Feuervogel von abgemeldet (Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt) ================================================================================ Kapitel 25: Gott und Mensch --------------------------- Nachdem Meresankh mit Akunadin gesprochen hatte, hatte sie nicht auf das Ende der Besprechung gewartet, sondern war wohl in den Harem zurückgekehrt. Statt ihr zu folgen, hatte sich Merenseth in der Nähe der königlichen Gemächer auf eine große Bodenvase gehockt und geduldig wartend darüber nachgedacht, ob es sinnvoll wäre Seth zu berichten, was sie beobachtet hatte. Würde er ihr überhaupt zuhören, wenn er erfuhr, dass es um Meresankh ging? Würde er ihr Glauben schenken? War es klug seinen Ärger herauszufordern und ihm eine weitere Enttäuschung zuzumuten oder wäre es besser zu schweigen und nur weiterhin die Augen offen zu halten? Sie war noch zu keiner Entscheidung gekommen, als sich die Tür zu den Räumen Akunemkanons erneut öffnete und die beiden Prinzen zusammen mit Seth heraustraten. Merenseth war neugierig zu erfahren, was es mit dem Kommen und Gehen des Dieners und seines erst besorgten und dann entsetzen Gesichtsausdrucks auf sich hatte. Mit einem Tschilpen flog der Vogel auf und zu den drei jungen Männern hinüber, die den kurzen Laut gehört hatten und sich zu ihr drehten. Gewohnheitsmäßig hob Seth seinen Arm, sodass der Benu darauf Platz nehmen konnte, anschließend den Arm nah an seine Schulter hebend, Merenseth so auffordernd sich dort nieder zulassen. Dann verneigte er sich dann knapp vor den beiden Prinzen und hatte sich bereits in Bewegung gesetzt, als er von Atemu noch einmal zurückgehalten wurde, der sich überrascht erkundigte: „Wohin willst du jetzt noch?“ „Zu den Ställen“ war alles was Seth erwiderte, bevor er sich endgültig auf den Weg machte, Atemu und Mahaado einfach stehen lassend. Bei seinem Ziel angekommen, suchte er sich eines der temperamentvollsten Pferde im Stall aus, zäumte es eigenhändig und führte es hinaus ins Freie. In flottem Trab durchquerte er die schlafende Stadt, brachte die Wachen am Tor dazu ihn hinaus zu lassen und ritt in die Wüste hinein. Das Pferd zu einem halsbrecherischen Galopp anspornend, Merenseth nach langer Zeit wieder einmal zu einem Wettkampf herausfordernd. Lange ritt Seth so durch die nächtliche Wüste, flog Merenseth neben ihm, ließ sich manchmal zurückfallen, schloss die Seite wechselnd wieder zu ihm auf oder flog eine Weile voraus, schließlich wieder zu ihm zurückkehrend und mit ihm auf gleicher Höhe fliegend. Sie hatten kein Ziel, an das sie gelangen wollten, bewegten sich um der Bewegung willen, nahmen Reißaus vor dem, was im Schatten des Palastes auf sie lauern mochte und kehrten für eine kurze Weile in die Zeit zurück, als Seth ein kleiner Junge gewesen war und sie zusammen das Land erkundet hatten, sorglos und frei. Schließlich jedoch begann das Pferd zu ermüden und langsamer zu werden, sodass Seth es schließlich auf einem niedrigen Felsplateau, einem Ausläufer des nahen Gebirges, zum Stehen brachte und absaß. Nachdem er dicht an den Rand der felsigen Anhöhe getreten war, sah er reglos in die Richtung, aus der sie gekommen waren und in der die Pharaonenstadt lag. Schweigend, mit leicht verengten Augen starrte Seth in die Ferne, scheinbar weder die Kälte der Wüstennacht wahrnehmend noch den beständig wehenden Wind, der an Haar und Kleidung zerrte. Nicht einmal dass Merenseth in Menschengestalt neben ihn trat, sein Schweigen teilte, geduldig abwartete, dass er aussprechen würde, was ihn beschäftigte, schien zu ihm durchzudringen. „Sened ist tot. Sechemib verschwunden.“ Erst nach einer langen Zeit beendete Seth schließlich mit diesen emotionslos ruhig gesprochenen Worten das Schweigen, noch immer in die nächtliche Dunkelheit starrend. Das dürften die Erklärungen für das Verhalten des Dieners gewesen sein, dachte Merenseth im Stillen, erkundigte sich aber nur: „Willst du, dass ich ihn suche?“ „Nein.“ Es klang endgültig. „Wenn er hinter den Überfällen steckt, wird er zurückkommen, um zu beenden, was er angefangen hat. Dann werden ihn früher oder später die Häscher Akunemkanons aufhalten. War er unschuldig oder nur als Mittelsmann beteiligt, ist er bereits tot.“ „Du glaubst nicht mehr, dass er hinter dieser ganzen Sache steckt?“ Seth blieb die Antwort auf diese Frage schuldig und so schwiegen die Beiden erneut, bis Merenseth eine weitere Frage stellte. „Was hast du jetzt vor?“ Einen Moment schien es, als würde der junge Priester auch auf diese Frage keine Antwort geben, dann jedoch gestand er ruhig ein: „Ich weiß es nicht. Übermorgen beginnt das Opetfest. Amun soll dann über das Schicksal Karims entscheiden.“ ‚Menschen!’ dachte Merenseth bei dieser Bemerkung mit unwilligem Unglauben, nur sie konnten ein von ihnen inszeniertes Schauspiel als Gottesurteil deklarieren. Sie hütete sich jedoch ein Wort dazu zu sagen. „Es wäre die Gelegenheit für den Weißhaarigen seinen Versuch, den Kronprinzen zu töten, erfolgreich zu wiederholen.“ „Du redest von Krieg.“ Seth nickte bestätigend. Die öffentliche Ermordung des Thronfolgers würde bei der momentanen Stimmung im Land nicht nur einfach eine Erschütterung bedeuten, sondern dass die verfeindeten Anhänger von Militär und Priesterschaft einen Grund erhalten würden offiziell gegeneinander vorzugehen, weil jeder dem Anderen die Schuld daran geben würde, den Erben der Doppelkrone Kemets gemeuchelt zu haben. Es würde bedeuten, dass sich plötzlich ganze Familien verfeindet gegenüber standen. Einander töteten, für die Durchsetzung ihrer Wahrheit, voller Hass aufeinander, scheinbar ohne jede Erinnerung an die Zeit als sie noch friedlich miteinander gelebt hatten. „Noch kannst du gehen“, leise klang es, fast ein wenig zaghaft. Als wäre sich Merenseth nicht sicher, ob sie den Mann neben sich mit dieser Bemerkung beleidigen würde. Wieder nickte Seth nur zustimmend, schwieg jedoch ansonsten. „Wenn du bleibst, wirst du vielleicht sterben.“ „Das müssen wir alle.“ Dieses Mal war es Merenseth, die nickte, ohne sich an dem schroffen Tonfall Seths zu stören. „Ich werde bei dir sein.“ Es war kein Versprechen, dass alles gut ausgehen würde. Keine Erinnerung, dass der Benu dem Priester verpflichtet war. Es war das schlichte Aussprechen der Tatsache, dass sie seine Entscheidung akzeptieren würde, gleichgültig wie er sich entschied. Dass sie ihn nicht im Stich lassen würde, solang sie noch zu einer Bewegung fähig wäre. Erst in diesem Moment wandte Seth ein wenig den Kopf, ihn leicht schräg neigend, während er auf die Vogelfrau an seiner Seit herabsah, und lächelte. „Dann stehen die Aussichten gut, dass du mir bald dein zu Hause zeigen wirst.“ Ernst sah Merenseth zu Seth auf, musterte ihn aufmerksam und erwiderte schließlich ohne jedes Lächeln: „Ich hoffe, nicht.“ Seths Lächeln wurde zu einem unverschämten Grinsen, „ich wusste, dass dieser ‚Ort der Seligkeit’ nicht halb so beeindruckend sein kann, wie alle glauben.“ Nun musste auch Merenseth lächeln, während sie zugleich den Kopf schüttelte. „Es war wohl zu offensichtlich.“ Seth schnaubte herablassend, „was erwartest du, wenn du dich mehr in dieser Welt herumtreibst als in deinem Paradies.“ „Eine Verbesserung dieser Welt“ konterte Merenseth gelassen, noch immer lächelnd. „Durch deine Gegenwart?“ Seth klang skeptisch, gleichzeitig eine Braue hebend. „Nein, durch deine.“ Prompt fiel die gespielte Überlegenheit des jungen Priesters in sich zusammen, während er Merenseth nur noch verblüfft anstarrte. Dann räusperte er sich verlegen und meinte bemüht souverän: „Wir sollten und langsam auf den Rückweg machen.“ Die Vogelfrau nickte zustimmend, während sie gleichzeitig vorschlug: „Lass uns fliegen.“ „Und was wird aus dem Pferd?“ „Ich werde es tragen.“ Resignierend zuckte Seth mit den Schultern, „einverstanden.“ Sie war schließlich alt genug, um zu wissen, was sie tat. Prüfend musterte Merenseth ihr Gegenüber, bevor sie ein wenig erstaunt nachhakte: „Ist es dir unangenehm von mir getragen zu werden?“ „Unsinn!“ wehrte Seth ab, nicht gewillt weiter auf das Thema einzugehen. Für einen Moment betrachtete Merensth ihn mit schräg gelegtem Kopf, schließlich mit einem belustigten Lächeln erwidernd: „Wie du meinst“, sich im nächsten Augenblick auch schon wieder in einen Vogel verwandelnd, weit größer als das sonst der Fall gewesen war. Geduldig wartete sie, bis sich Seth auf ihren Rücken geschwungen und es sich halbwegs zwischen ihren Flügeln bequem gemacht hatte. Anschließend hob sie sich in die Luft, während das Pferd bereits nervös schnaubend unruhig hin und her trappelte. Als sich der Benu im nächsten Moment wieder ein Stück herabsenkte und mit seinen Zehen nach dem Tier griff, wieherte es angstvoll, rollte panisch mit den Augen und versuchte auszuschlagen, um sich auf diese Weise zu befreien und die Flucht zu ergreifen. Erst als der Benu beruhigend gurrte und eine kurze Tonfolge pfiff, beruhigte sich das Pferd allmählich wieder und schien sich mit seinem Schicksal abzufinden, ohne dabei sonderlich glücklich zu wirken. Ein klein wenig besorgt hatte Seth das Geschehen beobachtet und musste unwillkürlich daran denken, was geschehen war, als er das letzte Mal ein Pferd verloren hatte, dass ihm nicht gehörte. Obwohl er sich über seinen eigenen Aberglauben ärgerte, war er doch erleichtert, als Merenseth das Pferd schließlich unbeschadet unweit von der Pharaonenstadt im Sand absetzte, anschließend landete und ihren Reiter absteigen ließ, um sich anschließend wieder auf ihre normale Größe zu verkleinern. In der Stadt herrschte bereits helle Aufregung. Die Karawane des hethitischen Gesandten war gesehen worden und sollte gegen Mittag in der Stadt ankommen, um die mit Kemet abgeschlossenen Handels- und Friedensverträge zu bestätigen und zu verlängern. Der Gesandte König Hattuschilis sollte keine Zweifel darüber hegen, dass es von Vorteil war die friedlichen Handelsbeziehungen mit Kemet aufrecht zu erhalten und so war die gesamte Stadt auf den Beinen, um die letzten Vorbereitungen zu treffen und die Karawane gebührend zu empfangen. Anders als sonst, herrschte an diesem Mittag in der Stadt keine träge, verschlafene Stille, sondern gespannte Erwartung. Neugierige hatten sich am Rand der Prunkstraße versammelt, durch die die Karawane zum Palast geführt werden würde. Staunend beobachtete die Menge den prächtigen Tross aus Pferden, Maultieren, Wagen und Menschen, dem ein Trupp ägyptischer Soldaten voran ritt. Neugierig raunten sie sich Bemerkungen über drei in der Karawane befindliche langbeinige Tiere mit braunem Fell und einem oder zwei Höckern zu, die gemächlich dahintrotteten, als würde sie das Staunen, dass sie auslösten, nicht im geringsten verwundern oder interessieren. Neben dem Gesandten, seiner Frau und zwei weiteren hochrangigen, hethitischen Adligen ritten Mahaado und zwei weitere ägyptische Höflinge, die der Karawane zusammen mit den Soldaten entgegen geritten waren und sie nun eskortierten. Akunadin war dagegen gewesen, dass ausgerechnet Mahaado zu jenen gehörten, die den Gesandten als Erste begrüßten, hatte sich in diesem Fall jedoch gegen seinen Bruder nicht durchsetzen können. Im Vorhof des Palastes angekommen, wurde die Karawane bereits von Akunadin erwartet, der zusammen mit Kakau, der den verschwundenen Sechemib ersetzte, sowie Seth und einigen Dienern, am Eingang des Palastes stand und dem Gesandten entgegen ging, sobald dieser von seinem Pferd gestiegen war. „Benteschina, willkommen. Es tut gut zu sehen, dass in Hatti weisen Männern wieder Gehör geschenkt wird.“ Der Angesprochene verneigte sich bei dieser Begrüßung dankend, gleich darauf mit einem Lächeln erwidernd: „Sei gegrüßt, Akunadin. Es ist schön wieder einmal in Kemet sein zu dürfen. Beinahe bin ich versucht, auf schwierige Verhandlungen zu hoffen, um längere Zeit hier verbringen zu können.“ Auch Akunadin lächelte, „du hast wahrlich eine gute Zeit für deinen Besuch gewählt. Es wäre mir eine Ehre dich auch weiter unseren Gast nennen zu dürfen, wenn die Erneuerung der Verträge abgeschlossen ist.“ Noch während sich Benteschina erneut für die Freundlichkeit bedankte und sich anschließend nach dem Befinden Akunemkanons, Atemus und Akunadins erkundigte, forderte dieser den hethitischen Gesandten mit einer Geste auf ihn zu begleiten, gefolgt von den hethitischen Adligen, Mahaado und dessen Begleitern, während sich Kakau, Seth und die Diener den restlichen Mitgliedern der Gesandtschaft annahmen. Während im Thronsaal die hethitischen Gesandten von Akunemkanon und seinem Sohn willkommen geheißen wurden, hatten Kakau und Seth dafür zu sorgen, dass die mitgereisten Schreiber, Diener, Tierpfleger und die Tiere selbst untergebracht und versorgt wurden. Seth hatte sich als letztes darum gekümmert, dass auch die gelangweilt wiederkäuenden, langbeinigen Höckertiere einen Platz in den Ställen erhielten und war nun auf dem Rückweg in das Innere des Palastes, als er von hinten angesprochen wurde. „Du bist ganz schön vergesslich geworden.“ Verwundert drehte sich Seth zu der Stimme in seinem Rücken herum und sah einen etwa zwölfjährigen Jungen mit lachenden, dunklen Augen und ebenso dunklen Haaren, die offenbar jedem Versuch sie zu bändigen erfolgreich Widerstand geleistet hatten. „Mukisanu?!?“ Vollkommen verblüfft starrte der junge Priester auf den ehemaligen Straßenjungen. „Höchstselbst und in eigener Person“, bestätigte der Junge mit stolz gereckter Brust und einem so breiten Grinsen im Gesicht, dass selbst die ägyptische Sonne dagegen zu verblassen schien. Davon völlig unbeeindruckt, verlangte Seth noch immer fassungslos und wenig erfreut zu wissen: „Was machst du hier?“ Das Grinsen in Mukisanus Gesicht verlor etwas von seiner Strahlkraft, während sich erste Verunsicherung in seinen Augen widerspiegelte, trotzdem erwiderte er bewusst forsch: „Ich gehöre jetzt zu den Pferdepflegern Benteschinas von Amurru. – Hier, ich hatte dir versprochen, ihn dir zurück zu geben.“ Damit hielt Mukisanu dem Priester ein ordentlich gefaltetes Stück Stoff entgegen, dass er bis zu diesem Moment hinter seinem Rücken verborgen gehalten hatte. Seth warf nur einen Blick darauf, erkannte den Umhang aus Kranichfedern und erwiderte: „Behalte ihn, er gehört dir.“ Wortlos ließ Mukisanu seine Hände mit dem Umhang sinken, während das Grinsen in seinem Gesicht gänzlich verschwunden war. Peinliches Schweigen herrschte zwischen den Beiden. Enttäuscht hatte Mukisanu den Blick abgewandt und schien nach einem Vorwand zu suchen, Seth wieder allein zu lassen, während dieser den Jungen vor sich nachdenklich musterte. Seltsam, in all der Zeit hatte er an Mukisanu immer als kleinen, drahtigen Jungen mit schmutzigem Gesicht gedacht. Nun stand vor ihm ein Junge, der in Kemet bereits zu den Erwachsenen zählen würde, der dem Aussehen nach nur noch geringe Ähnlichkeit mit dem Kind von damals hatte und doch hatte er ihn sofort wieder erkannt. „Was ist aus Urija und den anderen geworden?“ erkundigte er sich schließlich und erhielt augenblicklich wieder die gesamte Aufmerksamkeit Mukisanus, der nun seinerseits überrascht wirkte. „Weiß nicht“, erwiderte der Junge dann mit einem wegwerfenden Schulterzucken, „nachdem du weg warst, haben sie entschieden, dass ich nicht mehr ihr Anführer bin, sondern Urija, also bin ich weg und hab mich eine Weile allein durchgeschlagen. Dann hab ich eines Tages Arnuwanda getroffen, er ist der Stallmeister Benteschinas. Ich hab eine Wette gegen ihn gewonnen und seitdem arbeite ich für das Haus Amurru.“ „Das Amulett hat gute Arbeit geleistet“, stellte Seth trocken fest, ein amüsiertes Grinsen auf den Lippen. „Hah! Von wegen, das hab ich allein geschafft!“ erwiderte Mukisanu bestimmt, während das Lächeln in sein Gesicht zurückkehrte, eindeutig erleichternd wirkend. „Aber was ist mit dir, was machst du hier im Palast, hast du nicht gesagt du lebst in einem Dorf?“ Seth nickte bestätigend, „das habe ich. Inzwischen bin ich ein Priester des Amun.“ „Und die leben im Palast?“ Mukisau schien zwischen Staunen und Skepsis hin und hergerissen. „Nur in Ausnahmefällen.“ „Und du bist eine Ausnahme?!“ Seth nickte nur zustimmend, den Jungen anschließend auffordernd ihn zu begleiten, sich auf dem Weg erkundigend, ob Mukisanu sich am nächsten Tag die Eröffnung des Opetfestes ansehen wolle. „Klar“, lautete die begeisterte Antwort. Der die Frage folgte, ob sie sich das Ganze zusammen ansehen könnten. Als Seth erwiderte, dass das nicht möglich wäre, wirkte Mukisanu zunächst enttäuscht, war aber gleich darauf, beeindruckt zu hören, warum es nicht möglich war, kaschierte das jedoch gekonnt durch die flachsende Bemerkung: „Pass bloß auf, dass du keine Fehler machst, sonst fällt uns am Ende noch der Himmel auf den Kopf.“ Seth gab darauf nur ein ungläubig, abfälliges Geräusch von sich, ehe er erwiderte: „Eher wird dich ein Blitz erschlagen, Ungläubiger.“ „Von wegen Ungläubiger. Ihr seit diejenigen mit den falschen Göttern, schließlich haben wir den letzten Krieg gewonnen.“ „Das Gleiche erzählen sich die Leute hier“ konterte Seth mit einem abfällig zynischen Lächeln. „Sieht nicht so aus, als würdest du ihnen glauben“, skeptisch sah Mukisanu zu dem Priester auf, der darauf nur die ausweichende Antwort gab: „Ich denke, Götter existieren unabhängig von menschlichen Kriegen.“ „Hm, muss wohl so sein“ brummelte Mukisanu nachdenklich, bevor er das Thema wechselte und sich erkundigte, wo eigentlich Merenseth stecken würde. „In meinem Zimmer. Ich bringe dich später zu ihr.“ Sich damit zufriedengebend, grinste Mukisanu erfreut und nickte einverstanden, gleich darauf neugierig nachfragend, wohin sie denn in diesem Moment eigentlich überhaupt gehen würden. Statt zu antworten, befahl Seth dem Jungen nur kurze Zeit später auf ihn zu warten und verschwand anschließend hinter der Tür die zu den Frauengemächern des Palastes führte. Interessiert besah sich Mukisanu, während er wartete, die üppigen Wandmalereien und begutachtete den aufgestellten Zierrat. Es war das erste Mal, dass er sich im Inneren eines Palastes befand, in Gegenwart Seths hatte er sich jedoch nicht die Blöße geben wollen beeindruckt zu wirken, schon gar nicht angesichts der Tatsache, dass der Priester die ganzen Kostbarkeiten gar nicht wahr zu nehmen schien. Mukisanu war gerade dabei die gedrungene Figur einer Statue mit erregiertem Glied, übergroßem Kopf, fratzenhaftem Gesicht und Bart näher zu untersuchen, als Seth in Begleitung eines weißhaarigen, schüchtern wirkenden Mädchens zurückkehrte und Mukisanu sich hastig bemühte so zu tun, als sähe er tierohrige Gnomenfiguren, die durch Schnitzkunst und Bemalung geradezu lebendig wirkten, alle Tage. Ein wenig verblüfft starrte er im nächsten Moment unverhohlen auf die weißen Haare des Mädchens und erkundigte sich, nachdem Seth die Beiden einander vorgestellt hatte, sehr direkt: „Warst du krank?“ Kisara schaute verlegen zu Boden, während sie nur wortlos den Kopf schüttelte. „Wieso hast du dann weiße Haare?“, erkundigte sich Mukisanu fasziniert, unempfindlich gegen das offensichtliche Unbehagen des Mädchens. „Ich wurde so geboren“, leise und scheu klang die Antwort, während Kisara nervös ihre Finger ineinander verschlang. „Ach so“, Mukisanu klang enttäuscht, dass er keine spannende Geschichte zu hören bekommen würde, und schien plötzlich alles Interesse an der ungewöhnlichen Haarfarbe verloren zu haben. Vorsichtig hob Kisara ein wenig den Kopf, dem hethitischen Jungen einen prüfenden Blick unter gesenkten Lidern zu werfend, bevor sie noch immer zaghaft, aber bereits mit etwas mehr Zutrauen fragte: „Dir gefällt Bes?“ Verständnislos starrte Mukisanu Kisara an, „wer?“ Mit wachsendem Mut hob Kisara den Kopf noch ein Stück weiter, während sich ihre Schultern strafften und ihre Mundwinkel sich zu einem freundlichen Lächeln verzogen. „Bes“, mit unbewusster Grazie wies Kisaras Hand auf die Statue, die Mukisanu zuvor so genau betrachtet hatte. „Na ja, er sieht ein bisschen komisch aus, findest du nicht?“, lautete die von einem gleichgültigen Schulterzucken begleitete Antwort des Jungen. „Doch“, nickte Kisara zutraulich, fröhlich lächelnd, „aber du darfst ihn nicht beleidigen. Er sieht vielleicht nicht so aus, aber er ist ein mächtiger Schutzgeist. Wenn du ihn verärgerst wird er dich deiner Geschlechtskraft berauben.“ Mukisanu wirkte skeptisch, wollte es aber dennoch nicht riskieren, den Wahrheitsgehalt dieser Bemerkung zu testen und so sah er nur fragend zu Seth, um in Erfahrung zu bringen, was er davon hielt. Seth hatte mit einiger Verblüffung beobachtet, dass Mukisanu auf Kisara offenbar die gleiche Wirkung hatte, wie damals bei ihrer ersten Begegnung auf ihn. Sein Erstaunen dauerte allerdings nur kurz, dann erklärte er, ohne auf das Geplänkel zwischen den Beiden einzugehen: „Kisara wird dich morgen begleiten, wenn du dir den Festumzug ansehen willst.“ „Ich komm schon allein zurecht“, versuchte Mukisanu abzuwehren, der eigentlich keine Lust hatte, bei seinem Streifzug auf ein Mädchen Rücksicht nehmen zu müssen. „Sie kennt sich hier besser aus als du. Ohne sie wirst du wahrscheinlich nichts anderes als Rücken zu sehen bekommen.“ Mukisanu seufzte schwer, fügte sich aber dem durchdringenden Blick, mit dem Seth ihn anstarrte und brummelte: „schön, meinetwegen.“ Sich gleich darauf an Kisara wendend und sich erkundigend wann und wo sie sich am nächsten Tag treffen wollten. Sobald das erledigt war, trennten sich ihre Wege wieder, Kisara kehrte zurück an ihre Arbeit und die beiden Jungen machten sich, wie von Seth versprochen, auf den Weg zu Merenseth. Diese hockte, den Kopf unter einem Flügel geborgen, schlafend auf ihrer Stange und ließ zunächst ein verschlafenes Tschilpen hören, nachdem sie von den Jungen geweckt und ihren Kopf unter dem Flügel hervorgezogen hatte. Als sie erkannte, dass Mukisanu vor ihr stand, streckte sie den Hals vor, rieb ihren Kopf an der Wange des Jungen und zupfte ihn anschließend zur Begrüßung an einer Harrsträhne. Mukisanu grinste breit, während er erklärte: „Du hast dich kein bisschen verändert, altes Mädchen.“ Gekränkt hoben sich augenblicklich die Schopffedern, des Benu und er ließ ein empörtes Tschilpen hören. Erstaunt sah Mukisanu zu Seth, „hab ich was Falsches gesagt?“ Seth grinste, „nein, sie verträgt nur manchmal die Wahrheit nicht.“ Entrüstet plusterte Merenseth sich auf und schlug aufgeregt mit den Flügeln, während Seth mit einem noch breiter werdenden Grinsen seinen Worten hinzufügte: „Sie ist unglaublich eitel.“ Vollends beleidigt, stieß Merenseth einen kurzen Pfiff aus und drehte sich auf der Stange herum, sich den Anschein gebend, jeden Moment aus dem Fenster und davon fliegen zu wollen. Sie wurde jedoch hastig daran gehindert, indem Mukisanu ihre langen Schwanzfedern packte und erklärte: „Ich hab’s nicht so gemeint, sei nicht beleidigt. Ich freu mich dich wiederzusehen.“ Merenseth wandte zunächst nur ihren Kopf, um den Jungen anzusehen. Tschilpte einmal kurz und drehte sich schließlich erneut auf der Stange, sodass sie den Jungen nun wieder ihre Vorderseite zuwandte, während Mukisanu augenblicklich die Schwanzfedern losließ, erleichtert grinste und bat: „Können wir einen Rundflug über die Stand machen?“ Fragend sah der Benu zu Seth, der nickte lediglich zustimmend, während er die Beiden ermahnte, sich nicht erwischen zu lassen. Während der junge Priester anschließend zu seinen Pflichten zurückkehrte, trug der Jüngste der hethitischen Pferdepfleger den Benu des Herrn der beiden Länder auf seinem Arm durch den Palast und genoss kurz darauf das Gefühl nach langer Zeit scheinbar schwerelos dahinfliegend die Welt von oben betrachten zu können. Heller, klarer als sonst schien die Sonne am nächsten Morgen zu strahlen, als wäre sie sich der Bedeutung dieses Tages bewusst und wollte ihren Teil zum Gelingen beitragen. Schon früh hatte sich eine große Menschenmenge vor dem Haupttempel des Amun im Norden der Stadt versammelt und wartete gespannt auf das Erscheinen des Gottes, seiner Gemahlin Mut und ihres gemeinsamen Sohnes Chons. Soldaten sorgten dafür, dass die Menge eine breite Gasse frei ließ, durch die die Prozession zum Fluss gelangen würde. Den Anfang des Festzuges bildeten die Gebete singenden und Palmwedel tragenden Reinigungspriester, in ihren zeremoniellen Gewändern, den aufwendig gearbeiteten Perücken und der kostbaren Schminke bereits für beeindrucktes Raunen sorgend, ihnen folgten Sänger und Musiker, die in perfekter Harmonie den Göttern Lobpreis sangen. Klar und laut klangen ihre Stimmen, mit denen sie einen Klangteppich webten, auf dem die nubischen Tänzer anmutig von der Größe, Weißheit und Stärke der Götter erzählten. Darauf erst wurden schließlich die Kultbilder Amuns, Muts und Chons sichtbar, die jeder für sich auf einem Tragschrein in Barkenform ruhten und auf den Schultern ausgewählter Priester durch die jubelnde Menge getragen wurden. Den Schluss der Prozession bildeten der König und sein Gefolge, in dem sich zum Erstaunen von vielen Beobachtern, direkt neben ihrem Bruder, auch Isis, die Frau Karims befand. Die einen glaubten, sie nehme als Unterpfand für Karims Wohlverhalten teil, die anderen sahen darin ein Zeichen der nach wie vor bestehenden Wertschätzung des Oberbefehlshabers durch den König. Bei der Anlegestelle am Flussufer angekommen, verteilten sich die Teilnehmer der Prozession auf die bereitstehenden Boote. Den Mittelpunkt der Flotte bildeten die drei Boote, in denen sich gut sichtbar für alle die Schreine der drei Götter befanden. Obwohl Schleppboote dafür sorgten, dass die Boote der Prozession flussaufwärts, Richtung Süden fahren konnten, waren traditionell Taue von den Schiffen der Götter zum Ufer gespannt worden, sodass Hunderte von Menschen, jeder der ein Stück Seil ergattern konnte, dabei halfen, Amun und seine Familie zum zweiten großen Heiligtum der Pharaonenstadt zu geleiten, zu Amuns südlichem Harem, wie es genannt wurde. Während der ganzen Zeit spielten und sangen die Musikanten gemeinsam mit der Menge und im Wechsel mit den Gebeten der Priester, war die Luft erfüllt von Scherzen, Lachen und Anfeuerungsrufen. An der südlichen Anlegestelle angekommen, verließ die Prozession schließlich wieder die Schiffe und zog langsam durch die Menge in den Tempel. Vorbei an langen Tischen, die gefüllt waren mit Opfergaben, Blumen und Früchten. Im Inneren des Heiligtums angekommen, wurde die göttliche Familie von ausgewählten Persönlichkeiten begrüßt, die diese Ehre als Anerkennung für ihre Dienste zugewiesen bekommen hatten, gefolgt von weiteren Tänzen und dem symbolischen Darbringen einzelner Opfergaben. Schließlich war es soweit: Der Erbe des Horus würde durch das Priesterorakel des Amun Zustimmung oder Ablehnung für anstehende Entscheidungen erfahren. Gespannte Stille senkte sich auf die Versammelten herab, während im Mittelpunkt des Tempelinnenhofs, unweit vom Sitzplatz des Herrschers, die Barke des Amun auf den Schultern von vier Priestern ruhte. Würde sich die Barke auf die Frage Akunemkanons nach vorn neigen, so bedeutete es die Zustimmung des Gottes, neigten sich Kultbild und Barke dagegen zurück, so war das gleichbedeutend mit einer Ablehnung. Angespannt ließ Isis den Schrein des Gottes nicht aus den Augen, als sie hörte wie der Herr der beiden Länder das Orakel fragte, ob Karim unschuldig sei, unbewusst die Hand ihres Bruders so fest umklammernd, dass dieser unwillkürlich das Gesicht verzog, bevor er mehr um sie zu beruhigen, als dass er tatsächlich von einem guten Ausgang überzeugt war, den Druck ihrer Hand tröstend und aufmunternd zugleich erwiderte. Isis schien es nicht einmal zu bemerken, denn in diesem Moment begann sich langsam, fast unmerklich die Barke zu neigen. Ein Raunen erhob sich unter den Zuschauern, als sich wider aller Erwartung die Barke des Amun nach vorn bewegte. Wispernd und flüsternd stellten die Menschen Vermutungen an, was diese Entscheidung zu bedeuten haben mochte. War es wirklich möglich, dass Karim unschuldig war? Hatte Akunadin seine Finger im Spiel und wollte es sich mit seinem Bruder nicht verderben? Isis hörte nichts von alledem, sie starrte fassungslos auf den Schrein des Gottes und konnte nicht glauben, dass in diesem Moment alle ihre Sorgen zu Nichts zerfallen waren. Karim frei gesprochen worden war, von höchster Stelle. Erst der erneute Druck von Mahaados Hand auf ihre, weckte sie aus ihrer Starre, ließ sie zu ihrem Bruder blicken und sie dort ihre eigene Überraschung widergespiegelt sehen. Dann jedoch grinste Mahaado jungenhaft, während er flüsterte: „Vielleicht haben wir uns ja geirrt und Akunadin hat doch mehr Ähnlichkeit mit seinen Verwandten, als wir dachten.“ Das strahlende Lächeln in Isis Gesicht, machte ohne alle Worte klar, was sie in diesem Moment empfand: Grenzenlose Erleichterung und ein kitzelndes Glücksgefühl, dass sie zwang sich auf die Mundwinkel zu beißen, um nicht vor Freude laut auf zu lachen. Unterdessen hatte Akunemkanon dem Orakel seine zweite Frage gestellt, ob sein Sohn als Mitregent akzeptiert würde. Die Antwort kam dieses Mal schnell und eindeutig: Er wurde. Freudig jubelte die Menge, während man dem Prinzen eine Schale reichte, die mit einem Gemisch aus Milch und Nilwasser gefüllt war. Isismilch, die daran erinnerte, dass die Mutter des Horus auch die Mutter all seiner Nachfolger war und diese mit ihrer Milch genährt hatte. Nachdem er getrunken hatte, verneigte sich Atemu ehrerbietig vor den Bildern der drei Gottheiten und legte den Schwur ab Kemet zu schützen, den Willen der Götter zu befolgen und stets die Maat aufrecht zu erhalten. Nachdem die Würdenträger des Reiches dem Mitregenten des Herrschers Gehorsam und Treue geschworen hatten, die Priester des Amun den Segen für den Herrn der beiden Länder, seinen Sohn und alle Bewohner Kemets erbeten hatten, war es erneut an den Sängern, Tänzern und Musikanten die Götter zu preisen, den König und seinen Mitregenten zu ehren. Anschließend begannen die eigentlichen Feierlichkeiten, die mehrer Tage dauern würden. Bevor Akunemkanon und sein Gefolge in den Palast zurückkehrten, um dort ebenfalls das Opetfest zu feiern, verdeutlichten sie ihre Verbundenheit mit dem Volk, indem sie von den hergerichteten Speisen aßen, sich eigens für diesen Tag einstudierte Darbietungen ansahen und mit viel Gefühl und Pathos vorgetragenen Lobhymnen lauschten. Es war bereits später Nachmittag, als sie sich schließlich auf den Rückweg machten, ihren Weg vorsorglich von Soldaten gesäumt, die dafür sorgen sollten, dass der Zug des Königs nicht aufgehalten oder behindert wurde. Akunadin war seinem Amt als Hohepriester entsprechend im Tempel zurückgeblieben, um die Einkehr der Götterbilder in das Allerheiligste des Tempels und die Verteilung der Opfergaben zu überwachen, während sich Benteschina und seine Begleiter unter die Feiernden gemischt hatten. Ebenso wie in der Nähe des südlichen Amuntempels herrschte auch in der Stadt fröhlich buntes Treiben, feierten die Menschen jeder auf seine Art die Größe und Gnade Amuns und seiner Familie. Der Königszug befand sich bereits auf der breiten Straße, an dessen Ende sich die Palastanlage erstreckte, als plötzlich vor den ersten Reitern der festgestampfte Erdboden aufbrach, sodass die Pferde panisch wieherten, zu steigen versuchten und die Flucht ergriffen hätten, wenn sie nicht von den Menschen auf ihrem Rücken mühsam daran gehindert worden wären. Unterdessen hatte sich aus dem geöffneten Erdreich ein riesiges, graulich grünes Wesen mit geschupptem Leib erhoben. Sanft schwankte der Körper des mächtigen Tieres hin und her, während es das entsetzte Starren der Menge um sich und die abrupte, verängstigte Stille gar nicht wahrzunehmen schien, sondern sich darauf konzentrierte eine bestimmte Person zu finden, dabei immer wieder mit der Zunge die Luft auf die verschiedenen Gerüche hin überprüfend. Dann hatte das Wesen gefunden, wonach es suchte, stieß in einem blitzartigen Angriff herab und verbiss sich im nächsten Augenblick auch schon mit seinen kräftigen Kiefern in der Schulter Akunemkanons, der nur ein entsetztes Keuchen hervorbrachte, bevor er versuchte sich instinktiv an irgendetwas festzuhalten, um nicht unter Druck und Schmerz vom Pferd zu fallen und im Staub zu liegen. Für einen Moment schienen die Menschen wie erstarrt, während sie voll ungläubigen Entsetzens auf das Schauspiel vor sich sahen. Der Gottkönig Kemets, der Erbe des Horus und Hüter der beiden Länder wurde von einem Uräus, einem Garanten der königlichen Macht angegriffen. Hatte Akunemkanon den Zorn der Krongöttin Unterägyptens auf sich geladen, dass diese ihn nun auf so schreckliche Weise strafte? Aber wie konnte so etwas geschehen, wenn nur wenige Stunden zuvor Amun selbst durch das Orakel seine Zufriedenheit mit dem Erbe des Horus kundgetan hatte? War es vielleicht Apepis selbst, der sich aus dem Jenseits befreit hatte, um Akunemkanon zu töten und Kemet ins Unglück zu stoßen? Noch während ein Teil der Zuschauer versuchte zu begreifen, was sie da gerade sahen, andere instinktiv die Flucht ergriffen, um nicht selbst den Zorn des Schlangenwesens zu spüren zu bekommen, während wieder andere entsetzt auf die Knie sanken und die Götter um Gnade anflehten, hatte der Uräus seinen Klammerbiss gelöst und seine Aufmerksamkeit einigen Soldaten zugewandt, die heraneilten, um ihren Herrn zu schützen. Es blieb bei dem Versuch. Sie starben schreiend im Feuer, das die Schlange spie, bevor sie sich auch schon wieder Akunemkanon zuwandte und erneut herabstieß, die nun endgültig ringsum ausbrechende Panik und die in blinder Flucht Rettung suchenden Menschen noch immer nicht beachtend. Ein hässliches Knacken folgte, das Atemu in dieser bizarren Situation überlaut vorkam, während er fassungslos mit ansehen musste wie sein Vater für einen Wimpernschlag leblos halb im Maul der Schlange baumelte, bevor diese ihn achtlos zu Boden fallen ließ und sich ihm selbst zuwandte. Ohne darüber nachzudenken, sprang der Kronprinz von seinem Pferd, das nun ohne denjenigen, der es ruhig gehalten hatte, verängstigt davon preschte, die Nervosität der anderen Tiere noch einmal steigerte und einige von ihnen dazu brachte ebenfalls durchzugehen. Während Atemu zu seinem Vater hinüber lief, in der aussichtslosen Hoffnung, noch irgendetwas für ihn tun zu können. Beinahe hätte er gleich darauf das Schicksal seines Vaters geteilt, hätten nicht im letzten Moment drei überlebensgroße, kauernde Hundegestalten einen schützenden Ring um ihn und seinen Vater gebildet. Wütend zischte das Schlangenwesen, als es so kurz vor seinem Ziel plötzlich gestoppt wurde und attackierte angriffslustig die reglosen Wächter, die nichts von den heftigen Angriffen der Schlange zu spüren schienen. Anders als diejenigen, die sie gerufen hatten. Unwillkürlich schnappten Mahaado, Isis und Seth nach Luft, als die ungezügelte Wut des Uräus sich über den Dämonen entlud und diese sich mit Hilfe des Ka derer, die sie gerufen hatten, dagegen schützten. Die Ordnung des Königszuges war längst dem herrschenden Durcheinander gewichen, Viele waren ebenso wie die noch vor kurzem so fröhliche Zuschauermenge in heilloser Angst geflohen, andere lagen reglos am Boden, Opfer der kopflosen Panik. Shimon gehörte zu den wenigen des königlichen Gefolges, die nicht Reißaus genommen hatten. Und der nun unauffällig zwischen den noch immer stillschweigend Widerstand leistenden Caniden hindurch schlüpfte und sich gegenüber von Atemu, neben den leblosen Körper Akunemkanons kniete. Während Mahaado den von ihm gerufenen Upuaut angreifen ließ, erkannte Shimon, dass er dem ehemaligen Herrscher Kemets nicht mehr helfen konnte, dieser bereits seine Reise in das Jenseits angetreten hatte. Voller Trauer sah der alte Hofarzt auf Akunemkanon herab, während Hund und Schlange in einander verbissen gegen einander kämpften, die breite Prunkstraße in einen staubigen Nebel hüllten und alles in Trümmer gehen ließen, was ihnen zu nahe kam. Der Erbe des Horus war für Shimon mehr als nur der Garant für das Bestehen Kemets gewesen. Über lange Jahre waren sie Vertraute gewesen, manchmal mehr wie Freunde, Vater und Sohn, als Herrscher und Arzt. Shimon war immer der Überzeugung gewesen, dass er als erster von ihnen beiden sterben würde. Nun war er es, der zurückblieb und dem künftigen König sagen musste: „Du hast keine Zeit zu trauern, nicht jetzt. Kehre in den Palast zurück und lass so schnell wie möglich die Krönung stattfinden, sonst wird Kemet untergehen.“ Mit tränenblinden Augen, voller Verständnislosigkeit blickte Atemu den alten Hofarzt an. Er hatte gerade seinen Vater verloren, wie sollte er in so einem Moment an Politik denken?! Unterdessen war es Upuaut gelungen, den Uräus vorerst in die Flucht zu schlagen. Zischend vor Hass und Unzufriedenheit verschwand das Wesen dorthin, woher er gekommen war, lösten sich die dämonischen Wächter in Luft auf und stützte sich Mahaado nach Atem ringend auf seinen Knien ab, während er einige unflätige Verwünschungen murmelte. Irgendjemand sorgte dafür, dass Diener herbei liefen, die den Leichnam des Königs in den Palast trugen, während Atemu sich in einem merkwürdig traumartigen Zustand bewegte, als würde er schlafwandeln. Er schien nicht zu bemerken, wie sich ihm Seth und Mahaado näherten, ihn wortlos in ihre Mitte nahmen und begleiteten. Irgendetwas in ihm weigerte sich zu begreifen, was geschehen war, wollte es nicht wahrhaben, während gleichzeitig die Frage in seinem Kopf zu rumoren begann: Warum? Was hatte sein Vater getan, das er an diesem Tag und auf diese Weise hatte sterben müssen? Hatte er nicht stets versucht das Beste für Kemet zu tun, Maat zu stärken und aufrechtzuerhalten? Das Land und seine Bewohner vor allem zu schützen, dass ihnen gefährlich werden konnte? „Warum?“ Er merkte erst, dass er die Frage laut gestellt hatte, als er hörte wie Mahaado grimmig erwiderte: „Wir werden den Weißhaarigen finden, er wird die Antwort wissen und anschließend seine Strafe erhalten.“ Schweigend starrte der Kronprinz seinen Freund eine lange Zeit reglos an, bevor er schließlich langsam, mechanisch nickte und seinen Blick fragend zu Seth wandte, der abwartend die Szene beobachtet hatte. „Was ist mit dir?“ Ohne dem Blick des Prinzen auszuweichen oder zu zögern, erwiderte der Priester auf diese Frage sachlich: „Ich werde euch helfen.“ Wieder nickte der Prinz, rieb sich dann über die Stirn, als könne er auf diese Weise die Gedanken an den erlebten Albtraum vertreiben und erklärte stockend und unzusammenhängend: „Shimon. Die Krönung. Akunadin soll alles so schnell wie möglich vorbereiten.“ Seth verneigte sich darauf nur wortlos und verließ im nächsten Moment auch schon den Raum, in den sie den Prinzen geführt hatten, als sie in den Palast zurückgekehrt waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)