Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 19: Flitterwochen ade! ------------------------------ Von außen war der Palast Fraids lediglich ein Quader. Die Wände aus sandfarbenen Gestein streckten sich dem Himmel entgegen, bis Balken und Ornamente aus Holz, die ein hohes, spitzes Dach über sich trugen, sie stoppten. Es gab überraschend wenig Fenster, wie Hitomi auffiel. „Wir hätten nicht alle Architekten für uns behalten sollen, die man uns gegeben hat.“, kommentierte Van das einfach wirkende Gebäude. Beide stiegen gerade die Treppen zum Haupteingang hinauf. Ihre formalen Gewänder aus verschiedenen Blautönen und dunkelroten Verzierungen verliehen der brühenden Hitze und der knallenden Sonne noch mehr Gewicht. „Angeber!“, schallte sie ihn. „Cid denkt voraus. Er kann jeder Zeit anbauen, auch wenn er es sich jetzt noch nicht leisten kann. Was sollen wir denn machen, sollten wir mehr Platz brauchen? Jeder Anbau würde wie ein Klotz an der Fassade unserer Villa wirken.“ „Auch wieder wahr...“, meinte Van und sah daraufhin seine Frau ernst an. „Du erinnerst dich daran, was ich dir gesagt habe?“ „Nicht aufschauen, bis er mich angesprochen hat.“, wiederholte Hitomi und rollte mit den Augen. „Ich weiß nicht, warum dir das plötzlich so wichtig ist.“ „Merle hat mir erzählt, dass du bei unserem ersten Besuch die ganze Zeit gestarrt hast. Ihr zufolge musste sie sich sehr zusammen reißen dich nicht zu Recht zu weisen. Sie wollte keine Aufmerksamkeit erregen.“ „Ich weiß, dass ich viel über die Sitten auf Gaia nicht weiß, deine perfekte Schwester aber schon. Danke, dass du mich daran erinnerst.“ „Entschuldige.“, bat Van überrascht. „Ich hätte nicht gedacht, dass du neidisch auf sie bist.“ „Sie hatte ihr Leben lang Zeit zum Lernen. Ich muss es mir rein prügeln.“, erklärte Hitomi mit leiser Verzweiflung. „Eigentlich wusste sie ursprünglich nur wie sich sich als stille Begleiterin verhalten muss. Die Rolle einer Dame musste sie sich erst aneignen, nachdem du weg warst.“, erzählte Van. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Gesicht aus. Vor seinem inneren Auge sah wie die erst dreizehnjährige Merle stolz den gefesselten Spion aus Zaibach präsentierte, der wenig später ihr Mentor und Lehrer wurde. „Egal, ob es nun Glück war oder nicht, mit der Verhaftung von Gesgan hatte sie gezeigt, was für Fähigkeiten in ihr schlummerten. Von da an nahm ich ihre Bemühungen ernst und verließ ich mich ganz auf sie, obwohl sie kaum wusste, was sie tat oder tun sollte. Bei offiziellen Anlässen war sie immer an meiner Seite als meine geheime Leibwache.“ Sein Blick fand den seiner Frau. „Der einzige Unterschied zu dir jetzt war wohl, dass man ihr damals keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, obwohl sie viel davon auf sich zog, allein durch ihre Gestalt.“ „Soll mich das aufmuntern?“ „Es soll dir Mut geben. Es gibt keinen Grund, warum du es nicht auch schaffen solltest.“ „Sie spielt in einer anderen Liga als ich.“, erwiderte Hitomi bitter schmunzelnd. Van runzelte verwirrt mit der Stirn, woraufhin sie erklärte: „Ich meine, sie ist nicht mit mir vergleichbar. Allein ihre Kraft, körperlich wie geistlich...Ich werde nie so sein können wie sie.“ Der junge König hielt auf der Treppenstufe an und nahm beide Hände seiner frisch vermählten Frau an sich. „Sie wurde durch ihre Aufgaben, den Umständen und ihrer eigenen Arbeit geformt, genau wie es bei dir der Fall sein wird. Glaub ja nicht, so wie du jetzt bist, wirst du bleiben. Du solltest nicht unterschätzen, was alles aus dir werden kann.“ „Danke.“, verkündete Hitomi gerührt. „Es tut gut, das von dir zu hören.“ „Ich glaube an dich, das weißt du doch.“ „Ja, ich weiß, aber es ist trotzdem gut, wenn du es sagst.“ „Ich glaube an dich.“, bekräftigte Van mit vollem Ernst. „Danke.“, erwiderte Hitomi liebevoll. „Ich glaube an dich.“ „Ich weiß. Du kannst jetzt...“ „Ich glaube an dich.“ „Schon gut, ich...“ „Ich glaube an dich.“ „Es reicht.“ „Ich...“ Weiter kam er nicht, da der Kuss von Hitomi ihm den Atem raubte. Einen Moment lang wollte Van sich wehren, ihr sagen, dass öffentliches Zurschaustellen von Zuneigung nicht schicklich ist, dann aber verlor er sich in den Sturm ihrer Gedanken und seine Vorbehalten wurden hinweg gefegt. Schließlich war es Hitomi, die von ihm abließ. Ihr Blick strotzte nur so vor Zuneigung, bis er kurz zum Palast flüchtete. „Was ist?“, fragte Van. „Ich glaube, Cid hat uns beobachtet.“, sagte sie und Schamröte stieg ihr ins Gesicht. „Wenn er sich jetzt eine andere Hose anziehen muss und wir deswegen warten müssen, ist es deine Schuld.“, warf Van ihr vor. „Wie bitte? Warum sollte er...“ Verwirrt starrte sie ihren Mann an und verstand, worauf sie verlegen lachte. „Du wieder mit deiner schmutzigen Fantasie! So alt ist er doch gar nicht.“ „Du solltest Jungs nicht unterschätzen. Egal, wie alt sie sind, sie haben es faustdick hinter den Ohren.“ „Außerdem bist du schuld!“, behauptete Hitomi. „Wie sollte ich dich sonst zu schweigen bringen?“ „Versuch es mal mit Zwicken.“, schlug Van vor und seine Frau setzte den Rat sofort in die Tat um, was er ihr mit gleicher Münze heimzahlte. Beide brachen in lautes Gelächter aus, während sie immer wieder nach den Armen des anderen griffen und gleichzeitig auswichen. Sie waren so in ihrem Spiel vertieft, dass sie die Zeit vergaßen, bis ein mit sanfter Autorität ausgesprochenes Euer Majestät sie unterbrach. Verwundert sah sich das Ehepaar nach der Quelle der unerwünschten Anrede um und fasste eine mit einem einfachen Kleid bekleidete, dunkelhäutige Dienerin ins Auge, die sie streng ansah. „Seine Hoheit, Herzog Cid, möchte eure Majestät daran erinnern, dass die Zeit seiner Hoheit knapp bemessen ist. Außerdem lässt er ausrichten, seine Berater sind, ich zitiere, ehrwürdige, verknöcherte Mönche, die kaum Verständnis für jugendlichen Eifer aufbringen, wie er selbst schon feststellen musste.“ Verlegen bemühten sich Van und Hitomi um ein angemessenes Erscheinungsbild. „Vielen Dank, Fräulein Wareh.“, sagte Van staatsmännisch und registrierte zufrieden ihre Überraschung darüber, dass er ihren Namen noch wusste. „Bitte führt uns hinein!“ Hitomi beobachtete neugierig das Minenspiel der beiden, dann stellte sie sich auf seine Gedanken ein. Vans Erinnerungen an Merles ersten Ball als Prinzessin durchfluteten sie. Plötzlich wurde sie neugierig. Was war das für eine Frau, der sich Cid anvertraut hatte? Zügig stiegen sie die vielen, verbliebenen Stufen hinauf bis zu den großen Flügeltüren, die ins Palastinnere führten. Die zwei leicht bekleideten Wachen am Eingang verzogen keine Mine, aber Hitomi spürte deutlich ihre Abneigung. Hier gleichzeitig als Kind und als Herrscher aufzuwachsen konnte sie sich nicht vorstellen. Van hakte sich bei ihr ein und hatte gerade noch Zeit sie anzulächeln, ehe die schweren Türen aufschwangen. Den Blick starr nach vorn gerichtet, betrat das Paar die Empfangshalle. Flankiert von im Schneidersitz verharrenden Mönchen gingen sie auf den hölzernen Vorhang zu, der den Thron am anderen Ende des großen Raumes verbarg. Hinter ihnen schlüpfte die Dienerin unauffällig hinein. Van ließ sich in angemessener Entfernung zum Thron in den Schneidersitz sinken, woraufhin sich Hitomi neben ihn auf ihre Knie und Fußknöchel setzte, wie sie es aus ihrer Heimat her kannte. Sofort spürte sie anhand der Missbilligung der Anwesenden, dass etwas nicht stimmte. Ihr Mann beruhigte sie und erklärte ihr ohne Worte, dass in Fraid Frauen hinter den Männern saßen, er jedoch wollte sie an seiner Seite haben. Erleichtert beugte sie ihr Haupt und richtete ihren Blick auf den Boden. Wie von Geisterhand hob sich der Vorhang und der Adjutant vor dem Thron kündigte das Königspaar an. „Ich heiße euch und eure Gattin in Fraid willkommen, euer Majestät.“, begrüßte Cid sie mit der klaren Stimme eines Kindes, woraufhin Van sich bedankte. „Und euch, Hitomi, gratuliere ich zu eurer Heirat. Mein Vater hat mir einmal erzählt, meine Mutter hätte ihm etwas gegeben, was nicht einmal ein König einfordern kann. Es freut mich zu sehen, dass ihr euren Gatten dieses Geschenk ebenfalls macht.“ Hitomi schaute schmunzelnd auf und musterte Cid. Er war noch immer ein Kind. Seine Stimme, seine Statur und nicht zuletzt sein Gesicht ließen daran keine Zweifel. Seine Augen jedoch waren schwer, beinahe trüb, als lasteten hunderte Jahre auf ihnen. Genauso stramm wie seiner Zeit sein Vater saß er auf den Thron, immer bereit eine Entscheidung zu fällen. „Vielen Dank, euer Hoheit.“, sagte sie ernst. „Ich werde es nicht vergessen.“ „Ich weiß, dass ihr es kaum abwarten könnt, euch zurückzuziehen. Das Haus, um das ihr gebeten habt, ist bereit und wartet auf eure Ankunft. Dennoch hoffe ich, dass ihr mir die Ehre einer gemeinsamen Mahlzeit zugesteht. Es ist bereits angerichtet.“, bat der junge Herzog. Hitomi krauste verwirrt ihre Stirn und sah dann Van an. Das Angebot war nicht geplant gewesen. „Wir nehmen eure Einladung mit Freuden an, euer Hoheit.“, erwiderte Van ohne Zögern. Zum ersten Mal lächelte Cid. Ein klein wenig lebhafter sprang von seinem Thron. „Bitte folgt mir.“ Hitomi wagte es erst aufzustehen, als Van sich erhob. Niemand außer Wareh folgte den dreien. Cid führte sie in einen kleinen Raum mit und einem gedeckten Tisch in der Mitte und vier Stühlen. An dem einzigen Fenster lehnte eine von einem Umhang verhüllte Gestalt und starrte nach draußen. Hitomi witterte schon eine Falle, da sie die Person in dem Zimmer nicht spüren konnte, doch die Unbekannte schlug die Kapuze zurück. Hitomis Augen weiteten sich, als sie das Katzenmädchen erkannte. „Merle!“, staunte sie und stürmte allen voran auf den Überraschungsgast zu. Beide umarmten sich. „Du siehst gut aus.“, lobte die Prinzessin. Ihre Augen blitzten schelmisch auf. „Ich hoffe, mein Bruder überfordert dich nicht.“ „Warum bist du hier?“, fragte Van ungehalten dazwischen. „Freust du dich denn nicht?“, warf Hitomi ein. „Ihr Kommen ist eine Überraschung und das bedeutet meistens Arbeit.“, erklärte etwas ruhiger. „Er hat Recht.“, stimmte Merle ihn zu, ehe Hitomi etwas einwenden konnte. „Ich fürchte, ihr müsst euren Urlaub beenden.“ „Wieso? Was ist passiert?“, erkundigte sich die Königin besorgt. „Ein Heer der Gezeichneten marschiert auf Farnelia zu. Es hat wahrscheinlich vor ein paar Tagen die Grenze überschritten und ist noch etwa zwei Wochen von der Stadt entfernt. Chuzarios Spähern zur Folge besteht es nur aus unbewaffneten, willenlosen Dienern. Sie konnten den oder die Gezeichneten nicht ausmachen, die die Streitmacht anführen.“, berichtete sie sachlich. Hitomi war sprachlos, während Van grimmig drein blickte, für Cid hingegen schienen die Neuigkeiten nicht neu zu sein. „Was sagen die Berichte unserer eigenen Späher?“ „Ich habe sie abgezogen.“, antwortete Merle auf Vans Frage. „Die Gezeichneten hätten sie überwältigt, noch bevor sie in Sichtweite gewesen wären. Chuzarios Späher beobachten das Heer aus der Luft.“ „Das heißt, du weißt schon seit einiger Zeit, dass es kommt. Seit wann?“ „Seit ein paar Wochen. Es war nicht schwer die anlaufende Heerschau und Evakuierung der Dörfer auf dem Weg der Gezeichneten zu verschleiern. Ihr habt mir schließlich dank der Hochzeitsvorbereitungen freie Hand gelassen.“ „Warum hast du mir nichts gesagt?“, explodierte Van. „Wie kann ich mein Land beschützen, wenn mir niemand etwas sagt? Wie oft willst du mich noch so an der Nase herum führen?“ Völlig unerwartet spuckte er Feuer und die ehemals stolze Prinzessin wurde ganz klein. Doch dann spürte er einen scharfen Schmerz an seinen Arm und wandte sich völlig außer sich seiner Frau zu. Die erwiderte seinen vernichtenden Blick so fest wie ein Fels in der Brandung. Der König schluckte seinen Ärger hinunter. „Wie sollen wir dir in Zukunft Glauben schenken, wenn du uns so oft hintergehst?“, mahnte Hitomi Merle ruhig, aber streng. „Wir haben dir die Außenpolitik anvertraut, damit du uns vertrittst und uns alles erzählst, was wichtig sein könnte, nicht, damit du alles selbst in die Hand nimmst. Wie sollen wir deinem Urteil vertrauen, wenn du uns derart wichtige Informationen so lange vorenthältst?“ „Bitte verzeiht, Herrin!“, entschuldigte sich Merle kleinlaut. „Tut mir Leid, Van. Es kommt nie wieder vor.“ „Gibt es noch etwas, dass du uns mitteilen möchtest?“, fragte er mit scharfer Stimme. „Ich habe zu allen drei Anführern der Allianz, Chuzario, Astoria und Vasram, eine Anfrage für eine Konferenz des gesamten Bündnisses geschickt. Chuzario und seltsamer Weise auch Astoria haben meinem Ersuchen stattgegeben. Die Konferenz findet in drei Tagen in Palas statt.“ Noch immer eingeschüchtert holte sie eine Mappe unter ihrem Mantel hervor und hielt sie Van hin. „In dem Dossier sind alle Informationen über das gegnerische Heer, unserer eigenen Streitmacht, die bereits getroffenen und anlaufenden Maßnahmen enthalten.“ „Wir haben nicht viel Zeit.“, warf Van ihr vor. Zu seiner Frau sagte er: „Wir sollten sofort aufbrechen.“ Cid protestierte: „Wir haben doch noch gar nicht gegessen.“ Van setzte zum Widerspruch ein, doch Hitomi kam ihm zuvor. „Selbstverständlich stehen wir zu unserem Wort.“, versicherte sie. „Farnelia befindet sich in guten Händen. Eine Stunde weniger wird da nicht schaden.“ Währenddessen erinnerte sie ihn stumm daran, dass er selbst Cid die Zusage gegeben hatte. Van brauchte erst gar nicht ihr Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass er verloren hatte. So hatte er sich die Sache mit dem Einig Werden nicht vorgestellt. Während der gesamten Mahlzeit wurde nicht einmal über die Politik gesprochen, stattdessen schwelgte man in Erinnerungen. Besonders Cid, wie Hitomi auffiel, weigerte sich unauffällig, aber beharrlich, über das zu Reden, was ihm gerade durch den Kopf ging. Leider fehlte die Zeit für ein persönliches Gespräch. Als man sich schließlich verabschiedete, drückte sie Merle ganz fest an sich und flüsterte ihr ein aus dem Herzen kommendes Danke ins Ohr. Van, der ganz woanders zu sein schien, blieb dagegen kühl. Auf dem Heimflug im Rasenden Falken schwankte die junge Prinzessin zwischen heller Freude über Hitomis stillschweigender Würdigung und schmerzhafter Verunsicherung durch Vans offenen Zorn. Dabei hatte sie beiden einen Gefallen tun wollen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)