Feuervogel von abgemeldet (Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt) ================================================================================ Kapitel 28: Isfet ----------------- Ein träges Lächeln umspielte Ninetjers Lippen, während er vom höchsten Dach des größten Tempels hinab auf die Pharaonenstadt blickte, in deren Straßen blindes Chaos herrschte. Genoss es zuzusehen, wie die einen sich erbitterte Kämpfe mit jenen lieferten, die sie zu ihren Feinden erkoren hatten; wie die Zahl der Toten und Verletzten stieg; die Zerstörung zunahm. Wie andere in Panik flüchteten, ohne zu erkennen dass es keinen Ort gab, der ihnen echte Sicherheit bot. Er verspürte jetzt schon die Vorfreude zusehen zu können, wie diese Erkenntnis langsam in ihr Bewusstsein dringen würde, sie die Hoffnung verlieren und zu leblosen Schatten verkommen würden. Sie würden auf ewig in dieser Stadt gefangen sein, seelenlose Geister, herumirrend in einer verlorenen Stadt. Es war nur angemessen, dass der Königsstadt die gleiche Großzügigkeit zuteil wurde, wie sie einst der König seinem Dorf erwiesen hatte. In den Händen hielt Ninetjer eine tönerne Schawabti, deren Augen geschlossen, nach innen gerichtet waren, um das, was sich in ihrem Inneren verbarg, zu bewachen, daran zu hindern hinaus zu gelangen. Über den gesamten Körper der kleinen Figur zogen sich Bänder aus Hieroglyphen, eine weitere Barriere bildend. In den über der Brust gekreuzten Händen hielt die Figur die Symbole der Göttinnen Hathor und Serqet, Warnung und Schutz zugleich. Es hatte Zeit und Geduld gekostet diese Figur zu finden und ihrer habhaft zu werden. Die Zusammenarbeit mit Akunadin war dabei ein nützlicher Zeitvertreib gewesen, der den obersten Priester zudem in den Glauben gewiegt hatte, er wäre derjenige, der die Fäden in den Händen hielt, während Ninetjer unbehelligt und in aller Ruhe finden konnte, wonach er suchte. Sacht schlossen sich die Finger um die Figur in seiner Faust, während er erwog ob er sie schon jetzt einsetzen sollte oder ob er nicht vielleicht doch noch etwas damit wartete. Beinahe zärtlich rieb er mit dem Daumen über die sorgfältig eingemeißelten Schriftzeichen. Ein wenig vorgebeugt dasitzend, die Ellebogen auf den Knien, mit der freien Hand das Kinn stützend, starrte er nachdenklich hinab in die Stadt und entschied abrupt, dass die Figur noch warten konnte. Er würde sich selbst um die verbliebenen Dämonenpriester kümmern, ein wenig Spaß wollte er ja auch noch haben und nicht nur tatenlos zusehen. Kaum hatte er diese Entscheidung getroffen, erhob er sich schwungvoll, ein erwartungsvolles Grinsen auf den Lippen, während er die kleine Figur in die Tasche seines Mantels gleiten ließ. Im nächsten Moment war er auch schon dabei das Dach des Tempels mit weiten, geübten Sprüngen hinter sich zu lassen und sich in das chaotische Gewimmel in den Straßen und Gassen der Stadt zu stürzen. Auf seinem Weg durch die Stadt, nach Dämonenpriestern suchend, fragte er immer wieder Menschen, die seinen Weg kreuzten, ob sie ihm bei seiner Suche weiterhelfen konnten. Es bereitete ihm Vergnügen ihre Angst zu sehen, zu riechen, wenn er sie mit seinem Messer bedrohte. Genoss es Hoffnung in ihren Augen aufblitzen zu sehen, wenn er ihnen in Aussicht stellte, dass sie am Leben bleiben würden, wenn sie ihm halfen. Ihr verzweifeltes Bemühen es ihm Recht zu machen, nur um das erbärmliche Etwas, das sie Leben nannten zu erhalten. Und schließlich die geschockte Erkenntnis in ihrem Gesicht, das bald darauf zu einer starren Totenmaske verkam, wenn sie spürten, dass er nie die Absicht gehegt hatte, sie gehen zu lassen. Menschen waren so dermaßen dämlich und jämmerlich, dass sie einfach nichts anderes verdienten, als er ihnen zukommen ließ. Nachdem er schließlich erfolgreich einen der Boten abgefangen und befragt hatte, machte er sich auf den Weg zum Palast. Er gab sich nicht die geringste Mühe unentdeckt zu bleiben, sondern schritt mit der größten Selbstverständlichkeit direkt auf das Haupttor des Palastes zu. Die Zugänge zum Palast waren sorgsam abgeriegelt und verbarrikadiert worden, in dem Versuch das Chaos der Stadt nicht auch auf die Wohnstatt des Gottkönigs übergreifen zu lassen. Ninetjer grinste bei diesem Anblick jedoch nur belustigt, rief ein Monster herbei und ließ es die Barrikade kurzerhand einreißen. Der Lärm, der dabei entstand, sorgte dafür, dass die Dämonenpriester sich in hektischer Aufregung bereits versammelten, während Ninetjer noch beinahe gemächlich und scheinbar vollkommen sorglos durch das Loch in der geborstenen Mauer kletterte. Im Vorhof des Palastes angekommen, fand er sich den verbliebenen Priestern gegenüber, die sich in einem Halbkreis vor ihm aufgebaut hatten, bemüht mit Hilfe ihrer gerufenen Dämonen zu verhindern, dass Ninetjer weiter vordringen konnte. Wieder erschien ein höhnisch belustigtes Grinsen in Ninetjers Gesicht, während er die Gruppe seiner Gegner betrachtete. Sie schienen tatsächlich der Ansicht zu sein, ihn besiegen zu können. Dabei hatten sie den Augenblick, den er ihnen großzügig geschenkte hatte, bereits ungenutzt verstreichen lassen. Standen noch immer still und warteten offenbar darauf, dass er sich kampfbereit machte. Was für Dummköpfe. Mit einer weitausholenden Geste deutete Ninetjer eine Verbeugung an, „ich danke euch, dass ihr so geduldig auf mein Erscheinen gewartet habt. Ich versichere euch, eure Geduld wird belohnt werden. Ihr werdet staunen, was ich euch zu bieten habe.“ Diese Provokation genügte, um drei der Priester dazu zu verleiten ihre Dämonen gleichzeitig auf den unverfrorenen Eindringling zu hetzen. Dieser wich in einer spielerisch beiläufigen Bewegung zur Seite, sodass die drei Monster statt auf Ninetjer auf einander trafen, ihre Krallen, Klauen und Zähne in einander vergruben und die Priester schwächten, bevor diese ihre dämonischen Diener wieder zurückrufen und erneut angreifen lassen konnten. Die Kürze der Zeit hatte Ninetjer bereits genügt, um Uräus hinter dem Rücken der Priester aus dem festgestampften Lehmboden brechen zu lassen. Wer nicht dem Feueratem der Schlange zum Opfer fiel, bekam den geschuppten Leib zu spüren, der sie von den Füßen riss und unter sich begrub. Nur vier der Priester entkamen diesem ersten verheerenden Wüten des Schlangendämons und sandten nun ihre eigenen Monster zu einem Gegenangriff, zwei von ihnen gegen die Schlange, zwei gegen den niederträchtigen Eindringling. Ninetjer grinste nur. Es war zwar nicht ganz das, was er sich erhofft hatte, aber immerhin besser als nichts. Im nächsten Augenblick hatte er auch schon einen Dämon gerufen, der die Gestalt eines menschlichen Skeletts besaß und bizarrer Weise eine Werkzeug trug, wie es die Bauern benutzten, um das Korn zu ernten. Ninetjer genoss das erschrockene Aufkeuchen der Priester beim Anblick dieses Dämons. Es war angenehm in ihre angespannten Gesichter zu sehen und zu wissen, dass man ihnen etwas bieten konnte, was sie zuvor noch nie gesehen hatten. Während das Gerippe begann einen grotesken Tanz aufzuführen und dabei scheinbar zufällig mit seinem Werkzeug die Köpfe seiner beiden dämonischen Gegner von deren Rümpfen trennte, hatte sich Uräus erneut im Boden verkrochen. Brach an anderer Stelle wieder hervor, umschlang die beiden Priester, die ihn angegriffen hatten, mit seinem Körper, presste sie unaufhaltsam gegen einander und spie gleichzeitig eine weitere Feuersalve in die Richtung der beiden anderen verbleibenden Priester. Noch während diese in Flammen aufgingen, wandte sich der Uräus bereits wieder seinen umschlungenen Opfern zu und tötete sie, ihnen das Genick brechend, auf die gleiche Weise wie Akunemkanon. Ein wenig gelangweilt entließ unterdessen Ninetjer wieder das Skelett. Diese Begegnung war enttäuschend verlaufend. Von einer Eliteeinheit des Tjt hatte eigentlich erwartet, dass sie in der Lage wäre für bessere Unterhaltung zu sorgen. Er wandte sich bereits ab noch bevor er den Gedanken ganz zu Ende gedacht hatte, in der Absicht den Schlosshof wieder zu verlassen und sich um die weitere Durchführung seines Planes zu kümmern. Plötzlich gruben sich scharfe Krallen in seine Schultern, während ein mächtiges Paar Flügel ihn empor trug. Ninetjer hielt sich nicht damit auf zu fluchen oder herauszufinden, wer ihn angegriffen hatte. Konzentrierte sich stattdessen darauf sich aus den Klauen des Geierdämons zu befreien, dessen Krallen sich noch immer tief in seine Schultern bohrten, während er sich weiter und weiter gen Himmel schraubte. Die Schmerzen in seinen Schultern ignorierend, packte Ninetjer mit seinen Händen die Beine des Vogels und versuchte diesen durch Schaukeln und Tritte gegen Hals und Schnabel dazu zu bewegen ihn loszulassen, ohne dass es ihm auf diese Weise gelang sich zu befreien. Im gleichen Moment als Ninetjer seine Taktik änderte und einen Skorpiondämon beschwor, schien der Geier der Ansicht zu sein, dass er ihn hoch genug getragen hatte und ließ ihn plötzlich los. Wie ein Stein stürzte Ninetjer in die Tiefe, ohne jede Möglichkeit den Sturz zu verlangsamen oder abzufangen. Er würde auf dem Boden aufschlagen und von ihm nicht viel mehr übrig bleiben als was Aasfressern als Nahrung diente. Ein irres Lachen entrang sich seiner Kehle. So einfach würde er es ihnen nicht machen. Er hatte immer noch Uräus. Sobald er nur noch wenig mehr als die Körperlänge des Schlangendämons vom Boden entfernt war, rief er den Dämon bei seinem Namen, der innerhalb von Sekundenbruchteilen erschien, sich mit seinem mächtigen Leib vom Boden abstieß, sich im Sprung um seinen Wirt wickelte und im nächsten Augenblick wieder auf dem Boden auftraf, für einen Moment betäubt liegen bleibend. Noch während der Uräus sich um ihn geschlungen hatte, hatte Ninetjer einen weiteren Dämon beschworen, der nun in stoischem Gleichmut zwischen dem schlangenverpuppten, selbsternannten Vernichter Kemets und seinem Angreifer stand. In den Händen hielt dieser halbmenschlich aussehende Dämon eine große, polierte Kupferscheibe, mit der er das Sonnenlicht reflektierte. Genau in die Augen des erneut angreifenden Geierdämons, der verärgert aufschrie und ein wenig zurückwich, um es aus einem anderen Winkel erneut zu versuchen. Während sich zwischen dem Geierdämon und dem Mischwesen ein ermüdendes Hin und Her von Angriff und Abwehr entwickelte, arbeitete sich Ninetjer aus den Schlingen des Schlangenleibs heraus. Angeschlagen aber noch nicht besiegt beachtete er die beiden kämpfenden Dämonen nicht weiter, sondern sah sich nach demjenigen um, der ihn so unerwartet angegriffen hatte. Als er die Person schließlich entdeckte, die mit vor Anspannung blassem Gesicht und einer Haltung dastand, die von unumstößlicher Entschlossenheit kündete, begann Ninetjer erneut abfällig zu grinsen. Da hatte er sich tatsächlich von einer gefühlsdusligen Schwangeren übertölpeln lassen, die entschlossen war Rache zu nehmen für den Tod ihres Bruders. Glaubte sie allen Ernstes, dass sie dazu in der Lage war? Ninetjer hätte bei diesem Gedanken gern schallend gelacht. Allein seine Rippen schmerzten ihn doch etwas mehr als angenehm gewesen wäre. So wurde das hämische Grinsen nur noch ein wenig breiter und perfider, während er sich großzügig entschloss ihr zu zeigen, dass allein der Wunsch nach Rache noch lange nicht genügte, sie auch zu bekommen. Was zählte waren nicht belanglose Gefühle, was zählte waren einzig allein Stärke und Macht. Nur der Stärkste entschied darüber, wer ein Recht hatte zu leben oder zu sterben. Ninetjer hatte diese äußerst nützliche Lektion im Alter von zehn gelernt, als seine Familie, sein Dorf auf Befehl des letzten Herrn der beiden Länder vernichtet worden waren, als Falle benutzt für einen übermächtigen Feind. Noch während Ninetjer mit nachdenklichem Blick seine Gegnerin fixierte, die Arme scheinbar nachlässig und unbesorgt verschränkt, hatte Isis sich entschieden die fruchtlosen Versuche des Geierdämons zu beenden und das Wesen entlassen. Interessiert wartete Ninetjer darauf, was sein Gegenüber als Nächstes tun würde. Er gestand ihr zu, dass sie zumindest mehr Talent im Dämonenkampf zu haben schien, als diese lachhafte Truppe von Priestern, die Akunadin als Eliteeinheit hatte heranbilden wollen. Im nächsten Moment begann der Boden unter den gespaltenen Hufen des dämonischen Schutzschildes zu erodieren, in sich zusammenzusinken, eine Kuhle zu bilden, die beständig tiefer und breiter wurde. Versuchte sich der Dämon durch einen Sprung zur Seite zu retten, gab der Boden unter seinen Füßen noch schneller nach, nahm ihm die notwendige Sprungkraft, um außer Reichweite der unterirdischen Räuber zu gelangen. Kaltblütig und unbeteiligt sah Ninetjer zu, wie sein Dämon schließlich in dem entstandenen Sandtrichter gefangen war, sich erfolglos bemühend herauszugelangen. Und noch immer unternahm Ninetjer keinen Versuch dem Dämon zu helfen, sondern starrte nur in nüchterner Wissbegier hinab in den Kegel, neugierig zu erfahren, um was für eine Art Dämon es sich bei diesen Wesen handeln mochte. Im gleichen Augenblick als mehrere länglich-runder, rötlicher Tiere mit riesigen Kieferzangen ihre Beute angriffen, bewegte sich der Uräus, der nur wenige Sekunden zuvor noch betäubt am Boden gelegen hatte, mit blitzartiger Geschwindigkeit an seinem Wirt vorbei und stürzte sich auf etwas, das sich hinter diesem befand. Überrascht fuhr Ninetjer herum. Die Augen zu Schlitzen verengt, erhaschte er gerade noch einen Blick auf ein seltsames Gebilde aus mehreren aufeinander stehenden Tierleibern, deren malmende Kieferbewegungen und das unruhige Bewegen der borstigen Beine ein Geräusch erzeugten, das in merkwürdigem Gegensatz zu dem Lärm stand, der aus den Straßen der Stadt drang. Dann hatte der Uräus den leicht schwankenden Turm bereits eingerissen. Offenbar war das genau das gewesen, was die Ameisenlöwen damit beabsichtigt hatten, denn wie ihre Artgenossen in dem Sandtrichter über den Schafmenschen herfielen, begruben die zuvor zu einer Pyramide aufgetürmten Spinnentiere nun den Uräus unter sich, begannen ihre Kiefer in ihm zu verbeißen und ihr Gift zu injizieren, um ihn schließlich zu verzehren. Die Folgen dieses doppelten Angriffs bekam Ninetjer unmittelbar zu spüren. Das Menschenschaf zehrte seine Lebenskraft, schwächte ihn, verursachte Hunger, Durst und schließlich überwältigende Übelkeit gepaart mit Schwindel und schlechter werdender Sicht. Aber das war nicht das Schlimmste, diese Qual ließ sich leicht dadurch beenden, dass man den Dämon dahin zurückschickte, woher er gekommen war. - Ein wütend frustriertes Klappern unzähliger Kieferzangen war die Reaktion auf das Verschwinden dieser bereits sicher geglaubten Mahlzeit. - Schlimmer als die vorübergehende Schwäche seines Ka, war der Angriff auf Uräus, der einem direkten Angriff auf die Seele selbst gleichkam. Starb der die Seele eines Menschen bewohnende Dämon, so starb auch sein Wirt. Wurde einer von ihnen verletzt bekam diese Verletzung auch der Andere dauerhaft zu spüren. Der Preis, der zu zahlen war, wenn man größere Macht erlangen wollte, als es mit der einfachen Beschwörung eines Dämons möglich war und der Grund, warum die wenigstens verrückt genug waren einen solchen Pakt freiwillig einzugehen. Ninetjer blieb nicht viel Zeit, wollte er aus diesem Zweikampf noch als Sieger hervorgehen und sich nicht kurz vor dem Ziel geschlagen geben. Geschlagen von einer einzigen Frau. Mühsam nur gelang es dem weißhaarigen Mann dieses Mal seine Lippen zu einem grimmigen Lächeln zu verziehen, während nun auch unter seinen Füßen begann sich der Boden aufzulösen. Mit einer letzten Kraftanstrengung und einem heftigen Aufbäumen gelang es dem Uräus sich von seinen Angreifern zu befreien und in seinen ureigenen Zufluchtsort zurückzukehren, um sich zu erholen. Zeit für ein wenig gute, alte Handarbeit. Dämonen waren sicher mächtige Waffen, aber diejenigen, die sich ihrer bedienten, vergaßen nur zu gern, wie verletzlich sie selbst dennoch waren. Überzeugt, dass ihre Gegner nicht auf den Gedanken kämen, statt der Beschworenen die Beschwörer anzugreifen. Kannten offenbar nicht die simple Tatsache, dass es in Kampf und Krieg keine Regeln gab. Erlaubt war, was funktionierte. Denn was zählte, was das eigene Überleben. Wer überlebte, hatte nicht nur Recht. Er konnte auch bestimmen, wie ein Geschehen abgelaufen war, indem er es so erzählte, wie er es für richtig hielt. Halb blind vor Entkräftung und geschwächt durch die Wunden, die Uräus zugefügt worden waren, taumelte Ninetjer scheinbar ziellos durch die Gegend, sich dabei dem Teil der Mauer nähernd, den er bei seiner Ankunft zerstört hatte. Dort angekommen ließ er sich entkräftet auf einen der zerbrochenen Steine fallen, augenscheinlich resigniert auf sein Ende wartend. Nur die beiläufig tastenden Hände wollten nicht zu diesem Bild passen und so trieb Isis ihre kleine Armee aus Ameisenlöwen an, die Sache endlich zu beenden. Ein kurzes Rascheln und Klappern war die Antwort, bevor die Spinnentiere im Erdreich verschwanden, wo sie sich leichter fortbewegen konnten und innerhalb von Augenblicken begannen den gesamten Bereich der geborstenen Mauer zu untergraben und absacken zu lassen, sodass nur zu bald die Mauerbruchstücke über dem geschlagenen Gegner zusammenbrechen und diesen unter sich begraben würden. Seinem Schicksal, in Gestalt von hungrigen Ameisenlöwen, rettungslos ausgeliefert. Ohne sich von diesem Treiben verunsichern zu lassen, suchte Ninetjer weiter nach einer ganz bestimmten Waffe. Schließlich bekam er zu fassen wonach seine Hände getastet hatten: Ein in der Mitte geborstenes Stück Rundholz, das einst bei der Herstellung der Mauer irgendeine Funktion erfüllt haben mochte und schließlich nur vergessen worden war oder Teil eines Schutzzaubers gewesen war, nun aber durch Ninetjer raue Art Anzuklopfen ein unregelmäßig gezacktes Ende aufwies. Trotz der unmittelbaren Nähe, in der sich sein Opfer befand, würde es dieses Mal nicht einfach werden es tatsächlich zu treffen. Seine Sicht war noch immer eingeschränkt, sein Körper sowohl von dem direkten Angriff des Geierdämons auf ihn selbst als auch von den Angriffen auf den Schafmensch und Uräus geschwächt, dazu kam das immer stärker werdende Absacken des Bodens unter seinen Füßen. Dennoch war Ninetjer sicher, sein Ziel nicht zu verfehlen. Er war nicht umsonst der beste Speerwerfer des königlichen Heeres gewesen, bevor er dieses verlassen und im Auftrag Akunadins begonnen hatte Unruhe zu stiften. Obwohl das Holz sich weder von seinem Gewicht noch von seiner Dicke tatsächlich für einen Speerwurf eignete, gewann Ninetjer allein durch die Berührung mit dieser behelfsmäßigen Waffe etwas von seiner Überlegenheit zurück, während er das Stück Holz zwischen den restlichen Mauertrümmern hervorzog, ausholte und noch in der gleichen Bewegung den geborstenen Pfahl in Richtung seiner Gegnerin schleuderte. Sich im nächsten Moment mit einem ungelenken Hechtsprung und nur sehr knapp vor seinen unterirdischen Angreifern in Sicherheit bringend, erst jenseits des neu entstandenen Grabens überprüfend, ob er auch tatsächlich getroffen hatte. Er hatte. Die Wucht des Pfahls hatte sie ein wenig nach hinten taumeln lassen, bevor sie zusammen gebrochen war, eine Hand in dem lächerlichen Versuch das Ungeborene zu schützen auf ihrem leicht geschwollenen Bauch über dem wie ein mahnender Finger das längere Ende des Rundholzes aufragte. Auch die unermüdlich grabenden Räuber hatten bemerkt, dass diejenige, die sie gerufen hatte, nicht mehr in der Lage war ihnen zu befehlen. Ihnen viel mehr schutzlos ausgeliefert war; und so änderten sie das Ziel ihres Angriffs, begannen um den toten Körper der jungen Frau eine Grube auszuheben, die sich schnell vergrößerte. Mit einem Grinsen nahm Ninetjer die Ironie zur Kenntnis, dass seine Angreiferin nun von genau den Wesen vertilgt werden würde, die sie gerufen hatte, um ihn zu vernichten. Ninetjer hatte nicht vor, zuzusehen wie der Schwarm sich an dieser leichten Beute gütlich tat, er hatte Besseres zu tun. Zunächst einmal musste er selbst Hunger und Durst stillen, um wieder zu Kräften zu kommen - und um seinen Sieg zu feiern. Zielstrebig wandte sich der weißhaarige Mann ab und verschwand in den Straßen der Stadt, ohne auf das kleine Mädchen zu achten, dass in diesem Augenblick aus dem Schatten des Palasts gelaufen kam und schreiend zu seiner Mutter rannte. Still und neugierig hatte Mana aus einer Zimmerecke heraus ihre Mutter beobachtet, die auf der Seite liegend, den Rücken der Tür zugewandt mit leicht angezogenen Beinen auf ihrem Bett lag, ohne sich zu regen oder auf die Bemühungen einzugehen mit denen Hapi versuchte sie zu trösten und zu umsorgen. Schließlich war die Nebet per gegangen, um anderen Pflichten nachzukommen und Isis ein wenig Ruhe zu gönnen. Vorsichtig hatte Mana noch einen Moment gewartet, bevor sie sich vorsichtig zu ihrer Mutter schlich, als täte sie damit etwas Verbotenes. Sie spürte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, ganz und gar nicht stimmte, wollte herausfinden was es war und hatte doch gleichzeitig ein wenig Angst davor. So hockte sie sich schließlich neben dem Bett auf den Fußboden, schob ihre kleine, heiße Hand in die kühle, leblose ihrer Mutter und wartete. Das Gesicht ihrer Mutter war vom Weinen verquollen und gerötet, ihr Blick verschleiert, sie schien Mana nicht einmal zu bemerken, während sie blicklos vor sich hin starrte, auf etwas in ihrem Inneren konzentriert. Erst als das kleine Mädchen flüsternd fragte: „Mama?“, sah Isis ihre Tochter an, begann den Druck der kleinen Hand in ihrer zu erwidern, strich mit der freien sanft über Kopf und Wange ihres kleinen Mädchens, schluckte das erneut aufsteigende Schluchzen und erklärte leise: „Mahaado ist tot.“ Ungläubig starrte Mana ihre Mutter an und schüttelte dann heftig den Kopf, gleich darauf beteuernd, dass ihr Onkel ganz bestimmt nicht tot sein konnte, schließlich hatte er versprochen mit ihr zu spielen, wenn die Krönung vorbei war. Ihr Onkel war niemand, der einmal gegebene Versprechen einfach brach. Außerdem war er stark, nicht ganz so stark wie Papa, aber er würde bestimmt nicht einfach so sterben, erst Recht nicht, wenn sie vorhatten auszureiten. Ohne ihrer eifrig argumentierenden Tochter zu widersprechen, zog Isis Mana schließlich sanft zu sich heran, bis das Mädchen zusammen mit ihr auf dem Bett lag, die Arme um sie geschlungen, das Köpfchen an ihrem Hals geborgen, während sie diesem noch immer beruhigend zuraunte, warum der Bruder ihrer Mutter gar nicht tot sein konnte. Mit einem schmerzlichen Lächeln drückte Isis ihre Tochter fest an sich und ihr einen Kuss auf den Hinterkopf gebend, während ihr wieder Tränen über das Gesicht rannen. „Ich werde dafür sorgen, dass er nicht davon kommt“, ein tonlos geflüstertes Versprechen an die duftende Kopfhaut ihrer Tochter. „Mama, du redest komisch. Warum sollte Mahaado denn weglaufen, dann könnte er doch nicht mehr bei uns sein.“ Isis antwortete darauf nicht, barg nur erneut den Kopf an der spärlichen Kinderhaartracht ihrer Tochter, ließ sich von ihrer Nähe und vertrauensvollen Überzeugung einlullen, beruhigen, trösten. Gab sich zumindest eine Weile der Vorstellung hin, dass Mana Recht hatte und sie diejenige war, die sich irrte. So lagen sie eine Weile still beieinander, Mana allmählich eindösend, während ihre Mutter wieder ihren eigenen Gedanken nachhing; ihre Verzweiflung nach und nach von ruhiger Entschlossenheit abgelöst wurde. Mitten in diese beruhigende Stille barst plötzlich lautes Krachen und Dröhnen, das nicht nur Isis und ihre Tochter erschrocken hochfahren ließ, sondern auch die anderen Bewohner des Harems aufschreckte und in nervöser Hast und ängstlicher Besorgnis herumeilen ließ, zusammenraffend, was man in der Eile zu fassen bekam, um sich vor den Rebellen in Sicherheit zu bringen, die vermutlich jeden Augenblick den Palast stürmen würden. Mochten die Götter wissen, was sie mit dessen Bewohnern vorhatten. Während Hapi zunächst ihre Untergebenen scharf zurecht wies, Ruhe zu bewahren und nicht an den Fähigkeiten des jungen Königs und seiner Soldaten zu zweifeln, um sich anschließend der sehr viel schwierigeren Aufgabe zu zuwenden die aufgeregten, zum Teil hysterischen Haremsdamen zu beruhigen, zum Bleiben und Abwarten zu bewegen, erhob sich Isis von ihrem Lager, befahl Mana zu bleiben wo sie war und auf ihre Rückkehr zu warten, küsste das kleine Mädchen auf die Stirn und verließ gleich darauf das Zimmer, ohne sich noch einmal umzusehen. Mit leicht schräg gelegtem Kopf sah Mana, noch immer auf dem Bett sitzend, ihrer davoneilenden Mutter nach, wartete einen Moment und schlich ihr dann leise und unbeachtet hinterher. Neugierig zu sehen, warum es ihre Mutter auf einmal so eilig hatte. Es gelang ihr unentdeckt zu bleiben, während sie ihre Mutter durch den Palast bis in den Vorhof verfolgte, blieb jedoch erschrocken im Schatten des Eingangs zurück, als sie die zerstörte Palastmauer und die scheinbar achtlos wie Puppen hingeworfenen Menschenkörper sah. Während sie noch in einer Mischung aus Grausen und Faszination auf diesen Anblick starrte, hatte ihre Mutter einen Geierdämon gerufen und diesen den einzigen Mann angreifen lassen, der noch aufrecht stand. Mana verstand nicht, warum ihre Mutter das tat. Immerhin hatte der Mann weiße Haare, so wie Kisara – und Kisara war wirklich nett, wenn man davon absah, dass sie ständig versuchte Mana dazu zu bringen zu tun, was sie gar nicht wollte. Unterdessen hatte sich der weißhaarige Mann aus den Krallen des Geierdämons befreit. Gespannt beobachtete Mana, wie der Mann wie ein Stein in die Tiefe stürzte und gerade noch rechtzeitig von einer riesigen Schlange aufgegangen wurde. Begeistert von diesem waghalsigen Kunststück klatschte das Mädchen in die Hände, als wäre das Ganze nur ein Schaukampf, abgehalten zu ihrer persönlichen Unterhaltung. Dann kam ein Kampf zwischen dem Geierdämon und einem komisch aussehenden Mann, der halb Mensch halb Schaf war und die ganze Zeit mit einem Spiegel herumfuchtelte. Das war nicht sehr spannend. Aber dann ließ sich ihre Mutter etwas Neues einfallen. Die Käfer sahen furchtbar hässlich aus, mit ihren riesigen Zangen, den zu kurzen Beinen und den ganzen Haaren. Aber sie waren in der Lage sich zu einer riesigen Pyramide aufzurichten – und das sah ziemlich lustig aus. Aber der Schlange schien das nicht zu gefallen, denn die schoss plötzlich vor und machte die Käferpyramide einfach so kaputt. Mana schnalzte missmutig mit der Zunge, gleichzeitig enttäuscht und verärgert die Stirn runzelnd. Blöde Schlange. Das fanden die Käfer offenbar auch, denn die begruben den Störenfried regelrecht unter sich, sodass Mana nicht erkennen konnte, was sie als nächstes taten. Unterdessen war der Schafsmann verschwunden und da wo er gestanden hatte, klaffte nun eine Senke im Boden, aber da das nicht weiter interessant war, wandte das kleine Mädchen ihre Aufmerksamkeit lieber dem weißhaarigen Mann zu. Es schien ihm nicht gut zu gehen, vielleicht hatte er zu viele Honigdatteln gegessen. Mana verzog mitfühlend das Gesicht, als sie daran dachte, wie ihr damals der Bauch davon weh getan hatte. Daran, dass Kisara sie davor gewarnt hatte zu viele auf einmal zu essen, dachte sie nicht. Der weißhaarige Mann atmete mit weit geöffnetem Mund und sein Gesicht hatte die Farbe von schlechter Milch angenommen. Er wirkte verkrümmter, in sich zusammengesunken. Erinnerte Mana an eine alte Eselsfeige, nur, dass ein Baum nicht blind herumtaumeln würde. Zumindest nicht, wenn ihm jemand dabei zusah. Der schwankende Mann hatte sich inzwischen auf eines der herausgebrochenen Mauerteile gesetzt und schien aufgeben zu wollen. Stolz sah Mana zu ihrer Mutter hinüber, die dieses Duell eindeutig gewonnen hatte. Jetzt ging es ihr doch bestimmt wieder besser. Und wenn Mahaado erst wieder da war und er sich ganz genau angehört hatte, wie Mama diesen Zweikampf gewonnen hatte, würde sie doch auch wieder lächeln können. Neugierig wartete das kleine Mädchen ab, wie es nun weiter gehen würde, sicher, dass ihre Mutter sich jeden Moment herumdrehen und nicht mehr so schrecklich traurig aussehen würde wie noch vorhin im Schlafzimmer. Im nächsten Moment geriet die Welt aus den Fugen. Sie knirschte nicht einmal dabei oder gab sonst eine Warnung von sich. Sie hörte einfach von einem Moment zum anderen auf in Ordnung zu sein. Starr vor Schreck starte Mana auf die Stelle, wo eben noch ihre Mutter gestanden und zu dem sitzenden Weißhaarigen gesehen hatte. Jetzt lag sie am Boden mit einem riesigen Stück Holz im Bauch. Heftig schüttelte Mana den Kopf, das konnte nicht sein. Das Bild stimmte einfach nicht, war nur ein Hitzetrugbild, wie die manchmal verschwommen an einem Wasserloch trinkenden Tiere. Ihre Mutter hatte gewonnen, wie konnte sie da jetzt tot am Boden liegen?! „Mama!“, ein gellender Schrei, von dem Mana nicht einmal merkte, dass sie ihn ausstieß, während sie plötzlich weinend losrannte, zu ihrer Mutter lief, neben ihr nieder kniete und sie am Arm schüttelte, unter Tränen befehlend, bittend, bettelnd ihre Mutter solle aufstehen und irgendetwas sagen, das ihr versichern würde, dass alles in Ordnung wäre. Mana bemerkte nicht, wie der Boden unter ihr und ihrer Mutter langsam wegzusacken begann. Achtete nicht darauf, zu sehr in ihrem Grauen gefangen. Und selbst wenn sie es bemerkt hätte, wäre es für sie doch ohne Bedeutung gewesen. Konnte sie doch ihre Mutter nicht einfach allein lassen, wenigstens nicht bis ihr Vater kam und sagen würde, was zu tun war. Plötzlich spritzte rings um sie der gelöste Sand nach oben und fiel in der nächsten Sekunde als trockener, staubiger Regen wieder herab, während Mana von den bläulich weißen Klauen eines riesigen Untieres fortgetragen wurde, das sie gepackt hatte. Das kleine Mädchen schrie und strampelte, versuchte sich zu wehren, sich loszureißen, um wieder an die Seite ihrer Mutter zurückkehren zu können und war dem Wesen doch machtlos ausgeliefert, das sie ebenso plötzlich wieder fallen ließ, wie es sie gepackt hatte und zu der Senke zurückkehrte, an derem tiefsten Punkt sich Manas Mutter befand. Mana sah dass ebenso wenig wie die erneute Salve blendend grellen Lichts, die das geflügelte Echsenwesen spie, um die Ameisenlöwen abzuhalten sich an dem leblosen Körper gütlich zu tun. Sah nicht, wie der Dämon auch den Leichnam ihrer Mutter mit seinen Klauen packte und von dem Sandtrichter fort trug, ihn in einiger Entfernung ablegend, anschließend auch die letzten der verblieben Spinnendämonen vernichtend und sich gleich darauf auflösend, indem er in die Seele desjenigen zurückkehrte, der Mana mit ausgestreckten Armen vor sich hielt und dem nach wie vor schreienden und strampelnden Mädchen herrisch befahl ruhig zu sein. Mana dachte gar nicht daran diesem Befehl zu gehorchen, sondern wand sich nur noch heftiger in dem Versuch frei zu kommen. Missmutig betrachtete Seth das sich energisch wehrende Etwas in seinen Händen. Er hätte es gern geschüttelt, damit es endlich still war. Aber er befürchtete, dabei etwas kaputt zu machen, so zerbrechlich wie das Ding wirkte. Andererseits wusste er auch nicht recht, was er sonst tun sollte. Er hatte es bisher nie mit Kleinkindern zu tun gehabt und eigentlich auch nicht vor daran etwas zu ändern. Zögernd, misstrauisch ahmte er schließlich nach, was er bei anderen Erwachsenen mit weinenden Kindern gesehen hatte und barg das schluchzende Mädchen widerwillig an seinem Oberkörper. Allerdings darauf verzichtend albernes Zeug zu gurren. Stattdessen knurrte er nur leise: „Hör auf zu heulen, das hilft nicht weiter“, um nach einer kurzen Pause, vielleicht in Gedenken an seine eigene Mutter, etwas sanfter hinzuzufügen: „Dir wird nichts passieren.“ Mana schluchzte, hickste und schniefte darauf nur trotzig, anschließend ihre Rotznase an der Kleidung des Priesters abwischend, den Kopf an seine Schulter lehnend, die Arme schützend an ihrem Körper gezogen und sich zumindest soweit beruhigend, dass sie das Schreien und Weinen weitestgehend einstellte. Seth warf noch einen zweifelnden Blick auf das Kind in seinen Armen und machte sich anschließend erneut auf den Weg zu Shimon, dem er erst kurz zuvor den Körper Meresankhs überlassen hatte, damit dieser sich um alles kümmerte. Jetzt hoffte der junge Priester, dass der alte Arzt auch wusste, was man mit einer heulenden Halbwaise anfing und er sich zudem auch um Isis kümmern würde. Ihm selbst würde es wohl überlassen bleiben Atemu und Karim ausfindig zu machen und ihnen die Nachricht über die jüngsten Todesfälle zu überbringen. Etwas auf das er sich alles andere als freute. Davor drücken würde er sich dennoch nicht. Sie hatten die ganze Stadt nach ihm abgesucht. Jedes Dach, das über die anderen hinausragte inspiziert und waren doch nicht fündig geworden. Entweder hatte Seth sich geirrt, was angesichts der erfolglosen Suche immer wahrscheinlicher wurde, oder Ninetjer war ihnen noch immer eine Nasenlänge voraus; heimlich über sie triumphierend. Eine Vorstellung, die Atemu die Fäuste fester um die Zügel seines Pferdes schließen ließ, sodass dieses nervös schnaubte und den Kopf nach hinten warf, um das unangenehme Ziehen zu mildern. Trotz der patrouillierenden Einheiten von Soldaten, die sich bemühten, für Ruhe zu sorgen, herrschte in der Stadt noch immer Aufruhr; wurden der König und sein Befehlshaber immer wieder durch verstopfte Straßen aufgehalten, hin und wieder von aufgebrachten Stadtbewohnern beleidigt, angeschrien er solle tun, was der Auftrag seines Amtes war: Kemet zu schützen. Er wurde von Verzweifelten angefleht zu helfen; und ein-, zweimal versuchte tatsächlich jemand den jungen Herrscher anzugreifen. Karim und seine Leute sorgten so gut sie konnten für den Schutz des Königs, verhindern dass er sah und hörte, konnten sie nicht. Das Gesicht des Königs war im Verlauf der Suche immer düsterer, verschlossener geworden, angespannt saß er auf seinem Pferd und ließ den Blick suchend über die Menge gleiten. Dann entdeckte er ihn. Er lehnte träge an einer geöffneten Haustür einen Weinkrug in der Hand, im einen Moment noch fast schon verträumt dem wirren Treiben auf der Straße zusehend, im nächsten seinen Beobachter bemerkend und ihm fröhlich grinsend zuprostend, ohne Anstalten zu unternehmen vor ihnen zu fliehen. Wut schnürte Atemu die Kehle zu, ließ ihn das Chaos in den Straßen vergessen, verengte seine Wahrnehmung einzig und allein auf diesen Elenden, der es gewagt hatte seinen Vater zu morden, seinen Freund zu Tode zu foltern, die Ruhe und Sicherheit des Lebens zu zerstören, das Atemu bisher gekannt hatte. Der König war bereits von seinem Pferd gestiegen und dabei sich grob durch die Menge zu drängeln, die ihn inzwischen umzingelt hatte, Forderungen stellte, Antworten verlangte und völlig unbeachtet blieb, noch bevor Karim auch nur dazu kam Luft zu holen, um ihn von diesem Vorhaben abzuhalten. Als der Befehlshaber entdeckt hatte, auf wenn der Erbe des Horus zusteuerte, sparte er sich alle mahnenden Worte, beeilte sich nur an die Seite Atemus zu gelangen, ihm Geleitschutz zu geben und die Gewissheit, dass er gegen den Mörder Akunemkanons und Mahaados nicht allein stand. Ungerührt beobachtete der weißhaarige Mann wie sich der König und sein General näherkamen, ohne sich von dem Türstock, an dem er lehnte zu lösen, nur einmal den Weinkrug in seiner Hand zum Mund führend. Beim Näherkommen registrierte Atemu die unnatürlich blasse Haut Ninetjers, die dem anscheinend unverrückbar ins Gesicht gemeißelten hämischen Grinsen und dem fanatischen Glanz seiner Augen ebenso wenig Abbruch taten, wie die dunklen Flecken an den Schultern seiner Kleidung. Der zurückzulegende Weg schien sich endlos zu strecken und war doch viel zu kurz. Denn kaum hatte Atemu seinen Widersacher erreicht, wurde ihm mit brennender Klarheit bewusst, dass er keine Ahnung hatte, was er eigentlich tun sollte. Er hatte die blasse Überlegung im Hinterkopf gehabt, dass er mit diesem Mann reden würde. Ihm seine ganz Wut und Verachtung entgegenschleuderte und Ninetjer daraufhin reumütig um Vergebung bat, sich willfährig jeder Strafe ergebend, die der König über ihn verhängte und so alles wieder in Ordnung kam. In diesem Augenblick jedoch wurde dem Erben des Horus bewusst, dass das nur ein eitler Kindertraum gewesen war. Dieser vor Selbstbewusstsein glühende, von tief verwurzeltem Hass zerfressene Mann vor ihm würde nichts, aber auch rein gar nichts auf irgendetwas geben, was ein anderer zu ihm sagte. Er hielt es nicht einmal für nötig den Herrn der beiden Länder und Hüter der Maat in diesem Moment überhaupt zur Kenntnis zunehmen. Stattdessen hatte er sich im gleichen Augenblick, als ihn General und König erreichten, an Karim gewandt, diesen mit den Worten begrüßend: „Ich kann nicht sagen, dass ich mich freue dich wiederzusehen. Aber um der guten alten Zeiten willen…“ „Es gab keine guten Zeiten“, wurde er grob von Karim unterbrochen, der in angespannter Aufmerksamkeit sein Gegenüber beobachtete, die Hand vorsorglich bereits auf den Griff seines Dolches legend. „Wenigstens etwas, indem wir einer Meinung sind“, erwiderte Ninetjer ungerührt und fügte übergangslos hinzu: „Mein Beileid zum Tod deiner Frau und eures Kindes.“ Es klang nicht, als würde er es tatsächlich bedauern. Die Hand um den Dolchgriff spannte sich an, „was hast du mit ihnen gemacht?“ Es kostete Karim jedes bisschen Selbstbeherrschung diese Frage in halbwegs ruhigem Ton zu stellen, ohne direkt auf seinen alten Rivalen loszugehen. „Du scheinst noch immer keine sehr hohe Meinung von mir zu haben, Ramesa“, stellte Ninetjer unbekümmert fest. „Ich habe auch keinen Grund dazu“, konterte Karim durch zusammengepresste Zähne und erntete dafür ein Grinsen, als wäre er ein dummer Schuljunge, dem es zum ersten Mal gelungen war einen Fünfzeiler fehlerfrei herzusagen. Im nächsten Moment spürte Ninetjer auch schon Karims Messer an seiner Kehle, während ihn der General leise, aber nachdrücklich aufforderte zu erklären, was genau mit seiner Familie geschehen war. Statt darauf zu antworten, stellte Ninetjer nur mit einem abfällig höhnischen Lächeln fest: „Es war ein Fehler dir dieses Amt zu übertragen, du bist unfähig. Selbst nach all diesen Jahren unterschätzt du immer noch deine Gegner.“ Statt zu antworten bewies Karim in einem kurzen Handgemenge, in dem der Weinkrug auf dem Boden zerbrach, wie sehr sein Spötter sich getäuscht hatte. Den weißhaarigen Mann nun Bauch voran mit auf den Rücken gedrehten Armen gegen den Türstock drückend, an dem dieser noch kurz zuvor gelehnt hatte, wiederholte Karim seine Forderung zu erfahren, was mit Isis und Mana geschehen war. Ninetjer lachte auf, „das Kind war noch nicht mal geboren und ihr habt ihm schon einen Namen gegeben?! Wie rührend. Das Totengericht wird ihm sicher besonders wohlgesonnen sein.“ Er hatte kaum ausgesprochen als wie aus dem Nichts Uräus auftauchte und versuchte Karim zu töten. Der hatte mit etwas derartigem gerechnet und brachte sich mit einem schnellen Satz zur Seite in Sicherheit. Offenbar war genau das Ninetjers Ziel gewesen, denn kaum spürte er wie der Druck Karims auf seinen Rücken nachließ hechtete er ebenfalls zur Seite, im Sprung seinen eigenen Dolch ziehend und diesen im nächsten Augenblick dem König Ägyptens so dicht an die Kehle haltend, dass eine feine Linie hellen Bluts am Hals des Herrschers herab zu rinnen begann. Bewegungslos stand Karim jenseits der Schwelle des Hauses und sah auf den gefangenen König. Er hatte versagt. Er hatte den Erben des Horus nicht seiner Aufgabe gemäß beschützt. Ninetjer schien zu wissen, was in seinem Gegenüber vorging, denn er grinste nur zufrieden, während er langsam, den König an dessen Haaren ziehend und ihm weiter das Messer an die Kehle drückend, zurückwich. Hastig suchte Karims Blick die Straße nach seinen Leuten ab, einer von ihnen musste doch bemerkt haben, was geschehen war und dem König zu Hilfe eilen. Doch da, wo bis eben noch eine brodelnde Masse aus Menschen gewesen war, herrschte nun beängstigende Leere. War nur noch der stärker werdende Geruch von Rauch wahrzunehmen, das lauter werdende Geräusch von Häusern die unter der Sturmhitze von Flammen ächzten und in sich zusammenbrachen und immer wieder gellende Schreie der Angst. Und vor diesem Hintergrund Atemu, mit starrem Blick, der puppenhaft dem Schmerz an Kopf und Kehle gehorchte und der ewig grinsende, hämische Ninetjer, der wusste, dass er gewonnen hatte. Während dieser sich rückwärts bewegte, den König mit sich zerrend, pfiff er ein kurzes Signal auf das einer der Rebellen erschien und schweigend abwartete, was von ihm verlangt würde. Ninetjer wies mit dem Kopf auf den noch immer bewegungslos dastehenden Karim und befahl: „Stich ihn ab. Aber mach es gründlich. Wir wollen schließlich nicht, dass er das Wiedersehen mit seiner Frau verpasst.“ Mit ausdruckslosem Gesicht verneigte sich der Mann nur leicht und lief anschließend in gemächlichem Tempo auf Karim zu, als würde es sich um etwas so alltägliches wie die Schlachtung eines Tieres handeln. Ninetjer unterdessen nutzte die Gelegenheit zu einer letzten Spitze gegen seinen ehemaligen Rivalen. „Deine Frau war wirklich unterhaltsam - und sehr talentiert, das muss man ihr lassen. Sie hat nicht ein einziges Mal geschrien. Das hast doch sicher du ihr beigebracht.“ Schweigend presste Karim die Zähne aufeinander, unwillkürlich die Hände zu Fäusten ballend. Er wusste nicht, was mehr schmerzte: Die Tatsache, dass Isis tot war und er sie nicht hatte beschützen können oder die Vorstellung das sie von diesem widerwärtigen Aas vergewaltigt worden war. Und was war mit Mana? Hatte seine Tochter ebenfalls sterben müssen? Lebte sie noch und hatte gesehen, was ihrer Mutter angetan worden war? Die höhnische Anerkennung in den letzen Worten Ninetjer ließ ihn völlig unberührt, er hatte sie nicht einmal richtig wahrgenommen, zu beschäftigt mit seinen eigenen Gedanken und Überlegungen. Er würde nicht zulassen, dass es so zu Ende ging. Irgendwie würde er hier lebend herauskommen, Atemu retten und anschließend Ninetjer langsam zu Tode prügeln. Ninetjer unterdessen beabsichtigte nicht der Hinrichtung Karims zu zusehen, sondern entfernte sich zielstrebig, den Erben des Horus noch immer mit sich zerrend. Widerspruchslos gehorchte Atemu diesem wortlosen Befehl, noch immer von einer inneren Starre gefangen gehalten, die es unmöglich machte klar zu denken oder zu handeln. Erst ganz allmählich begannen Wille und Verstand wieder zu arbeiten. Verfluchte sich der junge König im Stillen selbst, dass er sich so hatte überrumpeln lassen, statt rechtzeitig einen Dämon zu rufen und die Sache zu beenden. Dann wäre er nicht gefangen genommen worden. Dann hätte er den Tod Karims verhindern können. Jetzt hatte er nicht nur seinen Vater und Mahaado verloren, sondern auch Isis und Karim. Schlimmer noch: Er hatte sie im Stich gelassen, sie enttäuscht. Und noch immer hatte er keine Idee, wie er diesen Wahnsinnigen aufhalten sollte. „Warum tust du das?“ Es war etwas schwierig zu reden, wenn einem ein Messer gegen die Kehle gepresst wurde und man gleichzeitig das Gefühl hatte, die Kopfhaut würde vom Schädel gerissen werden. „Weil ich keine Lust habe dich zu tragen. Ich könnte dich natürlich auch vorwärts treten“, Ninetjer gestattete sich ein kurzes, genüssliches Grinsen, „aber ich habe es ein klein wenig eilig, als dass ich mich mit solchen Spielereien aufhalten könnte.“ „Ich will wissen, warum du Kemet vernichten willst.“ „Warum willst du es retten?“ konterte Ninetjer gleichgültig, sah sich prüfend um und schlug dann einen unbenutzten Seitenpfad ein, der sie direkt in die Nähe eines der Stadttore brachte. „Es ist meine Pflicht als König.“ „Verstehe, die Menschen sind dir genauso gleichgültig wie mir.“ „Nein! - So ist es nicht…“ versuchte Atemu sich zu rechtfertigen, wurde aber von Ninetjer nicht beachtet, der erklärte: „Ich werde dir einen Gefallen tun und dich von allen Pflichten befreien, du darfst sogar dabei zusehen.“ „Das ist Isfet!“ keuchte Atemu in einer Mischung aus Entsetzen, Empörung und Unglaube hervor und erhielt darauf die herablassend höhnisch klingende Antwort: „Ganz so dumm scheinst du doch nicht zu sein. Isfet wird sicher erfreut sein, wenn du sie begrüßt.“ „Was hast du vor?“ Atemu konnte seine Besorgnis nicht mehr verbergen, gleichgültig ob er seinem Peiniger damit einen Gefallen tat oder nicht. „Das wirst du gleich sehen, wir sind fast da.“ Tatsächlich hatten sie inzwischen das Stadttor erreicht und verließen die Stadt gen Osten, jeder der versuchte sie aufzuhalten oder ihnen auf andere Weise in die Quere kam, wurde gnadenlos von Uräus beseitigt. Schließlich befanden sie sich etwa auf halber Strecke zwischen den beiden größten Tempeln des Amun. Weit genug von der Stadt entfernt, um jeden Fluchtversuch hoffnungslos erscheinen zu lassen, wenn man wusste, dass man von einem Dämon verfolgt werden würde. Atemu hatte auch nicht vor zu fliehen, sondern viel mehr seinen Widersacher aufzuhalten. Das, was er sich überlegt hatte, war nicht wirklich ein Plan zu nennen. Aber es war besser als nichts zu tun und einfach zu zusehen wie Kemet unterging. Ninetjer ahnte nichts von den Gedanken des Königs, steckte stattdessen das Messer fort um mit der freien Hand die kleine Statue hervorholen zu können, während er seinen Köder weiter bei den Haaren gepackt hielt, ihn zwingend Richtung Westen zu sehen. Atemu wusste nicht, worum es sich bei dieser an einen Uschebti erinnernden Figur handelte oder was Ninetjer damit vorhaben mochte, es war für den Moment auch nicht von Bedeutung. Er nutzte vielmehr die günstige Gelegenheit und ließ sich plötzlich nach vorn fallen. Seinen überrumpelten Gegner im ersten Moment mit sich ziehend, bevor dieser reflexartig die Haare des Königs losließ, um nicht mit zu Boden gerissen zu werden. Der Horuserbe hatte unterdessen die Arme von sich gestreckt und riss, sobald seine Hände den sandigen Boden berührten, seine Beine in einem akrobatisch anmutenden Kunststück nach oben, als wolle er in Zukunft auf Händen laufen. Stattdessen trafen seine Fersen gleich darauf mit voller Wucht auf den Unterkiefer Ninetjers. Noch einmal nach tretend, stand Atemu im nächsten Moment auch schon wieder aufrecht, stürmte auf den noch immer überrumpelt taumelnden Mann zu, stieß ihn zu Boden, dabei auf seiner Brust zu sitzen kommend und begann wie von Sinnen auf ihn einzuschlagen. Es war ihm gleichgültig wo seine Schläge trafen, solang es nur Haut und Fleisch des unter ihm Liegenden waren, die er traf. Schlag für Schlag rächte er seinen Vater, Mahaado, Isis, Karim und alle jene, deren Namen er nicht einmal kannte und die ausschließlich das Pech hatten Ninetjer zu begegnen. Es kam Atemu wie eine Ewigkeit vor, die er auf diesen Mörder einschlug, obwohl es doch nur Sekunden waren, die Ninetjer diesen Angriff regungslos über sich ergehen ließ. Dann begann er plötzlich schallend zu lachen. Blut rann ihm aus Nase und kleinen Platzwunden, während sich das Gesicht zu einer schauerlichen Fratze des Irrsinns verzerrte. Ein furchterregender Anblick, der Atemu innehalten ließ, starr auf die Kreatur unter sich stierend, den Schmerz seiner Hände, wo die Haut über den Fingerknöcheln unter der Wucht der Schläge aufgeplatzt war, kaum wahrnehmend, sich fassungslos fragend, was das da unter ihm für ein Mensch war. Warum lachte er immer noch? Warum schien er den Schmerz nicht einmal zu spüren? Wieso schien er das alles nur als einzigen großen Spaß zu nehmen? Atemu spürte wie Tränen der Wut ihm den Hals hoch krochen. Er hob die Faust um erneut zu zuschlagen, diesem widerlichen Kerl das Lachen aus dem Gesicht zu prügeln, ihn zu lehren dass nichts Komisches daran war, Menschen zu foltern und zu töten. Aber er kam nicht mehr dazu, seine Bewegung zu Ende zu führen. Stattdessen war im nächsten Augenblick er es, der auf dem Rücken im Wüstensand lag, Ninetjer über ihm hockend, mit den Knien die königlichen Oberarme fixierend, mit beiden Händen den göttlichen Hals zudrückend. „Ich denke, du hast genug gespielt. Isfet wird dich auch nicht verschmähen, wenn du nicht mehr atmest. Machen wir also einen Knoten in dieses Ende, damit es nicht doch noch aufdröselt.“ Atemu versuchte sich zu wehren, die Hände an seinem Hals fort zu zerren, Ninetjer von seiner Brust herunter zu stoßen. Aber seine Versuche waren aussichtslos und die Luft immer knapper. Die Gestalt über ihm und das Stück blauer Himmel, von dem sie eingerahmt wurde, verschwammen zu einem surrealen Muster wirrer Farbkleckse, musikalisch unterlegt vom rauschenden Pulsieren seines Blutes in den Ohren. Dann wurde er nicht mehr von schweren Knien an den Boden genagelt, wurde sein Hals nicht mehr von dem unbarmherzig eisernen Griff zweier Hände gewürgt. Gierig schnappte Atemu nach Luft, sich dabei verschluckend, hustend und langsam aufrichtend. Erst dann sah er sich um, wer oder was ihn von Ninetjer befreit hatte. „Karim!“ Das Sprechen tat weh, aber die Freude seinen Befehlshaber lebend wieder zu sehen, ließ diese Unannehmlichkeit vollkommen nebensächlich erscheinen. Die anderen beiden Männer achteten nicht auf den ein wenig abseits hockenden König, verbissen gegen einander kämpfend. „Du hast überlebt“, eine lapidare Feststellung, die nicht einmal überrascht klang. „Ich hoffe, du hast ihn getötet. Ich kann Versager nicht gebrauchen.“ Karim schwieg als Antwort auf jede dieser Feststellungen, sich ausschließlich darauf konzentrierend Ninetjer unter Kontrolle zu halten, um ihn bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu töten. Ninetjer grinste. Damals hatten sie Karim statt seiner zum General ernannt, obwohl er der bessere Kämpfer war. Angeblich, weil er zu grausam, zu gnadenlos gewesen sei. Dabei hatte er stets nur getan, was nötig war, um die Macht des Königs zu sichern. Er würde die Gelegenheit nutzen und Karim ein letztes Mal beweisen, wer von ihnen beiden der bessere Krieger war. Erneut den Dämonenskorpion rufend, griff er Karim gleichzeitig an, diesem die Möglichkeit nehmend, dem giftigen Stachel des Tieres auszuweichen. Ihn vielmehr genau auf diese drohend erhobene Waffe zu treibend. Die im nächsten Augenblick von einem flinken graubraunen Tier, dessen Vorderpfoten mit langen, scharfen Krallen versehen waren, umgerissen, fachmännisch zerlegt und genüsslich verspeist wurde. Es sollte die letzte Mahlzeit werden, die der Erdmännchendämon zu sich nahm, denn kaum hatte er die ersten Bissen verzehrt, wurde er das Opfer des Uräus. Kaum hatte dieser den von Atemu gerufenen Dämon getötet, stürzte er sich auf den Gegner seines Wirtes stürzte. Eine mächtige Sykomore, die ebenso plötzlich aufgetaucht war wie der vierbeinige Dämon zuvor, hielt den Uräus auf. Machte es durch seine Wurzeln unmöglich, dass der Schlangendämon in die Erde eintauchte, um den Befehlshaber von dort aus anzugreifen. Die Tatsache nutzend, dass der Baum Karim das Zurückweichen unmöglich machte, trieb Ninetjer ihn mit einer Reihe von gezielten Schlägen und dem Gebrauch seines Messers in die Enge, einen weiteren Dämon beschwörend, der den hoheitlichen Störenfried ein wenig beschäftigen würde, bis er Zeit hatte sich mit ihm zu befassen. Womit er nicht gerechnet hatte, war die Reaktion Karims. Statt zur Seite und damit in den Rachen des Uräus auszuweichen, griff dieser seinen Gegner an, zwang ihn zurückzuweichen. Schließlich bekam Karim den Messerarm Ninetjers zu fassen und verdrehte ihn in der gleichen Bewegung so, dass der Weißhaarige zum Schutzschild gegen den Angriff des Uräus wurde. Es gab keine Möglichkeit für die Schlange den Zusammenprall noch irgendwie zu verhindern. Statt jedoch mit voller Wucht gegen ihren Wirt zu prallen, begann der Dämon sich plötzlich in eine Art gräulichgrünen, giftig aussehenden Rauchs zu verwandeln, während Ninetjer mit weit aufgerissenem Mund und verdrehten Augen, dass nur noch das Weiß der Augäpfel zu sehen war, wie gelähmt dastand. Kaum war der Rauch vollständig im Mund Ninetjers verschwunden, sackte dieser leblos zusammen. Der Dämon, dem Atemu erfolgreich Widerstand geleistet hatte, nachdem er die Sykomore gegen ein agileres Monster ausgetauscht hatte, war ebenfalls verschwunden. Angesichts der plötzlichen Ruhe, sah der König seinen General verunsichert an. „Ist es vorbei?“ Karim schüttelte den Kopf. Ninetjer lebte noch, vorbei würde es erst sein, wenn das nicht mehr der Fall war. Dem bewusstlosen Mann, der nur noch durch den Griff Karims halbwegs aufrecht stand, das Messer aus der schlaffen Hand windend, wollte der General die Sache zu Ende bringen. Und konnte es nicht. Dieser im Augenblick so wehrlos wirkende Mann hatte seine Frau getötet, deren Bruder, den König und unzählige andere Menschen. Ihn zu töten war das einzig Richtige. Aber er konnte niemanden töten, der ihm hilflos ausgeliefert war. Ninetjer sollte wissen, dass er starb und nicht einfach von einer Bewusstlosigkeit in eine andere übergehen. Es bestand die Möglichkeit, dass er sterben würde, wenn er versuchte Ninetjer zu töten, solange dieser bei Bewusstsein war. Aber lieber wollte er dies in Kauf nehmen als seine Ehre zu verlieren. Sich auf eine Stufe mit diesem Abschaum zu stellen und zu morden, was schwächer war als er. Schweigend hatte Atemu Karim beobachtet und wollte gerade den Vorschlag machen, dass sie ihn in den Palast bringen und dort gut gesichert ins Gefängnis werfen könnten, als die trügerische Ruhe zerbrach und der Wahnsinn erneut zu toben begann. Mit unglaublicher Geschwindigkeit quoll aus Ninetjers Mund der gleiche Rauch, der kurz zuvor darin verschwunden war, materialisierte sich erneut zu dem Schlangendämon, der sich gleich darauf auch schon um den Herrn der beiden Länder wickelte, ihn daran hinderte auf irgendeine Weise in das weitere Geschehen einzugreifen. Gleichzeitig tat Ninetjer das Unglaubliche: Er drehte sich zu dem hinter ihm stehenden Mann um, sich dabei das Schultergelenk ausrenkend. Der Schmerz musste unvorstellbar sein, Ninetjer schien ihn nicht einmal wahrzunehmen, während er dem fassungslosen Karim mit der anderen Hand das Messer entriss und es ihm direkt ins Herz stieß, dabei rau hervorstoßend: „Du warst schon immer ein Schwächling, der im falschen Moment gezögert hat, das zu tun, was notwendig ist. Grüß deine Frau von mir, wenn du sie siehst.“ Noch während Karim leblos zu Boden sackte, hatte Ninetjer sich bereits abgewandt, den ausgekugelten Arm mit der gesunden Hand stützend, den im Schlangenleib gefangenen König ebenso wenig beachtend wie den Leichnam seines Rivalen, stattdessen aufmerksam den Boden nach der kleinen, tönernen Figur absuchend, die ihm aus der Hand gefallen war, als ihn der Horuserbe so überraschend angegriffen hatte. Er fand die Figur, unversehrt und gelassen wartend im Sand liegend. Mit einem zufriedenen Grinsen in seinem zerschundenen Gesicht hob Ninetjer sie auf. Schloss seine Faust fest um die kleine Figur und ließ sie zerbrechen. Schlagartig wurde der Himmel schwarz. Gespalten von einem einzigen grellen Blitz, der lautlos aufzuckte, im Boden einschlug und ihn in weitem Umkreis verbrannte. Spannung lag in der Luft und nicht der kleinste Laut war zu hören. Dann erhob sich ein hohes, kräftiges Sirren und Brausen. Ein Sturm kam auf, der sich dort, wo der Blitz eingeschlagen war, zu einem Strudel verdichtete, der immer breiter und höher wurde, sich wirbelnd um sich selbst drehte, alles in sich aufsaugend, was nicht ausreichend Widerstand leistete. Die Luft geriet in Bewegung, schien zu brodeln wie kochendes Wasser, verfärbte sich ebenso dunkel wie der Himmel. Begann sich um den wild rotierenden Wirbel zu verdichten, ihn einzuschließen, zu ersticken. Als der Strudel schließlich verschwunden war, befand sich an der gleichen Stelle eine riesige, dunkel wabernde Masse von der Konsistenz schwarzen Qualms. Diese Masse schien ständig in Bewegung, obwohl sie sich doch nicht vom Fleck bewegte. Veränderte beständig ihre Form, sah in einem Moment aus wie ein riesiger Vogel, im nächsten wie eine Frosch, dann wie ein Flusspferd oder eine Schildkröte. Das Aussehen hielt immer nur für wenige Sekunden, bevor es wieder in sich zusammenfiel und ein neuer Schatten entstand. Uräus hatte seine Geisel freigegeben und war in die Seele seines Wirtes zurückgekehrt. Doch obwohl nichts und niemand Atemu in diesem Moment aufhielt, war er doch unfähig sich zu bewegen, sondern starrte nur in ungläubigem Entsetzen auf dieses riesige Etwas, dass sich westlich der Pharaonenstadt befand. Was hatte Ninetjer getan? Was für ein Ding war das? Und wie konnte man die beiden jetzt noch aufhalten? „Isfet!“ laut und deutlich halte der Ruf über die Ebene, schien trotz der großen Entfernung das Wesen zu erreichen und von diesem vernommen zu werden. Erst schien es, als würde trotz der Forderung Ninetjers nichts geschehen, dann formte sich die dunkle Masse wieder zu der Schattengestalt eines riesigen Vogels, flog über die Stadt hinweg und hatte in Sekunden eine Distanz überquert für die Menschen zu Pferd Stunden benötigt hätten. War es aus der Entfernung schon riesig gewesen, war es aus der Nähe nicht mehr mit Worten zu beschreiben, es überstieg schlicht alles Vorstellbare. Und noch immer starrte Atemu. ‚Denk nach! Es muss irgendetwas geben, das du tun kannst. Irgendetwas!’ Aber die Zeit war zu kurz, um herauszufinden, was dieses Etwas war. Das Wesen, jetzt wieder in Gestalt einer Schildkröte war bereits heran, neigte den Kopf mit aufgerissenem Maul herab, bereit den Herrn der beiden Länder, den Erben des Horus zu verschlingen. Es blieb Atemu nicht einmal mehr Zeit Angst zu haben, zu bedauern oder zu trauern, als er plötzlich an den Schultern gepackt empor gerissen und davongetragen wurde. Das lautlose Zuschnappen des Schildkrötenschnabels nicht mehr wahrnehmend. Vorsichtig blinzelnd öffnete Atemu die Augen, die er kurz zuvor bereits in ergebener Resignation geschlossen hatte und linste nach oben, den Kopf ein wenig in den Nacken legend. Was er sah, war glutrot schimmerndes Gefieder. Erleichterung durchströmte Atemu als er den Benu Seths erkannte, der eilig an Höhe gewinnend Richtung Stadt flog. Er war noch einmal davon gekommen. Jetzt konnte er doch noch hoffen, dass es ihm irgendwie gelang Isfet aufzuhalten, zusammen mit einem Amunpriester, der den Namen des Herrn des Chaos trug. Bevor er sich jedoch nähere Gedanken darüber machen konnte, wie Isfet bezwungen werdne konnte, warf der Vogel ihn plötzlich in die Luft, ihn im nächsten Moment mit dem Rücken wieder auffangend und gleich darauf im Sturzflug auf die Straßen der Stadt unter ihnen zu haltend. Lexikalisches post scriptum Bäume: Besonders schattenspendende, große Bäume erfuhren Verehrung, galten als Schützer der lebenden und der Toten. In Verbindung mit verschiedenen Gottheiten genossen Sykomoren, Akazien, Maulbeerbäume, Christusdorn, Palmen und Ölbäume besondere Verehrung. Ramesa: Ist die ziemlich frei interpretierte Version des korrekt wie folgt lautenden Generalstitel: jmj-rA mSa. Schawabti: Ursprüngliches Wort für Uschebti (von dem angenommen wird, dass es „Antworter“ bedeutet), das von den Ägyptern nicht mehr verstanden wurde. Uschebits sind seit etwa 2000 v. Chr. als Grabbeigaben belegt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)