Accidentally in Love von Herzkirsche (the story of Rose & Scorpius) ================================================================================ Epilog: epilogue ----------------                    Wenn die Menschen dein schweres Schicksal kennen, dann sehen sie dich automatisch anders an. Sie betrachteten dich ganz unbewusst wie eine eigenartige Kreatur, über die man nur klägliche Informationen in Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind nachlesen kann. Ohne Scham, ohne Rücksicht. Als wärst du eine Attraktion. Doch wenn sie Mitleid mit dir hegen, so wie die gefühlte ganze Welt es für mich empfand, dann ergeben sich dir gleichsam Möglichkeiten, die du niemals unentdeckt lassen solltest. Ich bin nicht nur Lily Potter, James‘ Frau. Ehemalige Evans. Ehemalige Schulsprecherin. Der Großteil sieht darüber hinaus, erkennt mich als die mutige, muggelstämmige Gryffindor mit dem großen Talent an. Sie wissen, dass wir Voldemorts Angebote, auf seine Seite zu wechseln, ausschlugen und seither ein Leben als Widerstandskämpfer führen. Dass wir gejagt werden wie Wild und dass wir vor einem nicht legitimen Gericht längst zum Tode verurteilt worden. Das Wissen um mein grauenvolles Schicksal öffnete mir die Türen zur Mysteriumsabteilung, zu dem vielen Unentdeckten, das mich so sehr zu sich zog. Etwa zu dieser Zeit hatte ich die Eingebung, dass es Dinge in James‘ und meinem Leben gab, die nicht in die schmutzigen Hände von Todessern oder gar Voldemort, nicht mal in die unsereins fallen sollten. Dazu gehören James‘ Tagebücher über die Animagus Transformation – faszinierend, jedoch in den falschen Händen blutendes Fleisch. Meine Erstausgabe von Bathilda Bagshots Geschichte der Zauberei, die nach einigen Experimenten von Bathilda und mir nun befähigt ist, sich selber zu schreiben. (Ich weiß, äußerst seltsam. Aber wo sonst, wenn nicht hier?) Sirius gab mir nach einigem Wehklagen auch sein magisches Taschenmesser, ein altes Erbstück der Familie Black und wohl das einzige, das ihn wirklich noch mit seiner Familie verbindet und obendrein befähigt ist, selbst Schutzzauber zu durchstoßen. Zudem legte ich meine alte Spieluhr der Truhe mit Objekten bei, ein Geschenk meiner Eltern und Schwester zur Volljährigkeit und vollends magielos – und doch, man bezeichne es ruhig als reine Melancholie, das ich ein Stück meines Herzens dem zufüge, das unerprobter Zaubern her fünfzig Jahre formlos und unsichtbar seine Zeit in einem Winkel der Mysteriumsabteilung fristen muss, bis sich die Zauber lösen und den Weg zu einer neuen Generation finden. Ich weiß nicht, wie es funktioniert, aber die Gelehrten der Abteilung sprachen davon, dass die Objekte selbst befähigt wären, sich ihrem neuen Besitzer zu offenbaren. Sie kommunizieren mit dem Blut ihrer ehemaligen Besitzer, insofern mit der kleinen Wimper Geist, die sich noch darin befindet wie es an allem haftet, woran einmal das Herz hing. Ich vertraue dieser Art von Magie nicht, aber ich bin dem Versuch dennoch nicht abgeneigt. Wenn dieser Brief wirklich einmal gelesen wird, dann will ich keineswegs den Gedanken keimen lassen, dass ich bereits weiß, was mich erwarten wird. Ich mag sehen, wie die Welt zerfällt, aber ich bin nicht imstande, meine eigene Zukunft auch nur zu erahnen, auch wenn alle Welt glaubt, sie läge glasklar auf der Hand. Ich vertraue Peter. Er wird uns nicht verraten, wohl eher kann der Fidelius-Zauber Voldemort nicht standhalten. Aber wer weiß. Vielleicht blendet mich auch nur menschliche Verklärung. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass es weitergeht und nie vorbei sein wird. Dass es für alle Dinge, die geschehen, auch Gründe gibt. Wunder und Hoffnungen weiterhin existent sind. Im Grunde genommen glaube ich, dass der Zauber überleben wird und an die Oberfläche taucht, wenn die zweite Ewigkeit beginnt. Langsam und mit zittrigen Fingern faltete Rose das vergilbte Papier zusammen und steckte das Geheimnis zwischen die Seiten der verzauberten Erstausgabe, bevor sie das letzte Kapitel aufschlug und ihre wachsamen Augen über die dichtbeschriebene Seite glitt. Die Kristallnacht. Es gab sie bereits, alldieweil die Schrecklichkeiten kaum mehrere Stunden als beendet galten. Über London zog bereits der Tag auf mit sanftem orangerotem Licht, das schon bald das Blau eines strahlenden Himmels und gleichwohl die Sonne heranlocken dürfte. Und sie hatte keine einzige Stunde geschlafen. Die bloße Vorstellung, die Augen zu schließen und sein Gesicht zu sehen, drehte ihr den Magen um. Ihre letzte Erinnerung an Hogwarts war vergiftetes Unglück und der Geruch von verbranntem Fleisch, vermischt mit den irren Augen des Teufels. Rose seufzte leise und nachdem ihre Finger eine wirre, rote Strähne zurückstrichen, die sich in ihrem Gesicht verrannt hatte, suchten eben jene geistesabwesender Weise das blonde Haar auf und verirrten sich in diesem. 17 Tote. Die verstörende Zahl schoss ihr in die blauen Augen und ihre Kehle schnürte sich zu, als Rose bewusst wurde, dass ihnen das Buch bereits Schritte zuvor war. Zuletzt hatten ihr aufgeregte Heiler keine genaue Zahl nennen können, hatten nicht gewusst, ob Alice Longbottom – wie war der Name noch gleich? – überhaupt noch lebte, ob Hugo Weasley – ach, der Sohn Hermione Weasleys? Wir geben unser Bestes! – aufgewacht war. Hugo. Ihr Bruder mit den Träumen, den Visionen. Den sie zuletzt aus den Händen hatte gleiten lassen und nun nicht mehr imstande war, zu verstehen. Erneut flogen ihre Augen über die Absätze, doch sie fand die Stelle über die Geschehnisse im Verbotenen Wald nicht, als wären sie ausradiert worden oder keiner Meldung wert. Tatsächlich waren sie das wohl wirklich nicht. 17 Tote. Was spielte es für eine Rolle, ob sie alle in der Großen Halle oder außerhalb dieser gefallen waren? Leicht schüttelte sie den Kopf, bevor sie das leise Geräusch von der Tür her wahrnahm und ihr Herz augenblicklich schneller pochte. Merlin, sie würde nicht einmal mehr verdammte einundzwanzig Jahre alt werden, wenn sie vor jeder Kleinigkeit eine scheiß Angst hatte! Astoria Malfoy kam mit wehendem, limonengrünen Umhang ins Krankenzimmer gerauscht und erinnerte sie unpassenderweise an eine Hexe aus Magical Anatomy. Die Heiler hatten ihr eindeutig zu viele Schmerzmittel verabreicht, dachte Rose grimmig. Sie hätte weinen müssen, doch sie hatte keine Tränen mehr. Sie hätte ein überquellendes Herz vor lauter Schmerz und Schuld und Angst haben sollen, doch jegliche Regungen dieser Art waren nur leichte Bisse in ihren Magen. Sie fühlte zu wenig, dabei wollte sie alles. Astoria trat an ihr Bett und bedachte ihren Sohn, der sich vollends auf ihr und den Laken ausgebreitet hatte und seelenruhig schlief, nur mit einem kurzen Blick, bevor sie nach ihrem Arm griff. „Er sollte in seinem Bett schlafen“, sagte sie leise und Rose betrachtete nachdenklich die Gestalt mit dem gleichmäßigen Atem. Sie wollte nichts erwidern. Ihre Beine waren unter der Last eingeschlafen, doch es störte sie nicht. Es tat ihr vielmehr gut, ihn bei sich zu haben, nach allem, was passiert war. Sie hatte bereits Abschied von ihm genommen, das war einmal zu viel. „Wie geht es Alice?“, fragte Rose stattdessen und blinzelte zu der Heilerin hinauf, hoffend, betend, alles. „Sie ist noch nicht über den Berg“, erwiderte die Malfoy und widmete sich weiter ihrer Arbeit, doch Rose ließ sie nicht unter ihrem Blick los. „Was ist mit Albus?“ „Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“ Erleichterung durchströmte winzige Teile ihres Körpers, doch etliche blieben davon unberührt. „Und meinem Bruder?“ Astoria seufzte und eine Spur widerwillig sagte sie: „Sein Körper hat von selbst ein Schutzkoma eingestellt, um ihn vor den Visionen zu schützen, da sie ihm offenbar den Verstand geraubt hätten. Insofern sind wir momentan nicht in der Lage, irgendetwas zu tun. Wir müssen warten.“ „Aber träumt er im Koma denn nicht auch?“, fragte Rose langsam und sah, wie sich ein gequälter Ausdruck auf Astorias Gesicht schlich. „Wir wissen es nicht. Aber die Mysteriumsabteilung geht davon aus, dass er sich momentan in einem Zustand vollkommener Schwärze befindet.“ Eine Gänsehaut breitete sich bei der Vorstellung auf Rose‘ Armen aus und Astoria blieb davon nicht in Unkenntnis, war jedoch unbeeindruckt. „Habt ihr darüber gesprochen, wie es weitergehen soll?“, wisperte sie plötzlich so leise, als wäre ihr verboten worden, auch nur einen Teil des Themas anzuschneiden und als erwarte jeden, der es wagte, eine besonders grauenvolle Strafe. Ihre Fantasie. Die Schmerzmittel. Rose schüttelte leicht den Kopf, um sich von ihren dummen Eingebungen zu befreien und hob vorsichtig den Kopf, um Astorias ernsten Blick zu erwidern. Sie wollte etwas sagen, irgendwas, aber ihr wollten keine Worte über die Lippen kommen. Stattdessen wurde ihr Mund staubtrocken. Imogene hatte ihr Schweigen gebrochen und schlussendlich den Ordensmitgliedern alles erzählt, zu dem Hugo nicht mehr imstande gewesen war. Rose war knapp dem Tod entronnen, nur um in der nächsten Sekunde zu erfahren, dass ihr Tod bereits besiegelt war. Scorpius und sie würden sterben. In weniger als fünf Jahren. Sie wollte schreien und weinen und all jene Dinge tun, die man normalerweise tat, aber die Kunst der Heiler hatte ihre Gefühlregungen abstumpfen lassen. Sie nahm es hin, auch wenn etwas in ihr brütete, köchelte und nur darauf wartete, sie ihren Verstand verlieren zu lassen, sie unter der Last entzwei zu brechen. Bisher gingen Harry Potter und die anderen Ordensmitglieder der Theorie nach, dass es sich vollends und allein um ihre Person drehen würde, die Gregory Grindelwald in mehreren Jahren veranlassen würde, Malfoy Manor aufzusuchen und Scorpius und sie zu ermorden. Weshalb jedem auf der Hand lag, wie eine verantwortungsbewusste, junge Frau mit diesem Wissen zu handeln habe – sie musste ihn loslassen, ihm widerstehen und ihn ein Leben fernab ihres Herzens führen lassen. Rose wollte keinen neuerlichen Abschied. Doch sah sie den flehentlichen Ausdruck im Gesicht seiner Mutter. Die Bitte, ihm ein Leben zu ermöglichen, das Altwerden und alles, was dazuzugehören vermochte. Als Astoria Malfoy ihr Zimmer verließ, fuhr Rose ihm nachdenklich durch das blonde Haar und schlug erneut die Erstausgabe von Geschichte der Zauberei auf, nur um erneut den Absatz mit den 17 Toten zu überfliegen und sich erneut an den unheilvollen Brief zurückerinnert zu fühlen, den es auf magische Weise zu ihr geführt hatte. Das Schicksal Lily Potters schien ihrem eigenen so verdammt ähnlich. Auch Rose erschien es, als hätte sie ein unbefugtes Gericht zum Tode verurteilt. Ohne Anhörung, Verteidigung. Einfach so. Wie fühlte es sich wohl an, gejagt zu werden wie Wild? Mit einem Mal fühlte Rose sich seltsam schläfrig und alle trüben Gedanken lösten sich, ihre Sinne verstummten. Ihr letzter Gedanke galt der zweiten Ewigkeit. - Die scharfen Finger der Dunkelheit griffen lange, zu lange nach ihrem Herzen, sodass Lily nicht hätte sagen können, wie oft Tag und Nacht freundschaftlich wechselten, bis man ihr einen Funken Leben einhauchte, indem man leise zu ihr sprach. Ihr den menschlichen Kontakt gewährte, ohne dass ihre Sinne vollends im Stande waren, alles Wundervolle aufzusaugen. Die sanfte Stimme kam ihr vertraut vor, doch konnte Lily sie schwer zuordnen. Definitiv eine Stimme ihres alten Lebens, umso verwunderlicher war, dass sie an diesem dunklen Ort zu ihr sprach. Ein leises Stöhnen überkam ihre Lippen, als der Unbekannte ihre Fesseln löste und sie hochhob. Erst als er das Tuch von ihren Augen riss, spürte Lily mit der neutastenden Freiheit, dass sie eines getragen hatte. Nur dadurch in vollkommener Dunkelheit gehaust hatte. Das Licht, welches ihr nun allerdings entgegen sprudelte, war alles andere als verlockend. Lily kniff die Augen zusammen und ihre steifen Hände suchten schützend ihr Gesicht. Sie wusste nicht, wo sie war und vor allem wer sie da durch den Raum trug. Erst als ihr zitternder Körper auf einer weichen Unterlage ruhte, wagte sie einen Blick durch ihre Finger und … „Fred“, rief sie mit schwacher, dennoch aufgeregter Stimme und griff beherzt seine Hand, als es so schien, als wolle er ihr entgleiten. Er war da, also konnte es sich keineswegs um die Hölle oder jeden anderen erdenklich bösen Ort handeln. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wurde gequält, doch er folgte ihrer stummen Aufforderung und ließ sich auf dem Bett nieder. „Wo sind wir?“, fragte die Potter ohne Umschweife und Fred legte gleich einer stummen Aufforderung den Zeigefinger an die Lippen. Lilys Blick kreuzte sich mit den vielen Wandgemälden und stuckverzierten Wänden, streifte die kostbaren Tapeten und Spiegel, die altertümlichen Möbel und blieb dann an den Fresken über dem Himmelbett hängen, in welches Fred sie gelegt hatte. Unweigerlich verzogen sich ihre Lippen in einem Hauch von Missfallen. Dieser Raum war unweigerlich Teil einer anderen Zeit, einer Zeit, in die sie beim besten Willen nicht gehörte. „Irgendwo in Sibirien“, raunte Fred ihr zu und ein Schaudern über rann ihren Körper. Stumm formte ihre Mund das Wort Wieso. „Ich für meinen Teil bin freiwillig hier, du hingegen hast in einem Anflug kindlicher Naivität einen Vertrag unterschrieben, ohne ihn zuvor gelesen zu haben.“ Sie schluckte Freds grimmige Miene hinunter, bevor ihr Mund ganz trocken und ihre Augen ganz feucht wurden. Leicht schüttelte sie den Kopf. „Mein Vater wird uns retten.“ „Das ist Grindelwald Manor, Lily. Dieser Ort ist unauffindbar“, erwiderte er leise und schien zu wissen, wie sehr er in diesem Moment all ihre Hoffnungen zerstörte. „Füge dich deinem Schicksal. Wir sind es, die für das Größere Wohl kämpfen.“ Fred zog rasch den Ärmel seines Umhangs hoch und offenbarte Lily das Mal, welches an seinem Unterarm wucherte. Sie wich so schnell zurück, dass ihr Kopf hart gegen die Wand stieß und ein Keuchen entwich ihrer Kehle, als verschafften ihr die Lungen nicht genug zum Atmen. „Was hast du nur getan“, hauchte sie matt, doch er erhob sich so schnell, dass Lily nicht mehr imstande war, ihn festzuhalten. „Du hattest eine Wahl, Fred!“, rief sie ihm hinterher, Tränen verschleierten ihren Blick. „Ich hatte keine.“ Doch er zuckte nur gleichgültig mit den Schultern und stürmte dann aus der Tür. Die Potter schlang die Arme um ihre Knie und schaukelte, umhüllt von Ungewissheit, vor und zurück. Was sollte sie nur tun? Sie war eine Gefangene, deren Chance auf Rettung kaum bestand. Wohl oder übel musste sie auf ihre Art ums Überleben kämpfen - ihr Vater würde nicht wollen, dass sie sich kampflos dem Tod übergab, ohne es nicht wenigstens versucht zu haben. Lilys Hand tastete vorsichtig ihre Brust hinab, bis sie ihren Herzschlag spürte. Es würde ein Kampf werden, in dem sie nicht ihr Herz verlieren durfte. Doch dafür hatte sie keine Gewähr, handele es sich bei ihrer Gefangenschaft um eine kleine Ewigkeit. - Ihre Familie zerbrach wie ein Glas, das man versehentlich und unaufmerksam aus den Händen gleiten ließ, in viele kleine und größere Stücke, die wiederum nur von der Unvollkommenheit der Welt zeugten. Der Ungerechtigkeit wohl im Besonderen. Tante Audrey und Molly kapselten sich so sehr von ihnen allen ab, dass sie sogleich nach Lucys Beerdigung, die Fleur in Südfrankreich ausgerichtet hatte, da es stets der Ort gewesen war, an dem sie als Familie jeden Sommer gemeinsam geweilt hatten, aufbrachen und ohne ein Wort des Dankes oder des Abschieds apparierten. Percy ließen sie zurück, vielmehr gaben sie ihm offenkundig die Schuld an dem Unglück, das ihre Tochter heimgesucht hatte. Ohne es zu wissen, hatte Percy Galina Kuprin zu viel der Macht überlassen, die er als Zaubereiminister inne hielt und so unweigerlich ins Rollen gebracht, was sie nun alle zu überfahren drohte. Selbst wenn man davon ausginge, dass Percy nicht Herr seiner Sinne gewesen war, als er die Kuprin in der Zauberergesellschaft vorgestellt und ihr so ein Standbein aus Stein gemeißelt hatte, so zeugte doch seine Verfassung in diesen Stunden davon, dass er die Schuld ganz und gar allein auf sich nahm. Dass das Unglück an ihm nagte. Rose sah in ihm den ersten Menschen innerhalb ihrer Familie zerbrechen. Er hatte von seinem Amt zurücktreten wollen, doch Harry war strikt dagegen gewesen – alles, was sie nicht riskieren dürften, wären Neuwahlen. Trotzdessen übernahm der Potter selbst die meisten von Percys Pflichten, was nicht sonderlich für Furore sorgte, da das Volk Harry Potter sowieso viel lieber zum Zaubereiminister gewählt hätte; weiterhin führte er den Orden des Phönix durch die Qualen des Neuaufbaus und der Neusortierung. Und er hing seinen eigenen Sorgen hinterher, in jeder stillen Minute, die er zuhause verbrachte und in der man nur Ginnys herzzerreißendes Wimmern vernahm. Lily war fort. Dabei war das zerreißendste Gefühl, nicht zu wissen, ob Lily der sich neu etablierenden Organisation von Todessern, wie der Orden sie nannte, freiwillig angeschlossen hatte oder ob sie vielleicht sogar in jener Nacht entführt worden war. Imogene war der festen Ansicht, dass ihre beste Freundin niemals aus freien Stücken diesem Irren gefolgt wäre, doch wurde jene von der Tatsache zugrunde gerichtet, dass Lily eine Affäre mit dem jungen Grindelwald gehabt hatte. Dennoch gaben ihre Ansichten Ginny und Harry neuen Lebensmut, die Kraft, weiter nach ihrer Tochter zu suchen, die wie vom Erdboden verschluckt schien. Fred teilte Lilys Schicksal, auch seine Fährte hatte man verloren, doch stand bei ihm hingegen fest, dass er die Seiten gewechselt hatte. Rose fuhr bei dem Gedanken ein Stich geradewegs durch Herz, so fein und klein, dass man nicht daran verblutete, aber dennoch den ganzen Schmerz spürte. Ihre Finger glitten über das glatte Fensterbrett und sie betrachtete - die wie gemalt wirkende - Landschaft, die sich vor ihr erstreckte. Die Sonne rann über die Hügel und benetzte jeden noch so kleinen Fleck, die kühle Luft umspielte ihre unbedeckten Arme und würde in mehreren Stunden bereits heiß auf sie niederbrennen und die sich so lang erstreckende Wiese lag unbeachtet und leer da, wo ansonsten noch jeden Morgen ein von Harry und ihrem Vater geführtes Quidditchtraining stattgefunden hatte. Rose kam es vor, als bespritzte Albus in diesem Moment einen anderen, kaum mehr existenten Teil ihrer selbst beim Frühstück mit Matsch. Als würde Lily stinkend rumfluchen, weil sie in Tante Fleurs Mülltonne gelandet war. Als würde Roxanne ihrem Bruder eine Galleone abnehmen, weil sie den Ausgang des Spiels richtig getippt hatte. Wie ein Jahr zuvor. Es war kein vergleichbarer Sommer. Alles war aus den Fugen geraten – ihre Familie, ihre Weltansichten, die Ordnung; das Normale hatte keinen Bestand mehr. Selbst der Sommer war so heiß wie ein merkwürdiges Fieber. Die Weasley kehrte dem traumhaften Ausblick den Rücken und ließ den Blick durch das vertraute Zimmer wandern, das sie stets bewohnt hatte, wenn sie in Frankreich gewesen waren. Die Dachschrägen, die in schönen Winkeln zusammenfielen, die hellen Farben, die ihr Herz stets beruhigt hatten, die unbeweglichen Poster aus Muggelkinos, die allesamt erworben worden waren, nachdem Dominique und sie die Filme gesehen hatten. (Man konnte den Muggel vorwerfen was man wollte – in Sachen Hollywood waren sie konkurrenzlos die Traumfabrik schlechthin.) Rose betrachtete die vertraute Unordnung am Boden, die übereinander fliegenden Klamotten, die unzähligen Bücherstapel und obgleich in diesem Jahr ihre Schulutensilien fehlten, befanden sich zur Wiedergutmachung die Sachen Scorpius Malfoys darunter. Ihr Blick fiel hinüber zum Bett, doch auf diesem lag nur ein übermenschlich großer Hund mit langem, goldenem Fell und döste vor sich hin. Rose zog verdutzt eine Augenbraue in die Höhe, doch da ließ sie eine Stimme von der Tür her zusammenfahren. „Ich wollte mich verabschieden.“ Ihr Blick huschte zu Dominique, die im Türrahmen lehnte und Rose mit ihrer Aufmachung mehr denn je an eine Muggelfrau erinnerte als an eine Hexe. Sie trug enge Jeans und ein Top, das nicht die Blessuren auf ihren Armen und ihrem Hals verdeckte, und über ihrer Schulter hing nicht mehr als ein brauner Beutel, in dem wohl ihr Leben lag. Ihre langen, goldenen Haare hatte sie sich abgeschnitten wie zur stillschweigenden Therapie, doch der Anblick schockierte Rose kaum weniger. „Du willst also auch verschwinden“, sagte sie matt und versuchte die Tränen des Verlustes zu unterdrücken, die sie heimsuchten. Auf Dominiques Gesicht legte sich ein leicht besorgter Ausdruck, doch sie blinzelte ihn fort. „Mich hält hier nichts mehr“, entgegnete sie kühl und Rose bemerkte, wie ihr Blick zu dem Hund wanderte, ohne jedoch, dass auch nur ein Satz ihre Lippen verließ. Die alte Dominique hätte sofort Fragen gestellt oder auf jeden Fall den Mund aufgemacht, dachte Rose melancholisch. Doch sie tat nichts dergleichen. „Alice und Albus sind bereits nach Amerika aufgebrochen, obwohl sie erst in einem Monat ihre Aurorenausbildung beginnen! James und Imogene sind einfach abgehauen und reisen für die nächste Zeit durch Europa – vielleicht kommen sie auch gar nicht wieder, weil Draco Malfoy James ja unbedingt einen Heuler schicken musste, indem er ihm mit einem langen, schmerzvollen Tod droht und-“ „Sie werden zurückkommen, Rose“, fuhr Dominique dazwischen und schob die Augenbrauen zusammen, wie zur stummen Drohung keineswegs Widerworte zu geben. „Und du?“, hauchte die Rothaarige leise und strich sich über die Arme, „kommst du zurück?“ Dominiques Fassade begann zu bröckeln und zum ersten Mal, seit sie sich nach jener Nacht wiedergesehen hatten, erkannte Rose Angst und Ungewissheit in Dominiques Blick aufflackern. „Ich denke nicht“, sagte sie langsam und ehrlich, und Rose fühlte, wie ihre Familie um ein weiteres Stück zerbrach, „Du kannst mich jederzeit finden, wenn du es willst und wenn die Zeit gekommen ist. Aber erst mal muss ich mich wohl selbst finden.“ Dominiques Stimme brach und Rose spürte, wie die erste Träne über ihre Wange rollte. „Du bist nicht-“, setzte sie zaghaft dazu an, ihre Cousine von allem zu befreien, das so unaufhörlich an ihrer kostbaren Seele nagte, doch Dominique hob die Hand und unterbrach sie somit. Sie seufzte, als könne sie es nicht mehr hören, obwohl Rose kaum zu ende gesprochen hatte. „Doch, bin ich. Ich trage allein die Schuld dafür, dass Lucy gestorben ist und niemand sonst. Und damit muss ich allein fertigwerden. Es wird nicht besser, wenn man versucht, mir die Schuld zu nehmen, vor allem wenn man es tut und nicht weiß, was ich an diesem Abend alles gesagt habe. Ich habe sie manipuliert und jetzt ist sie tot, obwohl ich diejenige hätte sein müssen, die stirbt. Aber ich lebe noch.“ Ihr Unglück war für Rose in diesem Moment so greifbar, als hätte jemand ihre Seelen verschmolzen und sie war keiner Worte mehr fähig, nur noch ein Gedanke bevölkerte alle Windungen ihres Gehirns. „Ich werde bald sterben, Dome.“ Sie hatte es noch nie laut ausgesprochen und dass sie es in diesem Moment tat, kam ihr fatal vor. „Ich weiß doch“, murmelte das Mädchen mit der Veela-Magie und runzelte die Stirn. „Hugos Visionen. Aber so wie sich die Dinge momentan entwickeln-“ „Kann ich von Scorpius verlangen, bei mir zu bleiben oder sollte ich in seinem Wohl handeln und mich von ihm trennen?“ Pure Verblüffung glitzerte ihr aus Dominiques Augen entgegen und ein kaum merkliches Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht. „Er würde sowieso nicht gehen, also akzeptier es. Er ist immerhin alt genug, um seine Entscheidungen allein zu treffen – und er hat sich für dich entschieden.“ Nun liefen die Tränen unaufhörlich über Rose‘ Gesicht und Dominique seufzte zerknirscht. „Bitte, geh‘ nicht!“ „Ich muss“, erwiderte die andere Weasley und löste das erste Mal ihre verschränkten Arme voneinander. „Aber dir würde ich trotzdem raten, noch etwas vom Leben zu genießen, bis deine Heilerausbildung beginnt. Du hast noch einen Monat“, sagte Dominique und kam ein paar Schritte in den Raum hinein, „Du und der Hund könnten doch Alice und Albus besuchen oder was auch immer euer Herz begehrt.“ Ihre Cousine verdrehte die Augen und Rose entwich ein leises Lachen, als ihr Blick zu einem der Filmposter hinüberglitt, welche die cremefarbenen Wände schmückten. „Wir werden uns wieder sehen“, murmelte Dominique leise und legte den Kopf schief, bevor Rose ihr stürmisch um den Hals fiel, doch als sie das nächste Mal blinzelte, umarmte sie die Luft. Einige Sekunden vergingen, ehe Rose imstande war, sich zu bewegen. Ihre aller Wege hatten sich in sämtliche Himmelrichtungen und über die gekannten Grenzen hinaus verteilt. Das zuvor Existente war langsam mit dem Neuen vermischt und die zuvor vertraute Sicherheit nun erbarmungslos verwischt worden. Rose ging zum Bett und warf sich unbarmherzig auf den darauf liegenden Hund, woraufhin ein gedämpftes Stöhnen an ihr Ohr drang und in nächster Sekunde starke Arme ihren Körper umschlangen. „Nett“, raunte er gereizt und ein kleines Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht. „Finde ich auch. Lass uns nach Amerika gehen und Alice und Albus besuchen.“ „Von mir aus“, kam die knappe Resonanz und in der nächsten Sekunde drehte er sich auf die Seite und war im Inbegriff, seinen unnatürlich starken Schlafkonsum fortzuführen, was ihr ein empörtes Gurgeln entlockte. „Du verspielst gerade wertvolle Zeit, Malfoy! Unsere limitierte Ewigkeit hat bereits begonnen“, zischte sie ihm ins Ohr und Scorpius ließ ein verdrossenes Seufzen hören, ehe er ihre Hand nahm und sich wieder zu ihr drehte. „Ich werde alles dafür tun, dass diese Ewigkeit nicht befristet ist“, flüsterte er samt seinem charmantesten Lächeln, das Rose dazu veranlasste, argwöhnisch eine Braue zu heben. „Sobald ich ausgeschlafen habe“, zerstörte er prompt ihre wallenden Vorstellungen und sie diktierte ihrem Herzen, auf Normalmaß zu fahren. O, wie gut sich doch ihre Hand als Abdruck auf seiner Wange machen würde… ! Als hätte er ihren Gedanken erraten, strichen seine Lippen besänftigend über ihre und er fuhr mit seinem Finger über ihren Handrücken. Und es beschwichtigte sie wirklich. Denn alles war in diesem Augenblick gut. ENDE. - Nachwort - Lange habe ich überlegt, wie ich es enden lassen soll. Beziehungsweise an welcher Stelle accidentally in love überhaupt enden muss. Nun habe ich eine Stelle und einen Ort gefunden, den mein Herz mag und der optimal dafür ist, enden zu lassen, was als Teenagerromanze begann und zu so viel mehr im Verlauf der Geschichte geworden ist. Man hätte noch etliche weitere Kapitel schreiben können, aber es hat sich nicht richtig angefühlt, weiter in dieser Zeit zu weilen. Die vage Zukunft aller wurde geklärt, Geheimnisse, die Rose und Scorpius mit Siebzehn schon wissen können, ebenfalls aufgedeckt. Wie es weitergeht, ist eine andere Geschichte, die den accidentally-Rahmen gesprengt hätte. Ob ich sie erzählen werde, ist so eine Sache. Ich will, aber bisher hält mich der Gedanke ans Abitur im Frühjahr noch etwas zurück. Ich bedanke mich jedenfalls bei allen treuen Lesern, welche die Geschichte bis hierhin verfolgt und gelesen haben, Danke für das liebe, motivierende Feedback und die vielen Favoriten.(: Ich wünsche Euch allen einen guten Rutsch ins Neue Jahr! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)