Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 39: Die graue Welt -------------------------- Hitomi rannte so schnell, wie ihre Füße sie trugen, doch sie trat praktisch auf eine Stelle. Der ebene Boden unter ihr war genauso grau, wie die schwere Wolkendecke über ihr. Um sie herum schlurften Krieger jeden Alters in einer monotonen Masse voran in ein und dieselbe Richtung, obwohl kein Horizont zuerkennen war, geschweige denn ein Ziel. Die Augen waren der Männer waren trüb und leer, ihre Gestalten so farblos wie die Nebelschwaden um sie herum. Und doch waren sie einzigartig. Jeder von ihnen war von anderer Statur, trug eine andere Rüstung, ein anderes Schwert und ein anderes Grau auf seiner Haut. Die einzigen Farben dieser Welt trug Hitomi jedoch selbst. Unbehindert von ihrem blauen Diplomatengewand, dessen Farben zu leuchten schienen, sprintete sie keuchend weiter und rief wiederholt nach ihrem geliebten Gatten. Aber selbst der helle Schein der goldenen Fäden ließ die Seelen um sie herum unberührt. Einen nach dem anderen überholte sie und doch kam sie kaum voran. Sie wusste, irgendwo vor ihr war Van. Seine Präsens war ein Leuchtfeuer vor ihrem inneren Auge. Schließlich erkannte sie seine breite Schultern und hochgewachsene Gestalt, die ihr seit ihrer Rückkehr von der Erde immer wieder vor Augen führten, dass sie beide Erwachsene geworden waren. Ein paar Meter nur noch, dann würde sie ihn berühren können. Dann sollte sie beide, wie das eine Mal zuvor, in die weiße Stadt mit dem großen Baum in der Mitte versetzt werden. Sie würde ihn wieder unter dem Baum sehen und zu ihm laufen. Die Stadt müsste dann brennen und die Erde sich spalten. Die Engel um sie herum würden von den Flammen verschluckt werden, aber Merle würde nach ihr und Van rufen, und ihnen so mit einem Licht den Ausgang zeigen. Dann würden sie fallen, der flüssigen Erde entgegen, bis zu dem Augenblick, da sie zu ihrem Mann durchdringen würde und er sie mit seinen strahlend weißen Flügeln bis zu Merles Licht hoch tragen würde, während die Welt um sie herum unterging. Dann würde sie beide aufwachen. Der Tot wäre dann einmal mehr nichts weiter als ein kurzer Schlaf gewesen, aus dem sie jederzeit wieder aufwachen konnten. Hitomi tat den letzten, entscheidenden Satz und flog, wie sie es erwartete, mitten durch ihren geisterhaften Gatten hindurch. Doch als sie nach dem Sturz die Augen öffnete, befand sie sich nicht in der weißen Stadt Atlantis, sondern noch immer in der grauen Welt. Über ihr ragte der trübe Körper Vans, der vor stehen geblieben war. Weder beugte er sich zu ihr herab, noch half er ihr auf, während sein trauriger Blick sie fixierte. Hitomi erstarrte. So durfte es nicht enden! „Du musst gehen!“, sprach der Geist sie an, in dem sie ihren Mann sah. „Nein!“, weigerte sie sich entschieden und rappelte sich auf. „Nicht ohne dich!“, bekräftigte sie, und ließ ihn mit dem Feuer in ihren Augen und ihren geballten Fäusten wissen, wie ernst sie es meinte. „Ich kann nicht zurück.“, klärte er sie unbarmherzig auf, doch seine Frau erkannte hinter seinen stählernen Augen tiefes Bedauern. Er hatte aufgeben! „Du kannst!“, behauptete sie steif. „Letztes Mal ging es doch auch!“ „Letztes Mal hatte ich einen funktionierenden Körper, in den ich zurückkehren konnte. Trias hat dafür gesorgt, dass es dieses Mal nicht so ist.“ „Mir ist es egal, was er getan hat. Ich kann es rückgängig machen. Du weißt, dass ich es kann!“ „Ja, ich weiß.“, bestätigte Van und hob seine Hand, um ihre Wange zu streicheln. Seine Finger konnten ihren Körper jedoch nicht berühren und fuhren durch ihr Gesicht, als hätte es überhaupt keine Substanz. „Aber dann würdest du Gaia bewusst deinen Willen aufbürden und den Planeten nach deinen Vorstellungen verändern.“ „Na und? Gaia ist mir auch egal. Nur du bist mir wichtig!“, schrie sie ihn verzweifelt an. Warum wollte er nicht mit ihr kommen? „Wenn du das tust, wirst du zur Göttin.“, warnte er sie ein weiteres Mal. „Mir egal!“, kam sogleich ihre trotzige Antwort. „Eine Göttin kann nicht unter den Lebenden wandeln. Im Augenblick deines Aufstiegs wird dein Körper sich auflösen und dein Wille wird eins mit Gaia.“ „Woher willst du das wissen?“ „Ich weiß es.“, sagte der Geist ohne eine Spur von Zweifel in seiner Stimme. „Ein Toter weiß viele Dinge.“ „Dann ist auch das mir völlig egal!“, bekräftige Hitomi. „Dir eine Ewigkeit lang zusehen zu können, ist allemal besser, als dich für den Rest meines Lebens zu betrauern.“ „Du kannst mich nicht ewig halten.“, mahnte er sie etwas behutsamer. „Die Zeit eines jeden Menschen ist begrenzt, auch meine.“ „Ist sie nicht.“, widersprach sie ihm uneinsichtig. „Ich werde dich aus dieser scheußlichen Welt holen, so oft wie du sie betrittst. Und ich werde hier bleiben und dich aufhalten, solange du nicht mit mir zurückkommst. Du gehst nicht weiter! Nicht in einer Million Jahren.“ „Dann stirbst auch du. Dein Körper wird verwesen.“ „Ist mir egal! Dann bleiben wir eben hier. Hauptsache wir sind zusammen!“ „Sieh dich um!“, forderte Van sie auf und wies mit seinen ausgestreckten Händen auf die Masse an Kriegern um sie herum. „Fällt dir nichts auf?“ Ratlos sah Hitomi sich und erst wusste sie nicht, worauf ihr Liebster hinaus wollte, doch dann fiel ihr ein mit einer Schaufel bewaffneten Mann auf, der stand. Sie konnte ihn durch die Menge immer nur kurz sehen. Er wirkte geradezu niedergeschlagen. Van, der ihrem Blick folgte, klärte sie auf: „Er ist während der Invasion der Gezeichneten in Chuzario gestorben, als er seine Familie verteidigt hat. Jetzt sind sein Körper und die seiner Familie Werkzeuge von Trias. Die Opfer der Gezeichneten sind zwar tot, aber sie können nicht sterben und sind zu einer starren Existenz in den Welten des Übergangs verdammt, solange ihre Körper nicht vernichtet werden. Glaubst du, das ist ein erstrebenswertes Schicksal?“ „Solange wir zusammen sind, ist es mir egal, dass ich sterbe. Es ist mir egal!“, blockte sie die unangenehme Wahrheit aus dem Mund ihres Ehemanns ab. „Unser Kind stirbt dann auch.“, teilte ihr Van eisig mit. „Ist dir das ebenfalls egal?“ Hitomis Augen weiteten sich vor Überraschung. „Unser Kind?“, hauchte sie ungläubig. „Ja, ich sehe es so deutlich vor mir, wie ich dich sehe. Es ist noch sehr klein, aber es leuchtet hell in deinem Unterleib. Lange hält es jedoch nicht mehr durch.“ „Ich bin schwanger?“ „Ja.“, bestätigte er seine Aussage und fuhr dann mit seiner Hand unter ihren Bauch entlang. „Es ist stark und wächst. Ohne dich hat es aber keine Chance auf sein Leben.“ Sanft umhüllten seine schattenhaften Finger den schwachen Herzschlag in Hitomis Innern. Die andere Hand hielt er in ihrem Ohr. Plötzlich konnte sie den Puls der heranwachsenden Wesen in ihrem Leib hören. „Ich hatte meine Chance. Nun ist unser Kind an der Reihe.“ „Das ist nicht fair!“, klagte Hitomi ihn verzweifelt an. „Wie kannst du das Leben unseres Kindes als Geisel gegen mich verwenden?“ „Du lässt mir keine Wahl.“, erwiderte Van bedrückt. Er trat ganz nahe an Hitomi heran und umfing sie mit seinen kalten Armen. Diese fing an zu schluchzen, da ihr plötzlich klar wurde, dass dies die letzten gemeinsamen Momente waren. „Nein!“, flehte sie. „Bitte schick mich nicht fort! Ich will bei dir sein.“ „Es tut mir Leid. Ich hätte gern noch so viel Zeit mit dir und unserem Kind verbracht.“, versicherte ihr Mann eindringlich. „Von nun an musst du es beschützen.“ „Bitte nicht!“, bettelte sie gebrochen, doch Vans Lippen senkten sich zu ihrem Ohr herab. Dann flüsterte er ihr leise, aber bestimmt zu: „Wach auf!“ Ohne Vorwarnung sog der Körper der jungen Königin Luft scharf in die Lungenflügel ein und stieß sie im nächsten Augenblick wieder aus. Antigonos, der noch immer neben sie kniete, zog sich zurück und sah zufrieden zu, wie Hitomi sich auf die Seite legte und den Tod aus der Lunge hustete. Cid rief überglücklich ihren Namen aus. Seine Dienerin Wareh atmete erleichtert auf. Sogar auf auf Elhads Lippen stahl sich ein kleines Lächeln, verborgen hinter dem dichten Bart. Zwischen den Befreiungsschlägen ihrer Bronchien mischten sich jedoch zusehends Klagelaute. Das Kind stürzte auf sie zu und erkundigte sich nun wieder besorgt nach ihr. Sie antwortete jedoch nicht, sondern rief wimmernd nach Van. Wieder und wieder sprach sie unter Tränen seinen Namen aus, als könne sie ihn so hinauf beschwören. Der kleine Herzog began zu begreifen, doch bevor seine Erkenntnis reifte, schob ihn Antigonos abermals zur Seite. Behutsam umschloss er den zusammengerollten Körper Hitomis und hob sie mühelos hoch. Ohne die Anwesenden zu beachten, trug er sie zur Tür. Doch dort hielt er inne. Dann wandte er sich um und sah den beiden Streitparteien fest in die Augen. „Heute haben sie gesehen, wie eine Frau um ihren Mann trauert.“, verkündete er ernst. „König Van ist tot?“, quiekte Cid geschockt. „Er ist im Kampf für sein Land gefallen.“, stellte Antigonos klar. „Herzog Cid, Prinz Elhad, wenn sie sich im Thronstreit hier und jetzt nicht einigen, werden sie für den Schmerz von tausenden Witwen verantwortlich sein. Möchten sie diese Last wirklich tragen?“ Dann verließ der Bursche vom Drachenvolk mitsamt der Königin im Arm den Raum. Cid blieb sprachlos zurück. Wieder einmal wurde er sich seiner erdrückenden Pflichten bewusst. Krampfhaft verbiss er sich die Nässe in seinen Augen, während seine Dienerin sich hinter ihm kniete und ihn mitfühlend umarmte. „Hey, Junge.“, sprach ihn sein Onkel betreten von der Seite an. „Wir sollten uns einigen.“ „Unbedingt!“, stimmte der blonde Junge ihm von ganzem Herzen zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)