Katenha von Skeru_Seven ================================================================================ Kapitel 3: Scherben ------------------- Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter noch kein Stück gebessert, was sehr ungewöhnlich war. Normalerweise hielt es nur sechs Stunden an, aber diese neblige Phase dauerte schon über einen halben Tag an. Raven hatte aus ihm nicht bekannten Gründen die halbe Nacht wach gelegen und sich von einer auf die andere Seite des Bettes geworfen; wahrscheinlich störte ihn inzwischen allein die Anwesenheit von anderen Menschen, ohne dass er sie sah – zumindest nahm er das an. Im Bad angekommen stellte er fest, dass er heute auch ohne bösen Blick katastrophal aussah. Zerzauste blonde Haare, dunkle Ringe unter den braunen Augen und eine ungesund bleiche Gesichtsfarbe; bei diesem Anblick würde Noevy sicher schnell freiwillig die Wohnung verlassen. „Freu dich doch, jetzt verhältst du dich nicht nur scheiße, sondern siehst auch noch so aus“, begrüßte er sein Spiegelbild. „Passt doch richtig gut.“ Er konnte einfach keine halbwegs gute Laune haben, wenn er genau wusste, dass er noch einige Stunden die Anwesenheit eines kleinen, nervigen Jungens ertragen musste, der nie die Klappe halten wollte und immer genau die falschen Fragen stellte. „Selbst Pech, hättest ihn auch ignorieren können, jetzt hast du den Salat.“ Raven warf seinem Spiegelbild noch einen bösen Blick zu, verließ das Bad und stieß fast mit Noevy zusammen. „Morgen“, brummte er verstimmt und versuchte, sich ungeschickt an seinem Gegenüber vorbeizudrängen, doch er wurde an der Hand festgehalten. „Wie siehst du denn aus?“, fragte Noevy besorgt, während er ihn von oben bis unten musterte. „Wie immer“, antwortete Raven gereizt und machte sich unwirsch aus der Umklammerung frei. Es gab Dinge, die ließ man bei ihm wirklich lieber bleiben. „Aber wieso?“ „Hör endlich auf mit den dummen Fragen!“ Nur mit Mühe behielt Raven die Beherrschung, lange hielt er das nicht mehr durch. Noevy bemerkte dies anscheinend nicht und näherte ihm noch ein wenig. „Ich will dir doch nur...“ „Halt die Klappe!“, schrie Raven ihn schon fast hysterisch an; mit der freien Hand holte er aus und schlug Noevy so fest wie möglich ins Gesicht. Entsetzt wich dieser vor ihm zurück und stolperte einige Schritte nach hinten. „Du gehst mir unglaublich auf den die Nerven mit deinen Gequassel, dauernd willst du dich einmischen. Kapier das einfach und verschwinde!“ „Aber Raven, ich...“ Noch einmal schlug Raven zu, dann zerrte er Noevy aus der Wohnung und brüllte durch die geschlossene Tür: „Hör auf, mich anzulügen; du kennst mich nicht, also willst du mir bestimmt nicht helfen, niemand will das...“ Der Rest ging im Geschepper zerbrechenden Geschirrs und umfallender Gegenstände unter. Verstört stand Noevy vor der Tür, die ihn von der Katastrophe trennte, und hörte, wie Ravens irrationaler Gefühlsausbruch immer mehr Opfer forderte. Die Hilflosigkeit trieb ihm gegen seinen Willen die Tränen in die Augen. Was hatte er nur getan? Im Inneren des Apartments sah es aus wie auf einem Schlachtfeld, überall lagen zerstörte oder verstreut herum liegende Gegenstände auf dem Boden verteilt. Das einzige, was noch halbwegs lebte, war die Tür, doch auch sie wies schon Spuren der Zerstörung auf, denn Raven hatte es nicht lassen können, mit einem Brieföffner immer wieder auf sie einzustechen. Jahrelang hatte er es geschafft, die Wut, Verzweiflung und Schuldgefühle so gut es ging zu verdrängen und in sich hineinzufressen, indem er einfach jeden gemieden hatte, allerdings hatte Noevy sie alle ohne es zu wollen wachzurufen. Langsam regte er sich ab, lehnte sich erschöpft gegen die Tür und betrachtete das furchtbare Chaos um ihn herum. Noevy... Wütend auf sich selbst ließ er den Brieföffner fallen und vergrub verzweifelt das Gesicht in den Händen. Gerade erst registrierte er, dass er Noevy geschlagen, beschimpft und vor die Tür gesetzt hatte. Sein Gewissen meldete sich; so extrem war er noch nie mit jemand Fremdes umgesprungen. Wenn Noevy etwas passiert wäre, konnte er nicht abstreiten, dass er dazu beigetragen hatte. Ohne unnötig Zeit zu verlieren, riss er die demolierte Tür auf und stolperte beinahe über seinen nächtlichen Gast, der völlig aufgelöst vor der Tür kauerte und seine Umgebung gar nicht bewusst wahrnahm. Raven setzte sich zu Noevy, legte ihm zögernd einen Arm um die Schulter – er wusste gar nicht mehr, wann er das zum letzten Mal bei jemandem getan hatte –, traute sich aber nicht, ihn direkt anzusehen. Er schämte sie zu sehr für sein übertriebenes Verhalten. „Es tut mir leid, ich weiß auch nicht, wie da passieren konnte.“ Im Entschuldigen war er noch nie besonders gut gewesen. „Ich...“ Weiter kam er nicht, denn Noevy fing unkontrolliert an zu weinen und gab sich selbst die Schuld für das, was bisher geschehen war. In den nächsten zehn Minuten war Raven damit beschäftigt, den braunhaarigen Jungen zu beruhigen und ihm klarzumachen, dass sie das alles am besten vergessen sollten, bevor sie in die verunstaltete Wohnung zurückgingen und mit dem Aufräumen begannen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)