Nucleus von Grave ([Avenged Sevenfold]) ================================================================================ Kapitel 1: Nowhere ------------------ Ein Star zu sein hieß Sex, Drogen und Party. Sex. Drogen. Party. Drei Wörter, die Materie hatten und mit denen ich sehr leicht etwas anzufangen wusste. Sie ließen keine Fragen offen oder verwirrten mich mit irgendeinem schwierigen Kontext. Sex. Drogen. Party. Ich hätte es in jedem Vertrag unterzeichnet. Mit einem großen, schwungvollen SG, so wie es Rockstars taten und so wie ich es tun würde. Denn ich war jetzt ein Rockstar oder ich kam mir wie einer vor. Aber die Linie zwischen Sein und Werden war sehr dünn geworden in den letzten Monaten. Und was war jetzt? Jetzt steh Ich in New York fucking City und fror mir die Eier ab. Wie ein fucking Rockstar und die einzige Droge die ich habe, ist die halb abgebrannte Zigarette zwischen meinen Fingern, die nach Scheiße schmeckt, weil der Tabak aus dem letzten Jahrhundert sein musste. Neunzehn verdammte Jahre alt und irgendwo in New York – ich habe keine Ahnung, wo genau wir sind, nur dass es nicht der scheiß Time Square ist – am kältesten Tag des Jahres. Das sagte der Wetteransager zumindest im Fernseher, hinter der Glasscheibe, in einem Fernsehladen wo ich und er stehen, zwei schwarze Gestalten im weißen Schnee. Armselige Gestalten nur in zerfetzten Jeans, Chucks und einer ausgebeulten Jacke, weil ein verdammter scheiß Rockstar nicht mehr zum Leben braucht. „‘N Eissturm.“, sag er neben mir. „‘N Eissturm.“, wiederhole Ich und schieb beide Hände in die Jackentaschen, als er mir die Zigarette abnimmt um selber dran zu ziehen. Wenn ich’s nicht tun würde, dann würden mir wohl die Hände abgefallen. Alles nur, weil es so verdammt cool aussah, wenn deine Handschuhe keine Finger mehr hatten. Half dir nicht im Dezember, am kältesten Tag des Jahres. „Scheiße, man.“, murmelt er und pustet den Rauch aus, der sich mit den kleinen Schneeflocken vermischt. „Ja, scheiße.“, antworte ich und beweg meine Füße, bevor sie am Boden festfrieren, in etwa so wie meine Hose schon an meinem Arsch festgefroren sein muss. Er überreicht mir wieder die Zigarette und ich zieh dran. Bis der Rauch in meinem Mund ankommt, ist er schon kalt. Doch die Spitze leuchtet in der Nacht. Schönes Feuer. Wirklich schön. „Ich kotz noch. Echt, man, ich schwör dir, ich kotz noch...“, sagt er typisch schleppend, total im Southern Akzent Stil. Total Badass. „Dafür is‘ nichts mehr im Magen übrig...“, sag ich mit dem schwachen Versuch einen Witz zu machen, aber meine Mundwinkel sind festgefroren und seine ebenso, also lassen wir es beide. Ein Dollar am Tag war ein Scheißdreck. Du musst eine Woche sparen um dir mit dem Geld etwas kaufen zu können. Fuck you, Matt, dachte ich, fuck you. Mit einem leisen, schwermütigen Seufzen wendet er sich vom Fernseher ab und trabt den schneebedeckten Bürgersteig entlang. Und ich lauf ihm hinter her. Wie immer. „Zurück?“, frag ich. „Nein.“, antwortet er und deutet nach vorne auf die leuchtende Reklame von McDonalds. „Nein.“, sag nun ich. „Doch. Ich will’s mir vorstellen.“, sagt er und geht weiter ohne mich anzusehen und ich folge ihm mit dem Blick die ganze Zeit auf seinem Rücken. Deswegen stehen wir da wenig später. Vor McDonalds und schauen Leuten zu, wie sie essen. Ich hör wie mein Magen knurrt und ich will mich umdrehen, abwenden, das nicht mehr sehen, wenn ich das letzte Mal vor zwei Tagen etwas richtiges gegessen habe. Er hält mich fest. Seine dicke, kleine Hand schiebt sich zu mir in meine Jackentasche und er verhakt dort unsere Finger. Seine Hand ist eiskalt. Wirklich kalt. Noch kälter als meine. Darum drücke ich sie ganz fest. Damit sie bloß schnell, schnell wieder warm wird. Und schaue weiter zu, wie sich die Leute Burger reinschieben, ohne groß darüber nachzudenken. Irgendwann mal. Vor einem halben Jahr habe ich auch zu denen gehört. „Dein Dad?“, fragt er mich. Ich schüttele den Kopf. „Der hasst mich.“ „Stimmt nicht.“ Jetzt nicke ich. „Er ist einfach nur ein Arschloch.“ Kein Cent kriegst du mehr! Keinen Cent! Entweder komm wieder Heim, oder du kriegst keinen Cent mehr! – Das hat er gesagt bei meinem letzten Anruf. Eindeutige Sache. Ließ auch nicht viele Fragen offen. Leck mich, hab ich dann gesagt und er hat aufgelegt. Arschloch. „Wieso?“ Er schaut mich an mit großen, großen grünen Augen. So grün. Grün. Grün. Ich zucke nur mit den Schultern und lehne meine Stirn gegen seine. Sie ist warm. Richtig warm. Leicht puste ich ihm ins Gesicht. Bis sein Atem bei mir ankommt ist er kalt. Er sieht mich an, direkt in meine braunen, braunen Augen und sagt nichts. Es ist fast so als würde er lächeln, aber ich kann’s nicht genau sehen. „Zurück?“ Diesmal schüttele ich den Kopf. „Nee.“ „Wohin?“ „Keine Ahnung. Weiter.“ Ich zieh ihn mit mir, unsere Hände immer noch verflochten in meiner Tasche. Sie ist immer noch kalt. Andererseits passt sie perfekt in meine. Wir laufen die Straße entlang. Keiner schenkt uns Beachtung. Zwei Punks im nirgendwo von New York. Aber es ist spät. Deswegen sind’s nicht zu viele, die uns ignorieren. Wenn ich da Heim wäre. In Huntington Beach. Da wo es jetzt sicher nicht so kalt wäre. Dann würde ich jetzt irgendwo sitzen. Mit meinen Freunden. Und wir würden etwas trinken. Viel Alkohol, der uns wärmt. Dann würde ich mir nicht die Eier abfrieren und vor Hunger durchdrehen. Dann wäre ich satt und mir wär warm. Plötzlich bleibt er stehen und hustet. Er hustet schon seid einer Woche, doch bis jetzt war es noch nicht so heftig. Seine kleine, dicke Hand krampft sich um meine zusammen und mir geht sein Husten durch den ganzen Körper. Die andere presst er brutal auf seinen Mund, als wollte er es in sich halten. Erst nach einer halben Ewigkeit beruhigt er sich wieder. „Fuck...“, murmelt er. „Du bist krank.“ Ich versuch cool zu klingen. Wie Synyster eben, dem die ganze Welt am Arsch vorbei geht und der alles weiß. „Fuck you.“, raunt er und streicht sich schwarzlila Strähnen aus der glänzenden Stirn. Er entzieht mir seine Hand und geht weiter. Beide Hände in den eigenen Taschen vergraben. Ich kann wieder nur auf seinen Rücken starren. Dann folge ich ihm, hole auf, so dass wir wieder dicht nebeneinander gehen. Beide die Hände vergraben und den Blick auf den Boden gerichtet, oder grade aus, oder zum Himmel der dunkel und endlos schien. Eine große schwarze Decke über uns. Kein Mond. Keine Sterne. Nichts. Nur Schneeflocken, die im Licht der Straßenlaternen zu Boden tanzen. Irgendwann sehen wir uns einer Kreuzung gegenüber. In die eine Richtung geht es in einen Park, nicht der Central Park, dazu ist die Gegend mittlerweile zu runtergekommen in der wir uns verlaufen haben, aber ein Park. Das Grün begraben unter Weiß. Eine Hügellandschaft aus weiß, nur die Wege sind frei und Bänke mit Lampen bilden Flecken. Er schaut zu mir und wir tauschen unsere Gedanken aus, so wie wir es immer tun, bevor ich Anlauf nehme um die Eisenstangen des Tors hochzuklettern. Wären meine Finger nicht eh schon durchgefroren wäre mir das Metall wohl vorgekommen wie Rasierklingen. Ich bin oben und dann springe ich runter, neben mir wirbelt Schnee auf. Wenig später tut er es mir gleich, weniger schnell und behänd wie ich und als er neben mir steht im Schnee geht sein Atem schwer und seine Wangen sind noch tiefer rot. Obwohl es an die null Grad ist, glänzt sein Gesicht nass. Aber ich sage nichts. Kann mir egal sein. Er weiß was er tut. Zumindest hoffe ich das. Zusammen gehen wir weiter. Der Park hat ein Tor, aber keinen Wächter, deswegen wird uns auch keiner stören. „Du solltest zum Arzt.“, meine ich leise, nachdem wir einige Schritte gegangen waren und ich mir noch einmal eine Hustenanfall anhören musste. „Ich bin nicht krank.“, sagt er sicher. So stur wie immer. „Doch bist du.“ „Nein, bin ich nicht und wenn, dann ist es nur eine Erkältung und die geht dich einen Scheißdreck an!“ „Aber du kannst ja mal zum Arzt gehen.“, schlage ich vor. Mir wird das Thema zu blöd. Am liebsten hätte ich nichts mehr gesagt. „Warum?“ Er hält mich am Arm fest und sieht mich an. Wieder direkt in die Augen und ich schaue zur Seite. „Weil ich mich nicht anstecken will.“, murmel ich und seine Hand geht weg von meinem Oberarm. Er sieht mich auch nicht mehr an. „Können uns eh keine Medizin leisten.“ „Irgendwie würden wir’s schon kriegen.“ „Wie denn? Wir haben nicht mal genug zum fressen! Wir haben seid zwei Tagen nichts mehr anständiges gegessen! Wir haben nicht mal Geld für ne Jacke! Wir frieren uns den Arsch ab! Für was? Für nichts und wieder nichts! Für Ruhm der nie kommen wird! Für fünfzig Leute, die auf uns scheißen!“ So viel hat er in den letzten Wochen nicht an einem Stück gesagt. So viel hat er noch nie zu mir an einem Stück gesagt. Er hustet wieder. So brutal , dass er in sich zusammen sinkt und zittert. Ihm geht’s nicht gut. Ihm geht’s seid einem Monat nicht gut. Er ist nicht nur krank und hungrig, er ist auch noch auf Entzug. Auch wenn er’s nicht sagt, ich weiß es. Er hat kein Geld mehr dafür. Seid unsere Ersparnisse geklaut wurden. Ich weiß nicht ob er grade mehr für eine Line geben würde, als für einen Hot Dog. Brian Haner sagt: Nimm ihn in den Arm. Synyster Gates sagt: Dieser dumme Wichser! Soll er doch Heim rennen in seine Bruchbude! Und ich sage: „Willst du Heim?“ „Nein.“, antwortet er schwach und schüttelt den Kopf. „Warum nicht? Wenn’s dir so scheiße geht.“ Da Heim bin ich ein jemand im nirgendwo. Da bin ich lieber im irgendwo ein niemand. Wieder schüttelt er den Kopf, bevor er weiter den Weg entlang geht. Am Ende stößt man auf einen Teich. Kein Teich. Größer. Aber kein See. Keine Ahnung wie das heißt. Es ist Wasser und es ist zugefroren und vor dem Eissee setzt er sich auf eine Bank und ich neben ihn. Es ist zwar kalt, aber mittlerweile ist alles kalt. Wir schweigen und starren auf die große weiße Fläche vor uns. Da rückt er näher an mich ran, ganz dicht, so dass kein Blatt mehr zwischen uns passt, keine Schneeflocke und er ist warm. Ganz warm. Ich kann das Fieber förmlich spüren, so dicht wie er bei mir ist. Nach kurzen zögern lege ich seinen Arm um ihn und er rutscht tiefer in mich hinein, die Hand wieder bei meiner Hand in der Jackentasche. Unsere Finger verhakt. „Mir geht es nicht gut.“, murmelt er. Zumindest glaube ich, dass es das ist, was er sagt. Ich kann ihn kaum verstehen, da er es vorzieht mit meiner Schulter zu reden. Und ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Uns allen geht’s nicht gut. Uns allen nicht, aber ihm geht’s wohl am schlechtesten. Ich drehe meinen Kopf zur Seite, atme tief den Geruch seiner Haare ein. Es ist nur sein Geruch. Wäre ich jetzt in Huntington Beach. Dann wär mir nicht kalt. Dann hätte ich keinen Hunger. Aber ich würde jetzt auch nicht hier sitzen. Ich wär nicht bei ihm. Denn in Huntington Beach...sind wir keine Freunde. Freunde und etwas, auf das ich nicht mit dem Finger zeigen will. Das konnte noch warten bis in zehn Jahren. Wenn’s dann immer noch da war. Mein Magen knurrt und ich schließe meine Augen. Wir laufen die ganze Nacht ziellos umher auf der Suche nach nichts und allem. Ablenkung. Hauptsache nicht dran denken. Ich kann meinen Dad nicht mehr für Geld anrufen. Der hat mir schon mehr gegeben als mir zusteht. Er kann seinen Dad erst recht nicht anrufen. Der ist ebenfalls irgendwo und nirgendwo. „Wir sind am Arsch.“ Er lacht leise, es klingt heißer und gezwungen, aber es ist ein Lachen, zumindest der Versuch, und den habe ich schon lange nicht mehr gehört. Deswegen lächele ich auch. „Wie stellst du’s dir vor?“, fragt er leise und streicht mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Unsere Finger sind langsam warm. Oder so nah, wie wir an warm rankommen können in der kältesten Nacht. „Hm.“, sage ich. „Hm?“, fragt er und schaut mich an. Ich schau zur Seite. In die grünen, grünen Augen. Jetzt sind sie etwas glasig. Er hat Fieber. Es schlägt mir förmlich in mein Gesicht. „Ich weiß nicht.“ Ich war kein großer Redner. „Wie ich’s mir vorstell? Wow.“ Ich runzele die Stirn als dachte ich schwer nach, aber ich wusste es. „Wir stehen auf einer Bühne. Ne richtig große. Wie die Arena in Long Beach. Ja, da stehen wir. Und wir sind alle voll mit Tattoos. Und wir stehen da vor zehntausend Leuten oder hunderttausend. Und es ist die beste Show, die wir je hatten. Denn wir sind ganz groß und ich werd mich nicht mehr an New York erinnern. Nicht an diese scheiß Zeit, wo ich beinahe erfroren wäre. Oder verhungert. Je nachdem was mich früher geholt hätte.“ Ich stocke und schaue zur Seite. Er hat die Augen geschlossen und lächelt leicht. Aber ich weiß, dass er nicht schläft. So viel hab ich noch nicht zu ihm gesagt, seid ich ihn kenne. Das müsste jetzt ein Jahr sein. „Und alle Kids schreien unseren Namen. Alle kennen jedes einzelne Wort unserer Texte. Und Shads ist der beste Sänger und Rev der beste Drummer und Christ der beste Basser und du...du bist der beste Gitarrist.“, führt er leise fort. Ich schau ihn lange, lange an. „Wir.“ „Wir?“ „Du und ich. Ich und du. Wir sind die besten Gitarristen. Wir.“ Er lächelt wieder. Diesmal etwas heller. Das Lächeln, dass man so selten sieht. Und jetzt seh ich es in einer kalten New Yorker Nacht. Die nicht mehr ganz so kalt ist, mit seinem Körper gegen meinen. „Du verglühst.“, sage ich leise. Er schaut mich an und schüttelt den Kopf. „Es ist okay.“ „Nichts ist okay.“ Ich lehne mich nach vorne. Seine Stirn gegen meine. Und ich spüre die Hitze. Er ist glühend heiß. Es scheint sich wie ein Feuer über mein eingefrorenes Gesicht zu verbreiten. Wir brauchen einen Arzt. Ein Bett. Medizin. Aber wir haben nichts. Nur uns. Er lacht. Diesmal irgendwie nervös. Diesmal irgendwie unsicher und er legt seine eiskalte, kleine Hand an mein Wange. „Du hast noch nichts von Nutten und Stripperinnen erzählt. Von tausend nackten Frauen in deinem Bett und der einen, absolut coolsten Rocker Braut, die du in Las Vegas heiraten wirst.“, meint er leise, aber sein Ton ist dabei belegt. Ich kenne ihn zu gut. Er umschreibt gerne Dinge, um zu seinem eigentlichen Punkt zu kommen. Bei ihm brauch man viel Interpretationsgeschick. Für mich ist er ein offenes Buch. In dem Moment in dem er die Augen langsam schließt, beuge ich mich nach vorne und lege meine Lippen auf seine. Ich küsse ihn ganz sanft. Meine kalten auf seinen warmen. Seine Finger streichen ganz leicht meine hohen Wangenknochen nach. Kaum zu unterscheiden von den Schneeflocken, die auf uns nieder rieseln. Ich schmelze an seinem warmen Mund. Er ist ganz vorsichtig, zaghaft. Als wäre ich der aller erste, den er jetzt küssen würde. Und die Nacht ist nicht mehr kalt und mein Magen tut nicht mehr weh, denn ich konzentriere mich nur noch auf ihn. Er bietet genug um mich abzulenken und genug auf das sich all meine Sinne fixieren können. Ich weiß nicht was wir genau sind. Ich weiß nicht einmal wo wir genau sind. Aber sein Geschmack ist das süßeste, was ich seid langem auf der Zunge hatte. Ich stecke mich gerade mit Sicherheit an. Doch eine leise Stimme flüstert in mein Ohr, dass wir dann Heim könnten. Alles zieht mich nach Hause und alles zieht mich in seine Arme. Er krallt sich so fest an mich, als könnte ich jeden Moment aufstehen und für immer weggehen. Ihn alleine lassen in dieser kalten Nacht. Meine Finger verfangen sich in seinem schwarzen, feuchten Haar. Die schwarzlila Strähnen gleiten leicht durch meine Hand. Er erzittert, sein Körper verspannt sich und er wendet plötzlich den Kopf zur Seite, vergräbt ihn in meiner Halsbeuge und hustet brutal. Als würde er am liebsten alles auskotzen, was ihn krank macht. Damit waren wohl nicht nur die Bakterien gemeint. Ich schließe meine Arme um ihn und ziehe seinen Geruch durch meine Nase ein, streiche ihm beruhigend über den Rücken. Wie lange mussten wir es noch durchhalten bis es endlich bergauf ging? Wie waren wir je auf die absurde Idee gekommen jemals so groß zu sein wie unsere Vorbilder? „Du musst nicht bei mir sein, nur weil Matt es dir sagt.“ Seine Stimme klingt so kläglich, dass ich ihn nur dichter an mich ziehe. „Was meinst du?“, frag ich nach, um mir Zeit zu verschaffen. Ich weiß immer, was er meint. „Du musst nicht bei mir sein, nur weil Matt es dir sagt.“, wiederholt er. „Ich weiß nicht...“ Ich werde unterbrochen noch ehe ich etwas sagen kann. „Du weißt genau was ich meine! Hör auf mir nachzulaufen, egal wohin ich gehe, nur weil Matt dir gesagt hat du sollst es tun. Nur weil du meinst es tun zu müssen! Mir ist es scheiß egal! Ich brauch dich nicht als Schatten, damit ich nicht in der Scheiße lande!“ Er drückt sich weg von mir und steht auf, dreht mir den Rücken zu und blickt auf den weiten Eissee. „Ich will dich nicht bei mir, wenn du musst.“ Dann geht er. Gerade aus. Direkt auf das gefrorene Wasser zu. „Bleib hier!“ Ich stehe auf. Plötzlich verkrampft sich alles in mir. Wer weiß schon wie sicher das Eis ist. Wer weiß schon wie tief der See ist. Doch er hört nicht auf mich. Er hat es noch nie getan. Er setzt vorsichtig einen Fuß auf die glatte Fläche. Dann einen zweiten. Den ersten vor den zweiten gesetzt und so läuft er weiter hinaus. Immer weiter weg vom Ufer und ich kann das Eis unter seinem Gewicht knacken hören. „Komm wieder her!“, rufe ich ihm zu und laufe zum Ufer. Weiter gehe ich nicht. Ich sollte auf ihn aufpassen. Matt hat es mir eindringlich gesagt. Seine große Hand hatte sich um meinen Oberarm geschlossen wie ein Schraubstock und er hat mich angesehen. Pass auf ihn auf! Lass ihn nicht aus den Augen! Nicht einen Augenblick! Was jetzt? Unruhe macht sich in mir breit. „Komm wieder zurück!“, rufe ich erneut. Er bleibt erst stehen, als er genau in der Mitte angekommen ist. Dort, wo das Eis am dünnsten ist. Wenn er einbricht, holt er sich den Tod. Er ist krank. „Komm mich doch holen!“, schreit er aus der Ferne. Das Eis kann uns nicht tragen. Es kann uns beide nicht tragen. Wir würden beide untergehen. Aber dafür bin ich noch nicht bereit. Wenn wir schon in dieser großen, weiten Welt untergehen. Unsere Songs ungehört, unsere Musik ungeliebt, dann will ich nicht auch hier versagen und es nie wieder besser machen können. „Komm bitte wieder her!“ Ich hasse den Ton in meiner Stimme. Als würde jemand anderes sprechen. „Komm mich holen!“ Er stampft mit dem Fuß auf. Das Eis stöhnt wehleidig unter ihm auf. Ich blicke vor mich. Tief atme ich durch. Verdammt. Verdammte Scheiße. Ich setze einen Fuß auf das Wasser, dann den zweiten. Ich schlittere und gehe langsam. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Wir würden uns beide den Tod holen. Doch ich gehe. Schritt für Schritt. So wie ich ihm immer folge. Egal wohin er geht - ich bin hinter ihm. Gerade als ich bei ihm ankomme, hustet er wieder, ich sehe dass seine Knie zittern und ich bin sofort bei ihm. Seine Finger verfangen sich in meiner Jacke und er legt die Stirn gegen meine Brust und hustet, hustet und hustet. Verdammt. „Ich hasse es!“, presst er hervor. Sein ganzer Körper zittert und die Hitze von seinem Fieber scheint mir sogar durch die Kleidung entgegen zu schlagen. Als er aufsieht sind seine grünen Augen ganz glasig. Ich kann mich selbst in ihnen Spiegeln. Der Boden unter meinen Füßen ist unsicher. Ich kann das Wasser unter dem Eis förmlich spüren. „Komm, wir gehen zurück.“ „Es gibt kein Zurück.“, murmelt er. Langsam spricht das Fieber aus ihm und ich mache mir Sorgen. Einen Arzt. Einen verdammten Arzt. Und viel wichtiger: Ein Bett. Ein warmes Bett. Etwas zu essen noch. „Wieso sind wir hier? Wieso verdammt? Ich kann nicht mehr! Ich will nach Hause!“ Er klingt als würde er gleich ersticken. „Komm wir gehen zurück.“ Ich schließe meine Arme fest um seine zitternde Gestalt. Wieder hustet er. „Gott, ich will nach Hause. Das hier ist kein Rockstar Leben. Wieso?“ Seine grünen Augen bohren sich in meine. Ich will wegschauen, kann aber nicht. „Lass uns bitte gehen.“ Ich spür es ganz deutlich. Das Eis knackt, als ich einen Schritt nach hinten mache. „Wir gehen nirgendwo hin!“, schreit er mir plötzlich entgegen. „Wir gehen nirgendwo hin! Verstehst du das nicht! Wir sind festgefroren!“ Das ist nicht er, der da spricht. Ich schüttele den Kopf. „Zack, bitte.“ Er presst seine kalten Hände an meine Wangen und zieht mich hinab zu ihm, drückt seine Lippen mit Gewalt auf meine, als wollte er mir den Atem aus den Lungen pressen. Es hat den gleichen Effekt auf mich wie immer. Ich verliere mich in ihm. Wie ich es vom ersten Augenblick an getan habe. Damals. Vor einem Jahr. Da Heim. Zwei Puzzel Teile, die mit einem Klicken zusammen kommen. Doch bald wird der Kuss weicher, seine Zunge gleitet in meinen Mund ich nehme seinen heißen Geschmack auf. Es ist gut so. Ich kann das durchstehen. Ich kann das wirklich. Lieber frier ich mir den Arsch ohne Geld ab, als ihn zu verlieren. Er ist krank und sein Körper schreit nach einem Mittel, dass ihn wieder aufputscht. Lieber bin ich das Mittel, als irgendein weißes Pulver, das ihn tötet. „Verlass mich nicht...“ Seine Stimme zittert, plötzlich ganz schwach und als ich über seine Wangen streiche, unser Atem sich in kleinen, weißen Wolken verbindet, spüre ich dass sie nass sind. „Lass uns bitte gehen.“, hauche ich und fange die kalten Tränen auf, sie sind ganz heiß und gefrieren fast augenblicklich an der Luft. „Versprich mir, dass du da bleibst.“ Ziellos fährt er mit den Fingerspitzen meine Wangen entlang. Wie ein Blinder. Ich antworte ihm nicht, sondern ziehe ihn mit mir. Als ich hinter ihn blicke, sehe ich, dass sich das Eis unter seinem Fuß gelöst hatte. Schweigend lässt er sich ziehen. „Wir schaffen das.“, sage ich, als ich ihn weiter mit mir schleppe. Vom Eissee runter und auch aus dem Park. Aber ich bin mir selber nicht sicher. Irgendwie schaffen wir es wieder über den Zaun. Auf der anderen Seite bricht er aber erschöpft in meinen Armen zusammen. Er brennt förmlich. Ich nehme ihn auf den Rücken und trage ihn. Er ist leicht geworden. Wir alle haben abgenommen, aber erst ist ein Fliegengewicht. „Wir schaffen das.“ Hinter den Hochhäusern sieht man schon die Sonne aufgehen. Wir haben eine Nacht überstanden. „Wir schaffen das.“, murmele ich wieder und gehe schneller. Sein Atem schlägt mir warm gegen mein Ohr. „Wir schaffen das ganz bestimmt. Wäre doch gelacht. Die Welt kann uns mal am Arsch lecken!“, sage ich lauter, also wollte ich mir selbst Mut zusprechen. Er lacht leise. „Wir. Heißt das du und ich?“ Ich nicke sicher. Er. Ich. Wir. Er und ich. Du und ich. Zusammen. Wir. Zacky Vengeance und Synyster Gates. The best revenge is bettering yourself. “Zacky?”, frage ich leise. Er gibt mir keine Antwort. Ich schaue besorgt über die Schulter. Er schläft. Sein Atem ist flach und sein Gesicht ziert ein deutlicher Rotschimmer. Er hört mich nicht mehr. „Ich bleib da...“, flüstere ich in die Nacht. Zusammen mit ihm auf dem Rücken komme ich bei unserem Tourbus an. Dem weißen abgewrackten Van von den Berrys. Der Motor läuft, damit die Heizung geht. Das Fenster ist beschlagen. Mit dem Fuß trete ich gegen die Tür, so lange bis mir Matt aufwacht. Dunkle Ringe liegen unter seinen Augen, er ist leichenblass, das schwarzgefärbte Haar hängt ihm wirr ins Gesicht. Sofort zieht er mich und ihn in den Van und schließt die Tür. Vorwurfsvoll bohrt sich sein Blick in mich. Du solltest auf ihn aufpassen. Was jetzt? Was verdammt nochmal jetzt? What the fuck now? Sofort packt Matt ihn in die Decken ein, die wir da haben, schiebt Jimmy und Johnny so weit zur Seite, dass wir Platz haben. Die ganze Zeit bleibt seine Hand festgekrallt in meiner Jacke. Mir scheint es nicht verlockend ein niemand im irgendwo zu sein, genauso wenig wie ein jemand im Nirgendwo. Wir schaffen das. Ganz sicher. Kapitel 2: Nobody ----------------- Nobody Er ist umwerfend, wenn er high ist. Wir haben nur Sex, wenn er high ist. Wenn er high ist erkenne ich ihn nicht wieder. Dann ist er Zacky fucking Vengeance mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, als gehöre ihm die ganze Welt und seinen Pupillen als ein schwarzer See aus Nichts. Das Zimmer ist dunkel. Schatten tanzen an den Wänden von den vorbeirasenden Autos des Highways und den flackernden Neonlichtern. Ein pinkfarbener Schein umgibt ihn, die dunkle Gestalt, die sich vor dem Bett aufgebaut hat. Meine Augen sind auf ihn fixiert, auf seinen schlanken Körper, seine Silhouette im dunklen Zimmer. Ich sitze still auf dem Bett, die Matratze hart unter meinem Hintern und würde ich mich auch nur einen Zentimeter rühren würde es ein lautes Quietschen vom Gestell nach sich ziehen. Er streckt sich. Delikat wie eine Katze streckt er seine Arme gen Decke und legt den Kopf in den Nacken, lässt das Licht des Sex Shops gegenüber perfekte Schatten auf seine milchig weiße Haut zaubern. Es verschmilzt mit den Tattoos. Mein Herz schlägt schnell. Ich kann das Blut, das es durch meinen Körper pumpt in meinen Ohren rauschen hören. Der Alkohol von vor einer Stunde benebelt mir die Sinne. Ich kann kaum klar denken. Der heutige Abend war ein unlösbarer Knoten von Ereignissen. Ich habe das Gefühl mich übergeben zu müssen. Das Bett quietscht, als er sich drauf kniet. Von der neuen Position fixiert er mich. Zum ersten Mal an diesem Abend. Ich kann seine Augen in der Dunkelheit nicht ausmachen. Seine Zähne sind abstrakt hell gegen den Rest seines Gesichtes und es sieht aus als würde er von einem Ohr bis zum anderen Grinsen. Er presst seine Hände auf das Gesicht, bevor er lacht und den Kopf schüttelt. Seine Haare fliegen förmlich um ihn wie ein dunkler Heiligenschein. Betrunken wie ich bin, stimme ich mit ein. Ihn Lachen zu hören ist so rar geworden, war vorher schon ein Schatz. Das Konzert in Miami war der Wahnsinn gewesen. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl gehabt, dass es irgendwie besser wird. Irgendwie besser. Zumindest einen kleinen Schritt in die richtige Richtung. Einen ganz kleinen. Aber es war nach vorne. Wenigstens nicht wieder zurück. „Synyster Gates.“ Mein Name kristallisiert sich heraus zwischen Japsen, Glucksen und Gekichere. Synyster. Synyster. Synyster. Er reist die Hände von seinem Gesicht und stürzt sich nach vorne. Er fällt direkt in meine Arme und ich will ihn schon auffangen, meine Hände automatisch an seinen Hüften und ich kann die Knochen spüren, aber er stützt sich vorher mit den Händen an meinen Schultern ab. „Synyster.“, haucht er mir entgegen. Sein Atem riecht nach Whiskey. Sein Körper riecht nach Schweiß. Der Club war brechend voll gewesen. Noch nie hatten wir so eine Menge. Es waren fast doppelt so viele wie sonst. So viele neue Gesichter und sie sahen nicht alle aus, als wollten sie uns gleich wieder von der Bühne. Aus fünfzig würden auf einmal hundert. So aus der Nähe mit dem Schein eines vorbeifahrenden Autos kann ich sein Gesicht sehen. Schwarzes Make-Up zieht dunkle Rinnsale unter seinen Augen. Er erinnert mich damit an diese ganzen billigen Mädchen in den schlechten, billigen, neuen Horrorfilmen mit ihrem verlaufenen Make-Up und dem Serienkiller hinter ihnen. Schweiß glänzt auf seiner Stirn. Einzelne Strähnen kleben auf seiner Haut. „Syn.“, haucht er wieder. Seine Stimme rau und dunkel. Sie schrien alle als wir die Bühne betraten. Wir wurden beinahe erschlagen von den lauten Stimmen und auch wenn ich hinter ihnen schon den Ausgang sehen konnte, kam mir die Menge unendlich vor. Ich blicke direkt in seine Augen und ich sehe nur schwarz. Jeder Schimmer von grün verschwunden. Kein Grün mehr da. Ich hätte ihn am liebsten geschüttelt, angeschrien. Komm zurück. Komm zurück verdammt! Wir waren auf so einem guten Weg. Aber er lächelt nur. Seine Snakebites schneiden in seine volle Unterlippe. Er ist umwerfend. Vorsichtig lege ich eine Hand an seine Wange. Sie ist ganz heiß und klebt etwas. Mit dem Daumen streiche ich ihm Schnee von der Nase. „Syn.“, haucht er wieder und dreht den Kopf zur Seite, gibt mir einen Kuss in die Hand. Als wäre mein Name sein Gebet. Dann nimmt er meine Hand und schließt sie zu einer Faust. Matt fing an mit seinem typischen aufheizenden Frontman Gebärden. Ich verpasste meinen Einsatz fast beim ersten Song. Meine Gitarre klang scheußlich. Der Verstärker war am Arsch, aber ich fühlte mich beflügelt an diesem Abend. Näher. Wir kamen der Sache näher. Dann lehnt er sich zu mir hinab, so nah, dass ich nicht mehr in seine Augen sehen kann und sich meine automatisch schließen. Er küsst mich voll auf den Mund. Ganz sanft. Ganz unschuldig nimmt er meine Unterlippe und ich seine Oberlippe und er küsst mich. Ich küss ihn. Es läuft schon ganz automatisch. Wir laufen ineinander wie zwei Zahnräder. Seine plumpen Hände schiebt er unter mein feuchtes Pantera T-Shirt. Seine Finger sind rau, aber warm. Ich hebe meine Arme, unsere Lippen trennen sich und er zieht mich aus. Selber ist er schon nackt. So scharfsinnig war er im Bad noch gewesen. Einige Sekunden hält er das T-Shirt noch in der Hand, drückt es sich dann auf das Gesicht und atmet den Geruch ein. Dabei macht er ein Gesicht als wäre es das beste, was er je unter der Nase hatte. Dabei wurde es heute Abend getränkt in Schweiß, Alkohol und Kotze von einem Typen in der Bar, der so besoffen war, dass er es noch nicht einmal mehr schaffte seinen Kopf zum Boden zu drehen. Aber ich habe eh keine Ahnung was gerade in seinem Kopf vorgeht. Hab das Zeug einmal ausprobiert und dann drei Tage lang gekotzt. Auf der Bühne waren wir fast so schlecht wie nie gewesen und trotzdem waren wir die Helden des Abends. Auch wenn Zack irgendwann nur noch mit fünf Seiten spielte, Matts Mikrophon immer wieder ein Störungsgeräusch von sich gab und generell kein Verstärker funktionierte. Mal davon abgesehen, dass wir eh so besoffen waren, dass wir uns für Götter hielten. Aber es war unser verdammter Abend und wir froren uns endlich nicht mehr den Arsch ab. Er schmeißt das Bandshirt in eine Ecke und beugt sich wieder hinab, leckt mir über die Wange und kichert dabei. Ich bewege mich gar nicht. Das Zimmer dreht sich wieder. Die Flasche Tequila hätte nicht mehr sein müssen. Aber fuck es war mir so verdammt scheiß egal. Denn alles was jetzt zählte war er, das einzige auf das ich mich noch annähernd konzentrieren konnte. Er ist so weit davon entfernt erotisch zu sein, ganz besonders durch seine Versuche wie ein fucking Pornstar zu wirken, aber Gott – er ist umwerfend. Seine vollen Lippen sind feucht und heiß und scheinen überall zu sein. Er beißt mir in den rechten Nippel als wäre ich eine Tusse und trotzdem stöhn ich auf und schließ die Augen. Es ist nicht erotisch und es ist nicht romantisch, wie er tiefer wandert und meine Jeans öffnet, meinen Schwanz aus der Hose holt und ihn in seinen heißen Mund nimmt. Aber es ist geil. So geil und wenn ich es schaffe die Augen wieder zu öffnen und runter sehe ist er einfach nur atemberaubend. Sein schwarzlila Haarschopf hebt und senkt sich, durch einen Vorhang aus schwarzen Wimpern schaut er zu mir auf und grinst um die Spitze meines besten Stückes und leckt weiter - jetzt erinnert er mich schon an einen fucking Pornstar. Als wäre es das beste, was er je im Mund hatte. Und ich wäre kein Kerl, wenn mir das nicht den absoluten Kick geben würde auch mit zu viel Alkohol im Schädel. Nach dem Auftritt kam Matt hinter der Bühne mit einem breiten Grinsen auf uns zu. Ich hatte seine mit Grübchen geziertes jungenhaftes Lachen schon beinahe vermisst. Und er hielt uns Geld unter die Nase. Es waren fast 700$, mehr als wir je verdient hatten. Wir waren Könige an diesem Abend. Besonders als er erst 200$ zur Seite legte – die würden wir noch brauchen – aber dann jedem von uns Scheine in die Hand drückte. Bei Zack zögerte er einen Augenblick. Er warf mir einen Blick zu, bevor er auch ihm das zustehende Geld gab. „Das ist unser Abend, Jungs.“, sagte er und strahlte und steckte uns damit alle an. Ich gebe einen unkoordinierten Laut von mir, als ich merke, dass ich zu nahe bin. Er versteht es sofort und hebt seinen Kopf, zieht einen Pfad mit Zunge und Zähnen meinen Oberkörper hoch und findet wieder meine Lippen. Markiert meinen ganzen Körper mit seinem Speichel. Seinen Unterleib presst er nun gegen meinen und sein Stöhnen vibriert durch meinen Mund und ich merke wie hart er ist. In meinem betrunkenen Zustand amüsiert mich das. Er wird schon geil, wenn er mir nur einen bläst. Er reibt, presst und stöhnt. Verlangend. Bettelt. „Fick mich.“, murmelt er gegen meine Lippen und starrt mich an. Direkt in die Augen und unser heißer Atem vermischt sich. Seine Unterlippe zittert, lädt dazu ein meine Zähne in ihr zu versenken. Beiße, reiße, erobere seinen Mund. Unsere Zungen tragen einen Kampf aus und er stöhnt, seufzt, keucht. Auch wenn ich ihn kaum berühre, meine Hände nur rastlos auf seinem Oberkörper. Jeder Kontakt von Haut auf Haut scheint ihn wahnsinnig zu machen. Wir trennen uns, er starrt mich an. Ich nicke nur. Nicke wie ein vollkommener Idiot, wie der Idiot, der ich nun einmal bin und er grinst. Ich müsste es gar nicht sagen. Gerade wäre es mir fast egal gewesen in welches Loch ich meinen Schwanz stecke. Ich würde meine Ladung eh innerhalb von einer Minute verschießen. Vor dem Fenster fährt ein Polizeiauto vorbei. In der Zeit in der die Sirenen jedes Geräusch ausblenden, legt er seinen Zeigefinger an seine vollen, feuchten Lippen. Er kann echt ein Spinner sein, wenn er nicht klar bei Verstand ist. Erst als es lange wieder still ist und ich unter ihm beinahe wahnsinnig wurde, weil er es nicht ließ seine Hüften hin und her zu bewegen und ich an alles andere dachte, nur nicht an den Scheiß der draußen vorging. Ich ziehe ihn zu mir hinab, nehme seine Hand weg und erobere seinen Mund für mich. Er beißt mir fest in die Zunge. Erschrocken fahre ich zurück und stoße mir dabei den Kopf an der Wand. Als hätte sich nicht schon vorher alles gedreht. Er lacht nur. Ein so ehrliches Lachen, das ich zum letzten Mal vor zwei Jahren gehört habe ohne, dass er total dicht ist. Als wollte er mich trösten, schiebt er seine Hände in mein zerzaustes braunes Haar. „Pass doch auf.“, sagt er. Wie Geschäfte mit Matt immer waren, zwang er uns bevor wir unser Geld in der nächsten Bar vertrinken wollten, in ein billiges Hotel. Die erste Nacht, die wir wieder in einem Bett verbringen würden. Auch wenn wir uns ein Bett teilen mussten, war es besser als der Boden des Vans. Die nächste Bar gehörte uns. Die erste Runde ging auf Jimmy. Ich war viel zu sehr mit meinen Shots beschäftigt, als dass ich nur einen Gedanken an Zack verschwendete. Wenn ich betrunken war – insbesondere von einem Mix aus allen Spirituosen über dreißig Prozent – zog mein Leben etwas langsamer an mir vorbei. Deswegen halte ich erst den Atem an, als er sich ohne mit der Wimper zu zucken auf mich hinab gezwungen hat. Ohne jede Vorbereitung. Trocken und hart. Das musste Schmerzen wie Scheiße. Doch fuck es interessiert mich nicht. Er ist heiß. Er stöhnt und bebt. Er ist eng. Und ich bin so geil, dass es mir egal war ob er es war oder jemand anders. Dass es sein Arsch war schien ein Glückstreffer zu sein. Meine Hände liegen automatisch an seinen Hüften. Ich merke wie er zittert und ich schau in sein Gesicht. Doch ich erkenne nichts. Die Sicht verschwimmt vor meinen Augen. Er hebt die Hüften an, lässt sich wieder fallen. Seufzt. Ich stöhne. Mir ist heiß. Das ist genau das, was ich brauche. Seine Hände krallen sich in meine Schulter, als wären sie ein Rettungsanker. Er zieht sich an ihnen hoch, um nur wieder runter zu kommen. Mit dem Daumen streiche ich über die weiche Haut an seinen Seiten. Auf und ab, auf und ab. Er schafft es mich in ein magisches Delirium zu ziehen. Ich leg meinen Kopf in den Nacken und lass ihn die ganze Arbeit machen. Presse ihn auf mich hinab, an mich heran. Meine Lippen wieder unkoordiniert an seiner Brust, offen, warm, feucht. Einfach aus Mangel an Ideen etwas besseres zu tun. Irgendwann, als ich in meine anhängliche Phase kam, schaute ich mich nach ihm um. Die Schulter von Johnny war mir nicht mehr genug. Doch ich konnte ihn nicht sehen. Ich fragte Johnny. Ich fragte Jimmy. Ich fragte die Berrys. Ich fragte Val. Nur Matt fragte ich nicht. Dass ich noch so viel Willen besaß, in der ganzen Bar nach ihm zu schauen war ein Wunder. Schlagartig war ich ein Stück nüchterner. Ich merke, wie sich seine dicke Hand zwischen uns schiebt. Er muss ebenfalls den Job übernehmen sich selber zu befriedigen. Aber wer konnte es mir vorwerfen? Er wird sicherer. Seine Hüften heben und senken sich schneller und ich spür seine vollen Lippen, das kühle Metall, wieder an meinem Hals. Zunge. Zähne. Und feuchte Küsse. Ich hebe meine Hüften ihm entgegen. Tiefer. Tiefer. Sein warmer Körper ist dicht an meinen gepresst. Heute ist kein Abend um Rekorde aufzustellen. Ich will einfach nur kommen. Tief. Tief in ihm. Ich halte ihn fest, drücke mich nach oben. Mein Mund hängt still offen. Mein Kopf leer. Mein Verstand so klar, dass ich gar nichts mehr weiß. Er drückt seine Lippen auf meine. Küsst mich. Flüstert meinen Namen. Küsst mich wieder. Flüstert meinen Namen. Ich habe überall nach ihm gesehen, auf den Toiletten, bei der Theke und vor dem Club. Mein Gehirn fing an wieder zu funktionieren. Ich merkte wie die berauschende Wirkung des Alkohols nachließ und Platz machte für ein leises Dröhnen. Er war nicht da. Er war nicht da. Er war nicht da – was anderes wollte mir nicht mehr in den Kopf. Ebenso wie der Gedanke, wo er hin verschwunden war. Ich ging wieder rein. Ich musste es Matt sagen. Ich zwinge meine Augen offen. Langsam kristallisiert sich die Welt um mich herum. Er sitzt noch auf meinem Schoß. Ich bin immer noch in ihm drin. Seine Hand bewegt sich beinahe mit Gewalt um seinen Schwanz. Ich keuche leise und beobachte nur. Als würde ich nicht dazu gehören, beobachte ich wie er kommt. Seinen Kopf in den Nacken legt, seinen Rücken etwas durchdrückt und sich in dem bunten Licht der Straßen badet. Seine Haut sieht aus wie eine weiße Leinwand mit bunten Bildern. Der Schweiß glänzt auf ihr. Er ist atemberaubend. Umwerfend. Hätte ich nicht erst gerade eben meinen Orgasmus gehabt und wäre ich nicht eh am Ende meiner Kräfte – Konzert gespielt, in der Bar besoffen bis um Vier -, dann hätte dieser Anblick schon gereicht. Es scheinen Stunden zu verstreichen, bis er sich wieder bewegt. Er flüchtet sich in meine Arme. Legt seine Stirn gegen meine Schulter, bleibt sitzen. Sein Atem streicht heiß, stoßweise über meine Haut. Meine Hände, immer noch an seinen Hüften, setzen sich wieder in Bewegung, streichen auf und ab. Auf und ab. In der Menge schlang jemand von hinten die Arme um mich. Wäre mir seine Form nicht schon so bekannt, wäre ich vielleicht erschrocken gewesen. Ich drehte mich um. Er stand grinsend vor mir. Ein breites, honigsüßes Grinsen. Jetzt auf einmal tauchte er auf. Wut kochte heiß und bitter in meinem Magen. Ich strich ihm die Haare aus dem Gesicht, vielleicht mit etwas zu viel Kraft, denn er schlug mir vorwurfsvoll gegen den Arm. Das Grinsen blieb. Er sagte irgendwas. Über die Musik konnte ich es nicht verstehen. Ich schaute ihm in die Augen. Schwarz. Seine Pupillen reagierten kaum auf das sich verändernde Licht. Nein. Nein. Nein. Doch er grinste mir nur entgegen, lehnte sich nach vorne und presste mitten in der Masse seine Lippen auf meine. Ich hatte das Gefühl als würde ich ersticken. Ich drückte ihn von mir weg und drehte den Kopf zur Seite. Mit einem Schlag war der Alkohol aus meinem Kopf verschwunden und macht nun einer niederschmetternden Müdigkeit Platz. Er steht auf, rutscht von mir runter und steigt vom Bett. Ich beobachte ihn dabei. Sein Gang ist wackelig. Eine Hand presst er auf den Mund. Wenig später höre ich widerlichen Würglaute. Vom Bett kann ich ihn sogar beobachten, wie er über der Kloschüssel kauert. Seine Gestalt wirkt winzig vor dem weißen Klo. Es sieht aus als würden seine schwarzlila Haare in der Suppe hängen. Schwerfällig folge ich ihm. Jede Bewegung fühlt sich bleischwer an. Ich gehe zu ihm ins Bad, schalte das weiße Licht ein, gehe hinter ihm in die Hocke und halte ihm die Haare zurück. Mein Blick streift über seinen bebenden Rücken, weiter hinab. Ich verziehe leicht das Gesicht, als ich Blutspuren an seinem Hintern sehe. Wie kann er nur? Ich habe das Gefühl ihn immer weniger zu verstehen. Er entgleitet mir. Ich weiß nicht ob diese Erkenntnis meinen Magen rebellieren lässt oder ihm dabei zuzuschauen wie er seinen kompletten Mageninhalt wieder hochholt. „Wieso tust du das?“, frage ich leise, nachdem er nur still über der Toilette gehangen hatte, weil nichts mehr rauskam. Er schnauft leise und richtet sich langsam auf. Mit den Unterarmen stützt er sich am Rand ab. Durch einen Vorhang aus Haaren sieht er mich an. „Ich hab so eine Vermutung. Könnte was mit dem letzten Glas JD zu tun haben.“ Seine Stimme klingt rau und dunkel. Ich weiß nicht, ob es mich glücklich oder wütend machen soll, dass er seine geliebte Ironie wieder gefunden hat. Wie schon im Club, diesmal nur etwas behutsamer, streiche ich ihm die Haare aus dem Gesicht. Grün. Ich schrie ihm die Frage Wieso? entgegen. Ich konnte es mir nicht beantworten. Und ich konnte auch nicht verhindern, dass ich mir selber Vorwürfe machte. Eigentlich war es meine Aufgabe aufzupassen, dass es nicht mehr passierte. Nie mehr. Er machte eine Geste, dass er über die Musik nicht verstand, was ich ihm sagte. Ich packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. Als könnte ich ihn damit wach rütteln aus der Traumwelt in die er sich immer wieder flüchtete. Es brachte mich aber nicht weiter. Er lachte und lachte. Ich konnte es nicht richtig hören, nur in seinem Gesicht sehen. Ich packte ihn am Kragen. Wir waren auf so einem guten Weg gewesen. Ich war so wütend. Ich bin wütend. Und ich schlug ihm ins Gesicht, das Lachen aus dem Gesicht heraus. Das Grinsen blieb. Ich wollte noch einmal ausholen. Starke Arme packten mich von hinten. Ich wurde weggezogen. Ich weiß nicht ob ich erleichtert oder verzweifelt sein soll. Seine Wange ist etwas blau. Es fällt mir jetzt erst auf. „Wieso?“, frage ich erneut. „Du weißt genau was ich meine.“, füge ich hinzu bevor ich noch einmal eine ausweichende Antwort bekomme. „Wieso nicht?“, fragt er kühl zurück und dreht den Kopf von meiner Hand weg. Zitternd steht er auf. Man sieht ihm an wie schlecht es ihm geht. Er ist blasser als sonst. Er schwitzt. Seine Bewegungen sind fahrig und unsicher. Er macht mich so wütend. Ich stehe auch auf und gehe zielstrebig in das Schlafzimmer. Ich greife nach seiner Hose, in die Tasche hinein und hole das Plastiktütchen heraus. „Was tust du da?“, fragt er mich schneidend und hält mich in der Türschwelle am Arm fest. In seinem Zustand ist es ein Leichtes loszukommen. Er hat noch nicht abgezogen. Ich reise die Packung auf und verstreue das weiße Pulver über seiner Kotze. Hinter mir zieht er geschockt die Luft ein. „Hast du sie noch alle!“ Seine Stimme klingt fast hysterisch. Ich ziehe ab. Mit einem schmatzenden Geräusch wird die ganze Scheiße den Abfluss runter gezogen. Matt hielt mich zurück, damit ich ihn nicht noch einmal schlug. Beruhig dich!, schrie er, Beruhig dich! Es hatte nicht lange gedauert, bis sich eine kleiner Kreis um uns gebildet hatte. Doch in der Bar gab es keinen, der sich um eine Prügelei mehr oder weniger scherte. Zack wurde von Johnny an den Schultern gehalten. Er hielt sich die Wange und lachte dabei. Als hätte es nicht weh getan. Von Johnny wurde er dann auch auf die Toiletten gezogen. Im Mundwinkel hatte er etwas Blut. Ich schnaufte immer noch. Matt riss mich herum und schaute mich an. Mit einem Blick der eiskalt war. Wäre Val nicht hinten dran gewesen. Hätte sie nicht in ihrer unendlichen Fürsorge eine Hand an Matts Arm gelegt, hätte ich den beiden gleich folgen können. Wenn ich nach der Faust von Matt überhaupt noch aufstehen hätte können. „Wow. Da hast du grade achtzig Dollar runter gespült.“, meint er trocken. Ich hasse es, wenn er diese Laune hat. Zacky motherfucking Vengeance. „Wieso hast du es getan?“, frage ich bitter. Ich will ihn gar nicht mehr ansehen. Mir ist schlecht. Mein Magen rebelliert mehr und mehr. Der Alkohol vom heutigen Abend richtet mir einen schönen Gruß aus. Er antwortet mir nicht. Er dreht sich um und geht zu dem Kingsize Bett, das wir uns teilen müssen. In der Badtür bleibe ich stehen, beobachte ihn in allem was er tut. „Antworte mir!“ Ich bin so wütend und so müde. So unendlich müde. Ich könnte mich auch einfach ins Bett legen und schlafen. In wenigen Stunden mussten wir eh weiter. Natürlich war mir klar, dass ich kein Recht dazu hatte. Es ging mich nichts an, also kein Grund so aufgebracht zu sein. Wieso hab ich nicht den Mund gehalten? Einfach ins Bett legen und schlafen. Die schöne, weiche Matratze. „Es geht dich einen Scheißdreck an!“ Er klingt nun fast genauso aggressiv wie ich. Auf dem kleinen Tisch neben dem Bett liegt eine Packung Marlboro. Er nimmt sich eine raus und zündet sie an. Als ich näher kommen will streckt er einen Arm aus um mich auf Abstand zu halten. „Komm mir nicht zu nahe!“ Also bleibe ich stehen und verschränke die Arme. Ich ertrag es nicht ihn anzusehen. Eigentlich will ich nur schlafen, denn es könnte mir egal sein. Es könnte mir egal sein. Aber egal wie oft ich’s mir einrede, vorbete und hoffe – es ist mir nicht egal. Es hatte aufgehört mir egal zu sein seid New York. Vielleicht auch schon früher. Ich war immer jemand gewesen, der mit nichts etwas zu tun haben wollte. Bloß nicht verwickelt werden. Ich bin nicht der Freund, dem du deine Probleme erzählst – ich habe genug eigene – ich bin der mit dem du in der Bar einen trinken gehst. Spaß ohne Konsequenzen. „Ich dachte du nimmst...“ Ich schlucke. Erstaunlich wie ich jedes Mal ausweiche, wenn es darum geht es direkt zu sagen. „Ich dachte du hättest aufgehört.“ Wahrscheinlich klinge ich trotzig, wie ein beleidigtes Kind. Er bestätigt mir das indem er abfällig schnauft. „Ich will dir mal was sagen.“ Jetzt kommt er auf mich zu und zwingt mich dazu ihm in die Augen zu sehen. Er ist viel zu nah und er riecht nach Schweiß, Kotze und Alkohol. „Nur weil ich eine Zeit lang keine Kohle dafür habe, nur weil Matt dich mir auf den Hals hetzt, nur weil du jeden Abend meine Tasche durchsuchst, heißt das nicht, dass ich aufhöre. Und ich sage es einmal und nie wieder: Dich geht es einen Scheißdreck an, Matt geht es einen Scheißdreck an. Es ist meine Sache. Meine verdammte Sache.“ Matt war zu betrunken um mich die Konsequenzen spüren zu lassen. Zack trug ich am Ende ins Hotel. Er lachte die ganze Zeit, war übereifrig, hätte die ganze Welt erobern können in dieser Nacht. Sein Blick machte mir Angst. Gleichzeitig wusste ich aber was passieren würde. Freute mich auf eine perverse Art drauf, als er vor der Zimmertür seinen schlanken Körper an meinen drückte, meinen Hals mit seinen Zähnen bearbeitete. Ich sah zur Seite. Mein Blick traf sich mit dem von Matt. Ich wusste nicht was er dachte in diesem Moment, als ich zusammen mit Zack förmlich ins Zimmer fiel. Er tat nichts. Schwieg. Im nachhinein vielleicht schlimmer als alle Worte. „Wir sind eine Band. Wir sind Freunde!“ Das ist das dümmste Argument von allen. Doch mir fällt nichts besseres ein. Mich hätte es auch nicht überzeugt. Deswegen nehme ich es ihm nicht übel, dass er jetzt aussieht als wollte er mir ins Gesicht schlagen. So wie ich vorher in der Bar. „Sind wir nicht! Wir sind keine beschissenen Freunde!“, schreit er mir entgegen. Seine Stimme klingelt in meinen Ohren. So laut hab ich ihn noch nie gehört. Es schmerzt. Ab dem Zeitpunkt wusste ich, dass es mit uns einen Schritt zu weit gegangen war. Ich erinnere mich an die Nacht in New York. Ich erinnere mich daran, wie er mich versprechen ließ, dass ich bei ihm bleiben würde. Und ich es auch noch getan habe. Ich starre ihn an, bringe kein Wort mehr heraus. Wir sind keine verdammten Freunde. Ich frage mich, ob ich in einem Paralleluniversum gelebt habe. Das ganze letzte Jahr vielleicht. Doch bevor ich irgendwas erwidern kann – ich sehe wohl aus wie ein Fisch auf dem Trockenen – lacht er wieder. Er schüttelt den Kopf und wendet sich ab, lacht dabei, streicht sich schwarze Strähnen aus dem blassen Gesicht und verbrennt sich beinahe mit der Zigarette, die er zwischen zitternden Fingern hält. Ich sehe erst jetzt, dass er zittert. Er kommt mir vor wie ein Fremder. Ich versteh ihn nicht, hab’s nie getan. „Ich weiß nicht, ob es dir schon einmal aufgefallen ist, Mr. Gates.“ Er spuckt mir meinen Namen entgegen, rotzt ihn mir vor die Füße wie ein Stück Scheiße. Ganz anders als das verzweifelte Syn von vorher. Syn, Syn, Syn. Ich kann’s immer noch hören. „Freunde ficken nicht.“ Ich presse meine verschränkten Arme dichter an meinem Körper, spanne jeden Muskeln an. Dieser Satz war ein Schlag ins Gesicht. Die unausgesprochene Regel. Wir haben nur Sex, wenn er high ist. Wir sprechen nicht über Sex. Ich merke erst wie abartig es klingt, wenn er es ausspricht mit seiner tiefen, aufgekratzten Stimme. Wie Schmiergelpapier über wunder Haut. Die Rollen haben sich so plötzlich gewendet, dass ich es fast nicht mitbekommen habe. Shit, mir ist so schlecht. Als wäre ich der Täter. Als hätte ich überhaupt irgendwas damit zu tun. Dabei habe ich mein ganzes Leben damit verbracht alles dafür zu tun um mich nicht in irgendwas verwickeln zu lassen. Andere Leute hatten genug Probleme, die brauchte ich nicht auch noch haben. „Ich spiel doch nur nach deinen Regeln, Syn. Du machst was du willst. Ich mache das was ich will. Perfekt. Haben wir es doch.“ Er drückt die Zigarette auf dem Nachtschränkchen aus und schlägt die Decke des Bettes zurück. Wir hatten uns nicht die Mühe gegeben es aufzudecken, als wir wie die Tiere übereinander hergefallen waren. „Also tu mir den Gefallen und halts Maul.“ Ich starre auf seinen blassen Rücken. In roten Lettern leuchtet mir der Schriftzug Vengeance entgegen. Sein ganzer Körper zittert unter der Decke. Das einzige, was die Stille im Raum unterbricht sind die Geräusche der vorbeifahrenden Autos. Eine Stadt, die nie schläft. Ich beobachte wie sich seine Form langsam zusammenzieht, wie ein Embryo. Ich hab’s schon zu oft gesehen. Wegsehen geht jetzt nicht mehr, genauso wenig wie wegrennen. Langsam komme ich auf das Bett zu. Ich bin zu müde um dazu noch was zu sagen. Und wenn er sagt ich soll den Mund halten, dann tu ich’s auch. Aber er hat noch nicht gesagt, dass ich ihm fernbleiben soll. Ich setze mich auf meine Bettseite, strecke meine Hand nach seiner Schulter aus, doch bevor ich sie erreiche, schlägt er mich weg. Vielleicht sollten wir beide damit aufhören uns etwas vorzumachen. „Du machst mich krank!“, murmelt er. Ich versteh es kaum. Als ich erneut versuche ihn zu berühren lässt er es zu. Er ist wahrscheinlich genauso fertig wie ich. Warum noch kämpfen? Ich krieche unter die Decke, direkt hinter ihn und lege meinen Kopf neben seinen auf das Kissen. Vielleicht sollte ich gehen, auf der anderen Seite bin ich nicht so dumm, dass ich nicht verstehe, dass ich hierin tiefer stecke, als ich jemals wollte. Deswegen kann ich nicht anders und suche wie seid dem ersten Tag seine Nähe, versuche das Versprechen zu halten, das ich ihm gegeben habe. „Das muss aufhören...bitte.“, flüsterte ich in die Stille des Zimmers, als ich gar nicht mehr sicher bin ob er mir überhaupt zuhört und nicht schon längst schläft. Irgendwie sag ich’s immer zu spät, aber ich hab’s getan. Immer einen Augenblick zu spät. Hintendran. Nie pünktlich. Aber ich liege in einem warmen Bett und kann ihn vor mir sehen, seine zusammengesunkene Gestalt und noch ist er da. Wir können uns es immer noch nicht leisten in die Zukunft zu blicken oder darüber nachzudenken was morgen ist. Morgen ist noch viel zu lange weg. Wichtig ist fürs erste nur: Einen Schritt nach vorne, satt, warm, gesund. Wieso kommt’s mir nur vor, als wären wir wieder am Anfang? „Okay.“, wispert er. Okay, hallt es hundertfach in meinem Kopf wieder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)