Feuervogel von abgemeldet (Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt) ================================================================================ Kapitel 18: Einsichten ---------------------- Seth kehrte gerade aus den Baderäumen zurück, als ihn Sechemib ansprach, der ihm entgegen gekommen war, offenbar auf der suche nach ihm, denn er erklärte: „Ah, da bist du ja. Ich habe gehört, dass du noch immer von deinen Aufgaben befreit bist. Aber da du dich Gestern schon in der Stadt herumgetrieben hast, scheint es dir hier langweilig zu werden. Also dachte ich, du hast vielleicht Lust mich zu begleiten und ein wenig zu sehen, wie es im Land zugeht.“ Seth wirkte bei diesem Angebot ein wenig überrascht, nickte anschließend jedoch nur wortlos und begleitete den Priester gleich darauf. Auf dem Weg zu den Stallungen erkundigte Sechemib sich, ob Seth reiten könne und befahl kurze Zeit später, als sie bei ihrem ersten Ziel angekommen waren, einem der dort befindlichen Diener ein weiteres Pferd für den Jungen zu satteln. Während Seth noch auf sein Reittier wartete, schwang sich Sechemib bereits etwas linkisch auf das für ihn bestimmte Pferd, das nicht nur einen ungelenken Reiter zu tragen haben würde, sondern zusätzlich mit einigen geheimnisvollen Säcken beladen war. Sobald auch Seth auf dem Rücken eines Pferdes saß, verließen sie das Palastgelände und wenig später auch die Stadt. Kurze Zeit darauf erreichten sie eines der Handwerkerdörfer, die stets in der Nähe der königlichen Begräbnisstätten entstanden, dauerte es doch viele Jahre diese Wohnstätten der Ewigkeit für die Herrscher zu errichten. Ohne Seth zu erklären, was sie in diesem Dorf wollten, ritt Sechemib durch die Stadt, sich nur hin und wieder bei einem Passanten nach dem Weg erkundigend. Schließlich hielten sie vor einem kleinen, etwas heruntergekommen wirkenden Lehmhaus und Sechemib stieg mühsam von seinem Pferd, um im nächsten Moment einen der Säcke von dessen Rücken zu zerren. Im nächsten Augenblick klopfte er an die Tür der Hütte, der hochschwangeren Frau, die wenig später öffnete, den Sack mit den salbungsvollen Worten überreichend: „Der oberste Priester des Amun hat von deiner schwierigen Situation erfahren und möchte dir deshalb dies hier schenken. Auch wenn er weiß, dass dein Mann dadurch nicht wieder lebendig wird und es den Schmerz nicht lindern kann.“ Die Frau starrte den Priester verwundert an, bevor sie sich sichtlich einen Ruck gab, sich höflich bedankte und den Priester bat, ihr den Sack ins Haus zu tragen. Als der Priester die Bitte der Frau erfüllt hatte und das Haus wieder verließ, um erneut sein Pferd zu besteigen, hielt ihn die Frau mit der Frage zurück: „Kannst du mir sagen, wie lang er noch so zur Schau gestellt wird und wann ich ihn bestatten darf?“ Mit mitfühlendem Gesichtsausdruck und höflicher Zurückhaltung verneinte Sechemib diese Frage, erklärte jedoch, dass er alles in seiner Macht stehende tun würde, um der Frau diese Sorge so bald wie möglich zu nehmen. Noch einmal bedankte sich die Schwangere daraufhin bei dem Priester, bevor Sechemib und Seth ihren Weg fortsetzten und die Frau wieder in ihrem Haus verschwand. Dieses Schauspiel wiederholte sich noch zwei Mal in ähnlicher Weise, bevor sie das Handwerkerdorf wieder verließen, ohne jedoch in die Stadt zurückzukehren. Seths Rücken hatte während des Reitens wieder begonnen zu schmerzen, war die Fortbewegung auf einem Pferderücken doch nicht halb so bequem wie auf dem Rücken seines Benu. Dieser flog von Zeit zu Zeit neben ihm her flog, wenn er nicht hinter Seth auf dem Hinterteil des Pferdes saß und sich ebenfalls durch die Gegend tragen ließ. Doch nicht der Versuch sich von den Schmerzen in seinem Rücken abzulenken veranlasste Seth sich bei seinem Begleiter zu erkundigen, was es mit den eben erlebten Vorgängen in dem Handwerkerdorf auf sich hatte, sondern ehrliche Neugier und Verwunderung darüber, dass ein Mann wie der Tjt tatsächlich so etwas wie Güte zu besitzen schien. Die erklärenden Worten Sechemibs waren allerdings nicht dazu angetan Seths Verwunderung zu mindern. „Die Gesetze eines Landes zu beachten ist notwendig, um die Ordnung und das Wohlergehen aller zu erhalten Aber das heißt nicht, dass da wo es möglich ist nicht auch Gnade geübt wird. Der Tjt mag grausam erscheinen, aber er denkt stets zuerst an das Volk Kemets und deshalb ist er auch für den Erben des Horus ein unersetzbarer Vertrauter und Berater.“ Nachdem der Priester seine Erklärung beendet hatte, ritten er und sein Schüler eine zeitlang schweigend über die Ebene, bis sie schließlich zu den Ruinen eines ehemaligen Dorfes gelangten, bei denen der Priester sein Pferd erneut zum Stehen brachte. Nachdem Seth es dem Priester gleich getan hatte, folgte er der Aufforderung Sechemibs und betrachtete die Ruinen mit scheinbar stoischer Ruhe, nur die sich fester um die Zügel ballenden Fäuste verrieten, dass ihn der Anblick der zerstörten Häuser nicht so kalt ließ, wie er vorgab. Nachdem sie eine Weile schweigend auf die Reste des Dorfes gestarrt hatten, ergriff Sechemib erneut das Wort und äußerte ruhig: „Du fragst dich sicher, warum ich dich hierher gebracht habe… Die Wahrheit ist, dass Akunadin nicht der Einzige Berater des Königs ist. Auch der oberste Befehlshaber der Armee, Karim, steht in hohem Ansehen bei seiner Majestät. Aber Karim hält nicht viel von Akunadin, sondern beschuldigt ihn falsches Spiel zu treiben und den König zu hintergehen. – Natürlich nicht öffentlich, denn er hat keine Beweise dafür und Akunemkanon wäre sicher nicht erfreut, wenn ihm solche Reden über seinen Bruder zu Ohren kämen. – Der Grund für Karims Missgunst ist Akunadins Bestreben die Armee zu verkleinern. Der Tjt glaubt, dass sich Konflikte nicht durch Kriege lösen lassen, sondern besser durch Verhandlungen beendet werden. Und eine Armee zu unterhalten, die nicht gebraucht wird, kostet Unsummen. So hat Akunadin den König und die meisten anderen Berater nach und nach davon überzeugt, dass ein Großteil der Armee aufgelöst wird. Aber nicht alle Soldaten sind mit dieser Lösung einverstanden, obwohl sie nicht mit leeren Händen entlassen wurden. Diese kleine Zahl Gemeiner hat sich zusammengerottet und sich entschlossen gegen den Herrn der beiden Länder und Kemet selbst vor zu gehen. Dass Dorf, das du hier siehst war eines ihrer ersten Opfer. Bisher sind wir dieser Gruppe jedoch nicht habhaft geworden, wir kamen bisher immer zu spät. Es gibt einige Hinweise darauf, dass Karim möglicherweise in diese Sache verstrickt ist, vielleicht auch seine Verlobte und deren Bruder, aber bisher gibt es Nichts, was es uns ermöglichen würde, ihnen das Handwerk zu legen. - Verstehst du nun, warum es der Tjt für so notwendig hält, dass du nicht nur blind Entscheidungen fällst, sondern zuerst darüber nachdenkst und anschließend so handelst, dass niemand deine Beweggründe in Frage stellen kann?“ Seth nickte auf diese Frage etwas zögernd. Das, was ihm Sechemib gerade erzählt hatte, war eine ganze Menge Stoff zum Nachdenken – und es passte erstaunlich gut zu dem Wenigen, was er bisher herausgefunden hatte. „Wisst ihr, wer zu diesen Rebellen gehört oder wo sie eines ihrer Verstecke haben?“, erkundigte sich der Junge schließlich, die Bemerkung, dass auch sein Dorf vermutlich von diesen Abtrünnigen zerstört worden war, ungesagt lassend, da er annahm, dass Sechemib bereits darüber Bescheid wüsste, wenn er doch augenscheinlich in die Ermittlungen um diese Gruppe einbezogen war. Der Priester schüttelte jedoch nur verneinend den Kopf auf die Frage des Jungen, während sich in seinem Gesicht Bedauern darüber spiegelte, dass es ihnen bisher nicht gelungen war diese Personen ausfindig und dingfest zu machen. Da es bei dem Dorf für die Beiden nichts weiter zu tun oder zu sehen gab, kehrten sie bald darauf in gemächlichem Tempo zum Palast zurück, während Seth seinem Lehrer die Frage stellte, ob es tatsächlich so klug sei, die Armee zu reduzieren und sich damit feindlich gesonnen Ländern gegenüber angreifbar zu machen. Sechemib nickte anerkennend, dass sein Begleiter über das Gesagte nachdachte und erklärte anschließend: „In der Tat birgt die Verminderung der Armee ein gewisses Risiko und genau dieses Argument ist auch Karims stärkste Waffe gegen die Absicht Akunadins. Aber bedenke, dass eine kleine Armee nach außen auch friedfertig wirkt und den Eindruck vermittelt, dass wir eine bewaffnete Verteidigung nicht nötig haben, weil uns die Götter wohl gesonnen sind. Die Menschen in Kemet können sicher sein, dass ihre Familien, ihr Hab und Gut nicht in einem weiteren Krieg zerstört werden und das Vermögen, das wir sparen, wenn wir die Armee reduzieren, können wir für andere, bessere Dinge verwenden.“ „Aber was ist, wenn es dennoch zu einem Angriff kommt?“, beharrte Seth auf dem entscheidenden Punkt in der Sache und erhielt die gelassene Antwort: „Dann werden wir Söldner anwerben, es gibt immer Menschen, die dumm genug sind im Kampf sterben zu wollen und dann ist es besser es sind Ausländer, die sterben, als Bewohner Kemets.“ Darauf wusste Seth nichts mehr zu erwidern und so legten die beiden Reiter die restliche Strecke schweigend zurück. Als sie schließlich wieder vor den Ställen des Palastes angekommen und von ihren Pferden gestiegen waren, entließ Sechemib Seth aus seiner Begleitpflicht, um sich anschließend auf direktem Weg zum Tjt zu begeben, diesem Bericht zu erstatten und auf weitere Instruktionen zu warten. Unterdessen folgte Seth der pantomimischen Aufforderung seines Benu und betrat die Gärten des Palastes. Offenbar war Merenseth in alberner Spiellaune, denn immer wieder flog sie ein Stück voraus, kehrte zu Seth zurück, schwebte einen Moment wartend vor ihm in der Luft und flog dann erneut dem Jungen voraus, als wollte sie diesen dazu auffordern mit ihr fangen zu spielen. Ohne darauf einzugehen, folgte der Junge dennoch gemächlich den Wegen durch die Gärten, die der Vogel einschlug, während er in Gedanken wieder einmal die neugewonnen Informationen durchdachte, sortierte und in seinem Gedächtnis speicherte. Erst der überraschte Ausruf eines anderen Gartenbesuchers schreckte Seth aus seiner Grübelei auf und ließ ihn in die Richtung blicken, aus der der Laut erklungen war. Zu seiner Überraschung und einem gewissen Unbehagen entdeckte er den künftigen Erben des Horus vor sich, der ihn allerdings nicht weiter beachtete, sondern misstrauisch nach oben schielte, in dem argwöhnischen Versuch den Vogel, der sich auf seinem Kopf niedergelassen hatte, im Auge zu behalten. Sobald Seth erkannt hatte, dass es sich bei dem Vogel auf dem königlichen Haupt um Merenseth handelte, die offenbar zur Abwechslung den Schopf eines Prinzen als Sitzplatz ausprobieren wollte, beeilte sich der Junge so schnell wie möglich zu dem seltsamen Paar zu gelangen, um den Benu aus den Haaren Atemus zu pflücken und diesen auf diese Weise von seinem unerwarteten Kopfputz zu befreien. Das war allerdings schwieriger als gedacht, denn sobald Seth seine Hände nach dem Vogel ausstreckte, wehrte sich dieser hoch aufgerichtet, mit ausgebreiteten Flügeln gegen diese Versuche und pickte mit dem Schnabel nach den nach ihm greifenden Händen. Vielleicht hätte Seth über das gebotene Schauspiel eines hilflos wie erstarrt dastehenden Jungen mit einem verrückt gewordenen Huhn auf dem Kopf lachen können, wenn es sich bei dem Jungen nicht um den Erbprinzen Kemets gehandelt hätte. Außerdem fand Seth es alles andere als unterhaltsam von Merenseth auf diese Weise verraten zu werden und trieb einem die Kombination aus glutrotem Federkleid und purpurfarbener Haarpracht Tränen in die Augen. Besorgt angesichts der fruchtlosen Versuche seines Gegenübers ihn von dem eigensinnigen Benu zu befreien, erkundigte Atemu sich schließlich, was es mit diesem seltsamen Benehmen auf sich hatte und erhielt darauf die verärgerte Antwort: „Ich weiß es nicht, normalerweise kann sie sich benehmen.“ Dass sich die Verärgerung dabei weniger auf die Frage des Prinzen sondern vielmehr gegen den Vogel richtete, war problemlos an dem wütenden Blick Seths zu erkennen, den dieser dem Benu zuwarf und dazu angetan war, jeden zur Salzsäule erstarren zu lassen. Alle, bis auf ein widerspenstiges Federvieh, das es doch tatsächlich schaffte zu wirken, als würde es seinem Eigentümer jeden Moment frech die Zunge herausstrecken wollen. „Falls sie nicht beschließt, sich auf mir zu erleichtern, habe ich nichts dagegen, wenn sie noch eine Weile bleibt wo sie ist“, erklärte Atemu schließlich vorsichtig, bemüht sowohl den Vogel auch den Jungen zu beruhigen, nachdem er sich anscheinend halbwegs mit der Situation abgefunden hatte, und fügte mit einem Lächeln hinzu: „Immerhin dürfte es ein glückliches Omen sein, dass sich ein Benu auf meinem Kopf niederlässt.“ „Darauf würde ich nicht wetten“, brummte Seth missmutig, bevor er sich mit einem resignierten Seufzen und knapper Höflichkeit für die Umstände und das Benehmen des Vogels bei dem Prinzen entschuldigte. Der wischte die Entschuldigung mit einer abwehrenden Handbewegung und einem „schon gut“ beiseite und erkundigte sich anschließend wie es Seths Rücken ginge. Etwas irritiert von so viel Großzügigkeit, antwortete Seth dennoch, dass es ihm bereits besser gehen würde, bevor er sich, auf die Freundlichkeit des Prinzen bauend, erkundigte, was dieser über das Verkleinern der Armee und die Angriffe auf einzelne Dörfer durch Banditen wisse. Atemu wirkte angesichts dieser Frage überrascht und statt eine Antwort zu geben stellte er die betroffene Frage: „Es werden Dörfer überfallen? Das wusste ich nicht, wer würde denn so etwas tun?“ „Es besteht wohl die Vermutung, dass es entlassene Soldaten sind, die auf diese Weise ihre Unzufriedenheit zeigen wollen“, erwiderte Seth lediglich, ohne auf die blamable Unwissenheit des Thronfolgers einzugehen, der in diesem Moment die Stirn runzelte und erklärte: „Wenn dem so ist, sollten wir Karim fragen, er ist nach meinem Vater der oberste Befehlshaber und wird sicher wissen, ob seinen Leuten so etwas zu zutrauen ist.“ Seth lächelte bei diesen Worten ein wenig amüsiert, natürlich würde Karim es nicht für möglich halten, selbst wenn er nicht in diese Intrige verwickelt war. Schließlich würde das Fehlverhalten seiner Soldaten, auch wenn sie nicht mehr in seinen Diensten standen, letzten Endes auf ihn zurückfallen und Akunadin nur weiter Argumente dafür liefern, dass es besser war kein stehendes Heer zu unterhalten, wenn die Soldaten derart undiszipliniert waren. Dennoch erhob er keinen Widerspruch, als Atemu sich herumdrehte und ihn aufforderte ihm zu folgen. Nur Merenseth schien entweder vom Ziel des Ausflugs nichts zu halten oder keine Lust mehr zu haben auf dem königlichen Haupt zu verweilen, denn kaum dass sich der Prinz von Seth abgewandt hatte, flog sie auf und ließ sich wieder auf der Schulter Seths nieder, anschließend mit dem Schnabel kurz über dessen Nase streifend und leise gurrend, als wolle sie sich für ihr vorheriges Verhalten entschuldigen. Seth murmelte jedoch nur energisch: „Glaub bloß nicht, dass ich mich von dir einwickeln lasse“, und schickte noch einen grimmigen Blick hinterher, der zumindest dafür sorgte, dass Merenseth vollkommen ruhig auf seiner Schulter hockte, ohne sich zu bewegen. Trotz seiner Verärgerung unternahm Seth keinen Versuch den Vogel von seiner Schulter zu vertreiben, um ihn auf diese Weise zu bestrafen. Nachdem die beiden Jungen auf ihrem Weg zu Karim die Gärten verlassen hatten, sie schließlich bei den Übungsplätzen der Soldaten an, wo sich in diesem Moment nur zwei Männer, oder besser ein Mann und ein Junge im Alter von Atemu und Seth, gegenüber standen und der eine den anderen offenbar im Schwertkampf unterwies. Als Lehrer und Schüler, bei dem es sich um Mahaado handelte, bemerkten, dass sich ihnen der Thronfolger in Begleitung eines weiteren Jungen näherte, unterbrachen der sie ihren Unterricht und verneigten sich grüßend gegenüber dem Erbprinzen. Dieser kam ohne weitere Umstände auf den Grund seines Kommens zu sprechen, nachdem er den Mann, den er als Karim vorstellte, und Seth miteinander bekannt gemacht hatte. Es sollte sich zeigen, dass es in diesem Fall Seth war, der sich geirrt hatte oder doch zumindest nicht vollkommen richtig lag. Denn nachdem Atemu das Wenige berichtet hatte, was er zuvor von Seth erfahren und sich mit seiner Frage an Karim gewandt hatte, erklärte dieser bedächtig, als würde er seine Worte sorgfältig prüfen, bevor er sie äußerte: „Es ist durchaus möglich, dass sie einige der Ehemaligen zu so etwas Verwerflichem bereit erklären würden, wenn man ihnen dafür einen genügend großen Anreiz bietet. Allein aus Rachsucht heraus würde mir auf Anhieb niemand einfallen.“ „Hast du auch einen Verdacht, wer ihnen warum diesen Anreiz bieten könnte?“, erkundigte sich Seth gespannt auf die Antwort wartend. Der Befehlshaber schien den lauernden Unterton in den Worten des Jungen bemerkt zu haben, denn er sah ihnen einen langen Moment ernst an und erwiderte dann ruhig: „Ich habe eine Vermutung, aber da ich sie nicht beweisen kann und niemanden zu unrecht beschuldigen will, werde ich sie für mich behalten und sie erst meinem Herrn und König zu Gehör bringen, wenn ich unumstößliche Gewissheit darüber habe, dass ich im Recht bin.“ Widerwillig war Seth beeindruckt von diesem Mann und seiner offenkundigen Ehrbarkeit, während er auch schon im gleichen Moment von Mahaado angefahren wurde: „Du bist natürlich schon längst der Überzeugung, dass nur Karim hinter all dem stecken kann. Es weiß schließlich jeder, dass sich die Anhänger Amuns eifrig darum Bemühen jeden anderen Einfluss als ihren auf den König zu unterbinden.“ „Mahaado“, dieses Mal kam die Mahnung gleich von zwei Seiten, während Karim jedoch anschließend verstummte, fügte Atemu leicht ungehalten hinzu: „Mein Vater steht unter niemandes Einfluss. Er trifft seine Entscheidung völlig frei und lässt sich lediglich von anderen beraten, um nichts zu übersehen.“ „Verzeih, Hoheit, ich wollte weder deinen Vater noch dich beleidigen. Es gab nur schon zu viele Anfeindungen gegen Karim, sodass Isis schon ganz außer sich vor Sorge ist.“ „Lass Isis meine Sorge sein, sie macht sich ohnehin um Vieles zu viele Sorgen“, erklärte Karim ruhig und Seth nahm an, dass Isis die Verlobte war, von der Sechemib gesprochen hatte. Allerdings konnte Seth sich weder bei ihr noch bei Karim vorstellen, dass sie tatsächlich eine Verschwörung planen sollten. Jedoch er hatte gelernt dass der äußere Schein nur zu leicht trügen konnte und so würde er dennoch auf der Hut bleiben. Die anderen Drei mit der an Karim gerichteten Frage auf das ursprüngliche Thema zurückführend, erkundigte sich Seth: „Aber du hast dem König dennoch davon berichtet, dass es diese Überfälle gibt und du einen Verdacht hast, den du erst noch überprüfen willst?“ Karim ließ sich weder von dem lauernden Unterton noch von deren Dreistigkeit beeindrucken, sondern verneinte völlig gelassen die Frage, Seth dabei direkt in die Augen sehend. Der Junge beabsichtigte jedoch keineswegs daraufhin klein bei zu geben, sondern hakte seinerseits hartnäckig nach: „Warum nicht?“ Doch diesmal war es Mahaado, der in seiner üblichen ungeduldig aufbrausenden Art auf diese Unverfrorenheit antwortete, während Karim stoisch schweigend weiter aufmerksam Seth betrachtete. „Warum Karim etwas tut oder lässt, geht dich nichts an. Du kannst sicher sein, dass er seine Gründe dafür haben wird. Außerdem sollte der Tjt ebenfalls über die Vorfälle Bescheid wissen, warum fragst du nicht ihn, ob er sich bereits an den König gewandt hat?“ Seth sah keinen Grund die anderen Drei darüber aufzuklären, dass der Tjt tatsächlich über die Vorfälle Bescheid wusste und gerade Karim in Verdacht hatte für diese verantwortlich zu sein. Wenn Sechemib mit seinen Bemerkungen Recht hatte, wäre es unklug einen Verräter vorzuwarnen, dass er bereits unter Verdacht stand und ihm so die Möglichkeit zu geben sich in Sicherheit zu bringen, bevor man ihn bestrafen konnte. Die rhetorische Frage, warum er Akunadin nicht fragte, ob er mit dem König über die Vorfälle gesprochen habe, überging Seth schlicht. Er nahm an, dass Mahaado doch zumindest so viel Verstand besaß, zu wissen, wie unmöglich es für einen Untergebenen war seinem Herrn eine solche Frage zu stellen. Unterdessen hatte Atemu erneut in dem Bemühen eine Eskalation zwischen den beiden anderen Jungen zu verhindern, erklärt, dass er mit seinem Vater sprechen würde und, falls das noch nicht geschehen sein sollte, ihn über die Vorfälle informieren würde. Mit diesem Schiedsspruch schienen vorerst alle zufrieden zu sein, auch wenn Mahadoo Seth noch immer ziemlich finster anstarrte. Ohne diesen Blick weiter zu beachten, trennte sich Seth bald darauf von dem Prinzen, Karim und Mahaado, um nach Kisara zu sehen und zu erfahren, wie es ihr seit ihrer Ankunft im Harem ergangen war. Während der Junge die zielstrebig in en Palast zurückkehrte, befahl er dem noch immer auf seiner Schulter sitzenden Benu ruhig: „Behalte Karim für mich im Auge und falls er etwas mit Mutters Tod und dem Brand zu tun hat, lass es mich wissen.“ Mit einem zustimmenden Tschilpen hüpfte Merenseth gleich darauf auch schon von der Schulter des Jungen, breitete die Flügel aus und war im nächsten Augenblick davongeflogen, um möglichst unauffällig den Oberbefehlsaber der ägyptischen Armee zu beobachten. Seth unterdessen setzte seinen Weg zum Harem fort, ohne dem Vogel auch nur einen Wimpernschlag lag nachzusehen. Als er wenig später in den Frauengemächern angekommen war und sich gerade erkundigt hatte, wo er Kisara finden konnte, kam ihm das Mädchen auch schon mit einem erfreuten Lächeln und seinem Namen auf den Lippen entgegen gelaufen. Sobald Kisara bei ihrem Besuch angekommen war, ergriff sie dessen Hand und begann voller Begeisterung hervorzusprudeln was ihr in der kurzen Zeit, die sie sich nicht gesehen hatten, alles an Gutem, Neuem und Interessanten widerfahren war, sodass Seth von dieser ungewohnten Zutraulichkeit überrumpelt schweigend lauschte, während er sich doch von der anhänglichen Dankbarkeit und Bewunderung des Mädchens geschmeichelt fühlte. Während Kisara Seth in allen Einzelheiten darüber Bericht erstattete, was sie an diesem Tag bisher getan hatte, näherte sich den Beiden eine verführerische, junge Frau, die sich zu Seths Erstaunen in Begleitung Akunadins befand. Als das Paar an den beiden Jugendlichen vorbei ging, lächelte die Frau Kisara verschwörerisch zu und äußerte neckend: „Sieh an, du hast also schon einen Freund gefunden und noch dazu einen so gut aussehenden.“ Bei diesen Worten errötete nicht nur Kisara verlegen, die hastig versuchte das Missverständnis aufzuklären, sondern auch Seths Wangen färbten sich für einen Moment deutlich dunkler, während er die Frau wie gebannt anstarrte. Allerdings blieb ihm nicht viel Zeit sie zu bewundern, denn schon im nächsten Augenblick befahl der Tjt ihm ihn zu begleiten, sich anschließend bei der jungen Frau für seine Verhältnisse erstaunlich freundlich verabschiedend. Seth gehorchte dem Befehl des obersten Priesters ohne Hast, nachdem er Kisara zum Abschied lediglich zugenickt hatte, und verließ gleich darauf zusammen mit Akunadin den Harem. „Da es dir offensichtlich besser geht als mich Shimon glauben ließ, kannst du auch wieder anfangen zu arbeiten. Ich bin sicher Kakau wird dafür sorgen können, dass dir nicht langweilig wird“, bemerkte der oberste Priester kühl, während sie Richtung Kanzlei gingen. Seth gab darauf nur eine kurze, zustimmende Antwort, bevor sie einander wieder anschwiegen. Erst als sie in dem Gang angekommen waren, in dem die Arbeitsräume des Tjt lagen, brach dieser noch einmal das Schweigen und stellte gelassen fest: „Sie hat dir gefallen.“ „Wer?“, erkundigte sich Seth sowohl verunsichert als auch erstaunt. „Meresankh“, lautete die Erwiderung Akunadins, der seinen Untergebenen aufmerksam musterte. Als Seth fragte: „Die Frau, die dich begleitete?“, erhielt er als Antwort lediglich ein Nicken. Verlegen wich der Junge zum ersten Mal dem durchdringenden Blick Akunadins aus, währen er betont gleichmütig mit den Schultern zuckte und erklärte: „Kann schon sein. So genau habe ich sie mir nicht angesehen.“ Akunadins Lippen kräuselten sich bei dieser Antwort zu einem spöttisch herablassenden Lächeln, bevor er lediglich erwiderte: „Dann solltest du in Zukunft aufmerksamer sein. Frauen sind oft der Hals, der den Kopf dahin dreht, wohin er blicken soll. Ihre Macht zu unterschätzen ist alles andere als klug.“ Nach diesen Worten wandte sich der Tjt ab und schritt würdevoll davon, einen Jungen zurücklassend, der ihm noch eine geraume Weile vollkommen verblüfft und ratlos hinterher sah. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)