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Accidentally in Love

the story of Rose & Scorpius
von

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prologue

                  

                  
 

„Sieh aber zu, dass du dich nicht allzu sehr mit ihm anfreundest, Rosie. Großpapa Weasley würde es dir nie verzeihen, wenn du einen Reinblütigen heiraten würdest.“
 

Sie hatte sich nicht mit Scorpius Hyperion Malfoy angefreundet.
 

Sie war in ihrem ersten Jahr freundlich gewesen. Er nicht.

Stattdessen hatte er Spitznamen wie „Wiesel“ erfunden, um sie gebührender Maßen zu demütigen. Beleidigungen zu ihrer buschigen Haarpracht und ihren Sommersprossen waren dazugekommen. Ihrer Ansicht nach war man schon bestraft genug, wenn man allseits bekannte Weasley Merkmale wie die flammend roten Haare vorzuweisen hatte. Allerdings mischten sich diese Merkmale in ihrem Fall mit der unbändigen Naturkrause ihrer Mutter, was sich als unvorteilhaft herausstellte, wenn man es mit Scorpius Malfoy zu tun hatte. Denn ihm bot sie somit Grund und Boden für seine gemeinen Sticheleien. Bis zum Ende ihres fünften Schuljahres hätte man außerdem denken können, Rose Weasley sei ein Junge, jedenfalls was ihre Proportionen betraf.

Verallgemeinernd ausgedrückt, heißt das: Rose hatte von allem zu wenig, außer von der Körpergröße, die sie wiederum schlaksig erscheinen ließ. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie für einen echten Jungen wahrscheinlich trotz allem zu klein wäre, maß sie in diesem Vergleich nur 1,75 Meter. Für ein Mädchen in Hogwarts war das allerdings groß und wenn man keine Mädchen–typischen Körperteile vorzuweisen hatte, gewann diese Runde wieder Malfoy.

Im Endeffekt gab es in den ersten Hogwarts Jahren an ihrem Äußeren nichts, was Scorpius keine Ansatzfläche für Beleidigungen gegeben hätte.
 

Irgendwann im zweiten Jahr hatte sie bemerkt, dass Scorpius seinen Wortschatz um die Wörter „Blutsverräter“, „Schlammblut“ und ähnlichen Begriffen erweitert hatte. Als die Beleidigungen ihrer Familie zuteil wurden - Weasleys, sowohl Potters – war ein Phänomen die Folge, das Muggel ihres Wissens anwandten, wenn es zu Problemen untereinander kam und die Beziehung zwischen den aneinandergrenzenden Personen nicht die Beste war – sie hatten sich geprügelt. Wahrscheinlich weil ihnen im zweiten Jahr noch die effektiven Zaubersprüche für ein Duell fehlten. Ihr fielen selbstverständlich sofort ein Paar ein, die sie sowieso schon längst hatte probieren wollen, unterließ es dann jedoch aus Angst vor eventuellen Strafarbeiten bei Filch.
 

Dafür platzte ihr in einer Stunde Zaubertränke im dritten Schuljahr Muggel -sprichwörtlich der Kragen, als Scorpius während eines gemeinsamen Unterfangens – grundsätzlich wurden die zwei Jahrgangsbesten immer zusammengruppiert - ihren Trank verpfuschte, der Kessel explodierte und sie daraufhin vor Professor Slughorn dafür verantwortlich machte. Schließlich hatte er Schnecken gespuckt. Und sie war bei Filch angetreten.
 

Rose hasste Scorpius und Scorpius hasste Rose. Treffender konnte man ihre Beziehung bis dahin nicht beschreiben. So oft wie in diesem Jahr hatte sie noch nie nachsitzen müssen…. Er höchstwahrscheinlich auch nicht.

Ein weiterer Punkt, der sie schrecklich an ihm nervte, waren die Streiche, die er seinen Mitmenschen spielte und davon gab es in diesem Jahr ebenfalls genug.
 

Den Höhepunkt erreichte diese Rivalität im vierten Schuljahr und Scorpius landete fünfzehn Mal mehr bei Madam Pomfrey als sie. Schließlich verlangte Professor Longbottom ernsthaft von ihr, Scorpius gesund zu pflegen.

Sie ging lieber am Wochenende zu Filch und ließ Hogsmeade ausfallen.
 

Im fünften Schuljahr dann ereilte sie ein unvorhergesehener Schock, denn Scorpius Malfoy zog es ab diesem Jahr vor, sie mit Verachtung und Unbeachtung zu strafen. Unbeachtung war das Schlüsselwort, denn wenn es nach Scorpius ging, war Rose ein nicht existierendes Geschöpf. Es war zwar ungewohnt, ein Leben ohne alltägliche Beleidigungen und Streitereien zu führen, allerdings nahm sie es gern entgegen.

Nach einer gewissen Zeit begann Rose sogar, sich Scorpius genauer anzusehen und ihn objektiv zu betrachten.

Was sie sah, gefiel ihr nicht, weil es ihr hauptsächlich doch gefiel.
 

Aber in diesem Jahr machte Rose sowieso mehrere schwerwiegende Veränderungen durch und schob es auf den Ein oder Anderen verspäteten Hormonschub. In diesem Jahr nahm ihr Körper Form an und sie entdeckte ein Muggel Produkt, das bei ihrem krausen Haar wahre Wunder wirkte. Rose Weasley wurde zum ersten Mal von ihren Mitschülern nicht nur als Streberin, sondern auch als Mädchen wahr genommen und entwickelte sich knapp gesagt zu einem kulinarischen Highlight.

Sie ging ein halbes Jahr nach Frankreich, auf die Zaubererschule Beauxbatons und absolvierte dort ihre ZAG’s, womit Scorpius’ Existenz für sie ebenfalls fragwürdig wurde.
 

Das sechste Schuljahr verlief genau wie das Davor mit dem einzigen Unterschied, dass Rose ganzjährig Hogwarts besuchte und mehr Dates hatte als je zuvor.

Scorpius Malfoy verfiel der Halb – Veela Jane, was ihr hauptsächlich egal war und Beide lebten in unausgesprochenem Frieden. Selbst Professor Slughorn steckte sie bei Paarbildungen nicht mehr zusammen, was Rose im Allgemeinen sehr begrüßte.

Sie redeten kein Wort miteinander und das knapp zwei Jahre lang.

Sie hatten nichts miteinander zu tun und friedvoller hätte Rose die Aufforderung ihres Vaters an ihrem ersten Schultag nicht erfüllen können.
 

Sie hatte sich nicht mit Scorpius Hyperion Malfoy angefreundet!
 

Diese komplizierte Beziehung zu reflektieren, gelang Rose nur aus zwei kleinen Gründen:

Erstens Rose Weasley war betrunken und zweitens Scorpius Malfoy starrte sie an.

                  

                  

one

                  

       

Note: In diesem Kapitel wollte ich speziell den Kontrast zwischen der Familie Weasley und der Familie Malfoy zum Ausdruck bringen, etwas was mir wichtig erschien, bevor es richtig losgeht. Ich liebe Imogene. Und ich bin den Weasley Kindern verfallen, vor allem Fred II.

                

                  

Rosie, bitte, stell disch nischt so an!“

Es war die melodische und von einem zarten französischen Akzent geprägte Stimme ihrer Cousine Dominique Weasley, die sie an diesem Morgen auf Schritt und Tritt verfolgte.

Rose ignorierte sie beflissentlich und lief mit schnellen Schritten durch die Flure des mehrstöckigen Anwesens, das ihrer Tante Fleur gehörte und in dem die gesamte Familie Weasley jedes Jahr einen Monat der Sommerferien verbrachte. Der Aufenthalt in Südfrankreich verstärkte die französischen Wurzeln ihrer Cousine enorm und Rose hielt sich einen kurzen Moment den pochenden Kopf, weil ihr dieser näselnde Ton die Nerven raubte. Sie warf einen bösen Blick hinter sich und beschleunigte ihre Schritte erneut.

„Rosie, vielleischt solltest du mit mir joggen ge’en? Du ’ast viel aufgestaute Energie.“

Die Rothaarige sah förmlich Dominique mit dem silberblonden Haar, welches höchstens bei einem Sonnenuntergang Weasley - typisch rot schimmerte, hinter sich her stürmen und sich selbst mit der flachen, zarten Hand über die Stirn fahren. Selbst diese einfache Gestik würde Jungen reiheweise verrückt machen.

„Keine Sorge, ich will nur vor dir fliehen.“, murmelte Rose und ihre dunkelblauen Augen flogen umher, auf der stetigen Suche nach einem Entrinnen. Eigentlich war sie nur auf dem Weg zum Frühstück gewesen, als Dominique sie am Fuß der Treppe, die hinauf zu ihrem Zimmer führte, abgefangen hatte.
 

Ihre Schritte hallten über den glatten und reich verzierten Marmorboden und Rose wünschte sich einen der vielen Geheimgänge Hogwarts’ herbei.

„Flie’en? Nur weil isch disch mit zu einer Party ne’men will?“

„Weil du mich nervst, Dominique. Du weißt genau, dass ich nichts von diesen sinnlosen Besäufnissen halte und lieber mit einem guten Buch den Abend ausklingen lasse. Bei Merlin, in drei Tagen sind die Ferien vorbei und ich habe immer noch nicht alle Bücher gelesen, die ich in diesen Ferien schaffen wollte!“

Wie hätte sie auch? Ihr Vater und Onkel Harry hatten es sich zur Aufgabe gemacht, keinen freien und sonnendurchfluteten Tag ungenutzt zu lassen und sie Alle mit vielen Ausflügen und Familienunternehmungen zu strafen. Da kam es schon einmal vor, dass man eine halbe Stunde irgendwo in der bleiernen Hitze an einer Kasse stand, nur weil ihre Familie so enorm groß war. Und natürlich hatte keiner fehlen dürfen. Die Beiden hätten nur Beinbrüche und Fieber gelten lassen und das hatte in diesen Monaten keiner zustande gebracht.

Hinzu kam Quidditch. Quidditch hier, Quidditch da, es war kaum auszuhalten.

Sie hasste Sport und vor allem den beliebtesten in der Zaubererwelt, aber fast jeder in ihrer Familie war diesem Sport verfallen und spielte in Hogwarts in einer der Hausmannschaften, was ein regelmäßiges, frühmorgendliches Trainingsspiel unüberwindbar gemacht hatte.

Sogar Rose hatten sie auf einen Besen gesetzt und ihr die Aufgaben eines Jägers erklärt – als hätte sie diese nicht gekannt -, aber sie war lieber weggeflogen, als den Klatschern und Quaffeln mutig entgegenzukommen.
 

Ihre Mutter hatte man auch nie einfach so auf einen Besen gesetzt und Ron wagte es auch nicht. In diesen Trainingszeiten hatten nur ihre Tante Ginny, die einst erfolgreich bei den Holyhead Harpies gespielt hatte, ihr Onkel Harry und ihr Vater die Aufsicht übernommen, obwohl das selbstverständliche Arrangement eher von den beiden Männern ausging.

Ihre Mutter hingegen arbeitete in diesen Ferien an ihrem letzten Schlag gegen die Hauselfenhaltung. Die Organisation B.Elfe.R hatte sich ziemlich schnell nach Voldemorts Sturz etabliert und bildete eine Art Nebenprojekt ihrer Mutter, die eigentlich in der Abteilung magische Strafverfolgung arbeitete.

Dominique holte Rose schließlich aus ihren Gedanken.

„Isch will nur auf eine Party! Wir mussten diese Ferien allerlei Käse mitmachen und nun möschte isch auch einmal Spaß haben!“

In ihrem letzten Punkt hatte ihre Cousine natürlich Recht, sie hatten Einige - nicht Nennenswerte - Schrecklichkeiten über sich ergehen lassen, aber musste das in einer Party gipfeln?

„Ich hab aber keine Lust, versteh das doch. Bei Partys hab ich nie Spaß und-“

„Alle werden da sein, nur wir nischt!“, heulte Dominique hinter ihr auf und trat theatralisch mit ihrem zarten Fuß auf. Rose verdrehte die Augen bei so viel Drama.

Endlich hatten sie die Küche erreicht und sie hastete durch den Türrahmen, in der Hoffnung, nun endlich auch Dominique abzuschütteln.
 

Die Küche war verhältnismäßig leer, sonst war sie um diese Uhrzeit immer von den hungrigen Frühsportlern besetzt, die nach Schweiß stanken und sich auf das ganze Essen stürzten, ohne an ein Wort wie `teilen` zu denken, aber Rose bemerkte mit einem Blick hinaus in den Garten, dass immer noch einige schwarze Pünktchen durch die Lüfte sausten und sie ihr Training noch nicht vollendet zu haben schienen.

„Guten Morgen.“, begrüßte sie ihre Großeltern Arthur und Molly und gab Beiden einen Kuss auf die Wange, sie waren am Vorabend gekommen, um sich von allen ihren Enkeln verabschieden zu können. Sie setzte sich mit dem Rücken zum provisorischen Spielfeld und begrüßte auch Ginny und ihre Mutter, die tuschelnd in die Küche traten, aber kaum Notiz von ihr nahmen. Natürlich, sie fiel ja auch kaum auf, im Gegenteil zu der Horde stinkender Quidditchspieler, die bald die Küche bevölkern würden.

Erst jetzt trat auch Dominique in den Raum und rief erfreut: „Großmama und Großpapa!“

Dominiques Stimme riss Ginny und Hermione aus ihrer Unterhaltung und sie schienen erst in diesem Augenblick, die Anderen um sich herum wahrzunehmen.

„Gibt’s Probleme, ihr schaut so Ernst?“, fragte Arthur, an dem die Jahre nicht spurlos vorbeigeschritten waren, der jedoch immer noch munter dreinblickte und nur manchmal über Rückenschmerzen fluchte.

Rose nahm sich ein Toast und seufzte leise, als Dominique sich neben sie setzte. Also auf eine neue Runde.
 

„Nichts.“, sagte Ginny schnell und Molly warf ihr einen forschenden Blick zu, eben den Molly Blick, den Ginny bei ihren Söhnen auf ähnliche Weise imitierte und den sogar Lily manches Mal aufsetzte.

„Es ist mehr, raus damit, Ginevra, oder hast du Angst uns damit ins Grab zu schaufeln?“

Ginny schüttelte genervt den Kopf, drehte sich zu dem breiten Herd um und begann mit ihrem Zauberstab Eier in eine monströse Pfanne zu manövrieren, Speck zu braten und Pfannkuchen zu machen.

Hermione ließ sich neben ihre Schwiegermutter sinken und sah sie traurig an. „Es ist nur die Tatsache, dass es Kingsley immer schlechter geht, die uns mitnimmt, es ist wahrlich der beste Zaubereiminister, den wir je hatten.“

„Ja, und der Tagesprophet liegt auf der Lauer und wittert die Story des Jahres.“, fügte Bill hinzu und kam zusammen mit Fleur in die Küche.

Langsam füllten sich die Plätze. Rose hatte gar nicht gemerkt, dass sie so früh dran gewesen war. Wahrscheinlich, weil sie sich sonst mehr Zeit ließ und nicht vor ihrer Cousine flüchtete.

Bill warf ihr den Tagespropheten zu, ein alltägliches Spiel zwischen ihr und ihrem Onkel und sie blickte auf die Titelseite. Ihre Mutter war auf einem Foto zu sehen, gemeinsam mit Kingsley und anderen Vertretern von B.Elfe.R, es war schon etwas älter und der Prophet hatte es wohl aus seinem Archiv kramen müssen.
 

„Kingsley hat viel für die Zaubererwelt getan, aber wenn das Amt seiner Gesundheit schadet, wird er bestimmt über einen Rücktritt nachdenken, oder?“, fragte Arthur in die Runde und Hermione tauschte nun mit Bill einen folgenschweren Blick.

„Ja, das wäre das Beste. Nur wir haben Grund zu der Annahme-“ Rose begegnete dem Blick ihrer Mutter und sie sah die Sorge darin, die sie am weitersprechen hinderte.

„Dass Jemand Kingsley krank gemacht hat. Denn er war vor zwei Wochen noch kerngesund, das weiß Hermione, das weiß ich, Harry hat ihn auch getroffen…. Es ist eine sehr beunruhigende Angelegenheit.“, vollendete Bill, der kein Problem damit zu haben schien, dass seine Tochter und Rose am Tisch saßen.

„Aber wer sollte es auf Kingsley abgesehen haben?“, fragte Molly entsetzt.

„Keine Ahnung. Und nun ist das Thema beendet, denn das Training scheint vorbei zu sein und ich will nicht, dass Albus oder Lily oder die Anderen allzu viel davon mitbekommen, Harry meinte, es wäre besser, wenn so Wenige wie möglich von unserer Theorie wissen, stellt euch nur vor, das Ganze macht in Hogwarts die Runde.“, beendete Ginny das Thema, kurz bevor die Hintertür zum Garten aufflog und über zehn Personen in die kleine Küche strömten.
 

Allen voran lief Albus, der sich sofort auf den freien Platz neben Rose schmiss und die daraufhin ein Stück von ihm fort rückte. Al sah sie ungläubig an und sie schüttelte den Kopf.

„Du solltest duschen gehen, dein Geruch bringt mich ja fast um.“

Unbeeindruckt griff Al sich drei Toasts und meinte: „Hat sich gelohnt, wir haben gewonnen.“

„Großmaul, das Spiel war alles andere als fair.“, murrte Roxanne und setzte sich neben ihren älteren Bruder Fred. Sie waren die Kinder von Onkel George und Tante Angelina, die für ein paar Tage nach London aufgebrochen waren, um in der dortigen Filiale des Süßwarengeschäfts für Ordnung zu sorgen.

„Das Spiel war so fair wie immer und die Besten haben mal wieder den Sieg davon getragen.“, mischte sich Fred ein und schenkte seiner Schwester ein nahtloses Grinsen.

Rose fiel Lily ins Auge, deren T-Shirt schlammig war und die so verdrießlich dreinblickte, dass sie Rose an eine Slytherin erinnerte. Dominique neben ihr wurde unruhig und sie wusste, dass sie ihren Herzenswunsch so schnell wie möglich der ganzen Familie verkünden wollte, aber Rose ließ sich von ihrer hibbeligen Cousine nicht ablenken.

Sie beugte sich über den Tisch und zog Lilys Aufmerksamkeit auf sich, indem sie vor ihrer Nase mit dem Finger schnippte. Lily erschrak und sah sie wütend an.

„Was ist denn passiert? Du siehst so-“

„Schlammig aus? Ja ich weiß, Louis musste mich ja auch unbedingt so weit abdrängen, dass ich in dem Sumpf landen musste, indem Tante Fleur die ganzen Abfälle entsorgt. Das kriegt er noch zurück, Fred will mir heute Nachmittag einen neuen Fluch zeigen.“
 

Rose verkniff sich ein Lächeln, als sie mit Wohlwollen daran dachte, wie sie sich am Anfang der Ferien vor dem Sportunterricht gedrückt hatte. Wenigstens war sie nie in einen magischen Sumpf gefallen. Molly und Lucy setzten sich neben Lily und verzogen das Gesicht, als sie den Geruch derer wahrnahmen.

„Schon gut, schon gut, ich erlaube euch, von mir zu rutschen.“, knurrte Lily, strich sich würdevoll die roten Haare hinter die Ohren und begann zu frühstücken.

Erneut hörte Rose hinter sich, wie die Hintertür aufschwang und Onkel Harry, ihr Vater, Teddy, seine Frau und ihre liebste, älteste Cousine Victoire, sowohl auch ihr Cousin James eintraten. Vollzählig, dachte sie und bemerkte gleichsam, dass sie sich irrte. Onkel Percy fehlte und Tante Audrey auch, allerdings wäre es mit den Beiden wohl noch enger gewesen und Rose bedachte, als sie näher an Al rücken musste, dass es wohl so besser war.
 

„’ört mal alle ’er!“, ertönte Dominiques Stimme und erfüllte mit ihrem Wohlklang den ganzen Raum. Sie hatte eine ernste Miene aufgesetzt, die ihre natürliche Schönheit noch zusätzlich unterstrich, anders als wenn sie lächelte, denn dann war wie wortwörtlich: zauberhaft.

Rose zuckte zusammen und wurde blass. Das war doch jetzt nicht wahr?

„Ihr wisst von der Party für die zurückkehrenden ’ogwarts Schüler? Und dass wir abgestimmt ’aben zusammen zu ge’en? Nun isch ’abe Rosie versucht zu überzeugen, aber sie wollte nichts davon ’ören, so dass ihr nun dran seid, sie umzustimmen! Rosie muss mitkommen, es ist Pflicht und wischtig für ihren Stand in ’ogwarts.“

„Ihr habt abgestimmt?“, fragte Rose irritiert und blickte in die Runde.

„Ähm na ja, irgendwie schon, wir kannten ja deine Antwort, wir wussten, dass du kein Interesse hast und so.“, antwortete Al langsam und bedacht, ohne seine Cousine allzu lange aus den Augen zu lassen.

„Und weil du überstimmt wurdest, war eigentlich klar, dass du mitkommen musst. Dominique wollte dich dann eben heute Morgen darauf vorbereiten. Nett von ihr.“

Rose funkelte Al böse an, warf ihre Lockenmähne nach hinten und blickte die Jugendlichen am Tisch einen nach den Anderen wütend an. Dabei geriet sie fast aus der Fassung, bei dem Blick mit dem Lily ihren erwiderte.

„Das könnt ihr doch nicht Ernst meinen.“, sagte Rose fassungslos und merkte, wie Al sich neben ihr unruhig bewegte.

„Aber Rosie es ist nur eine Party, wir sind doch alle da und Niemand wird dich alleine lassen, du musst nichts trinken-“

„Getrunken wird eh nicht!“, mahnte Ginny und fiel ihrem Sohn dabei ins Wort.

„Natürlich nicht, Tante Ginny.“, grinste Fred und warf einen spöttischen Blick in die Runde, der seinen zuvor gesagten Satz mit Sarkasmus tränkte.

Rose sprang auf und rannte aus der Küche ohne sich noch einmal umzusehen.

Sie hatte eine tolle Familie! Wirklich, sie hatte eine Familie, die ihre Wünsche nicht akzeptierte, Quidditch vergötterte und ohnehin zu groß war.

Dann würde sie eben mitgehen, aber sie sollten sie auf keinen Fall nerven, stressen oder bevormunden, sie war schließlich kein kleines Kind mehr!

Sie würde ein Buch mitnehmen, komme was wolle.
 

Nur sie würde keine Zeit zum Lesen finden.
 

__
 

Es war ein kühler Morgen nach einer zu kurzen Nacht, dessen wurde sich der Siebzehnjährige schlagartig bewusst, als er die Augen öffnete und ein stechender Schmerz durch seine Glieder fuhr und sich in seinem Kopf explosionsartig entlud. Für einen Augenblick sah er nichts außer erdrückender Helligkeit, die sich langsam und fleckig löste und dem familiären Anblick seines Zimmers Platz bot.

Er lag auf einem der hellen, prächtigen Teppiche inmitten des Raumes und sein eigentliches, großes Bett schien diese Nacht unberührt geblieben zu sein.

Seine Hand fuhr durch sein helles und zerzaustes Haar und leise stöhnte er auf, bevor er sich mit einem Ruck aufsetzte, in der Hoffnung das unangenehme Gefühl auf diese Weise schnell hinter sich bringen zu können. Er bemerkte nur noch, dass er fast gänzlich nackt war, bevor er benebelt zurück auf den Rücken fiel.

Ein entzücktes und gleichsam verzehrtes Lachen drang an sein Ohr und er erkannte es trotz seiner vorläufigen Unzurechnungsfähigkeit.
 

„Lass in Zukunft besser die Finger von Feuerwhiskey, Bruderherz.“, lächelte Imogene Malfoy amüsiert und warf ihm provisorisch ein herumliegendes T-Shirt zu.

Scorpius grummelte unverständliche Worte und ließ den Arm langsam zurück auf sein Gesicht sinken, um seine Augen vor der unerbittlichen Helligkeit zu schützen.

„Wer die ganze Nacht mit Goyle, Zabini und dem anderen Gesindel herum saufen kann, sollte auch die Folgen mit der Würde eines Malfoys zu tragen haben. Möchtest du, dass ich Daddy herhole? Ihn würde dein Anblick bestimmt interessieren.“

Imogene kicherte zufrieden, als ihr Bruder die flache Hand ausstreckte und neben sich auf dem weichen Teppich nach seinem Zauberstab zu suchen begann, den sie, wohl wissend, was ihre Neckereien ihn anstacheln würden, von seiner Seite genommen hatte, bevor sie so wagemutig die schweren Vorhänge seines Zimmers beiseite zog und das Sonnenlicht herein gelassen hatte.

„Du wirst ihn auf dem Boden liegend nicht finden, das kann ich dir bei Merlin versichern.“

„Miststück.“, fluchte Scorpius und schwang sich erneut hoch, warf seiner Schwester einen feindseligen Blick zu und sah sich verschlafen in dem vertrauten Raum um. Er hatte so ziemlich alles, was ein Siebzehnjähriger nicht für ein glückliches Leben brauchte: Einen riesigen Kamin, der nie befeuert wurde, und Regale voller Unikate, Büchern, die er nie aufschlug und die so kostbar waren, dass man es am besten auch nie tat. Nachdem er ein Slytherin geworden war, wie ausschließlich Jeder seiner Familie - obwohl der Sprechende Hut bei Imogene ganze fünf Minuten lang überlegt hatte, in welches Haus sie am besten passte und Scorpius am liebsten auf einen Fehler plädiert hätte, Imogene überhaupt in Hogwarts aufzunehmen – hatte seine Mutter teure Vorhänge in grün gekauft und auch den Rest dieses Raumes in den Farben der Slytherins getaucht. Seine Bettwäsche war in einem Silber gehalten, dass es ihm manchmal nicht behagte darin zu schlafen.
 

Imogene stand immer noch im Türrahmen und blickte fasziniert auf ihren Bruder herab, als wäre er ein magisches, unentdecktes Wesen, das es wert war, näher zu studieren.

„Starr mich nicht so an, Hexe.“, murmelte Scorpius und bemerkte entnervt, dass die letzte Nacht seine Kreativität in Sachen Schimpfwörter hatte schrumpfen lassen. Dasselbe schoss wohl auch seiner Schwester durch den Kopf, aber ausnahmsweise ertönte kein albernes Kichern.

„Weißt du Scorpius, wenn man dich so beobachtet, könnte man meinen, dass du doch kein so arroganter Wicht bist, wie du immer tust, sondern sogar nachdenkst. Fast würde ich sagen, dass du sogar tiefgründiger bist, als du normalerweise zeigst, wenn du zum Beispiel arme Leute verzauberst, die dir nicht in den Kram passen und deinem Image des kaltblütigen jungen Malfoys alle Ehre machst.“

Sie lächelte ihn an, abschätzend, wissend und mit dem Blick, der der ihrer Mutter fast gänzlich glich, und fügte hinzu: „Vielleicht erkenne ich unsere Blutsbande doch irgendwann an.“

„Halt die Fresse oder du spukst Schnecken.“, erwiderte Scorpius matt und ging hinüber zu einem prächtig verzierten Spiegel, der wohl auch irgendwann Unsummen gekostet hatte. Er war blass, aber heute wirkte es nicht vornehm und wie die natürliche Blässe eines Malfoys, sondern einfach nur krank.

„Als wüsste ich nicht, dass du dir den Fluch speziell für Weasleys aufhebst.“, murmelte Imogene unbeeindruckt und verließ seinen Raum, so dass Scorpius kurz davor stand erleichtert aufzuseufzen, hätte sie sich nicht noch einmal umgedreht.

„Mutter besteht auf ein gemeinsames Mittagessen, also beeil dich und schraub dein Ego so weit herunter, dass du dich zu Tisch begibst, ohne vorher zu versuchen, dein fürchterliches Aussehen für deine Mitmenschen erträglicher zu machen.“
 

Wahrscheinlich war sie in Slytherin doch an der richtigen Adresse, dachte Scorpius, als er sich versuchsweise durch das blonde Haar fuhr und sein Vorhaben schnell wieder aufgab.

Er beließ es schließlich dabei, sich anzuziehen und nichts weiter für sein Äußeres zu tun, denn es waren immerhin seine ausgezeichneten Gene, die ihn in jeder Lebenslage - sogar in einer wie dieser – perfekt aussehen ließen, Gott sei Dank, war er ein Malfoy.

Es gab so Einiges, wogegen er eine grundlegende Abneigung hegte, man konnte sogar sagen, er mochte weniger, als er nicht mochte und dazu gehörten auch diese gezwungenen Familienessen.

Der Rest seines Clans saß bereits an dem blank polierten, langen Esstisch und es wirkte, als ob man auf dem Mahagoniholz entlang schlittern konnte wie auf dem zugefrorenen See in den Wintermonaten in Hogwarts. Da hatten sich die Haushelfen wirklich Mühe gegeben.

„Vater, Mutter.“, grüßte Scorpius wortkarg und ließ sich auf seinen Platz gegenüber dem seiner Schwester nieder. Traditionell saßen seine Eltern an der jeweiligen Stirnseite des Tisches, so weit voneinander entfernt wie nur möglich und würdigten sich so gut wie keines Blickes. Diese Ehe war eine reine Zweckgemeinschaft und Scorpius wusste mit ziemlicher Sicherheit, dass es auch nie mehr gewesen war.

„Sohn.“, erwiderte sein Vater ohne dabei den Blick von der Schlagzeile des Tagespropheten zu nehmen. Auch wenn seine Mutter manchmal Anfälle von Kindesliebe und Familienzusammensein bekam und den mehrstündigen Wunsch hegte, eine glückliche Familie zu haben, so war es seinem Vater zum Glück schon immer recht egal gewesen, ob man nun eine enge Familienbande hegte und pflegte oder nicht. Scorpius fand es dennoch erstaunlich, dass er sich nicht sträubte, wenn seine Mutter einer dieser Eingebungen folgte, wonach doch etwas wie Respekt zwischen den Beiden herrschen musste.

„Scorpius.“, lächelte seine Mutter und es war ähnlich einem Lächeln, das eine Mutter nur für ihr Kind übrig hatte und welches auf dem Gesicht dieser Frau unecht wirkte. Wahrscheinlich bemühte sie sich, doch er hatte wenig Lust bei diesem Schauspiel mit zu machen.

„Ist es gestern Abend spät geworden?“, fragte seine Mutter interessiert, gerade als ein Hauself die Salatteller hinein schweben ließ. Es würde also ein langes Essen werden, dachte Scorpius gequält und öffnete den Mund, als Imogene ihm ins Wort fiel.

„So spät, dass es schon wieder Morgen war.“, flötete sie und schenkte ihrer Mutter ein herzerwärmendes Lächeln. Wahrscheinlich wurde ihr das sogar abgekauft.

Der Blick seines Vaters hatte sich immer noch nicht von der Zeitung gewendet und er schien keine Notiz von der Vorspeise zu nehmen.

„Was gibt’s Neues, Dad?“, fragte Scorpius in demselben Ton, den auch sein Kumpel Adrian Zabini bei seinem Vater anschlug, obwohl die Beiden ein weitaus besseres Verhältnis zueinander hatten, als er und sein Vater. Dementsprechend irritiert hob Draco Malfoy auch den Kopf und entschied sich nach ein paar Sekunden, trotz allem auf die Frage zu antworten.

„Es sollen Tagelöhner für Hauselfen eingeführt werden, diese lästige Hermione Granger, heute Weasley, geht auf die Barrikaden und fordert die Hauselfen zum Streik auf, als ob das nicht noch gefehlt hätte. Es gibt nichts Interessanteres, weswegen wohl diese Geschichte auf der Titelseite gelandet ist.“

„Diese Frau soll etwas tun, das ihrem Stand nach angemessen ist.“, mischte sich seine Mutter ein und warf ihrem Mann einen Zustimmungs- heischenden Blick zu. „ Es sollte verboten werden, die Hauselfen so sehr dazu anzustacheln, Löhne und Urlaubstage zu verlangen oder ihnen gar die Freiheit zu schenken, vor allem jetzt wo es Jahrhunderte lang gut funktioniert hat. Diese Frau sucht einfach nur Aufmerksamkeit und sollte sich zurück in ihren widerlichen Fuchsbau verziehen, wo ihr Gesindel lebt.“

Astoria Malfoy beendete ihre Ansprache mit einem Nicken und Scorpius fragte sich, in welcher Zeit seine Mutter lebte, als Imogene ihr Stimmchen erhob.
 

„Hermione Granger hat viele unserer Schulbücher geschrieben, sie empfiehlt auf den ersten Seiten zwar immer noch allerhand andere Lektüre, um sein Wissen optimal zu festigen und Sachverhalte aus verschiedenen Blickwinkeln sehen zu können, aber sie scheint eine sehr kluge Frau zu sein. Und ihren Mädchennamen hat sie für Öffentlichkeitsarbeiten behalten, um den Fokus von Rose und Hugo und dem Rest ihrer Familie zu nehmen.“, vollendete Imogene und war augenscheinlich zufrieden damit, dass drei Augenpaare ungläubig auf ihr ruhten und ihre Mutter wohl darüber nachdachte, ob das wirklich eine Malfoy war.

„Was bei Merlins Namen hast du mit den Weasley Kindern zu tun?“, fragte ihre Mutter entgeistert und stark beherrscht, währenddessen sich Draco Malfoy wieder hinter seiner Zeitung verbarg.

Aber genau dasselbe fragte sich Scorpius auch und ließ seine kleine Schwester nicht mehr aus den Augen. Imogene seufzte theatralisch.

„Mutter sei doch nicht so verklemmt! Die Weasleys sind wirklich nett und die Potters im Übrigen auch. Ich bin mit Lily und Hugo in einer Klasse und erst Ende des letzten Jahres, kurz vor den Abschlussexamina haben wir begonnen, zusammen zu lernen. Nun ja, Rose, Hugos Schwester, setzte sich irgendwann zu uns und ich habe gemerkt, dass alles was Scorpius je über sie erzählt hat, reiner Bullshit ist.“

Imogenes Blick wanderte bei den letzten Worten kurz zu ihrem Bruder und ein Funkeln blitzte aus ihren eisig hellblauen Augen, dass Scorpius bereits ahnte, womit seine Schwester als nächstes kommen würde.

„Sie war sogar ein halbes Jahr in Beauxbatons und ist die Beste ihres Jahrganges, sie schlägt Scorpius jedes Jahr in jeder Prüfung.“, sie feixte und sein Vater seufzte hinter seiner Zeitung, wie immer, wenn er hören musste, dass sein Sohn gegen eine Weasley verlor.

„Weil ich auch noch andere Dinge zu tun habe, als bloß in der Bibliothek zu sitzen und in meine Bücher zustarren!“, zischte Scorpius und warf Imogene einen Blick zu, der ihr versicherte, dass er sich dafür rächen würde. Seine Mutter entschied sich, nichts darauf zu erwidern und widmete sich ihrem Teller.
 

„Ist eine Eule für mich gekommen?“, fragte Scorpius während des Desserts, nachdem alle Vier beachtlich lange geschwiegen hatten, was nicht sonderlich neu war, da jede Art Smalltalk in diesem Haus eh immer gleich endete. Mit Schweigen. Genau wie die zuvor.

„Nein, erwartest du eine?“, griff seine Mutter sofort nach dem Knochen, den er ihr hingeworfen hatte. Er öffnete den Mund, aber er hätte es ja wissen können.

„Er wartet schon fast zwei Monate. Tja, Jane hat wohl kein Interesse mehr an dir.“, grinste Imogene und zwinkerte Scorpius böse zu. Sie war ein kleiner, widerlicher Teufel.

„Ein Malfoy verliert immer zuerst das Interesse an einem Mädchen.“, meldete sich sein Vater zu Wort und das erste Mal huschte sein Blick zu seiner Mutter.

„Man darf ihnen nicht zu viel Macht lassen.“

„Manche Malfoys schaffen es jedoch trotzdem nicht.“, zischte Astoria und warf ihrem Gegenüber einen verachtenden Blick zu.

„Wie dem auch sei, es gibt noch mehr Halbveelas auf der Schule, Dominique Weasley zum Beispiel oder wenn du schwul wirst auch ihr Bruder Louis, der wirklich süß ist.“

„Imogene!“, kreischte ihre Mutter und wurde einen Hautton blasser.

„Pass auf, dass ich dir nicht deine Zunge raus schneide, denn ohne die, fehlt dir ja deine ganze Kraft.“, flüsterte Scorpius bedrohlich und beugte sich ein Stück zu ihr hinüber. Imogenes Grinsen verblasste fast gänzlich, denn sie erriet immer, was Fake war und was nicht. Und das war ganz und gar keiner.

Er könnte es. Scorpius könnte so einiges, skrupellos genug war er dafür.
 

„Eure Mutter hat mit diesem Essen keinen neuen Krieg hervorrufen wollen, schon gar nicht an unserem Tisch. Reiß dich zusammen Scorpius und du, denk über deine Worte nach, nicht alle sind dir sicher und vergönnt, meine kleine Imogene.“, heischte Draco seine Kinder an und erhob sich, eilte lautlos davon und das Schauspiel war vorbei.

„Euer Vater hat Recht. Scorpius schraub deinen Zorn herunter und höre mir zu, in drei Tagen fahrt ihr zurück nach Hogwarts und heute Abend findet eine-“

Sie schien keine Worte dafür zu finden und ihr Blick wanderte zu ihrer Tochter, die sich jedoch so doll auf die Zunge gebissen zu haben schien, dass ihre Stimme nicht die Luft erfüllte.

„Na ja es findet eine Party statt, die das Ende der Ferien und den Abschluss des Sommers oder so etwas in der Richtung befeiern soll. Deine Schwester möchte gerne hin gehen, aber mir wäre wohler, wenn du sie begleiten könntest. Ich bin mir sicher, dass Adrian und Quirin auch da sind, es soll nämlich speziell für Hogwarts Schüler sein.“

Imogene starrte Scorpius nicht an, als der ihr einen ungläubigen Blick zuwarf, in dem eindeutig geschrieben stand, was er dafür alles von ihr verlangen konnte, doch als er ihr kleines, trauriges Gesicht sah, entschied er sich um.

„Von mir aus, aber nur, wenn Zabini und Goyle mitkommen.“ Was sie sicher tun werden, fügte er in Gedanken hinzu, stand auf und verließ den Speisesaal.
 

Irgendwann würden Quirin und Adrian ihm jedoch egal sein.

                  

       

two

                  

       

Der Tag verging ähnlich wie der kleinste Wimpernschlag und bevor man sich recht versah, stand die Sonne schon tief am Horizont und die Hitze des prallen Gelbs wich der Wärme von glühendem Rot, das sich fast malerisch auf das prächtige Anwesen der Familie Delacour betete und die Nacht nicht mehr fern deuten ließ, welche zweifelsohne kam, wie sie unabwendbar war.

Erste Lichter zündeten sich hinter verschlossenen Türen an und erhellten die in Dämmerlicht getauchten Räume, doch am hellsten erleuchtete an diesem Abend die Eingangshalle, welche zwar nicht annähernd enorm und groß war wie die in Hogwarts, aber um einiges ruhmbestickter glänzte.

Pünktlich zum Sonnenuntergang dieses Tages versammelten sich die Jüngsten des Haushalts in eben dieser Halle, von welcher aus ein Portschlüssel das umschriebene Taxi zu einem Vorort Londons sein sollte.
 

Und dieser damit verbundene Aufwand war wegen nichts Geringerem als einer Party, einer Veranstaltung für vorwiegend Jugendliche, die ihnen das unausgesprochene Recht gab, zu trinken wie viel und was sie wollten, zu küssen und - was weiß Merlin noch alles – wen und was sie wollten und den bitteren Beigeschmack mit sich brachte, dass man vielleicht Dinge tat, die man bereuen würde. Es waren nicht die Gedanken von Rose, es waren die ihrer Mutter.

Hermione stand neben ihrem Mann in der Eingangshalle und drehte nervös eine Locke fortwährend um ihren Zeigefinger. Sie hatte ein mulmiges Gefühl gehegt, schon Stunden zuvor und gegen Ende des Tages war es umso intensiver geworden.

Natürlich war es falsch gewesen, dass die Kinder einen derartigen Entschluss alle zu der Party zu gehen, hinter dem Rücken ihrer Tochter abgesprochen hatten. Es hatte sie verletzt, das hatte sie gesehen und sofort gewusst, als das Thema aufgekommen war.

Rose war eben keines dieser Mädchen, das gerne auf Feiern ging oder allgemein die Gesellschaft vieler fremder Menschen suchte. Dafür schätzte Hermione sie auch insgeheim, denn ließen sich heutzutage nicht zu viele junger Mädchen in ihrem Handeln beeinflussen?

Unterschwellig musste sie an Hauselfen denken, verscheuchte den Gedanken jedoch schnell wieder aus ihrem Kopf. Nicht jetzt.

Aber sie hatte auch immer lieber mit einem guten Buch den Tag beendet als mit einer Party, die es zu ihren Zeiten in Hogwarts sowieso noch nicht in diesem Ausmaße gegeben hatte. Immer wenn Gryffindor ein Quidditchspiel gewann, hatte die Freude in einer hausinternen Feier gegipfelt, meist angeführt von den Zwillingen Fred und George.

Allerdings wusste sie auch über die Veränderungen in Hogwarts Bescheid und wahrscheinlich lag es einfach daran, dass sie das 21. Jahrhundert schrieben, jedenfalls waren Parties nun nicht mehr nur hausintern geschweige denn aller paar Monate. Und Rose war ihres Wissens nach nie dabei. Was Ron einen Blick aufs Gesicht zauberte, als zweifle er an der Anpassungsfähigkeit seiner Tochter und fürchte, sie würde ausgeschlossen werden, ließ Hermione insgeheim erleichtert aufseufzen. Sie sollte bloß nie etwas tun, was sie nicht wollte oder was ihr Schaden brachte.
 

Albus kam zusammen mit seiner Schwester Lily die breite Treppe hinunter und unterließ es ausnahmsweise das glatte Treppengeländer hinunterzurutschen.

„Na endlisch!“, begrüßte sie eine aufgeregte Dominique, die trotz ihres leicht nach unten neigenden Mundwinkels vor Schönheit kaum zu übertreffen war. Ihre vollen Lippen waren in einem satten Rot angepinselt und ihre seidige Mähne floss ihren Rücken herab wie es jeden Wasserfall in den Schatten gestellt hätte.

„Wir sind pünktlich, Dome“, erwiderte Lily kratzbürstig und stemmte die Hände in die Hüften, als würde sie keiner Diskussion aus dem Weg gehen wollen. Noch immer schien ihr der Ausflug in den Sumpf ihrer Tante im Nacken zu sitzen und kaum merklich suchten ihre rehbraunen Augen nach Louis, der in einer Ecke mit Fred und Hugo stand und noch nichts von seinem baldigen Glück zu wissen schien. Wie sollte er auch.

„Rosie fehlt noch!“, schimpfte Dominique und stampfte dramatisch mit ihrem zarten Fuß auf, was Lily nur mit einem Augenverdrehen bewertete.

Augenscheinlich waren sie vollzählig bis auf ihre Cousine Rose. Lily hatte in ihrem Kopf momentan keinen Platz für großes Mitgefühl, überlagerte der Rachedrang an Louis doch ihr Denken, aber sie wusste dennoch, dass sie es falsch angegangen waren. Hätte man nur sie zu Rose geschickt und das Ding wäre geritzt gewesen. Zwar nach Stunden der Bearbeitung, aber immerhin. Nein, Dominique hatte ja selbst gehen müssen.

„Wir müssen los und Rose fehlt! Sie will nischt mit!“, wandte sich Dominique an die Erwachsenen, die sich ebenfalls in die Halle begeben hatten, um ihre Warnungen und Belehrungen loszuwerden.

„Ruhig bleiben, Schatz, Rosie ist nicht mehr weit.“, lächelte ihre Großmutter Molly und legte ihr die Hand auf die schmale Schulter, um ihre Enkelin zur Treppe zu drehen.

Lily steckte sich eine rote Haarsträhne hinters Ohr und folgte dem Blick ihrer Cousine wie Jeder in der marmornen Halle.

Eine schwach lächelnde Rose stand oben auf der Treppe und schien sofort wieder fortlaufen zu wollen. Die unterschiedlichsten Emotionen strichen ihr über das von Sommersprossen übersäte Gesicht, die ihren Teint jedoch in ein anderes Licht tauchten als an gewöhnlichen Tagen oder irrte Lily sich? Sie wirkten wie zahllose Schönheitsflecken und in diesem Wort lag die Bedeutung, denn sie wirkten wirklich nur wunderschön, nicht lästig wie die Tragende immer behauptete. Lily beneidete sie sogar darum.

Dunkelrote Locken strömten Rose über die Schultern und sie warf sie mit einer Handbewegung aus ihrem Gesicht, als wäre sie Jahre lang zu dieser Geste berufen gewesen. Ihr Körper, den Lily nicht beschreiben konnte, weil sie ein Mädchen war, aber bei dem wohl jeder ihrer Cousins in diesem Moment dachte, dass so seine nächste Freundin proportioniert sein sollte, steckte in einem grünen Kleid, das ein gutes Stück über den Knien endete, jedoch keinen Platz für Spekulationen gab, welche Absichten die Trägerin wohl hatte.

Es wirkte elegant, vielleicht sexy, aber nicht mehr. Lily war sich sicher, hätte Dominique dieses Kleid getragen, hätte sie dazu eine eindeutige Nachricht ausgesendet beispielsweise etwas wie ‚Nimm mich, aber schnell’ oder ähnlich Anstößiges.

Das erste Mal in ihrem Leben wirkte Rose Weasley wie eine Veela auf ihre Umgebung.
 

Schweigen herrschte in der Halle und Rose’ Blick glitt über die erschrockenen und überwältigten Gesichter ihrer Familie ohne recht zu glauben, was sich ihr für ein Anblick bot.

„Ach kommt, tut nicht so, als hättet ihr mich noch nie in einem Kleid gesehen!“, sagte sie schließlich unsicher und stöckelte in ihren unbequemsten Schuhen die Treppe hinunter. Sie hatte das Laufen darin zwar geübt, aber Treppen erboten sich immer noch als gefährlich.

„Wow, Rose, du siehst bezaubernd aus.“, stieß Albus hervor und seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das wohl nur er ihr als ihr bester Freund schenken konnte. Überraschung glitzerte aus seinem Blick wie aus allen anderen ebenfalls.

„Nicht nur bezaubernd, delikat!“, fiel Fred sofort mit ein und schritt anerkennend auf sie zu.

„Sexy, aber in Maßen!“, fügte Louis hinzu und warf seiner Schwester, die wie angewurzelt da stand, einen Blick zu, der das Gegenteil bezeugte.

Ron bekam bei den Worten ‚delikat’ und ‚sexy’ gleichsam einen Hustenanfall und Onkel Harry klopfte ihm mit einem vielsagenden Lächeln auf den Rücken. Ihre Mutter lächelte ihr ebenso unsicher zu, wie Rose sich in diesen Sekunden fühlte.

„Danke“, murmelte sie schwach als Antwort auf die durchaus positiven Komplimente und fühlte sich unter all den Blicken zusehends unwohl in ihrer Haut. Das war sie nicht gewöhnt und das würde ihr wohl auch nie gefallen, so war sie nun mal nicht. Sie stand höchstens im Mittelpunkt, wenn sie in der Schule eine richtige, alles wissende Antwort gab, aber in sonstigen Bereichen ihres Lebens selbstverständlich nicht. Ihr war die Rolle der stillen Beobachterin auf den Leib geschneidert worden und sie hatte sich daran gewöhnt, sich zusehends damit arrangiert.

Ihre Finger umfassten ihre kleine schwarze Handtasche und nachdem ihre Gedanken zu dem Taschenbuch gewandert waren, was darin lag und fast den gesamten Platz einnahm, löste sich ihre Verspannung langsam. Das Buch würde ihr den Abend retten, sie würde sich einfach in ein ruhiges Zimmer setzen, fernab der Party und lesen. Das war ihr Plan.

„Sehr hübsch, Rosie“, lächelte ihr Dominique zu und in ihrem Blick lag gleichsam ein Ausdruck, den Rose bisher nur auf ihrem Gesicht gesehen hatte, wenn sie die andere Veela in Hogwarts, Jane, angesehen hatte, die somit einzige Konkurrenz ihrer Cousine innerhalb der Steinmauern ihrer Schule. Nachdem diese Erkenntnis sie traf, kam sie sich sogleich albern vor und wusste nicht, ob sie sich freuen sollte, wenn dem denn so war oder ob sie Stolz oder ähnliches empfinden musste.

„Leute, ihr macht sie verlegen, merkt ihr das nicht?“, fragte Teddy in die Runde und zeigte theatralisch, was wohl eine Nachahmung Dominiques sein sollte, auf seine Uhr.

„Ihr müsst los, der Portschlüssel wartet nicht ewig!“

„Moment!“, schaltete sich Ginny ein und trat einen Schritt vor. Ihre Augen funkelten wie einst die ihrer Mutter, wenn sie ihre Kinder belehrt hatte und Ginny baute sich vor der Gruppe zu voller Größe auf. „Kein Alkohol. Keine Drogen. Kein Sex. Kein Hausfriedensbruch aller Art. Keine Streiche. Jeder passt auf Jeden auf!“

„Ja, wenn wir Sex haben, dann alle nur zusammen.“, erwiderte Fred ernst und nickte seiner Tante zu, was Rose und den Anderen ein Lachen entlockte.

„Passt einfach auf euch auf“, half Hermione Ginny, die schon in Begriff war loszutoben, und blickte alle nacheinander mit einem besorgten Blick an.

„Spätestens drei Uhr will ich euch alle hier versammelt sehen“, meldete sich nun auch Tante Fleur zu Wort.

„Viel Spaß.“, wünschte Bill und nickte ihnen mit einer Kopfbewegung zu, die sowohl bedeutete ‚Macht’s gut’ als auch ‚Haut endlich ab’.
 

Der Portschlüssel entpuppte sich als Fahrradreifen und als Rose Finger sich darum schlossen, die Gestalten ihrer Eltern und die Umgebung in sekundenschnelle verschwanden, sie sich umeinander drehten und auf seltsame Weise flogen bis die Umgebung wieder klarer wurde und einer Wohnsiedlung wich, breitete sich ein unbekanntes Gefühl in ihrer Magengegend aus. Es war nicht der Schrei ihres Vaters gewesen – „Was machen wir hier, holt meine Tochter zurück!“ - der typische Schrei eines Mannes, der Angst um seine kleine, große Tochter hatte, es war auch nicht die Art der Reise gewesen, wahrscheinlich war es so etwas wie Vorfreude vermischt mit Nervosität oder auch Angst. Es war immerhin ihre erste richtige Party. Plötzlich fühlte Rose sich bei dem Gedanken nur noch unwohler und schrecklich unerfahren.

Die Party wurde von einem Mädchen aus ihrem Jahrgang ausgerichtet, einer Freundin von Molly und Lucy, mit der Rose wenig zu tun hatte und die sich eine Hufflepuff nannte.

Ihre Eltern waren verreist und wussten noch gar nichts von ihrem Glück, aber nach einem Satz von Lucy zu schließen, kümmerten sie sich nicht sonderlich darum, was ihre Tochter tat und was nicht, sie waren reich und durch Galleonen ließen sich auch Zimmereinrichtungen Eins zu Eins ersetzen. Oder durch Magie, aber Rose bezweifelte, dass Natalie dazu in der Lage war.

Gerade als sie an die kleine, wohlproportionierte Hexe dachte, die ungemein gerne tratschte und als größte Klatschtante Hogwarts’ galt, kam ebendiese strahlend auf ihre Gruppe zu gerannt, die sich schlendernd dem großen Haus näherte aus dem schon extrem laute Musik zu hören war.

„Endlich seid ihr da!“, rief sie freudig und Rose war sich sicher, dass sie mit diesem Ausruf Jeden begrüßte. Lily schien dasselbe zu denken, denn sie zog eine Grimasse als Natalie sich um Albus’ Hals schmiss und danach auch die anderen männlichen Wesen gebührend umarmte, bevor sie sich mit gezierten Küsschen den Mädchen zu wandte. Lily lehnte ihr Angebot ab und gab ihr zu verstehen, dass sie nicht kuscheln wollte, was Dominique etwas von ‚ihr sozialer Stand’ faseln ließ. Natalie lächelte gekünstelt und als ihr Blick an Rose hängen blieb, zerbrach es sofort. Musternd und ungläubig hing ihr Gesicht an deren Gestalt, bevor sie ihre Fassung zurück gelang und ihr bei dem Küsschen ins Ohr flüsterte: „Da will es aber heute Abend Jemand wissen.“

Im ersten Moment glaubte Rose sich verhört zu haben, aber schließlich kam schon ein Tablett mit kleinen Gläsern auf sie zu geschwebt, was unweigerlich Natalies Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

„Oh, ein kleiner Willkommensdrink!“, lachte sie und das Tablett schwebte in ihre Mitte. Fred und Al nahmen sich sogleich eines der kleinen Gläser und schlussendlich nahm auch der Rest, wenn auch Rose am Zögerlichsten, seinen Anteil.

Natalie hob das Glas hoch und grinste: „Das ist heut schon mein Vierter, also auf was wollen wir trinken?“

„Auf den Abend.“, säuselte Fred und nickte ihr zu, sodass Rose sich zwar an der Art dieses Nickens sicher war, dass ihr Cousin nichts für dieses Mädchen fühlte, aber immerhin Jemanden abschleppen wollte. Sie verspürte den Drang ihn zurechtzuweisen, doch biss sich auf die Zunge. Nur keine Spielverderberin sein.

„Auf den Abend also!“, erwiderte Natalie und stürzte sich die durchsichtige Flüssigkeit hinunter. Die anderen fielen in ihren Satz mit ein und taten es ihr gleich, sogar Lily trank es mit einem Zug leer. Rose blickte unsicher in ihr Glas.

Sie trank sonst nichts, wovon sie nicht wusste, was es war und das sah ganz und gar nicht gut aus. Sie drehte es in ihren Händen, sah wie Fred und Albus schon mit Natalie in der Mitte auf dem Weg waren, das Haus zu stürmen und fasste einen Entschluss: Sie wollte wenigstens einmal wissen, wie es war.

Sie wollte wissen, wie es war zu trinken und hemmungslosen Spaß zu haben. Oder annährend hemmungslos. Einmal in ihrem Leben. Nicht an Regeln denken. Was sollte denn schon passieren?

Sie würde nicht so übertreiben wie Al bei seinem ersten Mal im vierten Jahr. Oder wie Fred es andauernd tat. Wie Dominique manchmal.

Also kippte sie sich den unbekannten Inhalt des Glases hinunter und ein brennendes Gefühl breitete sich wandernd in ihrem Körper aus, riss sogar kurz die Umgebung aus ihrer Verankerung und Rose musste die Augen zusammen kneifen, um sich nicht sofort zu übergeben. Es schmeckte widerlich und ihr Gesicht fühlte sich an, als wolle es nie mehr die Grimasse des Ekels ablegen. Leicht schwankend folgte Rose den Anderen, spürte den besorgten Blick Lilys auf sich und schüttelte ihn von sich ab.

Nach dem Ekel kam ein anderes Gefühl, etwas Wärmendes.
 

Auf den Ekel folgte die Unbezwungenheit.
 

--
 

Leise Musik umspielte den Raum und durch das weit geöffnete Fenster schlich sich leise die Nachtluft. Er wusste nicht, wann das glühende Rot der Sonne sich endlich hinter dem Horizont verabschiedet hatte und das Malfoy Manor in Dunkelheit und Schatten erstrahlt war, aber diese Tageszeit gefiel ihm bei Weitem besser. Sie war nicht so belastend wie die Tageszeit, denn wenn sie meisten Menschen schliefen, machte das eigentliche Leben erst richtig Spaß. Scorpius hatte die Erfahrung gemacht, dass die Leute mit der Nacht manchmal ihre störenden Eigenschaften ablegten – lag es an der Zeit oder dem Alkohol? – und Fassetten von sich zeigten, die man nie erwartet hätte. Er mochte die Nacht aufgrund ihrer selbstverständlichen Unbezwungenheit lieber. Es gab weniger Regeln und mehr Spaß.

Seine eisigen Augen wanderten über sein Spiegelbild und blieben zufrieden an seinem Gesicht hängen. Er war zwar nicht wie Adrian und nannte sich selbstverliebt, aber er konnte durchaus Stolz darauf sein, was er hatte. Er war ein Malfoy.

Diese zusätzlichen Stunden Schlaf hatten alle Spuren der letzten Nacht verwischt und konnten Neuen Platz bieten.

„Scorpius?“, hörte er seine Mutter rufen und kehrte dem Spiegel den Rücken, um sich in der Höhle der Belehrungen einzufinden. Wie vermutet, stand seine Mutter am Fuß der breiten und dunklen Treppe, hatte die Hände vor ihrer Brust verschränkt und sah seltsam beunruhigt aus.

„Keine Sorge, ich pass schon auf sie auf“, nahm er ihr die leeren Versprechungen ab und blieb dicht neben ihr stehen.

„Das ist es nicht“, erwiderte sie und ihre Augen funkelten unheilvoll. „Oder vielleicht doch, ja vielleicht ist es das.“

Scorpius zog eine Augenbraue in die Höhe und war sich sicher, dass seine Mutter bald völlig durchdrehen würde, als ihr Blick glasig wurde und sich Richtung oberen Fuß der Treppe erstreckte. Er folgte dem Blick und pfiff anerkennend, als er seine Schwester erkannte, was wohl das einzige Kompliment sein würde, das er ihr je machte.

„Schatz, du siehst wunderbar aus!“, rief Astoria strahlend und ihre Besorgnis hatte sie abgestreift wie einen Schatten.

„Danke, aber weshalb müssen wir noch mal so spät los? Die Party ist sicherlich schon in vollem Gange!“, murrte Imogene und kam vorsichtig in ihrem leuchtend roten Mini-Kleid die Stufen hinunter. Ihre langen blonden Haare breiteten sich wie Wellen ihren fast noch kindlichen Körper entlang aus und erinnerten Scorpius kurz an seine Freundin Jane.

„Weil wir cooler sind als die Anderen.“, grinste er und bekam seltsamerweise Unterstützung von Seiten seiner Mutter: „Ihr seid immerhin Malfoys.“

In diesem Moment führte ein Hauself zwei Gestalten in die Halle, die beim längeren Hinsehen ziemlich mitgenommen aussahen und beim genaueren Mustern, sich als Goyle und Zabini entpuppten. „Oh, habe ich etwa vergessen, die Alarmanlage auszustellen?“, fragte seine Mutter entsetzt und gab sich die Antwort anhand der zerkratzten Gesichter der beiden Jungen selbst.

„Sie hingen in den Netzen, Missus“, quiekte der Elf und begann Adrians Hose abzuklopfen.

„Das tut mir ja so schrecklich Leid!“, entschuldigte sich Astoria Malfoy bei ihrem Besuch und zückte sogleich ihren Zauberstab, um die beiden Jungen wieder in Form zu päppeln.

„Ähm, Mrs. Malfoy, haben sie davon Ahnung? Meine Mutter hat mir mal mit ihrem Heilungszauber die Nase gebrochen“, erklärte Goyle und seine tiefe Stimme wurde von leichter Angst vor dem Kommenden überdeckt.

„Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber hat Scorpius Euch nie erzählt, dass ich eine Ausbildung als Heilerin hinter mir habe?“, lächelte Mrs. Malfoy, während ihr Zauberstab über Quirins Gesicht wanderte und dort eine glitzernde Spur neuer Haut bildete.

Nach weiteren zehn Minuten waren auch Zabinis Wunden soweit verheilt, dass sie nach London aufbrechen konnten. Astoria herzte ihre Tochter zum Abschied, was diese nur ausnahmsweise über sich ergehen ließ und sie schlenderten in den Garten, um zu apparieren.
 

„Imogene, du siehst heute Abend wirklich-“ Scorpius warf Adrian einen warnenden Blick zu und dieser änderte seine Ausführungen. „Nett aus.“

„Oh, danke Adrian. Ich will heute auch unbedingt meine Unschuld verlieren.“, erwiderte Imogene grinsend und wurde sofort von ihrem Bruder an der Schulter zurückgezogen. Scorpius ging in die Knie, um wenigstens etwas auf Augenhöhe mit ihr sein zu können und funkelte sie bedrohlich an. „Solange ich auf dich aufpassen muss, wirst du die Wortgruppe ‚Unschuld verlieren’ nicht einmal in den Mund nehmen!“, warnte er leise und Imogene grinste unentwegt auf seine Kosten.

„Mein lieber Bruder, ich hatte ja wohl den Meister - was One Night Stands angeht - zum Vorbild, denkst du, ich will mit meinen fast fünfzehn Jahren nicht auch endlich mal an das Frischfleisch?“

Ihr schallendes Gelächter, das Scorpius vermittelte, dass sie ihn lediglich auf den Arm genommen hatte, erhellte die Londoner Straße und sie näherten sich nun dem Haus, aus dem laute und dröhnende Musik ertönte.

Gerade als sie durch das kitschige Gartentor gegangen waren, öffnete sich die Haustür und eine kleine Hexe, die er allerdings nur vom Sehen kannte und die in ihrer Dummheit kaum zu übertreffen war - wenn er an Fächer wie Zaubertränke dachte – bewegte sich wackelnd und lachend auf sie zu.

„Natalie Bordman, Hufflepuff“, murmelte Adrian ihm zu, denn im Gegensatz zu ihm, vergaß sein Kumpel nie den Namen eines Mädchens. Ihr folgte gehorsam ein Tablett und Scorpius erinnerte sich daran, dass der Schwebezauber wohl ihre sogenannte Spezialität war. Nur gut, dass es auf mehr als schwebende Tabletts ankam.

„Na, wen haben wir denn da!“ Und bevor er etwas tun konnte, hatte sich diese Natalie ihm um den Hals geworfen.

„Scorpius Malfoy, Adrian Zabini und Quirin Goyle! Na ihr habt mir noch gefehlt und zu spät wie immer, tja, ihr wollt euren Auftritt wahren, kein Problem.“

Imogene hüstelte, nachdem sie so offenkundig übergangen worden war und Natalies Blick blieb verwirrt zwischen den jungen Männern hängen und taxierte die kleine Lady.

„Scorpius, du hast deine kleine Schwester mitgebracht, ach ist das süß.“

„Mit Verlaub, ich bin nicht süß. Mein Name ist Imogene und ich kann weit mehr als nur Schwebezauber“, knurrte seine Schwester zu Antwort und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Das Lächeln auf Natalies Gesicht erfror.

„Sicherlich, nun, trinken wie also einen Willkommensdrink.“, befahl sie und das Tablett schwebte in ihre Mitte. Jeder nahm sich ein Glas und Scorpius bemerkte beunruhigt wie Imogene dasselbe tat.

„Auf den Abend und darauf, dass mich nicht noch mehr Überraschungen ereilen, stellt euch vor, sogar Rose Weasley ist heute hier!“, berichtete Natalie atemlos, bevor sich die kleine Gruppe schnell den Drink hinunterkippte.

Imogene schwankte sogleich und hielt sich am Arm ihres Bruders fest, was Natalies Augen zum funkeln brachte. Belustigt sah sie die kleine Hexe an.

„Sind alle Weasleys und Potters hier?“, fragte Imogene leise und kniff die Augen zusammen, um augenscheinlich wieder klareren Verstand zu bekommen.

„Ja, alle, aber wie gesagt, von Rose war ich am meisten überrascht, sie hat mir erzählt, dass sie es heute Abend wissen will.“, lächelte Natalie geziert. Adrian und Quirin lachten.

„Was denn, wie viel sie verträgt? Nun das dürfte nicht so viel sein, wenn sie nicht nur Buchstaben trinkt!“, grinste Scorpius, vergaß aber das dazugehörige Lachen.

Seine Schwester hing immer noch an seinem Arm und irgendwo in diesem Haus war eine Person namens Rose Weasley, was addiert nichts Gutes bedeuten konnte. Er hatte das seltsame Gefühl, dass diese Party anders werden würde, als alle anderen in diesem Sommer zusammen.

„Ist Jane da?“, fragte er Natalie, die entzückt wirkte, weil er ihr eine Frage stellte.

„Na, aber natürlich, hab ich nicht gesagt, dass auf meine Party Jeder kommt?“, säuselte sie und hätte der Blonde etwas im Mund gehabt, so hätte er sich höchstwahrscheinlich daran verschluckt. Jane war also hier. Und sie hielt es seit über einem Monat für unwichtig ihm zu schreiben.

„Vergiss Jane, Scorp“, murmelte Imogene heiser und richtete sich wieder vollends auf. Ihre Augen waren wieder klarer und sie setzte ihr allbekanntes Grinsen auf, um ihm zu vermitteln, dass es ihr besser ging.

„Trink nicht soviel“, ermahnte er sie, bevor sie sich in das Getümmel aus Tanzenden stürzten und sich langsam mit der Menge vereinten, in unterschiedliche Richtungen davongingen und Scorpius nur noch das Ziel hatte, Jane zu finden.
 

Und der junge Malfoy fand die hübsche Halb-Veela Jane fast auf der Stelle. Sie war immer da, wo sich eine Traube von jungen Männern gebildet hatte, die alle sabbernd da standen und sie angafften. Sie sonnte sich unter diesen Blicken und versprühte ihren Veela Charme, mit dem sie selbst Scorpius den Verstand geraubt hatte. Er griff sich beim Gehen ein Glas mit unbekanntem Inhalt und stürzte es hinunter. Er erkannte ihre langen Beine zwischen denen mehrerer Männer, die er am liebsten sofort von ihr weggerissen hätte.

Er war verdammt noch mal ein Malfoy! Einem Malfoy hörte man nicht einfach auf zu schreiben, wenn dann beendete er es. Und Scorpius wusste, dass er nie eine Chance bekommen hatte, es zu beenden, weil er einfach nicht damit gerechnet hatte, dass sie sich von ihm trennen wollte.

Er schubste die Typen beiseite und blickte auf Jane hinunter, die auf dem Sofa saß wie eine Königin und ihn unbeeindruckt ansah.

„Scorpius“, sagte sie seinen Namen, genauso wie hunderte Male zuvor und doch war es anders, ein Klang ähnlich wie der von Triumph mischte sich in ihre Stimme. Sie dachte, sie hätte ihn gebrochen. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem schmalen und eisigen Lächeln und seine Augen bemerkten die Hand, welche ihre zarten Finger hielten und nicht losließen, selbst in diesem Moment nicht, wo er es gesehen hatte.

Zorn vermischte sich augenblicklich mit seinem Blut und seine Augen suchten die des Kerls, der so dreist war, ihre Hand zu halten. Es war ein bulliger Typ, der zwar zu wissen schien, was ihn erwartete, aber gänzlich kein Interesse daran zeigte.

„Scorpius, man“, hörte er Adrians Stimme hinter sich, der versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war.

„Willst du mir deine neuste Beute nicht vorstellen?“, fragte er Jane ruhig und blickte wieder zu dem Typen hinüber, der immer noch ihre Hand hielt. Er funkelte ihn zornig an und Scorpius setzte schon dazu an, ihn offenkundig zu beleidigen, als Jane ihm zuvor kam.

„Das ist Magnum Davis, er ist mein neuer Freund und ging bis vor Kurzem noch nach Durmstrang, wird jedoch für sein letztes Jahr nach Hogwarts wechseln.“, erörterte sie knapp und ihr Blick suchte den von Scorpius, um ihn zu verzaubern und ihn alle Rachegelüste mit einem mal abzuschnüren. Doch er ging nicht darauf ein und unterschwellig wurde ihm bewusst, dass sich eine Menge Schaulustiger um sie herum versammelt hatte. Als er den Kopf hob, blitzten seine Augen in die von einer aufgeregten Natalie, die sich zu freuen schien, dass eine handgreifliche Auseinandersetzung in der Luft lag.

Scorpius leckte sich über die trockenen Lippen und grinste dann Davis herausfordernd an.

„Also da wo ich herkomme, klärt man so was anders.“

Seine Stimme klang fremd, überdeckt von einem unterdrückten Zorn, unbeschreiblicher Wut und merkwürdiger Ruhe.

„Kein Wunder, Durmstrang ist ja auch bekannt für seine Insassen ohne Eier.“

Scorpius Stimme wurde lauter und er sah zu Adrian, um sich seiner Treue ihm gegenüber zu versichern und während Goyle mal wieder über jede Auseinandersetzung erfreut schien und wortlos seine Unterstützung zusicherte, verdrehte Adrian die Augen, nickte jedoch knapp und begann sich die Ärmel seines Hemdes hochzukrempeln.

Als Scorpius das nächste Mal zu Davis blickte, hatte der sich bereits erhoben und funkelte ihn nunmehr wütend an. Er war ein Koloss, einige Köpfe größer – was sowieso untypisch war, wenn man es mit einem Malfoy zu tun hatte – und selbst wenn der Blonde ihn mit seinem Zauberstab in sekundenschnelle erledigt hätte, verstand man es zu ihrer Zeit auch, es den Muggeln gleich zu tun und mit Fäusten zu kämpfen, was obendrein auch seine Vorzüge bot.

„Was denn, hast du Angst?“, fragte Scorpius und als sein Blick einen Moment zu lange an Jane hängen blieb, brachte sie sein Blut zum kochen und ließ seine Reflexe schmelzen, sodass er einen heftigen Schlag im Gesicht spürte, merkte wie seine Lippe aufplatzte und das Blut schmeckte, ohne sich recht von ihr losreißen zu können. Davis schlug weiter auf ihn ein und Jane hielt seinen Blick schwach lächelnd fest, der so eine Menge ausdrückte nur keinen Funken Liebe. Eher Freude oder Amüsement über diese Situation.

Er spürte den Schmerz und wusste nicht, ob es wegen Davis Schlägen oder Janes Verrat war.

Aus den Augenwinkeln sah er, wie Goyle und Zabini zu ihren Zauberstäben griffen und Davis Freunde elegant aus dem Weg pusteten. Davis verlegte seinen Griff um Scorpius Hals, der nunmehr sicher war, dass Jane ihm einen Körperfesselfluch aufgehetzt haben musste, um zu garantieren, dass ihr neuer Freund ohne eine Wunde davonkam. Miststück.

Er fühlte wie Davis Hände fester um seinen Hals drückten und es ihm schwerer viel, zu atmen. Er dachte sich die schlimmsten Flüche aus, doch ohne Zauberstab waren ihm die Hände gebunden. Er hatte keine Chance.

„Willst du noch mehr?“, fragte Davis erzürnt und Scorpius brachte ein kleines, arrogantes Lächeln zu Stande. „War das denn schon alles?“

Die Menge zog die Luft ein und Davis schleuderte Scorpius erzürnt durch den Raum, diesmal mithilfe seines Zauberstabes und der Malfoy spürte mit jeder Faser wie er krachend am Boden landete. Dabei hörte er entsetzte Aufschreie und direkt neben seinem Ohr ein gequältes ‚Aua’, bevor der Körperfesselfluch seine Wirkung verlor und Scorpius wieder seltsam lebendig seines Schmerzes Zeuge wurde.

Das Gefühl von Ungerechtigkeit legte sich auf seine Zunge und er schmeckte sogleich wie ihm das Blut über die Lippen floss. Er würde sich an diesem Monster noch zu rächen wissen, der aufgrund von Jane ohne einen Kratzer davon gekommen war.

Seine Augen folgten der jungen Frau, als sie mit Davis an der Hand und einer Schar von Gefolgsleuten den Raum verließ, ohne sich jedoch die Geste nehmen zu lassen und ihm eine Kusshand zuzuwerfen, von der Davis keine Notiz nahm.
 

Auf den anfänglichen Schmerz folgte die Gleichgültigkeit.
 

„Scorpius Malfoy, gedenkst du heute noch einmal von mir runter zu gehen?“

Der Boden hatte sich wirklich ungewöhnlich weich angefühlt.

                  

       

three

                  

       

Rose Weasley hatte in dieser Nacht, die sich deutlich und unwiderruflich der Stunde Null entgegen schlich, ein nicht minder beängstigenderes Erlebnis als ein Déjà-vu.

Plötzlich fühlte sie sich klar und hart an das schrecklichste Ereignis ihrer Kindertage erinnert, nämlich an den Tag vor zwölf Jahren an dem ihr Vater sie das erste Mal auf einen Besen geschnallt hatte. Und wenn sie ‚schnallen’ dachte, dann konnte man der Wahrheit dieser Aussage vollends sicher sein. Klein-Rosie hatte sich ebenso gut an einem Besen festhalten können, wie an einer nach unten führenden Rohrleitung; sie war schlussendlich abgerutscht wie ein nasser Sack und selten hatte sie ihre Mutter derart energisch und wütend auf ihren Vater einreden sehen, wie an diesem längst vergessen geglaubten Tag. Ihr Vater, der sie bereits im Team der Holyhead Harpies gesehen hatte, schnallte sie dann wiederum zu ihrer eigenen Sicherheit an dem Besen fest.

Anstelle die Möglichkeit in Betracht zu ziehen und sie nie wieder auf einen Besen zu nötigen.

Nachdem aber sein Plan mit den Gurten und dem schützenden Helm erfolgreich verlaufen war, hatte er den Mut gefasst und ihr die lieben Herrn Quaffel und Herrn Klatscher vorstellen mögen, was er dann auch hingegen ihres Bedrängens getan hatte.
 

Genau an diesen Tag vor nun mehr zehn Jahren fühlte sie sich erinnert - schmerzhaft und sehr realitätsnah -, an ihre erste und einzige Begegnung mit Herrn Klatscher, wie ihr Vater den unangenehm harten Ball getauft hatte.

Dass ihre Reflexe mies waren, damit hatte sie nach der lausigen Förderung derer gerechnet, doch dass sie sie noch einmal in eine derartige Lage bringen würden, hatte selbst die vorausblickende Rose nicht ahnen können.

Es war so unglaublich schnell gegangen, dass ihr Kopf der Anstrengung, darüber nachzugrübeln, ob Klatscher ein ebenso rasantes Tempo vorzuweisen hatten, erlag und ihr Körper sich pochend und schmerzend aus der Verkrampfung löste. Ihr Kopf drehte sich trotz ihrer zusammengekniffenen Augen und sie spürte, eine Beule an ihrem Hinterkopf bedrohlich anwachsen.

Zuerst dachte Rose, es wäre der zusätzliche Schmerz; dieses bleiähnliche Gewicht, das sie für ihre schlechten Reflexe verpönte und sie versuchte zu erdrücken, aber dann flatterten ihre Augenlieder und die Umrisse ihrer Umgebung wurden schärfer. Ihr Gehör nahm seine Tätigkeit wieder auf und sogleich drang Gemurmel und Geflüster an ihr Ohr, vereinzeltes Kichern. Sie blinzelte und als über ihr das strahlend kecke Gesicht von Natalie Bordman auftauchte, das eine Mischung aus Sensationsgenialität und einen nicht minder kleinen Tropfen Besorgnis zeigte, bemerkte die Rothaarige plötzlich einen blonden Haarschopf, der langsam zu sich zu kommen schien und dessen Kopf direkt neben ihrem Gesicht lag.

Ebenso schnell wie ihr bewusst wurde, wessen Züge sich da nur Millimeter von ihr entfernt befanden - etwa zur gleichen Zeit -, als ihr höchstwahrscheinlich sein unangenehm verführerischer Duft die Sinne vernebelte, erinnerte sich Rose wieder an die letzten Sekunden und Minuten, bevor sich dieser Zusammenstoß ereignet hatte.
 

Nach drei Butterbier, die jedoch nicht die gewünschte Wirkung erzielt hatten, und nach zwei Gläsern Feuerwhiskey, welche ihr unangenehm zu Kopf gestiegen war, hatte die Rothaarige sich von der Bar verabschiedet und den Entschluss gefasst, ihre Cousine Lily aufzusuchen, die - kaum hatten sie die Türschwelle überwunden – ebenso schnell ihrer Wege gegangen war wie der Rest ihrer lieben Familie.

Während sie durch die Räume ging und ihren Blick über die vielen Fassetten der unterschiedlichsten Schüler Hogwarts’ schweifen ließ, die Tanzenden beobachtete und Zeuge zweier Trennungen und einer Versöhnung wurde, hauchten ihr Als Worte im Kopf herum. Wenn man diesen Bedeutung zuwies, hatte ihr Cousin all seine Versprechungen gebrochen und sie doch tatsächlich alleine gelassen, aber seine Stimme hörte sich in ihrem Kopf so dumpf an, dass Rose besorgt war, sich diese Worte ihres Cousins womöglich nur eingebildet zu haben.

Sie kam an einer Badezimmerschlange vorbei und besah sich einer Gruppe Mädchen gegenüber, die ihr allesamt noch zu jung erschienen, um auf einer Party zu sein, bei der so bereitwillig Feuerwhiskey verteilt wurde, dessen Wirkung man nicht unterschätzen sollte. Sie war immerhin der lebende Beweis! Ob sie schwankte?

Rose betrat den nächsten Raum und fragte sich augenblicklich, ob sie schon einmal hier gewesen war, denn dieses Haus erschien ihr wie ein einziges Labyrinth und sie hatte vollends die Orientierung verloren. Jedes Zimmer glich seinem Vorgänger und allesamt waren sie durch offene Doppeltüren miteinander verbunden. Die Wände zierten immer gleiche und teure Gemälde, die Rose’ Augen als identisch wahrnahmen, was jedoch bestimmt nicht den Tatsachen entsprach und von fast jeder Decke glitzerte ein Kronleuchter. Sie ging über sorgsam verzierte, dicke Teppiche oder marmornen Boden und an den Wänden befanden sich neben den Bildern teure Tapeten oder prunkvolle Stuckverzierungen.

Das Haus strahlte keinen Funken von Gemütlichkeit aus, was Tante Fleur in ausschließlich jedem Zimmer des französischen Anwesens geschafft hatte und was ihr bewusst werden ließ, dass man ihrer Tante zwar manchmal Oberflächlichkeit nachsagen konnte, aber sie doch den Sinn eines Heims begriffen und auch ohne Hemmungen umgesetzt hatte.

Rose seufzte und nahm sich dankend ein Glas von einem umherschwebenden Kellner, bevor sie in das nächste Zimmer schlüpfte, das natürlich genauso groß und gleich war wie das davor - mit jedoch einem gravierenden Unterschied.

Eine ganze Schar Schaulustiger schien sich um etwas versammelt zu haben, dass Rose von ihrem Platz aus nicht vermochte, zu erkennen.

Sie sah Natalie Bordman in der einen Ecke, die ihr keine Beachtung schenkte, sondern eifrig mit ihren Freundinnen über etwas, was sich Rose noch verbarg, zu flüstern schien.

Die Rothaarige rückte ein Stück näher an die Szenerie heran und versuchte über die Köpfe vieler ihrer Mitschüler blicken zu können, jedoch erübrigten sich ihre Versuche, als das bemitleidenswerte Opfer augenscheinlich an seinem Hals emporgehoben wurde.

Dass das weh tat, konnte sich Rose durchaus vorstellen und nicht weniger überrascht bemerkte sie, dass sie diesen Jemand kannte!

Das war – wenn ihre Augen ihr nicht plötzlich Streiche spielten – Malfoy.

In eben diesem Moment krachte eine Horde bulliger Slytherins, die sie als die persönliche Leibgarde Jane Seymours erkannte, neben ihr in die nächste Wand, welche bei dem unsanften Aufprall, ein riesiges Gemälde zu Boden rissen. Die Menge schrie aufgeregt durcheinander und benebelte Rose zusätzlich ihren schwankenden Orientierungssinn.

Sie musste sich zusammenreißen, sonst würde sie der Horde die nächste kleine Show bieten. Leichte Übelkeit schlich ihren Hals hinauf.

Während die Rothaarige ein paar Schritte von den am Boden liegenden Slytherins zurück wich und aus den Augenwinkeln sah, wie sich Zabini und Goyle zufrieden einen Weg zu ihrem Herren erkämpften, da war es bereits zu spät.

Sie sah ihn nicht einmal auf sich zu kommen, es ging einfach alles zu schnell und das Glas rutschte ihr noch aus der Hand, während sie keine paar Sekunden später schon spürte, wie sie der leblose Körper Scorpius Malfoys zu Boden warf.
 

Sie blinzelte die schmerzhafte Erinnerung weg und während sie auch Natalies sinnlos umher kichernde Stimme aus ihrem Kopf verbann, bemerkte sie, dass sich Scorpius Kopf gehoben hatte und seine hellen blauen Augen nun auf einem Punkt ruhten, den Rose nicht erkennen konnte. Sie hob ebenfalls ihren Kopf an und sah über seine - auf ihrem Oberkörper ruhende - Schulter, als die brünette Jane - Dominiques einzige wahre Konkurrenz – eine Kusshand in Malfoys und ihre Richtung warf und dann tänzelnd mit einem anderen Jungen an ihrer Seite und dem gewöhnlichen Hofstaat den Raum verließ.

Malfoy entspannte sich und legte den Kopf wieder zu Boden, was Rose empört nach Luft schnappen ließ. Schließlich war sie nicht seine Matratze und dass er auf ihr lag, schien er noch nicht einmal realisiert zu haben.

„Scorpius Malfoy, gedenkst du heute noch einmal von mir runter zu gehen?“, zischte sie in sein rechtes Ohr und versuchte ihn von sich zu stoßen, doch da hätte sie auch versuchen können, Gringotts auszurauben. Sobald sich seine Glieder entspannt hatten und sein ganzes Gewicht auf ihr lag, war es zu einem aussichtslosen Unterfangen geworden.

Sie drehte den Kopf von seinem Ohr weg und versuchte nicht seine Haut anzustarren, die irgendwie weich aussah. Bestimmt war sie auch weicher als sein Innerstes. Oh, wie sie ihn doch hasste. Oder verabscheute. Und noch während sie das dachte, wurde ihr bewusst, wie lange ihr diese Gedanken schon fern geblieben waren. Bevor sie darüber nachdenken konnte, wie tief der fragwürdige Hass eigentlich noch saß, nahm das Gewicht auf ihr ab.

Endlich stand er auf, warf den Umherstehenden einen eisigen Blick zu, die darunter zurückwichen, und reichte Rose unmissverständlich seine Hand, ohne sie bis zu diesem Zeitpunkt eines Blickes gewürdigt zu haben.

„Sehr charmant, aber ich verzichte.“, knurrte die Rothaarige, erhob sich ebenfalls mit pochenden Gliedern und zupfte sich ein paar wilde Locken aus dem Blickfeld.

Das Ausschlagen seiner Hand brachte Malfoy dann doch dazu, ihr einen Blick zuzuwerfen und am liebsten hätte sie ihn mit ihrer Handtasche vermöbelt.

Natürlich nahm sonst jedes Mädchen seine Hand, ohne zu zögern. Kaum auszudenken, dass Eine eben dies nicht tat. Dieser arrogante Wicht, sie sollte ihn verhexen oder noch schlimmer….

„Tut mir Leid, ich wollte nicht auf dir landen. Janes Körperfesselfluch ist beachtlich. Ich versteh es normalerweise, mich abzufangen.“

Sie hörte ein schmales Grinsen aus seiner Stimme heraus und wusste nicht, ob sie diese Entschuldigung allzu ernst nehmen sollte, immerhin kam sie von einem Malfoy.

„Reparo“, murmelte sie und beobachtete, wie sich das zerbrochene Glas wieder zusammensetzte, nur leider ohne den Inhalt, den sie in diesem Moment so sehr gebraucht hätte. Natalie erkundigte sich nun besorgt nach Malfoys Wohlbefinden, sowie einige andere hysterische Mädchen, die nun, da Jane offensichtlich Geschichte war, die Nächste an seiner Seite sein wollten. Rose verspürte den Drang, irgendwohin zu spucken.

„Geht’s dir denn soweit gut?“, hörte sie Malfoy fragen und drehte sich perplex um, hatte er sich eben wirklich nach ihrem Zustand erkundigt?

„Ähm, ja, irgendwie“, erwiderte sie leise und blickte ihn forschend an. Hatte er sich vielleicht den Kopf angestoßen? Wo blieben die Beleidigungen?

„Ist was?“ Er hob fragend eine Augenbraue, was ihn ungemein attraktiv wirken ließ und die Rothaarige schob schnell alle Gedanken an Malfoys fragwürdige Attraktivität beiseite.

„Malfoy, erkennst du mich etwa nicht?“ Sie drehte das leere Glas in ihren Händen und war froh, etwas zwischen den Fingern zu haben. Ihr Blick ruhte immer noch durchweg auf ihm und Scorpius erwiderte nun ihren Blick äußerst irritiert.

„Kennen wir uns denn?“

Am liebsten hätte Rose gelacht, doch kein laut kam über ihre Lippen. Warum erkannte er sie denn nicht?

„Weasley, Weasley, dass du Scorpius noch mal das Leben retten würdest, dagegen hätte wohl die ganze Schule gewettet!“, lachte plötzlich Adrian Zabini hinter Malfoy, über dessen Gesicht nach diesen Worten die unterschiedlichsten Emotionen huschten, allen voran die reine Ungläubigkeit. Dem folgte die Erkenntnis. Seine Augen fielen über ihren Körper und blieben ebenso schnell wieder an ihrem Gesicht hängen. Er schluckte, als würde ihm in diesem Augenblick etwas bewusst werden.

Rose zählte die Sekunden, bis er einen Spruch ablassen würde, doch Zabini und Goyle drängelten sich zwischen sie und Goyle reichte der perplexen Rose ein Glas, dessen Inhalt verdächtig nach Feuerwhiskey roch.

„Auf Malfoys Lebensretterin“, begann Adrian, hob sein Glas andächtig in ihre Richtung und aus den Augenwinkeln sah sie, wie es ihm das halbe Zimmer gleich tat. „Die so mutig und unerschrocken war, eigene Gefahren auf sich zu nehmen, und für immer in die Geschichte eingehen wird, als die einzige Weasley, die je unter ihm lag, so tapfer war wie der Löwe ihres Hauses und einem Malfoy das Leben rettete. Cheers!“

Rose ozeanblaue Augen flogen bei Zabinis letztem Wort zu Scorpius, der sie angrinste und dann auf sie trank. Sie fühlte sich unbehaglich bei dem Gedanken, vor ihm zu trinken und drehte daher das Glas nur verwundert in ihren Händen, zu überfordert mit der ganzen Situation.

„Liebste Rose, sagt mir, ist eure wundersame Cousine mit dem Veela Charme heute in unseren Gemächern aufzufinden?“, wand sich Adrian an sie, dessen geschwollener Ausdruck sie zum Lachen brachte.

„Oh, davon gehe ich aus, Sir Adrian“, lächelte Rose, seltsam beeindruckt von dem Charme eines Slytherins, und entzog Zabini schnell ihre Hand, die er in einer Geschwindigkeit genommen und geküsst hatte, die an Zauberei glich.

„Wunderbar, also Malfoy, katapultier dich in den nächsten Stunden nicht noch mal in Gefahr, denn ich mache Dominique jetzt den Hof und Goyle hat schon wieder Hunger. Oder habe die furchtlose Rose an deiner Seite und nichts wird geschehen!“

Er verbeugte sich galant und war so schnell verschwunden, wie er zuvor hinter Scorpius Rücken aufgetaucht war.
 

Die Rothaarige schüttelte leicht grinsend den Kopf über Adrians Manier und biss unsicher auf ihrer Unterlippe herum, bevor sie den Blick wieder auf Scorpius hob, der sie unentwegt ansah. Verwirrt erwiderte sie den Blick und nun drehte Natalie auch in diesem Raum die Anlage so sehr auf, dass die Klänge von Musik die Luft erfüllten und sich seltsam um sie zu wickeln schienen, als wollten sie alle sich gebenden Möglichkeiten erwürgen, so absurd es auch immer klang. Es gab so vieles, was sie hätte sagen können, aber kein verdammter Ton wollte ihre Lippen verlassen. Es gab so viele verschlossene Möglichkeiten, aber keine davon schien ihr angebracht oder passend beziehungsweise eröffnete ihr eine nie gezeigte Seite an Mut.

Sie seufzte leise und entzog sich seinem Blick, setzte das Glas an ihre Lippen und trank einen Schluck davon. Sie konnte nichts gegen die leichte Grimasse des Ekels tun und verzog sacht ihre Mundwinkel nach unten. Sie hasste Feuerwhiskey. Und wenn sie geglaubt hatte, der Schluck würde ihr Ideen oder Mut bringen, dann hatte sie sich schwer getäuscht. Rose Kopf war wie leer gefegt.

Und Scorpius Malfoy starrte sie immer noch an. Sie spürte seinen Blick unliebsam in jeder Faser ihres Körpers und fast war es ihr, als würde dieser Blick sie langsam umbringen. Ihr die Seele rausreißen wie der Kuss eines Dementors. Sie durchlöchern und sie nach dieser Nacht nie mehr Rose Weasley sein lassen. Als würde dieser Blick ihr alles nehmen, was sie über die Jahre aufgebaut hatte.

Und ganz leicht und ganz zart wusste Rose auch, dass es keinen Blick von ihm gebraucht hatte, um die Fassade einreißen zu lassen, dafür hatte es keinen einzigen aus diesen Augen gebraucht, sondern lediglich und noch viel weniger seine bloße Anwesenheit in ihrem Leben. Seine Nähe. Fast wünschte sie sich, er hätte sie beleidigt, denn dann wäre es nicht zum Fall dieser unsichtbaren Mauer gekommen.

Die Menge schenkte ihnen nun keine Beachtung mehr. Natalie hatte angefangen wie eine Irre zu tanzen und so auch einige Andere, die in kaum zwei Tagen wieder nach Hogwarts aufbrechen würden. Es kam eine kurze und schwere Stille, nachdem das Lied vorüber war und Rose beobachtete die Tanzenden, während sie unterschiedlich mit dem Ende des Songs umgingen und sie hörte sogleich wie ein Neuer begann.

Ihre Augen ruhten zwar auf der improvisierten Tanzfläche und immer mehr Jugendliche strömten aufgrund der Musik in den Raum, aber vor ihrem Blick verrutschte das Bild und Andere strömten impulsiv auf sie ein. Die Tanzfläche verschwand augenblicklich und ließ Erinnerungen - alten und neueren – Platz.

Es waren Bilder aus ihren Schuljahren in Hogwarts, um ihnen eine nähere Beschreibung zu geben. Sie zauberten ihr ein Lächeln aufs Gesicht und wischten es wieder weg und immer, fortwährend war es nur der Gedanke an eine Person, die sie während des Liedes beschäftigte und eben dessen Wandlung.
 

Diese komplizierte Beziehung zwischen ihnen über ihre ersten sechs Schuljahre hinweg zu reflektieren, gelang Rose nur aus zwei kleinen Gründen:

Erstens Rose Weasley war betrunken und zweitens Scorpius Malfoy starrte sie an.
 

Und wieder endete ein Lied und sie spürte immer noch seine Präsenz neben sich, die ihr eigenartig angenehm war. Und wieder, wie ein sich ewig drehendes Karussell, begann ein neuer Song, der – sofort waren die ersten Klänge ertönt – an einer anderen Erinnerung rührte. Rose strich sich nervös eine dunkelrote Locke aus dem Gesicht und fuhr mit den Handflächen über ihr Kleid, das ihr plötzlich zu kurz erschien.

Überhaupt schien sie all ihr Selbstvertrauen verloren zu haben und fühlte sich unbeschreiblich unwohl mit so wenig Stoff am Körper. Sie brauchte einen Drink, aber bevor sie diesem Gedanken nachkam, löste sich ihre Zunge. Wenigstens einmal.

„Meine Mum steht auf den Song. Sie hört fast nur Muggel Musik, aber ich muss sagen, mir hat er es auch angetan.“ Sie sprach so schnell, dass sie fürchtete, er habe sie nicht verstanden und unsicher legten sich ihre Augen auf den jungen Malfoy, der über ihr plötzliches Aufnehmen eines Gesprächs, sichtlich überrascht war.

„Ach echt“, murmelte er und nickte, blickte dabei auf die Tanzfläche und seine Stirn legte sich leicht in Falten, was ihn unbeschreiblich attraktiv machte. Oh Gott, sie brauchte wirklich einen Drink.

„Willst du tanzen?“, fragte seine raue Stimme und er sah sie nun wieder an. Rose schluckte und ihre Ohren färbten sich augenblicklich rot.

„Ich meine, er läuft ja nicht ewig“, fügte Scorpius hinzu und Rose Herz setzte einen Augenblick lang aufgeregt aus. Das musste ein Traum sein. Sie brauchte einen Drink!

Rose bemerkte, dass sie noch einen kleinen in Händen hielt und trank das Glas schnell aus, dann wandte sie sich zu Scorpius.

Sie nickte schwach und heftete dann ihren Blick an den marmornen Boden.

„Okay“, sagte er und legte seine Hand auf ihren Rücken, um sie auf die Tanzfläche zu führen, diese Berührung ließ sie leicht erzittern und sie hoffte inständig, dass er es nicht bemerkt hatte. Rose spürte Natalies Blick auf sich und die giftigen von zig anderen Mädchen, während sich Scorpius’ Hand auf ihre Hüfte legte und er sie sacht ein Stück näher zu sich zog. Ihre Hand wanderte zu seiner Schulter und die Andere in die Seinige, was ihr Blut zum kochen brachte. Sie konnte sich nicht entspannen und die auf sie einströmenden Gefühle waren ihr so schrecklich unbekannt. Sie wusste weder, wie sie damit umzugehen hatte, noch was sie tun sollte. Es war zum verrückt werden.

Er drehte sie und ihr fiel auf, dass er ein beachtlich guter Tänzer war.

Der Gedanke an ihre Tanzstunden, als ihr Vater ihr Partner gewesen war und ihre Mutter sie umher gescheucht und lachend zusammen gebrochen war, heiterte ihre verklemmte Stimmung auf. Bis der Gedanke an ihre Eltern und vor allem ihren Vater ihr kochendes Blut langsam zum gefrieren brachte. Was würden sie sagen, wenn sie wüssten, dass sie mit Malfoy tanzte? Oh bei Merlin, ihr Vater würde sie umbringen.
 

Sie versuchte ihre Finger aus seiner Hand zu lösen, doch er ließ sie nicht los und nach einem Blick in sein Gesicht, ergab sich Rose diesen neueren Gefühlen. Den Tanz würde sie schon aushalten und dann müsste sie einfach dringend diesen Raum verlassen, auch wenn ihr Herz beim bloßen Gedanken daran rebellierte.

Ihre Augen ruhten konzentriert auf seinem schlichten, schwarzen T-Shirt und sie widerstand jeglichem Drang, den Blick zu heben. Sanft verstärkte er den Druck auf ihrer Hand.

„Wer hat dir das Tanzen beigebracht?“, flüsterte sie, war sich jedoch sicher, dass er sie verstanden hatte. Er antwortete trotz allem erst nach ein paar Sekunden.

„Meine Mum.“

„Meine uns auch, also mir und meinem Dad, aber ich kann es trotzdem noch besser als er“, sie lachte und beging den Fehler ihren Blick zu seinen Gesicht zu heben. Er war zu nah. Scorpius Gesicht so nah an ihrem war ein Fehler, der ihr den Verstand kosten würde. Wieder verkrampfte sie sich und die Röte schlich ihren Hals herauf. Plötzlich fand sie alles an ihm anziehend, sogar sein Shirt oder seinen Hals, der sich nahtlos daran anschloss und auf den sie starren musste. Wann war der Junge eigentlich so groß geworden? Merlin, sie trug sogar mörderisch hohe Schuhe.

„Lass locker“, murmelte er und sie hörte das Grinsen aus seinem Blick heraus.

„Und wie bitte?“, entgegnete sie und selbst als sie das Unmögliche versuchte, bemerkte sie gleichzeitig soviel anderes an ihm, was ihn schier unwiderstehlich machte. Sie konnte sich dem nicht hingeben. Warum war sie nicht einfach an der Bar geblieben? Dann wäre das Alles nicht passiert. Und noch während Rose das dachte, sprach ihr Herz wie wild auf den Verstand ein, dass er das fein gemacht hätte. Sie befand sich in einem totalen Zwiespalt.

„Du bist zu verkrampft, entspann dich.“

„Ich weiß nicht wie“, wich sie ihm aus und plötzlich zog er sie so nah an sich, dass ihr Kopf sich gegen seine Brust drückte und sie sich sicher war, dass er das wilde Klopfen ihres Herzens genau spürte. Sein Körper an ihrem würde wohl noch zur totalen Ohnmacht ihrerseits führen, doch sie unterließ es, ihm das zu sagen.

„So zum Beispiel“, erwiderte er unschuldig und hingegen ihres Willens hielt sein Arm sie zurück, diese Nähe aufzulösen und natürlich war er stärker.

„Scorpius Malfoy“, begann sie und nahm ihren Kopf von seiner Brust, um ihn ansehen zu können. „Was soll das eigentlich werden, wenn’s fertig ist?“

Die Worte kosteten ebenso viel Überwindung wie Mühe und länger hielt ihr Blick seinem auch nicht stand.

„Willst du jetzt eine geistreiche, alles erklärende Antwort haben, Rose, oder reicht auch ein: Keine Ahnung?“ Er zog sie bei den Worten erneut näher und flüsterte ihr die letzten Beiden ins Ohr, was den Puls der Rothaarigen alle Rekorde brechen ließ. Sie wollte antworten, fand aber keine Wörter, es war fast, als hätte sie das sprechen verlernt, weswegen sie sich schwach dem ‚Keine Ahnung’ hingab und ihr Kopf wieder auf seine Brust glitt, ohne dass sie sich groß wehrte. Sie schloss sogar die Augen, um sich diesen Augenblick irgendwie einzufangen, doch sie wusste genauso gut, dass es ein zweckloses Unterfangen war. Momente wie diese ließen sich nicht einfangen, sie waren einfach da.

Schon morgen würde sie diese Gefühlsregung in sich nicht mehr derart intensiv nachvollziehen können, wie sie es in dieser Nacht, bei diesem Tanz tat und das Denken an ein Morgen, überschattete die Welle dieses unbekannten Gefühls.

Und er hatte sie ‚Rose’ genannt. Das ließ sie lächeln. Nicht Weasley oder Wiesel, sondern bei ihrem Vornamen. Das hatte er nie getan, kein einziges Mal in sechs Jahren.
 

Sie seufzte und als sie die Augen nach ein paar Sekunden wieder öffnete, ergab sich der freie, ungeschönte Blick auf eine frech grinsende und auf einem Sofa sitzende Lily Potter, die sich angeregt mit der kleinen Schwester ihres Tanzpartners, Imogene Malfoy, unterhielt und die dabei unentwegt die Szene, die sich ihnen bot, beobachteten.

Diesmal war es ihr Herz, das sich schmerzhaft verkrampfte und sie fragte sich, ob auch Albus und die anderen von ihrem Tanz mitbekommen hatten. Wie würden sie reagieren?

Erst in diesem Augenblick bemerkte sie, dass ein Lied zu Ende ging, welches ganz und gar nicht der Favorit ihrer Mutter gewesen war, also wie lange tanzten sie eigentlich schon?

„Meine Cousine und deine Schwester beobachten uns“, flüsterte Rose und zog in Scorpius Augenblick der Verwirrung schnell ihre Hand aus seiner, auch wenn sie es eigentlich gar nicht wollte.
 

Ohne Umschweife ging sie auf die immer noch grinsende Lily zu und packte alles Böse, das sie aufwenden konnte, in ihren Blick. Sie fragte sich, ob Scorpius ihr folgte, traute sich aber nicht, einen Blick nach hinten zu werfen. Zu groß wäre die Enttäuschung, wenn dem nicht so wäre.

„Macht es Spaß, liebe Lily, Leute zu beobachten?“, knurrte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Cousine prustete los und hatte augenscheinlich schon zu viele Butterbier intus, allerdings war ihre Stimme noch angenehm klar und wenigstens lallte sie nicht.

„Hallo Rose“, meinte Imogene, lächelte sie an und ihre Augen hatten genau dieselbe Farbe wie die ihres Bruders. „Hallo Imogene.“

„Also ihr passt erstaunlich gut zusammen, da hast du mal was richtig gemacht, Bruder.“

„Das war doch nur ein Tanz!“, sagte Rose bissig und war teils überrascht, teils enttäuscht, als Scorpius denselben Satz über die Zunge rollen ließ.

„Ein Tanz über vier Lieder!“, frohlockte Lily und fuchtelte vor Scorpius Blick mit vier Fingern herum.

„Lils, geht’s dir noch gut?“, fragte Rose nun einigermaßen besorgt und Lily nickte eifrig.

„Um ehrlich zu sein, ich denke nicht“, schaltete sich Imogene nun ein und strich Lily eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich habe sie vorhin erst bei Louis abgefangen, der ihr etwas zu hochprozentiges verabreicht zu haben schien. Zwar finde ich ihn immer noch süß, aber gegen Lilys Bruder Al ist ja auch noch kein Wein gewachsen. Wirklich Rose, deine Familie ist heiß! Wenn du meinen Bruder heiratest, kannst…“

„Imogene!“, zischte Scorpius und brachte sie mit einem Blick, den Rose nicht sah, zum Schweigen.

„Was ist denn hier los?“ Rose drehte sich um und sah Albus und Fred auf sich zu kommen. Sie war erleichtert sie zu sehen und Rose ging nun in die Hocke, um Lilys erhitztes Gesicht zu streicheln. „Louis scheint da etwas übertrieben zu haben.“

„Der Junge wird noch was erleben“, grummelte Al und setzte sich nun zu seiner Schwester und direkt neben Imogene, deren augenblicklich errötendes Gesicht nur Rose aufzufallen schien.

„Aber ischt doch sonst ne Hammer Party, oder? Scorp, was machsten du eigentlisch hier?“, lallte der zutiefst angeheiterte Fred und schlang kameradschaftlich den Arm um Scorpius’ Schulter.

„Der hat ziemlich lange mit Rose getanzt!“, vermeldete Imogene von ihrem Platz aus und perplex drehte sich Als Kopf zu ihr, dabei schien jedoch nur ihm, die unbändige Nähe zwischen ihnen nicht bewusst zu sein. Rose wusste nicht, ob Imogene annähernd so fühlte wie sie zuvor bei ihrem Bruder, doch wenn dem so war, dann tat ihr die Kleine jetzt schon Leid.

„Wirklich?“, fragte Al und sah sie amüsiert an. Imogene nickte, es schien ihr jedoch sie Sprache genommen zu haben.

„Das war nichts“, warf Rose ein und nun sah sie aus den Augenwinkeln, wie sich auch Scorpius auf die Couch setzte und seiner Schwester einen warnenden Blick schenkte. Die Rothaarige hob den Kopf und besah sich das Bild, welches etwas aus dem Licht geworfen wurde, wenn man in Freds sabberndes Gesicht blickte, der sich auf die Lehne gesetzt hatte und immer mal wieder einnickte. Aber es war so neu, zwei Slytherins zwischen ihrer Familie zu sehen. Lilys Zustand riss sie jedoch aus den Gedanken.

„Habt ihr Dominique zufällig gesehen?“, fragte Rose Albus, welcher wiederum den Kopf schüttelte.

„Nur vorhin mal kurz, aber da schien sie in ein intensives Gespräch mit Adrian Zabini verwickelt.“

Bei dieser Antwort musste Rose unwillkürlich lächeln und bemerkte das kaum sichtbare Grinsen, das sich auf Scorpius Gesicht legte. Sie konnte nicht ablesen, ob er genervt war von dieser Situation oder sie amüsant fand, er war kein offenes Buch, weswegen er sie auch durchweg beschäftigte. Der Tanz schien schon eine Ewigkeit her.

„Was meint ihr, soll ich bei ihr bleiben?“, fragte sie schließlich nachdem Lilys Kopf auf der Schulter ihres Bruders zur Ruhe gekommen war.

„Hast du denn noch was anderes vor?“, stellte Al die Gegenfrage und Imogene kicherte verzückt. Scorpius Blick war nach vorne gerichtet und er vermied es entschieden, sie anzusehen. Rose zuckte die Schultern, als Scorpius sich erhob.

„Bis später, Freunde“, grinste er und verschwand in der Menge aus Tanzenden, so dass Rose ihn schon bald aus den Augen verlor. Sie wusste nicht, was das nun wieder zu bedeuten hatte, aber augenscheinlich hatte er keine Lust mehr auf ihre Gesellschaft. Ein Blick zu Imogene bewies, dass sie ebenso überrascht war.

„Ach, dieser Idiot“, schimpfte sie und machte dann eine wegwerfende Handbewegung in Richtung Rose. „Kümmre dich nicht drum. Aber wenn du wirklich noch mal weg willst, dann geh ruhig. Ich bleibe bei Lily.“

„Und im Notfall bin ich ja auch noch da.“, warf Al ein und bemerkte den erneuten Blick Imogenes nicht. Stellte er sich nur so dumm oder war er das tatsächlich, überlegte Rose und Fred lallte sogar: „Und isch auch!“

„Ich werde wohl mal an die frische Luft gehen“, murmelte Rose und verschwand dann in eben der Richtung, in die Scorpius verschwunden war.

„In zwei Stunden ist es Drei, da gehen wir!“, rief Al ihr nach, als würde sie das Vergessen.
 

Rose fand Scorpius nicht, er war wie vom Erdboden verschluckt und selbst jedes Schlafzimmer suchte sie ab, dabei stieß sie auf allerhand Abschreckendes, doch nicht auf den jungen Malfoy. Wenn man nicht gefunden werden wollte, dann wurde man das auch nicht, dachte sie und verließ wirklich das Haus, um frische Luft zu schnappen und ihren Kopf klar zu bekommen. Sie drehte eine Runde im düsteren Garten und ließ sich dann auf der Hollywoodschaukel nieder. Zuhause hatten sie auch eine und Rose liebte sie. Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Und als sie sie das nächste Mal öffnete, hatte sich ihr Wunsch erfüllt und er saß neben ihr. Er sah sie nicht an, sondern hob eine Flasche in die Höhe und gab ihr eines von zwei Gläsern.

„Hast du die mitgehen lassen?“, fragte die Rothaarige und wusste einmal mehr nicht, welchen Inhalts diese Flasche war. Er zuckte mit den Schultern und machte ihr Glas voll.

„Das würde ich nicht alles mit einmal trinken“, warnte er sie leise, als sie die Flüssigkeit zu ihren Lippen führte. „Wieso, denkst du, dass ich das vorhatte?“

„Lediglich eine Warnung“, entgegnete er und seine Stimme klang rau und verdammt verführerisch. Sie hatte Angst, dass die Welle aus Gefühlen sie ein weiteres Mal einholen würde, weswegen sie schnell einen kräftigen Schluck nahm, um ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. „Oh Gott“, hustete sie sofort und Scorpius lachte auf ihre Kosten. „Was hab ich gesagt?“

Die Schaukel schwang leicht hin und her und Rose war froh, dass Scorpius aufgrund der Dunkelheit nicht ihre roten Wangen sah. Oder allgemein ihre ganze Verfassung, die so sehr am seidenen Faden hing, seit er so ohne Vorwarnung in ihr Leben getreten war.

„Also und nun?“, fragte sie und sah ihn erwartungsvoll an, obwohl sie nur seine Umrisse ausmachen konnte. Er zuckte wieder mit den Schultern und obwohl Rose es nicht sah, glaubte sie doch, dass sich ein Grinsen auf sein Gesicht stahl.

„Was willst du denn machen?“, erwiderte er leise und nun richtete sich sein Gesicht in ihre Richtung.

„Willst du jetzt eine besonders geistreiche, alles erklärende Frage oder reicht dir auch ein: Keine Ahnung?“

Sie hörte sein raues Lachen und spürte wie er näher an sie heran gerutscht kam, kaum hörbar, nur spürte sie es wieder mit jeder einzelnen Faser ihres Körpers.

„Keine Ahnung reicht mir aber nicht“, murmelte er und sein Gesicht kam ihrer Wange so nahe, dass sie lediglich Millimeter voneinander entfernt waren.

Sie wollte wissen, wie weich seine Haut wirklich war. Sie wollte sie streicheln und darüber fahren. Sie wollte ihn schmecken und ihn küssen und am besten alles gleichzeitig.

Die Rothaarige schüttelte ganz sacht den Kopf und hob ihre Hand, um sein Gesicht vorsichtig wieder von sich zu schieben, weil es nicht das war, was geschehen durfte, doch er riss ihre Hand zu Boden und umfasste sie dabei mit seiner eigenen.

Rose drehte perplex über diese energische Handlung den Kopf in seine Richtung und in eben diesem Augenblick erfüllten sich alle ihre Wünsche mit einem Mal.

                  

       

four

                  

       

Es regnete am 1. September des Jahres 2023. Das triste Wetter war für London nicht untypisch und doch war der immergleich datierte Tag, an dem viele junge Hexen und Zauberer am Bahnhof King’s Cross einkehrten, üblicherweise von herbstlichen Sonnenstrahlen geprägt und annähernd warm geltenden Temperaturen. Beides fehlte jedoch an diesem ersten Septembermorgen und Rose konnte nicht genau sagen, was sie daran stutzen ließ, was sie gar daran verwirrte oder auch, weshalb ihr diese Kleinigkeit überhaupt aufgefallen war.

Strahlendes Spätsommerwetter hatte sie am Tag ihrer letzten Rückreise nach Hogwarts leichtgläubig vorausgesetzt, obgleich es nicht ihrer Natur entsprach, allzu viele Gedanken an die Witterung zu verschwenden.

Dass der Himmel trotzdem grau und mit Wolken verhangen war, störte sie auf seltsame Art und Weise. Es unterstrich wiederum ihre trübe Stimmung und sie spürte genau, wie die schlechte Laune mehr und mehr in ihr Wurzeln schlug, immer wenn ihr Blick hinaus in den strömenden Niederschlag fiel.

Neben ihr, auf der Rückbank des Muggelfahrzeugs, das ihre Eltern wieder einmal extra für die Anreise zum Bahnhof besorgt hatten, saß ihr stillschweigender Bruder Hugo. Er war schon immer ein sehr ruhiger Geist gewesen und hatte sich selten von dem offensiven Louis mitreißen lassen. Und auch ihre Cousine Lily war langsam dieser Beziehung entglitten, als sie älter und somit zu aufgedreht für Hugo geworden war. Zwar lernten sie immer noch zusammen, redeten und lachten; doch hatte die jüngste Potter ihren Freundeskreis im Vergleich zu ihrem Bruder stark ausgebreitet. Dabei überraschte Hugo Rose sogar manchmal mit seinem Humor und den leise gesprochenen Witzen. Trotzdem sorgte sie sich und selbst wenn Dominiques Kummer sich nur in Bezug auf seine soziale Stellung ausgesprochen hätte, so war ihre von einer viel intensiveren, fast düsteren Vorahnung gezeugt, die sich ihr bisher ohne Bild oder Ansatz bot.

Rose’ dunkelblaue Augen streiften den nach vorn blickenden fünfzehnjährigen Jungen, der trotz seines ruhigen Charakters das Abzeichen des Vertrauensschülers bekommen hatte, und legten sich nach ein paar nachdenklichen Sekunden auf die buschige Haarpracht ihrer Mutter, die eine Karte auf ihrem Schoß ausgebreitet hatte, die wie es der menschlichen Einfachheit entsprach, keinerlei Regung zeigte. Lediglich dünne Linien, die Straßen Londons, zeigten sich dem Betrachter, die immer in ihrer Stellung verharrten.

Bisher hatte sie das Streitgespräch ihrer Eltern ausgeblendet, doch nun, als sie beflissentlich die zänkischen Stimmen derer zu ließ, erhoffte sie sich eine Art stille Aufheiterung. Die Differenzen Ron und Hermiones waren für Außenstehende immer belustigend.

„Willst du versuchen, aus dieser Karte schlau zu werden, Ronald?“, fragte ihre Mutter nun deutlich gestresst und war bereits im Inbegriff, die ausgebreitete Karte ihrem Gatten hinüber zu schieben, als dieser – samt glühend roter Ohren – hitzig erwiderte:

„Du stammst doch von Muggeln ab, also musst du auch diese Hieroglyphen entziffern können.“

„O, tut mir ja sehr Leid, dass ich seit nunmehr dreißig Jahren keine Karten mehr lesen musste!“

„Runen kannst du doch auch noch, obwohl du es nicht mehr brauchst“, sagte ihr Vater sachlich und Rose sah, wie ihre Mutter kurz den Unterkiefer vorschob und sich augenscheinlich wünschte, den Zauberstab griffbereit und nicht in der Handtasche verstaut zu haben.

„Wir könnten auch einfach den Apparat anschalten und uns das Leben nicht unnötig schwer machen.“ Dabei deutete Hermione auf das Instrument mitsamt kleinem Bildschirm, das funktionstüchtig über dem ausgeschalteten Radio angebracht worden war.

„Ich mag es nicht, wenn diese Frau mich voll quatscht“, wehrte ihr Vater penetrant ab und schüttelte, um diese Aussage zu unterstreichen, mit dem Kopf, was die berühmt berüchtigte Ader auf Hermiones Stirn pulsieren ließ, die sich immer dann bildete, wenn ihr Gatte zu weit ging und ihre Nerven strapazierte.

Rose sah nun zwischen beiden Parteien hin und her, während sie gespannt auf die nächste Runde wartete, als ihre Mutter auch schon kurz und knapp die Fingerspitze direkt auf die Apparatur drückte, deren Bildschirm sofort aufleuchtete. Ron stieß beherrscht die Luft zwischen den Zähnen hervor und funkelte seine Frau wütend an, sichtlich in seiner Mannesehre verletzt.

Ein Lächeln unterdrückend, wandte Hermione schnell den Blick von Rons verzerrtem Gesicht und auch Rose musste sich das Grinsen verkneifen. Sie schafften ihren Vater, den Guten.

„Guten Morgen. Mein Name ist Daisy und ich werde sie auf dem schnellsten Weg an ihr Ziel bringen. Sprechen sie bitte deutlich den Ort ihrer Wahl und ich werde vorzüglich die passende Route berechnen“, summte die monotone Frauenstimme aus der Gerät und Ron knurrte missbilligend, als Hermione sich sicherheitshalber vorlehnte und klar „Bahnhof King’s Cross“ in das kleine Mikrofon sprach.

Ab diesem Augenblick an, ertönte die Roboter – Frauenstimme immer, sobald ihr Vater abbiegen, die Spur wechseln oder einfach geradeaus fahren sollte, was diesen sichtlich belastete, da das Autofahren schon immer ein Kraftakt für ihn gewesen war.

Rose vermutete sogar, dass ihr Vater den muggelstämmigen Prüfer damals bestochen hatte, nur damit der ihm einen Führerschein ausstellte, mit dem er dann ihre Mutter zufrieden stellen konnte.

Als Ron schließlich – aus einem Trieb der Sabotage heraus – links anstatt rechts abbog, ertönte anstelle der Frauenstimme alarmiert eine ohrenbetäubende Sirene, die ihn so sehr erschreckte, dass Rose das Lachen nicht unterdrücken konnte. Und Hermione gab sich in diesem Fall auch nicht die Mühe, Schadenfreude zurückzuhalten. Ron selbst stimmte nach ein paar Augenblicken bösen Gesichts ebenfalls in das Gelächter mit ein. So lachten sie alle. Alle bis auf Hugo.
 

Nachdem das Einparken sich als ernstzunehmende Hürde gekennzeichnet hatte, kümmerte sich ihre Mutter, nach einem besorgten Blick auf die Uhr, mit einem Schwung ihres Zauberstabes darum, zwei Gepäckwagen zu beschaffen, was von den unachtsamen Muggeln selbstverständlich nicht bemerkt wurde. Trotzdem stichelte Ron daraufhin äußerst amüsiert seine Frau, die doch mit dieser Geste eindeutig gegen das Geheimhaltungsabkommen verstoßen hatte.

„Pass auf, Liebling, sonst kannst du nicht Zaubereiministerin werden.“

Rose verschluckte sich an ihrem soeben gekauften Croissant und blickte ihre Eltern zusehends geschockt an. „Du willst was?“

Hermione stieß Ron ihren Ellbogen in die Seite, was ein bedrohliches Knacken mit sich zog und blieb auf der Stelle stehen. Teils bildete sich Besorgnis in ihrem Blick, teils Ärger und Wut, aber auch die Unsicherheit, ob sie die Wahrheit sagen oder einfach lügen sollte. Die Rothaarige wusste im Endeffekt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, für was sich ihre Mutter letztendlich entschied.

„Ach Quatsch, euer Vater weiß nicht, wovon er da spricht.“

„Geht es Kingsley schlechter?“, fragte die Sechzehnjährige forschend und Ron beschloss eifrig, dem stringent weiterlaufenden Hugo zu folgen, dem das ganze Gespräch offenbar nicht interessierte. Allerdings hatte Rose nicht die Zeit, sich auch darüber Gedanken zu machen. Ihre Mutter sah sie nun wieder mütterlich besorgt an und schien wohl gleichzeitig zu begreifen, dass sie der klugen Rose keine Halbwahrheiten bieten konnte.

„Das kann ich dir nicht sagen“, antwortete sie schnell und setzte ihren Weg durch die Menschenmassen auf dem gut gefüllten Gleisen fort, stetig in Richtung der Absperrung 9¾ laufend. Rose war ihr dicht auf den Fersen und hatte bereits beschlossen, nicht so leicht aufzugeben.

„Und weshalb du? Lag das Ministerium denn nicht sowieso im Falle eines Rücktritts von Kingsley Onkel Harry in den Ohren, damit er den Posten übernimmt?“

„Woher weißt du das schon wieder?“ Hermione schien nun ernsthaft beunruhigt und beschleunigte ihre Schritte, was es Rose umso schwerer machte, mit dem vollgepackten Wagen ihrer Mutter über den überfüllten Bahnhof zu folgen.

„Das hat unter anderem der Tagesprophet vor ein paar Monaten behauptet, den ich jeden Tag lese, wie du weißt“, erwiderte Rose hitzig, die es als immer anstrengender empfand, dem Tempo ihrer Mum zu folgen.

Plötzlich zügelte Jene jedoch ihren Schritt und drehte sich mit hochkonzentrierter Miene zu ihrer Tochter um, während sich Passanten wortlos und geschäftig an den beiden vorbeidrängelten.

„Wissen das die Anderen auch?“

Rose schüttelte leicht den Kopf, nicht realisierend, weshalb das eine so große Rolle spielte. „Keine Ahnung, ich hab damals mit Al drüber gesprochen und auch mit Alice, die den Artikel jedoch selbst gelesen hatte.“

Ihre Mutter nickte und half ihr schließlich, den breiten Gepäckwagen zu schieben, indem sie sich direkt neben der Rothaarigen postierte.

„Ich bitte dich, Rosie, unterbinde jedes Gespräch darüber“, flüsterte sie dann leise in ihr Ohr und die Sechzehnjährige versuchte unterschwellig zu begreifen, was für eine falsche Frage ihr da über die Lippen gekommen war, ohne eine befriedigende Antwort zu erhalten.

„Warum?“

„Weil es zu gefährlich für euch ist. Ich kann dir nicht mehr sagen, aber es ist nicht gesund, wenn ihr euch allzu viele Gedanken darüber macht.“

„Aber wieso?“, untergrub Rose die Bitte ihrer Mutter und bemühte sich, einen klaren Kopf zu behalten.

„Einmal wünscht’ ich mir, du wärst an einer Sache so desinteressiert wie dein Bruder“, murmelte Hermione leise und lief nun mit ihrer Tochter geradewegs auf die Absperrung 9¾ zu.

„Hugo ist zurzeit einfach von der Rolle“, bemerkte Rose neutral und doch streifte sie der schmerzende Blick ihrer Mutter, von der sie doch eigentlich erwartet hatte, dieses seltsame Verhalten ihres Bruders nicht bemerkt zu haben.

Das erste Mal in ihrem Leben wurde Rose die wahre Liebe einer Mutter zu ihrem Kind bewusst, als sie fortwährend in die traurigen, haselnussbraunen Augen Hermione Granger Weasleys blickte.

„Pass bitte auf deinen Bruder auf“, hörte sie ihre Mutter noch sagen, bevor sie die Absperrung durchliefen.
 

Der Gleis 9¾ war ebenso belebt wie der nicht magische Bereich des Bahnhofs. Eltern küssten und herzten ihre Kinder zum Abschied, das Gekreische der unzähligen Eulen lag in der Luft und wilder Dampf stieg über dem Hogwarts Express empor in den immer noch grauen Himmel, der sich nun jedoch etwas zu lichten schien. Trotz der spärlichen Sonnenstrahlen war es kühl und Rose erinnerte sich mit einem leichten Bedauern daran, dass es ihr letztes Mal sein würde, dass sie nach Hogwarts reiste. Obgleich sie keinerlei Ahnung hatte, was sie nach der Schule erwarten würde. Sie konnte von ihren akademischen Leistungen her fast alle Berufe ausführen, die es gab, jedoch hatte sie noch keine Vorstellung, was es letztendlich werden sollte.

Der gewohnte Anblick, der sich ihr nun bot, ließ die düsteren Gedanken und das zuvor geführte Gespräch mit ihrer Mutter schneller verstreichen, als ihr eigentlich lieb gewesen war, doch faszinierte sie die Pracht des Hogwarts Expresses gleich dem ersten Tag, an dem sie ihn gesehen hatte.

Sie schlängelten sich nun hastig zwischen den Familien hindurch und erblickten schließlich auch Ron, der sich ein paar Meter entfernt mit seinem Sohn postiert hatte und unbehaglich dreinblickte, als er die Beiden ebenfalls entdeckte. Schuldgefühle zogen sich über sein verzerrtes Gesicht und er fürchtete sichtlich den Zorn seiner nun heraneilenden Frau.

„Ihr habt nicht mehr viel Zeit. Ich fürchte, die restlichen Weasleys und Potters sitzen bereits im Zug“, sagte Hermione geschäftig und sie beachtete Ron beflissentlich keineswegs, während ihre Augen über den Gleis wanderten, als wolle sie sich vergewissern, nicht doch irgendwo ein familiäres Gesicht zu entdecken.

Ob sie wirklich so spät dran waren oder ihre Mutter nun einfach dem Behagen nachkam, ihre Kinder sicher im Zug sitzen sehen zu wollen, wo sie ihr keine weiteren Fragen stellen konnten, wusste Rose nicht, allerdings hatte sie eine Vermutung, die sich auf letzteres berief.

Hermione zog Hugo nun fest an ihre Brust, während Ron Rose den Rücken tätschelte und sichtlich mit sich zu hadern schien. Irgendwann inmitten ihrer Pubertät hatte die Rothaarige einmal verkündet, sie wolle nicht die Peinlichkeit eingehen, von ihrem Vater vor den Augen der Welt umarmt und geherzt zu werden, weshalb sich Ron immer sehr widerspenstig daran gehalten, aber wenigstens ihren Wünschen nachgekommen war. An diesem Tag allerdings konnte sie nicht anders, als ihre Hände um die Mitte Rons zu schlingen und den Kopf ein paar Sekunden lang an seine Brust zu legen. Er war verwirrt, das wusste sie und doch fühlte es sich an wie eine Pflicht, da es immerhin ihr letztes Mal sein würde. Ihre letzte Reise am 1. September nach Hogwarts.
 

„Granger, ich wollte dir schon längst für den außerordentlichen Coupe gratulieren, der unsere Welt wie all deine anderen Taten ja so ungemein bereichern wird.“

Die tiefe, von etwas Hartem geprägte, Stimme drang an Rose’ Ohr und in eben dem Moment, in dem sie sich fragte, wer ihre Mutter soeben mit dem Mädchennamen angesprochen hatte, spürte sie, wie sich ihr Vater zusehends verkrampfte. Sie bemerkte sogar kurz das Zucken seiner Hand, als wolle diese geradewegs seinen Zauberstab zu Rate ziehen. Langsam löste sie sich von ihm und drehte sich forschend um.

Es war fast kein Meter, der sie trennte. Die Malfoys von den Weasleys.

Ihrer Mutter gegenüber stand Draco Malfoy, der auf sie herabblickte, kennzeichnend mit einem Blick voller Arroganz und Hochwohlgeborenheit.

Rose wusste, dass ihre Familien sich mittlerweile keinen Unterschied mehr boten, wie es zur Zeit der Jugend ihrer Eltern gewesen war. Zu jener Zeit, wo die Malfoys als reich und die Weasleys als arm galten. Heute waren sie alle wohlhabend und gut situiert, alle hochangesehen und standen sich in nichts nach. Nur die alte Feindschaft war nie berührt worden, hatte immer bestanden - mal deutlicher, anderntags fast durchsichtig.

Auch Rose spannte sich an, als ihre Augen sich von dem hochgewachsenen Mann lösten und die restlichen Anwesenden musterten.

Mrs. Malfoy hatte – ohne dabei die Kühle ihrer Schönheit abzulegen –, die Lippen hart aufeinandergepresst und die Arme vor der Brust verschränkt. Sie trug ein schwarzes Kostüm, das einen deutlichen Kontrast zu ihrer vornehmen Blässe und dem hellen Haar bildete. Sie stand einen Schritt hinter ihrem Mann, als wolle sie sich aus dieser Konversation gänzlich heraushalten, obwohl Rose nicht wusste, ob aus Abscheu vor den ‚Blutsverrätern’ – sollte wirklich noch Jemand derart konservativ denken –, oder weil sie den Streit beider Familien Leid war. Die Rothaarige konnte diese Frau nicht entschlüsseln, von der gleichsam eine seltsame Faszination ausging. Ihre Augen blickten starr auf den asphaltierten Boden und Rose bemerkte trotzdem dasselbe Blau, wie es auch ihr Sohn trug.

Nun trat eine entzückte Imogene in ihr Blickfeld, die sich offenbar zurückhielt, um ihre Eltern nicht gänzlich zu schockieren, indem sie Rose beispielsweise öffentlich umarmte. Denn dass die Kleine zu dem im Stande war, stand für die Sechzehnjährige außer Frage. Tatsächlich zwinkerte ihr Imogene Malfoy nur verschwörerisch zu, während sie über die ungewöhnliche Familienzusammenführung ganz erfreut schien. Ihre Wangen strahlten rosig und sie schien sichtlich aufgeregt, sodass ihre großen Augen stetig zwischen beiden Familien hin und her huschten.

Letztendlich blieb Rose keine Möglichkeit, den Blick nicht auch auf das letzte Familienmitglied zu lenken. Scorpius Malfoy schien sichtlich angeödet von der ganzen Szenerie und hatte sich halb abgewandt, vermied jeglichen Blick in ihre Richtung und fixierte einen undeutlichen Punkt außerhalb ihres Blickfeldes an. Er sah gut aus. Was selbstverständlich typisch war für diese Gene und trotzdem huschten Rose’ Augen nach dem Gedanken kurz zu ihrem angespannten Dad, in der Furcht, dass er diesen unsäglichen Gedankengang vielleicht mitverfolgt hatte. Obwohl diese Möglichkeit ganz ausgeschlossen war.

„Astoria, Draco“, erwiderte Hermione nun freundlich, nickte den Beiden zu und doch wollte der kritische Zug nicht ihr Gesicht verlassen. Ihre Mutter überging fühlbar jene Anmerkung ihres Gegenübers, die ganz offensichtlich eine Kollision hatte provozieren sollen. Astoria zeigte keine Erwiderung bezüglich der Begrüßung und Draco Malfoys Lippen verzogen sich lediglich spöttisch zu einem arroganten Grinsen. Wenn Rose nun Vater und Sohn miteinander verglich, so war doch überdeutlich, dass dem Jüngeren fast alles Harte und Steife fehlte, dass sein Vater so konsequent an seiner Körperhaltung und in dem bleichen Gesicht zur Schau trug.

„Granger und Wiesel inklusive der grenzwertigen Mischungen aus Beidem“, fasste Malfoy knapp zusammen und Rose realisierte erst, als Scorpius’ Kopf wütend in die Richtung seines Vaters flog, was der Mann zuvor wortwörtlich gesagt hatte. Er hatte auch sie beleidigt, sie und ihren Bruder. Und sie verstand nicht, warum.

Scorpius schien jedoch nicht der Einzige, dem die Bedeutung sofort klar gewesen sein musste, denn ehe Rose handeln konnte, war ihr Vater schon an ihr vorbeigeprescht und richtete nun wutentbrannt die Spitze seines Zauberstabes direkt zwischen Malfoys Augen. Hermione stand wie angewurzelt da und sah mit leicht geweiteten Augen, wie auch Hugo lautlos an Scorpius Seite gewichen war und diesem nun den eigenen Zauberstab an die Kehle hielt, als wolle er verhindern, dass dieser wiederum seinem Vater zu Hilfe kam.

Rose Mund wurde trocken und ihr Herzschlag setzte eine unliebsame Sekunde lang einfach aus, als ihre Augen sich in das Bild bohrten, das sich ihr nun bot.

Astoria hatte Imogene schützend hinter ihren Rücken gezogen und schien wild zu überlegen, ob sie eingreifen sollte oder nicht. Ihre eigene Mutter bewegte sich immer noch nicht, sondern starrte angestrengt auf ihren Mann, als wolle sie ihn nonverbal beschwören.

Während die Sekunden verstrichen, wuchs in der Rothaarigen die Panik. Sie sah den Ausdruck in den brauen Augen ihres Bruders, der doch immer so ruhig gewesen und aus dem soeben etwas Gefährliches ausgebrochen war. Etwas Unberechenbares.

Aber sie konnte und wollte nicht darüber rätseln, weshalb und wann er so geworden war, denn die Angst, er könnte Scorpius etwas antun wuchs beachtlich. Und gleichsam auch die Furchtsamkeit, dass es umgedreht passieren könnte.

„Hugo, komm sofort her“, zischte Rose, während sich kleine Funken aus dessen Zauberstab geradewegs an der kalten Haut Scorpius’ entluden. Sie kannte diese Symptome eines Zauberstabs; es waren unkontrollierte Ausbrüche elektrischer Ladungen, die sich bildeten, wenn der Träger des Stabes mit großer Selbstbeherrschung zu kämpfen hatte, die er nicht mehr lange halten konnte. Weshalb sie diesen Buchtext stumm in ihrem Gehirn herabwandern ließ, wusste sie nicht, jedoch war dessen Bedeutung für den blonden Malfoy mehr als gefährlich.

Ihre Knie wurden weich, als Scorpius endlich ihren Blick erwiderte und urplötzlich stoben eine Vielzahl unterschiedlicher Gefühle und Erinnerung in ihr hoch, die ihr fast den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohten. Sie spürte seine Küsse auf ihrer Haut und ein wohliges Kribbeln durchfuhr ihren Körper, das so gar nicht zu den anderen Emotionen passen wollte. Schlagartig sehnte sie sich nach ihm und ohne darüber nachzudenken, bewegte sie sich schnurstracks auf ihren Bruder und Scorpius zu, legte kaum eine Sekunde später die Hand an den glühenden Zauberstab und drückte ihn hinunter, wobei ihre dunkelblauen Augen durchdringend auf ihrem Bruder lagen.

„Wie kannst du das tun?“, hauchte sie leise und wusste überhaupt nicht mehr, wie sie ihn nun zu betrachten hatte. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Er war nie eine Gefahr für seine Mitmenschen gewesen, immer friedliebend, doch wie sollte letztere Eigenschaft in das eben gelieferte Bildnis passen?

„Er hat uns beleidigt“, stieß Hugo wutentbrannt hervor und in seinen brauen Augen flackerte etwas, dass ihn kaum eine Sekunde später dazu bewegte, Rose’ Hand wegzuschleudern, die dabei fast ihr Gleichgewicht einbüßen musste, nach hinten taumelte und nur durch Scorpius Arme in der Luft gehalten wurde.

Rose spürte wie ihre Ohren das lästige Magentarot annahmen, was von dem Blonden – bei Merlins Dank -, nicht zur Notiz genommen wurde, der ihren Bruder jetzt ebenso abfällig anschaute.

„Du weißt, beleidige meine Frau und mich so viel du willst, aber richte kein einziges Wort an meine Kinder!“, knurrte Ron Weasley nun hörbar beherrscht und stieß die Worte zwischen den zusammengepressten Worten hervor, als wären sie die reinste Galle.

„Was willst du tun, wenn ich es nicht mache, Wiesel? Willst du versuchen, mich Schnecken spuken zu lassen?“, höhnte Draco Malfoy und Rose erinnerte sich daran, wie sie diesen Zauber einst bei dessen Sohn gebraucht hatte. Bei dem, der sich im Moment am normalsten verhielt und neben dem sie momentan wie angewurzelt stand.

„Was zum Teufel geht denn hier vor?“, ertönte gerade noch rechtzeitig eine familiäre Stimme hinter der Rothaarigen, die energisch und fragend zugleich klang, als auch Ron dazu bewegte, den Zauberstab sinken zu lassen.

Rose riss den Kopf herum und bemerkte erleichtert, ihren ernst dreinblickenden Onkel Harry auf die Szenerie zu schreiten, gefolgt von ihrer Tante Ginny, die nicht minder bedenklich wirkte.

„Augenscheinlich sind alle verfeindeten Familien nun vereint“, spottete Draco Malfoy und nickte Harry knapp zu.

„Aber wer spricht denn nach fünfundzwanzig Jahren noch von Feindschaft?“, erwiderte dieser gewählt und Rose sah, wie Tante Ginny hinüber zu Hermione eilte, die sehr mitgenommen wirkte.

„Beispielsweise Muggelhasser und Todesser“, kommentierte Ron verbissen und so laut, dass Draco Malfoys Hand ebenfalls kurz in Versuchung kam, den Zauberstab zu greifen. Rose hatte noch nie Jemanden öffentlich einen anderen Menschen zu den zwei schlimmsten Attributen sortiert, die es in ihrer Welt gab. Und doch hatte ausgerechnet ihr Vater dies gerade getan.

„Ron“, stieß Hermione nun beschwörend hinzu und griff nach dessen Unterarm, während sich Harry zwischen die beiden Feinde stellte.

„Unsere Kinder fahren heute das letzte Mal nach Hogwarts und wir zerstören ihnen diesen Tag, indem wir uns öffentlich verfluchen?“

Rose sah, wie ihr Vater bei diesen Worten zur Besinnung kam, den Ärger hinunterschluckte und knapp zustimmend nickte, bis seine Stimme brüchig nach seinen Kindern verlangte. „Rose, Hugo, kommt sofort her.“

Die Rothaarige vermied jeglichen Blick in Scorpius’ Richtung, als sie die Hand resolut auf Hugos Schulter sinken ließ und zusammen mit ihm zu ihrer Familie hinüber ging, die nun mit Harry und Ginny deutlich in der Überzahl war. Draco Malfoys Gesichtsausdruck ließ offen, ob er zufrieden mit sich war oder nicht, wobei Rose doch eher mit dem ersten von beiden rechnete. Astoria trat kaum merklich einen Schritt vor und verzog ihre vollen Lippen zu einem leichten Lächeln, als sie mit glockenheller Stimme sagte:

„Die Kinder sind so schnell groß geworden.“

Es wirkte aufgesetzt und mechanisch, als wolle sie alles überspielen, was ihr Mann sich soeben geleistet hatte und Hermione war die Erste, die diese unausgesprochene Entschuldigung erwiderte.

„Ja, die Zeit vergeht so schnell“, hauchte sie und musste husten, um ihrer Stimme einigermaßen den normalen Klang wiederzugeben, für den Astoria kaum ein Hüsteln gebraucht hatte. Astoria nickte nun und nahm dann entschieden die zarte Hand ihrer Tochter zwischen ihre Finger, warf ihrem Sohn einen Blick zu, der ihr ohne Umschweife sofort aus dieser misslichen Lage folgte und schließlich stand nur noch Draco Malfoy der Familie Potter Weasley gegenüber, wiederum unentwegt auf eine fiese Art und Weise schmunzelnd. Als wüsste er etwas, was wir alle noch nicht ahnen, dachte die Rothaarige und blickte dann, als die metallgrauen Augen ihre trafen, strikt Richtung Boden.

„Es ist doch immer wieder nett, alte Bekannte wiederzusehen“, bemerkte Draco Malfoy zum Abschied, bevor er seiner Frau und den Kindern folgte und eine zerknitterte andere Familie zurückließ.

Rose interessierte sich nicht sonderlich für das darauffolgende ernste Gespräch zwischen ihren Eltern mit den Potters, sondern wollte lediglich nur noch in den Zug steigen und sich mit Aufgaben der Schülersprecherin ablenken. Hugo neben ihr schien immer noch verbissen mit seiner unterdrückten Wut zu kämpfen, doch Rose verwarf jeden Gedanken an eine baldige Konversation über sein Verhalten erst einmal.

Der Hogwarts Express gab ein ohrenbetäubendes Geräusch von sich und drückte somit aus, dass nun alle einsteigen sollten, was Rose fast erleichtert aufseufzen ließ.

„Okay, wir müssen jetzt los“, sagte die Rothaarige eilig zu ihren Eltern und ihre Mutter drückte sie noch einmal fest an sich, flüsterte ihr ein „Pass auf dich auf“ ins Ohr und ließ sie schnell wieder los. Sie sah fertig aus, mitgenommen und seltsam ausgelaugt, sodass sich Rose unterschwellig erneut fragte, was im Ministerium vor sich ging, von dem selbst der Tagesprophet noch keinerlei ahnte.

„Rosie, versprich mir“, setzte ihr Vater an und beugte sich zu seiner Tochter hinunter. „Versprich mir, dass du diesen Malfoy Jungen in jedem Fach schlägst und dich immer von ihm fern hältst! Er ist gefährlich genauso wie der Rest dieser Sippschaft.“

Rose schluckte und entschied sich, dass es das Normalste wäre, einfach dieser Bitte nachzukommen und ihr Versprechen zu besiegeln. Doch wusste ihr Dad auch noch nicht, dass sie dem ‚Malfoy Jungen’ bereits einmal erlegen war. Wenn es nach ihr ging, würde er es auch nie erfahren. Lediglich der Blick in die ernsten Augen ihres Vaters, die genau dieselbe Farbe hatten wie die ihren, bewegte sie dazu, kurz mit dem Kopf zu nicken.
 

In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass eine Beziehung zu einem Malfoy keine Zukunft hatte. Nicht, wenn man eine Weasley war.

Ein engeres Verhältnis würde lediglich Schmerz und Trauer für alle Umstehenden bedeuten und nicht mehr. Ihr Vater würde seine Enttäuschung nicht verbergen können und so wie sie Draco Malfoy erlebt hatte, würde dieser alle Wege einleiten, um diese Beziehung zu sabotieren. Weshalb sie darüber nachdachte, war simpel ausgedrückt, da die bloße Möglichkeit fast vierundzwanzig Stunden lang bestanden hatte, eine Beziehung führen zu können. Man musste nicht Einstein oder Merlin sein, um nach der vergangenen Zusammenkunft zu kapieren, dass sich diese Eventualität soeben in Luft aufgelöst hatte.

Die Rothaarige schluckte erneut versuchsweise den unsichtbaren Kloß in ihrem Hals hinunter und stieg dann falsch lächelnd mit ihrem Bruder in den Zug ein. Sie hatten selbstverständlich keine Ahnung, wo sich ihre Freunde befanden, weshalb sie am nahegelegenen Fenster, auf dem mit Gepäckstücken belagerten Gang, stehen blieben und ihren Eltern, als auch Ginny und Harry zum Abschied winkten.

Es würde das letzte Mal bis Weihnachten sein, dass sie ihre Eltern sah, wurde Rose einmal mehr bewusst und sie versuchte sich alle markanten Gesichtzüge einzuprägen, falls sie sich verändert haben würden. Obwohl es infrage stand, weshalb sie sich überhaupt verändern sollten. Nur das unbehagliche Gefühl in Rose’ Herzen brachte sie dazu, dieser stummen Aufforderung ihres Unterbewusstseins nachzukommen.

Als sie sich umdrehte, war Hugo schon verschwunden und langsam ließen sie King’s Cross hinter sich und flogen an den umliegenden Ländereien vorbei.

Sie nahm sich ihre Koffer und versuchte sich den schwierigen Weg durch den zugestellten Gang zu schlagen. Wobei ihre Gedanken immer wieder zu der zuvor erlebten Szenerie zurückflogen und dort verweilten.

Das war auch der Grund, weshalb sie es nicht sofort bemerkte, als ihr eine große Gestalt aus einem der Abteile in den Weg trat. Ihre Augen weilten einen Moment perplex auf dem schwarzen, unbedruckten T-Shirt, wohl wissend und schwer erahnend, wer ihr gerade den Weg versperrte. Langsam glitt ihr Blick hinauf in sein Gesicht und sie bemerkte die wenigen Zentimeter, die sie an diesem Tag nur voneinander trennten.

Sie war naiv gewesen, wenn sie irgendwann mit dem Glauben aufgewacht sei, irgendetwas hätte sich nach dieser Nacht verändert. Rose war nicht so verträumt, um damit zu rechnen, dass er sie jemals nach dem soeben abgelieferten Schauspiel ihrer Eltern nach Hogsmeade einladen würde, geschweige denn sonst irgendwelche gemeinsamen Aktivitäten in Betracht zog. Alles blieb beim Alten und doch erwiderte sie seinen Blick an diesem Vormittag nicht so hartherzig wie sie es die Jahre zuvor getan hatte. Er blickte auf sie herab, ohne dabei jegliche Arroganz seines Vaters zu übernehmen, und seine Lippen verzogen sich zu einem leichten malfonischen Grinsen.

„Hat dein Vater dir auch befohlen, mich in jedem Fach zu schlagen?“, fragte er amüsiert und lehnte sich lässig an die nächstgelegene Wand, Rose fortwährend den Weg versperrend. In der Rothaarigen kamen sogleich Zweifel auf, die sich damit deckten, dass Scorpius vielleicht ganz angetan wäre, seinem Vater eine Beziehung zu einer Weasley zu verheimlichen.

„Ja, wie jedes Jahr“, antwortete sie leise und wieder legte sich, als er sie so seltsam ansah, ein Kribbeln auf ihre Haut. „Doch heute war das ganze noch einen Tick energischer“, fügte sie schnell hinzu und konnte nichts anderes tun, als sein Lächeln leicht zu erwidern.

Scorpius fuhr sich mit der rechten Hand durch das helle Haar und wirkte plötzlich befangen. „Hör mal, wegen der Party“, begann er und Rose’ Herzschlag setzte erneut an diesem Tag aus. Ihre Handflächen wurden feucht und sie spürte genau, wie sich nun alles an ihrem Körper in ein hässliches Rot tauchte – nicht nur die Ohren.

„Ja“, sagte sie tonlos und versuchte, es nicht zu sehr wie eine Frage klingen zu lassen.

„Wir sollten es dabei belassen“, murmelte der junge Malfoy und vermied es, sie weiterhin anzusehen. Wenn Rose es nicht besser wüsste, vermochte sie zu meinen, er hätte eben mit ihr Schluss gemacht, so wie er es mit zahllosen anderen Mädchen getan hatte. Alle hatten sich daraufhin tagelang die Augen ausgeheult und hätten am liebsten mit ihrem ganzen Leben Schluss gemacht. Nur wegen ihm.

Doch Rose war zu rational denkend, um diese Nacht auch nur verallgemeinernd zu etwas Derartigem zu zählen, zu dem man berufen wäre, Schluss zu machen. Es war immerhin nichts gewesen, als dieses … Rumgemache. Und dieser Gedanke fiel Rose Weasley mehr als alles andere schwer. Hätten sie jedoch länger als drei Stunden etwas gehabt, so würde sie Scorpius’ momentanes Verhalten verstehen können, allerdings unterdrückte sie den beachtlichen Teil in ihr, der sich mehr als drei Stunden vorgestellt hatte.

Nun nickte sie und suchte nach den passenden, nicht verletzt wirkenden Worten, die sich ihr aber nicht zeigen wollten. Ihre Hand fuhr hinauf zu ihrer Schläfe und sie spürte den halb besorgten Blick des Blonden auf sich, während sie den Mund öffnete und wartete, bis sich ein Ton bilden würde.

„Natürlich“, war das Einzige, was ihre Lippen noch formen konnten. „Alles beim Alten.“

Scorpius nickte leicht und stützte sich dann von der Wand ab, um wieder in voller Größe vor ihr zu stehen. „Es würde einfach nicht funktionieren, das hast du doch gesehen.“

Selbstverständlich habe ich das gesehen, ich bin ja nicht blind, dachte Rose gestresst und verspürte nunmehr den Drang, einfach aus seiner Nähe zu verschwinden. In ihrem Kopf wirbelten die schlimmsten Schimpfwörter ihrer Zeit umher - viele waren von den Muggeln abgeguckt -, und sie musste sich stark beherrschen, um nicht in ihrer plötzlich aufkommenden Wut - Resultat ihrer unterschwelligen Verletztheit -, eines davon laut auszusprechen. Sie presste die Lippen aufeinander und wartete darauf, dass er wieder aus ihrem Leben verschwinden würde, und bitte genauso schnell wie er gekommen war.

Doch er machte keine Anstalten, sie alleine zu lassen.

„Du bist Schülersprecherin geworden.“

Rose trug zwar ihr poliertes Abzeichen nicht, jedoch war es für ihn bestimmt genauso klar gewesen, dass sie es bekommen würde, so wie Rose sich damit hatte abfinden müssen, dass Scorpius es von allen männlichen Wesen in Hogwarts am ehesten erhalten würde. „Und du Schülersprecher.“

Bravo, dachte sie. Es konnte nichts Besseres geben, als mit dem vermeintlichen beinahe Freund, der sich dann wie eine Schlange aus der Verantwortung herausgezogen hatte, ein ganzes Jahr eng zusammenarbeiten zu müssen.

„Weswegen ich finde, dass wir unsere elterlich übernommene Feindschaft ablegen und so etwas Ähnliches wie Freunde werden sollten“, erklärte er lässig und grinste sie wieder mit demselben Lächeln an, das so viele Mädchen zum dahin schmelzen brachte. Allerdings zog Rose in ihrem Kopf gerade wieder dieselbe Mauer hoch, die sie einst sechs Jahre lang vor dem Einfluss und dem Charme eines Malfoys beschützt hatte und die doch eigentlich nie hätte fallen dürfen.

„Klar“, erwiderte sie kühl und setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. Es war zu wenig gewesen, um ihr Herz brechen zu lassen und zu viel, um es nicht wenigstens zum Weinen zu bringen. „Und jetzt geh mir aus dem Weg.“
 

Es war so einfach, einen Malfoy zu hassen.

                  

       

five

                  

       

Das lebendige Treiben in der Winkelgasse am frühen Mittag des ersten Septembertages war von unbändiger Sorglosigkeit geprägt. Nach dem Krieg waren kaum ein paar Monate ins Land gezogen, bevor sich die spürbare Fröhlichkeit der Überlebenden gänzlich mit der ungleichgewichtigen Unbeschwertheit verbunden hatte – eine verhängnisvolle Verbindung, die einen Schleier über der Realität verhing und die Menschen oftmals dazu bewegte, ganz offensichtliche Dinge nicht zu sehen. Diese gefährliche Konstellation kennzeichnete seither das Leben so vieler argloser Gesichter, die allesamt Teil einer magischen Welt waren und nun mit dem Gedanken, nichts mehr fürchten zu müssen - mochten sie dabei an sich selbst, Familie oder Freunde denken - ihren Alltag bestritten.

Und auch an diesem Tag war es ein von reinster Arglosigkeit beschriebenes Bild, das brotlose Künstler, die sich mit der Jahrhundertwende herauskristallisiert hatten, gemächlich in die Winkelgasse gezogen und dort dazu inspiriert hatte, die geweckten Lebensgeister in ihren magischen Gemälden festzuhalten.

Obgleich Astoria Malfoy eine Anhängerin der unbeweglichen Kunst war und nicht selten beeindruckt von muggelstämmigen Werken als auch den magischen Variationen, so missfiel ihr doch an diesem Tag die pulsierende Daseinsfreude ihrer Mitmenschen, welche so begierig von den sensiblen Seelen festgehalten werden wollte - so als ahnte man bereits, dass es löblich wäre, alles Gute einzufangen, um in schlechteren Zeiten einen guten Vergleich ziehen zu können. Offensichtlich schienen Leichtsinn und Unachtsamkeit ebenso beständige Begleiter wie die pure Heiterkeit, deren Wurzeln schon so stark in ihre Opfer verwachsen waren, dass man durchaus einmal die Augen schloss, um offenkundige Dinge nicht realisieren zu müssen. Und das war es, das Astoria Malfoy verabscheute: Unbesonnenheit, sowie Nachlässigkeit. Gemischt mit tollkühnem Leichtsinn.
 

Kein Wort hatte sie mit ihrem Mann seit der beabsichtigten Kollision mit der Familie Potter Weasley gewechselt, doch obgleich sie behaglich schweigend neben ihm durch die Massen lief, so wusste sie dennoch nicht, ob ihm ihre offen zur Schau getragene Ignoranz überhaupt ein Begriff war. Manchmal hatte es fast den Anschein, als vergäße er vollkommen, dass es außer ihm noch eine Familie gab, um die es zu sorgen galt. Manchmal existierte lediglich nur Draco Malfoy in seinem Kopf - nur seine Wenigkeit und seine Bedürfnisse. Doch sie liebte ihn zu sehr, um die Aspekte der Arroganz so zählen zu lassen, dass die einzig befreiende Möglichkeit eine Trennung gewesen wäre.

Astoria wusste dennoch, dass ihm ihre offensichtliche Wut und die Missbilligung seines Verhaltens nicht gänzlich entgehen konnten - doch es Draco gleichsam nicht so mitnahm, dass er schnellstmöglich etwas gegen ihre Unzufriedenheit unternommen hätte.

Astoria sah kurz hinüber in die schmale Seitenstraße, an der sie vorbeiliefen und die mit ihrem Dunkel den Schrecken der Nokturngasse charakterisierte. Seit Ewigkeiten hatte sie den Weg, der bei allen guten Zauberern verrufen war, nun nicht mehr betreten und sie sehnte sich auch keinesfalls nach dem trüben, verwesenen Geruch und den skurrilen Gestalten zurück.

Doch gleichsam fragte sie sich, wie schnell das neue Böse sich dort im Falle eines Falles niederschlagen würde und mit welchen Konsequenzen. Schließlich flog ihr Blick zurück zu ihrem Gatten und noch während sie gedanklich die Worte formte, kochte das grenzenlose Gefühl der Demütigung in ihr empor.
 

„Sag, was hast du dir von der Aktion versprochen?“, zischte sie und griff energisch nach seiner Hand, bevor er ihr davonlaufen und ihre Frage beflissentlich ignorieren konnte. Er mochte es nicht, wenn man ihm in den Weg kam. Doch sie hatte keinerlei Angst. Und hingegen ihrer Erwartung schien nun Draco eisern schweigen zu wollen, sodass Astoria hitzig fortfuhr: „Erklär mir bitte, was du damit bezwecken wolltest! Du hast mit diesem Auftritt nicht nur dich selbst, sondern auch mich und deine Kinder gedemütigt. Mitten auf dem Bahnsteig ein Intermezzo zu beginnen, das dann vom glorreichen Harry Potter auf die Ebene der Normalität zurückgeführt wird, sag mir nicht, dass das dein Plan war!“

Noch immer reagierte er nicht auf ihre Worte und Astoria begann langsam an ihren Fähigkeiten als Ehefrau zu zweifeln, insofern nun nicht einmal mehr ihr Mann dazu bereit war, sie über seine Handlungen aufzuklären. Sie wusste, dass es um ihre Familie schlecht stand, doch wollte sie nicht auch noch ihn verlieren.

„Draco, verdammt, erklär’ mir deine Beweggründe!“ Und sie blieb stehen, noch während sie dabei zusah, wie er weiter ging, ohne auf sie zu warten oder überhaupt Notiz davon zu nehmen, dass sie ihm nicht weiter ohne Erklärungen folgte. Astoria Malfoy fühlte sich nun, nach dieser offenkundigen Zurückweisung, nicht nur noch mehr gedemütigt, sondern auch so, als wäre etwas Weiteres in ihr zerbrochen. Nicht einmal mehr Draco ließ es zu, dass sie an ihn herankam und sie sehnte sich zurück nach der Zeit, in dem sie noch seine Vertraute und Beraterin gewesen war, nicht nur die Ehefrau.

„Kingsley!“, rief sie ihm unvermittelt hinterher und so laut, dass sich einige der Passanten erschrocken zu ihr drehten, doch dann eilig weiter ihres Weges gingen. Und Astoria brauchte nicht mehr zu sagen, um die volle Aufmerksamkeit ihres Mannes zurückzugewinnen. Seine Miene war wutverzerrt, als er sich zu ihr umdrehte und noch während er auf sie zukam, wusste Astoria, dass sie zu weit gegangen war.

„Wie bitte?“, knurrte Draco bedrohlich, obgleich er genau verstanden hatte, wessen Namen seine Frau soeben der halben Winkelgasse offenbart hatte. Er beobachtete exakt wie ein stummer Emotionswechsel über ihr Gesicht schlich, bis er das bekannte, doch längst verloren geglaubte Funkeln in ihren Augen sah, dessen offensichtliche Spur von Hochmut ihm ebenso wenig entging wie die zwischenmenschliche Distanzierung, die sie annahm, sobald sie ihm die Stirn bot - wie sie es grundsätzlich zum Beginn ihrer Ehe getan hatte. Die kaum greifbare, aber dennoch existierende Distanz zwischen ihnen in diesem Moment, inmitten des bunten Treibens einer Welt, die dem Bösen glaubte, für immer entronnen zu sein, bewegte Draco kurzzeitig, darüber nachzudenken, ob er ihr erliegen und ihr seine Gründe darlegen sollte - doch sie ergriff das Wort, noch ehe er zu einem Entschluss gekommen war. Ihre Stimme klang leise und zart in seinen Ohren, doch die unverhohlene Nachdrücklichkeit ihrer Worte glich tausend Messerspitzen, die die Sanftheit unwiderruflich durchbohrten.
 

„Wenn Kingsley nicht mehr aufwacht, dann werden die Eingeweihten, allen voran Potter und der Rest seiner Familie, nicht eher ruhen, bis sie wissen, welchem Verbrechen der hochgeschätzte Zaubereiminister zum Opfer wurde und sie werden in ihrer Verzweiflung bei denen anfangen, die sich vor fünfundzwanzig Jahren urplötzlich mit dem Sturz des Dunklen Lords dem dunklen Regime entgegenstellten. Sie werden jene verdächtigen, die ihm einst dienten und Potter wird jedes Mittel recht sein, um ehemalige Todesser aus dem Weg zu räumen, um die Gefahren zu mindern. Und nun denk an Ron Weasley und sag mir, wen er als Drahtzieher dieser neuen Gefahren für die Zaubererwelt verantwortlich machen wird - nach dieser Aktion heute, mit der du nach all den Jahren aus deiner Höhle gekrochen bist, da du dich in vermeintlicher Sicherheit gewogen hast?“
 

Astoria Malfoy bekam ein leicht resignierendes Nicken ihres Mannes und es war das einzige, worauf sie zu hoffen bedacht war, als ihr schlagartig der modrige Geruch bewusst wurde, der sie inmitten der Winkelgasse umtrieb und der keinesfalls an diesen Ort gehörte. Und sie war nicht so dumm und sorglos, um die Zeichen nicht zu erkennen. Astoria wusste genau, dass die Nokturngasse erneut zum Leben erwacht war.
 

__
 

Rose Weasley erreichte selten mit solch präziser Stringenz ihren persönlichen Tiefpunkt wie an diesem Vormittag. Sich dieser Tatsache bewusst werdend, schob sie eine weitere Abteiltür auf, wendete dem trüben Wetter und dem beständigen Nieselregen den Rücken - doch besah sich im nächsten Moment einer weitaus enormeren Gefahr gegenüber, als dem bloßen Erliegen ihrer depressiven Gedankengänge. Diese Bedrohung hatte sie wiederum nur greifen können, da Rose einen winzigen Augenblick lang unaufmerksam gewesen war.

Das Erste, das ihr dabei sofort bewusst wurde, als es letztendlich schon zu spät war, um noch zu fliehen, war die einfache Tatsache, dass kein Rotschopf in diesem besagten Abteil hauste, womit sie wiederum keinen ihrer Verwandten gefunden hatte.

Wobei in diesem Jahr äußerst verwunderlich war, dass ihr nicht einmal ein sprintender Fred entgegen kam, so wie er es jedes Vorangegangene getan hatte - immer auf der Flucht vor einem wütenden und fluchenden Mädchen, dem er hatte schreiben wollen, dieser Versprechung jedoch nie gerecht geworden war. Vielleicht hatte ihr Cousin sich über die Sommerferien tatsächlich verändert, doch noch während sie dies bedachte, lief Rose ein glühend heißer Schauer der Erkenntnis den Rücken hinab.

Wahrscheinlich hätte sie besser daran getan, schnellstmöglich die Abteiltür wieder zuzuschieben, doch ihr Blick schweifte noch über die Szenerie, bevor ihr wirklich bewusst wurde, wo sie sich genau befand. Das war ein Fehler.

Denn nachdem sie Adrian Chad Zabini identifiziert hatte, der mit seiner angeborenen Nonchalance - die wiederum nur Malfoy seinerseits in den Schatten stellen konnte - auf den Polstern lag und sich von der Slytherin - eigenen Dienerin Polly Parkinson verwöhnen ließ, wusste Rose genau, dass sie einen weiteren Tagestiefpunkt erreicht hatte. Cheers, Merlin.

Es brauchte nicht mehr der weiteren Identifizierung Quirin Goyles‘ und ein paar anderer arroganter Slytherin Visagen, um Rose bewusst werden zu lassen, dass sie nicht nur in einer der gefürchteten Höhlen gelandet war; in einem jener Abteile, die von den meisten Schülern ohnehin gemieden wurden, da die Schikane an ihr haftete wie ein schlechtes Parfüm, nein, Rose Weasley war geradewegs bei den Siebtklässlern gelandet - bei der Elite der Boshaftigkeit, der Arroganz und des Sexismus, denn kaum einer verwandelte sein Abteil schneller in ein Bordell - ähnliches Verließ als ein Slytherin. Beziehungsweise als Zabini.

Das Fenster war verhangen mit edlem, roten Stoff, sodass den Regentropfen nur noch zu lauschen war und ein verhängnisvoller Duft waberte durch die Luft, so gefährlich wie sie nur die persönliche Note eines der größten Casanova Hogwarts’ sein konnte. Rose verwettete einige der unmodischen, Weihnachts- Pullover ihrer Großmutter Molly darauf, dass Adrian sogar eine eigene Minibar mit sich trug, die sich jedoch immer ganz magisch tarnte, wenn sie auch nur in die Nähe Zabinis kam.

Manch einer fürchtete Rose sogar mehr als Professor McGonagall und da die hochwohlgeborene Schulleiterin nichts von Zabinis Machenschaften ahnte, war die junge Weasley in diesem Punkt weitaus beunruhigender. Zudem nahm Rose ihre Aufgaben als Vertrauensschülerin konsequent wahr, wonach Adrian es zwar geahnt, allerdings nicht herbeigesehnt hatte, dass die Gryffindor noch mehr unnötige Macht bekam, als Rose ihre Klugheit ohnehin bescherte. Doch nun war sie Schulsprecherin.
 

„Manches ändert sich wohl wirklich nie“, meinte Rose kopfschüttelnd, als ihr Blick an der kleinen Schale voller roter Kirschen hängen blieb, die Polly mit zunehmender Sicherheit bald in Adrians Mund befördern würde. Manchmal könnte sie dieses unsympathische Mädchen für ihre Dummheit schütteln. Niemals würde Rose einen arroganten Wicht wie Zabini füttern, geschweige denn anderes über sich ergehen lassen. Wobei sie mit diesem Gedanken wiederum bei der Person war, von der sie ebenfalls nie geglaubt hätte, irgendetwas mit ihr anzufangen.

Adrian drehte seinen Kopf gemächlich zu Rose und grinste genüsslich, als er den unverhohlenen Ekel auf ihrem Gesicht bemerkte. „Weshalb sollte Gutes sich auch ändern?“

„Weil dein Hundeleben armselig ist“, antwortete Rose, während Adrian sich aufsetzte, Polly mit einer kurzen Handbewegung neben Goyle beorderte und über den freien Platz neben sich strich.

„Wir sollten über unsere Ansichten diskutieren, sonst entstehen noch Missverständnisse. Setz dich zu mir, Weasley“, grinste Adrian und die Angesprochene verdrehte demonstrativ die Augen.

„Ich wollte deine kleine Party eigentlich gar nicht sprengen, also lass diese lächerlichen Anmachen, die funktionieren nämlich nur bei Polly.“

Goyle lachte leise auf, als ihm die Schwarzhaarige auch schon ihren Ellbogen in die Seite rammte und ein lautes Knacken die Szenerie unterstrich. Quirin winselte und bedachte Polly mit vielen unschmeichelhaften Worten, die diese jedoch fast genüsslich in sich aufzusaugen schien.

„Habt noch viel Spaß“, wünschte Rose säuerlich, doch Adrian sprang derart schnell und elegant auf, dass sie in der Bewegung verharrte.

„Was hat dich hergeführt?“, fragte er ohne den schmalzigen Unterton in der Stimme und war Rose sogleich um einiges sympathischer.

„Ich suche meine Cousine“, antwortete sie wahrheitsgemäß und ignorierte das Schnauben von Seiten Polly Parkinsons, die selbstverständlich alle weiblichen Weasleys verabscheute. Wie die Mutter, so die Tochter. Adrian wirkte jedoch zufrieden mit ihrer Erwiderung und noch ehe Rose es erklären konnte, bot er ihr seinen Arm an, der sonnengebräunt und sehnig war – und den wohl hunderte Mädchen gerne genommen hätten. Sie allerdings nicht. Regel Numero Uno – Fasse einen Slytherin nicht an. Oder so ähnlich.
 

„Was du nicht sagst. Natürlich kann ich dich gleich zu dem wunderschönen Wesen führen, das Dominique genannt wird.“

Skeptisch blickte Rose auf seinen immer noch ausgestreckten Arm, bevor ihre blauen Augen hinauf in sein makelloses Gesicht wanderten. Letztendlich seufzte sie resignierend, ignorierte weitestgehend seine stumme Aufforderung, sich bei ihm unter zu hacken, und nickte leicht mit dem Kopf. Hatte sie denn eine Wahl? Wohl eher nicht. Denn Zabini gehörte zu der hartnäckigen Fraktion und wusste offenbar einmal etwas, das Rose entgangen war. Nämlich wo sich ihre Familie befand.

„Dann komm“, kapitulierte sie und trat einen Schritt zurück - schon fast gänzlich aus dem reichparfümierten Abteil - als sie gegen Jemanden stieß, der offenbar geradewegs in die aromatische Höhle eintreten wollte. Sie fühlte, wie sich eine kühle Hand auf ihren Oberarm legte und sie mit sanftem Nachdruck aus dem Weg schob. Rose drehte abrupt den Kopf und sah kaum Sekunden später in die metallgrauen Augen Scorpius Malfoys. Obgleich sie schwören könnte, dass sie am Tag der Party von einem eisigen, doch sehr hellen Blau gewesen sein musste, wich sie dem direkten Blickkontakt dennoch aus.
 

Und erreichte den wohl tiefsten Tiefpunkt ihres bisherigen Lebens.
 

Teils war es das stringent schlechte Wetter, das sie missmutig werden ließ, und auch die Tatsache, dass sie fast eine Stunde lang durch den Hogwarts Express geeilt war, ohne jemanden von ihrer Familie ausfindig zu machen, besserte ihre Laune keinesfalls. Selbst Zabini trug mit seinen lahmen Anmachsprüchen dazu bei, dass ihr Stimmungsbarometer sank. Doch Niemand trieb es so weit nach unten wie Scorpius Malfoy. Dem sie nicht entkommen konnte, so sehr sie es auch wollte.

Es war das Wissen, ihm erliegen zu sein, das Rose wütend machte. Wobei sie hätte wissen müssen, dass es Malfoy nichts bedeutete. Dass sie lediglich eines der vielen Mädchen war, welcher Zusammenhang sie im Übrigen ebenfalls sauer machte. Rose Weasley war schlagartig zu Einer von Vielen geworden.

Sie entwand sich seinem Griff und zuckte kaum merklich zusammen, als er ihren Arm streifte. Scorpius warf sich auf den Platz, den Zabini ihr soeben angeboten hatte – und diese einfache Handlung entlockte Polly ein Quieken, das Rose wiederum in ihrem Bestreben bestärkte, schnellstmöglich zu entkommen.

„In einer Stunde ist die Versammlung, Weasley“, sagte Scorpius leichthin, doch einen weiteren Blick bekam er von ihr nicht. Regel Numero Dos – Vermeide den direkten Blickkontakt mit einem Slytherin!
 

Unwillkürlich erinnerte Rose sich bei dieser Regel an ein Gespräch mit ihrer Mutter, das sie einmal vor Jahren während der Sommerferien in Frankreich geführt hatten. Rose hatte versucht, Hermione zu schildern, wie sehr sie Scorpius für seine Taten verabscheute. Wie arrogant er war. Was für einen schrecklichen Charakter er besaß. Und ihre Mutter hatte daraufhin erwidert, dass die Augen eines Malfoys manchmal der einzige Anhaltspunkt waren, dass auch er freundliche Züge besaß. „Slytherins sprechen mit ihren Blicken. Und oftmals sind diese wärmer als daher gesagte Worte, die ihnen eisig über die Lippen kommen.“
 

„Sie wird da sein“, meinte Zabini locker und nachdem sein bester Freund ihm einen irritierten Blick zugeworfen hatte, folgte dieser grinsend Rose, die bereits aus dem Abteil getreten war und sich nun auf dem Gang gestresst an eine Wand sinken ließ.
 

Zabini warf Rose im Vorübergehen einen spöttischen Blick zu, während sich die Andeutung seines amüsierten Lächelns auf ihren Körper einzubrennen schien und Rose schneller, als es alles andere gekonnt hätte, die Kraft zurückgab, die ihr Malfoys‘ Anblick jedesmal aufs Neue äußerst präzise zu nehmen schien. Sie stieß sich von der Wand ab und folgte dem Slytherin wortlos.

„Willst du drüber reden, Weasley?“, fragte Adrian charmant und beobachtete belustigt, wie deren Miene erfror, bevor sich ein unbehagliches Rot in ihre Wangen schlich.

„Es gibt nichts zu reden. Schon gar nicht mit dir.“

„Man kann deine schier grenzenlose Unbehaglichkeit, sobald Scorpius in der Nähe ist, spüren, Weasley. Du bist auch nicht sonderlich geschickt darin, deine Gefühle zu verbergen und somit kann das Jahr nur kompliziert werde - insofern du dir nicht Hilfe holst.“

Die Nachdrücklichkeit seiner letzten Worte hallte sekundenlang in ihrem gedankenschweren Kopf wieder, bevor Rose sich überwand und ihrem offensichtlichen Unwissen Luft machte – obgleich es sie genügend Überwindung kostete.
 

Hilfe?“, spie sie das Wort aus und der Klang ihrer Stimme verriet, wie absurd sie diesen Vorschlag fand, „Du meinst, ich soll mir tatsächlich Hilfe holen, am besten natürlich noch von dir, und mit welchem Zweck?“ Sie konnte nichts gegen die Giftigkeit ihrer Worte tun, die jedoch so gnadenlos an Adrian abprallten, als seien sie nicht an ihn gerichtet gewesen.

„Scorpius ist mein bester Freund, Weasley. Du musst mit ihm zusammenarbeiten, ein ganzes, langes Jahr lang. Und auch wenn ich nur eine vage Vermutung habe, was zwischen euch gelaufen ist, so kann es nicht schaden, wenn auch wir so etwas wie Freunde werden“, erklärte er lässig, grinste eine Ravenclaw mit langen, blonden Haaren an, die gerade an ihnen vorbeilief, und schien von seinen eigenen Worten bis ins Tiefste überzeugt zu sein. Rose zog eine Augenbraue demonstrativ in die Höhe und verspürte den Drang zu lachen, doch sogleich holte sie eine Woge der Fassungslosigkeit ein. Regel Numero Tres – Nimm nie, nie, nie (!) das leicht daher gesagte Freundschaftsangebot eines Slytherin an, der selbstverständlich Hintergedanken dabei hegt! Nie, nie, nie!
 

Freunde?“, wiederholte sie und ließ dieses Wort betont langsam über ihre Zunge rollen, während sich ihr Kopf diese untypische Konstellation vorstellte. Es stand außer Frage, dass Zabini Hintergedanken haben musste. Er war ein Slytherin.

„Du willst doch was!“

„Tja, es ist wirklich nicht so, dass ich mich darum reiße, die neutrale Brücke zwischen deiner verarmten Seele und der meines besten Freundes zu sein, allerdings hätten diese Verhältnisse doch nicht nur Nachteile.“

„Und welche Vorteile schweben dir da vor, Adrian?“, seufzte Rose resignierend und wurde sich gleichsam bewusst, auf welchem schmalen Grad sie sich in diesem Moment bewegten. Eigentlich hätte sie es nicht einmal in Erwägung ziehen sollen, auf dieses untypische Freundschaftsangebot einzugehen. Einem Slytherin traute man am besten überhaupt nicht. Sie spielte die Parole ihres Vaters unablässig in ihrem Kopf ab, bis Adrians sorgsam gewählte Worte Rose in die Realität zurückzerrten.

„Dominique. Und die Möglichkeit ein Mädchen nicht irgendwann aus meinem Bett vertreiben zu müssen, nur weil es die Schulordnung so vorschreibt.“

„Du nennst den Namen meiner Cousine im selben Atemzug wie die Anspielung auf deine hundert anderen Geliebten, die jedesmal vorzeitig dein Bett verlassen müssen? Das ist äußerst schmeichelhaft und bewegt mich wirklich dazu, deinem ersten Wort Glauben zu schenken.“

Ihre Erwiderung schwamm in Sarkasmus, doch gleichsam hüllte sie erneut ein Mantel des Zorns ein, wenn sie sich vorstellte, wie viele ahnungslose Schülerinnern diesem Casanova zum Opfer gefallen waren. Oder Malfoy. Merlin, sie war eine von denen!

„Ich amüsiere mich eben, bevor es ernst wird“, meinte Adrian grinsend. Seine Hand schnellte hervor und legte sich so an die nächste Abteiltür, als würde sie anklopfen wollen, allerdings verharrte er in der Bewegung. Rose hob den Blick und sah versuchsweise in seine dunklen Augen, doch ohne darin die Wahrheit lesen zu können. Vielleicht sollte sie üben, insofern ihre Mutter damals recht gehabt hatte.

„Wir können es ja mal versuchen“, sagte Rose langsam und bedachte ihn weiterhin mit ihrem forschenden Blick, der jedoch erlosch, als sich das ehrlichste Lächeln auf Zabinis Gesicht schlich, das sie bis dato bei ihm gesehen hatte.

„Du wirst es nicht bereuen, Rose“, grinste er verschmitzt und klopfte zweimal lässig an die Abteiltür, bevor er sich umdrehte und ging. Sie hätte gewettet, dass er keine Sekunde zögern würde, Dominique nicht wenigstens auf äußerst schmalzige Art und Weise zu begrüßen, doch er hatte sie überrascht. Adrian Zabini hatte sie überrascht. Ihr Bruder zeigte erstmals beunruhigend aggressive Charakterzüge. Fred wurde dieses Jahr von keinem Mädchen durch den halben Zug gejagt. Scorpius Malfoy war für sie nicht mehr lediglich Malfoy. Wie viel würde sie noch ertragen müssen?

Es war ihr letztes Jahr. Und über den Sommer hinweg, der so gänzlich wie jeder Vorangegangene gewirkt hatte, hatte sich ganz offensichtlich etwas verändert.
 

„Rose, da bist du ja!“, rief Lily erfreut und zog sie sogleich eilig ins Abteil, als hätte sie bereits ewig auf ihre ältere Cousine gewartet. Und erst als Rose inmitten ihrer halben Verwandtschaft saß, wurde der Sechzehnjährigen bewusst, dass sie diesen Menschen knapp vierundzwanzig Stunden lang auf äußerst erfolgreiche Art entronnen war. Natürlich hatte sie sich nicht nach den Fragen gesehnt, die mit Sicherheit folgen würden, wenn sie ihren Cousinen ausgeliefert war, die allesamt Klatsch und Tratsch Fetischisten waren und sie nicht eher ruhen lassen würden, bevor sie diese Nacht geschildert hätte. Obgleich es eigentlich keine richtige Nacht gewesen war.

Lily krallte sich begierig in ihren Arm, sodass Rose langsam das Gefühl darin verlor, und Fred hockte desinteressiert am Fenster, starrte versonnen hinaus und lauschte seiner Muggel Musik, die jedoch für jeden weiteren Insassen im Abteil klar verständlich aus den Kopfhörern dröhnte.

Irritiert stellte Rose ebenso schnell fest, dass Imogene neben Fred saß und ihre blonden Haarsträhnen beständig um ihren kleinen Finger wickelte, während sie Rose wissbegierig betrachtete und hin und wieder einen interessierten Blick in Albus Richtung warf, der gedankenverloren im Tagespropheten blätterte, dessen Nähe Rose aber unwillkürlich Luft zum atmen gab. Sie wurde ruhiger, wenn Al in ihrer Nähe war, obgleich es komisch klang. Ihr Cousin hatte gleich ihrem Bruder eine sehr ruhige, besonnene Ausstrahlung.

Doch die beunruhigteste Person im ganzen Abteil war ohne Konkurrenz Dominique Weasley, die Rose gegenüber saß und eine Miene aufgelegt hatte, die ihr stillschweigend verriet, wie beherrscht ihre temperamentvolle Cousine in diesem Moment sein musste. Ihre zarten Hände waren auf einem Tuch ausgestreckt und eine verzauberte Nagelpfeile machte sich an ihren Nägeln zu schaffen, während sich das kleine Fässchen blutroter Nagellack schon magisch in die Höhe erhob und hinüber schwebte, um das Finish zu setzen.

Wahrscheinlich war es nur zu gut, dass Dominique ihren Zauberstab aus der Hand gelegt hatte.
 

„Wie konntest du so etwas Skandalöses tun?“, entlud sich letztendlich der Zorn ihrer Cousine und Dominiques Hand fuhr energisch in die Höhe, sodass der Tiegel Nagellack irritiert zurückzuckte.

„Ähm-“, setzte Rose an, selbst wenn ihre Verteidigung einige Lücken enthielt, allerdings kam ihr Imogene zuvor.

„Skandalös, ja?“, fragte Malfoys Schwester spitz und bedachte Dominique mit einem Blick, der vor Verachtung strotzte. „Ich denke, es ist viel skandalöser, seine Veela Magie einzusetzen, um jeden Typen flachzulegen.“

Rose spürte, wie Lily ebenso scharf Luft einzog, da es bisher selten Jemand gewagt hatte, Dom die Stirn zu bieten. Al lachte leise hinter seiner Zeitung auf, was Imogene allerdings nur noch zu bestärken schien.

„Veela Magie ist immerhin gleichzusetzen mit einem Liebestrank. So gesehen, nimmst du dir ja sogar Typen, die dich ja vielleicht gar nicht wollen. Und dadurch Beziehungen zu zerstören, da man immer alles haben will – das nenn ich skandalös!“

Dominique starrte Imogene einen Augenblick lang entrüstet an, bevor sich ein böses Lächeln auf ihr Gesicht schlich, das Rose bedeutete, dass sie vorerst aus der Schusslinie wäre. Die Ältere zog eine Augenbraue in die Höhe und aus ihrem Blick sprach der blanke Hochmut.

„Sagt das die Göre, deren Familie vor nischt allzu langer Zeit damit prahlte, die reinste Blutlinie inne zu haben? Gehörte deine Familie nicht zu den vertrautesten Anhängern Voldemorts? Eure scheinheilige Wandlung zum Guten, die sich wahrscheinlich nur öffentlich vollzog, das ist skandalös!“

Nun wurde Rose‘ Arm tatsächlich taub und unbehaglich wurde sie Zeuge, wie Dominique genau den richtigen Schlag gesetzt hatte. Imogene presste beherrscht die Lippen aufeinander und ihre Augen wurden glasig, sodass Rose den Drang verspürte, ihrer Cousine das Grinsen vom Gesicht zu wischen.
 

„Ihre Großmutter hat meinem Dad das Leben gerettet“, meldete sich Albus sachlich zu Wort und Dom schnaubte ärgerlich, während Imogenes Blick nur ungläubig auf ihm lag.

„Isch habe es aber anders ge’ört!“, brauste Dominique auf, während Al bissig erwiderte: „Und ich von dem, der es wissen muss!“

„Dom, hör auf, dauernd so‘ ne Gülle abzulassen, das ist ätzend“, ließ Fred verlauten, der offenbar mitgehört hatte und ebenfalls nicht in Hochstimmung zu sein schien, was wiederum für einen Fred Weasley alles andere als typisch war. Alles hat sich verändert, dachte Rose missmutig und fragte sich sogleich, ob sie je zu alter Form zurückfinden würden.

„Rose hat sich auf einen Malfoy eingelassen und wenn Onkel Ron das erfahren hätte, säße sie bestimmt nicht hier im Zug! Es war ein Fehler, sie hat einen Fehler gemacht und auch, wenn es euch gegen den Strich geht, das alles wird sein Nachspiel haben! Rose wird leiden.“

Auf Dominiques Stirn hatten sich zarte Falten gelegt und noch während ihr Blick auf dem glühend grünen Als lag, ließ sie diese Verbindung reißen und wandte sich nun merklich ruhiger Imogene zu.

„Ich war eben nicht nett. Mir ist bewusst, dass man deiner Familie nach all den Jahren des Friedens nicht mehr vorwerfen kann, böse zu sein und dass sie sich für unsere Seite entschieden hatten, noch bevor der Krieg ein Ende fand.“

Auch wenn Rose die Reue in Dominiques melodischer Stimme mitschwingen hörte, so entging ihr ebenso wenig wie den anderen Beteiligten im Abteil, dass ihre Cousine sich nicht offenkundig entschuldigte. Ihr Stolz war ungebrochen. Doch noch während Rose dies begriff, sah sie dennoch wie seltsam nachdenklich Imogene nickte, der Blondine nicht vorhielt, sie hätte unrecht oder allgemein irgendetwas erwiderte. Sie tat es nicht. Und Rose fragte sich im selben Augenblick wie Imogene, ob es nicht doch stimmte, was Dominique den Malfoys soeben vorgeworfen hatte.

Denn wenn sie an Draco Malfoy dachte, der so offensichtlich ihre Mutter, ihre Familie auf dem Bahnsteig angegriffen hatte, dann konnte sie sich plötzlich nicht mehr sicher sein, dass dieser Mann nicht doch ein böses Herz besaß. Genauso wenig wie Imogene sicher sein konnte, ihren Vater zu kennen.

Vorsichtig tastete sie nach ihrem Zauberstab, der sich sicher in ihrer Hosentasche befand und lediglich die Berührung reichte, um ihre nonverbal geäußerte Formel auf Albus’ Zeitung erscheinen zu lassen.
 

Ich muss dir beim Festessen heute Abend etwas erzählen.
 

___
 

Es war allgemein bekannt, dass die Zeit umso schneller verflog, wenn man etwas fürchtete. Wenn man etwas verabscheute, hasste, auch wenn man gar nicht genau wusste, wie es eigentlich wäre, nur, dass es nicht gesund war. Und diese Konstellation machte sie wirklich krank. Dabei waren kaum fünf Minuten verstrichen.

Doch diese eine Stunde mit ihrer Familie hatte sich hingegen angefühlt wie ein Wimpernschlag. Jedenfalls nachdem sie Dominique beruhigt hatte, dass nichts weiter vorgefallen war, außer einer Knutscherei mit einem Malfoy. Ihre Cousine hatte tatsächlich so gewirkt, als hätte sie geglaubt, Rose hätte diese Party genutzt, um durch die Betten vieler verschiedener Slytherins zu hüpfen. (Obgleich sie diesen Job liebend gerne Dom überließ.) Allerdings war es trotz allem seltsam gewesen, zu schildern, wie sie und Malfoy überhaupt in diese Situation gekommen waren. Immerhin war es ein Unfall gewesen und wäre Scorpius nicht ausgerechnet von diesem Magnum Davis durch die Luft befördert wurden, wäre er auch nicht auf ihr gelandet und … der Rest hätte sich nicht ergeben. Wenn Rose nun mit einigem Abstand zum Geschehen das Ganze versuchte, objektiv zu betrachten, so war sie ganz Dominiques Meinung – Davis trug an diesem Szenario die Schuld.

Beziehungsweise nach Lily – Jane Seymour, die ja unbedingt Malfoy hatte verlassen müssen. So waren sich letztendlich alle Mädchen in dem Punkt einig gewesen, dass diese Tatsache alleine reichte, um Seymour nicht ausstehen zu können. Obgleich Rose nur allzu genau wusste, dass Dominique die Brünette schon allein aus dem Grund heraus verabscheute, da sie mehr Veela war als sie selbst. Und auch wenn Lily und Rose es insgeheim beide wussten, dass Imogene in irgendeinem Winkel ihres Herzens die absurde Vorstellung genoss, Rose könnte die neue Freundin ihres Bruders werden, sagte die junge Malfoy nichts dergleichen, um die zarte Bande zu Dominique nicht sofort wieder reißen zu lassen.

Jene vertrieb die restliche Zeit bis zur ersten Tagung der Schülervertretung schließlich damit, ein paar Anekdoten über ihre Zusammentreffen mit Adrian Zabini zu erzählen, der ihr zwar den Hof machte, aber nach der Blondine keinerlei Chancen bei ihr genoss. Zwar hackte Rose leichthin nach, ob er denn wirklich keine Chancen hätte, doch wurde der Sechzehnjährigen immer unbehaglicher zumute, wenn sie daran dachte, dass sie eine Art Pakt mit Zabini geschlossen hatte. Ihre Aufgabe schien ebenso wenig zu bewältigen zu sein wie Zabinis – denn er würde nicht Dominique bekommen, genauso wenig wie sie je Malfoy.
 

Und weil dem so war, wusste sie, dass die Treffen der Schülervertretung die reinste Qual werden würden. Weil sie dort andauernd mit Scorpius zusammentreffen würde. Mit ihm zusammenarbeiten musste. Genauso wie es Zabini unschwer prophezeit hatte.

Und neben ihm zu sitzen, raubte ihr beinahe den letzten Nerv. Zugegeben, wer darauf gekommen war, ein paar Zugabteile zusammenzulegen und das dann als eine Art Versammlungsraum zu bezeichnen, der hatte zu oft von Merlin geträumt. Der Tisch zog sich in die Länge und war nicht sonderlich breit, am einen Ende saßen die neuen Vertrauensschüler der fünften Klassen und das andere schmale Ende teilten sich die beiden Schülersprecher. Sie und Malfoy.

Es war schrecklich. Und sie hasste es schon nach kaum verstrichenen fünf Minuten, in denen sie beide warteten, dass endlich alle Vertrauensschüler zu ihnen stießen.

Sie sagten beide kein Wort und Rose machte sich daher Gedanken darüber, dass sich ihr in binnen zweier zäher Stunden zwei Slytherins dazu herabgelassen hatten, ihr eine Freundschaft anzubieten. Da diese selbstverständlich alles einfacher machen würde, dachte Rose sarkastisch. Zuerst Scorpius. Dann Adrian. Beste Freunde, Slytherins. Es war zum verrückt werden. Bei Merlin.

Es würde ein langes Jahr werden. Tatsächlich.
 

„Meine Reaktion vorhin war dumm“, murmelte sie schließlich und fummelte an ihrem Muggel Block herum, den sie aufgeschlagen hatte, um eventuell mitschreiben zu können. Sie machte sich gerne Notizen. Eigentlich immer. Sie spürte Scorpius fragenden Blick auf sich, doch vermied es weiterhin, ihn anzusehen. Es würden Bilder in ihr wachsen, die sie nicht sehen wollte. Weil sie nichts bedeuteten. „Es würde alles einfacher machen, wenn wir der Arbeit zuliebe so etwas wie Freunde werden würden. Wir sind Schülersprecher und die sollten sich verstehen.“

„Ganz deiner Meinung.“ Sie wusste, wie das Lächeln aussah, das er nun trug. Dasselbe, wenn ein Lehrer ihn im Unterricht lobte, weil er irgendwas im letzten Quidditchspiel exzellent gemeistert hatte. Oder wenn er Punkte holte. Wenn er manchmal die beste Arbeit schrieb – selten, weil sie sonst immer besser war. Wenn er mit McGonagall sprach und dabei so charmant war, dass sich selbst die Wangen einer älteren Frau verfärbten. Wenn er das bekam, was er wollte und dabei nicht die Arroganz eines Malfoys trug.
 

„Rose!“

Die beinah hysterische, wohl bekannte Stimme ihrer besten Freundin Alice ließ die Sechzehnjährige aufhorchen, bevor sie auch schon in eine stürmische Umarmung gezogen wurde. Sie hatte Alice vermisst, genauso wie sie jeden Sommer aufs neue Hogwarts vermisste. Alice Longbottom war Vertrauensschülerin des Hauses Hufflepuff, ziemlich taff und immer vorlaut, insofern sie sich nicht gerade in Zaubertränke befanden. Sie kannten sich seit klein auf, da auch Neville, ihr Vater und Hauslehrer Gryffindors, mit ihrer Familie eng befreundet war. Es war immer eine Herausforderung, ihn nicht andauernd beim Vornamen zu nennen, wenn man ihn auf dem Gang traf beziehungsweise für Alice, ihn nicht Dad nennen zu können.

„Ich hab die Party des Jahres verpasst!“, kreischte Alice, nachdem sie sich von Rose gelöst hatte, und warf ihre Tasche auf den Stuhl, der dem der Weasley am nächsten war. „Wir waren bei meiner Urgroßmutter, irgendwo in Irland. Und bei Merlin, die Alte flucht wie ein Kesselflicker, disst meine Mum wo es nur geht, da die ja nicht gut genug für meinen Dad ist und meine Güte, ich denke, es reicht langsam. Die Frau wird zu alt und ist viel zu knauserig. Mum brauchte nach dem Urlaub gleich noch einen, nur jetzt, wo Scorp seine Frauen wieder regelmäßig in die ‚Drei Besen‘ führen kann, lohnt sich das Geschäft ja wieder und sie kann nicht.“

Alice‘ Redeschwall verebbte und sie warf einen amüsierten Blick zu Scorpius, dessen Spitzname, den Alice ihm in ihrem zweiten Jahr verpasst hatte, ihm bekanntermaßen deutlich gegen den Strich ging.

„Und du, Scorp, wer hatte auf der großen Party die Ehre?“

Rose‘ Blick huschte zum Boden und verharrte dort, während sich ihre Wangen langsam, aber äußerst präzise dunkelrot verfärbten.

„Für dich immer noch Scorpius, Kleine“, grinste er zur Antwort und Alice schnaubte.

Etwas, das die junge Longbottom ebenso einzigartig machte, war, dass für Alice das Klassendenken nicht existierte, nicht einmal Häuser. Wenn überhaupt dann höchstens die Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Doch zählten fast alle für sie zu den Guten, insofern sie sie nicht vom Gegenteil überzeugten. Alice war so klar, dass es sich kaum beschrieben ließ. Scorpius war schon immer einfach nur Scorp für sie gewesen, nie ein Malfoy, nie böse, nie ein Slytherin. Sie unterschied nicht in Häusern, Namen oder anderen Kategorien. Sie sah immer zuerst den Menschen, der Fehler hatte.
 

„Nun sag schon, wer hatte die Ehre?“

Sie redete mit ihm, als wäre es das Leichteste von der Welt, stellte Rose einmal mehr fest und war unausgesprochen beeindruckt von ihrer Freundin. Schon immer gewesen. Selbst wenn Neville Draco Malfoy verabscheute, war sie nie mit dessen Einstellung zu den Malfoys groß geworden.

„Deine beste Freundin“, sagte Scorpius und warf sich nonchalant auf seinen Stuhl, während Alice alle Farbe aus dem Gesicht wich.

„Das ist ein Scherz“, lachte sie dann und als Scorpius nichts erwiderte, wirkte sie zu Rose‘ Entsetzen recht positiv abgeklärt mit der Geschichte. Als hätte sie es kommen sehen.

„Lasst uns mit der ersten Sitzung der Schülervertretung beginnen“, rief Scorpius durch das langgezogene Abteil, in dem sie nun offenbar vollzählig waren, und Rose bemerkte die Augenpaare – vor allem die der Mädchen – die dem Malfoy entzückt bei jeder Bewegung folgten.

Rose beugte sich leicht zu Alice hinüber, deren Blick wohl der einzige weibliche im ganzen Raum war, der bei Malfoys Anblick nicht verklärt schien.

„Ich muss nachher mit dir und Al reden“, flüsterte sie leise und kaum merklich nickte ihre Freundin, selbst wenn Rose genau sah, wie die Neugier in ihren Augen kurz aufleuchtete.
 

Die erste Sitzung verging wie im Flug. Es war jedes Jahr dieselbe Prozedur – die Schülersprecher stellten sich vor, dann wurden die neuen Vertrauensschüler genannt und erklärt, was Jeder nach dem Festessen und während der Schulzeit zutun hätte. Es wurden die neuen Passwörter verkündet, Besonderheiten in der Betreuung der Erstklässler, sowie Privilegien wie das Abziehen von Hauspunkten erklärt. Und Rose konnte nicht umhin, Malfoys außerordentliche Führungsqualitäten zu bemerken und die Lässigkeit, mit der er seine Arbeit erledigte.

Rose war schließlich kurz davor, die Vertrauensschüler mit ein paar netten Worten zu ihren Freunden zu entlassen, als sich die Abteiltür unerwartet aufzog und der Sauerstoff fast gänzlich aus der Luft gesaugt zu werden schien. Plötzlich stand Jane Seymour im Abteil, kalt lächelnd und mit einem Abzeichen auf der enganliegenden Bluse, das Rose bisher noch niemals gesehen hatte. Und doch erkannte sie das Wappen der Hogwartsschule. Wenn auch nicht das Amt, das die Trägerin nun offenbar bekleidete.

„Ich bin zu spät, tut mir ehrlich Leid“, lächelte sie mädchenhaft in die Runde und nickte ein paar Fünftklässlern aus dem Hause Slytherin anerkennend zu. Rose konnte nur perplex dabei zusehen, wie sich Jane am anderen Ende des Tisches postierte, einem Slytherin Jungen die Hand auf die Schulter legte und ihre Show abzog.

„Mein Name ist Jane Moira Seymour, ich bin eine Siebtklässlerin aus Slytherin und war in den letzten Jahren ebenfalls Vertrauensschülerin, bis ich in den Ferien das Abzeichen der Schulrepräsentantin überreicht bekommen habe.“

„Das sind wir, Scorpius und ich, wir repräsentieren die Schule!“, warf Rose bissig ein und Jane deutete nur lässig auf ihr Abzeichen, bevor sie fortfuhr.

„Unsere Schulleiterin gab mir dieses Abzeichen, da es fortan noch wichtiger sein wird, die Freundschaft zwischen Hogwarts und den anderen internationalen Zaubererschulen zu fördern. Sie hat Euch offensichtlich noch nicht darüber informiert, was uns in diesem Jahr erwarten wird. Und ich werde schweigen, da ich leider nicht weiß, wie viel ich über dieses wichtige Projekt an Dritte weitergeben darf. Doch seid unbesorgt, bald werdet auch ihr näheres erfahren. Ich freue mich auf eine innige Zusammenarbeit.“

Rose ballte die Hände unter dem Tisch zu Fäusten und verspürte den Drang, auf irgendetwas einzuschlagen, doch sie konnte einfach nicht den Mund aufmachen und ihrem Ärger Luft machen. Und Scorpius schien gänzlich in den Gedanken zu sein. Oder er war einfach viel zu bestürzt darüber, dass er ein ganzes Jahr mit seiner Exfreundin zusammenarbeiten durfte. Vermutlich beides.

„Sehr schön, also heißt das im Klartext, Daddy hat seiner kleinen Prinzessin ein Amt erkauft. Vielleicht reichen die Galleonen, die er dafür zahlen musste, um endlich unser Quidditchfeld vergrößern zu lassen?“, fasste Alice sachlich zusammen und grinste Jane gekünstelt freundlich an, welche Aussage alle zum Lachen bewegte, bis auf die Slytherins am Tisch.

„Sicherlich, Longbottom“, zischte die Veelabrut kühl und rauschte aus dem Abteil. Genauso plötzlich wie sie gekommen war.
 

„Es wird ein langes Jahr.“
 

Und als Rose unbedacht den Kopf in Scorpius Richtung drehte, der genau dasselbe gesagt hatte, wie kaum ein paar Stunden zuvor sein bester Freund, erinnerte sie sich an einen weiteren Satz, den ihre Mutter fallen gelassen hatte, an jenem Nachmittag vor so vielen Jahren. Genau in dem Moment, als sie in seine Augen sah.
 

„Der Blick eines Malfoys verspricht dir die Welt.“

                  

       

six

                  

                                    

Die kühle Abendluft drang durch das weit geöffnete Fenster in die geräumige Küche und legte sich beinahe zögernd auf ihre merklich erhitzte Haut. Die brünette Hexe stand inmitten des hell erleuchteten Raumes und schaute geistesabwesend vor sich hin, während ihre Zähne sich unablässig in ihre Unterlippe bohrten. Ihre Zauber erstarben bei der milden Konzentration und alle Küchenutensilien legten ihre Arbeit nieder, und obgleich somit eine Vielzahl bekannter und normaler Geräusche erloschen war, so entging ihrer aufgerüttelten Seele dennoch jene neue Ruhe.
 

Granger. Er hatte sie tatsächlich mit ihrem Mädchennamen angesprochen, obwohl sie ihn seit Jahrzehnten nicht mehr trug. Und obgleich er ihr – wenn auch auf äußerst niedere Art und Weise – zu ihrem neuen Meilenstein im Bezug auf die Elfenrechte gratuliert hatte, so wusste sie dennoch, dass seine Worte weniger wert gewesen waren als … ja, ihr fehlten ganz und gar die Vergleiche. Ihr! Wegen ihm. Sodass man gar glauben könne, ihren Körper schüttele in diesem Moment mehr als bloße Empörung … und Angst.
 

Schon seit Stunden brütete Hermione Weasley über den Folgen der offensichtlich angestrebten Kollision ihrer beider Familien nach, ohne deren wahre Tragweite abschätzen zu können. Geschweige denn, schlau aus der ganzen Szenerie zu werden, die sich auf dem Bahnsteig 9 ¾ ereignet hatte und – ganz wie man es doch drehte und wendete - unabwendbar gewesen sein musste. Gleich einem Zwang nach all den Jahren der wortlosen Übereinkunft.

Selbst wenn sie noch unzählige weitere Male die Dialoge in ihrem Kopf einher betete - so als wären sie ein Gedicht - sie würde niemals auf den Punkt stoßen, an dem sie das Unheil hätte abwenden können. Sie sah nichts und das trieb die ansonsten so brillante Hexe beinahe zum Wahnsinn. Offenbar war es wirklich so, dass ihre Familien dazu verdammt waren, einander zu verachten und auf ewig verfeindet zu bleiben – egal, wie weit die Zeit voranschritt und wie tolerant das Denken wurde; wie viele Generationen ihrer jetzigen folgten oder wie modern sich die Zaubererwelt auch entwickelte – die Verachtung der Malfoys gegenüber den Weasleys würde auf ewig bestehen bleiben.
 

Hermione wusste zudem mit Sicherheit, dass ihr Mann Ron gegenüber Draco Malfoy nun erneut genau dieselbe Einstellung inne hatte, wie einst zu ihrer gemeinsamen Schulzeit. Die Neutralität, die Ron über die Jahre hin eingenommen hatte, insofern man sich auf dem Bahnsteig begegnete, zufälligerweise in der Winkelgasse oder auch auf etwaigen Banketten; diese war mit einem winzigen Wimperschlag in blanken und ehemaligen, auf ewig mit ihrem Mann verwurzelten Hass umgeschlagen, welche Tatsache Hermione einmal mehr bewies, auf welchem schmalen Grad - den man durch aus als Frieden hätte bezeichnen können - sie sich die letzten Jahre allesamt bewegt hatten. Und auch ihre Wut auf Mister Malfoy erreichte ungeahnte Tiefen, denn es waren nicht nur Ron und sie gewesen, die er gedemütigt hatte; sondern auch vor ihren Kindern Hugo und Rose hatte dieser Bastard keinen Halt gemacht. Vor Kindern.

Und Hugos Reaktion auf Draco Malfoys Worte war ebenso beängstigend gewesen, wie die ganze Situation ohnehin schon. Ihr Sohn neigte nicht zu Aggressionen. So war er nie gewesen und einmal mehr nagte in ihr das Stimmchen nach Antworten, das unbefriedigt blieb.
 

„Was bedeutet das alles?“, flüsterte eine Hermione zutiefst vertraute Stimme, bei der die inne wohnende Lautstärke jedoch fast unvertraut schien. Ginny hatte sich auf dem Quidditchfeld das Brüllen zugelegt und es nach ihrer Karriere fast konstant in die Ehe und Mutterrolle übernommen – wahrscheinlich eine Notwendigkeit bei zwei Söhnen, die offensichtlich ein Rumtreibergen geerbt hatten.

„Ich habe keine Ahnung“, gab Hermione – ihrer Auffassung nach beeindruckend ruhig – zu und erinnerte ihren schlafenden Zauberstab daran, dass der Abwasch sich nicht von alleine machen würde.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal wie meine Mutter werden würde“, sagte Ginny unvermittelt und wandte den Blick von der Dämmerung, um ihn auf Hermione verweilen zu lassen. „Aber ich verschlinge die Hexenwoche wie meine Mom damals und nachdem, was mir dieses Blatt schon gelehrt hat, nun ja…“, dass sie nach den richtigen Worten suchte, stand wohl außer Frage, „Wirkte dieses Aufeinandertreffen heute doch ganz und gar wie eine Eifersuchtsszene pubertierender Jugendlicher.“
 

Erneut legten die Küchenutensilien ihre Arbeit nieder und eine bleierne Stille legte sich über die Konversation. Bis Hermione sich ihrer unklugen Reaktion auf diesen Vorwurf bewusst wurde und ein Nein hauchte, dem es jedoch an der nötigen Intensität fehlte.

„Oh Merlin, du hattest was mit Malfoy?“, hakte Ginny nach ein paar Augenblicken der Fassungslosigkeit nach und jene Worte hatten gefehlt, um Hermione die nötige Energie für ihre nächste, klare und energische Negation zu entlocken. Die Jüngere lachte leise vor sich hin, bevor ihre Miene einen ernsten Zug annahm.

„Der Mond verschwindet nicht mehr. Wir fragen uns, wer ihn wohl beschwört?“

„Wenn ich das wüsste“, antwortete Hermione; es war ein weiteres Rätsel, das sich ihr stellte. „Aber ich fürchte, dass wir alle in Zukunft viel zutun haben werden.“

Sie dachte an ihre Abteilung. Magische Strafverfolgung. Kingsley hatte sie vor ein paar Jahren aus einem führenden Posten im St. Mungo genommen, um sie geistesgegenwärtig im Ministerium zu stationieren. Nun arbeiteten alle Mitglieder des Inneren Kreises am selben Ort – höchstens Etagen voneinander entfernt. Es war dem Zaubereiminister ein großes Anliegen gewesen, das ehemalige Goldene Trio wieder zusammenzuführen, obgleich sie sich nicht sonderlich entfernt hatten. Hermione blickte gedankenverloren auf ihren Ehering hinunter. Sie hatte einen ihrer besten Freunde geheiratet.
 

„Ich weiß nicht warum, aber ich habe das Gefühl, als ob wir uns an einem Wendepunkt befinden“, offenbarte sie ihre Gedanken und blickte konzentriert aus dem Fenster, als stehe dort irgendwo auf den Ländereien die Antwort auf alles. „Es kann nur schlechter werden“, seufzte Ginny und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Wir hatten eine schöne Zeit. Wunderbare und sorgenfreie Jahre mit unseren Kindern. Wenn nun wieder eine Ära folgt wie jene, der wir entkommen sind, dann müssen wir erneut für unser Glück kämpfen.“

„Ich fürchte sogar, wir müssen gewinnen, denn beim ersten Mal hatten wir nicht soviel zu verlieren.“ Hermione dachte an Ron, Rose und Hugo, ihre gesamte Familie. Und sie bedachte die Opfer, die es ohne Zweifel geben würde; die bei einer Wende ihr Leben lassen würden. In ihr Gefühl schlich sich ein Gedanke an Draco Malfoy, wobei sie nicht wusste, ob sie seinen Untergang fühlte oder ihren.
 

__
 

Aufschäumende Wellen pressten sich mit zunehmender Konsequenz gegen die unbeweglichen Felsen der herausragenden Klippe, auf der er aus dem Nichts heraus erschienen war. Der Wind fegte ihm in den dunklen Umhang und streichelte seinen Körper, bevor er ihn anherrschte, sich zu entfernen. Ihm war nicht nach Schmuserei und der nächste Wirbelwind zuckte zurück, malte bei jener Zurechtweisung kurz Wölkchen in die Luft, bevor er erstarb. Wie die Wellen. Ein kaum merkliches Grinsen huschte ihm bei der Erkenntnis, dass er den Wind verscheucht hatte, über die Lippen. Nun lag alles ruhig um ihn herum da. Doch warum hatte es ihn hierher gezogen? Reichte es nicht, dass er immer noch nicht wusste, wohin er gehörte? Was er suchte? Und wen? So viele Fragen zerfetzten sein Hirn und immer gewundener wurden die Wege des Unwissens - je öfter er sich an Orten materialisierte, die ihm in die Gedanken schlichen. Nun, was sollte er hier?
 

Er spürte Magie in unmittelbarer Nähe, doch das war an fast allen Plätzen der Fall, zu dem es ihn zog. Muggel gab es im Umkreis von mehreren hundert Metern keine – welch unsagbares Glück dieser Rasse. Er wandte den Kopf gen Osten, dann drehte er ihn noch ein Stück. Südosten. Und dort, ein paar stille Wiesen entfernt, sah er ein altmodisch aus der Erde gesprossenes Häuschen stehen, aus dessen Schornstein sich dichter Rauch schlängelte. Wahrscheinlich wurde es nun wirklich wieder kühler zum Abend hin. Der Horizont war von einem deftigen Orange und er setzte sich in Bewegung, bevor er in seinem Nichtstun verharrte und es schneller dunkel wurde, als es ihm seine Empfindung versprach. Denn nichts an diesem Körper war ihm mehr sicher. Nichts von seinen Gaben mehr vertraut.

Vor einer vereinzelt wurzelnden Eiche blieb er schließlich stehen, sicher verborgen hinter deren festen Stamm, beobachtend.

Sein Instinkt verriet ihm, dass sich was tun würde. Und tatsächlich musste er nicht lange warten und die Hintertür des Hauses flog auf. Was erwartete er?
 

Das. Genau diesen Augenblick, bei dem sein Herz zersprang. Der Klumpen in seiner Brust sich füllte mit einem Gefühl, das er ohnehin beschreiben konnte, das er nicht verlernt oder vergessen hatte – Begierde.

Ihr Haar war von einem dunklen Rot und fiel ihr offen und leicht zerzaust bis zur Hüfte. Und weiter musste sein Blick nicht wandern, denn solches Haar versprach das Beste. Das Reinste. Das Leidenschaftlichste. Ihm war egal, ob Sommersprossen ihr helles Näschen zierten oder welche Geheimnisse sich unter ihrem sommerlichen Kleid verbargen. Rot. Es hypnotisierte ihn. Es machte ihn wild. Allein das Haar. Doch warum?

Er wollte nicht weiter hinterfragen, dieser Körper war zu einer Zumutung geworden – es würgte ihn. Der Beobachter würde sich die Kontrolle holen; seine Beine setzten sich in Bewegung und je näher er dem Objekt kam, das ihm nun den Rücken zuwandte und nach einem weißen Laken griff, desto inniger wurde die Bedrängnis dieses Rot nehmen zu dürfen. Sein nennen zu können. Und gleichzeitig lüsterte er nicht nur nach dem Haar, sondern auch nach ihrem Blut. Man könne das Laken mit Blut bemalen. Mit Blut so rot wie das Haar.

Er schlich weiter, doch sie drehte sich um, sah ihn unverwandt an, ahnte nicht, was kommen würde. Sie lächelte. Und sie starb damit.
 

__
 


 

Oktober
 

„Das ist ungesund“, bemerkte Alice Longbottom, während Rose fragend ihrem missbilligendem Blick folgte, der auf ihren Teller gerichtet war, auf dem sich mittlerweile Toast und Rührei türmten.

„Ich hab Hunger und Rührei gibt’s sonst nur am Wochenende“, meinte die Weasley leichthin.

„Mir scheint es fast so, als würdest du mehr essen und immer weniger schlafen, um ehrlich zu sein.“
 

Rose verdrehte die Augen, zuckte jedoch gleichsam kurz mit den Schultern, so als bestünde diese Möglichkeit tatsächlich. Die Hufflepuff wusste ohnehin, dass sie recht hatte.

„Also Tatsache ist, dass meine beste Freundin – du, Rose Weasley – nun schon seit Wochen die Nachtschicht schiebt; du alleine und der Verbitterung ausgeliefert in deinem Stockwerk hockst und niemanden hast außer vielleicht Nick - und der zählt nicht, weil er ein Geist ist. Und warum tust du das? Nur um der Möglichkeit zu entgehen, dass Jane Seymour einmal ihrer Pflicht nachkommt und weil die geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie aus Langeweile wieder mit Malfoy anbändelt. Was total absurd ist, denn nicht mal ein Malfoy ist so doof.“
 

Die minütige Strafpredigt wurde damit beendet, dass Dominique an den Tisch kam. Und noch während Alice ihr wortlos die Mitschriften aus der Stunde reichte, in der Dome aufgrund von einer besonders unnachgiebigen Migräne gefehlt hatte – Rose und Alice nannten es eigentlich das chronische ¼ Veela Faulheit Syndrom – ahnte die Jahrgangsbeste bereits, dass die Ohren ihrer Cousine einmal mehr überdurchschnittlich gespitzt gewesen waren, wie immer, wenn es um Malfoy ging. Seit diesem Sommer. Zwar empfand Dome nicht unbedingt Zuneigung zu Malfoy oder fand ihn attraktiv wie andere Mädchen, doch die Möglichkeit damit gegen alle Naturgesetze zu verstoßen, lockten sie gleichwohl.

„Rosie, sei doch nicht in die Theorie vernarrt, Malfoy möge nach jener Sommernacht noch irgendetwas von dir wissen wollen! Zeig Jane, was sie sich mit ihrem erkauften Zusatzamt angetan hat – lass sie Nachtschicht um Nachtschicht machen und zerstöre ihr und nicht auch noch dein mittelmäßiges Gesicht, okay? Deine Augenringe reichen bis in den Kerker.“
 

Fassungslos starrte Rose die vorwurfsvoll klingende Dominique an und fragte sich, ab welchem Moment genau - ob auf Gleis 9 ¾ oder im Zug oder in der Großen Halle beim Festessen - das Veelablut derart bösartige Züge annahm und offensichtlich alle familiären Bindungen zu ihr zu vergessen schien. Oder war es möglich, dass Dome nicht merkte, wie sie verletzend wurde? Trotzallem – Rose fehlten die Worte.

„Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie dankbar ich bin, Dominique, dass du nach all den Jahren in binnen von zwei Wochen endlich mit deinem gefakten französischen Akzent aufgehört hast? Das ist das beste, vorzeitige Weihnachtsgeschenk, das man sich nur wünschen kann“, versicherte Alice heiter, überging alle Beleidigungen, die Dominique vom Stapel gelassen hatte und schlug knallhart zurück. Denn welcher Grund auch immer es vollbracht hatte, dass sie mit ihrem einstudierten „isch“ und „nischt“ aufgehört hatte, der verdiente tatsächlich einen muggelnamigen Nobelpreis. Während Dominique Alice eine rüde Geste zuteil werden ließ, flogen die Posteulen ein und im nächsten Moment fing die Longbottom geübt den Tagespropheten ab, hinter dem sie sich grinsend verbarg.

„Ich meine, es ist ja nicht so, dass ich nicht weiß, was dein Problem ist, Cousinchen, doch lass dir gesagt sein: Diese Art, der Gefahr entgegenzuwirken, macht dich nicht gerade hübscher.“ Mit diesen Worten und dem üblichen Veela – Hüftschwung tänzelte die Ravenclaw davon, um ihre Freundinnen mit ihrer Präsenz zu erfreuen. Rose war hingegen gründlich der Appetit vergangen und es störte sie nicht weiter, als Al sich neben ihr nieder ließ und mit seiner Gabel ihr Essen verschlang.
 

„MC Gonagall ist‘ ne alte Hexe“, verkündete er mit vollem Mund und Rose tadelte ihn mit einem bösen Blick. Sie hasste es, wenn er die Direktorin mit MC betitelte. MC war eine Muggelabkürzung und hieß eigentlich Master of Ceremonies, aber Al meinte damit den aus der Hip- Hop Szene gebräuchlichen Microphone Checker – was ganz und gar nicht auf die alte Minerva McGonagall passte.
 

„Was hast du nun schon wieder gemacht?“

„Nichts natürlich, aber sie hat sich ausgedacht, dass ich jetzt nur noch mit Aufpasser nach Hogsmeade darf!“

„Und wer wird dein Bodyguard?“, grinste Rose und fand die Idee, jemand würde darauf aufpassen, was ihr volljähriger Cousin trieb, mehr als erheiternd.

„Na ich hoffe doch, Imogene Malfoy“, erwiderte Potter verschmitzt und setzte sich kurz auf, um den Slytherintisch abzusuchen.

„O nein, das kann nicht dein Ernst sein", rief Rose entgeistert und nahm sich ein Messer, das sie beinahe drohend auf Al richtete. "Nimm doch Alice oder Dome oder eines dieser kichernden Mädchen, die dir immer hinterherlaufen, bitte!“

„Warum, weil du-“
 

„Leute!“, rief Alice in diesem Moment sichtlich erschüttert und ihr von kurzem Haar umrahmtes Gesicht erschien, als sie den Tagespropheten sinken ließ. Augenblicklich war es still zwischen ihnen, denn sowohl Rose als auch Al hatten die Besorgnis, vielleicht gar Angst aus dem Munde ihrer Freundin herausgehört. „Was ist passiert? Irgendwas mit Kingsley?“, fragte die Weasley alarmiert, doch Alice schüttelte den Kopf, schluckte und richtete den Blick wieder auf die Zeitung, um zu lesen.

Am gestrigen Abend, um 19:23 Uhr, erreichte unsere Redaktion eine erschütternde Nachricht. In der Londoner Themse wurde als Resultat verschiedener, verschlüsselter Suchzauber eine Leiche geborgen und kaum Minuten später waren sich die Vorort ermittelnden Auroren sicher, dass es sich tatsächlich um den Stern handle, der vor kurzem in unserer Redaktion zu leuchten begann: Die seit nunmehr vier Wochen vermisste Brittany „Brit“ Torres, 22, angehende Spitzen-Journalistin des Tagespropheten, deren rotes Haar wie eine Sommerbrise – okay, Kimmkorn beginnt zu sülzen. Hier geht's weiter: Das Makabere an der Geschichte ist dreierlei und lässt nach heutigen Informationen selbst Abteilungen des Zaubereiministeriums im Dunkeln tappen. So wirft sich die Frage auf, weshalb Brit in der Themse aufgefunden wurde, obwohl sie doch im gemütlichen Cotty Hill zuletzt lebend gesehen wurde, das sich den Tatsachen nach 378 km nordwestlich der Hauptstadt befindet. Weiterhin erschreckte folgender Zustand die Auroren, die geistesgegenwärtig die verweste Leiche regenerierten – so fehlte nach Augenzeugenberichten das rote Haar der Hexe vollständig, das zeitlebens ein Merkmal ihrer selbst gewesen war. Als Todesursache wurde der verbotene Fluch Avada Kedavra identifiziert, auf dessen Gebrauch gesetzlich der Zauberstabbruch festgelegt wurde und der als unverzeihlich gilt. Anwendung fand er nach der Großen Schlacht nur zwei weitere Male in den letzten Jahrzehnten. Dieser Mord versetzt die Zaubererwelt in Angst und Schrecken. Kein Kämpfer vom Inneren Kreis war heute bereit, uns ein Statement zu den Vorkommnissen zu geben.

Der Tagesprophet verbleit trauernd.

Am 10.10 wird die Beisetzung stattfinden.
 

Alice‘ Blick wanderte besorgt von dem Artikel hinauf zu Albus und Rose, die einen erschütterten Blick tauschten.

„Das ist ekelhaft, man“, verkündete Al und legte als klares Statement die Gabel zurück auf ihren Platz.

„Was ist, wenn das etwas zu bedeuten hat?“, fragte Alice betroffen und in Rose stieg die Angst auf. Al hingegen seufzte genervt und verdrehte die Augen.

„Na gut, ein Mord ist nicht alltäglich für uns, aber einer ist-“ – „Keiner?“, warf Rose gereizt ein und fuhr sich nachdenklich durch die roten Locken.

Die Vorstellung jemand würde sie töten, um ihr dann die Haare abzuschneiden und ihre Leiche zu verstümmeln war beängstigend. Und Als Ansicht, es gar sorglos hinzunehmen, dass jemand gestorben war, erschien ihr mehr als unpassend.

„Das hab ich überhaupt nicht gemeint, Rose“, erwiderte Al missgestimmt und sah zu Alice hinüber. „Ich sage ja nur, dass das noch kein Grund ist, den Kopf zu verlieren. Wenn ernsthaft Gefahr bestehen würde, dann wüsste die Zaubererwelt das bereits. Ach ja“, Al schnappte sich ein Toast für den beschwerlichen Marsch eine Treppe abwärts bis zu Zaubertränke und beugte sich zum Abschied noch einmal zu Alice vor: „Und nicht zu vergessen: Hogwarts ist sicher!
 

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Es roch nach feuchter Erde, Moosen, spezifischen Kräutern – die sie alle hätte benennen können-, Holz und … Malfoy, natürlich. Rose unterdrückte das theatralische Seufzen, das ihr die Kehle hinaufschlich und fragte sich leichthin, weshalb sich ihre vertrautesten und liebsten Gerüche derzeit so oft mit dem Aftershave eines gewissen Herzensbrechers mischten, dem sie die letzten Jahre so konsequent aus dem Weg gegangen war.

Desweiteren konnte Rose sich weit mehr amüsantere Zeitvertreibe vorstellen, als mit Scorpius den Verbotenen Wald zu durchstreifen – wieder unterdrückte sie ein Seufzen. Die Beschreibung Verboten passte zwar nach Zwanzigjährigen Lebens in Einklang mit Zentauren und anderen Lebewesen nicht mehr, da sich nach Voldemorts Zerfall zudem auch optisch einiges des ehemals Dunklen und Unbekannten gelichtet hatte; doch nach den Geschichten von mannsgroßen Spinnen und Riesenbabys waren Rose‘ Ansichten bezüglich dieses Gebiets in Hogwarts mächtig eingeschnürt. Wenn man die Tatsache bedachte, dass ihr Vater und Onkel Harry ihre Schreckensgeschichten wirklich erlebt hatten, dann kam in der jungen Weasley vielmehr der Drang auf, auf der Stelle kehrt zu machen.
 

Sie war also an einem Ort, den sie fürchtete, mit einem Geruch, den sie liebte, zusammen mit Malfoy. War das nun gut, schlecht oder grausam?
 

Wenigstens hatten die Regenschauer aufgehört, die das Land seit dem Vormittag an heimgesucht hatten und so war Rose wenigstens ein Punkt genommen, auf den sie sich ansonsten ebenfalls hätte konzentrieren müssen – das Laufen. Obgleich ihr die teils schlammige Erde ohnehin genug Probleme bereitete. Und während Rose also jeden ihrer Schritte bedachte, wenn auch nicht äußerst konsequent, und es sie manchmal drohte von den Füßen zu reißen oder sie zusammenzuckte, sobald sich etwas zwischen den dichten Bäumen und Büschen bewegte; schlenderte Malfoy neben ihr her, als befände er sich auf einem Laufsteg. Was durchaus passte, wenn man sein Aussehen mit dem eines Models verglich, für das die halbe Muggelwelt offenbar derzeit schwärmte – und Dominique.

Ihre Beziehung zu Malfoy war seit einigen Wochen von lauwarm ins eiskalte abgerutscht. Insofern man seine Annährung bezüglich des Freundeseins als lauwarm bezeichnete. Allerdings hatte sie bereits geahnt, dass sie mit jedem besser befreundet sein konnte als mit Scorpius und der hatte seine Nettigkeit ab dem Moment eingestellt, als Rose ihn nicht mehr darüber unterrichtet hatte, wann sich die Vertrauensschüler trafen. Einen Malfoy machte man am besten nicht wütend, doch diese eiserne Regel hatte sie gebrochen. Denn ein sie hassender Malfoy war ihr lieber, irgendwie.
 

Als Rose das nächste Mal an ihre Füße dachte, war das im selbigen Moment, als sie auf einen Ast trat, ihr Schuh darunter wegrutschte und sie in Binnen von Sekunden auf ihren Rücken gerissen wurde. Sterne ergossen sich in ihrem Blickfeld. Sie stöhnte. Malfoy seufzte. Und Rose wurde sauer.

„Danke, Malfoy, dass du mich festgehalten hast!“, knurrte sie böse, während sie sich langsam wieder erhob. Sie griff nach ihrem Zauberstab, um sich den Schlamm und Dreck vom Umhang zu zaubern. Der Tag war grauenhaft, eindeutig.

„Ich hatte vergessen, was für ein Trampel du bist, Weasley“, erwiderte Scorpius kühl und lehnte sich an den nächsten Baumstamm, als würde ihr Fallen bedeuten, dass sie eine längere Pause einlegen mussten. Doch Rose wollte nun vielmehr jenes bevorstehende Treffen mit McGonagall hinter sich bringen, als noch weiter an Ort und Stelle zu verweilen. Also humpelte sie mit dem letzten Hauch an Würde – und es war nicht viel – an dem Malfoy vorbei, dessen Feixen mit Unbeachtung strafend.

„Das ist nicht dein Ernst.“ Sie wandte den Kopf und erhaschte sein herablassendes Grinsen, während sie sich tapfer weiter kämpfte. Über was war sie da gestolpert? Rose fand als einzige Erklärung das Schlamassel, dass es eine verzauberte Wurzel oder dergleichen gewesen sein musste, die bei ihrem groben Auftreten ihren Fuß … oh, warum hatte sie immer so ein Pech?

„Es ist mein voller Ernst, Malfoy“, zischte Rose und Scorpius schien ihre Wut mehr zu erheitern, als einzuschüchtern.

„Selbst ein Slytherin erkennt eine Weasley in Not, also willst du nicht von deinem Drachen hinuntersteigen und mich anbetteln, dir zu helfen?“

Sie verspürte den Drang, ihm sein süffisantes Grinsen vom Gesicht zu wischen, doch leider nahm der Schmerz ihres Fußes sie nun soweit in Anspruch, dass ihr nur eine weitere Drohung über die Lippen kam.

„Noch ein Wort und ich Avada dich gleich!“
 

Und während Worte ausblieben, schloss sich ein Arm um ihre Hüfte und Rose spürte, wie die Belastung von ihrem Bein genommen wurde. Aber von einem Malfoy an der Seite getragen zu werden, war ein Defizit für das Ego einer Weasley. Sie seufzte. Diese Hilfe würde ohne Weiteres dazu führen, dass sie sich bedanken musste. Doch vorerst war es von Nutzen, sich daran zu erinnern, normal weiterzuatmen. Denn wenn Malfoy merkte, wie sie diese Situation wirklich aus dem Konzept brachte, dann wäre sie geliefert.
 

Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie auf eine Lichtung traten, die selbst Rose noch aus früheren Jahren bekannt war. Mit dem nicht minder weniger bestürzenden Anblick hoher Mauern. Gar war es so, dass sich der Wald an einem Limit verabschiedete, an das fast nahtlos ein Gebäude grenzte - das zweifelsohne so wenig hierhergehörte wie ein Muggel nach Hogwarts. Sie beobachtete, wie Scorpius' Finger prüfend über die graublauen Ziegel glitten.

„Das steht hier nicht nicht lange.“

„Um genau zu sein seit dem heutigen Morgen, Mr. Malfoy“, erörterte eine ihnen allzu vertraute Stimme und ihre Blicke erhaschten Minerva McGonagall, die auf sie zueilte. „Leider steht das Haus noch etwas falsch und wird spätestens in den frühen Abendstunden verschoben werden.“

McGonagalls scharfer Blick besann sich der offensichtlichen Verwirrung ihrer beiden Schülersprecher und wohlwollend fügte sie hinzu: „Das wird das Quartier unserer Gäste.“

„Wir bekommen Gäste? Wen?“, fragte Scorpius sofort.

„Junge Zauberer und Hexen aus der ganzen Welt. Haben ihre Eltern ihnen nicht gesagt, dass es ein ganz besonderes Jahr in Hogwarts wird?“
 

Rose hatte bis dato nur ihren eigenen Schulabschluss im Sinn gehabt und die Vorhersagen ihrer Mutter gleichwohl in diesem Zusammenhang gedeutet. Sie tauschte einen kurzen Blick mit Malfoy und auch dieser schien bisher lediglich jenen Aspekt betrachtet zu haben.

„Soll das heißen, mehr Zaubererschulen als Beauxbatons und Durmstrang sind an diesem Zusammentreffen beteiligt?“

„Viel mehr, Mr. Malfoy, bisher haben allein fünf Schulen zugesagt. Weswegen es nötig wurde, diesen externen Flügel anzulegen, in dem unsere Gäste unterkommen werden. Er besteht aus kleinen Wohnungen, optisch jedoch kaum von Hogwarts abweichend. Ihre Aufgabe wird es zuerst sein, die Vertrauensschüler von unserem - im November erwarteten - Besuch zu unterrichten und spezifische Vorbereitungen zu treffen. Ich habe Sie beide zu Schülersprechern ernannt, weil ich denke, dass sie mit den zusätzlichen Aufgaben am besten umgehen können, ohne ihre schulischen Leistungen zu gefährden.“

Rose biss sich auf die Unterlippe und wusste nicht, ob sie die Frage, welche ihr auf der Zunge lag, stellen durfte. Man fragte normalerweise-

„Entschuldigen Sie, Professor McGonagall, aber warum kommt man erst jetzt auf den Gedanken, die anderen Schulen einzuladen?“ Es war eindeutig beängstigend, annähernd gleiche Gedanken wie Malfoy zu hegen, sinnierte Rose.
 

„Kingsley äußerte diesen Wunsch beharrlich und erst jetzt kamen die Zaubereiministerien auf einen gemeinsamen Nenner.“ Scorpius nickte, während Rose mit erneutem Grauen daran dachte, wie ihre Familie Kingsleys Zustand im Sommer als kritisch bezeichnet hatte. Urplötzlich schien sein Wohlbefinden umgeschlagen zu sein, ohne dass es dafür Symptome oder dergleichen gegeben hatte. Wie es ihm im Moment wohl erging?

„Eines noch, bevor ich zurück ins Schloss muss-“, informierte die alte Schulleiterin sie. „Ich spiele mit der Idee, Sie beide ebenfalls hier einzuquartieren, damit Sie zwischen den Schülern vermitteln können und für Fragen und Hilfestellungen schnell zu erreichen sind. Soweit sogut, meine Entscheidung werde ich Ihnen zu gegebener Zeit mitteilen. Haben sie einen angenehmen Abend, Miss Weasley, Mister Malfoy.“

Rose starrte McGonagall entgeistert hinterher, während ein hysterisches Stimmchen in ihrem Kopf ein cholerisches Schreikonzert eröffnete, welches sich mit dem wiederhallenden Alarmglockensignal mischte.

Sie sollte mit Malfoy zusammen in eine – das Wort der Schulleiterin gebrauchend – kleine Wohnung fernab des Schlosses ziehen, welche obendrein direkt im Verbotenen Wald lag? Mit Malfoy?

Rose seufzte. Diesmal theatralisch.

seven

                        

                        

Der Innere Kreis tagte im alten Gerichtssaal des Zauberergammots, das nur noch selten zusammentrat. Die Obersten Richter waren zu Professoren der spärlichen Anzahl Nachfolger geworden und nur noch sehr selten führten sie ihr erlerntes Amt aus und sprachen ein Urteil - denn die Arbeit fehlte. Immer weniger junge Zauberer und Hexen fühlten sich aus diesem Grund seit nunmehr Jahren dazu hingezogen, selbst das Amt des Richters zu erwerben, denn ihnen fehlte die Perspektive. Obgleich man die abgeschlossene Vergangenheit verwenden könnte, bedachte Harry Potter düster, denn zweifelsohne schienen die Jahre des Friedens nun vorbei. Er fühlte es. Und an dem Tag, an dem seine Narbe erneut schmerzen würde, täte er alles in seiner Macht stehende dafür, die Zaubererwelt zu schützen.
 

„Weswegen ich vorschlagen würde“, beendete Hermione in diesem Moment ihren Vortrag, bei dem sie stetig von einer Seite des Raumes zur anderen gewandert war, dem Harry jedoch kaum Beachtung geschenkt hatte, „Dass wir die Einladungen noch heute zurückziehen und die anderen Zaubererschulen davor bewahren, in ein Land zu reisen, das momentan nicht sicher ist.“
 

Es hatte noch ein Opfer gegeben. Er und Ron hatten die verweste Frauenleiche vor wenigen Tagen geborgen, mehr durch einen Zufall. Die junge Frau hatte den Kontakt zu ihrer in Neuseeland lebenden Familie abgebrochen, so war ihr Verschwinden nicht aufgefallen. Er selbst hatte mit der aufgelösten Mutter gesprochen; er hatte ihr die Nachricht vom Tod ihrer Tochter überbringen müssen. Unentwegt sorgten ihn seit diesem Augenblick - in dem er den Zerfall einer Frau gesehen hatte, die erfuhr, dass ihr Kind ermordet worden war - die Gedanken an seine eigenen Kinder. Besonders beunruhigte ihn seine Tochter, Lily. Sie trug kindliche Naivität in sich, anders als Rose, die den Scharfsinn ihrer Mutter und leichte Skepsis von Grund auf inne hatte. Rose war älter und hatte ihre Ideale, doch Lily war beeinflussbar, neugierig. Niemals wollte er sie verlieren. Niemand sollte ihm je seine Tochter wegnehmen.
 

„Wenn wir uns dafür entscheiden, Hermione“, warf Ron – mutig genug, eine Debatte mit seiner Frau einzugehen – als Erster ein, „Dann wird man Verdacht schöpfen. Der Tagesprophet hat über den Austausch berichtet, das heißt, fast die ganze Zaubererwelt weiß darüber Bescheid. Wenn wir nun einen Rückzieher machen, für den es wiederum nur einen Grund geben kann – nämlich Gefahr -, dann werden sie uns zerfetzen. Panik wird ausbrechen.“

„Wir müssen bedenken, dass Hogwarts sicher ist, Hermione“, setzte Cho Chang hinzu und sah sie mit ernstem Blick an. „Andererseits haben wir damals gesehen, dass auch Hogwarts zu brechen ist“, schaltete sich Ginny ein und nickte Hermione zu.

„Ihr seid nicht objektiv! Ihr denkt gerade lediglich an die Sicherheit unserer Kinder, aber wir können sie nicht von allen Gefahren fernhalten. Wir müssen diese Kontakte zu den anderen Schulen pflegen, damit sie eine Chance haben, woanders zu überleben, falls es in Großbritannien irgendwann nicht mehr sicher sein sollte!“
 

Hermione und Ron funkelten sich an und obgleich Harry wusste, dass es womöglich Rons Gnadenstoß auf die Wohnzimmercouch werden würde, protegierte er dessen Meinung, womit Hermione diese Schlacht verloren hatte. Und besiegt zu werden, lag ihr nicht.

„Ron sieht die Dinge, wie sie momentan liegen“, pflichtete Harry seinem besten Freund bei. „Wir wissen nicht, woher die Überfälle kommen, ob vom Ausland oder ob sich der Täter in unseren Reihen befindet und solange dies nicht der Fall ist, sollten wir keine Vorsichtsmaßnahmen überstürzen.“

Alle Mitglieder des Inneren Kreises nickten einvernehmlich; wie immer, wenn er sein Urteil fällte. Das Wort des Auserwählten stellte man nicht infrage. Sie glaubten, an seiner Meinung sei nicht zu rütteln. Doch auch er konnte sich irren.
 

„Wann berufen wir den Orden des Phönix ein?“, erfragte Hermione forsch und ließ sich auf ihren Platz neben Ron nieder. Dieser tauschte einen Blick mit Harry aus und verdrehte die Augen, was seine Frau jedoch nicht registrierte. Zum Glück.

„Wir legten damals fest, dass wir den Orden wieder aufleben lassen würden, insofern es fünf neue Opfer gäbe, bei denen man auf eine Verbindung schließen könnte.“ Harry war sich eigentlich sicher, dass Hermione diesen Paragraphen in und auswendig hätte herbeten können, doch es war Ginny, die nun an ihrer statt das Wort ergriff.

„Wir rechneten jedoch nicht damit, dass es dazu kommen würde, oder?“, hakte sie nach und erforschte nachdenklich sein Gesicht. Sie saß ihm stets gegenüber. Als wäre er der Anführer des Inneren Kreises, postierten sich die anderen Mitglieder auf den ehemaligen Posten der Zuschauer des Gerichts und blickten ihm entgegen. „Vielleicht sollte man-“

„Drei Opfer“, meldete sich Bill Weasley zu Wort und wechselte einen kurzen Blick mit seiner Schwester. „Wir sollten handeln und den Orden einberufen, insofern wir die dritte Hexe mit geschorenem Haupt bergen. Wir sollten die Grenze hinab setzen, Harry, immerhin besteht fast unsere gesamte Familie aus Rotschöpfen und rotes Haar scheint unserem Mörder zu gefallen!“

Harry schluckte, dachte an Lily. Und nickte.
 

Er blickte hinab auf das Stück Pergament, auf dem die Punkte aufgelistet standen, denen sie sich an diesem Abend zu widmen hatten, obgleich er wohl wusste, was als Nächstes folgen würde. Bereits als er den Blick hob, stand die Person auf, wohlwissend, was folgen würde. Sie tat es Hermione gleich, wenn auch mit weit mehr Grazie. Astoria Malfoy lieferte ihren Bericht ab.
 

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Er apparierte an einer Stelle fern Englands – das spürte er sofort. Das Klima war hier wärmer als im erfrierenden London, in dem die herabfallenden Blätter jegliche Wärme zu vertreiben suchten und auch die Ländereien wirkten weit mehr frischer und lebendiger, als wäre an diesem Ort der Winter noch Wochen entfernt. Zum einen erstreckte sich das freie Land vor ihm, doch er fühlte sogleich die mächtigen Stämme wild ineinander wachsender Bäume hinter sich. Das was vor ihm lag, versprach ihm langweilige Einöde, doch das hinter ihm rief und lockte geradezu verführerisch mit Magie.
 

Wochen waren vergangen und immer noch hatte er nicht ergründet, wer er war und was ihn an die unterschiedlichsten Orte seiner Welt zog; ob er eine Wiedergeburt war oder nur das Gedächtnis verloren hatte. Er wusste nichts und manchmal trieb ihn nur der blanke Zorn vorwärts. Er liebte Hexen mit rotem Haar und er genoss es, ihnen die Lebensenergie zu rauben, doch was war da noch? Seine Gesinnung war böser Natur, er war böse – das stand außer Frage. Tief in seinem Innern wusste er sogar, dass es besser war, voll schwarzer Magie zu sein. Dass er zu Großem bestimmt war. Dass er etwas bereinigen musste. Dass er Macht wollte. Doch das Puzzle wollte sich nicht zusammensetzen.

Er schloss die Augen und ließ den Wind in seinen Umhang, doch dieser war zu schwach, um ihn wegzutragen und er zu feige, um seinem Leben ein Ende zu bereiten. Nicht, ohne dass er seine Bestimmung gefunden hatte. Nicht, ohne dass er wusste, wer er war. Erst dann würde es ihm vielleicht leichter fallen. Seine Lippen verzogen sich zu einem harten Lächeln; vielleicht würde ihn dann sogar etwas auf dieser Erde halten.
 

Er drehte sich um und seine blasse Hand legte sich flink an die Stelle, an der sich drei dicke Stämme kreuzten. Kein Muggel käme hier hindurch. Ihn durchfloss augenblicklich eine Macht, die ihn kurz zurückzucken ließ, bevor er sich eines besseren belehrte. Er wollte Macht. Er wollte ergründen, was diese starke Magie verbarg und dann, unfähig einer weiteren Bewegung, entfesselte er etwas in seinem Inneren, dass diese Art der guten Zauberei vertrieb – das unsichtbare Schloss brach, indem sich gleißendes Licht vor seinen Augen ergoss. Und als sich das Blendende legte, sah er es. Ein mächtiges Schloss, einige Kilometer entfernt. Ein Schloss aus Eiskristallen, so jedenfalls wirkte es auf ihn. Seine Beine trugen ihn weiter, ohne dass er den Befehl dazu gegeben hatte. Es faszinierte ihn.
 


 

„Hey, wer bist du denn?“ Die weibliche Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und nur widerwillig wandte er den Blick zur Seite, um sich die törichte Person anzusehen, die es wagte, ihn zu stören. Es war ein Mädchen, junges Fleisch, mit einem dunklen Teint und schwarzem Haar. Sie war hübsch, aber keinesfalls das, was er suchte. Aber auch nicht das, wofür er morden würde.

„Keine Ahnung“, gab er zu und bemerkte, wie rau seine Stimme sich anhörte. Er hatte lange Zeit mit niemandem mehr gesprochen. Seine Antwort schien sie zu amüsieren; sie kam näher.

„Bist du ein Schüler?“, fragte sie ihn zuckersüß und malte sich wahrscheinlich aus, wie sie zusammen zum Weihnachtsball oder ähnlich banalem Zeug gehen würden. Woher wusste er eigentlich davon? Er antwortete ihr nicht, sondern lehnte sich zurück und schloss die Augen.
 

„Professor Cygnus Doyle, sind Sie das?“ Sein Blick flog hinüber zum Schloss, aus dem nun eine meterlange Frau stürmte, deren wilder Blick ihn dazu bewegte, rasch auf die Beine zu springen. Seine Hand legte sich an die Manteltasche, in der er seinen Zauberstab bereit hielt.
 

„Oh Merlin, Sie sind ein Lehrer?“, stieß das Mädchen überrascht hervor und entfernte sich sofort ein paar Schritte von ihm. „Professor Doyle, bitte, entschuldigen sie meine Offenherzigkeit, ich wusste ja nicht, dass sie-“

„Genug, mach dich in deinen Schlafsaal“, herrschte sie in diesem Moment die Frau an, deren Erscheinung ihn einerseits abstoß, andererseits auch interessierte. Sie schien eine Halbriesin zu sein, denn nur das erklärte ihre Größe und ihren Umfang, den er auf gut drei Meter schätzte. Sie hätte ihn erdrücken können. Wohl widersprach er ihr nicht. Ihre Finger waren mit Opalen besetzt und sie trug Schwarz. Er trug es, weil es ihn mit der Dunkelheit verschmelzen ließ; sie, um das was sie war, zu kaschieren. Als wäre das möglich. Er durchschaute die Menschen schnell, das war von Vorteil, wie ihm auffiel; auch, wenn es ihm misslang, sich an den letzten Menschenkontakt zu erinnern.
 

Ein Schnauben zog seine Aufmerksamkeit wieder auf ihr Gesicht.

„Ich hätte gedacht, sie wären reifer, Cygnus Doyle.“ Skepsis, sie hüllte ihn ein. Doch er würde das Spiel, das sich ihm da eröffnete, mitspielen. Nicht ohne Grund hatte es ihn hierhergezogen.

„Gute Gene, meine Liebe. Seien Sie versichert, dass ich viel Erfahrung mitbringe.“

„Nun, ich bin Olympe Maxime, die Direktorin von Beauxbatons. Wie alt sind Sie?“

„24, Ma’am“, antwortete er, nachdem er es sich zwei Sekunden lang überlegt hatte. Es schien ihm ein gutes Alter zu sein, um in den Lehrerberuf einzusteigen. So ganz falsch konnte er nicht liegen.

„Gute Gene“, lachte Maxime schallend und klopfte ihm auf die Schulter, schien aber keinen Verdacht zu schöpfen. Oder irrte er sich? „Nun denn, wir werden in weniger als einer Woche nach Hogwarts aufbrechen mit zwanzig Schülern. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sich im Vorfeld bereit erklärt haben, mich auf dieser Reise zu begleiten. Nach meinem Wissen werden Sie dort auch die Möglichkeit haben, zu unterrichten, was Sie freuen dürfte.“

Sie kaute es ihm vor und er musste nur noch schlucken.
 

Erst als Olympe Maxime direkt neben ihn trat, sich unterhenkelte und vertrauensselig davon erzählte, dass sie ihm das Schloss zeigen würde, wurde ihm bewusst, dass sie auf französisch miteinander kommunizierten. Er hatte nicht gewusst, dass er der Sprache eigen war.
 


 

Er hatte die Identität des Cygnus Doyle angenommen und nun musste er ihn beseitigen. Stillschweigend und mit der Nacht vereint, wartete er. Und wartete. Unentwegt. Ihm kam die Zeit zuvor. Grundsätzlich verging die Zeit zu schnell, denn wenn sie bleiben würde, die Nacht, länger als nur lächerliche Stunden, dann könne er durchaus auch eine Ewigkeit warten. Wenn die Zeit gleich der Ewigkeit wäre, doch so kam er nie in den Genuss, fortwährend so zu verharren, wie es ihm lieb gewesen wäre. Gegen Mitternacht, so jedenfalls schätzte er, nahmen seine wachsamen Augen schließlich den Mann war, der sich den Weg hinauf zum Schloss bahnte.

Er lief ihm entgegen, nicht ohne im Schatten der zu Recht geformten Baumkronen zu bleiben. Er schwang sich auf einen dicken Ast und ging in die Hocke, blickte nach unten auf sein nächstes Opfer. Tatsächlich war der echte Cygnus Doyle vom Alter gezeichnet. Doch wer kannte ihn schon? Und selbst wenn seine Neubesetzung des Alten Fragen aufwerfen würde, so könnte er jene allemal beantworten. Mit kleinen Lügen. Und wenn er aufflog, so hielt ihn nichts, so wäre er weg, ganz schnell. Als hätte es ihn nie gegeben. Wie es ihn auch nicht gab.
 

Er zückte seinen Zauberstab und murmelte den unverzeihlichen Fluch. So kam es, dass er den ersten Mord beging, der seinem Nutzen Nahrung, nicht seiner Bedürfnisse Befriedigung war.
 

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Rose hatte geahnt, dass der 1. November ein ungewöhnlicher Tag werden würde, keineswegs hatte sie dies angezweifelt. Doch dass das gesamte Schloss von einer merkwürdigen Art der Hysterie ergriffen wurde, damit hatte sie nicht gerechnet. Keineswegs. Es begann allein schon damit, dass die meisten Mädchen ihr morgendliches Ritual im Badezimmer verlängerten, woraus eine chronische Badezimmerschlange resultierte, an der sie sich kurzerhand vorbeischlich. Einfacher wäre ihr Vorhaben gewesen, wenn sie einfach James‘ Tarnumhang gehabt hätte, doch der geisterte momentan durch die Weltgeschichte. Zusammen mit James, irgendwo im nirgendwo, die Welt entdecken, so hatte ihr Cousin es genannt und mit leuchtenden Augen von seinen Abenteuern geträumt. Bis zu jenem Zeitpunkt hatten sich diese auf die Bettgeschichten in Hogwarts beschränkt, doch offensichtlich verfolgte er nach seinem Abschluss keine weiteren Eskapaden. James war zwar nie ein großes Vorbild gewesen, aber er schien dennoch irgendwann ruhiger geworden zu sein. Sie sollte ihm schreiben, bedachte die Weasley, als ihr die bösen Blicke aus stechenden, zusammengekniffenen Augen den Gang entlang folgten und ihr wohl kaum Grausameres als die Pest wünschten. Sie hatte bis dato fast vergessen, was es für Vorteile mit sich brachte, Zugang zu einem Vertrauensschülerbad zu haben, doch an diesen Tagen erntete man ausschließlich Neid für dieses Privileg.
 

Das Schloss war schneller ausgekühlt, als ihr lieb gewesen war, wie ihr fröstelnd bewusst wurde, als sie durch die Gänge huschte, ein Handtuch und ihren Kulturbeutel unterm Arm. Es wäre klug gewesen, sich etwas überzuziehen, doch das hatte sie schlichtweg vergessen. Um diese Uhrzeit fehlte ihr ein Teil ihrer Besonnenheit, leider. Die Kälte kroch ihr die Beine hinauf und in die Boxershorts, die einmal Al gehört hatten und die sie der Bequemlichkeit halber zum Schlafen trug. Ihr schwarzes T-Shirt war ausgeleiert und Dominique hätte bei ihrem Auftreten wohl die Hände vor dem Mund zusammengeschlagen, doch es war ihr in diesem Moment herzlich egal. Sie rannte an der Statue von Boris dem Bekloppten vorbei und erreichte endlich die besagte Tür des fünften Stockes, in dem sie sich aufwärmen konnte. Ihre Finger wollten die Klinke nehmen und hinunter drücken, doch ihre Hand fasste ins Leere. O nein, dachte Rose Weasley und wurde sich siedend heiß ihrer erbärmlichen Lage bewusst. Natürlich war sie nicht die einzige gewesen, die geglaubt hatte, so dem gegenwärtigen Gewirr, das die Gemeinschaftsräume heimsuchte, zu entkommen. Jemand hatte ihre Theorie geteilt und sich das Badezimmer zuerst gekrallt.
 

Resignierend seufzte Rose und begann vor der Tür auf und ab zu gehen, nur um ihre Beine nicht erfrieren zu lassen. Nach kurzer Überlegung zog sie ein kleines Buch hervor, eine Liebesgeschichte, die Lily ihr schwärmerisch empfohlen hatte. Sie las es nicht, weil sie Romantik bevorzugte, sondern eher, weil es so kompakt war und in einer Situation wie dieser immer zu Stelle war. Leider gab es nur wenige Bücher von diesem Umfang und Rose hatte es (leider) schon zur Hälfte durchgelesen. Nicht, weil ihr das Märchen gefiel, sondern weil sie oft warten musste. Obwohl sie es nicht mochte, zu warten.
 

„Sexy Outfit, Weasley.“ Sie ließ ihr Buch sinken.
 

Rose hatte das, was sich ihr nun ins Blickfeld schob, nicht erwartet. Wenigstens hatte sie gewusst, dass es ein ungewöhnlicher Tag werden würde. Trotzdem sank ihre Stimmungsskala, welche morgens generell nicht besonders hoch war, weiter, als sie sich ihr vermeintlichen Glücks bewusst wurde. Hatte sie erwähnt, dass es bitterkalt war? Mit Sicherheit war sie nicht Dominique, die sich im Sommer nach einem Lüftchen gleich eine Jacke herbeizauberte. Selten hatte sie jemanden häufiger „Accio Strickjacke, Jeansjacke, Bolero …“ rufen hören als ihre Cousine. Doch wenn Rose Weasley kalt war, dann entsprach das Tatsachen und die allgemeine Bevölkerung empfand dem gleich.

Scorpius Malfoy hingegen kam ihr oberkörperfrei entgegen. Gerade so, als pralle die Kälte an seiner eigenen maßlosen Kaltherzigkeit ab. Ein weißes Handtuch lag lässig über seiner Schulter, doch der Rest war gnadenlos unbedeckt. Sein Gesicht garnierte ein spöttisches Lächeln, als er mit seiner angeborenen Nonchalance auf sie zu schritt, ihren Aufzug mit den stechend hellblauen Augen musternd. Während Rose allerdings zugeben musste, obgleich sie lediglich zwei, vielleicht drei Blicke an ihn verschwendet hatte, dass es sich Malfoy selbstverständlich leisten konnte, so herumzulaufen, wie er es in diesem Moment tat, verfluchte sie, dass sie nicht einmal einen Morgenmantel übergezogen hatte. Was er zu wenig tragen konnte, brauchte sie eindeutig zu viel. (Um sich wohl zu fühlen unter diesem Blick jedenfalls.)
 

Es gab eindeutig Besseres, als Scorpius noch vor acht Uhr leicht bekleidet und ungeschminkt zu begegnen. Eindeutig gehörte diese Situation zu den schlimmsten überhaupt. Er stand vor ihr und blickte zu ihr hinunter, während sein Grinsen sich kaum noch von seinem Gesicht wischen ließ – weshalb ihre Hand ruhig blieb, es hätte eh nicht viel gebracht. Auch wenn sie eine erneute Aggressivität verspürte. Was war das nur? Sie empfand in jeglicher Situation mit ihm das Bedürfnis, ihn zu verprügeln.
 

„Bisher hat sich noch keiner beschwert“, erwiderte sie leichthin, doch mit eindeutiger Message und funkelte ihn angriffslustig an, während sie das übliche Malfoy Eau De Toilette benebelte. Einmal hatte sie James, Fred und Albus dabei erwischt, wie sie einen Joint geraucht hatten, nachdem sie auf einem Urlaubstrip einen Muggel trafen, der ihnen das Zeug angeboten hatte. Der Effekt war gewesen, dass sie auf dem Dachboden rumgelegen hatten, als wären sie in eine Art wachen Schlaf verfallen, gefolgt davon, dass sie Hunger verspürt und schließlich schlechte Laune gehabt hatten, als der Trip nachließ. Rose fragte sich, ob sein Geruch eine ähnliche Wirkung auf sie haben würde, insofern sie ihn inhalierte. Allein für diesen Gedanken schämte sie sich.
 

„Ich vergaß“, das listige Funkeln seiner Augen ließ sie erschauernd zu ihm hochblicken. Der Blick eines Malfoys hatte in jeder möglichen Situation etwas Fesselndes, auch wenn das trügerische Glitzern versprach, es nicht gut zu meinen. Rose spürte in diesem Moment, wie ihre wirren Gedanken sich lösten und verpufften, bis sich ihr Kopf leer anfühlte. Frei von jeglichem oberflächlich angenommenen Hass, sodass sich ein Teil ihrer selbst eingestand, dass dieses spezielle Gefühl nie existiert hatte, weil – „Heute kommen ja deine Lover, Weasley. Ich bin schon seit Tagen gespannt darauf, welche Nieten du in Frankreich abgeschleppt hast.“
 

Rose‘ Hand flog in die Höhe, doch mit Leichtigkeit parierte er ihren Versuch, ihn anzugreifen und hielt ihr Handgelenk fest. Die Weasley versuchte vergeblich, sich aus diesem Griff zu befreien, bis sie ihre kläglichen Versuche schließlich ganz unterließ und ihn böse anfunkelte. „A., ich bin keine, deiner dir wohl bekannten, Huren, mit denen du mich immer wieder vergleichst und B., ich hasse dich zutiefst, Malfoy.“

Sein Grinsen wurde noch einen Hauch spöttischer, wenn das überhaupt möglich war, und sein Griff lockerte sich, bis ihr Arm wieder ihr gehörte. „Du hasst mich nicht.“ „Du mich auch nicht.“ Vielleicht waren es die Uhrzeit und die unerwartete Situation, auf Malfoy zu treffen, die Rose nicht gut vertrug, doch auf jeden Fall war es dieses explosive Gemisch, das sie dazu getrieben hatte, das zu sagen. Wieso hatte sie das getan? Besonnenheit hin oder her, selbst wenn ihr diese im Moment fehlte, es entschuldigte nicht ihre Worte. Seit dem Sommer war sie ohnehin angeschlagen, fühlte sich zu Scorpius hingezogen – schlimm genug - und war verwirrt. Doch wenn sie davon ausging, dass Malfoy sie nicht hasste, obwohl er es unweigerlich tat, dann wäre ihr Herz verloren. Sie musste die Hoffnung ermorden, erwürgen, auf dem schnellsten Wege beseitigen.
 

Sie hielt den Atem an und sah mit wild klopfendem Herzen dabei zu, wie er sichtlich erstaunt eine Augenbraue in die Höhe zog und sie musterte. Bisher hatte sie nämlich nie gewagt, die Tatsache, dass er sie hassen würde, anzuzweifeln. Mittlerweile wünschte sich Rose nichts sehnlicher, als dass ein süffisantes „Doch, Wealsey, ich hasse dich“ über seine Lippen streifen würde, doch jenes blieb aus.

„Sag, dass es so ist!“, forderte sie ihn nach ein paar verstrichenen Sekunden auf und betrachtete eingehend sein Gesicht, ohne den Ausdruck darin einordnen zu können. Er sagte nichts. Rose kniff die Augen zusammen und trat einen Schritt näher an ihn heran, sorgsam darauf bedacht, ihn nicht zu berühren. Sie ging ihm etwa bis zur Schulter, was ihrem Ego noch nie förderlich gewesen war, obwohl sie eines der größten Mädchen in Hogwarts war – abgesehen davon, dass Dominique Modelmaße hatte. Und dann wurde es ihr bewusst, dass er nichts sagte, weil er sie offenbar nicht hasste. War das möglich? Die Erkenntnis ließ sie zurückzucken.

„O, das ist doch nicht wahr, Scorpius!“ Panik befiel ihre Stimme und Hoffnung berauschte ihren Körper. „Man, Weasley, komm runter. Wenn ich dich hassen würde, hätte ich dir nicht meine Freundschaft angeboten – die du abgelehnt hast, wenn du dich noch erinnerst!“
 

Rose schüttelte ungläubig den Kopf und bedachte die Steinmauern mit einem ungläubigen Blick. Das war zu absurd. Sie hatte nie etwas getan, was ihn dazu hätte bewegen können, sie nicht zu hassen. Erstens sie war eine Weasley, zweitens hatte sie ihn mehr als einmal verflucht und drittens waren ihre Taten der vergangenen Wochen auch mehr des Hasses Nahrung als alles andere gewesen, oder? Ihre Lippen verzogen sich zu einem Grinsen und noch ehe sie Scorpius‘ skeptischen Blick hatte ernten können, flog die Tür zum Vertrauensschülerbad auf und ihr Bruder Hugo stürmte an ihr vorbei. Ohne sie eines Blickes zu würdigen. Sie rief seinen Namen, doch er ignorierte sie. Mit wehendem Umhang und schnellen Schrittes eilte er durch das noch ruhige Schloss. Sofort vergrub sich ihre Euphorie und neue Sorge machte sich in ihr breit. Sie hatte doch auf Hugo acht geben sollen, doch sie hatte ihren Bruder und seine unergründeten Probleme immer verdrängt. Andere Sachen waren ihr wichtiger erschienen.
 

Erst Malfoy riss sie aus ihren trüben Gedanken, als er an ihr vorbei ins Bad stolzieren wollte. „Ich war vor dir da!“, empörte sich Rose und drängte sich an ihn vorbei, bis sie beide fast im schmalen Türrahmen des Bades stecken blieben. Scorpius fuhr sich entnervt durch das blonde Haar, warf sein Handtuch in eine Ecke und zuckte schließlich mit den Schultern.

„Üben wir schon mal unser Zusammenleben, Weasley. Das, was uns zu Merlins Leidwesen ab dem heutigen Abend erwarten wird.“
 

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Am Nachmittag entfiel der Unterricht, obgleich dieser schon am Vormittag mit eher bedeutungsloser Motivation gefüllt worden war. Scorpius vergrub die Hände in seinen Hosentaschen und warf einen desinteressierten Blick über die Schulter. Hinter ihnen ragte Hogwarts in den wolkenlos blauen Himmel und auf den abfallenden Ländereien hatten sich die Schüler versammelt. Weasley und er standen direkt neben den Professoren, während sich die restlichen Vertrauensschüler hinter ihnen postiert hatten. Die allgemeine Erregung über den Hohen Besuch knisterte durch die Luft und Scorpius wusste nicht, was ihn mehr belastete, die Aussicht darauf, mit diesen Touristen in einen - räumlich sehr weit entfernten Flügel - von Hogwarts ziehen zu müssen und sich deren unwichtige Fragen und etwaige Probleme anhören zu müssen, oder aber Weasley, welche neben ihm hibbelig hin und her stierte, so als vermöge Beauxbatons sich unsichtbar an sie alle heranschleichen. So absurd diese Vorstellung auch immer war.
 

„Komm runter!“, zischte er unwirsch und widerstand dem Drang, eine nonverbale Zauberformel zu sprechen, die die Weasley garantiert an den Boden geklebt hätte. Er hegte eine natürliche Abneigung gegen Menschen, die nicht einmal zwei Sekunden ruhig sitzen oder stehen bleiben konnten. Eigentlich belief sich die Zahl seiner Abneigungen fast ins Unermessliche, wenn man es genau nahm, aber dennoch war das eine Angeborene und nicht mit dem Alter erworbene. Imogene war genauso flatterhaft und unruhig, wohl eine Eigenschaft, die sie mit ihrer Mutter teilte, während Scorpius die undurchschaubare Maske seines Vaters geerbt zu haben schien, sowie dessen Begabung in fast allen Situationen ruhig und bedacht zu bleiben. Etwas, das ganz eindeutig getrübt wurde, wenn Rose Weasley, Spaßbremse in Person, neben ihm die Nerven verlor. Sein Blick verfinsterte sich, als ihre dunkelblauen Augen nur ganz kurz über sein Gesicht streiften, bis ihre Aufmerksamkeit sich wieder auf den Himmel legte, der sich in den vergangenen zwei Sekunden nicht verändert hatte. Sie antwortete nicht, ignorierte ihn beflissentlich und er versuchte sich an das morgendliche Gespräch zurückzuerinnern, das sie mehr oder weniger erfolgreich im Vertrauensschülerbad geführt hatten. Es war mit Abstand einer der lästigsten Smalltalks seines bisherigen Lebens gewesen. Nicht wegen ihr. Aber diese Art der Kommunikation gehörte doch eher zu seinen Abneigungen.

Jedenfalls war es ihm bis dato nicht so erschienen, als würde der Besuch der fünf führenden Lehrinstituten der ganzen Welt ihr Unbehagen, Sorge oder gar Vorfreude bereiten, doch ihre offenkundige Nervosität sprach inzwischen eindeutig Bände seiner Fehleinschätzung.
 

„Rosie“, flüsterte eine raue Stimme in diesem Moment und Scorpius wandte den Kopf in die Richtung des ebenfalls erhitzt wirkenden Wildhüters Rubeus Hagrid.

„Was hast du gemacht, Hagrid?“, fragte Rose entsetzt und blickte hinauf auf das verfilzte Haar, das unheimlich intensiv glänzte, so als hätte er einen Kessel Haargel darüber gekippt, nur um es zu bändigen. Scorpius hatte den alten Halbriesen noch nie rasiert gesehen. Seinen mächtigen Bart hatte er um einiges gekürzt und das darunter zutage liegende Gesicht nahm bei Weasleys Worten einen magentafarbenen Ton an.

„Ich wollt‘ nur attraktiv wirken. Hilf mir mal eben mit der Krawatte.“
 

Er beugte sich weit hinunter, sodass Rose an seinen massigen Hals reichte, um ihm das Handtuch zu binden, das er offenbar als Krawatte missbrauchte. Es war von einem hässlichen senfgelb und Scorpius murmelte noch eher „coloro“ als das er sich in Slytherin-Manier davon abhalten hatte können. Irritiert sah Rose dabei zu, wie das Gelb in ihren Händen einem Blau wich.

„Warum willst du attraktiv wirken, Hagrid?“, fragte sie und unterließ es, ihm stattdessen Fragen zu stellen. Wohl kaum hätte er eine Antwort darauf gewusst, weshalb er diesem trotteligen Halbriesen geholfen hatte. Demonstrativ wanderte sein Blick in die andere Himmelsrichtung, hinüber zum Quidditchfeld. Einige interessante Partien würden ihn erwarten, denn in diesem Jahr würde sein Team nicht nur gegen drei Häuser spielen, sondern gegen die Mannschaften von gleich fünf Zaubererschulen. Das war etwas, das in Scorpius Vorfreude hervorrief.
 

„Sie kommen“, sagte just in diesem Moment McGonagall enthusiastisch und er folgte ihrem Blick, während der See bedrohliche Wellen schlug. Er ahnte, was folgte. Sein Vater hatte einmal die Idee geäußert, ihn nach Durmstrang zu schicken. Er glaubte nicht, dass es nur scherzhaft gewesen war, denn noch am selbigen Abend hatte er einen Streit zwischen seinen Eltern mitbekommen, der offenbar von dieser Aussage herrührte. Oft hatte er sich gefragt, was seine Eltern eigentlich miteinander verband. Außer Imogene undseiner selbst. Denn das schien ihm nicht allzu viel zu sein. Nur manchmal, da war es ihm klar. Und im nächsten Augenblick war diese Erleuchtung auch wieder vorbei. Durmstrang würde als Erster ankommen.
 

Und als das monströse Schiff aus dem See wuchs, wusste er, dass er Recht gehabt hatte. Durmstrang war eine Zaubererschule im Norden Skandinaviens, über deren genauen Standort jedoch so gut wie nichts bekannt war. Für Muggel unsichtbar und selbst für Zauberer unauffindbar, insofern man nicht gerade ein Schüler oder Professor war. Doch auch einiges hatte sich in den letzten Jahrzehnten reformiert und mittlerweile nahm die Schule selbst Muggelstämmige in Ausbildung.

Während die Jungen leichtfüßig von der Reling auf die feste Erde sprangen und ihre Umgebung aus dunklen Augen heraus musterten, sah Scorpius dabei zu, wie die Mädchen kaum eleganter auf den Boden schwebten, lediglich einen Schirm in ihrer Rechten. Sie sahen aus wie Puppen. Rose räusperte sich und Scorpius verzichtete darauf, ihr einen Blick zuzuwerfen. Egal was Weasley an der Situation auszusetzen hatte, es interessierte ihn nicht. Vielmehr änderte sich wohl in diesem Augenblick seine Einstellung zu diesen Neuen, jedenfalls was das Frischfleisch betraf.
 

„Sieh sich einer an, was die für Pelze tragen! Ich wette, hier ist es zwanzig Grad wärmer als bei denen und trotzdem müssen die Weiber protzen wie-“ Natalie Bordmans neidisches Gezeter erstarb, nachdem Professor Longbottom ihr einen ermahnenden Blick zugeworfen hatte und Scorpius hätte ihm am liebsten dafür gedankt. Mädchen, die anderen keine Schönheit gönnten beziehungsweise an ihrem Neid zu ersticken drohten, waren ihm ebenfalls eine Abneigung zu viel. Er fragte sich, wie Rose Weasley in diesem Fall war.
 

Die Puppen stolzierten nach den Jungen an ihnen vorbei, warfen ihm tiefe Blicke zu und besahen die Lehrer mit einem ebenso zuckersüßen Lächeln - wenn auch weit weniger verrucht. Doch nur eine blieb ihm im Gedächtnis, denn sie war die Einzige, die ihm im Vorbeigehen die Hand entgegenhielt.

„Galina Kuprin“, stellte sie sich knapp vor und überwältigte auch Rose mit dem Angebot ihrer zarten Hand. „Ich bin Schülersprecherin in Durmstrang.“ Ihr Lächeln war warm, ihr Auftreten sicher und ohne Zweifel bekam dieses Mädchen immer, was sie wollte. Der Name Kuprin rührte an seiner Erinnerung, doch ihm entfiel die Verbindung zu ihrer Familie immer dann, wenn er glaubte, sie endlich wiedergefunden zu haben. Und lange Zeit, darüber nachzugrübeln hatte er sowieso nicht.
 

Salem folgte Durmstrang kaum Minuten später. Es war die deutsche Schule für Hexerei und Zauberei und es war das erste Mal, dass diese Hogwarts besuchte. Die Schülerinnen und Schüler wirkten bodenständiger, wenn auch auf den ersten Blick langweiliger. Sie waren schüchterner und hatten dunkle Umhänge, die ihren in Hogwarts verblüffend ähnlich waren, lediglich die Wappen waren andere.

Als nächstes folgten Bellerbys und Exfavilla. Bis nur noch eine Schule fehlte.
 

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Lily stand neben Imogene in der Menge aus Schülern, die alle neugierig nach vorne gedrungen waren, nachdem Durmstrang angekommen war. Und sie ließ sich mitreißen von der allgemeinen Begeisterung über die Neuankömmlinge. Die Malfoy fragte sie nach jedem hübschen Jungen, wie sie ihn fand, ob gut oder schlecht, welche Note sie ihm auf einer Skala von eins bis zehn geben würde und wie sie einschätzte, was Treue, Verhalten und Brain betraf. Lily gingen langsam aber sicher zwar die Kommentare zu den ‚Zauberbissen‘ aus, doch fand sie die Situation immer noch durchaus amüsant. „Ich dachte, du stehst auf meinen Bruder“, stichelte sie irgendwann spitz, als Imogene beinahe anfing, zu sabbern, als ein schätzungsweise Achtzehnjähriger aus Exfavilla an ihnen vorbeizog, seine Arroganz ein stechendes Eau de Toilette.
 

„Er ist zu alt für dich“, urteilte sie sofort und Imogene warf ihr einen verwirrten Blick zu. „Albus?“

„Nein, der Typ von eben. Der ist zu alt.“

„Lieber älter als unreif“, meinte die Malfoy glatt und ihre blassen Wangen färbten sich rötlich. Lily zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Wenn ich mich recht entsinne, war Al noch das Non plus Ultra im letzten Sommer.“ Imogene zuckte mit den Schultern und warf ihr einen leicht genervten Blick zu.

„Es wird langsam Winter, da brauch man was Wärmeres als Albus“, entgegnete sie forsch und Lily seufzte.

„Er läuft dir doch nach wie ein Hund und fragt dich nach Dates, wo liegt also das Problem? Du hast dir eine zeit lang nichts sehnlicher gewünscht als-“

„Die Dinge liegen nun aber anders, Lily“, warf ihre Freundin ein und strich sich durch das feine, blonde Haar. „Er fragt mich doch nur, damit er überhaupt nach Hogsmeade kommt, seit McGonagall einen Babysitterfluch über ihn verhängt hat.“
 

„Wer kann es ihr verübeln“, murmelte Lily und bedachte die unzähligen Situationen, in denen ihr Bruder äußerst uncharmant, unklug und unbesonnen gehandelt hatte. Al zog das Nachsitzen an wie das Interesse von Mädchen, obgleich es ihm nicht von Vorteil war. Fred, oftmals der Drahtzieher ihrer Streiche, konnte sich hingegen fast immer aus der Affäre ziehen und weiter Unruhe stiften.

„Ich will jedenfalls nicht nur dafür ausgenutzt werden, ihn nach Hogsmeade zu führen. Ich bin eine Malfoy.“ Der letzte Satz kam ihr so sachlich über die Lippen, als wäre es das Natürlichste von der Welt, eine festgeschriebene und allseits bekannte Phrase wie Es war einmal oder Ende gut, alles gut. Oder gar Amen.
 

„Aber was ist mit dir, Lily? Gefällt dir keiner dieser starken, muskulösen, jungen Männer?“

„Meine Leidenschaft heißt Quidditch.“ Imogene schnaubte und ihre Augen funkelten listig.

„Quidditch allein kann nicht deine Jugend sein“, flötete sie mit ernster Miene. „Mein Vater würde ausflippen, wenn ich plötzlich einen Freund hätte.“

„Das ist der Grund, weswegen ich meine Beziehungen gar nicht publik mache. Anders als Scorpius.“

Lily blinzelte in die Sonne und dachte über die soeben gehörten Worte nach. Imogene hatte drei Personen, vor denen sie etwaige Liebleien geheim hielt. Ihren Vater, ihre Mutter und ihren Bruder. Sie hingegen hatte eine ganze Horde an Verwandtschaft in unmittelbarer Nähe. Und da sich selbst in den lächerlichsten Situationen der Beschützerinstinkt eines Mitgliedes ihrer Familie wecken ließ, war die Aussicht auf einen Freund unsagbar weit entfernt. Zudem sie keinerlei Bedürfnisse danach hatte, ihr Herz noch einmal zu teilen, um noch Jemanden hineinzulassen. Sie war nicht geizig an Liebe, doch liebte sie nunmehr so viele Menschen, dass sie kaum glaubte, noch mehr Platz in sich zu haben.

„Ich bin zufrieden“, sagte sie beschwichtigend und bedacht, das unmögliche Thema loszuwerden. Imogene seufzte, nickte aber. „Dich wird noch irgendwann der Schlag treffen“, prophezeite sie realistisch.
 

„Schaut mal, Beauxbatons!“, rief in diesem Moment ein Zweitklässler und automatisch blickten alle in den wolkenlosen Himmel hinauf. Eine hellblaue Kutsche bahnte sich ihren Weg durch die Luft und Lily fühlte sich ganz benommen von der Schönheit, die auf sie hinab regnete. Ihr Herz wurde schwer bei diesem Anblick. Sie wollte auch fliegen. Am liebsten ohne Besen. Ohne Kutsche. Ohne alles, einfach nur sie selbst. Zwölf prächtige Abraxaner Schimmel zogen die luxuriöse Kutsche hinter sich her und setzten zur Landung an, so elegant als täten sie es zum hundertsten Mal in Folge und besäßen Übung darin. Die Stimmung veränderte sich und der Überwältigung wichen erneute Funken der allgemeinen Nervosität. Aufgeregt warteten sie alle ein fünftes Mal.
 

Durmstrang war, wie ihr Vater ihr schon in etlichen Geschichten erzählt hatte, wirklich mit einem Schiff angereist, dessen Größe unmenschlich und dessen Wirkung unermesslich gewesen war. Salem war einfach aus dem Boden heraus gewachsen und hatte sich aus wild wucherndem Gestrüpp und Wurzeln materialisiert; ein Schauspiel dessen Zeuge wohl kaum je einer gewesen worden war. Sie waren nicht einfach appariert, es wirkte vielmehr so, als hätten sie sich in Deutschland in die Erde wachsen lassen und wären in Hogwarts wieder gekeimt. Sie hatte gesehen, wie Professor Longbottom erregt auf die Direktorin, eine junge Frau, die ihr Amt noch nicht lange tragen konnte, zugeeilt war, um sie sofort in ein Gespräch über Pflanzen und diesen magischen Trick zu verwickeln. Ein Blick auf Alice hatte ihr bewiesen, wie unpassend diese das Verhalten ihres Vaters titulierte, während die Schüler aus Salem nur ein kurzes, erfreutes Lachen über die Lippen gebracht hatten. Bellerbys war auf Besen angereist, was den Quidditchspielern unter ihnen gerade zu überdeutlich vermittelt hatte, mit wem sie es zutun hatten. Ihrem Wissen nach befand sich Bellerbys irgendwo in Nordamerika und war bekannt dafür, einige Topspieler der Championsleague hervorgebracht zu haben. Wenn man wollte, dass sein Kind nach dem Abschluss nahtlos ins nächste Quidditchnationalteam aufgenommen werden würde, dann schickte man sein Fleisch und Blut am besten sofort nach Bellerbys. Das war unweigerlich die Schule für Hexerei und Zauberei, die die Quidditchelite heranzüchtete. Nicht anders konnte man erklären, wie die jungen Zauberer und Hexen es schafften, einen Flug über den Atlantik zu übernehmen und selbst danach noch relativ fit zu wirken. Sie beneidete die Mädchen um ihr Talent und ihre Ausdauer.
 

Exfavilla war hingegen fast unspektakulär aus dem Nichts heraus erschienen. Ein Portschlüssel hatte die Südländer aus der Sonne geradewegs in kälteres Klima versetzt, ihre Garderobe musste wohl dringend der in Hogwarts angeglichen werden. Oder aber Durmstrang teilte ein paar seiner Pelze. Die es genug gab, wie Imogene fand, nachdem ihr Blick hinüber du den Mädchen gefallen war, die wie Puppen auf dem Boden saßen und sogar Felle und Pelze auf die Erde gelegt hatten, ohne dabei etwaige von ihrem Körper zu trennen. Wenn Lily sich hätte entscheiden müssen, dann galt ihr größtes Interesse wohl den Schülern von Bellerbys, während Imogene beteuerte, dass die „leckersten Zauberbissen“ konkurrenzfrei jene aus Exfavilla waren.
 

Gespannt reckten die Schüler ihre Hälse, um nun zu sehen, mit wem aus Beauxbatons man die Ehre hätte, als auch schon ein Mädchen aus der Kutsche sprang; ihr braunes, glattes Haar fiel ihr locker die Schulter hinab und sie trug fast dieselbe Schuluniform, die einst ihre Tante Fleur und auch später Rose getragen hatten. Ihr wacher Blick eilte suchend und schnell über die Menschenmenge, bevor ein klarer Freudenschrei die Stille zerbarst und sie flink in Rose‘ Arme lief. Lily kannte das Mädchen von Fotos ihrer Cousine, doch war ihr der Name entfallen. Der Junge, der nach ihr aus der Kutsche gestiegen war, eilte gemessener auf die Situation zu, umarmte Rose aber mit derselben Freude wie das Mädchen davor. Offensichtlich waren die beiden Rose‘ beste Freunde in Frankreich gewesen.

Noch andere Mädchen und Jungen stiegen aus der Kutsche aus und besahen sich ihrer Umgebung. Als letzte ihre Schulleiterin Madame Maxime. Onkel Ron erzählte mit Abstand die besten Geschichten über diese Frau. Sie sah, wie Hagrid auf die Halbriesin zu lief und sie ihm ihre Hand entgegenhielt, die er küsste, was ihr ein heiteres Lachen entlockte.
 

„Alte Freunde“, kommentierte Imogene kichernd und auch Lily konnte sich ein Lachen nicht verbeißen. Ihr Blick fiel zurück auf die Kutsche, als Hagrid Anstalten machte, die Schimmel versorgen zu wollen und sie sah, wie noch ein junger Mann aus ihr heraustrat. Sein längeres Haar war schwarz und seine blasse Haut war dem ein überdeutlicher Kontrast. „Wer ist das?“, fragte Imogene leise und Lily hätte schwören können, dass ihre Cousine Rose in diesem Moment dieselbe Frage stellte, denn Scorpius blickte nun auch wieder zur Kutsche. Das Mädchen aus Beauxbatons lächelte und setzte zu einer Erklärung an, sodass Lily sich unnatürlich scharf auf ihre Lippen konzentrierte. Sie verstand nur ein Wort: Professor. „Er ist ein Lehrer.“
 

„Nein!“, Imogene warf ihr einen ungläubigen Blick zu. „Das kann nicht sein, der Typ ist vielleicht grade mal Zwanzig!“

„Er ist ein Lehrer“, beharrte Lily und als ihre Freundin ihren Arm griff, um sie durch die Menge und in die erste Reihe zu manövrieren, ließ sie es seufzend mit sich geschehen. Der junge Mann setzte sich in Bewegung und lief langsam hinter Madame Maxime hinterher, die reihum das Kollegium begrüßte. Seine Augen huschten nicht umher, saugten keinerlei neue Eindrücke ein, vielmehr schien er bemüht unauffällig sein zu wollen. Dass dies bei einer solchen Schönheit unweigerlich nicht fruchtete, hatte er wohl nicht bedacht. Alle Augen – vor allem die der Mädchen – lagen auf ihm. Lily ahnte sogar, dass es ihm nur allzu sehr bewusst war, doch er aalte sich nicht in ihrem Interesse. Noch nicht. Als er sich an ihnen vorbeibewegte, elegant und vorsichtig, den Blick hinauf zum Schloss wandern ließ und sich durch das dunkle Haar fuhr, welche Geste ihm einen Hauch Menschlichkeit verlieh, bemühte sich die junge Potter ihr Gesicht möglichst gleichgültig wirken zu lassen. Wind zog ihr ins Haar und in den Umhang und schien sie wegtreiben zu wollen, aber vielleicht bildete sie es sich auch lediglich ein. Er kam an ihnen vorbei.
 

Sein Blick löste sich von Hogwarts und er sah Lily an. Ihr Herz setzte aus. Einfach so. Und dann war dieser Moment vorbei und er wandte sein schönes Gesicht ab. Bemüht? Beherrscht?
 

„O Merlin, das ist soviel besser als Albus“, seufzte Imogene leise und fügte nahtlos hinzu: „Ich glaube, ich bin verliebt.“

Lily schluckte, während sie zustimmendes Gekicher hörte. Ihr Blick fiel über die Schulter und auf die Mädchen, die genau dasselbe sagten oder flüsterten wie Imogene. Mit derselben Überzeugung. Dass sie verliebt seien. Ihr wurde übel.
 

Nicht weil sie ebenso glaubte, verliebt zu sein. Sondern weil ihr Herz losgelöst vom Verstand wusste, zu wem sie gehörte.

               

               

               

               

eight

               

               

Das Licht der untergehenden Sonne fiel durch die langen Fenster in den runden Raum und alles, wofür er Augen hatte, war sie. Die letzten, orangeroten Sonnenstrahlen dieses Novembertages griffen in ihr dunkles Haar und man sah das stechende Glitzern eines Rottons, als sie sich dynamisch zu ihm umdrehte und ihr Haar durch die stille Luft flog. Sie redete, doch er hörte nicht zu. Er achtete vielmehr auf das Funkeln ihrer dunkelblauen Augen, als ihr Blick die Umgebung streifte. Sie lachte, doch er hörte es nicht. Er sah lediglich dabei zu, wie ihre Arme sich ausbreiteten und gestikulierten, und sie mit fast kindlicher Freude eine Pirouette drehte. Erst als ihre Hochstimmung mit dem Glanz in ihren Augen erstarb, sich ihre Stirn kräuselte und ihr Gesichtsausdruck einen fragenden und überaus verwirrten Zug annahm, tauchte er auf.
 

„Malfoy“, ihre anklagende Stimme holte ihn ein, „Bist du denn gar kein bisschen begeistert?“
 

Scorpius stieß sich vom Türrahmen ab, in dem er gelehnt hatte, und trat einen Schritt auf sie zu, wobei seine Augen desinteressiert über das Mobiliar strichen - ohne dass er ihrer gleich in Hysterie darüber verfiel, was man ihm hiermit bot. Er war ein Malfoy. Er verdiente nur das Beste.
 

„Keine Entschädigung dafür, mit dir zusammenleben zu müssen, Weasley“,

kommentierte er ihren neuen Gemeinschaftsraum schneidend und Rose zog hörbar die Luft ein. Mittlerweile war es ihm gleich, ob er sie verärgerte oder nicht, er legte es sogar kaum noch direkt darauf an. Er hatte vielmehr schon in den ersten Jahren während ihrer Schulzeit begriffen, wo er ansetzen musste, um sie so wütend zu machen, dass sie die Beherrschung verlor. Solche Dinge vergaß er nicht. Und nun, da kamen ihm die Worte fast wie von selbst über die Lippen. Immer die richtigen Falschen.

Sein Blick fokussierte die vielen Bücherregale, welche sich an der gegenüberliegenden Wand vom Boden bis fast unter die Decke schlängelten. Sie waren mit Worten wohlgenährt, also hätte die Gryffindor wenigstens immer genug zu lesen, sodass er seine Ruhe haben würde.
 

„Brennholz“, meinte er mit einem provozierenden Grinsen und nickte hinüber zu ihrem Lebenselixier. Er wich ihrer Hand aus und tauchte unter ihrem Arm hinweg, während er schon Protego murmelte und ihr Fluch an ihm abprallte. Er war der Bessere im Duellieren. Scorpius war seinem Wissen nach sogar schneller als ihr Cousin. Sie besiegte er also allemal. Rose redete, fluchte, verwünschte ihn, doch er schaltete ihre Stimme einfach aus. Irgendwann hatte er den Off-Knopf für Weiber gefunden.

Ein grüner Einband erregte seine Aufmerksamkeit und er zog ihn aus dem Regal.
 

„Du musst wohl doch in die Bibliothek“, rief er ihr zu und sie hielt darin inne, sich dafür zu bemitleiden, mit ihm gesegnet zu sein und haltlose Flüche auf ihn abregnen zu lassen; wohl in der Hoffnung sein Schild zu schwächen – hoffnungslos. Er war ein Malfoy.

„Warum?“, fragte sie schnippisch und trat auf ihn zu. „Was ist das?“

Ihre Augen flogen neugierig über die silbernen Lettern, doch er bezweifelte, dass ihr Latein oft Anwendung im Alltag fand, hingegen er wusste, dass sie es in den ersten Jahren belegt hatte.
 

„Das ist mein Buch. Über Slytherin.“

„Sag bloß, du musstest erst lernen, wie man ein Arschloch wird?“ Sie legte den Kopf schief und betrachtete ihn spöttisch.

„Es ist eher eine Chronik“, verbesserte er sie und stellte das Buch zurück. „Das sind alles unsere Bücher.“

„Wer wohl auf die Idee kam, sie herzuholen?“, murmelte Weasley und ihr Blick huschte über die Titel.

„Dumbledore oder ein anderer Spinner.“

Es war allgemein bekannt, dass einige Ideen mit denen man sie Jahr für Jahr strafte, und welche zudem besonders den Slytherins zuwider waren, vom ehemaligen Schulleiter stammten, dessen Porträt im Büro McGonagalls um einiges lebhafter war als die anderen, welche verstorbene Direktoren inne hielten.
 

„Gut möglich.“ Er spürte, wie ihr sanfter Blick auf ihm ruhte. Manchmal, wenn er sie nicht direkt ansah, betrachtete sie ihn so wie jeden anderen auch. Nicht in der Annahme, er sei ihr schlimmster Feind, sondern auf eine Art und Weise unvoreingenommen – so weit dies bei ihrer Vorgeschichte überhaupt möglich war. Seine Augen wanderten hinüber zu ihren Büchern; natürlich hatte sie weit mehr als er. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Insofern er hätte wetten müssen, welche Muggel Literatur die Weasley inhaliert hatte, so wäre ihm dies leicht gefallen. Offensichtlich gefielen ihr Klassiker. Er war ein Malfoy. Deswegen dachte er im nächsten Moment auch unweigerlich an Sex.
 

„Also gefällt es dir?“, klingelte ihre Stimme an seinem Ohr; allem Anschein nach interpretierte sie seine Züge ganz und gar falsch.

„Geht so“, begann er und schenkte ihr einen süffisanten Blick. „Ich hatte eben eine nette Vorstellung.“

Skepsis bettete sich über ihr Gesicht und misstrauisch musternd huschte das Blau ihrer Augen an ihm entlang. „Will ich wissen, was das war?“

„Nein, sicherlich nicht.“

Sie seufzte, während ihr ein leichtes Rot in die Wangen kroch. Seine Mutter hatte ihn nicht selten mit der Gabe aufgezogen, die kleinen Mädchen rot werden zu lassen. Da war er vielleicht sechs Jahre alt gewesen und oft mit ihr durch die Winkelgasse geschlendert. Seinen Effekt auf das weibliche Geschlecht hatte er über die Jahre lediglich intensivieren müssen.
 

„Du bist ein einziges Klischee, Weasley, weißt du das eigentlich?“, hörte er sich sagen und mir nichts dir nicht vertrieb er jeglichen Funken Farbe aus ihrem Gesicht. Mit einem Schlag. Einem Satz. Er war ein Arschloch - ja, irgendwie schon. Aber im Endeffekt machte er es ihnen beiden somit um einiges leichter.
 

„Warum?“, fragte sie leise und blickte das Bücherregal hinauf. Sie käme wohl kaum an alle heran.

„Du hast Goethe und Schiller gelesen“, begann er abwertend und nickte hinüber zu den dünnen Bänden, die sich aneinanderreihten. „Die meisten Zauberer lesen das hochtrabende Zeug dieser toten Muggel, obwohl es uninteressant ist, dir, Weasley, hat es jedoch mit ziemlicher Sicherheit sogar Spaß gemacht, deine Zeit so zu verschwenden und deshalb bist du das Klischee einer Weasley.“

Sie biss sich auf die Unterlippe, bevor ihre Erwiderung die Distanz zwischen ihnen zerschnitt.

„Welche Weasley nimmst du als Maßstab, Malfoy? Mein Vater war wohl kaum Klassenbester, nein, dazu gehörte deiner! Und meine Mutter war eine Granger. Und“, sein Blick verharrte auf den wenigen Sommersprossen, die mit dem Winter zu verblassen begannen, „Goethe gehört zu den Besten. Was interessieren mich denn Geschichten über Koboldaufstände, wenn ich auch das aus der Zeit lesen kann?“
 

„Er ist einzigartig. Diese Phantasie hätte ich keinem Muggel zugetraut“, gab sie nachdenklich zu und drehte das dünne Buch zwischen ihren Fingern, bevor sie es zurück zu den anderen schob.

„Er war kreativ genug, sich den Teufel auszumalen. Eine beeindruckende Leistung, wenn man bedenkt, dass man jegliche Magie damals dem Teufel zuschrieb“, erwiderte er und auf ihr Gesicht legte sich leichte Irritation.

„Du hast es selbst gelesen“, stellte sie fest und ungläubig zog sie eine Augenbraue in die Höhe.

„Du liest nicht nur, wie du ein rücksichtsloses Monster wirst sondern auch Weltliteratur! Scorpius, ich bin wirklich beeindruckt.“
 

„Ich denke, er war kein Muggel.“ Rose lachte. Er brachte sie zum Lachen.

„Ich kenne die Theorien und das ist an den Haaren herbeigezogener Unfug von Zauberern, die ihm den Erfolg nicht gönnten. Es gibt keinerlei Beweise dafür.“

„Ich wär‘ mir da nicht so sicher“, murmelte er nachdrücklich und zwinkerte ihr zu.

„Wer weiß.“ Er schlenderte an ihr vorbei und auf zur Tür.

„Was weißt du schon“, rief sie ihm nach und sein Gesicht garnierte ein ihr verborgenes Grinsen, als ihm bewusst wurde, dass er ihr Interesse geweckt hatte. Es war einfach gewesen. Geradezu beeindruckend leicht. In diesem Moment war er von sich selbst mehr als begeistert.

„Ich bin ein Malfoy“, antwortete er ihr gelassen und in seinen Gedanken sah er genau, wie sie bei diesem Standard ihr hübsches Gesicht verzog. Moment. Hübsch?

Er blieb stehen und wurde sich seines gedanklichen Fauxpas bewusst. Niemals durfte er solche Gedanken hegen. Niemals wenn er an sie dachte.
 

„Wir sollten noch was klären“, Ihre Worte schlichen sich erneut in seinen Kopf und als er sich zu ihr umdrehte, lag in ihrem Blick ein Hauch Gemeinheit, den Mädchen aus Slytherin generell nicht ablegten.

„Und was, bitte?“

„Wenn du auch nur einmal auf die Idee kommst, eines deiner Mädchen mit herzubringen, dann sei dir versichert, bringe ich dich um.“

Er lachte. Sie brachte ihn zum Lachen.

„Tust du nicht.“ - „Sei dir da nicht zu sicher.“ - „Dein böser Blick wird mich wohl kaum in den Krankenflügel katapultieren, Weasley.“

„Ich dachte eher an eine Kastration, die dich dann geradewegs ins Grab befördert.“

„Du willst mit meinen Eiern spielen?“ Und die Empörung, die seine Worte ihr aufs Gesicht zauberten, hätte er am liebsten fotografisch festgehalten. Denn Weasley, wie ihr die Kinnlade hinunterfiel, ihre Augen sich weiteten und ihr Gesicht magentarot anlief, war tausende von Galleonen wert. Scorpius liebte es, wenn sie verlor.
 

„Dann wohl eher eine Vasektomie“, sagte sie schnell, doch den Zuckerton konnte sie nicht beibehalten. Er hatte sie einfach zu sehr mit seinem Konter getroffen. Er war eben ein Malfoy.

Im Türrahmen konnte Scorpius dagegen nicht anders, als sich noch einmal zu ihr umzudrehen.

„Dasselbe gilt natürlich auch für dich. Wenn ich diese Schwuchtel aus Beauxbatons hier sehe, dann ändern sich die Regeln und Adrian und Quirin werden hier nicht die einzigen Gäste sein, kapiert Weasley?“
 

Und mit mehr als gnadenloser Verblüffung ließ er sie zurück.
 


 

„Es steht mir ganz und gar fern, das zu begreifen!“, entrüstete sich Alice.
 

Ihre Mundwinkel verzogen sich missbilligend und ganz zart schob sie die Augenbrauen zusammen. Immer wenn sich Haselnussbraun mit Ozeanblau vermischte, fühlte sich Rose geborgen. Schon auf der ersten Zugfahrt nach Hogwarts hatte die Longbottom es so geschafft, ihr einen Teil des Lampenfiebers zu rauben, sie zu beruhigen. Rose‘ größte Sorge war gewesen, eventuell eine Slytherin zu werden, obgleich sich wohl Albus vielmehr vor diesem Weg gefürchtet haben musste. Im Nachhinein schien es ihr als das Verständlichste der Welt, dass sie ebenfalls eine Gryffindor geworden war. Immerhin waren ihr Vater und ihre Mutter im selben Haus gewesen – doch sie hatten die Zaubererwelt gerettet; eine Bestimmung, die wohl kaum Rose gleichermaßen zuteil werden würde.
 

„Ich versteh es auch nicht“, erwiderte die Weasley verbissen.
 

Rose versuchte gar seit mehreren Minuten verzweifelt, ihnen eine neue Thematik zu suchen, über die sie reden konnten, doch gab es in diesem Moment nichts, das sie mehr beschäftigte als Malfoy. Und da sie Alice kannte, wusste sie auch, dass es eine Zeit brauchen würde, ihre beste Freundin von dieser Materie loszureißen. Zu spannend erschien dieser die für Rose undurchschaubare Anatomie des Scorpius Malfoy.
 

„Für Malfoy ist es unbegreiflich, dass Mädchen und Jungen einfach nur befreundet sind“, sagte Alice grimmig. Es war eine Hypothese, eine Feststellung. Generell fehlte beim Stoff Malfoy das vielleicht, möglicherweise, eventuell. Sie hantierte nie mit Überflüssigem, das ihr Bild von ihm infrage gestellt hätte. Für sie gab es in Bezug auf Scorpius keine Grauzonen, immer nur schwarz. Doch Rose suchte nach dem Weiß.
 

„Im Sommer auf der Party habe ich wirklich gedacht, dass er anders geworden ist. Er war plötzlich so nett, obwohl ich eine Weasley war.“

Es war das erste Mal, das Rose das Thema von sich aus anschnitt. Diese fürchterliche Nacht. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, er habe sich verändert. Er sei erwachsen geworden. Wie töricht von ihr, das von einem Malfoy zu erwarten.
 

„Du willst, dass er nett zu dir ist?“, fragte Alice ungläubig und beugte sich ein Stück zu ihr nach vorn. Sie saß im Schneidersitz auf ihrer grünen, gemütlichen Couch mit den silbernen Akzenten - auf Slytherinstoff in ihrer Maisonette. Alles an dieser Wohnung, die Rose noch immer den Atem raubte, war eine Mischung aus Slytherin und Gryffindor. Abstrakt, dass es gelungen war, zwei ehemals – in gewisser Weise noch immer – verfeindete Häuser derart in Einklang zu bringen. Die Weasley selbst saß auf dem kleinen Couchtisch, das knisternde Feuer im Rücken.

Lediglich eine Stunde verblieb ihnen, ehe sie sich zum Schloss aufmachen würden, um das Festmahl zu Ehren der Gäste zu genießen. Nur eine Stunde bis sie gemeinsam mit ihren Freunden Julie und Nathan zu Abend essen würde und ihr die Unbehaglichkeit mit jedem Blick Nathans deutlicher in den Magen gekrochen käme, während sie mit dem Rücken zu Slytherin saß und es zwischen ihren Schulterblättern beginnen würde zu kribbeln, weil Malfoy sie beständig beobachtete.
 

„Rose“, flüsterte Alice vorsichtig und näherte sich ihrem Gesicht, so als hätte sie so die Möglichkeit, ihre Gedanken zu lesen. In der Hoffnung, in ihren Augen die Wahrheit erkennen zu können, während Rose' Lippen das Netz aus Lügen spannten.

„Bist du in Malfoy verliebt?“ Ihre Stimme war so gedämpft, als hätten die Wände Ohren; als wäre es ein Geheimnis, das sie hüteten; als wäre es etwas Verbotenes.

„Nein“, antwortete Rose schnell und senkte den Blick, um dem forschenden Funkeln zu entkommen.

„Bist du vielleicht in Scorpius verliebt?“ Rose hielt den Atem an.
 

Sie war eine einzige Grauzone. Alles wurde bei ihr hinterfragt. Rose war ein einziges Vielleicht. Möglicherweise. Eventuell.
 

__
 

Hagrid wischte sich seine Branken an den Fellen ab, die er trug. Argwöhnisch blickte er sich um und vergewisserte sich, dass ihn niemand bei dieser Taktlosigkeit beobachtete. Die Wahrheit war, dass Abraxanerschimmel ungemein viel Dreck machten und wohl auch die Erziehung, die sie genossen, keinesfalls streng genug war. Hingegen ihres majestätischen Anblicks ließen ihre Manieren zu wünschen übrig und den halben Abend hatte er sich bemüht, sich den misstrauischen Wesen überhaupt nähern zu können. Aber er tat es für seine Maxime, die ja eigentlich nicht seine war.
 

Als der Wildhüter seinen Fuß in die nun noch gewaltigere Große Halle setzte, sah er sie bereits weit hinten im Lehrerbereich neben Professor Flitwick deutlich herausragen. Ihr aufmunterndes Lächeln bedeutete ihm, dass er sich heute an ihren Tisch setzen durfte. Die Tische der Lehrer standen auf einer mannshohen Empore, die jedoch optisch kaum besser in die ehrwürdigen Mauern Hogwarts gepasst hätte. (Er war dabei gewesen, als Minerva sie aus dem Steinboden hatte wachsen lassen.)

Aber auch die Schüler saßen nicht mehr in ihrer Häuserform zusammen, sondern hatten sich nach Belieben an den einzelnen runden Tischen postiert. Hagrid erinnerte der Anblick eher an eine altmodische Form des neuartigen Muggel Cafeteria Systems, das vielleicht gar nicht mehr so modern war. Zu Rosies zehnten Geburtstag waren sie alle im Kino gewesen – sein erstes Mal in einer solchen Einrichtung – und in dem Film, den sie gesehen hatten, war unter anderem die Schulcafeteria der Ort großer Szenarien geworden.

Er klopfte Albus, der mit Rose, Alice und zwei neuen Schülern an einem Tisch saß, im Vorbeigehen auf die Schulter, während er bemerkte, dass die Slytherins sich mal wieder jeglicher Integration verweigerten und geschlossen an ihren Tischen hockten. Er schüttelte den Kopf.
 

„Darf ich fragen, was diesen neuen Lehrer befähigt, den sie eingestellt haben?“, zwitscherte Professor Flitwick und lächelte Madam Maxime aufmunternd an, die diesem Thema jedoch abtrünnig zu sein schien.

„Das is‘ ein komischer Kerl“, pflichtete Hagrid bei und wahrscheinlich war das der größte Fehler, den er hatte begehen können. Olympes Lippen wurden bedrohlich schmal.

„Vertraust du meinem Urteil nischt?“, fragte sie ihn in ihrem fast akzentfreien Englisch und Hagrid wurde rot. „Ich, nein, ich … wollte nur wissen, wie das zustande kommt und so“, sagte er kleinlaut und Maxime lachte schallend.

„Ich musste diese Wahl schon etliche Male rechtfertigen, Rebeus, sei dir dem versichert. Doyle ist ein ausgezeichneter Zauberer, ein sehr guter Lehrer und wird hier einen Kurs in Zaubereigeschichte unterrichten, komme was wolle. Er hat mein vollstes Vertrauen.“

Damit wandte sie sich wieder ihrem Nachtisch zu und würdigte ihn keines weiteren Blickes.

„Er hat eine böse Ausstrahlung“, murmelte Hagrid in seinen Bart und während Olympe ihn vehement ignorierte, nickte ihm Flitwick bestätigend stumm zu. Vielleicht wäre es besser, dachte Hagrid, wenn sich sein Instinkt einmal täuschen würde.
 

__
 

Quidditch war ihre Leidenschaft. Ihre einzige, gottverdammte Passion. Kaum einer Tätigkeit jagte sie mit ähnlich stark ausgeprägtem Fanatismus hinterher als der, auf einem Besen durch die Lüfte zu fliegen und den kleinen, flinken Schnatz zu suchen, dessen Fang ein Spiel schon meist entschied! Und diese Begeisterung für den beliebtesten Zauberersport der Welt wollte man ihr also nun nehmen, indem man es ihr verwehrte, Teil des Teams zu sein?
 

Ihre Finger gruben sich in die rote Jacke, auf deren Rücken in Gold der Löwe Gryffindors eingestickt worden war und auf der immer noch ihr Name stand. Lily L. Potter. Sucherin. Niemals würde sie diese Jacke loslassen. Eine rote Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht, als sie den Blick senkte, da sich verräterische Tränen in ihre Augen schlichen. Sollte man sie nicht teilhaben lassen, dann wäre das ihr Ende. Denn sie hatte nichts, das ihr gleichermaßen gut gefiel wie dieser Sport. Er war ihr Lebensinhalt. Die Holyhead Harpies waren ihre Zukunft gewesen, immer, wenn sie geträumt hatte.

Schulisch konnte sie keineswegs mit ihren Cousinen in einer Liga spielen - allen voran natürlich Rose mit ihrem Superhirn - doch weder jene, noch Lucy, Molly oder Dominique waren vergleichend brillant auf dem Feld wie Lily.

Bei Merlin, Dome war wohl kaum dazu gemacht, bei jeder Witterung auf dem Besen zu sitzen. Sie und Rose taten gut daran, sich bestmöglich von Ferien – Quidditch mit der ganzen Familie zu drücken.

Lily dachte an den Ferientag zurück, als sie im Sumpf ihrer Tante Fleur gelandet war und der Gestank von Schlamm und Abfall an ihrem Körper geklebt und nicht mehr hatte verschwinden wollen. Sie erlitt alles für Quidditch, sie gab immer 100 Prozent und egal, was auch entschieden wurde, sie musste spielen!
 

Eingepfercht zwischen Ravenclaw und Slytherin saß sie auf ihrem schmalen Platz auf der überfüllten Bank in der brechend vollen Kabine und starrte die Tür an, hinter welcher sich ihr Bruder und Scorpius Malfoy über die Zukunft des Team Hogwarts berieten.
 


 

„Warum ist das notwendig?“, hinterfragte Albus Potter die neue Regelung zum wiederholten Male, während seine Augen über das Pergament flogen, welches man vor ihm und Malfoy ausgebreitet hatte. Jane Seymour entfuhr ein gestresstes Seufzen, das vor Selbstmitleid, sich in diese langweilige Situation gebracht zu haben, fast überschwamm, doch Professor Bagman beugte sich eindringlich - und seiner Worte nicht müde werdend - erneut zu ihnen über den Tisch.
 

„Es ist das einzig taktisch Sinnvolle, das wir tun können, Potter. Es geht nicht, dass alle Hausmannschaften gegen die anderen Zaubererschulen antreten! Wie sehe das denn aus? Ganz zu schweigen davon, wie viele Spiele das geben würde. Nein, es muss ein Team Hogwarts geben, Potter, sonst können wir uns nicht vor denen blicken lassen.“

„Seit den Reportagen über die anderen Schulen im Tagespropheten, kritisieren die Eltern, dass es in Hogwarts noch Häuser gibt, die kaum Identität und Einheit nähren. Doch das sind wir“, fügte Jane derart monoton hinzu, dass Al es stark anzweifelte, dass sie der Überzeugung sei, Slytherin gehöre abgeschafft. Immerhin glaubte Seymour, sie stehe über dem Rest der Welt, was laberte die Veelabrut dann jetzt plötzlich von Eintracht, Harmonie und Verbundenheit? Dass die Häuser die individuellen Züge der Schüler hervorhoben, das war es doch auch, das Hogwarts ausmachte.
 

„Wir können das nicht von heute auf morgen entscheiden, das ist unmöglich“, murmelte Albus, fuhr sich mit der freien Hand durch das ohnehin schon zerzauste Haar und schüttelte vehement den Kopf.

„Ich bitte dich“, lachte Jane kalt und durchbohrte ihn mit ihrem dunklen Blick. Einmal hatte er sie attraktiv gefunden, doch Dominique trug ebenfalls den Veela Charme und sobald man diese Aura in der Familie hatte, desto schneller wurde man dagegen immun. Albus sah alles hinter ihrer Fassade, das anderen verborgen blieb. Er hatte sie durchschaut und ihn ekelte das, was er dabei gefunden hatte, an. Ihre Seele war so dunkel wie Pech.

„Du und Scorpius, das macht zwei. Bleiben noch fünf andere Plätze zu vergeben plus die paar Ersatzspieler, welche jedoch ohnehin nicht zum Zug kommen werden. Warum sollte die Liste der Spieler also nicht schon morgen auf Professor Bagmans Tisch liegen?“
 

Al lehnte sich zurück und seine Hand gestikulierte Malfoy, das nun er an der Reihe war. Denn bis zu diesem Augenblick hatte dieser lediglich nonchalant auf seinem Stuhl gehangen, seine Exfreundin angestarrt und ihren Hass in seinen Augen gespiegelt. Insofern Al Interesse gehabt hätte, so wäre es ihm vielleicht in den Sinn gekommen, zu ergründen, was diese grässliche Seymour dem Malfoy noch bedeutete, die ihn so herzlos abserviert hatte, dass Scorpius das erste Mal in seinem Leben seine eigene Medizin des Verlassen Werdens hatte schlucken müssen. Doch Al hatte schlichtweg keine Neigung dazu, darüber zu rätseln, ob sowas wie Liebe in deren Herzen überhaupt existierte oder was auch immer man füreinander empfand, wenn man zu den Schlangen gehörte. Ihm tat Rosie leid. Er machte sich Sorgen um sie. Doch mehr als alles andere, wollte er nur noch weg. Raus aus diesem Raum und weg von den Entscheidungen, die kaum schwerer hätten sein können.
 

„Wir werden eine Woche brauchen, um achtundzwanzig feststehende Spieler auf nur Sieben zu reduzieren. Das alles wird sich in Auswahltrainings entscheiden müssen und selbst dann wissen wir noch nicht, ob wir in der Konstellation überhaupt spielen können“, sagte Scorpius und seine Augen huschten hinüber zu Bagman, der sich nun müde über das Gesicht rieb und nachdenklich nickte.

„Ja, natürlich, ihr habt bisher nur gegeneinander gespielt und nicht als Team.“

„Trotzdem“, fuhr Jane gereizt dazwischen und hob ihre Hand, an der einige Ringe glitzerten, um an ihren schmalen Fingern das – Al musste es ganz und gar zugeben – schon Feststehende abzuzählen.

„Malfoy, Potter und Davis sind jawohl glasklar. Es gibt nur noch vier weitere Plätze - das kann doch nicht so kompliziert sein.“

„Davis wird wohl kaum für Hogwarts antreten“, lachte Malfoy kalt und funkelte Jane an, die bei seinen Worten die Augen wütend verengte.

„Wieso nicht?“, zischte sie und beugte sich zu ihm hinüber, sodass Albus fast sehen konnte, wie ihr unsichtbarer Charme versuchte, sich um ihn zu schlingen.
 

„Da kann man doch sicher etwas machen.“ Bagman wurde rot und wendete den Blick von der Szenerie, alldieweil Albus Malfoys Reaktion auf jene Offensive abzuschätzen versuchte. Scorpius beugte sich ebenfalls zu Jane, doch seine Miene blieb unbeeindruckt und emotionslos.
 

„Dein Freund ist ein Noob und wird nicht spielen, das kann ich dir schriftlich geben. Es werden wohl eher Fred Weasley und Quirin Goyle die neuen Treiber.“
 

Die Eiseskälte im Raum erreichte neue Dimensionen und schließlich nahm Jane sichtlich beleidigt das Kommando zurück.

„Also Auswahltrainings“, knirschte sie und nickte, indessen Bagman bereits die Termine aufschrieb, nach den sie sich zu richten haben würden.

„Es wird hart werden, aber nicht aussichtslos“, versicherte er fortwährend, „doch muss der Teamgeist schon bis kurz vor Weihnachten keimen, denn dann haben wir das erste Spiel.“
 

Albus schloss die Augen und blendete seine Umgebung eine zeitlang aus. Sie würden viele Träume vom Quidditch zerplatzen lassen müssen, wenn aus vier Mannschaften nur die besten sieben Spieler zusammengestellt werden sollten. Es würde nicht einfach werden. Und wie man einen Teamgeist zwischen sich feindlich gesinnten Spielern herstellen sollte, die wohl kaum Euphorie darüber empfinden würden, zusammen eine Mannschaft zu bilden, wusste er ebenfalls noch nicht. Als hätte er nicht schon genug Probleme.
 

___
 

Imogene rannte durch die zu vollen Gänge des Schulhauses, mißachtete die wütenden Stimmen, die ihr etwas hinterher brüllten von wegen Hausordnung – Hallo? Sie war eine Malfoy! – und tänzelte schließlich fröhlich durch den vierten Stock zur Schulbibliothek.
 

„Noch rechtzeitig“, rief sie triumphierend und ließ das Buch vor der gebrechlichen Agnes Pince, die nach dem Tod ihrer Schwester das Amt übernommen hatte, auf den Tresen fallen, sodass der laute Knall die Bibliothek erfüllte. Ein stolzes Grinsen lag auf Imogenes Gesicht, das jedoch erstarb bei dem empörten Blick, der ihr nun begegnete, und dem Gewitter aus Standpauken, das kaum später über sie hinab rieselte. Mrs. Pince hatte die Erhabenheit, sie schrumpfen zu lassen und ihr jedes Mal aufs Neue die Energie auszusaugen wie eine besonders durstige Schrohglum – ja, manchmal las sie den Klitterer. Imogene seufzte. An den anderen Tagen hatte sie das Problem, dass sie die Bücher zu spät zurückbrachte, sodass ihr Pince schon etliche Male gedroht hatte, sie keine Bücher mehr mitnehmen zu lassen. Schließlich war ihr wie sooft ihr Übermut in die Quere gekommen, doch sie würde auch dieses Missgeschick im Keim ersticken, also tat sie das, was sie bereits hundertfach vorher auch getan hatte. Das gleiche Spiel. Sie begann haltlos zu quasseln, über Merlin und die Welt, das Wetter, sogar Schrohglume - schwerpunktmäßig redete sie, während Pince schimpfte und ihrem Ärger Luft machte. So sprachen sie galant aneinander vorbei. Wie immer.
 

„Okay, tut mir wirklich Leid, Mrs. Pince, aber ich hab jetzt noch Unterricht“, lächelte Imogene irgendwann zuckersüß und Agnes Adleraugen schienen sich nicht mehr herbeizusehnen, als das sie einfach nur noch ging.

„Bis zum nächsten Mal“, flötete die Malfoy gut gelaunt; bedachte, dass sie die gute Mrs. Pince irgendwann wohl noch ins Grab befördern würde und drehte sich auf dem Absatz um – und sah ihn.
 

Hugo, wie er allein an einem Tisch in der sonst leeren Bibliothek saß, da fast alle – und er eigentlich auch – vormittags Unterricht hatten. Vorsichtig schlich sie sich näher. Er bekam kaum etwas um sich herum mit. Einzig das Rascheln seiner Feder auf dem Pergament erfüllte die Luft. Er bemerkte sie gar nicht, noch nicht einmal, als sie sich ihm direkt gegenüber auf den Platz gesellte.

„Hi“, grüßte sie leise und er blickte kurz zu ihr hoch, bevor er sich wieder seinen Arbeiten widmete.

„Wir haben jetzt Wahrsagen bei der guten Trelawney oder hab ich was verpasst?“, fragte sie und lächelte, was er jedoch kaum zur Kenntnis nahm. Er hatte sich verändert, sehr sogar. Auch wenn er schon immer der Besonnenste im Vergleich zu Lily und Louis gewesen war - immer sehr ruhig -, so hatte sich doch eines ganz besonders verändert, denn nichts spürte man nunmehr noch von seiner einst stumm einladenden Haltung. Nichts. Es schien ihr gar mehr so, als würde er sich nun von ihnen allen abschotten und zurückziehen.
 

„Viel Spaß.“, wünschte er ihr und Imogenes Augenbraue wanderte in die Höhe. Sie hatte zwei Möglichkeiten, entweder sich zurückzuziehen und ihn nicht zu verärgern oder aber weiter nachzuforschen und seine Nerven arg zu strapazieren. Ihre Wahl war ohnehin klar.

„Eigentlich musst du mitkommen, wie du weißt, denn ansonsten kann sie dir nicht deine dunkle Zukunft voraussagen. Das würde die Gute sehr traurig machen.“

„Du kannst ihr sagen, dass ich mich nicht gut fühle und den Dreck nacharbeite“, murmelte er und hob sein Buch an, auf dem sie den Titel Traumdeutung las. Ihr momentanes Thema.

„Was ist mit dir los, Hugo? So kennt man dich gar nicht“, versuchte sie es erneut und überging seine Aussage, ihn entschuldigen zu müssen. Vielleicht würde sie auch gar nicht mehr zum Unterricht gehen, sie war ohnehin schon viel zu spät dran. „Du kennst mich eh nicht, Malfoy.“

Imogene lachte und besah ihn mit einem spöttischen Blick.

„Lass die Malfoy Nummer; als wüsstest du nicht, dass ich nicht dem Klischee entspreche!“
 

„Verschwinde“, sagte er und funkelte sie an, doch Imogene erwiderte den Blick gänzlich unbeeindruckt. „Erst wenn du mir sagst, was mit dir los ist.“

„Das geht dich nichts an, verdammt!“ Seine Stimme war lauter geworden, als beabsichtigt, und Imogene warf einen verschwörerischen Blick über die Schulter und zu Pince, doch diese war gar nicht mehr zu sehen. War ja klar. Immer nur bei ihr regnete es Predigten.

„Wir waren doch mal Freunde“, sagte sie beschwichtigend und beugte sich zu ihm hinüber. „Du kannst dich mir also anvertrauen.“

Er schien darüber nachzudenken, bemerkte Imogene enthusiastisch und lächelte ihn aufmunternd an.

Waren ist richtig.“ Sie seufzte. Na toll.

„Du bist derjenige, der sich zurückgezogen hat und ich will wissen, was dich so verändert hat - eher gehe ich nicht!“ Nun war es an Hugo bezüglich ihrer unermüdlichen Penetranz aufzustöhnen. Wieder hob er das Buch an, welches vor ihm lag.

Traumdeutung“, las Imogene laut vor und legte den Kopf schief. Er nickte und erwartete offensichtlich ihre Schlussfolgerung. „Du hast Albträume“, wagte sie auszusprechen und nach ein paar Sekunden des stummen Blickkontakts bejahte er es.
 

„Ich sehe alle Menschen, die mir etwas bedeuten, sterben.“
 

Imogene wurde kalt und eine unsichtbare Macht schien ihr die Kehle zudrücken zu wollen - ihre eigene Angst. „Wie lange geht das schon so?“

„Seit dem Sommeranfang glaube ich.“ Er sah zur Decke und schien sich zurückzuerinnern. „Es war beinahe so, als hätte sich mit diesem Tag die Welt verändert.“

„Wie meinst du das?“

„Keine Ahnung, es ist alles so belastend und verwirrend.“

„Wen-“, begann Imogene, doch ihre Frage erstarb auf ihren Lippen, als sie Hugos verletzten Gesichtsausdruck bemerkte.

„Meine Schwester wird in etwa vier bis fünf Jahren durch den Todesfluch sterben.“ Imogene zog scharf nach Luft und doch schien es ihr einen Augenblick so, als würde sie das Bewusstsein dennoch verlieren.

„Woher weißt du das so genau? Ich meine, siehst du einen Kalender und das Datum oder wie läuft das ab?“

Ihre Stimme klang dumpf. Bei Merlin, vielleicht hatte Hugo nur eine blühende Fantasie, bestand die Möglichkeit nicht? Doch irgendetwas an seinem Blick ließ diese Gedanken verstummen und Imogene die Sache ernst nehmen. Sie glaubte ihm. Definitiv.
 

„Nein, es ist mehr so ein Gefühl. Sie sieht älter aus und … ich vermute einfach, dass sie etwa einundzwanzig Jahre alt oder so sein wird, weiß Merlin, warum. Ich sehe sie immer in der gleichen Szene, wie sie mit dem Rücken zu mir am Fenster steht und hinunter in diesen pompösen Garten starrt, durch den ihr Henker läuft. Und dann sehe ich nur noch grünes Licht.“ Imogene schluckte und vergrub die Hände in ihrem Schoß, die zu zittern begannen hatten.

„Dazwischen ist nichts?“, hörte sie sich leise fragen und erwartete eine fast noch grausamere Antwort. „Ich weiß es nicht, mal mehr, mal weniger.“

„Wie meinst du das?“ Er zuckte mit den Schultern, so als wüsste er es wirklich nicht genau. „Ich glaube, da ist noch etwas oder jemand. Aber vielleicht will ich mir auch nur nicht vorstellen, dass sie alleine stirbt.“

Weil es zu grauenvoll wäre. Nein, Imogene glaubte nicht, dass Rose alleine den Tod finden würde.
 

„Du musst es dir aufschreiben“, flüsterte sie nachdrücklich und ordnete ihre Gedanken, „jedes noch so kleine Detail musst du dir nach diesen Träumen aufschreiben! Du musst die Informationen, die dir diese Träume geben, sammeln und dann können wir das Puzzle zusammensetzen. Du musst einfach versuchen, sie zu retten, Hugo.“

„Erzähl es bitte niemandem“, sagte Hugo, anstelle ihr zu versichern, dass er sein Bestmögliches tun würde, um das Schicksal, das sich ihm offenbarte, abzuwenden. „Die weisen mich sonst gleich im St. Mungo ein.“ Dass er das überhaupt von ihr erwartete, verletzte Imogene, doch sie nickte ihm eindringlich zu. „Natürlich werde ich das nicht.“

Doch eine Frage schwebte ihr auf der Zunge, die drückte und schmerzte und die sie einfach noch stellen musste, auch wenn ihr die Antworten wahrscheinlich wehtun würden. Hugo kramte indes sein Zeug zusammen, doch sie wusste, er würde sie wohl kaum mit zu Wahrsagen begleiten.
 

„Hugo, wen siehst du noch so?“
 

„Willst du das wirklich wissen?“

„Ja, ich denke schon.“ Sie war sich ganz und gar nicht sicher.

„Ich sehe viele, die mir etwas bedeuten. Fast alle. Tut mir Leid, aber ich will dich nicht mit dem ganzen Zeug belasten, wirklich nicht. Es ist besser, wenn du nicht über alle Bescheid weißt.“

„Siehst du Lily?“ Sie fürchtete die Antwort so sehr. Ihr Herz begann unaufhörlich wild zu schlagen, als Hugo ihr diesen Blick zuwarf – so verräterisch wägte er ab, ob er die Wahrheit sagen oder einfach lügen sollte. „Lilys Zukunft sieht düster aus“, antwortete er wahrheitsgemäß und seine Mundwinkel verzogen sich nach unten. „Ich weiß nicht, was ihr passieren wird, doch ich glaube, sie wird von uns gehen. Es ist alles so schwarzmagisch, wenn sie mir in den Träumen begegnet.“
 

„Noch siehst du es nicht genau“, murmelte Imogene.

„Noch nicht“, bestätigte er leise.

„Lily würde niemals schwarze Magie anwenden. Niemals würde sie die Seiten wechseln.“ Hugo antwortete ihr nicht mehr, sondern ging langsam auf die großen Doppeltüren der Bibliothek zu, die ihn von der Person wegbrachten, der er sich so eben anvertraut hatte.

Ihre Aussage schwebte durch den Raum und verblasste, konnte den unausgesprochenen Zweifeln Hugos nicht standhalten. Imogene schluckte schwer und fühlte sich so kraftlos, als wäre sie nicht erst ein paar Stunden sondern bereits tagelang auf. Lily würde niemals böser Gesinnung werden. Doch gab es Ausnahmen? Begebenheiten, die ihre Weltansicht ändern würden? Die es vielleicht sogar rechtfertigen würden, dass sie die Seiten wechselte?

Es gab doch nicht mal Seiten! Das Böse existierte nicht mehr.

Doch hatte ihr Vater ihr auch einmal erzählt, dass neues Böse fast an jeder Stelle neuen Nährboden fand. Es wuchs wie Unkraut - viel schneller heran als das Gute. Imogene vergrub ihr Gesicht in den Händen und versuchte wieder an die Oberfläche zu schwimmen. Dahin zurück, wo alles gut war, genau zu der Einstellung zurück, mit der dieser Tag begonnen hatte. Mit ihrem Optimismus. Doch die Malfoy spürte, dass es schwer werden würde mit diesem Wissen normal weiterzuleben. Wie konnte man denn, wenn man wusste, dass sich die Welt verändern musste, damit jene Zukunft eintrat, die sie so gern verhindern würde. Sie würde Zeuge einer schrecklichen Zeit werden.
 

Und während Imogenes Welt langsam aus den Fugen geriet, drehte sich die Welt für die anderen ganz normal weiter. Kostbare Zeit verging.
 

               

                      

nine

               

               

In den düsteren Novembermorgen schlich sich der erste Schnee - ganz unauffällig und doch hinderte sein Erscheinen die Hoffnung ihrer Herzen daran, zu welken. Langsam tänzelten die Flocken gen Boden und lediglich das eisige Fensterglas trennte Harry Potter von dem Schauspiel, dessen stummer Zeuge er war. Der Anblick beruhigte seinen aufgerüttelten, von Überstunden zermürbten, Geist. Kurz schweifte sein Blick über Hermione, die in einem cremefarbenen Sessel saß und den Tagespropheten las, als wäre es das Gewöhnlichste, das man um vier Uhr morgens tun könne, als sich eine Mütze Schlaf zu holen. Rons leises Schnarchen wirbelte hingegen durch den sonst so stillen, sterilen Raum. Ihnen gegenüber stand das einzige Bett und in ihm lag der Schatten eines einst starken Zauberers. Kingsley stand nach diesen Monaten im St. Mungo auf der Schwelle zwischen Leben und Tod. Noch immer hatte man nicht vollends ergründen können, was dem alten Mann fehlte. Was es war, das ihm da so vehement die Lebensenergie zu rauben schien. Manchmal schien es Harry gleich dem vierten unverzeihlichen Fluch, dem sie da begegnet waren - wie eine mildere Form des Todesfluchs, die ohne jegliche Anzeichen von Verletzungen zum Tode führte. Harry ging hinüber zum Bett und nahm die schwache, dunkle Hand in seine. Sie hatten benachrichtigt werden wollen, wenn der Abschied nahte. Noch ein paar Stunden, so vage hatte es eine angehende Heilerin formuliert.
 

Harry.
 

Das Krächzen holte ihn je aus seinen trüben Gedanken. Er hörte, wie Hermione aufsprang und die Zeitung zu Boden fiel; er spürte, wie sie und Ron sich zögerlich näherten und er sah, wie Kingsleys Lider flatterten. Als er seine Augen öffnete, stockte ihnen der Atem. Das Weiß seiner Augen war nunmehr blutrot und sie starrten leer aus dem ausgemergelten Gesicht heraus. Den Blick zu fokussieren, fiel ihm sichtlich schwer und Harry fürchtete den Moment, an dem er das Bewusstsein für ewige Zeit verlieren würde.
 

Es hat mich vergiftet.“ Leise, leichte Worte, die so dünn waren, dass man sie kaum verstand. Hermione kniff angestrengt die Augen zusammen, während Harry und sie einen irritierten Blick wechselten.

„Was hat dich vergiftet?“, hakte sie behutsam nach. Ein trauriges Lächeln, das nur aus einem angehobenen Mundwinkel bestand, schlich sich auf sein müdes Gesicht.

Das Wissen.

„Welches Wissen? Das Wissen wovon?“, fragte Harry ungeduldig und erntete einen strafenden Blick.

„Du musst ihm Zeit geben.“ „Er hat keine Zeit mehr“, fuhr Ron dazwischen und nickte Harry zu.
 

Es gab einen, von dem wir nichts wussten.
 

„Einen was?“, fragte Harry eindringlich und betete, sie würden nun endlich Antworten auf ihre unzähligen Fragen bekommen. Kingsley würde wissen, wer ein Attentat auf ihn verübt hatte – davon waren sie in den letzten Monaten schlichtweg ausgegangen. Eine andere Hoffnung hatten sie nicht gehabt.

Todesser.

Stille hüllte sie ein und Ungläubigkeit drückte ihnen die Kehle zu. Das war es also. Kingsley hatte während des Komas fantasiert.

„Wir haben alle Todesser damals bestraft, du warst doch dabei, Kingsley“, sagte Hermione vorsichtig und als der Alte heftig seinen Kopf schüttelte, schob sie ihm beschwichtigend die Hände auf die Brust.
 

Es gab einen Todesser, von dem wir nichts wussten.
 

„Wie kann das sein?“ Kingsley beruhigte sich und seine blutenden Augen ruhten gedankenverloren an der Decke.

„In der Mysteriumsabteilung-“

„Nicht die schon wieder“, lachte Ron freudlos auf und wechselte einen ängstlich angehauchten Blick mit Hermione und Harry. Seit seinem fünften Jahr in Hogwarts hasste er diese verfluchte Abteilung.

„Was war dort?“

Verborgen der Vermerk eines weiteren Todessers, namenlos. Rechte Hand Voldemorts.

„War das nicht zu Lebzeiten Snape?“

Kaum Todesser kannten diesen Burschen. Er befand sich in Ausbildung.“ Husten. Klägliches Entweichen eines kostbaren Lebens.

„Ausbildung bei Voldemort?“

„Freunde, das kann nicht sein.“ Stummer, böser Blickwechsel Hermione und Rons. Wie in alten Zeiten. Wie schon immer.

„Was, wenn doch?“ Vermutungen. Der nichtige Glaube an eine fragwürdige Realität, die nur Unglück mit sich bringen würde, Verluste, fand Existenz.

„Was, wenn es wirklich jemanden gab, der Voldemort verehrte und… und-“

„Das ist doch absurd!“ Wortgefechte. Streit. Die Welt, wie er sie kannte, stürzte um.

Harry“, bedeutungsvolle Blicke, die ihn einhüllten. Was er sagte, war doch wahr. Man verließ sich auf ihn. „Was meinst du?“
 

Voldemort. Es war der Moment, in dem seine Narbe schmerzte. Das erste Mal, seit so langer Zeit.

„Doch, es stimmt.“ Verblüffung mischte sich mit bitterer Angst. Sie standen am Anfang von etwas schrecklich Grausamen.

Ihr müsst es geschehen lassen. Zuviel Wissen bringt Euch um. Das darf nicht passieren“, murmelte Kingsley eindringlich und verlor sich in einem Wirbel wüster Gedanken. „Seht mich an, das Wissen hat mich vergiftet. Bohrt nicht zu tief. Die Gedanken werden Euch nur geraubt und dann habt ihr nichts weiter außer Schwärze. Handelt bedacht!

Ein haltloses Piepen unterschiedlicher Gerätschaften wirbelte durch die Luft und ein kleines Plättchen flog blitzschnell hinaus auf den hell erleuchteten Gang, um die Heiler zu alarmieren. Doch Harry wusste, dass sie zu spät kommen würden. Bedeutungslos erschien ihm, dass Hermione sich eilends die dünnen Handschuhe über die Finger zog, bevor sich ihre Hände heilend auf Kingsleys Brust drückten. Ihre Befehle, denen Ron erhitzt nachzukommen versuchte, erreichten ihn auf dumpfe, verzerrte Weise. Seine Narbe schmerzte. Er hatte über die Jahre vergessen, wie ihm das Stechen einst ins Leben gefunkt war. Wie töricht war er nur gewesen, zu glauben, sein Mal wäre für ewige Zeiten verstummt?
 

„Du arbeitest hier nicht mehr“, rief Astoria Malfoy aufgebracht, als sie samt ihrem silberweißen Umhang ins Zimmer gerauscht kam und Hermione unwirsch zur Seite schubste.

„Seit wann arbeitest du wieder hier?“ Man konnte ihre gnadenlose Verwirrung fast schmecken. Sie wurden zurückgedrängt, hinaus aus dem Raum und in den merklich kälteren Gang, ohne dass man ihnen Antworten gab, schon gar nicht auf die neuen Ungewissheiten, die sie nun wie einst zwischen drei Seelen gefangen hielten – vorerst. Denn im Moment waren sie allein mit diesem Wissen.

„Meine Narbe… sie tut wieder weh.“

Und es war das Wechselbad der traurigsten und angsterfülltesten Grimassen auf den Gesichtern seiner besten Freunde, die Harry Potter versprachen, dass sie die Grenze überschritten hatten. Neue Albträume würden sie heimsuchen. Die Welt eine andere werden.
 


 

Eiskalte Luft peitschte Rose entgegen, als sie aus dem Schloss stürmte. Bibbernd warf sie einen Blick auf die Uhr, welche sie neuerdings ständig um ihr Handgelenk trug, bevor sie – sich ihrer Verspätung bewusst werdend – ihren Schritt beschleunigte. Sie spürte Scorpius direkt hinter sich, der nicht minder in Eile war. Rose wusste nicht genau, wie seine Tagesplanung aussah, aber ihre verzögerte sich bereits um wertvolle Minuten. Es war das Hogsmeade Wochenende, das genau eine Woche nach dem Eintreffen der anderen Zaubererschulen angesetzt worden war, und obgleich er das wusste, hatte Professor Slughorn sie in sein Büro zitiert, wobei er einen verschüchterten Erstklässler losgeschickt hatte, ihnen die Nachricht, er wolle sie auf der Stelle sprechen, zu überbringen. Zuletzt waren Malfoy und sie wahrscheinlich in der dritten Klasse gemeinsam in dieser Instanz gewesen, weil sie sich in Zaubertränke gegenseitig vergiftet hatten oder dergleichen, doch Slughorn schien zu glauben, sie seien erwachsen geworden. Trotz dieses neu erworbenen Vertrauens, hätte Rose über den Tisch springen können, als er ihnen eröffnet hatte, der alljährliche Weihnachtsball – den sie und Scorpius seit einem Monat planten – sei passé und würde stattdessen durch ein Abendessen, das er gab, ersetzt werden. Hallo? Wie konnte Slughorn eines seiner – sonst nur der Elite zugänglichen – Abendessen ausgerechnet am letzten Tag vor den Weihnachtsferien in der Großen Halle geben wollen? Ach ja, er war der Finanzier der ganzen Geschichte und hatte somit die Macht. Innerlich hatte in Rose ein Sturm aus Protesten gewütet, doch einem Professor gegenüber traute sie sich fast nie, Widerworte zu geben. Eigentlich hatte sie gedacht, das würde Malfoy regeln. Nada.
 

„Unsere ganze Arbeit war umsonst!“, rief sie erzürnt und drehte sich wütend zu ihm um. „Warum hast du nicht gesagt, dass das so nicht geht?“

Anstatt ihr eine befriedigende Antwort zu liefern, warf Scorpius ihr im Vorbeigehen ein Toast zu und sagte: „Du bist widerlich, wenn du nichts gegessen hast, Weasley.“

„Du kennst mich kein Stück, Malfoy.“

„Ich wohne lediglich mit dir zusammen“, erwiderte er und grinste sie süffisant an, als Rose entnervt die Augen verdrehte.

„Der Weihnachtsball war Tradition-“, begann sie ihre Argumentation, die sie doch lieber Slughorn hätte vorlegen sollen, doch Scorpius unterbrach schon allein ihre These in Sekundenschnelle.

„Jedes Jahr derselbe Scheiß am besten noch mit genau denselben Beziehungsdramen – also ich verzichte gerne.“

„Ach ja, ich vergaß - du und Jane, viertes Jahr, erste Trennung, und jedes darauffolgende Jahr dasselbe Spiel.“ Nun garnierte ein Lächeln ihr Gesicht, auf das Scorpius keine Erwiderung fand.
 

„Du hast doch gehört, stattdessen haben wir einen Frühlingsball“, sagte er und allein seine Betonung ließ darauf schließen, wie wenig ihm diese Vorstellung zusagte. „Wir behalten einfach das Zeug, das wir bisher haben und nutzen es für den neuen Dreck.“

„Eisskulpturen und Eisfarben für den pastelligen Frühling, ja?“, hakte sie ungläubig lachend nach und schüttelte den Kopf. Sie gingen noch ein Stück gemeinsam, doch dann bog Scorpius zu Adrian, der ihr eine Kusshand zuwarf und um den sich – klettenartig wie immer – Polly Parkinson geschlungen hatte, und Quirin ab.
 

„Sie kommt lächelnd von einem Malfoy“, sang Fred schmalzig und stimmte die Melodie des Schlagers Ein Kessel voller heißer, starker Liebe von Celestina Warbeck an, bevor er sich – ans Herz fassend – tot in den Schnee sinken ließ. Rose seufzte, doch als er wieder aufstand und sich die weißen Flocken von der Hose klopfte, war er zum Glück wieder der Alte.

„Merlin sei Dank bist du da“, stieß Alice hervor, um die Albus herumtanzte, was sie nicht zu erfreuen schien.

„Man“, schrie sie genervt und hielt Als Arm fest, „du benimmst dich wie… wie… mit Zwölf!“

Es war der Moment, in dem Al sie stürmisch in seine Arme zog, der Alice vollends den Atem raubte.

„Ich liebe dich wirklich, Alice“, rief er freudig erregt. Fröhlich wie ein kleines Kind. Mit Siebzehn. Rose fragte sich, auf welcher Droge sich ihr Cousin im Moment befand, während sie Alice’ dunkelroten Teint erkannte und wusste, dass der Longbottom nicht mehr zu helfen wäre. Sie wand sich, an ihrem Toast knabbernd, zu Fred um, der die Szenerie mit einem fetten Grinsen beobachtete und – so, als hätte er bereits dreißig Jahre mehr auf den Rippen – gönnerhaft meinte: „Soviel junge Liebe.“

„Was hat er?“

„Nach einem langen Gespräch mit Alice hat `Gonagall nun doch endlich erlaubt, dass Al - mit Alice als Babysitterin - nach Hogsmeade darf.“

„War das nicht sowieso klar, dass sie einknickt?“, fragte Rose irritiert und Fred schüttelte grinsend den Kopf.

„Nicht nach dem letzten großen Ding die Woche.“

Davon hatte sie überhaupt nichts mitbekommen und Rose schob die Schuld ganz klar ihrem überdimensional großen Berg an Hausaufgaben zu. Fast pausenlos musste sie für ihre UTZs arbeiten, es war grauenhaft. Hinzu kamen die Schülersprecherverpflichtungen und etliche verschwendete Gedanken an Scorpius Malfoy, die sie voll und ganz beanspruchten.
 

Wenn Alice nicht so klein und Albus nicht so groß gewesen wäre, dann hätte sich die Longbottom wohl schon eher aus diesem Überfall befreien können, doch es fiel ihm zu leicht, die zierliche Gestalt von den Füßen zu reißen und festzuhalten, sodass Alice schon vom ersten Augenblick an keine Chance gegen ihn gehabt hatte. „Du bist doof“, knurrte sie, „Wenn du mich nicht sofort runterlässt, dann nehm ich dich nicht mit nach Hog-“ Albus ließ sie augenblicklich fallen.
 

Gemeinsam gingen sie runter nach Hogsmeade und während Fred und Al ausgiebig den möglichen Aufstieg der Chudley Cannons in die Top Vier der Quidditchmannschaften diskutierten, warf Rose Alice ein paar belustigte Blicke zu. Die Röte in deren Wangen verschwand nur langsam und dass Albus sie hervorgerufen hatte, schien diesem zwar nicht aufgefallen zu sein, dafür aber der Weasley umso mehr.

„Du wirst übrigens heute nicht den ganzen Tag meine Gesellschaft ertragen müssen“, meinte Al zu Alice, die sich daraufhin die Mütze weiter über das kurze Haar und die immer noch leuchtend roten Ohren zog, um diese zu verbergen.

„Gut, ich bin sowieso mit meiner Mutter verabredet“, erwiderte sie kühl und Albus wandte sich Rose zu. „Was hat sie denn?“

„Nichts, ihr ist nur etwas heiß, schätz ich mal“, lachte Rose, doch bei Alice‘ wütendem Blick stellte sie lieber noch eine Gegenfrage, bevor sich Al gänzlich an ihrer Information festkrallte: „Was machst du den Nachmittag über?“

Albus‘ Blick verdüsterte sich augenblicklich.

„Heute findet das letzte Auswahltraining statt und danach müssen Malfoy und ich die Aufstellung für das erste Spiel im Dezember bekannt geben. Ich hab gar keinen Bock drauf.“

„Viele Träume werden wie Seifenblasen zerplatzen“, pflichtete Fred ihm bei und nickte. „Aber mein Platz ist ja sowieso sicher, oder Kollege?“

„Davis wird wohl kaum deine Position kriegen. Nicht, wenn Malfoy das verhindern kann. Und das kann er.“

„Herrscht denn immer noch Krieg zwischen den Fronten Seymour und Malfoy?“, schaltete sich Alice amüsiert ein.

„Ununterbrochen. Die Zwei verabscheuen sich regelrecht.“

„Aber ganz ehrlich – Malfoy hat echt viel Mut. Neben der wäre ich garantiert nicht eingeschlafen“, sagte Fred und Al nickte zustimmend.

„Die ist zwar echt heiß, aber bei dem Temperament hat man ja sofort Angst, dass die einen in der Nacht umbringt.“

„Okay, sofortiger Themenwechsel, bitte“, fuhr Rose dazwischen. „Uns interessiert nämlich kein Stück, dass ihr Jane Seymour geil findet.“
 

Fred und Albus sahen sie einen Moment überrascht an, sodass Rose fast dabei zusehen konnte, wie jedes Rädchen hinter den Stirnen schleichend eine neue Materie suchte. Bei ihren Cousins gab es zwei bevorzugte Themen: Quidditch und Mädchen. Das eine hatten sie abgehandelt und das andere interessierte Alice und Rose kein bisschen.
 

„Ähm“, begann Al zutiefst eloquent und Rose zog wartend eine Augenbraue in die Höhe. „Habt ihr schon gehört, dass dieser Doyle uns jetzt auch bald unterrichten soll?“

„Gewonnen, gutes Thema“, gab Rose geschlagen zu und während Al und Fred einschlugen, konnte sie ihre Neugier kaum noch verbergen.

„Woher hast du diese Information?“

„Du weißt, ich habe meine Connections.“ Standardantwort.

„Die Fünftklässler sind ganz hingerissen von ihm“, sagte Alice und Fred schnaubte.

„Ja, weil er ihnen vorspielt, er fände sie interessant, dabei will er sich lediglich beliebt machen.“

„Wieso sollte er das tun?“ Fred warf Alice einen mitleidigen Blick zu.

„Wir denken, er will über sein Alter hinwegtäuschen. Er will die Schülerschaft hinter sich haben, falls-“ Fred und Albus wechselten einen kurzen Blick und mit dieser Sekunde schienen sie abgewogen zu haben, wie viel man ihnen erzählen konnte. Offensichtlich nichts, denn nach seinem abrupten Ende nahm Fred den Faden nicht wieder auf.

„Falls? Du hast nicht zu Ende gesprochen“, erinnerte Rose ihn scheinheilig und schließlich vollendete Albus den in der Luft hängenden Satz: „Falls die Lehrer einmal zu stark ins Zweifeln über ihn geraten sollten, damit er ein Kissen aus positiver Resonanz hinter sich hat.“
 

Diese Annahme war tollkühn, wie Rose keinesfalls entging und sie forschte in den Gesichtern der Jungen nach Anzeichen von ernsthafter Besorgnis, die ihre Bedenken erklären konnten.

„Ihr fürchtet euch doch nur vor der heißen Konkurrenz“, meinte Alice und Albus erwiderte: „Ich hab gehört, wie Maxime die Wahl vor MC Gonagall und etlichen anderen Lehrern rechtfertigen musste. Sie hat das alles ziemlich genervt. Aber seien wir mal ehrlich, so ein junger Kerl als Lehrer ist zumindest in Hogwarts ganz und gar nicht alltäglich.“

Rose fragte sich, woher Albus immer diese ganzen ausführlichen, allumfassenden Informationen hernahm. Es war ausgeschlossen, dass er jede freie Minute unterm Lehrertisch hockend verbrachte, also woher nahm er sein Wissen dann? Doch als sie den Scherzartikelladen Zonkos betraten, verflüssigten sich alle strapazierenden Meinungen zum Mysterium Doyle.
 


 

Sie überflog die Namen. Zählte nach. Immer wieder. Doch fand ihren Namen nicht. Lily Luna Potter stand nicht auf der Liste. War nicht da. Existierte in diesem Augenblick nicht mehr. Von allen Seiten her loderten Freudenschreie auf. Die trügerische Glückseligkeit der anderen legte sich wie falsch auf ihre erhitzte Haut und wurde hinweg gewischt von der bitteren Erkenntnis, es nicht geschafft zu haben. Verloren zu haben. Das Einzige, das ihr je etwas bedeutet hatte: Quidditch.
 

Jäger waren – wer hätte es auch je angezweifelt – Scorpius Malfoy, Albus Potter und – womit wohl kaum einer gerechnet hatte – Patricia McLaggen. Die Hufflepuff hatte den Platz mit ziemlicher Sicherheit nur bekommen, da man im Team Hogwarts aus jedem Haus mindestens einen Spieler haben sollte. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, als sie das wilde Geschrei der haltlos glücklichen, besten Freundin der schrecklichen Natalie Bordman an ihr Ohr dringen ließ. Es war ungerecht. Das Leben war verdammt noch mal so ungerecht!

Hüter war Lorcan Scamander – er war wirklich sehr gut gewesen – und die Treiber waren – wie erwartet – Quirin Goyle und ihr Cousin Fred. Sie schluckte. Einmal. Zweimal. Dreimal schwer, bevor sie den Gedanken überhaupt zuließ. Den Namen wieder und wieder las, der ihr Herz zerstört hatte. Sucherin von Team Hogwarts war - Tada! - Alexa Chang, Ravenclaw. Ja, selbstverständlich hatte sie gegen die Tochter der Frau verlieren müssen, die schon ihre Mutter nicht besonders mochte. Kaum auszudenken, wie Ginny Potter auf die Niederlage ihrer Tochter reagieren würde, wenn sie hörte, wer stattdessen den Platz ergattert hatte.
 

„Mach dir keinen Stress“, hörte sie Adrian Zabini großspurig behaupten; und ohne sich umzudrehen, wusste sie doch genau, wie er seinem besten Freund auf die Schulter klopfte. „Hauptsache du gibst mir in der Küche einen aus.“

Lachen. So ausgelassen als wäre soeben nicht Lily Potters Welt untergegangen. Doch was kümmerte sie es? Sie waren ein Pack aus arroganten, eitlen, anmaßend und selbstgefälligen Wichten – Slytherins eben. Für Zabini war Quidditch kein Lebenselixier, viel lieber vergnügte er sich mit Mädchen, als bei Wind und Wetter auf dem Besen zu sitzen. Sie würde garantiert Niemandem auf die Schulter klopfen und sagen, es sei in Ordnung. Denn das war es nicht.

Ohne Albus eines weiteren Blickes zu würdigen, stürmte sie an der feiernden Gruppe vorbei und in die Umkleidekabinen. Dabei entging ihr keineswegs die Tatsache, dass alle anderen Verlierer recht gut mit dem Versagen zu Recht zu kommen schienen. Alle außer ihr. Tränen schlichen ihr verräterisch in die Augen, als sie sich das Gryffindor Trikot über den Kopf zog. Es gab kein Gryffindor mehr. Es gab nur noch Team Hogwarts. Sie und ihr Talent waren so gut wie wertlos.
 

„Lily, es tut mir echt Leid“, sagte Albus, der ihr nachgelaufen war und dessen Züge so ungewohnt ernst waren.

„Spar es dir.“

„Du warst wirklich gut, aber Alexa war heute einfach besser.“ Oh ja, Al, nur weiter so, dachte Lily wütend, stopfte ihre Klamotten in die Tasche und versuchte, ihren Bruder bestmöglich zu ignorieren. Er verstand es perfekt, den Funken sprühenden Zauberstab in der Wunde zu drehen. Sie biss sich auf die Lippe, doch die Worte erreichten ihn trotzdem. Und es war eine Befreiung, sie loszuwerden.

„Ganz ehrlich? Du bist das Letzte, Al, wirklich, absolut! Ich hab noch nie irgendwas von dir verlangt, nur einmal hätte ich mir gewünscht, dass du erkennst, woraus mein Leben besteht, dass Quidditch einfach alles für mich ist. Du kannst froh sein, dass ich so bin, wie ich bin. Dass ich einem Schnatz nachjage und keinen Kerlen. Dass ich dir keine Schande mache oder nicht andauernd deine Hilfe brauche.“

Die Tränen zogen nun unaufhörlich einen nassen Schleier über ihr Gesicht und Albus fiel es schwer, unter ihrem glasigen Blick nicht vollends wegzubrechen. Er hatte sie doch niemals verletzen wollen. Zweifel nagten an ihm. Doch er schüttelte sie ab.

„Lily, Quidditch ist nicht alles. Du wirst darüber hinwegkommen, glaub mir.“

„Und daran sieht man, wie wenig du mich kennst“, lachte sie bitter, „nämlich überhaupt nicht! Wenn du dich auch nur ein bisschen für mich interessiert hättest, dann wüsstest du, wie wichtig mir das hier ist. Aber nicht mal für deine Schwester setzt du dich ein.“ Sie holte Luft. Für den letzten Schlag. „Wie ein waschechter Slytherin. Da gehörst du hin, Al. Nach Slytherin.“

Und damit stürmte sie an ihm vorbei und weg, einfach nur weg.

Es war der erste von unzähligen Brüchen.
 


 

„Denkst du, Voldemort hatte einen Sohn?“ Seine Frage durchbrach ihr Schweigen auf groteske Art. Ihr spöttisches Lächeln hielt ihn zum Narren und mühelos nahm sie die in ihrem Schoß ruhende Handarbeit wieder auf.

„Diese Frage kannst du dir selbst beantworten, Harry Potter.“

Er nickte nachdenklich, bevor er sich erhob. Seine Pause, die er sich von seinen Freunden und Ginny und der Mysteriumsabteilung genommen hatte, währte nur kurz. Im Türrahmen hielt er inne und drehte sich noch einmal zu der Frau mit dem silbergrauen Haar um. „Gute Nacht.“

„Welche Frau kam ihm schon je so nahe, dass sie ihm einen Sohn hätte schenken können?“

„Ich dachte vielleicht an deine Schwester – es tut mir Leid.“

Sie schüttelte den Kopf und der Spott garnierte ihr Gesicht. „Bellas Versuche waren nie vom Erfolg gekrönt gewesen. Gute Nacht, Harry Potter.“

Das war alles, was er hatte hören wollen.
 


 

Die Hexenküche – von vielen nur Küche genannt – war ein Club in Hogsmeade, der seit ein paar Jahren eindeutige Erfolge feierte. Alice war froh, dass sie zu der Generation gehörte, die das Privileg des abendlichen Ausgehens genossen. Bei ihren Eltern wäre es undenkbar gewesen. Ohnehin gab es für die Schüler ihrer Zeit viel mehr Hogsmeade Wochenenden und den Sechst- und Siebtklässler stand es sogar frei, in der Woche nach Hogsmeade zu gehen, insofern sie zum Abendessen nur wieder alle im Schloss seien. Die Küche war das Highlight des Tages, denn wenn man vor den anderen Zaubererschulen geschwärmt hatte, dann von diesem Etablissement. Es war magisch, aber auf eine ganz andere Art und Weise, wie sie es gewohnt waren. Hier wurde man locker, ließ sich benebeln und schaltete ab. Oder tat genau das Gegenteil. Wurde locker und sprengte alle Grenzen. Der Schuppen war schon brechend voll, als Alice ihn betrat und sogleich von dem violetten Licht eingesaugt wurde, das auf sie hinab regnete. Die verschiedenen Ebenen leuchteten abwechselnd in den verschiedensten, zauberhaftesten Lichtern auf, doch Alice mochte Violett. Und sie mochte den Typen, den sie an der Bar hängen sah. Hängen, das traf es wohl perfekt, denn Al Potter konnte kaum noch gerade stehen. Sie seufzte, doch der Ton wurde von der ohrenbetäubenden Musik verschluckt.
 

„Du bist aber gut dabei.“ Alice versuchte den tadelnden Ton zu verwerfen, der selbst in ihrem Brüllen mitschwang. Auf dieser Ebene konnte man nie anständige Gespräche führen. Aber es reichte, um ihn zu verstehen.

„‘n paar“, lallte er und Alice zog eine Augenbraue in die Höhe, während ihre Augen schnell zählten, wie viele Gläser Feuerwhiskey dort vor ihm standen.

„Was ist passiert?“, fragte sie schließlich und ignorierte es beflissentlich, dass er den Arm um sie schlang und sie zu sich zog. Sie hatte das alles im Kopf durchgespielt und noch einmal würde er sie an diesem Tag definitiv nicht überraschen. Auch nicht betrunken.

„Lily ist passiert.“

„Ein Mädchen mal wieder.“ O, sie hatte es doch gewusst! Immer richteten Weiber ihn so zu und sie war es schließlich, die ihn in all ihrem überdimensional großen Verständnis in den Schlafsaal trug. Sein Blick irritierte sie und der in ihr tobende Sturm verebbte je. O. Ach so.

„Du meinst deine Schwester?“ Nicken. Ups. Aber besser war das nicht unbedingt, wenn sie sich recht besann. Albus war immerhin nicht jedes Wochenende so zugerichtet.

„Sie ist nicht im Team und meinte, ich gehöre nach Slytherin.“

Alice verstand nicht alles, schon gar nicht die Zusammenhänge, doch legte ihm bei seiner verdrießlichen Miene trotzdem die Hand auf den Arm. Und spürte Muskeln. O Merlin. Und ließ wieder los. Und wurde rot – was man hoffentlich nicht sah. Ihr Mund wurde staubtrocken.

„Es wird alles wieder gut, Al. Sie wird einfach durcheinander gewesen sein und Dinge gesagt haben, die sie im Augenblick bestimmt schon wieder bereut. Ist doch meistens so mit Geschwistern.“ Ja, bedachte sie sarkastisch. Sie hatte ja auch Ahnung als Einzelkind. Aber eigentlich hatte sie nicht damit gerechnet, als Seelenklempnerin auftreten zu müssen. Zusammen mit ihren Zimmergenossinnen hatte sie dafür bereits eindeutig zu viele Hexenkräuterchen intus. O weh. Und jetzt sah er sie auch noch so an. Er war eigentlich ganz süß, so besoffen.
 

Ich liebe dich, Alice.
 

Ihr Ein-Mundwinkel-Lächeln erstarb und sackte ihr bis in die Kniekehlen. Es war die Erfüllung ihrer kühnsten Träume. Es war alles, aber nicht das Richtige. Definitiv nicht so. Dieser Trottel!

„Nein, tust du nicht und ich würde dir raten, das am besten nur noch zu sagen, wenn du es auch meinst, Al.“

„Wieso?“ Lallen. Kopf hängen lassen. Albus Potter war in diesem Moment ein Wrack, also wog Alice sorgsam ab, wie viel sie ihm antun konnte beziehungsweise sich - darauf bedacht, er möge sich am folgenden Tag wohl kaum noch daran erinnern.
 

„Wenn ich sage, dass ich dich liebe, dann könnte ich das sagen, weil ich es meine, während du sagst, dass du mich liebst, obgleich du es nicht wirklich meinst.“
 

Er zog seine Augenbrauen zusammen und Alice tätschelte ihm kurz den Arm, bevor sie sich auf dem Barhocker neben ihm niederließ, einen Cocktail bestellte und lächelnd darauf trank, dass sie ihm ihre Liebe gestanden und er es nicht einmal kapiert hatte. Wie sie nachhause kommen würden, wenn sie sich nun ebenfalls volllaufen ließ, war hingegen ein einziges Rätsel. Es mochte Zeiten geben, um nachzudenken, doch diese war es nicht.
 


 

Eine Nacht wie diese bestand aus mehreren Etappen. Auch wenn Dome ihr wahrscheinlich in der Aufteilung widersprochen hätte, so teilte sie Rose wie folgt ein: Zuerst kam die gute Stunde, die man darauf verwendete, sich zu stylen. Das Beste aus der eigenen Gestalt zu machen. Auch wenn sie Partys eigentlich verabscheute – Fakt! –, war sie doch ungewöhnlich lange im Bad gewesen. Bis sie stolz gewesen war. Lange also. Aber das Werk eines Laien war trotzdem nicht zu verachten gewesen.

Dem folgte dann das Grauen. Die Party an sich eben. Die Eskapaden – entweder die eigenen, die eines Familienmitglieds oder Freundes, oder aber die eines Unbekannten, für den man sich aber trotzallem schämte. Der Alkohol, das Rumgemache und die ganzen anderen Klischees. Man nenne es sogar das Übliche. Und wenn dann endlich der Hauptteil vorüber war; man die Chance auf eine Geschlechtskrankheit mehr erhöht hatte, torkelte man nachhause.

Der Schluss von dem Ganzen; der manchmal in einigen Fortsetzungen gipfelte, insofern man nicht alleine ging. Sex oder aber auch das besondere Rendezvous mit der Toilette. Sie hätte ja gern laut gerufen Alkohol ist keine Lösung oder aber Man kann auch ohne Alkohol Spaß haben, nur leider überlebte Rose diese Gelage selbst nur mit einigen Cocktails. Wenn sie schon mitgehen musste wie an diesem Abend, weil sie ihren Plan, den sie hegte, seit ihr auf so erschreckend neutrale Weise bewusst geworden war, dass sie in Scorpius Malfoy verliebt war – ja, sie war ohnehin verloren, also weshalb noch leugnen? – und der daraus bestand, ihre Freunde Nathan und Julie zu verkuppeln, in die Tat umsetzen wollte. Man könne ihn jedoch sogleich in Zum Scheitern verurteilt umbenennen, denn Nathans Hand war schneller auf ihrem Oberschenkel gelandet, als sie Verteidigung gegen die dunklen Künste hatte sagen können. Und Julies Herz war gebrochen. Vielleicht war es unklug gewesen, aufzuspringen und zur nächsten Bar zu stürzen, um neue Drinks zu besorgen, aber die Situation war einfach vollends aus dem Ruder gelaufen und Rose‘ keines besonnenen Gedankens mehr Herr. Man schiebe es auf den Alkohol oder aber auf die bloße Annahme, Scorpius habe Nathans Anmache genau gesehen. Rose war sich fast sicher, dass damit ihr Unglück perfekt wäre.
 

Ein provisorisch abgehaltener Kriegsrat auf dem Mädchenklo mit ihren Cousinen Lucy und Roxanne hatte ihr schließlich vergewissert, dass ihr Untergang nach Nathans Ich will mit dir ins Bett – Anmache – Analyse Roxannes während Lucy Nathan gespielt hatte – besiegelt war. Wusste sie. Wusste jeder, der Zeuge dieser Misere geworden war. Und Natalie Bordman würde mit Sicherheit ihr Bestmögliches tun, um es jeder Menschenseele auf die Nase zu binden – altes Klatschweib. Zudem war die Möglichkeit, dass Adrian Zabini gerade in ihrer Wohnung schon alles für die Orgie vorbereitete, mit der Scorpius ihr gedroht hatte, kaum noch fern. Danke, Nathan.

Aber vielleicht hatte sie es mit ihrem schwarzen Minirock auch etwas übertrieben und bevor Rose gänzlich in ihren Schuldgefühlen ersoff, erwartete sie der nächste große Clou des Abends: Galina Kuprin, Schülersprecherin in Durmstrang. Hatte sie erwähnt, dass sie Partys verabscheute?
 

„Dein Name ist Rose, richtig?“ Perfekt anliegendes, dunkelblaues Kleidchen. Perfektes Zahnpasta-Lächeln. Perfekte Korkenzieherlocken. Perfekt eben. So perfekt, dass man sich sofort um Einiges schäbiger fühlte samt Ego - Kratzern vom Feinsten.

„Ähm, ja, genau. Rose Weasley. Was gibt’s Galina?“ Rose probierte auch das perfekte Lächeln. Ohne Erfolg.

„Du siehst echt toll aus heute Abend.“ Gefährliche Nettigkeiten. Kannte man auch von Dominique Weasley.

„Danke, du aber auch. Was trinkst du?“ Rose mochte normalerweise auch keinen gezwungenermaßen geführten Smalltalk. Genauso wie wenig wie Partys.

„Black Roses.“ „Ah.“

„Ich wollte dich fragen, was zwischen dir und dem Malfoyjungen läuft, denn ich bin an ihm interessiert.“ O Merlin! Das war also der Grund, weshalb Galina Kuprin mit ihr redete. Auch wenn das ganz und gar nicht logisch war.

„Ich verstehe nicht ganz.“ Eloquent wie immer. Sarkasmus hoch einhundert.

„Zuhause fragen wir die Mädchen, die das Vorrecht auf den Jungen haben, nach Erlaubnis.“ O Merlin. Sie, Rose Weasley, hatte das Vorrecht? Sie sollte nun also ihren Segen dafür geben, dass diese Kuprin mit Malfoy ins Bett ging? Niemals. Nur leider hatte sie dieses Recht nicht.

„Wir sind nicht zusammen. Ich kann das also nicht entscheiden“, sagte sie langsam. Immer noch das unbewegliche, schöne, sogleich beängstigende und irritierende Lächeln.

„Liebst du diesen Jungen?“ „Ja.“ Mittlerweile ziemlich einfache Frage.

„Dann verstehe ich nicht, warum ihr noch kein Paar seid“, gab Galina zu und eine Strähne löste sich aus Rose‘ Haarknoten, die ihr ins Gesicht fiel und die dortige Verwirrung perfekt unterstrich.

„Ich bin eine Weasley und er ist ein Malfoy. Diese Konstellation ist hier bei uns verboten.“ „Wie Romeo und Julia?“

„So ähnlich, ja.“ „Aber sie hatten doch trotz des Verbots etwas Spaß zu zweit.“

„Und haben ihr Leben gelassen“, fügte Rose hinzu und lachte freudlos auf - ja, sie und Malfoy das würde wohl auch etwas Ähnliches nach sich ziehen.

„Ich glaube, das war es ihnen wert.“ Vielleicht wäre das auch ihr wert. Nur ihm wohl kaum.
 

„Ich werde ihn jetzt suchen“, teilte sie Galina mit, als sie sich erhob und kurz ihren Rock glatt strich. Das letzte Mal war sie so wackelig auf den Beinen gewesen, als Natalie Bordman ihre Party gegeben hatte. Im Sommer. Wo ein Unfall sie und Malfoy zusammengebracht hatte. „Dann werde ich ihm sagen, dass ich ihn liebe und wenn er darauf nicht reagiert – womit ich fast rechne, dann kannst du ihn haben.“

Rose trank ihr Glas mit einem Zug leer, denn ein bisschen Mut brauchte sie für ihr Vorhaben schon, bis sie losstöckelte. Galina wünschte ihr Glück und sie wünschte es sich selbst.
 

Sie suchte auf allen drei Ebenen, doch fand ihn nirgends. War das nicht absurd? Da fasste sie einmal den Entschluss, ihm alles zu sagen; ihm ihre ganze Gefühlswelt zu offenbaren und dann war er nicht da, wie vom Erdboden verschluckt. Siedend heiß kam ihr die Möglichkeit in den Sinn, dass er vielleicht doch Nathans Hand auf ihrem Knie gesehen hatte und sich daraufhin selbst ein Mädchen geschnappt hatte – obgleich ein Malfoy wohl kaum wartete, bis sie betatscht wurde, um sich ein Flittchen zu nehmen. Sie verdrehte sie Augen bei all ihren wirren Gedankengängen und holte sich an der Garderobe ihre Jacke ab. Sie sollte es akzeptieren, dass sie ihn nicht gefunden hatte, dass sie es ihm nicht hatte sagen können, was ihr so sehr auf der Zunge brannte. Sie brauchte die Gewissheit, dass er nichts von ihr wollte. Er musste sie wachrütteln. Ansonsten wäre sie in diesem Chaos gänzlich verloren. Und vielleicht glaubte ein klitzekleiner Teil ihrer selbst sogar daran, dass er ihre Gefühle erwidern könnte. Ein ziemlich kleiner Anteil der Rose Weasley hoffte es vielleicht sogar. Und nur er könne diesen Optimismus im Keim ersticken.
 

Als sie aus der Küche trat, hüllte die eiskalte Luft sie ein, legte sich bedrohlich auf ihre warme Haut und ließ sie frösteln. Hogsmeade war erleuchtet, sogar schon teils weihnachtlich geschmückt, aber vor dem Weg durch den Verbotenen Wald fürchtete sie sich. Vielleicht würde sie heute Abend auch gar nicht in ihre Wohnung gehen. Sich einfach vor dem düsteren Weg drücken und bei Alice schlafen. Sie setzte sich langsam in Bewegung, bevor ihre Beine noch festfroren, doch seine Stimme hielt sie auf.
 

„Regel Nummer achtundzwanzig für nächtliche Ausflüge nach Hogsmeade besagt, dass man nicht allein, sondern in der Gruppe nachhause gehen soll.“ Ihr Herz setzte aus. Stoppte. Einfach so. Rose drehte sich um und blickte geradewegs in Scorpius eisblaue Augen. Er lächelte sie süffisant an, bevor er ihr den Arm anbot, den sie zögerlich griff.

Sie setzte zum Sprechen an, doch schloss ihren Mund in der darauffolgenden Sekunde wieder. Öffnen und schließen, immer und immer wieder, ohne das Worte hinaus sprudelten. Sie konnte es nicht sagen. Sie war zu feige. Es war zu peinlich. Er war ein Malfoy. Sie eine Weasley. Das Dümmste, das sie tun könnte war-
 

Scorpius.“ Sie blieb stehen. O Merlin. Sie hatte den Verstand verloren. Definitiv. Ihr Verstand fuhr herunter und ihr Herz gewann eindeutig an zu viel Macht. Es plädierte darauf, dass sie eine Gryffindor war. Mutig. Er drehte sich zu ihr um und sein Blick war leicht amüsiert, eine Spur neugierig, vielleicht wusste er sogar schon, was sie zu sagen hatte.

„Ich… Ich-“ Nein, sie konnte es nicht. Sie schloss die Augen. Sie konnte es nicht über die Lippen bringen. „Wir können keine Freunde sein.“

„Das sagtest du schon mal.“

„Es ist eigentlich auch nicht das, was ich sagen wollte.“

„Sag es einfach.“

Am liebsten hätte sie laut aufgelacht. Sag es einfach. Es war ganz und gar nicht so anspruchslos, wie er zu glauben schien.
 

„Du bist der größte Arsch, den ich kenne, aber ich… ich mag dich.“
 

„Du magst mich?“, widerholte er grinsend und Rose verzog das Gesicht, während sie gemeinsam ihren Weg fortsetzten. „Weasley, das ist … erschreckend niedlich.“ Rose knurrte, während der Slytherin weiter hemmungslos lachte. Er legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie näher, sodass sie den Geruch von Feuerwhiskey inhalierte, der sich so natürlich mit dem typischen Malfoy Eau de Toilette vermischt hatte.

„Passt nur so gar nicht zu deinem Outfit heute Nacht“, flüsterte er ihr ins Ohr und eine stechende Hitze fuhr Rose in die Wangen.

„Ich hab das nicht zu dir gesagt, um danach von dir ausgelacht zu werden, Malfoy.“ Er zuckte mit den Schultern und wirkte so ausgelassen, wie sie ihn noch nie zuvor erlebt hatte.

„Was willst du hören, Weasley?“ „Eigentlich hatte ich gehofft, du würdest meine Hoffnungen allesamt zerstören. Nur leider lässt das etwas auf sich warten.“ „Wieso sollte ich? Ich mag es doch, wenn die Mädchen auf mich stehen.“ Sie seufzte. Theatralisch. So ein Idiot.

„Galina Kuprin hat mich um Erlaubnis gebeten, dich abzuschleppen.“

„Was hast du gesagt?“ „Dass du schwul bist, natürlich.“

„Ach komm, das hat sie niemals geglaubt.“

„Ich denke schon.“ „Sie hat mich beim Quidditch gesehen, also bitte.“

„Sie hat euch zugeschaut?“ Perfekte Mädchen bildeten den Scorpius Malfoy Fanclub – als wäre sein Ego nicht ohnehin riesengroß.

„Vielleicht solltest du auch mal vorbei schauen.“

„Und in den Scorpius Malfoy Fanclub eintreten? No way.“ „Du könntest Vorsitzende werden.“

„Lass die Scherze.“ „Obwohl … Natalie Bordman würde dich umbringen, wenn du ihr den Platz nimmst.“ O Merlin, er hatte schon einen Hogwarts – internen Fanclub? Das wurde ja immer besser.
 

„Geh mit mir aus, Weasley.“ Stillstand.
 

„Nein.“ Hauchdünn, sodass es er wegwischen konnte. „Warum nicht?“

„Du weißt warum.“ Wenn man ihre Namen hatte, zu ihren Familien gehörte, dann war das das einzig Richtige, das man tun konnte. Auch wenn man es nicht wollte.

„Hör zu, Weasley, wenn wir nächsten Monat gegen Exfavilla gewinnen, dann-“ „Dann?“ Skepsis.

„Dann gehst du mit mir aus. Deal?“ Sie würden wohl kaum Chancen gegen die Südländer haben. Neben Bellerbys waren sie die stärksten Gegner.

„Von mir aus.“ „Und du wirst mich anfeuern – jedes weitere Spiel in diesem Jahr.“ „Übertreib’s nicht.“

„Du wirst ohnehin meine Freundin sein, es wird dir leicht fallen.“

Scorpius-“ „Ich mag dich auch, Rose.“

Sie schluckte. Und konnte das Lächeln, das sich auf ihr Gesicht schlich, kaum unterdrücken.
 

Er nahm ihre Hand und seine Finger verhakten sich mit ihren, wie ein längst verloren geglaubtes Puzzleteil. Vielleicht, irgendwann, wäre es zwischen Vergangenheit und Gegenwart möglich, Hoffnung für die Zukunft zu hegen. Denn zwischen Gestern und Morgen war Scorpius Malfoy erwachsen geworden.
 


 

Seine Augen ruhten auf der zierlichen Gestalt, die sich ihm gegenüber fallen gelassen hatte. Sie schlug die Beine übereinander und lächelte ihn verführerisch an, bevor sie sich zu ihm vorbeugte, sodass sich das intensive Rot ihrer Haare näher denn je in sein Blickfeld schob. In ihm wuchs die Neugierde, was sie von ihm wollte, denn obgleich seine Gedanken fast stetig um sie kreisten, seit er sie das erste Mal gesehen hatte, brachte ihr Auftreten ihn heute umso mehr in Versuchung. Sie handelte sehr unklug, wenn man bedachte, dass bisher jede, die ihm so nah gekommen war, mit dem Leben bezahlt hatte.

„Du bist kein Lehrer.“ Er lächelte. Und mit einem Fingerschnippen blendete er kurzerhand alles um sie beide herum aus. Keine Musik mehr, keine Menschen. Nur sie beide und der illusionistisch leere Club. Kurz flackerte Angst in ihrem Blick auf, doch seine Macht konnte sie nicht verschrecken.
 

„Wer bist du?“

„Wer immer du willst.“ Sie war die reinste Verlockung für ihn.

„Der Teufel.“ Ihre Züge wurden kokett. „Mephisto - das passt gut.“
 

Er lehnte sich zurück und das dunkle Haar fiel ihm um die Augen. Er wollte sie, keine Frage. Und er würde sie bekommen. Schneller, als er gedacht hätte. Denn das Lamm kam zum Wolf.
 

„Bis zum heutigen Tag habe ich immer alles bekommen, was ich wollte“, erzählte sie nachdenklich. „Was hast du verloren?“

„Quidditch.“ „Das lässt sich regeln.“ „Ich werde mich revanchieren.“
 

Irgendetwas unterschied sie von den anderen, selbst wenn er wusste, dass nur der Alkohol sie in seine Arme getrieben hatte. Lily war anders. Für den Moment.

„Gehen wir?“, fragte sie und er nickte leicht. Sie war eine Trophäe der besonderen Art. Und vielleicht vermochte sie ihm die Erinnerung zurückzubringen, die er so verzweifelt suchte – sein Leben.

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Es war ein fremder Herzschlag, der sie aus dem verzückenden Traum geradewegs in die bittere Realität stechender Kopfschmerzen lockte. Kein Herz konnte eine Melodie haben. Doch seins hatte eine verstörend Schöne, sodass Alice in dem Augenblick, in dem sie die Augen aufschlug, bereits wusste, wer neben ihr lag. Es gab keine Alternativen und manchmal wusste man intuitiv, was einen erwarten würde. So wie sie in diesem Moment. Und in einem solchen Ruhe zu bewahren, war wohl ebenso unmöglich, wie keine Angst vor wutentbrannten Riesen zu hegen. Bevor die blanke Panik ihren Körper überfiel, zwang sich Alice die Logik auf, an die Rose sooft appellierte und sie viel zu wenig nutzte. Ganz zu schweigen davon, dass Rose sich wohl kaum je in einer solchen Situation befinden würde – was würde sie tun?
 

Langsam löste sie ihre Finger von dem Laken und fuhr mit dem Zeigefinger über ihren Körper. Ihr stockte der Atem und bei Merlin, hatte sie tatsächlich vergessen, wie sich Kleidung anfühlte? Alice schluckte und tat die Tatsache, dass sie neben Albus Potter im Bett lag und dabei noch ihr Kleid (inklusive Unterwäsche) trug, als positiv ab. Das letzte Mal hatten sie nebeneinander gelegen, als sie sich in der ersten Klasse ein Zelt mit Rose geteilt hatten! Sie verdrehte die Augen, doch vermied jeden Blick auf die Gestalt neben sich, bevor sie sich erneut zur Ruhe ermahnte und sich dann vorsichtig und extrem langsam aufsetzte. Bei Merlins Gnade, sie würde nie wieder auch nur ein Schlückchen Alkohol anrühren!

Der Schlafsaal war leer und Alice vermutete, dass sich die meisten beim Sonntags Brunch befanden und sie so fast ungesehen aus dem Gryffindor Gemeinschaftsraum fliehen konnte. Sie schätzte wohl zu Recht mit einem Verbergungszauber, den Albus auf sein Bett gelegt hatte, denn dass Fred beim Aufstehen nichts bemerkt hatte, war nur damit zu erklären. Mit etwas Glück würden keinerlei Gerüchte über diese Nacht und Al und sie an ihr Ohr oder das ihres Vaters dringen. Doch in dem Moment, als sie nach ihren Stiefeln griff und die Schritte auf dem Gang hörte, wurde ihr bewusst, dass ihr Plan so nicht aufgehen würde. Ganz intuitiv. Und im nächsten Augenblick schlug die Tür mit einem ohrenbetäubenden Krachen in die Wand und während Albus erschrocken hochfuhr, sah Alice den verstörtesten Blick in Freds Gesicht, dessen Zeuge sie bis dahin geworden war. Doch war es wohl ihr Anblick, der ihm den Faden entriss. Den Gedanken daran, was passiert war.
 

„Was soll das?“, fragte er stattdessen entgeistert und musterte sie und Al, den Alice keineswegs ansehen mochte. Um genau zu sein – sie wusste nicht einmal, was das sollte. Daher. Fred lachte ihr fremd und ungläubig, gar - den Anschein erweckend - zornig entgegen, sodass ihr kalt wurde.

„Man, hier ist nichts passiert, klar?“ Al zupfte bestätigend an seinem T-Shirt, als wäre, dass er es noch immer trug, der Beweis seiner sexuellen Inaktivität in der letzten Nacht. Fred schüttelte den Kopf, warf Al nur einen vernichtenden Blick zu und pfefferte ihnen mit einem Schwenk seines Zauberstabes den Tagespropheten entgegen.

„O nein“, flüsterte Alice und nur kurz kreuzte sich ihr Blick mit dem Als. „Also“, sagte Fred herausfordernd und die Longbottom bestärkte fortan das Gefühl, das er auf Streit aus war. „Während ihr hier vögelt oder auch nicht und mal ganz nebenbei unsere Freundschaft auf's Spiel setzt, ist in der Zaubererwelt eine ganze Menge mehr passiert! Ich dachte, es interessiert euch vielleicht.“ Noch nie zuvor hatte sie Fred ähnlich erbost gesehen. Doch war es letztendlich die fast ganze erste Seite des Tagespropheten einnehmende Überschrift, die ihr die Tränen in die Augen trieb.
 

               Zaubereiminister Kingsley Shacklebolt: tot.
 

Vorsichtig schlug Alice die erste Seite um. Und noch eine. Fast zehn bis man das Leben des beliebtesten Zaubereiministers ihrer Geschichte ruhen ließ und sich den politischen Fragen widmete.
 

               Shaklebolts Nachfolger – Harry Potter?
 

Albus‘ raues Lachen drang an ihr Ohr, doch Alice wusste, dass er die Vorstellung ganz und gar nicht erheiternd fand. Sie spürte, wie er sich vom Bett erhob und wortlos den Raum verließ. Sie hörte das Wasser der Dusche wenige Augenblicke später. „Fred, es tut mir Leid.“ Er zuckte mit den Schultern.

„Lasst es einfach. Was auch immer.“

Das würden sie.
 


 

Astoria Malfoy strich durch die Reihen Hexen und Zauberer in nachtschwarzen Umhängen, wie eine Raubkatze auf der Jagd. Nur wusste sie noch nicht, worauf sie an diesem Abend Appetit hatte. Sie lauschte schon lange nicht mehr den trüben und leise geführten Gesprächen und ihre eisige Miene, die das blonde, glatte Haar umspielte, bedeutete jedem, der sie ansah, das man sie an diesem Tag am besten nicht ansprach. Wenn doch - auf eigene Gefahr. Dass die Leute auch immer über Politik reden mussten. Oder aber wissen wollten, wieso sie Kingsley nicht hatte retten können. Bei dem Gedanken umklammerten ihre dünnen Finger das Glas so sehr, dass nur noch ein kleiner Kraftakt gefehlt hätte, um die Scherben in ihr Fleisch schneiden zu lassen. Sie wollte auf solch anschuldigende Fragen keine Antworten geben, immerhin hatte sie nach der Geburt ihrer Tochter den Posten als Heilerin erst wieder angenommen, als im September diesen Jahres das Dokument aufgetaucht war, in dem Kingsley sie als die Heilerin bestimmte, die seine Genesung herbeiführen sollte. Sie. Nicht Hermione Weasley, von der nun alle Welt glaubte, sie hätte den geliebten Zaubereiminister nicht verrecken lassen. Schlichtweg sie war es gewesen, von der Kingsley geglaubt hatte, sie könne ihn retten. Doch hatte sie versagt. Weil selbst sie niemandem am Leben erhalten konnte, der fast jeden Tag nach dem Tod rief, da man irgendwann erhört und geholt wurde. Doch das wollte ihr niemand glauben. Nein, fast sah man sie an, als hätte sie ihn eigenhändig ermordet.
 

Grazil postierte sie sich neben Draco, als sie ihn in ein Gespräch vertieft, zwischen den Leuten ausmachte. Ihre Hand legte sich behutsam auf seinen Unterarm und sie neigte den Kopf in seine Richtung, bevor sie ihn mit einem milden Lächeln von den älteren Herren fortführte. Ohne ein Wort des Vertröstens, wie es zur Etikette gehörte.

„Sie sehen mich an, als hätte ich ihn auf dem Gewissen“, raunte sie ihm zu und sah das spöttische Grinsen auf seinem Gesicht aus den Augenwinkeln genau. Dafür hasste sie ihn.

„Ich werde kandidieren, Liebste.“ Ihr Blick bohrte sich kühl in seinen und langsam schüttelte sie den Kopf.

„Das kannst du nicht tun. In diesem Fall wird man mir nur noch vehementer anrechnen, dass ich seinen Tod zu verschulden habe.“

„Vielleicht hast du das ja sogar, Astoria.“ Er raubte ihr den Atem. Nicht vor Begeisterung, nicht weil sie hemmungslos in ihn verliebt war – nein, eher weil sie ihn in noch keinem ihrer gemeinsamen zwanzig Jahre so derart verabscheut hatte wie in diesem Moment.
 

„Niemand wird dich wählen, Draco“, sagte sie leise und er warf ihr nur wieder diesen spöttischen Blick zu, dem sie ihm am liebsten aus dem Gesicht gewischt hätte. „Wir haben Geld und ich habe den Menschen mehr zu bieten als Potter oder Granger.“ „Weasley“, verbesserte sie ihn und löste ihren Arm von seinem. „Ich werde gehen. Mit den Kindern. Du kannst gerne bleiben und mit diesen Kesselflickern deinen Wahlkampf besprechen. Rita Kimmkorn ist übrigens auch da. Berichte ihr doch von deinen tollkühnen Plänen. Dann-“ Seine Lippen drückten sich auf ihre und erstickten ihren wütenden Redeschwall. Als er sich von ihr löste, lag ein Funkeln in seinen Augen. „Wirst du mich unterstützen, Astoria?“ Sie schnaubte und neigte ihren Kopf einen Hauch mokant. „Hab ich denn eine Wahl? Doch warte bis nach Weihnachten mit deiner Bekanntgabe. Ich möchte ein ruhiges Weihnachtsfest verbringen.“ Damit kehrte sie ihm den Rücken zu und verschwand schnellen Schrittes aus dem Raum.
 


 

Lily fühlte sich wund, immer dann, wenn er von ihr abließ. Zerstört bis in die Haarspitzen und verletzlich. Einmal war sie im Zirkus gewesen und obgleich seither ein ganzes Jahrzehnt vorübergezogen war, vollführte sie in diesen Tagen einen gefährlichen Drahtseilakt kaum anders als die Akrobatinnen, die sie damals beobachtet hatte. Wenn sie nur einmal den Fuß falsch aufsetzte, drohte sie unweigerlich in die Scherben zu treten, die ihr altes Ich verloren hatte. Er hatte sie verändert, wie es nur besondere Menschen vermochten. Und noch nie war sie einem wie ihm begegnet. Mephisto hatte ihr die Unschuld genommen und mit jedem Mal entfernte sie sich weiter von dem Mädchen, das sie einmal gewesen war. Lily Luna Potter lag hinter ihr – sie war es und dennoch nicht mehr dieselbe. Wenn man etwas Verbotenes tat, dann zerstückelte das die Seele. Doch bei ihr war mit dem ersten Mal seiner Berührung etwas auseinandergebrochen, ein Stück abgebrochen, das nun nicht mehr zu retten war. Das am Boden lag und dort leise mehr und mehr zu Staub zerfiel. Doch sie trauerte nicht darum.
 

Sein Kuss wurde intensiver und sein Körper schob sich näher an ihren, sodass es ihr verriet, wie ungeduldig er war. So wenig Aufmerksamkeit er ihr dieser Tage auch auf den Gängen oder im Unterricht schenkte, umso mehr bekam sie, wenn sie alleine waren. Seine Lippen fuhren über ihre Wange und weiter über ihren Hals, ihren Körper hinunter, während ihre Finger durch sein Haar fuhren. Sie liebte es. Und ließ sich fallen.
 


 

„Lily, verdammt, wach doch endlich auf!“ Sie lag in ihrem Bett. Ohne Mephisto, wie es sich immer gestaltete, sodass sie schon oft gezweifelt hatte, ob sie sich diese ganzen Treffen nicht einfach nur erträumt hatte. Ob sie nicht törichter Weise lediglich ihrer Fantasie entsprungen waren.

Lucy beugte sich über sie und in ihren Augen ließ sich Besorgnis lesen.

„Du kommst kaum noch zum Essen. Nicht, dass du untergewichtig wirst oder so.“ „Schlaf ist wichtig“, murmelte Lily und ihre Cousine schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Manchmal könnte man denken, du bist die ganze Nacht weg.“

Lily seufzte und schwang ihre Beine aus dem Bett.

„Und nun die riesengroße Überraschung“, sagte Lucy und klatschte freudig in die Hände. „Pass auf, du spielst heute!“

„Wie bitte?“ Lily sah Lucy an, als hätte diese den Verstand gänzlich verloren. Wo bitte sollte sie…? Und dann dachte sie an Mephisto.

„Was ist mit Chang?“, platzte es aus ihr heraus und Lucy schien von ihrem Stimmungswechsel leicht irritiert. „Die wurde heute Morgen ins St. Mungo eingewiesen, anscheinend ist sie ausgerutscht und zwei Treppen hinuntergefallen – aber jeder sagt was anderes.“ „Aber sie lebt noch, oder?“ Panik befiel sie und Lucy schien von Mal zu Mal um ihren Geisteszustand besorgter. „Natürlich, warum auch nicht? Los, zieh dich jetzt an, wir sind spät dran.“
 


 

Die Atmosphäre war überwältigend, knisternd und geladen. Man war in der Lage, die cholerische Spannung zu schmecken, den süßlichen Geruch der Vorfreude und der erregten Emotionen zu inhalieren. Und mit jedem Mal, an dem es Rose‘ Blick von Neuem zu den noch offenen Toren des Stadions zerrte, bemerkte sie die unablässigen Wellen von Schülern, Lehrern und geladenen Gästen, die nicht abzubrechen schienen. Man war über die Grenzen des Quidditchfeldes hinausgegangen. Das Ministerium hatte Unmengen von Galleonen in das Projekt des neuen Quidditchstadions für Hogwarts fließen lassen – Rose konnte sich noch genau an den Augenblick erinnern, als sie und Scorpius ihre Unterschrift als Schülervertreter unter das Pergament gesetzt hatten. Sie selbstverständlich nur widerwillig; immerhin gab es wohl wichtigere Dinge als Quidditch zu finanzieren. Das hatte sie gedacht. Und nun, Monate später, sollte ausgerechnet dieser Sport über ihre Zukunft entscheiden. Gestatten, Rose Weasley, das Opfer. Sie schluckte den fahlen Beigeschmack von Angst hinunter, der umso intensiver wurde, je näher sie die Möglichkeit in Betracht zog, dass Hogwarts an diesem Sonntag verlieren könnte. Insofern das der Fall wäre, würde alles so bleiben, wie es war. Doch sollten sie gewinnen, dann – das wusste sie genau – würde ihr Leben eine Perspektive bekommen, an die sie nie zu denken gewagt hatte. Sie wollte mit ihm ausgehen, sie hatte Gefühle für ihn – doch egal wie dringlich dieses Wollen auch wäre, nie würde es von allein über ihre Lippen kommen.
 

Leichter Schneefall setzte ein und Rose wünschte sich zutiefst, dass kein stärkeres Unwetter heranziehen würde. Obgleich Exfavilla aus dem Süden Europas wohl kaum je bei einer solchen Temperatur geschweige denn Schnee ein derart wichtiges Spiel bestritten hatte, wonach es sich durchaus als Vorteil für Hogwarts entpuppen könnte. Allerdings auch nur könnte. Rose wünschte sich Sicherheit. Sie wollte wissen, ob ihr Leben beginnen oder sich der provisorische Winterschlaf fortsetzen würde.
 

„Warum bitteschön sitzt ihr beiden hier?“ Es war Roxanne, deren lautes Organ über die Tribüne, auf der sie sich niedergelassen hatten - den einstweiligen Spielplatz unruhiger Erstklässler -, hinwegfegte. Sie gestikulierte wild und wenn immer sie Kinder anrempelten, verzog die Weasley ihr Gesicht, als übertrage diese Berührung die schlimmsten Krankheiten - Roxanne hasste Kinder.

„Wir finden es gemütlich“, rief ihr Alice grinsend entgegen und zuckte mit den Schultern, worauf Roxanne nur die Augen verdrehte. „Ihr gehört da oben hin. Auf die besten Plätze, der Elite – unter anderem unseren angereisten Eltern – gegenüber! Dome und alle sitzen schon oben.“

„War ja klar, dass die Veelabrut mal wieder weiß, wo sie hingehört“, murmelte die Longbottom Rose zu, welche ein Lächeln daraufhin nicht unterdrücken konnte. „Hört mal, ich kommentiere das Spiel und ihr werdet wahrscheinlich über die Bildschirme flimmern, weswegen es wichtig ist, dass ihr inmitten privilegierter Menschen sitzt und nicht in diesem Zirkus hier.“

„Wieso sollte man uns sehen?“, fragte Rose skeptisch und Roxanne schien kurz davor, sich die Haare zu raufen. Sie deutete auf Alice. „Freundin von Al“, ihr Finger wanderte weiter zu Rose, „Freundin von Malfoy.“

„Sind wir nicht.“ Alice schüttelte vehement den Kopf und die Weasley fügte gedanklich ein kleines leider hinzu. Roxanne blickte sie daraufhin an, als hätte sie es mit einer besonders schweren, ungehorsamen Brut zu tun und ihre Nasenflügel bebten bedrohlich. Sie hatte ihre eigene, beängstigende Interpretation des familienberühmten Molly Weasley Blicks.
 

„Ich habe keine Lust auf diesen Kindergarten, vielmehr weiß ich, wo ich hinwill und das sind die größten Stadien der Welt – nämlich als Quidditch Kommentatorin“, sagte sie trocken und ihre Augen wurden schmal. „Da werdet ihr beide mir nicht dazwischen funken, indem ihr so unkooperativ seid!“

Rose und Alice wechselten einen kurzen Blick, bevor ihr Widerwillen wegbrach. Ohnehin hätte die Weasley ihrer Cousine diesen Gefallen nicht abschlagen können, hatte diese sie doch schon unzählige Male ohne auch nur das kleinste Murren unterstützt.

„Wann wirst du uns denn einblenden lassen?“, fragte Alice argwöhnisch, als Roxanne schnellen Schrittes die Treppenstufen bis zur Loge emporsprang.

„Al und Malfoy werden viele Tore machen, ihr werdet jedoch nur ein oder zweimal zu sehen sein. Je nachdem. Wenn Lily den Schnatz fängt und wir gewinnen, dann fallt ihr euch am besten betrunken vor Glück in die Arme oder so.“

„Wieso Lily?“, warf Rose verwirrt ein und überging gekonnt den Rest des zuvor Gehörten. Darüber konnte sie sich immerhin noch die nächsten Minuten den Kopf zerbrechen. Roxanne drehte sich auf der Treppenstufe um und ein Blick wurde ihr zuteil, der sie für ihre Unaufmerksamkeit schalt.

„Noch nicht gehört, dass Chang mit einem Virus ins St. Mungo eingeliefert wurde? Also echt, wo lebt ihr denn? Die Ravenclaws sind nun gar nicht mehr im Team Hogwarts vertreten und gehen schon auf die Barrikaden oder wetten aus Trotz auf Exfavilla!“ „Keine Ahnung, wie uns der Schlamassel entgehen konnte“, erwiderte Alice spielerisch entsetzt.
 

Roxannes Augen funkelten, als sie sich nach gefühlten eintausend Treppenstufen - welche Rose‘ und Alice‘ miserable Kondition und Ausdauer zu verspotten schienen - erneut zu ihnen umdrehte und den Zauberstab auf eine stählerne Fassade richtete. „Bevor ich es vergesse, meine Guten – sollten wir gewinnen, dann wäre es am besten, wenn du, Alice, sofort hinunter rast und Albus auf dem Spielfeld abfängst, bevor die Mannschaft in die Kabinen entschwindet. Küsse ihn und biete den Zuschauern so die ganz große Show.“

Alice‘ entspannte Miene entgleiste und verhärtete sich in der zuvor rasch angenommenen Blässe des blanken Entsetzens. Rose erwartete, dass ihre Freundin Widerworte geben würde, doch Roxannes überraschende Aufforderung schien ihr die Stimme genommen zu haben.

„Und du, Rose“, der Weasley wurde zunehmend beängstigend warm. Natürlich. Es traf sie gleich mit. Touché. „Ich habe mit Malfoy abgesprochen, dass er nach dem Sieg bei dir vorbeifliegt. Ähm, mach dann bitte einfach mit.“

Rose konnte ein hysterisches Lachen nicht unterdrücken, als ihr ungläubiger Blick in Roxannes Ernsten raste und dort verweilte, ohne dass sie sagte, es sei alles lediglich ein alberner Scherz. „Wie abgesprochen? Und überhaupt – meine Eltern sind da, verdammt, Roxy, du kennst meinen Vater! Das kann ich nicht.“ Roxanne hob beschwichtigend die Hände, um ihr Einhalt zu gebieten, als wäre sie ein besonders trotziges Kleinkind.
 

„Seine Eltern sind auch da, Rose. Bei seinem Vater riskiert er damit den Tod oder die Enterbung – ganz anders als du. Und er will es trotzdem. Schon mal darüber nachgedacht?“ Rose‘ spürte, wie ihr Mund bei der bloßen Vorstellung staubtrocken wurde. „Vielleicht gewinnen wir ja gar nicht“, seufzte Roxanne, doch ihr Blick behielt die Eindringlichkeit der vergangenen Minuten bei. „Wieso machen wir das eigentlich alles?“, fragte Rose irritiert und besann sich zurück zu einem ernüchternden Gesichtsausdruck. „Diese Spiele werden international übertragen, weil es ein Turnier zwischen den größten Zaubererschulen der ganzen Welt ist. Die Leute wollen Entertainment. Und wir bieten ihnen die ganz große Show.“
 

Beunruhigt ließ sich Rose kurze Zeit später neben Dominique und Alice sinken. Der Schnee bedeckte nun schon in einer dicken Schicht das Spielfeld, ohne dass das Spiel überhaupt angefangen hatte und der Wind nahm zu, wurde rauer und erboster. Sie wickelte sich ihren langen Schal um und kniff dann die Augen zusammen, um zu sehen, wer ihnen in der Loge gegenüber saß. Doch der Schnee tanzte zu wild, sodass Rose nicht in der Lage war, ihre Eltern unter den Punkten auszumachen. Nicht auszudenken, wie ihr Vater zu reagieren vermochte, wenn sie urplötzlich Scorpius küsste. Bevor sie beim bloßen Gedanken daran den Kopf verlor, bemerkte sie das magische Fernglas, welches Dominique ihr hinhielt. Die Blondine lächelte ungewohnt herzlich, ganz anders, als wenn sie sich fernab der Ferien im Schloss begegneten – doch Rose schob es auf die kalte Jahreszeit und das baldige Weihnachtsfest, das Dominique jedes Jahr auf seine eigene Art verwandelte. „Ich habe leider nur noch eins, aber das Spiel wird ja ohnehin auf den Leinwänden übertragen“, meinte sie und kaum waren ihre die Worte über die Lippen gekommen, erschien auch schon Adrian Zabinis Kopf zwischen ihnen. Rose zuckte zurück und rutschte näher an Alice heran, während sich die Viertelveela gänzlich unbeeindruckt zeigte.

„Mein Vater hat die Leinwände mit konstruiert. Sie sind dem Tempo des Feuerblitz 3.0 angepasst, meine Schöne.“

„Und warum erzählst du mir das, Zabini?“

„Nur um dir zu zeigen, dass ich deinen kostspieligen Lebensstil finanzieren kann, Weasley.“

„Ich will Liebe, Zabini, und keine Galleonen. Doch versuch es mal bei Polly, die nimmt dich ja auch so“, lächelte Dominique kühl, bevor Adrian sich – im Ego wohl hundertfach verletzt – zurückzog.
 

„Okay“, murmelte Alice im selbigen Augenblick, ließ das Fernglas sinken und reichte es zu Rose hinüber. „Schau mal hindurch und sag mir, was da ganz und gar verkehrt läuft.“ Unbehaglich hob Rose das Objekt an ihr Auge und im ersten Moment fielen ihr keinerlei Besonderheiten an dem bekannten Bild auf. In der Loge ihnen gegenüber saß die Elite des Landes. Die Potters, die Weasleys – ein Großteil ihrer Familie also und beim Anblick ihres Vaters beschleunigte sich zugleich auch ihr Herzschlag, doch erst als sie ihr Augenmerk auf die anderen Personen lenkte, sah sie, was Alice wohl zuvor bestürzt hatte. Und wenn sie behaupten würde, das Bild ließe sie kalt, so wäre es eine überdimensional große Lüge gewesen. Nichtsdestotrotz – neben Astoria Malfoy saß niemand Geringeres als Jane Seymour.

„Das ist ja wohl ein klares Statement“, kommentiere Rose und reichte Alice das Fernglas zurück. „Ich glaube, das ist der passende Moment für ein paar Butterbier“, verkündete ihre beste Freundin und zog aus ihrer kleinen und verzauberten Umhängetasche mehrere Flaschen des beliebten Getränks.

„Wie schön, dass du schon damit anfängst“, grinste Dominique und zog zu Rose‘ Erstaunen ein durchsichtiges, noch halbvolles Gefäß hervor, in dem sich eine dunklere Flüssigkeit befand. Definitiv kein Wasser.

„Darf ich vorstellen, mein Freund Whiskey. Er ist sehr feurig“, stellte Dome ihr Mitbringsel augenzwinkernd vor.
 

„Eigentlich wolltest du doch nicht mehr trinken“, stichelte Rose, als Alice‘ Augen beim Anblick des Getränks blitzten, doch diese tat ihren Einwand nur mit einer schnellen Handbewegung ab. „Als ich es übertrieben habe, landete ich in Als Bett. Heute soll ich ihn vor der ganzen Welt küssen – man kann gar nicht soviel trinken, um das auch nur halbwegs zu überleben“, argumentierte Alice und nickte den Mädchen kurz daraufhin zu. „Cheers, Ladies.“ „Ist es schlimm, wenn ich nicht viel trinke, weil ich Herr über meine Sinne sein will, wenn Scorpius spielt und wir eventuell gewinnen?“, lachte Rose und nippte nur kurz an der Flasche, die Dome ihr gereicht hatte. „Es kommt wohl wirklich nicht so gut, wenn Malfoy dich küsst und dir urplötzlich-“
 

„Wer küsst wen?“ Rose verschluckte sich an dem winzigen Schlückchen, das ihr noch auf der Zunge lag und als sie über die Lehne blinzelte, sah sie geradewegs in Imogenes strahlend blaue Augen. Ihr Blick war irritiert und ihre Augenbrauen schoben sich mit jeder Sekunde besorgter zusammen, sodass ihre in leichte Falten gelegte Stirn den Argwohn ihrer Miene unterstrich. Rose erhaschte einen kurzen Blick auf Hugo, der sich hinter Imogene postiert hatte. Ihr fiel auf, wie oft sie die beiden in den vergangen Wochen zusammen gesehen hatte. Selten lachend, seltsam ernst hatten sie, wenn immer Rose Blick‘ auf diese ungewohnte Konstellation gefallen war, miteinander gesprochen. Manchmal Notizen in ein kleines Buch mit dunkelblauem Einband geschrieben. Manchmal auch lediglich schweigend nebeneinander gesessen. Rose war froh, dass es Imogene gab, die ein Auge auf ihren Bruder hatte. Sie kannte ihn viel zu lang, um sich auf seine neue Art, die er seit dem Sommer pflegte, wahrhaftig einzustellen. Zu akzeptieren, dass der Junge, welcher einmal jeden mit seinem trockenen, schwarzen Humor und den guten Witzen zum Lachen gebracht hatte, derart zerfallen war. Sie erkannte ihn kaum wieder. Auch an diesem Vormittag sah Hugo sie nicht an, sondern drückte sich an der vertrauen Seele Imogenes vorbei auf die hinteren Plätze. Sein Gesichtsausdruck war hart, doch er verbarg die Trauer darin zu schlecht. Die Frage nach seinem Zustand lag Rose schon auf der Zunge, doch da ergriff die junge Malfoy erneut das Wort.
 

„Seit wann küsst du denn meinen Bruder?“, lächelte Imogene zaghaft, doch es wirkte gespielt. Zu unecht. „Mach ich nicht. Er hat mich nur zu einem Date überredet, sollten wir heute gewinnen.“ Sie nickte und hingegen ihres inneren Bestrebens fügte sie hinzu: „Tun wir aber sicherlich eh nicht. Von daher.“ Obgleich Rose es hatte vermeiden wollen, wurde Imogenes Blick noch kummervoller. Sie schüttelte leicht den Kopf und ihr Lachen klang dumpfer als in der Vergangenheit. Als hätte sie auch die Gegenwart übersprungen und hätte die Identität einer alten Frau angenommen. Absurd. Skurril. Einfach nicht Imogene. „Er hat dich überredet. Ich glaub es kaum.“ Und mit jedem Atemzug wurde ihr Lachen kraftvoller, lauter. Bis es echt war und sorglos. „Das hab ich mir immer gewünscht“, grinste sie und binnen weniger Sekunden zerfiel ihr altes Ich wieder. Kummer und Sorgen strahlten Rose warm entgegen.

„Du gehörst zu den Mädchen, die sich in Hogwarts verlieben und bei dieser Liebe bleiben, oder?“

„Die Vorstellung gefällt mir“, entgegnete Rose wahrheitsgemäß und war sich dennoch nicht sicher, welch Schaden sie Imogene damit wirklich zufügte. Auch wenn sie sich keinen Reim auf deren Verfassung machen konnte. Was war mit dem Wirbelwind passiert? Der lebensfrohen, frechen Malfoy, die schon immer so anders gewesen war als der Rest ihrer Familie?

„Allerdings“, meldete sich Alice zu Wort und unterbrach so den Blickkontakt zwischen Rose und Imogene, da diese den Blick nun der Longbottom zuteil werden ließ, „reden wir hier immer noch von Malfoy und der geht bestimmt fremd. Cheers.“ „Er hat sie überredet“, wiederholte Imogene nur nachdenklich, bevor ihre wachsamen Augen nach Hugo sichten und ihn fanden. „Viel Spaß bei dem Spiel, Mädels.“
 

„Es ist der Auftakt einer grandiosen Quidditchweltmeisterschaft der größten und begehrtesten Zaubererschulen unserer Welt, meine Damen und Herren. In den nächsten sechs Monaten werden wir Zeugen spannender Spiele werde und das ist eine Premiere, denn zum ersten Mal können die Spiele international übertragen werden und so die Integration der Nationen und Schulen untereinander gestärkt werden. Das Eröffnungsspiel an diesem Tag bestreiten die Schule für Hexerei und Zauberei Hogwarts als Gastgeber und die renommierte Zaubererakademie für Magie Exfavilla!“
 

„O Merlin, bin ich aufgeregt“, flüsterte Alice, doch ihre Stimme ging in dem wild aufbrausenden Beifall und Gegröle unter, der sich über das Stadion ergoss, als wie aus dem Nichts ein Tiger majestätisch auf dem Grund des Spielfeldes erschien und in einem flammendem Rot alle Blick auf sich zog. Doch damit war die Showeinlage nicht zu Ende, denn im nächsten Moment vermehrte sich der Tiger und mehrere Frauen materialisierten sich jeweils aus einem feuerroten Funken, den die knurrenden Bestien abwarfen. Sie waren nackt bis auf die Feuerzungen, welche jedoch nur das Nötigste wie ein besonders knapper Bikini bedeckten. Sie tanzten auf grotesk verführerische Art.

„Sex sells“, knurrte Dominique achselzuckend und ihr Blick galt dabei abwertend Zabini, der diese Show sichtlich genoss. „Ich glaube, das würden wir nur übertreffen, wenn wir es auf dem Spielfeld treiben oder so“, murmelte Alice kopfschüttelnd und trank ihr Butterbier mit einem Zug leer. „Ich glaube, wir unterstreichen damit lediglich unser Image“, mutmaßte Rose und fasste die Tänzerinnen scharf ins Auge.

„Exfavilla will ausdrücken, wie heiß sie doch sind. Wir zeigen hingegen, dass die alten Werte noch Bestand haben.“ Hogwarts zog als Gastgeber mit weniger offen zur Schau getragenem Sexappeal auf das Feld – zuerst schlängelte sich eine riesige Schlange über den Platz, die ihre langen Zähne in zwei Tiger rammte, wonach diese sich auflösten. Es folgte der Adler, der Dachs und schließlich der Löwe. Und zum ersten Mal in ihrem Leben sah Rose die Tiere vereint, ohne dass sie untereinander verfeindet waren.
 

„Für Exfavilla spielen heute Edmondo Anelli, Luciano De Luca, Ana Gorki, Annibale Caro, Antonio Pucci, Liaty Pisani und Pio Baroja.“ Als die sieben Spieler an der Hälfte der Exfavilla Studenten und Lehrer vorbeiflogen, sprengten jene mit ihrem Geschrei den Lärmpegel, wie Rose es kaum erwartet hätte. Die wohlwollenden und sich im Beifall sonnenden Gesichter der Spieler flimmerten über die Leinwände und das Geschrei und Gekreische der Mädchen wuchs bei mindestens zwei jungen Männern ins Unermessliche. Bis Hogwarts am Zug war.

„Für Team Hogwarts treten an – Albus Potter, Scorpius Malfoy, Patricia McLaggen, Lorcan Scamander, Quirin Goyle, Fred Weasley und Lily Potter. Möge das Spiel schnellstmöglich beginnen.“ Nun waren es die Gryffindor, die Slytherin, die Ravenclaw und Hufflepuff, deren ohrenbetäubendes Theater ihrem Team galt.
 

Das Nächste, das Rose bewusst wahrnahm, war, dass sie aufstand, wie fast alle anderen in ihrer Umgebung auch. Sie ließ sich mitreißen von den Freudenschreien, wenn Hogwarts einen Treffer erzielte und obgleich ihre Augen nach etwa sechzig Minuten des haltlosen Schlagabtauschs schmerzten, da sich die Spieler in einem beängstigenden Tempo über das Feld bewegten, konnte sie dennoch, wenn immer sie wollte – und sie wollte unablässig -, Scorpius unter den Hogwarts Trikots ausmachen. Sie waren von dunkelblauer Farbe, während Exfavilla in knalligem gelborange spielte. Mit jeder Minute wuchs und gedieh der Funken Zuversicht in ihr, dass es einen Sieg für Hogwarts möglicherweise - und so unerwartet wie zuerst geglaubt – doch geben könnte. Bis sie sich daran klammerte. Ihr war keineswegs in den Sinn geschlichen, dass Albus und Scorpius zusammen spielen konnten, doch darin lag wohl die Überraschung für alle, wie Roxanne titelte, denn eher hätte man dagegen gewettet. Doch Potter und Malfoy bestritten dieses Spiel – sie waren perfekt aufeinander abgestimmt, schienen die Gedanken des jeweils anderen lesen zu können und bildeten dadurch das perfekte Duo. Als wären sie die besten Freunde und als hätte es die vergangenen Jahre der Feindschaft nie gegeben.
 

In der dreiundachtzigsten Minute stand es bereits 280 : 260 Punkten für Exfavilla und Lily erhaschte etwa zur selben Zeit den Blick auf den Schnatz wie der gegnerische Sucher Baroja, der sich zu allem Übel näher an dem Objekt der Begierde befand und ohne zu zögern in den Sturzflug ging, sodass ihre Cousine kaum eine Chance hätte, ihren Gegner noch einmal zu überholen. Rose schloss kurz die Augen und ihre Hände legten sich bei den zittrigsten Sekunden ihres Lebens bewegt an ihre Lippen. Es konnte nicht wahr sein. Sie konnten nicht verlieren! Und dann geschah etwas, dessen Ungereimtheit nur ihr aufzufallen schien. Denn während das Gekreische zunahm und Lily in den Genuss kam, Baroja zu überholen, schien es dieser zuvor gegen etwas Unsichtbares geflogen zu sein, das ihn fast vom Besen riss. Es war nur ein kurzer, knapper Moment, bis der Junge sich fing und Lily hinterherjagte, doch er war gleichsam zu lang – Lily fing den Schnatz und das Stadion explodierte.

Noch nie zuvor hatte ein Quidditchspiel sie derart in seinen Bann gezogen, wie an diesem Tag. Und als Rose Alice in die Arme fiel, bemerkte die Weasley, dass sie über die Leinwände flimmerten, kurz bevor ein Ausschnitt weinender Exfavilla-Mädchen gezeigt wurde.
 


 

„Gut gemacht, Potter.“ Er drehte sich zu ihr um und grinste sie an. Es war das typische, leicht verschmitzte ein- Mundwinkel-nach-oben- Grinsen, wie es nur ein Potter vermochte zu tun. Seine Hand flog zu seinem Haar und unnötigerweise durchfuhr er es erneut für den unablässigen Out of Bed Style. „Ich weiß, Alice. Ich hab’s raus.“ „Ich hab nicht gewusst, dass du so heiß auf einem Besen aussiehst.“ „Weil du mich immer heiß findest.“

Sie verdrehte die Augen, legte leicht den Kopf schief. „Du wusstest das Passwort von Hufflepuff nicht und hast mich deswegen letztes Wochenende in deinen Schlafsaal getragen, oder?“ „Das hab ich Fred erzählt, ja.“

Er fing ihren irritierten Blick auf und kam ein paar Schritte näher. „Als ob ich die Passwörter nicht wüsste, ich bitte dich.“ Er beugte sich zu ihr hinunter und sein süffisantes Lächeln massakrierte ihre Sinne.

„Es ist auch nicht so, dass ich mich am Tag danach nicht mehr an besondere Gespräche erinnern kann. Ich habe gesagt, ich liebe dich, Alice.“

Worauf sie nach einem Vortrag erwidert hatte, dass sie ihn liebe. O Merlin, dachte Alice als ihr die Erkenntnis, dass er es noch wusste, siedend heiß den Rücken hinab lief. „O Merlin.“ Eloquent wie immer. Und im nächsten Augenblick küsste Al sie so, als würde er sie lieben. Was er vielleicht auch tat oder irgendwann tun würde.
 


 

Er hatte sie überredet, dachte Imogene, als sie sah, wie ihr Bruder nach dem Spiel und dem tosenden Beifall bei ihr vorbeiflog. Rose und Scorpius. Weasley und Malfoy. Und sie war die Einzige, die heute schon sah, wie es einmal enden würde. Und während sie das Ende der Geschichte betrachtete, noch während der erste, richtige Kuss der Beiden vor ihrem Blickfeld verschwamm, weil sich Tränen in ihre Augen schlichen, begann für Rose Weasley das Leben.
 


 

„Ich habe Rose und Scorpius zusammengebracht – also, wo bleibt dein Dank?“ Sie konnte ihn sehen, spüren - seine Aura würde sie in allen Lebenslagen wiedererkennen. „Das heißt, die Prophezeiung geht in Erfüllung.“

Sie stützte die Hände in ihre schmale Hüfte und der nächste Blick, dem sie ihm über die Schulter hinweg zuwarf, verriet ihre Missbilligung über sein Schweigen. Er hätte sie töten können für ihre Überheblichkeit und Arroganz. „Was zusammengehört, wäre wohl auch ohne deine Fäden zusammengekommen, meinst du nicht?“ „Wäre es dir lieber gewesen, dein jämmerliches Betthäschen hätte gegen diesen Proleten verloren? Denkst du wirklich, du kannst alles gesund lecken?“ Sie spie ihm die Worte entgegen und er schlenderte gefährlich ruhig auf sie zu, bis er neben ihr stand. Sie beide, verborgen im Dickicht, entfernt von den feiernden Massen.

„Du erinnerst mich daran, dass ich noch zu ihr gehen wollte.“ Sie lachte monoton auf. „Warum nimmst du dir Lily Potter, Mephisto? Damit machst du alles unnötig kompliziert.“ „Ich mag es kompliziert.“ Sie schüttelte den Kopf, ihr langes Haar so wild. „Ich bin nicht in diesem Körper gefangen, um dir bei neuen Fehlern zuzusehen. Ich habe nicht zwanzig Jahre auf dich gewartet, um dir nichts mehr zu bedeuten.“

Er fühlte sich genötigt, etwas zu sagen, was sie aufheiterte. Denn er brauchte sie. Das schwarze Haar fiel ihm in die Augen, als er sich hinabbeugte. „Ich bin froh, dass du da bist, Galina.“
 


 

Note: Mein London-Trip hielt einige positive Effekte für AiL bereit: Unter anderem sah ich die perfekte Rose. Das war sie!

Dann traf ich noch Natalie Dormer im Globe Theatre - ihr kennt sie vielleicht aus "Die Tudors" als Anne Boleyn. Wir haben gequatscht und ein Foto gemacht (man war die nett!!) und nun seh ich sie noch mehr als zuvor in der Rolle der Imogene. :]
 

               

          

eleven

              
 

               

Noch nie zuvor war sie vom Himmel gefallen. Und selbst, wenn es bis zu jenem Tag keine Rolle gespielt hatte, ihr kaum in den Sinn geschlichen war, einfach zu den nichtigen Dingen des Lebens gehört hatte – dennoch wurde sich Rose Weasley in dem Moment, in dem sie die Schleier der Traumwelten, des puren Glücks, der Benebelung, hinter sich ließ und das wolkige, federleichte Nichts vom festen Boden unter ihren Füßen abgelöst wurde, bewusst, wie beruhigend und auf eine dringliche Weise doch notwendig es war, Jemanden zu haben, der einen auffing. Der dafür Sorge trug, dass man nicht brach. Und dieser Jemand war für sie Scorpius.
 

Sie waren geflogen, doch es war das erste Mal in ihrem Leben gewesen, dass sie keine Angst gehabt hatte, ihr könne auf einem Besen irgendetwas zustoßen. Sie hatte weder Klatscher, noch Quaffel fürchten müssen und auch wenn da noch der beunruhigende Höhefaktor gewesen war - es hatte sich alles als viel leichter zu ertragen dargestellt, insofern man sie nicht allein mit ihrem Schicksal ließ. Er beruhigte sie.
 

„Ich bin froh, dass ihr gewonnen habt“, flüsterte Rose und er lächelte vielsagend, so als hätte er es gewusst. Vielleicht hatte er das sogar, überlegte sie, denn nicht umsonst bekam ein Malfoy oftmals alles, was er wollte. Und hatte er nicht sie gewollt? Der Gedanke war absurd, doch je häufiger Rose ihn zuließ, umso mehr nahm er die Gestalt von etwas Wirklichem an.

„War mir klar“, bestätigte er ihre Vorahnung und das bekannte, leicht arrogante Grinsen zuckte ihm um die Lippen, bevor er sich langsam zu ihr hinunter beugte und seine Lippen mit ihren verschloss.
 

Doch manchmal verlor man den Halt, beugte sich zu weit nach hinten in die Sorglosigkeit eines Augenblicks und – „Rose!“ – fiel.
 

Sie löste sich von ihm, entzog sich seinem Griff, drängte ihn zurück, als wäre ihr ins Bewusstsein gerückt, wie fatal ihr Tun in der Öffentlichkeit eigentlich war. Doch zugleich bedauerte sie es, zutiefst. Rose erkannte die brüllende Stimme sofort. Sie kannte sie so gut, dass sie in jedem einzelnen Ton, jedes Mal, wenn er ihren Namen erneut rief, die Wut geradezu riechen konnte. Und als Rose den Blick aus Scorpius‘ irritiertem Gesicht wandte, sah sie ihren Vater in einem beängstigenden Tempo über das vereiste Quidditchfeld laufen. Selbst aus der noch reichlichen Entfernung erkannte sie seine margentarot angelaufenen Ohren und wäre er eine Comicfigur oder ein Drache gewesen, so hätte es sie keinesfalls gewundert, wenn Qualm oder Funken aus Ohren und Nase gesprüht wären. Doch auch ohne diesen Spezialeffekt wirkte ihr Vater weit mehr erzürnt, als sie ihn je in den vergangenen siebzehn Jahren gesehen hatte. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf ihre Mutter, die Ron Weasley zwar dicht auf den Fersen war, doch deren logische Argumente offensichtlich an ihm abzuprallen schienen. Zudem bemühte sie sich offenbar sehr, Haltung auf dem eisigen Feld zu bewahren.

Rose spürte, wie Scorpius leicht hinter ihr zurückwich; lediglich seine Schulter schob sich hinter ihre und doch war es ihr eine geradezu maßlos unpassende Aufforderung, sich alleine ihrem Vater zu stellen. Es war keinesfalls die Situation, um haltlos zu lachen, doch sie verspürte den Drang trotzdem. Das war es also. So unerwartet und nicht einmal drei Minuten nach dem Startschuss ihrer Beziehung – die noch gar nicht wirklich als solche zu bezeichnen war – mit Scorpius Malfoy.
 

„Dad“, sagte sie beschwichtigend, als ihre Eltern nur noch karge drei Meter von ihnen entfernt waren, doch Ron würdigte sie keines Blickes. Das böse Funkeln galt einzig und allein dem jungen Mann, der es wagte, sie zu küssen, anzufassen und – es gab Dinge, über die wollte Ronald Weasley einfach nicht nachdenken. Von seinem Namen erst gar nicht anzufangen.

„Rosie, weg von dem Jungen“, knurrte Ron und die neugierige Masse aus Schülern, welche sich nach dem Spiel auf dem Platz zusammengefunden hatten, um den Sieg der Hogwartsschule zu feiern, rückten kaum merklich näher an die Szenerie heran. Hermione lachte laut und unecht, um den Ernst der Lage zu vertuschen, doch das Interesse an dem Feuer fangenden Drama blieb ungehindert.

Als es zudem den Anschein erweckte, Ron würde weiter stürmen, sie zur Seite Drängen und sich Scorpius schnappen, sah Rose nur eine einzige Möglichkeit, ihrem Vater Einhalt zu gebieten. Ihre Hand rutschte in ihre Manteltasche und als sie den Zauberstab zog und ihm drohend vor die Nasenspitze hielt, wich er tatsächlich zurück. „Daddy, beruhige dich. Es liegt mir fern, dir wehzutun, aber-“
 

Das Lachen ihrer Mutter erreichte neue Oktaven, als sie endlich die Schulter ihres Mannes zu fassen bekam und sich an ihm vorbeidrängte, nur um im selben Atemzug den Zauberstab ihrer Tochter hinunter zudrücken. „Die Show ist vorbei. Wir würden einen gewissen Grad an Privatsphäre schätzen“, teilte sie der sensationsheischenden – allen voran selbstverständlich Natalie Bordman – Schülermenge zwinkernd mit, bevor ihr Lächeln erlosch, als sie sich erneut zu ihrem Ehegatten drehte.

„Ronald Weasley“, begann sie zähneknirschend, „Was denkst du dir eigentlich?“ „Was denkt er sich? Er ist ein Malfoy!“, erwiderte Ron trotzig und selbst, wenn Hermiones Gesichtsausdruck einschüchternd, gar bitterböse über sein Verhalten war und sie ihn schon etliche Male damit zum Verstummen gebracht hatte – es war der Moment gekommen, in dem er außer Stande war, etwas anderes zu tun als seiner Frau Paroli zu bieten.

„In welcher Zeit leben wir denn? Ron, ich bitte dich. Sei vernünftig! Deine Tochter ist alt genug, um eigenständig zu entscheiden, mit wem-“

„Was, Hermione?“ Rons Augenbraue wanderte merklich interessiert in die Höhe, während ihm die Spuren der Auseinandersetzung fleckig und in einem saftigen Rotton im Gesicht standen. „Was kann sie alleine entscheiden?“

Hermione seufzte. „Mit wem sie zusammen ist, Ronald. Mit wem sie ihre Zeit verbringt. All das.“

„Dad“, fügte Rose vorsichtig hinzu und ihr Blick verriet ihr Unbehagen über die Situation, das sich auf Scorpius‘ Gesicht wiederspiegelte. „Du musst dir keine Sorgen machen. Scorpius ist gut und -“

„Davon wirst du dich an Weihnachten selbst überzeugen können“, warf Hermione prompt ein und krallte ihre Finger in Rons Unterarm, sodass er die stumme Drohung wohl selbst durch die dicke Winterjacke spüren konnte, die ihm davon abriet, jegliche Einwände zu erheben. „Wir haben mit Hugo gesprochen und er hatte deine reizende Schwester dabei. Wir konnten gar nicht anders, als sie für den 26.Dezember zu uns einzuladen“, erklärte Hermione Weasley Scorpius lächelnd und Ron fügte dem inbrünstig hinzu: „Imogene ist sehr nett.“

Gleichsam bedeutete sein Blick dem jungen Malfoy aber auch, dass diese Einschätzung nur für seine Schwester galt.

„Du bist auch ganz herzlich eingeladen. Wir würden uns freuen.“

„Dad sieht ganz danach aus“, murmelte Rose sarkastisch, doch Scorpius schüttelte bereits ihrer Mutter die Hand und versicherte ihr, es wäre ihm das größte Vergnügen und ihm käme es keineswegs in den Sinn, diese Einladung auszuschlagen. Warum auch, dachte Rose mit einem skeptischen Blick auf ihren griesgrämig dreinblickenden Vater, es war ja immerhin nur er, der mit der Vorstellung ganz und gar nicht zufrieden schien.
 


 


 

Du hast gesagt, das war eine einmalige Sache!“, rief Fred hitzig und sein Geschrei hallte von den Wänden ihrer Mannschaftskabine wieder. Albus zog sich das Trikot über den Kopf und warf seinem besten Freund einen entnervten Blick zu. „Bleib locker.“

„Deine scheiß Nummer macht alles kaputt, aber du kannst es dir ja leisten“, sagte Fred und der abfällige Unterton, der in seiner Stimme einherging, bewegte Albus dazu, ihm einen weiteren, teils gar leicht irritierten Blick zu widmen, bevor ihn eine still lodernde, noch unterdrückte Wut gänzlich ergriff. „Wo liegt dein Problem?“, fragte er ruhig und ließ sich auf die Bank sinken, unentwegt zu dem tobenden Fred aufschauend. Es stand außer Frage, dass es besser war, wenn er ihn nicht aus den Augen ließ.

„Ich hätte nur nie gedacht, dass du unsere Freundschaft so leichtfällig aufs Spiel setzt – das ist alles“, antwortete Fred resignierend und fuhr sich durch das fuchsige Haar, so genervt und unverstanden, dass Albus sich ungewohnt schnell herausgefordert fühlte. Er hatte Alice Longbottom geküsst – na und? Es war das zweite Mal in seinem Leben gewesen, obgleich das erste Mal fast nicht zu werten galt, da es im zarten Alter von zwölf Jahren aufgrund einer Knutschpraline gewesen war. O, und im dritten Jahr noch einmal, aber bei dieser Begebenheit hatte das Muggelspiel namens Wahrheit oder Pflicht eine entscheidende Rolle getragen. Okay, dreimal. Simple dreimal und davon war lediglich das letzte Mal – vor wenigen Minuten – bedeutend.
 

„Sie kam zu mir“, erwiderte Al wortkarg, denn ihm lagen schlichtweg zu viel falsche, verletzende Worte auf der Zunge und ihn widerte die Vorstellung, ihm stünde eine ähnliche Show wie mit Lily eine Woche zuvor bevor, an. Fred schenkte ihm ein fehlerhaftes und erlogenes Lachen, ehe er nach seiner Tasche griff.

„Und was waren dann die zahllosen ‚O, Alice, ich liebe dich‘?“

„Du hast doch noch darüber gelacht! Was ist überhaupt los mit dir?“

„Fragst du mich das wirklich?“

Noch nie in den vielen vergangenen Jahren, die sie als beste Freunde, als Rumtreiber zugebracht hatten, war ihm Fred so fremd gewesen wie in diesem Moment. Die Heiterkeit und der Witz waren aus seinem Gesicht verschwunden; all das, all jene Eigenschaften, die Fred bis dahin ausgemacht hatten. Obwohl Albus wusste, wessen Name sein bester Freund trug, war ihm noch nie zuvor in den Sinn gekommen, dass er die Unbeschwertheit und das Leben für den Witz, für das Spiel, für den Streich nur angenommen hatte, um seinem Vater zu gefallen. George Weasley vermisste seinen verstorbenen Zwillingsbruder noch in demselben Maße, als lägen nicht mehr als zwanzig Jahre zwischen dessen Tod und dem Jetzt - sondern als wäre die Wunde frisch, erst ein paar Wochen und Monate alt. Das Los eines Zwillings, der allein zurückblieb. Auch wenn George längst wusste, wie man den Schmerz überspielte, das Glück an erste Stelle lockte und dort festhielt.

„Es hat keinen Zweck“, meinte Fred schließlich und schüttelte kapitulierend den Kopf, bevor er sich die Tasche lässig über die Schulter warf und hinausstürmte.
 

„Schon mal daran gedacht, dass er vielleicht in Longbottom verliebt ist?“, fragte Scorpius ruhig und Al konnte nicht umhin, ihm einen argwöhnischen Blick zuzuwerfen. „Das wüsste ich wahrscheinlich.“

Ein amüsierter Ausdruck legte sich auf Malfoys Gesicht und als er die Augenbrauen herausfordernd in die Höhe zog, war sich Albus seiner Annahme nur noch zum Teil sicher. Nur noch ein kläglicher Rest war von dem großen Berg der Überzeugung übrig, nachdem Scorpius als stummer Zuschauer des Szenarios das Wort ergriffen hatte. Doch dem jungen Potter lag nichts ferner, als sich den Kopf über Fred zu zerbrechen, der von ihm verlangte, Alice den Rücken zu kehren. Er konnte nicht. Um genau zu sein, war er außer Stande ihm jegliche Bitten um sie zu erfüllen, insofern Fred sie je ihm gegenüber äußern würde und gesetzt dem Fall, Scorpius hätte mit seiner Vermutung Recht. Vielleicht, wenn er sie nicht geküsst hätte, dann wäre es einfacher gewesen.

Doch sein Herz schmiss man nicht weg.
 


 


 

Lily Luna Potter versuchte sich an das letzte Mal zu erinnern, an dem sie sich so dermaßen gelangweilt hatte - obgleich sie von Menschen umgeben war, die ihr Schicksal ganz und gar nicht zu teilen schienen. Die ausgelassen tanzten und tranken, an interessanten Gesprächen teilnahmen oder sich von den lustigsten Anekdoten der Lehrkörper berieseln ließen. Jeder in der Großen Halle schien sich besser auf Slughorns persönlicher Party, die er zu Ehren der Gastschulen ausrichtete und die den traditionellen Weihnachtsball ersetzte, zu amüsieren als sie. Dabei hatte sie Feste dieser Art doch immer so geliebt. Wie im Märchen war sie sich die ersten Jahre lang vorgekommen, wenn immer sie in einem wunderschönen Kleid die Treppe hinunter geschritten war. Doch an diesem Abend, der letzten Nacht vor den Weihnachtsferien, verspürte sie keinerlei Drang den üblichen Beschäftigungen nachzugehen. Nein, sie wollte etwas anderes. Ihr Blick huschte suchend über die mittig gelegene Tanzfläche, weiter über die Grüppchen aus Schülern und Lehrern und letztendlich über die runden Tische, überall im Saal. Schließlich wurde sie belohnt – indem ihre Augen ihn fanden.
 

Er hing auf einem Stuhl und drehte sein Glas so nachdenklich in seinen Händen, dass Lily am liebsten zu ihm gegangen wäre, sich neben ihn gesetzt und ihn gefragt hätte, was ihn bedrückte. Denn mittlerweile unterschied sie die wenigen Emotionen, die alldieweil über sein Gesicht strichen, perfekt voneinander. Und sie wusste, dass Mephisto sein Leben suchte. Abschnitte aus ihm, wie sie glaubte, die ihm entfallen waren, wie er meinte. Doch ihre Intuition riet Lily manchmal - in stillen Nächten allein -, dass weit mehr dahinter stecken musste, als er zugab. Und die ungeliebte Paranoia versuchte ihr einzureden, dass er nicht Cygnus Doyle war. Was absurd war. Idiotisch. Eine so törichte Idee!

Lily stockte der Atem, als sie beobachtete, wie eine schlanke Silhouette sich zu ihm an den Tisch gesellte. Ihre Hand nonchalant vor ihm platzierte, sich in sein Blickfeld schob; wie sein Blick zu ihr hoch wanderte. Ihr Kleid trug die Farbe des nächtlichen Himmels und ihr dunkles Haar fiel ihr voluminös über den Rücken. Sie gehörte zu den Frauen, die einen am eigenen Neid ersticken ließen. Lily fühlte sich unfähig, den Blick abzuwenden, selbst als die Eifersucht ihr Herz zum Splittern brachte.
 

„Wow, ich hab mich selten so gut amüsiert!“ Imogenes Stimme erreichte sie nur zäh, als befände sich eine Mauer zwischen ihnen, wie Lily bemerkte, als sie sich verzweifelt bemühte, ihrer Freundin die nötige Aufmerksamkeit zu schenken und allen voran nicht in Tränen auszubrechen. Die Malfoy schwärmte, tänzelte umher - doch das Bild von Mephisto und diesem Mädchen hatte sich in ihre Hornhaut gebrannt und massakrierte ihr Herz beständig weiter mit endlosen Messerstichen. „Imogene“, flüsterte Lily atemlos und kniff die Augen zusammen, um wieder Herr ihrer Sinne zu werden. Abrupt verstummte ihre Freundin und Besorgnis schlich sich auf ihr makelloses Gesicht. „Wer ist die Frau da drüben bei Professor Doyle?“ Sie hätte nicht fragen dürfen, schon allein, da Imogene zu klug war, um keinen Verdacht zu schöpfen. Imogene schaute in die Richtung, die sie ihr zuwies und eine Augenbraue wanderte in die Höhe, doch ihre Antwort kam schnell.

„Das ist Galina Kuprin, Schülersprecherin aus Durmstrang. Die offensichtlich gerade einen Lehrer anmacht – wo gibt’s denn sowas?“ Imogene verzog angewidert das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Er sieht zwar gut aus, aber man flirtet doch nicht mit einem Professor und dann auch noch in aller Öffentlichkeit!“

Lily verschluckte sich an dem Getränk, das sie einfach aus Imogenes Hand entwendet hatte, und hustete unbeabsichtigt stark los. Verräterisch. Sodass die Malfoy ihr einen skeptischen Blick zuwarf.

„Weshalb interessiert dich das überhaupt?“ Lily hob abwehrend die Hände und versuchte eine Unschuldsmiene, doch ihre Gedanken kreisten um Galina Kuprin – die sie natürlich schon einmal gesehen hatte – und Mephisto. Und ihr Herz brannte weiter. „Du verhältst dich sehr seltsam, Lily“, sagte Imogene nach ein paar Sekunden und die Potter biss sich auf die Lippe. Am liebsten hätte sie sich ihr anvertraut, doch sie durfte nicht. Niemand durfte davon erfahren.
 

„Es ist nichts“, setzte sie an, doch dann kam ihr ein anderer Gedanke in den Sinn. „Ich verberge genauso wenig vor dir, wie du vor mir.“

Lily vermutete bei dem Funken Unbehaglichkeit auf Imogenes Miene zu Recht, dass sie beide mit den gleichen Karten spielten. Keinesfalls waren der Potter die vielen Treffen zwischen Imogene und Hugo entgangen. Ihr Gewissen fühlte sich im nächsten Moment viel leichter an, denn sie hatte sich nichts vorzuwerfen, oder? Und die Eifersucht, die soviel Wut genährt hatte, kam trügerisch an die Oberfläche, verführte sie zur Unbedachtheit, gar Überheblichkeit.

„Weißt du, wenn du mir je die Wahrheit über Hugos Probleme und eure Geheimnisse anvertraust, dann spiele auch ich mit offenen Karten.“ Lily stürzte das süße Getränk hinunter und drückte der verdutzten Imogene das Glas in die Hand, bevor sie ihr bodenlanges Ballkleid raffte und geradewegs auf den Tisch zu lief, an dem Galina und Mephisto noch immer miteinander redeten. Als sie an ihnen vorbeiging, warf sie ihm keinen weiteren Blick zu, denn wenn er ihr nicht ohnehin folgen würde, dann hätte sie sich arg verschätzt. Fast spürte sie, wie sich Galina Kuprins haltloser Zorn wie ein giftiger Stich in ihren Rücken bohrte.
 

„Was machst du in den Ferien?“, lächelte sie und er legte den Kopf schief, grinsend, so als wäre ihre Frage albern, vielleicht auch kindisch. „Ich werde reisen“, erwiderte Mephisto leichthin und küsste ihren Hals, doch sie hielt ihn zurück. „Hab ich oft gemacht, bevor ich in Beauxbatons anfing“, fügte er hinzu - ungeduldig, fast wie ein Tier. Lily lächelte. „Auf der Suche nach Erinnerungen?“

Sein Kopf schnellte in die Höhe und da er sich eh zu ihr hinunter gebeugt hatte, berührten sich ihre Nasenspitzen. Fassungslosigkeit glitzerte ihr entgegen und sie zuckte entschuldigend mit den Achseln. „Du kommst mir vor wie ein halber Mensch - dem etwas fehlt.“ Und sie würde ihn vermissen. Die Tage in London würden so halbherzig von ihr geführt werden, weil ihr Herzstück aus dem zersplitterten Ding in ihrer Brust ganz woanders war.

„Ich suche tatsächlich nach ein paar Bruchstücken“, gab er zögerlich zu und Lily hatte das Gefühl, als würde er sich ihr das erste Mal wirklich öffnen. Als würde er es nicht immer nur von ihr verlangen. „Doch du bringst mir manches zurück.“ „Das ist doch schön“, erwiderte sie leise und er grinste, bevor er sie küsste. Leidenschaftlich zart und so gleichsam so besitzergreifend, dass ihr Herzstück einen Moment aus dem Takt kam.

Sie vergaß ihn in dieser Nacht nach Galina Kuprin zu fragen und auch am nächsten Morgen, bevor sie nach London abreiste, sodass die mysteriöse, schöne Galina sich erst wieder in ihre Gedanken nistete, als Lily allein in ihrem Zimmer saß und die großen Regentropfen beobachtete, die gegen ihre Fensterscheiben knallten. Als wäre ein Zauber von ihr abgefallen.
 


 


 

Albus Potter war kein Fan von Weihnachten, doch noch mehr als das Fest der Liebe verabscheute er die paar Tage davor, die seine werte Mutter damit verbrachte, die unter ihren Fittichen stehenden Potters und Weasleys dazu zu verdonnern, ihr mit zahllosen Zimmern versehenes Haus auf Vordermann zu bringen. Denn selbstverständlich hatten sie keine Hauselfen – wie auch bei einer Tante, die B.Elfe.R ins Leben gerufen hatte?

Da Hermione, Ron und die anderen Berufstätigen diese paar Tage gleich seinem Vater im Ministerium verbrachten, aßen die Kinder im Hause der Potters und waren dazu verdammt, im Haushalt mitzuhelfen, was soviel bedeutete, wie sich die Hacken wund zu schuften. Insofern seine Mom genügend Aufgaben vorbereitet hatte, um sie von fragwürdigen Freizeitbeschäftigungen, wie dem simplen Spaßhaben, abzuhalten. Ginny Potter wusste, wie man sie am besten terrorisierte und ihre Stimmung würde wohl erst lockerer werden, wenn sein Bruder James irgendwann auf der Türschwelle erschien und die gesamte Familie Weihnachten feiern konnte. Albus seufzte. Er verabscheute diese Zeit, wie wahr. Zudem wechselten Fred und er seit Tagen kaum ein Wort miteinander.
 

Rose und Albus schnappten sich an einem besonders heiklen Tag, den beide nicht gerne mit Putzen zubringen wollten den Schlüssel für den Dachboden und verzogen sich klammheimlich von den anderen – was zwar kaum unbemerkt bleiben würde, aber das war es ihnen wert.

Auf dem Dachboden lagen, seit Albus gedenken konnte, die Unikate einer längst vergangenen Zeit. Man fand den größten Schrott und ekliges Getier, doch gleichsam gut standen die Chancen, etwas hervorzuzaubern, das weit mehr Bedeutung hatte. Hier oben hatte sein Vater viele Habseligkeiten seiner Eltern, die nach der Großen Schlacht von Hogwarts aufgetaucht waren, vergraben. Allesamt verpackt in Muggelumzugskartons und mit einer meterdicken Staubschicht verziert. Tatsächlich hatte Albus einmal von seiner Mutter in einer ruhigen Minute die Geschichte erzählt bekommen, dass nach Voldemorts endgültigem Fall die Mysteriumsabteilung des Zaubereiministeriums Objekte freigegeben hatte, die man der dringlichen Notwendigkeit nach, seit der Nacht des 31.Oktobers 1981 aufbewahrt hatte. Ginny hatte sich mit Grauen daran zurückerinnert, wie sein Vater bei dem Anblick eines verwahrten, längst vergangenen Lebens reagiert hatte – für Harry war es mehr als unverständlich gewesen, dass man alles aus dem Haus in Godric‘s Hollow aufbewahrt hatte. Jedes Möbelstück, jede Garnitur. Harry Potters Kinderbett. Sogar ein Stück Teppich, auf dem Lily Potter tot aufgekommen war. Albus hielt es noch immer für makaber. Und er wusste nicht, was seinen Vater nach diesen Dingen dazu bewegt hatte, trotzdem noch für das Ministerium zu arbeiten. Bitter bedachte er den Umstand, dass Harry Potter sogar im Begriff war, Zaubereiminister zu werden.
 

Er warf einen Blick über die Schulter und sah, wie Rose schon begeistert den Staub von einem Buchdeckel wischte, bevor sie sich vorsichtig im Schaukelstuhl der ersten Lily Potter niederließ und es aufschlug. Für Rose war dieser Dachboden das Bücherparadies schlechthin.

Doch Albus zog es weiter, viel weiter. In die hinterste, verstaubteste Ecke. Er tauchte hinter einem massiven Eichenholzschrank unter, der seines Wissens einmal Sirius Black gehört hatte, und schlich vorsichtig weiter über schwere Teppiche. Der aufwirbelnde Staub kitzelte ihn in der Nase, doch es störte ihn nicht. Denn eine Kiste, ähnlich einer Truhe, in der Piraten ihre Schätze aufbewahrten, übte eine verstörende Faszination auf ihn aus. Er hatte die Magie geschmeckt, die unweigerlich von ihr ausgegangen war und ihn angelockt hatte. Vorsichtig ließ er sich vor ihr nieder und öffnete sie. Ein Knarren ertönte, eines dieser unheilvoll langgezogenen Geräusche, die in Muggelfilmen immer Anzeichen dafür waren, dass im nächsten Moment etwas Außergewöhnliches erscheinen würde. Doch ihm blitzten keine Galleonen entgegen, lediglich verstaubte Antiquitäten – auf den ersten Blick. Albus griff nach einem kleinen Kasten und identifizierte ihn schließlich als Spieluhr.

„Rose, komm mal her“, rief er nur und klappte das Kästchen mit dem Daumen auf. Kein Knarren – nichts. Nur eine seltsam wunderliche Melodie, die ertönte, und einen Faden der Erinnerung bei ihm hinterließ. Die Töne waren schön – keine Frage, und als Rose sich neben ihn hockte, stand ihr die Verwirrung geradezu ins Gesicht geschrieben. „Was ist das für eine Truhe, Al?“

„Ich habe keine Ahnung“, erwiderte er wahrheitsgemäß, doch im selben Moment kam ihm eine Idee. „Was meinst du, könnte ich die hier Alice zu Weihnachten schenken?“ Rose nahm ihm die Spieluhr aus der Hand und drehte sie zwischen ihren Fingern, suchte jeden Zentimeter ab und schließlich legte sich ein leicht triumphierender Ausdruck auf ihr Gesicht. „Schau“, befahl sie schlicht und er bemerkte die zwei kleinen Buchstaben, welche in das Holz der Schatulle graviert worden waren. So klein, dass er sie übersehen hätte.

„LE“, sagte er wissend und Rose nickte. „Lily Evans.“ Ein ehrliches Lächeln zierte Rose‘ Gesicht, als sie sagte: „Du weißt schon, dass man Erbstücke gewöhnlich nur der Frau schenkt, die man zu heiraten gedenkt?“ Al bemerkte, wie ihm unbehaglich zumute wurde, als seine Cousine ihm diesen Blick der unterdrückten Begeisterung zuwarf – Alice war immerhin ihre beste Freundin. Er zuckte mit den Schultern, doch stellte die Spieluhr neben sich ab. Er würde sie ihr schenken; mochte Rose es interpretieren, wie sie wollte.
 

Ein spitzer Aufschrei riss ihn aus der Contenance und erschrocken blickte Albus zu Rose, die ein dickes Buch aus der Truhe genommen hatte und nun auf ihre Knie legte – als wäre es eine außerordentliche Kostbarkeit. Ihr Atem ging unregelmäßig und Albus verdrehte die Augen – es war schon etliche Male Zeuge geworden, wie Rose wegen eines Wälzers hyperventilierte. Seine Cousine schloss kurz die Augen und flüsterte dann mit erstickter Stimme: „Das ist eine Erstausgabe von Geschichte der Zauberei von Bathilda Bagshot! O bei Merlin, Al, die muss unglaublich wertvoll sein!“ Ihre Ohren wurden vor Begeisterung ganz rot, während Albus nur den Mund verzog – Bücher widerten ihn in etwa so sehr an wie die Weihnachtsfeiertage. Doch als Rose jäh verstummte, irritierte ihn das unweigerlich. Er sah, wie sie schluckte und auf die erste Seite starrte, bis sie ihm schweigend das Buch in den Schoß legte und er las.
 

Für die Rose, die mir so ähnlich ist, deren Liebe über die Grenzen verwischt. LP
 

Albus fühlte, wie sein Mund staubtrocken wurde und er blätterte die Seiten nacheinander um – hunderte Seiten auf der Suche nach einer weiteren Botschaft, bis ihm ein Datum in die Augen fiel, das ihn stutzen ließ. „Wann ist Bathilda Bagshot gestorben, Rose?“ „Im Jahr 1997, allerdings wurde ihre Leiche erst Monate später entdeckt und man fand Spuren, die darauf hindeuteten, dass sie schwarz-magisch missbraucht wurden ist, was widerum-“

Um ihre Geschichtsstunde zu unterbrechen, hob Albus kurz die Hand und als er den Blick hob, bemerkte Rose, wie ihm der Schweiß auf der Stirn stand. „Wie kommt es dann, dass es in diesem Buch noch Kapitel über die 'Schlacht von Hogwarts', 'Voldemorts Fall' und den 'Aufbau des Ministeriums in der neuen Magischen Welt' gibt?“ Seine Stimme überschlug sich und brach jäh ab. Kein Quidditchspiel der Welt hatte es geschafft, in ihm die Angst hochköcheln zu lassen – ein verstaubtes Buch schon. Rose griff danach, klappte es zu und legte es weg von ihnen, bevor sie sich mit zusammengekniffenen Augen dem restlichen Inhalt der Truhe zuwandte. Albus konnte trotz aller Warnungen seiner Eltern vor womöglich schwarz-magischen Objekten nicht anders, als sich ebenfalls über die Schätze zu beugen. Er erhaschte den Blick auf mehrere dünne, rote Bände und zog eines hervor. Als er es aufschlug, bestätigte sich seine Vermutung, dass es ein Tagebuch war, und er blätterte bis zur ersten Seite in Erwartung einer Widmung – und blieb nicht enttäuscht, während sich ihm der Magen umdrehte.

Gewidmet: Albus Potter“, las er leise und mit trockener Stimme Rose vor, die sofort inne hielt. Er runzelte die Stirn bei der Zeile, die etwas kleiner darunter gekrakelt wurden war: „Dein Zweitname ist hoffentlich nur ein schlechter Scherz.

Er musste nicht weiterlesen, um zu wissen, wer in dieses Buch geschrieben hatte – wem es gehört hatte. James Potter, seinem Großvater – einzig und allein er musste der Verfasser gewesen sein. Was nur noch mehr Rätsel aufgab. Er blätterte weiter und las die nächsten Abschnitte nicht mehr laut vor.
 

Krones klägliche Versuche eines Tagesbuches. Jahr III. Wie man ein Animagus wird.
 

Albus‘ Hand zitterte, als er das eine Wort las, welches ihn schon immer so sehr fasziniert hatte. Die Animagusverwandlung gehörte zu den schwersten magischen Zaubern überhaupt und in Hogwarts fand man keinerlei Bücher mehr darüber – selbst wenn er glaubte, in McGonagalls Büro fündig zu werden. Die bloße Vorstellung, seine Gestalt beliebig in die eines Tieres zu verwandeln, begeisterte ihn. Und in seinen Händen lag ein Exemplar, das ihm keiner nehmen konnte und das ihm genaue Anweisungen liefern könnte, sich diesen Kindheitstraum zu erfüllen. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Seltsamerweise war es nicht Fred, den er gedachte, in diese Sache mit einzuweihen.

„Scorpius kommt dich doch bald besuchen, oder irre ich mich?“, fragte er Rose und als seine Augen sich auf ihre Gestalt legten, sah er den entsetzten Ausdruck auf ihrem Gesicht und schielte hinunter zu dem Objekt in ihren Händen. Zuerst dachte er, es sei ein Schwangerschaftstest oder dergleichen, doch dann erkannte er es als etwas anderes. „Pass bloß auf, das ist ein magisches Taschenmesser – wer weiß, was das Ding im nächsten Moment auspackt!“, warnte Albus sie, doch Rose zeigte einen weiteren Moment lang keine Reaktion, bis –
 

Tatze vererbt es dem mutigsten Slytherin und besten Malfoy.
 

„Na, wenigstens hast du jetzt auch ein Weihnachtsgeschenk für ihn“, scherzte Albus, doch sein Kopf schmerzte ihm. Das war zu viel – viel zu viel Unerklärliches auf einmal. „Merlin“, schrie Rose plötzlich und raufte sich die Haare, sodass sich Staub in ihren dunkelroten Wellen verfing. „Ich versteh das nicht! Das ist ganz und gar nicht logisch! Es kann doch nicht sein, dass wir hier Sachen finden, die mehrere Jahrzehnte alt sind und die uns vererbt wurden, obwohl James, Lily, Sirius – alle – keine Ahnung davon gehabt haben konnten, dass wir einmal existieren werden.“ Das Unwissen bereitete ihr sichtliches Unbehagen und Albus hätte ihr zu gern geholfen, dieses Rätsel aufzuschlüsseln, doch sein Kopf ließ keine logischen Gedankengänge zu. „Ich meine“, setzte Rose verzweifelt an und blickte auf das Buch der Geschichte der Zauberei. „Das kann nicht möglich sein! Und wieso finden wir diese Truhe erst jetzt?“

Ihre Blicke kreuzten sich, als zwischen ihnen ganz langsam ein Fetzen Pergament hinunter segelte. Albus und Rose rissen die Köpfe nach oben, doch da war nichts. Nichts außer den Dachschrägen. Jedem das Seine zur richtigen Zeit, stand in kursiver Schreibschrift auf dem kleinen Stück Papier. Sie kommunizierten mit dem Himmel.
 


 


 

„Könnte ich dich eigentlich begleiten?“

Ihre leise gestellte Frage durchbrach die Stille zwischen ihnen und Imogene beobachtete aufmerksam, wie sich Hugos Blick fokussierte und ihr zuteil wurde. Sie spürte sein übliches Misstrauen, das er noch immer nicht abgelegt hatte, diesmal mischte es dich jedoch mit einer Prise Amüsement und sie unterdrückte ein theatralisches Seufzen. Mehr und mehr titulierte sie sein ihr -eher widerwillig - entgegengebrachtes Vertrauen als schweren Fehler seinerseits, denn Kooperation lag Hugo Weasley ganz und gar nicht. Mittlerweile schalt sie sich sogar schon selbst für ihre unangebrachte Neugier. Denn seit sie in sein düsteres Geheimnis eingeweiht worden war, hatte sich ihr Leben nur unnötig verkompliziert.

„Das kannst du nicht“, meinte er und verzichtete darauf, hinzuzufügen, dass er sie selbst im Falle, diese Möglichkeit - ihn in den Träumen zu begleiten - bestünde, wohl kaum mitnehmen würde. Imogene senkte geknickt den Blick und überflog erneut die vielen unsauber dahingekrakelten Worte im kleinen Notizbuch erneut. Sie hatte ihn angewiesen, eines anzulegen, um einen besseren Überblick über die Träume zu erhalten und vielleicht durch eine Sammlung zur Rätsels Lösung zu gelangen. Doch je öfter sie die Wortgruppen unter dem Überbegriff Rose las, umso mehr betrübten sie ihre Sinne.

„Lily distanziert sich“, murmelte sie schließlich traurig und klappte das Buch zu. Seit Rose und ihr Bruder ein Paar waren, zerriss der bloße Gedanke daran, Hugos Traum könne sich erfüllen, ihr Herz. Er schloss es keinesfalls aus, dass noch Jemand bei ihr war.

„Ich hatte es im Gefühl“, bestätigte Hugo nachdenklich. „Nur das erklärt die Träume mit Lily noch lange nicht.“ Imogene wusste, dass der Weasley gesehen hatte, wie Lilys Seele schwarz wurde, wie sie sich für die falsche Seite entschied, doch noch immer war ihr Glaube an das Gegenteil ungebrochen. Sie wollte sich ablenken, doch allein mit einem schweigsamen Hugo in dessen Zimmer, treib sie dazu, sich nur auf die graue Zukunft zu besinnen. „Es ist albern“, begann sie zögerlich, doch als Hugo keine Reaktion zeigte, fuhr sie fort. „Aber bei Slughorns Party erschien es mir fast so, als hätte sie Interesse an Professor Doyle. Das ist albern.“
 

Umsichtig schlug sie das Buch erneut auf und blätterte ein paar Seiten vor. Hugo hatte auch andere Träume, doch anstelle die mit Lily zu lesen, widmete sie sich der Rubrik Sonstiges. „Du träumst von Hirschen? Das klingt doch fast normal.“ „Einem Hirsch“, berichtigte sie Hugo leise und fügte hinzu: „Wenn sie nicht alle eine Bedeutung hätten, wäre es vielleicht normal.“ Imogene seufzte und las sich zum wiederholten Male die Wortgruppen über die ständig wiederkehrenden Träume mit Rose durch. Hugo hatte alles aufgeschrieben, an das er sich hatte erinnern können – wolkengleiche Wände, strahlend blau; weicher Teppichboden und ein riesiger Halbmond, der in der Ecke schwebte. Dahinter hatte er ein großes Fragezeichen gemalt. Die verspielte Innenarchitektur rührte an ihren Gedanken. Es gab ein großes, bodenlanges Fenster – vielleicht auch zwei, Fragezeichen – und an dem einen stand Rose. Unverkennbar. Die Sonne ging langsam unter und man hatte den freien Blick auf den ansehnlichsten Springbrunnen. Majestätisch ragte er hervor und sprühte Wasser umher. Die Wasserelfen tanzten und tauchten unter. Imogene spürte, wie sich in ihr etwas regte, wenn immer sie diese Worte las, doch ein Schleier verbarg ihr die Sicht.
 

Bis Tumult auf der Treppe Hugo und sie aus den Gedanken lockte. Sie setzte sich auf und rechnete damit, dass gleich Jemand hineinstürmen würde – und sie behielt Recht. Ginny Potter stürmte blind vor Freude in Hugos Zimmer hinein und zog Jemanden, der sie um mehrere Köpfe überragte, hinter sich her. Imogenes Herz setzte beim Anblick des jungen Mannes aus.

„Hugolein, schau, wer endlich da ist! James!“ Ihre vor Stolz blitzenden Augen und die grenzenlose Glückseligkeit hatte Imogene zuvor noch bei keiner Mutter in diesem Ausmaß gesehen. Aus den Augenwinkeln musterte sie den durchaus gutaussehenden James Sirius Potter, der sich nun zu Hugo, der auf dem Bett fläzte, hinunter beugte und ihn mit unsagbarer Leichtigkeit mit einer Hand auf die Füße zog. Und sie sah Hugo strahlen – zum ersten Mal wirklich. „Deine Freundin?“, grinste James schließlich und warf Imogene einen lässigen Blick zu. Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen kroch und sah verlegen weg. Normalerweise fehlten ihr nie die schlagfertigen Antworten. „Das ist meine gute Freundin Imogene Malfoy“, stellte Hugo sie vor und James hielt ihr seine Hand hin, die sie nur zögerlich ergriff und schüttelte.

Zwei Dinge wurden ihr klar, als sie in James Potters Augen sah. Zum einen, dass das Gefühl in ihr ganz klar kindliche Schwärmerei in den Schatten stellte. Und zum anderen klärten sich mit einem Mal ihre Sinne, als hätte er sie in die Wirklichkeit gezogen. Imogene wusste, wohin Hugo täglichen in seinen Träumen verschwand. Sie wusste plötzlich, was es nur sein konnte. Es war ein Kinderzimmer. In Malfoy Manor.

twelve

            
 

               

Das schummrige Licht zog seine leichten, gleichmäßig hellen Streifen über den ansonsten so dunklen Parkettboden des Flures und gerade als Rose der Vergleich mit den Fäden eines Spinnennetzes in den Sinn schlich, packte er ihren Arm und drückte sie gegen die nächstgelegene Wand. Sein Griff lockerte sich nur merklich und wie er da so vor ihr lehnte und seine Gestalt ihr Blickfeld vollends für sich beanspruchte, fühlte sich die Weasley jäh an einen dieser Filme erinnert, in denen sich ungezählt oft genau dieselbe Szene abspielte. Die Symptome der Hauptprotagonistin teilte sie unumstritten – Herzklopfen, Atemlosigkeit und Verlangen. Und als er sie küsste, da war es ihr Film. Ihr eigenes, delikates Klischee.
 

„Sag bloß, deshalb wolltest du mir helfen, den Tisch abzuräumen“, murmelte sie schwach und in ihrer Stimme schwang ein amüsierter Unterton mit. Die Teller schwebten noch immer zu beiden Seiten von ihnen im Raum und dass der Zauber noch konstant war, ging eindeutig auf Scorpius‘ Rechnung. Denn während es für ihn ein Leichtes war, ihr die Sinne mit einem Kuss zu rauben und sogleich auch die Konzentration, behielt er seine eigene stets bei. Um Schlimmes zu vermeiden; unaufmerksam zu sein und im schlimmsten Falle Hermione Weasleys teures Porzellan zerschellen zu lassen.

„Zwei Stunden lang habe ich mich zusammengerissen“, flüsterte er grinsend, obgleich die Stimmen im Wohnzimmer um einiges lauter waren und sie nicht Gefahr liefen, von den angeheiterten Gästen der Party gehört oder gestört zu werden – insofern nicht in den nächsten Minuten eine weltuntergangsgleiche Katastrophe wie das zur Neige gehen des Feuerwhiskeys ausbrach. „Zudem noch diese grässliche unterdrückte, sexuelle Spannung zwischen den Geschlechtern“, fuhr er fort und titulierte sie mit einem lüsternen Blick. „Fred sah aus, als würde er gleich über den Tisch springen und Alice vernaschen, was zum größten Massaker seit den Koboldaufständen ausgeartet wäre. Ein ähnliches Unterfangen hätte es gegeben, wenn Albus sie angefasst hätte – dann von Freds Seite aus. Roxanne, die Kommentatorin der giftigen Blicke und Übersetzerin des Knurren und Grunzens, hätte das wohl begrüßt.“
 

Er legte den Kopf schräg und hielt inne, nur um Rose‘ erheitertem Lachen zu lauschen. Es war seltsam, wie ein paar Gläser Alkohol die Gemüter verändern konnten – sicher, Rose hatte genügend davon gehört, gesehen und miterlebt – aber wenn Scorpius getrunken hatte, dann redete er mehr. Etwas, das sie von Scorpius Malfoy, dem Pionier der ein-Wort-Sätze und knappen Wortgruppen, niemals gedacht hätte. Doch ihr gefiel sein schwarzer Humor – wie fast alles an ihm. Okay, das fast ließ sich durchaus streichen.

Und dann gab es etwas, das Rose so seltsam schwerelos und glücklich werden ließ, dass sie überzeugt war, wirklich in Scorpius Malfoy verliebt zu sein – nämlich das Gefühl, dass er ihre Familie mochte. Sie alle. Vielleicht war der Gedanke gar nicht so absurd, wie sie immer geglaubt hatte.
 

„Roxanne ist dafür bekannt, das hauseigene Radio und die Entertainerin der Familie zu sein. Sie will die Quidditchweltmeisterschaften moderieren und die nächste Rita Kimmkorn werden – nur in nett und mit besserer Recherche“, erklärte Rose leichthin und Scorpius schnaubte entgeistert über die rosigen Zukunftswünsche einer Sechzehnjährigen, deren präziser Lebensplan seinen eigenen um Weiten zu übersteigen schien. „So wie die drauf ist, schafft sie das mit Sicherheit“, urteilte er so knapp, dass Rose nur lächelnd nickte.

„Aber Hugo überrascht mich, er ist so ausgelassen wie schon seit Monaten nicht mehr. Und das alles ist James‘ großartiges Verschulden.“

„Um ehrlich zu sein, starrt er mir ein bisschen zu oft auf Imogene.“ „Wirklich?“, Rose setzte eine überraschte Miene auf, bevor ihr ein böser Gedanke kam. „Nun ja, James ist ein Frauenheld und will sie wohl für seine Sammlung.“ Scorpius‘ blasses Gesicht verlor jeglichen Funken Leben und die Rothaarige neigte amüsiert den Kopf, während sie am liebsten ätschi bätsch oder eine ähnliche Banalität ausgerufen hätte.

„Das größte Massaker seit den Koboldaufständen - Nummer Drei“, sagte sie stattdessen und der Malfoy verdrehte nur die Augen, bevor er ihr einen Kuss auf die Nasenspitze hauchte und ihr Gesicht in seine Hände nahm. „James würde sie nie anfassen; sie ist doch erst fünfzehn“, wisperte sie sanft und schmunzelte. „Also sind Fred und Albus die einzigen, die sich heute in traditioneller Muggel Manier prügeln werden.“ „Mit Sicherheit.“
 

Er benetzte ihr Schlüsselbein mit Küssen und Rose schloss die Augen, während sie ihm durch das blonde Haar fuhr – bis ein Räuspern sie auseinanderfahren ließ. Ihr Vater stand mit verschränkten Armen im Türrahmen zur Küche und beobachtete die beiden mit hochgezogenen Augenbrauen. Dabei schwang er so lässig den Zauberstab und behielt das Porzellan in der Luft - das wohl zu Fallen gedroht hatte, da sein Auftauchen Scorpius‘ Konzentration wohl mehr als alles erdenklich andere plädiert hatte.
 

„Hat mich gleich gewundert, dass Geschirrabräumen neuerdings so lange dauert“, knurrte Ronald Weasley und selbst im dumpfen Lichtschein konnte Rose erkennen, wie dunkelrot seine Ohren waren. Kein gutes Zeichen. „Mitkommen“, bellte Ron auch sogleich und die beiden folgten ihm in die Küche, in der ihre Mutter und Tante Fleur den Abwasch fachmännisch geteilt hatten – ohne sich die Hände schmutzig zu machen.

„Deine Tochter knutscht mit diesem Jungen im dunklen Flur rum!“, rief ihr Vater Hermione fuchsteufelwild entgegen, nachdem sich die Tür geschlossen hatte. Anstelle ihrer Mutter, welche nur die Augen verdrehte und Ron einen mahnenden Blick der Sorte – Reg dich ab, oder du schläfst auf der Couch – zuwarf, war es Fleur, die ihm eine verbale Erwiderung zuteil werden ließ: „O, Ron, ein Mann in deinem Alter sollte so ein Wort wie knutschen nischt me’r in den Mund ne’men.“

„Wenn es schon so weit ist“, keifte Ron ihr entgegen und gestikulierte wild, „Dann ist es nur noch ein winziger Schritt bis das in einer Besenkammer oder so endet!“ Seine Miene zu eben jener Prophezeiung war so düster, dass Fleur ein glockenhelles Lachen ausstieß. „Aber waren wir nischt schon alle mal in einer Besenkammer?“, fragte sie stattdessen und warf Scorpius einen kurzen Blick zu. „Den Geschichten zufolge wird ein Malfoy doch erst in einer Besenkammer gezeugt.“ Sie schien sich köstlich zu amüsieren und auch Rose konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, während Ron und Scorpius nun den entarteten Gesichtsausdruck teilten.

„Genug von Besenkammern“, sagte Hermione schließlich und Rons Gebärden entspannte sich nur zum Teil.

„Was willst du mal werden, Junge?“

„Das musst du nischt fragen“, fuhr Fleur dazwischen, „Ein Malfoy ist reisch und eine gute Partie für unsere Familie.“ In diesem Moment erinnerte ihre Tante Rose mehr denn je an Dominique, denn auch für jene schien der Name beziehungsweise der Grad der Verliessicherheit bei Gringotts ausschlaggebend für Akzeptanz oder nicht. Doch demnach stand Scorpius hoch im Kurs – also warum nicht?

„Ich wollte immer Auror werden“, sagte Scorpius langsam und während Ron ihn mit einem fast anerkennenden Blick bedachte, mischte sich Fleur erneut ein. „Drecksarbeit und kein Lo’n für das Schuften. Zudem gibt es in unserer Zeit doch gar keine Verbrechen me’r!“ „Das sagt mein Vater auch – zu wenig Arbeit, ziemlich dreckig und miese Bezahlung.“

„Im Aurorenbüro wurde das meiste Geld gespart“, warf Ron ein und nickte, als wäre das Traurigste dabei, dass er es nicht hatte verhindern können. „Aber in den letzten zwanzig Jahren gingen die Verbrechen soweit zurück, dass man lieber in andere Zweige investierte als in die Zauberer Sicherheit.“
 

Einen kurzen Augenblick lang herrschte Stille, in der sie hörten, wie die Haustür ins Schloss fiel und kurz darauf stürmte Bill in die Küche.

„Es wurden zwei neue Leichen gefunden“, sagte er im Vorbeigehen zu Ron, und Rose zog scharf die Luft ein. Scorpius nahm ihre Hand. Und sie wusste, ihrem Vater wäre es fortan egal, ob sie Händchenhalten oder in einer Besenkammer verschwinden würden – solange er wusste, dass sie an diesem Ort sicher war und nicht tot irgendwo angeschwemmt wurde. Bei der bloßen Vorstellung durchfuhr ein Zittern ihren Körper.

Bill küsste Fleur kurz, bevor er sich wieder zu seinem Bruder wandte. Ihr Onkel war ein Arbeitstier, doch hätte er sich wohl auch etwas Angenehmeres vorstellen können, als an Weihnachten jene Information zu bekommen.

„Ich muss sofort mit Harry sprechen“, sagte er und Ron nickte, doch Hermione schüttelte den Kopf.

„Er ist das erste Mal seit nun schon Monaten sorglos und verbringt ein wenig Zeit mit Ginny und den Kindern. Nichts für ungut, Fleur.“

Ihre Tante zuckte mit den Schultern. „Bill und isch hatten schon viele Wei’nachten mit den Kindern. Die Zeiten ‘aben sich nun mal verändert.“

„Okay, dann komme ich mit“, meinte Ron und durchquerte den Raum, um seine Jacke von einer Stuhllehne zu ziehen und danach kurz zu seiner Frau zu gehen. „Ich muss mir das ansehen, Harry und ich haben immerhin schon die letzten beiden Mädchen gefunden.“ Die beiden Frauen nickten, doch Rose fühlte immer noch bleierne Übelkeit im Magen. Niemals könnte sie ihren Mann – vielleicht, wirklich nur vielleicht, wäre es sogar Scorpius – so einfach verabschieden.
 

„Werd‘ Auror“, rief Ron zum Abschied Scorpius zu, „Denn ich hab das Gefühl, als würde es sich in den nächsten Jahren wieder lohnen.“
 


 


 

Vielleicht irgendwann würde sie es bereuen, Hugo nicht gleich von ihrer Eingebung erzählt zu haben. Von ihrem Wissen, von ihrer plötzlicher Sicherheit, dass er seit Monaten in seinen Träumen ein Zimmer in Malfoy Manor aufsuchte und dieses dem Anschein nach eines für Kinder war. Ein Kinderzimmer würde unweigerlich bedeuten, dass ihr Bruder und Rose in weniger als vier Jahren Eltern sein würden und Imogene war sich der Absurdität dieser Sache durchaus bewusst – Scorpius gehörte nicht zu denen, welche sich mit Siebzehn für ein Leben lang festlegten. Eigentlich nicht.

Sie stieß ein kleines Seufzen aus und ein schwaches Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, als sie Hugo beobachtete. In den letzten Monaten hatte sie ihn nie derart losgelöst von Problemen und Sorgen gesehen – doch ihr gefiel der Anblick. Ihr gefiel das, was James Potter als einzigem gelang – Hugo Vergessen zu lassen. Ihn an das Jetzt zu erinnern und die Zukunft außer Acht zu lassen. Und in diesem Moment wünschte sich auch Imogene nichts mehr, als Vergessen zu können. Das Notizbüchlein, die Zukunft, Hugo, einfach alles. Imogene wünschte sich ihre alte Schwerelosigkeit zurück. Und verfluchte ihre Neugier, die sie damals an Hugos Tisch getrieben hatte. Und verfluchte sich selbst, wenn immer sie so dachte.
 

Vielleicht irgendwann bekäme sie ihr einstiges Selbst zurück. Vielleicht irgendwann auch ihr Herz. Denn das hatte sich sogleich eben jener James Potter geschnappt, der Hugo für den Moment gerettet und an den sie nie einen Gedanken verschwendet hatte. Wenn sie nun versuchte, die Stücke zusammenzuraufen, welche sie mit ihm in Verbindung brachte, dann kam dabei lediglich zu Tage, dass James gleich seinem jüngeren Bruder ein Rumtreiber gewesen war – vielleicht sogar noch um Längen schlimmer – und seiner Zeit in Hogwarts eine Art Dealer gewesen sein musste. Ja, sie war sich fast sicher, dass James und seine Freunde Wood und Jordan das Erbe des Ted Lupin ohne Weiteres angenommen und illegale Substanzen unter Filchs Nase ins Schloss geschmuggelt hatten. Doch was hatte er sie schon damals interessiert? Albus war viel jünger und viel süßer gewesen – ihrer kindlichen Meinung her.
 

Vielleicht irgendwann wäre sich die junge Malfoy im Klaren darüber, was sie dazu bewogen hatte, ihn überhaupt anzusehen und damit diese Lawine aus Gefühlen loszulassen. Vielleicht irgendwann.
 

„Ist deine Freundin immer so ruhig?“, fragte James und grinste sie über den Tisch hinweg verschmitzt an, sodass Imogene unweigerlich spürte, wie eine gnadenlose Röte in ihre Wangen kroch. Doch sie war immerhin eine Malfoy. Also hob sie etwas den Kopf und richtete sich auf ihrem Stuhl auf. Genau der richtige Hauch von Arroganz – hoffte sie.

„Meine beste Freundin“, berichtigte Hugo sachlich und fügte mit einem weiteren Blick auf James stirnrunzelnd hinzu: „Das ist aber kein Freifahrtschein für dich.“ James lachte nur und kippte die kristallene Flüssigkeit seines Glases hinunter, bevor Hugo seufzend aufstand, um ihnen neuen Fusel zu holen. Sodass sie sich allein gegenübersaßen. Ohne den Weasley, der eine Art hilfreicher Puffer gewesen war und es elegant vermieden hatte, dass sie in Versuchung kamen, ein Wörtchen zu wechseln. Es war Imogene nur Recht gewesen, dass die beiden pausenlos geredet hatten und sie herum gekommen war, sich am Gespräch zu beteiligen. Doch nun….

„Mein Kumpel findet deine Mum scharf“, sagte James – und etwas derart Unpassendes hätte Imogene ihm nie zugetraut, weshalb sie nur verblüfft eine Augenbraue nach oben zog, bevor ihr wirklich bewusst wurde, was er soeben gesagt hatte. „Toll“, entgegnete sie reserviert und James Potters Grinsen wurde breiter, während er sich über den Tisch ein wenig zu ihr hinüber lehnte. „Aber ich stehe eher auf blond.“ Ihr Lächeln erstarb. Sie hatte sich in einen Volltrottel verliebt – nicht schonwieder!
 

„Pass mal auf, Potter“, begann sie – vielleicht einen Hauch zu aggressiv. „Entweder du änderst deine Taktik oder du sprichst mich nie wieder an, kapiert? Immerhin bin ich eine Malfoy.“ „Auf den Satz habe ich gewartet – wirklich verdammt sexy.“ Imogene wusste, egal was sie tun würde; sein Grinsen würde sich intensivieren und es haushoch überleben.

„Halt den Mund“, sagte sie stattdessen schlicht, doch ihre klägliche Bemühung war ihm zu wenig. „Jetzt wo dein Bruder zahm ist, solltest du doch diejenige sein, die auf dem Tisch tanzt, oder?“

„Die Schuhe einer Malfoy sind zu teuer, um sie dem gemeinen Volk auf eine derartige Weise zu offenbaren“, erwiderte sie unbescheiden - ihrem Sinn nach auch zu snobistisch, doch würde sie ihn wohl kaum anders los - und ihr Blick durchbohrte seinen – der zu ihrer Überraschung äußerst amüsiert schien. „Interessant“, murmelte er langsam. „Es ist einfach, dich aus der Reserve zu locken.“ Alldieweil das Grinsen auf seinem Gesicht unentwegt blitzte, schienen ihre Augenbrauen in der Höhe festgewachsen zu sein. Nicht anders konnte man ihr immer gleiches Mienenspiel interpretieren. James war der Spieler und sie war blindlings darauf hereingefallen.

„Du bildest dir viel auf dein hübsches Gesicht ein, oder, Potter?“

„Wie alt bist du, Imogene?“ Sie verdrehte die Augen, da er lieber ein neues Thema anschnitt, als ihre Frage zu beantworten. „Warum interessiert dich das?“ „Ich will mich nicht strafbar machen.“ „Fünfzehn, genau wie deine Schwester.“ „Also könnten wir erst in zwei Jahren heiraten“, grinste James und zwinkerte ihr zu, sodass sie gegen ihren Willen noch röter wurde – insofern noch möglich. „Wohl kaum“, murmelte sie sacht und neigte den Kopf. „Du bist viel zu alt für mich.“ Er zog eine Augenbraue in die Höhe und schien amüsierter vom Weg ihres Gespräches denn je. „Nur das?“
 

Imogene zuckte nachdenklich mit den Schultern und nahm einen Schluck aus ihrem Glas, wobei ihr auffiel, dass Hugo schon verdächtig lange am Tisch seines Onkels stand und dort weilte. Ihr Blick kreuzte sich mit dem forschenden Lilys, doch sie wich ihm aus. Ihre Freundschaft stand ohnehin vor einem Wendepunkt, doch wusste sie noch nicht, ob es negativ oder eher positiv für ihre Beziehung ausfallen würde – das läge letztendlich bei der Potter selbst. Die so verliebt in diesen Doyle schien; doch Imogene war sich dessen seltsam unsicher. Vielleicht bildete sie sich seit dem Weihnachtsdinner auch nur allerhand ein?
 

„Weil ich zu viel mit mir herumtrage“, erwiderte sie leise und wich seinem Blick aus, der ihren so vehement einfangen wollte. Doch sie konnte und wollte sich nicht in ihm verlieren. Potter und Malfoy? Also bitte. Allein die Vorstellung war so absurd, dass Imogene nicht wusste, warum sie wirklich sagte, was ihr in den Sinn schlich. Warum sie sich ausgerechnet ihm anvertraute. „Vielleicht irgendwann würde ich dich ansonsten heiraten, Potter.“

Als sie ihn im nächsten Moment ansah, schien er teils überrascht, jedoch auch eine Spur neugierig oder gar verblüfft über ihre Aussage zu sein.

„Wir könnten aber auch mit einem Date anfangen“, meinte er schließlich und diesmal lag etwas in seinem Grinsen, das Imogene dort das erste Mal fand. Und doch wusste sie es nicht zu benennen. Vielleicht Scheu – aber bei Potter? „In zwei Jahren dann“, lächelte sie leicht und er nickte.
 

Vielleicht irgendwann würde sie für immer aus diesem Albtraum erwachen, aus dem James sie für ein paar Minuten gerissen hatte. Vielleicht irgendwann. Doch nicht in dieser Nacht; als Hugo sich wieder zu ihnen an den Tisch gesellte und sie lediglich vereinzelte, nicht unbedeutende Blicke tauschten. Vielleicht irgendwann würde sie ihn heiraten – und da sie es nicht glaubte, konnte sie auch unbehelligt darüber lachen. Potter und Malfoy – also bitte. Aber vielleicht. Irgendwann.
 


 


 

„Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwann Dreißig zu sein“, flüsterte Alice abrupt in die Dunkelheit und Rose, welche schon fast ins Tief der haltlosen Träume gerutscht wäre, blinzelte zu der Gestalt hinunter, die neben ihrem Bett auf einer Matratze lag und die Hände auf den Bauch gebettet und die Finger ineinander verschlungen hatte. Keine Spur von Müdigkeit blitzte ihr aus ihrem Gesicht entgegen. „Ich habe mal gehört, dass, wenn man nicht in der Lage ist, sich etwas Zukünftiges vorzustellen, man dann zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr leben wird. Was hältst du davon, Rose?“

Um ehrlich zu sein, verspürte die Rothaarige in diesem Moment keinen Drang mehr, als ihr Kissen geradewegs ins Gesicht der Longbottom zu schleudern. Es war drei Uhr morgens und sie wollte schlafen. Ein kleines Seufzen entwich ihrer Kehle, bevor sie sich eine Antwort überlegte. Favorisierend eine, die nicht dazu einlud, bis fünf Uhr morgens mit Alice zu diskutieren.

„Wenn das stimmt, dann werde ich nicht mal Einundzwanzig, Alice“, knurrte Rose. „Es ist doch ganz normal, dass man sich manche Sachen nicht vorstellen kann, insofern man nicht Dominique heißt und es ansprechend findet, mit einem Mister Gesichtslos vorm Traualtar zu stehen.“

„Ich kann mir aber alles andere vorstellen“, beharrte die Longbottom und Rose verschwendete klägliche Sekunden damit, eine Liste aller alkoholischer Getränke aufzustellen, die ihre Freundin an dem Abend getrunken hatte – mit der Erkenntnis, dass sie nüchtern sein musste. Sie setzte sich in ihrem Bett auf. „Wenn du so weitermachst, sorge ich mich noch wirklich um deinen Geisteszustand.“

„Nur weil ich mir Gedanken um die Zukunft mache?“

„Nenn mir einen plausiblen Grund, weshalb die Zukunft für uns nicht rosig aussehen sollte!“
 

Alice verzog missgelaunt ihren Mund und griff beherzt neben sich, um die Spieluhr hervorzuziehen – die Al ihr offensichtlich wirklich zu Weihnachten geschenkt hatte. Unbehaglichkeit kroch in Rose‘ Kehle hinauf, als sie zur Seite rutschte, damit Alice das Objekt auf ihrem Bett platzieren konnte. Noch immer war es ihr ein Rätsel, wie diese ganzen Sachen - von Harry unbemerkt - in ihren Besitz gelangen konnten. Ihr Gefühl hatte sich alarmierend zu Wort gemeldet, als sie Scorpius das Taschenmesser gegeben hatte – denn wie man es auch drehte und wendete, es konnte nicht sein, dass die Vergangenheit gewusst hatte, dass es sie alle einmal geben würde. Rose stieß bei diesem Geheimnis an ihre Grenzen. Und das gefiel ihr nicht.

„Das klingt seltsam, ich weiß“, fuhr Alice beharrlich fort und schüttelte dessen ungeachtet den Kopf, als wolle sie alle Zweifel abschütteln. „Aber ich glaube, mit diesen Erbstücken stimmt etwas nicht. Albus sagte, dass ihr sie auf dem Dachboden der Potters gefunden habt und es dort oben etwas für ihn, dich und sogar für Scorpius gab – nur frage ich mich, wie das sein kann.“

„Ja, ich weiß“, murmelte Rose matt und lehnte sich an die Wand, da die Müdigkeit ihre Sinne zu übermahnen schien.

„Ich glaube nicht, dass es Zufall war, dass sie Euch zugespielt wurden. Ich glaube, das war alles haarklein geplant. Okay, das war eigentlich nur so ein Gefühl, als Al mir diese Spieluhr überreicht hat. Doch wenn immer ich sie anfasse, wird mir unbehaglicher zu Mute.“

„Schwarze Magie?“ „Definitiv. Und wenn nicht - dann Magie, die nur den Besten von uns möglich ist. Weißt du, Sirius Black hat viel länger gelebt als James und Lily Potter – also vielleicht hat er die Sachen aufbewahrt und nachdem er zurück beim Grimmauldplace war, hat er schätzungsweise hundert Zauber auf sie gelegt.“

„Dagegen spricht, dass er ermordet wurde und bestimmt nicht gewusst hat, dass seine Zeit gezählt ist. Zauber lösen sich, wenn ihr Urheber stirbt. Zudem konnte er nicht wissen, dass Voldemort wirklich fällt.“

„Was wäre, wenn sie eine Möglichkeit gefunden hätten, einen Blick in die Zukunft zu werfen?“ Rose verdrehte die Augen. „Das geht nicht.“

„Weil es in keinem Buch steht, geht es nicht, ja?“ Die Longbottom seufzte und hob entschuldigend die Hand. „Ich denke nur, dass wir es nicht so einfach hinnehmen sollten. Wir sind in einer Welt aufgewachsen, in der Schwarze Magie kein Thema war, aber das heißt nicht, dass sie für immer begraben ist.“

„Ganz deiner Meinung“, murmelte Rose tonlos und ließ sich zurück auf ihr Kissen fallen. Die Müdigkeit, welche über sie herfiel, war erdrückend.
 

„Doch glaubst du wirklich an eine Rückkehr des Bösen?“ So wie sie es schon allein aussprach, riet sie Alice von jener Behauptung ab, doch die Brünette strich sich nur nachdenklich durchs Haar. „Unser Leben war sorglos. Doch dann kam die Zeit samt ihren Veränderungen. Eine Weasley und ein Malfoy verliebten sich ineinander. Und das war erst der Anfang.“

„Ein Potter und ein Weasley bekriegten sich wegen einer Longbottom“, fuhr Rose knurrend fort und Alice‘ Lachen über ihren provisorisch düsteren Trailer erstarb. Eine schwere Stille legte sich über die beiden, die Rose nur noch ein einziges Mal zu unterbrechen suchte. „Und Alice?“, fragte sie schwach, während jene nur kurz den Arm anhob. „Du wirst Dreißig. Und ich mindestens Einundzwanzig.“
 


 


 

„Was hältst du davon, ein Animagus zu werden?“, fragte ihn Albus Potter am nächsten Morgen, als sie draußen im Garten auf dem provisorischen Quidditchfeld mitten im Schnee standen und Scorpius die Begrenzungen mit dem Zauberstab zog, während sich die anderen etwas Abseits zusammengefunden hatten und sich den Schlaf aus den Augen rieben, obgleich die simple Aufgabe gewesen war, möglichst gleichstarke Teams zu bilden. Rose war nicht unter ihnen – nicht mal er hatte es geschafft, sie von dieser Art des Frühsports zu überzeugen. Und auch Alice fehlte, was wohl erklärte, weshalb Al um ihn herumtanzte und nicht um sie – immer darauf bedacht, Fred auszustechen.

„Hm“, Scorpius warf ihm einen skeptischen Blick zu, „Hast du einen Plan davon?“ Auf Potters Gesicht breitete sich ein lasterhaftes Grinsen aus, das ihn nichts Gutes ahnen ließ – Scorpius hob eine Augenbraue. „Ich habe Bücher von meinem Großvater gefunden, in denen die Vorgehensweise exakt und präzise beschrieben wird. Er und seine Freunde haben zwar Jahre gebraucht, bis es funktioniert hat, aber sie waren auch jünger – ich würde sagen, wir – einschließlich unseres Alters und Talents – haben gute Karten.“

Unverhohlenes Selbstbewusstsein lag in seiner Haltung und eine Spur Arroganz schien Scorpius nicht zu entgehen, sodass er nur nonchalant den Zauberstab in der Hosentasche verschwinden ließ und die Arme verschränkte.

„Rose-“, begann er, doch Al wedelte mit der behandschuhten Hand, als wäre das kein beziehungsweise ihr kleinestes Problem. Obgleich sich der Malfoy dem ganz und gar nicht sicher war. „Rose und Alice werden von der Sache nichts mitbekommen – genauso wenig wie das Ministerium.“ Die Unverfrorenheit in Als Blick war ähnlich seiner eigenen, wie der Malfoy bemerkte.

„Warum bist du noch gleich in Gryffindor?“ Das schalkhafte Grinsen des Potters wurde breiter. „Weil ich den Sprechenden Hut drum gebeten habe.“

„Na dann“, resümierte Scorpius grinsend, „Verwenden wir unser letztes Halbjahr darauf, Animagi zu werden.“
 


 


 

Es war eine tiefschwarze Nacht, in der er blindlings durch einen Wald steuerte – die Hand um einen Kopf gekrallt und das Geschöpf mit einer Leichtigkeit hinter sich herziehend als wäre es keine normalgewichtige Frau. Irgendwann kam er an eine Lichtung und als er voranschritt – vor Benebelung kaum noch Herr seiner Sinne – blitzten ihm schließlich die Lichter einer Stadt entgegen, die weit unten im Tal lag. Mephisto leckte sich über die Lippen und bedachte den Umstand, Großbritannien eventuell schon verlassen zu haben – fatal für seine weiteren Pläne. Er blickte hinunter zu seinem Opfer. Ihr Gesicht war verstümmelt und von ihrer einstigen Schönheit war nichts mehr zu entdecken. Schürfwunden zierten ihren geschundenen Körper und je länger er sie ansah, umso abstoßender fand er sie. Seltsam, dass fast alle ihn anlächelten, wenn er sie holen kam. Mit einem Ruck riss er der Leiche die roten Haare aus, bevor er den Körper angewidert von sich wegtrat. Ein leises plop im Hintergrund versicherte ihm, dass Galina appariert war – sie war auch die einzige, die ihn immer aufzuspüren schien. Und doch erinnerte er sich nicht daran, was sie einmal miteinander verbunden hatte.
 

„Es ist Silvester“, informierte sie ihn - als wüsste er nicht davon. „Vor nunmehr fünfundzwanzig Jahren ging der Dunkle Lord unter“, sinnierte sie weiter und interpretierte nichts in sein anhaltendes Schweigen. „Nicht auszudenken, dass ich im Jahr 2024 schon siebenundvierzig Jahre alt geworden wäre.“

„Hör auf zu quatschen“, fuhr er sie an - erahnend, wie sich ihre vollen Lippen missbilligend verzogen.

„Ich weiß, wie grausam es dir vorkommen muss, erinnerungslos zu sein“, sagte sie stattdessen und er roch ihr Parfüm, als sie langsam immer näher schlich. Seine Hand hob den Zauberstab wie zur Antwort und ein schelmisches Lächeln legte sich auf sein Gesicht. „Ich könnte das Wissen aus dir hinaus quälen. Nicht umsonst gibt es den Cruciatus-Fluch.“ „Nur zu. Doch ich gab meine Seele, um dein Leben zu retten und wenn du mich folterst, dann folterst du auch dich.“ Resignierend ließ er den Zauberstab wieder sinkend und wünschte nun nichts weiter, als dass sie ihm aus den Augen treten, sich einfach in Luft auflösen würde – doch er war sich seltsam sicher, dass Galina ihn noch nie in Ruhe gelassen hatte.

„2024 ist das Jahr, in dem die Prophezeiung beginnt. In dem das Böse eine neue Chance hat, ihre Wurzeln zu schlagen und zu keimen.“ Ihre Stimme wurde zu einem atemlosen Flüstern, das der Wind hinfort trug und das so in die endlosen Weiten der Nacht getragen und dort verloren wurde. „Wir bringen das Ministerium unter unsere Macht“, fuhr sie leise fort und Mephisto entwich ein kleines Lachen – die Frau war töricht. „Keine Chance, Galina, wir sind nur zu zweit.“

„Das denkst du. Viele Leute haben alles verloren, nachdem der Dunkle Lord verschwunden war. Harry Potter hat sie ruiniert; Väter, Mütter und Söhne nach Askaban verbannt. Und auch andere sind mit dem System nicht zufrieden.“

„Wie lautet also dein Plan?“ Seine gesichtslosen Erinnerungen sagten ihm, dass Galina Kuprin schon immer diejenige gewesen war, welche die Intrigen gesponnen hatte. Fast kam ihm ihr Atem in seinem Nacken mehr als vertraut vor. Ein Schmunzeln schlich sich in ihre Stimme.
 

„Die unterdrückten Leute wollen eine Stimme, vielleicht sogar eine Opposition. Und was bietet sich da mehr an, als die Wahlen des neuen Zaubereiministers?“ „Wenn Potter sich zur Wahl stellt-“ „Dann haben wir verloren, ich weiß“, fuhr sie ihm brüsk dazwischen; sie mochte es nicht, in Erwägung zu ziehen, etwas könne schief gehen; sie könne verlieren. „Potter wird wie der große Albus Dumbledore nie das Amt annehmen - dazu liegt ihm zu viel an seiner Familie und seit du seine Tochter so verzaubert hast, macht er sich mehr Sorgen um sie, als darum, dass die ehemaligen Todesser aus ihren Löchern kommen könnten. Es wird der größte Fehler seines Lebens sein, das Amt erneut auszuschlagen – doch er wird es tun.“ „Und dann? Willst du, dass ich den Dreck mache?“

„Nein, du bist zu unbekannt in diesem Land. Und deine Vorliebe-“, Ihre Geste galt der Frauenleiche ein Stück unter ihnen, „Könnte uns zum Verhängnis werden. Aber Malfoy stellt sich zur Wahl – doch auf ihn lässt sich nicht setzen. Ich habe mir Erinnerungen von noch lebenden Todessern zusammengeklaut und er wirkte immer fehl am Platz. Er ist zu weich, um ein Todesser zu sein und zu gut, seit er mit dieser Frau zusammen ist.“

Mephisto wartete darauf, dass sie ihm endlich sagte, worauf das Ganze hinauslief. Er hasste es, wenn sie immer um die Sachen herumredete, nur um des Redens Willen.

„Potter wird einen seiner Schwäger empfehlen – und dann haben wir gewonnen. Jane Seymours Familie wird dem Kandidaten den Wahlkampf finanzieren. Und den machtgeilen Weasley, der so töricht war, anonyme Spenden nicht zu hinterfragen, werden wir – von der Öffentlichkeit unentdeckt - unterwerfen.“
 

„Und was wird meine Aufgabe bei diesem Spielchen sein?“ Obgleich ihm die kargen Varianten selbst im Klaren waren. „Du wirst die neue Generation Todesser heranzüchten, denn als Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste kannst du sie deine Macht schmecken lassen, ohne dass allzu großer Verdacht geschöpft wird. Die verwöhnten und zudem gelangweilten Slytherins werden ohne Umschweife auf das Spielchen eingehen – glaub mir.“ Er nickte knapp; als hätte er eine Alternative. „Und das“, sie deutete geradewegs auf die Frau ohne Gesicht, „Solltest du dir wirklich schleunigst abgewöhnen, kapiert? Das ist ekelerregend.“ Er warf ihr einen amüsierten Blick zu, da sie seine Vorliebe so offensichtlich zu verabscheuen schien. In ihren Augen lag etwas Trauriges und ihre Fingerspitzen fuhren kurz über seine Wange. Es war die Berührung. Und mit einem Ruck verlor er den Halt für die Gegenwart.
 


 

„Du hässlicher Hurensohn! Das wird dir noch leidtun. Fickt Euch doch alle gegenseitig in Eure jämmerlichen Ärsche!“ Die junge Frau schrie, so laut und durchdringend, dass man sie wie ein ungezogenes Hündchen vor die Tür setzen würde. Der unappetitlich aussehende Fettsack, dem die heruntergekommene Kneipe inmitten des verschneiten sibirischen Dörfchens gehörte, zerrte sie mit unverhohlener Leichtigkeit hinter sich her und schubste sie in die unerbittliche Kälte hinaus. Wie ein ungezogenes Gör. Der Weg war vereist und sie rutschte auf die Knie, nur um noch fuchsteufelswilder in den Schnee zu fassen und ihn dem Wirt geradewegs ins Gesicht zu schleudern.

„Verpiss dich, du Schlampe. Und wenn ich dich hier noch einmal sehe-“ Das Brummen erlosch, wohl um den nötigen Respekt einzufordern, doch die Frau lachte nur – glockenhell. „Pass auf, dreckiger Nichtsnutz: Wenn du mir nicht gleich die verdammte Kohle gibst, dann passiert dir was! Und deiner hässlichen Mutter gleich mit!“
 

Huren, die ein ähnlich vorlautes Mundwerk hatten, obgleich sie die Öffnung lieber für die beruflichen Tätigkeiten nutzen sollten, starben so schnell wie Fliegen. Es brachte ihnen kein Glück, zu fluchen und zu keifen.
 

Der Wirt stapfte drohend auf die junge Frau am Boden zu, die trotz der klirrenden Kälte nicht mehr als ein kurzes Kleid trug, und krempelte sich die Ärmel hoch, als hätte er vor kurzen Prozess zu machen. Ruhig zog sie etwas aus ihrem Stiefel und hielt es ihm geradewegs in die dicke Wampe, als er sie packen wollte. Die hölzerne Tür zur Kneipe fiel ins Schloss und während drinnen das Saufen und Feiern weiterging, erhellten nun lediglich spärliche, aus den Fenstern hinunterfallende Lichter die Szenerie auf dem Hinterhof. „Du bist ein Penner“, zischte sie, bevor sich ein kleines, böses Lächeln auf ihr Gesicht legte. „Wir sehn uns in der Hölle. Avada Kedavra.“

Als der tote Fettsack zu Boden sank, griff die junge Frau flink nach vorne und zog ihm die Geldbörse ab, ehe sie ihn mit einem leichten Tritt in den nächsten Schneeberg beförderte.
 

Er konnte nicht anders – er musste klatschen.
 

Diese Szene hatte ihn mehr als köstlich amüsiert. Sie zuckte zusammen, als die Nacht sich um ihn her verflüssigte und sein Beifall die makabere Szenerie erhellte. Ihre Augen wurden schmal. „Großartige Show, Galina“, grinste er süffisant und seine Stimme samt dem anerkennende Unterton war nicht mehr als ein klitzekleiner Hauch, den der aufkommende Wind zu ihr trug. Sie zog eine Augenbraue in die Höhe, doch gleichwohl schien sie ihn wiederzuerkennen.

„Du bist wieder im Lande“, stellte sie trocken fest und verzog missbilligend die Mundwinkel. Sein Anblick war wohl nicht das, mit dem sie gerechnet hatte. Er wusste, wie sehr sie Überraschungen verabscheute. „Was willst du hier?“

„Ich stehe im Dienst des Dunklen Lords“, unterrichtete er sie und konnte sich ein selbstgefälliges Grinsen nicht verkneifen.

„Das wird deinen Vater freuen, Gregory“, kommentierte sie knapp und gleichwohl sarkastisch, bis sie ihm den Rücken zukehrte, um ihren Weg fortzusetzen. Sie würde nicht reich werden, wenn sie ihre Zeit weiter so vertrödelte. „Ich soll Europa gefügig machen. Willst du mir dabei helfen?“ Abrupt blieb sie stehen und drehte sich wieder zu ihm um. Wo sollte sie auch hin? Sie hatte doch nichts.
 

Und es war ihr Blick, mit dem sie ihn in dieser verschneiten Gasse bedachte. Und Mephisto erinnerte sich daran, sie einmal geliebt zu haben.
 


 


 

Ich hoffe, es hat Euch gefallen - danke für Reviews & Favoriten.
 

thirteen

            

       

            

     
 

    
 

      Januar.
 

Alice seufzte tief, bevor sie langsam in die Hocke sank und der aufgelöst weinenden Lucy Weasley tröstend den Arm um die Schulter legte. Ihr den Rücken tätschelte und leise Worte des Bedauerns äußerte, die ihr nur schwer über die Lippen kamen, da Alice sie so dermaßen unangebracht fand. Um genau zu sein, war nichts passiert. Nichts Schlimmes – auf den ersten Blick. Doch da sie gleichsam ungewollt als Professorentochter und somit ungewollt mit besonderen Privilegien aufgewachsen war, gab es den kleinen, idiotischen Teil von ihr, der in der Vergangenheit eben unter jenem gelitten und somit ihre Einfühlsamkeit geprägt hatte. Die Weasleys gehörten zu den einflussreichsten Zaubererfamilien Englands und schon das allein konnte die Erwartungen der Menschen ins Unermessliche schüren. Doch nun war Lucy Weasley die Tochter des neuen Zaubereiministers; ihr besonnenes Leben war vorbei. Die bisherige Leichtigkeit war verloren. Alice kam nicht umhin mitzutrauern und im Stillen Merlin zu danken, dass ihr Vater nur Professor in Hogwarts war.
 


 

      Februar.
 

„Das Problem ist, dass diese scheußliche Rita Kimmkorn jeden meiner Schritte genauestens verfolgt! Sie lechzt förmlich danach, dass ich einen Fehler mache“, entrüstete sich die alte McGonagall düster und funkelte sie mit zusammengekniffenen Augen an. Rose und Scorpius tauschten einen kurzen, wenn auch vielsagenden Blick, bevor der Malfoy seine Lippen zu einem schmalen Lächeln verzog und sich leicht vorbeugte.

„Mein Vater sucht schon seit Jahren nach Gründen, um sie zu beseitigen.“ Seine ungeschliffene Ehrlichkeit schien die Schulleiterin zunächst zu entrüsten, ehe sie sich darauf besann, nur mit fest zusammengepressten Lippen den Kopf zu schütteln.

„Unter diesen herrschenden Bedingungen wird es uns kaum möglich sein, dass Treffen der Zaubererschulen erfolgreich abzuschließen. Alle Lehrer außer dem jungen Doyle sind äußerst unkooperativ und scheinen mir beinahe-“, nachdenklich nach Worten ringend, fiel ihr Blick hinaus in das Dunkel der Nacht, die kaum imstande war, gegen den Kerzenschein in ihrem Büro anzukommen und stets erniedrigt zurückwich, „Als wären sie von einem bösen Geist besessen.“ Ihre Worte verloren sich zwar, doch war jene schon töricht getane Aussage zu guter letzt die einzige Ausnahme, in der Rose nicht umhin konnte, die Schulleiterin direkt anzusehen. Natürlich, die bloße Äußerung hätte die Gelehrten spalten können und so unwahrscheinlich sie auch immer war – in welcher Welt war jenes möglich, wenn es nicht ihre eigene war?
 


 

      März.
 

„Zeitreisen“, warf Alice abrupt ein, warf ihr den Federhalter an den Kopf und riss Rose so aus ihrer Träumerei. „Ich frage mich, was Scorpius die ganze Zeit macht“, erwiderte diese nur und unterstrich zu Alice‘ Missfallen ihre konstante Unaufmerksamkeit, die sie seit geraumer Zeit an den Tag legte. Wie überaus unprofessionell für eine Weasley.

„Lass mich mal überlegen“, seufzte Alice theatralisch und faltete die Hände über ihrem Buch, um so scheinheilig wie möglich auszusehen, obgleich sie offensichtlich alles andere tat, als ernsthaft zu überlegen, wie Rose missbilligend nicht entging.

„Vielleicht genau das, was Mister Potter und Mister Malfoy stets meinen? Sich Duellieren oder nonverbale Zaubersprüche üben? Eben all das, was man wirklich braucht in einer so friedlichen Welt wie der unseren.“ Alice verdrehte sie Augen und ihr Sarkasmus trieb Rose ein kleines Lachen aus der Kehle. Sie hätte nie gedacht, dass Scorpius wirklich auf Als seltsame Ideen einging und mit ihm die unmöglichsten Disziplinen trainierte.

„Sie wollen immerhin beide Auror werden“, sagte sie schließlich und zuckte mit den Schultern, woraufhin Alice nur ein weiteres Mal die Augen verdrehte, das Zaubertrankbuch aufschlug und ihr hinüber reichte. „Und weil die Kerle daraus folgend am Hungertuch nagen werden, müssen wir angestrengt lernen, damit wenigstens etwas Geld verdient wird. Also erkläre mir den Mist hier.“ Rose nickte nachdenklich, bevor sich ihr eine weitere Frage an die Oberfläche bahnte. „Denkst du, es ist wirklich so harmlos, was sie machen?“ Augenverdrehen, wie immer. „Natürlich; sie sind volljährig. Nicht mal die kommen auf die Idee, etwas Verbotenes zu tun und somit ihre UTZ’s zu gefährden.“ Und vergessen war das, was sich Alice zunächst als so plausible Lösung offenbart hatte.
 


 

      April.
 

Sie stand inmitten dieses Raumes. So harmlos wirkte er auf sie; so berechenbar. Nichts Böses in sich bergend, nichts Schlechtes wiegend. Ihre Kehle war rau, das Luftholen tat weh und doch mischte sich Neugierde gar unerträglich in ihre Angst. Schlucken. Einatmen. Ausatmen. Den Blick schweifen lassen. Imogene rührte sich nicht von der Stelle, schmeckte nur kurz den Anflug von Vertrautheit und ließ den Blick zum Fenster gleiten, plötzlich einer schwachen Erinnerung folgend. Und da stand sie. Inmitten dieses blau weiß gesprenkelten, wolkengleichen Raumes. Es war Rose. Unverkennbar Rose. Nur älter. Und schöner, wenn man so wollte. Ihr Blick verlor sich in ihrem, auch wenn es ganz unmöglich war, dass sie einander wirklich ansahen – denn Imogene war in diesem Moment weniger als ein Geist. Viel weniger. Sie existierte in dieser Zeit, an diesem Ort nicht. Und mit der nächsten Sekunde, als ein Schrei die beiden jungen Frauen zusammenfahren ließ, veränderte sich schlagartig das Bild. Rose‘ Blick wurde wilder, ihre Züge seltsam hart.
 

„Rose, er ist da! Hau ab, verschwinde – ich halte ihn auf.“
 

Imogenes Unterkiefer bebte, ihr Körper wurde von einem schweren Zittern heimgesucht und völlige Verzweiflung schien von ihr Besitz ergreifen zu wollen. Sie hatte nicht glauben wollen, was Hugo ihr erzählt hatte. Sie hatte nicht glauben wollen, wie Rose‘ Emotionen in diesem Moment auf sie übergehen würden, wie der ganze Raum vor Angst vibrieren würde. Sie musste weg. Sie musste hier raus und mit diesem Gedanken kam Leben in Imogenes Beine zurück und sie stand vor der Wahl – Rose oder Scorpius?

Da war etwas in seiner Stimme gewesen, das Rose zwar nicht, aber sie beinahe seltsam beruhigt hätte, also entschied sie sich ohne groß Nachzudenken für ihn. Er hatte so gesprochen, als würde er eben mal kurz Apparieren und Zigaretten holen – nicht wie: hey, ich opfere mich jetzt, um dich zu retten, Rose. Er war ihr Bruder. Ganz und gar. Also verließ sie den Ort ihres Wandelns und Erscheinens und trat in eine neue Ebene ein, etwas, das Hugo noch nie gewagt hatte. Hier roch es unbefleckt und konzentriert. Imogene hätte geglaubt, dass Scorpius‘ Seele wenigstens aufgerüttelt wäre, doch hingegen ihrer Erwartung war sein Innerstes gefestigt, ruhig, beherrscht. Er war mit sich im Reinen. Er würde sterben und es war okay. Dieser Gedanke schmerzte ihr so sehr.

Die ältere Ausgabe ihres Bruders saß mit lässiger Arroganz auf der vorletzten Treppenstufe und Imogene lehnte sich nur merklich über die Brüstung, um ihn vom oberen Stockwerk aus zu beobachten. Sie liebte ihn und das wollte sie ihm zurufen. Ob sie es ihm je gesagt hatte? Ihr Körper bebte noch immer.

Und dann öffnete sich die Tür zu Malfoy Manor. Beinahe andächtig verdächtig. Das Grauen trat ein in schwarzer Kutte, groß und mysteriös.
 

„Nettes Outfit, Mephisto!“, sagte Scorpius herausfordernd und sprang auf, bereit für was auch immer. Er zückte so schnell den Zauberstab, wie Imogene es bisher noch bei keiner Menschenseele gesehen hatte und doch war es ihm kein allzu großer Vorteil. Sie schloss die Augen. Schloss sie und wünschte, es wäre für immer. Die roten und grünen Lichtblitze sah sie selbst bei geschlossenen Lidern. Und erneute Verzweiflung durchtränkte sie. Sie wollte schreien. Doch sie war weniger als ein Geist, keiner Stimme mehr mächtig. Obgleich ihre Augen fest geschlossen waren, schwirrte die Luft und die Erde bebte unaufhörlich. Das Letzte, das ihr dieser grauenhafte Traum bescherte, war der Geruch vom Tod.
 


 

„Verdammt, was hast du mit ihr gemacht?“, schrie James und stürzte zu dem zusammengekrümmten Mädchen, das beinahe regungslos in dem schäbigen Bett lag. Zweierlei Dinge hasste der mittlerweile Neunzehnjährige wie die Pest: zunächst, wenn man ihn nachts aus dem Bett holte (wie Al es etliche Male gewagt hatte) und den Eberkopf in Hogsmeade, wenn auch ohne wirkliche Beweggründe. Vielleicht war es das miese Wetter, das mit der Abneigung einherging, um zwei Uhr morgens durch die Welt zu Apparieren. Von Ägypten nach Frankreich und dann nach England; er konnte sich wahrlich Besseres vorstellen, als ständig misstrauisch bezüglich seiner ungewohnten Reisezeit beäugt zu werden. Doch obgleich es den Potter mehr als alles andere nervte, wäre er wohl für kaum jemanden wirklich zurückgekommen. Aber dann war es ausgerechnet Hugo gewesen, der seine Hilfe gebraucht hatte. „Sie wacht nicht mehr auf“, erwiderte der Weasley ruhig und James warf ihm einen wütenden Blick zu, ehe er sich zu Imogene hinunter beugte. „Was ist mit ihr?“ Hugo schluckte, bevor sich sein Blick endlose Sekunden lang in den Boden zu brennen schien.

„Ich habe seit einiger Zeit diese Träume. Und sie wollte sie sehen.“

Er verstand absolut nichts, doch fragte er nicht weiter, als Imogene mit einem Mal wie eine Ertrinkende zu ihnen zurückkam und sich an ihn klammerte.
 

-
 

In Dominique Weasleys Leben hatte es selten eine Zeit gegeben, in der sie sich wirklich für andere interessiert hatte. Eher doch dafür, dass ihr einstudierter französischer Akzent einwandfrei klang. Aber für andere? Welch nichtige Angelegenheit, wenn es nicht wirklich etwas wirklich Interessantes zu hören gegeben hatte. Dabei wusste sie nur zu gut, wie falsch ihre übermäßigen Eigenschaften der Eitelkeit und Arroganz doch waren, wie töricht und dergleichen. Doch worüber sollte man sich schon großartig definieren, wenn die guten Rollen schon verteilt waren? Ihre Schwester Victoire war die, welche alles – wirklich alles – in den Schoß gelegt bekommen hatte und stets ein wundervolles, wohl behütetes Leben geführt hatte. Vic hatte sich alle Tugenden leisten können, die Dominique letztendlich den Ruf kosten konnten. Sie war zwar keine Slytherin, aber das auch nur, da sie den Sprechenden Hut darum gebeten hatte und der machte ja – allgemein bekannt – ohnehin ständig Zugeständnisse. Gryffindor war es nicht geworden, aber dafür Ravenclaw. Ihr Bruder Louis wiederum war das kleine, angehimmelte Genie der Familie, dessen Terminplaner zudem ausgefüllt war mit allerhand Dates, da fast jedes Mädchen aus den Klassenstufen Eins bis Vier in ihn verknallt war. Und da auch der Rest ihrer Familie so toll war, hatte sie beinahe keine andere Wahl gehabt als ein bisschen aus der Reihe zu fallen.

Trotzdem konnte Dominique in diesen Tagen nicht umhin, grundlegende Veränderungen wahrzunehmen, die ihr direktes Umfeld betrafen.

Sie schlenderte den Flur im vierten Stock entlang und gab dem Kopflosen Nick einsilbige Antworten auf abstruse Fragen – Nick schien seit ihrem ersten Jahr einen regelrechten Narren an ihr gefressen zu haben -, während sie sich die Marmelade – eben jene, die Tante Hermione ihr stets zukommen ließ, wenn ihre Muggel – Eltern Konfitüre gemacht hatten - von den Fingerspitzen leckte.

Der Gang war wie ausgestorben und Dominique fand sich im Stillen schon damit ab, dass sie Nick wohl kaum mehr loswerden würde, als Peeves plötzlich um die Ecke geschossen kam. Der Poltergeist tat das, was er am besten konnte und brachte Nick noch zur Weißglut, während der Flur jäh zum Leben erwachte. Dominique konnte sich ein Lächeln abringen, als sie an den – einer seltsamen Choreographie folgenden - Rüstungen vorbeiging, doch ihr leichter Anflug von Freude verging, als die Tür des nähergelegenen Klassenzimmers aufflog, Peeves schnell verpuffte und Nick durch die Wand entschwand. Es war ein Uhr und die meisten Schüler befanden sich beim Mittagessen oder bereiteten sich auf den Unterricht vor, doch Dominique genoss einen freien Nachmittag. Und Fred offensichtlich auch.
 

Ihr rothaariger Cousin, der schon seit etlichen Wochen das permanente Grinsen abgelegt hatte und zudem kaum mehr mit ihrem anderen Cousin und seinem besten Freund Albus gesichtet wurde, kam aus dem Klassenraum und band sich gerade die rot goldene Krawatte neu, als er sie erkannte. Dominique lächelte, wenn auch nur, weil sie einen besonders guten Tag zu haben schien, doch jenes wurde abrupt abgelöst von purem Entsetzen, als sie bemerkte, wer Fred aus dem Klassenraum folgte. Dominique blieb wie angewurzelt stehen, als ihr Blick entgeistert an Jane Seymour hängen blieb und wenn es je einen passenden Moment gegeben hatte, die Contenance zu verlieren, dann war es zweifelsohne dieser.

„Freddy, du willst mich wohl veräppeln?“, sagte sie schließlich kühl und eine Spur höhnisch; distanziert und beherrscht auf eine unangenehm Art und Weise. Wirklich - mit allem hätte sie gerechnet, nur nicht ausgerechnet damit! Jane lächelte ihr typisch falsches Lächeln und sah auf sie herab wie die erbarmungslose Slytherin, welche sie war, es stets an den Tag legte. Jaja, sie hatte es verstanden. Es gab nämlich eines, das Dominique in den letzten Wochen, in denen sich Adrian Zabini eher der Halbveela Jane gewidmet hatte als ihrer bloßen Veela Magie, verstanden hatte – dass sie eben nicht mehr sein konnte als der Bruchteil dieser trügerischen Gene, die doch eher von weasleytypischen überdeckt wurden. Sie hatte letztendlich wenigstens akzeptiert, dass sie nicht gegen Jane ankam, die Davis und Zabini gleichermaßen geschickt an der Nase herum zu führen schien; aber … Fred? Etwas in Dominique sträubte sich dagegen, dies zu akzeptieren.
 

„Hey, Weasley“, rief sie, als ihr Cousin wortlos an ihr vorbeischritt, so offensichtlich Jane folgend. „Du kannst nicht ernsthaft diesem ekligen Wesen verfallen sein! Geht es dir noch gut?“ Ihre Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn und eben jener intensivierte sich, als Fred ihr nur einen trotzigen Blick zuwarf und Janes nur umso spöttischer wurde.

„Was interessiert es dich?“, erwiderte er nur und Dominiques Hand wanderte zu ihrem Zauberstab. „Wir sind immer noch eine Familie, du Idiot!“

Fred lachte, wirklich - er lachte sie aus! Es war die schlimmste Ohrfeige, die man ihr geben konnte. Spott von Jane, na gut – aber Auslachen von Fred? „Mag sein, aber du interessierst dich doch trotzdem nur für dich, Dome.“ „Anscheinend ja nicht, wenn ich dich schon daran hindere, dieser Schlampe zu folgen! Sie nutzt dich doch nur aus, Fred!“ Jane Seymour hüstelte gekünstelt und während Dominique noch die Augen verdrehte, kehrte Fred ihr auch schon den Rücken. „Entschuldige, wir müssen zum Unterricht“, lächelte Jane zuckersüß und es entging ihr keinesfalls wie Fred etwas á la ‚wenigstens eine Normale hier‘ murmelte.

„Ach ja, und noch was“, sagte Fred zum Abschied und warf ihr noch einen letzten Schulterblick zu, „Ich scheiß auf unsere Familie!“ Dominique schluckte und blieb zurück. Es gab doch Gründe, weshalb sie sich an normalen Tagen nicht um andere scherte.
 

-
 

„Wir sehen uns kaum noch, ich meine, das ist wirklich dramatisch“, erklärte Rose zögernd, während sie ihrer Schneeeule einen Brief an ihre Eltern ans Bein band und Scorpius schnell den Rücken kehrte. Sie waren in der Eulerei und zur Abwechslung besuchte sie einmal gutes Wetter – etwas dermaßen Seltenes in diesem April, dass Rose schon gar nicht mehr an die Magische Decke in der Großen Halle blickte, geschweige denn sich traute, ihre Wohnung im Verbotenen Wald zu verlassen. Viel lieber ließ sie sich doch von Alice besuchen, die sie jedoch wiederum mit der Aussicht auf die Bibliothek ins Schloss lockte, in dem sie stets die Freude hatte, ihre Kleidung trocken zu zaubern.

„Es ist eine stressige Zeit“, erwiderte Scorpius nur wortkarg und Rose seufzte. „Meine Mum fragt jedesmal, wie es dir geht und immer wenn ich ihr antworte, frage ich mich, wie es dir überhaupt geht. Ich bin mir einfach nicht sicher; du wirkst so-“, sie hielt inne und spürte seinen Blick im Rücken, unter dem sie sich nur widerwillig zu ihm drehte.

„Wie wirke ich?“ „Na ja, als ob du täglich zig Überstunden einlegst, als ob dich irgendwas bedrückt, als ob du an dir selbst zweifelst – so eben.“ Scorpius schmunzelte und kam zu ihr hinüber.

„So wie du es darstellst, muss es mir ja richtig scheiße gehen.“

„Ich denke, du machst zu viel mit Albus. Das strengt dich offensichtlich zu sehr an.“ Er lachte – eine schöner Klang für sie, den sie nur noch zu wenig hörte. „Dein Cousin strengt mich an, ja.“

„Dann hört auf mit diesen Vorbereitungen, das ist totale Verschwendung!“

„Wir wollen Auroren werden“, meinte Scorpius nur und zuckte mit den Schultern, woraufhin Rose kurz überlegte, ehe sie ihm antwortete.

„Das ist kein guter Beruf in unserer Zeit. Damals mit Voldemort und Co. war dieser Job lohnend, aber heute? Ich bitte dich.“ „Das klingt nach Alice“, grinste er und Rose verdrehte die Augen, konnte ein Lächeln aber nicht unterdrücken. Offensichtlich hatte ihre beste Freundin Albus mit ihren Thesen belabert – die Rose unweigerlich übernommen hatte.

„Was willst du nun eigentlich machen nach der Schule? Haben die tausend Flyer auf dem Couchtisch irgendwas gebracht?“ Sie hatten sich zwar noch nicht über dieses Thema unterhalten, aber Rose fühlte einen Funken Zufriedenheit aufflammen, als sie merkte, dass es ihm zunächst aufgefallen zu sein schien (obgleich das Chaos schier unübersehbar war) und dass er sich wirklich dafür zu interessieren schien. Doch der Gedanke an die Zukunft trieb ihr gleichsam Ängste und dergleichen unbrauchbare Emotionen in die Sinne, die sich ganz und gar verabscheute. War ihr baldiges Schulende nicht etwas zum feiern? Nein, für Rose keineswegs. Für sie nicht.

„Ich weiß es immer noch nicht“, gab sie zu und konnte den Hauch Unzufriedenheit aus ihrer Stimme nicht vertreiben.

„Na dann werde einfach Auror“, grinste Scorpius und schenkte ihr damit ein kleines bisschen von der Unbeschwertheit, die sie brauchte. „Alice schlägt den Zweig sowieso noch ein und dann sind wir die Auroren-Gang.“

„Du bist ein Spinner, Scorpius“, lachte sie und schickte ihre Eule auf die beschwerliche Reise nach London, dann drehte sie sich zu ihm um und hauchte ihm einen Kuss auf den Mund, ehe sie nach ihrer Tasche griff.

„Dabei warst du mal so cool.“ Sie musste es einfach sagen. Das Wetter war gut.
 

-
 

Die Luft um Albus Potter, der mit geschlossenen Augen inmitten des Raumes stand, wurde kurz sichtbar, blitzte für eine Sekunde auf und Scorpius sah an seiner Stelle ebenso kurz die Umrisse eines großen Tieres aufflackern, ehe den Potter die Kraft verließ und er zurück auf die Matte fiel, die nach Monaten des Trainings dafür Sorge trug, dass sie nicht jedesmal aussahen, als hätten sie sich geprügelt. „Verdammt“, schrie Al, vergrub sein Gesicht in den Händen und fuhr sich dann verzweifelt durch das unordentliche Haar.

„Ganz kurz war da was“, schnarrte Scorpius und rieb sich müde über die Augen, bevor er sich selbst erhob und in eben jene Art von Meditation verfiel, die Albus zuvor eingenommen hatte. Es war eine Frage der Konzentration, aber es gab Tage, an denen es dem sonst so disziplinierten Malfoy nicht gelang, seine Gedanken dem Ziel zu widmen, ein Animagus zu werden. Zudem war es ein schwieriges Unterfangen; nur möglich, wenn man die bestmögliche Selbstbeherrschung inne hatte, der Kopf frei von Gedanken war und der Geist mit dem Körper im Einklang. Doch Scorpius dachte vorzugsweise an Rose oder Quidditch oder das belangloseste Zeug der Welt, weswegen ihn seine ständigen Misserfolge zusätzlich wurmten. Noch mehr als Albus, doch seine Selbstbeherrschung war einfach besser. James Potter hatte in seinen Memoiren niedergeschrieben, dass nur der erste Schritt der weiteste Sprung sei, die Mauer, welche es zu überwinden galt bis die Verwandlung in ein Tier das Einfachste von der Welt wäre. Doch langsam verlor Scorpius den Glauben daran, dass sie es überhaupt irgendwann erreichen würden. Vielleicht gab es Menschen, in denen sowas schlummerte, aber in ihm offensichtlich nicht.

„Wie spät ist es?“, fragte er schließlich und Albus seufzte hörbar. „Du sollst dich konzentrieren, man.“

„Ich habe noch was vor“, meinte Scorpius nur und diesmal hörte er seinen Freund schnauben. „Es ist halb fünf.“ Scorpius‘ Augen flatterten auf.

„Ich muss los, bis nachher, Al!“ Gemeinter seufzte; das konnte er wohl an diesem Tag perfekt.
 

-
 

„Wo ist er?“ Albus zuckte zusammen, als seine Cousine sich mit bösen Blick ihm gegenüber fallen ließ und sich eine Portion des Eintopfes auf den Teller schaufelte, ehe sie eine kaum dazu passende Gabel ergriff, bei der Albus sich sicher war, dass sie ihn damit massakrieren würde, wenn er nicht sofort wahre Worte sprach. Andererseits – wer war sein bester Kumpel?

„Wen meinst du denn, Rosie?“

„O bitte, Al“, schaltete sich im nächsten Moment Alice ein, setzte sich neben ihn und klimperte so derart offensichtlich mit den Wimpern, dass Albus kaum imstande war, sich nicht angemacht zu fühlen. Ihre Beziehung war kompliziert, ja, das Wort beschrieb so einiges. Sie waren zwar nicht zusammen, aber seine Triebe hielt er dennoch zurück, wenn dies wohl auch der Tatsache zu verschulden war, dass er seit einigen Monaten einen ausgefühlten Tagesablauf mit Schule, Quidditch, Zusatztraining und so weiter hatte. Vielleicht wurde er auch einfach nur erwachsen.

„Ich weiß nicht, wo dein Freund ist“, sagte er schließlich und widmete sich wieder seinem Essen, doch Rose schien mit der Antwort ganz und gar nicht zufrieden. „Schade, dabei siehst du ihn so viel öfter als ich.“

„Was sie eigentlich sagen will: Hör auf, Scorpius für dich zu beanspruchen!“, fiel Alice tonlos ein und hüstelte daraufhin, wohl um ein Kichern zu unterdrücken. „Wenn weiter nichts funktioniert, dann hast du ihn eh wieder vollkommen für dich“, erwiderte Albus nur kryptisch und Rose und Alice tauschten einen kurzen Blick. „Wenn was nicht funktioniert?“ „Dies und das.“

„Soll ich’s mal mit Okklumentik versuchen, lieber Cousin?“

Albus warf ihr einen genervten Blick zu, während er sich nur noch mehr Essen in den Mund schaufelte, kaute, schluckte und schließlich nur ebenso geheimnisvoll sprach: „Wenn ich eines perfekt beherrsche, dann wohl meinen Geist zu verschließen.“

„Scorpius meinte, ihr trainiert, deswegen frage ich“, trieb Rose achselzuckend zurück zum Ursprungthema ihres Gesprächs; doch Albus schüttelte zu ihrem Missfallen nur den Kopf. „Der ist eher weg, hatte noch was vor – aber ich weiß wirklich nicht was, hat er nämlich nicht gesagt!“ Besorgnis breitete sich auf Rose‘ Gesicht aus und Alice schüttelte den Kopf und haute Albus kurz mit der flachen Hand auf den Hinterkopf, wie James es einst stets getan hatte. „Wunderbar, jetzt macht sie sich Sorgen wegen dir.“
 

„Leute, ich muss eure hochintelligenten Unterhaltungen mal kurz stören“, meldete sich eine gar nicht so arrogante, wenn auch wohlbekannte Stimme zu Wort und die Freunde sahen den Bruchteil einer Sekunde verdutzt zu Dominique auf, die sich ohne jegliche stumme Einladung neben Rose setzte und nur nach einer Erdbeere griff, anstatt etwas Richtiges zu Abend zu essen. Rose war sich sicher, dass es ihre einzige Mahlzeit an diesem Abend wäre - eine Erdbeere.

„Was ist eigentlich mit dir und Fred?“, richtete sie ihre Frage so gleich an den Potter und dieser wirkte einen Moment wütend, bis seine Miene von blankem Desinteresse heimgesucht wurde.

„Du hast auch mal mehr gecheckt“, sagte er nur und hätte eigentlich wissen müssen, dass er seiner blonden Cousine damit kaum entkam.

„Ich habe ihn letztens zusammen mit Jane Seymour aus einem Klassenraum kommen sehen. Selbst für Euch müsste klar sein, dass sie wohl kaum zusammen Hausaufgaben machen.“ „Vielleicht hatten sie Unterricht“, schlug Rose vor, doch Dome schüttelte nur den Kopf und gleichsam ihr Haar mit eben jener angeborenen Eleganz, die manche Mädchen kreidebleich werden ließ.

„Ausgeschlossen, es war Mittagszeit. Und-“, sie hielt kurz inne und blickte hinauf zur Magischen Decke, um sich daran zu erinnern, keinesfalls rot zu werden. „Er hat sich seine Krawatte neu gebunden.“

Trotz ihres Stoßgebetes zu Merlin wurden Rose und die anderen Zeuge der Röte, die ihr in die Wangen kroch. O, wie Dominique es doch verfluchte, dass diese Sache sie so wütend machte.

„Er kann tun und lassen, was er will. Wir können da schlecht was dran ändern, wenn er Seymour vögelt. Vor allem ich bin machtlos, denn wir sind offensichtlich keine Freunde mehr“, steuerte Albus schließlich seine Haltung bei und Rose nickte leicht, wenn auch weniger überzeugt.

„Touché“, murmelte die Longbottom nur. Dominique strafte Albus indessen mit Entrüstung. „Warum, verdammt, seid ihr keine Freunde mehr?“

„Er stand auf Alice, aber Alice steht mehr auf mich.“

„Longbottom, du bist Schuld? Wo sind wir hier? In einem Muggelfilm?“

„Ich weise jegliche Schuld von mir“, empörte sich Alice, schlug Albus bis er wimmerte und Rose seufzte theatralisch, während sie kurz auf ihr Schulsprecherabzeichen pochte, um ihrer besten Freundin Einhalt zu gebieten.

„Er ist alt genug und kann machen, was er will. Gehen wir einfach davon aus, dass sich diese Liaison eh bald erledigt haben wird“, sagte sie schließlich und begegnete Dominiques hartem Blick. Sie wirkte ganz und gar nicht zufrieden, doch Rose war es egal.
 

-
 

Lily ließ sich im taufrischen Gras nieder und die Kälte kroch ihr die Beine hinauf und bis in die Fingerspitzen; sie hätte gedacht, es wäre bereits wärmer. Die Sonne hatte trügerisch durch das Fenster des Gryffindor Gemeinschaftsraumes geblinzelt und sie hinaus gelockt, obgleich sie doch lieber für ihre ZAG’s hätte büffeln müssen. Doch sie hatte keine Lust. Keine Lust auf Zaubertränke und Verwandlung, auf Kräuterkunde und Astronomie – nicht einmal auf Zauberkunst und das war stets ihr liebstes Fach gewesen. Sie seufzte. Sie füllte sich wie eine Hülle, ausgesaugt und leer auf eine ihr seltsam fremde Art und Weise. Noch einmal wollte sie sorglos und frei auf einem Besen fliegen, ohne jegliche zermürbende Gedanken – doch ihr Wunsch gestaltete sich als so schwierig erfüllbar, dass sie kaum mehr Hoffnung hatte. Diese mit knappen sechzehn Jahren zu verlieren, glich einer Katastrophe, doch selbst darüber konnte sie sich kaum mehr wirklich entrüsten. Sie fühlte sich betäubt – in allen Lebenslagen.

Mehr nahm sie hin, als ihr Leben wirklich frei zu gestalten. Anders war es, wenn sie mit Mephisto zusammen war. Greg. Zunächst hatte sie es kaum gewundert, dass er in Hogwarts unter falschem Namen agierte, doch wenn immer sie stille Momente allein genoss, merkte sie selbst, wie das Misstrauen in ihr wuchs. Warum nur hatte er einen falschen Namen gewählt? Warum nur wurde Lily das Gefühl nicht los, gehört zu haben, dass ein gewisser Professor Doyle im Ausland wirklich Anerkennung erhalten hatte, wenn Greg ihn sich - seiner Erzählung nach -nur ausgedacht hatte? Ob Madame Maxime davon wusste?
 

Lily biss sich beinahe ihre Unterlippe wund, als das Schiff der Durmstrang Schüler, dass schon seit Monaten im See ankerte, ihre Aufmerksamkeit erregte. Die Gruppe von Mädchen, welche in dicke Pelze gehüllt, lachend an Land schwebten, ignorierten sie gekonnt und schienen beinahe versunken in ihre Erscheinungen. Selten hatte Lily Mädchen gesehen, die ähnlich arrogant und eingebildet waren wie die aus Durmstrang. Allen voran Galina Kuprin. Lily wusste nicht genau, woher die Feindseligkeit kam, die stets in ihren Augen hervor blitzte, wenn immer sie einander direkt ansahen, aber irgendetwas an ihr schien dieser Galina deutlich zu missfallen. Es konnte wohl kaum ihr Aussehen sein, mit dem die Schönheit konkurrierte, denn Lily mit ihrem roten Haar und den braunen Augen kam kaum gegen Galinas Vollkommenheit an. Sie wandte den Blick von den Mädchen ab und betrachtete ihre Fingerspitzen, als ein Ausruf jäh ihre Sinne blockierte.
 

„Am meisten freue ich mich heute auf die Stunden mit Doyle.“

„Er macht fantastischen Unterricht, wirklich. Vor allem, dass wir die Auserwählten seiner Zusatzstunden sind“, pflichtete ein anderes Mädchen Galina bei und neigte kurz den Kopf – seltsam verträumt.

„Obgleich ich nicht weiß, wofür wir Dinge wie den Kraftkreis benötigen“, murrte ein anderes und zog einen Schmollmund. „Wozu denn Kräfte bündeln, hä? Ich will doch nicht meine Macht mit diesen Exfavilla Idioten teilen!“

„Pssst“, Galinas Zeigefinger flog beschwörend an ihre Lippen und ihr Blick bohrte sich in Lilys, die nicht umhin konnte, die vorbeischreitenden Mädchen zu fokussieren. „Wir wollen doch nicht, dass Unerwünschte davon erfahren.“
 

Selbst in ihren Träumen erschien ihr Galina Kuprin fortan, stets kryptisch und geheimnisvoll, aber auch tief böse, sodass Lily manchmal fürchtete sie würde sie hinterrücks in ihren Träumen ermorden. Doch das ging nicht; hoffte sie. Glaubte sie. Nur wenn sie heimlich bei Mephisto übernachtete, dann ließ sie Lily in Ruhe. Am liebsten hätte sie sich ihren Freunden anvertraut, doch wie albern würden ihre Erklärungen klingen? Konnte sie überhaupt ansatzweise erklären, ohne die ganze Geschichte offenzulegen? Und das andere Problem – sie hatte sich zuerst von allen entfernt. Abstand genommen von ihrem besten Freund Hugo, von Imogene und ihrer Familie. Von Rose, der sie sich in den letzten Jahren oft anvertraut hatte. Nun konnte sie zu keinem mehr flüchten. Nun war sie allein. Allein mit Greg und Galina Kuprin.

Eines Nachts kam sie und setzte sich zu Lily an einen Holztisch in den Drei Besen. Die Potter hatte Schreien wollen, doch kein Laut war ihr über die Lippen gekommen und dann hatte Galina ihr ein Märchen erzählt.
 

„Es war einmal eine arme Frau, die liebte einen reichen Mann. Er war der größte Zauberer im ganzen Land. Doch die Liebe blieb von ihm unerwidert, denn er war vollkommen angewidert. Doch dann eines Tages im Morgengrauen, erinnerte sich der alternde Mann, wo jemand wäre, dann und wann, der ihm geben würde, was er ersucht – einen Erben seiner Macht. Das Kind ward bald geboren dann und der Vater wurde verbannt. Denn ein anderer Zauberer war mächtiger als er und ihm blieb nichts mehr als die Flucht. So wusste niemand von dem Kind und die Mutter liebte es allein, bisweiln eines Tages die Stunde anbrach, in der sie ihn ziehn lassen musst. Als er zu ihr zurückkam nach Jahren, da war ihr Sohn tot. So gab sie ihm ihr Herz und meine Seele-“
 

Sie war aufgewacht. Schreiend. Und ihr Herz war kalt gewesen, als hätte es jemand sich nehmen wollen.
 

-
 

Rose streifte missgelaunt durch die Gänge und ihr Blick verfing sich mit den winzigen Angaben, welche auf dem kleinen Pergamentpapier in sauberer Handschrift standen. Selbst die schön geschwungene Form ihrer Buchstaben ließ auf Dominiques Veela-Gene schließen, so absurd dies auch immer klang; wäre es noch eine Zeit der schmachtenden Liebesbriefe – Dominique hätte sie alle. Die kleine Nachricht war in Form eines winzigen Täubchens im Verwandlungsunterricht auf sie zugeflogen und Dome hatte immer wieder verstohlene Blicke zu ihrem hinteren Platz geworfen, ehe Rose ergeben genickt hatte. Seufzend, denn offensichtlich konnte Dome nicht umhin, sie neuerdings ständig mit Belanglosigkeiten zu beschäftigen. Dabei gab es doch etwas, das weit mehr Rose‘ Interesse und Aufopferung verlangte, nämlich, was zum Teufel Scorpius Malfoy die ganze Zeit vor ihr verborgen hielt. Er war nicht ehrlich, nein, nicht ganz. Sie spürte es und sie hasste es, eifersüchtig zu sein und misstrauisch und vielleicht war es sogar ganz gut, dass Dominique sie nun mit ihren Problemen abzulenken suchte – vielleicht war es das, was sie suchte. Die Weasley rechnete damit, dass Dominique ein bisschen spioniert und herausgefunden hatte, wo Freddy seine Affäre das nächste Mal traf. Auch ihr gefiel nicht unbedingt, dass er sich auf Jane Seymour einließ, aber sie fühlte sich diesbezüglich machtlos und matt; als würde er jemals wieder auf sie alle hören. Er hatte abgeschlossen, leider Merlins. Wahrscheinlich fand er bei den Slytherins, was er bei ihnen vergebens gesucht hatte. Rose wollte sie nicht mehr vermeintlich als die Bösen betrachten, denn immerhin ging sie mit Scorpius Malfoy aus.
 

Sie gelangte in den dritten Stock und blinzelte erneut auf die Notiz. Keineswegs kannte sie alle Räume in Hogwarts auswendig, doch nun wusste sie, wohin Dominique sie führte. In den Raum für Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Also in Professor Doyles Raum. Äußerst gewagt, wie sie fand. Aber manchmal wirkte Jane, als kümmere sie es alles nicht. Sie war immerhin eine Seymour.

Eine genaue Zeitangabe verriet Rose zudem, dass sie äußerst pünktlich war. Auf die Minute. Es war ein sonniger Nachmittag, den viele der Schüler draußen auf den Ländereien verbrachten. Scorpius hatte gesagt, er würde mit Albus trainieren. Doch Alice war mit diesem vor wenigen Minuten zu einem Spaziergang aufgebrochen. Rose hatte versucht, diese Ungereimtheiten bestens zu ignorieren, doch… vergebens. Sie wollte nicht daran denken, sich keine Sorgen machen, kein Misstrauen hegen.

Ohne groß darüber nachzudenken, stieß sie die Tür des vertrauten Klassenraums auf und bemerkte einen Moment zu spät, in was sie gestolpert war. Bewegungslos verharrte die Weasley und ihr Blick flog nur den Bruchteil einer Sekunde über die Szenerie. Bedingungslos alle Köpfe hatten sich ihr zugewandt und eine heimliche Feindseligkeit blitzte ihr entgegen. Da waren Schüler aus allen Zaubererschulen. Selbst ihre Freunde aus Beauxbatons. Sie erkannte Galina Kuprin. Sie machte Adrian Zabini aus, Polly Parkinson, Alexa Chang, Quirin Goyle. Sie sah Jane Seymour. Und neben ihr auch Fred. Rose fühlte sich wie betäubt.
 

In welcher Welt konnte ein Zauber so harmlos wirken und doch zur schwärzesten Kunst gezählt werden, wenn nicht in ihrer?

Die Welt fiel in sich zusammen, als sie Scorpius sah. Sie fiel und drehte sich weiter, nur andersrum.

fourteen

            
 

     
 

Rose Weasley hatte das unnatürlich stark auffallende Talent, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Schon immer gehabt. Immer verflucht, immer gehasst. Immer darunter gelitten. Wenn es also nicht Scorpius Malfoy gewesen war, der sie in der Vergangenheit in jeweilige Misere getrieben hatte, so war es stets ihrem eigenen fabrizierten Unglück zu verschulden gewesen – eben ganz den Ronald – Genen wie ihre Mum ihr eher negatives Erbgut scherzhaft nannte (nicht zur Freude ihres Dads). Manches änderte sich nie.

„Miss Weasley“, murmelte Professor Doyle ruhig. Sie hob den Blick von seinem penibel aufgeräumten Schreibtisch und sah ihm in die Augen, wenn auch nur kurz, da die stählerne Kälte sie unweigerlich einschüchterte. Sie hatte Doyle nie besonders große Beachtung geschenkt, auch nicht, als Imogene ihr einmal erzählt hat, dass viele Mädchen ihrer Stufe geradezu in ihn vernarrt waren. Er sah gut aus, keine Frage. Sehr attraktiv und vor allem kaum älter als Ted. Seine Haut war heller als die Albus‘, sein Haar noch glänzender und schwärzer als das ihres Cousins und seine Augen waren von einem kristallinen eisblau, in denen ein Sturm tobte und die so viel Kälte ausstrahlten wie kein Blick eines Malfoys. Doch Rose interessierte sich nicht für die äußerliche Attraktivität ihrer Lehrer; seine optische Perfektion beeinflusste sie nicht, nein - für Hermione Weasleys Tochter hatte stets nur eines gezählt und das waren die akademischen Vorzüge gewesen.

„Ich bin bereit, von einer Strafe abzusehen“, fuhr er gelassen fort, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und seine Lippen verzogen sich zu einem so schmallippigen Lächeln, sodass er beinahe im Alter von James‘ hätte sein können. Rose schnappte ungehalten nach Luft. „Was habe ich getan, dass eine Strafe überhaupt infrage kommt?“, fragte sie irritiert und Doyle zog eine Augenbraue in die Höhe. Der Blick, mit dem er sie daraufhin beseelte, trieb Rose zu der Annahme, dass jede Frau es mit ihm schwer hätte. „Sie sind ohne ein Zeichen der Ankündigung einfach in meinen Klassenraum gestürzt und haben somit meinen Unterricht gestört.“

„Es ist mir klar, dass es sie bestürzt, dass ich hinter Ihr kleines Geheimnis gekommen bin, Professor Doyle, allerdings auf welche Art auch immer ungewollt bin ich Zeuge einer Versammlung schwarzmagischen Charakters geworden, die nach Paragraph 167 der Schulordnung verboten ist!“

Rose Weasley war eine Frau mit Prinzipien. Schon immer gewesen. Sie besuchte das siebte Jahr in Folge Hogwarts, war seit drei Jahren Vertrauensschüler und seit einem Jahr sogar Schülersprecherin – wenn Doyle nach einem knappen halben Jahr dachte, er könne die Schulordnung kurzerhand übergehen, dann hatte er sie noch nicht mit einberechnet. Sie war gegen seinen Charme, mit dem er andere Mädchen um den Finger zu wickeln vermochte, immun. Rose lächelte, indessen Doyles erstarb.

„Was willst du tun, Rose? Unser kleines Treffen zur Schulleiterin tragen? Ich denke, ich bin weit besser in der Lage, meine Sicht der Dinge verständlich zu machen, als du es je sein wirst, das zu beschreiben, was du gesehen hast. Zwischen dem Verbotenen und dem Alltäglichen liegt kaum ein ganzer Schritt. Widimars Kraftkreis gehört keineswegs zu den schwarzmagischen Verbändelungen, falls du darauf hinauswillst.“

Rose biss sich auf die Unterlippe, bevor sie das Kinn in die Höhe reckte und ihre Hände ineinander faltete. Sie balancierte auf einem zu schmalen Grad – ein falsches Wort und sie würde fallen. Aber Rose Weasley verschwieg keine Antworten. Schon immer, noch nie. „Grindelwalds Kraftkreis schon“, erwiderte sie einen Hauch trotzig und zunächst wurde sie Zeuge einer verzerrten Grimasse, welche sich langsam in eine Art stille, eisige Maske formte; ihr kaum mehr Möglichkeit bot, jegliche Regung aus seinem Gesicht abzulesen. Rose‘ Herzschlag setzte aus, nur ganz leicht und doch sah er sie in diesem Moment so direkt an, als hätte er ihre Unsicherheit genau mitbekommen.

„Über Grindelwalds Kreis ist nichts bekannt. Es konnte nicht einmal bewiesen werden, dass er ihn tatsächlich seiner Zeit eingesetzt hat.“ Seine Stimme schnitt ihr ins Fleisch und doch konnte Rose nicht anders, als den Kopf zu schütteln. „Ich habe gelesen, dass es schon bewiesen wurde und dass er sich insbesondere vor dem Kampf mit Albus Dumbledore der Macht anderer Zauberer befähigte - einer Macht, die seine Anhänger ihm in der Folgezeit freiwillig zukommen ließen.“

Doyle beugte sich leicht über den Tisch, seine Augen fingen ihre und ließen sie nicht mehr los, sodass Rose der Atem stockte. „Nur soviel - Grindelwalds Kreis ist, insofern er wirklich existieren sollte, nur mit einer Kraft zu halten, die ich nicht besitze und nie besitzen werde, weshalb die logische Schlussfolgerung ist, dass ich meinen Schülern Widimars Kraftkreis vorgeführt habe, verstanden? Ihr neunmalkluges Gehabe behalten sie also besser für sich. Und das, was sie heute gesehen haben, auch.“

„Sonst?“ Er schien nicht damit gerechnet zu haben, dass sie erneut Widerworte lieferte und nur ganz sacht schmeckte die Weasley, wie sie seine Geduld aufbrauchte. „Sonst geschehen Dinge, von denen sie im Moment noch keine Vorstellung haben.“

„Wollen sie mir drohen?“

„Ich will dich nur warnen, Rose. Ich weiß eine Menge über dich und deine Familie. Über dich und den jungen Malfoy. Ich weiß auch, wie dein Freund die Schulordnung gleich mehrfach bricht. Wäre es nicht schade, wenn er so kurz vor den UTZ Prüfungen der Schule verwiesen würde?“

Rose schluckte einmal hart, bevor sie sich zitternd vor unterdrückter Wut erhob. Sie wollte keine Sekunde länger mehr mit diesem Kerl im selben Raum sein.

„Wir verstehen uns?“, fragte er süffisant grinsend und Rose verspürte den Drang, ihm ins Gesicht zu schlagen. „Sicher“, murmelte sie nur kühl und drehte sich auf dem Absatz um.

„Ach ja, Rose?“, hielt Doyle sie zurück, kurz bevor sich ihre Hand um die Türklinke schloss. Sie warf einen Blick über die Schulter. „Sie haben sehr schönes Haar. Diese Art Rot sieht man selten.“ Rose verdrehte die Augen und als sie aus dem Büro stürmte, flog ihr Haar durch die taube Luft.
 


 

„Das Kompliment war süß, Greg“, grinste Galina. Die Hexe schälte sich mit stummer Selbstverständlichkeit von seiner Tapete und nahm ihre normale Gestalt an. Wie er ihre Lauscherei doch verabscheute. Mephisto lehnte sich dennoch selbstgefällig zurück und ein seltenes, wahrhaftes Lächeln umspielte sein schönes Gesicht. „Wenn man jedoch bedenkt, dass zurzeit ein Mädchenmörder herumläuft, der rothaarige Frauen bevorzugt“, hauchte sie leise und ließ sich spielerisch vor ihm auf dem Schreibtisch nieder, sich sacht zu ihm vorbeugend, „dann war es nichts als töricht!“

Die Freundlichkeit wich aus ihrem Gesicht und sie trat ihm grob gegen die Brust – etwas, dass ihn rasend machte.

„Verdammt, ich glaube, du wirst nie lernen, auf welch dünnem Eis wir uns bewegen!“, zischte sie abfällig und Mephisto zog den Zauberstab, den sie nur spöttisch betrachtete. „Und das ist hoffentlich nur ein unbedachter Scherz! Du müsstest doch nun langsam wissen, dass jeder Schmerz, den du mir zufügst, auf dich zurückfällt! Kapier endlich, dass wir unabänderlicher Dinge miteinander verwoben sind, okay?“

In diesem Moment hassten sie sich. Vielleicht war Hass sogar noch das einzige, das sie wirklich füreinander empfanden, bedachte Galina als sie ihm in die eisig glühenden Augen sah und sich darin verlor. Der Hass machte sie beide seltsam lebendig, ein Gefühl, das insbesondere sie benötigte. Denn es war nicht der Zustand, den sie gewählt hätte, wenn man ihr mehr als zwei Sekunden für eine lebensbestimmende Entscheidung gegeben hätte.

„Du hättest mich sterben lassen sollen“, erwiderte er kopfschüttelnd und sie griff schnell nach seiner Hand. „Es ging nicht! Ich konnte dich nicht gehen lassen. Wir waren für Größeres bestimmt und du warst nicht Herr deiner Sinne, als es passierte.“

„Menschen werden geboren und sie sterben, Galina. So ist der Lauf der Dinge. Eine Wiedergeburt im gleichen Körper hat die Natur nicht vorgesehen.“

„Das Schicksal hat vorgesehen, dass die Natur beim Auserwählten, beim mächtigsten Zauberer unsere Zeit, eine Ausnahme macht“, flüsterte Galina und ihre Hand legte sich leicht auf seine Brust, an die Stelle, wo das Herz schlug. „Ich werde noch heute nach London aufbrechen und dort ein paar Dinge in die Wege leiten. Am Abend des Kristallballes bin ich wieder da. Verspreche mir“, sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, „dass du deine Triebe und Sehnsüchte in Schach hältst. Verlier keine Kontrolle! Es ist wichtig, Greg!“

Sie zog ihn hoch und schlang die langen Beine um seinen Oberkörper, bevor sie sich einer langen Umarmung hingab. Sie kannten sich beinahe fünfzig Jahre, allein fünfundzwanzig davon waren sie Verdammte. Ein Galina und Gregory hatte immer bestanden. Nur irgendwann hatten sie andere Rollen in ihrer Konstellation angenommen. Als sie Hogwarts hinter sich zurückließ und ohne es eines weiteren Blickes zu würdigen, in die dunkle Nacht apparierte, verstand Galina schließlich, warum Menschen starben. Weil es keine Ewigkeit für die Liebe gab. Bis die Vorstellung eine Schöne war, zu imaginieren wie sie beide gestorben wären. Doch es war nicht die Zeit für Sentimalität.
 


 

-
 


 

Dominique schmerzte der Kopf und der unerwünschte Begleiter namens Migräne kam nicht von irgendwoher, nein, er blühte geradewegs aus ihrem Unterbewusstsein – genau dem Teil in ihr, der es einst geliebt hatte, Intrigen zu spinnen und der Halbveela Jane bestmöglich Konkurrenz zu machen. Doch nach diesem siebten Jahr, der kleinen Sache mit Zabini (über welche sie lieber schwieg) und dem ganzen schulischen Stress, war sich die Weasley definitiv sicher, dass sie das Ende ihrer Schulzeit mehr als alles andere herbeisehnte. Es fühlte sich nicht mehr gut an, Schaden anzurichten. Das bemerkte sie nun, da Rose geradewegs in ihr Unglück gerannt war und diese seltsame Versammlung gesprengt hatte, zu welcher sie etliche Male ihrem Cousin gefolgt war. Ja, sie hatte spioniert. Ausgerechnet sie! Der man doch eher zutrauen würde, stundenlang vor dem Spiegel zu verweilen, als Fred auf Schritt und Tritt zu folgen … ohne kaum ersichtlichen Grund, außer, dass dieser ihre Erzfeindin vögelte.

Dominique rieb die Handflächen aneinander, obgleich das Wetter an diesem Tag gleichwohl sommerliche Züge trug, war ihr unangenehm kalt. Wieder tigerte sie an der Tür zum Raum für Verteidigung gegen die Dunklen Künste entlang, beinahe hingerissen, ebenfalls hineinzugehen und Rose zur Hilfe zu eilen, doch sie konnte nicht. Sie traute sich nicht. Feige wie sie war. Dominique unterdrückte ein Zittern und stieß hörbar Luft aus, als sie plötzlich jemand am Oberarm packte und hinter die nächste Rüstung zerrte. Fred. O nein!

Panisch versuchte Dominique unter seinem Arm hinweg zu schlüpfen, als er sie auch schon mit einer Leichtigkeit gegen die Wand drückte, dass es ihr den Atem raubte. Sie hatte nie Angst vor Fred gehabt. Eher fürchtete man seine Schwester Roxanne. Aber als sie ihm in diesem Moment in die Augen blickte, sah sie die Veränderung darin deutlich, welche seit Monaten in ihm wucherte, wie Albus behauptet hatte. „Clever hast du das eingerichtet.“

Aus seiner Betonung sprach das genaue Gegenteil, wie Dominique nicht entging und sie presste die Lippen fast trotzig aufeinander, nur um zu verhindern, ihm eine besonders freche Antwort entgegen zu werfen, die ihn nur weiter animieren würde, mit ihr dieses Spielchen zu treiben.

„Ich hätte nie gedacht, dass du wirklich Rose auf mich ansetzt. Ich dachte eher, dein Spionage Kram war ein kleiner Versuch, mir zu zeigen-“ Er hielt inne und sah sie gar vielversprechend an, sodass Dominique nicht anders konnte, als die Augenbrauen zusammenzuschieben. „Was?“, fragte sie herausfordernd und Fred legte den Kopf schief. Dominique schloss einen Moment die Augen, ehe sie sich bereit sah, Fred mit neu gewonnener Vehemenz aus dem Weg zu schieben.

„Wenn du denkst, das hier hatte irgendetwas damit zutun, dass ich auf dich stehe, du Idiot, dann halt mal ganz schnell die Besen flach!“, giftete sie energisch und schob sich grob an ihm vorbei. „Du bist immer noch mein Cousin. Und was deine kleine Herzschmerzsache mit Longbottom angeht – die wird auch nie auf jemanden stehen, der sich mit den falschen Leuten abgibt!“

„Und du denkst natürlich, dass die Slytherins die Falschen sind?“

„Wer sonst?“

„Leute wie du, Dome.“ Sie schluckte und nur mit Mühe wahrte sie die Contenance. „Wenn du das denkst, dann kann ich dir nicht helfen. Ich weiß nur, was ich gesehen habe und das war, dass aus dieser Tür an jedem Abend Massen von Slytherins strömen“, ihre Stimme wurde ruhiger mit jeder Silbe, die sie sprach und schließlich konnte sie ihn sogar wieder ansehen, ohne unter ihm wegzubrechen. Er war noch Teil ihrer Familie, aber nicht mehr Teil ihres Herzens. So war das Leben. „Die sich alle durch eine Eigenschaft kennzeichnen – sie sind leicht beeinflussbar. Genau wie du. Ihr habt euren Meister gefunden! Einen, der euch wahrscheinlich alles verspricht. Und aus deiner anfänglichen Orientierungslosigkeit, die dir jeder vergeben hätte, Fred, ist bitterer Ernst geworden. Irgendwann ist es zu spät und du wirst aus dieser Scheiße nicht mehr rauskommen!“

Er warf die Arme in die Luft, als würde er lächerlicherweise um Gnade flehen, bevor ein kühles Lachen seiner Kehle entwich.

„Und ich dachte, du hast Wahrsagen abgewählt, Dome. Aber nun gut, ja, ich gehe das Risiko meiner Verdammnis ein! Jedenfalls verstehen mich die Leute, anders als meine bisherigen Freunde. Sie sind mir mehr wert als Albus und Alice und du und meine ganze Familie zusammen, okay?“

„Okay“, sagte sie, möglichst selbstbewusst, und schwor sich, egal was je folgen würde – niemals mehr mit diesem Kerl irgendein Wort zu wechseln. Es war vorbei. Was auch immer. Der Moment, in dem sie sich um andere scherte, vielleicht.
 

In genau diesem Moment öffnete sich die Tür zum Klassenzimmer und eine blasse Rose stolperte auf den Gang, einen undefinierbaren Ausdruck auf dem hübschen Gesicht. Als sie Fred erkannte, versteinerte sich ihre Miene augenblicklich und der Weasley nahm das als stumme Aufforderung, sich aus dem Staub zu machen. Und das Wenige, das Dominique fühlte, verschwand mit ihm.

„Was war los, Rosie?“, fragte sie haltlos und ihre Stimme trug den ungewohnten Klang von Ernsthaftigkeit beinahe mühelos. Rose öffnete zwar den Mund, doch schien kaum imstande, eine richtige Antwort aus ihrer Kehle zu drängen.

„Nichts. Es war Nichts, Dome. Das war alles ein Fehlalarm, der mich noch dazu in Teufels Küche gebracht hat, also bitte, denk vorher darüber nach, ehe du mir seltsame Hinweise im Unterricht zukommen lässt!“ Ihre Stimme klang bitter und Dominique kaute auf ihrer Unterlippe herum, als sie den Blick aus einem Fenster schweifen ließ und dieser sich mit den Ländereien und fernen Gebirgshängen verfing, hinter denen bald die Sonne des ersten wirklich warmen Tages untergehen würde. Etwas in ihr verleitete Dominique dazu, Rose nicht vollends glauben zu können.

„Wie hat er gerechtfertigt, dass nur Slytherins und diese anderen Schulen diesen Treffen beiwohnen?“, fragte sie darum sachlich und auf Rose‘ Gesicht breitete sich ein beinahe gequälter Ausdruck aus. „So genau habe ich nicht gefragt“, gab sie knapp zu, bevor sie sich den Lederriemen ihrer Schultasche über das rote Haar warf und zur Treppe davonging.

„Wie bitte? Du hast nicht gefragt? Was hast du denn dann die ganze Zeit da drin getrieben?“, erwiderte die Blonde hitzig und folgte ihrer Cousine auf dem Fuß. „Das heißt, Dome, dass du dich besser um deinen eigenen Kram kümmerst, als um das, was ein Professor macht, der in kaum eineinhalb Monaten sowieso von hier verschwinden wird.“

„Genau wie wir im Übrigen. Und schön, wie du Freds Meinung in einem anderen Wortlaut wiedergibst!“

„Was hat er denn gesagt?“, fragte Rose nur minder interessiert und Dominique verdrehte die Augen. „Dass ich nerve, oder so.“ „Ach was?“

„Was machst du jetzt wegen Scorpius?“ Rose warf ihr einen irritierten Blick zu und als Dominique Zeuge ihres Unverständnisses wurde, entwich ihr ein theatralisches Seufzen. „Also ich würde mich an deiner Stelle von ihm trennen.“ „Ach wirklich?“, Rose blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihr um, samt eines Blickes, der selbst einen Riesen in die Flucht geschlagen hätte. Dominique zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Er hat dich verarscht. Willst du dir das gefallen lassen?“

„Verdammt, kümmere dich um deinen Kram, okay? Es geht dich absolut nichts an, was ich nun mit Malfoy mache!“, fuhr Rose sie gereizt an und Dominique stockte der Atem, „Deinem Urteilsvermögen kann man nicht trauen, das hat der heutige Tag ja wieder bewiesen – also wenn du etwas richtig machen willst, dann misch dich am besten überhaupt nicht mehr ein! In Nichts!“
 

Als Dominique warme Tropfen Blut auf den Lippen schmeckte, war Rose bereits davon gestürmt. Wie in Trance wischte sie mit der Handfläche über den Mund, bevor auch sie ihren Weg langsam fortsetze. Es war schon komisch, diese Sache mit dem Sorgenmachen. Hatte man keine, so fraß einen die Einsamkeit der menschlichen Abstinenz fast auf. Sorgte man sich hingegen mehrfach, so triumphierte die eigene Misere. Wütend warf Dominique einen letzten Blick aus einem der wohlgeschwungenen Fensterbögen ihrer nunmehr so verhassten Schule und nahm die sich ausbreitende Nacht still zur Kenntnis, ehe sie zuließ, wie die Wut ihr Herz überrannte. Bis das Blut ihrer Lippen salzig schmeckte.
 

-
 

Als Malfoy hatte man ungemeines Glück – in allen Lebensbereichen wohlgemerkt. Man hatte Glück mit den Genen, denn in einer Zeit aussterbender Blondinen war blond etwas ganz Besonderes und zudem noch so magisch mit ihrer Familie verwurzelt, dass alle Malfoyerben blondes Haar besaßen, hingegen jeglicher Mendelscher Regeln. Alle hatten sie die blaugrauen Augen und die helle Haut, die den schlanken, hochgewachsenen Körper umspannte und die erst im hohen Alter beginnen würde, Falten zu werfen. Die Malfoys besaßen Unmengen von Geld, das drei große Verliese von Gringotts füllte und behielten zumeist auch alles für sich allein, wonach es kaum Ausgaben gab als die Üblichen wie die für Kleider und etwaige andere Luxusartikel. Imogene wusste, dass sie sich glücklich schätzen konnte, eine Malfoy zu sein.

Dennoch waren ihr die Verpflichtungen, die damit einhergingen, zu wider. Mit diesem Wissen schlug sie ihr Zaubertrankbuch zu und zog sich ein neues Blatt Pergament heran, um ihren Eltern ein paar Zeilen zu schreiben. Nur mit blindem Grauen dachte die Malfoy an die Weihnachtsferien zurück, an denen ihre Eltern - zwanghaft und ohne ein Wort miteinander zu wechseln - jedes Abendessen über sich und die Kinder gebracht hatten, so frostig wie es nur ihrer Familie gelang. Imogene interessierte sich zwar brennend dafür, was zwischen den Eheleuten vorgefallen war, doch weder ihr Vater noch ihre Mutter würden ihr die Wahrheit sagen. Am liebsten hätte sie ihnen geschrieben, dass sie nach den ZAGs Hogwarts für immer verlassen würde, doch wie eigennützig wäre dies gewesen und den Stress, den sie damit bei ihren Eltern entfachen würde, war kaum zu imaginieren. Doch Imogene träumte von der Welt, wollte jeden Kontinent bereisen und nach all den Jahren engte Hogwarts sie immer mehr ein. Und sie träumte von James.
 

„Ich muss mit dir reden“, die Stimme war so leise, dass Imogene sie beinahe nicht verstanden hätte, doch als ihr der Geruch von Frühling in die Nase kroch, hob sie verdutzt den Kopf, „es ist dringend.“

Imogene war zunächst versucht, die Potter zu fragen, wer sie sei, um kühl darauf hinzuweisen, wie Lily sich die letzten Monate ihr und Hugo gegenüber verhalten hatte, doch blieben ihr die knappen Worte im Hals stecken, als sie erkannte, in welchem Zustand sich ihre beste Freundin befand. Ihr ansonsten so glattes, glänzendes Haar war zu einem unschönen Knoten aufgetürmt und sie trug einen mehr oder weniger schäbigen Pullover – Weihnachtsgeschenk ihrer Großmutter Molly im dritten Jahr mit einem Schnatz auf der Brust –, dessen Farbe sich vehement mit dem Rot ihres Haars biss. Ihre Lippe war aufgesprungen und ihr Gesicht so blass, sodass Imogene sie am liebsten sogleich Madame Pomfrey ausgehändigt hätte.

„Du siehst furchtbar aus“, sagte sie schnell, zückte den Zauberstab und zog Lily damit einen Stuhl an ihren Tisch in der Bibliothek, den sie schon seit geraumer Zeit für sich beanspruchte, ohne jegliche Erfolge vorweisen zu können. Lily ließ sich schlapp darauf nieder und auf dem Gesicht der Malfoy breitete sich Besorgnis aus. Eine kleine Ewigkeit saßen sie sich nur stillschweigend gegenüber, bis Lily ihre Lippen befeuchtete und begann zu sprechen.

„Ich habe einen Fehler gemacht, Imogene.“

Die Malfoy schluckte, unfähig etwas zu sagen, aus Angst vor dem, was noch folgen würde. Es wäre nichts Gutes, definitiv nicht.

„Alles begann bei den Quidditchauswahltrainings für Team Hogwarts. Albus wollte mich zuerst nicht, weil Alexa einfach besser gewesen ist, also habe ich ihm eine Szene gemacht und bin noch am selben Abend wütend in die Küche gegangen“, erzählte sie leise und spielte nervös mit einer herumliegenden Füllfeder herum, die Imogene vor gefühlten Stunden haltlos weggeworfen hatte. Die Malfoy wusste nicht, worüber sie größere Bestürzung äußern sollte – entweder über den Fakt, dass Lily mit fünfzehn Jahren verbotenerweise abends in Hogsmeade gewesen war oder allgemeiner betrachtet, dass ihre Phase nun schon beinahe ein halbes Jahr anhielt. Mit einem Mal spürte Imogene, eine weitere Last auf ihre Schultern krauchen, nämlich die, nicht wirklich für Lily dagewesen zu sein, nein, stattdessen in Hugo und ihre eigenen, oder gar mit ihm geteilten Probleme zu viel Zeit investiert zu haben!

„In dieser Nacht traf ich Mephisto.“

„Wen?“

„Den Teufel“, hauchte sie und ihr Blick sprühte vor einer Intensität, die Imogene leicht zurückzucken ließ. Ihr Herz wurde kalt vor Angst, obgleich es doch lediglich Metaphorik war, von der ihre beste Freundin Gebrauch machte – zumindest hoffte sie das. Imogene stützte sich auf die Ellenbogen und fasste nach Lilys Hand, bemüht, Hugos Rat zu beachten und logisch zu denken, nicht den Kopf zu verlieren. Das hatte er ihr gesagt; ihr vielmehr eingebläut, dass ihr Ausflug zum Todestag ihres Bruders nichts mehr als ein Traum gewesen sei. Der Traum von ihm. Und dass die Logik half, nicht den Verstand zu verlieren. Doch was war Logik gegen Magie?

„Wer ist er, Lily?“, fragte sie bemüht ruhig und ihr Blick flackerte kurz hinüber zu Madame Pince, die adleräugig durch die Gänge schlich. Die Potter seufzte leise und ihr ohnehin schon glasiger Blick verschwamm weiter, sodass Imogene nur noch tränenglitzerndes Braun erkannte. „Es war Doyle.“ Imogene ließ jäh ihre Hand los und wich zurück, bevor die Malfoy spürte, dass sie genau falsch gehandelt hatte, als Lily eine Träne über die Wange rollte und sie beschämt das Gesicht in den Händen vergrub. Ruhig bleiben. Klar denken. Die Lage logisch betrachten. Doch Imogene war kaum imstande, ihre Gedanken zu ordnen. Nun war sie Mitwissende zweier Geheimnisse – dabei war ihr Leben doch schon allein betrachtet ein einziges Chaos!

„Was ist passiert?“ Lily schüttelte sich und zunächst wusste sie nicht, ob es ein Lachen oder Zittern war, das ihren Körper heimsuchte. „Ich habe einen Pakt mit ihm geschlossen“, murmelte sie und ihr Blick fuhr die hohen Bibliothekswände hinauf und suchte die nähere Umgebung ab – panisch schnell.

„Wieso?“, hauchte Imogene nur ungläubig und Lily zuckte mit den Schultern.

„Ich fand ihn attraktiv und an diesem Abend verströmte er eine Art verbotene Aura, bei der ich mir sicher war, dass er mir helfen könnte. Also ging ich zu ihm und er räumte für mich Alexa Chang aus dem Weg, sodass ich ins Team kam.“ „Aber, Lily, wieso? War dir das alles so wichtig, ernsthaft? Wie kannst du damit leben, dass Alexa fast zwei Monate lang im St. Mungo herum vegetiert hat?“

„Ich habe es ausgeblendet.“

„Was hast du Doyle gegeben?“, fragte Imogene forschend und Lilys Gesicht verfärbte sich – Antwort genug. Die Malfoy sank kopfschüttelnd in ihrem Stuhl zusammen und schloss die Augen.

„Ich liebe ihn wirklich, so sehr, Imogene. Er ist all das, was man nicht lieben sollte und all das, was mich kaputt macht, aber ich kann nicht ohne ihn! Nur langsam wächst mir alles, was mit seiner Vergangenheit zusammenhängt, über den Kopf. Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll! Ich weiß nicht mehr, was ich davon halten soll, aber ohne ihn geht es mir so schlecht. Ich fühle mich so schwach und leblos ohne ihn.“

„Du musst ihn verlassen“, unbeabsichtigt harte Worte trafen die junge Potter und Imogene spürte das Mitgefühl aus ihrem Blick weichen, als Lily auch noch den Kopf schüttelte. „Du verstehst das nicht.“

„O doch, ich verstehe das sehr wohl“, fuhr Imogene hitzig hoch und fixierte Ihre beste Freundin mit zornigem Blick. „Dieser Typ ist gefährlich, Lily! Er macht dich krank, das Wissen darum, dass er dich in der Hand hat, das ist es doch, was dich so fertig macht! Du musst dich von ihm lösen, hast du gehört? Du musst ihn verlassen, das ist das einzig Richtige!“

„Das geht nicht so einfach, wie du es dir vorstellst!“, erwiderte Lily gereizt und Imogene fuhr sich fahrig durch das blonde Haar.

„Warum denn nicht? So ist das Leben! Man kommt zusammen und man trennt sich, finito!“

„Genau das zeigt mir, dass du mich überhaupt nicht verstehst! Ich bitte dich, wann warst du schon mal verliebt?“ Imogene schluckte und reckte das Kinn, während Lily sich genervt eine Haarsträhne hinters Ohr strich, die sich zuvor aus ihrem Knoten geschlängelt hatte.

„Ich bin verliebt, Lily. Und normalerweise hat Liebe nichts mit Zwängen-“

„In wen?“, Imogene sah ungeahntes Interesse im Blick der Potter und sie spürte wie ihr Mund trocken wurde. Sekunden verstrichen, in denen Imogenes blasser Teint einen schönen Rotton annahm. „James?“, hauchte sie vorsichtig und von ihrem natürlichen Selbstbewusstsein war jeder Funken verschwunden. Lily schien zunächst nicht in der Lage, den Namen einzuordnen, doch als sie alle Hogwartsstudenten im Kopf durchgegangen zu sein schien, breitete sich ein Ausdruck von blankem Entsetzen auf ihr Gesicht.

„Das ist nicht dein Ernst! James? Mein James? Mein Bruder? Bist du verrückt?“ Für einen Moment, so fiel der Malfoy auf, war Lily wieder ganz die Alte. Das alte Strahlen. Das alte Leben in den Augen. „Scheint ganz so.“

„Das geht nicht! Ganz und gar nicht, Imogene! Albus habe ich ja noch verstanden, aber James? Der wird es niemals Ernst mit dir meinen, also sei nicht so naiv. James ist ein Spieler.“

„Ach so? Und was ist dann Doyle?“ Lily erwiderte nichts mehr, sondern funkelte Imogene nur über den Tisch hinweg böse an. „Bitte, verlasse ihn, Lily. Bald ist er doch sowieso weg, dann ist er wieder in Frankreich oder sonst wo und du siehst ihn wahrscheinlich eh nicht wieder. Er ist nicht gesund für dich. Du hast dich in den letzten Monaten so zu deinem Nachteil entwickelt, dass es nur ihm zuzuschreiben sein kann! Bitte, Lily!“
 

Imogene Malfoy betete nicht oft. Doch in diesem Moment tat sie es.
 

-
 

Eine haltlose Müdigkeit überfiel Rose, als sie ihre Zimmertür hinter sich zuzog und sich einem Chaos gegenübersah, das so wunderbar das Durcheinander ihres Kopfes wiederspiegelte, dass ein kleines, mattes Lächeln auf ihr Gesicht schlich. Noch am frühen Nachmittag hatte sie hier inmitten dieses kreisrunden Raumes gesessen und versucht, ein älteres Kleid, das sie zum Weihnachtsball vor nunmehr zwei Jahren getragen hatte, nach ihren Wünschen zu verwandeln, doch das magische Schneiderhandwerk lag ihr kaum, wie sie nur wenige Minuten später hatte feststellen müssen. Zwischen den unzähligen verschiedenfarbigen Bändern und Zauberfäden lagen auch einige Bücher aus der Bibliothek, die ihr hatten helfen sollen, und mitten unter ihnen auch ihre Lehrbücher, vorrangig Exemplare für Zaubertränke – ihre erste UTZ Prüfung, die in kaum einer Woche wäre. Selten hatte sich Rose derart unvorbereitet für eine Sache gefühlt. Doch hatte sie sich eingestehen müssen, dass ihre Aufgaben als Schülersprecherin, die seit mehreren Monaten damit zusammenhingen, die Kristallnacht zu organisieren, und das erhöhte Lernpensum im letzten Jahr, sowie ihre Beziehung zu einem Malfoy wohl kaum je dazu bestimmt gewesen waren, ein sanfter Spaziergang zu werden.

Sie seufzte, als sie vorsichtig und auf Zehenspitzen durch das Chaos auf dem Boden schlich und imaginierte, wie ihre Mutter wohl reagieren würde, sehe ihr Zimmer in London einmal so aus. Ihre Mutter war immerhin die Ordnung in Person. Der eigentliche Grund, weshalb sie nicht einfach nach Hogsmeade ging und sich ein neues Kleid kaufte, war schlichtweg, dass sie kein Geld hatte. Okay, doch. Ihre Eltern hatten sogar Unmengen von Geld, jedenfalls so viel, dass ein ordentliches Kleid dabei abgesprungen wäre, aber Rose sträubte sich gegen den Gedanken, ihre Eltern zu fragen, die ihr diesen Wunsch wohl kaum abgeschlagen hatten, aus genau einem Grund. Und dieser hatte langes, blondes Haar, strahlend blaue Augen und ellenlange Beine – Dominique.

Vor wenigen Tagen hatte die Viertelveela beim Frühstück gesessen und jedem der es hören wollte (und auch dem, der es nicht hören wollte), erzählt, dass ihre Mutter Fleur ihr eigens ein Kleid in Frankreich hat anfertigen lassen. In diesem Moment hatte Rose beschlossen, ihre Eltern nicht in die Kleiderwahl mit einzubinden. Aber ein schönes Kleid war nicht billig und Rose hatte nicht genügend Galleonen übrig, um sie für einen einmaligen Abend auf den Kopf zu hauen.

Sie ließ sich auf einem runden, weichen Kissen in den Farben Gryffindors nieder und ließ den Blick über den Boden schweifen bis hin zu der winzigen Handtasche, die sie seit dem ersten Jahr begleitete, wenn immer es auf Hogwarts ein Fest, in Hogsmeade eine Party oder zuhause irgendwelche Anlässlichkeiten gab. Es war ein Geschenk ihrer Mutter gewesen mit der Besonderheit, dass sie so magisch verzaubert war, dass man wirklich alles darin verstauen konnte, was einem beliebte. Rose kramte einen Moment darin herum, schob kleine Muggel Lesehefte beiseite, Schminke, Klamotten, die sie seit Ewigkeiten gesucht hatte. Ihr fiel sogar ein uraltes Brett Zaubererschach in die Hände, mit dem sie und Albus sich die Zeit auf langweiligen Familienfeiern vertrieben hatten. Sie hatte die Tasche noch nie aus- geschweige denn aufgeräumt – ein weiterer Punkt, in dem sie wohl kaum die Art ihrer Mutter geerbt hatte. Ein kleines silbernes Amulett fiel ihr in die Hände und verdutzt zog sie es heraus, nur um wissend mit der Fingerkuppe über die vertraute Gravierung zu fahren. Sie klappte es auf und blinzelte in den kleinen Spiegel, in dem ihr für den Hauch einer Sekunde ein blaues Auge zuzwinkerte. Bevor sie mit elf Jahren nach Hogwarts gefahren war, waren Dominique und sie beste Freundinnen gewesen. Zu ihrem elften Geburtstag dann hatte Dominique ihr in freudiger Erwartung diesen, als Amulett getarnten, Zwei-Wege-Spiegel geschenkt, den sie gebrauchen konnten, wenn immer sie im weiten Hogwarts nicht zusammen waren. Schließlich hatten sich ihre Wege schnell getrennt, da Rose eine Gryffindor und Dominique eine Ravenclaw geworden war, Rose Alice kennengelernt hatte und Dominique die anderen eingebildeten Mädchen aus Ravenclaw. Aber auch ihre Stundenpläne waren gänzlich verschieden gewesen, denn so hatten die Gryffindors beinahe alle Stunden mit den Slytherins zu verbringen, während Ravenclaw und Hufflepuff zueinander sortiert wurden waren. Ach ja, und Dominique war zudem vom ersten Tag an Scorpius Malfoy verfallen gewesen, etwas, das Rose zum damaligen Zeitpunkt nicht hatte nachvollziehen geschweige denn akzeptieren können.
 

Sie wusste nicht, was Dominique mit ihrem Spiegel getan hatte und ob er überhaupt noch existierte, jedoch hatte ihrer den Weg ins Gerümpel ihrer Handtasche gefunden und Rose verspürte mit einem Mal tiefe Reue für das, was sie ihrer Cousine an diesem Tag vorgeworfen hatte. Sie war ungerecht gewesen, wenn auch zu recht. Rose zog mit einem Ruck die Handtasche nach oben und hielt sie etwas von sich entfernt kopfüber, nur um im nächsten Moment die letzten Jahre auf ihrem Fußboden auszukippen, was mit ohrenbetäubendem Poltern zusammenhing. Sie hustete, als feiner Staub sie einnebelte und als sie die Augen wieder öffnete, war das Chaos in ihrem Zimmer um einen Berg größer. Sie sollte ihr Leben wirklich einmal aufräumen, bedachte sie, als sie die Gestalt im Türrahmen ihres Zimmers bemerkte und ihr Herz einige Takte höher schlug. Scorpius betrachtete die Unordentlichkeit in ihrem Zimmer mit einer hochgezogenen Augenbraue, bevor er wagte, einen Fuß in den Raum zu setzen.

„Du hast dich reingeschlichen.“ Sie überhörte den sanften Vorwurf in seiner Stimme und ignorierte auch jeden weiteren Blick, bevor sie in der Hoffnung auf einen klaren Kopf langsam begann, die herumliegenden Bücher mit dem Zauberstab in die Regale schweben zu lassen. „Ich habe dich nicht gesehen“, sagte sie wahrheitsgetreu, denn eigentlich hätte sie damit gerechnet, dass er sie unmittelbar an der Tür empfangen würde. Ein wenig reumütig vielleicht. Wie ein Hund. Aber was hatte sie überhaupt erwartet – bei einem Malfoy?

„Ich war in der Küche.“ Nun war es Rose, die eine Augenbraue in die Höhe zog und ihn entgeistert musterte.

„Wie bitte? Du bist in die schäbigste Muggelküche aller Zeiten gegangen“, sie hoffte sehr, dass ihm auffiel, wie sie seine Worte gebrauchte und ein spöttisches Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, „Was hast du da drin gemacht? Doch nicht etwa gekocht?“

„Das hatte ich vor.“

„Aber?“, musternd fiel ihr Blick über seinen Körper. Scorpius sah wie immer umwerfend aus – er hatte wohl kaum gekocht, wenn er diese Disziplin nicht ebenso beherrschte wie alles andere, doch es würde sie wundern. Seine Miene wurde einen Hauch ernster und er trat noch einen Schritt näher auf sie zu, bevor er die Arme lässig verschränkte und ihr einen so intensiven Blick schenkte, dass Rose‘ Kehle trocken wurde. Sie ahnte nichts Gutes und dennoch war sie nicht imstande, festzumachen, worin ihr Unbehagen genau lag.

„Ich bin ein Malfoy, Rose.“ Die fein gewebten Worte rieselten auf sie herab und Rose blinzelte zu ihm hinauf, unfähig zu erkennen, was er sagen wollte, doch mit neuer Nervosität die Distanz spürend, die er mit diesem Satz von ihr nahm.

„Und ich bin eine Weasley“, sagte sie und fühlte jäh Taubheit in ihrem Mund, den Lippen. Sie konnte nicht glauben, dass sie nach all den Monaten wieder genau am Anfang angekommen waren. Genau am Ursprung von allem – ihrer Herkunft. Der – ach so! – bösen Herkunft, die es ihnen unmöglich machte, auch nur befreundet zu sein. War sie allen Ernstes so töricht gewesen, zu glauben, das ewige Auf und Ab hätte ein Ende?

„Was willst du mir sagen?“, hörte sie die Worte tonlos aus ihrem Mund sprudeln und sah den neuerlichen Wandel aller Emotionen auf seiner Miene. Und mit jeder Sekunde wurden sie makelloser bis sie irgendwann nichts Warmes mehr auf dem – in den letzten Monaten so aufgetauten – Gesicht erkennen würde. Die Gewissheit darum traf sie seltsam hart. Er zögerte. Noch. Doch die Worte kamen schneller, als Rose sie sich gewünscht hatte.

„Ich bin nicht der, der seinem Mädchen immer erzählt, wo er hingeht und was er macht, mit wem er was macht und wann er zurück ist. Ich bin vielleicht nicht der chronische Fremdgeher oder durch die Bettenschläfer wie dein Cousin, auch wenn mir das nachgesagt wird. Und ich bin normalerweise nicht der, der ein schlechtes Gewissen hat und auch nur in Erwägung zieht, irgendetwas zu tun, was seinen Status weit überreizen würde. Ich habe gedacht, ich könnte dich wegen der Doyle Geschichte besänftigen, in dem ich dich bekoche – eben so, wie es Muggel machen. Aber ich kann es nicht.“

Wenn die Sache nicht so überaus ernst gewesen wäre, so bedachte Rose, hätte sie höchstwahrscheinlich amüsiert daran gedacht, dass es wohl das Längste war, das er je zu ihr gesagt hatte, aber sie konnte nicht. So wie er augenscheinlich nicht in der Lage war, ein schlechtes Gewissen zu empfinden, nur weil er ein Malfoy war! Rose schüttelte leicht den Kopf und unterdrückte die in ihr aufflammende Wut gekonnt. Sie würde ihm keine Szene machen. Und sie würde ihm auch nicht erzählen, dass sie seinetwegen nicht zu McGonagall ging und Doyles Machenschaften aufdeckte. Ob sie zusammen waren oder nicht. „Was willst du mir sagen, Scorpius?“, flüsterte sie leise. Ein paar Augenblicke vergingen zäh wie Minuten oder gar Stunden.

„Ich bin kein guter fester Freund. Wahrscheinlich bin ich nicht mal dafür gemacht.“ Er zuckte die Schultern mit einem Desinteresse, das bei ihm wiederum so unbeschwert elegant wirkte, dass Rose mit einem Mal den Drang verspürte, ihm auf die teuren malfoyonischen Schuhe zu spucken. Ihre Wut brach so schnell an die Oberfläche, dass es Rose selbst überrascht hätte, wäre sie eines klaren Gedanken fähig gewesen.

„Lass mich den Grund erraten! Weil du ein Malfoy bist!“ Sie spie ihm die Worte entgegen, während sie sich vom Boden aufrappelte und wutentbrannt auf ihn zuschritt – das Chaos auf dem Boden keines weiteren Blickes würdigend.

„Genau.“

Er sah sie so abgeklärt an, dass er Rose die Luft aus den Segeln nahm. Mit nur einem Blick. Sie schüttelte ganz langsam den Kopf und funkelte ihn an, bevor sie sagte, was ihr in den Sinn sprang.

„Okay, gut. Ich bin ohne dich besser dran, Malfoy.“

Scorpius wirkte überrascht, wenn auch nur einen winzigen Moment lang, ehe ein Ausdruck, dem jegliche Emotionen fehlten, sein Gesicht überzog. Rose sah, wie eine seiner Augenbrauen gefährlich zuckte – so typisch für einen Malfoy, so typisch für ihn. Sie schob ihn aus ihrem Zimmer. Er der Eisklotz und sie der Flubberwurm, der sich vergeblich daran bemühte, ihn zu bewegen, aber schließlich gaben seine Beine nach und er verließ freiwillig und ohne eines weiteren Wortes ihr Zimmer. Überließ Rose ihrem Schicksal und ihren grauen Gedanken.
 

Eigentlich hatte er nur sagen wollen, dass er sie liebte.
 

-
 

Geheimnisse waren dazu verdammt, früher oder später aufzufliegen, bedachte Astoria Malfoy melancholisch, als sie sich mit der Spitze ihres Zauberstabes blutrote Farbe über die Lippen zog. Vielmehr noch – sie waren befähigt, alles zu zerstören, für das man einst gelebt hatte. Sie betrachtete die nun viel älter und vielleicht auch weiser gewordene Frau im Spiegel, die sich einst dazu hatte verleiten lassen, in ihrer Jugend ein Risiko einzugehen. Auszubrechen aus den Konventionen und sich in einer ihr so hart ersuchten Aufgabe zu erfüllen, die sich ihr in dieser Zeit und diesem Moment als richtiger Weg geoffenbart hatte. Astoria war als jüngere Tochter der reichen Greengrass Familie geboren wurden, stets kaum in der Lage ihr Temperament zu zügeln und alles – auch die Theorie und das Wesen des Lord Voldemort - zu hinterfragen, was grundsätzlich nie für gut befunden worden war. Ein paar Jahre nach dem Krieg hatte sie ihr Studium zur Heilerin begonnen und das Leben in London genossen, bis sie schließlich eines Nachts Draco Malfoy in der Winkelgasse begegnet war. Wie durch eine besonders geschickte Fügung ihrer beider Schicksale. Er hatte sie vom ersten Moment an fasziniert, selbst wenn sie es niemals zugeben hätte. Doch mit ihrer Beziehung zu ihm, kam unweigerlich auch Harry Potter in ihr Leben. Der Zauberer, der ihre Welt gerettet hatte. Viele fanden den Helden attraktiv und auch Astoria hätte das Offensichtliche nicht bestritten, doch kreuzten sich ihre Wege eher mit wundersamem Grund.

Selbst nach Jahren des gewonnenen Krieges, so erklärte er ihr, wäre das Ministerium nicht in der Lage, die Sicherheit ihres Landes, ihrer magischen Welt, zu gewährleisten. Man müsste zu viele Folger und Achter stellen, die ehemalige Todesser bewachen sollten; ein Problem, das noch anwachsen würde, wenn weniger stark bestrafte Anhänger Lord Voldemorts ihre Strafe verbüßt hätten. Ihnen ihre uneingeschränkte Freiheit zu gewährleisten, nach allem, was sie einst mit ihrer Magie getan hatten, wäre töricht. Und dann hatte Harry Potter Astoria einen Platz im Inneren Kreis angeboten, so sanft lächelnd, dass die Greengrass kaum imstande gewesen wäre, das Angebot auszuschlagen. Während des Krieges selbst hatte sie nur zu einer Familie gehört, die Förderer und Befürworter des Lords gewesen waren – sie hatte still im Hintergrund nichts für die Welt getan, weshalb ihr sein Angebot als milde Wiedergutmachung und Erleichterung ihres Gewissens in die Hände spielte. Immerhin hielt sie Draco nicht für schuldig oder etwa für einen, der je exzessiv der Ideologie des Dunklen Lords verfallen gewesen war. Doch trotzdem entstand ein Geheimnis zwischen ihr und Harry Potter und den anderen Mitgliedern des Inneren Kreises, das gleichwohl eine von Draco zunächst nicht bemerkte Kluft zwischen die Eheleute brachte.

Nach achtzehn Jahren dann, kurz vorm letzten Weihnachtsfest, kurz bevor Imogene und Scorpius aus Hogwarts zurückkehrten, war das alte Geheimnis dann aufgebrochen und mit der überschwellenden Schuld war ihre Ehe zerbrochen. So wie Astoria es stets gefürchtet hatte. Seitdem er hinter ihren Betrug gekommen war, machte Draco sie für vielerlei Geschichte verantwortlich, zum einen dafür, nicht Zaubereiminister geworden zu sein. Als träge sie dafür allen Ernstes die Schuld!

Astoria seufzte, als sie vorsichtig die hauchfeinen Handschuhe über ihre langen Finger zog und in ihre Pumps schlüpfte; sie litt so sehr unter der Situation, dass ihre eigenen, so sehr von Draco ignorierten Schuldgefühle sie beinahe auffraßen, ja, ihr sogar das Alter ins Gesicht rückten, sie vielmehr wissen ließen, dass sie ohne Draco nicht mehr sie selbst sein konnte. Sie brauchte ihn, weil sie ihn liebte. Obgleich sie doch wusste, wie ihre Ehe auf Kinder und Familie all die Jahre gewirkt haben musste – kalt. Doch waren bloße Beobachter simpler weise nicht in der Lage, die Wärme eines Herzens zu spüren.

Astoria trat durch die hohe, majestätische Doppeltür ins hell erleuchtete Wohnzimmer und nur matt erinnerte sie sich daran, wie sie vor fast zwanzig Jahren das erste Mal nach Malfoy Manor gekommen war und die Dunkelheit der Räume sie haltlos abgeschreckt hatte. Bis zu ihrer Hochzeit hatte sie das prächtige Anwesen im Inneren ihrer blutjungen Seele angepasst und es war die Jahre hinweg mit ihnen gewachsen, ohne seine Schönheit und Helligkeit einzubüßen. Wie es ihre Ehe getan hatte.

Draco bedachte sie mit keinem Blick, als sie näher an ihn heran trat, sondern blätterte seelenruhig weiter im Tagespropheten. Er hatte sich nicht umgezogen, nicht frisch gemacht, sich nicht einmal rasiert!

„Wie ich sehe, ist der Herr noch nicht ganz fertig!“, giftete sie und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Draco, ich habe alles in die Wege geleitet, um unsere Ehe zu retten und du-“

Seine Hand schnellte mahnend nach oben und brachte sie jäh zum still schweigen und nach einer Sekunde des Stutzens flammte eine neue Wut in Astoria auf. Er verbot ihr allen Ernstes den Mund!

„Missus Malfoy, der Besuch ist da“, flötete just in dem Moment, als Astoria ihrer Wut freie Hand gewähren wollte und sogar mit dem Gedanken spielte, ihrem Ehemann einen Fluch auf den Hals zu jagen, eine ihrer fleißigen Elfen in ihr Ohr und als sie sich umdrehte, wurden ihre Gäste bereits in den Saal geführt.

Ron Weasley kippte die Kinnlade herunter, als er den Blick an die prunkvoll strahlende Decke heftete und Astoria nahm sein hingebungsvolles Gemurmel als Kompliment ihrer frühen Arbeit. Sie hauchte Fleur indessen einen Kuss auf die Wange und gab Ginny, wie auch Harry und Bill die Hand, bevor sie sich an die markerschütterte Hermione wandte, deren Blick eher fahrig durch die Umgebung schweifte. Astoria hatte Hermione Granger noch nie leiden können und ihre Abneigung trug den Grund daher, weil sie Hermione stets bewundert hatte für ihr Talent, ihre Stärke, ihre Gabe, sich ihre Wünsche zu erfüllen.

„Du beschäftigst nicht tatsächlich Elfen, Astoria!“, machte die Brünette schließlich ihrem Ärger Luft und während Umstehende seufzten, hörte Astoria ein beunruhigendes Grollen aus der Sitzecke nahen.

„Ach, Draco Malfoy, echt schön, dich zu sehen“, grüßte Ron sarkastisch und hob die Hand. „Netter Bademantel im Übrigen.“

„Dein Jahreseinkommen, Weasley.“ Eine frostige Stille legte sich über die Erwachsenen und schlussendlich war es Ginny, die das Glas, welches ihr eine Elfe reichte, dankend entgegennahm.

„Es wurde wirklich langsam Zeit, dass man mal einen Abend miteinander verbringt. Vor allem jetzt, wo das mit Rose und Scorpius am Entstehen ist.“

„O, ich glaube, da ist schon erschreckend viel entstanden“, murmelte Ron nur mürrisch und stürzte sich den Elfenwein die Kehle hinunter.

„Um ehrlich zu sein, hätte ich ja gerne auf eine Situation wie diese verzichtet“, teilte Draco daraufhin missgelaunt mit und die beiden Männer warfen sich daraufhin einen anerkennenden Blick zu, da sie offensichtlich eine Gemeinsamkeit teilten – das sich in Grenzen haltende Wohlwollen bezüglich ihrer Kinder. „Aber ich sehe es positiv – wenigstens kein Potter in der Familie.“ „Vergiss nischt, Draco, du ‘ast noch eine Tochter“, lächelte die schöne Fleur herausfordernd und Dracos Blick gefror beim bloßen Gedanken an die Misere, die eine solche Verbindung nach sich ziehen würde.

„Ausgezeichneter Wein, Astoria“, versuchte Ginny Potter das Thema zu wechseln und ließ sich ein weiteres Mal nachschenken – etwas, dass Astoria ihr wohl gleichtun würde, denn auch sie brauchte Alkohol, um diesen Abend zu überleben. „Ich hoffe wirklich, du bezahlst die Elfen für ihre Arbeit“, sagte Hermione streng und die Malfoy zuckte gelassen mit den Schultern.

„Wozu brauchen sie Galleonen, Hermione? Ein schöner Garten, in dem sie den Frühling und Sommer verbringen und ein warmes, riesiges Haus, dass ihnen hilft, die kalten Jahreszeiten zu überleben, ist ihnen weit mehr wert als die Goldstücke der Zauberer.“ Hermione wirkte nicht vollends überzeugt, doch da lediglich Hauselfen ihr Standbein waren und sie zu ElfElfenrechten zuhause hätte nachlesen müssen, unterließ sie es vorerst, weiter auf dem Thema herumzureiten.

Das Abendessen verlief mit stockender Konversation und milder, aufgezwungener Lächelei, sodass Astoria ihre Hoffnung darauf, es könnte eine angenehme Zusammenkunft sein, die Draco davon überzeugen konnte, dass sie es mit guten Menschen zu tun hatten, dass sie sich eventuell alle verstanden, ja, dass es sogar kaum mehr als Verbrechen anzusehen war, dass sie ihn eine so lange Zeit über ihre Arbeit im Inneren Kreis belogen hatte, begrub. Die Verbindung ihres Sohnes mit Rose Weasley war ein Streitpunkt, den es nicht anzuschneiden galt, wenn man Schlimmes zu vermeiden gedachte.

Harry zögerte zudem sichtlich an dem Entschluss, Draco einen Platz im Inneren Kreis und seit kurzem wieder gegründeten Orden des Phönix anzubieten, ihn sogar überhaupt in ihre Arbeiten einzuweihen, denn Draco tat sein Bestmögliches, um auf den Besuch den Eindruck eines unreifen Teenagers zu machen und nicht den eines Mannes, der mit beiden Beinen im Leben stand und sich schon lange für die gute Seite des Lebens entschieden hatte. Wenn er ihren Weg nicht nachvollziehen wollte, so entschied Astoria, wäre es wohl das Beste, wenn sie getrennte Wege gehen würden, selbst wenn es ihr Herz zerreißen ließe.

Beim Dessert kündigten die Elfen schließlich neuerlichen Besuch an, den Astoria beinahe gleich einer Ertrinkenden annahm. Es könnte ohnehin kaum schlimmer werden. Schließlich waren es Zaubereiminister Percy Weasley und eine ihr noch unbekannte, junge Frau, die das Esszimmer der Malfoys mit nachtschwarzen Umhängen, an denen die Kälte nur langsam abfiel, betraten und für die kurzerhand zwei Stühle herbeigezaubert wurden.

„Freunde, ich möchte Euch gerne die neue Leiterin der Abteilung für Internationale Beziehungen vorstellen“, verkündete Percy wohlwollend und legte der Dame eine Hand auf die schmale Schulter. „Das ist Galina Kuprin, eine engagierte junge Hexe, die vor einem Jahr ihren Abschluss an der Londoner Universität für Zaubererrecht abgelegt und sich daraufhin im Zaubereiministerium beworben hat.“

Draco hatte das Interesse just in dem Moment verloren, indem der Weasley ihren Namen genannt hatte, denn er rührte an einer fernen, längst vergessen geglaubten Erinnerung, sodass er die nächsten Worte des Zaubereiministers nur wie durch einen dicken Schleier wahrnehmen konnte. Galina Kuprin. Ihm war, als wäre kaum ein Tag vergangen, als dass er ihren Namen das erste Mal gehörte hatte – doch suchte er vergebens nach der Erinnerung, nach der Situation, in welcher er ihn das erste Mal vernommen hatte. Sein Blick glitt zu ihrem Platz, den sie elfengleich schmückte, das schwarze Haar lag in dicken Wellen über ihrer Schulter und umrahmte das blasse Gesicht mit den feinen, perfekten Zügen. Ihre großen, blauen Augen lagen interessiert auf jedem einzelnen der Runde und sie lachte glockenhell, als Ronald Weasley – mit Sicherheit etwas Plattes und Hohles, wie Draco dachte – von sich gab. Sie lächelte auch noch, als ihr Blick zu Draco weiterglitt, doch erstarb jenes sofort, als sie die Intensität seines Blickes spürte. Und beinahe schien es dem Malfoy, als erinnerten sie sich gemeinsam.
 

Für Severus Snape hatte es nie eine grauenhaftere Vorstellung gegeben, als unsterblich zu sein. Nicht, so lange er sich erinnern konnte. Der Tag seines Todes wäre für ihn eine Erlösung. Ein ewiger, herbeigesehnter Abschied von den Dummen und den Einfältigen, den Nervensägen und den Armseligen, die ihm das Leben täglich auf einem silbernen Tablett servierte, um ihn und seine Nerven zu strapazieren. Doch so lästig ihm das Leben auch war, vor allem seitdem er das Amt des Schulleiters angenommen hatte, dachte er ungewöhnlich selten an den Tag seines Ablebens. Lediglich, wenn das Leben ihm ungewohnt seltsame Fälle vor die Füße warf.

An einem jener verheißungsvoll schrecklichen Tage spazierte ihm Gregory Grindelwald ins Büro; im Schlepptau eine Hure, deren Namen ihm, sogleich sie ihn genannt hatte, auch schon entfallen war. Der Dunkle Lord hatte ihm seinen Besuch angekündigt, drum wunderte sich Snape kaum, als die Carrow Zwillinge ihn ankündigten, doch erfreut war er trotzdem nicht über den Unerwünschten. Snape traute kaum einem Menschen und es missfiel ihm eindeutig, sich vom einzigen bekannten Grindelwald Spross in die Karten schauen zu lassen. Noch mehr wunderte ihn jedoch das Interesse, mit dem der Dunkle Lord ihn zu beseelen schien, wenn auch er kaum mehr irgendwo länger als ein paar Stunden weilte. Snape wusste nicht genau, was er tat, denn seine genausten Gedanken teilte der Lord mit niemandem. Und wohl eher überstiegen auch seine neusten Machenschaften die Vorstellungskraft des ehemaligen Zaubertranklehrers, etwas, das er jedoch nicht betrauerte.

„Was“, fragte er dennoch schneidend und aus den jungen Augen des Mannes blitzte ihm der Schalk entgegen, „macht dich für den Dunklen Lord so interessant?“

„Ich kann ihm helfen, die anderen Länder gefügig zu machen. Ich habe ungemeinen Einfluss allein in Sibirien. Ich habe meine Anhänge, solche, die mir bedingungslos folgen. Ich denke vielmehr, unsere Interessen beruhen auf Gegenseitigkeit.“ Snape erwiderte sein Lachen nicht, konnte jedoch nicht umhin, in ihm stillschweigend den Grindelwald wahrzunehmen, dessen Sohn er zweifelsohne sein musste. Dasselbe Gesicht, dieselben Augen, dieselbe Leichtfertigkeit. Dasselbe unbekümmerte Lachen. Und die unvorstellbare Macht in der Brust, die so gern Zauberer unterschätzt hatten. In der Vergangenheit, so wie auch – Snape war sich seltsam sicher – in der Gegenwart. Er selbst hatte den alten Grindelwald, der inzwischen unter der Hand des Dunklen Lords verendet war, nie getroffen, doch hatte er einmal ein Bild in Dumbledores Büro gesehen, das ihn gezeigt hatte. Unverwechselbar die Ähnlichkeit zwischen den Zauberern. Nur die Haarfarbe war eine andere. Unwillkürlich überlegte Snape, wie Dumbledore wohl auf den Gast reagieren würde, hätte er Zutritt zum Büro des ehemaligen Schulleiters, das sich ihm jedoch verwehrte.

Die Tür zu seinem Büro flog indessen haltlos auf und der junge Malfoy stürmte hinein, triefend nass.

„Zustände sind das hier“, schimpfte er, „dass sich deine Lehrer und Slytherins von einem Longbottom mit Matschbomben beschmeißen lassen - ich sehe, Snape, du greifst durch!“ Die zornige Ironie in seiner Stimme erstarb, als er sich der beiden Unbekannten bewusst wurde, die ihn nur mit wenig Interesse bedachten. „Draco“, überging Snape seine zur Schau getragene Wut und seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem kleinen, förmlichen Grinsen, wie er es aufzulegen bedachte, kurz bevor er Schüler massakrierte.

„Darf ich vorstellen? Das sind Todesser, die sich in den Dienst der Außenpolitik stellen. Unnahbare, wie der Dunkle Lord sie nennt.“

Unnahbare?“, wiederholte Draco misstrauisch und Snapes Grinsen wurde breiter. „Ja, es sind solche, die unseren Treffen nicht beiwohnen, aber trotzdem im Dienst des Dunklen Lords stehen. Sie tragen selbstverständlich das Mal.“ Snape sah mit unverhohlener Genugtuung, wie Gregory sich beherrscht mich der Zunge über die Lippe fuhr. Natürlich, es stand ihm nicht zu, irgendjemandem von ihnen zu erzählen – schon gar nicht Draco Malfoy, einem Anfänger. Doch Snape missfiel die Arroganz seines Gegenübers und er würde alles Erdenkliche tun, damit sich die Leichtfertigkeit aus seinem Gesicht verbannte.

„Fühl dich geehrt, Draco“, sagte Snape scharf, „Das sind Gregory Grindelwald und-“ Wie gesagt, Snape merkte sich nur die wichtigen Namen. „Galina Kuprin“, fügte sie leise hinzu und lächelte Draco an.
 

„Was haltet ihr davon?“, fragte Bill kopfschüttelnd und schenkte sich einen weiteren Tropfen Feuerwhiskey ein.

„Sie ist sehr jung“, erwiderte Hermione und Harry nickte bestätigend. „Ich frage mich, weshalb sich Percy ausgerechnet für eine so Unerfahrene entschieden hat.“ „Seit wann er ohnehin allein entscheidet“, fügte Ginny augenverdrehend hinzu. „Wir sollten sie prüfen“, sagte Astoria nur und Draco hüstelte, sodass sich alle Köpfe am Tisch synchron zu ihm drehten.

„Beachtlich, wie die Kleine in fünfundzwanzig Jahren nicht einen Tag gealtert ist.“
 


 


 

-

fifteen

            
 

     
 

Etliche Sonnenstrahlen schoben sich am Vormittag der letzten UTZ Theorieprüfung durch die magische Decke der Großen Halle und stürzten sich auf die zahllos hinter und nebeneinander positionierten Einzeltische, wärmten die darüber gebeugten Schöpfe der Schüler und tauchten den Tanz der Staubflöckchen, welche aufgewirbelt wurden, wenn immer die Professoren durch die Gänge streiften, in sonderbares, goldenes Licht. Mit einer merkwürdigen Faszination betrachtete Alice‘ das Schauspiel und wie in Trance drehte sie den Federkiel zwischen ihren Fingern – ganz und gar unfähig jeglicher Konzentration. Ein sanfter, minimaler Druck auf ihrem Oberarm holte sie schließlich aus ihren Gedanken und Alice besah sich im nächsten Moment den weichen Augen Professor Flitwicks gegenüber, dessen Blick von Besorgnis zeugte.

„Geht es Ihnen nicht gut, Miss Longbottom?“, fragte er einen Hauch beunruhigt und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihre Schulter zu tätscheln.

„Ich“, begann Alice nachdenklich, doch es wollten sich nicht die rechten Worte einstellen. „Ich … Ich … Nun ja, es ist vorbei.“

Flitwicks‘ Gesicht erhellte ein Ausdruck von Verständnis und die Longbottom konnte nicht umhin, wachsende Hochachtung für den kleinen Zauberer zu empfinden. Natürlich, sie war bei weitem nicht die einzige, welche bei der Hinsicht auf ein Leben fern der efeuberankten Mauern des Schlosses ein Gefühl von schwerer Angst überfiel und die sentimental wurde, nun, da sich selbst die verhassten Examina dem langersehnten Ende zu bewegten. Doch war es nicht so, dass man am Ende eines langen Weges das Ende weit weniger gern begrüßte, als man es noch zu Beginn imaginiert hatte?
 

„Es ist niemals vorbei, Miss Longbottom. Es sind nur viele neue Anfänge“, sagte er mit üblicher, piepsender Stimme und ein kleines, mattes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. „Wenn ich nur wüsste, wie diese Anfänge aussehen werden“, murmelte sie leise und verdrehte die Augen, um plötzlich an die Oberfläche schwebende Tränen wegzublinzeln. Noch einmal tätschelte die kleine Hand ihre Schulter. „Es mag Ihnen albern erscheinen, Liebes, aber was immer sie tun, wird sie nur dann glücklich machen, wenn sie ihrem Herzen folgen.“

Alice nickte und versuchte vergebens, den Kloß in ihrem Hals hinunter zu schlucken. Ihr Herz lag bei Albus. Eben dem, welchen sie ohne es groß zu wissen, schon vor so langer Zeit gefunden hatte. Doch die Grenzen waren verwischt, anders, als sie je zu träumen gewagt hatte und dennoch so fein ersichtlich, dass ihr die Gedanken darum nie zu wenig wurden. Alice seufzte leicht und gab Professor Flitwick ein Lächeln mit auf den Weg.

Wehmut überfiel die junge Hexe als sie ihren Blick durch die Große Halle schweben ließ, welcher nur wenige Tische entfernt zum Stillstand kam. Ihre dunkelgrünen Augen fixierten den Jungen, der den Kopf auf die Arme gestützt hatte und zu schlafen schien – so typisch für ihn. Würde es sie wundern, wenn Al tatsächlich schon fertig mit seiner Arbeit war? Nein. Er fasste sich kurz, immer. In jeder Angelegenheit, nur manchmal fand er für Quidditch ein paar mehr Worte. Sein schwarzes Haar war verwegen wie an jedem Tag.

Er wollte ein Auror werden wie sein Vater und Alice zweifelte nicht daran, dass er dieses Ziel erreichen würde. Nicht nur, weil seine Eltern genug Galleonen hatten, um ihm die beste Ausbildung zu ermöglichen, sondern weil es zu ihm passte wie zu keinem zweiten. Doch die Verbrechen in Großbritannien waren ins Klägliche zusammengeschrumpft - wenn man von dem Hexenmörder absah, dessen Vorliebe rotes Haar war - doch die besten Aussichten auf Erfolg hatten Auroren trotzdessen in Ländern wie Russland oder den USA. Sie würde ihn verlieren. Weil sie Alice war. Weil sie nicht weg konnte von dem, was ihr lieb war und weil sie nicht das war, das Al‘ das Liebste war.
 

Ihre Miene verhärtete sich jäh, als sie einen Blick auf sich spürte und in der nächsten Sekunde realisierte, dass es Malfoy war. Sie blinzelte die trübe Besorgnis auf seinem Gesicht fort und als sie ihn ein weiteres Mal musterte, war der Ausdruck in seinen Augen der üblich Desinteressierte, den sie seit sieben Jahren kannte und der das Bedürfnis in ihr auslöste, ihm ins Gesicht zu schlagen. Sie hasste ihn, seit Rose geschätzte siebenundzwanzigtausend Mal wegen ihm geweint hatte. Er verdiente sie nicht. Aber bald wäre ohnehin alles vorbei.
 

-
 


 

Das feine Gespür für Loyalität bekam ein Malfoy in die Wiege gelegt, zog es buchstäblich mit der Muttermilch auf und führte es in Slytherin zur Perfektion. Trotzdessen konnte Scorpius eines ganz und gar nicht nachvollziehen und das war die unbegründete, wachsweiche und kaum einigen tiefgründigen, ethischen Fragen standhaltende Loyalität zwischen Mädchen. Nicht, dass es ihn allzu sehr kümmerte, wenn Alice Longbottom ihm bitterböse Blicke zuwarf. Wenn er nicht das ungute Gefühl gehabt hätte, sie vermochte Rose in Tun und Handeln entscheidend zu prägen. Das Letzte, um das er sich mit Nichten kümmern wollte, wäre eine verzogene Pubertierende, die ihr eigenes Unglück auf seine Freundin projizierte. Denn in diesem Fall hätte er keine Chance, nicht gegen die beste Freundin. Er wurde Zeuge des Blickes, mit dem sie Albus, der vor ihm saß und augenscheinlich zu schlafen schien, bedachte und warf ihr eigens einen mehr als Forschenden zu, den sie nicht verhindern, aber sogleich im Keim erstickte, als sie ihn bemerkte und ihre Miene sich in die einer vermeintlich bösen Gryffindor verwandelte – ein lächerlicher Versuch, den er ebenso beinahe belächelt hätte, wäre sie nicht die beste Freundin gewesen. Stattdessen drehte er den Kopf samt des unverhohlenen Desinteresses an ihrer Person in die entgegengesetzte Richtung.
 

Ein Grinsen zuckte um seine Lippen, als er Adrian sah, welcher nicht umhin konnte, eine Hufflepuff vor ihm beständig mit seinem Federkiel anzustupsen und so fast zur Weißglut zu treiben. Definitiv wollte er keine Hilfe oder dergleichen – er war ein Slytherin –, doch war es äußerst amüsant mit anzusehen, wie Adrian Zabini nicht einmal in einer Prüfungssituation imstande schien, seine Triebe im Zaum zu halten. Polly Parkinson, die den Platz hinter ihm bekleidete, schien hingegen zutiefst betrübt über ihre Platzwahl. Als er sie so betrachtete, die nervige Slytherin, die ihrer Mutter ziemlich ähnlich war, wie sein Vater einst kommentiert hatte, fiel Scorpius ein, weshalb er auch überaus froh wäre, wenn seine Schulzeit endlich hinter ihm läge. Nicht nur aufgrund der Privilegien, die sich ihm unweigerlich nach dem Schulabschluss eröffneten, auch nicht wegen der Möglichkeiten, nein, schlichtweg, da ihm dann einige nicht mehr unter die Augen kämen, auf deren Gesellschaft er nur zu gern verzichtete. Auch Quirin lag auf seinem Tisch und schlief, so wie fast alle Slytherins bereits mit der Arbeit fertig zu sein schienen. Selten hatte Scorpius etwas derart Simples gesehen wie die UTZ Prüfung für Verteidigung gegen die Dunklen Künste in diesem Jahr.

Sein Blick richtete sich nach vorn und brannte sich in das mächtige Stundenglas, das über den Lehrertischen der Großen Halle schwebte und durch das feiner Sand rann. Nur noch Minuten trennten ihn von Rose. Von dem störrischsten Mädchen, das er kannte. Es mochte eine Zeit gegeben haben, während der er ihre Gesellschaft nicht minder so sehr genossen hatte wie in den vergangenen Monaten, jedoch intensivierte sich nun nach zwei Wochen der alten Leier, obgleich sie ihn weit mehr ignorierte als ihm Aufmerksamkeit zu schenken, ein Gefühl von Sehnsucht. Okay, er wusste es nicht wirklich zu definieren und sehnsüchtig war er definitiv auch nicht, aber nun ja … sie fehlte ihm.

Rose saß nur wenige Meter von ihm entfernt, nur ein paar Reihen vor ihm. Ihr rotbraunes Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schulter und die Sonnenstrahlen verfingen sich in dem vertrauten Ton, ließen das Rot leuchten. Sie schrieb noch immer. Rose hatte in der ersten Sekunde nach Flitwicks Zeichen begonnen – als er gerade einmal die Aufgaben gelesen und Albus sich zunächst genüsslich zurückgelehnt hatte – und sie würde mit Sicherheit bis zur letzten Sekunde schreiben. Er kannte sie, so war sie, obgleich das Ohnegleichen ihr auch mit zehn Seiten statt zwanzig sicher sein würde.
 

„Rose“, er rief ihren Namen, bevor sie aus der Halle eilen konnte und abrupt blieb sie stehen. Beinahe konnte Scorpius ihre innere Zerrissenheit schmecken, sodass sich unwillkürlich ein Grinsen auf sein Gesicht schlich. Nur widerwillig drehte sie sich zu ihm und ihr Blick war so argwöhnisch und gleichsam distanziert, dass er nicht umhin konnte, nach ihrer Hand zu greifen. „Es tut mir Leid.“

Ihre Augen weiteten sich vor unverhohlenem Entsetzen. „Tut es?“, fragte sie leichthin und er sah genau, wie ihre blauen Augen noch einen Tick dunkler wurden. „Ja“, sagte er aufrichtig und versuchte ihren Blick einzufangen. Sie presste die Lippen aufeinander und legte den Kopf schief, bevor sie ihn anblinzelte. Und dann geschah etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte.

„WAS FÄLLT DIR EIGENTLICH EIN, HIER UND JETZT ANGETRABT ZU KOMMEN WIE EIN TOLLWÜTIGER TESTRAL MIT STIMMUNGSSCHWANKUNGEN?“, schrie sie ihn an und sofort brannten sich gefühlte einhundert Augenpaare in ihre dargebotene Situation. Rose‘ wurde rot bei der Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wurde und Scorpius packte sie jäh am Handgelenk, zog sie aus der Großen Halle und verfrachtete sie in der nächsten Abstellkammer, in welcher Filch alte Besen und Tinkturen von Saubermanns Poliergelee lagerte.

„Okay“, forderte er sie lässig auf und stützte sich mit dem Arm neben ihrem Kopf ab. „Leg los!“ Rose‘ Augen verengten sich erneut und leichte Empörung über die neuerliche Situation glitzerte ihm entgegen.

„Du hast dich in den vergangenen paar Wochen einen Dreck um mich geschert“, flüsterte sie, „und nun kommst du nach den Prüfungen an und denkst ernsthaft, dass alles wieder in Ordnung ist, wenn du dich entschuldigst? Aber nein, das ist es nicht! Du hast mich hintergangen - mit Doyle und diesen ganzen Treffen, du hast mich ignoriert und nun ist es zu spät, verstanden?“

„Das meinst du nicht ernst“, erwiderte er schlicht, doch sie warf ihm nur ein Lachen entgegen.

„O doch, Scorpius. Die Logik hat schon immer gegen einen Malfoy und eine Weasley gesprochen.“ Rose wollte sich an ihm vorbeischieben, doch er hielt sie fest und zog sie zurück. Und dann küsste er sie.
 


 

„Man könnte meinen, du hast eine Seite gewählt, die gar nicht existiert“, sagte Adrian Zabini und funkelte ihn an, sodass Scorpius nicht umhin konnte, ihm einen merklich irritierten Blick zuzuwerfen. Sie lagen im Gras unter einer weit umher greifenden Weide, die die Slytherins einst für sich beansprucht hatten und seither immer ein Privileg hatten nennen dürfen. Schon sein Vater und seine Freunde hatten unter diesem Baum Schule und Prüfungen, selbst Wochenenden ausklingen lassen. Es war das letzte Mal, dass sie hier sitzen würden. Denn nach dem Wochenende wäre alles vorbei.

„Adrian“, murmelte Polly Parkinson liebevoll und versuchte, ihm wieder ein Glühwürmchen voll Aufmerksamkeit abzuluchsen, doch Adrian bedachte sie mit keinem weiteren Blick.

„Warum sprichst du dann von Seiten?“, erwiderte Scorpius nur kühl und sein Blick glitt zum See. Er beobachtete mit kaum spürbarem, sinnlosem Missfallen, wie Rose und Alice kreischend vor Al flüchteten, der schlussendlich die Longbottom weiter ins Wasser jagte. Ein Teil von ihm belächelte diese Art der beinahe schon kindlichen Naivität, die die Gryffindors an den Tag legten. Ein anderer wiederum … nicht.

„Ich sage nur, dass du dich gegen uns wendest, man“, murmelte Adrian und als Scorpius Quirin einen Blick zuwarf, hüstelte dieser nur verlegen und nickte knapp. Der Malfoy verdrehte die Augen und lehnte sich gelassen zurück. „Weil ich nicht mehr zu Doyle gehe und mich von diesen pseudowissenschaftlichen Zaubern berieseln lasse?“, stellte er sachlich fest.

„Zum Beispiel“, Adrian schüttelte den Kopf, „dass du mit Potter und dem Weasley Mädchen rumhängst. Das Mädchen, Rose – von mir aus. Ich habe ja selber eine Weasley gevögelt. Aber Potter! Ich bitte dich, das kann nicht in der Gunst deines Vaters stehen.“

„Seit wann tun wir das, was unsere Eltern wollen?“, fragte Scorpius nur und Quirin lachte. „Haben wir nie.“

„Vielleicht wäre es langsam mal an der Zeit“, Adrian rückte kaum merklich von der – ihn stets und ständig belästigenden – Polly ab und warf seinen Freunden einen eindringlichen Blick zu. „Wir haben keine Ahnung, was uns erwarten wird. Wir haben lediglich Glück, dass wir alle genug Galleonen besitzen. Ich für meinen Teil finde das, was Doyle uns geben könnte, äußerst vielversprechend.“

Goyle grunzte und Polly summte leise vor sich hin, doch beide waren sie unwillig, Scorpius‘ irritiertem Blick Rechenschaft zu schulden.

„Was kann er uns geben?“ Er hasste es, Fragen zu stellen. Er hasste sein Unwissen und Adrians unverhohlenes Gefühl von Erhabenheit in diesem Moment. „Macht.“

„Wie du bereits sagtest – wir haben alle genug Galleonen. Wir werden wohl kaum machtlos unserer Gesellschaft ausgeliefert sein“, spottete der Malfoy und ein kleines Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, während Adrians Miene von Eis und Frost heimgesucht wurde. „Wir sprechen uns in ein paar Jahren, Scorpius, wenn ich zu den Großindustriellen gehöre und du als kläglicher Auror die Drecksarbeit erledigst.“
 

„Was erzählt der Kerl euch?“, fragte Scorpius ruhig in die Runde und taub schmeckende Skepsis befiel ihn, als die Slytherins erneut alles taten, jedoch ohne ihm eine befriedigende Antwort zu geben.

„Sagen wir es so – die Kristallnacht wird eine Offenbarung.“ Die süßliche Stimme riss ihn herum und er sah Jane, die den Kopf neigte und spöttisch zu ihm hinunter lächelte. An ihrer Seite stand Fred Weasley, gerissener Mitläufer und der einzige Gryffindor, der es in Doyles Reihen und somit zu unangebrachtem Hochmut geschafft hatte. Jeder Tag, den er mit Jane Seymour verbrachte, machte ihn fahler, raubte ihm das Gute, das noch in ihm steckte. Scorpius erwiderte ihren Blick mit glaubwürdigem Desinteresse und er erhob sich, um schließlich matt auf sie hinunterzulächeln. Gleiches mit gleichem. Sie mochte eine Slytherin sein. Sie mochte gerissen und schön und gefährlich sein, doch er fühlte nichts, wenn er die Halbveela ansah. Sechs Jahre mit Jane hatten ihn immun gemacht und egal, was sie in diesem Moment auch immer mit ihm versuchte, es prallte an ihm ab. Und ihr Gehabe langweilte ihn mehr, als er es je hätte imaginieren können. Er gehörte nicht mehr zu ihnen – doch das Wissen darum war keineswegs irritierend oder gar angsterfüllend. Es war wie eine sich langsam angekündigte, unabwendbare Krankheit, mit der er sich zunächst infiziert hatte und die nun zum Ausbruch kam. Sie sah es in seinen Augen.

„Du wirst es bereuen“, zischte sie leise und verschränkte die Arme vor der Brust, schüttelte den Kopf, als würde sie ahnen, was folgen würde. Als würde sie wissen, mit welchem Gedanken er spielte. „Scorpius, irgendwann wirst du es bereuen. Die Zeiten werden sich ändern und wenn du dich dann für die falsche Seite entschieden hast, wirst du sterben.“

„Deine Besorgnis rührt mich zutiefst, Jane“, spottete Scorpius und schaltete ein Lächeln an, das er mit dem nächsten Wimpernschlag wieder ausknipste. „Aber da offensichtlich doch Seiten existieren, entscheide ich mich lieber für die Richtige.“

Der Malfoy drehte sich um und ließ die Gruppe unter der Slytherinweide zurück. Seine engsten Kindheitsfreunde und sein Haus. Slytherin. Er ging zum See hinunter, die Hände in den Hosentaschen vergraben und mit einem Gefühl, das er nicht zu definieren vermochte. Es fühlte sich gut an, vermischt mit Ungewissen. Doch er war frei. Es war vorbei.
 

-
 


 

Lily schmeckte den Verlust, Tage bevor sie ehrlicherweise ergründen konnte, worin ihre Entscheidung lag. Jene, die sie so vehement vor sich her geschoben und der sie dennoch kaum hatte entrinnen können. Man sagte stets, dass einen selbst das Unliebsame einholen und greifen mochte, irgendwann, zur rechten Zeit und die junge Potter wusste, nun da sie vor der riesigen Doppeltür der Großen Halle stand, dass ihr nur diese Möglichkeit bliebe. Sie musste ihrer Schwärmerei für das Böse ein Ende bereiten, sie musste loskommen und die dunkle Vorahnung trieb sie voran, dass sie, je länger ihr Zögern sich an der Oberfläche hielt, auch stets weiter mit Mephisto verwurzelt wäre – Wurzeln, die sich nicht einfach durchtrennen ließen, wie ihr eine kleine Stimme zu wisperte. Es war ihr Verstand. Dabei war sie doch nie so rational gewesen.

Unwillkürlich dachte sie an Lily Potter, an die Echte, die Mutige, die Wahre, deren Namen sie so unverdient trug und von der sie so viele Geschichten erzählt bekommen hatte. Manchmal glaubte sie, dass es nur der Name war, den sie teilten. Manchmal in den vergangen Monaten hatte sie gehofft, dass es auch ihr Hang zur unwiderruflichen Liebe eine Verbindung zu ihrer Großmutter wäre, aber es war mehr eine trübe Hoffnung, als dass sie wirklich Bestand hätte haben können. Denn Lily war im Inbegriff ihre Liebe zu verlassen.

Er tat ihr nicht gut. Das mochte Imogene denken und vielleicht ein kleiner Teil ihrer selbst auch, doch man liebte nicht ausschließlich das Gute eines Menschen. Sie konnte nicht trennen, sie liebte alles an ihm. Wie verrückt.

Ihre Hände fühlten sich ungewohnt feucht an vor Anspannung und Lily rieb die Hände kurz an ihrem Kleid ab, ehe sie stöhnend die hinterlassenen Flecke betrachtete. Zunächst hatte sie ihre Mutter verflucht, da diese ihr dieses unmögliche Kleid zugeschickt hatte. Es war flauschig. Es war rosa. Und Lily erinnerte stark an einen Minimuff, um es beim Namen zu nennen, und sie schätzte zurecht, dass sie es mit einem abgekarteten Spiel zu tun hatte, das auf James‘ Verlies lief. Es wäre ihm gewiss ein Genuss, sie in das unvorteilhafteste Kleid überhaupt zu stecken und dafür zu sorgen, dass kein Kerl sie auch nur ansah. Aber sie hatte keine Alternativen gehabt, als es letztendlich zu tragen. Mit blasser Abneigung bedachte sie, dass Imogene auf James stand. Dass sie diese Wendung nicht nachvollziehen konnte, war verständlich, doch die Erkenntnis schmeckte bitter, dass selbst ihr Bruder und ihre beste Freundin bessere Chancen in Sachen Liebe hatten als sie. Vor allem verfluchte sie Merlin. Für alles, was er ihr antat.

Entschlossen stapfte sie in die prächtig geschmückte Große Halle, die an diesem Abend kaum mehr daran erinnerte, dass es noch am Vormittag des vergangenen Tages die letzten Prüfungen abgehalten worden waren. Sie war spät dran, wie ihr auffiel, als sie den Blick zur Decke wand und sich der dunkelblauen Nacht besah, welche bereits Einzug gehalten hatte. Unzählige, winzige Kristalle rieselten vom Himmel und einer landete ihr auf der Schulter, zersprang und hinterließ glitzernde, silberne Tröpfchen, die seltsam tröstende Wärme in ihr auslösten. Es war eine Art Wunschpulver, ein emotionales Highlight in der Zaubererwelt, da es genau das Gefühl im Körper verströmte, nach dem man sich sehnte.

Sie ließ den Blick über die vielen, runden Tische schweifen, die eine Tanzfläche umgaben, welche wiederum dominiert wurde von einer Bühne, die dort, wo sich üblicherweise die Lehrertische befanden, ihren Platz gefunden hatte und auf welcher Roxanne gerade umhersprang und irgendetwas erzählte, das Lily nicht interessierte. Roxanne, ihre Cousine, die übereifrige Moderatorin, die kein Fünkchen Alkohol vertrug.

Lily erhaschte einen kurzen Blick auf Imogene und Hugo, die gemeinsam an einem Tisch saßen und lachten und sie verspürte das Bedürfnis, sich zu ihnen zu setzen, doch es unterlag … als sie ihn ausmachte. Er stand nicht weit vom Tisch ihrer Freunde entfernt, lehnte lässig gegen der Wand und hatte einen Ausdruck auf dem Gesicht, als hätte er eine besonders schlimme Bertie Botts Bohne erwischt. Ein absolut absurder Gedanke, da sie sich kaum vorstellen konnte, dass er je eine probiert hatte. Nicht er. Aber es gab so vieles, das sie nicht über ihn wusste.

Ihre Entschlossenheit, stringent zu ihm zu gehen, wich rasch, als sie an ihr schreckliches Kleid dachte. Wohl kaum konnte sie ihm so unter die Augen treten. Einen kurzen Moment lang erlaubte sie sich, die Augen zu schließen und sich von der wohlklingenden Melodie einlullen zu lassen, welche einem süßlichem Entkommen aus der Realität gleichkam. Doch sie fing sich schneller, als es ihrem Herzen lieb war.
 

„Hi“, sagte sie zögerlich und lehnte sich neben ihn. Ihre Sinne waren geschärft und ihre Augen flogen über die Schüler, die ihr eventuell zu viel Aufmerksamkeit schenkten und sich somit nur in Gefahr brachten. Denn das war ein weiterer Geschmack, dessen Zeuge die junge Potter geworden war – ihr Mephisto war … gefährlich. Obgleich sie es nur mit halbem Herzen glaubte. „Hallo.“

Seine Stimme klang beherrscht und er würdigte sie keines Blickes, sodass Lily nicht umhin konnte, ihn umso interessierter zu mustern. Es war meist nur das kurze aufflackern von Verlust, das uns merken ließ, wie viel mehr man empfand.

„Keinen Kommentar zu meinem Kleid?“, fragte sie spielerisch und versuchte, ihr eigenes Missfallen darüber zu verstecken. Lily wusste nicht, ob er es durchschaute, als er sie widerwillig ansah. Ein kaum merkliches Grinsen umzuckte seine Lippen. „Wie ein Minimuff.“ Das dachte sie auch. Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht.

„Ich muss mit dir reden, Greg.“ Lily hatte nie hinterfragt, warum er sich Cygnus Doyle nannte, obwohl er eigentlich Gregory hieß. Gregory Doyle, jedenfalls schätzte sie das. Er hatte es immer gut verstanden, sie keine Sorgen spüren zu lassen, keine Zweifel. Und Lily hatte nie den Ursprung von allem suchen wollen, hatte nie recherchiert, hatte nie nachgefragt. Das tat wohl keiner. Also warum dann sie?

„Geh vor, wir treffen uns.“ Worte, so kalt wie eintausend Eiszapfen bohrten sich in ihre Haut. So abgeklärt. Das war er. Lily erwischte sich bei dem Gedanken, dass er es ahnte. Dass er ihre Gedanken lesen konnte und sah, dass sie ihn verlassen wollte. Doch was würde er tun? Er hatte keine Wahl. Und sie hatte keine Angst. Wie immer trafen sie sich an der Grenze zum Verbotenen Wald, obgleich es niemals dieselbe Stelle war. Einmal hatte Lily sich wirklich versteckt, um ihn zu testen. Doch er fand sie. Immer. Lediglich ein paar Minuten war sie allein, vielleicht auch mehr, doch mit zunehmender Nervosität zerrann die Zeit so schnell. Und viel zu schnell war er da. Greg. Lily atmete hörbar aus, während er mit dem Baumstamm verschmolz, mit der Nacht. Mit der Stille und dem ansonsten so leisen Atmen des Waldes.

„Ich habe nicht viel Zeit, Lily. Fange an“, sagte er routiniert und verschränkte die Arme vor der Brust. Das längere, schwarze Haar viel ihm in die Augen.

„Du weißt es?“

„Natürlich.“

„Es tut mir leid, wirklich. Ich liebe dich, aber morgen wird sich alles ändern. Es wird nichts mehr so sein, wie es war.“

„Da hast du recht.“ Er machte ihr Angst, ganz plötzlich. Lily fühlte eine Gänsehaut über ihre Haut streichen, doch war nicht imstande, sich gegen die Furcht zu wehren, die ihren ganzen Körper ergriff. „Du könntest gehen, wenn du mir nicht deine Seele gegeben hättest, Lily. Unser Pakt, weißt du noch?“

Ein kleines Grinsen schlich sich auf sein Gesicht und in Lily keimte ein Gefühl von Ungeduld, Schmerz, Erinnerung. „Er war nicht magisch besiegelt“, erwiderte sie leise und in Sekundenschnelle zog er seinen Zauberstab und pustete ihr ein Pergament ins Gesicht, ein hell leuchtendes Stück Papier, in dessen unterer Ecke ihre Unterschrift stand. Lily Potter. In blutrot. Sie schüttelte den Kopf.

„Das habe ich nicht unterschrieben.“

„Hast du“, er wirkte ungeduldig, müde. Während sie von schnell wachsendem Zorn heimgesucht wurde – Zorn, den Machtlosigkeit tränkte. „Du kannst nichts gegen meine Entscheidung tun“, sagte sie mutig und schnappte nach dem Pergament, um es zu zerstören, doch sie verbrannte sich, als sie es auch nur berührte.

„Ich will dich nicht töten müssen, Lily“, sagte er gelassen. Sie war sprachlos, erkannte ihn nicht wieder. „Du kannst jetzt gehen. Packe deine Sachen für morgen, wir werden zeitig aufbrechen. Nimm nur das Nötigste mit, den Rest kaufe ich dir so.“ Sie hasste Befehle. Sie war nicht sein kleines Mädchen zum Rumkommandieren. Nein, sie war eine Potter. Sie nahm ihn nicht ernst. „Ich komme aber nicht mit, Greg! Es ist vorbei! Aus uns vorbei. Ich erkenne dich kaum wieder.“ Er seufzte theatralisch. „Du willst doch nicht, dass deiner Familie etwas passiert, oder?“

„Drohst du mir?“

„Rhetorisch, oder?“ 200 Watt lächelten ihr entgegen, die sie ihm am liebsten vom Gesicht gewischt hätte. „Ich bin nicht dein Püppchen! Ich mache, was ich will. Und dich will ich nicht mehr.“

„Bitte, sei doch nicht so zickig. Sonst töte ich dich vielleicht doch eher, als es dir lieb ist. Fünfzehn Jahre ist doch kein Leben.“ Hauchzarte Aggressivität durchzog seine Erwiderung und Lily fröstelte. Die Kälte wurde so greifbar, als sie ihm in die Augen sah. Sie ließ die Nacht zu, mit einem Mal. Er drohte. Und es waren nicht nur leere Worte, sondern es war bitterer Ernst. Sie hatte keine Wahl.
 

-
 

Dominique betrachtete sich in einem der unzähligen Spiegel, die von den Wänden der Großen Halle strahlten und konnte nicht umhin, zufrieden festzustellen, wie gut sie aussah. Es war das typische, haltlose Fünkchen Arroganz, dass sie nicht vermochte gänzlich abzulegen. Das Kleid, welches sie an diesem Abend trug, hatte sie ihrer Mutter und deren exzellenten Kontakten nach Paris zu verdanken; jedes Jahr aufs neue bekam sie eine Sonderanfertigung für den anstehenden Ball, den Hogwarts‘ Schülervertretung plante, und in diesem Jahr hatte es etwas ganz Besonderes sein sollen, da es gleichsam ihr Abschlussball war. Dominique wollte als das in Erinnerung bleiben, was sie gewesen war – die Schönste. Ihre Noten waren kaum so ruhmreich, dass sie deswegen verewigt hätte werden können, ganz zu schweigen von ihren nicht vorhandenen Quidditchtalent. Aber ihre Schönheit, das war ihr höchstes Gut. Sie fuhr über den eisblauen Stoff ihres Kleides. Zahllose kleine Diamanten glitzerten ihr entgegen und waren in zermürbend langer Handarbeit ins Kleid eingenäht worden, sodass Dominique einen Tropfen Mitleid für die Hexen empfand, die ihr Kleid geschneidert hatten. Es war das Teuerste, das sie je an ihrem Körper getragen hatte und es passte perfekt. Es warf einen Hauch von Perfektion auf ihre elfenbeinfarbene Haut, es stand im Einklang mit ihrem blonden, langen Haar, das an diesem Abend und aufgrund der vielen tanzenden Lichter im Saal einen zauberhaften Schimmer vom Weasleyrot besaß. Sie war die Schönste. Und es war ihr eine Genugtuung.

Dominique ließ ihren Blick über die Tanzfläche schweifen, an der sie entlangwanderte und nur mit halbem Ohr hörte sie ihrer Cousine Roxanne zu, die an diesem Abend durch das Programm führte und gerade die nächste Band ankündigte, die Hogwarts nur aufgrund der Kontakte Salems hatte begrüßen dürfen. O nein, Dominique hegte keinerlei Abneigung gegen irgendeine der Zaubererschulen, die in Hogwarts weilten, nicht, nachdem sie gesehen hatte, dass sie keine Konkurrenz zu befürchten hatte, doch erschienen ihr die anderen Schüler deshalb nicht weniger durchsichtig, leicht manipulierbar vielleicht, aber wahrscheinlich war sie auch einfach nur voreingenommen, da außer Salem alle diesem Professor Doyle verfallen zu sein schienen. Sie schob den Gedanken, der ihr so viele Probleme mit Rose eingehandelt hatte, beiseite und ließ den Blick stattdessen weiter durch die Große Halle schweifen.

Sie wich Jane Seymour auf der Tanzfläche aus und schenkte ihrem Begleiter – Fred – keinerlei Beachtung, als sie zufrieden feststellte, dass Jane nur ein schlichtes, schwarzes Kleid trug und sie an diesem Abend wirklich besser als die Halbveela aussah. Das rettete ihr den Tag. Doch gab es eines, das sie und Jane wieder einmal unterschied und das war die simple Tatsache, dass Jane eine Begleitung hatte, sie hingegen … nicht.

Dominique seufzte leise und als hätte es das Schicksal perfekt in ihre Situation gefügt, sah sie Adrian Zabini mit ein paar weiteren Slytherins an der Bar stehen, zu der sie eigentlich gewollt hatte. Mieses Karma.
 

Wenn es eines gab, das sie keinesfalls heraufbeschwören wollte, dann war es eine handfeste Auseinandersetzung mit einem besoffenen Zabini. Er hatte sie gefragt. Wie so oft. Aber der tief verwurzelte Slytherin – Gedanke war ihr ein ständiger Begleiter gewesen und hatte sie sein Angebot ausschlagen lassen. Und nun war es vorbei. Er würde ihr nicht mehr hinterherlaufen, wenn sie erst einmal aus Hogwarts raus wären und sie wollte es auch nicht, dass er es tat. Sie wollte frei sein, ohne alles. Nur wusste sie nicht, wie ohne alles eigentlich aussehen würde.

Sie hatte keine Begleitung; es war eine Schande. Dominique hoffte wirklich, dass ihre Mutter niemals davon erfahren würde. Sie würde wohl kaum gutheißen, dass ihre ach so hübsche Tochter alle Angebote ausgeschlagen hatte, die sie bekommen hatte. Das tat eine Lady nicht, nicht ohne Alternative. Sie drehte sich um und sah Fred an. Genugtuung, das war es, das sie fühlte, als sie seinen Blick erhaschte. Mehr wollte sie gar nicht fühlen.

Eine Gestalt ganz in Rot zog Dominiques Blick schließlich auf sich und das Mädchen mit der Veela Magie wanderte hinüber zu ihrer verlassen wirkenden Cousine.

„Lucy“, sagte sie knapp, als sie sich auf den freien Stuhl neben ihr an dem sonst so abseits und allein daliegenden Tisch warf und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, das ihr eigenes Unbehagen perfekt verbarg.

„Dominique“, sagte die Sechstklässlerin nur und erwiderte ihr Lächeln zaghaft, „Wie gefällt dir die Party?“

Dominique verdrehte die Augen. „War schon auf besseren.“ Nein, eigentlich nicht, fügte sie in Gedanken hinzu, doch konnte es nicht laut aussprechen. „Dein Kleid ist zauberhaft. Von Tante Fleur?“

„Aus Paris, ja. Warum sitzt du hier so allein?“

„Weil ich keinen Partner habe; es hat keiner gefragt.“ Dominique warf ihr einen forschenden Blick zu. „Dir hätte ich zugetraut, dass du die Jungen fragst.“ Lucy lachte und strich sich das dunkelrote, strahlende Haar hinters Ohr. „Damals, bestimmt. Aber nun bin ich die Tochter vom Zaubereiminister und muss mich den Regeln fügen.“

„Ich hasse Regeln“, meinte Dominique ehrlich und tauchte ihre Fingerspitzen in ein bisschen Wunschpulver. Sofort strömte ein angenehm warmes Gefühl durch ihren Körper. „Hast du auch keinen Partner?“, fragte Lucy ungläubig und blickte sich suchend um, ein zweckloser Versuch, irgendjemanden ausfindig zu machen, der zu Dominique gehörte. Denn da gab es ja keinen.

„Nein, weil ich niemanden gefragt habe. Ich bin es leid. Victoire brauchte damals nur in einer Ecke zu stehen und konnte sich kaum vor Anfragen retten. Bei mir ist das aber natürlich anders.“ „Bei Molly war es auch immer so“, fügte Lucy trocken hinzu und schüttelte den Kopf. „Ich schätze, Merlin denkt einfach, wir sind extrovertiert genug, unser Glück selbst zu schaffen.“

„Scheiß auf diesen verdammten Merlin. Der Kerl ist mir total unsympathisch“, murmelte Dominique und griff beherzt nach einer Flasche Feuerwhiskey, um zwei Gläser zu füllen.

„Hast du Professor Doyle zufällig gesehen?“, fragte Lucy, nachdem sie ihr erstes Glas hinuntergekippt hatten und Dominique zuckte nur mit den Schultern. „Was willst du von dem Kerl?“

„Ich habe meine Prüfung in Verteidigung total vor die Peitschende Weide geflogen. Das wird ein Groll, definitiv. Aber seit Dad mich ständig aus der Schule holt, nur damit ich grässlichen Bällen und Treffen beiwohne, bin ich meist so müde, dass ich den Schulstoff nicht nachhole und na ja-“

„Typisch, Percy. Soll er doch Molly mit dahin schleppen! Aber das Problem habe ich nicht, denn meine Eltern nehmen eh in allen Angelegenheiten eher Vic mit als mich.“ Das Missfallen in ihrer Stimme gehörte ganz und gar nicht dorthin, dachte Dominique, als sie sich reden hörte. Sie vertrug nicht sonderlich viel, doch auch den nächsten Feuerwhiskey kippte sie ohne Bedenken hinunter.

„Ich überlege, ob ich nicht zu ihm gehe und um eine Zusatzleistung bitte“, murmelte Lucy und biss sich die unsicher die Unterlippe wund. „Na dann“, sagte Dominique kurzerhand und erhob sich, um die nächsten Wimpernschläge lang hin und her zu schwanken, „suchen wir ihn eben!“

Sie fingerte in ihrer Handtasche nach dem kleinen Taschenspiegel, der auch einmal als Zwei-Wege-Spiegel zwischen Rose und ihr fungiert hatte, als sie noch beste Freundinnen gewesen waren, und zog sich spielerisch ihre Lippenfarbe nach, ehe sie der zögerlich voranschreitenden Lucy folgte. Sie erhaschte einen Blick auf Doyle an der Tür zur Großen Halle, aus welcher er sich gerade entfernte, und obgleich die beiden Mädchen sich einen zunächst zögerlichen Blick zuwarfen, griff Dominique dennoch nach Lucys Arm und zog sie weiter. Es interessierte sie nicht sonderlich, was Doyle tat. Aber es überraschte sie dennoch, dass der junge Professor hinaus in die Dunkelheit schritt, als sein Büro aufzusuchen, wie Dominique es vermutet hätte. Ausschließlich alle Schüler befanden sich in der Großen Halle und kaum einer suchte die Kälte dieser Nacht wohl freiwillig auf.
 

Als Lucy und sie in die Dunkelheit traten und jäh verschluckt wurden, war Doyle schon mit der Nacht verschmolzen. Die Kälte schob sich wie eintausend Nagelspitzen über ihre Haut und ließ Dominique frösteln, doch kniff sie angestrengt die Augen zusammen, um den Professor vielleicht irgendwo ausmachen zu können. Sie sah in der Ferne die Schemen des Schiffes, das still im See lag. Sie sah verschiedene Lichter vor Hagrids Hütte auf und ab tanzen. Und sie entdeckte eine Gestalt schnellen Schrittes auf den Verbotenen Wald zu eilen, als sich die Wolken aus dem Blickfeld des Mondes schoben und dessen weiches Licht hinunter auf das frische Gras und den leicht aufkommenden Nebel fiel.

„Dort drüben“, flüsterte Dominique leise und deutete hinüber zum Wald. „Das ist Doyle. Komm.“

Doch Lucy kam nicht. Wie angewurzelt stand sie noch immer an derselben Stelle, als Dominique schon ein paar Schritte zurückgelegt hatte.

„Ich weiß nicht, Dome. Vielleicht sollten wir ihm nicht folgen.“ Man mochte es auf den Einfluss des Alkohols schieben, dass Dominique Weasley die Gefahr ihrer Handlung nicht sehen wollte, die feine Angst zwischen den Nichtsahnenden hervorkeimen ließ. Nicht ohne Grund.

„Lucy, ich bitte dich. Sei kein feiger Slytherin.“ „Wohl kaum“, entgegnete diese nur und setzte sich langsam in Bewegung, was Dominique mit einem Zwinkern titulierte. Zunächst fürchtete Dominique, sie vermochten Doyle zu verlieren, doch dann erhaschten sie immer wieder einmal neuerliche Blicke auf die ganz in schwarz getauchte Person, der zwar kurz vom Verbotenen Wald verschluckt wurde, aber dann wieder auftauchte wie ein Ertrinkender. Immer. Es waren vielmehr nur die Grenzen, die er abschritt, bis er schließlich verweilte und stehenblieb, doch ohne, dass sich Dominique dafür ein Grund offenbarte.

„Los, Lucy, geh hinüber!“, forderte sie ihre Cousine auf und verschränkte die Hände vor der Brust. Es war so kalt, dass sie zitterte. „Ich trau mich nicht, Dome, echt nicht. Lass uns warten, bis er zurückkommt. Ich kann da nicht einfach hin gehen und ihn wissen lassen, dass ich ihn verfolgt habe oder so.“

„Dann geh eben von Rose‘ Seite aus ran. Sage ihm, sollte er fragen, dass du bei deiner Cousine Rose warst und nun zum Ball aufgebrochen bist oder so. Ich bitte dich, er wird dich wohl kaum töten!“

Lucy blickte sich unsicher um und ein paar Minuten zogen ins Land, bis sie schließlich seufzend nachgab und langsam weiterging.

„Was machst du, Dome?“

„Ich verstecke mich hier hinter Slytherins Drecksbaum und wenn du dich beeilst, dann bin ich auch nicht erfroren und wir können unser miserables Leben weiterfeiern.“ Sie lachten. Ein letztes Mal.

Dominique beobachtete mit aufflammendem Unbehagen, wie Lucy sich dem Verbotenen Wald näherte und sie presste ihren Körper Schutz suchend stärker gegen den Baumstamm. Ihr Kopf klärte sich nur langsam, sehr langsam. Sie war nicht wie ihre Mutter oder gar Victoire, die trinken konnten wie die Weltmeister. Nein, ihre Sinne begannen zu schwirren, schon mit dem ersten Tropfen Alkohol, der ihre Zunge benetzte. Dominique gab sich der Versuchung hin, die Augen einen Moment lang zu schließen, bis sie schließlich ein sich rasch näherndes Geräusch in die Realität zurückzog. Automatisch riet Dominiques Instinkt ihr, vorsichtig zu sein und die Siebzehnjährige schob sich schnell hinter den festen Stamm, nur zögernd dahinter hervor blinzelnd. Was sie sah, irritierte sie mehr als alles davor. Sie kniff die Augen zusammen und ihre Kehle trocknete aus, als sie Lily erkannte. Lily. Ihre Cousine. Lily Luna Potter. Konnte es sein, dass …?

Ihr Kopf klärte sich innerhalb weniger Sekunden, verbrannte den Alkohol, verdrängte ihn ausnahmslos und Dominique sprang hinter dem Baum hervor, wollte Lilys Namen rufen und sie fragen, wo sie herkam, betend, sie möge mit ihrer Vermutung falsch liegen. Aber sie konnte nicht. Kein Laut kam ihr über die Lippen, als sie Lily schluchzen hörte und die junge Hexe jäh zu rennen begann, sodass Dominique zunächst nicht wusste, ob sie ihr folgen sollte oder lieber … Lucy! Eine glühend heiße Welle Panik befiel die Weasley und das Zittern trieb sie um, geradewegs zu den dichterwerdenden Nebelschwaden, die der Verbotene Wald in diesen Sekunden gebar. Und dann rannte Dominique. Rannte zum Tod.
 

-
 

„Willst du tanzen?“ Rose verdrehte die Augen, sagte jedoch nichts, und Scorpius seufzte. Das Spiel trieb sie nun schon eine Weile mit ihm und es gefiel ihr sichtlich. Auf keine seiner Fragen gab sie ihm eine befriedigende Antwort und das war etwas, was ein Malfoy grundsätzlich mehr als alles andere verabscheute. „Du siehst wunderschön aus“, umgarnte er sie weiter, aber die Weasley lächelte nur, sagte jedoch nichts. Bewegte sich nur leicht zum Takt der Musik und nippte ab und zu an ihrem Getränk. Er wollte eine Reaktion.

„Kommt Alice mit Al?“ Sie zuckte mit den Schultern, ohne ein Wort. Scorpius seufzte erneut. „Was habe ich getan?“, fragte er schließlich und je mehr er über das vermeintliche Übel nachdachte, das er womöglich verbrochen hatte, umso düsterer wurde seine Stimmung. Frauen. Und dann hatte Scorpius Malfoy eine Idee.

„Willst du mich heiraten, Rose?“ Die Weasley verschluckte sich an ihrem Getränk und riss die Augen auf – alles so schnell, dass Scorpius nicht umhin konnte, zu feixen. „War nur ein Scherz.“

Ihre Miene wurde hart, doch er lachte weiter. „Ich dachte nur, damit bekomme ich vielleicht eine Reaktion.“ Sie schüttelte den Kopf.

„Also wird die gesamte Nacht so ablaufen?“ Der Blick der Weasley verlor sich in der Ferne und sein Blick fiel ein weiteres Mal an ihrem Körper herab. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, das aussah, wie der sternengetränkte Himmel. Er hauchte einen Kuss auf ihre unbedeckte Schulter.

„Warum werfen die Slytherins dir diese Blicke zu?“, flüsterte sie leise, ungehalten. Er lächelte. „Das muss nicht deine Sorge sein.“

Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Du hast dich gegen sie gewendet, oder?“ Er neigte den Kopf, was einer unausgesprochenen Bestätigung gleichkam. „Interessant“, sagte sie leichthin und schmunzelte, bevor sie ihr Getränk an die Lippen setzte. Er zuckte mit den Schultern und ließ den Blick über die Schüler schweifen.

„Ich hasse diese Bälle“, ließ er trocken verlauten und Rose nickte knapp. „Ich weiß.“

„Da ist noch etwas“, begann er zögernd und die Rothaarige blinzelte zu ihm hinauf, „meine Eltern wollen dich kennenlernen. Nächste Woche, Malfoy Manor, massakrierendes Dinner.“ Er kippte sich den Feuerwhiskey hinunter, als käme dieser einer Belohnung gleich, dass er es überhaupt ausgesprochen hatte, was Rose ein Lachen entlockte. „Sie kennen mich bereits.“

Sein Blick verdüsterte sich. „Sie kennen dich als die Weasley, derentwegen ihr Sohn gefühlte tausend Male nachsitzen musste – jetzt wollen sie dich als-“, er hielt inne und sein Blick bohrte sich in ihren. „Als was?“, drängte Rose unschuldig. „Als meine Freundin kennenlernen.“

„Ach das“, lächelte sie, außerordentlich zufrieden. Mit Scorpius war es wie mit einem undressierten Hund – so hatte Alice es zu erklären versucht – denn bei beiden Spezies war es hilfreich, nicht den Mut zu verlieren, sondern sich über jeden noch so kleinen Fortschritt zu freuen - und Scorpius Malfoy zum Reden zu bringen, gehörte auf jeden Fall zu einer Etappe.

„Willst du was neues?“, fragte der Malfoy und nahm ihr das leere Glas aus der Hand. Zweite Etappe – bringe ihn soweit, nicht nur an sich selber zu denken. Check. „Etwas, um die Party zu überstehen, bitte.“

Sie würde nicht sagen, dass sie Bälle und die stundenlang aufhübschende Prozedur zuvor hasste, nein, nur gehörten sie auch nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. In diesem Punkt war Rose dieselbe wie noch vor einem und selbst vor mehreren Jahren – es waren Bücher, die sie beständig interessierten; nicht irgendeine Party. Sie suchte die Große Halle kurz mit den Augen nach Dominique ab, doch entdeckte sie nirgends. Dome, der sie rückblickend zu verdanken hatte, vor fast einem Jahr überhaupt auf die Party von Natalie Bordman gegangen zu sein. Sie stünde nicht mit Scorpius an diesem Abend zusammen, wäre dieser damals nicht so äußerst ungünstig auf sie geflogen. Der Unfall. Damit hatte alles begonnen.
 

Rose nestelte an dem Verschluss ihrer Handtasche herum und ließ sich schließlich auf einem Stuhl an einem der umliegenden Tische nieder, um wer weiß was zu erwarten. Sie hatte das ganze Spektakel immerhin geplant, sie wusste, wie es enden würde. Und sie sehnte sich bereits danach, dass Roxanne die letzte Band ankündigen und dann irgendwann alles vorbei wäre. Um Zwölf Uhr. Rose errechnete positiverweise, dass sie etwa um zwei Uhr im Bett liegen würde – bei Merlins Gnade. Die Weasley kramte in ihrer Handtasche und zog den kleinen Taschenspiegel hervor. Se fuhr mit dem Finger kurz über die Gravur, ehe sie das Stück öffnete und hineinspähte. Einmal hatte sie von der Muggelzeitschriften lesenden Lily erfahren, dass man sich Haarspray aufs Gesicht sprühte, damit das Make-Up nicht verschmierte. Leider wusste sie nicht, wo es dieses besagte Zeug gab, sonst hätte sie es wohl an diesem Abend ausprobiert. Rose seufzte leise, als sie sich mit dem kleinen Finger unter den Augen entlangfuhr. Sie musste aussehen, wie eine dieser Ravenclaw Püppchen, die ständig –ihr Gesicht wurde abgelöst von einem anderen Bild. Rose zuckte zurück. Der Spiegel glitt ihr aus der Hand und fiel zu Boden. Sie hatte Dominique gesehen, nur kurz, ganz kurz. Verdammt, zu kurz. Doch lang genug, um der Weasley jegliche Farbe aus dem Gesicht zu saugen. Dominique. Die teuren Diamanten ihres Kleides durchtränkt von roter Flüssigkeit. Blut. Tot. Panik überfiel sie mit grauen, zähen Händen und Rose warf den Stuhl um, als sie stürmisch aufstand, das Kleid raffte und … sie fand ihn nicht. Sie fand Scorpius nicht! Ihr Blick eilte wild umher, doch sie fand ihn nicht. Und sie hatte keine Zeit. Ihr Körper bebte. Rose wusste nicht wie, aber sie rannte los. Sie stürmte durch die Schüler, drängelte sich an tanzenden Paaren vorbei und wurde verschluckt von den Wellen des hereinbrechenden Horrors. Tränen mischten sich in ihren starr zur massiven Doppeltür gerichteten Blick und als sich unverhofft Alice und Albus in das Bild schoben, schöpfte ein geringer Teil in Rose Hoffnung. Hoffnung, die nicht mehr existierte. Nur ein Gefühl, dass ihr Herz ihrem Verstand vorgaukelte, damit sie nicht vollends verzweifelte.

„Wo ist Scorpius?“, rief sie panisch und als Albus und Alice überrascht zu ihr sahen, spiegelte sich schon im nächsten Moment blankes Entsetzen auf ihren Gesichtern. „Wo ist er?“

„Keine Ahnung“, wisperte Alice und packte ihre atemlose beste Freundin am Arm. „Was ist passiert, Rose?“ Al betonte jedes Wort. Nachdrücklich, eindringlich. Er schüttelte sie. Ernst. Und alles, was sie tun konnte, war zu wimmern. Kläglich zu wimmern. Nie hatte ihnen jemand beigebracht, mit dem Tod umzugehen.

„Rose, man, reiß dich zusammen!“, rief Albus unwirsch und verstärkte den Griff um ihre Schulter. „Was ist los?“

„Dome“, flüsterte sie heiser und Al schob die Augenbrauen zusammen. „Was ist mit ihr?“

„Blut. Da war überall Blut. Sie verblutet, Al!“ „Wo?“ Rose schüttelte vehement den Kopf und biss sich die Unterlippe wund. Sie wusste es nicht.

„Alice, suche Scorpius. Er soll nachkommen.“ Die Longbottom schüttelte ungläubig mit dem Kopf. „Das ist nicht dein Ernst! Ich komme mit!“

Albus fluchte leise vor sich hin und packte ihr Handgelenk so fest, dass seine Freundin schluckte. „Kannst du nicht, wir brauchen Scorpius. Ich brauche ihn. Du musst ihn suchen und ihm sagen, dass er uns folgen soll.“

„Wie soll er euch finden?“

„Eine Geschichte, die ich dir mal erzählen werde, wenn es nicht um Leben uns Tod geht“, erwiderte Al kühl und Alice riss empört den Mund auf, doch konnte nicht kommentieren, da er sie im nächsten Augenblick auch schon stürmisch küsste. „Pass auf dich auf.“ Und dann waren sie weg.
 

Alice atmete einmal tief durch, ehe sie sich in Bewegung setzte. Was zur Hölle war nur los? Rose … noch nie hatte sie ihre beste Freundin so gesehen. Das Suchen beanspruchte nicht viel Zeit, da der Malfoy ihr schon entgegengelaufen kam. Samt einer Verwirrung, die sie teilte.

„Es muss etwas furchtbares passiert sein“, sagte sie leise, als sie aufeinandertrafen und Scorpius hörte stumm ihren spärlichen Erklärungen zu, ehe er sich auch schon Bewegung setzte und Rose und Albus folgte. Er war schnell. Zu schnell für Alice. Die Longbottom verfluchte ihre Unsportlichkeit. Sie versuchte ihn nicht aus den Augen zu verlieren und ihm auf den Fersen zu bleiben, doch es war ein schwieriges Unterfangen. Sie sah, wie Scorpius am Eingang der Großen Halle mit Filch aneinandergeriet, der offenbar im Inbegriff war, die Türen zu schließen, doch der Malfoy schob sich ungeachtet seiner Worte an ihm vorbei. „Moment, kleine Lady. Drinnen geblieben“, gurrte der Hausmeister, als sie ebenfalls durch den kleinen Spalt zwischen den Türen entkommen wollte, aber sie wurde zurückgerissen. Die Türen schlossen sich. Und es zerrannen wenige Sekunden, bis die große Turmuhr Zwölf schlug. Alice verordnete ihrem Herzen, sich zu beruhigen. Es würde für alles eine Erklärung geben. Sie sah sich um, doch Dominique stach nirgends wie gewöhnlich heraus. Hatte es wirklich erst diese Erkenntnis gebraucht, um sie wissen zu lassen, dass Rose sich nicht irrte? Die Longbottom schloss die Augen und zählte die Schläge. Beim sechsten hörte sie die ersten Schreie. Beim siebten wurden es mehr. Beim achten wurden sie lang und verzweifelt. Sie öffnete die Augen und fand ihren Alptraum in die Szenerie gemeißelt.

Unzählige Gestalten in schwarzen Kutten formierten sich und ließen Zauber durch die Luft sausen. Farben, die viele kannten und lange nicht hatten sehen müssen. Und es gab junge Menschen wie sie, die nur aus Büchern wussten, für welche Magie der grüne Blitz stand. Es konnte nicht wahr sein, so plötzlich. Es musste sich um einen Traum handeln. Wieso nur sie? Der dunkelblaue Himmel mit den leuchtenden Sternen färbte sich blutrot und Alice fühlte sich in den aufkeimenden Sorgen ertrinken. Sie war eine Gefangene. Die Kuttenträger drängten die Schüler zusammen, drängten sie in Grüppchen, ließen sie eine neu entdeckte Angst spüren. Alice entkam ihnen. Fuchsteufelswild warf sie hinter sich bleibende Stühle um, aufgrund der bitteren Idee, es möge sie eventuell aufhalten. War sie irre? Kaum solch banales Zeug! Atemlos blieb sie stehen, versteckte sich verzweifelt unter einem der Tische. Sie war nicht die einzige, die die Flucht ergriffen hatte. Und noch beschäftigte man sich nicht ausnahmslos mit ihr. Ihr Körper bebte vor Angst und ihre Hände zitterten wie wild, als sie vorsichtig einen Blick wagte. Bei den Lehrertischen ging es drunter und drüber. Nur Sekunden der Verwirrung hatten gereicht, um die meisten Professoren zu entwaffnen. Alice‘ Mund fühlte sich so taub an, kaum einem Schrei der Verzweiflung mächtig, den so viele andere in diesen Momenten ausstießen. Und dann setzte ihr Herz aus. Als sie ihren Vater in die Höhe schweben ließen. An den Fußknöcheln hingen sie ihn in die Luft! Alice kannte den Zauber nur aus Büchern … Levicorpus. Wie sie ihren Vater kannte, hatte er sich nicht so schnell wie die meisten ergeben. Aber er war überwältigt worden.

O Merlin, Tränen stiegen Alice in die Augen. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was sie mit ihm tun würden. Und dann zuckte wieder grünes Licht durch die Luft. Und ließ ihr Herz taub und den Verstand klar werden.

Petrificus Totalus“, schrie sie und traf den Kuttenträger, der ihren Vater aufgehängt hatte, am Kopf. Alice japste und tauchte unter den Flüchen davon, die sich zehnfach auf sie richteten. „Liberacorpus“, murmelte sie atemlos und ihr Vater sank gen Boden. Erleichterung durchströmte ihren Körper, als ihr Vater bewusstlos auf dem Steinboden aufkam. Und dann trafen sie zwanzig Lichter gleichzeitig.
 

-
 

Beißende Kälte zog über ihre unbedeckte Haut, doch Rose störte es nicht. Wie betäubt fühlte sie sich, dabei sagte man doch, in Extremsituationen schärften sich die Sinne. Jedoch nicht ihre. Sie war nicht ihre Mutter. Sie war so unerprobt. „Bist du sicher?“, murmelte Albus, der ihr hastig gefolgt war und sie nun stützte. Rose schüttelte den Kopf. „Es war so dunkel.“

Sie hatte keine Ahnung, wo sie mit dem Suchen anfangen sollten, doch ihr Instinkt hatte sie in die Nacht geführt. Sie verdrängte schwer atmend die Tränen aus ihren Augen und überblickte die Ländereien. Alles lag still und dunkel da, nichts rührte sich.

„Ich weiß es nicht“, wisperte Rose kaum hörbar und Albus lehne sich zu ihr vor, ließ sie einen Teil seiner Besorgnis aufsaugen, der sich so prächtig mit ihrer verstand. Sie wusste nicht, was sie ohne Dominique tun würde. Gerade als alle Hoffnung zwischen ihren Fingern zerrann wie feiner Sand, zuckte etwas durch die Luft und Rose und Albus sahen beide den verglühenden grünen Blitz, der vom Verbotenen Wald herrührte. Und obgleich die Hoffnung starb, raffte sich Rose verzweifelt auf und rannte dem Tod entgegen. Wann hatte sich die Welt, die sie alle kannten, so verändert? Salzige Tränen strömten ihr übers Gesicht und vergeblich bemühte sie sich, nicht alles von der Verzweiflung an die Oberfläche treiben zu lassen, die sie in diesem Moment empfand. Sie hörte nichts mehr außer einem unabdingbarem Rauschen und versuchte, ihren nassen Blick auf die Stelle zu fokussieren, von der Avada Kedavra durch die Nacht gezuckt war. Als sich ihr etwas in den Weg stellte. Ein Tier. Rose zuckte zurück und riss die Augen auf, als das Ungetüm in die Knie sank wie ein friedvoller Hippogreif. Sie kniff die Augen zusammen und erkannte ein Geweih, das bedrohlich aus dessen Kopf herausragte. Es war riesig. Schnell drehte sie den Kopf, um Albus zu suchen, doch sie fand ihn nicht. Und vielleicht waren ihre Sinne doch geschärfter, als sie zunächst vermutet hatte. Es war ein Hirsch. Krone. Es hatte schon einmal einen gegeben. Die Tagebücher von James Potter, die sie zusammen mit Albus gefunden hatte.

Ohne einen weiteren Gedanken stieg Rose auf den Rücken des Hirsches und flog förmlich durch die Luft. Spürte die Sorge wachsen. Schmeckte die Angst intensiver. Sie preschten über die Grenze des Verbotenen Waldes, durch Äste und Gestrüpp, ließen sich auspeitschen von hervorschnellenden Armen und rochen den vertrauten Geruch von Holz, Harz, grünen Blättern und … Tod.
 

Rose erkannte Doyle in kaum mehr als einer Sekunde. Vielleicht hatte sie es auch schon längst gewusst. Vielleicht. Der Hirsch warf sie ab und stürzte sich auf den Zauberer, der nur kurz überrascht über ihr plötzliches Erscheinen wirkte. Zu kurz. Rose zog scharf Luft ein, als sie hart auf dem Waldboden auftraf und als sie nach ihrem Zauberstab fingerte, den sie griffbereit in der Hand gehalten, aber dann verloren hatte, fassten ihre Finger in glitschiges Nass. Bis sie realisierte, dass auch ihr Ellbogen in dieser Lache lag. Sie schob die Hand vor ihre Augen und sah dickes Blut über ihre Finger rollen. Rose entwich ein angsterfüllter Laut, als ihr Blick weiter über den Waldboden schlich und die Hand erkannte. Die im Schatten liegende Gestalt. Der blutleere, porzellanähnliche Arm. Rose robbte über den Boden und zog an dem Arm. Und dann schrie sie. Schrie so laut und verzweifelt wie noch nie in ihrem Leben. Es war nicht Dominique. Es war eine geschorene Lucy. Eine tote Lucy. Eine Lucy ohne Haare. Ohne das Weasleyrot. Rose brach über dem leblosen Körper zusammen und mutlos bedeckte sie den geschundenen Körper mit ihren Armen, versuchte sie zu heilen, irgendetwas zu tun. Doch nichts von dem stand in ihrer Macht. Sie weinte unaufhörlich, sie würde nie wieder aufhören. Ihr Herz war tot, es fühlte sich so an. Als wüsste es bereits, was nahen würde.

Sie hörte das Stöhnen, sie hörte einen weiteren Verlust. Albus. Rose blickte sich um und sah den Potter am Ende seiner Kräfte zusammensinken. Der Hirsch war fort. Albus war da. Sie sahen einander an. So fühlte es sich also an, wenn man verlor. Und zwar alles mit einem Mal. Er war der Teufel. Dieser Kerl, der ihnen das antat. Er musste der Teufel sein.

Und wenn es Merlin gab. Oder Gott, dann wünschte sich Rose in diesem Moment nichts sehnlicher, als dass Scorpius nie auftauchen würde. Ihre letzte Hoffnung. Sie wünschte ihm nicht das, nicht so ein Ende. Sie wollte nicht, dass Doyle ihn je so ansah wie sie in diesem Augenblick. So hungrig. Mordlustig. Gefährlich.
 

Accio Zauberstab – sie dachte es so voller Verzweiflung. Scorpius war immer so viel besser als sie in nonverbalen Zaubersprüchen gewesen. So viel besser. Accio Zauberstab. Sie fühlte, wie etwas den Weg in ihre Hand suchte und öffnete die im Schatten liegende Faust. Rose schloss die Augen. Zwei Möglichkeiten. Angreifen und sterben oder aber … sterben, es lief alles darauf hinaus. Er würde sich jedoch gewiss Zeit lassen mit ihrem Tod.

Protego totalum“, flüsterte sie leise und errichtete einen Schutzraum um sich und Lucy, Albus und Dome, deren leblosen Körper Doyle hinter sich her schleifte. Sie besaß noch ihr Haar. Ein Glück, Dome ohne Haar …. Scorpius käme nicht durch ihre Schutzmauer hindurch, sie war viel zu geübt in diesem Zauber. Erst würde sie sterben, doch dann hatte Doyle hoffentlich die Lust am Töten verloren. Eine innere Ruhe suchte Rose heim, beinahe ein Gefühl von Zufriedenheit. Scorpius würde leben. Alice würde leben. Das war gut.

Rose schloss die Augen und erinnerte sich an den Tag zurück, als Dominique ihr so vehement gefolgt war, nur um sie zu überreden, mit auf diese Party zu kommen. „Rosie, vielleischt solltest du mit mir joggen ge’en? Du ’ast viel aufgestaute Energie.“

Dieser einstudierte, französische Akzent. Warme Tränen liefen Rose über die Wangen und sie verzog die geschwollenen Lippen zu einem Lächeln. Das war eine gute Zeit gewesen.

Doch sie war vorbei.

epilogue

            
 

     
 


 

Wenn die Menschen dein schweres Schicksal kennen, dann sehen sie dich automatisch anders an. Sie betrachteten dich ganz unbewusst wie eine eigenartige Kreatur, über die man nur klägliche Informationen in Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind nachlesen kann. Ohne Scham, ohne Rücksicht. Als wärst du eine Attraktion. Doch wenn sie Mitleid mit dir hegen, so wie die gefühlte ganze Welt es für mich empfand, dann ergeben sich dir gleichsam Möglichkeiten, die du niemals unentdeckt lassen solltest. Ich bin nicht nur Lily Potter, James‘ Frau. Ehemalige Evans. Ehemalige Schulsprecherin. Der Großteil sieht darüber hinaus, erkennt mich als die mutige, muggelstämmige Gryffindor mit dem großen Talent an. Sie wissen, dass wir Voldemorts Angebote, auf seine Seite zu wechseln, ausschlugen und seither ein Leben als Widerstandskämpfer führen. Dass wir gejagt werden wie Wild und dass wir vor einem nicht legitimen Gericht längst zum Tode verurteilt worden. Das Wissen um mein grauenvolles Schicksal öffnete mir die Türen zur Mysteriumsabteilung, zu dem vielen Unentdeckten, das mich so sehr zu sich zog. Etwa zu dieser Zeit hatte ich die Eingebung, dass es Dinge in James‘ und meinem Leben gab, die nicht in die schmutzigen Hände von Todessern oder gar Voldemort, nicht mal in die unsereins fallen sollten. Dazu gehören James‘ Tagebücher über die Animagus Transformation – faszinierend, jedoch in den falschen Händen blutendes Fleisch. Meine Erstausgabe von Bathilda Bagshots Geschichte der Zauberei, die nach einigen Experimenten von Bathilda und mir nun befähigt ist, sich selber zu schreiben. (Ich weiß, äußerst seltsam. Aber wo sonst, wenn nicht hier?) Sirius gab mir nach einigem Wehklagen auch sein magisches Taschenmesser, ein altes Erbstück der Familie Black und wohl das einzige, das ihn wirklich noch mit seiner Familie verbindet und obendrein befähigt ist, selbst Schutzzauber zu durchstoßen. Zudem legte ich meine alte Spieluhr der Truhe mit Objekten bei, ein Geschenk meiner Eltern und Schwester zur Volljährigkeit und vollends magielos – und doch, man bezeichne es ruhig als reine Melancholie, das ich ein Stück meines Herzens dem zufüge, das unerprobter Zaubern her fünfzig Jahre formlos und unsichtbar seine Zeit in einem Winkel der Mysteriumsabteilung fristen muss, bis sich die Zauber lösen und den Weg zu einer neuen Generation finden. Ich weiß nicht, wie es funktioniert, aber die Gelehrten der Abteilung sprachen davon, dass die Objekte selbst befähigt wären, sich ihrem neuen Besitzer zu offenbaren. Sie kommunizieren mit dem Blut ihrer ehemaligen Besitzer, insofern mit der kleinen Wimper Geist, die sich noch darin befindet wie es an allem haftet, woran einmal das Herz hing. Ich vertraue dieser Art von Magie nicht, aber ich bin dem Versuch dennoch nicht abgeneigt. Wenn dieser Brief wirklich einmal gelesen wird, dann will ich keineswegs den Gedanken keimen lassen, dass ich bereits weiß, was mich erwarten wird. Ich mag sehen, wie die Welt zerfällt, aber ich bin nicht imstande, meine eigene Zukunft auch nur zu erahnen, auch wenn alle Welt glaubt, sie läge glasklar auf der Hand. Ich vertraue Peter. Er wird uns nicht verraten, wohl eher kann der Fidelius-Zauber Voldemort nicht standhalten. Aber wer weiß. Vielleicht blendet mich auch nur menschliche Verklärung. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass es weitergeht und nie vorbei sein wird. Dass es für alle Dinge, die geschehen, auch Gründe gibt. Wunder und Hoffnungen weiterhin existent sind. Im Grunde genommen glaube ich, dass der Zauber überleben wird und an die Oberfläche taucht, wenn die zweite Ewigkeit beginnt.
 

Langsam und mit zittrigen Fingern faltete Rose das vergilbte Papier zusammen und steckte das Geheimnis zwischen die Seiten der verzauberten Erstausgabe, bevor sie das letzte Kapitel aufschlug und ihre wachsamen Augen über die dichtbeschriebene Seite glitt. Die Kristallnacht. Es gab sie bereits, alldieweil die Schrecklichkeiten kaum mehrere Stunden als beendet galten. Über London zog bereits der Tag auf mit sanftem orangerotem Licht, das schon bald das Blau eines strahlenden Himmels und gleichwohl die Sonne heranlocken dürfte. Und sie hatte keine einzige Stunde geschlafen. Die bloße Vorstellung, die Augen zu schließen und sein Gesicht zu sehen, drehte ihr den Magen um. Ihre letzte Erinnerung an Hogwarts war vergiftetes Unglück und der Geruch von verbranntem Fleisch, vermischt mit den irren Augen des Teufels. Rose seufzte leise und nachdem ihre Finger eine wirre, rote Strähne zurückstrichen, die sich in ihrem Gesicht verrannt hatte, suchten eben jene geistesabwesender Weise das blonde Haar auf und verirrten sich in diesem. 17 Tote. Die verstörende Zahl schoss ihr in die blauen Augen und ihre Kehle schnürte sich zu, als Rose bewusst wurde, dass ihnen das Buch bereits Schritte zuvor war. Zuletzt hatten ihr aufgeregte Heiler keine genaue Zahl nennen können, hatten nicht gewusst, ob Alice Longbottom – wie war der Name noch gleich? – überhaupt noch lebte, ob Hugo Weasley – ach, der Sohn Hermione Weasleys? Wir geben unser Bestes! – aufgewacht war. Hugo. Ihr Bruder mit den Träumen, den Visionen. Den sie zuletzt aus den Händen hatte gleiten lassen und nun nicht mehr imstande war, zu verstehen. Erneut flogen ihre Augen über die Absätze, doch sie fand die Stelle über die Geschehnisse im Verbotenen Wald nicht, als wären sie ausradiert worden oder keiner Meldung wert. Tatsächlich waren sie das wohl wirklich nicht. 17 Tote. Was spielte es für eine Rolle, ob sie alle in der Großen Halle oder außerhalb dieser gefallen waren? Leicht schüttelte sie den Kopf, bevor sie das leise Geräusch von der Tür her wahrnahm und ihr Herz augenblicklich schneller pochte. Merlin, sie würde nicht einmal mehr verdammte einundzwanzig Jahre alt werden, wenn sie vor jeder Kleinigkeit eine scheiß Angst hatte! Astoria Malfoy kam mit wehendem, limonengrünen Umhang ins Krankenzimmer gerauscht und erinnerte sie unpassenderweise an eine Hexe aus Magical Anatomy. Die Heiler hatten ihr eindeutig zu viele Schmerzmittel verabreicht, dachte Rose grimmig. Sie hätte weinen müssen, doch sie hatte keine Tränen mehr. Sie hätte ein überquellendes Herz vor lauter Schmerz und Schuld und Angst haben sollen, doch jegliche Regungen dieser Art waren nur leichte Bisse in ihren Magen. Sie fühlte zu wenig, dabei wollte sie alles. Astoria trat an ihr Bett und bedachte ihren Sohn, der sich vollends auf ihr und den Laken ausgebreitet hatte und seelenruhig schlief, nur mit einem kurzen Blick, bevor sie nach ihrem Arm griff.

„Er sollte in seinem Bett schlafen“, sagte sie leise und Rose betrachtete nachdenklich die Gestalt mit dem gleichmäßigen Atem. Sie wollte nichts erwidern. Ihre Beine waren unter der Last eingeschlafen, doch es störte sie nicht. Es tat ihr vielmehr gut, ihn bei sich zu haben, nach allem, was passiert war. Sie hatte bereits Abschied von ihm genommen, das war einmal zu viel.

„Wie geht es Alice?“, fragte Rose stattdessen und blinzelte zu der Heilerin hinauf, hoffend, betend, alles.

„Sie ist noch nicht über den Berg“, erwiderte die Malfoy und widmete sich weiter ihrer Arbeit, doch Rose ließ sie nicht unter ihrem Blick los.

„Was ist mit Albus?“ „Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“ Erleichterung durchströmte winzige Teile ihres Körpers, doch etliche blieben davon unberührt. „Und meinem Bruder?“

Astoria seufzte und eine Spur widerwillig sagte sie: „Sein Körper hat von selbst ein Schutzkoma eingestellt, um ihn vor den Visionen zu schützen, da sie ihm offenbar den Verstand geraubt hätten. Insofern sind wir momentan nicht in der Lage, irgendetwas zu tun. Wir müssen warten.“

„Aber träumt er im Koma denn nicht auch?“, fragte Rose langsam und sah, wie sich ein gequälter Ausdruck auf Astorias Gesicht schlich.

„Wir wissen es nicht. Aber die Mysteriumsabteilung geht davon aus, dass er sich momentan in einem Zustand vollkommener Schwärze befindet.“

Eine Gänsehaut breitete sich bei der Vorstellung auf Rose‘ Armen aus und Astoria blieb davon nicht in Unkenntnis, war jedoch unbeeindruckt.

„Habt ihr darüber gesprochen, wie es weitergehen soll?“, wisperte sie plötzlich so leise, als wäre ihr verboten worden, auch nur einen Teil des Themas anzuschneiden und als erwarte jeden, der es wagte, eine besonders grauenvolle Strafe. Ihre Fantasie. Die Schmerzmittel. Rose schüttelte leicht den Kopf, um sich von ihren dummen Eingebungen zu befreien und hob vorsichtig den Kopf, um Astorias ernsten Blick zu erwidern. Sie wollte etwas sagen, irgendwas, aber ihr wollten keine Worte über die Lippen kommen. Stattdessen wurde ihr Mund staubtrocken. Imogene hatte ihr Schweigen gebrochen und schlussendlich den Ordensmitgliedern alles erzählt, zu dem Hugo nicht mehr imstande gewesen war. Rose war knapp dem Tod entronnen, nur um in der nächsten Sekunde zu erfahren, dass ihr Tod bereits besiegelt war. Scorpius und sie würden sterben. In weniger als fünf Jahren. Sie wollte schreien und weinen und all jene Dinge tun, die man normalerweise tat, aber die Kunst der Heiler hatte ihre Gefühlregungen abstumpfen lassen. Sie nahm es hin, auch wenn etwas in ihr brütete, köchelte und nur darauf wartete, sie ihren Verstand verlieren zu lassen, sie unter der Last entzwei zu brechen. Bisher gingen Harry Potter und die anderen Ordensmitglieder der Theorie nach, dass es sich vollends und allein um ihre Person drehen würde, die Gregory Grindelwald in mehreren Jahren veranlassen würde, Malfoy Manor aufzusuchen und Scorpius und sie zu ermorden. Weshalb jedem auf der Hand lag, wie eine verantwortungsbewusste, junge Frau mit diesem Wissen zu handeln habe – sie musste ihn loslassen, ihm widerstehen und ihn ein Leben fernab ihres Herzens führen lassen. Rose wollte keinen neuerlichen Abschied. Doch sah sie den flehentlichen Ausdruck im Gesicht seiner Mutter. Die Bitte, ihm ein Leben zu ermöglichen, das Altwerden und alles, was dazuzugehören vermochte.

Als Astoria Malfoy ihr Zimmer verließ, fuhr Rose ihm nachdenklich durch das blonde Haar und schlug erneut die Erstausgabe von Geschichte der Zauberei auf, nur um erneut den Absatz mit den 17 Toten zu überfliegen und sich erneut an den unheilvollen Brief zurückerinnert zu fühlen, den es auf magische Weise zu ihr geführt hatte. Das Schicksal Lily Potters schien ihrem eigenen so verdammt ähnlich. Auch Rose erschien es, als hätte sie ein unbefugtes Gericht zum Tode verurteilt. Ohne Anhörung, Verteidigung. Einfach so. Wie fühlte es sich wohl an, gejagt zu werden wie Wild? Mit einem Mal fühlte Rose sich seltsam schläfrig und alle trüben Gedanken lösten sich, ihre Sinne verstummten. Ihr letzter Gedanke galt der zweiten Ewigkeit.
 

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Die scharfen Finger der Dunkelheit griffen lange, zu lange nach ihrem Herzen, sodass Lily nicht hätte sagen können, wie oft Tag und Nacht freundschaftlich wechselten, bis man ihr einen Funken Leben einhauchte, indem man leise zu ihr sprach. Ihr den menschlichen Kontakt gewährte, ohne dass ihre Sinne vollends im Stande waren, alles Wundervolle aufzusaugen. Die sanfte Stimme kam ihr vertraut vor, doch konnte Lily sie schwer zuordnen. Definitiv eine Stimme ihres alten Lebens, umso verwunderlicher war, dass sie an diesem dunklen Ort zu ihr sprach. Ein leises Stöhnen überkam ihre Lippen, als der Unbekannte ihre Fesseln löste und sie hochhob. Erst als er das Tuch von ihren Augen riss, spürte Lily mit der neutastenden Freiheit, dass sie eines getragen hatte. Nur dadurch in vollkommener Dunkelheit gehaust hatte. Das Licht, welches ihr nun allerdings entgegen sprudelte, war alles andere als verlockend. Lily kniff die Augen zusammen und ihre steifen Hände suchten schützend ihr Gesicht. Sie wusste nicht, wo sie war und vor allem wer sie da durch den Raum trug. Erst als ihr zitternder Körper auf einer weichen Unterlage ruhte, wagte sie einen Blick durch ihre Finger und … „Fred“, rief sie mit schwacher, dennoch aufgeregter Stimme und griff beherzt seine Hand, als es so schien, als wolle er ihr entgleiten. Er war da, also konnte es sich keineswegs um die Hölle oder jeden anderen erdenklich bösen Ort handeln. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wurde gequält, doch er folgte ihrer stummen Aufforderung und ließ sich auf dem Bett nieder.

„Wo sind wir?“, fragte die Potter ohne Umschweife und Fred legte gleich einer stummen Aufforderung den Zeigefinger an die Lippen. Lilys Blick kreuzte sich mit den vielen Wandgemälden und stuckverzierten Wänden, streifte die kostbaren Tapeten und Spiegel, die altertümlichen Möbel und blieb dann an den Fresken über dem Himmelbett hängen, in welches Fred sie gelegt hatte. Unweigerlich verzogen sich ihre Lippen in einem Hauch von Missfallen. Dieser Raum war unweigerlich Teil einer anderen Zeit, einer Zeit, in die sie beim besten Willen nicht gehörte. „Irgendwo in Sibirien“, raunte Fred ihr zu und ein Schaudern über rann ihren Körper. Stumm formte ihre Mund das Wort Wieso.

„Ich für meinen Teil bin freiwillig hier, du hingegen hast in einem Anflug kindlicher Naivität einen Vertrag unterschrieben, ohne ihn zuvor gelesen zu haben.“ Sie schluckte Freds grimmige Miene hinunter, bevor ihr Mund ganz trocken und ihre Augen ganz feucht wurden. Leicht schüttelte sie den Kopf.

„Mein Vater wird uns retten.“

„Das ist Grindelwald Manor, Lily. Dieser Ort ist unauffindbar“, erwiderte er leise und schien zu wissen, wie sehr er in diesem Moment all ihre Hoffnungen zerstörte. „Füge dich deinem Schicksal. Wir sind es, die für das Größere Wohl kämpfen.“ Fred zog rasch den Ärmel seines Umhangs hoch und offenbarte Lily das Mal, welches an seinem Unterarm wucherte. Sie wich so schnell zurück, dass ihr Kopf hart gegen die Wand stieß und ein Keuchen entwich ihrer Kehle, als verschafften ihr die Lungen nicht genug zum Atmen.

„Was hast du nur getan“, hauchte sie matt, doch er erhob sich so schnell, dass Lily nicht mehr imstande war, ihn festzuhalten. „Du hattest eine Wahl, Fred!“, rief sie ihm hinterher, Tränen verschleierten ihren Blick. „Ich hatte keine.“ Doch er zuckte nur gleichgültig mit den Schultern und stürmte dann aus der Tür. Die Potter schlang die Arme um ihre Knie und schaukelte, umhüllt von Ungewissheit, vor und zurück. Was sollte sie nur tun? Sie war eine Gefangene, deren Chance auf Rettung kaum bestand. Wohl oder übel musste sie auf ihre Art ums Überleben kämpfen - ihr Vater würde nicht wollen, dass sie sich kampflos dem Tod übergab, ohne es nicht wenigstens versucht zu haben. Lilys Hand tastete vorsichtig ihre Brust hinab, bis sie ihren Herzschlag spürte. Es würde ein Kampf werden, in dem sie nicht ihr Herz verlieren durfte. Doch dafür hatte sie keine Gewähr, handele es sich bei ihrer Gefangenschaft um eine kleine Ewigkeit.
 

-
 

Ihre Familie zerbrach wie ein Glas, das man versehentlich und unaufmerksam aus den Händen gleiten ließ, in viele kleine und größere Stücke, die wiederum nur von der Unvollkommenheit der Welt zeugten. Der Ungerechtigkeit wohl im Besonderen. Tante Audrey und Molly kapselten sich so sehr von ihnen allen ab, dass sie sogleich nach Lucys Beerdigung, die Fleur in Südfrankreich ausgerichtet hatte, da es stets der Ort gewesen war, an dem sie als Familie jeden Sommer gemeinsam geweilt hatten, aufbrachen und ohne ein Wort des Dankes oder des Abschieds apparierten. Percy ließen sie zurück, vielmehr gaben sie ihm offenkundig die Schuld an dem Unglück, das ihre Tochter heimgesucht hatte. Ohne es zu wissen, hatte Percy Galina Kuprin zu viel der Macht überlassen, die er als Zaubereiminister inne hielt und so unweigerlich ins Rollen gebracht, was sie nun alle zu überfahren drohte. Selbst wenn man davon ausginge, dass Percy nicht Herr seiner Sinne gewesen war, als er die Kuprin in der Zauberergesellschaft vorgestellt und ihr so ein Standbein aus Stein gemeißelt hatte, so zeugte doch seine Verfassung in diesen Stunden davon, dass er die Schuld ganz und gar allein auf sich nahm. Dass das Unglück an ihm nagte. Rose sah in ihm den ersten Menschen innerhalb ihrer Familie zerbrechen. Er hatte von seinem Amt zurücktreten wollen, doch Harry war strikt dagegen gewesen – alles, was sie nicht riskieren dürften, wären Neuwahlen. Trotzdessen übernahm der Potter selbst die meisten von Percys Pflichten, was nicht sonderlich für Furore sorgte, da das Volk Harry Potter sowieso viel lieber zum Zaubereiminister gewählt hätte; weiterhin führte er den Orden des Phönix durch die Qualen des Neuaufbaus und der Neusortierung. Und er hing seinen eigenen Sorgen hinterher, in jeder stillen Minute, die er zuhause verbrachte und in der man nur Ginnys herzzerreißendes Wimmern vernahm. Lily war fort. Dabei war das zerreißendste Gefühl, nicht zu wissen, ob Lily der sich neu etablierenden Organisation von Todessern, wie der Orden sie nannte, freiwillig angeschlossen hatte oder ob sie vielleicht sogar in jener Nacht entführt worden war. Imogene war der festen Ansicht, dass ihre beste Freundin niemals aus freien Stücken diesem Irren gefolgt wäre, doch wurde jene von der Tatsache zugrunde gerichtet, dass Lily eine Affäre mit dem jungen Grindelwald gehabt hatte. Dennoch gaben ihre Ansichten Ginny und Harry neuen Lebensmut, die Kraft, weiter nach ihrer Tochter zu suchen, die wie vom Erdboden verschluckt schien.

Fred teilte Lilys Schicksal, auch seine Fährte hatte man verloren, doch stand bei ihm hingegen fest, dass er die Seiten gewechselt hatte. Rose fuhr bei dem Gedanken ein Stich geradewegs durch Herz, so fein und klein, dass man nicht daran verblutete, aber dennoch den ganzen Schmerz spürte.

Ihre Finger glitten über das glatte Fensterbrett und sie betrachtete - die wie gemalt wirkende - Landschaft, die sich vor ihr erstreckte. Die Sonne rann über die Hügel und benetzte jeden noch so kleinen Fleck, die kühle Luft umspielte ihre unbedeckten Arme und würde in mehreren Stunden bereits heiß auf sie niederbrennen und die sich so lang erstreckende Wiese lag unbeachtet und leer da, wo ansonsten noch jeden Morgen ein von Harry und ihrem Vater geführtes Quidditchtraining stattgefunden hatte. Rose kam es vor, als bespritzte Albus in diesem Moment einen anderen, kaum mehr existenten Teil ihrer selbst beim Frühstück mit Matsch. Als würde Lily stinkend rumfluchen, weil sie in Tante Fleurs Mülltonne gelandet war. Als würde Roxanne ihrem Bruder eine Galleone abnehmen, weil sie den Ausgang des Spiels richtig getippt hatte. Wie ein Jahr zuvor. Es war kein vergleichbarer Sommer. Alles war aus den Fugen geraten – ihre Familie, ihre Weltansichten, die Ordnung; das Normale hatte keinen Bestand mehr. Selbst der Sommer war so heiß wie ein merkwürdiges Fieber. Die Weasley kehrte dem traumhaften Ausblick den Rücken und ließ den Blick durch das vertraute Zimmer wandern, das sie stets bewohnt hatte, wenn sie in Frankreich gewesen waren. Die Dachschrägen, die in schönen Winkeln zusammenfielen, die hellen Farben, die ihr Herz stets beruhigt hatten, die unbeweglichen Poster aus Muggelkinos, die allesamt erworben worden waren, nachdem Dominique und sie die Filme gesehen hatten. (Man konnte den Muggel vorwerfen was man wollte – in Sachen Hollywood waren sie konkurrenzlos die Traumfabrik schlechthin.)

Rose betrachtete die vertraute Unordnung am Boden, die übereinander fliegenden Klamotten, die unzähligen Bücherstapel und obgleich in diesem Jahr ihre Schulutensilien fehlten, befanden sich zur Wiedergutmachung die Sachen Scorpius Malfoys darunter. Ihr Blick fiel hinüber zum Bett, doch auf diesem lag nur ein übermenschlich großer Hund mit langem, goldenem Fell und döste vor sich hin. Rose zog verdutzt eine Augenbraue in die Höhe, doch da ließ sie eine Stimme von der Tür her zusammenfahren.

„Ich wollte mich verabschieden.“ Ihr Blick huschte zu Dominique, die im Türrahmen lehnte und Rose mit ihrer Aufmachung mehr denn je an eine Muggelfrau erinnerte als an eine Hexe. Sie trug enge Jeans und ein Top, das nicht die Blessuren auf ihren Armen und ihrem Hals verdeckte, und über ihrer Schulter hing nicht mehr als ein brauner Beutel, in dem wohl ihr Leben lag. Ihre langen, goldenen Haare hatte sie sich abgeschnitten wie zur stillschweigenden Therapie, doch der Anblick schockierte Rose kaum weniger.

„Du willst also auch verschwinden“, sagte sie matt und versuchte die Tränen des Verlustes zu unterdrücken, die sie heimsuchten. Auf Dominiques Gesicht legte sich ein leicht besorgter Ausdruck, doch sie blinzelte ihn fort.

„Mich hält hier nichts mehr“, entgegnete sie kühl und Rose bemerkte, wie ihr Blick zu dem Hund wanderte, ohne jedoch, dass auch nur ein Satz ihre Lippen verließ. Die alte Dominique hätte sofort Fragen gestellt oder auf jeden Fall den Mund aufgemacht, dachte Rose melancholisch. Doch sie tat nichts dergleichen. „Alice und Albus sind bereits nach Amerika aufgebrochen, obwohl sie erst in einem Monat ihre Aurorenausbildung beginnen! James und Imogene sind einfach abgehauen und reisen für die nächste Zeit durch Europa – vielleicht kommen sie auch gar nicht wieder, weil Draco Malfoy James ja unbedingt einen Heuler schicken musste, indem er ihm mit einem langen, schmerzvollen Tod droht und-“ „Sie werden zurückkommen, Rose“, fuhr Dominique dazwischen und schob die Augenbrauen zusammen, wie zur stummen Drohung keineswegs Widerworte zu geben. „Und du?“, hauchte die Rothaarige leise und strich sich über die Arme, „kommst du zurück?“

Dominiques Fassade begann zu bröckeln und zum ersten Mal, seit sie sich nach jener Nacht wiedergesehen hatten, erkannte Rose Angst und Ungewissheit in Dominiques Blick aufflackern.

„Ich denke nicht“, sagte sie langsam und ehrlich, und Rose fühlte, wie ihre Familie um ein weiteres Stück zerbrach, „Du kannst mich jederzeit finden, wenn du es willst und wenn die Zeit gekommen ist. Aber erst mal muss ich mich wohl selbst finden.“ Dominiques Stimme brach und Rose spürte, wie die erste Träne über ihre Wange rollte.

„Du bist nicht-“, setzte sie zaghaft dazu an, ihre Cousine von allem zu befreien, das so unaufhörlich an ihrer kostbaren Seele nagte, doch Dominique hob die Hand und unterbrach sie somit. Sie seufzte, als könne sie es nicht mehr hören, obwohl Rose kaum zu ende gesprochen hatte. „Doch, bin ich. Ich trage allein die Schuld dafür, dass Lucy gestorben ist und niemand sonst. Und damit muss ich allein fertigwerden. Es wird nicht besser, wenn man versucht, mir die Schuld zu nehmen, vor allem wenn man es tut und nicht weiß, was ich an diesem Abend alles gesagt habe. Ich habe sie manipuliert und jetzt ist sie tot, obwohl ich diejenige hätte sein müssen, die stirbt. Aber ich lebe noch.“

Ihr Unglück war für Rose in diesem Moment so greifbar, als hätte jemand ihre Seelen verschmolzen und sie war keiner Worte mehr fähig, nur noch ein Gedanke bevölkerte alle Windungen ihres Gehirns. „Ich werde bald sterben, Dome.“

Sie hatte es noch nie laut ausgesprochen und dass sie es in diesem Moment tat, kam ihr fatal vor.

„Ich weiß doch“, murmelte das Mädchen mit der Veela-Magie und runzelte die Stirn. „Hugos Visionen. Aber so wie sich die Dinge momentan entwickeln-“

„Kann ich von Scorpius verlangen, bei mir zu bleiben oder sollte ich in seinem Wohl handeln und mich von ihm trennen?“ Pure Verblüffung glitzerte ihr aus Dominiques Augen entgegen und ein kaum merkliches Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht. „Er würde sowieso nicht gehen, also akzeptier es. Er ist immerhin alt genug, um seine Entscheidungen allein zu treffen – und er hat sich für dich entschieden.“ Nun liefen die Tränen unaufhörlich über Rose‘ Gesicht und Dominique seufzte zerknirscht. „Bitte, geh‘ nicht!“

„Ich muss“, erwiderte die andere Weasley und löste das erste Mal ihre verschränkten Arme voneinander. „Aber dir würde ich trotzdem raten, noch etwas vom Leben zu genießen, bis deine Heilerausbildung beginnt. Du hast noch einen Monat“, sagte Dominique und kam ein paar Schritte in den Raum hinein, „Du und der Hund könnten doch Alice und Albus besuchen oder was auch immer euer Herz begehrt.“ Ihre Cousine verdrehte die Augen und Rose entwich ein leises Lachen, als ihr Blick zu einem der Filmposter hinüberglitt, welche die cremefarbenen Wände schmückten.

„Wir werden uns wieder sehen“, murmelte Dominique leise und legte den Kopf schief, bevor Rose ihr stürmisch um den Hals fiel, doch als sie das nächste Mal blinzelte, umarmte sie die Luft.

Einige Sekunden vergingen, ehe Rose imstande war, sich zu bewegen. Ihre aller Wege hatten sich in sämtliche Himmelrichtungen und über die gekannten Grenzen hinaus verteilt. Das zuvor Existente war langsam mit dem Neuen vermischt und die zuvor vertraute Sicherheit nun erbarmungslos verwischt worden. Rose ging zum Bett und warf sich unbarmherzig auf den darauf liegenden Hund, woraufhin ein gedämpftes Stöhnen an ihr Ohr drang und in nächster Sekunde starke Arme ihren Körper umschlangen.

„Nett“, raunte er gereizt und ein kleines Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht. „Finde ich auch. Lass uns nach Amerika gehen und Alice und Albus besuchen.“

„Von mir aus“, kam die knappe Resonanz und in der nächsten Sekunde drehte er sich auf die Seite und war im Inbegriff, seinen unnatürlich starken Schlafkonsum fortzuführen, was ihr ein empörtes Gurgeln entlockte.

„Du verspielst gerade wertvolle Zeit, Malfoy! Unsere limitierte Ewigkeit hat bereits begonnen“, zischte sie ihm ins Ohr und Scorpius ließ ein verdrossenes Seufzen hören, ehe er ihre Hand nahm und sich wieder zu ihr drehte.

„Ich werde alles dafür tun, dass diese Ewigkeit nicht befristet ist“, flüsterte er samt seinem charmantesten Lächeln, das Rose dazu veranlasste, argwöhnisch eine Braue zu heben. „Sobald ich ausgeschlafen habe“, zerstörte er prompt ihre wallenden Vorstellungen und sie diktierte ihrem Herzen, auf Normalmaß zu fahren. O, wie gut sich doch ihre Hand als Abdruck auf seiner Wange machen würde… ! Als hätte er ihren Gedanken erraten, strichen seine Lippen besänftigend über ihre und er fuhr mit seinem Finger über ihren Handrücken. Und es beschwichtigte sie wirklich. Denn alles war in diesem Augenblick gut.
 


 

ENDE.
 


 


 


 

-

Nachwort - Lange habe ich überlegt, wie ich es enden lassen soll. Beziehungsweise an welcher Stelle accidentally in love überhaupt enden muss. Nun habe ich eine Stelle und einen Ort gefunden, den mein Herz mag und der optimal dafür ist, enden zu lassen, was als Teenagerromanze begann und zu so viel mehr im Verlauf der Geschichte geworden ist. Man hätte noch etliche weitere Kapitel schreiben können, aber es hat sich nicht richtig angefühlt, weiter in dieser Zeit zu weilen. Die vage Zukunft aller wurde geklärt, Geheimnisse, die Rose und Scorpius mit Siebzehn schon wissen können, ebenfalls aufgedeckt. Wie es weitergeht, ist eine andere Geschichte, die den accidentally-Rahmen gesprengt hätte. Ob ich sie erzählen werde, ist so eine Sache. Ich will, aber bisher hält mich der Gedanke ans Abitur im Frühjahr noch etwas zurück.

Ich bedanke mich jedenfalls bei allen treuen Lesern, welche die Geschichte bis hierhin verfolgt und gelesen haben, Danke für das liebe, motivierende Feedback und die vielen Favoriten.(:

Ich wünsche Euch allen einen guten Rutsch ins Neue Jahr!



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Von:  LucyCameronWeasley
2013-09-21T19:58:30+00:00 21.09.2013 21:58
Es ist zu Ende und ich bin traurig. Tieftraurig.
Dcoh du hast eine perfekte Geschichte mit einem perfekten Ende geschrieben.
Ich werde sie vermutlich noch ganz oft lesen, weil sie so einnehmend ist.

Und jetzt werde ich mich auf die Fortsetzung stürzen.
Von:  LucyCameronWeasley
2013-09-21T19:21:35+00:00 21.09.2013 21:21
Oh Gott, mein armes Herz. Ich heule wie ein Schlosshund. So spannend und mitreißend und so traurig.
Von:  LucyCameronWeasley
2013-09-21T11:32:01+00:00 21.09.2013 13:32
Ich bin voll traurig über Freddies Veränderung und bei Lilys Traumsequenz hatte ich richtig mieses Herzklopfen, so grandios geschrieben!
Von:  LucyCameronWeasley
2013-09-20T21:06:43+00:00 20.09.2013 23:06
Ich frag mich nur noch einmal..wie kannst du uns das nur antun?
Ich heule Sturzbäche, musste lachen und jetzt am Ende der Schock!

LIebe. einfach nur Liebe.
Von:  LucyCameronWeasley
2013-09-19T13:18:11+00:00 19.09.2013 15:18
Herrje, gut zwei Jahre später lese ich die Story nochmal und ich finde sie immer noch so wunderschön. Man fühlt sich ganz in eine andere Welt versetzt und es ist, als würden diese Worte von J.K. Rowling persönlich stammen.
Du bringst die Charakterzüge der einzelnen Personen so toll zur Geltung, es ist spannend, romantisch, lustig..einfach nur Liebe ♥
Von: abgemeldet
2012-06-17T18:08:08+00:00 17.06.2012 20:08
Hey :)
Ich hab eine Frage, woher kann Mine die Blicke von einem Malfoy so gut deuten? Hatte die gute Frau was mit Draco? Ich muss sagen ich mag diese Jane nicht. Sie wirkt auf mich wie eine hure? Alice ist cool. Sie hat eine schöne große klappe. Insgesamt ein super Kapitel, welches mir sehr gut gefallen hat.

Grüße
B0UNTY
Von: abgemeldet
2012-06-17T17:50:55+00:00 17.06.2012 19:50
Hallo.
Jetzt bin ich traurig. Wie konntest du mir das antun? Ich hab mich so gefreut :( Aber dadurch wird die Geschichte auch wieder ihren Pepp kriege. Insgesamt ein super Kapitel und ich freue mich schon das nächste Kapitel zu lesen

Grüße
B0UNTY
Von: abgemeldet
2012-06-17T17:18:55+00:00 17.06.2012 19:18
Hallo :D
Was für ein super Kapitel. Ich muss sagen ich fand die Szenen von Rose und Scorpius wahrlich wunderbar. Sie waren sehr gut beschrieben und auch sehr gut dargestellt. Ich fand Adrian sehr lustig, wie er mit Rose geredet hat. Musste deswegen ziemlich grinsen. Ich bin gespannt was wohl im nächsten Kapitel passieren mag.

Grüße
B0UNTY
Von: abgemeldet
2012-06-17T16:59:51+00:00 17.06.2012 18:59
Hallöchen :D
Was für ein Kapitel. Ich fand die Reaktionen auf Rose und ihr Outfit wirklich wunderbar :) Habe ich schon gesagt das mir deine Rse bisher sehr gut gefällt? Oh und von Scorp die Schwester ebenfalls, weißt du das? Das sind bisher meine lieblings Charakter. Und das Ende mit der Schlägerei war gut und die Provokation en von Scorp so oder so

Grüße
B0UNTY
Von: abgemeldet
2012-06-17T16:27:43+00:00 17.06.2012 18:27
Hallöchen :)
Was für ein Kapitel. Ich fand's super wie du die Familie Malfoy dargestellt hast. Sie kamen genau so rüber, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Ich finde die Schwester von Scorp super genial und muss sagen das ich bei ihren Sprüchen ziemlich lachen musste. Ich kann Rose verstehe. An ihrer Stelle hätte ich auch keine Lust auf irgendeine Party.

Grüße
B0UNTY


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