Diese Bindung ist für mich jedoch zu stark. Ein Schwertkämpfer wie er betrachtet seine Waffe als eine Erweiterung seiner selbst. Wahrscheinlich stärkt das die Beziehung der Partner zu einander.“ Grübelnd betrachtete Merle den Stein im Schwertgriff. Dann kam ihr ein Gedanke. „Wer ist in deinem Seelenstein?“ Hitomi seufzte. „Ich kenne seinen Namen nicht. Um ehrlich zu sein, hatten wir nur ein einziges Gespräch miteinander und das ist nicht gut gelaufen.“, gab sie zu. „Ich weiß nur, dass er der Wächter der Zeit ist. Er kann die Zeit von Gaia im Verhältnis zum Mond der Illusionen schneller und langsamer ablaufen lassen, und sie sogar vor- und zurückdrehen.“ „Ein Er? Weiß Van von deinem Begleiter.“ „Natürlich weiß er es.“, behauptete sie. „Wie ich schon sagte, hegen wir keine Geheimnisse voreinander. Die Vereinigung unserer Gedanken hätte zwar ziemlich schief gehen können, aber das ist der Preis, den sein Erbe und meine Kräfte von uns verlangen und wir zahlen ihn gerne.“ „Wie ist er so?“ „Ein griesgrämiger, alter Mann. Ich vermute, er hat sich so sehr gewünscht, dass er auf der neuen Welt die Zeit zurückdrehen und sein Leben noch einmal Leben könnte, dass er die Kontrolle über Zeit bekommen hat.“, berichtete sie angewidert, woraufhin Merle aufhorchte. Dass Hitomi schlecht von einem Wesen sprach, kam äußerst selten vor. „Persönlich hat es ihm wohl nichts genutzt.“ „Wendet er seine Macht auch an?“, fragte sie Hitomi weiter aus. „Erinnerst du dich an die Geschichte von Allens Vater, wie er zum Tal der Wunder reiste?“ Merle nickte. „Er kam nicht zurück, also muss er seine Kinder davor gezeugt haben. Aber das Mädchen, auf das er traf, war meine Großmutter. Sie war damals etwa so alt wie ich, als ich das erste mal nach Gaia kam.“ „Deine Großmutter? Aber das würde bedeuten, dass Allen ein sehr alter Mann ist.“, witzelte Merle erstaunt. „Ich denke mal, dass dir meine Erklärung zu diesem Phänomen besser gefällt.“, vermutete Hitomi ebenso scherzhaft. „Außerdem wurde ich, als ich das erste Mal nach Hause zurückkehrte, zu einem Zeitpunkt vor meinem Aufbruch geschickt.“ „War das gut für dich?“ „Nun ja, irgendwie schon. Das ist so, als würde man ein Buch mehrmals lesen. Bei jedem weiteren Durchgang fällt einem mehr auf als vorher.“ „Was ist passiert?“, verlangte Merle in hemmungsloser Neugier zu Wissen. „Kurz gesagt, war ich weniger mit mir selbst beschäftigt, da ich schon wusste, was mir meine Freundin offenbaren würde.“, erinnerte sich Hitomi mit einem rätselhaften Glänzen in ihren Augen. „So habe ich bemerkt, dass sie schon lange in meinem Schwarm verliebt war.“ Der Prinzessin verschlug es die Sprache. „Kannst du dir ein solches Opfer, Merle? Sie hat um unserer Freundschaft Willen nichts gesagt und mir sogar geholfen, ihn für mich zu gewinnen. Ich frage mich heute noch, wie ich ihr das je wieder gut machen kann?“ „Hast du dafür gesorgt, dass sie zueinander finden, deine Freundin und dein Schwarm?“, sagte Merle mit mühsam kontrollierter Stimme. „Natürlich.“, antwortete Hitomi verwundert. „Dann brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Du und deine Freundin seid quitt.“, verkündete das Mädchen mit Tränen in ihren Augen. „Was hast du?“ „Ich weiß das, denn als du mich und Allen zusammen losgeschickt hast, hast du mir das größte Geschenk gemacht, auch wenn ich erst jetzt zu schätzen weiß.“ Hitomi trat näher an Merle heran und nahm sie fest in ihre Arme. Merle war diese seltene Nähe vertraut und so überließ sie sich völlig der Gefühle, die aus ihr raus sprudelten. „Die Reise mit ihm im Wald war die schönste Zeit, die ich je hatte, und jetzt tritt dieses Arschloch meine Erinnerungen mit Füßen.“ Unter Hitomis Sorge für das zerbrechliche Geschöpf mischte sich Unverständnis. „Wie kann er es wagen? Wie...?“ „Was sollte er denn tun?“, fragte Hitomi sacht. „Hätte er nicht gekämpft, würde man ihn in Astoria des Hochverrat anklagen. Der Unterhändler hatte seine Autorität von Aston persönlich.“ Merle riss sich los. „Und um das eigene Leben zu schützen, zerstört er andere. Wärst du nicht da gewesen, wären Menschen gestorben, unschuldige!“ „Hast du nicht auch schon getötet, um das Leben deines Bruders zu retten?“, warf Hitomi ihr vor. Das versetzte Mädchen hielt inne und schien einen Moment mit sich zu ringen. „Vielleicht.“, gab sie zu und verfiel aber wieder in Rage. „Schließlich ist sein Schutz meine Aufgabe. Wen könnten Farnelias Bürger bitte schön schaden?“ „Wenn er verurteilt und hingerichtet werden würde, wäre seine Schwester ganz allein.“, klärte Hitomi sie auf. „Seine Schwester?“, fragte Merle ungläubig. „Hat er denn noch eine andere bis auf das Mädchen, das verschwunden ist?“ „Sie heißt Serena und er hat sie am Ende des Krieges wiedergefunden. Jetzt sorgt er und sein Wohlstand für sie. Wusstest du das nicht?“ „Nein, er hat nie etwas gesagt und ich war nie in seinem Haus.“, gab Merle zu. Sie war geschockt und musste sich setzten. Viele seiner Aussagen wurden auf einmal viel klarer. Kraftlos sank sie über dem Tisch zusammen, auf dem Allens Sachen lagen.„Erzähl mir alles über sie, was du weißt!“, forderte sie, nachdem sie sich gefangen hatte. „Das sollte Allen selbst tun.“, weigerte sich Hitomi. „Wenn er mich mit seinen Problemen belasten wollen würde, hätte er es schon getan.“, konterte Merle. Dieser Dickschädel, dachte Hitomi und gab nach. „Sie ist nur ein wenig älter als ich, höchstens ein, zwei Jahre, und wurde von den Zaibachern entführt und für ein Experiment missbraucht.“, erzählte sie. „Allen hat Falken über Dilando ausgefragt und dabei angedeutet, dass seine Schwester Dilando wäre. Anscheinend hat man versucht, einen anderen Menschen aus sie zu machen. Sie hat schon mehrmals die Persönlichkeit gewechselt. Allen ist stets kurz angebunden, wenn es um sie geht, daher weiß ich auch nicht mehr. Und ob es jemand anderes gibt, der diese Umwandlung gesehen hat, ist fraglich.“ Auch wenn Merle ruhig geblieben war und Hitomi hat ausreden lassen, waren ihre Augen plötzlich eiskalt. „Die Person, die Farnelia niedergebrannt hat, wohnt unter einem Dach mit ihm?!“, fauchte sie. „Serena kann nichts dafür und sie hat ein Recht auf ein Leben, egal was Dilando getan hat.“, verteidigte Hitomi Allens Schwester. „Scheiß drauf!“, schrie Merle. „Sie hätte doch die Kontrolle übernehmen können, als das Aas Farnelia angegriffen, Allens Männer getötet, in Palas gewütet und Fraid zerstört hat. Was für ein Recht auch immer sie mal gehabt haben mag, sie hat es verwirkt, als sie weggesehen hat.“ „Du bist sehr schnell mit deinem Urteil, obwohl du kaum etwas über den Fall weißt“, kritisierte Hitomi ungehalten. „Das ist mein Job!“ „Könnte es sein, dass Allen dir nichts gesagt hat, weil er deine Strafen fürchtet? Möchtest du seine Zweifel bestätigen?“ Als Merle daraufhin schwieg, entschloss sich Hitomi ihr noch einen Schubs in die richtige Richtung zu geben. „Wir reden hier über seine Schwester, die einzige Familie, die er hat. Möchtest du ihm das Glück, das du seit wenigen Monaten offiziell erfahren darfst, verweigern?“ Das Katzenmädchen brach endgültig unter der Last zusammen. Sie schluchzte und Tränen flossen ohne Unterlass. Entgegen dem Bedürfnis sie wieder zu trösten rührte sich Hitomi nicht von der Stelle und gab ihr Zeit die Gedanken zu sammeln. „Wir hatten wohl nie wirklich eine Chance.“, äußerte sich Merle schließlich mit angekratzter Stimme. Wieder falsch, kommentierte Hitomi. „Weißt du, da wo ich herkomme, handeln die schönsten Liebesgeschichten von einem Ritter und einer Prinzessin. Das ideale Paar! Keiner von ihnen hat es leicht, bei all den Drachen, die zwischen ihnen stehen, doch sie schaffen es immer und werden glücklich bis an das Ende ihrer Tage.“ „Alles Märchen!“, quittierte Merle. „Schon Milerna musste er sitzen lassen und mit mir klappt es auch nicht.“ „Gibst du auf, obwohl eure Geschichte noch gar nicht zu Ende ist?“, hinterfragte Hitomi listig. „Solange die Helden noch atmen, geht das Epos weiter. Selbst die Geschichte um Allen und Milerna dürfte noch nicht am Ende angekommen sein. Noch hast du ihn nicht verloren, aber du wirst, wenn du deinen Kopf in den Sand steckst.“ „Aber genau davor hab ich Angst.“, gab Merle niedergeschlagen zu. „Ich hab Angst in das Zimmer zu gehen, in dem ich ihn festhalte und ihn frei zu lassen. Ich werde ihn nie wieder sehen.“ „Gilt dieses mangelnde Vertrauen mir oder Allen?“, fragte Hitomi gekränkt. „Hab ich dir nicht vor kurzem versprochen, dass eure Hochzeit eine Brücke über den Graben zwischen Astoria und Farnelia schlagen wird? Wozu geh ich denn nach Palas, wenn nicht um den ersten Spatenstich zu setzen?“ „Du meinst also, ich soll ihn gehen lassen?“, zweifelte Merle. „Wenn du es nicht tust, wird er nie zurückkommen.“, erwiderte Hitomi zuversichtlich. Kapitel 7: Öffnen der Käfigtür ------------------------------ Merle atmete bewusst tief durch, als sie vor dem Gästezimmer stand, in dem Allen eingeschlossen war. Wie allen seiner Kameraden hatte man ihn und den Unterhändler in Einzelquartiere untergebracht, die eigentlich viel zu gut für Gefangene waren, doch Hitomi hatte darauf bestanden, im Namen der Schadensbegrenzung. Damit die Wache vor dem Zimmer dem Zögern Merles nicht zu viel Beachtung schenkte, trat sie schnell und mit einer Maske der Entschlossen über ihrem Gesicht ein. Dass sie vielleicht hätte anklopfen sollen, fiel ihr erst einen Moment später ein. Allen saß im Sessel des kleinen, aber komfortablen Zimmers und las ein Buch. Mit wenig Interesse schaute er auf, sprang dann aber auf, nachdem er den Eindringling erkannt hatte. Streng nach Protokoll nahm er die ihm angebotene Hand und deutete einen Handkuss an. „Guten Tag, euer Hoheit. Euer Besuch ehrt mich.“, begrüßte er Merle. Angesichts seiner Floskel überfiel sie eine bedrückende Melancholie. Sie funkelte ihn wütend an. „Eine Ehre, die einem Aggressor eigentlich nicht gebührt. Schätzt euch glücklich, dass meine Krallen eurer Kehle fern bleiben.“ Zufrieden beobachtete sie, wie Allen schluckte. Dieses Treffen musste streng nach Drehbuch laufen, wenn es die richtige Wirkung entfalten sollte. „Ich habe euer Schwert dabei.“, verkündete sie das Offensichtliche und zeigte ihm ihre linke Hand. Fordernd hielt sie es vor seiner Nase. „Fasst es an!“, verlangte sie. Allen war verwirrt. „Verzeiht, euer Hoheit, aber ich bin ein Gefangener. Wenn ich das tue...“ Angesichts der Erkenntnis, dass Allen ihr tatsächlich nicht vertraute, wurde ihr Herz um weitere Tonnen schwerer. „Tu es oder ich helfe nach!“, brach ihre Stimme wütend aus ihr heraus. Zögernd kam Allen der Drohung nach und berührte mit der Linken die Scheide. Merle schloss ihre Augen und begann ihren stummen Dialog. Wächter, wie ihr wisst, bin ich Merle de Farnel und ich weiß, dass ihr mich versteht. Antwortet bitte. Ich muss mit euch reden. Sie versuchte es noch ein paar Minuten auf die sanfte Art und Weise. Währenddessen rätselte Allen über das Mädchen, dass scheinbar wehrlos vor ihm stand. Es sollte keine Schwierigkeit für ihn sein, jetzt das Schwert zu ziehen und... Eilig brach er diesen Gedankengang ab. Jetzt reicht es!, ließ Merle der Seele im Schwert wissen. Redet mit mir oder ich nehme euren Stein und versenke ihn im Meer. Dieses Versprechen zeigte Wirkung. Plötzlich veränderte sie das Bild vor ihrem inneren Augen. Aus einem schwarzen Vorhang wurde eine Stadt aus weißen Stein, Terrassen und unzähligen Säulen, die die makellosen Gebäude umgaben. Ihr Blick flog von der Terrasse, auf der sie stand, über die Dächer einem Abhang hinab zu einem strahlend blauen Meer unter einem Himmel mit wenigen, fast schon winzigen blauen Wolken und einer strahlenden Sonne. Zwischen Meer und Stadt war ein schneeweißer Strand, der von hohen, schroffen Klippen eingerahmt wurde. „Wolltest du nicht reden?“ Einen Moment aus der Bahn geworfen wandte sich Merle der Frau zu, die sie angesprochen hatte. Bis auf das Alter entsprach sie genau dem, was Merle bei Allen erwartet hatte. Sie hatte lange, blonde Haare, helle Haut, die sie unter einer weißen Tunika verbarg, und ein sanftes Lächeln auf den Lippen. Nur das Feuer in ihren Augen verriet Merle, dass sie ihr nicht wohl gesonnen war. Die Frau saß an einem kleinen, mit Teegedeck beladenen Tisch und nahm dabei den einzigen Stuhl in Anspruch, der da war. „Bitte verzeiht die Art meines Eindringens, gnädige Frau,“, entschuldige sich Merle aufrichtig. „aber ich glaube, ich habe ein Recht darauf zu erfahren, wer meinen Freund für sich beansprucht.“ „Und? Was denkt ihr, nun da ihr mich gesehen habt?“, erkundigte sich die Frau desinteressiert. „Zeigt ihr ihr euch so, wie ihr wart, oder verarscht ihr mich?“ „Mein Güte, an eurem Ausdruck müsst ihr feilen, euer Hoheit, oder euer Bruder wird keine Wahl haben, als euch an den erst Besten verschachern.“ „Ihr habt meine Frage nicht beantwortet.“ „Mein Avatar sieht so aus, wie ich mich in Erinnerung habe.“, behauptete die Frau. Plötzlich stellte sie mit Merle Augenkontakt her, woraufhin die Prinzessin das Gefühl hatte durchleuchtet zu werden. „Ihr glaubt mir nicht. Ihr wisst, dass ich in meinem Haus alle Eindrücke kontrolliere. Hitomi hat es euch erzählt.“ Merle schnappte nach Luft. Hatte sie zu laut gedacht? „Nein, das ist meine Gabe.“, antwortete die Wächterin auf Merles nicht gestellte Frage. „Ich kann von allen Lebewesen auf Gaia die Gedanken empfangen. Kein noch so kleine Welle geht im Meer verloren und ich spüre sie alle.“ „Selbst wenn die Urheber sich abschotten?“, staunte Merle. „Selbst dann. Bisher noch keiner eine Barriere errichtet, die seine Gedanken vollständig absorbiert. Ich muss nur genau zuhören.“ „Dank euch hat Allen Gezeichnete ausmachen können.“ „Ja, ich nehme seine Wahrnehmung und werte sie auf eine Art und Weise aus, zu der er nie in der Lage sein wird.“, profilierte sich die Wächterin. „Weiß Allen von seinem Glück?“, erwiderte Merle säuerlich. „Nein, bisher hielt ich es nicht für notwendig, mich zu offenbaren.“ „Jetzt ist es das aber! Immerhin war das Schwert, in dem euer Seelenstein steckt, im Besitz von Trias. Das ist Grund genug für mich, euch ins Meer zu schmeißen.“ „Warum befragt ihr mich stattdessen nicht einfach zu meinem Verhältnis zu dem Mann.“, wunderte sich die Frau. „Weil ich eurer Antwort nicht traue. Ich habe keine Garantie, dass ihr mir die Wahrheit sagt.“, begründete Merle eiskalt. „Aber Allen Shezar soll mir glauben?“ „Ihr seid in seinem Schwert. Es ist seine Entscheidung. Da ihr euren Wirt nicht kontrollieren könnt, ist es auch wirklich seine. Wenn er mir vor seiner Abreise nicht das berichten kann, was ihr mir gerade erzählt habt, muss ich davon ausgehen, dass er seine Wahl mit unzureichenden Information getroffen hat, und mache meine Drohung wahr. Dann könnt ihr für alle Ewigkeit in der Dunkelheit euer lebloses Dasein fristen.“ „Was ist so schlecht daran nicht alles zu wissen?“, fragte sich die Frau, während sie an ihrem Tee nippte. „Euch bereitet dieser Zustand jedenfalls kein Kopfzerbrechen.“ „Wie bitte?“, hakte Merle nach. „Erklärt euch!“ „Euch hat niemand etwas gesagt?“ Verwundert schaute die Wächterin auf. „Vor einem Moment glaubte ich noch, ihr würdet nur einfach nicht mehr daran denken.“ „Woran?“ „Dass euch etwas fehlt. Aus eurem Kopf kommen Gedanken, die nicht die euren sind. Jedenfalls schenkt euer Körper ihnen keine Beachtung. Dennoch sind sie da.“ „Was für Gedanken?“ „Unverständliche. Da diese Gedanken nicht aus eurem Bewusstsein kommen, kann kein Bewusstsein ihnen eine semantische Bedeutung zuordnen.“ „Warum habt habt ihr geglaubt, ich wüsste davon?“, erkundigte sich Merle beunruhigt. „Sowohl Hitomi als auch Varie sollte euer Zustand nicht entgangen sein. Da Fräulein Hitomis Spezialität Erinnerungen sind, sollte sie euch sogar noch mehr sagen können.“, erklärte die Frau. Enttäuscht und wütend ballte Merle ihre Hände zu Fäuste. „Ich hab eine letzte Frage.“, verkündete sie. „Könnt ihr Dilando aus Serena vertreiben?“ „Ihr meint, ob ich Dilando töten kann, ohne dass die Frau stirbt.“, verbesserte die Wächterin. „Nein, kann ich nicht, und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun.“ „Warum nicht?“ „Also doch nicht die letzte Frage.“, erwiderte die Frau amüsiert. „Dilando mag ein schrecklicher Mensch sein, doch auch er hat seine guten Seiten. Er kann dieser Welt noch so viel geben und viel mehr noch von ihr empfangen. Ich könnte es ebenso wenig übers Herz bringen ihn zu töten wie Serena.“ „Dilando und Gute Seiten? Niemals!“, schrie Merle ungläubig. „Er hat den Respekt seiner Männer nicht nur durch Schläge errungen.“, belehrte die Frau die aufgebrachte Prinzessin. „Wenn ihr Dinge nur aus einem Winkel betrachtet, werdet ihr nie das Ganze sehen.“ „Warum habe ich nur das Gefühl, dass ihr von Hitomi klaut?“ „Sie und ich hatten die gleichen Lehrer.“ „Pah, hoffentlich wird sie nie so wie ihr!“, wünschte sich Merle genervt. „Interessant.“, kommentierte die Frau. „Was stimmt an mir nicht?“ „Bis auf das Offensichtliche?“, fragte Merle rhetorisch. „Dass ihr die Leiden aller Wesen seit Jahrhunderten spüren könnt und dabei nicht irre werdet, heißt doch, dass ihr eure Sinne davor verschließt. Hitomi bringt es nicht über ihr Herz das zu tun, obwohl sie die Stimmen dieser Welt ebenfalls hört.“ „Die Freude dieser Welt überwiegt das Leiden.“, widersprach die Wächterin. „Für jeden, der um einen Toten trauert, gibt es einen, der sich über ein neugeborenes Kind freut. Zugegeben, es ist schwieriger die Freude dieser Menschen wahrzunehmen, weil jeder sie für sich behält und nur mit wenigen teilt, während die anderen ihr Leid heraus schreien, aber man kann lernen auch leise Klänge wahrzunehmen. Ich muss nicht wegsehen, um mich an Gaia zu erfreuen.“ „Dann hatten die Hebammen während der Schlacht um Sarion fiel zu tun.“, schlussfolgerte Merle sarkastisch. „Statt darüber zu jammern, wie schlecht es Menschen auf dieser Welt ergeht, solltet ihr hinaus ziehen und ihnen helfen.“ „Keine Angst, ich werde gehen, doch zuvor hab ich ein Anliegen.“ „Nun, es sich anzuhören, kann ja nicht schaden.“, erwiderte die Wächterin trocken. „Ich werde gleich die Bindung zu Allen offiziell brechen. Sobald ich eine geeignete Unterkunft gefunden habe, werde ich außerdem seine Schwester entführen.“, verkündete Merle entschlossen. „Wenn es geschehen ist, erzählt ihm, dass ich es war.“ „Eure Bitte ist umsonst. Er wird es auch so wissen.“ „Wenn ihr meint.“ Merle löste in der realen Welt ihre Hand von der Scheide. Die Welt vor ihrem inneren Auge brach zusammen und sie sah wieder in ihre Augenlider, die sie sogleich anhob. Allen starrte sie noch immer unschlüssig an. Auf Abstand bedacht trat sie zurück. „Ihr könnte das Schwert behalten. Morgen früh werden der Botschafter und eure Kameraden auf die Katzenpranke verlegt und nach Pallas geflogen. Ihr werdet deren Eskorte sein und in eurem Guymelef neben dem Schiff fliegen. Das Fräulein Hitomi hat die Befehlsgewalt für diesen Flug. Bis zur Einsatzbesprechung morgen wartet bitte hier in diesem Zimmer. Guten Tag, Himmelsritter.“ Merle spürte wie ihre Fassade zu bröckeln begann und wandte sich zu Tür, als Allens Stimme sie zurückhielt. „Warte, Merle, bitte hör mich an!“ Es bedarf aller Kontrolle, die sie aufbringen konnte, nicht dem Verlangen nachzugeben, sich um zu drehen und in seine Arme zu werfen. „Sei still!“, befahl sie herrisch und flüsterte dann. „Es war nur ein Traum.“ Aufgewühlt stürzte sie aus dem Gästezimmer und schlug hinter ihr die Tür zu. Nur am Rande bekam sie das Pochen des Holzes hinter mit, als Allen dagegen trat und schlug. Fast hätte sie ihren kraftlosen Beinen nachgegeben, doch sie bemerkte gerade rechtzeitig die Anwesenheit der Wache. Sie nahm ihre letzten Reserven und torkelte zu ihren Gemächern. Kapitel 8: Erinnerung --------------------- Wann immer Hitomi und Van in trauter Zweisamkeit zusammen waren, sprudelte die Freude über das gemeinsame Glück förmlich aus ihnen heraus und überflutete die ganze Herrschervilla in Farnelia. Selig sind die, die nur ihre eigenen Gedanken kennen, dachte Merle säuerlich, denn sie müssen nicht ertragen, was ich gerade wahrnehme. Da ihr selbst ernannter Bruder und ihre beste Freundin nicht oft gemeinsam allein waren, hatte Merle ihnen dieses Vergnügen bisher gegönnt, doch nun war sie definitiv in der Stimmung das Paar zu stören. Ganz nebenbei war es kurz vor Sonnenaufgang, was bedeutete, dass die Katzenpranke mitsamt der Gefangen und Hitomi in wenigen Stunden nach Pallas, der Hauptstadt von Astoria, aufbrechen sollte. Allen sollte in seinem Guymelef dem Schiff als Eskorte dienen und würde wohl nicht mehr sobald nach Farnelia zurückkehren, was der Grund für ihre Missstimmung war. Merle selbst hatte alle Brücken abgebrochen, doch dieser Schritt nagte auch nach ein fast schlaflosen Nacht noch immer an ihr. Für diesen Tag hatte sie die alte Uniform aus ihrer Zeit in der königlichen Leibwache ausgewählt. Der schwarze Ganzkörperanzug war genau die richtige Kleidung um sich allen Männern zu präsentieren, ihre Blicke einzufangen und ihnen gleichzeitig von Vornherein eine Absage zu erteilen. Ihr Gang war der Kleidung entsprechend aufreizend. Mit eleganten, energischen Schritten ging sie auf Vans Gemächer zu. Er und Hitomi verbrachten die Nächte innerhalb der Kuppel über seinem Arbeitszimmer, deren Wand eine Imitation des nächtlichen Himmels über Gaia schmückte. Zweifellos der beste Ort um zu verdrängen, wo man eigentlich war. Anders konnte sich Merle nicht erklären, wie die beiden angesichts des anstehenden Abschieds sorglos und...freizügig miteinander umgehen konnten. Doch sie würde die beiden schon noch an ihre Pflichten erinnern. Ohne anzuklopfen betrat Merle Vans Arbeitszimmer, das einen imposanten Blick auf die erwachende Stadt ermöglichte. „Van! Hitomi! Seid ihr wach?“, rief sie in die Räumlichkeiten hinein, obwohl sie die Antwort längst wusste. Sofort wandelten sich die Gedanken der beiden von einem genüsslichen Plätschern in ein unruhiges Pulsieren. Merle Ohren vernahmen geflüsterte Fluche und das Rascheln von Kleidung. Als wüsste sie nicht, was oberhalb der Wendeltreppe geschah, ging sie bedächtig durch das Zimmer auf den Aufgang zu. „Ich komme nach oben.“ Bevor sie ihre unschuldig geäußerte Drohung wahr machen konnte, erschien Hitomi, bekleidet mit einem Nachthemd, oberhalb der Treppe. Sie trippelte eilig wenige Stufen hinunter und beugte sich unter die Decke. Mit einen aufgesetzten Lächeln begrüßte sie das Katzenmädchen, das in ihrer Uniform sehr viel älter wirkte, als sie war. „Guten Morgen, Merle, was machst du jetzt schon hier?“, erkundigte sie sich. „Ich sorge dafür, dass du in die Puschen kommst. Wir wollen doch beide nicht, dass die Katzenpranke zu spät startet.“, antwortete Merle spitzbübisch. „Natürlich nicht.“, stimmte Hitomi leicht ironisch zu. Als Merle die ersten Stufen nahm, um zu ihr zu kommen, kam sie dem Mädchen schnell entgegen. Während Merle sich von der Treppe wegführen ließ, spekulierte sie, wie es dort oben aussah. Außerdem zweifelte an dem Sinn von Hitomis Vorsicht. Das Katzenmädchen gestand ein unerfahren zu sein, hielt sich aber keinesfalls für unwissend. Mit dem Willen diese Groteske auf die Spitze zu treiben, brachte sie ihrer Freundin Widerstand entgehen. „Warum gehst du dann zum Schreibtisch?“, fragte sie neugierig. „Wir müssen nach oben. Ich helfe dir beim Ankleiden“ „Lass uns warten, bis Van sich angezogen hat. Ein König hat stets den Vortritt.“, widersprach Hitomi. „Unsinn, ich hab schon alles von ihm gesehen, wahrscheinlich mehr als du.“, konterte Merle und stürmte auf die Treppe zu. Hitomi stellte sich ihr den Weg. „Ich brauch deine Hilfe nicht. Du wartest hier, während ich mich fertig mache. Ich schick ihn herunter, damit er dir Gesellschaft leistet.“, schlug Hitomi versöhnlich vor, doch Merle ließ sie nicht vom Haken. „Quatsch, wenn ich dich allein nach oben gehen lasse und er ist noch dort, knutscht ihr beiden nur wieder ewig und du kommst zu spät.“ Während Hitomi verlegen lachte, schob sich Merle an ihr vorbei und ließ sich diesen Mal nicht aufhalten. Als sie oben ankam, zog Van gerade die Bettdecke glatt und setzte sich darauf. Bekleidet war er, wie es seine Schwester erwartet hatte, mit einem einfachen Hemd und einer Hose. „Guten Morgen, Merle. Was gibt es?“, begrüßte er sie. Etwas zu scheinheilig, wie Merle fand. Das Zimmer sah zur ihrer Enttäuschung vollkommen normal aus, weswegen Hitomi wohl gerade so erleichtert aufatmete. Die Prinzessin wunderte sich schon über den ganzen Aufstand, doch dann fielen ihr ein paar kleine Ausbuchtungen auf dem Bett auf. Eiskalt schlug sie weiche Decke vom Fußende aus zurück und enthüllte mehrere Häufchen an Kleidung, die verdächtig nach den Sachen aussahen, die Van und Hitomi am Vorabend getragen hatten. Plötzlich war sie todernst. „Hitomi hat behauptet, du würdest mich als eine Erwachsene ansehen, Van.“, begann sie ihre Standpauke. „Leider muss ich feststellen, dass nicht nur sie sondern auch du mich für ein kleines Kind hältst. Angesichts dessen, was ich alles bisher getan habe, kann ich es kaum glauben.“ Ihr Vorwurf war kurz, aber scharf. Hitomi konnte diesen so nicht stehen lassen. „Wie kommst du darauf, Merle? Nur weil wir Teile unserer Beziehung für uns behalten wollen...“ „Ihr verheimlicht mir etwas.“, begründete Merle ihre Anklage. „Jedenfalls hat das die Wächterin in Allens Schwert das behauptet. Etwas, dass mit mir zu tun hat.“ Hitomi wandte ihren Blick ab, Vans Schultern sackte merklich ab. „Ihr wisst, wovon ich spreche.“ „Ich weiß es doch auch erst seit wenigen Wochen.“, verteidigte sich Hitomi. „Und mir ist nicht einmal klar, was ich weiß.“ „Das musst du mir erklären.“ Besorgt führte Hitomi Merle zum Bett und beide setzten sich auf die weiche Kante. Van, der schon zuvor auf der anderen Seite Platz genommen hatte, spitzte die Ohren, gesellte sich aber nicht zu ihnen. „Als du mir deine Erinnerungen gezeigt hast, ist mir etwas beunruhigendes aufgefallen. Dazu musst du wissen, dass ich die gesamten Erinnerungen eines Menschen als eine Art Stofftuch visualisiere, dessen Länge für die Zeit steht, die die Ereignisse zurückliegen. Ein einzelner Faden stellt dabei eine Erinnerung dar. Je ein Zeitpunkt zurück liegt, desto ausgefranster ist dieses Tuch, da die Erinnerungen schlechter werden. Spätestens in den ersten Lebensjahren ist kein Faden mehr übrig. Deine Erinnerungen sehen jedoch anders aus.“ „Wie?“, fragte Merle nach. „Als hätte jemand sie abgeschnitten. Auch dein Tuch ist in einem schlechteren Zustand, je weiter die Zeit reicht, aber die letzten Fäden hören alle an einem Punkt auf. Und ich kann die Erinnerungen dieser Fäden nicht einsehen.“, erklärte Hitomi. „Jemand hat sich an meinem Gedächtnis zu schaffen gemacht?“ „Das kann ich nur vermuten, einen Beleg hab ich nicht. Wenn, dann ist es in deiner frühen Kindheit passiert.“ „Könnte es damit zu tun haben, dass ich eine Waise bin?“, hakte Merle aufgekratzt nach. „Ich hab keine Ahnung. Bei all deinen Erinnerungen, die ich sehen konnte, warst du bereits in der Obhut der Königsfamilie.“ „Die Antwort, warum ich ohne Eltern aufgewachsen bin, könnte noch in mir drin sein, aber ich komm nicht ran?“ „Wenn du deine Eltern bei einem traumatischen Ereignis verloren hast, ist die Chance groß, dass die Erinnerung geblieben ist.“, meinte Hitomi. „Aber ich kann auch nur spekulieren.“ „Wie kann ich die Erinnerungen zurückholen?“ „Ich weiß nicht einmal, was die Erinnerungen blockiert.“, versuchte sie es Merle noch einmal verständlich zu machen. Dann aber zuckten ihre Augen kurz in Vans Richtung. „Was ist?“, hakte Merle nach. „Es könnte eine Möglichkeit geben.“, erwiderte Hitomi bedächtig. „Es gibt keine Skala, an der ich sehen kann, wie weit eine Erinnerung zurückreicht. Doch sind die Fäden von Antigonos sehr viel länger als deine oder Vans. Wenn das Maß der Länge bei allen Wesen für mich gleich ist, kann ich eure Fäden miteinander vergleichen und eine Erinnerung von Van finden, die kurz vor deinem Gedächtnisverlust stattgefunden hat.“ „Du weißt es aber nicht mit Sicherheit.“, stellte das Katzenmädchen fest. „Nein, ich hatte bisher keine Gelegenheit, es nachzuprüfen, da ich meine Fähigkeit vor dem Drachenvolk geheim gehalten habe. Nur Antigonos weiß davon.“ „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Van eine solche Erinnerung hat?“ „Er hat sie garantiert.“, versicherte Hitomi. „In den Flügeln eines Nachfahren dieses Volkes stecken seine gesamten Erinnerungen mitsamt den Erinnerungen seiner Vorfahren bis zu dem Augenblick, in dem das erste Paar Flügel der Ahnenreihe entstand.“ „Und du hast Zugriff darauf?“, staunte Merle. „Ja. Ich muss nur ein Feder aus dem Flügel berühren.“ „Warum hast du ihnen nichts erzählt? Ahnst du, welchen Wert...“ „Ich weiß, welche Gefahr meine Fähigkeit darstellt.“, unterbrach Hitomi ungeduldig. „Sie hätten mich kaum am Leben gelassen, hätten sie davon gewusst. Und im Übrigen erkenne ich keinen Sinn darin, dass du mich weiter ausfragst. Wie du schon sagtest, ich hab nicht viel Zeit.“ „Vielleicht möchte ich sicher gehen, dass es auch funktioniert, bevor ich dich ein weiteres Mal in meinen Kopf lasse.“, antworte Merle pikiert. „Es gibt nur einen Weg das raus zu finden.“, seufzte Hitomi und rutschte in die Mitte des Bettes. „Legt euch nebeneinander und entspannt euch.“ Van und Merle gehorchten zögerlich. Sobald Hitomi anhand der Gesichter sicher war, dass man ihr keinen Widerstand entgegen bringen würde, berührte sie mit ihren Handflächen die Köpfe der beiden. Wortlos bat sie Van um eine Feder, woraufhin er schelmisch lächelte. Überrascht spürte Hitomi das sanfte Kitzeln in ihrem Genick. Sie sandte einen stummen Dank für den aufheiternden Scherz. Wie sie es angekündigt hatte, verglich sie die Erinnerungen der Geschwister und das perfekte Tuch der Feder miteinander und wählte dementsprechend einen Augenblick aus, der direkt vor Merles Gedächtnisverlust lag. Nachdem sie Bilder aus der Vergangenheit gesehen hatte, runzelte sie die Stirn, befand den Inhalt jedoch für unbedenklich und zeigte ihn den beiden. Die Leere wurde zu Farben. Zu dritt schwebten sie geborgen in einer grünen Aura in einem hohen Raum mit einer riesigen Wandmalerei und mit bunt geschmückten Kreisen auf den Boden, deren Lamellen Hitomi an die Turbine eines Flugzeugs erinnerten. Umrahmt wurde das Innere von einem niedrigeren Gang, der durch schmale Säulen vom Hauptraum abgetrennt war. Der Eingang war ein großes, mit Ornamenten gekröntes Holztor, das mit Eisenleisten verstärkt worden war. An der Decke schwebte ein Ei förmiger Fels, in dem locker ein Kleinbus Platz hatte. „Der Tempel?!“, wunderte sich Merle. Das Tor öffnete sich einen Kopf breit und ein kleines Kind mit wildem, schwarzen Haar lugte hindurch. Ehe sich Merle fragen konnte, wie der junge Van allein das massive Holz bewegen konnte, erschien über ihn ein weiteres Gesicht, das sich ebenso vorsichtig umsah. Van lächelte, als er seinen älteren Bruder wiedererkannte, dessen silbergraues Haar ein totaler Kontrast zu seinem eigene war. Zweifellos war Folkens Haarfarbe ein Zeugnis seiner Abstammung vom Volk des Drachengottes. „Ich halte Wache.“, sagte Folken verdächtig leise. „Mach schnell!“ Das Kind sah zu ihm auf und nickte. Eifrig zwängte er sich in den Tempel und zog dabei ein kleines Katzenmädchen hinter sich her. Sowohl Van als auch Merle mussten schmunzeln. Hitomi machte indes keinen Hehl daraus, dass sie die Szene genoss. Der Junge führte das Mädchen in die Mitte des Raumes und zeigte aufgeregt auf den Stein an der Decke. „Siehst du, Merle? Da drin ist Escaflowne!“, schrillte seine Stimme durch das heilige Gemäuer. „Prinz Van, man hat uns doch verboten, hier zu sein.“, erwiderte das Mädchen flehend. „Was, wenn man uns sieht?“ „Nun mach dir nicht die Hosen!“, nörgelte Van, woraufhin das Mädchen ihn missbilligend ansah. „Du wolltest den Stein doch sehen. Geglaubt hast du mir jedenfalls nicht.“ „Jetzt tu ich es! Können wir gehen?“ Wie zur Bestätigung ihrer Befürchtungen fiel das Tor zu. Vor lauter Schreck schmiegte sich die kleine Merle an ihren Prinzen. „Bruder, spinnst du?“, rief Van ein wenig ängstlich. „Mach auf! Das ist nicht witzig!“ Das Katzenmädchen presste sich stärker an seinen Rücken, eine Hand packte seine Stirn, die andere sein Kinn. Ehe er auf die Klette reagieren konnte, flog das Tor krachend auf und seine Mutter stand mit ernstem Blick zwischen den Pfosten. Die Augen des Mädchens weiteten sich, woraufhin sie ohnmächtig zu Boden fiel. „Merle!“, schrie Van panisch auf, doch ehe er sich zu ihr runter beugen konnte, war sein Bruder an seine Seite und hielt ihn fest. Seine Mutter indes nahm Merle in ihre Arme und trug sie raus. „Nein! Mama! Es ist meine Schuld! Bitte, schmeiß sie nicht raus!“ Hitomi entschied sich an dieser Stelle abzubrechen und versetzte sich selbst mitsamt ihrer Gefährten in einen mit Holz und Stein ausgekleideten Flur des alten Palastes. Dort kniete Varie vor ihrem Sohn und redete leise auf ihn ein. Trotz der reichen Verzierungen trat ihr Kleid in keiner Weise in Konkurrenz mit ihrem langen, schwarzen Haar. „Ihr ging es nicht gut, Van! Ich musste sie möglichst schnell wegbringen.“, erklärte sie ihm. „Aber es geht ihr doch besser, oder?“, fragte der Junge ängstlich. „Ja, es geht ihr wieder gut.“, beruhigte seine Mutter ihn. „Aber ich fürchte sie wird sich an vieles nicht mehr erinnern. Sie weiß nicht mehr, wer du bist.“ „Was? Sie hat mich vergessen? Nach allem was wir erlebt haben!“ „Es ist nicht ihre Schuld. Bitte sieh es ihr nach und freunde dich noch mal mit ihr an!“, erklärte sie eindringlich. „Sie wird deine Hilfe brauchen, wenn sie sich wieder hier einleben soll. Kann ich auf dich zählen?“ Van nickte eifrig. „Natürlich, Mama!“ „Das ist mein Sohn!“, lächelte Varie. „Ich bring dich jetzt zu ihr.“ Die Szene löste sich auf und Hitomi, Merle und Van fanden sich auf dem Bett wieder. Das Katzenmädchen setzte sich auf und zog verstört ihre Knie an sich heran. Mit Sorge betrachteten Hitomi und Van ihr vor Wut verzehrtes Gesicht. „Dieses Mädchen!“, zischte Merle aufgebracht. „Dieses Mädchen hatte die Antworten, die ich heute suche. Und sie wurden ihr genommen! Einfach so!“ Ohne ihrer Freundin und ihren Bruder eines Blickes zu würdigen verließ sie stürmisch das Zimmer. Hitomi atmete langsam aus und grübelte. „Warum hat deine Mutter das gemacht?“, fragte sie ohne den geringsten Vorwurf. „Keine Ahnung.“, meinte Van. „Aber ich hoffe, es wird wieder Zeiten geben, in denen Merle mich wieder so innig umarmt wie im Tempel.“ Kapitel 9: Ankunft in Palas --------------------------- Direkt vor Hitomis Nase öffnete sich die Rampe, die aus der Katzenpranke hinaus führte. Nervös zupfte sie an dem roten, reich bestickten Gewand, das sie als eine Diplomatin Farnelias kennzeichnete. Vor sich sah sie das Ladenfeld von Palas, der Hauptstadt Astorias, das hoch über den Dächern an einem Hang lag, und dahinter erblickte sie das glitzernde Meer unter der im Zenit stehenden Sonne. Ein Weg mit vielen Wendungen ermöglichte es Personen den Berg hinauf zu kommen. Das Schiff war umzingelt von der Leibwache des Königs Astorias. In ihren makellosen Uniformen und mit ihrem gepflegten Aussehen erlag Hitomi beinahe der Versuchung sie zu unterschätzen, doch die stahlharte Haltung verriet, dass sie es auf dem Landefeld auch zum Äußersten kommen lassen würde, wenn es ihr Auftrage es erforderte. Hitomis eigene Leibwache jedoch bestand nur aus zwei Brüdern, Parn und Torren, die Merle ausgewählt hatte, weil sie ihnen vertraute. Nicht wegen ihrem Können. Die restlichen Soldaten aus Farnelia waren einzig und allein für die Sicherheit an Bord zuständig. Sie gab den Personen hinter ihr einen Wink, woraufhin sie sich von ihren Bewachern los rissen. Sieben Männer liefen auf das Landefeld hinter die Schützende Linie der anderen Leibwache, wo sie sich sammelten. Hitomi atmete noch einmal tief durch und begab sich mit ihren Beschützern auf das weiße Gestein der Plattform. „Verhaftet sie!“, schrie der Gesandte Astons, der unter den Freigelassenen war. „Sie ist die Gesuchte! Sie hat sich König Aston widersetzt.“ Ein Soldat der Leibgarde, der der Kommandant zu sein schien, nickte seinem Nachbar zu, der sich vor den ehemaligen Gefangenen aufbaute und so für Ruhe sorgte. Die Lücke in der Formation wurde sofort geschlossen, indem alle einen Schritt vor taten. „Hitomi Kanzaki, hiermit seid ihr verhaftet. Widerstand ist zwecklos.“, verkündete der Offizier. „Über eure letzte Vermutung können wir uns gerne streiten, Soldat,“, meinte Hitomi beinahe keck, während die Brüder neben ihr nach den Schwertern griffen. Bei so viel Eifer, dachte Hitomi, wird es schwierig sein sie zu beschützen. „aber verhaftet bin ich auf keinem Fall. Ich bin Gesandte seiner Majestät Van de Farnel, König von Farnelia, und nur hier, um eine Audienz bei König Aston zu bitten. Nehmt ihr mich fest, wird wohl kaum ein Diplomat sich je wieder auf Astorias Boden sicher fühlen.“ „Kein Monarch würde es wagen, einer Verbrecherin diplomatische Immunität zu gewähren.“, zweifelte der Soldat entschlossen. Zur Antwort streckte Hitomi ihre rechte Hand aus den Ärmel heraus und enthüllte so einen Bogen Papier, der das Siegel Farnelias trug. Die Augenbraue des Soldaten zuckten. „Ich bin hier um mit seiner Majestät zu reden. Lasst mich sofort zu ihm.“ „Das ist unmöglich!“, beharrte er. „Seine Majestät hat viel zu tun. Ehe er sich nicht bereit erklärt euch zu empfangen, könnt ihr nicht zu ihm.“ „Dann bringt mich in ein Gästezimmer!“, schlug Hitomi versöhnlich vor. „Ich werde dort auf eine Audienz warten.“ Der Soldat nickte zähneknirschend und verbeugte sich. „Besorgt mir eine freundliche Eskorte und eine ordentliche Kutsche. Ich werde nicht in einem Gefängnis zum Palast fahren.“, verlange sie mit Blick auf das schwer gesicherte, aber schmucklose Gefährt auf dem Landefeld, vor dem zwei Schlachtrösser eingespannt waren. „Ich warte solange in meinem Schiff. Wenn ihr meinen Wünschen nachgekommen seid, lasst mich von meiner Leibwache rufen.“ Mit erhobenen Haupt ging sie über die Rampe zurück auf die Katzenpranke. Hinter ihr postierten sich Parn und Torren an der Tür. Im Innern ihrer kleinen Festung atmete sie erleichtert aus. Sie fand, das erste Treffen wäre besser gelaufen als erwartet. „Ihr habt sie nicht hergebracht?“, beschuldigte Aston seinen Untergebenen im Thronsaal. „Soll ich sie persönlich verhaften? Oder wie habt ihr euch das gedacht, Hauptmann?“ Der Soldat hatte mit dieser Reaktion seines Königs gerechnet und zeigte das richtige Maß an Reue. Schließlich war nicht umsonst der Kommandant der politisch meist brisanten Einheit der Armee. „Auf euren Befehl würde ich selbst eine Diplomatin gefangen nehmen, euer Majestät.“, versicherte er. „Aber es steht mir nicht zu über so wichtige Angelegenheiten zu entscheiden.“ Hinter Aston beugte sich Trias vor und flüsterte: „Er hat Recht, euer Majestät. Eure Herrschaft über das Bündnis ist noch immer instabil. Ein Skandal dieser Tragweite würde die Allianz sprengen.“ Aston quittierte diesen Rat mit einem Grollen. „Ihr könnt gehen. Gebt ihr, was sie verlangt!“, befahl Aston herrisch. Nachdem der Soldat den Raum verlassen hatte, wandte sich Aston seinem Ratgeber zu. „Und was würdet ihr stattdessen vorschlagen?“ „Ich bin noch mit einer anderen Nachricht zu euch gekommen. Sie ist zweifelsohne sehr schrecklich, aber nicht dringend, daher wartete ich auf einen günstigen Moment. Ich schätze dieser ist besser als alle anderen.“, erklärte Trias ausschweifend. „Was gibt es denn, dass jetzt von Bedeutung sein könnte?“ „Die Truppen der Gezeichneten in Chuzario bereiten sich auf eine Invasion von Farnelia vor. Es wird nur ein kleiner Teil der ehemaligen Bevölkerung sein, dennoch wird er so groß sein, dass die paar hundert Mann große und schlecht ausgerüstete Armee Farnelias keine Chance gegen sie haben wird.“ Aston war entsetzt. „Das sagt ihr mir erst jetzt? Wie lange wisst ihr davon.“ „Auch erst seit heute Morgen.“, behauptete Trias. „Das Vertrauen eurer Majestät in meine Dienste würde ich nie gefährden.“ „Fahrt fort!“, seufzte Aston müde. „Lasst die Anklagen gegen das Fräulein Hitomi fallen.“ „Sie sind mein bestes Druckmittel, um sie hier zu behalten.“ „Sie ist bereits hier.“, konterte Trias. „Aber ihr werdet sie ziehen lassen müssen. Zweifellos werden das Fräulein und ihr König innerlich von jugendlicher Ungeduld zerfressen und durch kindliche Übermut getrieben. Sie werden sehr bald heiraten.“ „Niemals!“, brüllte Aston aufgebracht. „Bitte habt Geduld, euer Majestät, und euch wird nicht nur bald die Liebe dieser jungen Frau, sondern auch Farnelia gehören.“ „Wie?“ „König Van wird sowohl sein Volk als auch sein frisch vermählte Braut vor dem Angriff in Sicherheit wissen wollen. Versagt ihm die militärische Unterstützung mit der Begründung, dass er selbst seinen Pflichten gegenüber der Allianz nicht nachgekommen sei, was ja auch stimmt. Dennoch bietet ihr ihm großzügig zivile Hilfe an. Richtet Flüchtlingslager in Astoria für die gesamte Bevölkerung Farnelias ein und lasst sie mit der Handelsflotte eures Schwiegersohns und des Bündnisses, das er unter den Händlern geschmiedet hat, dort hin bringen. Der König wird nicht Nein sagen können, hat er doch selbst die Zerstörung von Farnelia einmal miterlebt. Er wird auch seine Frau wegschicken, wahrscheinlich in eines der Lager, damit die Bevölkerung ebenfalls geht. Er muss jedoch bleiben, sonst verwirkt er seinen Anspruch als Beschützer des Landes, er und sein Heer. Gebt ihnen eine minderwertige Technologie, die sie Hoffnung schöpfen lassen wird, und sie werden auf den Mauern Farnelias kämpfen und sterben.“ „Du weißt, das diese Opfer nicht mit meinem Schwur vereinbar sind?“, erkundigte sich Aston beunruhigt. „Eure eigenen Grenzen werden dank der Festung Orio vollkommen sicher sein. Wenn der Angriff der Monster vorüber ist, schickt eure neue Luftflotte aus und befreit Farnelia.“, sprach Trias unbeirrt weiter und ging dabei beinahe verträumt auf und ab. „Die Verluste werden nur minimal sein. Die Königin von Farnelia, eine unverheiratete Frau, wird euch auf ewig dankbar sein. Und sie wird euch ehelichen, sogar freiwillig und ohne etwas zu ahnen. Die meisten Witwen Farnelias werden sich neue Männer suchen und sie werden sie in der Armee von Astoria finden, die ihre Heime beschützt. Die Männer, denen ein solches Glück vergönnt ist, werden Höfe besitzen. Und jeder Mann, der gestorben ist, hat sein Leben nicht für euer Liebesleben gegeben, sondern damit die Bürger Astorias wieder für einen angemessenen Preis Lebensmittel kaufen können, dank der Kornkammer Farnelia.“ „Dafür muss ich aber Menschen opfern.“, wandte Aston ein. „Habt ihr nicht schon oft so gehandelt?“, fragte Trias herausfordernd. „Was sind ein paar hundert Leben eines fremden Landes, die glorreich sterben, gegen tausende Bürger von Astoria, die langsam am Hunger verrecken?“ Aston biss sich auf die Lippen. Ihm gefiel die Idee nicht, doch er sah auf die Schnelle keinen anderen Weg. Und schnell musste er sich entscheiden, den sein Herzblatt war bereits auf den Weg zu ihm. „Einverstanden.“, meinte er erschöpft. „Ich werde alles in die Wege leiten.“ „Soll ich Draiden kommen lassen?“ „Ja, schickt aber auch nach meiner Tochter Milerna.“ „Waren wir uns nicht darüber einig, sie aus der Politik in Zukunft raus zu halten.“, wunderte sich Trias. „Sie wird sich aber nicht heraus halten. Draiden wird es ihr mit Sicherheit erzählen. Er wird unsere Lösung bevorzugen, da sie weniger Menschenleben kostet und er genau weiß, dass Van für sich selbst verantwortlich ist. Milerna jedoch hat sich schon in Fraid eingemischt und sie wird es wieder tun. Wir müssen sie ausschalten.“ „War es nicht euer Schwur, dass niemand für eure Liebe dem Mädchen gegenüber sterben sollte?“ „Ja, das war es.“, sagte Aston bedächtig. „Geht jetzt!“ Mit weit aufgerissenen Augen sah sich Hitomi in dem großen, hellen Raum um, den man ihr zur Verfügung gestellt hatte. Ihre Eskorte hatte sie zusammen mit der Dienerin weggeschickt. Unter dem Denkmantel den Brüdern Zeit zu geben, ihre eigenen Quartiere kennen zu lernen, hatte sie Zeit für sich allein verschafft. Staunend betrachtete sie das große, reich verzierte Bett und die wenigen, mit filigranen Schnitzereien geschmückten Möbel. Enttäuscht stellte sie fest, dass es wirklich nur der eine Raum war. Ohne ein eigenes Badzimmer oder einer Küche wird sie den gemeinsamen Mahlzeiten mit all den hohen Herren, die gerade im Palast weilten, kaum aus dem Wege gehen können. Sie schauderte bei dem Gedanken, dass jeden Moment mehrere Dienerinnen vor ihrer Tür stehen werden um ihr mitzuteilen, dass ein Bad für sie eingelassen worden sei. Natürlich wird sie unmöglich ablehnen können. Seufzend ging sie zu einem Fenster und schaute über die Dächer der Stadt hinweg auf das Meer. Irgendwie hatte Hitomi das Gefühl, das Fremde stetes mehr über ihr eigenes Schicksal wussten als sie selbst. Als Van König wurde, war sie dabei gewesen. Sie hatte quasi in der ersten Reihe gesessen, nur Vargas und die restlichen Samurai waren näher dran gewesen, während Merle, die langjährige Vertraute von Van nicht einmal zur Krönung eingeladen worden war. Als sie dann das erste Mal nach Palas kam, hatten drei Dienerinnen sie gebadet. Wie peinlich das gewesen war! Sich in einem Raum zusammen mit Dutzenden anderen Leuten zu waschen, war ansatzweise so entblößend, wie die Aufmerksamkeit der Dienerinnen damals. Und dann war da noch das Kleid, das ihr Milerna geschenkt hatte. Die Leute im Hafen müssen gedacht haben, sie wäre eine Adlige, während Merle, die ihr Leben lang schon in einen Palast gewohnt hat, wie immer nur ihr Leibchen getragen hatte. An die abschließende Mahlzeit dieses Tages erinnerte sich Hitomi mit Scham. Dass sich Allen von ihr distanziert hatte, war ihre eigenen Schuld gewesen. Merle, die sich wahrscheinlich viel besser am Tisch geschlagen hätte, hatte nicht einmal einen Sitzplatz bekommen. Als nächstes kam Hitomi die versuchte Entführung in der folgenden Nacht in den Sinn, welche sich lediglich nur als die erste von vielen herausstellen sollte. Es war bisher der einzige Versuch von Aston gewesen, sie für sich in Anspruch zu nehmen, von den Ereignissen der letzten Tage mal abgesehen. Was für einen Grund er wohl gehabt hatte? Damals war es doch noch gar nicht erkennbar gewesen, welche Rolle sie in den heraufziehenden Krieg spielen sollte. War es, weil sie anders gewesen war? Wenn Van sie nicht gerettet hätte, was wäre aus ihr geworden? Ein exotisches Spielzeug, das man weg werfen konnte, wenn es langweilig geworden war? Was hatte Vargas in ihr gesehen, als er sie behandelte hat, als wäre sie eine hoch gestellte Persönlichkeit? Ihn konnte Hitomi leider nicht mehr fragen und Aston wollte sie nicht fragen. Bedrückt stellte sie fest, dass sie es wohl nie verstehen werde, warum gerade ihr die Türen zu einer Welt geöffnet worden waren, die normal sterbliche nur in ihren Träumen kannten. Keinen Zweifel jedoch hegte sie an den Grund, der sie durch diese Tür hindurch geleitet hatte. Ein scharfes Klopfen drang durch die Tür. „Herein!“, gab Hitomi ihre Zustimmung. Etwas zu nachlässig, wie ihr einen Moment später auffiel. Wie sie erwartet hatte, betrat eine blau gekleidete Frau ihr Zimmer. „Fräulein, euer Bad ist bereit.“, informierte die Dienerin Hitomi. Und schon geht’s los, dachte sie säuerlich. „Bitte zeigt mir den Weg.“ Kapitel 10: Ein klärendes Gespräch ---------------------------------- Hitomi hielt ihre Arme über den Oberkörper verschränkt. Wie vor drei Jahren badete man sie in einem riesigen Zimmer, in das durch große Fenster die Sonne schien. Die einzigen Möbel waren ein Tisch, ein Hocker und die Wanne, in der sie lag. Eine der drei Dienerinnen goss sacht heißes Wasser nach, jedoch scheute sich Hitomi ihr dabei in die Augen zu sehen. Die restlichen zwei standen an der verhangenen Tür und erwarteten ihren Einsatz. Eine hielt ein Handtuch, die andere einen Bademantel. Die erste Dienerin stellte das Wasser ab und griff nach der Seife. Ohne ein Widerwort ließ Hitomi das Waschen über sich ergehen. Ihr Körper spannte sich hin und wieder unter dem Druck der professionellen Hände auf ihrer Haut. Was die Frauen wohl alles an ihrem Körper auszusetzen hatten? Sie hoffte, Van würde nie darauf bestehen, dass sich Diener um die Pflege ihres Körpers kümmern. Über kurz oder lang würde sie diesen totalen Verlust der Privatsphäre nicht verkraften. Nachdem der letzte Rest Seife von ihrer Haut gespült worden war, stieg sie aus der Wanne und streckte die Arme aus. Die zweite Dienerin trocknete sie gründlich ab und ließ dabei keine Hautfläche unberührt. Hitomi hatte gute Lust im Boden zu versinken. Zuletzt streifte die dritte Dienerin ihr den Mantel über, den sie eng an sich presste und sorgfältig zu knotete. Wenn alles so wie letztes Mal ablaufen sollte, würde man sie jetzt in die angrenzende Kleiderkammer führen, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen verabschiedeten sich die Frauen respektvoll und verschwanden hinter den gelben Vorhang. An ihrer statt betrat zu Hitomis Leidwesen ein Mann das Badezimmer. Sie hatte ihn nicht oft gesehen, aber oft genug um ihn wieder zu erkennen. König Aston! Verunsichert presste Hitomi ihren Mantel enger an sich und trat zurück. Er hingegen blieb bei der Tür stehen um verbeugte sich. „Bitte verzeiht mein forsches Erscheinen, Fräulein Hitomi, aber dies war die einzige Gelegenheit allein mit euch zu sein.“ Die junge Frau besann sich auf die wenigen Lektionen, die ihr Merle kurz vor der Reise noch geben konnte. Demnach war die Etikette nicht nur ein Stein, über den man stolpern konnte. Man konnte sich auch hinter ihm verstecken. Wenn man vor Verunsicherung nicht mehr weiter wusste, musste man sich einfach nur an die Regeln halten und man hatte einen Weg durch jede Konfrontation hindurch. Hitomi erwiderte die Geste mit einem Knicks. „Ihr habt mich überrascht, euer Majestät.“, sagte sie diplomatisch. „Aber ihr habt recht. Wir müssen reden.“ Aston trat einen Schritt vor, woraufhin Hitomi die Hand hob. „Das ist nah genug. Noch näher und ich fürchte, meine Zurückhaltung wird zerreißen.“ „Wie ihr wollt.“, meinte er und zeigte ihr für einen Augenblick seine leeren Hände. „Ich bin nicht hier um euch zu schaden. Das war nie meine Absicht.“ „Was war denn eure Absicht?“, sprudelte es aus ihr heraus, ehe sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Zu spät erkannte sie, dass der Schaden bereits angerichtet war. „Wie viele Male habt ihr versucht mich zu entführen?“, erkundigte sie sich etwas vorsichtiger. „Wenn ihr die gescheiterte Verhaftung über Farnelia mit zählt, zwei Mal.“, antwortete er ohne Umschweife. „Als ihr mich vor drei Jahren das erste Mal angesprochen habt, geschah das ohne jeden Respekt. Ihr wart fremdes Mädchen mit kurzem Haar, schmalen Augen, dunkler Haut und seltsamen Sitten. Das faszinierte mich. Noch dazu hatte meine Tochter euch offensichtlich für würdig befunden, wie ich später von der Dienerschaft erfuhr.“ Hitomi lauschte Aufmerksam seiner Rechtfertigung. „Ich wollte euch kennen lernen, allerdings nicht nur als flüchtige Bekanntschaft, was alles gewesen wäre, was König Van und Ritter Allen zugelassen hätten. Außerdem wollte ich euch vor der Gefahr bewahren, die der Umgang mit diesen beiden Männern zwangsläufig bringt, also ließ ich euch entführen. Leider war das Verlangen seiner Majestät König Van euch zu besitzen schon damals sehr ausgeprägt und der Plan scheiterte. Es traf genau das ein, was ich fürchtete. Ihr wurdet in den Krieg mit hinein gezogen.“ „Das soll ich euch glauben?“, zweifelte Hitomi unverblümt. „Ihr wolltet mich also nur beschützen.“ „Wie ich schon sagte, hatte ich auch ein persönliches Interesse daran, euch kennen zu lernen.“, gab Aston offen zu. „Aber als Draiden sich weigerte euch auszuliefern, geschah das tatsächlich auf meinen Wunsch hin.“ „Was soll dann dieser Haftbefehl?“ „Gegen euch liegt tatsächlich eine Anklage vor. Ich werde euch gern einen Anwalt schicken, der euch die Einzelheiten erklärt. Ich bin mir jedoch sicher, dass wir gemeinsam alle Vorwürfe entkräften können.“ „Ich soll mich dabei auf euch verlassen?“, hakte Hitomi nach. „Das wäre mir eine Ehre.“, antwortete der König selbstsicher. „Allerdings kann ich euch nicht offen unterstützen, da man die Beziehung unserer Länder nach den neusten Zwischenfällen als kühl bezeichnen muss. Oder habt ihr Kunde, die den Dialog wieder in Gang bringen könnten?“ „Ich fürchte nicht.“, antwortete Hitomi. „Ich kann nur hoffen, dass eure Motive so selbstlos sind, wie ihr behauptet. Ich werde König Van heiraten.“ „Ist das wahr?“, versicherte sich Aston. Er war sichtlich betroffen, auch wenn dies mehr oder weniger den Voraussagen seines Beraters entsprach. „Die Hochzeit ist in paar Wochen. Ich habe euch und eurer Tochter Einladungen mitgebracht.“, bestätigte Hitomi. „Ich bitte euch, es sich noch einmal zu überlegen.“, versuchte Aston es ein weiteres Mal. „Eure Verbindung mit Van wird keine Probleme lösen, sondern eher welche schaffen.“ Hitomi beschloss ihn nicht zu unterbrechen. Schließlich würde sie sich die folgenden Argumente sich sicherlich noch oft anhören müssen. Es war besser, sie gewöhnte sich gleich daran. „Prinzessin Sophia ist ledig und er wäre der richtige Herrscher um Chuzario zu alter Größe zu führen.“ „Und wo bleib ich?“, fragte Hitomi und kam sich dabei ziemlich egoistisch vor. „Soll ich einfach so zusehen, wie die Liebe meines Lebens verschwindet?“ „Es gibt mehr als nur einen Mann, der euch liebt.“, antwortete Aston schlicht. Hitomi schwieg verdattert. „Nachdem meine Frau bei der Geburt von Milerna gestorben war, hatte ich auch nicht geglaubt, dieses Gefühl noch einmal spüren zu können.“ „Wenn man den Gerüchten trauen kann, die sich um schwangere Dienerinnen im Palast ranken, habt ihr dieses Gefühl danach sehr oft gespürt.“, warf sie ihm vor. „Ich habe keine von ihnen je im Stich gelassen. Sie alle besitzen eine Wohnung und genug Geld, um das Kind zu ernähren und es zur Schule zu schicken.“, verteidigte sich Aston. „Die letzte verließ den Palast erst vor einen Monat. Es ist euch also noch möglich Astoria einen Prinzen zu schenken.“ Hitomi unterdrückte einen Schauder. „Was ist mit Draiden?“ „Er ist gegangen, noch bevor er ein Kind gezeugt hat. Bei so wenig Pflichtgefühl seinem Volk gegenüber, würde ich es bevorzugen, dass er nicht mein Nachfolger wird. Leider rennt mir die Zeit davon. Ich kann seine Krönung nur verhindern, indem ich einen legitimen Erbe zeuge.“ „Warum ich?“, fragte sie ungläubig. „Es gibt mit Sicherheit viele adlige Frauen, die eurem Anliegen mit Freuden nachkommen würden.“ „Ihr seid wie roher Diamant.“, begründete Aston. „Zwar ungeschliffen, als einzige jedoch hart genug, um die Rechte eures Sohnes zu verteidigen, wenn ich nicht mehr lebe und er noch zu jung dazu ist. Ich habe es in euren Augen gesehen, als ihr das erste Mal mit gesprochen habt. In eurer Pracht und eurem Wert, Fräulein Hitomi, kann euch keine Frau dieser Welt das Wasser reichen.“ Er machte mit einer Hand eine ausschweifende Bewegung. „All die anderen adligen Weiber sind nicht dazu erzogen, ihren Vätern und deren Freunden die Stirn zu bieten. Sie werden vor den Männern auf die Knie gehen, so wie man ihnen es beigebracht hat, und die Rechte des Königs auf Silbertabletten verschenken.“ „Wie ich sehe, seid ihr schonungslos ehrlich mit mir.“, sagte Hitomi pikiert. „Dann will ich es auch sein. Ich werde euch nicht heiraten, unter gar keinen Umständen.“ „Das tut mir Leid.“, meinte Aston. „Ihr könntet den Menschen hier so viel geben.“ „Das werde ich auch. Wir beide können den Menschen in Astoria und Farnelia so viel geben, wenn wir nicht zu lassen, dass ein so unglückliches Missverständnis einen Graben zwischen unseren Völker aushebt.“ „Und was schlagt ihr vor?“, fragte Aston überrascht. „Soll ich zusehen, wie der König eines kleinen Bauernstaates mir meine Liebe nimmt.“ „Dieser kleine Bauernstaat könnte für stabile Lebensmittelpreise in Astoria und Zaibach sorgen.“ sagte Hitomi offen heraus. „Ihr werdet es ertragen müssen, als mein Freund und für euer Volk. Nur in einer konstruktiven und versöhnlichen Atmosphäre werden werden wir zu konstruktiven Ergebnissen kommen.“ „Ich verlangt viel.“, murrte der König. „Meine Freundschaft ist auch viel wert.“, erwiderte Hitomi keck. Aston lächelte. Es war ein breites, ehrliches Lächeln, wie sie es bei ihm noch nie gesehen hatte. Sie selbst würde zwar auch über ihren Schatten springen müssen, aber vielleicht, nur vielleicht könnte es sich sogar lohnen. „Ich weiß schon, warum ich euch zu meiner Königin ausgewählt habe.“, brummte er heiter. „Nun gut, ich lasse euch in ein paar Stunden rufen. Bringt die Einladungen mit. Ich habe dann vielleicht auch schon eine Antwort.“ Er verbeugte sich förmlich vor ihr, sie führte noch etwas unbeholfen einen Knicks aus. Dann war er durch die Tür verschwunden und eine Dienerin trat ungebeten herein. Hitomi seufzte angesichts der ihr bevorstehenden Anprobe gefühlter hundert Kleider. Wenn wenigstens Merle oder Milerna dabei wären oder Van sie in dem neuen Kleid sehen könnte... Kapitel 11: Vorsprechen ----------------------- Zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden stand Hitomi vor König Aston. Wieder sollte es ein Gespräch nur zwischen ihnen beiden sein, doch die Umstände waren ganz andere. Anstatt von ihm nach dem Bad überrascht zu werden, stand sie nun vor ihm im Thronsaal, nachdem sie angekündigt und hereingebeten worden war. Anstatt ein Gespräch unter vier Augen und frei von der Erwartungen anderer führen zu können, musste sie es hinnehmen, dass etwa ein Dutzend Personen jedes Wort, das gesprochen werden würde, auf die Goldschale legen. Neben seinen und ihren Wachen waren auch seine zwei engsten Berater anwesend. Nur allzu deutlich stach ihr das blonde Haar und der verzogener Schnurrbart von Trias ins Auge. Da sie und Aston sich schon vorher ausgesprochen hatten, war dieses Treffen nur ein Schauspiel für die Anwesenden. Hitomi hielt es daher nicht mehr für nötig zu provozieren und trug statt ihrem Diplomatengewand das Kleid, dass man ihr geschenkt hatte. Es war weiß mit himmelblauen Stoff über dem Oberkörper. Sie freute sich schon darauf Van alle Geschenke zu präsentieren und er wird dieser kleinen Modeschau nicht aus dem Wege gehen können, dafür würde sie schon sorgen. „Willkommen in Palas, Botschafterin.“, empfing Aston sie beinahe unfreundlich. „Ich hoffe ihr werdet euren Aufenthalt hier genießen.“ Hitomi lächelte herzlich angesichts dieser Kälte. „Ich danke euch, Majestät.“, erwiderte sie freundlich. „Ich überbringe euch Grüße von seiner Majestät, König Van, und hoffe kürzlich entstandene Missverständnisse aufklären zu können.“ „Ihr habt euch eurer Verhaftung widersetzt und König Van hat euch daraufhin Zuflucht gewährt. Was ist daran missverständlich?“, bluffte Aston. „Es ist nicht ganz so einfach, euer Majestät. Ich hatte mich der Gefangenschaft gefügt, bis euer Abgesandte versuchte, die Macht in Farnelia an sich zu reißen.“ „Gibt es dafür Beweise?“ „Leider nur Augenzeugenberichte, euer Majestät.“, gab Hitomi zu. „Doch diese sind zahlreich. Viele in Farnelia haben den Kampf beobachtet und eure Männer können bestätigen, dass ich erst handelte, als ich im Crusador war.“ „Was hat euch dann zum handeln veranlasst?“, wunderte sich Aston. „Wie konnte euch König Van eine Nachricht zukommen lassen?“ „Seine Majestät und ich teilen ein Band miteinander.“, erklärte Hitomi als sei es das natürlichste der Welt. „Wir können uns auch über große Entfernungen und ohne ein physikalisches Medium zur Übertragung verständigen. Im Übrigen bin ich gern bereit zu allen Vorwürfen, die man mir zu Last legt, Stellung zu nehmen und alles über meine Kräfte offen zu legen, doch nicht jetzt.“ Sie nahm Torren eine dünne Mappe ab. „In dieser Mappe sind meine Aussage und die Aussage seiner Majestät, König Van, festgehalten. Ich kann nicht lange genug bleiben um bei den Ermittlungen eine Hilfe zu sein, daher lässt mein Herr euch diese Schriftstücke zum Ausgleich zukommen. Sollte es zu einer formellen Verhandlung kommen, werde ich anwesend sein, sofern der Termin vorher mit mir abgesprochen wurde.“ Eine Wache nahm ihr die Mappe ab. „Ihr werdet nicht bleiben?“, erkundigte sich Aston, als wüsste er nichts. „Nein, euer Majestät. Ich habe Einladungen bei mir, die ich noch weitergeben muss.“ „Einladungen?“ „Ja, eine ist auch für euch und zwei für eure Töchter.“, teilte ihm Hitomi und machte eine dramatische Pause. „Mein Herr und ich laden euch zu unserer Hochzeit ein. Sie wird in knapp einen Monat stattfinden.“ „Ihr heiratet den König von Farnelia?“, wiederholte Aston, als würde er nicht glauben, was er gerade gehört hatte. „Ja, euer Majestät.“, bestätigte sie. „Aber ich versichere euch, mein zukünftiger Stand wird keinen Einfluss auf meine Bereitschaft mich zu stellen haben.“ „Bleibt wenigstens eine Nacht.“, bat Aston hochnäsig. „Meine Tochter würde sich sehr freuen euch wiederzusehen.“ Einen Moment fragte sich Hitomi, ob er nur eine Gelegenheit haben wollte sie entführen zu lassen, doch sie verdrängte den Gedanken schnell wieder. „Es gibt wohl kaum eine andere Stadt, in der ich mich geborgener fühlen könnte.“, versicherte Hitomi. „Ich nehme euer Angebot an.“ „Ausgezeichnet! Ich lasse nach ihr schicken. Sie wird beim Abendessen zu uns stoßen.“ „Bis dahin sind es sicherlich noch ein paar Stunden. Ich würde in der Zeit gern eine Freundin besuchen.“ „Eine Freundin?“, wunderte sich Aston. „Nun gut, aber ich werde euch zu Sicherheit zwei Männer meiner Leibgarde mitschicken. Und Prinzessin Eries wird sich euch mit Vergnügen anschließen. Mit ihr als Begleitung wird es keine Schwierigkeit geben. Selbst verständlich steht euch eine Kutsche zur Verfügung.“ „Vielen Dank, euer Majestät.“ Für die Überwachung, schloss Hitomi in Gedanken ihren Satz. „Ihr seid sehr großzügig.“ „Ich sehe euch dann heute Abend.“, verabschiedete sich Aston. „Ich wünsche euch viel Vergnügen in der Stadt.“ „Sehr wohl, euer Majestät.“ Hitomi vollführte einen Knicks. „Ich freue mich darauf. Bitte entschuldigt mich.“ „Ihr könnt gehen.“ Mit erhobenen Haupt und durchgedrückten Rücken schritt Hitomi aus dem Thronsaal. „Botschafterin, ihr könnt nicht noch einmal verlangen, dass wir euch allein lassen.“, protestierte Parn entschieden. Hitomi betrachtete den jungen Mann und seinen Bruder, die beide sogar noch jünger waren als sie, mit Respekt und einer Spur von Frust. „Ich bin nicht in Gefahr. Die beiden Herren hinter mir sorgen dafür.“, beruhigte sie. „Amüsiert euch in der Stadt. Ihr werdet in den nächsten Wochen nicht oft Gelegenheit dazu haben.“ „Wir sollten euch begleiten, statt diese...“, sagte Torren, stoppte aber, als die Schultern der Gardisten sich spannten. Und genau deshalb will euch nicht bei mir haben, dachte Hitomi. „Gut, ihr wollt es nicht anders.“, seufzte sie. „Hiermit fordere ich meine Privatsphäre ein. Lasst euch bis morgen früh nicht mehr bei mir blicken!“ „Aber wir sollen wir dann wissen, ob es euch gut geht.“, protestierte Torren. „Ich könnte euch ja Gute-Nacht-Küsschen geben, aber damit würde ich nur eure Bettgefährtinnen eifersüchtig machen.“, warnte Hitomi heiter. „Ist einer von euch ein Ehrenmann und hilft mir in die Kutsche, oder muss ich hier stehen, bis die Sonne untergeht?“ Mürrisch hielt Parn ihr seine Hand hin und sie stieg ein. Während er hinter ihr die Tür schloss, bedachte er sie mit einem warnenden Blick. Sie lächelte zur Antwort und nahm sich vor, sich bei Merle über ihre Beschützer zu beschweren. Ohne Zweifel wird sie die beiden belohnen. Währenddessen stiegen die Gardisten auf ihre Pferde. „Warum möchtet ihr unbedingt zu Ritter Allens Villa? Er wird nicht dort sein.“, erkundigte sich Eries, die Hitomi gegenüber saß. „Ich weiß. Er wird noch immer verhört.“, antwortete Hitomi. „Abgesehen davon, dass ich noch nie dort war, möchte ich seine Schwester kennen lernen.“ „Er wird damit nicht einverstanden sein.“, widersprach die Prinzessin und gab den Kutscher das Signal zum Losfahren. „Er hält sie der Öffentlichkeit vor.“ „Ich bin nicht die Öffentlichkeit.“, konterte Hitomi. „Außerdem sehe ich kein Problem, wenn mich die Person begleitet, die für Serena verantwortlich ist, solange Ritter Allen verhindert ist.“ „Ihr seid gut informiert.“, gab Eries zu. „Es hat wohl kein Zweck zu fragen, woher ihr das wisst.“ „Nein, kaum. Allen hat es mir natürlich nicht verraten.“, lächelte sie. „Aber seid unbesorgt! Vielleicht finde ich sogar noch etwas nützliches heraus.“ Behutsam schloss Hitomi hinter sich die Tür, nachdem es ihr endlich gelungen war, selbst Eries ab zu wimmeln. Serena, die momentan kaum mehr war als ein verschüchtertes Kind, saß auf ihrem Bett. „Ich werde dir nichts tun.“, versprach sie. „Ich heiße Hitomi. Allen ist ein guter Freund von mir. Einmal hat er mir sogar schon einen Heiratsantrag gemacht.“ Ausgiebig betrachtete sie die verstörte Frau. „Du erinnerst mich an ihn. Du hast seine Augen. Sie strahlen die selbe Güte aus, die ich schon oft bei ihm gesehen habe. Nur dein Haar ist heller als seines.“ Langsam trat sie näher an Allens Schwester heran und hielt dabei ihre Hände gut sichtbar vor sich. „Wie ich höre, redest du nicht sehr viel. Ich hab mir das schon gedacht, daher hab ich dir Papier und Stifte mitgebracht.“ Sie legte die Schreibutensilien auf den Schreibtisch im Zimmer und trat davon zurück. „Falls du eine Frage an mich hast, kannst du sie aufschreiben oder sie mit Bildern beschreiben. Ich mag es zu raten.“ Serena starrte sie weiter mit großen Augen und stürzte sich dann auf den Tisch. Neugierig hob sie einen der Stifte vor sich und berührte vorsichtig die Spitze. „Das sind Stifte aus Kohle. Den gleichen Stoff findest im Kamin, wenn das Feuer ausgebrannt ist.“, erklärte Hitomi. Serena war so damit beschäftigt, die für sie völlig neuen Gegenstände zu betrachten, dass sie nicht merkte, wie Hitomi hinter sie trat. Überrascht, aber ohne Widerstand ließ sie es zu, dass Hitomi ihre Hand nahm und sie mitsamt den Stift über das Papier führte. „Siehst du? Wenn du mit der Spitze aufdrückst, hinterlassen sie ein kleines Bisschen von sich auf dem Papier. Für denjenigen, der zeichnet, ist es genau das gleiche. Das Papier ist ein kleines Fenster in deine Welt. Deswegen musst du es hüten und darfst es nur jemanden zeigen, dem du vertraust.“ Erst legte sich auf Serenas Züge ein Ausdruck des Nachdenkens, dann drängte sie Hitomi vom Schreibtisch weg. „Wir sind wohl leider noch nicht soweit. Aber du verstehst mich offenbar.“, freute sie sich. „Hör mir gut zu.“, sagte sie daraufhin ernster. „Ich weiß, dass etwas mit dir nicht stimmt. Du hast es sicherlich selbst gemerkt.“ Serena schaute sie daraufhin verängstigt an. „Es ist nicht deine Schuld.“, versuchte Hitomi sie zu beruhigen. „Böse Menschen haben dir das angetan und ich weiß, du konntest nichts dagegen tun.“ Plötzlich wandte sie ihre Augen ab. „Ich kenne dieses Gefühl der Hilflosigkeit sehr gut. Auch ich konnte lange Zeit nur zusehen.“ Dann sah sie Serena wieder an. „Ich möchte gern verstehen, was sie mit dir gemacht haben. Vielleicht kann ich sogar in Erfahrung bringen, wie man dir helfen kann. Dennoch...wir sind wohl noch nicht bereit. Ich müsste nämlich in deine Erinnerungen sehen und bräuchte dein Vertrauen dafür. Ich hoffe, ich komme dich irgendwann noch einmal besuchen, kann mir dessen aber nicht sicher sein. Solltest du je denken, dass du mir so weit vertrauen könntest, dann...“ Langsam ging sie an Serena vorbei, nahm einen der Stifte und schrieb ihren Namen mit großer Sorgfalt auf das oberste Blatt, auf dem auch der Strich war, den sie zusammen gemacht haben. „...geh zu Allen und zeig auf diese Zeichen hier. Er wird wissen, was du sagen willst. Oder du sagst es ihm direkt.“ Fasziniert schaute sich Serena die verschlungenen und komplizierten Zeichen an, die am rechten Rand untereinander gesetzt waren. „Ich lasse dich jetzt allein.“, teilte Hitomi ihr mit. „Bevor ich gehe, komme ich noch einmal herein und sammle die Stifte ein. Wenn du dann noch weiter zeichnen willst, musst du sie dir von Allen holen.“ Als sie sich zum Gehen wandte, hielt Serena sie am Handgelenk fest. Verwundert drehte sich Hitomi zu ihr um. Nachdem sie sicher sein konnte, dass sie nicht ging, schrieb Serena selbst auf dem Papier. Hitomi schaute neugierig über ihre Schulter. Mit überraschend schnellen und sicheren Bewegungen setzte Serena ihren Namen neben den von Hitomi. Dann sah sie die Besucherin auffordernd an. „Heißt das, du vertraust mir?“ „Ja.“, erwiderte Serena leise. Hitomi traute ihren Ohren nicht. Sie hatte nicht damit gerechnet , dass die Frau sich so schnell öffnen würde. Offenbar wollte Serena ihren Bruder nicht länger zur Last fallen, vermutete sie. „Hast du eine Ahnung, wie sehr mich das freut?“, erwiderte sie aufgeregt. Serena lächelte verlegen. „Wir sollten uns setzten. Für den Blick in deine Erinnerungen brauche ich sehr viel Konzentration. Ich werde dir alles zeigen, was ich sehe. Wenn es dir zu viel wird, denk einfach Stop und ich werde sofort aus deinem Kopf gehen. Einverstanden?“ Nach drei Stunden trat sie sichtlich geschafft aus Serenas Zimmer. Sie drückte dem Butler die Zeichenkohle in die Hand und schickte ihn zusammen mit den Gardisten aus dem Salon. Zurück blieb nur Eries. „Wenn ich je auch nur einen Funken Achtung vor den schwarzen Priestern hatte, weil Folken selbst einer war, dann ist der unwiederbringlich verloren. Deren Experimente mit Kindern sind absolut das letzte!“ „Wie gut, dass ihr heute keinen mehr finden werdet.“, erwiderte Eries trocken. „Sie alle sind heute respektable Wissenschaftler und Erfinder, die unter den unterschiedlichsten Herren dienen.“ „Wenn man wüsste, wie sie geforscht haben, würde keiner ihnen Arbeit geben.“, keifte Hitomi. „Jeder von ihnen verdient den Tod!“ „Oh, man weiß es, zumindest tun es ihre jetzigen Auftraggeber.“, erwiderte die Prinzessin. „Jedoch wiegt ihr Wissen mehr als ihre Schuld. Im Übrigen solltet ihr euch von dem Leid anderer nicht so weit mitreißen lassen. Ihr verliert sonst irgendwann euren Verstand.“ Erschöpft setzte sich Hitomi auf dem Sofa neben Eries. „Ich weiß, aber ich kann nichts dagegen machen.“, gab sie zu. „Keine Ahnung, wie Serena mit diesen Erinnerungen leben kann. Wenn es meine eigenen wären...ich könnte es nicht.“ „Was habt ihr herausgefunden?“, erkundigte sich Eries und nahm die Tasse vor sich auf. „Nicht fiel. Ich werde Allen einen Brief schreiben, in dem ich alles erkläre.“ „Warum erzählt ihr mir nicht einfach alles? Ihr könnt unmöglich sicher sein, dass nicht ein anderer bis auf Allen den Brief liest.“ „Ich kann nicht.“ „Falls ihr euch sorgt, ich könnte ausplaudern, seine Schwester ist...“ „Sagt es nicht!“, mahnte Hitomi und schloss ihre Augen. Staunend und ein wenig beleidigt über die Unterbrechung beobachtete Eries, wie zwischen Hitomis Handflächen eine kleine Kugel aus schimmernden Licht entstand. Dann hörte sie ein Rauschen aus der Kugel, das langsam lauter wurde, bis es beinahe unerträglich laut war. Daraufhin expandierte die Kugel und hüllte die beiden Frauen ein. Von dem Rauschen war nun nichts mehr zu hören. „Nur für den Fall, dass man uns abhört.“, erklärte Hitomi. „Was wolltet ihr sagen?“ „Ich weiß, dass Serena Dilandau ist. Oder viel mehr war“ „Woher? Hat Allen...?“ „Nein, er hätte es mir aber verraten. Ich war dabei, als er es selbst erfahren hat. So ganz nebenbei, ich habe es für mich behalten, nicht einmal meinem Vater habe ich davon erzählt.“, antwortete sie. „Dann muss wohl ich jetzt vertrauen.“, meinte Hitomi und blickte in die Ferne. „Dilandau ist noch immer in Serena. Es klingt sicherlich verwirrend, aber ich kann den Erinnerungsstrang eines Menschen sehen, wenn man mich lässt. In Serena konnte ich zwei sehen. Aus ihrem konnte ich Erinnerungen ziehen, Dilandau wehrte sich. Es kann sich jedoch nur um seine Erinnerungen handeln.“ „In ihr sind also zwei Personen?“, fragte Eries ungläubig. „Zwei Bewusstsein, ja. Ich weiß allerdings nicht, was für Auswirkungen es auf sie hat. Helfen kann ich ihr auch nicht.“, bestätigte Hitomi bedrückt. „Allerdings gäbe es da jemanden, der es könnte. Ich habe eine Einladung zur Hochzeit sowohl für Allen, als auch für Serena.“ „Er wird wohl kaum das Risiko eingehen, sie mitzunehmen. Wenn Dilandau noch in ihr lebt, könnte er jederzeit ausbrechen.“, erinnerte Eries. „Wenn ihn die Schönschrift und die sorgfältig gewählten Worte nicht überzeugen, wird es Serena tun. Ich habe ihr die Einladungen gegeben. Sie schien sich darüber zu freuen.“, meinte Hitomi selbstsicher und fügte lächelnd hinzu. „Ich habe ihr versprochen, sie könnte eines der Blumenmädchen sein.“ „Ihr habt recht. Er hat keine Chance abzulehnen.“ „Ich werde ihn und den Kundigen auf der Hochzeit bekannt machen. Wie und ob sie zusammenarbeiten, bleibt dann ihnen überlassen.“ „Möchtet ihr mir nicht sagen, um wen es sich handelt?“, erkundigte sich Eries. „Ihr könnt Allen sagen, dass er ihn kennt und im Gegensatz zu mir vollen Zugriff auf die Quelle hat, aus der ich mein Können bezogen habe.“ „Euer Können? Ihr meint die Kugel um uns herum?“ „Zum Beispiel. Allen wird wissen, wen ich meine.“, meinte Hitomi zuversichtlich. „Warum sagt ihr mir nicht einfach den Namen?“ „Es tut mir Leid, aber ihr wisst nicht genug und ich kann nicht für euch bürgen. Dafür kenne ich euch zu wenig. Wenn ihr den Kreis der Eingeweihten aufgenommen werden möchtet, solltet ihr euch an Allen oder Milerna wenden.“ Mit diesen Worten löste Hitomi die Rauschkugel auf. „Lasst uns gehen. Es wird draußen schon dunkel.“ Kapitel 12: Ausflug auf die Erde -------------------------------- Es war eine Wolken verhangene Nacht. Weder das Licht der Sterne noch der Mond waren von der Erde aus zu sehen. Lediglich eine schwere, graue Masse, an der das Licht der Großstadt reflektiert wurde, bedeckte den Himmel, leuchtete die kleinsten Ecken aus, vertrieb die Finsternis der Nacht aus den schmalen Gassen des beschaulichen Vorortes und ersetzte sie durch eine Szenerie aus gespenstischen Grautönen. Inmitten dieser Halbdunkelheit brach eine Säule aus Licht durch die Wolkendecke hindurch und ergoss sich auf den Vorplatz des alten Tempels, der auf dem Abhang stand, an dessen Fuß der Sportplatz der örtlichen Schulen grenzte. So schnell wie sie gekommen war, verschwand das Licht wieder. Alles, was es zurück ließ, war eine schattenhafte, kleine Gestalt, die ohne zu zögern in die Büsche abtauchte. Merle war ganz in ihrem Element, als sie wie ein Schatten von einem Grundstück auf das andere schlüpfte, um die hell beleuchteten Straßen zu meiden. In ihrem kleinen Rucksack befanden sich vier Einladungen für die Hochzeit des Königs von Farnelia auf dem Weg zu den Eltern der zukünftigen Braut. Hitomi hatte ihr mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass dieser Botengang möglichst ohne Zeugen durchgeführte werden sollte, da einer Familie ihrer Zivilisation mit zwei vermissten Kindern schon so zu viel unerwünschte Aufmerksamkeit zu teil wurde und die Lichtsäulen der Vergangenheit ihren Heimatort für Verschwörungstheoretiker, Mystiker, Weltuntergangspropheten und andere aufdringliche Spinner interessant gemacht hatte. Letzteres ließ sich nicht verhindern, wollte man zwischen den beiden Welten reisen, doch Merle sollte nicht noch Öl ins Feuer gießen, indem sie den Geschichten die Sichtung eines Außerirdischen mit Katzenohren hinzufügte. Die Katzenfrau nahm diese Auflagen sportlich und sah sie als ein Training ihrer Fähigkeiten. Über die Einhaltung der Auflagen wachte Hitomi persönlich, da sie mit ihr per Gedankenübertragung gerade ihr Sichtfeld teilte. Sie machte die Überwachung für sich selbst erträglich, indem sie Hitomi als Wegweiser sah, ohne den sie aufgeschmissen wäre. Endlich kam sie auf dem Rasen zu stehen, von dem Hitomi behauptete, es sei der Richtige. Schnell verschaffte sie sich einen Überblick von dem Grundstück, den Ausgängen und der nicht vorhandenen Abwehrmaßnahmen. Der einzige Eingang zu dem winzigen Areal war ein Tor, das in einem Eisenzaun eingelassen war. Von dem Tor aus führte eine Treppe zu dem kleinen, weißen Haus. Als Hitomi sie ermahnte und sich erkundige, was sie da mache, antwortete Merle spöttisch, sie suche nach dem Palast, in dem die zukünftige Königin Farnelias aufgewachsen wäre. Als Hitomi sich daraufhin verärgert und verlegen aus der Gedankenverbindung zurückzog, war die Prinzessin von Farnelia etwas enttäuscht. Sie hatte Hitomi ein dickeres Fell zugetraut. Definitiv ein Punkt, über den sie noch sprechen mussten. Das Schloss an der Tür war fast identisch mit den Schlössern von Gaia und so schaffte es Merle fast geräuschlos sie zu knacken. Lautlos schob sie sich seltsam glatt anfühlende Holz zurück. Plötzlich aber vernahm sie einen leisen, aber schrillen Ton aus dem ersten Stock. Mit der Erkenntnis, dass alles sehr schnell gehen musste, betrat sie den Flur, stieg über die einzelne Stufe im Eingangsbereich und bewegte sich zielstrebig zum Esszimmer, während sie ihren Rucksack abnahm. Sie platzierte die vier Einladung auf den äußerst niedrigen Tisch und wandte sich um zum Gehen. Da stand plötzlich ein Mann vor ihr, der in hohen Bogen eine Art Knüppel schwang, der zum Griff hin schmaler wurde. Instinktiv wich sie zu zur Seite aus, ihr Angreifer wurde von der Waffe mitgerissen und kippte fast vorn über. Sie nutzte die Chance und lief an ihm vorbei zum Hauseingang. Wild brüllend verfolgte ihr Gegner sie bis in den Garten, wo sie über den Zaun auf das Nachbargrundstück sprang. So schnell sie konnte, überwand sie eine Abgrenzung nach der anderen, während die Schreie, deren Inhalt sie nicht verstehen konnte, leiser wurden. Selbst als der aufgebrachte Angreifer längst nicht mehr zu hören war, blieb sie nicht stehen, sondern lief bis zum Tempel im stetigen Schritt durch. Erst auf dem Platz vor dem Tempel gönnte sie sich einen Moment der Ruhe. Erleichtert darüber, dass ihr niemand gefolgt war, griff sie nach ihren Schultern um den Rucksack abzustreifen. Ihre Augen wurden groß vor Schreck. Er war nicht da! Langsam überkam sie die Erkenntnis, dass sie ihn bei ihrem Ausweichmanöver vor dem Angriff fallen gelassen hatte. Fieberhaft überlegte sie, ob es eine andere Möglichkeit gäbe nach Gaia zu kommen. Könnte sie jemand abholen? Hitomi konnte Gaia nicht verlassen, trotz der Kette, die gerade nutzlos um ihren Hals baumelte und Van hatte für eine solche Reise stets den Energiestein von Escaflowne benutzt, der jetzt in ihrem Rucksack war. Fluchend kehrte sie um und lief den Weg zurück zum Haus der Familie Kanzaki. Sie hielt vor dem Zaun des Grundstücks. Ihr Atem war schnell, doch er beruhigte sich fast augenblicklich. Vorsichtig spähte sie auf das Haus. Die Tür war noch immer offen und es kam Licht aus dem Innern. Merle bezweifelte das diese Gelegenheit als Einladung gedacht war, doch sie konnte sich unmöglich noch einmal so herein schleichen wie eben. Wenn sie das täte, würden Hitomis Eltern ihr niemals soweit vertrauen um mit ihr zu kommen. Selbst die von Hitomi persönlich verfassten Einladungen könnten da nicht mehr helfen. „Ich glaube nicht, dass ich das tue!“, flüsterte sie verärgert und schwang sich über den Zaun. Ohne ihre Präsens zu verschleiern betrat sie das Haus. Sie fand die Eltern im Esszimmer. Die Frau saß neben den Tisch auf dem Boden und las mit Tränen in den Augen die Zeilen, die ihre Tochter ihr geschrieben hatte. Der Mann beugte sich über ihr, berührte sacht ihre Schultern und wisperte in ihr Ohr. Merle nahm die Hände hoch, dann räusperte sie sich. Sie musste einen lächerlich Anblick bieten. Eine in schwarz gekleidete, vermummte Gestalt, die vor den Bewohnern des Hauses ihre Wehrlosigkeit bekundete. Als der Mann sie bemerkte, verzerrte sich sein Gesicht vor Wut und er packte wieder den seltsamen, als Waffe vollkommen ungeeigneten Knüppel. Seine Frau jedoch hielt ihn zurück. Verzweifelt griff sie nach seinem Arm und redete auf ihn ein. Anscheinend zeigten ihr Worte Wirkung, denn er ließ die Waffe fallen. Sein entschlossener Blick traf Merle gespannten Augen. Er stellte er eine Frage, kurz und bündig, doch sie verstand seine Sprache nicht. Warum konnten sie nicht auch ihre Heimatsprache so wie Hitomi? „Ich verstehe sie nicht!“, sagte Merle langsam und deutlich. Seine Verwirrung war der ihren ähnlich. Dann aber sagte die Frau etwas und Merle verstand. „Bring mich zu meiner Tochter!“ Verdutzt sah die Prinzessin die Gemeine an. Der Blick der Frau hatte etwas stählernes, unnachgiebiges, wie der Blick einer Katzemutter, die ihren Wurf verteidigte. Ehrfürchtig nahm sie ihren Maske ab, senkte ihre Hände und vollführte einen Knicks. Die Augen der Eltern wurden sichtlich größer angesichts Merles Aussehen. „Ich bin Merle de Farnel.“ „Ich habe dich nicht nach deinem Namen gefragt.“, sagte die Frau aufgebracht. „Wo ist meine Tochter.“ „Unterwegs, aber in Sicherheit.“, versicherte Merle, die der Mutter ihren Starrsinn nicht übelnahm. „Unglücklicherweise können sie sie jetzt noch nicht treffen. In zehn Tagen werde ich sie abholen, so wie es im Brief steht. Dann können sie zu ihr.“ „Bring mich zu ihr! Sofort!“ „Ich kann nicht!“, versuchte es Merle noch einmal. „Meine Fähigkeit zu Reisen ist begrenzt. Ich kann sie nur zu sehr wenigen Orten bringen, und eure Tochter ist an keinem von diesen. Außerdem, wenn sie jetzt ohne Vorwarnung gehen, wird man sie vermissen und Hitomis Freunde werden ihre Einladungen nicht bekommen.“ „Ich gehe allein, mein Mann wird hier bleiben und alles regeln.“, verkündete die Frau, woraufhin der Mann protestierte. Sie diskutierte eine Minute mit ihm, dann gab er auf. „Bring mich zu dem Mann, der meine Tochter heiraten will. Das wirst du ja wohl können.“ „Das kann ich.“, gab Merle zu. Sie suchte immer noch nach einem Ausweg. „Doch es wäre besser, wenn ihr Hitomi zuerst seht. Es könnte sonst...“ „Keine Widerrede.“, befahl die Frau mit der ganzen Autorität einer langjährigen Mutter. „Also gut!“, seufzte Merle. „Ich nehme an, ihr möchtet noch packen.“ „Ich werde nichts mitnehmen.“, antwortete die Frau. „Ich möchte das Leben kennen lernen, das Hitomi erwartet. Mein Mann wird unsere Festkleidung mitbringen, wenn er nachkommt.“ „Ich verstehe.“, sagte Merle schneidig. „Ich geleite euch jetzt zum Tempel. Von dort reisen wir nach Gaia.“ „Auf eine andere Welt?“, hakte die Frau zweifelnd nach. „Ja, mit der Erde als Mond.“, bestätigte die Botin, während sie ihren Rucksack aufnahm. „Ihr werdet eure Welt von außen sehen können.“ Die Kutschfahrt von dem Landeplatz der für Luftschiffe nahe dem Stadttor bis zur Villa am anderen Ende der Stadt zog sich scheinbar ewig hin. Hitomi, die allein im Innern saß, war zum Zerreißen gespannt. Zwei Wochen lang war sie in Gaia umher gereist, hatte Einladungen zur Hochzeit verteilt, und mehr oder weniger offen für Unterstützung geworben. Die letzten zehn Tage über hatte sie von Van nichts mehr gehört, weder über Gedanken noch durch physische Kommunikation. Sie war davon überzeugt, sie würde es sofort wissen, wenn ihm etwas passiert wäre. Die einzige andere Möglichkeit war, dass er ihr etwas verheimlichte, und das konnte er nur, indem er gar nicht mit ihr sprach. Endlich hielt die Kutsche vor der von einer weitläufigen Grünanlage umgebenden Villa. Ungeduldig wartete sie, bis man ihr die Tür geöffnet hatte, und trat dann aus dem reich verzierten Gefährt. Bei dem Anblick ihrer Mutter neben ihrem Zukünftigen ging jedoch jede Zurückhaltung über Bord. Überglücklich lief sie ihr in die ausgestreckten Arme. Für einen Moment fühlte sie sich wieder wie ein Kind. All die Sorgen um ihre Zukunft und die Zukunft von Gaia waren auf einmal ganz weit weg. Dann fiel ihr Van ins Auge und sie wünschte alle Etikette zum Mond. Sanft löste sie sich aus der Umarmung ihre Mutter und begrüßte Van auf die gleiche Weise. Der erwiderte ihre offene Zuneigung nur zögernd. Er war sich der Dienerschaft und dem breiten Lächeln von Merle wohl bewusst. Daher drückte er sie schon im nächsten Augenblick sacht von sich. „Wir haben später noch genug Zeit zum Feiern.“, flüsterte er. „Beruhige dich erst einmal.“ „Das ist deine Schuld.“, warf Hitomi ihm ebenso leise vor. „Wie soll ich denn ruhig bleiben, wenn du mich mit deiner Überraschung so überrumpelst.“ Dann wandte sie sich wieder älteren Frau neben ihm zu. „Wie geht es dir, Mutter?“ „Ich weiß nicht, sag du es mir!“, schalt sie. „Soll ich froh sein, weil ich dich nach so langer Zeit wieder sehe? Soll ich wütend sein, weil du ohne ein Wort abgehauen bist? Oder soll ich traurig sein, weil dein Bruder noch immer verschwunden ist und mir niemand sagen will, warum oder wohin.“ Da überfiel Hitomi ein schweres Schuldgefühl und sie nahm ihre Mutter an die Hand. „Wir sollten rein gehen. Ich erkläre dir alles drinnen.“ „Ich geh dann mal und hol die restlichen drei!“, verabschiedete Merle sich übertrieben fröhlich. Alles war besser, als diese plötzlich überspannte Atmosphäre. Kapitel 13: Der lang ersehnte Tag --------------------------------- Stolz sah sich Merle in der majestätisch geschmückten Markthalle Farnelias um, nachdem sie sich in einen Schneidersitz auf den mit Matten ausgelegten Boden niedergelassen hatte. Die Hochzeit, die gleich anfangen sollte, war ihr Werk. Von der Idee bis zur Ausführung, sie hatte alles organisiert und möglich gemacht. Viel Phantasie hatte sie dabei nicht gebraucht. Dieses Fest war vor allem ein Fingerzeig an die Bevölkerung Farnelias gedacht, damit es den Mut nicht verliert. Daher sollte die Feier den Traditionen entsprechend abgehalten werden. Im Gegenzug war umso mehr Sorgfalt nötig gewesen. Logistik, Einladungen, Sitzordnungen, Sicherheitsvorkehrungen, die Kontrolle der Zuschauermasse vor der Halle und so weiter. Viel hatte sie berücksichtigen müssen, mehr als sie gedacht hatte, und alle gestellten Forderungen von allen möglichen Seiten her hatten unter einem Hut gebracht werden müssen. Sie war froh, das jetzt alles hinter sich zu haben und die Früchte ihrer Arbeit genießen zu können. Unter der Vorausgesetzt, dass nichts schief ging. Die Sitzfläche der Zuschauer war in zwei Quader unterteilt, die von einem Laufgang voneinander getrennt und am einen Ende etwas Platz für die Ausführung der Zeremonie selbst ließen. Merle saß als einzige in der ersten Reihe des rechten Sitzbereiches, Hitomis Vater und Mutter als einzige in der ersten Reihe des linken. In der Reihe hinter Merle hatten Sophia, Antigonos und Allens Platz genommen. Sie waren die einzigen, die auf die von Hitomi überbrachten Einladungen hin gekommen waren. Der restliche Adel hatte mit dem Hinweis auf die kurzfristige Ankündigung hin abgelehnt teilzunehmen. Der Himmelsritter Allen war nur auf Grund seiner Rolle als Vormund Serenas eingeladen worden... offiziell. Eine kühle Begrüßung und eine kleine Kammer als Unterkunft, nur das notwendigste hatte man ihm zu kommen lassen. Nach außen hin sollte es den Eindruck machen, als sei er der Einladung zum Trotz nicht willkommen und Merle nutzte diese Begründung nur allzu gern, um ihn nicht unter die Augen treten zu müssen. Allein die Tatsache, dass er so nahe bei ihr saß, riss an ihren Nerven. Die bevorstehende Hochzeit ließ Sehnsüchte in ihr hinaufsteigen, die sie momentan ganz und gar nicht gebrauchen konnte. Direkt hinter den Gästen saßen Farnelias Krieger. Auf der anderen Seite hatten ausgewählte Personen aus dem Volk ihren Platz. Merle hatte diese Volksvertreter anhand des geschätzten Einflusses und der erbrachten Leistungen seit dem Zaibacher Angriffs ausgesucht. Die Auswahl sollte vor allem darauf zielen, dass es möglichst viele besonders geschwätzige und respektierte Bewohner Farnelias aus erster Hand von der Hochzeit zu berichten wussten. Allen voran saßen die zwei Freunde Hitomis, da man sie als erste herein gelassen hatte. Ansonsten genossen sie weder Status noch Privilegien, außer natürlich als Gäste in die Villa eingeladen worden zu sein. Merle musste angesichts der Erinnerung lächeln, wie dumm das Mädchen aus der Wäsche geguckt hat, als sie Allen das erste Mal gesehen hatte. Sie selbst musste allerdings beim Anblick des jungen Mannes ebenfalls nicht schlecht gestaunt haben, als sie ihn von Gaia abgeholt hatte. Bis auf die Haare sahen die beiden sich zum Verwechseln ähnlich. Ihrer Meinung nach war es kein Wunder, dass sich Hitomi während ihren ersten Aufenthalts auf Gaia an Allen geklammert hatte. Plötzlich wurde es schlagartig still. Drei Geistliche bezogen vor den Zuschauerplätzen Stellung. Ihre kostbaren, goldenen Gewänder hatten wie durch ein Wunder die Flucht aus Farnelia überlebt und waren nun einer der wertvollsten Kulturgüter, die das Königreich noch hatte. Bis zum Anfang der Zeremonie konnte es nun nicht mehr lange dauern. Merle hielt es vor Aufregung kaum noch auf ihrem Fleckchen Erde. Schließlich war es soweit. Van und Hitomi schritten Seite an Seite langsam und würdevoll an den Zuschauern vorbei. Vor ihnen gingen Allens kleine Schwester Serena und eine Dienerin aus der Villa und streuten rosa Blütenblätter auf dem Weg. Beide trugen unterschiedliche Kleider. Hitomi hatte diese mit den beiden Frauen zusammen aus dem Bestand in der Villa ausgesucht. Merle erinnerte sich noch gut daran, wie verstimmt Serena gewesen war, weil ihr Hitomi nicht ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hatte zukommen lassen, bis die zukünftige Königin ihr erklärt hatte, dass die Dienerin wie sie eine Waise war und ihr Schicksal zumindest zu einem gewissen Punkt teilte. Das Durchschreiten der Menge war die einzige Neuerung, die Hitomi eingeführt hatte. In Farnelia war es nicht üblich, dass sich ein Paar auf diese Art und Weise den Anwesenden präsentierte. Zeremonien solcher Art war sonst sowieso nur den Kriegern vorbehalten. Merle hatte ursprünglich angenommen, den Gang durch die Menge hätte sich Hitomi von Astoria abgeguckt, erfuhr dann aber überraschend, dass in der westlichen Zivilisation ihrer eigenen Welt diese Tradition auf ähnliche Weise gepflegt wurde. Van trug eine schwere Rüstung aus grauem Metall, die bis auf das Emblem auf seiner Brust und dem königsblauen Umhang vollkommen schmucklos und schlicht erschien. Seine Ahnenrüstung, der er bei seiner eigenen Krönung getragen hatte, war leider verloren gegangen. Sein Schwert, das Zeichen seiner Königswürde, hin an seinem Gürtel. Hitomi dagegen schien vollkommen schutzlos zu sein. Ihr weißes Kleid war zwar schlicht, ohne jegliche Verzierung, doch verschmolz es mit der Braut zusammen zu einer atemberaubender Eleganz. Das Top wurde von Stoff, der um ihren Hals lag, gehalten und ging nahtlos in den Rock über. Ihre Schultern waren auf beinahe provokante Art und Weise frei und für alle sichtbar, ebenso ihre Schulterblätter. Sie trug weder Schleier noch Rüschen oder einen Mantel, nichts was ihre drahtige Figur auch nur im geringsten verbarg. Der leichte, seidige Stoff schmiegte sich eng an ihren perfekten Körper. Merle hegte keinen Zweifel daran, dass Hitomi sich mit diesem Kleid Eintritt in alle Männerträume verschaffen wollte. Hätte Merle Wahrnehmung für etwas anderes als die Braut Zeit gehabt, hätte sie beobachten können, wie Hitomis Eltern ein Glitzern aus den Augen wich, wie Amano mit halb offen Mund und weit aufgerissenen Augen sie anstarrte, wie Yukari es ihm erst gleich tat und ihn dann auf lautlose Art und Weise zurecht stutzte. Vor der versammelten Menge nahm der Priester dem Paar das Ehegelübde ab, nachdem es sich vor dem Geistlichen hingekniet hatte. Die Zeremonie war kurz und für königliche Verhältnisse bescheiden, was aber mehr oder weniger auch Tradition in Farnelia hatte. Braut und Bräutigam erhoben sich wieder und mit einem Kuss war der Bund besiegelt. Seltsam kam Merle nur vor, dass weder Van noch Hitomi so aufgeregt waren, wie sie es erwartet hätte. Sie waren zwar etwas nervös, doch Merle kannte Van. Zumindest bei ihm war es nur Lampenfieber, so wie bei jedem anderen öffentlichen Auftritt. Dann trat Van wenige Schritte zurück und überließ Hitomi die Bühne. Plötzlich spürte Merle das flattern der Nerven ihrer Freundin. Noch einmal kniete die Braut vor dem obersten Geistlichen. Er segnete sie ein weiteres Mal und verlieh ihr dann die Würde einer Königin. Als solche stand Hitomi auf, drehte sich um und schaute mit festem Blick auf die Vertreter ihres Volkes, die allesamt ihren Kopf und ihren Oberkörper beugten. Alle, außer Merle. Die grinste in sich hinein, mit der festen Absicht die Regeln zu brechen. Als königliches Familienmitglied musste sie sich der neuen Königin nicht unterordnen. Nur König Van, dem Familienoberhaupt, war sie verpflichtet. Sollte er aus irgendeinem Grund nicht dazu in der Lage sein zu regieren, wäre sie an der Reihe. Bisher hatte diese Pflicht sie nur ein paar Mal ereilt, doch die waren mehr als genug gewesen um Merle begreifen zu lassen, dass sie den Job auf keinem Fall wollte. Daher stand sie auf, ging die wenigen Schritte nach vorn, bis sie vor Hitomi stand, und lächelte ihr schelmisch zu. Dann kniete sie vor ihrer besten Freundin nieder, woraufhin ein Raunen durch die Halle ging. Unerschütterlich verkündete Merle laut und deutlich: „Ich, Merle de Farnel, schwöre euch, Hitomi de Farnel, ewige Gefolgschaft. Mein Schwert und mein Leben setze ich fortan nach eurem Willen und zu eurem Schutz ein.“ Hitomi verschlug es die Sprache. Die Entschlossenheit in ihrem Gesicht wich und hinterließ Verwirrung gepaart mit Scham. Van war mindestens genauso überrascht wie sie. Erleichtert darüber, es getan zu haben, küsste die Prinzessin Hitomis Hand und setzte sich wieder auf ihren Platz. Durch die Unterbrechung des Protokolls wusste niemand so recht, was er nun tun sollte, und lange Augenblicke lang herrschte eine spannungsgeladene Stille. Schließlich erhob sich Gesgan, Merles ehemaliger Lehrer und gegenwärtiger Kommandant der königlichen Leibwache, und trat ebenfalls vor die Königin. Auf seinen Knien wiederholte er Merles Schwur, der sonst nur Königen vorenthalten war. Aus den Reihen der Krieger trat einer nach den anderen vor und tat es ihm gleich. Hitomi traten Tränen in die Augen und ihre Wangen färbten sich rot. Nachdem der letzte der Krieger von ganz hinten an sie heran getreten war und sie den Handkuss von ihm empfangen hatte, geleitete Van sie an der Hand durch den Ausgang der Halle ins Freie. Van hob die Hand, mit der er die zarten Fingen Hitomis hielt, mit ihnen in die Höhe, woraufhin die vor der Markthalle versammelte Menge in Jubel ausbrach. Hitomi brachte nicht mehr als ein nervöses Lächeln zu Stande. Jetzt erst bekam sie den Hauch von einem Verständnis der Schwere der Verantwortung, die nun auf ihrer Schulter lag. Auf unserer beider Schultern, verbesserte sie sich, als sie Van mit stiller Verzweiflung ansah. Er schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln und gemeinsam gingen sie zu Kutsche, die sie auf dem längsten Wege durch die Stadt zur Villa hinauf brachte. Während der Fahrt winken ihnen immer wieder Menschen zu und Leute versammelten sich dort, wo sie vorbei gekommen waren. Jetzt begann das eigentliche Fest für Farnelia. Bürger, ob jung oder alt, trafen sich auf der Straße, in Gasthäusern oder geräumigen Wohnungen und tranken. Natürlich hätten sie das auch aus jeden anderen freudigen Anlass heraus getan. Man musste ihnen nur einen geben. Kapitel 14: Brot brechen ------------------------ Als Van und Hitomi Arm in Arm im Esszimmer erschienen, wurden sie bereits von Merle und sämtlichen Gästen erwartet. Die Liste war dank der vielen Absagen überschaubar. Hitomi hatte trotz großer Bedenken ihre Eltern, ihre beste Freundin von der Erde Yukari und, deren Freund und ihren ehemaligen Schwarm Amano eingeladen, und sie von Merle nach Gaia bringen lassen. Ansonsten hatten von den Adligen Gaias nur wenige, Allen, seine Schwester Serena, Sophia und ihr Leibwächter Antigonos, Spross des Drachenvolkes und ehemaliges Opfer von Trias, zugesagt. So war aus dem befürchteten Staatsbankett ein gemütliches Essen unter Freunden geworden, was allen Anwesenden nur allzu Recht war. Das Paar setzte sich in die Mitte einer der langen Seite des Rechteckigen Tisches. Eigentlich hätte ihnen das Kopfende zugestanden, doch vor allem Hitomi wollte keine förmliche Atmosphäre am Tisch und bevorzugte daher die Nähe ihrer Freunde. Ihnen gegenüber saßen Hitomis Eltern. Wehmütig dachte Van an seine eigenen, woraufhin Hitomi und Merle, die ebenfalls neben ihn saß, die Hände drückten und anlächelten. Neben Hitomis Mutter hatten Yukari und Amano Platz genommen. Neben Hitomi war Serenas Platz, dann folgte, soweit weg von Merle, wie nur möglich, Allen. Der adoptierten Prinzessin gegenüber setzten sich Sophia und Antigonos. Merle wunderte sich einen Moment lang über die subtilen Botschaften zwischen den beiden, die, wie sie schwören konnte, nur so vor Zärtlichkeit strotzen, ehe ihre Aufmerksamkeit zum allgemeinen Tischgeschehen zurückkehrte. Die Vorspeise, eine Suppe, wurde serviert. Wieder fing erst jeder an zu essen, nachdem das Braut und Bräutigam es vorgemacht hatten. Während Serena vor lauter Nervosität beinahe zu platzen schien, waren Hitomis Bekannte relativ gelassen, obwohl sie Regeln anwenden mussten, die sie erst vor wenigen Tagen von Merle gelernt hatten. Die Prinzessin schloss daraus, dass Allen nicht nur ihr die Gesellschaft Serenas lange verweigert hatte. Das Mädchen schien generell nicht viel Umgang mit Fremden zu haben. Irgendwie wollte die angespannte Atmosphäre am Tisch nicht auftauen. Merle suchte, während sie geschmeidig löffelte, nach dem Grund und fand ihn in der Dienerschaft, die am Zimmer Rand auf ihren Einsatz wartete. „Fee, Sarina, Caroline, Yara, Isabel, ihr habt für den Rest des Essens frei. Wir bewirten uns selbst.“, verkündete sie freundlich. „Euer Hoheit?“, erwiderte eine der jungen Dienerinnen ungläubig. „Muss ich mich wiederholen?“, sagte Merle streng. „Ihr seid entlassen!“ Eine nach der anderen vollführte jeder der Dienerinnen einen Knicks und verließen das Zimmer. Nachdem die letzte die Tür hinter ihr geschlossen hatte, seufzte Merle theatralisch. „Schon viel besser. Meint ihr nicht auch?“, fragte sie in die Runde rein und erhielt zögerliches Lachen als Antwort. „Ich hätte nie gedacht, dass es so unangenehm sein kann, wenn man beim Essen beobachtet wird. Wie wirst du das nur aushalten, Kind?“ „Bisher speiste Van nur sehr selten in Anwesenheit der Diener.“, beruhigte Hitomi ihre Mutter auffallend diplomatisch. „Ich denke nicht, dass ich daran etwas ändern werde.“ „Es ist niemand mehr da, wegen dem du so geschwollen reden musst.“, klärte Merle sie auf. „Oh, entschuldige.“, bat Hitomi. „Wenn ich einmal in diese Redeweise drin bin, komm ich nur schwer wieder heraus. Aber du hast Recht. Wir sind hier unter Freunden und niemand sollte sich eines Wortes zu Schade sein. Nichts verlässt diesen Raum.“ „Wenn das so ist, würde ich gern ein Ankündigung machen.“, sagte Sophia und erhob sich. „Auch auf die Gefahr hin, dass ich dir und deinem Gatten jetzt Aufmerksamkeit stehle, die eigentlich euch gebührt. Trotzdem sollt ihr es als erstes erfahren, schließlich hatte die Königin und die Prinzessin dieses Landes maßgeblichen Anteil am Zustandekommen der Neuigkeit.“ Dann machte sie eine dramatische Pause. Abgesehen von der flüsternden Stimme Hitomis Mutter, die für ihren Mann, Yukari und Amano alles Gesagte wiederholte, herrschte gespannte Stille. „Antigonos und ich werden heiraten.“ „Ahhhh!“, rief Hitomi entzückt auf. „Wie kam es dazu? Du musst uns alles erzählen.“ „Nun tu nicht so. Du hast das doch von Anfang an geplant!“, warf Sophia der Königin vor. „Dank dir haben wir auf der Katzenpranke einen fliegenden Start gehabt. Als dann Antigonos schließlich Chuzario kam, um Merle an meiner Seite als Leibwächter zu vertreten,...na ja..., dann ist es halt irgendwie passiert.“ „Was ist passiert?“, hakte Merle mit dem Tonfall eines Ermittlers nach. „Ich werde hier nicht ins Detail gehen.“, weigerte sich Sophia. „Dafür sind mir dann doch zu viele Leute da.“ „Wird er auch König werden?“ „Nein.“, antwortete Antigonos, während Sophia sich setzte. „Wir haben ausgemacht, dass ich sie zwar heirate, aber nicht gekrönt werde. Sie allein wird die Königswürde nach der Hochzeit empfangen.“ Glaubt sie nicht mehr daran, dass ihr Vater noch lebt, fragte sich Merle sofort, wagte es jedoch nicht, die Frage offen zu stellen. „Wenn ich erst einmal schwanger bin, wird er sich als mein persönlicher Gesandter in die alte Hauptstadt begeben, sich dort beim Kampf gegen die Gezeichneten einen Namen machen und erst wieder zurückkommen, wenn ich zum regieren nicht mehr in der Lage bin. Sobald ich unser erstes Kind geboren habe, wird kein potentieller Freier es mehr wagen, meine Herrschaft offen zu hinterfragen und mich gleichzeitig mit Liebesbriefen zu überhäufen.“, erklärte Sophia weiter. „In deiner Haut möchte ich echt nicht stecken.“, sagte Hitomi mitleidig. „Ich auch nicht in deiner.“, meinte Sophia. „Du wirst mehr als genug eigene Schwierigkeiten damit haben, die Anerkennung der internationalen Elite zu erringen. Frag Merle, sie kann ein Lied davon singen.“ „Oh ja!“, brach es aus Merle hervor. „Könige sind nicht gerade scharf drauf, Fremde in ihren Reihen aufzunehmen. Dafür sind sie umso begeisterter bei der Sache, wenn es darum geht, Kollegen abzusetzen.“ Während einer nach dem anderen den beiden Verlobten ihre Glückwünsche aussprachen, hielt es Hitomi nicht mehr auf ihrem Sitz. Sie beugte sich quer über den Tisch und flüsterte Yukari zu: „Wann werdet ihr heiraten?“, wofür sie von ihrer Mutter einen Klaps auf ihren Hinterkopf, von Amano Unverständnis und von Yukari einen giftigen Blick erntete, woraufhin Serena kicherte. Wenigstens eine, die sich amüsiert, dachte Hitomi beschämt. „Seit wann bist du eigentlich eine Heiratsvermittlerin?“, erwiderte ihre Freundin ungehalten. „Ich weiß nicht, was du meinst.“, beteuerte Hitomi ihre Unschuld. „Ach ja, wie viele Projekte hast du denn noch am laufen?“ „Nur eins.“ Sie bedachte Allen mit einem schelmischen Lächeln. „Wobei ich zugeben muss, dass das mein bisher schwerster Fall ist.“ „Was ist mit meinem Bruder?“, fragte Serena verwirrt, die der Unterhaltung leider nicht folgen konnte. Hitomi beugte sich zu ihr herab. „Er soll heiraten!“, flüsterte sie Allens kleine Schwester zu. „Was? Niemals!“, rief sie empört, woraufhin Hitomi ihren Kopf noch weiter zu ihr hin streckte. „Leise! Er muss davon nichts wissen!“ „Ich lass nicht zu, dass mir jemand meinen Bruder wegnimmt.“, erwiderte Serena nun ebenso geheimtuerisch. „Er wird dir doch nicht weggenommen. Ganz im Gegenteil, du bekommst sogar noch eine kleine Schwester hinzu.“, beruhigte Hitomi. Allen räusperte sich, doch keiner der beiden beachtete ihn. „Wen denn?“ „Die Prinzessin von Farnelia!“ „Nein!“, quiekte Serena. „Ist mein Bruder so wichtig?“ „Oh, der hat noch ganz andere Sachen drauf! Sein Stand interessiert ihn dabei nicht die Bohne.“, behauptete sie. „Er hat sich an fast jede Prinzessin in ganz Astoria ran gemacht.“ „Ist das wahr?!“, staunte Serena. „War er auch erfolgreich?“ „Ich glaube...“, antwortete Hitomi zögernd und musterte Allens vor Unbehagen angeschwollenes Gesicht. „ , dass musst du ihn selbst fragen. Ich war ja nicht dabei.“ „Stimmt.“, kicherte sie und wandte sich wieder Allen zu. „Da wir schon mal bei dem Thema sind...“, wandte Sophia sich an das Brautpaar. „Wie werdet ihr die Machtverhältnisse zwischen euch verteilen?“ „Darüber haben wir noch gar gesprochen.“, gab Hitomi zögernd zu. „Traditionell hat nur der König in Farnelia etwas zu sagen, während die Königin höchstens repräsentativen Aufgaben nachkommt.“, erklärte Van, sah sich dann aber den missmutigen Blick von Merle ausgesetzt, dem er ein Lächeln entgegen setzte. „Aber meine Schwester hat mit ihrem Treueschwur alle Traditionen über den Haufen geworfen. Wir werden in Fraid genug Zeit haben darüber nachzudenken. Warum hast du mir den Schwur eigentlich nie geleistet?“ „Weil ich zu deiner Krönung nicht eingeladen war.“, antwortete Merle schelmisch. „Flitterwochen sind nicht dazu da, um über den Beruf zu sprechen, Schatz.“, widersprach Hitomi ihren Mann heiter. „Es wird sich aber auch nicht ganz vermeiden lassen, Schatz.“, konterte Van. „Oder glaubst du, wir fliegen einfach so hin ohne bei Cid unsere Aufwartung zu machen.“ „Ich dachte eher an einen Freundschaftsbesuch.“ „Es wird wohl auf beides hinauslaufen. Allerdings kommt erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ „Wenn ihr übereinander herfallen wollt, hebt euch das bitte für die Nacht auf.“, unterbrach Merle. „Noch haben wir Gäste hier.“ „Entschuldigung.“, bat Hitomi, während in ihr und Van Zweifel wuchsen. „Wer hilft mir den nächsten Gang zu servieren?“, fragte Hitomis Mutter betont unbekümmert in die Runde. „Du hast ihnen nichts gesagt?“, fragte Sophia Merle, während alle Gäste der Kutsche, die unter dem roten Abendhimmel mit dem Brautpaar dem Stadtrand entgegen fuhr, hinterher sahen und winkten. „Nein. Wenn die beiden schon keine Flitterwochen bekommen können, sollen sie wenigstens ein paar sorglose Nächte über den Wolken an Bord der Katzenpranke verbringen dürfen. Wir sind mit dem Rasenden Falken sehr viel schneller in Fraid als sie. Wir fangen sie dort ab und fliegen dann sofort nach Palas. Dann sind wir immer noch rechtzeitig zur Versammlung der Allianz da.“ „Krieg kennt keinen Urlaub.“, philosophierte Sophia. „Wissen die anderen Bescheid?“ „Wieso sollten sie? Sie machen sich nur unnötig Sorgen. Hitomis Familie soll davon ausgehen, dass es ihr hier gut geht. Bis auf deinen Verlobten ist sowieso niemand in Palas eingeladen.“ „Wahrscheinlich hast du Recht.“ „Ich bringe jetzt Hitomis Eltern und ihre Freunde zurück auf den Mond der Illusionen.“, verkündete Merle. „Antigonos kann ja schon mal Serena untersuchen. Wenn ich zurück bin, sprechen wir darüber, was Farnelia für sie tun kann.“ Kapitel 15: Der Aufstand der Schwestern --------------------------------------- Es war bereits Dunkel, als eine riesige Säule mit zwei Meter Durchmesser aus gleißend weißem Licht vor der Herrschervilla in Farnelia erschien. So schnell wie sie gekommen, kollabierte sie und hinterließ Merle, die den Energiestein Escaflowne in ihrer Hand hielt. Froh darüber wieder auf Gaia zu sein ging sie die Treppe zum Haupteingang des Anwesens hinauf, während etliche Bedienstete aufgeregt zu den Fenstern stürzten und raus guckten. Zu spät, amüsierte Merle sich, doch dann horchte sie auf. Innerhalb der Villa war ein heftiger Streit im Gange und einer der Beteiligten war Allen. Aus seinen Gedanken strömten Wut und Sorge, seine Stimme war bis in die Eingangshalle zu hören. Irgendetwas muss mit Serena sein, schloss Merle und sprintete in das Gästezimmer der jungen Frau. „Was habt ihr meiner Schwester angetan?“, brüllte er aufgebracht, als sie durch die Tür trat, und kam Antigonos dabei bedrohlich nahe. „Ihr weckt sie sofort wieder auf!“ „Es war ihre Entscheidung, Ritter Allen, ob es euch gefällt oder nicht. Es gibt keinen anderen Weg für sie außer Wahnsinn und einen frühen Tod.“, verteidigte sich der Atlanter, hinter dem sich Sophia ängstlich versteckte. „Woher nahmt ihr euch das Recht, sie überhaupt zu fragen?“, verlangte Allen zu wissen, während seine rechte Hand den pechschwarzen Griff seines Schwertes packte und es aus der Scheide zu ziehen drohte. „Allen!“, schnitt Merles Stimme durch den Raum. „Was ist hier los?“ „Serena wacht nicht mehr auf! Er hatte sich zu ihr gesetzt und so leise mit ihr geredet, dass ich nichts verstehen konnte. Nach ein paar Stunden hat sie plötzlich das Bewusstsein verloren.“, erzählte er. „Er hat sie ins Koma versetzt!!!“ „Überstürze nichts! “, beruhigte sie ihn. „Ich möchte hören, was Antigonos dazu zu sagen hat.“ „In ihr sind zwei Wesen, aber das wisst ihr ja bereits.“, begann er seinen Bericht. „Ihr Gehirn kann dieser Belastung nur schwer standhalten. Starke Gefühle führen bei ihr zu Wahnsinn und mit der Überlasst hätte sie höchstens noch ein Jahrzehnt überlebt.“ „Woher wollt ihr das wissen?!“ „Allen!“, mahnte Merle. „Ich sag es kein zweites Mal. Sei still und hör zu!“ „Die klügsten Köpfe des Drachenvolkes haben sich mit ihrem Fall beschäftigt. Hitomi hat ihnen über die Gedankenrede von der Frau mit den zwei Bewusstsein erzählt. Ich bin lediglich als Übertragungsmedium für eine Ferndiagnose hier. Ich habe Serena das erzählt, was man mir sagte, und das getan, was die Ärzte und Psychologen meines Volkes von mir verlangten.“ „Hitomi hat den Zustand meiner Schwester einfach so ausgeplaudert? Ohne mein Wissen?“ „Ihr zur Folge war Serena damit einverstanden und hat sogar darauf bestanden euch nichts zu sagen.“ „Du kleiner...“, knurrte Allen, doch ehe er erneut auf Antigonos zugehen konnte, stellte sich Merle ihm in dem Weg. Sie hielt seine beiden Arme fest, schmiegte sich an ihm und stellte sich auf ihre Zehenspitzen. „Warum fragst du nicht einfach, ob er die Wahrheit sagt?“, hauchte sie in sein Ohr. Allens Gesicht verhärtete sich, dann schloss er seine Augen und richtete seinen Blick nach innen. Merle wusste, dass er jetzt Trias tote Frau befragte, deren unsterbliche Seele in einem Stein gefangen war, der in dem Griff seines Schwertes eingelassen war. In dem Schwert, dass Siri, eine Sklavin von Trias, ihm überlassen hatte. Für Merle waren das mehr als genug Gründe dieser Frau nicht zu vertrauen, doch es war Allens Angelegenheit, weswegen sie auch nicht versuchte zu lauschen. Sie lies von ihm ab und trat zurück. Er stand noch eine Weile reglos da, vollkommen in sich selbst vertieft. Schließlich öffnete er seine Augen, warf einen Blick auf sie, dann auf seine Schwester und ging, ohne ein Wort zu sagen. Bisher hatte Merle ihn nur einmal mit diesen verzweifelten Ausdruck in seinen Augen gesehen, doch nun musste der stolze Ritter wieder eine bittere Wahrheit schlucken. Beim ersten Mal war ihm Hitomi hinterher gelaufen, wohl um ihm Trost zu spenden, doch Merle blieb. Er, Van und alle anderen überfürsorglichen Brüder verdienten es, dass diese Wahrheit ihnen auf die Mägen schlägt. So fest, wie es nur geht. „Sophia, würdest du uns bitte allein lassen?“, bat Merle die Prinzessin aus Chuzario, die alles schweigend mit angehört hatte. Unsicher blickte diese von ihrem Verlobten zur ihrer Freundin, dann nickte sie. „Natürlich.“, versicherte sie und verließ das Zimmer. „Ihr habt euch gut verhalten.“, lobte Merle. „Obwohl Allen vor Wut kochte, wart ihr ruhig.“ „Klar, schließlich war Sophia hinter mir.“, erwiderte Antigonos lächelnd. „Sie hat mir in letzter Zeit so viele Regeln eingebrügelt...das möchte nicht noch einmal durchmachen.“ „Ich hab noch einen weiteren Patienten für euch.“, teilte sie ihn mit. „Die Sitzung ist leider beendet.“, entschuldigte er sich. „Aber ich kann ihn mir trotzdem ansehen. Wer ist es?“ „Ich.“ Antigonos erstarrte vor Überraschung. „Neugierig? Ich bin immerhin ein Nachkomme von Trias Schöpfungen. Wahrscheinlich habt ihr nicht oft Gelegenheit so direkten Einblick in seine Experimente zu bekommen.“, stachelte Merle ihn an. „Nein, die Atlanter nehmen keine Tiermenschen gefangen, im Gegensatz zu den Menschen. Ich bin aber auch nicht scharf drauf...auf den Einblick.“ „Heißt das, ihr lehnt meine Bitte ab?“ „Kommt darauf an.“, antwortete er zögernd. „Was stimmt denn nicht?“ Merle berichtete sachlich: „Vans Mutter hat mir, als ich noch klein war, meine Erinnerung geraubt. Ich weiß nicht, wie sie es gemacht hat, aber zwei Quellen haben es mir bestätigt. Ich möchte sie wieder haben.“ „Deine Erinnerungen?“ „Ja, glaubt ihr, ihr schafft das.“ „Keine Ahnung.“, gab Antigonos zu. „Um dein Gedächtnis überprüfen zu können, bräuchte ich Zugang zu deinem Verstand.“ „Es reicht mich zu berühren, nicht wahr?“ „Ja.“, sagte er verwundert. Dass sie so schnell damit einverstanden war ihr Innerstes zu offenbaren, hatte er nicht erwartet. „Wenn wir unsere Köpfe zusammenstecken, geht es sogar noch leichter.“ „Na dann, worauf warten wir?“, forderte Merle ihn heraus und reckte dabei das Kinn. Antigonos ging langsam auf sie zu, bis ihre Nasenspitzen nicht einmal einen halben Fuß von einander entfernt waren. „Entspann dich.“, riet er ihr, nahm behutsam ihre Schulter und presste sie näher an sich. Als sich ihre Schläfen berührten, verschwand die Welt und alles wurde schwarz. Plötzlich waren nur noch sie zwei da. Merle hörte seinen Herzschlag so deutlich, wie ihren eigenen. Sofort erschien Allen in ihren Gedanken. Ob sie jemals die gleiche Nähe auch mit ihm spüren können würde? Ihre Zweifel trieben Tränen in ihre Augen. „Einzelne Bereiche deines Gehirns sind mit speziellen Barrieren abgegrenzt.“, flüsterte Antigonos. Dankbar dafür, dass er versuchte sie nicht daran zu erinnern, dass er fühlen konnte, was in ihr vorging, bat sie um eine Erklärung. „Es sind Sphären aus Gedankenenergie, ähnlich wie die von Hitomi. Sie halten allerdings nur Elektronen und Ionen auf. Blut und andere Stoffe können ungehindert passieren. Dein Körper versorgt zwar die Zellen innerhalb der isolierten Bereiche, kann aber keine Informationen senden oder empfangen.“ „Kannst du die Barrieren auflösen?“, erkundigte sich Merle. „Das ist leicht.“, meinte Antigonos, wandte dann aber ein: „Glaubst du, das ist klug? Ich kenne Vans Mutter nicht, aber man erzählt sich nichts schlechtes über sie. Was, wenn sie einen triftigen Grund hatte?“ „Ich muss wissen, woher ich komme.“, erklärte sie entschlossen. „Nur dann kann ich vorwärts gehen.“ „Na gut. Auf deine Verantwortung.“ Er atmete einmal tief und ließ sie dann los. „Fertig. Sie sind alle weg.“ „Ich fühle mich nicht anders.“ „Es dauert wahrscheinlich etwas, bis dein Körper merkt, dass da noch etwas ist.“ „Danke!“, sagte Merle aufrichtig. „Bitte erzähl niemandem, was hier passiert ist.“ „Du hast mein Wort.“, versicherte Antigonos. „Ich habe auch einen Schlüssel bei dir platziert. Wenn was sein sollte, kannst du über deine Gedanken mit mir sprechen, ohne dass man uns versteht.“ „In Ordnung. Geh jetzt lieber. Sophia wartet sicher schon.“ „Was tust du?“ „Ich bleibe noch etwas.“ Merles Blick fiel auf Serena. „Jemand sollte bei ihr sein, wenn sie aufwacht.“ „Es wäre besser, wenn immer eine Wache anwesend ist. Ich weiß nicht, wer sie ist, wenn sie das Bewusstsein wieder erlangt.“ „Wieso? Was hast du mit ihr gemacht?“ „Ich habe nur einen Raum nach den Erinnerungen der beiden geschaffen und die beiden dort zusammen geführt. Jetzt können sich unterhalten.“, rechtfertigte sich Antigonos. „Das war vorher nicht möglich, obwohl sie in einem Körper leben.“ „Verstehe.“, sagte Merle und setzte sich zu dem Mädchen. Zärtlich nahm sie ihre Hand. „Es könnte also auch Dilando sein.“ „Ich weiß auch nicht, wie lange sie in diesem Zustand bleibt.“, gab Antigonos offen zu. „Sie könnte medizinische Versorgung brauchen.“ „Ich sorge dafür.“, sicherte sie ihm zu. „Geh jetzt bitte.“ Antigonos schloss leise die Tür hinter sich und ließ die beiden jungen Frauen allein. „Den haben wir es gezeigt! Stimmt doch, oder?“, verkündete Merle ein wenig triumphierend und mit viel Melancholie. Als Serena die Augen öffnete, die schwere Tür oder die engen, grauen Wände, die ihr auffielen. Es war auch nicht die beißende Kälte oder die schwere Luft. Das erste, worauf ihr Blick fiel, war ein Augenpaar, das von einer Narbe begleitet wurde. Ihr gegenüber an der Tür saß ihr Spiegelbild, die Person, die sie sein könnte, wäre sie mit einem anderen Geschlecht und in einer anderen Familie geboren. „Wo sind wir?“, fragte Dilando mit müdem Ton. „In einer Zelle.“, antwortete Serena. Ihre Stimme war zum Zerreißen gespannt. „Hier hat man mich eingesperrt.“ „Ich kenne den Raum.“, erwiderte Dilando und sah sich um. „Auch wenn ich ihn etwas anders in Erinnerung habe.“ Serena musterte daraufhin den Raum und stellte fest, dass es tatsächlich Dinge gab, die nicht passten. Des Essenstablett in der Ecke zum Beispiel. Es sah so aus, als wäre es voller Zorn dort hin geschmissen worden. So etwas hätte sie nie getan, Jajuka, ihr Wärter, auch nicht. „Warum bin ich hier?“, unterbrach Dilando ihre Gedanken. „Um zu reden. Wir müssen uns einigen oder wir beide werden zu Grunde gehen.“ „Sagt wer?“ „Jemand vom Volk des Drachengottes.“, sagte Serena. „Du leidest doch auch unter den Kopfschmerzen, oder?“ „Nicht wirklich.“ Dilandos Lachen war kurz und Staub trocken. „Ich weiß schließlich, wie ich mich ablenken kann.“ „Indem du tötest!“, klagte sie ihn leise an. „Und? Was ist so schlimm daran?“, erwiderte er Schulter zuckend. „Wer sich nicht wehren kann, wird getötet, und wer tötet, bleibt am Leben.“ Dilando erhob sich schwerfällig. „Wenn ich zum Beispiel dich töte, hab ich meinen Körper ganz für mich allein.“ Serena zuckte zurück, doch da war er schon bei ihr, packte ihren Hals und drückte zu. In ihrem Gesicht spiegelte sich blanke Panik, während seines vor Erregung triefte. Doch dann verspannte sich sein Ausdruck. Verwirrt wischte seine freie Hand über seinen Hals. „Was machst du mit mir?!“, krächzte er und schlug sie in den Bauch. In dem Moment, als sich der Schmerz explosionsartig in ihrem Oberleib ausbreitete, ließ Dilando sie los. Beide sackten zu Boden und waren für einen Augenblick betäubt. „Wieso?“, zischte Dilando. „Warum spüre ich, was ich dir antue?“ „Ich weiß es nicht.“, versicherte Serena ängstlich. „Bitte tu mir nicht weh!“ „Sag mir, wieso!“, verlange er und erhob sich. Doch ehe er erneut über sie herfallen konnten, trennte die beiden plötzlich eine Mauer. Dilando war nun vollkommen ratlos. Die Zelle war auf einmal nur halb so groß und das Mädchen war verschwunden. „Bist du da?“, schrie er aus Leibes Kräften. „Du bist noch hier! Hab ich Recht?“ Wütend schlug er gegen die Mauer aus unverputzten Steinen, doch sie war genauso solide, wie sie aussah. „Zeig dich!“ Er brüllte, bis er seine eigene Stimme nicht mehr hören konnte. Dann setzte er sich und ohne es zu wollen schlief er ein. Kapitel 16: Der neue Spieler ---------------------------- Missmutig betrat König Aston den kleinen Raum, in dem man ihn führte. So, als wäre er ein Flüchtling und kein Herrscher mehr, war er aus seinem eigenem Palast heraus geschlichen. Am Ende des Geheimganges, den nur er und seine Familie kannte, hatte eine Kutsche auf ihn gewartet, die ihn zu einem mehrstöckigen Gebäude fuhr. Der Kutscher hatte sich die ganze Zeit über nicht zu erkennen gegeben und es gefiel Aston gar nicht, dass ein Unbekannter zumindest von dem einem Ende seiner Lebensversicherung wusste, er aber keine Ahnung hatte, wo er sich befand. Bei den vielen engen Gassen, durch die die Kutsche gefahren war, hatte er schnell die Orientierung verloren. Zumindest konnte er sich sicher sein, noch im Zentrum nahe der Stadtmauer zu sein. Seine Leibgarde sollte es trotzdem schwer fallen, dieses Versteck ausfindig zu machen. Der Kutscher, der die ganze Zeit bei ihm geblieben war und sich nun allein mit ihm in einem winzigen Raum befand, nahm den großen, dreieckigen Hut ab und zog das Stofftuch vor seinem Gesicht nach unten. „Ihr seid es!“, zischte Aston und sein Blick verschärfte sich. „Warum seid ihr so überrascht, euer Majestät?“, fragte Dryden spitzbübisch, während er sich an den Tisch setzte, der die Raummitte füllte. „Meine Unterschrift und mein Siegel waren doch unter der Einladung.“ „Was der einzige Grund ist, warum ich hier bin.“, erwiderte Aston ungehalten. „Warum bittet ihr nicht einfach um eine Audienz, so wie jeder andere Bürger auch?“ „Weil ich nicht wie jeder andere Bürger bin. Zufällig stehe ich der größten Allianz von Händlern in Astoria vor.“, antwortete Dryden wenig bescheiden. „Die ein von Astoria nicht überwachtes Kommunikationsnetz hervor gebracht hat, das sich über das Land hinaus erstreckt.“, führte Aston weiter aus. „Ihr könnt von Glück reden, wenn ich euch nicht wegen Hochverrat hinrichten lasse.“ „Und ich bin der Thronerbe.“ „Noch.“, drohte der König. „Wo ist Milerna?“, erkundigte sich Dryden wenig beeindruckt. „In Sicherheit. Mehr müsst ihr nicht wissen.“ „Ich hoffe für sie und auch für euch, dass ihr Recht habt.“ „War das alles? Wenn ja, dann kann ich ja gehen.“, erwiderte Aston kaltschnäuzig „Nein, das war nicht alles.“, hielt Dryden ihn auf. „Ich nehme an, ihr hängt immer noch an dieser irren Idee, ihr könntet Hitomi zu einer Heirat mit euch bewegen, indem ihr Farnelia der anrückenden Horde voller Gezeichneter und deren willenlosen Opfern zum Fraß vorwerft, und dann die Überreste wieder zurückerobert, während die Bevölkerung Farnelias in Lagern hier in Astoria haust und ihr König auf dem Schlachtfeld verrottet.“ „Ja, das ist der Plan.“, bestätigte Aston. „Als ihr ihn mir und meiner Frau erklärt habt, hattet ihr mir versprochen, dass ihr davon absehen würdet, wenn ich euch beweise, dass er zum scheitern verurteilt oder gar zum Nachteil Astorias wäre.“ „Auch das stimmt.“ „Nun, ich kann es beweisen.“, verkündete Dryden selbstsicher. „Alles hat damit angefangen, dass Allen Chezar und Merle de Farnel gemeinsam von Pallas nach Farnelia reisten, um Spuren der Gezeichneten nachzugehen. Dabei stießen sie auf ein Dorf, dessen Bewohnern komplett zu Opfer und von mindesten einem Gezeichneten beherrscht wurden. Dieser Gezeichnete verfolgte die beiden bis zu der nächsten Herberge und räucherte das Gebäude aus. Dem Bericht der Prinzessin zur Folge überlebten beide nur knapp, während der Gezeichnete und seine Diener entweder von ihnen erschlagen worden sind, oder in der Herberge verbrannten. Die nicht verbrannten Überreste wurden dem Bericht nach von Unbekannten weggeschafft. Auch das Dorf war dem Erboden gleich gemacht worden, um Spuren zu verwischen.“ „Ist dieser Bericht offiziell?“, fragte Aston dazwischen. „Nein, und eigentlich dürfte ich euch davon auch nichts erzählen. Offiziell ist eine Räuberbande für das zerstörte Dorf und das Feuer in der Herberge verantwortlich. Angeblich sind sie in dem Feuer umgekommen, das sie selbst gelegt haben.“, erklärte Dryden schmunzelnd. „Natürlich ist das Unsinn, aber den fahrenden Händlern auf der Straße sollte das als Erklärung reichen. Sie fühlen sich zwar nicht wirklich sicherer, aber wenigstens sind Banditen eine Gefahr, die man kennt und nur wenige abschreckt.“ Dann sammelte er sich einen Augenblick. „Kurz bevor das Feuer ausbrach, erhielt ich über das Händlernetzwerk die Meldung über das Dorf. Es war bereits vernichtet, als eines meiner Schiffe es überflog. Natürlich machte ich mir darüber Gedanken, ob es das einzige Dorf dieser Art in Astoria war und ließ meine Kontakte sich umhören. Die Frage war, zu welchen Dörfern noch regelmäßiger Kontakt bestand.“ Der Händler griff in seinen Mantel hinein, holte eine zusammen gefaltete Karte hervor und breitete sie vor sich auf den Tisch aus. „Ich habe die Lage der Dörfer markiert, die wir als Stützpunkte der Gezeichneten identifizieren konnten.“ Astons Augen verengten sich und Sorgenfalten kräuselten seine Stirn. „Wie ihr sehen könnt liegen sie alle mehr oder wenige auf einer Linie parallel zur Straße nach Farnelia. Es ist ein Korridor für eine Invasion Astorias, bereits gesichert und ausgestattet mit Lager, voll gestopft mit Nahrungsmitteln. Das Heer der Gezeichneten wird nicht lange in Farnelia bleiben, sondern sofort in Richtung Pallas weiter marschieren.“ „Was ist mit Orio? Die einzige Furt durch den Fluss führt an der Festung vorbei.“, erkundigte sich der König nachdenklich. „Es gibt Grund zu der Annahme, dass Orio in dieser kritischen Zeit ausfallen wird.“, warnte Dryden. „Ich kann es euch nicht beweisen, aber auf Grund des Berichtes von Merle de Farnel und Allen Chezar gehe ich davon aus, dass die Festung infiltriert worden ist.“ „Von Gezeichneten?“ „Nein, aber von einem ihrer Kontakte. Ich kann euch leider nicht mehr darüber sagen.“ „Warum nicht?“, tobte Aston. „Es geht hier um meine Festung!“ „Ich lehne mich bereits weit aus dem Fenster, indem ich euch diese Informationen gebe. Ich habe lediglich einen Zeugen als Beweis, da das Speichern von Bildern noch in den Kinderschuhen steckt. Wir konnten bisher die vorhandene Technik nicht auf unsere Schiffe ausweiten. Wenn ich euch sage, warum ich Orio für wirkungslos halte, werdet ihr mir nicht glauben.“, wandte sich Dryden kaum merkbar. „Ihr könnt auch nicht selbst Schiffe zu den Dörfern hin schicken. Die Gezeichneten dort würden die Besatzungen spüren, egal ob die Schiffe getarnt sind oder nicht, und ihre Spuren verwischen. Dann würden sie sich mit ihren Dienern in die Wälder zurückziehen. Wir können ihnen dort auf keinen Fall habhaft werden. Sie würden dort zu einer Plage heranwachsen, die uns zwar langsam aber sicher vernichten würde.“ „Eurer Meinung nach sollte ich das Heer vor Farnelia stoppen.“, fragte Aston verärgert. „Ja, solange sie zusammen sind, sind sie verwundbar. Euer Heer könnte sie in der Schlucht vor der Stadt aus der Luft angreifen und sie so, ohne ein einziges Opfer beklagen zu müssen, besiegen.“ „Ein guter Vorschlag.“, bluffte der König. „Aber warum sollte ich meine Guymelefs nicht stattdessen in diese Dörfer schicken?“ „Weil sie die Gezeichneten nie so schnell vernichten könnten, wie die in die Wälder flüchten werden.“, konterte Dryden entschlossen. Aston schwieg, während er nachdachte. „Nein.“, sagte er dann. „Ich glaube euch nicht.“ „Ich kann verstehen, dass es viel verlangt ist, aber...“ „Viel verlangt, in der Tat.“, unterbrach er Dryden. „Ihr hättet mir die angeblich bevorstehende Invasion mit Sicherheit schon viel früher mitteilen können. Aber ihr sagt es mir erst in der Nacht, in der Hitomi de Farnel das erste Mal mit ihrem Mann schläft. Hättet ihr mich früher eingeweiht, hätte ich die Hochzeit noch zu verhindern gewusst. Ich glaube, ihr habt diese Nacht für einen Kompromiss gehalten, zwischen der Dringlichkeit Farnelia zu retten und dem König Farnelias sein Glück zu gönnen. Würde ich eurem Vorschlag folgen, wäre ich der einzige, der etwas verliert.“ „Das Volk Astorias wird sein Leben verlieren, wenn ihr nichts tut.“, brauste Dryden auf. Aston war überrascht. Drydens Fassade, die er für unzerstörbar gehalten hatte, bröckelte. So sah es also aus, wenn dieser Emporkömmling mal nicht alles unter Kontrolle hatte. „Wenn ja, dann ist es eurer Fehler.“, warf er dem Händler vor. „Eure Untreue eurem Heimatland gegenüber ist dafür verantwortlich, dass ich leider nichts machen kann. Außerdem, warum sollte ich euch glauben, wenn ihr mir nicht einmal alles...“ „Baron Trias ist ein Verräter.“, platzte es aus Dryden heraus. „Mein engster Berater?“, sagte Aston zögernd. „Ihr hattet Recht. Ich glaube euch nicht.“ „Er kontrolliert die Gezeichneten, er ist für die Zerstörung der Hauptstadt Chuzarios verantwortlich, er hat euch den Kommandanten für Orio nahe gelegt und er hat euch wahrscheinlich diesen Floh ins Ohr gesetzt.“ „Gibt es dafür einen Beweis?“ „Nein. Gegenüber Hitomi hat er sich als erstes zu erkennen gegeben und er hat es Merle de Farnel bestätigt, als sie es bereits wusste. Es gibt also lediglich Zeugen.“, gab Dryden zu. „Deshalb hat man euch nichts gesagt. Deshalb wurdet ihr und Astoria im Kampf gegen die Gezeichneten stets raus gehalten. Farnelia hat der Geheimhaltung willen die Gezeichneten als seine eigene Sache betrachtet, da es als Erstes Kontakt mit dieser neuen Gefahr hatte. Das erste Scharmützeln fand im Tempel der Fortuna statt. Chuzario wurde erst informiert, als bekannt wurde, dass es das erste große Ziel werden sollte.“ „Dieser kleine Bauernstaat?“, zweifelte Aston. „Solange die Gefahr nicht ausgewachsen war, wollte König Van ihr möglichst ohne übertriebenes Blutvergießen begegnen, vor allem da die Allianz ihm ohne einen konkreten Beweis niemals zugehört hätte. Das wisst ihr! Erst mit dem Überfall auf Chuzario wurde deutlich, dass er sich übernommen hatte. Trotzdem hielt er diese letzte, wichtige Information zurück, um die Allianz nicht zu spalten.“, begründete Dryden Farnelias Rolle. „Ihr hättet es nicht glaubt, so wie ihr es jetzt nicht glauben wollt, während Vasram sich wie ein Geier auf diese Anschuldigung gestürzt hätte, um allein die Führung der Allianz zu übernehmen.“ „Warum informiert mich Van oder seine so genannte Schwester nicht persönlich, obwohl mein Land doch als nächstes dran ist?“ „Seine Schwester Merle weiß lediglich, dass Farnelia in Gefahr ist. Das Königspaar wird erst nach seiner Ankunft in Fraid davon erfahren. Ich möchte euch die Chance geben, euer eigenes Land zu retten und dabei auch in Farnelia zu glänzen. Bei zukünftige Verhandlungen über die Verteilung der Exporte der Lebensmittel hättet Astoria eine viel stärkere Position und ganz nebenbei wäre euch Hitomi sehr dankbar. Ihr könnt wohl kaum Liebe von ihr erwarten, aber ihr hättet in ihr eine äußerst starke Verbündete.“ „Auch einen dankbaren und pflichtbewussten Schwiegersohn?“, forderte Aston. „Kommt ganz darauf an, wie es meine Frau geht.“, antwortete Dryden mit festem Blick. „Ich werde versuchen Farnelia zu retten. Die Produktion des Explosionspulver, dessen Formel ihr mir gegeben habt, läuft bereits. Auch wenn wir nur beschränkt viele Abschussvorrichtung von euch haben, so lässt sich das Pulver sicher auch anders verwenden. Zum Beispiel um die Schlucht über den Köpfen der Gezeichneten zum Einsturz zu bringen.“ „Das ist nicht Teil des Plans.“, warnte Aston, doch Dryden ignorierte seinen Einwand. „Ihr werdet Milerna nichts antun, sollte es mir tatsächlich gelingen, Farnelia und damit auch Astoria vorerst zu retten.“ „Wie könnt ihr es wagen?“, fragte Aston Wut entbrannt. „Auch nur zu glauben ich könnte...“ „Ich stell euch jetzt den Zeugen vor.“, unterbrach der Händler ihn scharf und öffnete eine Tür zum Raum. Hindurch trat ein breitschultriger Mann mit makellosem Gesicht und sorgsam gekämmten Haar. „Darf ich vorstellen,...“ „Keine Namen.“, lehnte der Mann ab, dann verneigte er sich knapp vor dem König. Obwohl seine Erscheinung sehr elegant und selbstbewusst war, trug er einfache Arbeiterkleidung. „Ich bin der Kontakt des Drachenvolkes zu der Handelsallianz Astorias.“ „Drachenvolk?“, wunderte sich Aston, fing sich aber schnell wieder. „Beweist es!“ „Seht her.“, befahl der Fremde und streckte eine Hand aus, auf deren Fläche plötzlich eine Feder erschien, hell aufleuchtete, dann auf Aston zuflog und mitten in der Luft wieder verschwand. „Beeindruckend.“, lobte Aston. „Erst letztes Sommerfest hatte ich einen Zauberer im Palast, der war nicht halb so gut wie ihr.“ „Zauberer arbeiten stets mit großen Gesten, um ihre Tricks zu verschleiern.“, konterte der Mann. „Ich hingegen habe mich nicht einmal gerührt.“ Aston blieb skeptisch. „Wie ist es zu dem Bündnis gekommen? Das Drachenvolk gilt als verschollen, auch wenn hier und da einzelne Individuen auftauchen.“ „Sie haben mich gefunden.“, warf Dryden ein, doch die Blicke des Königs und des Mannes brachten ihn zum Schweigen. „Das Fräulein Hitomi bat um uns Hilfe.“, erzählte der Mann vom Drachenvolk. „Sie war sich bewusst, eine Gefahr für Gaia zu sein, und kam deshalb in unsere Stadt. Wir haben sie aufgenommen um sie auszubilden, damit sie ihre Kräfte zähmen kann. Sie hat uns auch davon überzeugt, dass die Gezeichneten eine Gefahr für den ganzen Planeten sind. Seitdem helfen wir dabei, die Schläfer in den Städten und Dörfern aufzuspüren. Dank unserer Fähigkeiten sind nur wir dazu in der Lage.“ „Das Fräulein wurde gesucht. Euer Volk hat sich strafbar gemacht.“, drohte Aston. „Wir haben weder Verträge mit den Menschen, noch fürchten wir sie.“, schüttelte der Mann den Vorwurf ab. „Ihr habt die Dörfer ausspioniert?“, hakte der König nach. „In einem getarnten Guymelef, ja.“, bestätigte der Mann. „Die Gezeichneten können mich nicht spüren. Ich kann euch gern mehr über die Dörfer erzählen.“ „Es reicht, wenn ihr mir die Informationen durch ein Dossier zukommen lasst. Die Einladung hat schließlich auch irgendwie den Weg in meine Gemächer gefunden.“, lehnte Aston müde ab. „Ich werde mich zurückziehen. Dryden, fahrt mich nach Hause!“ „Werdet ihr Farnelia helfen?“, fragte der Händler. Aston dachte gut nach. Dass Trias ihn wie eine Marionette benutzte hatte, wurde für ihn von Moment zu Moment offensichtlicher, wie wenig er es auch wahrhaben wollte. Wirklich wütend machte ihn jedoch die Erkenntnis, dass Dryden und Hitomi wohl glaubten, es Trias gleich tun zu können. Hier ging es mehr als nur um ein paar Dörfer. Aston musste beweisen, dass nur die Könige herrschen, nicht die Bauern. „Nein. Ich werde für den Transport und die Unterbringung der Flüchtlinge aufkommen, mehr nicht.“, verkündete Aston. „Das Dossier möchte ich nur, um einen Luftschlag auf die infizierten Dörfer vorzubereiten.“ Dryden seufzte theatralisch. „Lasst wenigstens Trias nichts davon wissen.“, bat er, dann geleitete er Aston nach draußen in Kutsche und stieg selbst auf den Bock. Während an Aston die Häuser vorbei zogen, malte er sich genüsslich die Gesichter der beteiligten Spieler aus, wie sie von ihrer vermeintlichen Figur überrascht werden. Kapitel 17: Frühstück zu zweit ------------------------------ Hitomi räkelte sich genüsslich unter den warmen Schichten an Decken und schmiegte sich an das Kopfkissen. Langsam öffneten sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen und durch die Vorhänge Rot gefärbtes Licht streckte sich ihr entgegen. Es versprach ein wunderschöner Morgen zu werden, doch etwas fehlte. Es war still. Die monotonen Arbeitsgeräusche des Schiffes, die nur durch menschliches Treiben an Abwechslung gewannen, wurden zumindest aus dieser Koje raus gehalten, während der Koloss aus Stahl und schwebenden Felsen weit über der Erde schwebte. Sie vermisste nicht nur das Gezwitscher der Vögel, das sie auf der Erde jeden Morgen begrüßt hatte. Auch von ihrem Mann war nicht der geringste Atemzug zu hören. Ihr Mann. Der Gedanke jagte ihr Schmetterlinge in den Bauch, die daraufhin eine 180 Grad Drehung ertragen mussten. Bereits auf der Feier anlässlich ihrer Hochzeit hätten sie und Van sich fast gefetzt. Nicht gerade ein Traumstart in die gemeinsame Zukunft. Verunsichert drehte sich Hitomi zu der Seite auf der Van liegen sollte. Sein Platz war natürlich leer. Dafür, dass er so wild darauf gewesen war, mit ihr die erste von der Gesellschaft abgesegnete Nacht voll auszukosten, war er überraschend schnell aus dem Bett geflüchtet. Sofort begann sich Hitomi für diesen Gedanken zu hassen, doch ihre Zweifel blieben. Seit Merle die Hochzeit vorgeschlagen hatte, schien alles so klar gewesen zu sein. Jetzt aber musste die Braut feststellen, dass sie nur bis zur Eheschließung gedacht und das Danach effektiv ausgeklammert hatte. Was jetzt? Es wäre natürlich einfach, alles weitere Van zu überlassen und sich ihm zu unterwerfen, aber Hitomis Geist rebellierte gegen diese Vorstellung. Wenn Aston mit einer Sache Recht hatte, dann damit, dass sie sich nicht gerne unter buttern ließ. Stöhnend schlug sie ihre Hände vor das Gesicht. Die Hochzeitsnacht war gerade erst vorbei und sie dachte schon einen anderen Mann, der nicht einmal ansatzweise begehrenswert war. Sie musste aus diesem Bett raus, allein um auf andere Gedanken zu kommen. Kaum war sie aufgestanden, spürte sie die Luft auf ihrer Haut. Natürlich hatte Van sich gestern nicht die Zeit genommen ihr ein Nachthemd raus zu legen. Genervt zog sie eine der Decken vom Bett und wickelte sie um ihren Körper. Dass das Hochzeitskleid irgendwo herum liegen musste, fiel ihr erst einen Moment später wieder ein. Während eine Hand die Decke an Ort und Stelle hielt, schob die andere die Vorhänge zurück. Unter dem Schiff ergoss sich eine Landschaft aus Wäldern und Felsen, die langsam am Schiff vorbei trieb. Hitomi lehnte sich an die Fensterfront den Blick nach draußen gerichtet. Einen Moment lang ließ sie sich fort tragen, dann wandte sie sich dem Kleiderschrank zu. Doch ehe sie ihn öffnen konnte, öffnete sich die Tür zur Kabine. Entschlossen jeden, der es auch nur wagen würde, ungebeten ihr Heiligstes zu betreten, wieder raus zu schleudern, blickte sie auf und Van direkt in die Augen. Sie muss sehr erstaunt ausgesehen haben, denn Van hielt inne. „Guten Morgen, Sonnenschein. Stimmt etwas nicht?“, begrüßte er sie, während er die Tür mit einen seiner Füße zu schob und zum Bett ging, um ein Tablett, gefüllt mit Früchten, goldenen Brötchen und dampfender Tassen, darauf abzusetzen. Hitomi wollte vor Scham im Boden versinken. Ehe sie sich selbst mit negativen Gedankengut überschüttet hatte, war er aufgestanden, ohne sie aufzuwecken, um zur Kombüse zu gehen und das Frühstück zu holen. Sie hätte nur einen Moment investieren müssen, um seine Position und seine Absichten über ihr ständige Bindung zu erfahren. „Soll ich das wieder ausziehen?“, fragte Van spitzbübisch. Plötzlich passten die einfache Hose und das weite Hemd viel besser zu ihm, als noch vor einem Moment. „Lieber nicht, sonst wird der Tee kalt.“, lachte Hitomi. Schnell wischte sich die verräterische Nässe aus den Augen. Übertrieben enttäuscht nahm Van ihre freie Hand und geleitete sie vor das Tablett. Vorsichtig setzte sie sich auf die andere Seite des Tabletts, woraufhin er sich ebenfalls nieder ließ und wartete. „Und jetzt?“, fragte Hitomi, da nichts geschah. „Du musst anfangen zu essen.“, klärte Van sie auf, als wäre es das natürlichste der Welt. „Ich kann nicht vor dir anfangen.“ „Du machst mir Angst, weißt du?“, verkündete Hitomi und nahm die Tasse in ihre Hand. „Wie das?“, wunderte sich Van und steckte sich beinahe provokant genussvoll eine Weintraube in den Mund. „Vor unserer Hochzeit hast du dich einen Dreck darum geschert, ob ich angefangen zu essen oder ob ich nicht sogar schon fertig war. Du hast munter weiter alles in dich hinein gestopft.“ „Oh!“ Van tat geschockt. „Das sagst du besser noch mal in angemessener Form.“ „Du verstehst mich auch so, ich bin in ganz sicher.“, stichelte sie. „Weißt, dort wo ich herkomme, verwöhnen die meisten Mütter ihre Kinder, gleichzeitig aber halten sie die Kleinen an der kurzen Leine, um ja nicht von ihnen enttäuscht zu werden. Ich frage mich, ob du nicht auch das gleiche mit mir vorhast.“ „Du glaubst, ich halte dich für ein Statussymbol?“ „Nein...nun vielleicht...irgendwie schon.“ „Ich dachte du wolltest dieses Gespräch nicht in den Flitterwochen führen.“ Van tat sich mit der Bezeichnung des Urlaubs schwer, da sie im das Wort erst vor kurzem beigebracht hatte. „Leider werde ich wohl keinen Bissen runter bekommen, wenn ich nicht weiß, was aus mir wird.“, gab Hitomi grollend zu, woraufhin Van zu einer weiteren Frage ansetzte, sich diese dann aber verkniff. „Was?“, fragte sie und ihr Ton gab ihm zu verstehen, dass sie nicht locker lassen würde. „Ich wundere mich nur.“, beschwichtigte Van und ging schon halb in Deckung. „Ändern Frauen immer so schnell ihre Meinung?“ Wenn der Tee nicht so dermaßen gut schmecken würde, hätte sie ihm das heiße Getränk liebend gern ins Gesicht geschüttet. Doch Hitomi besann sich und speicherte diesen Vorfall unter der Kategorie ab: Das kommt davon, wenn man unbedingt alles wissen will. „Also, raus damit!“, forderte sie herrisch. „Welche Rolle werde ich für dich spielen.“ „Die einer geliebten Ehefrau.“, antwortete Van lächelnd. „Ich glaube, du möchtest wissen, welche Rolle du im Königreich einnehmen wirst.“ Haarspalterei, fluchte Hitomi in Gedanken. „Nun ja, mein Mann ist schließlich auch mein König.“, merkte sie an. „Und meine Frau ist meine Königin, die übrigens die gleichen Rechte hat wie ich.“, führte Van weiter aus. „Das ist bisher noch nie vorgekommen. Ich bin vollkommen verwirrt.“ „Du nimmst mich nicht ernst.“, klagte sie ihn schmollend an. „Bitte verzeih mir.“, bat er aufrichtig. „Aber ich weiß genauso wenig über deine Rolle im Machtgefüge wie du, weil ein solcher Fall einfach wie du noch nie zuvor da war.“ „Mit anderen Worten, alle meine Vorgängerinnen waren sprechende, dennoch schweigsame Puppen mit einer Gebärmutter.“, erwiderte Hitomi trocken. Erst wollte Van anmerken, dass sie die Eierstöcke und die Vagina vergessen hatte, überlegte es sich dann aber zu seinem Glück anders. „Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole. Sie waren vor allem geliebte Ehefrauen. Zumindest bei meiner Mutter kann ich mir dessen sicher sein.“ „Ich weiß.“ sagte Hitomi bedächtig. „Aber es reicht mir nicht, auf die Kinder aufzupassen, den Haushalt zu führen und darauf zu warten, dass du nach Hause kommst. Ich bin egoistisch, ich weiß, aber ich kann nicht anders.“ „Du willst Macht?“, fragte Van überrascht, ohne auf ihre immer seltsamer werdende Vorstellungen einzugehen. „Ich vor allem teilhaben und nicht nur als Zuschauerin an der Seitenlinie stehen.“, brach es aus ihr heraus. Wieder schien ihr Mann verwirrt zu sein. „Ich meine, dass ich nicht aus deinem Leben ausgeschlossen werden möchte.“ „Glaubst du nicht, dass wir irgendwann genug von einander werden, wenn wir uns ständig auf die Füße treten?“, wandte er ein. „Ich weiß nicht einmal, was ich ohne dich machen würde.“, konterte Hitomi mit leiser Verzweiflung, woraufhin er listig lächelte. „Denk nicht einmal daran, meine emotionale Abhängigkeit auszunutzen!“, drohte sie. „Der Priester hat mit keinem Wort erwähnt, dass der Tod uns scheiden könnte.“ „Also gut, folgender Vorschlag.“, versuchte Van. „Du bist wie deine Vorgängerinnen eine Repräsentantin Farnelias, allerdings längst nicht so still. Du wirst, während ich mit der internen Quälerei beschäftigt bin, die ich dir auf keine Fall antun möchte, für die Gäste da sein und auch sonst alles bezüglich ihres Aufenthalts organisieren.“ Hitomi schien alles andere als begeistert zu sein, doch Van fuhr unbeirrt fort. „Wenn ich mit den Gästen spreche, wirst du dabei und dein Rat wird stets willkommen sein. Bevor uns unseren vergnüglichen Nachtaktivitäten widmen, informiere ich dich über die Ereignisse und Beschlüsse des Tages, und du sagst mir deine Meinung. Da ich stets daran denken werde, dass Missstimmungen bei dir auch zu Missstimmungen im Bett führen, werde ich mein möglichstes tun, um solche zu verhindern. Später bist du auch für die Erziehung der Kinder verantwortlich. Ich schwöre, ich werde in dieser Hinsicht nichts ohne deine Einwilligung unternehmen. Allerdings befriedige ich ungern eine Frau, die meine Anliegen ignoriert.“ „Das Druckmittel unserer gegenseitigen Kontrolle ist Geschlechtsverkehr?“, zweifelte Hitomi. „Das sicherste, was es gibt.“, versicherte Van übertrieben ernst. „Bei euch Männern vielleicht.“, gab Hitomi ihn empört Recht. „Was ist, wenn weder Gäste noch Kinder da sind?“ „Letzteres ist ein unzumutbarer Zustand, den ich mit aller Kraft ändern werde.“, neckte Van und überlegte. „Du könntest dich zusätzlich um die Verwaltung der Villa kümmern, wie meine Mutter es getan hat.“ „Nein, danke.“, lehnte Hitomi ab. „Ich denke, wir sollten unseren Wirtschafter behalten.“ „Dann kannst du mit mir die interne Quälerei gern gemeinsam durchleben.“, bot Van an. „Aber ich warne dich! So wie ich Merle kenne, hat sie dir nur ihre Treue geschworen, um ja nie wieder ein Wort mit den Beamten wechseln zu müssen.“ „Hab ich Mitspracherecht?“ „Voll und ganz, auch wenn ich dich darum bitten würde, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, man könnte uns gegeneinander ausspielen.“ „Ich soll dir nicht widersprechen.“, schlussfolgerte Hitomi verstimmt. „Wir sollten uns zumindest immer einig werden.“, schlug Van versöhnlich vor. „Selbstverständlich werden wir bei öffentlichen Auftritten möglichst gemeinsam erscheinen.“ Da sie nichts erwiderte, hakte er nach: „Wie klingt das?“ „Verhandelbar.“, gab Hitomi hochnäsig zu Protokoll. „Gut, wie wäre es damit.“, versuchte Van es weiter. „Du nimmst beide Hände zum Essen und ich lege aus reiner Solidarität meine Kleidung ab.“ „Einverstanden.“, stimmte sie zu. „Wenn du es aber wagen solltest, mein Frühstück zu unterbrechen, lass ich dich kastrieren!“ „Stelle dich nie zwischen einer Frau und ihr Essen!“, schlussfolgerte ihr Mann und seufzte. „Allmählich verstehe den Sinn gewisser Sitten.“ Kapitel 18: Begegnung im Wald ----------------------------- Ab wann war in ihrem Leben eigentlich alles schief gelaufen? Diese Frage geisterte immer wieder durch Siris Kopf, während sie im Unterholz des Waldes hockte, der die Hafen- und Hauptstadt Astorias Palas vom Land her umschloss. Ihre Gedanken schweiften zu dem Augenblick, als sie Trias ihre Gefolgschaft versprochen hatte, mit der Aussicht, dass er sie aus dieser entlassen würde, sobald Allen tot wäre. Sie dachte an den Schmerz, als sich seine Fangzähne in ihren Nacken gebohrt und das Virus in ihre Adern gepumpt hatte, und an den schönen Abend, den sie zuvor gehabt hatte, an die Kutschfahrt, an den Tanz, an Allens Wärme, die selbst durch seine Handschuhe drang, als er ihr ihre allerersten Tanzschritte gezeigt hatte. Mit Gewalt drängte Siri die aufkeimende Hitze zurück. Ihre Bedürfnisse und die Anziehungskräfte männlicher, gestählter Körper haben sie erst in ihre jüngste Krise gestürzt. Stattdessen besann sie sich auf den Moment, in dem alles Übel inne wohnte. Der Augenblick, als Merle sie verraten und bloß gestellt hatte. Der Augenblick, als Siris Lehrerin Hitomi entführt hatte, um sie vor ihren Verfolgern in Sicherheit zu bringen. Die Ironie, dass sie so ihre Schülerin erst in die Arme des galanten und in der Schwertkunst unübertroffenem Ritters Allen Shezar, und dann in die Klauen ihres jetzigen Meisters Baron Trias getrieben hatte, schlug ihr hoffentlich ordentlich auf den Magen. Sie verdiente nichts Besseres als daran zu ersticken. Das Lager, das in einem Erdloch vor neugierigen Blicken aus der Ferne geschützt war, bot kaum Aussicht. Siri wusste weder, wo sie war, noch konnte sie es aus ihrem Versteck heraus feststellen. Natürlich war das Absicht. Sie konnte unmöglich sagen, wann ihr Meister ihre Wahrnehmungen zu seinen eigenen machte, und sie so aufspürte. Doch nun zehrte die Eintönigkeit der Tage an ihren Nerven. Während ihr eigener Schüler Ryu unterwegs war um Wasser zu holen, Feuerholz zu suchen, Beeren und Wurzeln zu sammeln oder Tiere zu erlegen, konnte sie nichts anderes tun, als still dazusitzen und zu warten. So manches Mal hatte sie sich dabei ertappt, sich zu wünschen die Häscher würden sie finden, nur damit etwas passiert. Doch dann mahnte sie sich zur Geduld und erinnerte sich an die Verantwortung, die sie mit sich herum trug. Es ging hier nicht mehr nur um ihr eigenes Leben. Gedankenverloren stocherte sie in der glühenden Asche und die Decke enger um sich. Die Sonne war kalt und tief. Sie würde sehr bald eine warme Unterkunft brauchen, da der Winter innerhalb der nächsten Wochen mit voller Wucht über das Land hereinbrechen sollte. Eine ihrer limitierten Möglichkeiten war die Versammlung der Allianz diese Woche, an der auch das Königspaar aus Farnelia teilnehmen sollte. Siri hatte bei der Königin sicherlich kein Stein mehr im Brett, seitdem sie ihren kleinen Bruder gebissen hatte. Auch wenn Siri alles versuchte, damit er sich selbst als Schüler und nicht Sklave sehen konnte, war Hitomi mit Sicherheit anderer Meinung. Und doch war Ryu das einzige Druckmittel, um die Königin zum Helfen zu bewegen. Kaum jemand anders dürfte den Einfluss und die Fähigkeiten besitzen, um Trias und seine gezeichneten Diener fernzuhalten. Ihr Spiegelbild auf den Stahl einer Klinge riss Siri aus ihrer Dämmerung. Erschrocken sah sie auf und machte drei Gestalten aus, von denen zwei direkt vor ihr standen und sie mit gezogenen Schwertern bedrohten. „Mitkommen!“, befahl der Anführer, ein stämmiger Mann. Zur Antwort riss sie ihre Decke von den Schulter und knallte sie ihm ins Gesicht. Blitzschnell stand sie auf, wandte sich an dem Schwert des zweiten Angreifers vorbei und schlug zielsicher ihren Ellenbogen gegen seine Schläfe. Ein weiterer Schreck folgte, als sie den gespannten Bogen in der Hand des dritten Mannes erkannte, während sie auf ihn zu rannte. Im nächsten Moment schnellte der Pfeil von der Sehne und sie rutschte auf den nassen, von Blättern bedeckten Boden unter den Schuss durch, bis sie schlitternd vor den Füßen des Bogenschützen zu liegen kam. Mit einer Scheren-Bewegung ihrer Beine brachte sie ihn zu Fall. Als seine Schultern den Boden berührten, rannte sie schon weiter. Doch nach wenigen Schritten raste ein stechender Schmerz von ihrer Schulter aus durch ihren Körper. Schreiend stürzte sie und fing sich unsanft auf ihren Armen ab. Das Wurfmesser in ihrem Schulterblatt beraubte sie fast völlig ihrer Beweglichkeit. Verzweifelt robbte sie vorwärts. Wenn sie nur Ryu erreichen könnte... Brutal riss ein Paar Hände sie hoch und hielten sie an ihren Armen fest. „Genug gespielt, Prinzessin!“, knurrte der Anführer verärgert in ihr Ohr. „Der Meister wartet schon auf euch.“ Der schlechte Atem, der ihr entgegen schlug war als Grund genug für Siri sich zu wehren, doch ihr Peiniger ließ nicht locker. Plötzlich schöpfte sie Hoffnung. Durch das Gewirr an Stämmen schlüpfte rasend schnell eine einzelne Gestalt und kam dabei zielstrebig näher. Es dauerte nur einen Augenblick, dann wusste sie, das es ihr Schüler war, der ihr mal wieder das Leben rettete. Der Anführer bekam die Veränderung mit und erspähte den nahende Gefahr für sich und seine Männer. „Vorsicht!“, brüllte er. „Die kleine Ratte lebt noch. Kain, erledige ihn!“ Der Bogenschütze spannte seine Waffe, zielte sorgfältig und ließ los. Im hohen Bogen flog der Pfeil auf Ryu zu, doch der pflückte ihn sicher mit seinem Schwert aus der Luft. „Warte, bis er näher kommt!“, befahl der Anführer und ließ Siris Arm bei der verletzten Schulter los, um einen Dolch zu ziehen und drohend vor ihrer Halsschlagader zu halten. „Stopp! Oder deine Meisterin ist tot.“, brüllte Ryu zu, der jedoch wurde nicht einmal langsamer. Siri verstand, schickte eine Bestätigung mittels ihrer Gedanken an ihn. Als Ryu nur noch ein dutzend Meter entfernt war, griff sie mit ihrer freien Hand in den Schritt des Anführers und drückte zu. Der heulte auf, worauf hin sich sein Griff verstärkte, sich dann aber löste. Während seine freie Hand nach der ihren in seinem Schritt langte, schlüpfte sie aus ihrer Gefangenschaft und fiel mit ihrem Gesicht voran in den Dreck. Über ihr segelte Ryu durch die Luft und trennte im Sprung den Kopf des Anführers von den Schultern. Anschließend rollte er sich unter der Schussbahn des Bogenschützen ab und erschlug ihn. Der letzte der Angreifer nahm die Beine in die Hand, aber Ryu setzte ihm unerbittlich nach. Währenddessen versuchte Siri ihre gehetzte Lunge zu beruhigen und sich zu entspannen, was mit einem Messer in der Schulter alles andere als leicht war. Als ein Schatten sich über sie erhob, drehte sie ihr Gesicht aus der Erde und lächelte. „Zieh es raus!“, befahl sie Ryu und schrie laut auf, da er ihrer Anweisung genauso unbarmherzig gefolgt war, wie er den Kampf eben bestritten hatte. Siri schluckte ihre Tränen runter und legte sich flach auf den Bauch. Ihr Geist tauchte durch ihr eigenes Gewebe und steuerte die Heilkräfte ihres Körpers. Sie nutzte die Befürchtung, die Knochen könnten falsch zusammen wachsen und ein weiteres Mal gebrochen werden müssen, um sorgfältig und konzentriert zu bleiben. Ryu hielt derweil geduldig Wache, bis Siri sich aufrappelte und ausgiebig stöhnte. Sie brauchte Ryu nicht zu fragen um sicher sein zu können, dass jeder des Überfallkommandos tot war. Der harte, kalte Ausdruck in seinen Augen war Beweis genug. Wieder einmal stach sie das Gewissen und warf ihr vor, was sie ihm alles zumutete, doch sie brauchte ihn, sowohl als Streiter als auch Begleiter. Von nachlassenden Schmerzen in der Schulter begleitet schleppte sie sich zu der Leiche des Anführers. Trias verfolgte mit Sicherheit gerade ihre Wahrnehmung, also betrachtete sie den toten Körper ausgiebig und sagte dann laut: „Das passiert mit allen, die ihr mir hinterher schickt.“ Ein Welle puren Leides schwemmte durch ihren Kopf, doch sie ertrug die Strafe ihres Meisters ohne einen Laut von sich zu geben. Am Anfang ihrer Flucht hatte Trias sie ausgiebig mit extremen Kopfschmerzen geplagt, doch in den letzten Tagen war er dessen müde geworden. Die Pein ging so schnell, wie sie gekommen war und ließ Siri schwer atmend zurück. „Wir gehen in die Stadt zurück.“, entschied sie. „Hilf mir das Lager abzubrechen!“ Wie immer sagte Ryu nichts, sondern blieb schweigsam und folgte ihren Befehl ohne Zögern. Er lief ihr voraus und begann damit, die Habseligkeiten einzusammeln. Siri beobachtete ihn mit schwerem Herzen. Er war immer so, ernst, verschlossen, Pflicht bewusst. Sie hatte ihn nur einmal Schmerzen bereiten müssen um ihren Willen durchzusetzen, ganz am Anfang zu seiner Zeit als Gezeichneter. Damals hatte er seine Schwester töten sollen und natürlich Widerstand geleistet. Danach, egal, wie grausam es auch gewesen war, hatte er alles getan, was sie von ihm verlangt hatte. Wieder einmal regte sich in ihr die Hoffnung, dass er aus Respekt oder gar Zuneigung ihr derart treu zu Diensten war, und wieder einmal zerschmetterte die Befürchtung, dass er lediglich vor der Strafe Angst hatte, jede Zuversicht. Einen Moment überlegte sie, ob sie ihn freilassen sollte. Er musste dazu lediglich ihr Blut trinken, doch der Gedanke alleine zu sein oder gar gegen einen vor Rache geblendeten Ryu kämpfen zu müssen, schnürte ihr die Kehle zu. Stumm rollte sie ihre Decke zusammen. Sie brauchte ihn, so viel sein Dienst ihn auch kostete. Aber sie konnte den ersten Schritt zur Versöhnung versuchen, auch wenn diese unendlich weit weg zu sein schien. „Bitte verzeih mir!“, bat sie leise. Ryu arbeite weiter, als hätte er sie nicht gehört, und Siri entschied es dabei zu belassen. Vergebung, sollte es sie wirklich geben, braucht Zeit. Sie dachte an Merle und ihr wurde klar, woher sie das so genau wusste. Kapitel 19: Flitterwochen ade! ------------------------------ Von außen war der Palast Fraids lediglich ein Quader. Die Wände aus sandfarbenen Gestein streckten sich dem Himmel entgegen, bis Balken und Ornamente aus Holz, die ein hohes, spitzes Dach über sich trugen, sie stoppten. Es gab überraschend wenig Fenster, wie Hitomi auffiel. „Wir hätten nicht alle Architekten für uns behalten sollen, die man uns gegeben hat.“, kommentierte Van das einfach wirkende Gebäude. Beide stiegen gerade die Treppen zum Haupteingang hinauf. Ihre formalen Gewänder aus verschiedenen Blautönen und dunkelroten Verzierungen verliehen der brühenden Hitze und der knallenden Sonne noch mehr Gewicht. „Angeber!“, schallte sie ihn. „Cid denkt voraus. Er kann jeder Zeit anbauen, auch wenn er es sich jetzt noch nicht leisten kann. Was sollen wir denn machen, sollten wir mehr Platz brauchen? Jeder Anbau würde wie ein Klotz an der Fassade unserer Villa wirken.“ „Auch wieder wahr...“, meinte Van und sah daraufhin seine Frau ernst an. „Du erinnerst dich daran, was ich dir gesagt habe?“ „Nicht aufschauen, bis er mich angesprochen hat.“, wiederholte Hitomi und rollte mit den Augen. „Ich weiß nicht, warum dir das plötzlich so wichtig ist.“ „Merle hat mir erzählt, dass du bei unserem ersten Besuch die ganze Zeit gestarrt hast. Ihr zufolge musste sie sich sehr zusammen reißen dich nicht zu Recht zu weisen. Sie wollte keine Aufmerksamkeit erregen.“ „Ich weiß, dass ich viel über die Sitten auf Gaia nicht weiß, deine perfekte Schwester aber schon. Danke, dass du mich daran erinnerst.“ „Entschuldige.“, bat Van überrascht. „Ich hätte nicht gedacht, dass du neidisch auf sie bist.“ „Sie hatte ihr Leben lang Zeit zum Lernen. Ich muss es mir rein prügeln.“, erklärte Hitomi mit leiser Verzweiflung. „Eigentlich wusste sie ursprünglich nur wie sich sich als stille Begleiterin verhalten muss. Die Rolle einer Dame musste sie sich erst aneignen, nachdem du weg warst.“, erzählte Van. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Gesicht aus. Vor seinem inneren Auge sah wie die erst dreizehnjährige Merle stolz den gefesselten Spion aus Zaibach präsentierte, der wenig später ihr Mentor und Lehrer wurde. „Egal, ob es nun Glück war oder nicht, mit der Verhaftung von Gesgan hatte sie gezeigt, was für Fähigkeiten in ihr schlummerten. Von da an nahm ich ihre Bemühungen ernst und verließ ich mich ganz auf sie, obwohl sie kaum wusste, was sie tat oder tun sollte. Bei offiziellen Anlässen war sie immer an meiner Seite als meine geheime Leibwache.“ Sein Blick fand den seiner Frau. „Der einzige Unterschied zu dir jetzt war wohl, dass man ihr damals keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, obwohl sie viel davon auf sich zog, allein durch ihre Gestalt.“ „Soll mich das aufmuntern?“ „Es soll dir Mut geben. Es gibt keinen Grund, warum du es nicht auch schaffen solltest.“ „Sie spielt in einer anderen Liga als ich.“, erwiderte Hitomi bitter schmunzelnd. Van runzelte verwirrt mit der Stirn, woraufhin sie erklärte: „Ich meine, sie ist nicht mit mir vergleichbar. Allein ihre Kraft, körperlich wie geistlich...Ich werde nie so sein können wie sie.“ Der junge König hielt auf der Treppenstufe an und nahm beide Hände seiner frisch vermählten Frau an sich. „Sie wurde durch ihre Aufgaben, den Umständen und ihrer eigenen Arbeit geformt, genau wie es bei dir der Fall sein wird. Glaub ja nicht, so wie du jetzt bist, wirst du bleiben. Du solltest nicht unterschätzen, was alles aus dir werden kann.“ „Danke.“, verkündete Hitomi gerührt. „Es tut gut, das von dir zu hören.“ „Ich glaube an dich, das weißt du doch.“ „Ja, ich weiß, aber es ist trotzdem gut, wenn du es sagst.“ „Ich glaube an dich.“, bekräftigte Van mit vollem Ernst. „Danke.“, erwiderte Hitomi liebevoll. „Ich glaube an dich.“ „Ich weiß. Du kannst jetzt...“ „Ich glaube an dich.“ „Schon gut, ich...“ „Ich glaube an dich.“ „Es reicht.“ „Ich...“ Weiter kam er nicht, da der Kuss von Hitomi ihm den Atem raubte. Einen Moment lang wollte Van sich wehren, ihr sagen, dass öffentliches Zurschaustellen von Zuneigung nicht schicklich ist, dann aber verlor er sich in den Sturm ihrer Gedanken und seine Vorbehalten wurden hinweg gefegt. Schließlich war es Hitomi, die von ihm abließ. Ihr Blick strotzte nur so vor Zuneigung, bis er kurz zum Palast flüchtete. „Was ist?“, fragte Van. „Ich glaube, Cid hat uns beobachtet.“, sagte sie und Schamröte stieg ihr ins Gesicht. „Wenn er sich jetzt eine andere Hose anziehen muss und wir deswegen warten müssen, ist es deine Schuld.“, warf Van ihr vor. „Wie bitte? Warum sollte er...“ Verwirrt starrte sie ihren Mann an und verstand, worauf sie verlegen lachte. „Du wieder mit deiner schmutzigen Fantasie! So alt ist er doch gar nicht.“ „Du solltest Jungs nicht unterschätzen. Egal, wie alt sie sind, sie haben es faustdick hinter den Ohren.“ „Außerdem bist du schuld!“, behauptete Hitomi. „Wie sollte ich dich sonst zu schweigen bringen?“ „Versuch es mal mit Zwicken.“, schlug Van vor und seine Frau setzte den Rat sofort in die Tat um, was er ihr mit gleicher Münze heimzahlte. Beide brachen in lautes Gelächter aus, während sie immer wieder nach den Armen des anderen griffen und gleichzeitig auswichen. Sie waren so in ihrem Spiel vertieft, dass sie die Zeit vergaßen, bis ein mit sanfter Autorität ausgesprochenes Euer Majestät sie unterbrach. Verwundert sah sich das Ehepaar nach der Quelle der unerwünschten Anrede um und fasste eine mit einem einfachen Kleid bekleidete, dunkelhäutige Dienerin ins Auge, die sie streng ansah. „Seine Hoheit, Herzog Cid, möchte eure Majestät daran erinnern, dass die Zeit seiner Hoheit knapp bemessen ist. Außerdem lässt er ausrichten, seine Berater sind, ich zitiere, ehrwürdige, verknöcherte Mönche, die kaum Verständnis für jugendlichen Eifer aufbringen, wie er selbst schon feststellen musste.“ Verlegen bemühten sich Van und Hitomi um ein angemessenes Erscheinungsbild. „Vielen Dank, Fräulein Wareh.“, sagte Van staatsmännisch und registrierte zufrieden ihre Überraschung darüber, dass er ihren Namen noch wusste. „Bitte führt uns hinein!“ Hitomi beobachtete neugierig das Minenspiel der beiden, dann stellte sie sich auf seine Gedanken ein. Vans Erinnerungen an Merles ersten Ball als Prinzessin durchfluteten sie. Plötzlich wurde sie neugierig. Was war das für eine Frau, der sich Cid anvertraut hatte? Zügig stiegen sie die vielen, verbliebenen Stufen hinauf bis zu den großen Flügeltüren, die ins Palastinnere führten. Die zwei leicht bekleideten Wachen am Eingang verzogen keine Mine, aber Hitomi spürte deutlich ihre Abneigung. Hier gleichzeitig als Kind und als Herrscher aufzuwachsen konnte sie sich nicht vorstellen. Van hakte sich bei ihr ein und hatte gerade noch Zeit sie anzulächeln, ehe die schweren Türen aufschwangen. Den Blick starr nach vorn gerichtet, betrat das Paar die Empfangshalle. Flankiert von im Schneidersitz verharrenden Mönchen gingen sie auf den hölzernen Vorhang zu, der den Thron am anderen Ende des großen Raumes verbarg. Hinter ihnen schlüpfte die Dienerin unauffällig hinein. Van ließ sich in angemessener Entfernung zum Thron in den Schneidersitz sinken, woraufhin sich Hitomi neben ihn auf ihre Knie und Fußknöchel setzte, wie sie es aus ihrer Heimat her kannte. Sofort spürte sie anhand der Missbilligung der Anwesenden, dass etwas nicht stimmte. Ihr Mann beruhigte sie und erklärte ihr ohne Worte, dass in Fraid Frauen hinter den Männern saßen, er jedoch wollte sie an seiner Seite haben. Erleichtert beugte sie ihr Haupt und richtete ihren Blick auf den Boden. Wie von Geisterhand hob sich der Vorhang und der Adjutant vor dem Thron kündigte das Königspaar an. „Ich heiße euch und eure Gattin in Fraid willkommen, euer Majestät.“, begrüßte Cid sie mit der klaren Stimme eines Kindes, woraufhin Van sich bedankte. „Und euch, Hitomi, gratuliere ich zu eurer Heirat. Mein Vater hat mir einmal erzählt, meine Mutter hätte ihm etwas gegeben, was nicht einmal ein König einfordern kann. Es freut mich zu sehen, dass ihr euren Gatten dieses Geschenk ebenfalls macht.“ Hitomi schaute schmunzelnd auf und musterte Cid. Er war noch immer ein Kind. Seine Stimme, seine Statur und nicht zuletzt sein Gesicht ließen daran keine Zweifel. Seine Augen jedoch waren schwer, beinahe trüb, als lasteten hunderte Jahre auf ihnen. Genauso stramm wie seiner Zeit sein Vater saß er auf den Thron, immer bereit eine Entscheidung zu fällen. „Vielen Dank, euer Hoheit.“, sagte sie ernst. „Ich werde es nicht vergessen.“ „Ich weiß, dass ihr es kaum abwarten könnt, euch zurückzuziehen. Das Haus, um das ihr gebeten habt, ist bereit und wartet auf eure Ankunft. Dennoch hoffe ich, dass ihr mir die Ehre einer gemeinsamen Mahlzeit zugesteht. Es ist bereits angerichtet.“, bat der junge Herzog. Hitomi krauste verwirrt ihre Stirn und sah dann Van an. Das Angebot war nicht geplant gewesen. „Wir nehmen eure Einladung mit Freuden an, euer Hoheit.“, erwiderte Van ohne Zögern. Zum ersten Mal lächelte Cid. Ein klein wenig lebhafter sprang von seinem Thron. „Bitte folgt mir.“ Hitomi wagte es erst aufzustehen, als Van sich erhob. Niemand außer Wareh folgte den dreien. Cid führte sie in einen kleinen Raum mit und einem gedeckten Tisch in der Mitte und vier Stühlen. An dem einzigen Fenster lehnte eine von einem Umhang verhüllte Gestalt und starrte nach draußen. Hitomi witterte schon eine Falle, da sie die Person in dem Zimmer nicht spüren konnte, doch die Unbekannte schlug die Kapuze zurück. Hitomis Augen weiteten sich, als sie das Katzenmädchen erkannte. „Merle!“, staunte sie und stürmte allen voran auf den Überraschungsgast zu. Beide umarmten sich. „Du siehst gut aus.“, lobte die Prinzessin. Ihre Augen blitzten schelmisch auf. „Ich hoffe, mein Bruder überfordert dich nicht.“ „Warum bist du hier?“, fragte Van ungehalten dazwischen. „Freust du dich denn nicht?“, warf Hitomi ein. „Ihr Kommen ist eine Überraschung und das bedeutet meistens Arbeit.“, erklärte etwas ruhiger. „Er hat Recht.“, stimmte Merle ihn zu, ehe Hitomi etwas einwenden konnte. „Ich fürchte, ihr müsst euren Urlaub beenden.“ „Wieso? Was ist passiert?“, erkundigte sich die Königin besorgt. „Ein Heer der Gezeichneten marschiert auf Farnelia zu. Es hat wahrscheinlich vor ein paar Tagen die Grenze überschritten und ist noch etwa zwei Wochen von der Stadt entfernt. Chuzarios Spähern zur Folge besteht es nur aus unbewaffneten, willenlosen Dienern. Sie konnten den oder die Gezeichneten nicht ausmachen, die die Streitmacht anführen.“, berichtete sie sachlich. Hitomi war sprachlos, während Van grimmig drein blickte, für Cid hingegen schienen die Neuigkeiten nicht neu zu sein. „Was sagen die Berichte unserer eigenen Späher?“ „Ich habe sie abgezogen.“, antwortete Merle auf Vans Frage. „Die Gezeichneten hätten sie überwältigt, noch bevor sie in Sichtweite gewesen wären. Chuzarios Späher beobachten das Heer aus der Luft.“ „Das heißt, du weißt schon seit einiger Zeit, dass es kommt. Seit wann?“ „Seit ein paar Wochen. Es war nicht schwer die anlaufende Heerschau und Evakuierung der Dörfer auf dem Weg der Gezeichneten zu verschleiern. Ihr habt mir schließlich dank der Hochzeitsvorbereitungen freie Hand gelassen.“ „Warum hast du mir nichts gesagt?“, explodierte Van. „Wie kann ich mein Land beschützen, wenn mir niemand etwas sagt? Wie oft willst du mich noch so an der Nase herum führen?“ Völlig unerwartet spuckte er Feuer und die ehemals stolze Prinzessin wurde ganz klein. Doch dann spürte er einen scharfen Schmerz an seinen Arm und wandte sich völlig außer sich seiner Frau zu. Die erwiderte seinen vernichtenden Blick so fest wie ein Fels in der Brandung. Der König schluckte seinen Ärger hinunter. „Wie sollen wir dir in Zukunft Glauben schenken, wenn du uns so oft hintergehst?“, mahnte Hitomi Merle ruhig, aber streng. „Wir haben dir die Außenpolitik anvertraut, damit du uns vertrittst und uns alles erzählst, was wichtig sein könnte, nicht, damit du alles selbst in die Hand nimmst. Wie sollen wir deinem Urteil vertrauen, wenn du uns derart wichtige Informationen so lange vorenthältst?“ „Bitte verzeiht, Herrin!“, entschuldigte sich Merle kleinlaut. „Tut mir Leid, Van. Es kommt nie wieder vor.“ „Gibt es noch etwas, dass du uns mitteilen möchtest?“, fragte er mit scharfer Stimme. „Ich habe zu allen drei Anführern der Allianz, Chuzario, Astoria und Vasram, eine Anfrage für eine Konferenz des gesamten Bündnisses geschickt. Chuzario und seltsamer Weise auch Astoria haben meinem Ersuchen stattgegeben. Die Konferenz findet in drei Tagen in Palas statt.“ Noch immer eingeschüchtert holte sie eine Mappe unter ihrem Mantel hervor und hielt sie Van hin. „In dem Dossier sind alle Informationen über das gegnerische Heer, unserer eigenen Streitmacht, die bereits getroffenen und anlaufenden Maßnahmen enthalten.“ „Wir haben nicht viel Zeit.“, warf Van ihr vor. Zu seiner Frau sagte er: „Wir sollten sofort aufbrechen.“ Cid protestierte: „Wir haben doch noch gar nicht gegessen.“ Van setzte zum Widerspruch ein, doch Hitomi kam ihm zuvor. „Selbstverständlich stehen wir zu unserem Wort.“, versicherte sie. „Farnelia befindet sich in guten Händen. Eine Stunde weniger wird da nicht schaden.“ Währenddessen erinnerte sie ihn stumm daran, dass er selbst Cid die Zusage gegeben hatte. Van brauchte erst gar nicht ihr Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass er verloren hatte. So hatte er sich die Sache mit dem Einig Werden nicht vorgestellt. Während der gesamten Mahlzeit wurde nicht einmal über die Politik gesprochen, stattdessen schwelgte man in Erinnerungen. Besonders Cid, wie Hitomi auffiel, weigerte sich unauffällig, aber beharrlich, über das zu Reden, was ihm gerade durch den Kopf ging. Leider fehlte die Zeit für ein persönliches Gespräch. Als man sich schließlich verabschiedete, drückte sie Merle ganz fest an sich und flüsterte ihr ein aus dem Herzen kommendes Danke ins Ohr. Van, der ganz woanders zu sein schien, blieb dagegen kühl. Auf dem Heimflug im Rasenden Falken schwankte die junge Prinzessin zwischen heller Freude über Hitomis stillschweigender Würdigung und schmerzhafter Verunsicherung durch Vans offenen Zorn. Dabei hatte sie beiden einen Gefallen tun wollen. Kapitel 20: Gemeinsam einsam sein --------------------------------- Sofort nachdem das Königspaar an Bord der Katzenpranke gekommen war, setzte sich Van an dem einzigen Tisch der eigenen, luxuriösen Kabine und schlug das Dossier auf, das er von Merle erhalten hatte. Hitomi, die abgeschlagen ein paar Sekunden nach ihm eintrat, stand erst einmal ratlos herum. Ihr Mann sprach weder mit ihr, noch beachtete er sie, als wären beide ganz allein im Zimmer. Leise schloss sie die Tür hinter sich und ging zu ihm. „Van?“ Da er ihr nicht antwortete, lugte sie neugierig über seine Schulter. Vor sich sah sie eine Liste der Farnelia zur Verfügung stehenden Truppen. Alles in allen kaum zweihundert Männer mit eigener, meist leichter Bewaffnung und Rüstung, die meisten so jung und unerfahren, dass sie noch in ihre Kinderschuhe passten. Die erfahrenen Krieger waren beim Zaibacher Überfall auf die Stadt gefallen. Hitomis Herz sank angesichts der Aufstellung bis in die Zehenspitzen. Wie sollte ein solches Heer gegen ein zehn mal so großes bestehen? Einen Moment später wurde ihr klar, dass dieses Gefühl vor allem von Van ausging. Ihre Schultern sanken herab. Er redete zwar nicht mit ihr, dennoch konnte sie spüren, was er fühlte und seine Gedanken lesen. Er verlor die Hoffnung auf ein Morgen. Sie nahm sich vor auf gleichem Wege zu versuchen ihm Mut zu machen. Sie legte ihre Hände auf seine Schultern und beschwor Zuversicht herauf. „Geh bitte!“, sagte er völlig unvermittelt und kaum hörbar. Hitomi war völlig überrumpelt. „Ich will dir doch helfen!“, hielt sie dagegen. „Du störst.“, warf Van ihr vor. Tief getroffen wirbelte sie herum und stürmte aus der Kabine. Liebend gern hätte sie die Tür zugeschlagen, doch diese schwang nur behäbig und quietschte noch nicht einmal. Dann trampelte sie hastig durch das das ganze Schiff ohne ein Ziel zu haben. Wenn jemand sie ansprach, ignorierte sie ihn. Wenn jemand im Weg stand, schob sie ihn beiseite. Sie lief solange weiter durch die engen, stählernen Gänge, bis die geschlossene Schleuse sie aufhielt. Wie ein gefangenes Raubtier ging vor der massiven Tür auf und ab. Immer neue Flüche kamen ihr in den Sinn, während das Geschehene sich in ihrem Kopf unzählige Male wiederholte. Nur am Rand bekam sie mit, wie sich mit der Zeit mehrere Stimmen um sie scharrten, bis Vans herrische sich unter ihnen mischte und alle anderen vertrieb. Kurz darauf nahm eine seiner großen Hände eine ihrer kleinen Schultern, doch Hitomi schlug nach ihr. Von der Zurückweisung unbeeindruckt packte Van den ausgefahrenen Arm mit sanfter Gewalt und zwang sie sich umzudrehen. „Hey! Reiß dich zusammen!“, fuhr er sie leise an, doch sie schüttelte den Kopf, kniff die Augen zu und versuchte vergeblich ihn von sich weg zu drücken. „Hör auf!“, befahl er etwas lauter. Sie schrie wie am Spieß und stemmte sich mit aller Kraft ihm entgegen. Gnadenlos griff er nach ihrem Kinn und riss es hoch. „Sieh mich an!“ Sein Atem war nun ganz nah. Die Wärme seiner breiten Brust, in der sie sich sonst immer so rein kuscheln konnte, wirkte plötzlich bedrohlich. „Ich muss diesen Bericht zu Ende lesen und das kann ich nicht, während du mich mit negativen Gedankengut bombardierst.“ „Hattest du mir nicht versprochen, die internen Quälerei gemeinsam durchzustehen?“, versuchte Hitomi dagegen zu halten. Zorn erfüllte ihre Augen. „Ist es das, was du unter Einigkeit verstehst?“ „Interne Quälerei ist die Diskussion über die Geldmittel einer Schule oder die Beschwerde eines Händlers über den Zustand einer Straße.“, klärte er sie auf. „Hier geht es um die Verteidigung Farnelias, was ganz allein meine Verantwortung ist.“ „Mir haben die Krieger auch Treue geschworen.“, widersprach seine Frau energisch. „Weißt du, wie man die Stadtmauer überwinden könnte? Kennst du die Arten, wie man ein Holztor gewaltsam öffnen kann, oder wie man es verteidigt? Weißt du überhaupt etwas über militärische Strategie?“ „Nein, und doch habe ich die Guymelefs Asorias erledigt, als sie unsere Stadt einebnen wollten.“ „Ich habe dich nicht darum gebeten.“, ätzte Van. „Nein, aber du wolltest es. Du wusstest, dass ich die einzige war, die der Stadt noch rechtzeitig helfen konnte.“, konterte Hitomi. „Wer weiß schon, ob ich dir jetzt nicht auch helfen kann?“ „Hast du auch in die Augen der Piloten gesehen, als ihnen klar geworden war, dass der Sieg alles andere als sicher war und ihre Leben in Gefahr sein könnten?“, fragte der König herausfordernd. „Hättest du die Beine der Guymelefs auch durchtrennen können, wenn sie aus Fleisch und Blut gewesen wären?“ Dann setzte er zum letzten Schlag an. „Glaubst du, deine Hände bleiben unbefleckt, wenn du einen Krieg vorbereitest und ihn führst, aber nie selbst zur Waffe greifst?“ Hitomi starrte in die Leere. Sie erinnerte sich an das in Flammen stehende Farnelia, an Allens brennende Festung, an das Glühen in den Häusern der Stadt Palas und Cids Tränen, als sein Zuhause in einem hellroten Meer versank. „Überlass das Töten mir!“, bat Van eindringlich und wandte sich ab. „Glaubst du nicht, dass es dafür zu spät ist?“, hauchte sie verzweifelt. „Wie viele sind schon wegen mir gestorben?“ „Nein.“, entschied er. „Du warst es nicht, die getötet hat. Lass dir von niemandem etwas anderes erzählen. Ich muss weiter arbeiten. Tu mir den Gefallen und versuch dich abzulenken!“ Er ging so schnell, wie er gekommen war, und Hitomi blieb allein zurück. Kraftlos sank sie an der Wand herab und schlang ihre Arme um die Knie. Die erste realistische Aussicht auf die Zukunft ließ ihr paradiesisches Luftschloss zusammen brechen. Sie hatte einen Mann als Lebenspartner gewählt, der seine Pflichten immer über die eigene Familie stellen würde. Natürlich hatte sie das schon gewusst, als sie ihre Wahl getroffen hatte, dennoch...richtig bewusst wurde ihr es erst jetzt. Die Konsequenzen ihrer Entscheidung fügten sich wie die Teile eines Puzzles zusammen und ergaben ein düsteres Bild. Es zeigte, wie sie in einem Sonnen durchfluteten, schattenlosen Raum saß und aus dem Fenster schaute, während sie von dem Mann träumte, den sie einmal geheiratet hatte. Vollkommen verunsichert versuchte Hitomi alles zu vergessen und an nichts zu denken. Wie viel Zeit seit dem Streit mit Van vergangen war, als die leisen Schritte näher kamen, wusste sie nicht und es interessierte sie auch nicht. Sie versuchte nicht einmal festzustellen, wem sie gerade den Weg versperrte. Doch der dumpfe Klang eines Tabletts, das neben ihr abgelegt wurde, ließ sie aufhorchen. Ihr Blick viel auf eine Tasse mit dunkelroten, dampfenden Tee, einem kleinen Teller mit Schokolade überzogenen Gebäck, einer kleinen goldenen Glocke, und einem handlichen Buch. Erstaunt sah sie in das Gesicht der Dienerin. Die lächelte zurück und zog sich respektvoll zurück. Wieder allein nahm Hitomi die Tasse in die Hand und nippte vorsichtig. Das Gebräu schmeckte sehr fruchtig, eine Spur zu süß. Sie setzte die Tasse ab und griff nach einem der Kuchenstückchen. Genussvoll ließ sie Schokoladenglasur auf ihrer Zunge schmelzen. Die kleine Gabel neben dem Teller fiel ihr erst einen Moment später auf. Schulterzuckend aß sie weiter mit den Fingern. Nachdem sie die Zwischenmahlzeit beendet hatte, wischte sie sich die Hände mit dem beiliegenden Tuch ab. Innerlich schmunzelnd hoffte sie, dass Van sie nicht jedes Mal versuchen würde sie mit süßem Backwaren gütig zu stimmen. Sonst würde auch er bald nur noch von ihrem früheren Körper träumen, anstatt sie anzusehen. Und natürlich funktionierte es nicht. Neugierig langte sie nach dem Buch. Der Titel nahm die Geschichte schon sehr weit vorweg. Der Einband war fest und sehr viel dicker, als die biegsame Pappe, die sie von den Büchern ihrer Heimat her kannte. Bei einem Buch dieser Größe und diesen Inhalts hatte sie eine solche Qualität bisher nur selten gesehen. Es fühlte sich angenehm rau an. Voll von hohen Erwartungen schlug sie es auf und überblätterte die paar fast leeren Seiten am Anfang, bis sie zur ersten gut gefüllten kam. Gierig verschlang sie die Worte. In den darauf folgenden Stunden musste sie immer wieder unwillkürlich lachen, obwohl der Text gerade tot ernst war. Der Autor schrieb übertrieben und realitätsfern, fast so als hätte er noch nie eine eigene Beziehung geführt. Nach dem schnulzigsten Liebesgeständnis, von dem Hitomi je gehört hatte, legte sie es Kopf schüttelnd zur Seite. Schmunzelnd lehnte sich zurück. Das hatte gut getan. So verrückt ihre eigene Situation auch war, Träume konnten es tatsächlich noch weiter treiben. Sie rappelte sich stöhnend auf und streckte ihre eingestaubten Glieder. Ihr Magen grummelte. Nachdem sie wieder Gefühl in den Pobacken hatte, nahm sie das Tablett und brachte es zur Kombüse. Die paar Besatzungsmitglieder und Dienerinnen, die sie auf dem Weg dorthin traf, wunderten sich, machten jedoch keine Anstalten ihr ihre Last abzunehmen. Sogar die Tür zur der Küche musste sie selbst aufdrücken. Einer der Köche zeigte ihr, wo sie es ablegen konnte. Da fielen ihr die abgedeckten Teller auf ein paar anderen Tabletts auf. Als sie nachhakte, erzählte eine Bedienstete, dass es das Abendessen war, doch der König hatte sie damit weggeschickt und ihnen verboten, ihn zu behelligen. Hitomi seufzte und sah bereits einen neuen Streit heraufziehen. Nicht, das eine Wahl hatte. Sie schnappte sich das Tablett mit dem ersten Gang und schleppte es bis zur der königlichen Kabine. Noch während sie eintrat, spürte sie Vans Ablehnung. „Du kannst gleich wieder gehen!“, warf er ihr entgegen ohne sie anzusehen, doch sie trat unbeeindruckt ein. „Meinetwegen könntest du verdursten oder besser noch verhungern.“, giftete sie ihn an. „So wie du mich heute behandelt hast, hättest du es verdienst.“ Voller Groll stellte sie das Tablett ab. „Was meinst du?“ „Was ich meine?“ Hitomi verschlug es für einen Moment die Sprache. „Ist es in Farnelia üblich Frauen zu misshandeln?“, klagte sie ihn wütend an. „Nein, ist es nicht, aber ich war mit den Nerven am Ende, was zum größten Teil deine Schuld war.“ „Meine Schuld?“ „Wer wollte sich denn unbedingt einmischen?“, fuhr Van sie an. „Ich kann einem Kind nicht erklären, was Feuer ist, während es brennt.“ „So siehst du mich also?“ Hitomi war fassungslos. „Du hast mir gesagt, ich wäre für dich eine geliebte Ehefrau. Jetzt muss ich feststellen, dass ich doch nicht mehr bin, als eine unmündige Gebärmuttermaschine.“ „Warum glaubst du, möchte ich dich vor Schaden bewahren, wenn nicht aus Liebe?“ „Warum glaubst du, dass ich das will? Denkst du, ich könnte untätig dabei zusehen, wie du dich aufopferst? Ich wollte dich als meinen Gatten, weil wir beide zusammen viel mehr sind als allein.“ Wortlos und mit rauchenden Köpfen starrten das Paar sich gegenseitig an. Schließlich erbot sich Hitomi das Eis zu brechen. „Ich hab dir schon so oft beim Kämpfen geholfen. Erinnerst du dich, als wir in Käfige gefangen waren, während die Zaibacher versucht haben Escaflowne auseinander zu nehmen. Du hast alles gespürt, was man ihm angetan hat. Hättest du ihn fernsteuern können, wenn ich nicht deine Hand genommen und deine Schmerzen mitgetragen hätte.“ „Wer weiß?“, wich Van aus. „Und was war mit den unsichtbaren Guymelefs im Wald Astorias? Wer hat sie für dich aufgespürt?“ „Du.“, gab er erschöpft zu. „Aber was könntest du jetzt schon für mich tun?“ „Ich respektiere deine Pflicht Farnelia und mich zu beschützen, und werde sie nicht anfechten. Aber du musst mich auf dich Acht geben lassen. Du wirst mit mir über alles reden was dich bewegt. Über die guten wie die schlechten Dinge.“, verlangte Hitomi und fuhr flehend fort. „Bitte glaub mir! Es wird dir gut tun. Selbst unsere ständige emotionale Bindung kann ein klärendes Gespräch nicht ersetzten.“ „Ist akzeptiert.“ Entnervt rieb er sich die Augen. „Und du wirst dich meinem Urteil beugen, wenn es um deine Gesundheit geht. Und mein erstes Urteil lautet, dass du zu hungrig und zu müde bist, um richtige Entscheidungen treffen zu können. Sieh mal nach draußen! Es ist zappenduster. Du wirst mit mir essen und dann sofort schlafen gehen. Morgen ist ein langer Tag.“ „Nur wenn du mir versprichst, mir wegen dem Dossier nicht mehr in den Ohren zu liegen.“, verlangte Van mürrisch. „Hab ich das nicht gerade?“, antwortete Hitomi verdrossen. „Na dann sind wir uns ja einig.“, seufzte Van. Ausgiebig streckte er seine schweren Glieder. Während der Mahlzeit schwiegen sie beharrlich. Hitomi brachte stets das Geschirr zurück zur Kombüse und jedes Mal, wenn sie mit dem nächsten Gang wiederkam, saß Van wieder über dem Dossier. Er schlug es jedoch zu, sobald sie reinkam. Genauso wortkarg machten sie sich fertig zum Schlafen und zum ersten Mal, seitdem sie wieder vereint waren, lagen sie getrennt neben einander im Bett. Hitomi war zum Heulen zumute. War es unter dieser Decke schon immer so kalt gewesen? Dann raschelte es hinter ihr und sie riss ihr Augen auf. Vans Arm schlang sich um ihren Brustkorb und drückte sie sanft an sich. Da bekam sie es mit der Angst zu tun und ihr Körper versteifte sich, doch Van blieb hartnäckig. Er flüsterte ihr Worte seiner Zuneigung zu und ließ sie gleichzeitig über seine Gedanken, wie sehr er sie vermisste. Seine Hand kitzelte sie kurz unter den Rippen und sie erwiderte diese Geste mit einem Lachen, woraufhin er von ihr abließ und sie sich seiner Umarmung ergab. Hitomi war selbst überrascht, wie leicht er sie vergessen lassen konnte. Doch etwas bohrte noch in ihr. „Van?“, wagte sie sich in die Dunkelheit. Er brummte zur Antwort. „Wird es immer so sein wie heute?“ „Wahrscheinlich.“ Seine Stimme war dumpf, wurde dann aber heiterer. „Deswegen hab ich die Nächte gebucht. Nur für uns beide. Irgendwie muss ich ich dich ja dazu bringen, mir zu verzeihen.“ „Der Kuchen heute war auch nicht schlecht.“, lobte Hitomi lächelnd, woraufhin sich Verwirrung in Vans Galgenhumor mischte. „Du hast ihn nicht schicken lassen?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits wusste. „Nein.“, gab er zu und knuddelte sie an sich. „Verzeihst du mir?“ „Ja.“, sicherte Hitomi ihm schweren Herzens zu und predigte: „Du kannst dir von den Dienern ja viel abnehmen lassen, aber nicht deine Frau.“ „Nicht?“, wunderte sich Van. „Warum sollte ich sonst eine Gesellschafterin einstellen?“ „DU!“, regte sie sich auf und rammte ihren Ellbogen in seinen Bauch. Er stöhnte übertrieben auf und sie rangelte ihn auf seinen Rücken nieder. „Schon gut!“, versuchte sich der König zu retten. „Sie wird die Fenster putzen.“ „Besser!“, triumphierte sie. Ihre Arme stützen sich auf seinen Brustkorb, während sie die Umrisse seines Gesichtes betrachtete. Langsam beugte sie sich herab. Unser erster Kuss, nachdem wir uns versöhnt haben, schoss es Hitomi durch den Kopf. Sie nahm es als Erklärung für die Schmetterlinge in ihrem Bauch. Genüsslich kuschelte sie sich neben ihn in das Bett, doch trotz ihrer Erschöpfung konnte sie nicht schlafen. „Van?“ Wieder ließ er sie nur durch ein tiefen, beinahe undefinierbaren Laut wissen, dass er noch wach war. „Ich möchte ein Kind.“ Kapitel 21: Ein Tag im Wasser ----------------------------- Sorgfältig überprüfte Hitomi den Sitz ihres Bademantels und schaute durch das riesige Fenster in die von der Morgensonne eingedeckte Stadt hinaus. Sie war wieder einmal von drei blau gekleideten Dienerinnen in der Wanne der königlichen Gemächer gewaschen worden, nun schon zum dritten Mal in ihrem Leben, und langsam gewöhnte sie sich an die unangenehme Situation. Das letzte Mal hatte Aston die Gelegenheit genutzt, völlig unangekündigt sie in ein Gespräch unter vier Augen zu verwickeln, noch bevor sie sich im Zuge ihres Aufenthalts in Palas offiziell das erste Mal getroffen hatten. Dieses Mal wusste sie, dass er kommen würde. Van hatte das Treffen vermittelt. "Guten Tag." Hitomi, die seine Aura schon viel früher erspäht hatte, drehte sich zur Tür und betrachtete den König stumm. Er war noch nicht einmal fertig angezogen, sondern trug wie sie nur einen Mantel. "Darf ich rein kommen?", fragte Aston mit einer leichten Verbeugung. Wie schon bei dem Treffen zuvor drehte er die leeren Handflächen sichtbar zu ihr hin. Sie zögerte, entschied sich aber seiner Geste zu vertrauen. "Natürlich.", antwortete sie mit einem raschen Knicks und wandte sich dann wieder der Stadt zu. "Ich war sehr verwundert, als Van mich ansprach. Ich hätte nicht gedacht, dass ihr ihn von eurem vorherigen Besuch so detailreich berichtet habt.", erkundigte sich der König, während er neben sie trat. "Van und ich hegen keine Geheimnisse von einander.", erklärte Hitomi. "Nur deswegen ist dieses Treffen überhaupt möglich. Wenn ich in Gefahr bin, spürt er es sofort." Der König nahm die Warnung ohne erkennbare Reaktion zur Kenntnis. "Genießt ihr euren Aufenthalt?" Aston begutachtete sie kritisch. Ihr sonst so schönes und offenes Gesicht war verschlossen, der hektisch Ausdruck in ihre Augen zeugte von Unsicherheit. "Der Empfang gestern beim Ball war sehr kühl.", erinnerte sie und sah vor sich die Gesichter der Gäste aus der gesamten Allianz, die auf sie starrten. "Niemand möchte mit Schweigen begrüßt werden." "Ja, das tut mir sehr Leid.", bekundete Aston bedauernd. "Aber ihr müsst verstehen, ihr seid die erste Bürgerliche seit eurer Stiefmutter, die zur Königin aufgestiegen ist. Noch dazu steht ihr immer noch im Verdacht, für die Zaibacher Kriege verantwortlich zu sein." "Ihr habt euch dran beteiligt.", warf Hitomi ihm vor. "Nur weil ich sprachlos, ja geradezu geblendet war von eurer Schönheit!", lobte sie der König überschwänglich und fing sich einen vernichtenden Blick ein. "Bitte verzeiht! Das war unpassend." "Mein Mann schickt mich mit einer Bitte zu euch.", berichtete sie als wäre nichts gewesen. "Wir wissen, dass euch Zaibacher Guymelefs zur Verfügung stehen, die ihr offiziell nicht habt. Schließlich habt ihr sie eingesetzt um mich zu entführen. Van würde sich gern zwei davon ausleihen, voll ausgerüstet versteht sich." "Das kann ich nicht.", lehnte Aston ab. "Warum nicht?", zweifelte die Königin. "Um nach Farnelia zu gelangen, müssen das Heer der Gezeichneten durch die Weiße Schlucht. Dort sind sie ein leichtes Ziel für die Flammenwerfer. Ihr bekommt nie wieder so eine Chance sie alle auf einmal zu vernichten." "Das weiß ich, doch die Guymelefs unterstehen nicht direkt meinem Befehl. Ich habe alle erbeuteten Exemplare unauffällig der Kopfgeldjägergilde zukommen lassen, nachdem meine Wissenschaftler sie analysiert hatten.", erklärte Aston geduldig. "Die Gilde untersteht meinem Berater, Baron Trias, und ihn möchtet ihr wahrscheinlich nicht einweihen." Hitomi biss sich auf die Lippen. Ausgerechnet der Herr der Gezeichneten verfügte über die einzigen Mittel außerhalb der Heere der Allianz, die Farnelia hätten helfen können. Doch dann wurde sie stutzig. "Wie kommt ihr darauf?" Jetzt war Aston in der Zwickmühle, doch ein Gedankenblitz rettete ihn. "Ihr habt doch gerade behauptet, dass ihr einmal von Zaibachern Guymelefs entführt worden seid.", antwortete er, als sei es offensichtlich. "Ich habe einen Versuch mit solchen Mitteln nie genehmigt. Trias muss auf eigene Faust gehandelt haben. Ich weiß nur noch nicht, warum." Er seufzte theatralisch. "Bisher war er derjenige, an den ich mich gewandt habe, wenn ich etwas erledigt haben wollte, dass nicht in meiner Macht stand. Solange ich diese Sache nicht aufgeklärt habe, kann ich das wohl nicht mehr." Hitomi musste sich sehr zusammenreißen um ein Lächeln zu verhindern. Selbst wenn Van seine Guymelefs nicht bekommen sollte, hatte sie Trias völlig aus Versehen einen empfindlichen Schlag versetzt. "Dennoch...", fuhr Aston fort. "Das heißt leider auch, dass ich euch nicht helfen kann. Nicht einmal inoffiziell. Ich kann Van höchstens anbieten, die Bevölkerung mit Frachtschiffen zu evakuieren und ihr hier in Astoria eine Bleibe in Lagern zu bieten, bis die Krise ausgestanden ist. So könnte ein erneutes Wachstum des Heeres wie in Chuzario verhindert werden." "Das wäre...großartig.", erwiderte Hitomi verblüfft. "Das würdet ihr tun?" "Es wäre im Interesse Astorias und damit trotz der Differenzen unserer Länder eine vertretbare Maßnahme. Die Frage ist nur, ob eure Leute dieses Angebot auch annehmen.", wandte Aston ein. "Es wäre das zweite Mal innerhalb von fünf Jahren, dass sie alles zurücklassen und fliehen. Ihr müsstet auf jeden Fall Überzeugungsarbeit leisten. Und es befreit Van auch nicht von der Pflicht sein Land zu verteidigen." "Ich weiß.", sagte sie entmutigt. "Ich werde das Angebot in einem geeigneten Augenblick der Versammlung vorbringen, nachdem Van offiziell um Hilfe gebeten hat.", informierte Aston und versuchte dabei zuversichtlich zu klingen. "Wer weiß? Vielleicht funktioniert ja auch der Skandal, den ihr während eurer Verlobung angezettelt habt. Dann müsste ich mich dem Druck der kleineren Länder beugen und euch mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln helfen." "Wenn ihr nicht versucht hättet Farnelia an euch zu reißen, wäre das gar nicht erst möglich gewesen.", amüsierte sich Hitomi. "Dann wäre ich jetzt eure Gefangene, wo wie ihr es euch immer gewünscht habt." "Ich möchte euch doch nicht als meine Gefangene.", dementierte er entrüstet. "Außerdem hatte der Gesandte die eindeutige und unmissverständliche Anweisung erhalten, euch nur nach Astoria zu überführen und nichts weiter. Ich habe mit seinem Putschversuch nichts zu tun." "Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, ihr habt euren Hofstaat nicht unter Kontrolle.", gab Hitomi ihn zu Denken. "Ja, das fürchte ich auch.", bestätigte er besorgt. "Ein untrügliches Zeichen, dass man schon bald das Ende meiner Regentschaft erwartet, wenn nicht gar meiner gesamten Herrscherlinie. Ich weiß, das reicht lange nicht als Entschuldigung aus, dafür dass ich mit aller Gewalt versucht habe, euch an mich zu binden, aber ich hoffe ihr könnt mir trotzdem verzeihen." "Nein, reicht es nicht.", blockte sie entschieden, einen Moment später jedoch lächelte sie ihn an. "Dennoch ist es nicht zu spät Wiedergutmachung zu leisten. Die Rettung Farnelias wäre ein guter Anfang." "Nur ein Anfang?", wunderte sich der König. "Am Ende wollt ihr mir diese Schuld noch den kümmerlichen Rest meines Lebens vorenthalten und mich so zu einem willigen Sklaven machen." "Gute Idee.", kommentierte sie mit hochgezogen Augenbrauen. "Ich glaube, ich würde jetzt gerne Baden, ehe ich mich noch weiter in den Schlamassel reinreite.", bat Aston trocken. "Sicher.", sagte Hitomi und verließ den Raum. Noch bevor sie zur Tür hinaus war, plätscherte es hinter ihr in der Wanne. "Doch nicht in meinem Badewasser!", rief sie völlig entsetzt und heftete ihre Augen auf den Ausgang. "Warum nicht?", fragte Aston hinter ihr schelmisch. "Dann habe ich wenigstens etwas von euch. Seid bitte so nett und sagt einer Dienerin Bescheid." Mit hochroten Kopf stürmte sie aus dem Zimmer. Nur mit Mühe konnte sie Van davon überzeugen, nicht alles stehen und liegen zu lassen, um sie zu rächen. Einkaufen war genau das richtige, um den peinlichen Vorfall am Morgen zu vergessen, und so stürzte sich Hitomi nur ein paar Stunden später mit Wonne in das Gedränge des Marktes, der entlang eines Kanals lag, von denen Palas durchzogen wurde. In ihrem hellblauen, warmen Kleid machte sie dem Wasser Konkurrenz. An ihrer Seite war das junge Fräulein Irene, eine Freundin von Merle, wie sie sich auf dem Ball am Vorabend selbst vorgestellt hatte. Ziemlich schnell hatten sich die beiden auf ein Du geeinigt. Umringt wurden sie von vier Wachen der königlichen Leibgarde in ihren bunten Kostümen und Brustpanzern, die keinen anderen Passanten zwischen sich duldeten. Ihre stummen Begleiter ignorierend begutachteten die beiden Frauen Stoffe und fertige Kleider, bewunderten Schuhe und Schmuck, und kauften Tee und Gewürze. Bei Irene schien das Geld alles andere als locker zu sitzen und aus Rücksicht hielt sich Hitomi ebenfalls zurück. Schließlich setzten sie sich an den Kanal und ließen ihre Füße über dem Wasser baumeln. An für sich ein Skandal, doch Irene schienen die Blicke nur anzuspornen und Hitomi hatte nichts dagegen. Ihr Ruf, Königin hin oder her, konnte ja sowieso kaum schlechter werden. Irene erzählte ausgelassen, wie Merle sie einst während des Turniers in Farnelia als Schüler in Schwertkampf genommen hatte und dann zu ihrer Freundin geworden war, mit der sie nun den Kontakt über Briefe aufrecht erhielt. Um der Versuchung zuvor zu kommen, etwas zu sagen, was besser nicht die ganze Welt wissen sollte, fragte Hitomi das Mädchen weiter aus, und nahm sich vor, sich später bei ihr in einem privateren Rahmen zu revanchieren. So erfuhr sie von den geplatzten Hochzeitsplänen und Irenes bevorstehenden Abstieg ins Bürgertum, da sie voraussichtlich keinen adligen Ehemann finden würde, auf Grund der niedrigen Mitgift. Plötzlich erstrahlte ein helles Licht direkt hinter Hitomis Kopf und sie fiel mit dem Gesicht voran ins Wasser. Kapitel 22: Schuld und Sühne ---------------------------- Es geschah alles so schnell, dass Irene erst gar nicht realisierte, dass überhaupt etwas geschehen war. In einem Augenblick lauschte Hitomi ihrer Geschichte, im nächsten badete Hitomis Hinterkopf in gleißend hellen Licht. Nur einen Moment später war es erloschen und sie sah gerade noch, wie die junge Königin von dem Kanalrand herunter fiel und im Wasser verschwand. Zwei der vier Wachen starrten der Strömung ungläubig hinterher, während die anderen beiden sich gerade erst umdrehten. Irene schrie lauthals Hitomis Namen und beobachtete besorgt die leichte Strömung. Einige Sekunden verstrichen, dann wurde allen klar, dass die Vermisste nicht von selbst auftauchen würde. Irene sah Hilfe suchend nach oben zu den Wachen, die dabei waren, an einen von ihnen die Riemen des Brustpanzers zu lösen. Da entschied das Mädchen, dass es zu lange dauerte. Kurzerhand zog sie den Dolch aus dem Stiefel der nächsten Wache und trennte ihr Oberkleid vom Hals bis zum Schritt auf. Dann ließ sie sich ins Wasser fallen. Die Kälte kroch ihr sofort in alle Glieder und nach nur wenigen Moment streifte der lockere, mit Wasser vollgesogene Stoff von ihren schmalen Körper. Sie tauchte unter und erspähte Hitomi leblos nur ein paar Meter entfernt auf dem Grund des Kanals. Einen Moment lang der Strömung folgend, schwamm sie zu ihr herab und nachdem sie sich einen Moment lang zu Ruhe gemahnt hatte, schnitt sie die Königin aus ihrem Kleid wie aus einen Kokon. Sie brauchte mehrere Versuche, so ungewohnt war die Handhabung des Dolchs im Wasser. Das zunehmende Ziehen in ihrer Lungen machte es ihr auch nicht leichter. Schließlich hatte sie es geschafft, und so konnte sie die bewusstlose Frau unter ihren Schultern packen und nach oben ziehen. Über Wasser wurde sie von Wachen und einer Menge Schaulustiger erwartet. Die Männer hoben sie und Hitomi aus dem Kanal. Irene durchflutete pure Erleichterung, als sie sah wie Hitomi auf ihrer Seite lag und das Wasser aus ihrer Lunge hustete. Da spürte sie plötzlich das Gewicht und die Wärme einer Wolldecke über ihren Schultern. Als sie sich umdrehte, blickte sie in die Augen eines Jungen, der sich zwischen die Wachen gedrängt hatte und ihr eine zweite Decke reichte. Erstaunt nahm sie das Geschenk entgegen, kurz bevor die Wachen reagierten und ihn zurückstießen. Fassungslos keifte sie die Männer an, die jedoch verzogen nicht eine Mine. Dann legte sie die Decke über Hitomis zitternden Leib. Bis die Kutsche kam, rieb sie den nassen Körper der Königin ab und lenkte sie mit einem belanglosem Gespräch ab. Siri und Ryu hatten schon seit geraumer Zeit die kleine Prozession um Hitomi herum beschattet, als sie aus sicherer Entfernung von einer Häuserschlucht aus, die im rechten Winkel zum Kanal verlief, das Leuchten beobachteten. Während Siri sich fragte, was gerade geschehen war, drehte Ryu sich sofort um und suchte die Fenster der Häuser ab. Nach einem kurzen Moment sprintete er los in die entgegen gesetzte Richtung seiner Schwester. Seine Meisterin ärgerte sich noch über die Menschen, die ihr die Sicht auf das Geschehen versperrten, da war ihr Schüler schon Getümmel der Massen verschwunden. Zähne knirschend vermied sie es, nach ihm zu rufen, und wog stattdessen ihre Pflichten ab. Im wagen Vertrauen darauf, dass Hitomi auf sich selbst aufpassen konnte, folgte sie Ryus Aura. Sie fand ihn vor der Tür eines mehrstöckigen Gebäudes, dessen Fenster einen Blick auf die T-Kreuzung und der zum Kanal führenden Straße gestattete. Er stand neben den Rahmen, doch kurz bevor sie bei ihm war, öffnete sich die Tür und er handelte. Blitzschnell packte er die Person, die gerade das Gebäude verlassen wollte, am Hals und trieb sie wieder hinein. Siri flucht im Stillen über diese leichtsinnige Aktion in aller Öffentlichkeit. Um Schadensbegrenzung bemüht ging sie ihm ohne zu Zögern nach und schloss hinter sich die Tür. Im Innern wurden bot sich ihr ein Anblick des Grauens. Ryu, dessen Gesicht fast schon dämonische Züge angenommen hatte, hielt mit nur einer Hand am Hals einen muskulösen, weißen Mann mit kurz geschorenen Haar und einer Narbe über dem linken Auge in der Luft. Der Blick ihres Schülers zeigten einen so tief sitzenden Hass und gebändigte Mordlust, wie Siri es noch nie gesehen hatte. Die Hand schloss sich immer fester um die lebenswichtige Verbindung zwischen Kopf und Körper, und drohte den Mann zu ersticken. „Aufhören!“, befahl sie fast panisch. Da er nicht reagierte, schob sie sich zwischen die beiden. „Loslassen!“ Sie brauchte alle Kraft um Ryu von seinem Opfer zu trennen. Fast beiläufig zog sie einen ihrer Dolche aus den Unterarmhalfter und hielt ihn dem hustenden Mann kurz vor den Hals. „Was ist in dich gefahren?“, fragte sie außer sich. „Er hat auf meine Schwester geschossen.“, behauptet Ryu. Als Beweis hob er einen Koffer auf, der Siri erst jetzt auffiel. Er riss ihn mit der ungeheuren Kraft seiner vom Virus der Gezeichneten verbesserten Armen auf und es purzelten verschiedene, längliche, schwarze Metallteile heraus. „Was ist das?“, erkundigte sich Siri, nahm dann aber hinter ihr eine Bewegung wahr. Ihr vermeintlich besiegte Gefangener stach mit einem Dolch nach ihr, dem sie nur knapp ausweichen konnte. Mit ihrer freien Hand packte sie die gegnerischen Waffenarm, die andere rammt ihre Klinge durch dessen Schulter bis in die Wand hinein. Der Mann schrie auf und ließ sein Waffe los, um mit beiden Händen ihren Dolch am Heft zu packen. „Also?“ „Es ist ein Scharfschützengewehr, das in seine Einzelteile zerlegt worden ist. Ich habe so etwas schon im Fernsehen gesehen.“, antwortete Ryu ungeduldig. „Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst.“, bescheinigte sie ihm ratlos. „Eine Fernkampfwaffe, die kleine Projektile aus Metall abfeuert.“, versuchte er es noch einmal. „Eine Waffe von der Erde.“ „Vom Mond der Illusionen?“ Ryu nickte. Siri wandte sich ihren Gefangenen zu. „Woher hast du diese Waffe?“ Der Attentäter grinste, schwieg aber. „Ich kann auch anders fragen.“, drohte sie und bewegte die Klinge in seiner Schulter ein wenig. Wieder brüllte der Mann vor lauter Pein und packte ihre Hand um den Dolchgriff noch fester. „Und wenn du mich umbringst, von mir wirst du gar nichts erfahren.“, keuchte der Gefangene. „Warum nicht?“, hakte Siri nach. „Bist du deinen Auftraggebern so verpflichtet? Sie können dir jetzt nicht helfen.“ „Wenn ich etwas sage, wird mich niemand mehr anheuern.“ „Das gilt auch, wenn du tot bist.“ „Mach doch!“, forderte der Mann sie auf. Siris Augen wurden stahlhart und verbargen so den Konflikt in ihrem Innern. Sie wollte niemanden töten, aber ihr Gefangener schien das Ende geradezu herbeizusehnen. Noch dazu hatte er versucht jemanden das Leben zu nehmen, und bei aller Zuversicht, sie konnte sich unmöglich sicher sein, dass er gescheitert war. Sicherlich war Hitomi auch nicht sein erstes Opfer. Ein Blick auf Ryu, der es ebenso wenig erwarten konnte, dass der Attentäter starb, ließ ihre Wage ausschlagen. Mit einer schnellen, sauberen Bewegung löste sie den Dolch aus der Wunde. Die Beine des Mannes versagten und er kippte nach vorn. Sie packte seinen Kopf, schloss die Augen, woraufhin er bewusstlos zusammensackte. „Wir gehen!“, verkündete sie entschlossen. „Aber er lebt noch!“, protestierte Ryu. Überrascht bemerkte Siri, dass er heute so viele Worte gesagt hatte, wie in manchen Monaten nicht. „Wenn du ihm ein Gefallen tun willst, kannst du ihn töten.“, bot sie ihn an. Ryu runzelte verwirrt die Stirn. „Oder ich sorge dafür, dass die Wachen ihn finden und er öffentlich für seine Verbrechen büßen muss. Was meinst du?“ Ryu grummelte, wandte sich jedoch der Tür zu. So schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden die beiden in der Masse. „Wo bringen sie uns hin?“, fragte Hitomi mit schwacher Stimme. Die Kutsche schüttelte sie ordentlich durch und sie begann sich zu fragen, wie es sein konnte, dass eine Zivilisation, die fliegende Maschinen bauen konnte, keine Stoßdämpfer kannte. „In den Palast.“, antwortete Irene mit einem Blick nach draußen. „Wie geht es dir?“ „Mein Kopf fühlt sich an, als hätte jemand mit einem Pickel darauf eingeschlagen, mir ist kalt und fühle mich etwas entblößt. Ansonsten geht es mir gut.“, antwortete sie bitter. „Bitte entschuldigt.“, sagte Irene eingeschüchtert. „Nein, ich muss mich entschuldigen.“, versicherte ihr Hitomi nach einer kurzen Pause. „Du hast mich gerettet und ich werfe es dir auch noch vor.“ „Ist schon gut.“, beruhigte das Mädchen. „Du musst schreckliches durchmachen.“ „Ja.“, gab Hitomi zu. „Aber ich lebe noch. Dafür sollte ich dankbar sein.“ Sie sah Irene mit festen Blick an und fing so den ihren ein. „Danke!“, sagte sie aus tiefsten Herzen. „Deinen Einsatz heute kann ich nie wieder gut machen.“ Irene wurde rot bis über beide Ohren und wusste einfach nicht was sie darauf erwidern sollte. Noch bevor sie sich entscheiden konnte, hielt die Kutsche an und das Wiehern eines gehetzten Pferdes war zu hören. „Was ist los?“, fragte das Mädchen verwirrt. „Mein Mann kommt um mich zu retten.“, scherzte Hitomi. „Obwohl ich ihm versichert habe, dass es dafür zu spät ist.“ Wie zur Bestätigung riss Van die Tür auf und betrat aufgeregt die Kutsche. Er trug sein kunstvolles Diplomatengewand, das durch den Wilden Ritt in Mitleidenschaft gezogen worden war. „Den Drachen sei Dank, dass du lebst.“, keuchte er atemlos und nahm Hitomi fest in den Arm. „Idiot.“, schallte sie ihn sanft. „Ich hab dir gesagt, ich bin in Ordnung. Du hättest die Konferenz nicht verlassen müssen.“ Er ließ von ihr ab und rieb zärtlich ihre Wangen mit seinen Daumen. „Ich merke es doch, wenn du lügst.“ Beide kuschelten sich aneinander und tuschelten, so dass Irene nichts mehr verstand und sich völlig überflüssig fühlte. Schließlich brach die Königin sogar in Tränen aus und Van schmiegte sie so nah an sich, wie es ging. Das Mädchen fühlte nun richtig fehl am Platze, also starrte sie aus dem Fenster hinaus um den beiden wenigstens die Illusion einer Privatsphäre zu lassen. Kapitel 23: Eine Illusion vergeht --------------------------------- Es war schon dunkel, als Van das Zimmer im Krankenhaus betrat, in dem Hitomi lag. Er hatte sein gesamtes diplomatisches Gewicht einsetzten müssen, um jetzt noch Zugang zu bekommen. Für die Wachen im Flur hatte er nur einen kurzen Blick übrig gehabt. Wenigstens waren sie wach und aufmerksam. Langsam schloss er hinter sich die Tür und ging auf das Bett seiner Frau zu. Seine Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt und so betrachtete er ausgiebig ihre Umrisse. Sie war die pure Unschuld, während sie schlief, fast wie ein Kind. Geschlossen verrieten ihre Augen nichts von den sehnsüchtigen Erwartungen, die ihr Blick an ihn stellten, wenn sie dann endlich mal alleine waren, oder von der Hinterlist, wenn sie ihre harmlosen Intrigen spann, oder von der kalten Entschlossenheit, wenn sie eine geliebte Person in Gefahr sah. Sanft nahm Van ihre Hand und streichelte sie mit seinem Daumen. Hitomi wachte nur träge auf. Als sie ihn erkannte, lächelte sie und begrüßte ihn leise. „Wie geht es dir?“, erkundigte sich Van, obwohl er sich von der Antwort schon längst überzeugt hatte. „Mir fehlt nichts.“, versicherte sie. Er sah in ihre grünen Augen, die jederzeit den Frühling für ihn zurück holen konnten, und verlor sich darin. Wie ein Strudel zog Hitomi an seinem Geist. Die Farben verschwammen vor seinen Augen und setzten sich zu einer unendlich weiten, bunt blühenden Wiese unter einem strahlend blauen Himmel neu zusammen. Hitomi lag auf einer karierten Decke und starrte in das Himmelszelt. „Es ist so einfach, nicht wahr?“, fragte sie völlig unvermittelt. „Sich einer Illusion hinzugeben.“ Besorgt legte er sich neben ihr und strich über ihr Haar. „Im Krankenhaus bis du erst einmal in Sicherheit.“, beruhigte er sie. „Jeder von uns kann sterben, jederzeit und überall.“, stellte Hitomi ernüchtert fest. „Es mag Personen geben, deren Leben ist größerer Gefahr als andere, aber am Ende kann es jeden treffen.“ „Nein, vergiss das wieder.“, bat Van eindringlich. „Wieso?“, wimmerte Hitomi und vergrub ihr Gesicht in seiner Brust. „Er stimmt doch.“ „Weil ich dein Schild bin.“, schwor er. „Ich werde zulassen, dass dir etwas passiert.“ „Heute hast du einen schlechten Job gemacht.“, warf sie ihm vor und schlug mit einer Faust gegen seine Schulter. „Ich weiß und das werde ich mir nie verzeihen.“, erwiderte er todernst. Hitomi dreht sich wieder auf ihren Rücken und streckte sich ausgiebig. „Heißt das, du weichst mir ab jetzt nicht von der Seite?“, fragte sie besorgt. „Wäre das so schlimm?“ „Ich hätte nichts dagegen.“, behauptete sie und lächelte. „Aber Farnelia wäre ohne seinen König verloren und das kann ich nicht zulassen.“ „Du lügst.“, stellte Van ernüchtert fest. „Geh ich dir so auf den Geist?“ „Nein, aber es ist immer so schön, wenn du mir erzählst, wie dein Tag war, und dann Interesse daran heuchelst, wie meiner war.“ „Das war wieder gelogen.“ „Nur teilweise.“, beschwichtigte sie. „Strafe!“, verkündete Van und fing an sie zu kitzeln. Hitomi lachte laut auf und beide fingen an zu rangeln. Während sie sich so gut wie möglich zu Wehr setzte, rätselte, sie warum es ihm so viel Freude bereitete, so mit ihr zu spielen. Ein Relikt aus seiner verlorenen Kindheit, vermutete sie und nutzte ihre Chance, sobald er ihr eine ließ. Fast von selbst drehte sie ihn auf seinen Rücken. „Spaß beiseite.“, befahl sie und hielt ihn am Boden. „Wie war dein Tag?“ „Schlecht.“, stellte er nachdenklich fest. „Ich fürchte, wir sind etwas über das Ziel hinaus geschossen.“ „Du meinst, indem wir überall erzählt haben, wie Astoria versucht, Farnelia zu übernehmen?“ „Ja. Wie erwartet sind die anderen kleineren Bündnispartner besorgt, dass ihnen das gleiche passieren könnte. Aber einer meiner Kollegen reagiert völlig über. Er verlangt, dass die Allianz vollkommen aufgelöst wird, da sie ja nur dazu geschaffen sei, damit Astoria, Vasram und ursprünglich auch Chuzario ihre Herrschaft über Gaia aufteilen und festigen können. Und es gibt andere, die verlangen, dass man ihm zuhört.“ „Da nur diese drei Länder etwas zu sagen haben, ist das gar nicht so abwegig.“, äußerte Hitomi Verständnis. „Aber bislang hat das Bündnis selbst für Frieden gesorgt.“ „Wir könnten diesen Frieden etwas zu stark erschüttert haben.“, befürchtete Van. „Wenn die Allianz sich auflöst, müssen wir uns einem starken Reich an den Hals werfen oder wir überleben die folgenden Scharmützel nicht.“ „Vor den Zaibacher Kriegen waren die wohl an der Tagesordnung.“, vermutete Hitomi. „So etwas wie Diplomatie existierte nur zwischen den großen Reichen.“, berichtete er. „Vater musste immer wieder ausrücken. Es hatte erst aufgehört, als er tot war und Vargas an seiner Stelle geherrscht hatte.“ „Den weltbesten Schwertkämpfer als Feldherren zu haben, hatte so seine Vorteile.“, schloss sie und erinnerte sich mit Schrecken an den Tag, als dieser mächtige Krieger vor ihren Augen aufgespießt worden war. „Ich bin zwar ein gefürchteter Schwertkämpfer, aber als Feldherr bin ich noch nicht in Erscheinung getreten. Ein paar unserer Nachbarn werden uns auf jeden Fall herausfordern, sobald sie die Chance dazu erhalten.“ „Toll!“, regte sie sich auf. „Was jetzt? Ist das Bündnis wirklich in Gefahr?“ „Ich glaube nicht.“, beruhigte sie Van. „Nicht solange Vasram noch dabei ist. Niemand möchte in Gefahr laufen, dass eine Massenvernichtungswaffe über seinen Kopf explodiert.“ „Mir wäre es lieber, die feinen Herren könnten sich an einen Tisch setzen, auch ohne dass irgendeine Gefahr sie dazu antreibt.“ „Wer weiß? Vielleicht bringst du sie dazu?“ „Ich?“, wunderte sie sich. „Man hat mich heute über die Ereignisse während deiner Verhaftung in Farnelia befragt und verlangt, dass du dich morgen der Versammlung stellst.“, berichtete Van sachlich und fügte dann amüsiert hinzu. „Der eben erwähnte Regent hat sich zwar dagegen ausgesprochen, mit der Begründung, du könntest uns alle verhexen und so die Weltherrschaft an dich reißen. Aber ich konnte die Delegierten davon überzeugen, dass der Hang zu unpassenden Beziehungen in der Familie liegt und nichts mit Gehirnwäsche zu tun hat.“ „Großartig.“, erwiderte Hitomi sarkastisch. „Du hast mir nicht leicht gemacht.“, erzählte er weiter. „Dass du den Anschlag heute überlebt hast, half nicht gerade dabei sie zu überzeugen.“ „Nur weiter so!“, drohte sie. „Wenn wir das nächste Mal das Bett teilen, wirst du sehen, was du davon hast.“ „Ich bin still.“, sagte Van scheinbar eingeschüchtert. „Weißt du schon, was passiert ist?“ „Nein.“, antwortete Hitomi. „Irene sagte mir, sie hätte ein helles Licht hinter meinem Kopf gesehen, kurz bevor ich ins Wasser gefallen bin. Das und meine Beule sprechen dafür, dass irgendetwas meine Barriere aus Gedankenenergie stark beansprucht hat und noch dazu unsichtbar war. Anscheinend ist niemanden etwas aufgefallen, was das verursacht haben könnte.“ „Beängstigend.“, gab Van zu Protokoll. „Dein Schild hat immerhin dem Beschuss von Guymelefs stand gehalten.“ „Da hab ich ja auch einen zusätzlichen Schild errichtet.“, erwiderte sie, dann lachte sie kurz und trocken. „Unglaublich, dass gerade eine Konzentrationsübung mir das Leben gerettet hat.“ „Sie ist auf jeden Fall nützlich.“, stimmte er zu. „Paranoid, aber nützlich. Sag bloß, du hältst den Schild auch aufrecht, wenn wir miteinander schlafen.“ „Hast du etwa Angst, deine kleinen Soldaten könnten gegen eine Mauer anrennen?“, kicherte sie. „Du hast meine Frage nicht beantwortet.“, wies er sie zu Recht. „Keine Sorge, die Barriere hält nur etwas auf, das ich nicht eingeladen habe, näher zu kommen. Ansonsten könnte ich weder essen noch atmen.“ „Du hast, meine Frage noch immer nicht beantwortet.“ „Nein, tu ich nicht.“, versicherte sie genervt und stupste spielerisch ihre Stirn gegen seine. „Schließlich bist du ja dann mein Schild.“ „Nur dann?“ „Sonst hast du nie Zeit für mich.“, zog Hitomi ihn auf. „Seit der Hochzeit sind deine Gedanken sonst wo, nur nicht bei mir, selbst wenn wir gemeinsam essen.“ „Das stimmt nicht.“, widersprach Van energisch. „Oh, natürlich. Die Zeiten, in denen ich gerade deine Kanone poliere oder in Lebensgefahr schwebe, sind zuverlässige Ausnahmen der Regel. Falls du es noch nicht gemerkt hast, ich schwebe nicht gerne in Lebensgefahr.“ „Aber du polierst gerne meine Kanone.“, konterte er keck. Sie stöhnte verärgert und wandte sich von ihm ab. Van starrte Löcher in den Himmel und brach schließlich das Schweigen. „Ist es nicht immer schon so gewesen? Bei uns beiden?“ Sie sah ihn verwirrt an. „Das erste Mal hast du mich umarmt, um mich vor einem Zaibacher Anschlag zu retten. Ich hab zum ersten Mal deine Unterwäsche gesehen, als ich dich wiederbelebt habe. Wir sind uns immer nur näher gekommen, wenn einer von uns in Gefahr war. Die Pausen dazwischen haben uns eher voneinander getrennt.“ „Das sollten wir ändern.“, meinte Hitomi. „Hast du eine Idee wie?“, erkundigte sich Van. „Ein Gefecht ist schnell vorbei und wir hatten danach immer viel Zeit. Leider haben sie verschwendet, indem wir unsere Wunden allein geleckt, statt sie gegenseitig zu verbinden. Politik jedoch ist vor allem langwierig. Ich werde in den nächsten Tagen fast keinen Augenblick für dich freihalten können.“ „Das Haus in Fraid wäre eine Möglichkeit. Wir könnten durchbrennen.“, überlegte sie laut. „So etwas in der Art habe ich dir schon einmal vorgeschlagen und du hast abgelehnt.“, erinnerte er sie bedauernd. „Da hast du irgendetwas von einem Weltuntergang gefaselt, den wir so unabsichtlich auslösen könnten.“ „Leider.“, stimmte Hitomi mit ein. „Hörst du die Stimmen immer noch?“ „Nur wenn ich gerade nicht beschäftigt bin. Ich hab sogar gelernt einzelne herauszufiltern und ihnen zu lauschen. Manchmal ist es ganz lustig.“ „Gruselig.“, meinte Van und lächelte sie schief an. „Was die Menschen wohl davon halten würden, wenn sie wüssten, dass du ihre Gedanken jederzeit aushorchen kannst.“ „Du hast offensichtlich kein Problem damit.“ „Aber nur, weil du es bist.“ „Dann sollte ich dir jetzt wohl nicht sagen, dass ich längst nicht die einzige bin, die über so scharfe Sinne verfügt.“, warnte Hitomi. „Merle zum Beispiel ist auf dem besten Wege, mich auf diesem Gebiet zu überholen.“ „Aber nur, weil du sie unterrichtest.“, merkte Van an. „Wann hast du eigentlich vor mit meinen Lehrstunden zu beginnen.“ „Du hast ja nie Zeit.“, konterte sie leise, doch ihre Augen sagten mehr. Plötzlich sah Van eine Erinnerung vor sich, in der er schwer atmend mit dem Schwert trainierte und dabei alles dafür tat sie nicht zu beachten, während sie am Rand der Trainingshalle stand und ihn beobachtete. Er suchte angesichts des Vorwurfs nach Ausflüchte. Er brauchte das tägliche Training um nicht aus dem Tritt zu kommen. Doch Hitomi legte ihren Finge auf seine Lippen und zog dann mit den ihren nach. „Ich weiß.“, versicherte sie, nachdem der Kuss vorbei war. „Ich geh jetzt besser.“, verkündete Van verbissen und die Phantasiewelt machte der tristen Realität platz. Er stand an ihrem Bett und sie lag mit dem Rücken zu ihm. Ohne ein Wort des Abschieds verließ er das Zimmer. Kapitel 24: Ein Schritt näher ----------------------------- Es war ein Haus, wie jedes andere, das die enge Gasse säumte. Ohne die geringste Lücke zu hinterlassen, grenzte es an den Nachbargebäuden. Vier übereinander liegende Fensterreihen schmückten die Fassade, deren Läden aber alle geschlossen waren. Aus den oberen Stockwerken drang Licht durch die hölzernen Verschläge und eine angeregte Unterhaltung über Bier und Frauen drang bis zur Straße hinab. Es gab absolut nichts verdächtiges an dem Haus, und doch schlug Siris Herz bis zum Hals, denn dies war eines der sicheren Häuser, die die Händlerallianz in Palas unterhielt. Dieser Bund geschäftstüchtiger Männer verfügte nicht nur über ein internationales Kommunikationsnetzwerk, sondern ermunterte gewisse Mitglieder auch, Vorgänge und Personen im Auge zu behalten, die dem Frieden und damit auch der Wirtschaft Schaden konnten. Hatte sich jemand dabei die Finger verbrannt, fand er in Gebäuden wie diesen Unterschlupf, Nahrung und Hilfe. Im Zuge der engen Kooperation zwischen der Händlerallianz und Farnelia, hatte man der Leibwache und den diplomatischen Vertretern Zugang zu diesen Einrichtungen zugesagt. Dass alle außer dieser geschlossen oder verlegt worden waren, nachdem Siri ihren Meister gewechselt hatte, roch nach einer Falle. Und sie hatte keine andere Wahl, als hinein zu tappen. Sie und ihr Schüler Ryu näherten sich als Bauern verkleidet der Tür. Sie hatte ihr dunkelbraunes Haar blond gefärbt und es sowieso schon seit Wochen nicht mehr gepflegt, genau wie den Rest ihres Körpers. Mehr als das eine oder andere kalte Bad im Fluss war während ihrer Flucht nicht drin gewesen. Selbst eine Vogelscheuche war ansehnlicher als sie. Siri pochte heftig gegen das Holz, um sich bis in den ersten Stock Gehör zu verschaffen. Im Erdgeschoss konnte sie keine Person wahrnehmen. Umso überraschter war, als die Tür beim Kontakt mit ihrer Faust zurück schwang. Zaghaft drückte sie die Tür weiter auf und rief ein lautes Hallo in den Raum. Sie wollte schon einen Fuß hineinsetzten, da drängte sich Ryu mit gezogenen Schwert neben sie. Dann klirrte es vor den beiden. Ihr Blick schnellte wieder nach vorn und erfasste das Schimmern einer Klinge, die sich waagerecht auf der Höhe ihres Halses mit Ryus kreuzte. Er hatte ihr Leben gerettet. Wieder einmal. Während sie zurück wich und ihre eigene Waffe zog, presste er nach vorn in den Raum hinein und nahm den Angreifer mit. Sie folgte ihm und beobachte für einen Augenblick das Duell, bei dem Ryu wild um seinen Gegner herum wirbelte und dabei einen Tisch und Stühle umriss. Der Feind hingegen parierte sicher, stand fest wie ein Felsen und verlor nicht einen weiteren Zentimeter. Dann erfassten ihre Augen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, den Schankraum und eine zweite Gestalt, die blitzschnell auf sie zu kam. Sie hatte keine Mühe, den von oben senkrecht geführten Schlag an ihrer Klinge entlang an sich vorbei gleiten zu lassen und einen Ellbogen in das schutzlose Gesicht zu stoßen. Die Gestalt torkelt zurück, sie setzte unbarmherzig nach und brachte ihn zu Fall. Noch ehe sie ihr Schwert an seinen Hals setzten konnte, kam eine weitere Person mit einer Kerze in der Hand die Treppe runter und fragte scheinbar seelenruhig: „Was ist hier los?“ Der Fremde auf den Boden, er schien fast noch genauso jung wie Siri zu sein, vergaß sie glatt und starrte erschrocken die Treppe hinauf. Der andere hingegen verlor Ryu nicht einen Moment aus den Augen, der gar nicht daran dachte aufzuhören. Zwei weitere Mal wurden Schläge ausgetauscht, ehe Siri ihm scharf Einhalt gebot. Sie konnte die Aura der beiden Angreifer noch immer nicht wahr nehmen. Wenn sie nicht gerade in der Kunst der Gedankenenergie ausgebildete Menschen waren, von den sie noch nichts wusste, handelte es sich bei ihnen um Mitglieder des Drachenvolkes. Der Gedanke jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. So gelassen, als ginge er in friedliches, gut gefülltes Lokal, stieg der Mann mittleren Alters die Stufen hinunter. Er hatte langes, braunes, gewelltes, zu einem Zopf gebundenes Haar, eine Brille mit kleinen, runden Gläsern auf der Nase und trug mehrere stilvolle Gewänder übereinander, die ihn als einen Kaufmann ausgaben. „Mein Name ist Dryden Fassa.“, stellte er sich vor. „Was verschafft mir die Ehre weiblichen Besuchs zu dieser späten Stunde?“ „Ich heiße Siri Riston, Herr.“, antwortete sie und ließ von ihrem Gegner ab. Dann vergewisserte sie sich, dass sich keine Aura eines weiteren Menschen auf der Straße in Hörreichweite befand. „Merle ist...war meine Meisterin.“ „Ah!“, freute sich Dryden. „Das verlorene Schäfchen kehrt zurück. Bitte schließ die Tür und mach es dir gemütlich.“ Er nahm einen der umgeworfenen Stühle, richtete ihn auf und setzte sich. Die anderen Fremden traten an seine Seite, noch immer wachsam. Siri tat, wie ihr geheißen war und setzte sich zusammen mit Ryu an einen anderen Tisch. Mit der stillen Übereinkunft, dass genug Hindernisse zwischen ihnen waren, um ein kleines Maß an Sicherheit vor einander zu bieten, musterten sie sich gegenseitig. Schließlich brach Dryden das Eis. „Ich nehme an, du bist gekommen, weil du etwas möchtest.“ „Ja, Herr.“, bestätigte Siri und schluckte. „Ich brauche Schutz, genauer gesagt, den von Hitomi.“ „Von der Königin Hitomi?“, staunte Dryden. „Du erwartest doch wohl nicht von mir, dass ich dich zu ihr bringe.“ „Wir sind Freundinnen.“, konterte Siri, unsicher, ob man das Verhältnis zwischen ihnen wohl so nennen konnte. Immerhin hatte Hitomi ihr einmal das Du angeboten. „Du bist Trias Untergebene.“, zweifelte der Händler und stützte beide Arme auf den Tisch. „Auch wenn sie dir vertraut, ich kann es nicht.“ Siri biss sich auf die Lippen. „Sie wird mich sehen wollen.“, versuchte sie es erneut. „Besser gesagt, ihn.“ Und wies mit dem Kopf auf Ryu. „Er ist ihr kleiner Bruder.“ „Er hat bereits einmal versucht, sie umzubringen, übrigens auf deinen Befehl hin.“ „Das wird nicht passieren!“, versicherte sie eilig, besann sich dann aber. „Mein Meister wollte sie tot sehen, nicht ich, und ich bin...“ Nervös verschränkte sie ihre Arme. Sie würde es ja nicht selbst glauben, wenn es ihr jemand erzählen würde. „Ich bin vor ihm auf der Flucht.“ „Warum?“ „Kann ich nicht sagen.“ „Deine Loyalität ist wohl sehr flatterhaft.“, provozierte Dryden. „Ist sie nicht!“, dementierte Siri verärgert. „Sobald diese Sache ausgestanden ist, werde ich zurückkehren.“ „Was für eine Sache meinst du?“, versuchte er es noch einmal, ihre Antwort war dieselbe. „Sie ist schwanger.“, unterbrach der ältere Fremde das Gespräch. Überrascht starrte sie den Mann an. Sie schottete genauso wie er ihre Aura ab. Wie konnte er davon wissen? Auch Drydens Augen schienen etwas größer zu sein. „Stimmt das?“, fragte er verwundert. Siri nickte beschämt. Am liebsten würde sie im Boden versinken. „Hat Trias beschlossen, dass er sich ein bisschen mit dir vergnügt, oder bist du eines seiner Experimente?“ „Mein Meister hat nichts mit dem Kind zu tun.“, widersprach sie heftig. „Das Virus, das uns zu Gezeichneten gemacht hat, sorgt sogar dafür, dass wir alle unfruchtbar sind.“ „Warum bist du es dann nicht?“ „Wegen meiner persönlichen Fähigkeiten. Ich kann in Körper hineinsehen, bis in die Zellen rein. Und ich habe mir schon immer Kinder gewünscht. Also habe ich die Veränderungen an meinem Körper rückgängig gemacht, die mir nicht gefallen haben.“ „Warum hast du dann nicht seine Kontrolle über dich gelöst?“, erkundigte sich Dryden weiter. „Ich kann nicht.“, gab sie kleinlaut zu. „Warum?“ „Hat diese Fragerei noch einen Sinn?“, muckte sie auf. „Es ist das erste Mal, dass ich einem Gezeichneten begegne.“, beruhigte Dryden sie. „Ich bin einfach nur neugierig, was die Wesen antreibt, die unsere Welt zerstören möchten.“ „Niemand von uns möchte das, aber mein Meister bürdet uns seinen Willen auf.“, entgegnete Siri aufbrausend. „Ah, das klang schon fast, als wäre es die Wahrheit.“, amüsierte er sich und lächelte besserwisserisch. „Aber zumindest in deinem Fall ist das anders. Du hättest die Fähigkeit und den Willen, dein altes Wesen zurückzubekommen, und doch tust du es nicht.“ Siri fühlte sich durchschaut. „Was treibt dich an?“ „Das sag ich nicht!“, verweigerte sie, woraufhin Dryden sich zurück lehnte. „Wer ist der Vater?“, fragte er sie weiter aus. Schweigend wies sie wieder auf Ryu. „Wie das?“ „Er hat wohl die Veränderungen übernommen, als ich gebissen habe.“, vermutete sie. Sie fühlte sich, als säße sie auf einem heißen Stuhl. Unruhig rutschte sie hin und her. „Nun, das können wir ihrer Majestät nicht vorenthalten!“, verkündete der Händler und erhob sich. Der ältere Fremde zog sein Schwert. Sogleich ging auch Ryu in Kampfstellung. „Was soll das?“, fragte Dryden verwirrt. „Bisher konnten sich die Gezeichneten nicht fortpflanzen.“, erklärte der Fremde. „Wenn wir die beiden jetzt nicht töten, vermehren sie sich wie die Karnickel auch ohne neue Opfer!“ „Ist doch gut.“, scherzte Dryden. „Dann existiert Gaia auch weiterhin, selbst wenn sie es schaffen sollten, die Bevölkerung auszulöschen.“ „Dryden!“ „Genug!“, entschied dieser. „Ich habe Merle versprochen, dass ich diesem Mädchen helfe, sollte sie mich je darum bitten. Sie ist mein Gast und steht unter meinen Schutz.“ „Was ist, wenn sie angreift? Sie könnte lügen.“, wandte der Fremde ein. „Dafür seid ihr ja da, oder?“ „Was ist mit dem Attentat von heute? Sie könnte dafür verantwortlich sein und versucht es wieder.“ „Ich war es nicht!“, fuhr Siri dazwischen. „Ach nein?“, zweifelte der Krieger. „Du scheinst weder überrascht noch besorgt zu sein, ob deiner Königin etwas zugestoßen ist. Fast so, als wärst du dabei gewesen.“ „Ich war dabei, na und?“, erwiderte sie wütend. „Ryu und ich haben sie heute beschattet, um eine Gelegenheit zu finden allein mit ihr zu sprechen. Wir haben das Attentat gesehen und später durch Augenzeugen am Markt erfahren, was danach passiert ist. Er hat übrigens auch den Täter gestellt und hätte ihn fast umgebracht.“ „Interessant.“, kommentierte Dryden. „Wo ist er jetzt?“ „Keine Ahnung. Ich hab ihn einen Dolchstoß in die Schulter verpasst, ihn liegen lassen und Ryu befohlen, er solle einer Wache von ihm erzählen.“ „Der Zeuge!“, schloss der Händler. „Er liegt im Krankenhaus.“ „Er kommt vom Mond der Illusionen und hatte Gestände aus Metall dabei, die auch von dort stammen und zusammen eine Waffen bilden.“ „Woher weißt du das?“ „Ryu hat es mir gesagt und ich vertraue ihm.“, versicherte Siri. „Oder es ist wirklich nur ein Zeuge und sie haben die Waffe bei ihm platziert.“, spekulierte der Fremde weiter. „Nun, es wäre wirklich ein zu großer Zufall, wenn das unschuldige Opfer einer solchen Intrige tatsächlich vom Mond der Illusionen kommen würde.“, gab Dryden zu bedenken. „Zwei meiner Kollegen machen sich gerade auf den Weg.“, knickte der Fremde ein und richtete seinen Blick auf das Mädchen, während er das Schwert wegsteckte. „Wenn er auf Gaia geboren wurde, seid ihr tot.“ Wie viele Kämpfer des Drachenvolks sind wohl gerade in Astoria?, überlegte Siri. Auf seine Drohung gab sie nicht viel. Ryu belog sie nicht. „Nun, ihr müsst müde sein.“, stellte er unbekümmert fest und winkte die beiden zu sich. „Ich gebe euch zwei Zimmer. Oder wäre euch eines mit einem größeren Bett lieber?“ „Zwei bitte.“, antwortete Siri mit hochrotem Kopf. „Kein Problem. Allerdings würde ich es begrüßen, dass ihr in den Zimmern bleibt, bis ich euch rufe. Ansonsten kann ich nicht für eure Sicherheit garantieren.“ Dryden ließ es wie ein Vorschlag klingen, aber diese Warnung nahm Siri ernst. „Einverstanden.“, stimmte sie hastig zu. „Sehr schön.“, erwiderte er heiter. „Bitte folgt mir!“ Kapitel 25: Ein verlockender Gedanke ------------------------------------ Irene und ihr Vater staunten nicht schlecht, als man sie in die Gästezimmer des Herrscherpaares Farnelias in Astorias Palast führte. Die Wände waren mit hellen Farben bemalt, die in weichen Kontrasten zu einander standen und mit Goldornamenten unter der Decke geschmückt waren. Im Zentrum des Wohnraums stand ein kleiner, kunstvoll geschnitzter Tisch, der von zwei elegant geschwungen Sofas umstellt war. Direkt gegenüber der Eingang öffneten weite Fenster einen ausgedehnten Blick auf die Stadt, die unter der Morgensonne glänzte. Durch die einzige andere Tür schlüpfte gerade Van, der sich sofort seinen Gästen zu wandte. „Willkommen, Baron und Baroness von Sarie.“, begrüßte er sie. „Euer Besuch ehrt uns. Meine Frau kann euch zur Zeit leider nicht empfangen.“ „Wie geht es ihr?“, platzt es aus Irene heraus und unterbrach dabei Fabians Antwort, dessen Blick sich verärgert auf seine Tochter heftete. Van hingegen konnte angesichts so viel ehrlicher Sorge nur schmunzeln und beruhigte sie. „Es geht ihr gut. Sie zieht sich nur um, für ihren großen Auftritt vor der Vollversammlung der Allianz.“ Sein Hand wies zur Tür, durch die er gerade gekommen war. „Sie freut sich sicher, wenn du ihr Gesellschaft leistest.“ Ohne die beiden Erwachsenen zu beachten stürmte das Mädchen in das Schlafzimmer und knallte lautstark die Tür hinter sich zu. „Meine Tochter ist keine Gesellschafterin.“, stellte Fabian verstimmt klar. „Aber eine gute Freundin, sowohl für meine Frau als auch für meine Schwester.“, konterte Van gelassen und forderte den Adligen mit einer Geste auf sich zu setzten. „So viel ich weiß, hat Irene den Kontakt gesucht, nicht umgekehrt.“ „Und was nützt ihr die Freundschaft der beiden jetzt?“, zweifelte Fabian. „Die Nachricht, dass sie Hitomi vor dem Ertrinken gerettet hat, hat sich wie ein Laubfeuer verbreitet. Erste Hassbotschaften lagen bereits vor unserer Tür.“ Van seufzte und verwünschte diese hartnäckigen Gerüchte, seine Frau wäre für die Zaibacher Kriege verantwortlich. Sie hatten seiner Frau schon viele unangenehme Erlebnisse beschert, selbst in Farnelia. Wenn das Mädchen jetzt ebenfalls darunter leiden müsste... „Wir beide sind Irene sehr dankbar für das, was sie getan hat.“, erklärte er und überlegte fieberhaft. Nach Farnelia konnte er sie nicht schicken. Das würde dem Geschwätz der Straße nur noch anheizen. Dann kam ihm eine Idee. „Wie würde ihr ein Urlaub in Fraid gefallen? Der Herzog hält für mich und meine Frau ein Haus abseits eines kleinen Dorfes bereit, in dem wir uns jetzt eigentlich erholen sollten. Sie wäre dort ganz für sich allein. Es wird sich wohl kaum jemand die Mühe machen und ihr nach reisen, nur um sie zu belästigen.“ „Das klingt akzeptabel.“, sagte ihr Vater, wandte dann aber ein: „Ich weiß allerdings nicht, ob ich sie dort allein lassen möchte.“ „Hat sie kein Kindermädchen?“ „Nein, bis auf die Arbeiter in der Werft beschäftige ich nur eine Dienerin. Sie vollbringt zwar wahre Wunder, aber teilen kann ich sie nicht.“ „Ich kann Herzog Cid bitten, dass er ihr eine Dienerin bei Seite stellt.“, schlug Van vor und ging zum Sekretär, klappte ihn auf und setzte ein Schreiben auf. „Kann ich sonst noch etwas für euch tun?“ „Habt ihr euch meinen Vorschlag vom Ball noch einmal überlegt?“, erkundigte sich Fabian. „Ja und meine Antwort ist die selbe wie damals: Nein.“ „Farnelias Wirtschaft wird elendig zu Grunde gehen, wenn ihr nicht langsam die natürlichen Ressourcen für das Handwerk freigebt!“ „Glaubt ihr, das weiß ich nicht?“, entgegnete der König genervt. „Aber Farnelias Wälder haben das Land seit jeher beschützt. Kein großes Heer hat es bisher gewagt, uns zu nahe zu kommen, weil wir sie dank der vielen Bäume jederzeit aus dem Hinterhalt überfallen könnten.“ „Und doch hat ein Geschwader Guymelefs gereicht, die Hauptstadt zu zerstören. Und das Heer der Gezeichneten scheint sich auch nicht am Grünzeug zu stören.“, konterte der Baron eiskalt. „Die scharfen Sinne ihrer Herren machen Hinterhalte nutzlos.“, gab Van zu. „Und auch den technologische Fortschritt durch die Zaibacher kann der Wald nicht aufhalten. Dennoch ist er ein Teil Farnelias. Vor ein paar Jahrhunderten hat man schon einmal versucht, das Holz großflächig abzuholzen. In den Jahren darauf kam es immer wieder zu Erdrutschen, die die Handelswege blockiert und viele Menschen unter sich begraben haben. Daraufhin dachte man, der Wald wäre den Drachen heilig und sie würden ihn beschützen. Man hat das Roden eingestellt und neue Bäume gepflanzt. Nach ein paar Jahrzehnten gab es nur noch wenige Gerölllawinen. Seitdem fällen wir in Farnelia Bäume nur noch zum Eigenbedarf.“ „Alles Aberglaube.“, tat Fabian die Geschichte als haltlos ab. „Hitomi stimmt ihnen zu.“, erklärte Van, was den Baron überraschte. „Sie sagt, dass in Wahrheit die Wurzeln der Bäume den Boden stabilisieren und so Erdrutsche verhindern, sollte der Grund vom Regen durchnässt werden.“ „So etwas hab ich ja noch nie gehört.“, zweifelte der Baron die Aussage an. „Mag sein, aber sie kommt auch nicht aus Gaia, sondern vom Mond der Illusionen, wo man anscheinend noch sehr viel mehr weiß als in Zaibach. Sie hat dort eine sehr gute Bildung genossen. Ich vertraue ihrem Urteil. Die Bäume werden nicht angerührt.“ „Hat sie auch Vorschläge, wie Farnelias Wirtschaft wieder auf die Beine kommt?“ „Einige. Erst einmal konzentrieren wir uns auf die Landwirtschaft, da Lebensmittel in Astoria und Chuzario dringend gebraucht werden.“, erklärte Van. „Gerade sind wir dabei Manufakturen in Farnelia aufzubauen, die unsere Erzeugnisse auch verarbeiten. Außerdem möchte meine Frau, nachdem wir die Gezeichneten abgewehrt haben, Wissenschaftler nach Farnelia locken, die eine ganz neue Richtung einschlagen, indem sie von der Natur lernen. Sie behauptet, in ihrer Welt würde das gut klappen.“ Fabian suchte verbissen nach weiteren Argumenten für sein Anliegen, da öffnete sich die Tür zum Schlafzimmer und Hitomi trat an Irenes Seite ein, gefolgt von zwei blau gekleideten Dienerinnen. Der Adlige erhob sich sofort und begrüßte die Königin mit einer Verbeugung, woraufhin sie ihn Willkommen hieß. „Du siehst gut aus.“, bemerkte Van. Das königsblaue, mit Goldfäden verzierte Gewand kannte er zur Genüge und wurde doch nicht müde darüber zu staunen, wie Hitomi ihm Leben verlieh. Ihr immer länger werdendes Haar war wohl noch zu kurz zum Hochstecken und wurde stattdessen von einem schmucklosen Diadem von ihrem Gesicht ferngehalten. Ihre Haut wirkte sehr viel heller als sonst. „Jedenfalls sehr viel besser als ich dich zuletzt gesehen habe.“ „Die junge Dame hier hat mir ein bisschen den Kopf gewaschen.“, berichtete Hitomi anerkennend und legte eine Hand auf Irenes Schulter. „Und die Kosmetik tut ihr übriges.“, lobte sie dann die Frauen hinter ihr. „Wenn es niemandem etwas ausmacht, würde ich gern mit meiner Frau allein sein.“, verkündete Van freundlich, aber bestimmt. „Wir reden später weiter.“, tröstete Hitomi Irene. Das Mädchen war erst enttäuscht, strahlte dann aber wieder, als sie fragte: „Möchtest du mich mal besuchen kommen?“ Die Königin lächelte geschmeichelt. „Natürlich. Ich würde sehr gern sehen, wie du lebst.“ Fabian wollte etwas einwenden, doch seine Tochter unterbrach ihn. „Kann Merle auch kommen?“ „Ja, aber dann muss ich Van erst nach Farnelia schicken, sonst kann sie von dort nicht weg.“, erklärte Hitomi geduldig. „Macht euch keinen Aufwand wegen dem Essen oder sonstigen Dingen.“, riet Van unterdessen dem Vater des Mädchens. „Ihr habt sie ja gehört. Wegen den Zeitpunkt melden wir uns noch.“ „Hab ich eine Wahl?“, fragte Fabian verunsichert. „Nicht wenn das weibliche Geschlecht sich einig ist.“, resignierte der König. „Hier ist das Empfehlungsschreiben an Herzog Cid. Damit wird man euch zu ihm lassen und meine Bitte steht auch drin. Er ist ebenfalls Gast hier im Palast und wird nach der Konferenz sicher Zeit für euch haben.“ Sowohl die zwei Dienerinnen als auch die beiden Adligen verabschiedeten sich standesgemäß und ließen das Königspaar allein. Sofort kam Van auf Hitomi zu und zog stürmisch sie an sich. „Vorsicht.“, mahnte sie heiter. „Du verwischt noch den Puder.“ „Das macht nichts.“, meinte er leichthin. „Lass du dich erst mal schminken, dann reden wir weiter.“, ärgerte sie sich und schob ihn von sich weg. „Bist du bereit, die Welt zu verändern?“, erkundigte sich Van scherzhaft. „Nur wenn du an meiner Seite bist.“, antwortete sie nervös. „Ganz im Ernst, Van. Was soll ich vor so vielen Leuten?“ „Sag ihnen einfach, was sie wissen wollen.“ „Alles?“ „Du kannst ja so tun, als müsstest du erst überlegen, ehe du antwortest.“, schlug er vor. „Das gibt mir genug Zeit, dir über meine Gedanken mitzuteilen, was besser geheim bleiben sollte.“ Da sie sich noch immer nicht beruhigte, startete er einen weiteren Versuch. „Es ist doch nicht das erste Mal, dass du vor der Vollversammlung sprichst. Nach dem Ende der Zaibacher Kriege hast du verhindert, dass sich die Mitglieder der Allianz wegen der Scharmützel während der Entscheidungsschlacht gegenseitig die Köpfe abschlagen.“ „Damals war es ja auch nicht mein Leben, das auf dem Spiel stand.“, konterte Hitomi bitter. „Trotzdem hast du vor deiner Befragung gezittert und hattest ganz weiche Knie, aber während du da vorne gestanden hast, hat man davon nichts gemerkt.“, machte er ihr Mut. „Ich weiß, dieses Mal wirst du es genauso gut machen, wie letztes Mal und wie jedes Mal, das noch vor dir liegt.“ „Glaubst du etwa, die werden mich mit einer Anklage nicht davon kommen lassen.“, erkundigte sie sich besorgt. „Es wird jedenfalls nicht das letzte Mal sein, dass du dich rechtfertigen musst oder vor einem großen Publikum sprichst.“, raubte Van ihr die Illusionen. „Irgendwann gewöhnst du dich dran.“ Hitomi seufzte. „Dann sollte ich es wohl hinter mich bringen.“, meinte sie und ließ ihre Schultern hängen. „Denk einfach an das Haus in Fraid. Je schneller wir diese Anklage aus der Welt schaffen und den Gezeichneten in den Arsch treten, desto eher können wir dorthin.“ Sie lächelte. „Ein verlockender Gedanke.“ Kapitel 26: Meinungsaustausch ----------------------------- Als Hitomi den Saal der Vollversammlung der Allianz betrat und zum Rednerpult ging, brach ein Sturm unter den Anwesenden aus. Laute Buhrufe und obszöne Beleidigungen flogen ihr aus allen Ecken der Halbkreis förmigen Bankreihen zu. Sie war sichtlich um Fassung bemüht und Van wünschte, er könnte mehr tun, als ihr jeden Liebesschwur von seinem Platz aus zu schicken, der ihm einfiel. Er wusste, seine Gedanken würde sie erreichen, doch ob sie ihn auch hören konnte zwischen dem ganzen Gebrüll? Mit aller Macht hämmerte der Präsident der Versammlung seinen Hammer gegen den Aufsatz auf seiner Tischplatte und sorgte so endlich für Ruhe. Die junge Königin reckte vor der aufgebrachten Menge demonstrativ das Kinn in die Höhe, aber der Angriff war nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. In einen unachtsamen Moment wischte sie eine Hand über ihre Augen. Der Präsident bat sie noch einmal zum Pult zu gehen und sie folgte zögerlich seiner Anweisung. Dann übergab er ihr das Wort. Sie legte sofort ohne ein Wort des Grußes los. „Ich weiß, dass um meine Person viele Spekulationen gemacht wurden und sie kennen sie mit Sicherheit alle. Ich soll vorsätzlich die Zaibacher Kriege angefacht und so die größte Lawine an Zerstörungen losgetreten haben, die diese Welt je gesehen hat. Ich soll als Sündenbock dafür herhalten, dass hunderttausende von Familien um Mitglieder trauern und noch sehr viel mehr die Kosten des Krieges in ihren eigenen Einkommen spüren. Doch es sind nach wie vor nur Spekulationen und entbehren jeglicher Grundlage.“ Laute Rufe unterbrachen ihren Redefluss und dieses Mal half ihr der Hammer der Aufsicht nicht. Irgendwo war die helle Stimme eines Kindes und die aufgebrachten Schreie einer Frau, doch sie ging völlig unter. Immer wieder wurde Hitomi in allerlei Variationen als Lügnerin und Mörderin beschimpft. Hilfe suchend sah sie sich nach dem Präsidenten um, doch der grinste sie nur an. „Könntet ihr bitte für Ruhe im Saal sorgen, euer Exzellenz?“, bat sie formell, um ihre Wut zu kaschieren, worauf der Saal in Gelächter ausbrach. Die junge Herrscherin war kurz davor zusammenzubrechen und Van wollte schon aufspringen und zu ihr eilen, da zerstampfte eine donnernde Stimme den Spott. „Wollt ihr wohl still sein?!“, brüllte Aston außer sich von seinem Sitz in der ersten Reihe. „Wo sind die so oft gepriesenen Manieren unserer Diplomatie?“ Er machte einen Moment Pause und ließ die Spannung im Saal auf jeden einzelnen wirken. „Jeder meiner Gäste wird Respekt behandelt und wer sich nicht daran hält, kann sofort und ohne Stimmrecht nach Hause fliegen.“ „Chuzario schließt sich dem Protest Astorias an.“, verkündete Sophia so laut sie konnte von der Nachbarbank aus. „Ich stelle sogar mein Schiff zur Verfügung, falls jemand kein eigenes hat.“ „Meines könnt ihr auch haben.“, mischte Cid sich von den oberen Reihen aus ein. „Mein Vater hätte ein solches Verhalten bei mir nie geduldet!“ Dem antworteten ein paar Protestrufe, doch sie verebbten schnell. Nachdem Aston sich sicher war, dass Hitomi nun die volle Aufmerksamkeit von allen Abgesandten hatte, setzte er sich. Van atmete erleichtert auf, da er spürte, wie sie wieder Mut fasste. „Als ich das erste Mal überhaupt nach Farnelia gekommen bin, war der Angriff der Zaibacher schon lange in Planung. Ich war erst einen Tag auf den Planeten und in der Stadt, als sie zuschlugen. Das ist viel zu wenig Zeit um den Zaibacher verlässliche Erkenntnisse oder auch nur einen guten Grund liefern zu können, dort einzufallen.“, fuhr sie fort. „Die Zaibacher waren auf der Jagd nach Escaflowne, dem königlichen Guymelef Farnelias, einzig und allein weil der Imperator Dornkirk ihn als Bedrohung für seine kriegerischen Expansionspläne sah. Danach floh ich zusammen mit Van, dem frisch gekrönten Herrscher dieses ehrwürdigen Landes, nach Astoria, wo wir ungeachtet aller Bündnisse zwei Mal von den Zaibacher angegriffen worden sind. Viele Soldaten und Familien haben dabei ihr Leben gelassen, doch waren für die Gräueltaten allein die Zaibacher Streitkräfte verantwortlich. Mein Mann hat sogar durch den Einsatz seines Lebens versucht, die Verluste möglichst gering zu halten, indem er die Zaibacher von der Besatzung des Crusadors weglockte. Dann flohen wir nach Fraid, wo alle vier Armeen des Zaibacher Imperiums einmarschierten. Herzog Cid kann bezeugen, dass der Oberkommandierende der Zaibacher es nur auf das Erbe von Fraid abgesehen hatte. Und erst dort wurden die Zaibacher auf mich aufmerksam und begannen mich zu jagen. Den Rest der Geschichte kennen sie. Die Zaibacher griffen Palas an und forderten zum ersten Mal meine Auslieferung. Ich hatte mich sogar gestellt, wie ich es auch beim Haftbefehl der Allianz getan habe, bis es der Gesandte Astorias die Herrschaft über Farnelia forderte.“ Ein Vertreter forderte lauthals Beweise, andere stimmten mit ein. „Wie soll ich etwas nachweisen, dass ich nicht getan habe?“, übertönte Hitomi die vereinzelten Rufe. „Außerdem, wo sind die Beweise, die sagen ich wäre schuldig? Bisher bin ich immer nur angeklagt worden, habe aber nichts gesehen oder gehört, was die Vorwürfe gegen mich stützen könnte.“ „Ihr habt euch über drei Jahre lang unserem Zugriff entzogen.“, konterte einer der Anwesenden. „Was für Beweise brauchen wir noch?“ „Ich war zu Hause auf der Erde, dem Mond der Illusionen, und wusste von nichts.“, rechtfertigte sich Hitomi. „Auch das kann ich natürlich nicht belegen, aber auch das Gegenteil kann niemand beweisen, aus dem einfachen Grund, dass ich die Wahrheit sage.“ „Ihr lügt doch wie gedruckt!“, tönte es von oben. „Beweist es!“, verlangte die Königin. „Sonst werde ich nicht noch eine Sekunde länger hier stehen und mich beleidigen lassen. Ich beantworte gern alle Fragen, aber mit der nächsten haltlosen Anschuldigung bin ich weg und sehe die Angelegenheiten der Allianz um meine Person als erledigt an.“ „Ihr könnt doch nicht einfach...“, protestierte Friedrich, Vasrams Oberkommandierender, aus der ersten Reihe. „Ist die Rechtssprechung der Allianz nur auf Willkür ausgelegt? Reicht ein grundloser Verdacht, um Mitglieder zu bestrafen?“ fragte sie und ließ ihren Blick über die Anwesenden schweifen. „Wenn Ja, dann ist eine Mitgliedschaft hier kaum von Vorteil. Auf Farnelia, eine Stadt voll von unschuldigen Menschen, rollte eine riesige Gefahr zu. Ein Heer aus zweitausend versklavter Seelen marschiert auf die frisch errichteten Mauern zu. In Sarion, der Hauptstadt Chuzarios, bewegen sie sich frei und gefährden die wenigen Überlebenden des Angriffs der Gezeichneten. Keiner unternimmt etwas. Stattdessen möchte mich fast jeder hier nur als Sündenbock sehen, um sich selbst aus der Verantwortung zu ziehen. Bei so wenig Solidarität unter den Mitgliedern ist es kein Wunder, dass das Bündnis auseinander zu fallen droht.“ „Jede dieser Bedrohungen betrifft nur einzelne Mitglieder, nicht das Bündnis als ganzes.“, rechtfertigte der dicke Offizier Vasrams die Zurückhaltung. „Aber das tut sie. Auch das Zaibacher Reich hat zum Zeitpunkt der Gründung dieses Bündnisses nur einzelne Staaten angegriffen. Dennoch habt ihr euch zusammen geschlossen.“, konterte Hitomi. „Weil wir Beweise hatten.“, vollende Friedrich höhnisch grinsend. „Folken, der Stratege des Zaibacher Reiches persönlich, hat uns die Pläne des Imperator vorgetragen. Habt ihr einen vergleichbaren Zeugen?“ Hilfe suchend sah Hitomi zu Van. Dann entschied sie sich, ihre letzten Trümpfe auszupacken. „Hab ich nicht. Ich habe die Absichten des Mannes, der die Gezeichneten befiehlt mit eigenen Ohren gehört, doch leider hat er es nicht nötig sie aufzuschreiben.“ „So ein Pech.“, spottete jemand aus den oberen Reihen, worauf der Saal wieder in ein kurzes Gelächter einfiel. „Jetzt lachen sie, aber ich kann ihnen versprechen, die Gezeichneten werden jedes Land angreifen, eines nach dem anderen, jedes auf eine andere Art und Weise.“ In den Worten legte Hitomi die gleiche Zuversicht wie früher in ihre Wahrsagerei. „Und ich kann ihnen versichern, jeder von ihnen wird hier stehen, wo ich stehe, und sich mit der selben Bitte an die Versammlung wenden. Gaia wird bald keine Zukunft mehr haben, wenn sie zu viele von ihres Gleichen abweisen.“ „Ihr seid keine von uns!“, dementierte Friedrich entrüstet. „Keiner von uns hat sich hochgebumst!“ „Das reicht!“, schrie Hitomi wütend. „Ich habe für euch alle ein so einfaches Geschäft, dass selbst eure Inzest verseuchten Gehirne es verstehen.“ Der Saal verfiel in fassungsloses Schweigen. „Wenn die Allianz auf eine Beweislast für Farnelia bezüglich der Bedrohung durch die Gezeichneten verzichtet, unterwerfe ich mich ihrem Urteil. Besteht die Allianz auf die Beweislast, tu ich es auch. Dann gehe ich als freie Frau aus diesem Saal und niemand sollte auch nur daran denken mich aufzuhalten!“ Stille. Niemand wagte auch nur zu husten für fünf lange Sekunden. „Das wird nicht nötig sein.“, brach Aston schließlich das Eis. „Mir liegen Dokumente aus dem Archiv der Zaibacher vor, die die Geschichte der Königin Farnelias bestätigen. Auf Anfrage kann jeder der Anwesenden Kopien bekommen. Wenden sie sich dafür einfach an einen meiner Sekretäre.“ „Was?“, brach der Schock aus Hitomi heraus. „Warum habt ihr das nicht gleich gesagt?“, brüllte Van wütend von oben herunter. „Ihr hättet meiner Frau die ganze Tortur ersparen können.“ „Ich wollte hören, ob sich ihre Aussage mit den Berichten deckt.“, erklärte Aston unschuldig. „Und?“, zischte Hitomi bedrohlich. „Tut sie das?“ „Im Großen und Ganzen, ja.“ Der König Astorias blieb unbeeindruckt. „Die Unterschiede belegen, dass es sich um von einander unabhängige Sichtweisen einer Geschichte handelt. Hiermit beantrage ich die Anklage gegen die Hitomi de Farnel, Königin von Farnelia fallen zu lassen und stimme dafür.“ „Chuzario stimmt ebenfalls dafür. Farnelia hat unser vollstes Vertrauen und wir freuen uns, dass die Sache endlich aus der Welt geschafft wurde.“, äußerte sich Sophia formell. „Vasram enthält sich.“, knurrte Friedrich und funkelte Hitomi wütend an. „Verwechselt das nicht mit einem Freispruch, Hure!“ „Außerdem...“, ging Aston schnell dazwischen, ehe Hitomi etwas erwidern konnte. „entschuldige ich mich hiermit im Namen der Versammlung für alle Beleidigungen, die hier gefallen sind. Fast jeder hier im Saal hat Freunde und Familie verloren. Da sind wir alle etwas emotional.“ „Ich entschuldige mich ebenfalls.“, erwiderte Hitomi kalt. „Meine Aussagen waren fehl am Platz.“ „Ich habe nur eine letzte Frage, wenn ihr sie mir gestattet.“, bat er weiter. „Fragt!“ „Wie habt ihr meine Guymelefs besiegt?“ Hitomi streckte ihre Hand mit der Innenseite nach oben über dem Rednerpult aus. An für sich war es nicht notwendig, doch jeder sollte verstehen, dass die folgende Demonstration ihr Werk war. Dann erschuf sie eine schwach leuchtende Kugel über ihre Hand und dehnte sie aus, bis einen Meter Durchmesser hatte. „Ich kann die Oberfläche einer Kugel mit der Kraft meiner Gedanken entstehen lassen. Die Eigenschaften kann ich beliebig verändern, so das die Fläche auf ihre Umwelt nach meinen Willen Einfluss nimmt.“, erklärte sie geduldig und ließ sich von der aufkeimenden Zweiflern nicht aus Konzept bringen. Jetzt nicht mehr! „Die Kugel, die die Guymelefs zerstört hat, war zu einer Ellipse verformt, durchsichtig, undurchdringlich und bewegte sich sehr schnell. Damit habe ich die Beine der Maschinen durchschnitten. Keiner der Piloten ist dabei zu schaden gekommen.“ „Könntet ihr uns damit auch köpfen?“, fragte jemand aus der Menge. „Ja.“, antwortete die Königin wahrheitsgemäß. „Genauso wie Astoria diesen Saal ohne nennenswerte Gegenwehr stürmen oder wie Vasram eine Bombe über unseren Köpfen explodieren lassen könnte.“ Wieder wurde es laut in der Versammlungskammer. „Aber jeder von uns weiß, das kein Land würde eine solch schändliche Tat jemals überleben.“ Sie fixierte Friedrich, den Oberkommandierenden aus Vasram. „Schließlich wäre das ein Angriff auf das gesamte Bündnis.“ „Wird unserem Hilfegesuch stattgegeben?“, fragte Van laut in die Runde. „Die Beweislast liegt noch immer bei euch.“, erinnerte Friedrich genüsslich. „Dann erlaubt uns jetzt zu gehen.“, ätzte Hitomi und wandte sich an den Vorsteher der Versammlung. „Hier verschwenden wir nur unsere Zeit.“ „Ihr könnt neben euren Mann Platz nehmen.“,verkündete der Präsident. „Es gibt allerdings noch einen Punkt auf der Tagesordnung. Ich erteile dem Gastredner Elhad Dar Fraid das Wort.“ Kapitel 27: Zerbrochenes Geheimnis ---------------------------------- „Es gibt allerdings noch einen Punkt auf der Tagesordnung. Ich erteile dem Gastredner Elhad Dar Fraid das Wort.“ Erst war Hitomi frustriert, doch dann klingelten die Alarmglocken. Dar Fraid...was auch immer jetzt folgen würde, musste Cid betreffen. Sie sah zu ihm hinauf, während sie die langen Treppenstufen noch oben stieg. Er schien überrascht zu sein. Ein Angelegenheit seines Landes und er wusste nichts? Die Flügeltüren zum Saal öffneten sich und ließen ein großen, stramm gehenden Mann durch, mit schwarzen Vollbart und langer Kleidung, die alles, bis auf das Gesicht, einhüllte. Nichts schien ihn aus der Ruhe zu bringen, er bewegte sich nur sehr langsam. Gleichzeitig streiften seine Augen jeden in dem großen Raum, der mit dem Getuschel der Anwesenden erfüllt war. Der Königin Farnelias fühlte eine neue Bedrohung heraufziehen, und diese ging ganz klar von der Aura des Neuankömmlings aus. Als sie schließlich ganz hinten im Saal bei Van war, hatte der Gastredner gerade erst das Sprecherpult erreicht. Sie setzte sich an die Seite ihres Mannes. Wer ist das?, fragte sie ihn über einen Gedanken und er antwortete ihr auf gleiche Weise: Cids Onkel. Er regiert ein Grenzgebiet von Fraid. Eigentlich ist er Cid Rechenschaft schuldig. Aber Cid hat keine Ahnung, was gerade passiert. Warum sagst du mir nicht, was hier vor sich geht. Du kannst doch die Gedanken aller menschlicher Wesen auf Gaia lesen. Du weißt, ich kann sie nicht zuordnen. Selbst wenn ich Cids Gedanken oder die von diesem Elhad zufällig heraus picken würde, wüsste ich nicht, von wem sie kommen. Dann erhob sich die Stimme Elhads und das Königspaar Farnelias konzentrierte sich auf den Redner. „Ich trete vor diese Kammer, um einem großen Unrecht zu berichten, das die Herrscherfamilie und den Herzog Fraids selbst betrifft, und nur von der nächst höheren Instanz, der Allianz, wiedergutgemacht werden kann.“ Die Stimme Elhads war tief, laut und entgegen seinen Worten vollkommen siegessicher. „Meine Familie ist um ihren Thron betrogen worden. Mein älterer Bruder hatte keinen leiblichen Sohn...“ „WAS?“, durchschnitt Cids helle Stimme die Luft. Hitomi bedeckte erschrocken ihren Mund und flüsterte Stoßgebete. Lediglich ein Zucken ihn den Augenwinkeln verrieten Vans Aufregung. „und doch sitzt ein Kind auf den Platz meines heldenhaften, im Kampf gegen den Zaibacher Imperator gefallenen Bruders.“ „Ihr lügt!“, schrie der kleine Herzog nach Leibes Kräften. „Wie könnt ihr es wagen! Ich lasse euch einkerkern!“ „Ihr solltet eurer Sache sicher sein, sonst...“, drohte Aston erzürnt. „Ich sage die Wahrheit!“, behauptete Elhad unbeeindruckt und knallte ein Buch auf den Tisch. „Das hier ist das Tagebuch der Herzogin Marlene Erisha Dar Fraid. Kurz vor der Heirat mit meinem Bruder hatte sie ein Affäre mit Himmelsritter Allen Shezar.“ Cid wurde kreidebleich und Aston rot wie eine Tomate. „Das genügt jetzt!“, brüllte der. „Entfernt diesen Mann!“ „Ich verlange Gerechtigkeit!“, forderte Elhad. Zwei Wachen traten schnell auf ihn zu. „Ein Bastard sitzt auf Fraids Thron. Noch dazu einer, der nicht einen Blutstropfen der alten und ehrwürdigen Familie Dar Fraid hat. Seht ihn euch doch an!“ Wild gestikulierend wehrte er sich gegen die Wachen. „Das blonde Haar und die helle Haut. Der ist niemals der Sohn meines Bruders!“ „Lasst ihn los!“ Cids Stimme quiekte fast, und doch wurde es still. So schnell seine Füße ihn trugen rannte er die Stufen herab zum Rednerpult. Elhad, dessen Arme wieder frei waren, griff nach dem Band. „Gebt mir das Buch!“ Sein Stiefonkel lachte. „Auch wenn du es jetzt vernichtest, ich hab noch drei beglaubigte Kopien davon, jede von einem anderen Mönch gefertigt.“ „Solltet ihr die Wahrheit sagen, gehört es meiner Mutter!“, keifte Cid den Tränen nah. „Ich lasse es nicht euren dreckigen Händen. Gebt es mir!“ Elhad grinste und reichte es ihm. „Überzeug dich selbst!“ Der Junge riss es an sich und lief aus dem Saal. Das Murmeln im Saal schwoll immer weiter an, bis der Präsident mit seinem Hammer für Ruhe sorgte. „Armer Cid!“, sagte Hitomi leise, wonach ihr Van zu raunte: „Das hat Trias blendend hinbekommen! Das wird die Allianz erst einmal beschäftigen.“ „Aber woher wusste er von dem Tagebuch?“, wunderte sich Hitomi. „Weiß er es nicht von dir?“ „Nein, ich höre heute das erste Mal davon.“ „Er hat wohl auch andere Quellen in dieser Sache.“, meinte Van leise und starrte auf Elhad. „Und einen Verbündeten, der viel dabei gewinnt.“ „Was machen wir?“, fragte Hitomi besorgt. „Wir müssen doch irgend etwas tun. Ich meine, Cid...“ „Ich halte hier die Stellung. Du folgst Cid. Er braucht jetzt eine große Schwester, die ihn tröstet.“ „Ist gut.“, stimmte sie zu und erhob sich. Noch bevor sie das Ende der Treppe erreicht hatte, pfiff der Präsident sie zurück und verwies sie auf ihren Platz. Sie mobilisierte das letzte bisschen Selbstkontrolle und versuchte den Vorsitzenden der Versammlung umzustimmen, doch der ließ sich nicht erweichen und die beiden Wachen wandten sich schon ihr zu. Ratlos ließ sie sich wieder auf ihren Platz nieder. „Du hast es versucht.“, beruhigte sie Van. „Als ob das Cid nützen würde. Sind wir eigentlich Gefangene oder Gäste?“, giftete sie aufgebracht zurück. Ihr Mann verkniff sich weitere Bemerkungen, wohl wissend, dass sein Kopf gerade äußerst wacklig auf seinen Schultern ruhte. „Ich wüsste nicht, warum wir etwas tun sollten.“, meinte Friedrich, der dicke General Vasrams, leichthin. „Wieder handelt es sich nur um eine innere Angelegenheit.“ „Wenn die Allianz nichts unternimmt, werden meine Truppen das in die Hand nehmen.“, drohte Elhad. „Der Großteil der Armee Fraids dürfte aber auf der Seite dieses Lümmels sein. Es wird einen Bürgerkrieg geben.“ „Nicht unser Problem.“, konterte Friedrich. „Und wenn ihr unsere Zustimmung und unsere Truppen für euren Familientwist erwartet habt, so lasst mich euch mitteilen: Ihr habt euch verrechnet.“ „Dennoch sollten wir diesen Konflikt nicht außer Acht lassen.“, wandte Sophia ein. „Stabilität in den Ländern der Allianz bedeutet Stabilität für das Bündnis. Wie wäre es, wenn wir einen Vermittler schicken würden. Ich kenne da...“ „Ich übernehme die Verantwortung.“, schaltete sich Aston entschlossen ein. „Cid ist mein Enkel und Fraid ein Nachbarland Astorias. Ich entsende den Vermittler.“ „Wenn ihr wollt.“, gähnte Friedrich. „Einverstanden.“, sagte Sophia. „Aber wen wollt ihr schicken?“ „Jemanden, der während der kurz vor dessen Tod engen Kontakt mit Mahad Dar Fraid hatte und seinen Platz in unserer Mitte noch verdienen muss!“ Nach seiner kleinen Ansprache wandte er sich Hitomi zu und jeder ihm Saal machte es ihm nach. „Ich?“, fragte sie überrascht. „Ja, ihr, Hitomi de Farnel, Königin von Farnelia. Jetzt könnt ihr zeigen, wie gut ihr euch in der Politik versteht.“, bestätigte Aston. „Aber, König Aston, gerade jetzt, wo Farnelia...“, protestierte Sophia, doch Aston unterbrach sie. „Gerade jetzt.“, bekräftigte er. „In Fraid ist sie in Sicherheit und ihr Mann kann sich ganz auf die Verteidigung seines Landes konzentrieren.“ „Sie ist nie und nimmer neutral.“, brachte Elhad seinen Einspruch vor. „Sie und der Junge verbindet eine enge Freundschaft. Gerade wollte sie ihm sogar nachlaufen.“ „Noch ein Grund mehr für sie, einen Krieg auf jeden Fall zu verhindern.“, konterte Aston eiskalt. „Mit allen Mitteln, selbst wenn das bedeutet, dass Cid den Thron aufgibt.“ „Aber...“ „Genug!“, befahl Astorias König. „Ihr wolltet den Richterspruch der Allianz? Dies ist er. Im Konflikt um die Machtansprüche wird solange unter der Aufsicht der Königin Farnelias in Fraids Herrscherpalast verhandelt, bis sie die Schlichtung für erfolgreich oder gescheitert erklärt. Solange darf es zu keinen gewaltsamen Übergriffen zwischen den verfeindeten Parteien kommen oder Astoria wird das Herzogtum Fraid annektieren und unter seiner Herrschaft stellen.“ „Das könnt ihr nicht tun!“, beschwor Elhad, woraufhin Aston in mit harten Blick ansah. „Ihr bedroht das Leben meines Enkels und schmälert das Leben meiner Tochter. Ihr solltet beten, dass Königin Hitomi eine Lösung findet, sonst kann ich noch sehr viel mehr!“ „Wenn ich erst einmal auf dem Thron sitze, wird das ein Nachspiel haben.“, drohte Elhad und verließ mit großen Schritten den Saal. „Spinnt der?“, fragte Hitomi fassungslos ihren Mann. „Der kann doch nicht einfach...“ „Ich bin dafür.“, widersprach Van. „Du bist wie keine Zweite für diese Aufgabe geeignet, da du alles ein bisschen anders siehst. Und ich muss mir keine Sorgen mehr machen, dass du plötzlich während des Angriffs in Farnelia auftauchen wirst. Denn wenn du es tust, sterben Menschen.“ „Aber...“ „Die Versammlung löst sich auf. Los, raff dich auf! Cid braucht dich.“ So schnell sie konnte trippelte Hitomi die Treppe hinunter und versuchte dabei den anderen Abgesandten auszuweichen. Unten jedoch fing Aston sie ab. „Königin Hitomi, ich möchte euch und euren Mann sofort sprechen.“, bat er respektvoll, aber bestimmt. Sie hingegen rollte genervt mit ihren Augen und winkte Van zu sich. Neben ihr trat Sophia an sie heran und drückte ihre Hand. Was für die anderen wie eine ermutigende Geste aussah, war kühles Kalkül. Hitomi nahm Sophias Gedanken wahr, wie sie ihr die Dienste ihres Liebsten Antigonos versicherte. Er sollte sie auf der Mission nach Fraid begleiten, sie beschützen und ihr gehorchen. Hitomi wusste mit Sinn der letzten Worte jedoch nicht viel anzufangen. Als Van bei ihr ankam, machte Sophie sich auf und verschwand. „Nicht hier.“, sagte Aston und lud sie beide mit einer Geste ein ihn zu begleiten. Kapitel 28: Die Wahrheit verändert alles ---------------------------------------- "Bitte sagt mir, dass ihr von alledem nichts wusstet.", verlangte Aston, als er seinen beleibten Körper in den Stuhl hinter seinem Schreibtisch wuchtete. "Das kann ich nicht.", gab sie offen zu, während sie sich vergeblich in dem hellen Raum nach weiteren Sitzgelegenheiten umsah. Van schloss hinter ihr die Tür. "Allen hat mir gegenüber zugegeben, dass er mit eurer verstorbenen Tochter Marlene Herzog Cid gezeugt hat." "Es ist also wahr. Und ihr habt keine Geheimnisse vor einander.", köderte der König Astorias. "Ich wusste es auch.", bestätigte Van. "Allerdings erst seit Hitomi vom Mond der Illusionen zurückgekehrt ist." "Warum habt ihr mir nie etwas gesagt?" "Wir haben es nicht einmal Cid offenbart.", rechtfertigte sich Hitomi. "Es war ein Geheimnis, das wir keinesfalls preisgeben wollten." "Wer ist Wir?", erkundigte sich Aston. "Ich werde niemanden an den Pranger stellen, aber es waren meinen Erkenntnissen nach kaum eine Hand voll Leute, die eingeweiht waren." "Ich nehme, Elhad war nicht darunter. Wie hat er es heraus gefunden?" "Bedienstete tuscheln.", gab Van zu bedenken. "Um die schnelle Niederkunft eurer Tochter haben sich bestimmt Gerüchte gerankt. Außerdem könnte eine der Dienerinnen Marlene beim Schreiben des Tagebuches beobachtet haben." "Eure Majestät, ich weiß ehrlich nicht, was ihr von mir erwartet.", sagte Hitomi mit leiser Verzweiflung. "Ich habe begrenzte Erfahrung in der Diplomatie und ihr schickt mich los ein Pulverfass zu löschen." Bei der Erwähnung des Fasses wurden Astons Augen schmal, doch nur einen Moment später hatte er seine Maske der milden Verwunderung aufgesetzt. "Ich bin enttäuscht.", äußerte er sich entsprechend. "Bisher dachte ich, ihr würdet euch mehr zutrauen. Ihr könnt nicht ernsthaft erwarten in eine Königsfamilie einzuheiraten und dann nicht vor Herausforderungen gestellt zu werden." "Schon, aber..." "Du selbst wolltest mehr als nur rumsitzen.", wandte ihr Mann schelmisch ein. "Das hast du mir gesagt." "Fall du mir nicht auch noch in den Rücken!", keifte die junge Königin. "Als ich euch sagte, ich hätte euch gern an meiner Seite, tat ich das auch wegen eurer forschen Art, mit der ihr die Menschen verteidigt, die euch wichtig sind, sowohl mit Worten wie auch neuerdings mit übersinnlichen Kräften.", eröffnete ihr Aston und genoss dabei Vans erbosten Blick. Zwar hatte er jegliche Heiratspläne mit dem exotischen Juwel, das vor ihm stand, aufgegeben und war wild entschlossen, Trias für seine Intrigen bluten zu lassen. Das hielt ihn aber nicht davon ab auf seine eigene Weise Spaß an der Beziehung der beiden zu haben. "Und wie Elhad treffend bemerkte, flegt ihr zu Cid ein enges Verhältnis. Daher bin ich mir bei euch so sicher, wie bei kaum jemand anderen, dass ihr alles geben werdet und sämtliche Mittel ausschöpft, um diesen Konflikt friedlich beizulegen." "Mittel, von denen ich noch nicht einmal weiß, dass es sie gibt?", stichelte Hitomi. "Zu wissen gibt es da nicht viel. Findet heraus, was die Parteien wollen und schlagt einen Kompromiss vor, bei dem beide Seiten ihr Gesicht wahren. Schon habt ihr eine Einigung.", meinte Aston leichthin. "Ich schlage vor, ihr fangt jetzt damit an. Cid dürfte in seinen Gästegemach sein und sich nach Zuwendung sehnen." "Er hat seine Dienerin.", blockte die Königin sauer. "Wir sind noch nicht fertig miteinander." "Doch, seid ihr!", ging Van dazwischen. "So ungern ich es auch zugebe, er hat Recht, Schatz. Bitte erfülle deine Aufgaben, damit wir unseren nachgehen können." "Aber..." "Wir müssen die Evakuierung Farnelias besprechen. Sei so gut und lass uns allein!", bat Van herrisch. Hitomis Augen sandten Blitze zu beiden Männern abwechselnd. Schließlich gab sie klein bei und stampfte aus dem Zimmer. "Sie hat Feuer.", stellte Aston leicht beeindruckt fest, nachdem die Tür hinter ihr lauthals in den Rahmen fiel. "Oh ja!", bestätigte Van seufzend. Draußen im Gang warteten mehrere Dienerinnen. Erst beachtete sie Hitomi nicht und ging wie ein aufgescheuchtes Huhn im kleinen Kreis, leise vor sich hin fluchend. Als schließlich eine der Bediensteten den Mut aufbrach sie anzusprechen, verebbte ihre Wut, als sie in das eingeschüchterte Gesicht der eigentlich älteren Dame sah. "Schon gut.", beruhigte sie, wohl auch sich selbst. "Bitte bringt mich zu seiner Hoheit Herzog Cid von Fraid." Die Frau nickte und ging mit einer einladenden Geste langsam voran. Eine andere folgte Hitomi. Keine Chance zu fliehen, stellte sie verstimmt fest. Zusehends kam sie aber runter von ihrem hohen Ross und die Erkenntnis setzte sich durch, dass Cid gerade sehr viel schlimmeres durchmachen musste als herum geschuppst zu werden. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, in der sie durch verwinkelte, reich verzierte Gänge schritten und breite Treppen überwanden. Mehr als einmal hatte Hitomi das Gefühl einen Umweg zu gehen. Ob es wohl Bereiche gab, die man Besuchern vorenthalten wollte? Schließlich kamen sie zu einer Tür, vor der eine schweigsame Frau mittleren Alters wartete. Ihr Blick war starr auf den Boden gerichtet, während sie sich an die Wand lehnte. Hitomi brauchte kein Hellseher zu sein um zu wissen, dass diese bescheiden gekleidete Frau in ihren Innern äußert aufgewühlt war. "Fräulein Wareh.", begrüßte sie die dunkelhäutige Dienerin. Die Frau schreckte auf und vollführte eilig einen Knicks. "Majestät!", begrüßte sie die Königin verlegen. Diese lächelte verständnisvoll. Schließlich stand vor ihr nicht irgendeine Dienerin, sondern die Frau, die Cid sich als die Autoritätsperson in seinen noch jungen Leben ausgewählt hatte. Sie war es, die seiner verstorbenen Mutter am nächsten kam. Tanai Wareh hatte diese Aufgabe augenscheinlich mit ihrem ganzen Herzen angenommen. "Wie geht es ihm?", fragte Hitomi einfühlsam. "Ich weiß es nicht.", gab Tanai widerwillig zu. "Er kam plötzlich in sein Gemach gestürzt und hat mich raus geschickt. Erst weigerte ich mich, aber er benutzte das Wort, das mich von meiner Sorgfaltspflicht entbindet und seinem Befehl unterstellt. Eigentlich hat er mir geschworen, es nur einzusetzen, wenn es wirklich wichtig ist." "Ich gehe rein!", verkündete Hitomi entschlossen. "Möchtet ihr dabei sein?" „Aber ihr könnt doch nicht einfach...“, protestierte die Dienerin, doch die Königin schüttelte den Einwand einfach ab. „Ich bin nicht an sein Wort gebunden.“, begründete sie ihr Handeln und legte ihre Hand auf die Türklinke, hielt dann aber inne. Nachdenklich musterte sie Cids Vertraute. „Wenn ich es recht bedenke, solltet ihr doch draußen bleiben.“ Dann verschwand sie hinter der Tür und ließ die ratlose Dienerin zurück. Nachdem sie leise die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ sie den Raum auf sich wirken. Die Möbel, das Bett, die Wände, alles sollte hell und freundlich wirken, verbreiteten im Moment aber nur Kälte und Einsamkeit. Mitten im Raum auf dem Boden hockte Herzog Cid, allein und verlassen, kaum 12 Jahre alt, niedergeschmettert von der Verantwortung tausender Generationen, gebeutelt von so vielen Schicksalsschlägen, wie sie manch anderer in hundert Jahren nicht erlebt. „Cid? Ich bin's, Hitomi.“ Sie glaubt kaum, dass er reagieren würde, wollte ihm dennoch die Chance lassen, sie raus zu schicken. Doch er saß weiterhin einfach nur da, die Knie an das Kinn gepresst, das Tagebuch seiner Mutter in der Hand. Und er überraschte sie. „Wo ist mein Vater?“, fragte er mit gebrochener Stimme in den Raum hinein, ohne sich zu ihr umzudrehen. Hitomi brauchte ein paar Augenblicke, ehe sie sich eine Antwort zurecht gelegt hatte. „Er ist tot.“, antwortete sie aus tiefster Überzeugung. „Lüg mich nicht an!“, fuhr Cid sie wütend an. „Du weißt genau, von wem ich rede!“ „Nein, weiß ich nicht.“, erwiderte sie unnachgiebig. „Ein Vater zeugt dich nicht in einer einzigen Nacht, nur um dann alle Brücken abzubrechen. Ein Vater ignoriert dich nicht dein ganzes Leben lang, nur um für ein paar Tage aufzutauchen, wenn es ihm passt, und dann wieder mir nichts dir nichts zu verschwinden.“ Langsam ging sie auf das verstörte Kind zu. „Ein Vater glaubt an dich und lässt nicht eine Sekunde auch nur einen Zweifel aufkommen, dass du sein Sohn bist. Er bringt dir alles bei, was er weiß und sieht dann mit Freuden zu, wie du ihn überflügelst. Er lässt dich teilhaben an seinen Erfahrungen und schickt dich dann in die Welt hinaus, damit du deine eigenen machen kannst. Du hattest einen Vater. Leider ist er auf dem Schlachtfeld gestorben.“ Sie ging hinter ihn auf ihre Knie und umarmte ihn sanft. „Es tut mir Leid.“ Hitomis Worte hatten in Cid einen Damm gebrochen, die Tränen flossen in Strömen. Seine freie Hand packte nach Halt suchend ihre Arme und hielt sie verzweifelt fest. „Was soll ich nur tun?“, schluchzte er, woraufhin ihr Herz in die Zehenspitzen sackte. In Wahrheit hatte sie keine Ahnung, was gerade in ihm vorging. Wie sollte sie ihm da einen Rat geben? „Ich weiß nicht einmal, wer ich bin!“ „Als du heute morgen in den Spiegel geschaut hast, konntest du dich nicht wiedererkennen?“, fragte sie leise. „Was spielt das jetzt für eine Rolle?“, schrie Cid und versuchte sich zu befreien. Mit dem unguten Gefühl einen Fehler gemacht zu haben, ließ Hitomi ihn gewähren. „Jetzt ist alles anders. Mein Vater...“ „Nichts ist anders. Du weißt lediglich etwas, das du heute morgen noch nicht wusstest.“, widersprach sie. „An deinem Erbgut hat sich nichts verändert und auch deine Erziehung ist dieselbe. Sowohl dein Vater als auch deine Mutter haben dich geliebt und genauso solltest du sie in Erinnerung behalten.“ „Aber wird er mich auch immer noch lieben, wenn er die Wahrheit weiß? Die verändert alles!“, verzweifelte Cid. „Wie kannst du dir so sicher sein, dass er es nicht wusste?“, stellte sie ihn in Frage. „Glaubst du nicht, dass er deiner Mutter verzeihen und dich als seinen eigenen Sohn angenommen haben könnte?“ Cid schlug die letzten Seiten des Tagebuchs auf. „Davon steht hier nichts.“ „Vergiss das Buch für eine Sekunde und sag mir, was du denkst. Du hast deinen Vater am besten gekannt.“ Wie ein Häufchen Elend sackten seine Schultern zusammen, schließlich ging er jedoch in sich und kam wenige Augenblicke später zu einer Entscheidung. „Es wäre möglich.“, gab er zu. „Mutter und Vater haben sich geliebt. Ich hab sie nie anders erlebt. Und Vater war zwar hart, aber nie grausam.“ „Kannst du dir vorstellen, was Van tun würde, sollte jemand es offen bezweifeln, dass Merle seine Schwester ist?“, fragte sie weiter, froh darüber endlich auf den richtigen Trichter gekommen zu sein. „Er würde ihn vierteilen mit seinem eigenen Schwert.“, erwiderte Cid schmunzelnd. Er konnte sich noch gut an den Ball erinnern, auf dem Van sie dem Adel vorgestellt hatte. „Weißt du, warum?“, führte Hitomi den Gedanken weiter. „Nicht weil sie von ihrer Geburt an tatsächlich seine Schwester gewesen wäre, sondern weil sie es immer gewesen ist. Seine Zuneigung zu ihr ist überhaupt nicht vom wirklichen Verwandtschaftsgrad abhängig. Ich glaube, dein Vater und er sind vom gleichen Schlag.“ Cids Mundwinkel zogen leicht nach oben und eine weitere Träne kullerte seine Wange hinunter. „Die Frage ist jetzt, ob das Verhältnis zu deinem Vater gelitten hätte, wenn du gewusst hättest, dass er dich nicht gezeugt hat.“ „Nein.“, äußerte sich Cid gerührt. „Wenn überhaupt ist es besser als je zuvor.“ „Du bist sehr stark.“, lobte die Königin den kleinen Herzog und fuhr mit ihrer Hand zärtlich durch sein goldenes Haar, woraufhin sein Kopf diese verlegen abschüttelte. „Draußen steht und wartet eine Frau darauf eingelassen zu werden. Sie mag nicht deine Mutter sein, aber du bist für sie wie ein Sohn.“ „Tanai!“, begriff Cid. „Oh nein, ich hab sie...“ Die Spitze von Hitomis Finger auf seinen Lippen unterbrach ihn. „Glaub mir, das macht nichts. Ich hol sie und lass euch beiden allein. Du hast ihr mit Sicherheit viel zu erzählen. Morgen früh komm ich noch einmal vorbei.“ „Danke, Hitomi!“, flüsterte Cid, während sie sich erhob. „Du und Mutter...ihr beide seid euch ebenfalls sehr ähnlich.“ „Vielen Dank.“, erwiderte sie sichtlich bewegt. „Ich hoffe, ich kann eines Tages das gleiche über dich und eines meiner Kinder sagen.“ Als Hitomi die Tür öffnete, reichte ein Wort und die Dienerin stürzte besorgt in das Zimmer. Sofort fiel sie über Cid her und umarmte ihn innig, woraufhin er versuchte sie zu beruhigen. Hitomi musste bei diesem Anblick ausgiebig lächeln, ehe sie ihr Versprechen wahr machte und den Raum verließ. Kapitel 29: Treue und Pflicht ----------------------------- Als Hitomi in Begleitung zweier Dienerinnen von ihren Besuch bei Cid zu ihren eigenen Gästezimmern zurückkehrte, saßen sich Van und ein Mann im langen Gewand im Wohnzimmer gegenüber. Das braune, wellige Haar und die Nickelbrille kamen ihr bekannt vor, doch der Händler musste erst aufstehen und sich ihr zuwenden, ehe sie ihn erkannte. „Dryden!“, begrüßte sie ihn überrascht. „Schön dich zu sehen!“ „Die Freude ist ganz auf meiner Seite, euer Majestät.“, antwortete er im lockeren Tonfall und führte einen Handkuss aus. Van winkte seine Frau zu sich und sie setzten sich Seite an Seite. „Dryden und ich haben gerade über die Evakuierung Farnelias gesprochen.“, fasste er das bisherige Gespräch zusammen. „König Aston hat mich und meine Partner mit dem Transport und der Unterbringung der Bewohner in einer Zeltstadt betraut.“, informierte Dryden sie und prahlte: „Die Männer, Materialien und Schiffe stehen schon bereit. Wir könnten sofort loslegen.“ „Das ging ja schnell!“, kommentierte die Königin spitzbübisch. „Ich weiß, eine Zeltstadt ist kein Luxushotel, aber ich gehe davon aus, dass für sauberes Wasser, Decken, warmes Essen und Medizin gesorgt wird.“ „Ja, Majestät!“, versicherte der Händler. „Niemand wird dort wegen den Lebensbedingungen sterben. Es könnte allerdings schwierig werden, die Bevölkerung vom Gehen zu überzeugen. Wie ich gehört habe, kommt die Königin nicht mit ihnen.“ „Jeder Bürger, der zurück bleibt, ist ein Risiko. Ein Gezeichneter würde reichen, um aus ihnen eine Sklaventruppe zu formen, die uns in den Rücken fällt.“, merkte Van an. „Sobald sie das begreifen, werden sie freiwillig fliehen. Sein Besitz zu verlieren, ist schlimm, aber im Zwang Leute zu töten, die man kennt, ist schlimmer. Sie werden auf mich hören.“ „Dryden!“, unterbrach Hitomi die Diskussion ungewöhnlich ernst. Plötzlich hüllte eine Kugel aus Rauschen die drei Gesprächspartner ein, so dass niemand sie abhören konnte. „Wo ist Milerna? Ich hab sie noch kein einziges Mal gesehen.“ „Ich weiß es nicht.“, äußerte sich Dryden ratlos. „Meine Leute sind an ihr dran, sie haben sie aber noch nicht gefunden.“ „Ist sie entführt worden?“, sorgte sie sich. „Ihr eigenen Vater hat sie an einen Ort gebracht, den keiner kennt.“, offenbarte er schief lächelnd. „Ich weiß nicht, ob man das Entführen nennen kann?“ „Warum?“, hakte Van nach. „Damit sie euch nicht erzählt, was ich euch jetzt sage!“, erwiderte Dryden geheimnisvoll. „Farnelia ist ein Falle! Aston möchte, dass du bei der Invasion der Gezeichneten stirbst,“ Dann wandte er sich an Hitomi. „damit er dich heiraten kann.“ „Wie bitte?“, grollte Vans frisch vermählte Ehefrau. „Glaubt er, er kommt damit durch?“, zweifelte der. „Unser allseits geliebter Anführer der Gezeichneten und Berater des Königs Astorias, Baron Trias, hat ihn diesen Wahnsinn schmackhaft gemacht.“, erklärte der Händler mit viel Galgenhumor. „Ich habe ihn gewarnt, aber er denkt trotzdem, dass er die Gezeichneten vor Astorias Grenzen aufhalten kann.“ „Warum erzählst du uns das?“, erkundigte sich Hitomi nach einem Gedankenblitz. „Glaubst du, Milerna ist...“ „Er wird sie nicht töten.“, sagte Dryden und versuchte dabei sicher zu klingen. „Er wird sie höchstens solange verstecken, bis er oder ich ins Gras gebissen hat. Natürlich könnte er dafür sorgen, dass ich es früher tue als er.“, scherzte er zuletzt. „Aston hat mich außerdem beauftragt euch eine Waffe zu geben, die euch Hoffnung auf einen Sieg schöpfen lassen sollte. Ich an eurer Stelle würde sie allerdings nicht einsetzten.“ „Was für eine Waffe?“ fragte Van interessiert. „Ein Pulver, dass bei Kontakt mit Feuer explodiert. Er hat uns die Formel dafür zusammen mit Plänen einer Abschussvorrichtung gegeben. Diese Waffe kann von einem Mann geschultert werden und nutzt die sich schlagartig ausbreitende Luft der Explosion, um eine Bleikugel zu beschleunigen. Die Kugeln sind etwa halb so groß wie ein Faust.“ „Schießpulver.“, schlussfolgerte Hitomi. „Du weißt, was das ist.“, stellte Dryden überrascht fest. „Man kennt es auf meiner Welt schon fast seit einem Jahrtausend.“, erwiderte sie düster. „Es war lange ein beliebtes Mittel im Krieg und im Bergbau. Unzählige Menschenleben hat dieses Zeug gekostet.“ „So effektiv?“, hakte Van nach. „Du hast keine Ahnung!“ „Deswegen rate ich euch davon ab.“, erklärte der Gelehrte. „Es hat bei der Produktion Unfälle gegeben. Keine Toten, dafür aber Verbrennungen und Verstümmelungen. Ich würde es keinen Unwissenden in die Hand geben.“ „Und wir haben nicht mehr genug Zeit, die Krieger daran auszubilden.“, verstand Van. Dann aber lehnte er sich zurück und lächelte. „Ganz so hoffnungslos ist es aber nicht. Astons Plan hat einen Haken: Farnelia muss fallen und das wird es nicht. Ich habe aus Chuzario Rüstungen aus Leder und Stoff bekommen, die wir 'testen' sollen. Zweihundert. So viele, wie wir brauchen. Sie schützten fast den gesamten Körper vor den Zähnen und Nägeln der Sklaven. Die werden niemanden meiner Männer anstecken. Wir werden das Heer von den Mauern aus mit Pfeil und Bogen bekämpfen. Solange sie außerhalb der Tore sind, nützt ihnen ihre zahlenmäßige Überlegenheit nichts. Und sollten Gezeichnete auftauchen, kümmern ich und meine Leibwache sich um sie. Merle gibt uns aus der Luft mit ihrem Guymelef Deckung.“ „So viel weiß mit Sicherheit auch Trias. Er wird bestimmt...“, merkte Dryden an, doch Van unterbrach ihn mit einem Räuspern. Hitomi war diese Dynamik natürlich nicht entgangen. Sie lehnte sich an ihren Mann und verkündete: „Ich vertraue dir. Du wirst Farnelia retten.“ Dann neckte sie ihn: „Dieses Mal schaffst du es!“ „Vielen Dank!“, prustete Van und streichelte zärtlich den Kopf. „Es gäbe noch eine Möglichkeit.“, überlegte der Händler laut. „Ihr könntet die Schlucht mit Hilfe des Pulvers über den Köpfen der Sklaven zum Einsturz bringen.“ „Hast du nicht gesagt, wir sollten das Pulver nicht einsetzen?“ „Meine Männer haben es im Griff. Sie könnten die Sprengung durchführen.“ Hitomi wusste, dass sie bei der Schlachtvorbereitung nichts zu entscheiden hatte, also warteten sie und Dryden geduldig, bis ihr Ehemann zu einer Entscheidung kam. „Nein.“, sagte er schließlich. „Astoria wird uns nicht helfen. Jetzt nicht und auch in Zukunft nicht. Wir müssen mit Gefahr aus Chuzario leben. Das Heer besteht nur aus einem Bruchteil der ehemaligen Bevölkerung. Wenn wir jedes Mal mit so drastischen Mitteln reagieren, werden die uns eher früher als später ausgehen.“ „Es wird keine weitere Versuche geben, wenn sie schon beim ersten Mal nicht scheitern.“, warnte Dryden. „Sie werden scheitern!“, behauptete Hitomi steif. „Sonst könnte ich unmöglich nach Fraid gehen.“ „Wir können uns diese Idee für den Notfall aufheben.“, schlug Van versöhnlich vor. „Aber deine Leute müssen diese Sprengung so vorbereiten, dass man sie wieder abbauen kann. Und ich kann ihnen während der Schlacht keinen Schutz gewähren. Merle könnte höchstens in den Rasenden Falken umsteigen, und deine Männer einsammeln, wenn Gefahr im Verzug ist.“ „Wir werden sofort mit dem Legen der Sprengladungen beginnen und die Zündkabel gut verstecken. Dann bemerken die Gezeichneten vielleicht nichts davon. Und meine Leute sind dann auch nicht in Gefahr. Merle müsste sie nur während der Schlacht mal raus bringen um Reparaturen durchzuführen, sollte es nötig werden.“ „Das wird kein Problem sein.“, meinte Van zufrieden. „Sie ist schon mit vielen dieser Ungeheuer fertig geworden. Sie kann notfalls allein für den Schutz einer ganzen Mannschaft sorgen.“ „Da wäre noch etwas.“, offenbarte Dryden. Er griff in eine Innentasche seines Gewandes und richtete seinen Blick auf Hitomi. „Ein Mädchen und ihr Freund haben vor kurzem bei mir angeklopft und mich gebeten, dir etwas auszurichten: Hilfe!“ „Wer hat das gesagt?“ Zur Antwort schob Dryden ihr ein kleine, schmale, zweischneidige Klinge mit einem dünnen Metallgriff hin. „Das ist eins von Merles Wurfmesser.“, erkannte Hitomi. „Wo hast du das her?“ „Das Mädchen hat es mir gegeben.“ „Siri!“, schlussfolgerte Van Zähne knirschend. „Erinnerst du dich nicht mehr? Merle hat uns erzählt, dass sie eines ihrer Messer auf der jagt nach ihr verloren hat.“ „Aber das heißt...Wie geht es meinen Bruder?“, platzte ihre Aufregung aus der Königin heraus. „Es scheint ihm gut zu gehen, bis auf...du weißt schon.“, versuchte Dryden zu erklären. „Allerdings hat er nichts gesagt.“ „Bring mich zu ihm!“, verlangte sie. „Ich fürchte, keiner von euch beiden könnte den Palast verlassen ohne aufzufallen.“, lehnte er bedacht ab. „Wer weiß, wer euch alles folgen würde.“ „Er ist in der selben Stadt wie ich und ich kann ihn nicht sehen!“, beschwerte sich die Königin verzweifelt. „Das ist doch krank!“ „Und doch ist es Realität.“, erwiderte Dryden unbarmherzig. „Du musst dich damit abfinden...erst einmal.“ Hitomi sank zurück auf das Sofa und hielt mit einer Hand ihre aufkeimenden Tränen zurück. Van umarmte sie innig und flüsterte ihr leise ins Ohr, wie gut er sie verstehen konnte. Es dauerte ein Weile, dann hatte sie sich soweit beruhigt, dass er von ihr abließ und Dryden fragte: „Heißt das, Siri hat sich von Trias abgewandt?“ „Leider nein.“, antwortete der Händler schlicht. „Aber ihre Treue gegenüber dem Ungeborenen in ihrem Leib wiegt wohl schwerer.“ „Sie ist schwanger?“, wunderte sich Hitomi. „Von deinem Bruder!“ „Von Ryu...aber...Dann werde ich ja Tante!“ „Was hat Siri vor?“, erkundigte sich Van, dessen Freude sich in Grenzen hielt. „Ich weiß es nicht. Aber sie ließ es so klingen, als wolle sie das Kind unbedingt austragen und dann zu Trias zurückkehren, wahrscheinlich ohne den Säugling.“, erklärte Dryden. „Ihr Meister scheint gegen die Geburt zu sein.“ An Hitomi gewandt, fragte er: „Was wirst du tun? Sie hat ausdrücklich dich um Hilfe gebeten.“ „Meine Pflicht!“, antwortete sie entschlossen und nahm dann das Messer zur Hand. Sie hielt es am Griff vor sich, in beiden Händen, ein paar Minuten lang. Dryden wollte schon fragen, was sie da tat, aber Van schüttelte mit den Kopf. Schließlich öffnete sie ihre Augen. „Gegenstände können Erinnerungen enthalten. Wusstet ihr das, Dryden? So wie der beschriftete Steinblock im Tal der Wunder. Allerdings kann sie nur jemand sehen, für den sie auch bestimmt sind. Gib das Messer Ryu, statte die beiden mit allem Nötigen für eine lange Reise aus und schaff sie aus der Stadt. Er wird Siri an einen Ort führen, an dem ein Freund von mir wartet. Ein großer Freund! Er wird sich der beiden annehmen. Als Lohn für seine Mühe sollen sie ihm Gesellschaft leisten. Sobald das Kind auf der Welt ist, soll sie es Ryu geben, ihn freilassen und zu mir nach Farnelia schicken. Sie ist Sanitäterin und kann ihm alles beibringen, was er wissen muss um das Kind so lange zu versorgen.“ „Ihn freilassen?“, hakte Dryden nach. „Glaubst du das ist so einfach?“ „Ich weiß es!“, bestand Hitomi und fügte hinzu. „Nenne es den Instinkt einer Schwester!“ „Ich werde es ihr ausrichten.“, versicherte Dryden. „Noch etwas! Sag ihr, ich gratuliere ihr und wünsche ihr alles Gute. Ich bewundere die Stärke, die sie für ihr eigenes Kind aufbringt. Aber ich wünsche mir, dass sie diese Kraft auch für sich selbst nutzt. Ich weiß, Trias fügt ihr immer wieder schreckliche Schmerzen zu, solange sie ihm nicht gehorcht. Aber selbst eine Entscheidung unter Zwang ist eine Entscheidung, mit der sie leben muss. Wenn sie zu mir kommt, kann ich ihr helfen. Ich werde alles und jeden im Himmel und auf Erden in Bewegung setzten, sollte es nötig sein. Sollte Ryu ohne sie eintreffen, ist es nicht mehr ihr Kind, und für alles, was sie in Trias Namen tut, ist sie selbst verantwortlich.“ Kapitel 30: Zwei werden eins ---------------------------- Wie viel Zeit vergangen war, konnte Dilando nicht sagen. Er war in einem Raum eingesperrt, den er aus seinen frühesten Erinnerungen her kannte. Genauso wie damals war er zum Nichtstun verdammt. Das einzige Geräusch war das Reiben seiner Finger aneinander. Im Gegensatz zu damals gab es kein Licht von draußen, das den Tagesablauf ersichtlich machte. Das Gefängnis war durch eine Wand halbiert, die sich vor langer Zeit aus dem Nichts gebildet hatte, wahrscheinlich um die Frau auf der anderen Seite zu schützen. Dummerweise war das einzige Fenster hinter der Wand. Jajuka brachte ihm auch nichts zu essen oder zu trinken. Wie auch? Der war ja tot. Wie alle anderen, die er jemals gekannt hatte. Seltsamer Weise hatte Dilando weder Hunger noch Durst, obwohl er schon eine gefühlte Ewigkeit in seiner Zelle verbracht hatte. Es war alles nur ein Traum. Ein sehr realer Traum. Ein Traum, aus dem es kein Entkommen gab. Er hatte schon alles versucht. Er hatte gegen die Tür getreten, auf das Mauerwerk eingeschlagen, geflucht, gedroht, geschrien. Wenn überhaupt igelte sich die Frau nur noch mehr ein und zog es vor, gemeinsam mit ihm zu verrotten, statt ihn rauszulassen. Dummes Gör! Dabei wäre alles so leicht, wenn diese Serena ihn einfach in Ruhe lassen würde. „Hey!“, sprach er sie an. „Ich weiß, dass du da bist. Lass mich raus!“ „Nein!“, weigerte sie verzweifelt. „Du tust jedem weh! Du tust meinem Bruder weh! Ich werde nicht zulassen, dass du ihm weh tust.“ „Deinem Bruder? Du meinst Allen?“ „Ja, er ist mein...er ist unser Bruder. Er ist alles, was von unserer Familie übrig ist.“ Dilando war überrascht, wollte sich jedoch nichts anmerken lassen. Ausgerechnet dieser Floh von einem Himmelsritter war mit dieser...war mit ihm verwandt. Ein Grund mehr ihn zu töten. „Erzähl mir von ihm...von unserer Familie.“ Er konnte es förmlich hören, wie Serena aufatmete. Sollte sie doch glauben, dass sie ihn geknackt hatte. Sobald sie übermütig wird und einen Fehler macht, würde er sie überwältigen. „Wir waren zu viert.“, sagte sie stolz, als wäre es etwas besonderes so weit zu zählen. „Ich, Mama, Allen und Vater. Mutter hat mich immer in den Arm genommen und ist mit mir zum Spielen raus gegangen. Allen war auch dabei. Er hat mich gelobt, wenn ich einen schönen Strauß gepflückt hatte. Vater war nie da. Ständig hat er nur auf seine Bücher gestarrt und war lange weg. Irgendwann ist er nicht mehr zurück gekommen. Ich hab Mama die Blumen gegeben, damit sie nicht mehr so traurig ist. Sie hat jedes Mal gelächelt, wenn ich sie ihr gebracht habe. Dann aber, als ich wieder auf einer Wiese war, wurde alles dunkel und ich war allein in diesem Zimmer.“ „Wie ist das so?“, hakte Dilando nach. Nein, das Mädchen keinen Draht zu ihm gespannt, er war nur neugierig. Eine gute Eigenschaft für jeden Krieger. „Ein Familie zu haben, wie ist das?“ Serena überlegte. Zu Familie fielen ihr so viele Dinge ein und sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. „Warm.“, fasste sie schließlich ihre Erinnerungen zusammen. „Du hast keine Angst nach draußen zu gehen. Du weißt, du kannst wieder zurück. Du hast keine Angst einzuschlafen. Du weißt, sie werden auch Morgen für dich da sein. Sie sind alle so groß und doch sind sie sanft, wenn sie dich umarmen. Dieses Gefühl, es ist so...warm.“ Nein, diese Frau, die eigentlich noch Kind war, würde ihn nicht brechen, versicherte sich Dilando und wischte die verräterische Nässe aus seinen Augenwinkeln. Dass sie hatte, was ihm verwehrt geblieben war, ließ sie lediglich auf seiner Todesliste nach oben rücken. „Ich hab eine Idee!“, rief Serena hinter der Wand, die sich plötzlich auflöste. Dilando war so überrascht, dieses einfältige Weibsbild wieder vor sich zu sehen, dass er völlig vergaß zu reagieren. Und sie knöpfte ihr Kleid auf. „Was machst du?“, fragte er sie fassungslos. „Ich ziehe mich aus. Das kann ich ganz allein.“, verkündete sie stolz und streifte das Kleid ab. „Bist du irre?“, fuhr er sie fassungslos an, während Serena mühsam nach den Verschlüssen ihrer Unterwäsche am Rücken tastete. „Ich hab Allen mal mit einem Mädchen in seinem Zimmer gesehen, als Vater und Mama nicht da waren. Ich hab gefragt, was sie da machten und er sagte, sie lernen sich besser kennen.“ Dilando schlug eine Hand vor sein Gesicht. „Es klappt vielleicht auch bei uns.“, fuhr sie trotzig fort. „Die vom Volk des Drachengottes haben gesagt, wir müssen einander annehmen.“ „Aber nicht so!“, klärte Dilando sie auf und erhob sich. „Hör auf!“ Serena setzte einen Schmollmund auf, doch sie ließ ihre Hände sinken. „Hat dir keiner etwas über Beischlaf beigebracht?“ „Beiwas?“, wunderte sich Serena. „Geschlechtsverkehr!“, versuchte es Dilando noch einmal. „Nein. Was ist das?“ Er stöhnte ausgiebig. Wie konnte man so etwas nicht wissen? „Das werde ich dir bestimmt nicht sagen.“, lehnte er strikt ab. „Aber ich gebe dir einen Rat. Zieh dich nie in Anwesenheit von Männern aus!“ „Aber Allen hat mich schon oft gebadet.“, erwiderte sie ratlos. „Nackt?“ „Nein, er trägt dabei immer eine Hose. Mit einer lustigen Beule drin. Ich hab ihn schon gesagt, dass wir uns besser kenne lernen sollten und hab ihn an das Mädchen im Schlafzimmer erinnert. Dann hat er geschmunzelt und einfach weiter gemacht.“ „Mach das nie wieder!“, verbot es ihr Dilando aufgebracht. „Sonst könntest Schmerzen erleben, die du dein Leben lang nicht vergisst.“ „Allen würde mir nie weh tun. Im Gegensatz zu dir!“, giftete Serena. „Niemals!“, behauptete er aufgebracht. „Ich hab einen meiner Männer mal bei einer Vergewaltigung erwischt. Das Mädchen hat nie wieder gelächelt und er hat danach nicht mehr lange gelebt.“ „Du bist ein kalter, gefühlloser Killer.“, klagte sie ihn an. „Warum sollte dich das Schicksal eines Mädchens kümmern?“ Dilando erwiderte nichts, sondern hockte sich an die Wand und schwieg eisern. Überrascht hielt Serena inne. Ihr zweites Ich wirkte hilflos, so zerbrechlich. Plötzlich fing er an zu erzählen: „Jeder sollte über Beischlaf Bescheid wissen. Das dachten auch meine Kameraden an der Akademie. Also schleppten sie mich in ein Bordell, in das Zimmer einer Hure, die mich 'aufklären' sollte. Es hat mir nicht gefallen.“ „Soll Beischlaf denn gefallen?“, wollte Serena wissen. Dilando nickte und fuhr dann fort: „Diese Gossenhure hat mir das Gefühl gegeben schwach zu sein. Sie hat sich an mir vergangen und dafür auch noch Geld verlangt. Also habe ich sie getötet. Durch sie bin auf den Geschmack gekommen. Doch ich habe meine Opfer immer umgebracht. Nur wer das Pech hatte am Leben zu bleiben, musste leiden.“ Er strich über die Narbe an seiner rechten Wange. „So wie ich.“ „Das ist grausam.“ „Ja, das ist es.“ „Wenn du mich nackt siehst, möchtest du also Beischlaf?“, versuchte sie zu verstehen. „Nein.“, dementierte er heftig. „Warum nicht? Möchtest du Beischlaf mit Männern?“ „Nein!“, erwiderte er aufgebracht und sprang auf. „Wäre das schlimm? Ich finde Männer doch auch interessant.“, fragte sie noch immer ratlos. „Du bist aber...Ach, vergiss es!“ „Allen und das Mädchen haben sich geküsst.“, erinnerte sich Serena. „Ich habe dir nicht oft zugeschaut, weil ich so viel Angst hatte, etwas schreckliches zu sehen. Aber einmal bist du sauer geworden, weil Allen Hitomi geküsst hat. Jedenfalls glaube ich, dass es sie war. Warst du an Allen interessiert?“ „Nein!!!“, schrie Dilando wütend, packte sie am Kragen und schnaubte in ihr Gesicht. Jedoch war Serenas Grad an Neugierde im vollen Anschlag, so dass sie das dünne Eis unter ihr nicht bemerkte. „Hör zu, du kleine, gemeine Zecke, ich...Wir haben nichts gemeinsam. Gar nichts! Wir werden einander nie annehmen können. Also lass mich hier raus und versinke in dein Loch, wo du hin gehörst!“, brüllte er sie an. „Das stimmt nicht.“ Serenas Augen glühten und brannten sich in ihn hinein. „Jajuka! Du kanntest Jajuka. Du mochtest ihn so wie ich. Er war unser Fels in der Brandung!“ Dilando wollte es abstreiten, ihr sagen, dass sie sich irrte, doch er stand ihrem wissenden Augenpaar gegenüber. Sie würden die Lüge sofort erkennen. „Er hat Geduld mit mir gehabt und ist nie zurückgewichen, wenn ich abweisend gewesen bin.“, gab er widerwillig zu. „Er hat mir das Essen gebracht. Ich wusste, er würde nächsten Morgen kommen.“, erzählte Serena aufgeregt. Ihr Gesicht kam Dilandos ein klein bisschen näher. „Er war als letzter meiner Männer an meiner Seite. Er hat mich nicht im Stich gelassen, obwohl sie alle unter meinem Kommando gestorben sind.“, erinnerte er sich. Seine Nasenspitze drückte gegen ihre und ihre Stirn berührte seine. „Er hat Schläge für mich eingesteckt und mich beschützt.“, fügte sie hinzu. „Es wird nicht funktionieren.“, wehrte sich Dilando mit letzter Kraft. „Doch, wird es! Jajuka möchte, dass wir leben.“, zerstreute Serena den letzten Rest seines Widerstands. „Wir tun es für ihn!“ Sie packte ihn an den Armen. Unaufhaltsam verschmolzen sie ineinander. „Wie geht es ihr?“, fragte Merle, noch während sie den Flur entlang gehastet kam. „Sie ist wach, euer Hoheit.“, berichtete eine der Wachen vor der offenen Tür, während die andere in Serenas Zimmer geblieben war. „Sie sitzt auf dem Bett und rührt sich nicht.“ Merle spähte in den Raum mit einer Hand an ihrem im Kleid versteckten Dolch. „Bewacht die Tür und egal was passiert, kommt nicht rein!“, befahl sie. Die zwei Männer folgten ihrem Befehl, allerdings nur zögernd. Sie verstanden die Gefahr nicht, in der sie sich befunden hatten, begriff Merle. Das Mädchen schloss hinter sich die Tür und ging langsam auf die verwirrte Frau zu. „Ich bin Merle.“, stellte sie sich freundlich vor. Sie versuchte Hitomis Beispiel zu folgen und verbannte krampfhaft ihr Misstrauen in die hinterste Ecke ihres Verstandes? „Wie heißt du?“ „Ich weiß es nicht.“, gab die Frau zu und sprach dabei überraschend laut und hart. Sie war nicht mehr das unsichere Kind, das in einem Frauenkörper gefangen war. „Sag dir der Name Serena etwas? Oder Dilando?“, versuchte Merle es noch einmal. „Ich bin er...sie...beide.“, stotterte sie. „Ich versteh es nicht.“ „Wie darf ich dich nennen?“, erkundigte sich das Katzenmädchen geduldig. Die Frau musterte ihren Oberkörper und erfühlte ihre Brüste. „Ich bin weiblich...Serena...aber ich bin nicht sie.“ „Serena.“, sprach Merle sie an. „Ich weiß, du...“ „Wo ist Allen?“, fragte die Frau plötzlich. „Er wurde von König Aston nach Orio gerufen, einer Feste am Rand Farnelias.“, erklärte Merle einfühlsam. „Es ist ihm nicht leicht gefallen zu gehen. Er hat dich mir anvertraut.“ „Er ist nicht hier?“ „Nein, aber ich bin hier in seinem Namen. Es ist nicht das gleiche, aber ich werde dich beschützen, bis du ihn wiedersiehst. Dieses Versprechen habe ich schon einmal gegeben und es gehalten. Du kannst mir vertrauen.“ „Ich habe Hunger.“, sagte Serena verloren. „Ich lasse dir etwas zu essen bringen.“, sicherte ihr Merle erleichtert zu. „Außerdem werden ein paar Leute kommen, die dich untersuchen. Ich schwöre, es ist zu deinem Besten und ich werde dich nicht mit ihnen allein lassen.“ Die Frau nickte. Merle drückte kurz ihre Hand und übermittelte dann den Wachen vor der Tür ihre Anweisungen. Kapitel 31: Der etwas andere Blickwinkel ---------------------------------------- Ein sanftes aber aufdringliches Kitzeln im Nacken holte Hitomi aus ihrem tiefen Schlummer. Ihre Stimme summte protestierend, doch die spitzen Streicheleinheiten hörten nicht auf. Sie wollte nicht aufstehen. Die letzte Nacht in dem luxuriösen Gästezimmer war viel zu kurz gewesen, so wie die meisten Nächte in der letzten Zeit. Trotzig räkelte sie sich der Wärme vor ihr entgegen und genoss den herrlich Duft weiter Wiesen. "Aufwachen, Sonnenschein! Lass dein Licht herein!", begrüßte Van sie verspielt. Sie bemerkte leicht verstimmt, dass er sie mit ihren eigenen Haaren geweckt hatte. Entschlossen den Tag nicht so früh zu begegnen, umarmte sie ihren Mann fest und schmiegte ihren entblößten Körper an seinen. "Oh nein, so leicht kriegst du mich nicht.", wehrte er ab. "Wir haben beide Termine und wir werden beide zu spät kommen, wenn ich jetzt nicht standhaft bleibe." "Mmmh, standhaft ist gut.", flüsterte Hitomi betörend und rieb ihre Wange an seinen Bartstoppeln. "Sag ihm, er soll stehen bleiben!" Mit ganzen Körpereinsatz rollte sie ihn auf seinen Rücken und setzte sich offen auf ihn. Genüsslich rieb sie Hüfte über seinen Schoß, den er ihr prompt entgegen streckte. "Mal sehen, wie lange du aufrecht bleibst.", forderte sie ihn heraus und langte in ihren Schritt, doch ehe sie zur Tat schreiten konnte, pochte jemand an der Tür zum Schlafgemach. "Och nee!", quengelte sie, da richtete Van sich auf und küsste sie innig. "Sobald du aus Fraid zurück kommst, machen wir genau hier weiter.", vertröstete er sie. "Versprochen?" "Ehrenwort." "Ich lasse die beiden entkleiden und in einen Raum sperren, dann werden sie sich in kürzester Zeit 'einig'.", verkündete Hitomi hoch motiviert, hielt dann aber einen Augenblick lang inne. „Leider geht das erst, wenn Cid erwachsen ist.“, gebot sie sich selbst Einhalt. "Wie bitte?", fragte Van verwirrt und sah im nächsten Moment die Antwort in ihren Gedanken. "Oh nein, was...Wie kommst du auf solche Ideen? Das kann doch kein Mensch überleben!" "Anscheinend doch! Es gibt Männer, die regelmäßig miteinander schlafen. Mehr als du denkst." "Nein, bitte hör auf!", flehte er und versuchte sich ihr zu entwinden. "Oder ich muss mich übergeben." "Warum denn?", neckte ihn seine Frau unbarmherzig. „Ich weiß, wie sehr dich mein Kuss mit Merle erregt hat.“ Sie beugte sich zu ihm herab und säuselte mit scharfer Stimme in sein Ohr: "Wenn die Mädchen in meiner Heimat dich und Allen kennen würden, würdet ihr es in ihren Fantasien immer wieder treiben." "Schweig Dämon!", befahl Van angewidert. „Das ist geistiger Missbrauch.“ Schelmisch grinsend machte Hitomi seinen Schoß frei, woraufhin er fluchtartig das Bett verließ und sich blitzschnell anzog. Seine Frau breite sich gut gelaunt auf der Decke aus. Sie hatte bei ihrer Rache wohl etwas übertrieben. Ein weiteres Klopfen holte sie aus ihren Gedanken. Sie stöhnte, richtete sich auf, zog einen Bademantel über und machte sich auf, den Alltag herein zu lassen. Van badete wie immer allein, wofür Hitomi sehr dankbar war. Es schien im Palast Astorias keinen einzigen Diener zu geben. Es dauerte nicht lange, da kam er ihr in einem Flur frisch rasiert und in bequemer Alltagskleidung entgegen, während sie begleitet von Dienerinnen mal gerade auf dem Weg in eines der Zimmer mit einer Wanne war. Mehr und mehr akzeptierte sie die Anwesenheit der Frauen um sie herum, die selbst intimste Handlungen an ihr vollzogen, als sei es selbstverständlich. An diesem Morgen schnitt man ihr auch die Haarspitzen, wobei die Dienerin mit der Schere sie argwöhnisch betrachtete. Vielleicht lag es an den kurzen Haaren. Hitomi ließ sie zwar wachsen, sie machten jedoch nur langsame Fortschritte. Schließlich zog man ihr ein schneeweißes Kleid an. Eigentlich sollte es einfaches Kleid sein, das hinderte die Frauen jedoch nicht daran äußerst penibel vorzugehen und ein perfektes Ergebnis abzuliefern. Allein die kunstvollen Spitze an den Ärmeln und die Schleife um ihre Hüfte versetzte die Königin in Staunen. Laut Merle waren Ausschmückungen dieser Art neu in Mode. Ein Trend von vielen, der von der Zaibacher Hauptstadt aus die Welt eroberte. Zurück in ihrem Zimmer stellte sie vergnügt fest, dass das Frühstück nicht angerührt worden war. Weniger glücklich war sie über den Berg an Papier vor Vans Nase. Ehe sie sich jedoch beschweren konnte, ließ er den Schreibtisch hinter sich und bot ihr einen Stuhl an der kleinen Tafel an. Sie nahm dankbar an und beide fingen an zu essen, ohne das seit ihrem Eintreffen auch nur ein Wort gefallen war. „Sag bloß, du bist immer noch sauer.“, brach Hitomi das Eis. Van beachtete sie ausgiebig und seufzte. „Nein.“, behauptete er. „Ich habe keinen Grund sauer zu sein. Du kommst von einer anderen Welt. Mich mit neuen Ideen auseinander zu setzten, gehört bei einer Ehe mit dir dazu.“ „Du sagst das so, als sei es etwas schlechtes.“, warf sie ihm vor. „Es ist gewöhnungsbedürftig.“, beschwichtigte Van. „Manches Mal erschlägst du mich gerade zu mit deiner nachlässigen Moral. Es gibt aber auch Augenblicke, da erstaunst du mich mit deinen pragmatischen Lösungen.“ „Ist doch gut, dass ich mich von überholten Traditionen nicht in meinem Denken einschränken lasse.“ „Stimmt, und doch zeigst du eine bemerkenswerte Toleranz gegenüber diesen überholten Traditionen. Es würde mich nicht wundern, wenn man dir in Zukunft das Löschen eines jeden Brandherdes innerhalb der Allianz anvertrauen würde.“ „Nicht solange das Land Vasram etwas zu sagen hat. Ihr General hat mich immerhin als Hure beschimpft.“, zweifelte die junge Königin kleinlaut. „Er denkt, du wirst in Fraid versagen und hat deshalb nichts gegen deine Berufung unternommen, aber du kannst ihn eines besseren belehren.“, feuerte ihr Mann sie lächelnd an, woraufhin sie beklommen auf ihren Stuhl hin und her rutschte. „Bloß kein Druck.“, versuchte sie sich gegen seinen Optimismus zu wehren. Ein weiteres Mal an diesem Morgen klopfte jemand an der Tür. Van erhob sich eilig, machte sie einen Spalt weit auf und schloss sie einen Moment später wieder. „Elhad verlangt, dass du kommst. Er sei müde zu warten. Cid hat er wohl auch rufen lassen.“ „Soll er doch warten!“, sagte Hitomi gereizt. „Ich bin die Schlichterin. Wann wir uns treffen, entscheide immer noch ich, und ich habe mich bis auf den Vormittag nicht weiter festgelegt.“ „Als Schlichterin solltest du die Streitparteien aneinander näher bringen und nicht gegen dich aufhetzen.“ „Ich weiß genug von Politik um zu verstehen, warum ich als Verantwortliche keine Schwäche zeigen darf. Wenn ich ihn einmal ins Kreuz krieche, wird er nichts anderes mehr erwarten. Und ich bin verantwortlich! Ein Wort von mir und Fraid wird von Astoria besetzt.“ „Wenn die Lage eskaliert, wenn Elhad gegen Cid zu Felde zieht, wird man dir es ebenfalls anlasten.“, gab ihr Mann zu bedenken, während er sich an den reich gedeckten Tisch setzte. „Menschen würden sterben und alles nur, weil ein alter Mann seinen Neffen den Thron nicht gönnt.“, fügte sie verbittert hinzu. „Immerhin ist sein Anspruch berechtigt.“, merkte er an. „Cid ist nicht der Sohn des verstorbenen Herzogs von Fraid.“ „Was Elhad nie herausgefunden hätte, wenn er nicht auf den Thron scharf wäre.“, konterte sie wütend. „Hast du schon eine Idee, wie eine Lösung aussehen könnte?“ „Nein, aber ich weiß, wie ich sie erzwingen werde! Ich sperre sie in einem Raum.“ „Die Idee hattest du schon einmal.“, kommentierte er ihre Idee trocken. „Angezogen und mit mir darin, damit Elhad Cid nicht umbringt.“, erklärte sie. „Dann wird solange kein Essen gebracht, bis sich beide vertragen.“ „Sie sind keine kleinen Kinder.“, wandte Van geduldig ein. „Außerdem wird Elhad so eine Nervenprobe sicherlich länger durchhalten als Cid.“ „Hast du einen besseren Vorschlag?“ „Erlaube jeden von ihnen einen Berater. Dann kann sich Cid moralische Unterstützung holen. Und stell dich auf eine sehr lange Schlichtung ein. Beide werden erst einmal auf stur schalten und versuchen die Sache aus zu sitzen. Wenn du als erste die Nerven verlierst, ist dein Aussöhnungsversuch gescheitert. Stell ihnen an geeigneter Stelle ein Ultimatum und geh davon aus es auch durchzuziehen. Selbst Cid wird es merken, wenn du schwindelst. Sobald die Luft eng wird, werden beide einlenken und nach einen Kompromiss suchen.“ „Noch etwas, Professor?“, zog Hitomi ihn auf, doch Van machte sich nichts daraus. „Verzichte bitte auf unnötige Machtdemonstrationen. Du sitzt zwar am längeren Hebel, aber das musst ihnen nicht unter die Nase reiben, solange sie sich noch daran erinnern.“ „Jawohl, Sir!“ „Und jetzt wirst du zügig Frühstück essen und dann beide in einen Konferenzraum rufen lassen um den Ablauf der Abreise heute zu besprechen. Es ist schädlich für das Gesprächsklima, wenn du hungrig bist oder sie warten lässt.“, belehrte er sie weiter. „Außerdem wäre es eine Schande, das Essen stehen zu lassen.“, pflichtete sie ihm bei und füllte ihren Teller mit delikaten Speisen. Nachdem sie geschminkt und mit einem ausladenden Gewand neu eingekleidet worden war, betrat die Königin Farnelias das Konferenzzimmer, in den sie die beiden Kontrahenten geladen hatte. Während Cid sich zügig erhob um sie höflich zu begrüßen, sprang Elhad geradezu auf. „Wie lange sollten wir denn noch warten!“, schrie er sie wütend an und versuchte sie nieder zu starren. Hitomi ließ sich auf das Blickduell ein und antwortete ihm keck: „Eine Dame kommt nie zu spät. Wusstet ihr das nicht?“ „Ich sehe keine Dame, nur eine vorlaute Göre.“ „Es tut mir Leid. Ihr scheint langsam zu erblinden. Ich nehme an, es liegt am Alter.“ Elhads bärtiges Gesicht lief rot an. „Wie könnt ihr es...“ „Onkel!“, unterbrach ihn Cid scharf. „Ihr bereitet unserem Land Schande. Mäßigt euch!“ „Dein Vater ist nicht hier, Junge, und du hast mir nichts zu sagen.“, schüttelte der stämmige Mann die Mahnung seines Neffen ab. „Ich aber!“, schaltete die Schlichterin sich ein. „Und ich werde keine Dreistigkeiten dulden. Beleidigen sie mich, stichele ich zurück. Beleidigen sie Cid, entziehe ich ihnen für unbestimmte Zeit das Wort.“ „Sie können nicht...“ „Zweite Regel: Der eine lässt den anderen ausreden. Wer redet und nichts sagt, dem entziehe das Wort.“, fuhr Hitomi unbeeindruckt fort. „Für den Zeitraum der Schlichtung ist Gewalt verboten. Kommt eine der Streitparteien oder deren Untergebenen durch die andere Streitpartei oder deren Untergebenen zu schaden, ist die Schlichtung gescheitert und ich veranlasse die Annektierung Fraids durch Astoria. Mir ist es dann auch völlig egal, wie es zu dem Kampf kam und wie er ausging. Jede der anwesenden Parteien ist ein Berater erlaubt. Zeugen können am Anfang einer jeden Sitzung geladen werden. Wann eine Sitzung oder die gesamte Schlichtung zu Ende ist, entscheide ich. Wie sie endet, entscheiden sie.“ „Ich habe dutzende Berater.“, äußerte sich Elhad ungläubig. „Einer reicht nicht.“ „Je mehr Personen anwesend sind, desto länger wird die Einigung dauern, und entscheiden können sowieso nur sie beide.“, begründete Hitomi ihre Vorgehensweise und fing dabei auch Cids Blick ein. Er nickte und zeigte sich so einverstanden. „Heute Nachmittag reisen wir in Herzog Cids Schiff ab und fliegen in die Hauptstadt Fraids. Dort vertrete ich für die Dauer der Schlichtung Cid als Herrscher. Im Anschluss an der Schlichtung gebe ich das Ergebnis bekannt und übergebe die Krone. Ob sie einer von ihnen empfängt, oder König Aston, hängt natürlich von ihnen ab.“ „Die Mühe können sie sich sparen!“, erwiderte Cids Onkel hochtrabend. „Ihr seid dem Kind viel zu sehr verbunden, um neutral sein zu können. Ich weiß jetzt schon wie das Ergebnis eurer sogenannten Schlichtung aussehen wird und ich werde es nicht akzeptieren! Der Thron Fraids gehört von Rechtswegen mir!“ „Dann verlieren sie beide alles.“, erinnerte die Königin ihn streng. „Zum Glück haben sie einen falschen Eindruck von mir. Ich glaube nicht, dass man Herrscher sein muss um glücklich zu sein.“ Dann sah sie bewusst zu Cid und ermahnte ihn stumm gut über ihre Worte nachzudenken. „Schließlich bin ich ohne Aussicht auf Befehlsgewalt aufgewachsen und mir hat sie nie gefehlt.“ „Und doch habt ihr eine Krone geheiratet.“, spottete Elhad. „Ich habe einen Mann geheiratet!“, konterte Hitomi in ihrer Ehre verletzt. „Und ich stelle mich der Verantwortung, die diese Ehe mit sich bringt.“ „Wie war das so?“, fragte Cid plötzlich dazwischen. „Ich meine, als ganz normales Kind zu leben.“ „Es gibt keine normalen Kinder, Cid. Aber wenn du Wareh heute freigibst, helfe ich dir beim Packen und erzähle es dir.“, schlug sie vor. „Einverstanden?“ Cid nickte eifrig und beide ließen einen sprachlosen Elhad zurück, der sein Glück kaum fassen konnte. Kapitel 32: Abschied und Aufbruch --------------------------------- Die Sonne lachte auf das Flugfeld am Rande der Stadt Palas, als Hitomi, die Königin Farnelias, Cid, der Herzog Fraids, und dessen Onkel Elhad Dar Fraid von König Aston von Astoria, König Van von Farnelia und einer Ehrenformation der Palastwache verabschiedet wurden. Der jungen Herrscherin hingegen war zum Heulen zumute, während die Würdenträger einander die Hände durchreichten. Hinter ihr stand das Schiff Fraids, das aus weißen Anbauten bestand, die an einem schwarzen Flugfelsen befestigt waren. Der Abschiedsgruß für Aston kam ihr leicht über die Lippen, doch bei Van, ihrem frisch angetrauten Ehemann, spürte sie einen Kloß im Hals. Sie verabschiedeten sich auf unbestimmte Zeit, wie so oft. Während er über seinen Abschiedsschmerz hinweg lächelte, konnte Hitomi kaum ihr Gesicht wahren. Noch in dem Augenblick, da er ihre Hände ergriff, kullerte eine Träne über ihre Wange. Als er sich vorbeugte, strömten auf sie sämtliche Eindrücke ein, die ihn für sie unsterblich machten. Der Duft nach frischen Gras, die Wärme einer kuscheligen Decke, das sanfte Raunen seiner Stimme wie das Rascheln von Blättern in Wind. Der sanfte Griff seiner Hände war wie ein Anker und das rustikale Braun seiner Augen war der feste Grund, in dem sie Wurzeln schlagen wollte. Ungeachtet der Etikette küsste er ihr das kostbare Nass von der Wange und rang ihr somit ein Lächeln ab. „Wir sollten uns immer mit einem Lachen verabschieden.“, flüsterte er heiter. „Damit wir uns so in Erinnerung behalten.“ „Ich werde es mir merken.“, versicherte sie, woraufhin sie scheu seine Lippe küsste. Wie so oft in der letzten Zeit kam ihr mit Grauen die bevorstehende Invasion der Gezeichneten in Farnelia ins Bewusstsein. „Bitte pass auf dich auf! Lass mich ja nicht allein!“, bat sie mit leiser Verzweiflung. „Gleichfalls!“, konterte Van scheinbar sorglos, versicherte dann aber ernst: „Auf nichts freue ich mich mehr als dich persönlich zu empfangen, wenn du zurückkommst.“ „Danke.“, antwortete Hitomi kaum zuversichtlicher, doch sie wusste, mehr konnte sie von einem Krieger wie Van nicht erwarten. „Ich geh dann.“ „Ich halte dich nicht auf.“, scherzte Van. „Doch, tust du, aber dafür kannst du nichts.“ Dann war der Augenblick der Zweisamkeit vorbei und die Wirklichkeit drang mittels eines Hüsteln wieder zu dem Paar durch. Aston verlagerte ungeduldig sein massiges Gewicht von einem Fuß auf den anderen, Elhad starrte erbost, nur Cid grinste über beide Ohren. Hitomi nahm sich fest vor, ihn irgendwie für seine Anteilnahme an dem Glück anderer zu belohnen. Es war höchste Zeit, dass der Junge sein eigenes fand. Zaghaft nahm die junge Königin Abstand von ihrem Ehegatten. Sie führte die beiden Streithähne Cid und Elhad die Rampe zum Schiff hinauf. Kurz vor der Luke drehte sich alle drei der Etikette gemäß um und winkten. Während Hitomi mechanisch mit ihrer Hand wedelte, prägte sie sich Vans Anblick genau ein. Es war eines, die eigenen Gedanken über alle Entfernungen hinweg mit dem Partner teilen zu können. Die Gewissheit ihn neben sich zu wissen war eine ganz andere. Die Rampe schloss sich vor ihren Augen und statt seinem munteren Lächeln sah sie nur kaltes Metall. Hinter grunzte Elhad verächtlich. „Wir können die Schlichtung auch verkürzen.“, schlug er vor und reckte dabei siegessicher die Brust hervor. „Wir müssten nicht einmal losfliegen. Der Junge muss nur auf seinen Anspruch verzichten und ihr könnt zurück zu eurem Liebsten.“ „Niemals!“, blockte Cid den Vorstoß seines Onkels ab. Der Junge wandte sich dem stämmigen Mann ohne das geringste Anzeichen an Respekt zu. „Ich habe Vaters Erbe angetreten um es zu beschützen. Euch würde ich Fraid niemals überlassen. Vater hat euch nie gemocht und euer Verhalten bestätigt seine Meinung nur noch.“ „Versteh es endlich, Junge! Mein Bruder ist nicht dein Vater!“ „Er ist es! Er hat mich erzogen.“ „Aber nicht gezeugt und nur...“ „Genug!“, unterbrach Hitomi den ausufernden Streit. „Die Verhandlungen beginnen erst in Fraid. Den Flug dorthin sollten sie nutzen, um ihre Positionen abzustecken und Raum für Kompromisse zu erfassen. Ohne den werden wir nicht weit kommen. Bitte ziehen sie sich zurück.“ Cid schmollte, doch er schien sich ihrer Anweisung zu fügen. Elhad hingegen widersprach: „Nein! Ich möchte wissen, was ihr mit dem Möchtegern besprochen habt. Er hat offensichtlich nicht vor zurückzutreten, obwohl ihr ihn angeblich doch überzeugen wolltet.“ „Ich habe es versucht! Falls ihr andeuten möchtet, ich wäre befangen, könnt ihr euch den Atem sparen“, erwiderte die Vermittlerin und sagte dann spitz zu Cid. „Ich persönlich kann gar nicht glauben, dass du dich freiwillig mit Leuten wie deinem Onkel abgeben möchtest.“ Der junge Herzog lächelte, doch bevor er antworten konnte, kam ihm Elhad zuvor. „Ich möchte andeuten, dass ihr Verständnis für seine Position aufbringt, meinen Anspruch aber nicht nachvollziehen könnt.“ „Das ist wahr.“, gab die Königin zu, die von der Erkenntnis des alten, stämmigen Mannes kurz überrascht war. „Dann lasst es mich euch in Ruhe erklären.“ Da sie ihn unschlüssig ansah, erklärte er: „Ich fordere ein persönliches Gespräch, so wie ihr es mit dem Jungen hattet.“ „Einverstanden.“, sagte Hitomi zaghaft zu. „Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?“, fragte sie Cidt. „Du könntest in den Salon gehen.“, überlegte der Junge. „Er ist komfortabel eingerichtet und nur wenigen zugänglich.“ Als Hitomi zustimmend nickte, befahl Cid dem Kapitän des Schiffes sie in den Salon des Schiffes zu bringen. Auf dem Weg dorthin durch enge Flure blieb Elhad stets ein paar Schritte hinter ihr, was ihr seltsam vorkam. Männer hatten in Fraid bei allen Dingen vortritt. Ob sie wohl genug Zähne gezeigt hatte? Vielleicht hielt er sich auch nur aus Gewohnheit an internationalen Gepflogenheiten. Im Salon angekommen, verabschiedete sich der Kapitän und hastete den Gang weiter zur Brücke. Die Königin sah sich etwas verloren im vornehm ausgestatteten Zimmer um. Es gab ein paar Sessel, einige Tische, an denen gepolsterte Stühle gereiht waren, eine bescheidene Sammlung an gebundenen Büchern und vereinzelte Gemälde an den Wänden. Fenster boten einen imposanten Ausblick auf den Horizont, der langsam sank. Hitomi führte Elhad zum niedrigsten Tisch, der von zwei Sesseln flaniert wurde. Während sie sich langsam niederließ und aufrecht sitzen blieb, plumpste Elhad in die weiche Sitzgelegenheit und ließ es sich gut gehen. Von dem plötzlichen Sinneswandel überrascht, ging ihr ein Licht auf. Nun konnte sie auch die ständigen verstohlenen Blicke in ihre Richtung deuten. Plötzlich erinnerte sie sich an ihr Gespräch mit Folken in Palas und verstand, Cids Misstrauen zu seinem Onkel beruhte auf Gegenseitigkeit. „Ich höre.“, verkündete sie leicht unterkühlt. „Ihr solltet euer törichtes Vorhaben, dem Bengel seine Macht zu sichern, aufgeben. Es führt zum Krieg.“, platzte der beleibte Adlige ihr fast dazwischen. Oioioi, dachte sich Hitomi, war aber zu baff, als dass sie etwas sagen konnte. „Je länger er auf den Thron sitzt, desto mehr wird die Unterstützung für ihn auf Grund seines Aussehens bröckeln. Früher oder später wird es zu Gewalt kommen, selbst wenn ich jetzt verzichten würde.“ „Bislang ist davon aber noch nichts zu sehen, wie mir berichtet wurde.“, wandte sie ein. „Das Volk bewundert ihn immer noch für die Bewältigung des Wiederaufbaus der Hauptstadt und der Worte, die er öffentlich an die Familien der im Krieg Gefallenen gerichtet hatte.“ „Er ist ein Naturtalent.“, gestand Elhad. „Aber der Pöbel vergisst, an seine zweifelhafte Herkunft werden sie jedoch immer wieder erinnert werden. Man braucht ihn nur einmal anzusehen.“ Als wolle er seinen Punkt unterstreichen, sah Elhad sie plötzlich direkt an. „In eurer Heimat gibt es doch auch eine Monarchie.“ „Es gibt eine, auch wenn wir nicht mehr von ihr regiert werden.“, gab sie zu. „Wer herrscht dann...Ach, ich will es nicht wissen.“, erwiderte er ungläubig. „Wie würdet ihr euch fühlen, wenn sie euch plötzlich einen Weißen als König vorsetzen würden?“ „Bei uns heißt es Kaiser und natürlich würde es mich verärgern.“, antwortete sie widerwillig. „Aber Cid regiert schon seit drei Jahren, also kann hier von Plötzlich nicht die Rede sein.“ „Zweifel an seiner Herkunft konnte ich erst vor kurzem beweisen.“ „Und doch waren sie angeblich so offensichtlich und niemand schien sich daran zu stören.“, konterte sie. „Ihr wollt es einfach nicht verstehen!“, warf Elhad ihr vor. „Ich verstehe durchaus.“, schoss Hitomi zurück. „Ihr möchtet als Retter eurer Linie gesehen werden, was zufällig gut in eure Erwartungen an das Leben passt.“ Der beleibte Adlige wuchtete sich verärgert aus dem Sessel und stampfte aus dem Zimmer. Indes dämmerte es der unerfahrenen Diplomatin, dass sie einen Fehler gemacht hatte. „Ich entschuldige mich.“, rief sie ihm hinterher und brachte ihn damit tatsächlich zum Stehen. „Es liegt nicht an mir eure Absichten in Frag zu stellen.“ Elhad wandte sich nur halbherzig zu ihr um. Er sah sie hinter sich an den kleinen Tisch stehen, die Hände vor sich verschränkt. Mit der Haltung könnte sie jeden Adligen einen Job als Magd abringen, dachte er vergnügt. „Wenn es wirklich nur um die Linie der Herrscherfamilie Fraids geht, könntet ihr doch im Vorfeld mit Cid seine Nachfolge regeln.“, fuhr sie versöhnlich fort. „Wir könnten mit einem international anerkannten Vertrag einen eurer Enkel als seinen Nachfolger bestimmen und der Allianz die Umsetzung der Vereinbarung anvertrauen.“ „Als ob die sich darum scheren würden, dass ein Mitglied meiner Familie den Thron besteigt.“, lehnte Elhad ab und wähnte sich so vor ihrem Konter schon in Sicherheit. „Gerade Astoria hätte allen Grund dazu, die von ihnen eingesetzte Linie von Cid zu halten.“ „Dann benennt einen anderen Staat.“, versuchte die Königin ihre Idee zu retten. „Und wie lange soll der Zustand der Fremdherrschaft dann anhalten?“, argumentierte der Adlige aus Fraid. „Bis der Bengel stirbt? Was passiert, wenn er einer der seltenen Fälle ist, die achtzig oder älter werden. Mehrere Generationen würden unter seiner Herrschaft aufwachsen und den Fortbestand seiner Linie fordern. Ich entschuldige mich nicht, eure Majestät, aber Cid muss verschwinden. Auf die eine...oder andere Weise.“ Hitomi, die die Drohung deutlich hörte, wollte eine scharfe Warnung aussprechen, da war Elhad schon zur Tür hinaus. Während sie sich von einem Besatzungsmitglied durch die sich ständig kreuzenden Gänge des Luftschiffes zur Brücke führen ließ, spulte sie in Gedanken alle niederen Ausdrücke für füllige Menschen herunter, die sie kannte. Dort angekommen löste sich ihre Wut aber in Rauch aus, als sie Cid mit dem Kapitän reden sah und neben ihn drei vertraute Gesichter vor den weitläufigen Fenstern erkannte. Der junge Herzog bemerkte ihre Anwesenheit sofort und forderte sie stürmisch auf näher zu kommen, wobei seine Dienerin Tanai ihn mahnend eine Hand auf die Schulter legte. „Wie es euch beliebt, eure Hoheit.“, erwiderte Hitomi scherzhaft seine Einladung. „Wie ich sehe, habt ihr die blinden Passagiere bereits gefunden.“ „Sie waren die ganze Zeit auf der Brücke.“, antwortete Cid leicht verwirrt. „Schön dich zu sehen, Irene.“, begrüßte die Königin zuerst das Mädchen. Sie war die einzige Tochter eines verarmten Adligen aus Astoria. Sie beide hatten sich auf einen Ball angefreundet und das Mädchen hatte ihr daraufhin das Leben gerettet und wurde deshalb in ihrer Heimat angefeindet. Eigentlich sollte sie in Fraid der Aufregung entgehen, jedoch war diese Entscheidung getroffen worden, bevor Hitomi in eben dieses Land gesandt wurde. Auf diesen unglücklichen Zufall reagierte man durch höchste Heimlichkeit, indem man sie mitsamt eines Leidensgenossen an Bord geschmuggelt hatte. Dieser Leidensgenosse war ein junger Mann, der sich schon vor längerer Zeit Hitomi als Antigonos vorgestellt hatte. Nur wenige wussten, dass er der Verlobte der Kronprinzessin der mächtigen Reiches Chuzario war und noch weniger Leute wussten von seiner Abstammung vom Drachenvolk. Die Kronprinzessin Sophia hatte ihn Hitomi als Leibwächter mitgegeben, doch die junge Königin hatte sehr viel mehr mit ihm vor. Sie begrüßte ihn ebenfalls und wandte sich dann der Dienerin und dem Kapitän zu. „Ihr habt das Kommando, wie ich gehört habe.“, brummte der alte Luftbär. „Ihr habt falsch gehört.“, stellte Hitomi klar. „Ich vertraue darauf, dass Herzog Cid der Schlichtung keine Steine in den Weg legt. Ihr könnt weiter seinen Anweisungen folgen.“ Dann nahm sie wieder das Mädchen in ihr Blickfeld. „Ich würde gern deine Unterkunft sehen, Irene.“ „Nun, ich auch.“, sagte das Fräulein beinahe verlegen, woraufhin sie beide Augenpaare auf den Kapitän richteten. „Ich lasse...“, setzte er schon zu Antwort an, doch ein Räuspern Cids unterbrach ihn. „Selbstverständlich ist es mir eine Ehre, ihnen ihre Gemächer zu präsentieren.“, schmeichelte er übertrieben. „Wenn sie mir bitte folgen würden?“ Kapitel 33: Große Verantwortung auf schmalen Schultern ------------------------------------------------------ „Ich bin überrascht.“, gab Irene zu. „Deine Koje ist tatsächlich kleiner als meine.“ Hitomi lächelte angesichts der Verlegenheit des adeligen Mädchens. Der Kapitän des Luftschiffs hatte den beiden Frauen Irenes gut ausgestattete Kabine zuerst gezeigt und dann Hitomi zur ihrer begleitet. Irene war ihnen ohne Einladung gefolgt. „Höre ich da etwa Neid?“, erkundigte sich die junge Königin scherzhaft, während sie versuchte einen Weg durch ihr Gepäck zu finden, das fast den gesamten Boden vereinnahmte. „Ich glaube, man hat uns verwechselt.“, schwafelte die lebhafte Adelige weiter. „Das hier ist kaum ein angemessener Raum für eine so hoch stehende Persönlichkeit.“ „Du hast mein Leben gerettet. Van hat Cid gebeten, er möge dich entsprechend behandeln.“, erklärte Hitomi, während sie das Bett, den kleinen Tisch mit einer Schüssel voll Wasser darauf und den Schrank betrachtete. Zwischen den kargen Möbeln war kaum Raum zu atmen. „Keine Bange, das geht in Ordnung.“ „Ich wollte ja eigentlich warten, aber ich glaube, ich muss dich sofort zu mir einladen.“ „Du kannst mir ruhig Zeit lassen, mich einzurichten und bequemere Kleidung anzuziehen.“ „Du kannst dein Kleid alleine ablegen?“, fragte Irene erstaunt. Hitomi schaute erst verdutzt und dann beschämt drein. „Nein, kann ich nicht.“, gab sie zu. „Tatsächlich bin ich es so sehr gewohnt, mich alleine anzuziehen. Ich hab die Schnüren ganz vegessen..“ „Irgendwo muss es hier auf dem Schiff auch Dienerinnen geben.“, überlegte die Adelige. „Sie sind sicher mit Cid und seinem Onkel vollauf beschäftigt.“, wandte Hitomi ein und äußerte dann einen gewagten Vorschlag. „Wie wärs? Du hilfst mir beim Umziehen und ich helfe dir dann in deiner Kabine.“ Einladend wandte sie dem Mädchen den Rücken mit den Schnüren zu. „Einverstanden.“, sagte Irene und zog ihre Handschuhe aus, als wäre es selbst verständlich. Hitomi war wenig überrascht, dass das Mädchen keine Scheu davor hatte, auch niedere Arbeiten zu verrichten. Sie löste die Bänder jedoch etwas unbeholfen und zog manches mal etwas zu fest, doch Hitomi gab acht, sich nichts anmerken zu lassen. Ihr teures Diplomatengewand sank beinahe achtlos zu Boden. Schnell hob sie es auf, breitete es auf dem Bett aus und legte es zusammen, wie sie es bei den Dienerinnen Farnelias beobachtet hatte. „Möchtest du das Unterkleid ebenfalls wechseln?“, erkundigte sich Irene schüchtern. „Bitte.“, antwortete Hitomi. Als sie schließlich unverhüllt in der Kabine stand, fiel ihr das neugierige Augenpaar auf, mit dem das Mädchen sie musterte. „Ist etwas?“ Statt etwas darauf zu erwidern, nahm sich Irene ungefragt den Schwamm neben der Wasserschüssel, tränkte ihn und presste an Hitomis Rücken. Diese lachte schallend auf. „Vorsicht, das Wasser ist kalt!“ „Verzeihung.“, bat sie förmlich und fuhr nur ruhiger fort Hitomi zu waschen. „Majestät?“ „Irene.“, erwiderte diese betont zutraulich, die die Spannung des Mädchens beinahe greifen konnte. „Würdet ihr...Ich meine, könntest du eine Gesellschafterin brauchen?“ „Du willst für mich arbeiten?“, hakte Hitomi erstaunt nach. „Ich kann gut mit Zahlen umgehen und kenne mich mit Etikette aus. Lesen kann ich auch. Ich kann dir helfen an den Höfen der Adligen zu bestehen. Ich meine, weil du doch...“, sprudelte es aus ihr heraus, bis sie stockte. „Weil ich nur eine Bürgerliche bin, die nichts vom Leben am Hof versteht?“, beendete die junge Königin ihren Satz melancholisch. „Bitte verzeih, ich...“ „Du hast recht, ich brauche Hilfe.“, gab sie zu. „Aber glaubst du nicht, dass du etwas voreilig bist? Du bist immer noch die Erbin deines Vaters.“ „Seine Werften werden vom Adel boykottiert und nur von wenigen befreundeten Händlern mit Aufträgen versorgt. Und nicht einmal sie werden dem Unternehmen treu bleiben, wenn sich kein männlicher Erbe findet.“, erklärte Irene leise. „Du hast Angst vor einem gesellschaftlichen Abstieg?“ „Ich habe Angst, einen ihrer Söhne heiraten zu müssen!“, stellte sie gekränkt klar. „Ursprünglich sollte ich an die Konkurrenz gehen, um die Werften zu retten, doch sie lehnten die Bedingungen im Ehevertrag ab. Daraufhin hat mein Vater es sich in den Kopf gesetzt mich mit einem reichen Händler zu verheiraten. Mit den Töchtern seiner Kunden bin ich zwar befreundet, aber ihre Söhne sind die Pest. Die sehen mich nur als Trophäe, die sie auf ihren Hausbällen herumzeigen und danach ordentlich durchvögeln können.“ „Woher kennst du denn diesen Ausdruck?“, fragte Hitomi ungläubig. „Einer der besagten Söhne hat ihn mir gegenüber benutzt, als wir mal alleine waren. Er hatte ihn mir auch erklärt und gedroht, er könne mir es auch jederzeit zeigen.“ „Was passiert, wenn du dich weigerst?“ „Ich werde enterbt oder muss verkaufen, sobald mein Vater tot ist. Mit einer Frau werden keine Geschäfte gemacht.“, informierte Irene die Königin schlicht. „Ich werde zwar nicht mittellos sein. Es kommt öfter vor, dass eine Adlige fällt. Aber sie werden verachtet und müssen sich als Gesellschafterinnen den Spott ihrer Arbeitgeber aussetzen, um etwas essen zu können. Es kann auch sein, dass ich Glück habe. In diesem Fall finde ich irgendwo eine respektvolle Anstellung als Gouvernante.“ „Möchtest du etwa meine Gouvernante sein?“ „Nein, ihr seid doch erwachsen. Und verheiratet.“, wiegelte sie erschrocken ab. „Eben hast du noch gesagt, du würdest mich in Etikette unterrichten.“ „Aber...“ Irene sah aus, als wolle es im Boden versinken. Hitomi wandte sich ihr zu und drückte sie an ihre noch trockene Front. „Ich zieh dich nur auf.“, beruhigte sie das Mädchen und überlegte. Mit ihren dreizehn Jahren an Lebenserfahrung galt Irene in Gaias Gesellschaft bereits als heiratsfähig. Es wurden sogar schon ein Säugling im Arm und einen unterm Herzen von Ehefrauen ihres Alters und Standes erwartet. Hitomi hingegen konnte gar nicht anders als in ihr ein Kind zu sehen. Ein verunsichertes und zutiefst verstörtes Kind. „Ich verdanke dir mein Leben und diese Schuld werde ich nicht vergessen. Du wirst immer auf meine Hilfe zählen können, wie auch immer sie aussehen soll. Wenn du eine respektierte Arbeit suchst...davon gibt es in Farnelia jede Menge. Und wenn du einen Mann suchen möchtest, mit dem du glücklich werde kannst, unterstütze ich dich dabei.“ „Wirklich?“ „Das ist sozusagen mein Spezialgebiet.“, schmunzelte Hitomi. Irene schluckte den Klos, der ihr schon seit Monaten im Hals steckte, nun endlich runter. Erleichtert befreite sie sich aus der Umarmung. „Danke...Ich weiß nicht...Vielleicht nehme ich dein Angebot an. Irgendwann.“ „Möchtest beenden, was du angefangen hast?“, wechselte Hitomi das Thema und streckte dabei ihre Arme vom Körper weg. „Natürlich.“, antwortete Irene hastig und machte sich ans Werk. Sie war noch eifrig dabei, als die Königin merkte, dass von der Beklommenheit, die sie sonst hatte, wenn sie von Dienerinnen gebadet wurde, nichts wahrnahm. Anscheinend war es vor allem eine Sache des Vertrauens zwischen einem Untergebenen und des Herren, wenn die Privatsphäre so wie jetzt ohne Vorbehalte fiel. Nachdem Irene sie mit eine Tuch abgetrocknet hatte, dass sie - wiedermal ohne zu fragen - aus einer der Taschen gekramt hatte, half sie der Königin in ein bequemeres Kleid. „Dann werde ich mich mal revanchieren.“, lächelte Hitomi unbekümmert. Mit spürbaren Tatendrang zog sie das Mädchen in deren Kabine. Nachdem sie die Tür sicher verschlossen hatte, zog sie ihr die Kleidung aus und wusch sie kräftig von den Schultern über ihren Rücken hin abwärts. Als sie sich schließlich den Schwamm am Schlüsselbein ansetzte, überwand Irene vollends ihre Scheu und sprach aus, was ihr auf der Zunge brannte. „Hast du Angst?“, fragte sie gerade heraus. „Wovor?“, erkundigte sich Hitomi. „Vor der Schlichtung, der ganze Diplomatie. Allein die Verantwortung...Merle hat mir erzählt, du bist nicht dazu erzogen worden, soviel Verantwortung zu übernehmen.“ „Das stimmt.“, gab sie Irene recht. „Aber ich musste schon vor Jahren lernen Verantwortung zu übernehmen. Die Alliierten haben wegen mir schließlich Krieg gegen Zaibach geführt.“ „Aber dafür konntest du nichts. Sagt zumindest Merle.“ „Kannst du etwas dafür, dass du eine Adlige bist, deren Heirat das Schicksal vieler bestimmen kann?“, konterte Hitomi. „Manchmal muss man einfach einen Schritt nach vorn machen und Verantwortung übernehmen, wenn man dadurch Menschen helfen kann. Ansonsten muss man mit der Schuld leben, sie im Stich gelassen zu haben.“ Sie konnte jetzt noch das kalte Metall spüren, dass sich um ihren Körper schlang. Irene schwieg betreten und der Königin dämmerte es, dass sie ihr vielleicht den falschen Rat gegeben hatte. „Aber ich habe zwei Dinge über Verantwortung gelernt.“, fuhr sie fort. „Keiner hat die Verantwortung seine Leben in irgendeiner Weise für andere zu opfern. Eine solche Entscheidung muss freiwillig und ohne Angst vor Schuldgefühlen getroffen werden. Ansonsten bereut man sie, wie auch immer sie ausfällt. Außerdem ist eine Pflicht, sobald man sie angenommen hat, meist weniger erdrückend, als wenn direkt davor steht. Man muss nur den Mut haben mit viel Schwung anzufangen, dann trägt der einen ziemlich weit.“ „Ich soll also nicht heiraten, um die Einkünfte der Werftarbeiter zu sichern?“, schlussfolgerte Irene. „Das kannst nur du wissen. Du musst mit den Folgen der Heirat leben, ob du nun Ja oder Nein sagst.“, berichtete Hitomi sie und legte das Tuch beiseite. „Aber was kann ich denn sonst tun? Die Kinder der Arbeiter...die meisten kenne ich persönlich.“, argumentierte sie, während Hitomi ihr ins Unterkleid half. „Du könntest ihren Vätern neue Arbeit vermitteln. Du könntest die Werft verkaufen und das Geld unter den Arbeitern für einen Neubeginn aushändigen. Sie könnten selbst Kaufmänner werden.“ „Dafür fehlt den meisten die Bildung. Bis auf die Vormänner und Verwalter kann fast niemand lesen und schreiben.“ „Bring es ihnen bei. Du könntest die Werft auch den Arbeitern als eine Art Gesellschaft schenken. Oder ein ganz verrückter Gedanke: Du leitest die Werft selbst.“, ermunterte sie Hitomi und hielt ihr dann ein Kleid aus dem Gepäck vor die Nase. „Nein, das nicht. Es müsste noch ein paar weiße dabei sein.“, lehnte sie ab und sagte dann niedergeschlagen: „Mit Frauen macht man keine Geschäfte.“ „Gibt es denn Frauen, mit denen Mann Geschäfte machen könnte?“, fragte die Königin arglistig und gab Irene damit zu denken. „Keiner behauptet, dass es leicht sein wird, aber mit den richtigen Verbindungen...“ „Die hab ich nicht.“, resignierte das Mädchen. „Du kennst doch mich.“, widersprach Hitomi, und präsentierte ihr ein weiteres Kleid, das Irene nickend zustimmte. „Ja. Und? Seit wann braucht Farnelia Schiffe?“ „Oh, für Luftschiffe, die auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten sind, hätten wir sicher die ein oder andere Verwendung. Mit ein bisschen Phantasie könnte man diese auch in einer Werft für normale Schiffe bauen. Und außerdem...du kennst mich und ich kenne Dryden Aston ehemals Fassa, den Kopf der Händlergilde.“ „Glaubst du, er würde den Werften meines Vaters aus Mitleid Aufträge verschaffen?“, zweifelte Irene. „Nein, er würde aber dafür sorgen, dass deine Position als Erbin anerkannt und deine Werften die gleiche Chance erhalten wie andere auch.“, konterte Hitomi, während sie an ihr und dem Kleid Hand anlegte. „Mein Vater zahlt den Arbeitern mehr als seine Konkurrenten und ich werde es nicht übers Herz bringen das zu ändern.“ „Dann müssen deine Schiffe eben besser sein.“, meinte die Königin leichthin. „Wie ich schon sagte, Farnelia würde für ein Luftschiff, das besonders gut für den Transport von Weizen, Milch oder Backwaren geeignet ist, sicher mehr zahlen als für einen gewöhnlichen Frachter. Wir würden das Schiff auch als Prestigeprojekt betrachten, um Werbung für unsere landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu machen. Wir bräuchten eigentlich nur noch jemanden, der sich trauen würde sein Produkt unseren Wünschen flexibel anzupassen. Jemanden, der den Mut hat, neue Ideen in das Schiff zu verbauen.“ „Wie würde dieser jemand denn an diesen Auftrag kommen?“, erkundigte sich Irene neugierig. „Über Verbindungen, aus denen sich ein Termin ergibt. Sozusagen eine Gelegenheit, bei der das Konzept des Schiffs anhand von Modellen oder Zeichnungen präsentiert werden könnte und das Königspaar überzeugt werden müsste.“, spekulierte Hitomi weiter. Plötzlich umarmte Irene sie stürmisch. „Langsam.“, beschwichtigte sie. „Noch ist nichts beschlossen.“ „Nein, aber es gibt Hoffnung.“, freute sich das Mädchen. Als sie wieder genug Abstand hatten, sah die Königin unbändigen Tatendrang vor sich. „Außerdem gibt es nicht nur Farnelia. Meinst du, Würdenträger würden sich über fließendes, heißes Wasser in ihren Kabinen freuen?“ „Oh ja! Man könnte die Wannen auch so bauen, das Luft in das Wasser geblasen wird.“ „Ihh!“ Irene schauderte. Kapitel 34: Willkommen zurück ----------------------------- König Van kehrte in sein Land zurück. Doch er kam nicht allein. Seinem persönlichen Luftschiff folgte eine kleine Flotte aus umgerüsteten Frachtern und Fähren, genug Schiffe um alle Menschen der Hauptstadt auf einmal fassen zu können. Was auch der Sinn dieser Flotte war. Die Gezeichneten bedrohten Farnelia. Die Gezeichneten... Van ließ seinem Frust einem langen Atemzug freien Lauf, während von einem Fenster der Brücke aus seine Heimat betrachtete. Hier hatte er von Kindesbeinen an gelebt. Er hatte die Zerstörung seiner Stadt mitansehen müssen und hart für ihren Wiederaufbau gearbeitet. Er hatte Vater und Mutter verloren. Sein Bruder war im fernen Reich Zaibach gestorben und sein Lehrer Vargas im Kampf gefallen. Trotz allen gab er nicht auf, sondern erfreute sich an seiner Arbeit, an der Liebe seiner Frau und an der Zuneigung seiner Schwester. Und nur weil ein Atlanter, Trias, über den Tod seiner Frau nicht hinweg kam, war alles, was ihm etwas bedeutete, in Gefahr. Hitomi hatte ihm die Geschichte von Trias, dem Meister der Gezeichneten, erzählt, so wie sie diese von den anderen Atlantern in deren Stadt in den Wolken gehört hatte. Trias und seine Frau waren Wächter, unsterbliche Atlanter, die bei der Erschaffung des Planeten Gaia maßgeblich beteiligt waren und nun Fortbestehen des Planeten als Teil dessen Maschinerie sicherten. Doch der Körper seiner Frau war gestorben. Seit ihrem Tod verrichtet ihre Seele ihren Dienst eingeschlossen in einem rosaroten Seelenstein, wie ihn auch Hitomi besaß. Dort war sie gefangen. Wie jeder andere Wächter, der seinen Körper verloren hatte, konnte sie von der Außenwelt nichts wahrnehmen, es sei denn, jemand trug ihren Seelenstein bei sich. Trias jedoch wollte ein solches Schicksal für seine Frau nicht akzeptieren und schwor Gaia zu vernichten, um ihrer Seele Ruhe zu verschaffen. Der Planet Gaia bestand nicht aus Materie, wie die Erde, von der die Atlanter kamen, sondern aus der Kraft der Vorstellungen seiner Bewohner und der Maschinerie der Wächter, die diese Kraft verarbeitete. Folglich würde der Planet aufhören zu existieren, wenn nur zu viele der Einwohner Gaias sterben. Dies war Gaias Schwachpunkt und Trias war zu allem entschlossen, um seine Frau zu befreien. Also schuf er in seiner Funktion als Wächter des Lebens eine neue Art, die Gezeichneten. Ehemals freie Wesen, Männer und Frauen aller Rassen, die er durch ein Virus an seinen Willen kettete und so beherrschte. Die Gezeichneten wiederum, konnten sich durch ihren Biss andere Wesen gefügig machen, in Form von weiteren Gezeichneten oder willenlosen Sklaven, die ohne Verstand waren und den Fluch weiter verbreiteten, indem sie sich auf alles stürzten, was vor ihre Zähne kam. Nur ihre Herren konnten ihre kannibalische Natur steuern, doch sie richteten diese Instinkte auf Unschuldige. Auf diese Weise hob Trias sein Heer aus. Lediglich wenige Gezeichneten brachten mit ihrer Seuche die ehemals stolze Hauptstadt Chuzarios zu Fall. Deren Bewohner wurden zu Sklaven, einem Heer aus zehntausenden, die Chuzarios restliche Städte bedrohten. Zweitausend von ihnen jedoch waren nach Farnelia aufgebrochen. Zwar waren sie unbewaffnet und nur zu Fuß unterwegs, doch hatte Farnelia fast alle seiner streitbaren Männern vor drei Jahren bei der Invasion der Zaibacher verloren. Lediglich zweihundert Männern, die meisten jung und unerfahren, standen nun zu Verteidigung ihrer Stadt bereit. Der einzige Schutz für Verteidiger gegen die Übermacht waren die frisch hochgezogenen Mauern. Und die Evakuierung der zivilen Bevölkerung, die die Wandlung der eigenen Leute zu gegnerischen Waffen verhindern sollte. Astoria, die benachbarte Großmacht, kam für diese Maßnahme auf und stellte zudem auch die Flüchtlingslager im eigenen Land. Zwar war Van dankbar für diese Hilfe, doch er wusste, dass diese nicht ohne Hintergedanken bewilligt worden war. Aston, der König Astorias, fett und jenseits des besten Alters, hoffte auf Vans Ableben, um Hitomi, seine frisch angetraute Frau heiraten zu können. Sollte Farnelia fallen und der König bei der Verteidigung seiner Hauptstadt sterben, müsste Hitomi ohne Zweifel den Antrag Astons annehmen, um ihren Volk eine sichere Heimat und den Bauern Farnelias eine bessere Verteidigung bieten zu können. Doch der Plan Astons hatte einen Haken. Van musste sterben. Und das hatte er nicht vor. Eher würde er jeden der zweitausend Sklaven höchstpersönlich töten, als auch nur einen Moment den Gedanken zu ertragen, seine Frau diesem Widerling zu überlassen. Die Chancen zu überleben standen nicht so schlecht, wie er sich selbst immer wieder versicherte. Den Berichten der Späher zur Folge kamen die Gezeichneten direkt auf die Mauern Farnelias zu, die er gerade vom Flugfeld vor seiner Stadt aus betrachtete, während er sein Schiff verließ. Sie waren ähnlich massiv und hoch wie die Mauern der alten Stadt und konnten ohne Hilfsmittel nicht genommen werden. Die eigentliche Gefahr würden die Gezeichneten sein, die das Herr kontrollierten. Van zweifelte nicht, dass sie sich stets in der Nähre der Invasoren aufhielten und irgendeine Art von Trick anwenden würden, um das Tor zur Stadt für die Sklaven zu öffnen. Doch genau für diesen Fall hatte Van Verstärkung mitgebracht. Er versicherte sich mit einem kurzen Blick zurück, dass der etwas ältere Herr und sein jüngerer Gefährte ihm folgten. Bei den beiden Männern handelte es sich um Atlanter, Angehöriger des Volkes seiner Mutter, die Van von Dryden Fassa, dem Organisator der Evakuierung, zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Anscheinend war der Händler von Hitomi zur Bezugsperson für die Atlanter berufen worden, die ebenso wie die restlichen Bewohner Gaias ein Interesse am Scheitern der Pläne von Trias hatten. Van vertraute darauf, dass er, seine adoptierte Schwester Merle und die beiden Atlanter jede Attacke der Gezeichneten selbst abwehren konnten. Die zweitausend Sklaven würden indes an der Mauer branden und im Pfeilhagel fallen. Überraschte registrierte Van, dass auf dem Flugfeld nicht von Merle, sondern von Gesgan, dem Kommandanten seiner Leibwache, empfangen wurde. Der sichtlich in die Jahre gekommene Krieger verbeugte sich leicht, woraufhin Van seine Begleiter vorstellte. „Wo ist meine Schwester?“ verlangte der König nach dem kurz Angebunden Austausch an Höflichkeiten zu wissen. „Ihre Hoheit ist oben auf der Ebene vor der Herrschervilla und trainiert einige der Soldaten.“, antwortete Gesgan pflichtbewusst und wies auf das Gefährt hinter ihm. „Die Kutsche steht bereit. Eure Majestät könnt sofort zu ihr.“ „Bitte.“, erwiderte Van und nahm zusammen mit seinen nun drei Begleitern in der geschlossenen Kabine der Kutsche platz. Während die Pferde in einem Nerven zerreißendend langsam durch die engen Straßen Farnelias trotteten, fielen Van die bunt bemalten Holzverschläge auf, die sämtliche Öffnungen aller Häuser versperrten. Ihm fielen auch die zahlreichen Familien auf, die an der Verschlägen vor den Türen letzte Hand anlegten. „Wozu sind die Verschläge?“, fragte er in die schweigsame Runde in der Kutsche hinein. „Prinzessin Merle hat befohlen, jedes Haus zu versiegeln. Die Verschläge sollen verhindern, dass die Häuser geplündert und die Sklaven der Gezeichneten sich in ihnen verstecken können.“ „Sie werden wohl kaum jemanden aufhalten können.“, zweifelte der Herrscher. „Es wird aber niemand in Haus eindringen können, ohne sie zu beschädigen.“, wandte Gesgan nicht ohne Stolz ein. „So wird jeder erkennen können, welche der Gebäude vielleicht komprimiert sind.“ „Und die Bemalung?“ „Die Verschläge und die Farben wurden bereits vor der Hochzeit ausgeteilt. Den Bewohnern wurden gesagt, sie sollten die Verschläge ihren Kindern zum Ausschmücken überlassen und sie dann vor ihren Häusern ausstellen, um die Stadt für Hochzeit zu schmücken. Dass sie für etwas ganz anderes gedacht waren, erfuhren sie erst bei der Rede der Prinzessin zur Lage der Nation. Die Bilder hat ihre Hoheit sicherlich auch als eine Art Motivation für die Soldaten betrachtet. So werden sie bei jeden Blick in die Stadt daran erinnert, für wen sie kämpfen.“ „Nicht für König und Vaterland?“, erkundigte sich Van scharf, doch Gesgan hörte die Ironie und fand es daher unnötig zu antworten. „Gesgan, richtet die Leibwache darauf ein, das ich nach der Schlacht mindestens einmal in der Woche spontan mit meiner Frau in der Stadt einkaufen werde.“ „Majestät?“ „Merle hat die Stadt schon vor der Hochzeit auf einen Angriff vorbereitet und ich habe es nicht gemerkt.“, begründete Van seinen Vorstoß. „So etwas passiert mir nicht noch einmal.“ „Sehr wohl,Majestät. Ich werde alles Nötige veranlassen.“ „Wie viele Bewohner weigern sich zu gehen?“ „Keiner, euer Majestät.“, informierte der Kommandant seinen Herren. Van stutzte, woraufhin Gesgan fortfuhr. „Merle hat in sämtlichen Bezirken in eindringlichen Reden von ihren Erlebnissen in Chuzario berichtet. Wie die Soldaten dort ihre eigenen Familien umbringen mussten... Wer sich nach ihren Reden noch immer weigerte, ihre Anweisungen auszuführen, das nötigste zu packen und in die Notunterkünfte zu ziehen, zu denen kam sie persönlich nach Hause und überzeugte sie mit noch plastischeren Darstellungen. Schließlich konnte sie alle Zweifel zerstreuen und jeden überzeugen.“ Van ließ es dabei, vor allem um sein Erstaunen zu verschleiern. Niemand sollte behaupten können, dass er Merle nichts zutraute, aber das... Sie musste Tag und Nacht auf den Beinen gewesen sein. Die Kutsche hatte inzwischen die Straße erreicht, die zu seiner Villa auf der Ebene hoch über der Stadt führte. Die meist zweistöckigen, hellen Häuser wurden zusehends kleiner. Schließlich kam sie zu stehen und die Tür der Kutsche schwang begleitet von der Hand des Kutschers auf. Wieder einmal wurde der König überrascht. Dort, wo einst ein blühender Garten den Weg zur Villa zierte, waren nur noch Erde und Schlamm. Über das planierte Feld bewegten sich in Leder gehüllte Soldaten in engen Formationen, die sich mit Speere gegen wild heranstürmende Kameraden zur Wehr setzen. Merle hatte es tatsächlich gewagt und sein kleines Paradies in einen Übungsplatz verwandelt. „Lassen sie mich raten.“, forderte Van und sah Gesgan missmutig an. „Meine Schwester?“ Der Krieger hielt auch dieses Mal nicht für nötig zu antworten. Genug war genug. Der König erspähte Merle mitsamt ihrem charakteristischen Schwanz und ihrer großen spitzen Ohren am Rand des Platzes. Sie trug ihren schwarzen Overall mitsamt der Weste und war umringt von zehn Soldaten, die sie nur zögerlich angriffen, während sie sich mit ihren zwei Dolchen verteidigte. Sie ließ es sogar so aussehen, als hätte sie Schwierigkeiten, wahrscheinlich um nicht das Selbstbewusstsein der jungen Krieger zu brechen. Als Van jedoch näher kam, korrigierte er sich selbst. Sie hatte tatsächlich Mühe sich zu wehren. Ihre Bewegungen waren schwermütig und längst nicht so kraftvoll, wie er sie kannte. Ein paar der Soldaten hielten inne, als sie ihren Herrscher erkannten, doch Merle schickte diese sofort zu Boden und schrie sie entnervt an, sich nicht ablenken zu lassen. „Aufhören!“, brüllte er die Gruppe an. „Was passiert hier?“ Zögernd stellten die Angreifer ihre Attacke ein, woraufhin auch Merle erschöpft ihre Dolche sinken lies. Ihr sonst so glänzendes Fell war matt und ihr sonst so glänzenden Augen waren kurz davor zuzufallen. „Wir üben hier, Van.“, meldete sie. „Ich bringen den Jungen hier bei, wie sie sich im Kampf gegen einen Gezeichneten zu verhalten haben.“ „Ich fürchte auf dich warten andere Angelegenheiten.“, belehrte Van sie. „Aber...“, versuchte sie zu widersprechen, wurde aber unterbrochen. „Die beiden Herrschaften hinter mir brauchen Quartiere, vorzugsweise in der Villa. Sie werden unsere Kräfte auf der Mauer verstärken und sollten mit entsprechenden Ehren behandelt werden.“ „Die Jungs hier...“ „...werden mit mir üben.“, schmetterte Van ihren Einwand ab. Dann zog er sein Gewand Kopfüber aus und warf es Gesgan zu. Darunter trug eine einfache Hose und ein ärmelloses Hemd. Das Schwert an seiner Seite war nun für jeden sichtbar. „Du wirst dich um ihre Einquartierung kümmern, die Anweisung für den Start der Evakuierung geben und dann schlafen gehen.“ „Es ist noch früh am Tage.“, blockte sie störrisch, doch ihr Bruder trat an sie heran, nahm ihr die Dolche ab und steckte sie in die Scheiden an ihrem Körper. „Du hast genug getan.“, flüsterte er ihr zu. „Schlaf dich aus! Die Gezeichneten könnten jeden Tag kommen und ich brauch dich in Höchstform.“ Seufzend gab Merle auf. „Ich seh dich dann morgen.“, resignierte sie. „Pünktlich bei Morgengrauen zum privaten Frühstück bei mir.“, befahl Van augenzwinkernd. Die Stimmung des Katzenmädchens hellte sich sichtbar auf. „Ich nehm dich beim Wort.“, versicherte sie und führte die Gäste am Rand des Übungsplatzes entlang zur Villa. Van indes zog sein Schwert und stellte sich grimmig seinen Soldaten. „Nun gut. Dann zeigt mal, was ihr gelernt habt!“ Kapitel 35: Böse Überraschung ----------------------------- Van schloss den Gürtel um sein königsblaues Gewand, das bis auf seine breiten Schultern nur wenig von seinem gestählten Körper erahnen lies. Er hatte sich in der Zeit, in der Hitomi auf dem Mond der Illusionen gelebt hatte, gut entwickelt, wie ein Blick im Spiegel ihm nochmals bestätigte. Da flog ihm aus dem Nichts ein amüsanter Gedanke zu. Seine Frau, die sich weit entfernt im Herzogtum Fraid auf einen Tag voll von festgefahrenen Verhandlungen vorbereitete, zog ihn neckisch über die ständige Gedankenverbindung der beiden auf. Van zahlte es ihr mit gleicher Münze zurück. Lächelnd ließ eine ihrer letzten Bettgeschichten Revue passieren und versah seine bildhaften Erinnerungen mit dem Kommentar, dass sie seine angeblich so selbstherrliche Meinung über ihn durchaus teilte. Dann spürte er, wie sie zum Gegenschlag ausholte, doch etwas erweckte ihre Aufmerksamkeit und sie wandte sich ab. Der König Farnelias seufzte enttäuscht und konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung. Auf den Arbeitstisch in seinen Gemächern lagen ausnahmsweise keine Stapel von Berichten und Briefen, sondern nur ein paar Teller, ein Leib Brot und verschiedene Sorten Käse und Wurst. Der Höhepunkt von diesem recht bescheidenen Frühstück war da noch der dampfende Tee und das Glas Honig, dass er in der Speisekammer hatte auftreiben können. Obwohl er sich nicht viel aus Prunk machte, aß er dennoch im meisten Fall besser. Doch normalerweise servierte auch eine Dienerin das Essen frisch aus der Küche. In der ganzen Herrscherhaus war jedoch nicht ein einziger Bediensteter mehr. Sie alle waren bei ihren Familien. Niemand der zivilen Bevölkerung sollte beim Ansturm der Sklaven der Gezeichneten noch in der Stadt sein, daher wurden sie evakuiert. Diese Regel schloss auch seinen Hofstaat mit ein. Nur zweihundert tapfere Seelen, die aber meist noch viel zu jung waren, befanden sich noch in der Stadt. Sie bezogen nach und nach auf der Stadtmauer Stellung. Mehr Männer im wehrfähigen Alter gab es zur Zeit nicht in seiner Stadt, da fast alle bei der Magdeburgisierung Farnelias durch die Zaibacher vor drei Jahren gestorben waren. An seiner Tür klopfte es und so wurde Van aus seinen trüben Gedanken herausgerissen. Der König wollte den erwarteten Besuch schon hereinbitten, da ermahnt ihn Hitomi, die noch immer aus der Ferne ein Auge auf ihn warf. Ein Mann hatte seine Verabredung zuvorkommend zu behandeln, predigte sie ihm. Also ging er fromm selbst zur Tür und öffnete sie. Nur einem Augenblick später fiel ihm die Kinnlage runter. Vor ihm stand Merle, in einem dunkelblauen, fast schwarzen, eng anliegenden Kleid, das eines ihrer muskulösen Beine bis zum Oberschenkel hinauf seinem begierigen Blick preisgab. Dagegen war ihr Ausschnitt regelrecht züchtig, doch wurde der Stoff dort nur einem breiten Träger gehalten. Ihre andere Schulter war frei und weckte somit ebenfalls das Verlangen nach mehr. „Gefall ich dir?“, fragte Merle schelmisch. Da Van nicht antwortete, betrat sie mit aufreizendem Schritten seine Privaträume, ohne auf eine Einladung von ihm zu warten. „Du siehst gut aus.“, erwiderte Van schließlich perplex, nachdem er sich diesen Satz ein dutzend Mal zurecht gelegt hatte. „Wie komme ich zu dem Vergnügen mit einer so reizenden, kleinen Schwester speisen zu dürfen?“ „Hitomi war der Meinung, ich brauche ein bisschen mehr Auslauf. Und da ich dir schon lange zeigen wollte, was du dank Hitomi verpasst, packe ich die Gelegenheit beim Schopf.“ Da riss eine Hand an seinem Kragen und plötzlich schaute er direkt in die Augen einer anderen jungen Frau, die er zuvor nicht einmal bemerkt hatte. „Nur gucken, nicht anfassen!“, mahnte sie mit rauer Stimme. Ehe er sich darauf eine Antwort zusammen reimen konnte, war die Unbekannte auch schon auf und davon. Gekleidet war sie wie eine der Dienerinnen, aber... „Wer war das?“, fragte er Merle ratlos. „Serena, Allens Schwester.“, antwortete sie, als verstünde sie den Grund seiner Frage nicht. „Er hat sie hier nach der Hochzeit zurückgelassen. Erinnerst du dich?“ „Schon, aber...sie ist ganz anders, als ich sie in Erinnerung habe.“ „Während sie im Koma lag, ist wohl etwas passiert.“, spekulierte Merle. „Sie scheint sich sowohl mit der alten Serena als auch mit Dilando zu identifizieren.“ „Dilando?“, fragte Van scharf. „Ja, aber bitte halte dich zurück.“, bat Merle aufrichtig. „Ich habe sie kennen gelernt und sie ist jetzt ein anderer Mensch. Sie sollte nicht für Dilandos Fehler büßen.“ „Ist sie auch ein besserer Mensch?“ „Ich weiß es nicht. Im Moment scheint Allen alles zu sein, was ihr wichtig ist. Sie betrachtet mich sogar als sein Eigentum.“ Von der Vorstellung, dass ein weiblicher Dilando eifersüchtig im Namen ihres Bruders über seine Schwester wachte, behagte dem König gar nicht. Doch er zwang sich auf das gemeinsame Frühstück zu konzentrieren. Schließlich hatte Merle sich für Serena eingesetzt und er vertraute ihrem Urteil. Voller Vorfreude schloss er die Tür, doch er wurde wieder überrascht. Seine Schwester war von hinten unbemerkt an ihn heran getreten und umarmte ihn über seine Schulter, was angesichts der Höhenunterschiede zwischen den beiden für sie nicht leicht sein konnte. „Hey Merle! Was ist?“, fragte er positiv überrascht. Statt zu antworten schob sie eine ihrer Hände über seine Stirn, während die andere nach seinem Kinn tastete. Van erstarrte. Verführte sie... Wehr dich! Der Befehl seiner Frau, die ihn noch immer ihn aus der Ferne beobachtete, war wie ein Bad im kalten Wasser. Merles kleine Hände packten schon seinen Kopf, da riss er an ihren Armen und schleuderte sie an seinem Körper vorbei brachial gegen die Tür. Das Mädchen schien für einen Moment das Bewusstsein zu verlieren, sie fing sich jedoch wieder und stemmte sich gegen das stabile Holz. „Merle, was ist mit dir?“, rief Van besorgt, dann erstarrte er fassungslos angesichts des Biests, dass sich auf ihrem Gesicht zeigte und ihm drohte. Begleitet von einem Fauchen schossen ihre Krallen auf seinen Hals zu. Er fing ihre Hände mit seinen ab, doch Merle warf sich ihm unerbittlich entgegen. Der König verlor seinen Stand, traf auf den Boden auf und versuchte verzweifelt das Katzenmädchen von sich wegzudrücken, während ihr Maul nach seiner Kehle schnappte. Ihr Kleid war während des Sturzes nach oben gerutscht. So nahm Van die Gelegenheit wahr und drosch sein Knie in ihren offenen Schritt. Es folgte ein gellender Schrei, dann war er frei. Van versuchte sie zu packen, doch sie trat ihn mit dem Spann ihres freien Fußes aus der Drehung vom Boden aus in die Rippen und katapultierte ihren Bruder so seitlich über sie hinweg. Dabei riss ihr Kleid bis zur Hüfte auf. Beide Kontrahenten rappelten sich mühsam hoch. Sofort ging Merle wieder auf ihn los, dieses Mal jedoch eleganter. Sie schmetterte einen Kreisstritt gegen seine Schulter, dann einen weiteren aus der Körperdrehung heraus gegen den erhobenen Arm vor seinem Gesicht, ehe Van von seiner Reichweite und Kraft Gebrauch machen konnte. Mit vollem Einsatz rammte er seine Faust in ihren Magen, noch bevor sie den dritten Tritt ansetzten konnte. Sie fiel ungebremst nach hinten und schlug hart auf. Während Merle sich noch vor Schmerzen auf den Boden drehte und versuchte aufzustehen, stürmte der König auf ihren Rücken und verschränkte ihre Arme über ihren Kreuz. Die wild gewordene Katze unter ihm schrie, wandte sich und fauchte, doch Van hielt sie unerbittlich fest. So laut er konnte rief er nach Hilfe. Die Tür zu seinen Gemächern wurde fast aus den Angeln gehoben, als zwei Mitglieder seiner Leibwache herein stürmten. „Majestät, was ist passiert?“, erkundigte sich einer der Soldaten fassungslos, während er die Szene erfasste. „Merle ist außer sich!“, informierte sein Herr ihn panisch. „Holt Eisenketten und Handschellen! Wir müssen sie fesseln.“ „Was hat sie?“ „Weiß ich nicht. Tut, was ich sage!“ Die Soldaten liefen hastig wieder hinaus, um seinen Anweisungen Folge zu leisten. Als sie wieder kamen, trat Merle noch immer um sich und versuchte sich störrisch zu befreien. Dabei stieß unmenschliche Laute aus, wie Van sie noch nie bei ihr zuvor gehört hatte. Er konnte sie kaum bändigen. Sein Herz raste wie verrückt. Nur zu zweit gelang es den Soldaten die Füße seiner Schwester zu packen und aneinander zu ketten. Da Merle mit diesen nur noch hilflos hoch und runter wedeln konnte, kamen die beiden zu ihr nach vorn und fädelten die Ketten an Vans Händen vorbei um ihre kräftigen Arme. Erst als diese ebenfalls unter Kontrolle waren, richteten die Männer das Mädchen auf und umwickelten ihren Oberkörper mit einer weiteren Kette. Doch auch diese hinderte Vans Schwester daran weiter zu schreien und sich zu winden. In der Hoffnung, dass nicht ganz Farnelia von diesem Vorfall erfahren würde, band Van ihr seinen Gürtel um den Kopf in ihren Mund hinein und zog ihn fest. Ihr Stimme war jetzt gedämmt und doch sie konnte weiter durch ihre Nasen atmen. Jedenfalls hoffte er das. „Was sollen wir mit ihr anstellen, Majestät?“, fragte einer der Soldaten ratlos. „Bringt sie auf dem schnellsten Wege nach unten in eine vollkommen leere Zelle und bewacht sie!“, befahl Van und grübelte. „Ihr werdet mit niemanden über das eben Geschehene reden und auch niemanden zu den Zellen lassen. Falls euch jemand auf den Weg dorthin sieht, gebietet ihm ebenfalls zu schwiegen! Niemand darf von diesem Vorfall etwas erfahren.“ Seine Leibwache bestätigte seine Befehle in diskreter Lautstärke, dann schleppten sie die verzweifelt zappelnde Merle hinter sich her aus den Gemächern. Van indes setzte sich gegen die Wand und vergrub das Gesicht in seinen Schoß. Dieser Morgen hätte eigentlich ein versöhnliches Frühstück mit seiner Schwester sein sollen. Was war passiert? Kapitel 36: Viel zu verlieren ----------------------------- Noch immer hockte Van an der Wand neben der Tür zu seinen Räumen, als ein älterer Herr und ein junger Mann ungefragt eintraten. Der König identifizierte sie mit einem raschen Blick als die beiden Vertreter des Drachenvolkes, die er von Dryden als Verstärkung bekommen hatte. „Majestät, ich hörte, es gab ein Vorfall.“ Van fragte Hitomi in der Ferne über ihre Gedankenverbindung, ob sie die beiden informiert hatte. Sie bestätigte, dass sie auf gleichem Wege eine Warnung an die Stadt der Atlanter geschickt hatte. Von dort aus war die Botschaft wohl weiter gereist. „Schließen sie die Tür!“, befahl er wenig diplomatisch. Seine Gäste ließen sich jedoch nicht anmerken und folgten seiner Anweisung. „Meine Schwester ist aus heiterem Himmel wahnsinnig geworden und hat mich angegriffen.“, fasste er den bisherigen Morgen knapp zusammen. „Sie schien außer sich zu sein.“ „Gab es Streit?“, fragte der ältere Atlanter. „Falls sie damit andeuten möchten, dass sie mich absichtlich erschlagen wollte, vergessen sie es!“, unterband Van den Gedanken. „Ich vertraue ihr blind. Sie schien mir auch nicht sie selbst zu sein. Irgendetwas ist mit ihr passiert und ich möchte wissen, was.“ „Können wir sie sehen? “ Van ließ sich Zeit mit der Antwort. Als seine Frau ihn schließlich ermunterte den Atlantern zu vertrauen, gab er nach. „Ich lasse sie zu ihr.“, seufzte er und rappelte sich auf. „Sie werden aber nur mit mir über ihre Erkenntnisse sprechen. Mit niemanden sonst, nicht einmal mit Merle.“ Nachdem die beiden Herren dies dem König versprochen hatten, führt er sie die Villa hinunter bis zum Keller, wo einer seiner Leibwächter vor einer massiven Tür stand. „Wie geht es ihr?“, fragte der König besorgt. „Die Prinzessin scheint sich wieder beruhigt zu haben, Majestät.“, berichtete die Wache „Sofort, nachdem wir eure Gemächer verlassen hatten, wurde sie bewusstlos. In der Zelle ist sie dann wieder aufgewacht, noch bevor ich meinen Posten beziehen konnte.“ „Habt ihr mit ihr geredet?“ „Sie ist still und … ich wüsste auch nicht, was ich ihrer Hoheit sagen sollte.“ „Die beiden Herren hinter mir dürfen eintreten, auch wenn ich nicht da sein sollte.“, instruierte Van seinen Soldaten. „Lasst uns herein!“ Die Wache trat sogleich zur Seite und drückte dabei die Tür auf. Van trat in das kleine Verlies, dass nur ein paar kleine Zellen beinhaltete, und wurde drinnen sofort von den Atlantern flankiert. Ein Stein fiel auf sein Herz, als er Merle verloren in der Zelle auf dem Boden kauern sah. Sie hatte noch immer das enge, zerrissene Abendkleid an, ihre Haare waren zerzaust und ihr Blick starr auf den Boden gerichtet. Vorsichtig sprach er sie. Daraufhin hob sie ihren Kopf. Kurz hellte sich ihr Gesicht vor Freude auf, ehe es sich in eine Fratze purer Besinnungslosigkeit verwandelte. Sie preschte gegen die Gitterstäbe, die sie unerbittlich einschlossen. Da sie nicht weiter kam, langten ihre Hände nach Van, obwohl er sich weit außerhalb ihrer Reichweite befand. Der König reagierte nicht. Er war fassungslos angesichts der Szene vor ihm. Sanft drängten ihn die Hände der Atlanter hinaus bis vor die Tür und schlossen diese hinter ihm. Im Flur blieb er ratlos stehen. Er nahm von nichts Notiz, bis eine Hand auf seiner Schulter ihn aus der Lähmung befreite. Der ältere Atlanter sah ihn eindringlich an. Der Ausdruck in seinen Augen prophezeite schlechte Nachrichten. „Was ist mit ihr?“, fragte der König gerade heraus, da sein Gast selbst nicht mit der Sprache raus rückte. „Sie ist ein Schläfer, eure Majestät.“, antwortete er zögernd. „Ein was?“ „Eine Person, der durch ein aufwendiges Verfahren der Befehl eingetrichtert worden ist, euch zu töten.“ „Aber das kann nicht sein.“, brauste Van auf. Seine Stimme wurde zu einem Orkan. „Merle eine Verräterin? Niemals!“ „Bitte, Majestät, beruhigt euch!“, mahnte der Angehörige des Drachenvolkes. „Sie weiß davon wahrscheinlich nichts. Sie ist keine Verräterin, jedenfalls nicht bewusst.“ „Aber wer … wann … wie konnte das geschehen?“, fragte der König „Ich weiß es nicht.“, antwortete Vans Gast. „Sie wird es auch nicht wissen.“ Daraufhin herrschte betretenes Schweigen. Schließlich verstand Van, dass Anweisungen von ihm erwartet wurden. „Ist sie wieder friedlich?“ „Ja, euer Majestät.“ „In der Zelle kann sie nicht bleiben. Sie ist dort ein leichtes Ziel und wir können sie während der Schlacht nicht schützen.“, führte Van aus, während sein Hirn rauchte. „Das Luftschiff, das zurückbleiben soll, um meine Soldaten im Falle einer Niederlage zu evakuieren, hat mit Sicherheit eine Brig. Bringt Merle unauffällig dort hin. Zieht ihr etwas über und lasst ihren Guymelef ebenfalls an Bord bringen. Offiziell wird sie vom Schiff aus mit ihrer Maschine den Luftraum sichern. Meine Leibwache wird euch bei der Überführung unterstützen. Ich ziehe mich zurück. Es ist wohl besser, sie sieht mich nicht.“ Van wartete weder auf Fragen, noch auf eine Antwort, sondern ging enthobenen Hauptes zurück in sein Quartier. Völlig in sich gekehrt harrte Merle in der Brig von einem der Luftschiffe aus. Die Überführung war ohne Probleme verlaufen. Man hatte ihr einen Mantel gegeben, den sie von sich aus über ihr kaputes Kleid gezogen hatte. Begleidet von von den beiden Atlantern und geführt von Vans Leibwächtern war sie ohne Gegenwehr in eine der Schiffszellen überstellt worden. Jetzt bewachte ein Mitlgied der Besatzung sie. Er schien seine Aufgabe jedoch als Verschwendung seiner Zeit anzusehen und beachtete sie nicht im geringsten. Bis auf die Kerze auf dem Tisch ihres Aufpassers war die kleine, mit Gitterstäben durchsetzte Kabine völlig finster, und so hatte Merle sich in die dunkelste Ecke ihres Gefängnisses zurückgezogen. Was war passiert? Während sie immer wieder über diese eine Frage grübelte, verschwamm ihre Umgebung. Die tristen Wände wurden durch einen wolkenlosen Himmel ersetzt. Die Sonne stand gerade im Zenit. Die unbequeme Liege, auf der sie saß, wich einer Matratze aus feinsten Federn, die auf einem Sockel aus blitzendem Marmor ruhte. Dieser thronte auf der Spitze eines riesigen Berges, der einsam aus einer dichten Decke aus weißen Wolken herausragte. Der Wind zerrte an ihrem Mantel, dessen erdende Farbe durch ein sanftes Himmelblau ersetzt worden war, dennoch war es mollig warm. Merle bemerkte die Veränderung, jedoch wunderte sie sich nicht und für Freude fehlte ihr die Kraft. „Gefällt es dir nicht?“, fragte Hitomi, die aus dem nichts hinter dem Mädchen auf dem Bett aufgetaucht und in einem schneeweißen Kleid gehüllt war. „Es ist nicht real.“, antwortete Merle gleichgültig. „Das hier ist nur deine Phantasie, mit der du dich bei mir eingeklinkt hast.“ „Trotzdem kann mein kleiner Raum dir doch gefallen, auch wenn er nicht wirklich ist.“, hielt ihr Freundin dagegen. Das Katzenmädchen verzog die Mine. Sie hasste es, wenn wer auch immer versuchte sie aufzumuntern. „Es ist ganz nett. Das Wort Himmelbett gewinnt hier jedenfalls eine ganz neue Bedeutung.“, urteilte sie mürrisch. „Es regnet unter diesen Wolken.“, erklärte Hitomi und zeigte auf die wollige Masse unter ihnen. „Trotzdem scheint hier oben die Sonne.“ „Was willst du von mir?“, fuhr Merle sie an, die genug davon hatte, um den heißen Brei herumzureden. Hitomi war erst verstimmt, zeigte dann aber ein verständnisvolles Lächeln. „Ich möchte wissen, was geschehen ist.“, antwortete sie betont leise. „Ich weiß es nicht!“, erwiderte Merle dafür umso lauter. „In einem Moment war ich bei Van, dann fand ich mich plötzlich in einer Zelle wieder. Meine Arme tun weh, wie auch mein Bauch, und mein Kleid ist völlig hinüber.“ „Du kannst dich nicht erinnern, wie du in den Keller gekommen bist?“ „Wie ich schon sagte, nein! Außerdem könnte ich schwören, dass Van in den Keller kam, um nach mir zu sehen, aber dann wird wieder alles schwarz.“ Merle sah Hitomi forschend. „Aber du weißt, was passiert ist, oder? Er hat es dir erzählt.“ „Ich war sogar dabei, auf gewisse Art und Weise.“, gab die Königin zu. Sie forcierte Merles Blick mit ihrem eigenen. „Du hast ihn angegriffen.“, berichtete sie. „Erst hast du dich von hinten an ihn herangeschlichen und versucht sein Genick zu brechen, ohne es wie ein Angriff aussehen zu lassen. Dann hast du ihn offen attackiert. Er ist aber unverletzt, von ein paar blauen Flecken abgesehen.“ Merle, die so etwas geahnt, es aber nicht für möglich gehalten hatte, war erst geschockt und atmete dann bei Hitomis Zusicherung leicht auf. „Aber...Wie kann ich ihn angegriffen haben? Ich würde ihm nie etwas antun!“ „Das weiß ich und Van weiß das auch.“, versprach Hitomi. „Er sorgt sich um dich.“ „Wo ist er dann?“ „Er kann dich nicht besuchen. Wie du es schon vermutest, hat er es bereits einmal versucht und du bist trotz aller Sicherheitsvorkehrungen auf ihn losgegangen. Wir denken, dass nun allein seine Anwesenheit dazu ausreicht, um die Falle in dir zu aktivieren, jetzt da sie offensichtlich geworden ist.“ „Welche Falle?“, hakte Merle nach. „Die Atlanter denken, du wirst manipuliert. Jemand hat dir den Befehl gegeben, Van unter bestimmten Umständen zu töten. Sie denken, jemand hat dich mal entführt und dich dann einer speziellen Behandlung unterzogen, um dich zu einer unfreiwillige Attentäterin umzuwandeln. Du wirst dich kaum daran erinnern können, aber du musst für einige Tage verschwunden sein. Hast du eine Idee, wann das gewesen sein könnte?“ Merles Herz raste. Sein Puzzlestück nach dem anderen bewegte sich und kam an seinen Platz. Was Trias zu ihr gesagt hatte, was im Tempel von Escaflowne vor ihrem ersten Gedächtnisverlust passiert war, alles ergab plötzlich Sinn. „Schon vor sehr langer Zeit.“, antwortete sie niedergeschlagen. „Erinnerst du dich an die Geschehnisse von der Zeit in meiner frühen Kindheit, die du mir aus Vans Erinnerungen gezeigt hast?“ Als Hitomi dies bestätigte, fuhr sie fort. „Damals habe ich genau das gleiche versucht. Ich habe versucht, Van das Genick zu brechen, obwohl ich kaum fünf Jahre alt war und unmöglich wissen konnte, was ich da tat.“ „Aber Vans Mutter hat dich aufgehalten und dich geheilt, weswegen du dich nicht mehr selbst daran erinnern kannst.“, entsann sich Hitomi. „Ich hab sie rückgängig gemacht, Varies Heilung.“, beichtete die Prinzessin schweren Herzens. „Wie?“ „Antigonos hat mir dabei geholfen.“ „Hat er das?“, sagte Hitomi mit einem bedrohlichen Ton in ihrer Stimme. „Es ist nicht seine Schuld. Ich bestanden darauf.“, verteidigte Merle ihn eilig. „Ich wollte unbedingt wissen, woher ich komme.“ „Kannst du dich inzwischen erinnern?“, löcherte ihre Herrin das Mädchen weiter. „Nein, aber der heutige Vorfall hat mir gezeigt, wer für die Falle verantwortlich ist. Bei dem Eröffnungsball des letzten Turniers in Farnelia hat Trias mich bedrängt und angedeutet, dass ich darauf ausgelegt bin, die Freundschaft von Van zu erlangen. Er hat mich auf ihn angesetzt. Er muss mich als kleines Mädchen gefangen, konditioniert und dann in Farnelia frei gelassen haben.“, schlussfolgerte sie hitzig. „Aber du hast keinen Beweis dafür.“ Merle lachte kurz und trocken auf. „Seit wann hinterlässt Trias für das, was er tut, Beweise?“ Ihre Augen fixierten ihre Königin. „Selbst wenn er es nicht wahr, weiß er, wer für mein Schicksal verantwortlich. Ich muss ihn finden!“ „Merle, es tut mir ehrlich leid, aber wir können dich nirgendwo hingehen lassen, solange du noch unter dem Einfluss der Falle stehst.“, bedauerte Hitomi aufrichtig. „Wer weiß, was passiert?“ „Dann heilt mich, wie Vans Mutter es schon getan hat.“ „Möglich wäre es, aber …“ Die Königin rang sichtlich nach Worten. „Die Atlanter sind zwar grundsätzlich dazu in der Lage. Doch die Methode zur Heilung ist bestenfalls grob und beinhaltet das absichtliche Herbeiführen einer Attacke, woraufhin die Areale deines Gehirns abgeschottet werden, von denen die Gefahr ausgeht. Diese enthalten im Falle eines Attentats nicht nur den unbewussten Befehl zum Mord, sondern auch alle Erinnerungen an das Opfer. Und da du meistens mit Van zusammen gewesen bist und sonst auch alle deine Taten irgendwie mit ihm zusammen hängen …“ „Ich werde alles verlieren.“, verstand Merle und brauste auf. „Alles, was ich je erlebt habe. Meine Kindheit mit Van, unsere Flucht, meine Adoption, meine Liebe zu Allen, alles!“ „Wahrscheinlich.“, stimmte Hitomi ihr zu und schlug dann versöhnlich vor. „Du könntest die Hilfe der Atlanter natürlich auch ablehnen. Dann müsstest du entweder im Hausarrest bleiben oder im Exil leben, wo du Van nicht mehr begegnen kannst. Du könntest Allen heiraten und zu ihm ziehen. Wir würden ihn auch über Vans Reisen informieren, um ein zufälliges Treffen von euch beiden auszuschließen.“ „Wenn ich Trias töte, würde das helfen?“, fragte Merle die Frau ihres Bruders. „Nein, ich fürchte nicht.“, zerstörte diese die Hoffnung der jungen Kriegerin. „So ein Befehl bleibt erhalten, auch wenn der Verursacher tot ist.“ Das Katzenmädchen rang mit ihren Tränen. „Das ist beschissen!“ „Ich weiß, wie … Nein, ich kann nicht wissen, wie du dich fühlst, aber Van und ich werden alles erdenkliche für dich tun, was immer es auch ist. Versprochen!“ Hitomi nahm einen Schritt Abstand. „Ich lasse dich jetzt allein, damit du in Ruhe nachdenken kannst. Nimm dir bitte soviel Zeit, wie du brauchst! Auf dich wartet eine Entscheidung, mit der du für den Rest deiner Tage leben musst.“ Merle war daraufhin ganz bei sich und achtete kaum auf das wieder erscheinende trostlose Zimmer, in dem sie saß. Schließlich verlor sie ihren Kampf. Wimmernd schlug sie um sich. Sie war wütend auf sich und ihrer von allen Göttern verdammten Neugierde! Kapitel 37: Wiedergutmachung ---------------------------- Graue, schwere Wolken hingen über Farnellia, aus denen sich ein stetiger Strom an Wasser über der Stadt ergoss. Von der Stadt hieß es, Drachen würden sie beschützen. Und diesen Schutz hatte sie bitter nötig, dachte sich Van de Farnel, der König von Farnellia. Er stand auf der mächtigen Stadtmauer und schaute auf die Schlucht, durch die sich eine dunkle Masse an Menschen Richtung Tal bewegte. Van kannte die Berichte. Sie waren erschöpft, unbewaffnet, kurz vorm Verhungern und dennoch eine Bedrohung. Getrieben von der mentalen Rute ihrer Herren, versklavt durch ein Virus, der einem Wesen seinen Willen entreißt, hielten sie sie unnachgiebig auf seine Heimat zu. Jedes dieser Opfer konnte die Seuche weitertragen. Ein Biss, ein Kratzer, mehr war nicht nötig und man wurde Teil der willenlose Masse. Ein Schicksal, dass er seinem Volk unbedingt ersparen musste. „Seht sie euch an!“, brach es plötzlich aus ihm heraus. Entschlossen, es nicht so weit kommen zu lassen, wandte sich der König an die zweihundert Soldaten hinter ihm, die zum großen Teil noch halbe Kinder waren. Sie waren verängstigt, verriet ihm ein einziger Blick in ihre klammen Augen. „Sie sind keine Menschen mehr! Einst waren sie stolze Männer, wie eure Väter. Einst waren sie fürsorgliche Frauen, wie eure Mütter. Einst waren sie Mädchen voller Lebensfreude, wie eure Schwestern. Einst waren sie wehrhafte Brüder, so wie ihr es seid! Doch diese Leben wurden ihnen genommen. Sie sind in Chuzario gefallen, doch zu sterben war ihnen nicht erlaubt. Stattdessen sind sie Gefangene in ihrem eigenen Körper. Sie mussten mitansehen, wie ihr eigenen Hände nach den Hälsen ihrer Nächsten griffen, und sie haben das Blut ihrer eigenen Leute getrunken! Ich möchte mir nicht einmal vorstellen, welche Qualen sie leiden, angesichts solcher Erinnerungen und der stechenden Gewissheit, dass es wieder passieren wird. Allein aus Mitleid werden wir jeden von ihnen einen Pfeil durch das Herz jagen. Hier und heute Nacht!“ Van erwartete kaum Jubelschreie doch die verzagten Gesichter der Söhne seiner Stadt zeigten ihm, dass er noch nicht zu ihnen durchgedrungen war. „Dreht euch um!“ Durch die Menge geisterte Verwirrung und niemand gehorchte, also packte er den nächsten Soldaten und riss in herum. Mit ausgestrecktem Arm zeigte er auf die Stadt. „Seht sie euch an!“, befahl er ein weiteres Mal und die Köpfe folgte zögernd der Richtung seiner Hand. „Seht euch die Beschläge vor den Häusern gut an und erinnert euch an die, die eure Familien geschmückt haben. Sie versiegeln nicht nur eure Häuser, sondern zeigen auch die Träume und Wünsche derer, die ihr schützt! Wir kämpfen hier nicht für Gebäude, es geht nicht einmal um diese Stadt. Diese Schlacht schlagen wir für unsere Lieben, die auf uns warten. Sie werden nicht von dieser Welle aus Toten hinweg gerissen werden, weil wir sie jetzt brechen!“ Für einen Moment herrschte Stille, doch dann riss ein junger Mann seinen Bogen in die Luft und stieß einen Ruf feuriger Entschlossenheit aus, in den seine Kameraden stimmten ein. Daraufhin lenkte Van ihre Aufmerksamkeit wieder langsam der näher kommenden Menge an Sklaven weit vor den Toren der Stadt zu. „Meine Schwester hat bereits gegen den Wahnsinn gekämpft, der sich vor euren Augen ausbreitet, und ist gestärkt aus diesem Kampf hervorgegangen.“, brüllte er aus Leibes Kräften. „Sie beobachtet euch.“ In Wahrheit würde Merle die Schlacht aus der Brig des Luftschiffes, dass über der Mauer hing, kaum beobachten können, doch Van konnte sich diese kleine Notlüge verzeihen. „Zeigt ihr, dass die Männer Farnellias einer Frau an Mut und Entschlossenheit in nichts nachstehen!“ Wieder hallte ein lauter Ruf, nur war auf den Koloss aus Stahl gerichtet, der die einzige Rückzugsmöglichkeit für Vans Streitkraft darstellte. Der König wollte schon weiter ausholen, da tippte ihn ein Matrose auf den Schiff an. „Was ist?“, fragte Van leise. „Majestät, dringende Nachricht von der Brücke.“, stieß der Mann kreidebleich und hechelnd aus. „Es nähert sich kleine Flotte von Flugobjekten. Wenn sie ihre Geschwindigkeit beibehalten, sind sie noch höchstens fünfzehn Minuten entfernt.“ „Wie viele? Konntet ihr sie kontaktieren?“ „Ein halbes Dutzend, Majestät, und sie antworten nicht.“ Gesgan, der alte, aber imposante Kommandant seiner Leibwache, trat nun ebenfalls an seine Seite. „Ich fürchte, die Sklaven dort unten sind nur eine Ablenkung, Majestät. Sie und ihre Hoheit sollten sofort eure Guymelefs starten und die gegnerischen Guymelefs abfangen.“, riet er. Van schluckte. Er hatte seinen Untergebenen von dem Zustand seiner Schwester noch gar nichts erzählt. „Merle kann momentan unmöglich fliegen. Ihr geht es nicht gut.“, gab er bedrückt zu Protokoll, während sein Gehirn rauchte. Die Gefahr, dass sie ihn aus ihren Guymelef, einer riesigen, humanoiden Flugmaschine, erspähen und ihn dann gegen ihren eigenen Willen angreifen würde, war viel zu groß. Van verfluchte Trias, dem Verantwortlichen der Invasion, und die Falle, mit der er seine Schwester quälte. Sie hätte zwar schon vor Jahren zuschnappen sollen und war gescheitert, dennoch spielte sie dem Herren der Gezeichneten immer noch in die Hände. Wie wichtig es war, keine Guymelefs in die Nähe seiner Männer zu lassen, hatte schon die Invasion der Zaibacher vor beinahe vier Jahren gezeigt. Damals war Dilando mit seiner Einheit in Farnelia einmarschiert und hatte die Stadt ohne nennenswerte Verluste dem Erboden gleich gemacht. Und zu der Zeit hatte Farnelia weit mehr als zwei Guymelefs gehabt, auch wenn die Maschinen veraltet gewesen waren. ...Dilando... „Geht zurück zum Schiff und findet so schnell wie möglich die junge Frau, die sich um meine Schwester kümmert.“, befahl Van dem Matrosen. Allen wird ihn umbringen für das, was er jetzt vorhatte. Soviel war sicher. „Ihr Name ist Serena. Sagt ihr, sie könne ihre Schuld gegenüber Farnelia begleichen, wenn sie heute mit Merles Guymelef an meiner Seite fliegt. Ich erwarte sie in zehn Minuten in der Luft.“ Der Matrose folgte ohne zu Zögern Vans befehlen. Gesgan hingegen schien verwirrt zu sein. „Serena? Warum sollte sie...?“ „Ich erkläre euch nach der Schlacht alles.“, versicherte Van, während er sein Vams auszog. „Jetzt muss ich so schnell wie möglich zu Escaflowne.“ „Beim Tor steht ein Pferd.“, meldete der Offizier pflichtbewusst. „Nein.“, lehnte Van schroff ab. „Reiten dauert zu lange. Ich werde fliegen.“ Mit diesen Worten riss er sich das Hemd vom Leib und breitete seine mächtigen Schwingen aus. Ein Schwarm aus Federn, die selbst bei dem trüben Wetter noch weiß glänzten, ging neben ihn nieder. Die Männer um ihn herum starrten entsetzt. „Haltet die Mauer! Sagt den Soldaten, sie sollen ihre Hauben und ihre Masken aufsetzen! Ich bin so schnell wie möglich zurück.“ „Jawohl!“, bestätigte Gesgan, woraufhin sich Van von der Mauer abstieß und dicht über den Häusern durch die Luft glitt. Das letzte, was man von ihm sah, war das helle Glitzern über seiner Villa am anderen Ende der Stadt. „Du musst nicht hier sein. Ich komm auch allein zurecht.“, klärte Merle Serena auf, die ihr Gesellschaft leistete. Die beiden jungen Frauen saßen sich auf dem kalten Boden der Brig gegenüber. Zwar lagen nur ein paar Meter zwischen ihnen, dennoch trennte sie eine Wand aus Gitterstäben. Allens Schwester hatte ihr das Mittagessen gebracht, bestehend aus einen faden Brei, einem Krug Wasser und einer Brotscheibe, die so dünn war, dass sie Merle in der Hand zerfiel. Serena erwiderte dieses Angebot aus Scham mit festen Blick und versicherte: „Ich bleibe hier. Wir sind eine Familie oder werden es zumindest bald sein. Allen wäre enttäuscht von mir, wenn ich dich jetzt hängen lassen würde.“ Seit dem Mittagessen harrten die beiden nun gemeinsam aus, doch in der kleinen Brig des Luftschiffes konnten sie unmöglich feststellen, wie lange die letzte Mahlzeit nun schon her war. Der Wachmann war ohne eine Erklärung verschwunden und nicht ersetzt worden. Die adoptierte Prinzessin konnte nur spekulieren, wie hektisch im Schiff zugehen musste, dass man sie scheinbar vergessen hatte. „Möchtest du mir noch immer nicht erzählen, warum du eingesperrt bist?“, fragte Allens Schwester geduldig. „Ich war zu neugierig. Ich würde es gern dabei belassen.“, blockte Merle beschämt. „Du vertraust mir nicht.“, warf die junge Frau dem Katzenmädchen vor, woraufhin sie kurz und trocken lachte. „Nichts für ungut, Serena, aber ich weiß nicht einmal, ob ich Allen den Grund erklären könnte.“ „Ich dachte, du liebst ihn!“ Merle sah ihr fest in die Augen und versicherte: „Das tue ich. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er mich noch bei sich haben möchte, sobald er erfährt, was heute morgen passiert ist.“ „Van jedenfalls hat dich aufgegeben!“, ätzte Serena, doch die Gefangene schüttelte mit ihrem Kopf. „Das hat er nicht!“, behauptete sie felsenfest. „Sonst wäre ich jetzt tot. Er hat momentan nur andere Sorgen, dich ich übrigens teile.“ „Du sitzt in einer Zelle und bist dir dennoch so sicher?“ „Ich warte bis zum Schluss der Schlacht, ehe ich nach Kaviar verlange.“ Serena schnaubte ungehalten und lehnte sich zurück. „Folgt aus Liebe normalerweise nicht Vertrauen?“ „Keine Ahnung. Ich glaube, Allen würde mich ohne zu zögern umbringen, um sich oder dich zu retten. Nennst du das Vertrauen?“, fragte Merle provokant. Erst wollte Serena protestieren, doch dann hielt sie inne und schaute beschämt zur Seite. „Was ist?“ „Das ist schon einmal passiert. Ein Mädchen, sie war etwa so alt wie du, hat mich angegriffen und verletzt.“, berichtete sie ungewohnt schüchtern. Dabei rieb sie eine Hand über ihren Arm, als wollte sie ein Jucken vertreiben. „Er hatte sie schon zuvor in unser Haus gebracht, aber eines Abends griff sie mich mit einem Schwert an. Allen verletzte sie tödlich. Glaub ich jedenfalls. Sie floh und ich habe sie nie wieder gesehen.“ Merle kannte diese Geschichte nur zu gut und kommentierte sie daher nicht weiter. „Aber Van würde doch genau das selbe tun, wenn jemand ihn ,dich oder seine Ehefrau angreifen würde.“ „Nein, nicht wenn er sich um den Angreifer sorgt. Schließlich hat er mich nur überwältigt, nicht getötet.“ „Hast du...?“, setzte Serena an und sogleich merkte die Prinzessin, dass sie zu viel gesagt hatte, doch ein hereinstürmender Matrose ersparte ihr weitere schmerzhafte Fragen. „Fräulein, seine Majestät lässt euch ausrichten, ihr könntet eure Schuld bei Farnelia begleichen, wenn ihr in den Guymelef an Bord dieses Schiffes steigt und an der Seite seiner Majestät fliegt.“ „Ist etwas passiert?“, schaltete Merle sich ein. „Die Brücke hat sechs kleine Flugobjekte ausgemacht. Sie kommen schnell auf Farnelia zu.“ Merle knirschte mit den Zähnen. Natürlich hatte Trias mehr als nur eine Waffe auf ihre geliebt Stadt gerichtet. Wenn sie nicht ein so wissbegieriger Dummkopf gewesen wäre, könnte sie jetzt zusammen mit ihren Bruder seine Guymelefs bekämpfen. Stattdessen musste jetzt... „Nein!“, protestierte Merle lautstark. „Serena, du kannst nicht gehen! Allen würde es dir nie erlauben.“ Zu ihrer Überraschung erhob sich die junge Frau in aller Ruhe und strahlte dabei förmlich voller Selbstvertrauen. „Allen ist nicht hier und hat mir auch sonst nichts zu sagen. Ich kann auf mich aufpassen.“, versicherte sie ohne den Hauch eines Zweifels. „Du bist nicht einmal mit meinem Guymelef geflogen!“, widersprach ihr die Prinzessin heftig. „Wenn die Zaibacher sie gebaut haben, kann ich sie fliegen.“, konterte die Kriegerin und verließ eilig die Brig, wobei sie den Matrosen mitschleifte. Krachend flog die Tür zu Merles kleinen Gefängnis zu und sie war wieder allein. Melre hasste sich und ihr Leben dafür, dass sie hier eingesperrt war. Wenn sie doch nur nicht so bescheuert gewesen wäre... Kapitel 38: Exitus ------------------ „Bitte, meine Herren!“, mäßigte Hitomi den jungen Herzog Cid und seinen wuchtigen Onkel Elhad, die sich an einem rechteckigen, soliden Holztisch in Konferenzzimmer in Cids Palast gegenüber saßen . „Wenn sie nicht wenigstens etwas auf einander zu gehen, wird nie eine Einigung zu Stande kommen. Darf ich sie daran erinnern: Sollte die Frage nach dem zukünftigen Herrschers Fraids nicht geklärt werden, wird Astoria eingreifen und Fraid annektieren. Das kann unmöglich in ihren Interesse liegen.“ „Ich habe keinen Grund mich zu bewegen.“, polterte Elhad drauf los. „Der Junge hat keinen Tropfen Blut der großen Herzöge Fraids in seinen Adern. Er muss den Thron räumen! Ohne wenn und aber!“ „Ich werde Vaters Erbe schützen. Notfalls auch vor euch. Ihr werdet es sonst ruinieren.“, beharrte Cid eisern. Tanai, seine persönliche Dienerin und Vertraute, drückte unter der Tischkante ermutigend seine Hand, was Hitomi auf ihrem Platz am Kopfende nicht entging. Abgesehen von ein paar Gesten hatte sie von der schweigsamen Dienerin allerdings nichts mitbekommen. Zudem sah die Frau mittleren Alters genauso müde aussah, wie das Mädchen sich selbst fühlte. Die Verhandlungen dauerten bereits ein paar Tage an und ließen sich dennoch auf exakt diese zwei Punkte zusammenfassen, die die beiden Streithähne sich gerade an den Kopf geworfen hatten. Der dürre Berater Elhads sagte ebenfalls nicht ein Wort. Nur manchmal flüsterte er in das Ohr seines Herrn. Die junge Königin wettete ihre nicht vorhandene Krone darauf, dass auch er nichts konstruktives zu den zähen Gesprächen beisteuerte. Wirklich enttäuscht hingegen war sie von Cid. Statt ihren Vorschlag, der nächste Herzog solle nach Cid einer der Enkel Elhads werden, zu unterstützen, indem er ihr half, die Zweifel Elhads zu zerstreuen, torpedierte er ihren Vorschlag mit der Bedingung, dass der Auserwählte im Palast unter seiner Obhut aufwachsen musste. Natürlich weigerte sich sein Onkel. „Wie oft denn noch, Junge?“, erwiderte dieser. „Du bist nicht...“ „Genug!“, unterbrach Hitomi. Zwar verletzte sie damit eine ihrer eigenen Regeln, aber ihr ging die Geduld aus. Sie hoffte, dass wenigstens Antigonos, ein Mitglied des Drachenvolkes und der Verlobte von Prinzessin Sophia, der Herrscherin Chuzarios, ihr gerade das Leben erleichterte. Ihm hatte sie die Regierungsgeschäfte von Fraid anvertraut. Verzweifelt dachte sie an Van und suchte bei ihm Rat. Sollte sie jetzt schon das Ultimatum vorbringen? Da zuckte ein Stich durch Herz, gefolgt von tiefster Unruhe. Sie konnte die Präsenz ihres Mannes nicht mehr spüren. Dort, wo sich ihr Herzschlag sonst mit seinem verband, klaffte eine beängstigende Leere. „Was?“, fragte Elhad ungehalten, woraufhin sie sich völlig aufgelöst unter den Anwesenden umsah. Für einen Moment hatte sie vergessen, an welchen Ort sie sich aufhielt. „Nichts.“, behauptete sie eilig und wedelte abwehrend mit ihren Händen. „Bitte fahren sie fort.“ Elhad zog zunächst verwirrt eine Braue nach oben, schwafelte dann aber munter weiter über Cids nicht zweifelhafte Abstammung, als wäre nichts gewesen, während der Herzog jedoch über seine wunderte und sich nur langsam wieder dem Monolog seines Onkels widmete. Hitomi hindes hörte und sah gar nichts mehr von dem, was im Raum vor sich ging. Stattdessen fegte ein Sturm an Fragen, Vorstellungen und Ängsten durch ihren Kopf, der sie lähmte. All ihre Gedanken drehten sich um die Abwesenheit Vans und der Möglichkeiten, was alles passiert sein könnte. Merle harrte noch immer in der Brig des Luftschiffes über der Mauer Farnelias aus, als sie plötzlich den Kontakt zu ihrem Bruder verlor, dessen Aura sie besorgt verfolgt hatte. Er war ohne Vorwarnung oder eine erkennbare Regung von ihrem geistlichen Radar verschwunden. Aber das war unmöglich, außer... Panisch sprang sie auf und stürzte sich auf die Gitterstäbe. Aus Leibeskräften zerrte sie an dem Eisen, rüttelte, schüttelte, doch sie kam nicht durch. Verzweifelt schrie sie um Hilfe, legte ihre gesamte Stärke in ihren Ruf hinein, doch niemand hörte sie. Wieder, immer wieder hämmerte sie gegen das Metall ihrer Zelle, immer stärker krächzte ihre Stimme vor lauter Anstrengung, doch keiner kam. Van flog, getragen von seinen engelsgleichen Flügeln, über der Herrschervilla Farnellias hinweg, zu der Lichtung im Waldstück dahinter, geradewegs auf das Familiengrab zu. Es bestand aus drei kleinen, eckigen Säulen, die eine vierte flankierten. Neben der letzten Ruhestätte seiner Familie kniete sein Guymelef, eine haushohe, humanoide Kampfmaschine. Seine sandfarbene Rüstungsplatten sahen im trüben Regen ungewöhnlich düster aus. Etwas mehr Optimismus, mahnte Van sich selbst, während er in den Sinkflug ging. Zu seiner Überraschung war bereits jemand beim Grab. Ein Mensch, der Größe der verhüllten Gestalt nach zu urteilen, saß auf der Treppe zur zentralen Säule. Van Magen krampfte sich zusammen, als er die Aura des Unbekannten überprüfte und nichts empfing. Nun, da der Unbekannte sich in seinem braunen Mantel erhob und sein schlichtes Langschwert zog, verließen dem König alle Zweifel, dass er erwartet wurde. So weit hatte Trias also vorausgedacht und er war einem seiner Schergen mitten in die Falle getappt. Allerdings war er sich sicher, mehr als nur eine Herausforderung für einen Gezeichneten zu sein. Noch im Flug zog er sein Schwert und stürzte mit lautem Gebrüll auf den Unbekannten herab. Dieser trat jedoch zur Seite und ließ den mächtigen Schwerthieb des Kriegers ins Leere laufen. Ohne Zögern stach der dann nach der offenen Seite Vans, doch der brachte sich durch einem Satz in die gleiche Richtung des langsamen Streichs in Sicherheit. Beide Kontrahenten wandten sich einander zu und richteten ihre Waffen aufeinander aus. Mit grimmiger Zufriedenheit erkannte Van, dass der Attentäter leichtere Klingen gewohnt war, als das grobe Langschwert, das er führte. Er selbst hatte nur selten mit einer anderen Klinge gekämpft, als die, die er gerade hielt. Jedoch erkannte sein Gegner seinen Fehler schnell und umfasste den Griff seiner Waffe mit beiden Händen. Der junge König wollte ihm nicht noch mehr Zeit zum Lernen geben und griff mit aller Macht frontal an. Sein Gegner riss seine Waffe zur Abwehr leicht diagonal hoch und stoppte so Vans Streich von oben, und stieß noch im selben Atemzug die Spitze seiner Klinge auf dessen Gesicht zu. Der wich zur Seite aus, trat an ihn vorbei und schwang seine Waffe auf den Rücken seines Gegners zu, wo sie auf Schulterhöhe die Parade des Unbekannten traf. Im nächsten Augenblick flammte dessen Hände weiß auf und ein reißender Schmerz durchflutete den Körper des Königs unterhalb der Niere. Plötzlich von allen Kräften verlassen, sackte Van auf seine Knie, während er zu verstehen versuchte was gerade geschehen war. Sein Gegner hatte einen Hieb durch seinen Körper unterhalb der Rippen geführt, ohne dass er ihn auch nur erahnt hatte, und nun blutete seine Seite stark. Der Unbekannte baute sich derweil vor ihm auf. Höhnisch lächelnd zog er die durchnässte Kapuze zurück. Van erkannte den Mann sofort und legte all seinen Hass in seinen Blick. „Trias!“, ächzte Van der Bewusstlosigkeit nahe. Der blonde Aristokrat, der aus dem Drachenvolk stammte und Urheber der Gezeichnetenseuche war, legte die Spitze seiner Waffe auf Vans Schulter. „Es ist schön euch so zu sehen, Van de Fanel.“, spottete Trias. „Ein passendes Ende für jemanden, der meine Pläne schon so lange durchkreuzt.“ „Merle, Isaaks Irrglaube über die Glücksmaschine, Hitomis Entführung, das wart alles ihr!“ „So ist es. Wenn ihr doch einfach nur gestorben wäret, als ihr klein wart. Dann müsste eure Frau jetzt auch nicht mit ansehen, wie ihr sterbt.“ „Warum ist Hitomi...“ „Ja, ich habe euch einen Gefallen getan und die Gedankenübertragung an diesem Ort für kurze Zeit blockiert, damit sie sich nicht unnötig Sorgen macht und euch zu Hilfe kommt. Den Trick habe ich von einen meiner Untergebenen gelernt. Einer von denen, die eure Schwester auf dem Gewissen hat. Ich spürte ihren Tod. Jeden einzelnen. Das gleiche Geschenk gebe ich nun eurer Gattin dafür, dass sich weigert mein Werkzeug zu sein.“ Der Aristokrat kratzte genüsslich mit der Kante seiner Klingen gegen Vans Hals. „Sie windet sich gerade vor Schmerz, nicht wahr? Was wird wohl passieren, wenn ihr sterbt?“ Dann holte Trias aus und das letzte, was Van verschwommen sah, war das Schwert, das unnachgiebig auf seinen Kopf zuraste. Merle schrie erbittert auf. Das Schiff wurde von einem Wort der ultimativen Ablehnung erschüttert, mit dem sie vehement bestritt, was Van soeben widerfahren war. Über das seidige Fell ihrer Wangen liefen unentwegt Tränen. Die Beine unter ihr gaben nach. Ihre Stimme brachte nach dem letzten Ausbruch nur noch stumme Klagen über die Lippen. Hilflos lehnte sich das Katzenmädchen gegen die Gitterstäbe, unfähig zu akzeptieren, was gerade geschehen war. Von ohnmächtiger Wut getrieben, riss sie an ihrem Kleid, bis es nicht mehr war als lose Fetzen. Der scheinbar ewige Streit zwischen Cid und seinem Onkel war kein Thema mehr, seitdem Hitomi von ihrem Stuhl gefallen war und sich wimmernd die Seite hielt. Sofort stürzte Cid auf sie zu und fragte äußerst besorgt nach ihrem Befinden. Dass er keine Antwort bekam, beunruhigte ihn nur noch mehr. Nun kam auch Elhad von der anderen Seite, getrieben von seiner Neugierde. Der Junge zerrte an ihrer Schulter und drehte sie auf ihren Rücken, doch Hitomi hielt ihre Augen geschlossen und wiederholte stetig den Namen ihres Gatten. „Was ist los, Hitomi? So antworte doch!“, verlangte das Kind bang, während es ihren Kopf in seinen Armen hielt und die Hände seiner Dienerin Tanai fürsorglich seine Schulter packten. Da erschlaffte der Körper der Königin und ihr Wimmern fand ein jähes Ende. Cid, der sie schon einmal so gesehen hatte, folgte seiner Erinnerung. Erst hielt er eine Hand vor ihrem Mund, dann horchte er an ihrer Brust. „Ihr Herz schlägt nicht mehr! Sie atmet nicht!“, verkündete er ungläubig. „Aus dem Weg!“, fuhr ihn die Stimme eines jungen Mannes an. Verwundert blickte Cid auf und sah Antigonos, der ihn brutal von der Leiche wegriss und seinen Platz einnahm. Verärgert rappelte sich der Herzog auf. „Ich weiß, was zu tun ist.“, beklagte er sich. „Wir müssen ihren Oberkörper frei machen und ihr Herz massieren.“ „Das wird ihr nicht helfen.“, klärte Antigonos ihn auf und legte eine Hand auf ihren Kopf und die andere auf ihren Unterleib. Im nächsten Augenblick fingen sie an grün zu glühen. „Was tut ihr?“, fragte Cid. „Ich rette Leben!“ „Ich kann helfen.“ „Du kannst still sein!“, mahnte der junge Mann vom Drachenvolk genervt. Cid wollte gerade erst loslegen, da hielt ihm Tanai eine Hand vor dem Mund und drückte ihn sanft an sich. Daraufhin zeigte der junge Herrscher Verständnis und betete still für das Leben seiner Vertrauten. Kapitel 39: Die graue Welt -------------------------- Hitomi rannte so schnell, wie ihre Füße sie trugen, doch sie trat praktisch auf eine Stelle. Der ebene Boden unter ihr war genauso grau, wie die schwere Wolkendecke über ihr. Um sie herum schlurften Krieger jeden Alters in einer monotonen Masse voran in ein und dieselbe Richtung, obwohl kein Horizont zuerkennen war, geschweige denn ein Ziel. Die Augen waren der Männer waren trüb und leer, ihre Gestalten so farblos wie die Nebelschwaden um sie herum. Und doch waren sie einzigartig. Jeder von ihnen war von anderer Statur, trug eine andere Rüstung, ein anderes Schwert und ein anderes Grau auf seiner Haut. Die einzigen Farben dieser Welt trug Hitomi jedoch selbst. Unbehindert von ihrem blauen Diplomatengewand, dessen Farben zu leuchten schienen, sprintete sie keuchend weiter und rief wiederholt nach ihrem geliebten Gatten. Aber selbst der helle Schein der goldenen Fäden ließ die Seelen um sie herum unberührt. Einen nach dem anderen überholte sie und doch kam sie kaum voran. Sie wusste, irgendwo vor ihr war Van. Seine Präsens war ein Leuchtfeuer vor ihrem inneren Auge. Schließlich erkannte sie seine breite Schultern und hochgewachsene Gestalt, die ihr seit ihrer Rückkehr von der Erde immer wieder vor Augen führten, dass sie beide Erwachsene geworden waren. Ein paar Meter nur noch, dann würde sie ihn berühren können. Dann sollte sie beide, wie das eine Mal zuvor, in die weiße Stadt mit dem großen Baum in der Mitte versetzt werden. Sie würde ihn wieder unter dem Baum sehen und zu ihm laufen. Die Stadt müsste dann brennen und die Erde sich spalten. Die Engel um sie herum würden von den Flammen verschluckt werden, aber Merle würde nach ihr und Van rufen, und ihnen so mit einem Licht den Ausgang zeigen. Dann würden sie fallen, der flüssigen Erde entgegen, bis zu dem Augenblick, da sie zu ihrem Mann durchdringen würde und er sie mit seinen strahlend weißen Flügeln bis zu Merles Licht hoch tragen würde, während die Welt um sie herum unterging. Dann würde sie beide aufwachen. Der Tot wäre dann einmal mehr nichts weiter als ein kurzer Schlaf gewesen, aus dem sie jederzeit wieder aufwachen konnten. Hitomi tat den letzten, entscheidenden Satz und flog, wie sie es erwartete, mitten durch ihren geisterhaften Gatten hindurch. Doch als sie nach dem Sturz die Augen öffnete, befand sie sich nicht in der weißen Stadt Atlantis, sondern noch immer in der grauen Welt. Über ihr ragte der trübe Körper Vans, der vor stehen geblieben war. Weder beugte er sich zu ihr herab, noch half er ihr auf, während sein trauriger Blick sie fixierte. Hitomi erstarrte. So durfte es nicht enden! „Du musst gehen!“, sprach der Geist sie an, in dem sie ihren Mann sah. „Nein!“, weigerte sie sich entschieden und rappelte sich auf. „Nicht ohne dich!“, bekräftigte sie, und ließ ihn mit dem Feuer in ihren Augen und ihren geballten Fäusten wissen, wie ernst sie es meinte. „Ich kann nicht zurück.“, klärte er sie unbarmherzig auf, doch seine Frau erkannte hinter seinen stählernen Augen tiefes Bedauern. Er hatte aufgeben! „Du kannst!“, behauptete sie steif. „Letztes Mal ging es doch auch!“ „Letztes Mal hatte ich einen funktionierenden Körper, in den ich zurückkehren konnte. Trias hat dafür gesorgt, dass es dieses Mal nicht so ist.“ „Mir ist es egal, was er getan hat. Ich kann es rückgängig machen. Du weißt, dass ich es kann!“ „Ja, ich weiß.“, bestätigte Van und hob seine Hand, um ihre Wange zu streicheln. Seine Finger konnten ihren Körper jedoch nicht berühren und fuhren durch ihr Gesicht, als hätte es überhaupt keine Substanz. „Aber dann würdest du Gaia bewusst deinen Willen aufbürden und den Planeten nach deinen Vorstellungen verändern.“ „Na und? Gaia ist mir auch egal. Nur du bist mir wichtig!“, schrie sie ihn verzweifelt an. Warum wollte er nicht mit ihr kommen? „Wenn du das tust, wirst du zur Göttin.“, warnte er sie ein weiteres Mal. „Mir egal!“, kam sogleich ihre trotzige Antwort. „Eine Göttin kann nicht unter den Lebenden wandeln. Im Augenblick deines Aufstiegs wird dein Körper sich auflösen und dein Wille wird eins mit Gaia.“ „Woher willst du das wissen?“ „Ich weiß es.“, sagte der Geist ohne eine Spur von Zweifel in seiner Stimme. „Ein Toter weiß viele Dinge.“ „Dann ist auch das mir völlig egal!“, bekräftige Hitomi. „Dir eine Ewigkeit lang zusehen zu können, ist allemal besser, als dich für den Rest meines Lebens zu betrauern.“ „Du kannst mich nicht ewig halten.“, mahnte er sie etwas behutsamer. „Die Zeit eines jeden Menschen ist begrenzt, auch meine.“ „Ist sie nicht.“, widersprach sie ihm uneinsichtig. „Ich werde dich aus dieser scheußlichen Welt holen, so oft wie du sie betrittst. Und ich werde hier bleiben und dich aufhalten, solange du nicht mit mir zurückkommst. Du gehst nicht weiter! Nicht in einer Million Jahren.“ „Dann stirbst auch du. Dein Körper wird verwesen.“ „Ist mir egal! Dann bleiben wir eben hier. Hauptsache wir sind zusammen!“ „Sieh dich um!“, forderte Van sie auf und wies mit seinen ausgestreckten Händen auf die Masse an Kriegern um sie herum. „Fällt dir nichts auf?“ Ratlos sah Hitomi sich und erst wusste sie nicht, worauf ihr Liebster hinaus wollte, doch dann fiel ihr ein mit einer Schaufel bewaffneten Mann auf, der stand. Sie konnte ihn durch die Menge immer nur kurz sehen. Er wirkte geradezu niedergeschlagen. Van, der ihrem Blick folgte, klärte sie auf: „Er ist während der Invasion der Gezeichneten in Chuzario gestorben, als er seine Familie verteidigt hat. Jetzt sind sein Körper und die seiner Familie Werkzeuge von Trias. Die Opfer der Gezeichneten sind zwar tot, aber sie können nicht sterben und sind zu einer starren Existenz in den Welten des Übergangs verdammt, solange ihre Körper nicht vernichtet werden. Glaubst du, das ist ein erstrebenswertes Schicksal?“ „Solange wir zusammen sind, ist es mir egal, dass ich sterbe. Es ist mir egal!“, blockte sie die unangenehme Wahrheit aus dem Mund ihres Ehemanns ab. „Unser Kind stirbt dann auch.“, teilte ihr Van eisig mit. „Ist dir das ebenfalls egal?“ Hitomis Augen weiteten sich vor Überraschung. „Unser Kind?“, hauchte sie ungläubig. „Ja, ich sehe es so deutlich vor mir, wie ich dich sehe. Es ist noch sehr klein, aber es leuchtet hell in deinem Unterleib. Lange hält es jedoch nicht mehr durch.“ „Ich bin schwanger?“ „Ja.“, bestätigte er seine Aussage und fuhr dann mit seiner Hand unter ihren Bauch entlang. „Es ist stark und wächst. Ohne dich hat es aber keine Chance auf sein Leben.“ Sanft umhüllten seine schattenhaften Finger den schwachen Herzschlag in Hitomis Innern. Die andere Hand hielt er in ihrem Ohr. Plötzlich konnte sie den Puls der heranwachsenden Wesen in ihrem Leib hören. „Ich hatte meine Chance. Nun ist unser Kind an der Reihe.“ „Das ist nicht fair!“, klagte Hitomi ihn verzweifelt an. „Wie kannst du das Leben unseres Kindes als Geisel gegen mich verwenden?“ „Du lässt mir keine Wahl.“, erwiderte Van bedrückt. Er trat ganz nahe an Hitomi heran und umfing sie mit seinen kalten Armen. Diese fing an zu schluchzen, da ihr plötzlich klar wurde, dass dies die letzten gemeinsamen Momente waren. „Nein!“, flehte sie. „Bitte schick mich nicht fort! Ich will bei dir sein.“ „Es tut mir Leid. Ich hätte gern noch so viel Zeit mit dir und unserem Kind verbracht.“, versicherte ihr Mann eindringlich. „Von nun an musst du es beschützen.“ „Bitte nicht!“, bettelte sie gebrochen, doch Vans Lippen senkten sich zu ihrem Ohr herab. Dann flüsterte er ihr leise, aber bestimmt zu: „Wach auf!“ Ohne Vorwarnung sog der Körper der jungen Königin Luft scharf in die Lungenflügel ein und stieß sie im nächsten Augenblick wieder aus. Antigonos, der noch immer neben sie kniete, zog sich zurück und sah zufrieden zu, wie Hitomi sich auf die Seite legte und den Tod aus der Lunge hustete. Cid rief überglücklich ihren Namen aus. Seine Dienerin Wareh atmete erleichtert auf. Sogar auf auf Elhads Lippen stahl sich ein kleines Lächeln, verborgen hinter dem dichten Bart. Zwischen den Befreiungsschlägen ihrer Bronchien mischten sich jedoch zusehends Klagelaute. Das Kind stürzte auf sie zu und erkundigte sich nun wieder besorgt nach ihr. Sie antwortete jedoch nicht, sondern rief wimmernd nach Van. Wieder und wieder sprach sie unter Tränen seinen Namen aus, als könne sie ihn so hinauf beschwören. Der kleine Herzog began zu begreifen, doch bevor seine Erkenntnis reifte, schob ihn Antigonos abermals zur Seite. Behutsam umschloss er den zusammengerollten Körper Hitomis und hob sie mühelos hoch. Ohne die Anwesenden zu beachten, trug er sie zur Tür. Doch dort hielt er inne. Dann wandte er sich um und sah den beiden Streitparteien fest in die Augen. „Heute haben sie gesehen, wie eine Frau um ihren Mann trauert.“, verkündete er ernst. „König Van ist tot?“, quiekte Cid geschockt. „Er ist im Kampf für sein Land gefallen.“, stellte Antigonos klar. „Herzog Cid, Prinz Elhad, wenn sie sich im Thronstreit hier und jetzt nicht einigen, werden sie für den Schmerz von tausenden Witwen verantwortlich sein. Möchten sie diese Last wirklich tragen?“ Dann verließ der Bursche vom Drachenvolk mitsamt der Königin im Arm den Raum. Cid blieb sprachlos zurück. Wieder einmal wurde er sich seiner erdrückenden Pflichten bewusst. Krampfhaft verbiss er sich die Nässe in seinen Augen, während seine Dienerin sich hinter ihm kniete und ihn mitfühlend umarmte. „Hey, Junge.“, sprach ihn sein Onkel betreten von der Seite an. „Wir sollten uns einigen.“ „Unbedingt!“, stimmte der blonde Junge ihm von ganzem Herzen zu. Kapitel 40: Sturm auf Farnellia ------------------------------- König Aston von Astoria schob seinen beleibten Körper behäbig in dem Sessel hin und her, auf der Suche nach einer bequemeren Sitzposition. Er saß in mitten eines großen Raums, vollgestopft mit Bildschirmen und technischen Gerät, von dem manches piepte, manches nicht. Die Wände des Raums waren ebenso grau, wie das Interieur selbst. Hier, in der primären Kommandozentrale des Stützpunktes Orio in der Nähe der Grenze zu Farnellia, einer größten Ansammlungen Zaibacher Technologie auf Ganz Gaia.. Von diesem Raum aus überwachte er die Maßnahmen zur Rettung der Stadt, deren Dankbarkeit ihm auf ewig sicher sein sollte. Noch wenige Augenblicke und seine Soldaten würden Feuer vom Himmel regnen lassen, während die kleine Armee Farnellias auf der Stadtmauer in der ersten Reihe saßen. „Wie lange dauert es noch, bis die Schiffe ankommen?“, fragte der König ungeduldig in die Runde. Von den vielen Uniformen, die teils still an ihren Stationen saßen und teils emsig umher huschten, blieb die höchst dekorierte stehen. „Die Geschwader sind noch etwa 15 Minuten vom Ziel entfernt, euer Majestät.“, antwortete Orios Kommandant Sander pflichtbewusst. Seinen Frust hinunter schluckend, griff er auf dem Tisch vor dem König nach den Figuren, die für die Luftschiffe Astorias standen und setzte sie auf der Karte in die Nähe Farnellias. „Es dauert nicht mehr lang und ihr habt euren Triumph.“ „Und die Sklaven der Gezeichneten?“ „Sie bewegen sich mit konstanter Geschwindigkeit voran. Sie werden zeitgleich mit unseren Verband im Tal eintreffen.“ „Es darf absolut nichts schief gehen.“, erinnerte der König den Offizier. „Es soll ein Herzschlagfinale der ganz besonderen Art werden, darf aber nicht inszeniert wirken.“ Also wird das Sklavenheer genau dann vernichtet, wenn es sich ins Tal ergießt und alle soll an einen Zufall glauben?, zweifelte der Soldat, behielt seine Gedanken aber für sich. Solange der König schwafelte, störte er seine Untergebenen nicht mit fragen. Völlig unvermittelt schaltete sich einer der beiden jungen Männer ein die seine Fettleibigkeit ohne eine Erklärung mitgebracht hatte. „Herr, König Van hat von der Ankunft eurer Schiffe erfahren.“, berichtete der Fremde aus heiteren Himmel. „Er hat was?“, brauste der König auf. „Woher? Die Geschwader sind nicht einmal in Sichtweite.“ „Mein Gefährte vor Ort glaubt das Schiff über der Mauer hat sie irgendwie ausgemacht. Wahrscheinlich auch so, wie eure Männer den Luftraum überwachen.“ „Unmöglich!“, schoss der Offizier dazwischen. „Die Technik ist geheim.“ „Dryden.“, schloss der König. „Er hat das Schiff gestellt. Er ist noch nie sehr zurückhaltend mit den Geheimnissen anderer umgegangen.“ „Ein Händler? Wie soll ein Händler...“ „Er ist nicht umsonst mein Schwiegersohn.“, unterbrach der König den Kommandanten. „Wie reagiert der König?“ „Er hat einem unbekannten Mädchen den Guymelef der Prinzessin anvertraut und ist dann Richtung Villa davongeflogen.“, berichtete der zweite der Unbekannten. „Er ist geflogen?“ „Ja, Herr.“ Der Fremde sparte es sich, den König auf den Umstand hinzuweisen, dass Van wie er selbst ein Abkömmling des Drachenvolks war, wenn auch nur zur Hälfte. „Eure Gefährten haben doch ein Auge auf ihn.“, versicherte sich Aston. „Sie sind noch immer auf der Mauer. Die Männer sind zu verlockenderes Ziel für Trias Gezeichnete. Sie verfolgen den König aber weiterhin über seine Aura.“ „Gut“, stimmte Aston zu, wobei er weit weniger verwirrt war, als Orios Kommandant. Im Normalfall hätte er von Lebensenergien und telepathischen Zeug ebenso wenig geglaubt, wie der Offizier, doch Hitomi gebot nach eigener Aussage ebenfalls über solcher Kräfte und ihr glaubte er. Zufrieden für den Augenblick lehnte sich Aston zurück und begann zu träumen. Zweifellos würde der unerwartete Unterstützung für die bedrohte Stadt der alleinigen Zugriff auf Farnellias Getreideexporte folgen und das Königshaus Farnellias würde eng seiner eigenen Familie verbunden sein. Vielleicht würde Van sogar einer Verlobung zwischen einen seiner Nachkommen und Astons Enkeln zustimmen, die ihm Millerna hoffentlich in absehbarer Zeit schenken würde. Die Kräfte dieser wunderbaren Frau gepaart mit der Macht seines Throns. Aston würde damit seinem Land das zweifellos bedeutendste Königspaar bescheren, deren Kinder und Kindeskinder das Land und damit seinen Namen in eine glorreiche Zukunft führen würden. Aston mochte Hitomi aufgegeben haben, ihre legendären Kräfte aber noch lange nicht! „Majestät!“, sprach einer der Männer vom Drachenvolk ihn gepresst an. „Was ist?!“, erkundigte sich Aston ungehalten. „Wir haben den Kontakt zu König Van verloren.“ „Verloren? Wie?“ „Er war von einer Sekunde zu anderen auf einmal weg.“ „Ist er tot?“, fuhr Aston ihn panisch an. „Nein, nun...wir wissen es nicht. Es fühlte sich wohl nicht so an, als wäre König Van getötet worden.“ „Bin ich der einzige...“, fragte der Kommandant dazwischen, doch Aston unterbrach ihn. „Und sie sind sicher, dass sonst niemand in der Stadt ist?“ „Unsere Kameraden haben niemanden ausmachen können. Das ganze Tal sollte bis auf die Streitmacht auf dem Tor verweist sein.“, antwortete der Fremde, doch er klang alles andere als sicher. „Ist doch gut, wenn der König tot ist. Könntet ihr dann Farnellia nicht...“ „Schwachkopf!“, schallte der König ihn aufgebracht. „Mit wem sollte ich sonst verhandeln, wenn nicht mit Farnellias Herrscher?“ Aston sank in seinem Sitz zusammen. „Van ist schon sehr auf die Unabhängigkeit seines Landes fixiert, aber er ist vernünftig. Seine 'Schwester' hingegen ist noch schlimmer. Sie wird Farnellia erst brennen sehen müssen, bevor sie meine Hilfe annimmt.“ Mit dem festen Vorsatz das schlimmste zu verhindern, richtete sich Aston auf. „Kommandant, sagen sie den Schiffen, sie sollen so schnell wie möglich fliegen. Nachdem sie die Ladung abgeworfen haben, muss ein Geschwader die Mauer sichern. Sie sollen auch den Soldaten die Waffen abnehmen und sie zusammentreiben für den Fall, dass sich doch ein Gezeichneter auf der Mauer befindet. Das zweite Geschwader fliegt zum Grab der königlichen Familie und sichert es. Sie sollen sich auf Gegenwehr gefasst machen!“ Der Kommandant jedoch widersprach: „Unsere Schiffe fliegen jetzt schon so schnell sie können! Der Auftritt sollte perfekt sein. Sie erinnern sich?“ „Es geht immer ein bisschen mehr!“, verlangte der König und wandte sich dann an die Männer des Drachenvolkes. „Sie übermitteln ihren Kollegen die Freigabe für die Attentate und die Anweisung nach König Van zu suchen. Überlassen sie die Männer auf der Mauer meinen Leuten.“ „Und wenn sie nicht rechtzeitig ankommen? Die Stadt wäre verloren!“, gab auch einer der Vertreter des Drachenvolks zu bedenken. „Das hier ist meine Operation mit meinen Ressourcen!“, mahnte Aston weiß glühend. „Ihre Leute sind nur solange dabei, wie sie meinen Anweisung folgen!“ „Majestät, was ist mit dem Guymelef, der vom Schiff über Farnellia starten soll.“, warf der Kommandant sich ein weiteres Mal dazwischen. „Ihre Leute sollen sich augenblicklich identifizieren und sich als Freunde zu erkennen geben.“, explodierte Aston schließlich. „Muss ich denn alles sagen, bevor sie mal nachdenken!“ Plötzlich fing er an zu schwer zu atmen und fiel auf den Sessel zurück. Eine Dienerin, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, stürzte auf ihn zu und versorgte ihn. „Ja, euer Majestät.“, bestätigte der Kommandant zufrieden und beachtete damit den alten Mann nicht weiter. Jetzt hatte er nun wahrlich die Befehlsgewalt. „Lasst die Geschwader mit Vollgas fliegen!“, rief er in die Runde rein. „Und geben sie Sturmadler grünes Licht! Sie können rein.“ „Sturmadler hat verstanden. Wir gehen rein.“, flüsterte der Mann mit dieser Kennung bedächtig in sein Mikro. Nun galt es! „Wir gehen rein, Männer.“, wiederholte er leise den Befehl für seine Soldaten. Sie alle trugen wie er eine schwere, mattgraue Panzerung, die den ganzen Körper bedeckte und nur an den nötigsten Stellen das schwarze, synthetische Material unter den schweren Platten zeigte. In der finsteren Gasse, wo Sturmfalke und ein Teil seiner Einheit ausharrte, waren sie fast unsichtbar. In der Rüstung fühlte sich der Ritter alles andere als wohl, doch besonders die mit Masken versehenden, Schädel-förmigen Helme waren ihm ein Graus. Das Sichtfeld war eingeschränkt und bestand nur noch aus zwei Gucklöchern, die mit einer Art dunklen Glas abgedeckt waren, auf dem sich je nach Bedarf zusätzlich Informationen, wie das Bild der Wärmekamera im Helm, projizieren ließen. Komplettiert wurde das Gewicht jeder Rüstung durch einen schmalen Tank auf dem Rücken der Soldaten, der vielseitiges Flüssigmetall enthielt, wie es auch von den Zaibachern Guymelefs verwendet wurde. Konventionelle Klingen waren nicht Teil der Ausrüstung. Sturmfalke konnte dennoch nicht auf sein Langschwert verzichten und trug es daher am Gürtel. Noch nie im Leben hatte er sich so behangen gefühlt. Er musterte das schlummernde Anwesen von Baron Trias gegenüber der Gasse. Wie von selbst erfüllte ihn das Wissen über die Anzahl und Position der Ziele. Sie alle waren Gezeichnete, durch einen Virus mutierte Supermenschen die an der Willen des trügerischen Barons gefesselt waren. Da es keine Heilung für solche bedauernswerten und zudem gefährlichen Individuen gab, mussten sie vernichtet werden. Sturmfalke hatte mit eigenen Augen gesehen, was selbst eine kleine Gruppe Gezeichneter anrichten konnte und war daher auch nicht abgeneigt Befehle zur deren Liquidierung zu befolgen. „Im Keller befinden sich sechs Ziele.“, berichtete er seinen Männern mit der wagen Hoffnung, dass niemand von denen sich fragte, woher er das wusste. „Ein Ziel schläft im Zentrum des Untergeschosses, zwei weitere befinden sich etwas weiter außerhalb in nördlicher Richtung. Gruppe zwei wird sich um diese drei kümmern. Ihr dringt unauffällig über den Lieferanteneingang in das Gebäude ein.“ Dann sprach er seine Untergebenen direkt vor Ort. „Wir stürmen durch den Haupteingang und machen dabei so viel Krach wie möglich. Die restlichen drei Gezeichnete befinden sich dort in der Nähe und werden uns wahrscheinlich direkt angreifen. Setzt die Granaten ein, bevor einen Raum betretet, und gebt euch gegenseitig Deckung. So erledigen wir sie ganz sicher.“ Über Funk bestätigten die Spezialkräfte zackig seine Befehle. Sturmfalke schlich im zügigen Tempo über die Straße und presste sich neben die massive Eingangstür. Die insgesamt zehn Männer seiner Gruppe postieren sich hinter ihm oder auf der anderen Seite. Dann ließ er das Mikro einmal klicken und gab so das Signal zum Angriff. Einer seiner Leute hockte sich neben ihn und streckte beide Fäuste geballt zur Tür, während ein anderer vortrat und seine Faust nur wenige Zentimeter entfernt direkt auf das Schloss des Eingangs richtete. Wie von einer gewaltigen Kraft getroffen, splitterte das Holz um den Riegel und die Tür schwang auf. Der Mann neben Sturmfalke nickte, woraufhin die Soldaten in das Gebäude hinein stürmten. Zwei Männer bezogen in der Eingangshalle Stellung, für den Fall, dass die Bediensteten nach dem Rechten sahen. Die anderen folgten den auswendig gelernten Lageplänen des Hauses zur Kellertreppe. An deren Anfang stoppte Sturmfalke die Gruppe. Er konnte die Gezeichneten hinter der linken Abzweigung der T-Kreuzung hinter dem Treppenausgang beinahe sehen, so sicher war, dass sie dort waren. Sie kamen durch die beleuchteten Räume auf die Treppe zugelaufen, hatten sie jedoch noch nicht erreicht. Nun war es Zeit die Überraschung auszupacken, die Wissenschaftler aus dem ehemaligen Zaibacher Reich den Gezeichneten bereitet hatten. Er löste eine Granate aus der Halterung unter dem Rückentornister und warf sie die Treppe runter. Dann duckte er und seine Männer sich weg. Er hörte den Knall selbst durch den Helm hindurch und er hätte er hingesehen, hätten lediglich die Gläser vor seinen Augen ein temporäres Erblinden durch den Lichtblitz verhindert. Sturmfalke gab das Zeichen und die Männer rückten vor. Bei der T-Kreuzung angekommen, strecke einer der Männer seine Faust. Aus den drei Röhrchen über seinem Handrücken schossen kleine Projektile aus flüssigen Metall mit einem solchen Druck, dass die Körper von zwei der verwirrten Gegner durchlöcherte wurden. Der dritte kam hinter seinen gefallenen Kameraden hervor, preschte jedoch in eine Wand aus eilig erschaffenden Schilden aus Flüssigmetall, welche ebenfalls aus den Faustöffnungen gespeist wurden. Einer der beiden Soldaten, die die Barriere errichtet hatten, ließ aus der selben Vorrichtung seiner anderen Hand drei spitze Stangen fahren, langte über die Schilde hinweg und rammte diese in den Hals des Gezeichneten. Leblos fiel dessen Hülle zu Boden. Die Gruppe teilte sich und drang weiter vorwärts durch den Keller. Sturmfalke hielt jedoch inne. Um sicher zu gehen, dass jeder von den Gezeichneten auch wirklich tot war und sich nicht gerade regenerierte, schoss er jeden von ihnen ein Projektil durch den Kopf. Plötzlich entstand jedoch Unruhe in der Einheit, die den rechten Weg genommen hatte. Sturmfalke registrierte den Gezeichneten, der seine Leute aufmischte, und rannte so schnell, wie die Rüstung es zuließ, in den Raum hinter dem Gang. Dort sah er einen Mann gerade gegen die Wand fliegen und die anderen auf den Boden liegen. Der Gezeichnete stürzte sich auf ihn, doch statt der Kraft seines Gegners Widerstand entgegen zu bringen, lies sich Sturmfalke rückwärts auf den Boden rollen. Während ein Arm den Gezeichneten von ihm wegdrückte und ihn beschäftigte, fuhren drei Spieße aus seiner Faust in den Magen seines Gegners. Trias Marionette schrie auf, verstummte jedoch, als Sturmfalke dann noch das Handgelenk drehte und somit seine Klingen aus Flüssigmetall durch die Eingeweide des Gezeichneten pflügte. Der sank neben dem Ritter zusammen, woraufhin dieser ihm ein Projektil in sein Gesicht schoss. Angewidert von der Schweinerei rappelte Sturmfalke sich auf und verlangte per Funk nach einem Statusbericht. „1-4 ist in Ordnung, Kommandant.“, meldete einer der Soldaten am Boden, während er sich aufrichtete. „Scheiße! Was war das? Der Typ war so schnell.“ Nacheinander trudelten die Meldungen aller weiteren Untergebenen ein, zusammen mit der Bestätigung, dass auch die letzten zwei Gezeichneten tot waren. „Sichert den Keller und meldet dem Hauptquartier unseren Erfolg!“, befahl Sturmfalke hörbar erleichtert. Die Rüstungen mochten stören, aber sie hatten seinen Leuten das Leben gerettet. „Dann findet euch in Paaren zusammen und untersucht einander auf offene Wunden. Wir dürfen kein Risiko eingehen“ Dann nahm er aus einem Anflug aus Leichtsinn den Helm ab und löste die Klammern aus seinem hochgesteckten, blonden Haar. Aus Dankbarkeit wieder frische Luft atmen zu können, tat Allen Shezar einen tiefen Atemzug. Na ja...frisch war schon immer ein relativer Begriff gewesen. Daraufhin kam eine Nachricht von der unsterblichen Seele, die in seinem Schwert gefangen war und es ihm ermöglichte die Gezeichneten aufzuspüren. Erst war er fassungslos, doch nur einen Augenblick später drosch er voller Zorn seine gepanzerte Faust gegen die Wand. Er musste alles an Selbstbeherrschung aufbringen, die er zu bieten hatte, um nicht loszuschreien. Stattdessen knirschten seine Zähne, so fest presste er sie zusammen. Einer seiner engsten Freunde und besten Kameraden war tot, ermordet von dem Mann, dessen Anwesen er gerade gestürmt hatte. Trias hatte sich bereits alle Mühe gegeben, um die Sache zwischen ihm und Allen persönlich werden zu lassen, doch jetzt hatte er den Zenit überschritten. Der Himmelsritter schwor sich, er würde nicht eher Ruhen, ehe dieses Geschwür von Gaias Oberfläche getilgt worden war. Für wenige Minuten stieg die Mordrate in Gaia auf ein ungewöhnliches Maß an. Beinahe zur gleichen Zeit, aber zur unterschiedlichsten Stunde wurden verteilt über den ganzen Globus herum Menschen im Schlaf getötet, auf offener Straße unauffällig zur Seite geschleppt und erstochen. Selbst als einige der Opfer bei ihren Familien saßen, waren sie im nächsten Moment tot, ohne dass die restliche Familie sich erinnern konnte, was geschehen war. Es starben Junge und Alte, Männer und Frauen quer durch alle Schichten. Sogar Kinder waren unter ihnen. Nur eines hatten alle Mordopfer dieser ungewöhnlichen Serie gemeinsam: Die seltsam langen Fangzähne in ihrem Mündern. Zufrieden betrachtete Trias Vans Leiche mitsamt den abgetrennten Kopf. Dieser Tag war schon längst überfällig gewesen. Zugegeben, es war ein kluger Schachzug von der Frau aus seinem Volk gewesen sich mit einem Menschen zu paaren, einem König noch dazu, und somit Nachkommen in die Welt zu setzen, die sich zu einer Gefahr für seine Pläne und vielleicht sogar seinem Leben entwickelten konnten, doch diesem Vorhaben hatte Trias nun endgültig einen Riegel vorgeschoben. Van, der letzte Nachkomme von König Goou und Varie, der Frau vom Drachenvolk, war tot. Da sich sein Volk in Zukunft wie auch die Jahrtausende zuvor auf ihrem Luftschiff verkriechen würden, stand seinen Plänen nichts mehr im Wege. Heute würde Farnelia fallen, dann ein weiterer Staat nach dem anderen. Und die Menschen würden keinen Finger rühren um ihren Nachbarn zu helfen. Dafür wollte er in seiner Rolle als Baron Trias aus Astoria, der nur knapp der nahenden Invasion in Astoria entkommen würde, höchstpersönlich sorgen. Und so spielte Trias wieder einmal seine Pläne für die Zukunft Gaias durch, die den Planeten seiner Bewohner beraubten und ihn damit in seiner Form als gedankliches Konstrukt völlig vernichten würde. Er sonnte sich im Gedanken seine Frau, eine zwangsrekrutierte Wächterin, die Ruhe zu verschaffen, die der Planet selbst ihr verweigerte. Plötzlich stach ein scharfer Schmerz durch seine Brust und Trias sank stöhnend auf seine Knie. Seine Augen starrten aufgerissen durch die Erde. Aus seinem Mund tropfte Speichel, während er ihn wegen eines lautlosen Schreis weit aufgerissen hatte. Die Erkenntnis, was seine Schmerzen verursachte, war so unerträglich wie die sich ständig wiederholenden Stiche in sein Fleisch. Seine Untergebenen, die Gezeichneten starben. Nicht nur einer, sondern viele, vielleicht sogar alle. Sie wurden zielgerichtet ermordet und Trias begriff, dass selbst ein Volk, dass er seit Jahrtausende kannte, ihn überrascht hatte. Das Drachenvolk brachte seine Schläfer um. Der Gedanke, sie konnten sich tatsächlich dazu herablassen, ihre fliegenden Stadt in so großer Anzahl zu verlassen, um den Menschen wirklich helfen zu können, war dermaßen abwegig, dass Trias selbst jetzt es kaum glauben konnte. Es musste jedoch so sein. Die Menschen konnten seine verstreuten Schläfer unmöglich selbst enttarnt haben, geschweige denn sie umbringen. Trias biss die Zähne zusammen und schleppte sich trotz der wiederkehrenden Schmerzen durch den Wald. Er hatte noch immer Farnellia und Chuzario. Die beiden Länder gehörten praktisch ihm, zusammen mit zehntausenden versklavten Menschen, von denen jeder eine Waffe war. Wenn Gaias Bewohner Krieg wollten, statt schnell und unvorhersehbar ausgelöscht zu werden, sollten sie ihren Krieg bekommen. Bei der Herrschervilla auf dem majestätischen Plateau über der Stadt hielt er inne und betrachtete den Horizont. Seine scharfe Augen erfassten die Masse an versklavten Menschen vor der Stadt. Der beste Augenblick um die Verteidiger auf der Mauer zu überraschen, war während des bevorstehenden Ansturms seines Heeres. Er musste einfach nur heimlich die Tore öffnen, während die Soldaten nur auf seine Sklaven achteten. Sie sollten von innen kaum gesichert sein. Wenigstens konnte er sich auf den gierigen Aston verlassen. Kaum hatte er ihn eine schöne Frau vor die Nase gehalten, sah der tatenlos zu, wie an seiner Grenze ein Staat ausradiert wurde. Doch Trias wurde ein weiteres Mal überrascht. Zwischen ihn und der Mauer sah er zwei paar weiße Schwingen, die rasch näher kamen. Er erkannte diese als die Art von Flügel, wie nur Nachkommen des Drachenvolkes sie hatten. Trias betrachtete verbissen das Tal vor ihm. Mit der an Anwesenheit des Drachenvolks fiel eine Einmischung seinerseits in die Schlacht von Farnellia flach. Mit den menschlichen Soldaten wäre er zurecht gekommen, seine unsterblichen Artgenossen hingegen standen auf einem ganzen anderen Blatt. Die Schmerzen waren abgeklungen und noch immer spürte er die Lebensgeister von einigen Gezeichneten, wenn auch nur noch in den bereits eroberten Gebieten in Chuzario. Begleitet von der befriedigenden Kenntnis, dass er zwar geschwächt, aber nicht geschlagen war, flüchtete Trias durch den Wald. Sein Heer von zweitausend Sklaven vor der Stadt würde Farnellia auch ohne seine Hilfe überrennen. Sechs große, schnittige Luftschiffe, die dank ihrer dunkelgrauen Lackierung an diesem Regentag kaum auszumachen waren, stürzten sich wie Raubvögel auf das Heer der Gezeichneten. Unter ihren kurzen, mit Rotoren versehenden Flügeln öffnete sich die seitlichen Wände der mehr als drei Mann hohen Flugkörper. Kurz bevor sie den Raum über den Sklaven erreichten, lösten sich erste, zylinderförmige Behälter, die über das gesamte Heer in der weißen Schlucht verstreut wurden. Als der erste Behälter einschlug, breitete sich ein Teppich aus Feuer inmitten der willenlosen Menschen aus. Dicke Rauchschwaden vernebelten von einem Augenblick auf den anderen die Schlucht und der Teppich wuchs mit jedem herunterfallenden Zylinder. Den Schiffen folgte eine Spur aus flüssigen Feuer. Der Krach der Explosionen in der Schlucht war über der ganze Stadt zu hören und versetzte deren Verteidiger auf der Mauer in Angst und Schrecken. Zu deren Entsetzen der völlig überraschten Verteidiger Farnellias setzten die Luftschiffe ihren Anfllug auf die Stadt fort. Die Hälfte der Schiffe hielten über der Mauer in der Luft, während die anderen, begleitet von Merles Guymelef, die Stadt überflog. Aus den seitlichen Öffnungen der still stehenden Schiffe fielen insgesamt anderthalb dutzend Seilenden um die Soldaten herum zu Boden, an deren Anhängen jeweils eine gepanzerte, humanoide Gestalt bis zum Boden glitt. Die Neuankömmlinge umstellten die Verteidiger Farnellias, die in Panik verharrten, zogen jedoch keine Waffen. Einer der Unbekannten nahm seinen Helm ab, woraufhin ein menschliches Gesicht mit ein paar alten Kampfspuren zum Vorschein kam. Der Mann verlangte lauthals nach dem kommandierenden Offizier, woraufhin Gesgan, ein alter, aber stattliche Krieger, hervor trat und den Gepanzerten empfing. Farnellia war gerettet und alle Beschützer der Stadt hatten den Sturm überlebt. Alle? Einer hatte sein Leben für seine Heimat gegeben. Und wurde somit unsterblich. Kapitel 41: Raum ohne Zeit -------------------------- Totenstille. Hitomi lag regungslos im weichen Bett ihres Gästezimmers. Die Wände schwiegen. Es gab keine Heizung die klapperte, kein Wasser das floss, keinen Kühlschrank der brummte, kein Radio das spielte. Die Welt stand still. An dem kalten, hellblauen Himmel jenseits der Fenster war nicht eine Wolke zu sehen. Von der brütenden Sonne des Wüstenstaats Fraids fehlte jede Spur. Statt Wind herrschte Flaute. Nicht einmal die Zeit schien sich zu bewegen. Selbst ihre Gedanken waren leer. Wo einst die Liebe ihres Lebens sie ausgefüllt hatte, klaffte ein schwarzes Loch, das alle Regungen einsog. Die Stille hielt, seitdem ihre Tränen versiegt waren und ein Kloß im Hals ihre Stimme blockierte. Mitten in diese Starre tastete sich schüchtern ein Junge vor. Scheu überwand er ihre Türschwelle. Seine Augen teilten ihre Farbe mit dem Himmel, dennoch drückten sie warmes Mitgefühl aus. Sein Haar erstrahlte im gleißenden Gelb, auch ohne die Sonne, und stellten so die schwere, goldene Krone auf sein Haupt in den Schatten. „Es tut mir Leid.“, waren seine ersten Worte, nachdem er sich bis ins Zentrum des Zimmers vorgewagt hatte. Er sprach zwar leise, aber deutlich genug, dass sie ihn hören musste. Doch sie rührte sich nicht. „Ich weiß,...“, versuchte er noch einmal zu ihr durchzudringen. „....nichts was ich sage, kann deinen Schmerz lindern.“ Dann fiel sein Blick auf das Tablett, das auf dem Nachttisch neben dem Bett lag. Langsam ging er darauf zu. Er begutachtete die perfekte Anordnung der Früchte auf dem Teller und fühlte mit der Hand die Temperatur der vollen Tasse Tee. „Du hast weder gegessen noch getrunken.“, stellte er besorgt fest. „Du quälst dich.“ Keine Reaktion. Der junge Prinz von Fraid seufzte hilflos. Er würde es wohl kaum schaffen, Hitomi aus ihrer Ohnmacht zu lösen. Vielleicht gelang es der in Farnellia zurückgebliebenen Prinzessin. Dieser Gedanke brachte ihn wieder zum eigentlichen Anlass seines Besuches. „Mein Onkel und ich, wir haben uns geeinigt.“, erklärte er eilig und legte dann eine zusammengebundene Papierrolle neben das Tablett. „Hier ist dein Exemplar des Vertrages. Ich werde Astoria ebenfalls ein Original zukommen lassen. Damit ist deine Pflicht erfüllt.“ Cid ließ seine Hände wieder sinken. Seine Schulter sackten hilflos herab. „Du hast uns verändert, weißt du?“, versuchte er erneut sie aufzubauen. „Ohne dich gäbe es jetzt Krieg in Fraid. Einen Erbfolgekrieg, der erst vorbei gewesen wäre, wenn einer der beiden Kandidaten gestorben wäre. Ganz gleich wie viele Soldaten gefallen wären, wir hätten weitergemacht. Dass es nun nicht dazu kommt, ist ganz allein dein Verdienst.“ Wieder zeigte sie keine Reaktion. „Wenn ich etwas für dich tun kann,....Ich tu alles! Ich schwöre! Du musst es nur sagen!“, flehte der Junge. Noch immer blieb sie stumm. „Bitte rede mit mir!“ „Wie?“, flüsterte sie plötzlich. „Hä? Hast du etwas gesagt?“, erkundigte sich Cid erleichtert. „Wie habt ihr euch geeinigt?“, fragte die junge Königin nun etwas lauter. Ihre Stimme triefte vor Anklagen. „Ewig seid ihr im Kreis gelaufen, habt mich hier gefesselt und meine Zeit verschwendet! Ich hätte bei ihm sein können. Wenn ihr nur früher...“ Sie ließ ihn diesen Gedanken allein zum Ende führen. „Na ja...“, stammelte der junge Herzog vor sich hin. Wie sollte er ihr erklären, dass erst ihr Verlust für die nötige Motivation bei ihm und seinen Onkel gesorgt hatte, nach Kompromissen zu suchen. Er entschied sich diesen Teil seiner Antwort zu überspringen. „Ich werde heiraten.“, verkündete er schnurgerade heraus. Statt etwas zu erwidern, starrte Hitomi ihn ungläubig an.. „Mein Onkel hat eine Tochter. Sie ist zwar schon zwanzig und Witwe, aber zugleich auch die einzige seiner Töchter, die prinzipiell frei ist. Wenn ich sie heirate, kann ich Herzog bleiben und gleichzeitig fließt das Blut der Familie meines Vaters wieder zurück in die Herrscherlinie.“, erklärte er eindringlich, als müsste er jemanden überzeugen, dass dies ein gutes Geschäft wäre. „Warum erst jetzt?“, präzisierte sie wütend ihren Vorwurf. „Wieso ist euch das nicht schon vorher eingefallen?“ „Eigentlich hatte ich nicht vor mich aus politischen Kalkül zu binden.“, warf Cid mit leiser Verzweiflung ein. „Vielmehr wollte ich mir an Van ein Beispiel nehmen. Ich wollte bei meiner Frau das gleiche Glück finden, wie mein Vater bei meiner Mutter und Van bei dir.“ Dann nahm er seinen Mut zusammen und sah der verwitweten Königen in die Augen. „Ich habe erst jetzt verstanden, dass ich meinem Volk dieses Opfer schuldig bin. Ich bin für das Leben meiner Untertanen verantwortlich und sie sollten nicht unter meinem Egoismus leiden. Zudem hat mir das Beispiel meines Vaters gezeigt, dass ich auch in einer arrangierten Ehe glücklich werden kann.“ Dann hielt er jedoch inne. „Es ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Der Mann meiner Zukünftigen war Offizier und ist bei dem Angriff der Zaibacher auf Fraid umgekommen. Sie hat ihn wohl zumindest gemocht und ist deshalb nicht gut auf mich zu sprechen.“ „Ob einem die Liebe genommen wird oder man sie nie erfährt? Mit ihr kannst du herausfinden, was schlimmer ist.“, ätzte Hitomi. „Jetzt geh!“ Cid seufzte bekümmert und trat, kleiner als er zu ihr gekommen war, den Rückzug an. Die junge Witwe sah ihm nicht nach, sondern starrte wieder die Decke an. Doch mit jeder Sekunde, die verstrich, verrauchte ihr Zorn zusehends und wurde durch die bittere Erkenntnis ersetzt, dass sie etwas Schreckliches getan hatte. Dass ein so kleiner Junge zu einem so großen Opfer bereit war...Begriff er überhaupt, was er so achtlos wegwarf? Dieses vollkommene, alles durchdringende Gefühl? Für wildfremde Menschen, die er überhaupt nicht kannte? Hitomi strich mit einer Hand über ihrem Unterleib. Plötzlich wurde sie sich der Verantwortung bewusst, die sie trug. Und sie nahm die andere Leere in ihrem Innern wahr. Ihr Blick fiel auf den kalten Tee und das bunte Obst auf dem Nachttisch. Mühsam rappelte sie sich auf, setzte sich hin und griff nach der Tasse. Cid stand nur mit Unterwäsche bekleidet in seinen Gemächern, als eine sanfte Stimme hinter ihm seine Dienerinnen bei der Arbeit unterbrach. Wareh, seine wichtigste Bezugsperson seit dem Tod seiner Eltern, protestierte, doch die Stimme ließ sich nicht abweisen. Er indes war vollkommen verunsichert. Das letzte Gespräch mit seiner Besucherin war... nun ja...nicht gut gelaufen. Aber er hatte versprochen ihr zuzuhören und sie sogar zum Sprechen aufgefordert. Außerdem verfolgte ihn der Gedanke, sie könnte recht haben. Er wusste, wie stark die Hitomi, die Königin Farnellias, wirklich war. Sie hatte schließlich ein ganzes Geschwader an Guymelefs Astorias allein außer Gefecht gesetzt. Wahrscheinlich hätte sie ihren Mann retten könne, wäre sie bei ihm gewesen und nicht hier in Fraid, um einen Frieden auszuhandeln. „Bitte geht!“, unterbrach Cid die Diskussion hinter ihm. Erst wollte Wareh widersprechen, doch er wandte sich ihr zu und sein Blick belehrte sie eines besseren. Sie versäumte es jedoch nicht, Hitomi einen rabenschwarzen Blick zuzuwerfen, für die Worte die die Königin ihrem Schützling vor wenigen Stunden an den Kopf geworfen hatte. „Es tut mir Leid.“, war Hitomis erster Satz, der aus ihr herausbrach, nachdem die Dienerinnen sie mit dem kleinen Herzog allein gelassen hatten. „Nein, mir tut es Leid.“, blockte Cid und schniefte. „Wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du Van helfen können.“ Sacht hob Hitomi sein Kinn und zwang ihn so ihr in die Augen zu sehen. „Selbst wenn ich nicht zur Schlichterin berufen worden wäre, wäre ich zusammen mit den Frauen und Kindern Farnellias nach Astoria geflohen.“, versicherte sie ihm. „Van wollte mich nicht auf dem Schlachtfeld sehen.“ Dann sank sie auf ihre Knie und umarmte ihn fest. „Du hast nichts falsch gemacht, mein kleiner Prinz.“ Sie ließ eine Ellenlänge von ihm ab und wischte mit dem Daumen die Träne von seiner Wange. „Ich bin diejenige, die sich entschuldigen muss, so wie ich dich behandelt habe.“ „Schon vergeben und vergessen.“, versprach er. Doch da er ihr nicht in die Augen sehen konnte, war Hitomi nicht überzeugt. Also musste sie nachlegen, um ihn wieder komplett aufzurichten. „Du hast doch versprochen, mir zu helfen. Tatsächlich habe ich eine Bitte an dich.“, teilt sie ihm ernst mit, woraufhin er neugierig aufsah. „Alles!“, schwor er noch einmal. Dieses Mal glaubte sie ihm. „Ich verrate dir ein Geheimnis, über das du mit niemanden reden darfst.“, gebot sie ihm und fügte hinzu: „Und ich meine mit niemandem. Selbst mit Wareh nicht. Du darfst kein Wort über diese Sache verlieren. Wer weiß, wer mithört.“ „Verstanden.“, bestätigte Cid knapp. Daraufhin lehnte sich Hitomi wieder zu ihm hin und flüsterte in sein Ohr: „Ich bin schwanger.“ Cid horchte auf und wollte gerade seiner Freude Luft verschaffen, da hielt sie ihn mit einem Finger auf seien Lippen zurück. Also beugte er sich nun zu ihr und fragte leise: „Von Van?“ Hitomi kicherte. „Von wem sonst, du Dummerchen!“, schallte sie ihn zart. „Merle wird dich dann und wann zusammen mit meinem Kind besuchen. So wirst du es erkennen. Ich möchte, dass du ihr oder ihm unauffällig ein paar erste Erfahrungen im Regieren vermittelst.“ „Unauffällig? Aber du kannst doch...“, wandte Cid erst ein, doch dann drängte sich ein anderen Gedanke vor. „Moment mal! Kommst du etwa nicht wieder?“ „Selbstverständlich komme ich zurück.“, beruhigte sie den blonden Jungen. „Ich schau so oft vorbei, wie ich kann! Aber sollte mir und Merle etwas passieren, möchte ich, dass du für das Kind sorgst. Versprichst du mir das?“ „Natürlich, aber warum sagst du solche Dinge?“ „Wart einfach ab. Mit der Zeit wirst du verstehen. Du bist jetzt der Hüter meines Geheimnisses. Solange ich lebe, darfst du es niemals preisgeben. Nicht einmal Merle gegenüber.“ „Wenn du es sagst.“, erwiderte Cid verwirrt, woraufhin sie ihm einen Kuss auf die Stirn gab. „Ich verlass mich auf dich.“, bekräftigte sie ihr Anliegen und erhob sich. „Am besten schick ich Wareh jetzt wieder rein, bevor sie sich zu viele Sorgen macht. Wir sehen uns auf dem Flugfeld.“ „Für den Abschied.“, bestätigte der junge Herzog traurig. „Keine Bange. Wir sehen uns ja wieder!“, versprach die Königin. Kapitel 42: Rückkehr der Königin -------------------------------- Bedächtig schritt Hitomi die Rampe des Luftschiffs aus Fraid hinab. Vor ihr erstreckte sich unter der Mittagssonne ein Meer aus Menschen, das sich vor der Stadtmauer Farnellias aus weiteren, klobigen Transportern ergoss. Die Schiffe ragten wie Felsen aus der Menge heraus und bildeten einen Korridor im Tal, durch den Bürger mit dem Nötigsten im Gepäck in Richtung Stadttor strömten. Die zuvor evakuierte Bevölkerung kehrte in ihre Häuser zurück und hauchte der Stadt neues Leben ein. Hitomi wünschte sich, sie könnte dieses Kunststück auch. Sie seufzte wehmütig, drückte ihr Kreuz durch und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Mitglieder der königlichen Leibwache, die sie im Gras kniend empfingen. Über jeden von ihnen konnte die junge Witwe förmlich eine kleine Regenwolke ausmachen. Ihr Blick fand den verurteilten Dieb, der seinen Dienst nur widerwillig in der Einheit verrichtete. Über fast jeden, verbesserte sie sich. Gesgan, der alte, aber stattliche Krieger, führte diese Prozession aus gebrochenen Gestalten an. Sonst hielt er sich immer aufrecht, nun jedoch hingen seine mächtigen Schultern schlaff herab. Als Hitomi vor der Truppe stehen blieb, fing er an zu sprechen: „Es tut uns Leid, euer Majestät. Wir haben versagt.“ „Steht auf und seht mich an!“, verlangte Hitomi laut, doch die Truppe kam ihren Befehl nur zögerlich nach. „Na los! Hoch mit euch!“ Nachdem sie sich endlich aufgerappelt hatten, griff Hitomi nach Gesgans breitem Kinn und zwang ihn ihr in die Augen zu sehen. „Ob ihr versagt habt oder nicht, bestimme ich, Kommandant!“, stellte die Königin eiskalt klar. „Und ich entscheide, welche Strafe euch zu Teil wird, sollte es so sein. Kommt morgen zwei Stunden vor Mittag in meine Gemächer.“ „Jawohl!“ Hitomi ließ ihren Blick ein weiteres Mal über die Anwesenden schweifen. Merle war nicht dabei. Da sich die Prinzessin in den letzten Tagen der Versuche ihrer Königin Kontakt aufzunehmen verwehrt hatte, war sie nicht überrascht. „Wo ist ihre Hoheit, Prinzessin Merle?“, fragte sie herrisch. „Ich sehe sie nicht.“ Und spüre sie nicht, fügte sie in Gedanken hinzu. „Sie hat sich ins Kuppelzimmer zurückgezogen und weigert sich herauszukommen.“, antwortete Gesgan besorgt und fügte hinzu: „Sie isst kaum und sagt kein Wort. Jeden, der ihr zu nahe kommt, jagt sie weg.“ „Dummes Mädchen!“, sagte Hitomi mehr zu sich selbst und lächelte liebevoll. „Sie kommt ohne ihren großen Bruder nicht zurecht.“ „Majestät!“, schallte Gesgan sie entrüstet, doch sein Unmut wurde von einer weiteren Anrede Hitomis abgewürgt. Die Königin wandte sich dem Offizier aus Astoria zu, der von linken Seite aus an ihr herangetreten war. „Kennen wir uns?“, erkundigte sich die Herrscherin streng. „Ich glaube nicht, dass wir einander vorgestellt wurden.“ Der Soldat sah Gesgan mit erhobener Braue an und der erbarmte sich seiner. „Majestät, ich habe die Ehre euch Niko Sander vorzustellen, kommandierender Offizier der Festung Orio und Leiter der Einsatzkräfte, die das Heer der Gezeichneten vor Stadt vernichtet haben und zur Zeit die Stadt sichern.“ „Euch habe ich also zu danken, dass Farnellia nicht gefallen ist.“, schlussfolgerte Hitomi anerkennend. „Aber dürft ihr überhaupt hier sein? König Aston hat uns seine Unterstützung verwehrt.“ „Wir sind auf Anweisung seiner Majestät hier.“, erklärte Sander, dem auffiel, dass sie ihm nicht wirklich gedankt hatte. „Er versichert euch seine Anteilnahme und die des ganzen Landes Astorias angesichts eures schmerzhaften Verlustes. Zudem bittet er um die Gelegenheit euch dies persönlich mitzuteilen.“ „Er ist herzlich eingeladen, an der Trauerfeier zu Ehren meines Mannes teilzunehmen.“, sagte die Königin zu. „Wann genau sie stattfinden wird, kann ich noch nicht sagen.“ „Seine Majestät würde sich gern so schnell wie möglich mit euch treffen.“ „Die Zeremonie wird sehr bald vollzogen werden.“ „Ihr versteht nicht, Majestät.“, erklärte der Soldat ungeduldig. Hitomis Blick gewann an Schärfe. „Er wartet in der Festung Orio auf eure Rückkehr. Er kann innerhalb weniger Stunden hier sein.“ Die Witwe ballte ihre Fäuste vor Wut, verkniff sich jedoch eine hitzige Antwort. Stattdessen resignierte sie: „Der heutige Tag gehört meiner Familie. Der Rest meiner Tage gilt Vans Erbe. Da seine Majestät überraschend eingegriffen hat, um Farnellia zu beschützen, werde ich ihn morgen bei Sonnenuntergang vor der Villa empfangen und bewirten. Alles Weitere wird sich finden.“ „Ich werde es seiner Majestät ausrichten.“, versprach Sander und verbeugte sich. Hitomi nahm diese Geste als Gelegenheit war das Gespräch zu beenden und ging die letzten paar Schritte bis zu der Kutsche, die neben der Leibgarde für sie bereit stand. Als Gesgan ihr gerade in das Gefährt half, stutze sie und nahm Sander ins Visier. „Ich kenne euren Namen.“, sagte sie mit harter Stimme. „Meine Schwägerin sprach von euch.“ „Eure Schwägerin?“, wunderte sich Sander und stieß dann ein beschämtes „Oh!“ aus, als ihm dämmerte, wen sie meinte. „Ihr solltet König Aston meine Nachricht persönlich überbringen und euch dann wieder euren eigentlichen Pflichten widmen.“, riet Hitomi ihm streng. „Sollte Merle euch hier in Farnellia zu Gesicht bekommen, kann ich nicht für eure Sicherheit garantieren.“ Dann setzte sie sich, woraufhin Gesgan auf den Bock kletterte und die Zügel in die Hand nahm. Daraufhin fuhr die Kutsche los. „Was hat er getan?“, erkundigte sich Gesgan ungewöhnlich direkt. „Er hat Merle gedemütigt.“, antwortete die Königin kurz angebunden. Sie entschied den Teil mit der versuchten Vergewaltigung durch einen von Sanders Untergebenden lieber zuverschweigen, doch ihr Gesprächspartner wusste davon. „Kam das Video, durch das Merle bekannt wurde, nicht aus seiner Festung? Ich könnte ihm unauffällig einen Unfall auf einer Treppe zukommen lassen.“, schlug der Krieger eifrig vor. „Nein!“, verbot sie es ihm entschieden. „Er soll einfach nur gehen.“ Langsam quetschte das Gefährt sich zwischen den Heimkehrern durch. Die Leute machten den Pferden nur unwillig Platz. Es dauerte eine Weile, doch kurz bevor sie das Tor passierte, erkannte einer der Anwesenden die Passagierin und rief laut ihren Titel. Daraufhin kamen andere Stimmen hinzu und die Masse um die Kutsche herum verdichtete sich so sehr, das ein Fortkommen unmöglich wurde. Hitomi seufzte und erhob sich behäbig in ihrem ausladenden Diplomatengewand. Im Stillen ermahnte sie sich selbst, dann streckte sie ihren Rücken zu voller Größe. „Bürger Farnellias!“, rief sie die Menge aus teils verzweifelten, teils ungläubigen Gesichtern an, aus deren Mündern unzählige Fragen quirlten, auf die es aber nur eine Antwort gab. „Ja, es stimmt. König Van ist im Kampf gefallen.“ Die Menge durchzog ein Raunen, begleitet von vereinzelten Aufschreien. „Ich stehe in tiefer Trauer um meinen teuren Gatten vor euch und teile euren Schmerz. Sein Verlust wird Farnellia verändern. Vor uns alle liegt ein langer Weg, steinig und steil.“ In das folgende Versprechen legte Hitomi all ihre Zuversicht und Sicherheit, die ihre Vorhersagen so glaubhaft werden ließen. „Doch verzagt nicht! Eines Tages wird ein gleißendes Licht der Hoffnung über euren Häusern scheinen. Dann wird sich der Drache Farnellias wieder erheben.“ Sie ließ die Aussage für einen Moment sacken, ehe sie fortfuhr: „Bis dahin werden wir durchhalten. Die Stadt ist in den letzten Jahren einmal zerstört worden. Ihr habt sie wieder aufgebaut. Dieses Mal konnte die Vernichtung eurer Häuser und eurer Leben abgewendet werden, aber nur dank Hilfe von außen und diese hat ihren Preis.“ Wieder legte sie eine dramatische Pause ein: „Ich werde ihn bezahlen!“ Sie ließ einen weiteren Augenblick verstreichen. Dann appellierte sie an die Zuhörer: „Bitte kehrt in eure Häuser zurück und nehmt euer Leben in der Stadt wieder auf. Nicht nur das Wohlergehen eurer Familie hängt von eurem Einsatz ab. Wir mögen unseren König verloren haben, aber wir sind am Leben! Und wir schulden es König Van, mit all unseren Einsatz jeden Tag das Beste daraus zu machen.“ Die Witwe setzte sich demonstrativ und reagierte nur noch auf Fragen der unmittelbaren Umgebung. Mehr als vage Versprechen konnte sie jedoch nicht geben. Erst als die Leibwache hinzu kam und die Leute mit ihren Speerschaften aus dem Weg trieb, kam die Kutsche weiter voran. Nach einer kleinen Ewigkeit, in der sie bis kurz vor die Villa gekommen waren, kommentierte Gesgan Hitomis Rede: „Majestät, ihr wisst, dass nur ein Erbe mit dem Blut der Könige Escaflowne benutzen kann?“ „Ich weiß.“, antwortete die Königin listig. Gesgan wandte sich ihr verwundert zu, doch ihre Augen rieten ihm, das Thema fallen zu lassen. „Ihr werdet schon wissen, was ihr tut.“, sagte er, doch seine Aussage klang mehr nach einem Gebet als nach einer Feststellung. Er zügelte die Pferde vor dem Haupteingang der Villa und kletterte gemächlich den Bock runter. „Habt Vertrauen!“, forderte Hitomi standhaft, während sie gestützt durch seine Hand die Kutsche verließ. „Wenn ihr mir nicht vertrauen könnt, dann vertraut wenigstens Merle!“ „Sehr wohl, eure Majestät.“, versicherte Gesgan förmlich. „Es wird das beste sein, ich bringe euch zu ihrer Hoheit.“ „Bitte.“, bestätigte die Königin seine Absichten. Ihr fiel auf, dass niemand auf sie wartete, um sie empfangen. Selbst im Hofstadt herrschte also Chaos. Ein Chaos, das sie bis morgen Abend beseitigt haben musste. Sonst würde sie selbst den Kochlöffel für Aston schwingen müssen, was ohne Frage ein diplomatisches Disaster zur Folge haben würde. Die Königin ließ sich durch das menschenleere Foyer bis zu ihren Gemächern führen. „Sie ist hier?“, fragte sie überrascht. „Niemand konnte oder wollte mir erklären, warum sie überhaupt auf dem Schiff eingesperrt war, also ließ ich sie nach der Schlacht frei. Sie war in einem verwahrlosten Zustand. Ich brachte sie wie euch zur Villa, doch anstatt sich in ihren Räumlichkeiten umzuziehen, ging sie ins Kuppelzimmer und ist seitdem nicht mehr herausgekommen.“ „Danke, Kommandant, für alles!“, äußerte sich anerkennend. „Wo ist mein Mann?“ Gesgan antwortete zögerlich: „Sein Leichnam wurde nach der Präparation auf ein Feldbett in der Übungshalle gelegt.“ „Ist das üblich?“, erkundigte sich die Königin. „Nein, normalerweise hätte sein Körper in seinem Bett oben im Kuppelzimmer gelegen, bis er öffentlich verbrannt wird, aber das hat Merle schon besetzt. Wir hätten zwar ein Gästebett nehmen können, aber in der Übungshalle hat sich seine Majestät am liebsten aufgehalten.“ „Das stimmt.“, bestätigte sie. „ich habe noch eine Bitte, Kommandant.“ „Ich höre.“ „Findet bitte wenigstens ein paar der Bediensteten und schickt sie hierher! Sie müssen für morgen Abend ein angemessenes Mahl für bis zu zehn Personen zaubern und bis dahin unser bestes Gästezimmer herrichten.“ „Nur eines?“, hakte Gesgan nach. „So viele, wie sie schaffen.“, justierte Hitomi nach. „Ich werde mich auch persönlich bei ihnen bedanken.“ „Ich kümmere mich darum.“, bestätigte der alte Offizier und eilte davon. Hitomi indes atmete tief durch und öffnete die Tür zu den königlichen Gemächern. Sie betrat Vans Arbeitszimmer, das einen Ausblick auf die Dächer der Stadt ermöglichte, der nur noch vom Kuppelzimmer übertroffen wurde. Erstaunt stellte sie fest, dass sein Schreibtisch besetzt war. Allens kleine Schwester Serena saß in seinem Stuhl, den Blick auf die Stadt gerichtet. Als de Königin sie ansprach, sprang sie auf. „Hitomi!“, rief sie verlegen aus. Das Bedienstetenkleid stand ihr. Sie rang jedoch sichtlich mit sich selbst, als wüsste sie mit der Situation nichts anzufangen. Nein, sie weiß mit mir nichts anzufangen, begriff Hitomi, die sich sehr wohl bewusst war, wie sehr Dilando sie gehasst und wie sehr Serena sie seit ihrem Besuch in Pallas ins Herz geschlossen hatte. Jetzt, da die beiden eins waren, mussten sie auch in ihrem Fall zu einer Entscheidung kommen. Da die junge Frau vor ihr sich nicht rührte, lautete der Kompromiss wohl, gar nichts zu tun. Die Königin wusste es jedoch zu schätzen, dass jemand sie endlich wieder mit ihrem Namen angesprochen hatte. „Ist Merle oben?“, fragte sie, um die Stille zu brechen. „Ja, sie igelt sich ein.“, berichtete Serena zaudernd. „Ich bringe ihr regelmäßig Essen und Trinken. Ich versuche auch mit ihr zu reden, aber sie schickt mich jedes Mal wieder weg.“ „Darf ich es versuchen?“, bat Hitomi sanft. Wieder zögerte Serena und geriet in einen Zwiespalt. Schließlich nickte sie und flehte:„Bitte! Tut euer Bestes! Ich bin nicht zu ihr durchgekommen. Ich glaube nicht einmal Allen könnte es. Aber wenn ihr es schafft, bin ich…ich meine...“ „Wenn ich es schaffe, fangen wir beide auch noch einmal von vorne an.“, verkündete die Königin freundlich. „Einverstanden?“ „Ja.“, bestätigte Serena erleichtert. „Wenn ihr es schafft, wäre ich…Ihr würdet meinem Bruder einen riesen Gefallen tun und damit auch mir.“ Hitomi krauste verwirrt die Stirn. Serena schien von ihrem Bruder so abhängig zu sein, wie Merle von Van. Wie wurden die Mädchen hierzulande nur erzogen? Mit dieser Frage würde sie sich definitiv noch beschäftigen müssen, aber die Herrscherin legte sie unter wichtig und nicht dringend ab. Vorerst wandte sie sich der schmalen Wendeltreppe zu, die in das Kuppelzimmer führte. Es galt etwas zu erledigen, das wichtig und dringend war! Kapitel 43: Gemeinsamer Abschied -------------------------------- Vorsichtig lugte Hitomi aus dem oberen Ausgang der Wendeltreppe in das dunkle Kuppelzimmer, dem höchsten in Raum in ganz Farnellia. Das Zimmer füllte die Halbkugel auf der Herrschervilla von innen aus, wobei eine breite, senkrechte Fensterfront in Richtung der Stadt die runde Form unterbrach. Von der Stadt war jedoch nichts zu sehen, da die Vorhänge zugezogen waren. Vor ihnen kauerte Merle auf dem kalten Steinboden. Einigeln traf ins Schwarze, fand Hitomi, angesichts der jungen Frau, die ihre kräftigen Beine fest an sich presste und ihren Kopf zwischen ihren Knien vergrub. Die Witwe lächelte traurig. Auch wenn diese stolze Kriegerin es nicht wahrhaben wollte, sie war halt doch noch ein kleines Mädchen, das in den Arm genommen werden wollte. Behutsam ging sie auf Merle zu. Vor ihr fiel der Königin das Tablett mit dem leeren Teller und der leeren Tasse auf. Das Mädchen war stärker als sie, so viel war sicher. Sie ließ sich langsam neben der niedergeschlagenen Prinzessin nieder, welche noch immer dasselbe Kleid zu trug, mit der sie ihren Bruder vor der Schlacht überrascht hatte. Es war völlig zerrissen. Gewaschen oder geputzt hatte Merle sich seitdem auch nicht mehr, doch Hitomi schaffte es ihre Reaktion darauf auf ein kurzes Zucken der Nase zu beschränken. Sanft stupste die Schulter der Königin an die Schulter ihrer Schwester im Geiste. Merle ließ sich davon nicht aus ihrem Bau locken, also schlang Hitomi einen Arm um sie und zog sie zu sich heran. Das Mädchen leistete keine Gegenwehr und so ruhte ihr Kopf auf dem Schoß ihrer Schwägerin. Eine Hand der Witwe spielten mit dem rosa Haar des Mädchens, während die andere über das Fell ihres Rücken strich und es kraulte. Sie legte all ihre Zuneigung in die Wagschale, als sie sich liebevoll erkundigte: „Wie geht’s meinem süßen Mäuslein?“ „Beschissen!“, krächzte Merle verlegen, die ihren Griff um Hitomis Knie verstärkte. „Er ist nicht hier!“ „Das stimmt leider.“, seufzte Hitomi und legte ihre Kopf zurück, so dass ihr Blick an dem Himmelsgewölbe haftete, das die Kuppel von innen auskleidete. „Aber er ist noch immer da.“ „Van ist tot!“, fuhr Merle sie an. „Wo zum Henker soll er denn sein?“ „In deinem Herzen.“, antwortet Hitomi sanft. „Und dort wird er sein, wann immer du ihn brauchst.“ „So‘ne gequirlte Scheiße!“, brach es aus dem Mädchen heraus. Ungeachtet ihrer Reaktion packte sie die Beine ihrer Vertrauten nur fester. „Er ist tot! Verstehst du, Hitomi? Tot!“ „Ich verstehe durchaus, Merle.“, versicherte sie ruhig. „Aber er lebt in all deinen Erinnerungen. In ihnen lacht er, weint er. Dort redet er mit dir, spielt mit dir und kämpft für dich. Und wenn du ihn so in deinem Herz bewahrst, wird er immer für dich da sein.“ Die Königin schloss ihre Augen und dachte an ihre Begegnung mit Van im See. Sie entsann sich an das Feuer, das in beiden gebrannt hatte. „Ein Mensch lebt solange, wie sich jemand an ihn erinnert.“, erklärte sie einfühlsam. „Deswegen streben Krieger so sehr nach Heldenruhm. Sie wollen, dass man sich bis in alle Ewigkeit an sie erinnert.“ „Das ist doch beknackt!“, beschwerte sich Merle. „Die meisten sterben einsam und verrotten dann in einem Massengrab.“ „Und sie lassen ihre Liebsten zurück.“, stimmte Hitomi zu. „Ihren Familien laden sie die Bürde auf, ohne sie klarzukommen und die Erinnerungen an sie lebendig zu halten. Aber manchmal haben sie keine Wahl. Van würde es mit Sicherheit vorziehen, jetzt bei uns zu sein statt dem Weg des Kriegers zu folgen.“ „Ist er wirklich tot?“, schniefte das Katzenmädchen. „Ja, leider. Ich wünschte, es wäre anders.“, bestätigte die Königin schweren Herzens. „Aber kannst du ihn nicht wiedererwecken?“, fragte Merle mit leiser Hoffnung. „Du hast ihn schon mal zurückgeholt! Verdammt, mit deinem Stein könntest du sogar die Zeit zurückdrehen und es verhindern!“ „Ja, ich könnte.“, antwortete die Königin bedächtig. „Aber das würde ein Opfer von mir verlangen, dass ich zu geben nicht bereit bin.“ Da stemmte sich Merle hoch und starrte Hitomi wütend an. „Was für ein Opfer soll das sein?“, brauste sie auf. „Wir reden hier von Van! Deinem Ehemann! Deinem König!“ „Mein Leben.“, antwortete die Witwe verzweifelt und flüsterte Merle ins Ohr: „Und damit auch das Leben seines Kindes.“ „Sein Kind?“wunderte sich Merle, dann wurden ihre Augen groß. „Du bist schwanger!“ „Ja, bin ich.“, bestätigte sie strahlend, während sie Merles Kopf herzte, der Stirn an Stirn an ihrem eigenen ruhte. „Deswegen brauche ich dich, kleine Schwester! Du wirst bald eine große Tante sein.“ „Van lebt also wirklich noch.“, freute sich Merle leise und berührte Hitomi Bauch. „In unseren Herzen, Merle!“, schallte Hitomi sanft. „Das Kind hat sein eigenes Leben.“ „Ich werde wahrscheinlich immer Van in ihm sehen, egal ob es ein Mädchen oder Junge wird.“, wandte Merle melancholisch ein. „Merle!“, mahnte die Königin, doch ihr Lächeln verriet sie. Das Mädchen schmunzelte für einen Augenblick, dann fragte sie scheu: „Kann ich ihn sehen?“ „Van?“, erkundigte sich Hitomi, woraufhin das Katzenmädchen nickte. „Aber natürlich!“ „Aber was ist, wenn…“, stotterte Merle und brach ab. „Solltest du die Kontrolle verlieren, halte ich dich auf.“, versprach Hitomi. „Aber bevor ich dich zu ihm bringe, musst du dich waschen und umziehen. So wie jetzt kannst du ihm nicht unter die Augen treten.“ „Als ob er mich jetzt noch riechen könnte.“, prustete Merle. „Da wäre ich mir nicht so sicher.“, konterte Hitomi spitz. „Du stinkst zum Himmel.“ Das Mädchen kicherte. Es war ein heller, reiner Klang, der das Herz der Königin ein Stück weit wieder füllte. „Na gut.“, erklärte Merle sich bereit. Sie fixierte mit ihrem Blick die Bodenplatte, unter der die Wanne im Kuppelzimmer verborgen war. „Aber nur wenn du mit reinkommst.“ „Ich soll in deinem Dreck baden?“, blaffte Hitomi künstlich. „Glaub mir, das ist angenehmer.“, meinte Merle und fügte neunmalklug hinzu: „Mich von außerhalb der Wanne zu waschen, wird mühselig, da du keine gute Möglichkeit hast dich zu setzen.“ „Ich soll dich waschen!?“wiederholte die Königin baff. Die Prinzessin erwiderte mit großen, runden Augen, wie nur Katzensäuglinge sie haben konnten: „Alleine kann ich kleines Mädchen das doch nicht.“ „Es wird eng werden.“, warnte Hitomi, als sie aufstand und Merle mit hochzog. „Als Kinder haben Van und ich oft zusammen gebadet.“, erzählte sie zaghaft. „Sieh es als eine Art Adoptionsritus.“ „Schwestern?“ „Schwestern!“ „Eine Hand wäscht die andere. Einverstanden?“, bot Hitomi an. Das Katzenmädchen lächelte dankbar. Die Königin zögerte einen letzten Moment, dann schob sie Merle behutsam den breiten Träger ihres Kleids von der Schulter. Darunter trug die junge Frau ein geschnürtes, schulterfreies Hemd und ein breites Höschen. Nachdem sie Merle auch die Unterwäsche ausgezogen hatte, streifte sie ihr Diplomatengewand ab und präsentierte Merle ihren Rücken. Diese knüpfte die Knoten auf und lockerte die Bänder, so dass Hitomi ebenfalls aus ihrem Kleid schlüpfen konnte. Die beiden wiederholten die Prozedur bei Hitomis Unterkleid. Schlussendlich standen beide sich völlig offen gegenüber. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Während Hitomi Lappen, Wolltücher und Seife aus den in der Wand verborgenen Schränken holte, entfernte Merle die Bodenplatten über der Wanne. Ein Tuch breitete Hitomi neben der Wanne aus, die anderen Utensilien platzierte sie strategisch auf dieses. Merle wollte schon den Hahn aufdrehen, da hielt Hitomi sie zurück. „Serena, bist du noch da?“, rief sie laut. Zunächst kam keine Antwort, doch dann streckte sich ein Kopf wie von Geisthand durch den Grund. Der zugehörige Körper folgte sogleich und so erschien Serena vor der Wendeltreppe. „Ich bin hier.“, erwiderte Allens Schwester mit fester Stimme. Erleichtert stellte sie fest, dass Merle sich buchstäblich aus ihrer verkrusteten Hülle befreit hatte. Oder wenigstens dabei war, es zu tun. „Kannst du uns bitte etwas zu essen und zu trinken holen.“, bat Hitomi mit dem gleichen Blick, den Merle zuvor bei ihr angewendet hatte. „Darf ich mit euch baden?“, schoss es aus Serena zurück. Die Königin und die Prinzessin sahen sich vielsagend an, dann lehnte Hitomi bedauernd ab: „Tut mir wirklich Leid, Serena, aber das hier ist ein Gespräch unter Schwestern. Merle wird sich morgen bei dir revanchieren. Versprochen!“ Merle sah Hitomi verdattert an, doch die erwiderte ihren Blick mit hochgezogenen Augenbrauen. „Ich bin sofort wieder da.“, sicherte Serena zu und verschwand. „Du machst ein Versprechen und ich muss es halten?“, beschwerte sich Merle leise. „Seit sie wach ist, hat sie sich rührend um dich gekümmert.“, wies Hitomi sie sacht zurecht. „Das mindeste, was sie verdient, ist ein Bad unter Schwestern.“ „Ach, du hast ja Recht, aber bei ihr weiß ich wirklich nicht, ob ich soweit bin.“ „Gilt dein mangelndes Vertrauen ihr oder Allen?“ „Beiden.“, entschied Merle nach einer langen Atempause, die Hitomi nutzte um dem heißen Wasser mit ein paar Handumdrehungen freie Bahn zur Wanne zu lassen. „Ich fühl mich bei beiden nicht so sicher.“ „Obwohl du dich von Allen im Arm hast tragen lassen und mit ihm das Bett geteilt hast?“, wandte sie ein. „Du hast recht.“, realisierte das Katzenmädchen erstaunt. „Das war ziemlich dumm.“ „Und so romantisch!“, ergänzte Hitomi schwärmend. „Komisch. Hat sich gar nicht so angefühlt.“, sagte Merle nachdenklich. „Es war eher normal.“ Die Königin bot ihrer Schwester ihre Hand an, woraufhin beide in die Wanne stiegen und sich von dem langsam steigenden Nass fangen ließen. Merle lag mit dem Rücken zu Hitomi und ergab sich ihrer Umarmung. Beide genossen die behagliche Wärme, die von der anderen ausging und selbst durch die Hitze des Wassers zu spüren war. „Wie fühlst du dich?“, erkundigte sich Hitomi sanft. „Normal.“, antworte Merle entspannt. „Aber auch Spur weit magisch, oder?“ „Ja.“ Was folgte war ein inniges Gespräch unter vier Augen und eine Reihe von Gesten tiefster Verbundenheit. Während die beiden Schwestern sich gegenseitig vom Staub der Welt befreiten, tauschten sie ihren tiefsten Gedanken aus. Diese dichte Atmosphäre der Zweisamkeit wurde nur kurz durch Serena unterbrochen, die Hitomis Bitte nachgekommen war, sich aber rasch wieder zurückzog. Schließlich saßen sich die beiden Frauen im lauwarmen Wasser gegenüber, während sie sich peinliche Geschichten aus ihren Kindertagen erzählten. Plötzlich wurde Merle jedoch still und begutachtete mit traurigen Lächeln Hitomis Bauch. „Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben.“, beichtete Merle bedrückt. „Van ist fort und ich hatte nichts mehr, das mich am Leben hielt.“ „Männer sind nicht alles im Leben, Merle.“ „So? Bis auf ihn hab ich nichts. Nun, ich hatte nichts, bis du mit deiner frohen Kunde kamst. Van hat uns etwas hinterlassen!“ Hitomi seufzte. Diesem Mädchen musste noch immer geholfen werden. Erst recht, da ihr schon fast die Tränen in den Augen standen. Begleitet von plätschernden Wasser raffte sich die Königin auf und forderte ihr Schwester auf: „Komm Merle! Lass uns nach Van sehen!“ Die beiden trockneten sich gegenseitig ab und halfen sich beim anziehen, wobei sie wieder die verborgenen Schränke plünderten. In zwei schlichten Kleidern schritten sie durch die leeren Flure der Villa zur Übungshalle. Als sie endlich vor deren Eingang standen, blockierte ein mächtiger Klos Merles Hals, der sie am Eintreten hinderte, doch Hitomi griff nach ihren Schultern und führte sie langsam herein. Vans Leiche lag zwar auf einem einfachen Feldbett in der schmucklosen, holzbraunen Halle, war jedoch reich gewandet und mit einem kunstvoll verzierten Lacken zugedeckt. Der hohe Kragen seiner Kleidung verbarg das dicke Garn, das seinen Kopf mit dem Köper verband. Sein Haar war gepflegt und gekämmt. So wie er da lag, hätte er genauso gut schlafen können. Merle brach endgültig zusammen. Ihre Trauer fegte wie ein Wintersturm durch sie hindurch, der alles in ihr zu gefrieren drohte. Für einen Augenblick wünschte sie sich, Trias Falle würde ein weiteres Mal zuschnappen und ihr das Bewusstsein abnehmen, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen sackte sie über Vans leblosen Körper zusammen und weinte. Hitomis warme Präsenz blieb an ihrer Seite und so flossen ihre Tränen ohne Unterlass. Kapitel 44: Angetreten ---------------------- Hitomi erfreute sich an Merles und Serenas hellen Gelächter, was aus dem Kuppelzimmer über die Wendeltreppe zu ihr in Vans Arbeitszimmer drang, während Sie am späten Morgen über die internationale Korrespondenz der vergangenen Tage brütete. Es waren eine Menge Kondolenzbriefe eingegangen, von denen aber eine erdrückende Mehrheit nur aus leeren, sich ständig wiederholenden Worthülsen bestanden. Lediglich aus wenigen Ausnahmen konnte die Witwe ehrliche Anteilnahme herauslesen. Allen fand wie immer die richtigen Worte sie zu trösten und erkundigte sich anschließend nach Merles Befinden. Dryden verknüpfte seine Trauer mit Geschichten aus alten Tagen und bot zugleich Unterstützung für die Zukunft an. Cid hatte es sich nicht nehmen lassen ihr einen Brief zu schreiben, obwohl er während Vans Tod an ihrer Seite gewesen war. Sophia, die ihr Handwerk als Herrscherin Chuzarios bei Van gelernt hatte, bot sich ihrerseits nun als Lehrerin an und versprach eine sichere Bleibe in harten Zeiten. Von Milerna, die nun schon seit Wochen verschwunden war, war kein Schreiben gekommen, was Hitomi nur noch mehr beunruhigte. Dafür lag aber ein Brief von ihrer großen Schwester Eries bei, in dem sie an die Stärke der Königin Farnellias appellierte. Ihr Vater Aston hatte ebenfalls nicht geschrieben. Den erwartete Hitomi aber auch zum Abendessen, zu dem er sich quasi selbst eingeladen hatte. Die Witwe entlud ihren Frust mit einem Seufzer. Der König Astorias fiel wie ein Geier im Sturzflug über Vans Hinterlassenschaften her. Aber Verständnis war für internationale Politik sowieso ein Fremdwort. So viel konnte sie aus dem Haufen Papier vor ihrer Nase schließen. Jemand klopfte behutsam, fast schon schüchtern an ihre Tür. Froh darüber, etwas anderes als Buchstaben sehen zu können, ließ Hitomi den Schreibtisch ihres Mannes hinter sich und öffnete die Tür. Vor ihr stand Gesgan der kolossale, in die Jahre gekommene Kommandant der königlichen Leibwache. Eigentlich überragte er die junge Frau vor sich um mehr als eine Kopflänge, aber heute erschien er ihr kleiner als sie selbst. „Guten morgen, Majestät.“, begrüßte er sie förmlich. „Ich melde mich wie befohlen.“ Sie wollte seinen Stolz umgehend wieder gerade biegen, da quiekte Merle oben im Kuppelzimmer und es war ein Plätschern zu hören. „Lassen sie uns ein Stück gehen.“, schlug die Königin verlegen vor, woraufhin sie in den Flur hinaustrat und hinter sich die Tür schloss. Statt an ihrer Seite zu bleiben, trottete Gesgan hinter ihr her. Die beiden wechselten nicht ein Wort, während sie durch die verwaisten Gänge der Villa auf den planierten Garten zusteuerten, der den kleinen Regierungssitz umschloss. Als sie schließlich das Gebäude durch einen Nebeneingang verließen, entfuhr Hitomi wieder einmal ein leises Wimmern. Wo einst Blumen und Sträucher Wege vorgezeichnet hatten, war nur noch eine dreckige Ebene, die Merle vor der Schlacht als Truppenübungsplatz gebraucht hatte. „Erzählen sie!“, befahl die Königin wehmütig. „Wie war Vans letzter Tag?“ Jetzt schien Gesgans Berufung vor seinem Einstieg in die königliche Leibwache durch. Bis ins letzte Detail berichtete der ehemalige zaibacher Spion von dem Tag, an dem ihr Mann starb, während sie über den Platz schlenderten. Er beschrieb ihr, wie Van sich in die Lüfte erhoben hatte und so seinem Volk für immer entschwunden war. Danach beschrieb er das Eintreffen der Truppen Astorias und ihre zielstrebige Besetzung Farnellias. „Besetzung?“, hakte Hitomi scharf nach. „Nennt es, wie ihr möchtet, Majestät.“, rechtfertigte sich Gesgan. „Ihre Soldaten halten das Tor und die Mauer, patrouillieren in den Straßen und kontrollieren das Flugfeld. Nur vom Regierungssitz haben sie sich bisher ferngehalten.“ „Wenn es zum äußersten käme, wie könnten wir sie wieder loswerden?“ Der Krieger überlegte laut: „In ihren Rüstungen ist selbst die Infanterie für unsere einfachen Waffen praktisch unerreichbar. Mit ihren Schiffen und Bomben könnten sie jeden Unruheherd in Asche legen. Da hilft es nicht fiel, dass sie uns zahlenmäßig nur doppelt überlegen sind.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Den König während dem Abendessen als Geisel nehmen und Forderungen stellen. Das wäre unsere einzige Möglichkeit mit den Mitteln, über die wir verfügen.“ „So wie Astons Stand in Astoria ist, würden ihre Soldaten die Villa stürmen und ihn gleich mit umbringen, natürlich versehentlich.“, spann Hitomi den Faden trocken weiter. „Ich hoffe, ihr habt eine bessere Idee, euer Majestät.“ Doch Hitomi ignorierte seinen Appell. Jetzt sollte ihr Schauspiel beginnen. „Erzählt mir von Vans Leibgarde!“ „Es ist die einzige militärische Einheit, die sich als solche Bezeichnen kann. Farnellia verfügt zwar auch über Wachen, aber ihre Anzahl ist wie Ausrüstung. Ungenügend.“ „Kommandant, die Leibwache.“, erinnerte sie ihn streng. „Wie ihr wünscht.“ Gesgan rang nach Worten. „Zusammen mit Merle sind wir ein halbes dutzend Leute. Wir verfügen über moderne Ausrüstung, wie zaibacher Kommunikationstechnologie und einem Luftschiff.“ „Das ihr nur erbeuten konntet, weil ich unfreiwillig als Lockvogel hergehalten habe.“, ergänzte die Königin ungehalten. „Richtig.“, bestätigte Gesgan und fuhr fort. „Natürlich fehlt es uns an Leuten. Meist konnte nur ein einzelner Mann König Van bewachen. Manchmal war nicht einmal das möglich, weil wir durch Aufgaben vereinnahmt wurden, die die Stadtwachen nicht bewältigen konnten.“ „Wie dem Aufspüren eines Schmugglerrings?“ „Oder des Ausstellers eures Kopfgeldes.“ „Wer sind die restlichen Mitglieder? Es ist doch ein verurteilter Dieb dabei.“ „Er hat versucht in die Villa einzubrechen und hat sich dabei äußerst geschickt angestellt. Euer Gatte hatte ihn die Stelle als Alternative zum Galgen angeboten.“ „Van hat Todesurteile verhängt?“, wunderte sich Hitomi. „Nein.“, dementierte Gesgan. „Wann immer sich das Volksgericht seit der Krönung seiner Majestät für diese Strafe entschieden hatte, hat er eine Alternative vorgeschlagen und durchgesetzt.“ Er hat es für mich getan, erkannte Hitomi betrübt. Der Punkt Todesstrafe Abschaffen stand nun ebenfalls auf ihrer Agenda. „Gut und schön.“, sagte Hitomi ganz auf ihre Rolle der gefühllosen Herrscherin bedacht. „Kommandant Gesgan, ihr seht sicher ein, dass ich meine Sicherheit nicht einer Leibgarde anvertrauen kann, die bei meinem teuren Ehemann so kläglich versagt hat.“ Gesgan ließ sich nichts anmerken, doch innerlich wurden seine schlimmsten Befürchtungen Realität. Bisher hatte er seine Herrin als eine feste, gutmütige Seele erlebt, doch der Verlust eines geliebten Menschen konnten die wärmsten Herzen zu Eis gefrieren lassen. Er hatte ein und dieselbe Geschichte schon bei vielen Frauen gefallener Kameraden erlebt. Allerdings waren diese nie in der Position gewesen, sich zu rächen. Nun musste er um seine Einheit fürchten. Die Königin fuhr fort: „Ihr habt zugelassen, dass euer König sich allein auf den Weg machte und allein starb. Wie entschuldigt ihr euer Versagen?“ „König Van gab mir klare Anweisungen! Es war eine Notsituation!“, verteidigte Gesgan sich und seine Männer. „Außerdem habt ihr bei eurem Besuch in Palas ebenfalls eure Leibwächter weggeschickt!“ „Parn und Torren, ja.“, entsann sich Hitomi und rechtfertigte sich: „Ich war jedoch bei der königlichen Leibwache Astorias in guten Händen. Übrigens, sind die beiden noch in Farnellias Diensten?“ „Der König und die Prinzessin fanden es nicht richtig, dass die beiden für ein Land sterben sollten, dass nicht ihr eigenes war, und haben sie zurück nach Chuzario geschickt.“ „Sehr gut.“ sie rümpfte hochwohlgeboren die Nase „Dort können sie bleiben.“ „Und was soll mit dem Rest von uns geschehen?“, erkundigte sich Gesgan, der das Gespräch so satt hatte. „Euer Dienst ist doch auch eine Alternative zum Galgen, nicht wahr?“ Der ehemalige Spion aus Zaibach hielt es für zwecklos zu antworten. „Ich werde ganz gewiss nicht mit dem Morden anfangen.“, schwadronierte Hitomi mit der Nasenspitze in der Luft. Zugegeben, sie kam sich dabei ein bisschen lächerlich vor. „Die Leibgarde wird aufgelöst. Ihr und der Dieb werdet aus Farnellia verbannt. Alle regulären Soldaten der Leibwache werden der Stadtwache beitreten.“, verkündete die Königin ihr Urteil. „Mit sofortiger Wirkung?“, hakte der Krieger matt nach. Hitomi tat, als müsste sie überlegen, doch selbst diesen Punkt hatte sie letzte Nacht zurechtgelegt. „Nein, ihr dürft der Asche meines Mannes als Ehrengarde den letzten Dienst erweisen.“, antworte sie betont großzügig. Auch wenn sie such unausstehlich verhalten musste, diese Art des Abschieds konnte sie den Männern nicht verweigern. Dann aber wurde sie bewusst eine Spur gehässig. „Nach König Vans Beerdigung werden die Mitglieder der Leibwache, die keine Verbrecher oder Prinzessinnen sind, eben diese nach Chuzario eskortieren. Merle wird dort ihren Urlaub verbringen. Auf unbestimmte Zeit. Ihr und der Dieb könnt eure Wege gehen.“ „Das kann nicht euer Ernst sein!“ Der alte Krieger war fassungslos. Das Verhalten seiner Königin ging über Rache hinaus. Sie vollzog einen Staatsstreich. „Ihr könnt Merle nicht einfach aussperren!“ „Ich kann! Sie hat mir ihre Treue geschworen, so wie ihr, Kommandant. Muss ich euch daran erinnern?“ „Nein, müsst ihr nicht.“, gab Gesgan Zähne knirschend zu Protokoll. „Aber ihr macht einen Fehler. Merle verfügt über großen Rückhalt in der Bevölkerung. Selbst ihr habt mir gestern noch gesagt, ich solle mich auf sie verlassen.“ Die junge Frau fluchte innerlich und verlor so einen Augenblick ihre Maske. Das kam davon, wenn man Pläne buchstäblich in der letzten Minute vorziehen musste. Aston hätte ihr wenigstens ein paar Wochen geben können. Doch ihr kam die rettende Idee. „Das war vor meinem Gespräch mit Merle.“, behauptete sie steif. „Sie war bis gestern völlig aufgelöst. Statt ihre Königin und ihren König im Reich würdig zu vertreten, hat sie sich seit Vans Tod wie ein kleines Mädchen die Augen ausgeheult!“ „Sie ist ein Mädchen!“, konterte Gesgan brüskiert. „Dann kann sie meinetwegen ein Mädchen bleiben!“, erwiderte Hitomi laut. Auf dem Hof wurden nun die zwei Wachen vor der Villa zwangsläufig zu Zeugen des Gesprächs, was der Königin gelegen kam. „Sie hatte ihre Chance und hat sie verstreichen lassen. Ich will sie nicht in meiner Nähe!“ Mit ihrem Kopf in den Wolken stolzierte sie in die Villa, während die Männer auf dem Hof ihr ungläubig nachsahen. Kapitel 45: Pläne für die Zukunft --------------------------------- Hitomis Herz schlug bis zum Hals, ihr war speiübel und ihre Beine zitterten in ihren schmalen Schuhen wie Espenlaub, während eine Dienerin ihr das Unterkleid anlegte. Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen über das Land und signalisierte damit auch den endgültigen Untergang der guten, alten Zeit. Es sollte sich alles ändern...wieder einmal. Trotzdem war es für sie eine ganz neue Erfahrung. Nun, nicht ganz neu. Doch dieses Mal würde Van nicht kommen und sie retten. Die Bedienstete präsentierte ihr das Kleid und Hitomi schlüpfte hinein. Für dieses Abend hatte sie sich für eine klassische Variante entschieden. Die Kombination aus dem weiten, weißen Rock und dem eng anliegenden, hell roten Oberteil erinnerte nicht ohne Grund an ihrer Erscheinung, als Aston ihr zum ersten Mal begegnet war. Der weiße Kragen war jedoch schmaler, der Ausschnitt tiefer und Puffärmel bedeckten sowohl Schulter als auch Oberarme. Zu guter Letzt legte sie die weißen Handschuhe an, die bis zu den Ärmel reichten. Die verwitwete Königin betrachtete sich im Spiegel. Von Trauerflor war nichts zu sehen, ebenso wenig wie von der schlichten, dafür farbenfrohen Mode aus Farnellia. Stattdessen sah sie eine Edeldame im ausladenden astorianischen Stil. Noch zeigte ihr Gesicht, dass die Frau und das Kleid sich fremd waren, aber die Dienerin würde auch diese Unzulänglichkeit zu kaschieren wissen. Ihr Innerstes schrie angesichts des eigenen Spiegelbildes auf, doch Hitomi vergrub alle Ängste, Zweifel und Bedenken unter der Verantwortung, die sie trug. Es gab keinen anderen Weg. Sie versicherte sich dessen immer wieder, während sie mit geschlossenen Augen geduldig vor dem Kosmetiktisch saß, der in der inneren Wand der Kuppel über der Villa eingelassen war, und sich der geschickten Hände der Bediensteten unterwarf. Als sie ihre Augen schließlich öffnete, war die trauende Witwe einer Puppe gewichen, der Mann keine Regung mehr ansah. Hitomi begutachtete die Arbeit der Dienerin mit strengem Blick. Dabei konnte sie beobachten, wie der jungen Frau hinter ihr Fragen förmlich über das Gesicht huschten. Warum trug die Königin kein Schwarz? Warum empfing sie Männer so kurz nach dem Tod ihres Gatten? Oh, sie hasste sich dafür! „Danke sehr.“, sagte die Königin betont distanziert und warf einen Blick zum Fenster hinaus. Am anderen Ende der Stadt sah sie einen riesigen Stahlkoloss hinter der Mauer hinausragen. Astons Schiff war bereits gelandet. „Ist alles bereit?“ „Ja, Herrin.“, antwortete die Frau leise. „Die Gästezimmer sind fertig, der Tisch ist gedeckt und die Küche hat alle Speisen so weit wie möglich vorbereitet.“ „Dann richte ihnen aus, sie sollen mit der Vorspeise beginnen. Am besten schließt du dich ihnen an. Das Essen muss fertig sein, wenn ich die Gäste in den Speisesaal führe.“ „Herrin, meine Familie...“ Hitomis Herz schmolz dahin, doch sie gab sich unnachgiebig. „Dein Mann sorgt sicher gut für deine Tochter.“, antwortete sie streng „Ich brauche dich hier!“ Die Dienerin verzog das Gesicht. Offenbar teilte sie die Zuversicht ihrer Königin nicht. Widerstrebend verneigte sie sich und antwortete gehorsamst: „Wie ihr wünscht, Herrin.“ „Dann geh!“ „Ja, Herrin.“ Die Frau flüchtete so schnell wie ihre Füße und die Etikette es zuließen. Innerlich fluchte Hitomi. Wenn nicht ganz Farnellia sie nach diesem Abend hassen würde, wüsste sie nicht, was sie noch dazu bringen könnte. Müde drückte sie sich mit ihren Händen auf der Tischplatte aus dem Stuhl. Die Nacht war viel zu kurz gewesen. Wieder. Langsam tastete sie sich die Wendeltreppe in Vans Arbeitszimmer hinunter und schleppte sich durch die Villa bis zum Haupteingang. Dort warteten bereits Merle und Vans Volksvertretertrio auf sie. Merle trug ein züchtiges, schwarzes Kleid und war ganz erstaunt, dass es sich bei Hitomi nicht so verhielt. Die Gewänder der Herren waren ebenfalls schwarz und einfach gehalten, wenn auch von guter Qualität. „Was soll das?“, brach es aus der Prinzessin hinaus. „Was fällt dir ein, dich so anzuziehen?“ „Wir gehen nicht auf eine Beerdigung, Merle.“, belehrte Hitomi sie uneinsichtig. „Nein, das sollten wir aber! Vor Vans letztem Geleit sollten wir niemanden empfangen!“ „Wagst du es mir vorzuschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe, Merle? Wenn ja, dann solltest du Königin werden.“ „So ein Quatsch! Ja, es ist deine Entscheidung, was du trägst.“, gab das Katzenmädchen zu. „Aber könntest du nicht wenigstens ein Zeichen der Trauer tragen? Eine schwarze Schleife oder ähnliches?“ „Nein!“, blockte die Königin hart. „Verzeiht, euer Majestät, aber wir sind einer Meinung mit ihrer Hoheit. Ihr spuckt gerade auf das Andenken eures Gatten.“ Dieser Vorwurf, so wahr er war, traf Hitomi ins Mark. Wütend trat sie an den Vertreter von Farnellias Tagelöhner heran. „Wer das behauptet, ist in meinem Haus nicht mehr willkommen!“, drohte sie. „Verstehen wir uns?“ Der Mann nickte blass und die Witwe nahm angefressen ihre Position an der Spitze der Ehrenformation ein. Bis auf die versammelten politischen Schwergewichte Farnellias wartete niemand vom Hofstaat vor der Villa auf den Besuch. Selbst den Wachen hatte Hitomi freigeben müssen, um die Familien der Dienerinnen zu entlasten, die dieses Essen erst ermöglichten. Aston und seine Gefolge wurden vor ihrem Luftschiff nur von Gesgan in der Rolle eines Kutschers empfangen. Der Krieger war mehr als genug Schutz für die hohen Herren. Kaum sackten ihre Schultern zum ersten Mal hinab, hörte die Königin Hufgetrappel, und sie richtete sich wieder auf. Just in dem Augenblick verließ die offene Kutsche die Rampe zur künstlichen Ebene über Farnellia, auf der ihre Villa stand. Erst sah Hitomi nichts weiter als die Pferde und Gesgan, der auf dem Bock saß. Dann aber, als die Kutsche wendete und vor dem Empfangskomitee zu stehen kam, bestätigte sich ihre Kleiderwahl. Gesgan öffnete die Tür für Aston und seinen zwei Beratern, die den Boden der gebeutelten Stadt Farnellia in prachtvollen Gewändern betraten. Offensichtlich überwog der Geltungsdrang die Trauer bei den drei Adligen Astorias, die sich vor der Königin verneigten. Sie erwiderte die Geste mit einem Lächeln und begrüßte ihre Gäste persönlich. Dann stellte sie ihr eigenes Gefolge vor und brachte die Anwesenden zum Speisesaal, während Gesgan die Kutsche zum Stall fuhr. Wie die Königin es befohlen hatte, wurde die Suppe nur wenige Minuten nach ihrem Eintreffen serviert. An der langen Tafel nahm Hitomi den Ehrenplatz am Ende ein. Zu ihrer rechten saß Aston, Merle hingegen musste an der linken Seite am weitesten von Hitomi sitzen, was bei der Prinzessin Stirnrunzeln hervorrief, doch sie schluckte ihren Protest herunter. Etwas seltsames ging vor sich, doch Hitomi, ihre Vertraute, ihre Schwester, ließ sie im Dunkeln. Die Vorsuppe und der Hauptgang verliefen ereignislos. Aston drückte lediglich im Namen von ganz Astoria sein Mitgefühl aus und erkundigte sich nach ihrem Befinden, worauf Hitomi nur sporadisch antwortete, dass alles gut sei. An der Stelle schien sich aus Merle wieder ein Schwall an Worten entladen zu wollen, doch sie verkniff es sich ein weiteres Mal. Dann erkundigte sich Aston nach der schwierigen Situation Farnellias, aber Hitomi blockte den Vorstoß ab, indem sie die Volksvertretern ausführlich von Maßnahmen berichten ließ, mit der die Bürger ihrer Stadt das Chaos der letzten Wochen meisterten. Zu guter Letzt versicherte sie ihren Gästen, dass in Farnellia schon alles wieder seinen gewohnten Gang gehen würde. „Was ist mit der militärischen Situation eures Landes?“, wandte Aston ein. „Eure Soldaten sind nur wenige und schlecht ausgerüstet, wie der Angriff der Gezeichneten gezeigt hat.“ „Ja, der Angriff der Zaibacher hat Farnellia alles gekostet, die Männer und die Guymelefs.“, entgegnete Hitomi bedächtig, die kurz vor dem Nachttischs endlich den Grund für das Essen auf sich zukommen sah. „Aber unsere Bürger sind fleißig. Gebt der Stadt zehn Jahre Zeit und das Heer wird wieder zahlreich sein.“ „Mit Verlaub, euer Majestät, ihr habt keine zehn Jahre mehr.“, belehrte der König sie. „Und ihr habt auch das Geld nicht, um euch Söldner oder Ausrüstung kaufen zu können.“ „Dann ist ja gut, dass Farnellia sich eurer Unterstützung sicher sein kann.“, sagte Hitomi mit einem charmanten Lächeln, woraufhin Aston schmunzelte. „Ich fürchte ohne eine Gegenleistung kann ich euch nicht noch einmal helfen. Ich kann das Leben meiner Soldaten wohl kaum nur aus Gewissensgründen riskieren.“ „Habt ihr auch nur einen Mann bei der Verteidigung Farnellias verloren?“ „Dieses mal wurde der Gegner überrascht und war eurem Heer nur zahlenmäßig überlegen. Wenn einer euren Nachbarn Blut leckt, wird es beim nächsten Angriff auf euer Land kaum genauso sein.“ „Was schwebt euch als Gegenleistung vor?“ „Ein Monopol auf euren Außenhandel wäre angemessen.“, schlug Aston vor. „Ein Monopol?“, hakte Hitomi wenig überrascht nach. „So ist es.“, bestätigte Aston und fuhr großzügig fort. „Ich verlange weder Geld noch Dienste, nur das alleinige Recht für Astoria mit Farnellia Handel zu treiben.“ „Farnellia besteht nicht nur aus der Stadt. Es ist ein weites Land. Wie stellt ihr euch vor, dieses Recht durchzusetzen?“ „Wir werden Soldaten schicken. Sie werden die Grenzen von Farnellia sichern und dabei auch den Schmuggel unterbinden.“ „Niemals!“, schaltete sie der Vertreter von Farnellias Bauern ein und schlug dabei auf den Tisch. „Astoria wird uns die Preise diktieren, wie es ihnen passt!“ „Astoria selbst ist eine Handelsnation und kann alle Waren bieten, die eure Bevölkerung braucht. Und wenn wir schon exklusiven Zugriff auf Farnellias Bauern bekommen, liegt uns doch wenig daran, dass sie verarmen. “, beschwichtigte Aston. „Majestät, ihr könnt diesen Vorschlag nicht ernsthaft in Erwägung ziehen.“, intervenierte nun auch der Vertreter der Bürger in Richtung Hitomi. „Nein, tue ich nicht.“, versprach diese, woraufhin Merle erleichtert durchatmete. Dann erklärte sie: „Es tut mir Leid, euer Majestät, aber wie meine Berater bereits sagten: Euer Preis ist zu hoch. Selbst wenn wir für solch eine Vereinbarung ein Form finden würden, die die Existenz von Farnellias Wirtschaft sichert, so ist auch Chuzario auf ihre Erzeugnisse angewiesen. Die Gezeichneten haben sich dort festgesetzt und für die Bauern in der Nähe der verseuchten Gebiete wird es von Tag zu Tag gefährlicher, Grundnahrungsmittel anzubauen. Chuzario ist wie Astoria auf Farnellias Erzeugnisse angewiesen.“ „Wir müssen die Bevölkerung der Zaibacher Hauptstadt versorgen und bekommen nicht ansatzweise genug Nahrung zu erschwinglichen Preisen angeboten.“, widersprach Aston. „Das ist in der Tat ein Problem, aber eines, an dessen Lösung wir gemeinsam in Absprache mit euren Nachbarn arbeiten können.“, bot Hitomi an. „So gern ich euer Angebot auch annehme, so reicht es doch bei weitem nicht, das Leben der Söhne Astorias für die Sicherheit Farnellias zu riskieren.“ „Sollten sie das nicht sowieso?“, fragte Merle provokant dazwischen. „Wir sind doch in ein und demselben Bündnis.“ „Ein Partner, der nichts zu bieten hat, ist nichts wert.“, antwortete Aston bedauernd. „Habt ihr nicht zu gehört. Wir brauchen nur etwas mehr Zeit!“ „Merle!“, mahnte Hitomi streng und brachte sie mit ihrem Blick zur Räson. Dann wandte sie sich an Aston. „Farnellia hat tatsächlich etwas außer exklusive Handelsrechte für Astoria zu bieten.“ „Ich höre.“ „Einen Erben!“, eröffnete sie und sah sich mit verwirrten Gesichtern konfrontiert. „Dies müsst ihr erklären.“, verlangte Astorias König leicht aufgedreht, woraufhin Hitomi wieder ihr Lächeln aufsetzte. „Ich bin eine ledige Frau.“, untermauerte sie ihren Vorschlag. „Was sollte mich daran hindern, euch einen Sohn zu gebären.“ Astons Herz vollführte Luftsprünge, doch er vergrub seine Freude hinter einer Maske. Erst musste er Fakten schaffen. „Ich habe viele Söhne, was nicht jeder weiß.“, zeigte ihr den Haken auf. „Sie alle wurden jedoch von Frauen geboren, mit denen ich nicht verheiratet war. Somit können sie keine Erben sein. Ihr wisst, was das heißt?“ Hitomi seufzte leise und stellte dann laut fest: „Dass ich euren Antrag annehmen werde...“ „Nein!“, rief Merle dazwischen. Ihr Stuhl flog zurück, so schwungvoll war sie aufgestanden. „Würdest du ihn heiraten?“, fragte die Königin sie provokant. „Natürlich nicht!“, antwortete das Mädchen ohne Zögern. „Aber wie kannst du...“ „Wer außer mir sollte es sonst tun?“ „Das kannst du nicht machen. Van...“ „Van ist tot!“, stellte Hitomi eisern klar. „Ich trage die alleinige Verantwortung über das Geschick Farnellias.“ „Aber du bist...“, versuchte das Mädchen dagegenzuhalten, doch ihre Königin verbot ihr abermals in weiser Voraussicht das Wort: „Merle! Wag es ja nicht, es auszusprechen!“ Das Katzenmädchen biss sich auf die Lippen. Aus ganz offensichtlichen Gründen sollte Hitomis Schwangerschaft ein Geheimnis bleiben. Wenn sie es jetzt aber verraten würde...nein, sie konnte sich nicht gegen ihre Herrin stellen. „Van hat besseres verdient!“, argumentierte sie verzweifelt. „Wie ich schon sagte, der König ist tot!“, wiederholte Hitomi. „Und du wirst nicht vergessen, wer hier die Königin ist!“ Merle war entsetzt. Sie wusste, wann sie auf verlorenen Posten stand, doch aufgeben wollte sie nicht. „Das werde ich nicht akzeptieren!“, schrie sie stur aus und stampfte aus dem Speisesaal. Hitomi wandte sich wieder ihrer Süßspeise zu, während die Gäste am Tisch sie entgeistert anstarrten. „Ignorieren sie bitte dieses vorlaute Gör, meine Herren. Ich werde mich später um sie kümmern.“ Während des Desserts sagte niemand mehr etwas. Hitomi grübelte, ihre Berater schwiegen geplättet, Aston mahlte sich die Zukunft in roten Farben aus und seine Berater planten bereits mit Farnellia. Schließlich verkündete die Königin sich zurückziehen zu wollen und entließ damit die Herrschaften zu ihren Getränken. Sie ging jedoch nicht in ihre Gemächer, sondern schickte nach Merle. Es war Zeit, der jungen Frau eine Zukunft zu geben. Kapitel 46: Verschwörung unter Schwestern ----------------------------------------- Die Königin Farnellias wartete im Konferenzraum im Innern der Villa. Das Zimmer war ohne Fenster, Schall gedämpft und gegenüber den kabellosen Übertragungsarten isoliert, wie die Zaibacher sie eingeführt hatten. Somit war es der perfekte Ort um offen zu sprechen, ohne dass es jemand mitbekam. Ihre Schwägerin war auf den Weg zu ihr. Sie war zwar mehr eine Schwester für die Königin, doch nachdem das Mädchen das Dinner zuvor so skandalös verlassen hatte, gab sich die Herrscherin nach außen hin kühl. Daher hatte sie die Prinzessin holen lassen, statt sie selbst zu besuchen. Die junge Frau seufzte bedrückt. Sie alle befanden sich auf der großen Bühne der Politik und mussten daher schauspielern. Nur schien die Katzendame, die gerade in den engen Raum stürmte, diese Regel partout nicht zu befolgen. „Spinnst du?“, fuhr Merle sie an. Hinter ihr verfolgte eine Dienerin die Geschehnisse äußerst interessiert. „Nein, aber du tust es ohne zweifel, so wie du mit sprichst.“, mahnte Hitomi streng. „Schließe die Tür. Es muss nicht alle Welt mitbekommen, wie ich dir den Hosenboden versohle.“ Erst starrte das Katzenmädchen ihre Freundin ungläubig an, dann knallte sie die schwere Tür mit dem Schwung aus einer vollen Körperdrehung lautstark zu. „Ich dachte, wir wären Schwestern!“, klagte sie erzürnt. „Aber jetzt redest mit mir als wäre ich ein Straßenkind.“ „Merle.“, gebot Hitomi ihr sanft Einhalt, doch die war außer sich. „Du verrätst Van, damit auch mich und ganz Farnellia!“, schimpfte sie ohne Pause. „Seine Leiche ist noch nicht einmal kalt und du wirfst dich dem nächsten an den Hals! Als ob du wirklich eine machtgierige Hure wärst, die sich hoch schläft!“ „Merle! Glaubst du,...“ „Noch dazu Aston!“, würgte das Mädchen die Königin wieder ab. „Er ist alt, eklig, schmierig, eingebildet, rücksichtslos, noch dazu ein notgeiler Bock! Stell dir nur mal vor, wie es sein wird mit ihm das Bett zu teilen! Wenn er dich mal nicht besteigt, wird dort kein Platz für dich sein, weil er so FETT ist!“ „Hör mir...“, versuchte Hitomi es ein weiteres Mal. „Du hast den Verstand verloren! Du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank! Die viele Wahrsagerei hat deinen Verstand verdreht. Du kannst vor lauter Wasserdampf nicht mehr klar sehen! Bei dir fehlen Dachlatten am Zaun. Du denkst mit dem Kopf und nicht mit dem Herz!“ „Merle!“, fiel Hitomi nun in ihr Tonlage ein. „Du warst nicht dort, OK?!“ Nun war das Mädchen still und ihre Königin in Fahrt. „In Astoria, als Vasram das ganze Bündnis ausgehöhlt hat! Sie haben die Friedenspflicht zwischen Bündnispartner abgeschafft. Niemand hat widersprochen! Und dank der Hilfe Astorias stehen wir vor unseren Nachbarn als unfähig dar uns zu verteidigen. Selbst wenn sie uns nicht angreifen würden, werden es eben Räuber oder Söldner sein! Ohne eine starke Schutzmacht steht uns Krieg ins Haus! Wir brauchen Astorias Heer!“ „Was ist mit Chuzario?“, fragte Merle verzweifelt, die sich der Argumentation ihrer Königin sogar gegen ihren eigenen Willen nicht entziehen konnte. „Deren Heer könnte uns nicht helfen, selbst wenn wir ihnen alle unsere Erzeugnisse geben würden.“, widersprach Hitomi. „Sie können gerade so die Seuche der Gezeichneten in ihrem eigenen Land unter Kontrolle halten.“ „Aber Aston?“ „Er ist der einzige, der mächtig und verrückt genug ist, mich zu heiraten! Sonst wird uns niemand mehr helfen.“ „Ist das wirklich der einzige Weg? Bitte denk nach!“, flehte Merle. „Ich kann doch nicht einfach daneben stehen und zusehen, wie du dein Leben wegwirfst.“ „Das wirst du nicht.“, versicherte Hitomi ihr mit einem Lächeln. „Ich habe Aufgaben für dich, die dir dafür keine Zeit lassen werden.“ „Für mich? Aber was kann ich tun? Ohne Van...“ „Du bist die stärkste Person, die ich kenne und ohne deine Hilfe wird Farnellia untergehen.“ Das Mädchen schluckte. Wenn ihre Schwester es so ausdrückte, wie konnte sie da ablehnen. „Was soll ich tun?“ „Setz dich.“, bat Hitomi und nahm sie an der Hand. Nachdem sie beide Platz genommen hatten, sah sie Merle tief in die Augen. „Es sind drei Aufträge. Erstens musst du ein Netzwerk in den Schatten von Farnellia aufbauen, von dem du aus die Geschicke der Stadt lenkst, ohne dass die astorianischen Beamten hier in der Villa etwas mitbekommen.“ „Ich versteh nicht. Warum? Was redest du denn jetzt von Beamten?“, erwiderte die Prinzessin verloren. „Merle, ich werde als Königin von Astoria nach Pallas gehen und Farnellia hinter mir lassen. Irgendjemand muss das Land führen. Da Van offiziell keinen Erben hat, rechnen sich viele Leute aus Astoria zweifellos Chancen aus von Farnellia zu profitieren und sie werden niemanden an dessen Spitze dulden, die sich für die Nation einsetzt. Sie werden nach deinem Leben trachten, solltest du Farnellias Thron besetzen.“ Hitomi machte eine Pause. Weiterzusprechen viel ihr sichtlich schwer. „Deswegen müssen wir uns in aller Öffentlichkeit im Streit trennen, damit sie denken, du wärst raus. Ich schicke dich nach Chuzario, quasi in eine zeitweilige Verbannung. Dort wirst du Dryden treffen. Er kann dich mit den nötigen Mitteln ausstatten, die du brauchst, um das Netzwerk aufzubauen.“ „Ich soll Farnellia aus den Schatten kontrollieren?“ „Ja, von unten. Du darfst auf keinen Fall den Eindruck entstehen lassen, du wärst an Macht interessiert. Am besten ist es, du kehrst möglichst bald zurück und gibst dich als ausgestoßenen Prinzessin aus, die mitten im Volk lebt.“ „Die Tarnung ist gelinde gesagt löchrig.“, zweifelte Merle. „Stimmt.“, bestätigte Hitomi. „Deswegen müssen wir sie mit etwas aufpeppen...mit einer wohltätigen Arbeit, die dich in eine moralische Position hebt und dich immun gegenüber Anfeindungen macht.“ „Ich bin sicher, du weißt schon was.“, stellte die junge Katzendame nüchtern fest. „Meine zweite Aufgabe für dich:“, präsentierte Hitomi. „Du wirst mit deinem Gehalt aus dem Palast ein Waisenhaus in der Stadt betreiben.“ Merles Augen leuchteten auf, was ihrer Schwester im Geiste nicht entging. „Es wird in dem Gebäude sein, das die Kopfgeldjäger zum Schmuggeln verwendet haben. Dort findest du auch ein Abstellplatz für dein Schiff, den Falken.“ „Ich soll ein Waisenheim führen? Aber ich weiß nichts über Kinder! Was ist, wenn ich versage?“ „Du sollst noch mehr. Nach meinem und Isaaks Beispiel ist das Drachenvolk zum Schluss gekommen, dass es zu gefährlich ist, Leute vom Mond der Illusionen auf Gaia einfach so rumlaufen zu lassen. Sie haben die Angewohnheit den Planet stark zu beeinflussen. Daher suchen sie bereits noch solchen Menschen und nehmen sie in Gewahrsam. Du wirst diesen armen Seelen ein Heim bieten. Da die meisten Kinder sind, bietet sich ein Waisenhaus als Kulisse an. Die wenigen Erwachsenen, die zu dir kommen werden, wirst du wohl anstellen müssen.“ „Ich soll ein Gefängnis betreiben?“, erkundigte sich Merle schockiert. „Nein, eine Schule.“, beruhigte Hitomi sie. „Deine Verantwortung wird es sein, den Gestrandeten von der Erde die Kontrolle über ihre Kräfte zu lehren, sodass sie keine Gefahr mehr für sich und andere darstellen. Dabei werden dir ein paar Abgesandte des Drachenvolks helfen. Wenn sie wieder zurück zum Mond möchten, können sie sich dann ihre eigenen Lichtsäulen erschaffen. Wenn sie hier bleiben möchten, ist es deine Pflicht ihnen ein neues Leben zu ermöglichen und über sie zu wachen, wo immer sich sich gerade befinden.“ „Weißt du, was du da von mir verlangst?“,blaffte das Mädchen. „Ja, du wirst wohl ein Netzwerk aus Beobachtern über ganz Gaia schaffen müssen.“, grübelte Hitomi. „Das schaffst du schon.“ „Agenten kosten irre viel Geld.“, wandte Merle ein. „Dryden wird mir wohl kaum so viel geben.“ „Doch, das wird er, weil ich ihm einen Handel anbieten werde.“, antwortete die Königin überzeugt. „Welchen Handel?“ „Milerna! Ich werde sie finden und zu ihm führen. Dafür wird er dich unterstützen. Er hat einmal eine ganze Flotte versetzt, nur um ihr zu imponieren, und wird sich daher ganz sicher auf das Geschäft einlassen.“, eröffnete die junge Frau vom Mond der Illusionen. „Du meinst, ich werde sie finden, was meine dritte Aufgabe sein wird.“, meinte Merle neunmalklug. „Nein, Schwesterherz, ich habe folgenden Plan:“, eröffnete ihr Hitomi. „Ich werde Aston von meiner Schwangerschaft erzählen und er wird mir zustimmen, dass es für das Kind sicherer ist, wenn niemand von ihm oder ihr erfährt. Also wird er mich spätestens in ein paar Monaten wegschicken, an einen abgelegenen Ort, wo ich entbinden werde. Natürlich wird er Pläne aushecken das Kind zu stehlen. Wahrscheinlich wird er den Krankenschwestern befehlen, es wegzuschaffen und zu behaupten, es sei eine Totgeburt. Aber ich werde verlangen, dass Milerna meine Ärztin und Allen mein Leibwächter sein werden. Sie wiederum werden das Kind direkt nach der Geburt entführen und zu dir bringen, was mich zu deinen dritten Auftrag führt: Du wirst es erziehen, bis es seinen einen Thron beansprucht.“ „Was?“, schreckte Merle hoch. „Das kann nicht dein Ernst sein! Du bist seine Mutter, nicht ich!“ „Ich kann nicht seine Mutter sein.“, entgegnete Hitomi einfühlsam. „Selbst wenn Aston es erlauben würde, kann ich mir unmöglich sicher sein, dass es in Pallas gefahrlos aufwachsen kann. Und selbst wenn es seine Kindheit dort überleben sollte, wüsste es nichts über seine Heimat und wäre von Astoria eingenommen. Mit einem solchen Herrscher wird Farnellia kaum seine Unabhängigkeit zurückgewinnen können.“ Noch einmal forderte Hitomi über Blickkontakt alles von Merles Aufmerksamkeit ein. „Du hingegen bist mit Van groß geworden. Du weißt, was es heißt Herrscher dieses stolzen Landes zu sein und wie man zu solchen erzogen wird. Ich kann mir keine bessere Mutter für mein Sprössling vorstellen als dich.“ Da Merle nicht überzeugt zu sein schien, argumentierte Hitomi weiter: „Außerdem wird das Waisenhaus die beste Tarnung sein. Ein Kind mehr fällt da nicht auf. Dennoch wirst du es bevorzugen müssen und ihm oder ihr alles beibringen, was du weißt. Es wird sich seinen besonderen Status aber auch durch herausragende Leistungen verdienen müssen, damit niemand verdacht schöpft. Du wirst es oft in die Stadt mitnehmen. Es muss den Leuten bekannt sein, sonst werden sie es nicht akzeptieren, selbst wenn es Escaflowne reitet und so seine Herkunft beweist.“ „Was ist mit Trias?“, hakte Merle nach. „Ich kann Vans Mörder nicht einfach davon kommen lassen.“ „Ich bin nicht so dumm, dir die Jagd auf ihn zu verbieten.“, resignierte ihre Herrin. „Aber achte bitte darauf, dass deine Rachegelüste nicht deinen Pflichten im Weg stehen. Ich brauche dich lebend!“ „Ist dir klar, was du von mir verlangst?“, klagte die Prinzessin bitter. „Ich soll dir alles nehmen, was dir von Van geblieben ist und tatenlos mitansehen, wie du dich opferst.“ „Ja, ich weiß, ich erwarte viel von dir.“, erwiderte Hitomi voller Verständnis und fuhr dann ermutigend fort: „Aber du bist die Einzige, der ich diese Aufgaben anvertrauen kann. Ich weiß, du wirst es schaffen. Wir zwei sind alles, was zwischen Farnellia und seiner Vernichtung im Krieg steht.“ „Wenn das Kind alt genug ist und die Herrschaft über Farnellia übernimmt, wirst du dann zurückkehren?“, fragte das Mädchen fordernd, während sie ihre Tränen unterdrückte, doch ihre Schwester schüttelte mit dem Kopf. „Ich habe Aston einen Sohn versprochen. Bitte zwing mich nicht, zwischen meinen Kindern zu wählen.“ „Ja, aber es werden auch der Sohn und die Töchter von diesem Sackgesicht sein! Ach, Scheiße!“, brach es aus Merle heraus, woraufhin sie aufgewühlt den Konferenzraum verließ. Hitomi blieb zurück. Stöhnend schlug sie mit dem Kopf auf der Tischplatte auf und dachte sich, der Ausdruck Scheiße traf voll ins Schwarze. Epilog: Gemeinsamen Schritt --------------------------- Es war an einem Sommertag, da Hitomi endgültig ihr eigenes Schicksal besiegelte. An diesem Tag, als die Sonne ihren Zenit vor wenigen Stunden passiert hatte, saß sie auf einer roten Gondel, verziert mit goldenen Mustern und Kanten. Auf der Stuhllehne über ihr prangte ein Drache mit offenen Flügeln, das Wappentier Farnellias. Begleitet wurde sie nur von einem Gondoliere, der sie sicher durch einen der engen Kanäle von Pallas steuerte. Ihr jetziges Kleid war viel schwerer, als das vor einem Jahr. Es bedeckte ihren Körper züchtig bis zum Hals, zeigte sich in einem cremefarbenen Weiß und war mit filigranen Goldnähten geschmückt. Das Edelmetall zierte auch den schweren, blauen Umhang auf ihren Schultern und verschmolz ebenfalls zu dem Reif, an dem die Haube und der Schleier auf ihrem Kopf befestigt waren. Darunter lugte ihr langes Haar hervor und schmiegte sich eng an ihren Rücken. Etwas fehlte jedoch an Gewicht. Sie widerstand dem Drang ihren Bauch zu erfühlen. Selbst Monate nach der Entbindung erdrückte sie die Abwesenheit ihrer Babys. Sie vermisste ihren Schatz so sehr! Jeden Tag hartes Training hatten die Spuren der Schwangerschaft an ihr fast vollständig eliminiert. Nur Erinnerung an das wachsende Wesen unter ihrem Herzen und an die Schreie bei der Geburt waren ihr geblieben. Nicht einmal das Gesicht des Kindes hatte sie sehen können. Wenn Merle endlich...Mit Gewalt richtete Hitomi ihre Gedanken auf die Wasserstraße vor ihr. Sie durfte jetzt nicht weinen! Die harte Arbeit der Dienerinnen wäre umsonst. Auf den Brücken und den angrenzenden Wegen drängten sich die Bürger der Stadt, jeder mit einer Blume in der Hand. Die helle Masse europäisch geprägte Gesichter vermischten sich mit Kreuzungen aus Mensch und Tieren verschiedenster Arten, wie Katzen, Delphine, Pferde und Echsen. Nirgendwo sonst auf Gaia hatte sie je eine so große Vielfalt an Tiermenschen gesehen. Die ihr jedoch so vertrauten asiatischen Züge, wie auch Van sie gehabt hatte, konnte sie bei niemanden ausmachen. Überhaupt schienen unter den Menschen Astorias dunklere Hautfarben äußerst rar zu sein. Ob die Menschen wohl gelächelt hatten, als Millerna vor vier Jahren hier vorbei gefahren war? Die Frage stellte sich Hitomi von selbst, da das Publikum statt fröhliche Mienen voll von Zuversicht, Stolz und Willkommen verkümmerte Züge aus Entrüstung, Misstrauen und Sorge zur Schau trugen. Noch immer, selbst nach der offiziellen Entlastung durch ihren König, hielt sich in Astoria hartnäckig das Gerücht, die zukünftige Königin sie eine Hexe und Hure, die die Zaibacher Kriege angezettelt hatte und sich nun durch die Königreiche schlief. Aston war töricht gewesen, als er sich auf ihren Handel eingelassen hatte. Seit den Zaibacher Kriegen war sein Ansehen in der Bevölkerung gesunken, da er den späteren Feind bei der Eroberung Fraids unterstützt hatte, und der Adel griff bereits nach Macht und Krone. Aber solange seine Torheit Farnellia vor Gefahren schützte, war Hitomi nur all zu bereit sie zu auszunutzen. Dann war sie eben die Hure, für die sie alle hielten. Wenn man vom Teufel sprach... Neben ihr erschien das Boot mit Aston auf der Spitze. Sie musterte seine bemitleidenswerte Gestalt aus ihren Augenwinkeln. Er saß zusammengesackt in seinem breiten Thron mit tiefen Falten in seinem Gesicht. Im scharfen Gegensatz dazu standen die Enden seines eleganten Schnurrbart stolz von seinem fallenden Mundwinkeln ab. Selbst der passend zu ihren Kleid in blau gehaltene, lange Mantel, sein hoher Hut und der polierte Drachenkopf vor seinen Füßen vermochten ihm nicht mehr Größe zu verleihen. Er war über die Hauptstraße der Wasserwege von Pallas gekommen. Ihr Kanal floss mit diesem vor dem schneeweißen Palast zusammen und so kamen sich die beiden kleinen Bote immer näher. Schließlich hielten sie parallel zueinander auf die Straße zu, die in den prächtigen Herrschaftssitz führte. Die Tore über den Kanal waren mit goldenen Reliefs geschmückt und hielten über ihrer Mitte das Wappen Astorias, ein Kreuz, das wohl ein Schwert darstellte, mit zwei Wasserdrachen, die die Klinge inmitten des blauen Grund umkreisten. Am Ende des Weges erkannte Hitomi die offenen Tore und die Treppen zwischen diesen, die Zugang zum inneren Ring des Palastes gewährten. Unaufhaltsam kamen sie der Wassersackgasse näher. Ein Wimpernschlag und schon dockten die beiden Boote an. Hitomi ließ sich wie auch Aston von den bereits wartenden Dienerinnen an Land helfen. Würdevoll schritt sie auf ihn zu, nahm den Arm, den er ihr anbot, um dann Seite an Seite mit ihm die Treppen hinauf zu steigen. An deren Ende standen hinter dem letzten Tor sechs haushohe Guymelefs an einem roten Teppich Spalier. Sie hielten ihre blitzenden Klingen vor sich senkrecht mit der Spitze zum Boden. Vor den riesigen Kampfmaschinen standen deren Piloten, die Himmelsritter, in ihren blau-weißen Uniformen stramm. Als das Paar mit dem Tross an Bediensteten näher kam, traten sie vor, zogen ihre Schwert und hielten sie hoch. Hitomi trat zusammen mit Aston auf den Teppich und passierte die tödliche Allee. Sie fragte sich, ob einen der Ritter bei einer solchen Gelegenheit schon mal die Klinge ausgerutscht war. Nach den Kampfmaschinen flankierten zwei Tribünen voller Publikum auf den Schlosshof den roten Weg. Hitomi heftete ihren Blick auf das zur Statue gegossene Wappen Astorias, sie kam jedoch nicht herum um ihre Erinnerungen aus der Zeit, als sie selbst Teil der Schaulustigen gewesen war und Millerna Glück gewünscht hatte. Was für ein schlechter Witz! Gemeinsam nahmen Aston und sie die letzte Stufen hinter dem Hof zum Fuß des Symbols Astorias hinauf. Dort standen sie Auge in Auge mit der versammelten Priesterschaft in ihren schwarzen Gewändern und roten Mänteln. Noch immer ineinander gehakt, knieten sie vor den drei Geistlichen im Zentrum der Gruppe, woraufhin der Priester in der Mitte seinem Stab zwischen die Schulter der beiden senkte. Am Ende seiner Insigne war die Sonne im Zentrum einer Mondsichel eingelassen. Von ihr gingen spitze Strahlen aus. Ob ihm der Stab schon mal ausgerutscht war? „Die Sonne und der Mond,“, verkündete der Priester feierlich. „umarmt von dem Land, reich an Wind und Wasser. Ihr, die einflussreichen Kinder von Astoria und Farnellia. An diesem heiligen Tag werdet ihr einen neuen gemeinsamen Schritt...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)