For The Ones Who Search For Love von absinthe (Bella und Edward helfen sich gegenseitig in Sachen Beziehungen, doch dann stellt sich heraus, das vieles mehr Schein als Sein ist und dass diese Entdeckung beide in eine unerwartete Richtung wirft.) ================================================================================ Kapitel 1: Ein kleiner Zwischenfall ----------------------------------- An meine Stammleser: Ihr müsst euch da jetzt nichts bei denken. Ich konnte meine Finger einfach nicht still halten...xDDDDD...>.<... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich war schon ein seltsames Mädchen. Einerseits weil ich ständig das machte, was niemand von mir erwartete und andererseits weil ich wirklich mehr als tollpatschig war, wenn es darum ging, einen Jungen für mich zu gewinnen. Es war nicht so, dass ich schüchtern war. Nur gab es da eine gewisse Kleinigkeit, die es immer wieder verhinderte, dass sich jemand dauerhaft mit mir abgab. Ich war nämlich wirklich peinlich, sobald ich mich in der Öffentlichkeit mit einem Jungen blicken ließ. Ich konnte mir selbst nicht erklären, weshalb das so war. Ich versuchte wirklich, es nicht soweit kommen zu lassen, aber irgendwann kam eine Situation, in der es einfach aus mir herausplatzte oder ich mich nicht mehr beherrschen konnte. Das letzte Desaster hatte ich vor einem Jahr. Mike, so hieß er, war wirklich niedlich mit seinen blonden stacheligen Haaren. Er war mir nicht auf Abhieb aufgefallen. Es war eher so, dass er auf mich zugekommen war. Und seine Art fand ich wirklich nett. Wie er sich um mich bemüht hatte. Mir war es sofort aufgefallen. Deshalb hatte ich mir damals auch den Ruck gegeben, ihm die Chance zu lassen. Ich glaube, wir hatten insgesamt drei Dates. Genau konnte ich mich nicht mehr daran erinnern. Unangenehme Erinnerungen verdrängte mein Gehirn ziemlich schnell. Das erste - und schwierigste - verging mehr als positiv. Ich hatte mich wirklich benommen. Keine Ausrutscher, keine Patzer. Ich war sicher, dass Mike mich da wirklich noch toll fand. Beim zweiten war es schon etwas anders. Er hatte sich einfallen lassen, mich in ein richtig teures Restaurant zu führen. Ein französisches. Mir war bis heute schleierhaft, wie er es geschafft hatte, etwas zu bestellen. Die Kellner dort haben nur französisch gesprochen. Soweit ich wusste, hatten wir diese Fremdsprache nie in der Schule gehabt. Und Mike war nicht gerade der Typ, der sich Zuhause hinsetzte und freiwillig etwas lernte. Tatsache war, dass wir wirklich etwas zu Essen bekommen hatten. Auch wenn der Kellner uns am Anfang etwas misstrauisch angesehen hatte. Zwei Jugendliche in einem Restaurant ohne Begleitung eines Erwachsenen konnten sich normalerweise noch nicht einmal das Etikett der Weinflasche aus so einem Laden leisten. Dank des Geschäftes, das Mikes Eltern besaßen, war es ihm dennoch möglich. Deshalb wunderte es mich auch nicht, dass er einen 1887iger Bordeaux Brillet bestellt hatte - den Preis mochte ich jetzt noch nicht einmal wissen. Alledings fragte ich mich, wie er es geschafft hatte, trotz unseres Alters Alkohol zu bestellen. Der Kellner kam an unseren Tisch, die Weinflasche in der Hand und eine Handserviette über den Arm gehängt. Dummerweise kam er aus der Richtung, zu der ich meinen Rücken gedreht hatte, sodass ich ihn nicht bemerkte. Mir war schon den ganzen Abend unwohl zumute, weil ich erstens in einem pikfeinen Restaurant saß und nicht wirklich wusste, wie ich mich benehmen sollte und zweitens weil ich derart nervös war, ich könnte etwas machen, das mal wieder alle in Verlegenheit brachte. Unruhig wie ich war, änderte ich meine Position in dem sehr teuer aussehenden Stuhl alle fünf Sekunden. Und als hätte ich es ahnen müssen, hörte ich plötzlich einen kleinen Aufschrei, das Zerbrechen von Glas und einen dumpfen Aufprall auf dem Boden. Dort lag jetzt der Kellner, inmitten von Scherben. Zuerst dachte ich, die Pfütze, in der er lag, sei Blut, doch dann atmete ich erleichtert auf. Es war der Wein, der sich durch die kaputte Flasche auf dem ganzen Boden verteilte. Meine Erleichterung hielt aber nicht lange an, denn im selben Moment wurde mir klar, dass er über meinen Fuß gestolpert war. Aus irgendeinem Grund hatte ich nämlich meine Beine in dem Moment zur Seite gestreckt, in dem der Ober an mir vorbeigegangen war. Mein Kopf wurde feuerrot, als mir das klar wurde. Ich brachte keinen einzigen Ton heraus, sondern starrte auf die Gläser vor mir. In einem kurzen Aufsehen konnte ich erkennen, dass Mike es zwar mitbekommen hatte, es ihn aber nicht weiter störte. Ganz im Gegenteil. Er lächelte mich sogar an, als fände er es komisch. Zum ersten Mal dachte ich Das ist es. Diesmal habe ich jemanden gefunden, den meine tollpatschige Art nicht stört. Das gab mir zu dem Zeitpunkt wirklich wieder etwas mehr Selbstvertrauen. Bis das Essen kam. Da ich kein einziges Wort verstand von dem, was Mike bestellt hatte, wusste ich natürlich auch nicht, was wir bekamen. Fakt war, es musste aus einem mir unerfindlichen Grund am Tisch flambiert werden. Warum gerade an unserem? Ich hätte es wissen müssen. Es war mehr als deutlich. So eine Gefahrenstelle bot sich schließlich nicht jeden Tag. Statt mich mehr als nur ein paar Meter vom Flambierwagen fernzuhalten, musste ich mich auch noch dichter heranbeugen, um besser sehen zu können. Meine Neugier ging mal wieder über alles. Jeder normale Mensch blieb einfach sitzen und selbst wenn er das gleiche gemacht hätte, wie ich an dem Abend, so hätte er doch nicht das Weinglas mit dem Arm mitgerissen, es gegen die Feuerstelle gehauen und somit eine Stichflamme erzeugt, die den Kellner in Brand setzte, und das Ganze schließlich mit einem Krankenwagen, einer Menge schaulustiger Gäste und ein paar verärgerten Restaurantmitarbeitern seinen Abschluss fand. Wie gesagt war Mike danach nicht mehr ganz so gut gelaunt wie noch am Anfang, auch wenn er mir immer wieder sagte, dass ich nichts dafür konnte. Ich wusste es schließlich besser. Das dritte Date - ich war damals wirklich überrascht, dass er sich noch mit mir treffen wollte - war das Ausschlaggebende. Von teuren Restaurants hielten wir uns fern. Noch so eine Lappalie wollte er wahrscheinlich nicht erleben. Allerdings verstand ich immer noch nicht, warum er mit mir dann unbedingt in ein Museum gehen musste. Ein Museum für die geschichtliche Entwicklung des Glases. Ich ahnte dieses Mal bereits Schlimmes und weigerte mich vehement, ihn dorthin zu begleiten. Ich war aber feige genug, ihm nicht zu sagen warum und deshalb hatte ich keine andere Wahl. Das Museum war wirklich groß und all die Ausstellungsstücke waren sorgfältig mit Glaskästen abgeschirmt. Es konnte also eigentlich nichts passieren. Wenn nur ich nicht da gewesen wäre. Eine falsche Bewegung, eine etwas zu starke Drehung und schon hatte ich Mike gegen eben einen von diesen Kästen geschubst, den Alarm ausgelöst und zu allem Überfluss auch noch dazu beigetragen, dass er wegen zahlreicher Schnittwunden für mindestens drei Wochen im Krankenhaus bleiben musste. Von da an wollte er kein einziges Wort mehr mit mir reden. Ich sei gefährlich für jedes menschliche Wesen, meinte er. Ein Vulkan, der ständig ausbrach und jeden in seiner Nähe verbrannte. Eigentlich hatte er Recht. Ich konnte zwar nichts dafür. Ich versuchte auch angestrengt es zu verhindern und doch passierte es mir immer wieder, sobald ich einem Jungen näher kommen wollte. Kurzum hieß das also, dass ich noch nie wirklich einen Freund und geküsst hatte; von all den anderen Dingen ganz zu schweigen. Schlimm genug, dass ich seit einem Jahr keinen einzigen neuen Versuch gestartet hatte, jemanden kennen zu lernen. Aber wie konnte Mike Newton überall erzählen, ich wäre ein wandelnder Unglücksbringer? Eine Gefahr für jeden, dem noch etwas an seinem Leben lag? So schlimm war ich doch nun auch wieder nicht. Bis jetzt war schließlich noch niemand gestorben. Meine Freundin Claire baute mich glücklicherweise immer wieder auf, wenn ich zu sehr in meine depressive Phase fiel, in der ich glaubte, jeden im Umkreis von fünfzig Meilen zu verfluchen, zu vergiften, anzuzünden, zu ertränken oder was sonst noch so möglich war. Ich hatte dann sogar das Gefühl, ihr könnte ebenfalls etwas passieren. “Du solltest mal wieder unter Leute, Bella.” Bella. Ja, das war mein Name. Eigentlich Isabella. Isabella Marie Swan. Aber alle nannten mich Bella. Das war mir auch irgendwie lieber. “Komm, wir gehen heute Abend aus.” Mit dieser Idee kam Claire immer, wenn ich mich gerade unter meiner Bettdecke verkrochen hatte. Charlie, mein Dad, mochte sie sehr gerne. Sie kamen gut miteinander aus. Es war fast, als würde sie hier wohnen, so oft wie sie uns besuchte. Charlie war es nur Recht, wenn sie mich aufmunterte. Er selbst konnte das nicht so gut. Es war ihm unangenehm. Da er mich alleine aufzog, musste er so gesehen sowohl Vater- als auch Mutterrolle übernehmen. Meine Mom hatte sich schon früh von ihm getrennt und lebte jetzt in Phoenix, zusammen mit ihrem neuen Ehemann Phil. Ein Profispieler. Sie hatte mir erzählt, dass sie damals viel zu überstürzt geheiratet hatten. Es war nicht das, was sie wollte. Dennoch bereute sie es nicht, mich bekommen zu haben. Nach ihrer Trennung konnte ich mich entscheiden, bei wem ich leben wollte. Ich hatte mich für Charlie entschieden. Er wohnte in San Francisco. Eine unglaubliche Stadt. All die einzigartigen Stadtteile. Die Piers, wo die Schiffe anlegten, die Cable Cars, Chinatown, einfach alles hatte seinen Reiz. Das traumhafte Wetter war nicht zu vergleichen. Viele bevorzugten Los Angeles, aber mir persönlich gefiel Frisco - so nannten viele unsere Stadt - am Besten. Ich besuchte Renée, meine Mom, regelmäßig, also konnte ich nicht behaupten, einen von beiden zu benachteiligen. “Na los, steh auf.” Enthusiastisch wie Claire nun mal war, riss sie mir doch glatt meine Decke vom Bett. Ich brummte sie einen Moment an und schmiss ihr mein Kopfkissen entgegen, doch in meinem Zustand traf ich gar nichts. Sie fing es auf und lachte. “Das hilft dir auch nicht. Ich werd dich so oder so mitschleifen. Und ich bin mir sicher, dass du lieber in einem ordentlichen Outfit in den Club gehen willst. Vielleicht entdeckst du ja den ein oder anderen, der dir gefällt.” Das konnte sie nicht ernst meinen. Wer Claire schon mal gesehen hatte, wusste, dass sie das begehrteste Mädchen an unserer Schule war. Lange wasserstoffblonde Haare - von Natur aus - und einen Körper, wie ihn nur Models hatten. Sie war sich bewusst, wie sie auf andere wirkte, war aber auf dem Boden geblieben. Zum Glück war sie nicht eine von denen, die vergessen hatten, wie Denken funktionierte. Sie hatte es definitiv leichter, einen Freund zu finden, hatte auch bereits den ein oder anderen, doch momentan war sie ebenfalls solo. Sie war sehr wählerisch und viele hatten es bei ihr nicht leicht. Wer anfänglich glaubte, sie leicht um den Finger wickeln zu können, gab schnell wieder auf, sobald er versuchte, sie ins Bett zu bekommen. Was das anging, hatte sie ihre Prinzipien, die sie für niemanden über den Haufen warf. Sie wartete auf den Richtigen. Doch wahrscheinlich wollte sie jetzt unbedingt ausgehen, um wieder jemanden zu finden. Wir standen gerade unter Zeitdruck, könnte man sagen. Es war das letzte Schuljahr und in ein paar Monaten fand der Abschlussball statt. Das Ereignis schlechthin. Wer dort ohne Begleitung auftauchte… Sagen wir, man sollte lieber nicht ohne Begleitung auftauchen. Auch für das persönliche Gefühl war es wichtig. In dreißig Jahren wollte man schließlich nicht zurückblicken und sagen: Ich war alleine auf meiner Abschlussfeier. Dieses Schicksal würde mich allerdings mit Sicherheit ereilen, soviel Glück, wie ich mit meinen Fast-Freunden bis jetzt hatte. Und heute Abend im Club? Sobald ich jemanden gefunden hätte, der mir gefiel und ihn dann an unseren Tisch brächte, hätte er mit Sicherheit nur noch Augen für Claire. Gewollt oder ungewollt. Ich wäre dann nicht einmal mehr Luft. So lief es immer ab. “Ich komm ja schon.” Etwas grummelnd stand ich dann doch auf. Ich tat ihr den Gefallen und begleitete sie. So konnte wenigstens sie eventuell jemanden entdecken. Da ich nicht die tollsten Kleider im Schrank hatte, fuhren wir immer zu ihr und sie suchte mir dann etwas heraus, das ihrer Meinung nach gut zu mir passte und meine Reize besser zur Geltung brachte. Wenn sie meinte… Der Club, in den wir gingen, war einer der Angesagtesten der Stadt. Fast jeder, den man kannte, war hier anzutreffen. Also auch unsere gesamte Schule. Das Gebäude war von außen schon mehr als auffällig und im Innern hatte man das Gefühl, drei große Familienhäuser würden hineinpassen. Das hieß also, eine Unmenge an jungen Leuten, die tanzten und tranken und versuchten, sich durch die laute Musik zu unterhalten. Der DJ hatte wirklich alle Hände voll zutun, die Massen zu unterhalten. Doch wie vom Besitzer nicht anders zu erwarten, engagierte er nur die Besten. Claire bestellte uns zwei Drinks - alkoholfrei, versteht sich - und ich fragte mich, wie sie es wohl geschafft hatte, bei den bunten Lichtern überhaupt ihr Geld zu sehen. Denn auch wenn es mehr als genug rote, grüne, blaue, gelbe, violette und was sonst noch für Scheinwerfer gab, die wild durch den ganzen Saal tanzten, war es nicht wirklich hell hier. Die ersten Minuten saßen wir erstmal an der Bar und betrachteten die Leute auf der riesigen Tanzfläche. Es war erstaunlich, wer sich alles hier her traute. Das sollte jetzt nicht negativ klingen, aber von einigen hätte man es sicher nicht erwartet. Nicht nur junge Leute waren da, sondern auch vereinzelt ein paar, die aussahen, als hätten sie die Vierzig schon lange hinter sich gelassen. “Und? Schon jemanden entdeckt?” Claire war mehr als neugierig. Ein Seufzer meinerseits gab ihr die Antwort, doch zu meinem Bedauern ermunterte sie das dazu, mich auf die Tanzfläche zu zerren. “Dann sollten wir ein wenig mehr Körperkontakt zeigen.” Wie gesagt, Claire war zu enthusiastisch, dabei tanzte ich überhaupt nicht gerne. Drei Songs hielt ich durch, dann schleppte ich meinen Körper wieder zurück zur Bar, um etwas zu trinken. Claire folgte mir. Als ich sie ankommen sah, fiel mir plötzlich jemand auf, den ich vorher nicht gesehen hatte. Seine große, muskulöse Statur und sein blondes Haar ließen ihn ziemlich gut aussehend wirken. Und seine Art, wie er sich bewegte und mit den anderen umging, war keineswegs eingebildet oder arrogant. Nein, eigentlich eher nett und höflich, vielleicht ein wenig albern. Sein Lächeln hatte etwas Besonderes. “Was ist los?” Claire musste meinen Blick mitbekommen haben. “Wer ist das? Da, neben Edward Cullen.” “Der Große? Das ist Tayk. Den müsstest du eigentlich kennen. Er hat mit dir zusammen Philosophie.” Musste ich? Das war kein Fach, bei dem man unbedingt wach blieb. Eher das Gegenteil war der Fall. Allerdings fiel es mir jetzt selbst wieder ein. Ja, er war eigentlich kein unbekanntes Blatt an unserer Schule. Leider hatte ich bis jetzt noch nicht soviel mit ihm zutun gehabt. Claire grinste mich an. Spätestens jetzt musste ich Angst haben. “Ist er dein Typ?” Ich sollte vehement den Kopf schütteln, damit sie nicht auf dumme Gedanken kam, doch seltsamerweise nickte ich. In meinem Körper breitete sich ein wohliges Gefühl aus und ich verspürte den Drang, all die Energie, die sich in mir unbemerkt angesammelt hatte, freien Lauf zu lassen. Ich sprang Claire entgegen und zog sie mit auf die Tanzfläche. Sie war selbst erschrocken über meine plötzliche Aktivität, doch hielt mich nicht auf. Vielleicht freute sie sich ja für mich. Vielleicht dachte sie, ich hätte die depressive Phase wieder überwunden. Das nächste, an das ich mich erinnern konnte, war dass mir nach fast unendlich langen Stunden, die ich ununterbrochen getanzt und um mich herum kaum etwas wahrgenommen hatte, außer den Lichtern, die vor meinen Augen verschwammen, schlecht wurde. Das musste ja so kommen. Es gab einen Jungen, den ich einigermaßen gut fand und prompt passierte das nächste peinliche Unglück. Doch noch war es nicht eingetreten und ich versuchte, mich unauffällig von der Tanzfläche zu bewegen. Mehr unbeholfen, denn noch immer war alles verschwommen. Der Raum und die Leute schwankten. Ich spürte, wie ich gegen einige stieß und wütende Aufschreie erntete. Bis sich plötzlich zwei Arme um meine Taille legten und mich stützten. “Warten Sie. Ich helfe Ihnen.” Unverkennbar eine tiefe, männliche Stimme. Ich kannte sie nicht und der Versuch, sein Gesicht zu sehen, scheiterte am Schleier vor meinen Augen. Das einzige, was ich wahrnahm, war dass wir uns aus dem großen Raum bewegten. Immer weniger Leute kamen uns entgegen und der Gang, auf dem wir uns jetzt befanden, wurde enger, so schien es. Eine Tür wurde geöffnet, wir gingen hinein, die Tür wurde wieder geschlossen. Klick. Der Raum war weiß und kalt. In der Ferne konnte ich kaum noch die Musik hören. Ich spürte, wie ich benommen immer wieder fast wegsackte. Der Griff verstärkte sich nur. “Was…?” setzte ich an, doch ich konnte mich selbst nur wage hören. “Schh…” Dann wurde ich plötzlich auf etwas kaltes gesetzt. Es waren Fliesen. Statt des Rockes hätte ich mir doch lieber eine Hose anziehen sollen. Mein Körper wurde an die Wand neben mir gelehnt. Ich selbst konnte mich nicht mehr alleine aufrecht halten. Meine Augen flackerten. Der Schwindel nahm einfach nicht ab. Plötzlich konnte ich den heißen Atem an meinem Hals spüren und eine Hand, wie sie langsam unter meinen Rock fuhr. Der Versuch, sie zu stoppen, schlug aufgrund des Schwächegefühls fehl. Mein ganzer Körper fühlte sich taub an. “Nicht…” “Keine Sorge. Du wirst kaum etwas mitbekommen, Kleines.” Unterschwellig machte sich langsam etwas Panik bemerkbar. Wer immer hier war, seine Absichten waren keineswegs nobel. Ein Rütteln an der Tür ließ ihn zurückschrecken. “Wir sind beschäftigt”, rief er etwas wütend. Wider Erwarten wurde das Rütteln heftiger. “Bella?” Eine andere männliche Stimme, die ich momentan nicht einordnen konnte. Mir kam sie aber bekannt vor und außerdem kannte mich derjenige scheinbar. Ich wollte antworten und hier weg, aber meine Stimme wollte mir nicht mehr gehorchen. “Ich hab doch gesagt, dass wir gerade beschäftigt sind.” Das Rütteln hörte auf. Nein! Die Person vor der Tür sollte bleiben und hereinkommen. Sollte mir doch helfen. Der Mann vor mir war offenbar der Meinung, der andere hätte sich zurückgezogen und kam mir wieder dichter. Ein lauter Knall ließ ihn sich abermals von mir abwenden. Jetzt war der andere ebenfalls im Raum. Durch den Nebel vor meinen Augen erkannte ich nur etwas kupfern schimmerndes. “Was zum Teufel…?” hörte ich ihn aufgebracht sagen. Er ging auf den Mann zu und schlug ihm ins Gesicht, welcher mit einem lauten Knall zu Boden fiel. “Bella, alles okay?” Zwei Hände lagen plötzlich auf meinen Wangen und hielten mein Gesicht empor. Ich war dankbar für die Rettung. Auch wenn ich nicht sehen konnte, wer es war. Das Schwindelgefühl übermannte mich letztendlich ganz und ich nahm nur noch wahr, wie ich auf die Arme genommen wurde. Das nächste, was passierte, war, dass ich kalten Wind in meinem Gesicht spüren konnte. Ich atmete tief ein und in meinem Kopf klärte sich die Taubheit langsam. Ich konnte auch wieder deutlicher sehen. Dafür machte sich ein stechendes, drückendes Gefühl in meinem Kopf breit und in meinen Ohren klingelte es. “Argh…” Ich legte eine Hand auf meine Stirn, als würde das die Kopfschmerzen lindern. “Die Drogen klingen langsam ab.” “Drogen?” Erschrocken hob ich meinen Kopf. Jetzt wusste ich, wer mich da rausgeholt hatte. Edward Cullen. Jemand, den ich nur flüchtig kannte. Wir hatten ein paar Kurse zusammen, mehr auch nicht. Wenn ich mich jedoch recht erinnerte, war er mit Tayk Rooney befreundet. Er hatte mich auf eine Bank neben dem Gebäude gesetzt, stand vor mir und hielt mein Gesicht mit einer Hand. “Was ist überhaupt…? Wie hast du…?” wollte ich wissen. “Ich hab gesehen, wie es dir plötzlich nicht mehr so gut ging. Du hattest dich seltsamerweise etwas zu sehr verausgabt. Wenn du mit Claire unterwegs bist, tanzt du entweder nie oder nur unfreiwillig. Es war schon komisch, dass du das plötzlich gemacht hast. Und als du dann etwas benommen getorkelt bist und auf einmal dieser Kerl bei dir aufgetaucht ist und dich aus dem Saal gezogen hat, war mir klar, was passiert sein musste. Du solltest besser auf deine Getränke achten und sie nicht aus den Augen lassen. Du bist schließlich nicht der Typ, der freiwillig Drogen nimmt, oder?” Er klang besorgt und ein wenig vorwurfsvoll. War er etwa genauso oft im Club wie wir? Mir war er nie aufgefallen. “Also bist du uns gefolgt?” Er nickte. Ich musste lächeln. “Danke.” “Keine Ursache. Mike scheint ja Recht zu haben, mit dem, was er so über dich erzählt. Du ziehst jede Gefahr an.” Ich gab ihm einen finsteren Blick und sofort bereute er, was er gesagt hatte. “Nicht dass ich etwas darauf gebe.” In meinem Kopf pulsierte es immer noch unaufhörlich. Ich stöhnte auf und kniff meine Augen zusammen. “Wie geht es dir?” fragte Edward besorgt. “Kopfschmerzen”, presste ich hervor. “Die Nachwirkungen…” Er setzte sich neben mich und eine Weile saßen wir schweigend da. Ich versuchte, das Hämmern in meinem Kopf zu unterdrücken. “Ich bin dir wohl was schuldig, dafür dass du mich gerettet hast, was?” Ich sah ihn aus den Augenwinkeln an. “Vielleicht…” Etwas übertrieben spielerisch legte er den Kopf schief. “Also, was soll ich tun?” “Darf ich mir alles aussuchen, was ich will?” Jetzt grinste er verschlagen und ich bereute meine Frage sofort. Eigentlich kannte ich ihn ja kaum und wusste nicht, ob er einer von den Leuten war, die erst den Retter spielten, um dann eine weniger sittliche Gegenleistung zu erwarten. “Keine Angst, so einer bin ich nicht”, entschuldigte er sich etwas erschrocken, als er meinen Gesichtsausdruck sah und hob abwehrend die Hände hoch. “Also?” fragte ich zögerlich. Er schwieg kurz und blickte verlegen zur Seite, ehe er endlich etwas sagte. “Du bist doch die beste Freundin von Claire Stanfield, nicht wahr?” Kapitel 2: Erster Erfolg ------------------------ Woohoo, ich hab´s endlich geschafft, auch hier n neues kapi zu posten...xD""" ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Seit dem kleinen Zwischenfall im Club waren ein paar Wochen vergangen. Ich hatte mit Edward ausgemacht, ihm dabei zu helfen, mit Claire zusammen zu kommen. Auch wenn es mir vorkam, als glaubte er nicht wirklich daran, eine Chance in dieser Hinsicht zu haben. Genau wie alle anderen hatte er die Geschichten, die sich um sie rankten, gehört. Eine unüberwindbare Festung, die nur dem Märchenprinzen Einlass gewährte. Und ein Märchenprinz blieb ein Märchenprinz. Einer, den es nur im Traum gab. Viele schreckte das bereits ab und die wenigen, die es dennoch versuchten, scheiterten letztendlich an einem gewissen Punkt. Womöglich sah Edward in mir eine Möglichkeit, irgendwie mit ihr in Kontakt zu kommen und ihr Geheimnis zu entdecken, um dann vielleicht doch eine Chance zu ergattern. Ich wusste es nicht genau und konnte nur Vermutungen anstellen. In gewissem Maße tat er doch dasselbe wie ich. Ich benutzte ihn, um an Tayk ranzukommen. Ich hatte mich nämlich entschlossen, es wieder zu versuchen. Bis zum Abschlussball wollte ich einen Freund haben. Nicht irgendeinen natürlich. Den Gerüchten nach zu urteilen war er ein wirklich netter, aufrichtiger Typ, der mit allen gut auskam. Und Edward war mit ihm befreundet. Okay, ich konnte ihn deshalb immer noch nicht richtig beurteilen, da ich Edward genauso wenig kannte, doch in der letzten Zeit, die wir zusammen verbracht hatten, kam mir Letzterer doch recht anständig vor. Der nette Nachbar von nebenan. Wir verabredeten uns jeden Tag nach der Schule, um einen Plan aufzustellen, wie Claire auf ihn aufmerksam werden konnte. Anfänglich hatte ich die Idee, die beiden einfach einander vorzustellen, doch eigentlich wusste ich, dass Claire den Braten in dem Fall sofort riechen würde. Stichpunkt Nummer Eins war damit gestrichen und weitere Ideen zauberte der gestrige Nachmittag leider nicht hervor. So endete unser kleines Zusammenhocken bereits nach zwei deprimierenden Stunden. Edward musste nämlich noch zu einem Trainingsspiel. Er war Mitglied in der Baseballmannschaft unserer Schule. Genauso wie Tayk, der Kapitän. Edward war der Batter. Ich hatte keine Ahnung davon, also erklärte er mir ein paar Dinge, obwohl ich hinterher immer noch nicht richtig durchsah. Ich war eine Niete im Sport und allem, was damit zusammenhing. Am Ende wusste ich nur noch, dass er derjenige war, der den Schläger in der Hand hielt und den Ball treffen musste. Und gelegentlich einen Homerun erzielen konnte. Ich hatte heute etwas früher Schluss und stand bereits in der Eingangshalle des Schulgebäudes - die noch menschenleer war -, um auf ihn zu warten. Er hatte schon wieder Training. Noch hatte ich Edward nicht erzählt, dass ich an Tayk interessiert war. Ich wusste auch nicht, ob ich es machen sollte. Am Ende würde er mich eventuell noch auslachen, weil es absurd war, dass sein Freund mich interessant finden könnte. Mich, einem normalen Durchschnittsmädchen, ohne besondere Fähigkeiten und das gelegentlich ihre Freunde in spe ins Krankenhaus beförderte. “Wen haben wir denn da?” Wenn man vom Teufel sprach… oder dachte. Ich drehte mich um, und blickte in das gefällige Grinsen von Mike Newton, der im Eingang stand. Da das Wetter ziemlich warm war, standen die riesigen Flügeltüren offen. Ich konnte ihn also nicht gehört haben. “Mike…” stellte ich gespielt überrascht und dennoch abweisend fest. Ich hatte eigentlich nicht soviel Lust, mich mit ihm zu unterhalten. Zumal er für all die Gerüchte über mich, die mittlerweile jeder Schüler kannte - sogar die Lehrer -, verantwortlich war. “Auf wen warten wir denn?” fragte er spöttisch. “Das geht dich gar nichts an.” “Oh, also gibt es wirklich jemanden, auf den du wartest.” Er klang, als wäre das ein Schock für ihn. “Dass sich noch jemand mit dir abgibt. Ich dachte, ich hätte alle vor dir gewarnt. Ach, na ja, es gibt immer ein paar Trottel.” “Hör auf damit, okay?” funkelte ich ihn wütend an. Obwohl ich wusste, dass er mich provozieren wollte, konnte ich nicht anders, als darauf zu reagieren. Irgendwie war er ja teilweise ebenfalls für meine momentane Misere verantwortlich. So gern ich ihm eins ausgewischt hätte, so machtlos war ich aber auch. Mike war zwar nicht der King unter den Jungs in unserem Jahrgang, aber er war trotzdem sehr beliebt und hatte eine Menge Freunde. “Womit soll ich aufhören?” stachelte er weiter. “Dass du wie eine Hyäne bist, die alles frisst, was sie in die Finger bekommt? Jeden ins Unglück stürzt, ohne mit der Wimper zu zucken? Oder soll ich damit aufhören, dass sogar ein Walross mehr Geschick beweist als du?” “Du weißt, dass das alles nur Missgeschicke waren. Das hätte jedem passieren können”, zischte ich ihn leise an. Meine Stimme brach bereits. Ich spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten. Teilweise aus Wut, teilweise weil ich wusste, dass all seine Übertreibungen einen Funken Wahrheit besaßen. Ich war für die Unglücke verantwortlich und ich bescherte wirklich jedem Jungen Pech, der mit mir zusammen war. Mike schien sich nicht beirren zu lassen. Es machte ihm Spaß, mich vor anderen zu entblößen. Denn mittlerweile füllte sich die Eingangshalle mit Schülern, deren Unterricht zu Ende war. “Ich weiß gar nicht, wie ich mich mit dir abgeben konnte. So wahnsinnig hübsch bist du nun auch nicht. Ich hätte es ahnen müssen, dass etwas passiert. Ich bin schließlich nicht der erste gewesen. Ein Wunder, dass ich noch lebe.” Seine Stimme klang so übertrieben schockiert, dass man denken konnte, er wollte für ein Theaterstück vorsprechen. “Also ich finde schon, dass Bella hübsch aussieht.” Erschrocken drehte ich mich um und sah Edward plötzlich hinter mir stehen. Er sah mich aus den Augenwinkeln kurz an und blickte mit einem hochgezogenen Mundwinkel zu Mike. Dem schien es im ersten Moment die Sprache verschlagen zu haben, fasste sich aber schnell wieder. Er grinste auf einmal. “Also hast du tatsächlich ein neues Opfer gefunden, ja? Wirklich erstaunlich…” meinte er zu mir und schüttelte seufzend den Kopf. Dann sah er mit zusammengezogenen Augenbrauen zu Edward. “Hast du denn nicht mitbekommen, was sie mit Leuten wie uns macht? Es ist unglaublich, dass du dich danach noch mit ihr treffen kannst. Ich hätte viel zu viel Angst um mein Leben”, meinte Mike mitleidig und es war mehr als nur theatralisch. Es waren bereits die ersten Schüler stehen geblieben und beobachteten unsere Diskussion. Ich fühlte mich immer unwohler. “Ich hab durchaus deine kleinen Horrorgeschichten gehört. Und ich glaube, als Reporter bist du mehr als ungeeignet. Geb die Berufswahl lieber gleich auf”, entgegnete Edward trocken. Mike wirkte ein wenig geknickt in seiner Position. Es war aber so kurz gewesen, dass ich mir nicht sicher war, denn als er wieder etwas sagte, klang er selbstbewusster denn je. Er grinste höhnisch. “Hast du denn auch davon gehört, dass unsere liebe, kleine Isabella hier, die nach außen hin ja so unschuldig wirkt, vor einiger Zeit Drogen genommen und dann einen erwachsenen Mann verführt hat?” Mir klappte der Mund auf. Von diesem Gerücht hatte ich noch keine Ahnung gehabt. Genauso wenig, wie die anderen in der Schule, denn ein leises Gemurmel ging durch die Traube, die uns jetzt fast umrundete. Mir stiegen wieder die Tränen hoch und ich hatte Mühe, sie zu unterdrücken. “Das… das war…” flüsterte ich und versuchte mich zu rechtfertigen, doch ich fand nicht die richtigen Worte. “Ach, komm schon, Bella. Da kannst selbst du keine Ausrede mehr finden”, warf er mir vor. “Wieso sollte sie das? Sie hat ja nichts illegales gemacht. Und wenn du besser recherchieren könntest, wüsstest du, dass ihr jemand das Zeug untergemischt hat und dass sich der Typ an ihr vergehen wollte.” Edwards Gesicht, das vorhin noch ein klein wenig belustigt wirkte, war nun vollkommen ernst, als er Mike anfunkelte. Dieser war im ersten Augenblick sprachlos und starrte mit offenem Mund zu uns, fasste sich jedoch wieder und grinste nervös. “Das hat sie dir vielleicht erzählt, aber ich würde meinen letzten Cent darauf verwetten, dass es gelogen ist.” Edward nahm meine Hand und zog mich mit sich in Richtung Ausgang. Als wir Mike passierten, blieb er kurz stehen und presste seine Lippen zusammen. “Na, dann hast du den soeben verloren, denn ich war dabei und muss es deshalb am Besten wissen, nicht wahr?” Mike öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, doch schloss ihn wieder, ohne etwas gesagt zu haben. “Das nächste Mal würde ich erst die Wahrheit in Erfahrung bringen, bevor ich Gerüchte in die Welt setze und andere Leute damit verletze”, flüsterte Edward kalt und klang mehr als nur autoritär. Dann gingen wir hinaus in das Sonnenlicht und ließen einen völlig verdatterten Mike und einen Haufen neugieriger Schüler hinter uns. Auf dem Weg zum Parkplatz blieb ich kurz stehen und holte mehrmals tief Luft, um mich wieder zu beruhigen. Der schwache Wind tat gut und klärte meine Gedanken ein wenig. “Wieso hast du das gemacht?” wollte ich wissen. Einen Augenblick sagte er nichts, dann hob er seine Hand und strich mit seinem Zeigefinger vorsichtig unter meinem Augenwinkel entlang. Ich blinzelte kurz und spürte meine Wangen sich leicht erröten. Als er seinen Finger wieder ein Stück zurücknahm, sah ich eine kleine Träne auf der Spitze. Edward betrachtete erst sie und dann mich. “Damit ich so etwas nie wieder sehe.” Ich starrte ihn einen Moment etwas überrumpelt an. Also hatte ich es nicht ganz geschafft, nicht zu weinen. Eine einzige Träne hatte entkommen können. “Danke”, sagte ich schließlich etwas verlegen. Außer Claire hatte mich noch nie jemand freiwillig verteidigt. Schon gar kein Junge. Umso dankbarer war ich für Edwards Auftritt. Auch wenn ich immer noch nicht ganz verstand, warum er es getan hatte oder was er sich davon erhoffte. Er lächelte. “Gern geschehen.” Dann wurde seine Mine ernst. “Ich mochte diesen aufgeblasenen Wichtigtuer noch nie. Bloß weil seine Familie ein Geschäft besitzt und einigermaßen Geld hat, denkt er, er könnte sich alles erlauben. Ich verstehe nicht, wie man so gefühllos anderen Menschen gegenüber sein kann.” “Tja, solche Leute gibt es nun mal. Da kann man nichts machen.” Ich seufzte und überblickte den Parkplatz. “Das nächste Mal wischen wir ihm eins aus, okay?” fragte Edward und grinste schief, was mir wirklich kurz den Atem verschlug. Dann grinste ich zurück und nickte. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zu seinem Auto. Neuerdings fuhr ich immer bei ihm mit, statt mit dem Fahrrad. Er meinte, ich sähe mehr als unfallgefährdet auf dem Drahtgestell aus und wenn ich bei ihm mitfuhr, wüsste er wenigstens, dass ich heil zuhause ankommen würde. Nach einigen Überredungskünsten von ihm - die vor allem etwas damit zutun hatten, dass ich ihm noch etwas schuldig war -, ließ ich mich dann doch breit schlagen, mein Fahrrad in die Ecke zu stellen. Wir fuhren aber nie sofort nach Hause. Es gab in der Fünfundvierzigsten ein nettes kleines Café, in dem wir jetzt immer unsere Nachmittage verbrachten und uns Gedanken über erfolgreiche Methoden, Claire zu erobern, überlegten. Es war nicht besonders groß, doch die Einrichtung war gemütlich. Kleine rötlich-orange Sitzecken, die meistens durch eine hüfthohe Blumenwand voneinander getrennt waren, der mahagonifarbene Tresen, die kupferfarbenen Wände, das gedämmte Wandlicht… Edward hielt mir die Beifahrertür auf, als wir bei seinem silbernen Volvo ankamen. Mir war schleierhaft, wie er sich so ein Auto leisten konnte. Bei Gelegenheit würde ich ihn danach fragen. Die Fahrt zum Café dauerte nicht lange und ich verbrachte sie damit, lautlos die Songs mitzusingen, die im Radio spielten und die riesigen Hochhäuser von San Francisco zu betrachten, deren Glaswände die Sonnenstrahlen reflektierten. “Singst du gerne?” fragte Edward und riss mich aus meiner Träumerei. Offenbar hatte er meine Lippenbewegungen mitbekommen. “Nein”, log ich. Sein Gesicht verriet mir, dass er mir nicht glaubte. “Das muss dir nicht peinlich sein”, erwiderte er lächelnd und sah mich an. Ich wollte etwas erwidern und ließ meinen Blick nach vorne wandern. “Pass auf!” schrie ich plötzlich. Er trat mit voller Kraft auf die Bremse, sodass das Auto mit quietschenden Reifen zum Stehen kam, uns gegen unsere Gurte schleuderte und wir am Ende nur noch unseren Puls hämmern hörten. Schwer atmend starrten wir beide aus der Windschutzscheibe. Edward hatte es gerade noch geschafft, ein paar Millimeter vor dem Fußgängerüberweg anzuhalten. Ein alter Mann stand direkt vor unserer Motorhaube, fuchtelte wild mit seinem Stock umher und schrie uns wütend an. Allerdings verstanden wir kein einziges Wort. Die Panik, die uns noch einige Sekunden vorher ergriffen hatte, wich jetzt einem unterdrückten Glucksen. Eigentlich war die Situation ernst, doch ich konnte nicht anders. Das Bild dieses Passanten verleitete regelecht dazu. Mit zusammengepressten Lippen schielte ich zu Edward und sah zu meiner Erleichterung, dass er es genauso komisch fand wie ich und ebenso Mühe hatte, nicht zu lachen. Als sich der Mann nach schier unendlichen Minuten beruhigt hatte und endlich die Straße ganz überquerte, konnten auch wir weiterfahren. Zwei Straßenecken weiter befand sich auch schon das Café CrystalMeadow und Edward stellte das Auto auf dem kleinen Parkplatz davor ab. Als wir hineingingen, suchten wir sofort nach unserem Lieblingsplatz. Nach ein paar Treffen hatten wir diesen nämlich schon gefunden. Es war einen kleine, gemütliche Sitzniesche etwas weiter hinten im Raum, wo uns keiner stören konnte und wir von neugierigen Blicken abgeschirmt waren. Der Kellner hielt uns den Platz mittlerweile auch schon jeden Tag frei und grinste, wenn wir kamen. Eigentlich kannte niemand aus unserer Schule diesen Ort, aber falls doch einmal jemand hierher kam, fand er uns nicht gleich. Das war sehr vorteilhaft, denn es sollte ja niemand herausfinden, was wir hier machten. Während ich zu unserem Tisch ging, wollte Edward uns etwas zu trinken holen. “Was möchtest du?” fragte er mich. “Wasser.” “Alles klar.” Und schon machte er sich auf den Weg zum Tresen. Derweil bahnte ich mir einen Weg zu unserem Platz und ließ mich mit einem leisen Seufzer auf der etwas harten Sitzecke nieder, legte meine Jacke ab und holte Block und Stift heraus. Im Grunde hatte ich nicht wirklich Ahnung, wie ich Edward helfen konnte. So was hatte ich schließlich noch nie gemacht und normalerweise war ich die Letzte, die man um so einen Gefallen bat. Ich konnte mich also mal wieder auf einen recht unproduktiven Nachmittag vorbereiten. “Bitte.” Edward war bereits wieder da und stellte mir mein Wasser auf den Tisch. Er selbst hatte sich ebenfalls eines geholt. Ich bedankte mich bei ihm, während er sich mir gegenüber auf einen Stuhl setzte, sich mit verschränkten Armen auf der Tischfläche abstützte und sein Kinn darauf legte. Wie ein Hund, der seinen Kopf zwischen seine Pfoten platzierte und unschuldig dreinblickte. “Also…” fing er an. “Also…” wiederholte ich ihn und legte eine lange Denkpause ein. “Ich glaube, wir sollten mit ihren Interessen anfangen”, schlug er vor und grinste. Ich nickte nur und starrte auf meinen Block, um mir Claires Hobbys ins Gedächtnis zu rufen. “Sie hat Tanzunterricht. Breakdance um genau zu sein.” Ich schaute auf, um seine Reaktion zu sehen - und konnte ehrlich gesagt nicht richtig deuten, ob ihm das zusagte oder nicht. Seine Mine war ausdruckslos, also versuchte ich es weiter. “Du könntest dich ja in ihrem Kurs anmelden. Dann würdet ihr euch mit Sicherheit besser kennen lernen.” Er blickte zur Seite und legte seinen Daumen auf seine Lippen. “Hm… eventuell noch etwas anderes?” fragte er. “Breakdance ist nicht wirklich deine Sache, oder?” Ich musste leicht schmunzeln. Er lächelte entschuldigend und schüttelte den Kopf. “Nein, nicht wirklich. Ich bezweifle, dass Baseball sehr viel Ähnlichkeit mit Tanzen hat.” “Tja, das kann ich schlecht einschätzen. Ich hab ja noch nie ein Spiel gesehen.” Edward blickte überrascht auf. “Nicht einmal unsere Schulturniere?” “Nicht einmal die”, meinte ich und schüttelte meinen Kopf. “Warum nicht?” fragte er neugierig. “Da ich dieses Spiel eh nicht verstehe, interessiert es mich auch nicht sonderlich.” Plötzlich sah er seltsam entschlossen aus. “Das müssen wir aber noch irgendwann nachholen. Jeder sollte das wenigstens einmal gesehen haben.” Ich hob skeptisch eine Augenbraue hoch. “Ich werde sowieso nicht durchsehen.” “Keine Sorge. Ich erklär’s dir dann schon”, grinste er. Ich sah ihn noch einen Moment misstrauisch an, dann wandte ich meinen Blick wieder auf meinen Block. “Seit ein paar Wochen nimmt sie Klavierunterricht. Aber damit kannst du wahrscheinlich auch nichts anfangen…” Ich wollte mir bereits die nächste Möglichkeit ausdenken, als Edward mich unterbrach. “Warte. Sie spielt Klavier?” fragte er hoffnungsvoll. “Ja, aber sie ist grottenschlecht. An der Pinnwand in der Schule hängt ein Zettel von ihr. Sie sucht dringend einen Nachhilfelehrer. Allerdings hat sich herausgestellt, dass die, dich sich gemeldet haben, eigentlich kein Klavier spielen konnten…” Ich hielt kurz inne und betrachtete sein Minenspiel, dass von Überraschung zu Ehrgeiz wechselte. Meine Augenbrauen schoben sich zusammen. “Edward, sie würde beim ersten Tastenklang herausfinden, dass du ihr nicht wirklich etwas beibringen kannst”, warnte ich ihn. Auf einmal grinste er triumphierend. “Wer sagt denn, dass ich nicht spielen kann?” “Eben hast du noch gesagt, dass Baseball und Musik nicht dasselbe sind.” Er hob abwehrend einen Zeigefinger. “Ich kann nichts mit Tanzen anfangen. Klavierspielen kann ich aber sehr wohl”, erklärte er und klang bereits voller Vorfreude. “Ein Baseballspieler kann ein Klavier bedienen…” stellte ich misstrauisch fest und legte meinen Kopf schief. “Warum nicht?” Er hörte sich an, als wäre es das normalste der Welt. “Na ja, ich hab noch nie mitbekommen, dass du so was machst”, versuchte ich zu erklären. Er verzog nervös das Gesicht und schaute zur Seite. “Es weiß auch niemand darüber Bescheid. Wenn Tayk das herausfindet, schmeißt er mich garantiert aus dem Team.” “Warum sollte er das tun?” Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Tayk Rooney so jemand war. Dafür wirkte er einfach zu freundlich und nett. “Er zieht klare Trennlinien zwischen den einzelnen Gruppen der Schule. Es gibt die Cheerleader, die Bücherwürmer, die Rebellen, die ‘Beliebten’, die Musizierenden und die Sportler, wobei er die Baseballmannschaft als Extragruppe betrachtet. Jeder Spieler hat entweder ganz zur Gruppe zu gehören oder kann sofort seine Sachen packen. Deshalb wäre ich dir dankbar, wenn du es niemandem erzählen würdest.” Seine Stimme hatte einen leicht flehenden Unterton. “Ich verstehe nicht, warum du dann nicht einfach das Team verlässt. Dann müsstest du auch nicht dein Hobby verstecken. Oder willst du unbedingt Baseball spielen, weil die Spieler ebenso beliebt sind?” “Nein, das ist es mit Sicherheit nicht.” Er lachte leise, dann starrte er verträumt ins Leere. “Seit ich klein bin, hab ich mir gewünscht, Baseball zu spielen. Mein Dad hatte mich mit fünf das erste Mal zu einem Spiel mitgenommen und ich war von der ersten Sekunde an begeistert gewesen. Der Teamgeist war im ganzen Stadion zu spüren und die Entschlossenheit der Mannschaft, das Spiel um jeden Preis zu gewinnen, stand jedem Einzelnen ins Gesicht geschrieben…” Ich hörte ihm stillschweigend zu. Ich wollte ihn nicht unterbrechen und jetzt schien es, als wäre er wieder in der Vergangenheit und betrachtete diese schöne Erinnerung in seinen Gedanken. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hände und stellte mir ebenfalls vor, wie ein kleiner Junge mit bronzenen Haaren zusammen mit seinem Vater zwischen den Massen auf der Tribüne stand, mit der Lieblingsmannschaft mitfieberte, vielleicht sogar aufgeregt auf und ab hüpfte, als der Batter einen Homerun erzielte, und voller Freude übers ganze Gesicht strahlte… “Bella…” schrie der kleine Junge dann immer wieder durch all die Zuschauerrufe. “Bella?” rief er abermals, jetzt aber etwas lauter. Plötzlich schreckte ich hoch. Edward sah mich verwundert an. “Was?” fragte ich. Ich hatte nicht mitbekommen, dass er etwas gesagt hatte. “Ich denke, wir sollten langsam los. Es ist schon spät und ich will schließlich nicht, dass dein Vater eine Suchaktion startet”, sagte er leicht zögerlich. Ich lachte kurz. “Ja, hast Recht. Damit ist er immer ganz schnell.” Wir packten unsere Sachen zusammen, standen auf und gingen zum Tresen, um unsere Getränke zu bezahlen. Als ich meinen Geldbeutel herausholen wollte, legte Edward seine Hand auf meine und hinderte mich daran. “Das übernehme ich. Schließlich hast du mir heute mehr als geholfen.” Er lächelte - genauso wie der Kellner. “Danke”, sagte ich knapp. Ich mochte es eigentlich nicht, wenn jemand etwas für mich bezahlte. Als wir hinaus gingen, sah ich, dass es bereits dämmerte. Jetzt fiel mir auch ein, dass das Café schon völlig leer gewesen war. “Waren wir die Letzten?” fragte ich etwas überrascht, als Edward mir die Autotür aufhielt. “Ja, aber ich glaube nicht, dass es die Bedienung gestört hat.” So wie der Mann hinterm Tresen gegrinst hatte, konnte ich mir das vorstellen. Wer weiß, was er von uns dachte. Die Rückfahrt verlief größtenteils schweigend. Bis ich etwas in die Stille warf, womit Edward nicht gerechnet hatte. “Du findest mich also hübsch, ja?” fragte ich ihn, stützte meinen Kopf auf meine Hand am Fenster und starrte müde nach vorne. “Wie bitte?” Er war überrascht und wusste nicht, wovon ich sprach. “Das hast du heute zu Mike gesagt. In der Schule”, klärte ich ihn auf. “Ach so. Ja.” “Danke, das war nett. Auch wenn es gelogen war”, meinte ich freundlich und wollte mich bereits wieder der Stille hingeben. “Ich hab nicht gelogen”, sagte er plötzlich verblüfft. Etwas erstaunt sah ich zu ihm. Sein Blick wechselte immer wieder zwischen mir und der Fahrbahn. “Wieso sollte ich lügen?” fragte er mich ungläubig. “Ach, komm schon. Wo bin ich denn bitteschön hübsch?” Ich drehte meinen Kopf wieder nach vorne. “Du hast Mike doch nicht etwa geglaubt, oder?” wollte er wissen und klang skeptisch. “Das muss ich gar nicht. Das weiß ich auch so.” Wir waren bereits in unserer Straße und Edward hielt neben dem Bürgersteig. Er stellte den Motor ab, drehte sich auf seinem Sitz zu mir und sah eindringlich in meine Augen. “Bella.” Kurze Pause. “Ich würde so etwas niemals behaupten, wenn es nicht wahr wäre. Du bist hübsch und daran wird sich auch nichts ändern.” Er tippte mir auf die Nasenspitze. “Also bitte ein wenig mehr Selbstvertrauen, ja?” Er lächelte, doch es war ein wenig Ernsthaftigkeit mit dabei. Für einen Augenblick verschlugen mir seine Worte die Sprache und ich konnte nichts weiter als ihn anstarren und benommen nicken. Edward sah plötzlich an mir vorbei. “Ich glaube, du solltest jetzt lieber reingehen.” Ich folgte seinem Blick und sah, dass in unserem Flur das Licht anging. Ich nahm meine Sachen und stieg aus. “Na dann…” “Bis morgen”, lächelte Edward und winkte, bevor er davonfuhr. ~~~~~~~~~~~~~~~~~ Bin gespannt, wie´s euch gefällt...;D Also bitte n paar commis dalassen, ja?^^ Kapitel 3: Ein Unglück kommt selten allein ------------------------------------------ vorerst...ja, ich weiß. keiner hätte hier jetzt schon mit nem neuen kapi gerechnet...nya~...xD das nächste von "Neue alte Freunde?" kommt auch bald. In den nächsten Tagen werd ich´s, denke ich hochladen. Es dauert da etwas länger, weil ich ja will, dass es perfekt wird. Auch wenn ich das wahrscheinlich nicht schaffe. Bin ja nicht Stephenie Meyer...xD"" >.<... @sweety_sue: das, was jetzt kommt, meinte ich mit "Du wirst überrascht sein"...;D ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich stand noch eine Weile da, bis sein Auto um eine Ecke bog und aus meinem Sichtfeld verschwand. Mehr unbewusst bewegten sich meine Beine Richtung Haustür. Ich kramte in meiner Tasche nach dem Schlüssel, um aufzuschleißen, doch zu meiner Überraschung war die Tür noch auf. Im Flur vor mir stand Claire, die Hände in die Seiten gestemmt, und schaute mich vorwurfsvoll an. “Kannst du mir vielleicht mal verraten, wo du warst?” fragte sie mich. Im ersten Moment war ich etwas erstaunt über ihre finstere Stimmung. Mir fiel kein Grund ein, warum sie auf mich böse sein sollte. Und ich hatte auch nicht damit gerechnet, sie noch so spät hier anzutreffen. Das kam eigentlich nur selten vor. “Unterwegs. Wieso fragst du?” “Wieso ich frage?… Bella, hast du vergessen, dass du mich heute zu meinem Nachhilfeunterricht begleiten wolltest? Du solltest mich doch retten, falls es sich wieder um einen von diesen Möchtegern-Lehrern handelt…” Jetzt dämmerte mir, dass wir verabredet waren. Jemand aus der Schule hatte nämlich mal wieder auf ihre Anzeige geantwortet und bot an, ihr zu helfen. Peinlich berührt über meine Vergesslichkeit schlug ich mir die Hand vor den Mund. “Das tut mir so Leid. Wirklich. Das wollte ich nicht. Ich weiß auch nicht, warum ich nicht mehr daran gedacht habe.” Plötzlich wich die Wut aus ihrem Gesicht und ein besserwisserisches Grinsen trat an die Stelle. Claire verschränkte die Arme vor der Brust. “Ich kann mir schon denken, warum…” Ich sah sie verwirrt an. “Ach Bella. Die ganze Schule spricht davon”, meinte sie, als müsste ich es wissen. Doch ich hatte keine Ahnung. “Wovon?” Claire seufzte, kam auf mich zu und zog mich hinter sich her durch den Flur, bis wir letztendlich in meinem Zimmer ankamen - welches sich weiter hinten im Haus befand - und sie mich aufs Bett schubste. Dann baute sie sich vor mir auf. “Also. Seit wann geht das schon mit dir und Edward?” Ich war völlig überrumpelt von ihren Worten. Mir blieb der Mund offen stehen. Sie glaubte tatsächlich, dass wir zusammen waren. Dass Edward und ich ein richtiges Paar waren. Das durfte auf keinen Fall passieren. Wenn sie das glauben würde, wäre es vorbei mit dem Plan, sie mit ihm zu verkuppeln. Dann würde sie es nicht wagen, Gefallen an ihm zu finden. Das war nämlich schon immer so gewesen. Hatte ich angefangen, mich für jemanden zu interessieren, stand Claire mit vollem Einsatz hinter mir und unterstützte mich. Erst wenn sich doch nichts daraus entwickelte, kam es vor - und das war eigentlich jedes Mal so -, dass sie zugab, an demjenigen ein gewisses Interesse zu haben und sie fragte mich dann erst immer, ob sie sich mit ihm treffen durfte und ob es mir auch wirklich nichts ausmachte - Mike war die einzige Ausnahme gewesen. Ich hatte nichts dagegen, dass sie es mit den anderen versuchte. Ich wusste ja, dass ich eh keine Chance mehr bei dem jeweiligen Jungen hatte. Und wenn ich schon mein Glück nicht fand, dann vielleicht ja sie. Doch jetzt sollte sie erst gar nicht auf die Idee kommen, dass zwischen Edward und mir etwas war. Stop! Warum eigentlich nicht? Wenn man den Statistiken Glauben schenken konnte, dann hatte Claire sich irgendwann fast immer für meine Fast-Freunde interessiert. Warum also sollte das bei Edward anders sein? Einen Versuch war es Wert. Und außerdem harmonierte es auch perfekt mit den Klavierstunden. So würde sie nie darauf kommen, dass Edward sie unterrichtete, um eigentlich mit ihr zusammen zu kommen. Ich musste hinterher nur schnell mit ihm Schluss machen, damit sie sich auch an ihn heranwagte. Doch jetzt sollte ich erst einmal alles abstreiten. Jede andere Reaktion hätte sie misstrauisch gemacht. “Claire… Das ist nicht so, wie du denkst… Wir sind nur Freunde… Mehr nicht… Wieso sollte Edward mit mir zusammen sein? Er passt überhaupt nicht zu mir.” Sie kicherte auf einmal. “Ich finde, das sah heute aber ganz anders aus. So, wie er dich vor Mike verteidigt hat. Da bin nicht nur ich neidisch geworden.” Sie seufzte laut. “Hast du uns etwa gesehen?” Bei all der Aufregung hatte ich nicht mitbekommen, wer uns alles in der Schule beobachtet hatte. “Ja, na klar. Da konnte man einfach nicht vorbeigehen, ohne wenigstens einmal zu lauschen. Eigentlich wollte ich zu dir gehen und dir helfen, als ich diesen Idioten gehört hab, aber dann war Edward auf einmal da. Ich muss gestehen, das es ein Genuss war, Mike mal so abserviert zu erleben. Dieser kleine Dämpfer hat ihm sicher gut getan und ihm von seinem hohen Ross geholt.” Sie kicherte wieder und schüttelte den Kopf. Ich musste ebenfalls schmunzeln bei der Erinnerung an sein perplexes Gesicht, als wir an ihm vorbeigegangen waren. Claire sprang plötzlich mit voller Wucht neben mir aufs Bett und sah mich neugierig an. Ihr Blick machte mir ein wenig Angst und ich lehnte mich leicht zurück, als ihr Gesicht immer dichter kam, als wollte sie mir mit ihren Augen jede Fluchtmöglichkeit nehmen. “Also wie lange schon?” fragte sie. Sie war hibbeliger als ein Kleinkind. “Claire, ich…” fing ich an, ohne wirklich zu wissen, was ich sagen sollte. Sie legte ihre Hand auf meine. “Bitte, Bella. Verrat es mir. Ich finde das nämlich wirklich toll. Ich freu mich für dich. Obwohl ich eigentlich gedacht hab, dass du Tayk ganz nett findest.” Mein Mundwinkel zuckte nervös. “Das …dachte ich auch… Durch einen dummen Zufall sind Edward und ich aneinander geraten”, versuchte ich ihr einigermaßen glaubhaft zu erklären. Claire legte den Kopf schief. “Die Sache im Club, oder? Warum hast du mir das nicht erzählt?” Sie klang traurig beleidigt. “Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Es ist schließlich nichts passiert.” “Ja, aber nur weil Edward dir zur Hilfe gekommen ist. Wie romantisch…” Ihr Blick wanderte ins Unbekannte, als sie anfing, vor sich hinzuträumen. Ich verstand es zwar nicht ganz, da ich dem Ganzen, wenn ich mich an die Situation zurück erinnerte, nichts romantisches abgewinnen konnte, aber ich war mir plötzlich sicher, dass es doch nicht so schwer werden würde, sie mit ihm zusammen zu bringen. “Claire?” versuchte ich sie wieder in die Realität zurückzuholen. “Hm?” Sie sah mich fragend an, dann fiel ihr wieder ein, worüber wir gerade redeten. “Oh… ja. Tut mir Leid. Ich war in Gedanken”, entschuldigte sie sich. “Das hab ich mir gedacht.” Sie lächelte verlegen, dann war sie wieder ganz die alte. Voller Neugier. “Also, wann trefft ihr euch das nächste Mal?” fragte sie wissbegierig. “Wahrscheinlich morgen in der Schule? Wir haben einige Kurse zusammen. Das weißt du doch”, sagte ich langsam. “Ja, stimmt. Hatte ich vergessen.” Sie winkte grinsend ab. “Was hat eigentlich dein neuer Lehrer in Sachen Klavierspielen gesagt?” wandte ich ein. Ich musste von dem anderen Thema irgendwie ablenken. Wenn auch nur teilweise. Claires Mine verfinsterte sich. “Als ich am Klavier saß und anfangen wollte, zu spielen, hat er sich neben mich gesetzt und statt mit den Fingern auf der Tastatur zu bleiben, sind sie an meiner Hüfte entlang gewandert.” “Das tut mir Leid. Wenn ich dran gedacht hätte, wäre das vielleicht nicht passiert”, entgegnete ich ihr reumütig. “Ist schon in Ordnung. Du hattest einen triftigen Grund, fern zu bleiben. Da entschuldigt sich man doch nicht.” Ich lächelte sie verhalten an und spielte nervös mit meinen Fingern. Ich hoffte, sie würde das, was ich als nächstes sagte, nicht falsch verstehen. “Das heißt doch auch, dass du noch immer jemanden suchst, der dir hilft, oder?” fragte ich vorsichtig. “Ja, wieso?” “Na ja…” druckste ich herum. “Edward kann zufälligerweise Klavier spielen. Wenn du willst, frage ich ihn, ob er dir ein paar Nachhilfestunden gibt.” Für einen Augenblick sah sie mich still an. Ich wusste nicht im geringsten, was gerade in ihr vorging. Ich rechnete bereits damit, sie würde mir vorwerfen, nur mit Edward zusammen zu sein, damit er an sie herankam. Und so war es eigentlich ja auch. Dann jedoch konnte ich all meine Sorgen fallen lassen, als sie mich anlächelte und meinte: “Das wäre toll. Dann könnte ich mich endlich verbessern, wenn er denn gut ist.” Im Grunde wusste ich nicht, wie gut Edward spielen konnte. Ich hatte ihn noch nie gehört, aber um den Schein zu wahren, nickte ich schnell. “Sehr gut. Gleich morgen können wir ihn ja gemeinsam fragen. Je eher, desto besser.” Ich hob meine Hand, um sie in ihrem Eifer zu stoppen. “Eine Sache wäre da aber noch…” Ihre Augenbrauen schoben sich nach oben. “Edward möchte nicht, dass jemand herausfindet, dass er mit einem Musikinstrument umgehen kann. Also wäre es gut, wenn du es nicht in der Öffentlichkeit erwähnst.” Etwas verwirrt starrte sie mich an. Wahrscheinlich kam es ihr merkwürdig vor, doch sie fragte nicht weiter nach, sondern nickte nach einer Weile. Plötzlich hörten wir die Haustür und drehten uns in die Richtung. “Sieht aus, als wäre Dad von der Arbeit zurück”, stellte ich fest. “Ja, ich werde dann auch mal nach Hause gehen.” Seufzend erhob sie sich vom Bett. Ich begleitete sie noch zur Tür. “Hallo, Dad”, begrüßte ich diesen, als er uns im Flur entgegenkam. “Hallo ihr zwei. Na, musstest du sie mal wieder aufmuntern?” fragte er Claire neckend und grinste in meine Richtung. Sie schüttelte freudig den Kopf. “Das brauche ich Gott sei Dank nicht mehr.” Charlie hob überrascht die Augenbrauen und gerade als Claire ihn aufklären wollte, schob ich sie auch schon zur Tür hinaus. Mein Dad musste nicht auch noch von meiner neuen Schein-Beziehung mit Edward erfahren. “Sie muss jetzt ganz dringend nach Hause. Also bis morgen, Claire. Mach’s gut.” Ich winkte noch kurz, dann schloss ich die Tür rasch vor ihrer Nase. Der morgige Tag würde anstrengend werden. Ich musste Edward erzählen, was passiert war und hoffte, er würde es nicht allzu böse auffassen. Außerdem musste ich mir bereits überlegen, wie ich wieder mit ihm ‘Schluss’ machen konnte. Denn Tayk würde sich erst recht nicht mit mir abgeben, wenn ich bereits ‘vergeben’ war. “Ich geh dann mal ins Bett. Nacht, Dad”, verabschiedete ich mich von ihm und ging zurück in mein Zimmer. Charlie war zwar etwas überrascht über meine plötzliche Müdigkeit und wollte mich wahrscheinlich noch über Claires Kommentar ausfragen, doch ich wollte ihm keine Gelegenheit dazu geben. Auf lästige Fragen konnte ich verzichten. Völlig erschöpft ließ ich mich ins Bett fallen, nachdem ich mich fertig gemacht hatte, und gähnte genüsslich, bevor meine Augen wie von selbst zufielen. Am nächsten Morgen erwachte ich durch ein lautes Klirren, das aus der Küche kam. Charlie musste scheinbar immer noch da sein und irgendetwas hinunter geworfen haben. Die Sonnenstrahlen durchfluteten bereits mein Zimmer und als ich auf meinen Wecker schaute, stöhnte ich auf. Kein Wunder, dass Dad noch Zuhause war. Die Uhr zeigte halb sechs an. Eine halbe Stunde zu früh. Da ich jetzt aber eh wach war, beschloss ich doch, aufzustehen. Heute konnte ich mir mal etwas Zeit nehmen und so rappelte ich mich mehr als langsam auf, nahm mein Waschzeug und huschte aus dem Zimmer zum Bad am anderen Ende des Flures. Als ich endlich damit fertig war und mir ein paar sommerliche Sachen herausgesucht hatte, ging ich in die Küche, wo Charlie damit beschäftigt war, jede Menge Glassplitter aufzuräumen. “Was ist dir denn passiert?” fragte ich leicht amüsiert, als ich sein Grummeln mitbekam. “Guten Morgen, Bells. Hast du gut geschlafen?” kam er mir mit einer Gegenfrage und ignorierte meinen Kommentar absichtlich. Das tat er immer, wenn ihm etwas peinlich war. Ich musste schmunzeln, beließ es aber dabei und nickte. “Ja, hab ich.” Der Frühstückstisch war schon gedeckt. Charlie hatte sich heute wirklich Mühe gegeben. “Wie soll ich denn das verstehen?” fragte ich ihn etwas verblüfft und betrachtete die Speisen ganz genau. Müsli, frische Brötchen, Pancakes mit Sirup, Eier und Schinken, Orangensaft, Salat, süßer Aufstrich, Milch und diverse andere Sachen. Charlie räumte gerade die letzten Scherben weg und kam an den Tisch. Plötzlich grinste er. “Ich dachte mir, da du deine trübselige Phase scheinbar mehr als überwunden hast…” “Dad…” stöhnte ich und unterbrach ihn. War ich dieser Zeit denn so schlimm, dass meine Familie und meine Freunde es gleich feiern mussten, wenn es mir besser ging? “Tut mir Leid. Aber ich finde es schön, zu sehen, dass du dich wieder erholst. Und ich hoffe natürlich, dass es dieses Mal der Richtige ist…” sagte er mehr beiläufig, als er sich über seine Pfannkuchen hermachte. “Wie bitte?” Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte, denn es hörte sich an, als ginge er davon aus, dass ich einen Freund hätte. Allerdings war mir schleierhaft, wie er auf so etwas kam. Charlie schaute von seinem Teller auf. “Na ja, es wäre doch schön, wenn das Glück dieses Mal auf deiner Seite ist.” “Was genau meinst du damit?” fragte ich vorsichtig und verengte meine Augen. “Ich rede von Edward, Bella. Edward Cullen.”, seufzte er. “Wie kommst du denn auf so was?” Plötzlich sah er erschrocken auf. Seine Wangen erröteten verlegen, als wäre er gerade auf frischer Tat ertappt worden. “Bitte, nimm es Claire nicht übel, ja? Sie hat es mir erzählt. Nachdem du sie gestern Abend so unsanft hinausbefördert hast, hab ich sie angerufen und gefragt, ob sie es mir erzählen kann. Zuerst hat sie etwas herumgedruckst, aber als ich sie dann doch überreden konnte, war sie gar nicht mehr bremsen, alles haargenau zu schildern. Sie freut sich wahrscheinlich mehr für dich, als du selbst, glaub mir…” Plötzlich kicherte er. “Ich hatte ja gehofft, dass sich daraus mehr entwickelt. Ich meine, er holt dich neuerdings jeden Tag ab. Das ist wirklich nett von ihm. Aber wehe, er fährt nicht ordentlich. Es passieren jeden Tag so viele Verkehrsunfälle und die meisten davon werden durch unerfahrene Fahranfänger verursacht…” Dass er sich deshalb mal wieder Sorgen machte, war klar, dennoch hatte ich wahrlich keine Lust, ihn deshalb zu ermahnen. Ich wollte nicht auf seinen Versuch, vom Thema abzulenken, eingehen. Ich starrte Charlie wütend an. Wie konnte Claire ihm das einfach so erzählen? Vor ihren Augen mit Edward zusammen zu sein, war ein absichtlicher Vorwand, doch dass mein Dad es jetzt auch wusste, ging zu weit. Ich mochte ihn nicht gerne anlügen und jetzt steckte ich mittendrin. Ohne ein weiteres Wort stand ich auf, nahm meine Sachen und verließ die Küche. “Bella, sei ihr deshalb nicht böse”, hörte ich Charlie noch hinter mir sagen, dann war ich bereits aus dem Haus und stand in unserem Vorgarten. Da es so früh war, stand noch kein Volvo am Straßenrand. Es störte mich nicht wirklich, schließlich musste ich ihm auch noch von unserer ‘Beziehung’ erzählen. Das Wetter war noch nicht allzu heiß und ein kleiner Spaziergang konnte nicht schaden. Soviel Zeit wie ich hatte, war ich auch zu Fuß rechtzeitig in der Schule. Auf meinem Weg kam ich an vielen kleinen Familienhäusern vorbei. Einige Leute waren bereits auf und mähten den Rasen oder besprenkelten ihn, um ihn vor der baldigen Hitze zu schützen. Andere aßen auf ihrer Veranda Frühstück. Ein paar Kinder machten sich ebenfalls fertig für die Schule, etwas jüngere für den Kindergarten. Meine Augen betrachteten diese Bilder mehr unbewusst. Mein Kopf war voll von möglichen Ideen, wie ich es Edward am Besten beibringen konnte, ohne dass er wütend wurde. Es ihm einfach direkt sagen oder ihn vorher langsam darauf vorbreiten, sodass es hinterher keine allzu heftige Reaktion gab? Ich hatte wirklich keine Ahnung, wie ich es anstellen sollte. Seufzend ließ ich den Kopf hängen und schloss meine Augen. Ein lautes, lang gezogenes Hupen hinter mir ließ mich zusammenfahren und erschrocken drehte ich mich um. Es war Edwards Volvo und er selbst starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Bereits in der nächsten Sekunde wusste ich warum, als ich aufgeregte Fahrradklingeln hörte und mich wieder nach vorne drehte. Eine ganze Horde Fahrer kam auf mich zugerast. Noch ehe ich reagieren konnte, stand ich bereits mitten drin, als jeder versuchte, um mich herum zu fahren. Ich hätte still stehen müssen, damit mir nichts passierte, doch stattdessen versuchte ich ebenfalls aus dem Weg zu gehen. Unschlüssig, in welche Richtung ich gehen sollte, tapste ich mit meinen Füßen hin und her, genauso wie einer der Fahrradfahrer mit seinem Lenker hin und her schlenkerte, nicht wissend, an welcher Seite er an mir unfallfrei vorbei konnte. Ein lauter Knall, quietschende Bremsen, ein dumpfer Aufprall auf dem Boden und Edwards Stimme, die panisch meinen Namen rief. Ich lag mit dem Bauch auf dem Boden, meine Wange berührte den kalten Asphalt und mein Magen schmerzte. Ich kniff meine Augen zusammen. Die anderen Fahrradfahrer hatten angehalten und halfen nun ihrem Freund auf. Ein paar kamen auf mich zu und murmelten vor sich hin. Hastiges Fußgetrappel war zu hören. “Bella? Alles in Ordnung? Geht’s dir gut?” Edwards besorgte Stimme veranlasste mich, meine Augen ein Stück weit zu öffnen. Ich legte meine Handflächen auf den Boden und wollte mich aufstützten, als ich schmerzhaft aufstöhnte. “Warte, ich helfe dir.” Edward nahm einen meiner Arme und legte ihn sich um seinen Nacken. Mit seinem umfasste er meine Taille und zog mich hoch. Ich blickte an meinen Händen hinunter und sah das Blut, das aus den Schürfwunden quoll. “Ist alles okay mit ihr?” wollte jemand aus der Gruppe wissen. “Mir geht’s Bestens. Keine Sorge”, meinte ich mit zittriger Stimme. Allerdings spürte ich bereits den Schwindel in meinem Kopf. Ich atmete tief ein und aus, um die Übelkeit zu vertreiben. Ich hatte eine Abneigung gegen Blut. Mein eigenes als auch das von anderen. Sobald ich es sah, konnte ich es auch riechen. Und dann wurde mir schlecht. “Das glaube ich dir nicht. Du bist ganz bleich im Gesicht. Ich bring dich erstmal zu einem Arzt.” Edwards ernste Stimme ließ mich meinen Kopf zu ihm drehen. “Das ist nicht nötig. Wir sollten uns lieber beeilen, sonst kommen wir zu spät zur Schule”, versuchte ich und rang mir ein Lächeln ab. “Kommt nicht in Frage.” Er drehte sich zu der Gruppe um, die sich gerade um ihren Freund kümmerten. “Soll ich ihn zum Arzt mitnehmen?” fragte Edward sie. “Nein. Ist nicht nötig. Er hat nur ein paar kleine Kratzer. Ansonsten ist nichts weiter passiert”, erklärte einer von ihnen. “Ist gut.” Edward brachte mich zu seinem Volvo, setzte mich bereits auf die Beifahrerseite und schnallte mich an. Ich schloss meine Augen und lehnte mich vorsichtig zurück, immer noch durch den Mund atmend. Plötzlich spürte ich etwas weiches an meiner Wange. Ich zuckte zurück, als mich ein kleiner Schmerz durchfuhr. “Ah…” “Entschuldigung…” meinte Edward. Er saß bereits auf seinem Sitz und tupfte mir mit einem Taschentuch Blut von den Kratzern auf meiner Wange. Dann nahm er vorsichtig meine Hand und legte sie auf das Tuch, welches immer noch auf den Schürfwunden verweilte. “Halt das fest, okay?” Ich nickte und tat, was er sagte. Dann schnallte er sich an und fuhr los. Für meinen Geschmack viel zu schnell. Das Übelkeitsgefühl wurde stärker. “Kannst du etwas langsamer fahren?” presste ich hervor. Er drehte seinen Kopf kurz zu mir, dann wieder zurück auf die Fahrbahn. “Ist gut.” Im nächsten Moment spürte ich bereits, wie er die Geschwindigkeit ein wenig drosselte und ich konnte sehen, dass die Häuser jetzt langsamer an uns vorbeirauschten. Die Fahrt zum Krankenhaus dauerte nicht lange. Ehrlich gesagt fand ich es auch etwas übertrieben, gleich zum Arzt zu rennen. Doch seltsamerweise war ich mir sicher, dass ich es eh nicht geschafft hätte, Edward zu überreden, es sein zu lassen. Dafür machte er mir ein zu besorgtes Gesicht. Als er auf dem riesigen Parkplatz das Auto abstellte, stieg er rasch aus, um an meine Seite zu laufen und die Beifahrertür aufzumachen. Ich hatte mich bereits abgeschnallt. “Du brauchst mir nicht zu helfen. Ich kann alleine laufen”, meinte ich, als ich meine Beine hinaus schwang und aufstehen wollte. Doch scheinbar war der Schwindel immer noch nicht abgeklungen. Ich wankte und meine Beine sackten unter mir weg. “Das sehe ich anders.” Edward fing mich noch rechtzeitig auf und trug mich jetzt zum Eingang. Eigentlich völlig unnötig. Am Empfang angekommen fragte er nach einem Arzt. Glücklicherweise war nicht allzu viel Betrieb, sodass wir gleich in ein Behandlungszimmer geführt wurden, um dort zu warten. Edward legte mich auf die Liege und setzte sich auf den Stuhl an der Wand. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich darauf, das Schwindelgefühl loszuwerden. Wir schwiegen uns eine Weile an, bis er plötzlich leise anfing zu kichern. Aus den Augenwinkeln sah ich zu ihm rüber. “Worüber lachst du?” fragte ich ihn. Er sah überrascht auf und fing an zu grinsen. “Das kann ich dir nicht sagen. Tut mir Leid.” Meine Augen wurden schmal. “Hat es etwas mit mir zutun?” Sein Kichern erstarb auf einmal. “Nein.” “Edward…” sagte ich mit etwas Nachdruck. Ich kaufte ihm seine Antwort nicht ab. Er seufzte. “Wenn ich es dir verrate, musst du versprechen, hinterher nicht sauer zu sein, okay?” “Okay…” “Na ja, wenn man an all diese… Gerüchte glaubt und eins mit dem anderen verbindet, dann… scheinst du wirklich eine gewisse Gabe für Unglücke zu besitzen.” Er sah mich etwas mitleidig an. Einen Moment lang starrte ich ihn fassungslos an. Hieß das, er glaubte doch an Mikes Geschichte? Dass ich für all die Unfälle verantwortlich war? Damals, als wir vorm Club gesessen hatten, meinte er, er würde nichts darauf geben, doch jetzt hörte es sich ganz anders an. Ich biss meine Zähne zusammen, schloss meine Augen und wandte so meinen Blick ab. “So war das nicht gemeint, Bella. Es tut mir Leid. Wirklich.” Seine flehende Stimme ignorierte ich. Ich wollte keine Heucheleien hören. “Ist schon gut. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich hab schon verstanden.” “Bella, ich…” fing er an, wurde aber unterbrochen, als die Tür neben ihm aufgemacht wurde und ein Arzt hereinkam. “Also, was haben wir hier…?” meinte er und sah auf sein Klemmbrett in der Hand. “Dad!” rief Edward plötzlich und stand auf. Ich war etwas erstaunt. Hatte ich gerade richtig gehört? Hatte Edward diesen Arzt gerade als seinen Vater bezeichnet? Das konnte doch unmöglich sein. Dafür sah er viel zu jung aus. Er war höchstens Anfang dreißig. “Hallo Edward…” begrüßte er ihn überrascht. “Was machst du denn hier?” “Krankentransport…” sagte er beiläufig und deutete auf mich. “Ich wusste nicht, dass du Bereitschaft hast.” “Ein Kollege hat sich krank gemeldet und ich bin eingesprungen”, erklärte der blonde Arzt und wandte sich dann mir zu. “So. Jetzt zu Ihnen, junge Dame. Ich bin Dr. Cullen.” Er lächelte. “Was genau ist denn passiert?” “Sie wurde mehr oder weniger von einem Fahrrad überfahren”, sagte Edward, noch bevor ich auch nur ein einziges Wort herausbringen konnte. Der Arzt hob die Augenbrauen, dann nickte er. “Könntest du dann bitte draußen warten?” “Okay.” Und schon war Edward aus dem Zimmer verschwunden. Der Arzt holte ein Fläschchen und etwas Watte aus einem Schrank neben der Liege und fing an, meine Wunden zu reinigen. Das Desinfektionsmittel brannte. Ich zuckte jedes Mal zurück und kniff meine Augen zusammen. “Entschuldigung”, meinte er lächelnd. Als er mit dem Reinigen fertig war, klebte er einen länglichen Pflaster auf meine Wange und verband leicht meine Hände. Der Geruch des Blutes war jetzt völlig verschwunden und erleichtert konnte ich die Luft tief einatmen. “Tut Ihnen sonst noch etwas weh?” fragte er mich. “Mein Bauch.” Er nickte. “Dann wollen wir mal hoffen, dass es nichts Schlimmes ist.” Er schob mein Oberteil ein wenig nach oben und tastete vorsichtig meinen Bauch ab. Ich stöhnte einmal auf, als der Druck seiner Finger unter meinem Magen etwas schmerzte. “Hm… ich denke nicht, dass Sie sich etwas gebrochen haben. Aber das hier wird einen schönen, blauen Fleck geben. Ich schreibe Ihnen noch eine Salbe auf, um die Schmerzen zu lindern.” Er erhob sich und ging zum Schrank, um ein Rezept vorzubereiten. “Danke.” Ich nahm es ihm ab, als er es mir entgegenhielt. “Kein Problem”, lächelte er. Er wollte mir gerade bedeuten, aufzustehen und ihm aus dem Zimmer zu folgen, doch ich blieb liegen. “Darf ich Sie mal etwas fragen?” Überrascht sah er mich an. “Nur zu. Was ist es?” Ich antwortete nicht gleich, da ich nicht wusste, wie ich es am Besten sagen sollte. “Sind Sie… wirklich Edwards Vater? Ich meine… Sie sehen noch so jung aus…” Der Arzt lachte kurz auf. “Das werden wir oft gefragt. Biologisch gesehen bin ich sein Onkel… Seine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Da war er ungefähr fünf… Meine Frau und ich haben das Sorgerecht für ihn und seinen Bruder übernommen…” “Edward hat Geschwister?” stellte ich verblüfft fest. Er hatte noch nie davon erzählt. “Ja. Einen älteren Bruder. Er geht in Chicago aufs College.” “Ach so. Das wusste ich gar nicht.” “Ich glaube, seit dem Unfall redet er allgemein nicht viel über seine Familie”, erklärte er. Seine Miene wirkte etwas nachdenklich. Wir schwiegen kurz und hingen unseren Gedanken nach. Bis der Arzt plötzlich wieder lächelte. “So. Ich muss jetzt leider zu meinem nächsten Patienten.” “Oh. Ja, natürlich. Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht aufhalten.” Ich stand auf und gemeinsam gingen wir aus dem Behandlungszimmer. Edward saß im Wartezimmer beim Empfang und als er uns sah, kam er sofort auf uns zu. “Und?” Irgendwie klang er wieder etwas besorgt. “Alles in Ordnung. Nur eine Schwellung und die paar Kratzer, die man sehen kann. Vielleicht solltest du sie nach Hause fahren. Heute kann sich Miss Swan noch mal ausruhen”, meinte sein Dad. “Mach ich. Danke.” “Nein”, protestierte ich und erntete sofort überraschte Blicke. “Mir geht’s wieder gut. Ich kann zur Schule gehen. Wir haben bist jetzt nur die erste Stunde verpasst.” “Du willst freiwillig zum Unterricht, obwohl du einen triftigen Grund hast, fern zu bleiben?” Edward schmunzelte, woraufhin ich ihm einen finsteren Blick zuwarf. “Auf Wiedersehen, Dr. Cullen”, verabschiedete ich mich vom Arzt. “Auf Wiedersehen.” Ich hörte ihn hinter mir kichern, als ich wütend an Edward vorbeistakste - wenn auch etwas unbeholfen. “Ich werde definitiv zur Schule gehen. Du brauchst mich nicht hinzufahren.” “Bella, warte doch”, schrie er mir hinterher und hatte mich am Eingang bereits eingeholt. “Bist du immer noch wütend wegen vorhin?” fragte er ungläubig. Ich hatte unsere kleine Auseinandersetzung bereits vergessen gehabt, doch jetzt, wo er mich daran erinnerte, hatte ich einen Grund mehr, auf ihn sauer zu sein. Es kam mir vor, als würde er sich ständig über mich lustig machen. Wie konnte man nur so…? Grrr… Ich ignorierte seinen erwartungsvollen Blick und ging einfach weiter. Scheinbar hatte er verstanden, denn er fragte nicht mehr. Stattdessen zog er mich am Arm zu seinem Auto, als ich gerade daran vorbeigehen wollte - nicht auf meine Proteste achtend. “Ich fahr dich hin. Wenn du läufst, kommst du erst heute Abend an.” Die ganze Autofahrt schwiegen wir uns an und ich starrte stur aus dem Fenster. Ab und zu blickte ich aus den Augenwinkeln zu ihm herüber. Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst und sein Blick starr auf die Fahrbahn gerichtet. In der Schule angekommen, nahm ich meine Sachen und wollte bereits zum Unterricht laufen, als Edward mich aufhielt. “Treffen wir uns heute Nachmittag wieder?” fragte er kleinlaut - vielleicht sogar etwas beleidigt. “Weiß ich noch nicht”, antwortete ich und ging an ihm vorbei. Ich war wirklich nicht diejenige, die leicht nachgab. Schließlich hatte er angefangen und sollte sich entschuldigen, nicht ich. Auf dem Flur kam mir Claire mit besorgtem Blick entgegen und wollte natürlich sofort wissen, was passiert war. Ich erzählte ihr alles, während wir zur nächsten Stunde liefen, und plötzlich fing sie an zu kichern. “Er hat dich schon wieder gerettet. Na wenn das nicht Liebe ist…” schwärmte sie leise in der Englischstunde. Ich konnte sie nur fassungslos anstarren. Der Rest des Vormittags ging relativ schleppend vorbei. Claire konnte einfach nicht aufhören, über Edward zu reden. Seine Vorteile, sein Aussehen, seine Vorzüge… Größtenteils ging es mir wirklich auf die Nerven und ich war ja auch noch auf sie wütend, weil sie Charlie alles verraten hatte, doch ich bekam langsam das Gefühl, dass sie anfing, sich ernsthaft für Edward zu interessieren. Ein heimliches Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. Es klingelte zur Mittagspause und wir machten uns auf zur Cafeteria. Auf dem Weg dorthin wurde ich immer wieder von einigen Leuten komisch angesehen. Einige amüsiert, andere verblüfft… Vielleicht kam es mir auch nur so vor. Ich war mir nicht sicher. Auf jeden Fall sah das Pflaster in meinem Gesicht nicht sonderlich toll aus. “Oh, da ist er ja”, sagte Claire plötzlich neben mir. Ich schaute auf. Edward stand nicht weit entfernt von uns an einem Tisch und sah uns kurz an, bis er auf uns zukam. Ich hatte wenig Lust, mit ihm zu reden - nicht, bis ich eine Entschuldigung von ihm hörte - und wollte bereits zur Theke gehen, als Claire mich an den Schultern packte. “Wo willst du denn hin? Man sollte seinen Freund doch nicht einfach so stehen lassen”, meinte sie fröhlich und mehr als laut, als sie mich direkt in seine Richtung schubste. Ich wäre auf den Boden geknallt, wenn Edward mich nicht aufgefangen hätte, und als ich ihn ansah, bemerkte ich sein geschocktes Gesicht. “Was?!” Verdammt. Ich hatte total vergessen, ihm zu erzählen, dass Claire uns für ein Paar hielt. ~~~~~~~~~~~~~~~~~ jop...o.O°... Kapitel 4: Zweites Inning ------------------------- Sooo, sry erstmal, dass ich ganz schön unregelmäßig die verschiedenen Kapis hochlade...ich hoffe, ihr nehmt mir das nicht allzu übel...>.<... Aber jetzt zu diesem chap (was euch hoffentlich gefällt): eine Hauptperson hat schon mal einen kleinen Gastauftritt...;D Ich könnt euch wahrscheinlich denken, wer es ist, wenn ihr´s gelesen habt...^^ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Hastig löste ich mich aus seiner Umarmung, nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit mir. “Wenn du uns kurz entschuldigen würdest…” meinte ich zu Claire, als wir schnell an ihr vorbeiliefen und die Cafeteria verließen. Aus den Augenwinkeln sah ich Claires Gesicht, das erst verwirrt aussah und dann wissend grinste. Jedenfalls glaubte sie wahrscheinlich zu wissen, wo ich hin wollte. Meine wahren Absichten kannte sie nicht. “Bella, warte…” protestierte Edward, doch ich ignorierte es. Erst musste ich einen Platz finden, wo uns keiner belauschen konnte. Die Flure waren jetzt größtenteils leer, da sich die meisten Schüler beim Mittagessen aufhielten. “Wo willst du hin?” fragte er. Als hätte jemand meine Eile gespürt, entdeckte ich plötzlich eine Besenkammer, gleich links neben mir. “Das erklär ich dir gleich”, meinte ich, öffnete die Tür und schob ihn hinein. Mit einem kurzen Blick in den Flur vergewisserte ich mich, dass uns niemand gesehen hatte, dann schloss ich die Tür hinter mir. “Hey, was soll da-” wollte er sagen, doch ich hielt meine Finger auf seinen Mund, um ihm zum Schweigen zu bringen. “Psst.” Ich lauschte noch einen Augenblick, bis ich mir wirklich sicher war, dass sich niemand in der Nähe befand. Die Tür hatte zwar ein Fenster, doch das Glas war so dick und rau strukturiert, dass man nichts erkennen konnte, sofern man die Lampe ausließ. In der Kammer war es etwas dunkel, nur das Licht des Flures, das durch die Scheibe trat, erhellte es ein klein wenig. “Kannst du mir bitte mal erklären, was das alles soll?” fragte er mich im gedämpften Ton und sah mich ungeduldig an. “Hör zu… Ich… konnte eigentlich nichts dafür. Claire hatte plötzlich diese fixe Idee, als sie mich ausgefragt hat. Also sei bitte nicht sauer auf mich, ja?” flehte ich. Sein Gesicht verriet, dass er keine Ahnung hatte, was ich meinte. Seine Ungeduld wurde größer. “Bella…”, fing er langsam an. “Wovon redest du?” Ich sah ihn einen Moment lang an, bevor ich sprach. “Na ja, Claire… denkt, wir wären zusammen.” Verlegen drehte ich meinen Kopf weg und wartete auf seinen Wutausbruch. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er sich endlich regte. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass er mich völlig regungslos anstarrte, unfähig, das eben gehörte richtig zu verarbeiten. “Wie… kommt sie darauf?” fragte er atemlos. “Ich… hab sie gestern versetzt, als wir in dem Café waren. Und… als ich ihr erklärt hab, wo ich war… hat sie die Sache mit Mike in der Schule… und weil du mich immer abholst… zusammen gezählt… Deshalb denkt sie jetzt, dass wir miteinander gehen…” stammelte ich. Einen Moment überlegte er, dann schüttelte er ungläubig den Kopf. “Aber ich verstehe nicht, wie sie immer noch der Meinung sein kann… nachdem du es abgestritten hast…” überlegte er. Ich riss die Augen auf, dann wandte ich meinen Blick ab. “Du hast es doch abgestritten, oder?” Edward sah mich eindringlich an, hoffnungsvoll auf eine positive Antwort wartend. “Bella?” hakte er nach, als ich nicht antwortete. Langsam wand ich mich wieder ihm zu. Hastig und kurz schüttelte ich meinen Kopf mit zusammengepressten Lippen. Ich beobachtete ihn jetzt ganz genau, um jede noch so kleine Regung in seinem erstarrten Gesicht zu erkennen. “Edward?” fragte ich vorsichtig. “Warum…?” Seine Stimme war monoton, als er an mir vorbeistarrte. “Warum hast du das gemacht? Warum hast du sie in dem Glauben gelassen, wir wären…” Mitten im Satz brach er ab und sah mich plötzlich mit erschrockenem Gesicht an. “Du… Das hast du doch nicht etwa gemacht, weil du in mich… verliebt bist, oder so etwas. Ich meine, wenn das so ist, dann… tut es mir wirklich Leid. Ich…” “Warte, nicht so voreilig, okay?” unterbrach ich ihn und grinste leicht. “Ich bin nicht in dich verliebt.” Zwar konnte ich es nicht mit Sicherheit sagen, aber er sah ein klein wenig erleichtert aus. “Das Ganze hat einen anderen Grund”, fuhr ich fort. Stillschweigend hörte er jetzt jedem meiner Worte ohne Unterbrechung zu. “Um das alles zu verstehen, musst du wissen, dass einige der Freunde, die Claire immer hatte, sich meistens zuerst mit mir getroffen haben. Wie du dir sicherlich denken kannst, ist nie etwas auch nur aus einem der Dates geworden. Allerdings hat sich herausgestellt, dass Claire irgendwann angefangen hat, sich selbst für diejenigen zu interessieren. Und ich hab sie dann gewähren lassen, als die besagten Jungs aufgehört haben, sich mit mir zu treffen… Was ja eigentlich immer meine Schuld war, so tollpatschig wie ich bin…” sagte ich mehr zu mir selbst, dann sah ich Edward wieder direkt an. “Deshalb… denke ich, dass es dieses Mal genauso werden wird.” Meine Überzeugung geriet leicht ins Schwanken, als ich plötzlich Edwards mitleidigen Blick bemerkte. “Was ist?” fragte ich zögernd. “Bella…” fing er an. “Ist dir jemals der Gedanke gekommen, dass all deine Verabredungen… wahrscheinlich nur ein Vorwand waren, um an deine Freundin heranzukommen?” Er sprach seine Worte langsam und mit Bedacht, als wollte er mich nicht verletzen. Einen Augenblick starrte ich ihn nur an, dann lächelte ich nervös. Was er da sagte, konnte unmöglich war sein. Am Anfang hatten mir diejenigen wirklich immer ihre volle Aufmerksamkeit geschenkt. Nie gab es auch nur eine Situation, in der es anders war. Oder etwa doch? Wenn ich richtig darüber nachdachte, kam ich eigentlich niemals über das dritte Date hinaus. Ich war davon ausgegangen, dass es an mir lag. Dass ich diejenige war, die Schuld an den Misserfolgen war. Ich musste zugeben, dass sich die Betroffenen immer sehr schnell auf Claires Annäherungsversuche eingelassen hatten. Auch wenn es am Ende trotzdem nichts wurde, weil sich herausstellte, dass sie für sie doch nicht die Richtigen waren. Tatsache war, dass sich also nie wirklich jemand für mich interessiert hatte. Ich war nur eine Brücke, um den Fluss zu überqueren und ans andere Ufer zu gelangen. Eine Nebensächlichkeit, die ausgenutzt wurde, um an den Jackpot zu kommen. Wie konnte ich mir nur jemals einbilden, jemand wollte ernsthaft etwas von mir, wenn Claire doch direkt daneben stand? “Bella?” Edwards Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich schaute auf. Sein fragender Blick wechselte sofort in Sorge und reumütig zog er seine Augenbrauen hoch. Als bereute er das eben Gesagte zutiefst. Auf einmal zog er mich zu sich, nahm mich fest in die Arme und legte seinen Kopf auf meine Haare, während er langsam und sanft über meinen Rücken strich. Ich hatte die Tränen nicht bemerkt, die über meine Wangen liefen, als mir klar wurde, wie wahr Edwards Worte doch waren. Auch wenn ich im ersten Moment etwas überrascht über die plötzliche Umarmung war, so tat sie doch gerade auch mehr als gut. Dankend legte ich meine Arme ebenfalls um seinen Körper und drückte mich noch enger an ihn. “Es tut mir Leid”, flüsterte er. “So war das nicht gemeint. Ich hatte nicht das Recht, so etwas zu behaupten.” “Schon in Ordnung”, antwortete ich leise, um das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. “Irgendwie hast du ja Recht. Ich weiß gar nicht, wie ich so blind sein konnte.” “Mach dir bitte keine Selbstvorwürfe, ja? Und hör auch nicht auf das, was dein dahergelaufener Scheinfreund sagt.” An dieser Stelle lachte er kurz nervös. Womöglich meinte er sich selbst damit. Ich musste ebenfalls etwas lächeln, auch wenn er es nicht sah. “Irgendwann triffst du denjenigen, der sich nur für dich alleine interessiert. Und dann wirst du gar nicht mehr an die anderen denken. Und mich wirst du dann auch ganz schnell vergessen. Das solltest du jedenfalls. Ich bin schließlich nicht besser… Vielleicht sollten wir das Ganze sogar abbrechen.” “Das ist Blödsinn”, nuschelte ich in sein Hemd. “Dieses Mal ist es ja von vornherein geplant. Und ich hab mich damit einverstanden erklärt, da ich dir noch etwas schuldig bin.” Ich lehnte mich etwas zurück, um ihn anzusehen und lächelte. Die Sorge in seinem Gesicht wich jetzt dem Lächeln, das er erwiderte, als er die letzten Reste der Tränen von meiner Wange wischte. Plötzlich war eine seltsame Spannung in dem kleinen Raum zu spüren. Ich konnte mir nicht erklären, woher sie kam, doch genügend Zeit, es herauszufinden, hatte ich auch nicht, da in diesem Moment die Tür aufgerissen wurde. Wir blinzelten der Helligkeit entgegen, die uns jetzt aus dem Flur traf und starrten überrascht in das Gesicht eines Mädchens, dessen kinnlange, schwarze Haare seltsam in alle Richtungen abstanden. “Entschuldigung”, meinte sie fröhlich, als würde ihr die Lage, in der wir uns befanden, nichts weiter ausmachen. “Ich wollte euch nicht stören. Eigentlich hatte ich die Toilette gesucht”, erklärte sie noch, dann schlug sie die Tür wieder zu und nur das Hallen ihrer gehetzten Schritte war noch zu hören. Einen Augenblick lang blickten Edward und ich noch wie versteinert auf die Glasscheibe. Glücklicherweise war es dunkel genug, sodass er die Röte, die mir ins Gesicht schoss, nicht sehen konnte. Das hoffte ich jedenfalls. “Wer… war das?” fragte ich etwas verwirrt. “Ich hab keine Ahnung”, antwortete er genauso überrascht. Im gleichen Moment hörten wir die Schulglocke zum Ende der Mittagspause läuten. Wir lösten uns etwas verlegen voneinander und gingen hinaus. “Was hast du jetzt?” wollte Edward wissen. “Sport.” Ich musste laut aufstöhnen. Ich hasste dieses Unterrichtsfach. In fast jeder Stunde passierte etwas und entweder war ich selbst dann verletzt, oder einer meiner Mitschüler. Edward grinste, als er meinen Gesichtsausdruck sah. “Dann sehen wir uns ja”, meinte er und wollte sich bereits auf den Weg machen, doch ich hielt ihn auf. Wir hatten nie zusammen Sport. Mich wunderte sein Kommentar. “Wie meinst du das?” “Unser Baseball-Team hat bald ein wichtiges Spiel. Deshalb trainieren wir mehr als sonst. Normalerweise hätte ich jetzt Schluss”, antwortete er. Ich nickte. Aus irgendeinem seltsamen Grund freute ich mich plötzlich auf die Stunde. “Bis dann”, meinte er noch, dann lief er los. Ich machte mich ebenfalls auf den Weg zur Umkleide und musste mich sogar etwas beeilen. Claire war bereits umgezogen und saß auf der Bank, welche zwischen jeder Spindreihe stand. Sie musterte mich neugierig. “Wo musstet ihr denn so schnell hin?” fragte sie, während ich meine Sportsachen anzog. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte. Mir etwas einfallen zu lassen, hätte ewig gedauert und selbst wenn mir sofort eine Ausrede in den Sinn gekommen wäre, hätte sie meine Lüge wahrscheinlich eh durchschaut. “Eigentlich musst du mir nichts erklären. Ich kann es mir schon denken. Obwohl ich finde, dass ihr es vielleicht ein bisschen zu heftig angeht”, meinte sie, als ich nichts sagte. Ich konnte sie nur fassungslos anstarren. Dass sie sich gleich so etwas vorstellte… Wenn wir doch nur schon an dem Punkt angelangt wären, an dem meine Scheinbeziehung bereits zu Ende war und sie anfing, sich mit Edward zu treffen. Dann müsste ich mir nicht mehr ihre Theorien anhören. “Claire…” “Tut mir Leid. Ich weiß, dass ich mich eigentlich nicht einmischen sollte. Es ist nur, dass ich mir Sorgen mache. Ich möchte nicht, dass du wieder verletzt wirst. Ihr kennt euch noch nicht lange und dann gleich so stürmisch in eine frische Beziehung zu gehen, schadet dem Ganzen vielleicht…” Ich legte meine Hand auf ihre Schulter, um sie zu unterbrechen. “Deshalb sind wir nicht verschwunden. Keine Angst, wir lassen es langsam angehen. Außerdem kannst du ihn gleich mal fragen, ob er dir bei deinen Klavierstunden hilft.” Ich hoffte, dass meine kleine Ablenkung half und sie nicht weiter nach dem Grund für unsere abrupte Flucht fragen würde. Wie es schien, hatte ich Glück. Sie ging darauf ein. “Wieso gleich?” “Weil er jetzt auch Sport hat. Er trainiert mit dem Team”, erklärte ich ihr. Ich war jetzt fertig mit dem Umziehen und gemeinsam warteten wir draußen auf unseren Lehrer, der nach ein paar Minuten Verspätung endlich kam. Wir hatten Lauftraining und wie vermutet, ging unsere Klasse zum Sportplatz, der in zwei Bereiche unterteilt war. Der Teil, auf dem wir liefen, war von einer riesigen Bahn umrundet und gleich daneben befand sich das Baseball-Feld, welches nur durch einen hohen Zaun von unserer Seite getrennt war. Dahinter befand sich die Tribüne, auf der sich ein paar Schüler befanden und dem Training zusahen - oder den Spielern hinterher schmachteten. Als wir dort ankamen, bemerkte Edward uns sofort und auch wenn er etwas weiter weg stand, konnte ich sehen, dass er lächelte, ehe er sich wieder dem Spiel zuwendete. Ich hatte vorher nie darauf geachtet, doch in ihren Mannschaftsoutfits sahen die Spieler wirklich gut aus… Zur Erwärmung mussten wir zehn Minuten auf der äußersten Bahn laufen. Es dauerte nicht lange, da fiel mir plötzlich jemand aus dem Team ins Auge, der sich gerade in die Mitte des Baseballfeldes begab, sich dann mit dem Rücken zu uns drehte, um den Batter anzusehen und den kleinen Baseball immer wieder in die Luft warf, ehe er ruhig stehen blieb, die Arme kurz an die Brust legte, einen Ausfallschritt nach hinten machte, kräftig ausholte und den Ball mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zu Edward warf. Es war Tayk, der Kapitän des Teams. Ich konnte nicht anders, während des Laufens wie gebannt auf ihn zu starren - ohne auch nur im Geringsten darauf zu achten, wohin ich lief. “Bella!” hörte ich plötzlich Claires Stimme hinter mir schreien. Ehe ich mich versah, spürte ich bereits die Bank - von denen mehrere am Rand standen - an meinen Schienbeinen und fiel mit voller Wucht darüber. Claire, der Lehrer und ein paar weitere Leute kamen auf mich zu und halfen mir wieder auf, während andere in nur wenigen Metern entfernt standen und leise hinter vorgehaltener Hand kicherten. Das Baseballteam hatte ebenfalls aufgehört zu spielen und betrachtete mich jetzt mit belustigten Blicken. Das Ganze war mir so peinlich, dass das Blut, das mir in den Kopf schoss, meinen Kopf unnatürlich rot anlaufen ließ. “Alles okay mit dir?” fragte mich unser Lehrer. Ein leichtes Zucken seiner Mundwinkel war zu erkennen. Ich klopfte das Gras von meinen Knien und versuchte, wieder einigermaßen sicher zu stehen. Das Adrenalin, das im Moment des Sturzes durch meinen Körper schoss, ließ mich immer noch etwas unsicher wanken. “Mir geht’s gut”, antwortete ich und holte tief Luft. Ich schielte kurz zur Mannschaft herüber. Edwards Gesicht war erst ernst, dann lächelte er und Tayk… Ja, Tayk sah mich auf eine abfällige Weise amüsiert an. Das Herz sackte mir in die Hose. Ich würde es nie schaffen, ihn für mich zu gewinnen. Ich hatte nicht die geringste Chance bei ihm… Für den Rest der Stunde konnte ich auf der besagten Unglücksbank sitzen bleiben. Zwar hieß es, ich sollte mich ausruhen, doch es war eher wahrscheinlich, dass sie Angst hatten, ich würde noch jemanden von den Anderen beim nächsten Mal mitreißen. Als wir dann endlich Schluss machen konnten, hatten Edward und die anderen gerade Pause. Unsere Klasse wollte gerade zurückgehen, da hörte ich ihn meinen Namen hinter mir rufen. Ich drehte mich um und sah, wie er auf uns zulief. Seine Teamkollegen schauten ihm neugierig hinterher. Claire neben mir grinste. Ich warf ihr einen finsteren Blick zu, doch sie zuckte nur mit den Schultern und lächelte. Edward kam kurz vor uns zum Stehen. “Wartest du am Auto auf mich? Wir sind gleich fertig”, sagte er und schielte kurz zu meiner Freundin herüber. “Ja, okay. Mach ich”, antwortete ich. Er nickte und wollte bereits wieder zurückgehen, als mir etwas einfiel. “Ach, Claire”, sagte ich und drehte mich zu ihr. “Edward ist übrigens einverstanden, dir Nachhilfe zu geben.” Ich hielt meine Stimme etwas gedämpft, damit niemand meine Worte mitbekam. Schließlich durfte keiner wissen, dass er Klavier spielte. Im ersten Moment sah sie mich verwirrt an, dann verstand sie, was ich meinte. “Wirklich? Das wäre toll, wenn ich endlich wirklich etwas lernen könnte und nicht immer diese Möchtegernlehrer treffen müsste…” Edward hatte sich ebenfalls wieder uns zugewandt. Als ihm auch klar wurde, wovon wir sprachen, lächelte er Claire freundlich an. “Sag mir einfach, wann du Zeit hast und wo wir uns treffen sollen”, meinte er zu ihr. Einen Augenblick überlegte sie. “Wie wäre es gleich morgen?” Edward nickte. “Um vier? Früher kann ich leider nicht, weil ich noch Training habe.” “Vier ist okay. Wir können uns bei mir treffen. Meine Eltern haben mir gleich einen Flügel geschenkt, als ich ihnen erzählt habe, dass ich es lernen möchte.” Sie lächelte verlegen. Hatte ich schon erwähnt, dass ihre Familie reich war? Ihr Vater war ein angesehener Richter in Kalifornien und ihre Mutter war eine der Top-Reporterinnen des San Francisco Chronicle, der wichtigsten Zeitung der Stadt. Normalerweise hätten ihre Eltern sie auf eine Privatschule geschickt, doch Claire bestand darauf, auf eine öffentliche zu gehen. Sie wollte nicht mit irgendwelchen reichen Schnöseln zusammen lernen. Ich war immer froh über ihren Entschluss gewesen. In ihr hatte ich eine wahre Freundin gefunden. Auch wenn sie manchmal etwas zu energisch an die Dinge ging. “Dann bis morgen”, meinte Edward zu ihr und “Bis nachher”, zu mir, ehe er wieder zu den anderen lief. Auf dem Weg zur Umkleide erinnerte ich mich wieder an die Sache mit Charlie heute morgen und hielt es Claire vor. Sie entschuldigte sich mehrmals und auch wenn ich eigentlich vorhatte, sie noch etwas schmoren zu lassen, so verhinderte ihr flehender Blick doch dieses Vorhaben und seufzend schüttelte ich meinen Kopf. Ich ließ mir extra lange Zeit beim Duschen und Umziehen, bis ich schließlich die Letzte war. So müsste ich nicht allzu lange auf dem Parkplatz warten. Claire hatte sich bereits von mir verabschiedet und wünschte mir mit einem frechen Grinsen noch viel Spaß. Als ich bei Edwards Volvo ankam, stand er selbst überraschenderweise schon dort - mit verschränkten Armen an sein Auto gelehnt. “Wie kommt es, dass ihr doch schon so früh fertig seid?” fragte ich ihn und stieg auf der Beifahrerseite ein. Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. “Waren wir nicht.” Erst verstand ich nicht, was er meinte, doch als ich auf die digitale Uhr am Armaturenbrett sah, bemerkte ich, dass ich mehr als eine dreiviertel Stunde gebraucht hatte. Ich stöhnte auf. “Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht warten lassen”, entschuldigte ich mich. “Kein Problem. Ich bin nur ein paar Minuten vor dir da gewesen.” Er lächelte. Während er vom Parkplatz fuhr, schwiegen wir eine Weile, bis mir auffiel, dass er mich nicht direkt nach Hause brachte, sondern zu unserem Café. “Wieso fährst du wieder hier her? Ich dachte, dass jetzt alles erledigt ist”, entgegnete ich. “Noch nicht mal annähernd. Erstens ist nicht gewährleistet, dass das mit dem Nachhilfeunterricht auch wirklich so klappt, wie gedacht und zweitens musst du mir noch erklären, wie du dir das mit unserer Scheinbeziehung vorgestellt hast.” Ich wusste doch, dass ich eine kleine Sache bereits aus meinen Gedanken verdrängt hatte. Jetzt wusste ich auch wieder welche. “Stimmt.” Mehr konnte ich nicht sagen. Edward parkte wie immer auf dem kleinen Platz vor dem Café und als wir es betraten, lächelte uns der Barkeeper bereits entgegen und begrüßte uns. Unsere Ecke hatte er uns wie jedes Mal frei gehalten. Wir setzten uns und bekamen sofort unsere Getränke, ohne vorher überhaupt bestellt zu haben. Als er die Gläser abgestellt hatte, stand er noch kurz vor unserem Tisch und musterte uns mit einem breiten Lächeln. Sein Starren wurde mir langsam etwas unangenehm und ich wollte mich bereits an meinen ’Freund’ wenden, als der Kellner auch schon wieder zurückging. “Also”, fing Edward an und sah wartend zu mir. Ich atmete kurz durch, ehe ich antwortete. “Bis jetzt bin ich nie über das dritte Date hinaus gekommen… Meistens lag es daran, dass der Junge, mit dem ich gerade zusammen war, am Ende entweder im Krankenhaus lag, vor Scham am liebsten im Erdboden versunken wäre oder ganz einfach plötzlich das Interesse verlor, weil er mich angeblich anders eingeschätzt hätte, als geglaubt… Na ja, jetzt weiß ich ja warum…” Ich seufzte, bevor ich weiter sprach. “Kurz nachdem ich ihn dann aufgab, erzählte mir Claire immer, dass sie ihn doch ganz nett fände und ob es mir etwas ausmachen würde, wenn sie sich mit ihm trifft…” Er hatte mir stillschweigend zugehört und ein leicht gequälter Ausdruck entstand jetzt auf seinem Gesicht. “Ich fühl mich immer noch nicht wohl dabei, das Gleiche zu machen, wie all die anderen.” “Ich hab dir schon mal gesagt, dass es dieses Mal völlig anders ist, okay?” Zwar lächelte er bei meinem Einwand, doch so ganz schien es seine Augen nicht zu erreichen. “Was ich sagen will, ist dass wir gar nicht so lange ein Paar spielen müssen. Vielleicht warten wir ein paar Klavierstunden ab, bis Claires Interesse geweckt ist und dann machst du mit mir Schluss”, fuhr ich unbeirrt fort und ignorierte seinen Versuch, etwas zu einzuwenden. “Na schön, aber mein schlechtes Gewissen kannst du trotzdem nicht verhindern”, meinte er resigniert. Ich lächelte triumphierend. Plötzlich fing er an zu grinsen und ich hob misstrauisch eine Augenbraue. “Was?” fragte ich. “Mir ist heute in Sport etwas aufgefallen.” Sein Grinsen wurde breiter und seine Augen schmal. “Und das wäre?” hakte ich vorsichtig nach. “Als du über die Bank gestürzt bist… Kann es sein, dass du an unserem Kapitän interessiert bist?” Meine Wangen wurden heiß und das Blut schoss mir ins Gesicht. Dass ihm das aufgefallen war. Konnte man mich so leicht durchschauen? War es so offensichtlich gewesen? Hoffentlich hatte es niemand anderes mitbekommen. “Wie… kommst du darauf?” stammelte ich. “Das muss dir nicht peinlich sein, Bella. Wenn es wirklich so ist, dann kann ich dir doch dabei behilflich sein. Genauso wie du es bei mir bist. Und außerdem kann ich mich dann bei dir revanchieren.” “Ich bin dir doch sowieso schon etwas schuldig. Das würde überhaupt keinen Sinn machen”, protestierte ich und konnte mich innerlich bereits ohrfeigen, denn ich hatte mein Interesse an Tayk gerade bestätigt. Edward war das natürlich auch klar. “Eigentlich zählt das nicht richtig. Wenn ich dir mit Tayk helfe, hab ich eher das Gefühl, dass unsere Vereinbarung ausgeglichen ist.” “Tayk sieht nicht so aus, als würde er sich mit jemandem wie mir treffen wollen.” Was auch immer Edward vorhatte, ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie er es bewerkstelligen wollte, dass der Kapitän des Baseballteams Interesse an mir finden sollte. So wie mich Letzterer im Sport angesehen hatte, kam es mir fast unmöglich vor. Edward schien sich von meinem skeptischen Gesichtsausdruck nicht beirren zu lassen. “Ich bin mit ihm befreundet, also keine Sorge. Ich hab auch schon eine Idee, wie ihr euch treffen könnt”, erklärte er. “Und die wäre?” “Übermorgen ist ein Spiel zwischen den San Francisco Giants und den Chicago White Sox. Da ich weiß, dass Tayk es sich ansehen wird, gehen wir auch da hin. Außerdem hab ich dir ja gesagt, dass du unbedingt mal eines miterleben musst. So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.” Er lächelte zufrieden und war vollkommen überzeugt von seinem Plan. Im Gegensatz zu mir. “Zu dem Zeitpunkt sind wir aber offiziell bestimmt noch ein Paar und demnach bin ich tabu”, wand ich ein. Edward zögerte mit seiner Antwort. “Na ja… ehrlich gesagt, sind diese Sorte Mädchen interessanter für ihn. Normalerweise mag ich diese Einstellung nicht, aber dieses Mal kommt es ganz gelegen”, druckste er etwas herum. Eigentlich bedeutete das, dass Tayk nur etwas für zwischendurch suchte, doch die Tatsache, das ich mich viel zu sehr für ihn interessierte, verdrängte diesen Aspekt in die hinterste Ecke meines Gehirns. Edward war sein Freund und mit seiner Hilfe konnte ich es vielleicht schaffen, Tayk ernsthaft für mich zu gewinnen. Einen Versuch war es wert. “Dir ist klar, dass das eine kleine Zwickmühle darstellt, oder? Normalerweise müssten wir unsere Beziehung ziemlich schnell beenden, doch wenn´s um Tayk geht, müssten wir eigentlich zusammen bleiben…” Edward schien das nicht zu beunruhigen. Er lächelte. “Wenn wir es schnell genug schaffen, ihn von deinen Werten zu überzeugen, dann ist das kein Problem, denke ich.” Im ersten Moment war ich etwas sprachlos. Hatte er denn etwa für alles eine Lösung? “Wir sollten los”, meinte er plötzlich, stand auf und hielt mir seine Hand hin. Ich konnte noch nicht einmal etwas erwidern. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Und wie war´s? o.o°... Kapitel 5: Flippig und geheimnisvoll ------------------------------------ erstmal...OMG...wirklich n Monat, seit ich das letzte Kapi hochgeladen hab...oO...Sorry an alle. Ich geb auch ehrlich zu, dass ich das letzte Kapi nochmal lesen musste, um weiterschreiben zu können...>.<... Hoffe, ihr habt die hier nicht ganz vergessen...^^ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Als Edward mich zuhause absetzte, senkte sich die Sonne bereits gen Westen und der rötliche Schimmer, der sich jetzt am Horizont bildete und die dünne Wolkenschicht verfärbte, tauchte unser Haus und die Umgebung in ein warmes Orange. “Dann bis morgen früh”, meinte er und lächelte mir entgegen. Ich nickte und wollte bereits aussteigen. “Bella?” Ich drehte meinen Kopf zu ihm und sah ihn an. “Tust du mir einen Gefallen?” “Welchen?” fragte ich. “Könntest du morgen auf mich warten, falls ich noch nicht da sein sollte? So was wie heute morgen würde ich gerne vermeiden, wenn’s geht.” So sehr mich seine Fürsorge auch rührte, ich konnte diese Bemutterung eigentlich nicht leiden. Um ihn aber nicht wütend zu machen - schließlich wollte er mir mit Tayk helfen -, nickte ich etwas verbissen, ehe ich ausstieg. “Bis dann.” “Bye.” Auf dem Weg zur Haustür hörte ich sein Auto und wie das Geräusch des Motors immer leiser wurde. Als ich die Tür aufschloss, oder es jedenfalls vorhatte, denn zu meiner Überraschung war sie bereits offen, konnte ich schon im Flur einen ziemlich strengen Geruch wahrnehmen. “Dad?” fragte ich vorsichtig. Er war der Einzige, der hier sein konnte, wenn die Tür offen stand. Niemand sonst von uns ließ sie ständig auf. Der Duft kam aus der Küche. Ich ging darauf zu und erstarrte im ersten Moment, als ich hineinspähte. Am anderen Ende des Raumes quollen bereits die ersten grauen Dampfwolken aus dem Backofen in der Wand. Schnell rannte ich darauf zu und schaltete das Gerät ab, öffnete die Klappe und musste - nachdem ich mit vorgehaltener Hand dem Qualm weggewedelt hatte - zu meinem Bedauern feststellen, dass das, was auch immer sich darin befunden haben musste, kohlrabenschwarz war. Ich lief zum Fenster und riss es auf, um ein wenig frische Luft hereinzulassen. Hoffentlich bekam es von den Nachbarn niemand mit. Nicht dass noch jemand auf die die Idee kam, die Feuerwehr zu benachrichtigen. “Dad!” rief ich abermals und noch etwas lauter, während ich mir einen Handschuh nahm und das Blech mit dem verbrannten Etwas herausholte, um es im Waschbecken unters Wasser zu halten. Noch mehr Rauch stieg auf, als die Kälte auf die Hitze traf, doch leider kühlte die Flüssigkeit das Blech nicht schnell genug ab und bei dem Versuch, jede Ecke mit Wasser zu bedecken, geriet das Stück nackte Haut, das sich zwischen dem Handschuh und meinem Ärmel befand, an das heiße Metall. “Ahh!” schrie ich auf und zog meinen Arm abrupt zurück. “DAD!” schrie ich jetzt mehr als laut und schon fast wütend, musste aber gleich darauf husten, als ich etwas von der Rauchwolke einatmete. Die jetzt knallrote Linie an meinem Unterarm pulsierte schmerzhaft und verfärbte sich von Sekunde zu Sekunde dunkler. Hastig, jedoch darauf achtend, nicht wieder an das Blech zu geraten, hielt ich es unter den Wasserhahn und seufzte vor Erleichterung auf. “Bells?” hörte ich hinter mir und sah plötzlich meinen Vater in der Küche stehen. Er sah mich erst etwas überrascht an, dann wanderte sein Blick zum Backofen, dem Fenster und blieb am Ende am Waschbecken hängen, während seine Augen immer größer wurden. “Oh, verdammt!” “Das kannst du laut sagen. Was sollte das alles überhaupt? Seit wann kochst du alleine?” fuhr ich ihn etwas gereizt an. “Na ja…” fing er an, als er auf den Backofen zuging und dessen Innenleben misstrauisch beäugte. “Du warst noch nicht zuhause und ich hatte Hunger. Außerdem wollte ich auch mal etwas zum Abendessen zaubern und dich nicht immer damit belasten… Jetzt, wo du doch so glücklich bist.” Die letzten Worte stammelte er so leise, dass ich mir fast sicher war, ich sollte sie nicht hören. Mehr als anstarren konnte ich ihn im ersten Moment nicht. Mich beschlich das Gefühl, dass dieser verunglückte Versuch, Essen zuzubereiten den gleichen Grund hatte, wie zuvor das Frühstück heute morgen. Konnte mein Vater sich nicht mal normal verhalten? So wie jeder andere auch? Mich eher zurecht weisen und irgendwelche Predigten darüber halten, einen Freund zu haben, anstatt es mit zum Scheitern verurteilten, versuchten Essenszubereitungen zu befürworten? Ich seufzte. Umstimmen konnte ich ihn eh nicht. Ich hatte auch keine Lust, das Thema bewusst aufzugreifen und beließ es dabei. “Pizza?” fragte ich stattdessen. Er lächelte etwas verlegen. “Gute Idee. Ich glaube nicht, dass wir das da noch essen können.” Mit einem Nicken deutete er auf die schwarze Masse auf dem Blech. Nachdem wir uns zwei Anschovi-Pizzen bestellt und diese relativ schnell verschlungen hatten, erledigte ich schnell meine Schulaufgaben und ging dann früh ins Bett. Ich hatte ziemlich unruhig geschlafen. Ständig schwirrten mir mehr als komische Bilder von Tayk, Edward und Claire durch den Kopf. Edward und Claire Händchen haltend auf einer Wiese… Tayk, der so groß wie die Freiheitsstatue war - er selbst war sie sogar, mit der Tunika dieser französischen Dame, dem Buch und der Fackel in der Hand - und auf mich herabschaute. Tiefste Nacht. Nur ein paar Lichter New Yorks und der Schiffe auf dem Wasser. Ich stand auf Liberty Island und war so klein, dass ich locker zwischen seine Zehen passte. Er lachte höhnisch, als er mich sah. Er schüttelte sich so sehr vor Lachen, dass die Erde bebte und ich ins Schwanken geriet. Ich stolperte über meine eigenen Füße und fiel gegen einen seiner Zehen. Und dann kam, was kommen musste. Jetzt geriet auch sein riesiger Körper ins Schwanken. Das Lachen verstummte und sein Gesicht wurde immer panischer, als ihm klar wurde, dass er sein Gleichgewicht nicht halten konnte. Drei. Zwei. Eins. Mit einem krachenden Geräusch fiel er nach hinten, von der kleinen Insel, auf der er stand, und direkt ins Wasser, einige Schiffe von der riesigen Welle, die sein Körper verursachte, erwischte und ein paar Boote mitriss. Das Knacken des Holzes signalisierte mir, dass sie mit Sicherheit nicht wieder an die Oberfläche kommen würden. Mit einem lauten Schrei fuhr ich in meinem Bett hoch. Ich konnte den Schweiß auf meiner Stirn spüren und musste angestrengt Luft holen. “Bells, alles in Ordnung?” fragte jemand und als ich aufsah, entdeckte ich meinen Dad in der Tür stehen. Er sah wirklich erschrocken aus. Warum war er eigentlich so früh morgens in meinem Zimmer? “Nur ein Alptraum. Was gibt’s?” “Ich wollte dich wecken. Dein Freund steht draußen und wartet auf dich. Es ist schon ziemlich spät.” Das Ganze sagte er so ruhig, dass ich im ersten Moment nicht realisierte, was das eigentlich bedeutete. Sämtliches Blut wich plötzlich aus meinem Gesicht. “WAS?!” Ich sprang aus meinem Bett, krallte mir meine Sachen und rannte an meinem Dad vorbei hinaus aus meinem Zimmer und gleich ins Bad. Ich hatte verschlafen! Edward wartete bereits und wegen mir würde er auch noch zu spät zum Unterricht kommen. Wieso wartete er überhaupt? Er könnte doch auch genauso gut schon losfahren und wenigstens für sein eigenes Wohl sorgen. Manchmal verstand ich diesen Rotschopf einfach nicht. Bronze… Seine Haare sahen eher bronze aus. Nicht rot… Argh! Dafür war jetzt keine Zeit. Ich musste mich beeilen. Ganze fünfzehn Minuten brauchte ich, um fertig im Flur zu stehen. Auf Frühstück musste ich heute verzichten. “Bist du soweit?” hörte ich hinter mir und erkannte die Stimme auf Anhieb. Mein Dad musste Edward wohl hereingelassen haben. Oh nein, jetzt kannten sie sich auch noch. Wenn wir irgendwann miteinander Schluss machen sollten, hätte das vielleicht ernsthafte Konsequenzen für Edward. Ich hatte nur einmal den Fehler gemacht, meinem Dad einen Freund vorzustellen. Und der wohnte jetzt in einer anderen Stadt. Vielleicht hätte ich Edward vorwarnen sollen. Ich drehte mich um und sah ihn im Kücheneingang stehen, ein Grinsen auf dem Gesicht. “Tut mir leid. Ich muss den Wecker scheinbar nicht gehört haben”, erklärte ich mit wehleidigem Blick. “Macht nichts. Wir kommen schon pünktlich. Keine Sorge.” Er schien sich wirklich keine Gedanken darüber zu machen. Ich sah ihn etwas misstrauisch an, doch er ging nicht weiter darauf ein. Er ging an mir vorbei zur Haustür, wo er kurz inne hielt. “Bis dann, Mr. Swan”, rief er. “Bis dann, Edward. Du kannst ruhig öfter vorbeikommen.” Aus einem der hinteren Zimmer hörte ich Charlies Stimme. Edward lächelte und verschwand dann nach draußen. Ich sah ihm noch kurz hinterher, ehe mir wieder einfiel, dass wir unter Zeitdruck standen. “Mach’s gut, Dad”, rief ich jetzt ebenfalls und hastete nach draußen, ohne seine Antwort abzuwarten. Schon wenige Sekunden, nachdem wir losgefahren waren, wusste ich, warum Edward sich keinen Kopf um unser Zu-Spät-Kommen machte. Er raste in einem unmenschlichen Tempo die Straßen von San Francisco entlang und ich musste mich wirklich am Sitz festkrallen, um nicht durchs Auto geschleudert zu werden. “Bitte nicht so schnell, ja?” presste ich zwischen meinen Zähnen hervor. Er seufzte. “Dann müssen wir uns wohl doch eine Strafpredigt von Mr. Warner anhören…” “Haben wir heute etwa Geo?” fragte ich völlig perplex. Normalerweise vergaß ich meinen Stundenplan nie. Was war bloß los mit mir? Edward nickte, während er zu meiner Erleichterung die Geschwindigkeit drosselte. Das Glück musste heute auf unserer Seite stehen, denn als wir zwei Minuten nach Stundenbeginn im Klassenzimmer standen, war der Lehrer noch nicht da. Wir gingen auf unsere Plätze an der Fensterseite. Edward saß nur ein paar Reihen vor mir. Kurze Zeit später kam auch schon Mr. Warner herein, begleitet von einem kleinen Mädchen mit stacheligen, schwarzen Haaren. Moment! Das war doch dieselbe Person, die uns gestern in der Besenkammer überrascht hatte. Bei dem Gedanken an die Situation, röteten sich meine Wangen merklich und ich wandte meinen Blick schnell wieder ab. Der Lehrer stellte sie uns als Alice Brandon vor. Sie schien hierher umgezogen zu sein, weswegen sie jetzt an unsere Schule ging. Sie kam mir wie eine richtige Frohnatur vor. Vielleicht sogar etwas zu fröhlich, wenn ich ehrlich war. Würde ich in eine neue Schule kommen und all die Blicke auf mir spüren, hätte ich mit Sicherheit Schwierigkeiten, so selbstbewusst wie sie vor die Klasse zu treten und mich vom Lehrer vorstellen zu lassen. Ein ziemliches Getuschel ging durch die Reihen der Schüler, doch es schien ihr nicht im Geringsten etwas auszumachen. Irgendwie wirkte das Ganze wie eine Maske auf mich. Eine, die sie davor schützte, zuviel an sich herankommen zu lassen. Mr. Warner wies sie auf einen leeren Platz genau neben mir und mit leicht fedrigen Bewegungen ging sie darauf zu und setzte sich. Den Rest der Stunde verbrachte sie ziemlich schweigend. Sie nahm nicht wirklich am Unterricht teil, sondern machte sich eine Menge Notizen und hob ab und zu den Kopf. Ich hatte nur einmal mit ihr gesprochen, als sie mich nach meinem Buch fragte. Offenbar hatte sie ihre noch nicht abgeholt. Als ich es ihr gab, lächelte sie freundlich. “Danke.” “Kein Problem.” “Haben wir uns gestern nicht schon gesehen?” fragte sich mich plötzlich. “Du warst doch in dieser Kammer mit deinem Freund…” Ich war wirklich überrascht. Ich kannte diese Person erst ein paar Minuten und machte mir bereits Gedanken darüber, wie ich ihr am unauffälligsten den Kopf abriss. Wie konnte sie so etwas sagen, ohne rot zu werden? Selbst wenn sie so aussah, als meinte sie es vollkommen ernst und würde sich nichts dabei denken, so musste sie doch wenigstens soviel Mitgefühl besitzen, um nicht in einem kleinen Raum voller Schüler so eine Frage zu stellen. Zu meinem Bedauern hatten es tatsächlich einige mitbekommen und musterten mich jetzt mit einem verblüfften Ausdruck. Einige grinsten, einige sahen mich skeptisch an. Edwards Gesicht konnte ich nicht deuten. Gut, ich konnte es gar nicht richtig sehen, aber das, was ich sah, war völlig emotionslos. Entweder hatte er Alice wirklich nicht gehört oder er gab es nur vor. Ich wandte meinen hochroten Kopf ab, ohne ihr eine Antwort zu geben. Ich wollte es auf jeden fall vermeiden, noch ein einziges, weiteres Wort mit ihr zu wechseln, geschweige denn, mit ihr in Verbindung gebracht zu werden. Ich hatte schon genug damit zutun, nicht selbst in irgendwelche peinlichen Situationen zu geraten. Da brauchte ich auch nicht noch jemanden wie sie um mich. Als es endlich zum Stundenende klingelte, packte ich meine Sachen und ignorierte sie gekonnt. Leider hatte sie immer noch mein Buch und ich murmelte ein leises “Danke.” als sie es mir wiedergab. Die erste Stunde, war die einzige, die ich heute mit Edward zusammen hatte. Wir verabredeten, uns während der Pause in der Cafeteria zu treffen. Den Rest des Vormittags verbrachte ich mit Claire. Ich stellte erleichtert fest, dass sie mal nicht nur von Edward und mir redete, sondern auch von Edward und sich. Nicht in dem Sinne, wie ich es mir vorstellte - sie schwärmte die ganze Zeit davon, endlich eine normale Klavierstunde zu haben -, aber immerhin war es ein Anfang. “Hast du die Neue schon gesehen?” fragte sie mich plötzlich und ich musste mich wegen dem abrupten Themenwechsel kurz orientieren. “Du meinst Alice… Alice Brandon, oder?” “Genau die. Sie ist in unserem Astronomiekurs. Eigentlich bin ich ziemlich unvoreingenommen, was neue Schüler angeht, aber diese ist doch wirklich etwas extrem…” “Sehr verrückt, wenn du mich fragst”, pflichtete ich ihr bei. “Ja, zum Beispiel wenn sie einen anguckt… wie ein Psycho.” Claire kicherte und ich musste leicht mitkichern. “Ich werde beim Duschen jetzt immer nachsehen, ob auch niemand mit dem Messer hinterm Vorhang steht.” Wir beide lachten. Als wir zur Cafeteria gingen, wartete Edward bereits an einem kleineren Tisch auf uns - oder besser gesagt auf mich. “Bis dann”, meinte Claire und winkte mir mit einem breiten Grinsen, als sie sich zu ein paar anderen Freunden setzte. Freunde, mit denen ich eher weniger zutun hatte. Seufzend wand mich zu Edward und grüßte ihn. Er lächelte so warmherzig, dass sogar ich leicht weiche Knie bekam. “Hallo…” sagte er zuckersüß und beugte sich plötzlich zu mir hinunter, um mir einen sanften Kuss auf die Wange zu geben. Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss und war im ersten Augenblick zu überrumpelt, um etwas zu sagen. “Wofür war der denn?” brachte ich dann endlich heraus und Edward setzte plötzlich sein schiefes Lächeln auf. Ich riss mich zusammen, um nicht das Atmen zu vergessen. Mir wurde immer deutlicher, wie gut er zu Claire passte. Er war perfekt, sie war perfekt. Besser ging es doch gar nicht. Langsam beneidete ich sie. “Wenn wir schon ein Paar spielen, dann auch überzeugend”, sagte er jetzt so leise, dass nur ich es verstand. Tatsächlich hatten sich einige Schüler zu uns umgedreht. Verblüfft, überrascht, erstaunt. War unsere ’Beziehung’ so interessant für sie, dass sie jeder verfolgen musste? Oder lag es einfach nur daran, dass ich es war? Ich, die sonst nie einen Freund halten konnte… Meine kleine Grübelei wurde jäh von einem schepperndem Geräusch hinter uns unterbrochen. Ich drehte mich um, genauso wie alle anderen im Raum. Dort, nicht weit entfernt vom Tresen stand dieses Mädchen von heute morgen. Das mit den schwarzen, kurzen Haaren. Alice. Und direkt vor ihr - flankiert von Jessica und Rebecca - und mit einem mörderischen, arroganten Grinsen auf dem Gesicht war Lauren Mallory. Zwischen den beiden lag ein Tablett und alles, was sich darauf befunden haben musste, war nun auf dem Boden zerstreut. Essen, Besteck, Porzellansplitter. Zwar hatte ich nicht gesehen, was passiert war, doch ich konnte es mir vorstellen. Lauren war dafür bekannt, den Neuen, wenn sie sich zu sehr von der Masse abhoben und nicht in ihr Dienstbotenschema passten, das Leben schwer zu machen. Ihr Vater arbeitete, genauso wie Claires Vater, beim Gericht. Allerdings war Mr. Mallory Anwalt und stand dementsprechend unter Mr. Stanfield. Dennoch hatte ihre Familie Geld, was bedeutete, dass Lauren einen gewissen Einfluss auf die anderen Schüler ausüben konnte. Unter vielen von ihnen war sie beliebt, viele fürchten sich aber auch vor ihr und mieden es, mit ihr in Kontakt zu kommen. Ihr Aussehen konnte man wirklich als hübsch bezeichnen, doch ihr Verhalten ging da andere Wege. Im Grunde hatte sie einen ähnlichen Status wie Claire, doch Letztere war weitaus beliebter, was ich vor allem ihrer netten Art zuschrieb. Man könnte fast sagen, dass sie noch über Lauren stand. Wie der Vater, so die Tochter. Laurens Mutter fristete das Leben einer Hausfrau. Niemand in der Familie hielt es für nötig, dass sie arbeiten ging. Sie hatte einen reichen Mann, der sie versorgte. Das schien zu genügen. Ich fragte mich, ob Lauren mit dieser Philosophie ebenfalls erzogen wurde… Alice bückte sich, um das Chaos wieder aufzuräumen, während Lauren immer noch herablassend auf sie blickte. “Oh, haben wir etwa das Tablett fallen gelassen?” stellte sie in einem viel zu hohen, theatralischen Ton fest und hielt sich den Handrücken leicht vor den Mund, um dahinter leise zu kichern. Ihre beiden ‘Marionetten’ taten es ihr nach. Mittlerweile hatte sich eine kleine Traube um die vier gebildet. Alice antwortete ihr nicht und ich hielt es anfänglich für Angst, doch als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass dem nicht so war. Das neue Mädchen räumte stillschweigend die Scherben auf und wirkte seltsam ausgeglichen. Kein Zeichen von Furcht, Wut oder Schüchternheit. Als wäre das Ganze wirklich nur ein Versehen gewesen. Doch wenn es um Lauren ging, dann gab es keine Versehen. “Bist du so geschockt, dass es dir die Sprache verschlagen hat?” fragte Lauren und klang ein wenig gereizt, da Alice sie nicht wirklich zu beachten schien. Plötzlich ging sie auf die Neue zu und baute sich vor sie auf. “Hey, ich rede mit dir!” zischte sie. Jessica und Rebecca funkelten sie ebenfalls bedrohlich an. Auch wenn ich es vermeiden wollte, mit diesem ausgeflippten Mädchen noch einmal in Kontakt zu kommen, so konnte ich es nicht zulassen, dass sie jetzt von Lauren fertig gemacht wurde. Mit schnellen Schritten ging auf sie zu und drängelte mich durch die gaffenden Schüler. Zu meiner Überraschung folgte mir Edward. “Was soll das, Lauren?” fragte ich sie empört und kniete mich vor Alice, um ihr zu helfen. “Oh, die kleine Isabella Swan kommt und eilt zur Hilfe. Da haben sich ja wirklich zwei gefunden. Die eine ist total durchgeknallt und die andere vom Pech verfolgt. Wenn das mal nicht Schicksal ist”, seufzte sie. Ihre Lakaien kicherten. “Vielleicht sollten wir uns lieber fernhalten von ihr, sonst geht’s uns nachher noch genauso. Da tut mir die Neue ja schon fast leid… Obwohl… Wenn ich’s mir recht überlege… Eher nicht.” Gelächter. “Danke”, meinte Alice und lächelte mich an, als sie das Tablett aufhob, nicht im Geringsten auf Laurens Worte achtend. “Kein Problem.” “Weißt du, was ich nicht verstehe?” fragte Lauren und sah mich an, als hätte sie gerade eine Zitrone verschluckt. “Wie du dir Edward Cullen angeln konntest.” “Was soll das denn heißen?” mischte sich dieser jetzt ein und stellte sich hinter mich. Lauren hob eine Augenbraue, als ihr Blick zu ihm wanderte. “Mal im Ernst, Edward. Was findest du an dieser… an diesem Mauerblümchen?” “Mehr als an dir”, entgegnete er kalt. Lauren sah aus, als hätte ihr jemand gegen den Kopf geschlagen, fing sich aber schnell wieder. Ihr Augen wurden schmal und sie grinste plötzlich. “Gib’s zu. Du bist doch eigentlich nur mit ihr zusammen, weil du an Claire rankommen willst, oder? Bisher war’s immer so und ich bezweifle, dass du eine Ausnahme darstellst.” Wir erstarrten für eine Sekunde. Lauren hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, auch wenn sie nicht wusste, dass das alles beidseitig geplant war. Doch nicht nur das. Sie hatte auch das ausgesprochen, was Edward mir bereits erzählt hatte und das ich scheinbar vor Blindheit nicht gesehen hatte. Dass sich alle nur mit mir getroffen hatten, um Claire näher zu kommen. Ich war zu überwältigt, um etwas zu entgegnen und hoffte nur, dass Claire es nicht gehört hatte. Und wenn doch, dass sie nichts darauf gab. Plötzlich spürte ich Edwards Arme, wie sie sich um meinen Bauch wickelten und er sein Kinn an meine Schläfe legte. Das Blut, dass mir unter die Wangen schoss und mich erröten ließ, gab meinem blassen Teint mehr Farbe. “Ich bin mit Bella zusammen, weil ich sie mag und nicht ihre Freundin”, erklärte er finster. Diese Aussage schockte mich noch mehr als Laurens Feststellung. Edwards Worte klangen so überzeugend, dass nicht ein einziger daran zweifeln konnte. Selbst ich hatte es gerade schwer. Mir war klar, wie viel Anstrengung es ihn gekostet haben musste, so etwas überhaupt zu sagen, und doch wirkte es so selbstverständlich. Lauren hatte nicht mit dieser Antwort gerechnet. Ihr Unterkiefer sackte nach unten. Schnell schloss sie ihren Mund wieder und stolzierte mit verschränkten Armen davon, ihr Gefolge dicht hinter ihr. Edward löste sich wieder von mir, während wir ihr noch kurz hinterher sahen, dann wandten wir uns Alice zu. “Alles in Ordnung mit dir?” Sie nickte und wirkte seltsam fröhlich. “Warum hast du dich nicht gewehrt?” wollte ich wissen. Noch nie hatte jemand so auf Laurens Angriffe reagiert. Alice zuckte nur mit den Schultern und grinste. “Ich wusste, dass du mir hilfst.” Ich hob meine Augenbrauen. “Wie ist das denn bitte gemeint?” “Kann ich schlecht erklären. Es ist einfach so. Wie eine Art Vorahnung. Natürlich wusste ich nicht hundertprozentig, wie es ablaufen würde, aber ich wusste, dass du mich irgendwann mal aus einer Notsituation holen würdest. Und siehe da… Schon ist sie eingetreten. Ich weiß zum Beispiel auch, dass wir richtig gute Freunde werden.” Ihr Grinsen wurde breiter und meine Augenbraue hob sich so sehr, dass ich sogar das Gefühl bekam, meine Haut zu überspannen. Dieses Mädchen wurde von Sekunde zu Sekunde merkwürdiger. Das Klingeln plötzlich leitete das Ende der Pause ein und die Cafeteria leerte sich sehr schnell. Scheinbar hatte keiner daran gedacht, schon ein paar Minuten früher zu den Klassenzimmern zu gehen. “Bis dann. Man sieht sich”, verabschiedete Alice sich und verschwand mit einem Lächeln in der Masse. Ich stand noch etwas reglos da, um zu versuchen, das Verhalten dieses Mädchens zu verstehen. Doch es klappte einfach nicht. “Wir sollten langsam”, meinte Edward auf einmal, legte seine Hand auf meinen Rücken und schob mich sachte nach vorne. “Hm? Oh, na klar. Ich komm schon.” Er lachte leise, als er meine Verwirrung bemerkte. “Dieses Mädchen ist wirklich komisch”, sagte ich, als wir durch die Flure gingen und fing wieder an, über sie zu grübeln. …Dass wir richtig gute Freunde werden… Wer war sie, dass sie das einfach so sagen konnte? Wir kannten uns ja noch nicht einmal. Ihre ganze Art war so schräg. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendjemand damit klarkam. Edward kicherte neben mir. “Irgendwie ist sie mir sympathisch. Ich weiß zwar nicht wieso, aber sie wirkt sehr nett. Ein bisschen ausgeflippt und überdreht, aber definitiv liebenswürdig.” “Meinst du?” fragte ich skeptisch. Wie es aussah, gab es jemanden, der mit Alice klarkommen würde. Edward nickte und grinste mich an. “Ganz bestimmt.” Die letzten beiden Stunden vergingen ziemlich schleppend. Nicht nur, dass ich nichts vom Thema mitbekam, ich machte mir auch Gedanken über Tayk. Morgen würde ich ihn treffen. Und hoffentlich ein paar Worte mit ihm wechseln. Aber was, wenn mir wieder irgendein Missgeschick passierte? Wenn ich ihn zum Beispiel von der Tribüne schubste, er sich einen Arm brach und ich automatisch dafür verantwortlich war, wenn sie dieses wichtige Spiel, von dem Edward mir erzählt hatte, entweder nicht bestreiten konnten oder sie verlieren würden, weil ihr Kapitän nicht spielen konnte? Ich würde die meist gehasste Person an dieser Schule werden… “Bella?” Erschrocken drehte ich mich um und sah in die besorgten Augen von Edward. Wir waren auf dem Weg zu den Umkleiden. Ich hatte zwar schon Schluss, doch er musste noch zum Baseballtraining. “Was ist?” Ich versuchte so ahnungslos wie möglich zu klingen, doch ich schaffte es nicht, ihn zu überzeugen. “Geht’s dir gut? Du wirkst so abweisend und siehst etwas blass aus.” “Ja. Keine Sorge. Alles bestens. Ich hab nur über morgen nachgedacht. Ich bin etwas nervös wegen Tayk.” Edward lächelte. “Das brauchst du nicht. Es wird schon alles gut gehen, vertrau mir.” “Wenn du meinst…” Leider konnte ich seinen Enthusiasmus nicht teilen. Plötzlich nahm sein Gesicht einen entschuldigenden Ausdruck an. “Tut mir leid, dass du jetzt warten musst, bloß weil wir noch trainieren. Ich verspreche, dass ich es wieder gutmachen werde.” Ich grinste. “Das kannst du gleich nachher, wenn wir im CrystalMeadow sind, indem du mir mein Getränk bezahlst.” “Wir fahren doch heute gar nicht da hin. Ich hab nachher die Klavierstunde mit Claire, weißt du noch?” Oh. Stimmte ja. Wie konnte ich das bloß vergessen? Sie hatten sich doch gestern erst verabredet. Edward würde nach dem Training zu Claire fahren und mit ihr üben. Obwohl ich das wusste, und obwohl mir bewusst war, dass wir das alles so geplant hatten, fühlte ich mich plötzlich seltsam verlassen. Ich freute mich bereits jeden Tag, wenn ich daran dachte, nachmittags zusammen mit Edward im Café zu sitzen. Doch heute war es nicht so und diese Tatsache machte mich ein bisschen traurig. Ich wollte aber nicht, dass er es mitbekam und versuchte, so unbeschwert wie möglich zu schauen. “Ja, stimmt. Hatte ich ganz vergessen. Dann brauch ich ja nicht zu warten.” Ich setzte mein breitestes Lächeln auf und hoffte inständig, dass er die Fassade nicht bemerkte. Und entweder hatte ich das wirklich geschafft, oder er ignorierte es bewusst. “Eigentlich hatte ich vor, dich vorher noch nach Hause zu fahren”, meinte er etwas zögerlich und sah mich erwartungsvoll an. “Ach, Blödsinn. Das ist doch unsinnig. Dann würdest du ja einen Umweg machen. Ich werde nach Hause laufen. Schließlich bin ich vorher auch mit dem Fahrrad gefahren…” “Ja, und mich wundert immer noch, dass alle deine Knochen heil sind. Weißt du eigentlich, wie viele Meilen es bis zu dir sind?” Seine Worte hörten sich an, als würde er sich ernsthaft den Kopf darüber zerbrechen. “Edward, ich komm schon klar. Ich bin kein kleines Kind mehr.” “Trotzdem wäre es mir lieber, wenn ich dich fahre.” Sein Ton verriet mir, dass er nicht nachgeben würde. Genauso wie ich. “Ich kann sie doch nach Hause fahren.” Wir drehten uns abrupt in die Richtung, aus der die Stimme kam. Es war Alice, die geredet hatte und sie kam auf uns zu. “Hallo”, begrüßte Edward sie und lächelte. “Hallo”, entgegnete sie und erwiderte sein Lächeln. “Also, falls jemand eine Fahrgelegenheit benötigt, ich helfe gerne aus.” “Ja, das wäre wirklich toll. Ich bin übrigens Edward. Edward Cullen.” Er hielt ihr seine Hand hin, die sie freudig griff. “Alice Brandon.” “Und das ist Bella Swan”, stellte er mich vor. “Hallo”, grüßte sie jetzt mich. “Wir kennen uns ja schon vom Unterricht. Also wenn du nichts weiter vorhast, können wir gleich los.” Ich war im ersten Moment unfähig, etwas zu sagen, so sehr verblüffte mich die Tatsache, dass sie und Edward sich so unbeschwert unterhalten konnten. Als würden sie sich schon ewig kennen. Zum Glück fasste ich mich wieder schnell genug, sodass niemand etwas bemerkte. “Ehm, okay”, antwortete ich ihr und drehte mich Edward zu. “Viel Glück nachher. Wir sehen uns dann wohl morgen…” Zaghaft legte er seine Hände an meine Schultern und gab mir einen leichten Kuss auf die Stirn. “Bis morgen früh”, sagte er mit samtweicher Stimme. Irgendwie klang es verträumt. Er konnte wirklich gut schauspielern. Trotzdem röteten sich meine Wangen sofort. Das konnte ich spüren. Warum musste er das auch ausgerechnet vor Alice machen? Gut, vielleicht hatte er es gerade wegen ihr gemacht. Um so überzeugend wie möglich zu wirken… Ich lächelte ihn kurz an - Alice grinste aus unbestimmtem Grund -, ehe ich mich dem schwarzhaarigen Mädchen widmete und darauf wartete, endlich zu ihrem Auto zu gehen. “Bis dann, Edward. Wir sehen uns bestimmt wieder”, sagte sie noch und setzte sich in Bewegung, während ich ihr folgte. Ich hörte Edward hinter mir lachen. “Ja, spätestens morgen in der Schule.” Alice grinste immer noch. Mich beschlich das Gefühl, in Zukunft mehr mit ihr zutun zu haben, als ich es mir vorgestellt hatte. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich weiß, dass ich euch schocke, wenn ich euch sage, dass ich bereits Ideen für fünf neue FFs habe, oder? xDD Aber keine Angst. Die werd ich erst schreiben, wenn ich die hier alle fertig hab...^^... Kapitel 6: Stop thinking! ------------------------- Und schon ist ein neues Kapi da...xD Und ich hab sogar die Hälfte vom nächsten fertig, was daran liegt, dass ich ursprünglich ein Kapitel schreiben wollte, dann aber gemerkt habt, dass es zu lang wird. Also hab ich´s geteilt. Werd das nächste also so schnell wie möglich fertig schreiben...^^ Hiermit jetzt viel Spass...;D ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die Fahrt nach Hause verlief, was Alice’ Fahrstil anging, relativ angenehm. Ich hatte ihr den Weg zu mir genau erklärt. Sie dürfte sich also nicht verfahren. Nur das Gespräch, was sie anfing, störte mich. “Ihr seid wirklich süß zusammen. Du und dieser Edward”, meinte sie leicht schmunzelnd, ohne den Blick von der Fahrbahn zu nehmen. “Findest du?” Es war nicht wirklich eine Frage, eher eine Feststellung. “Ja. So wie er dich immer ansieht. Als gäbe es nichts anderes.” Ungläubig hob ich eine Augenbraue und innerlich musste ich lachen. Sie wusste nicht, dass wir weniger eine Beziehung hatten, als vielmehr eine Zweckgemeinschaft. “Du glaubst mir nicht, oder?” meinte sie und klang kein bisschen enttäuscht, eher amüsiert. “Na ja, vielleicht liegt es daran, dass wir noch am Anfang stehen und ich das Ganze aus einem anderen Blickwinkel betrachte als du.” “Ach, wirklich? Es kommt mir so vor, als wärt ihr schon länger zusammen”, stellte sie verblüfft fest. Konnte sie das Thema nicht auf sich beruhen lassen? “Nein, erst seit ein paar Tagen.” “Wow…” staunte sie und ihr Gesicht sah nicht minder überrascht aus. “Was?” wollte ich wissen. “Nichts. Schon gut.” Sie grinste. Was immer sie gerade dachte, ich fühlte mich plötzlich unwohl und leicht nervös. “Also, deine Familie ist hierher umgezogen, ja?” fragte ich und versuchte einen Themenwechsel. Ihr Gesicht wurde ernst. Allerdings nur für einen kurzen Moment, dann lächelte sie wieder. “Eigentlich bin ich alleine hier. Ich hab’s Zuhause nicht mehr ausgehalten, weißt du? Und irgendwann muss man ja eh lernen, alleine zu leben. Also warum nicht jetzt schon damit anfangen?” “Wieso hast du’s denn nicht ausgehalten? Nur wenn ich fragen darf”, sagte ich zögerlich. Es sah aus, als fiel es ihr schwer, darüber zu reden. “Darfst du”, lächelte sie. “Ich bin sicher, dass du mich genauso komisch findest, wie die meisten anderen auch, oder?” Aus den Augenwinkeln sah sie mich kurz an. Ich schluckte. Natürlich hatte sie recht, doch ich rechnete nicht damit, dass sie das so direkt aussprach. Noch dazu fühlte ich mich seltsam ertappt. Schließlich hatte ich die gleiche Meinung wie die meisten an unserer Schule, und das bereits nach einem Tag. “Du brauchst mir nicht zu antworten. Ich kann es an deiner Reaktion sehen. Es ist nicht schlimm. Das bin ich schließlich gewohnt.” Sie lächelte und sah mich kurz an. Sofort verschwand mein unbehagliches Gefühl und ich lächelte zurück, ehe ich durch die Windschutzscheibe schaute. “Na ja, deine Art ist etwas… gewöhnungsbedürftig.” “Ja, das kann man wohl sagen”, kicherte sie, dann wurde sie ernst. “Jedenfalls kamen meine Eltern nicht damit klar. Sie sind sehr… gesellschaftsorientiert, was das angeht und hätten sich lieber eine Tochter gewünscht, die sich mehr der Masse anpasst. Wenn man sich ständig anhören muss, dass man sich ändern soll, dann fängt man langsam an zu denken, man sei bei den eigenen Eltern unerwünscht.” Sie biss sich auf die Lippen und starrte nach vorne. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich meinen Eltern egal war oder ähnliches. Selbst Renée nicht, obwohl sie meilenweit weg wohnte. Ich hatte regelmäßig Kontakt mit ihr. Alice kam mir zwar ein wenig verrückt vor, aber noch lange nicht so schlimm, dass man sie verleugnen sollte. Überhaupt sollte man so etwas keinen Kind antun. Mitgefühl für dieses kleine, zierliche Mädchen keimte in mir auf und ich fragte mich, warum sie mir soviel Vertrauen schenkte, um mir ihre Geschichte zu erzählen. Sie blickte kurz zu mir und grinste. Entweder nahm sie die Sache nicht so ernst oder aber sie ließ sie nicht zu nah an sich herankommen. Es war schwer, das einzuschätzen. Vielleicht, wenn ich sie etwas besser kennen würde. Vielleicht konnte man sich dann ein genaueres Bild von ihr machen. Man sollte Menschen schließlich nicht nach dem ersten Eindruck beurteilen. “So, da wären wir”, sagte sie plötzlich und erst jetzt bemerkte ich, dass wir schon auf unserer Straße waren. “Gleich da vorne.” Ich deutete auf das Gebäude, das sich nun ein paar Meter vor uns befand. “Dann bis morgen”, verabschiedete sie sich, als ich ausstieg. “Ja, bis dann. Und danke fürs Mitnehmen.” “Schon in Ordnung.” Ich winkte noch kurz, dann fuhr sie auch schon davon. Etwas schwerfällig ging ich den Weg zu unserer Haustür entlang, öffnete die Tür und trat in den Flur. Ich würde den Nachmittag alleine verbringen. Charlie war noch auf Arbeit. Und was sollte ich den ganzen Tag machen? Ich hatte mich immer irgendwie beschäftigt, bevor ich mit Edward jeden Tag ins Café gegangen war. Und jetzt war ich völlig ideenlos. Oh, wie konnte ich das bloß vergessen? Vorher hatte ich ständig mit Claire meine Zeit verbracht. Doch das hatte sich in letzter Zeit auch geändert. Außer in der Schule sahen wir uns nur noch selten. Ich schrieb es der Tatsache zu, dass sie mir mit Edward etwas Zweisamkeit gönnen wollte. Nur ausgerechnet heute war sie diejenige, die sich mit ihm traf. Für Klavierstunden. Das hatten wir beide doch so eingefädelt. Was beschwerte ich mich also? Ich schüttelte meinen Kopf, um die wirren Gedanken abzuschütteln, und ging in mein Zimmer, um meine Sachen abzustellen. Dann machte ich mich auf den Weg in die Küche. Wenn Charlie nach Hause kam, sollte er etwas Ordentliches auf dem Tisch finden. Während ich die Kartoffeln kochte, das Steak briet und den Salat zubereitete, wanderten meine Gedanken automatisch zum morgigen Abend. Der Abend, an dem ich auf Tayk treffen würde. Ob es helfen würde, mehrere Stoßgebete gen Himmel zu senden, um jegliche Art von Unfall oder Peinlichkeit zu vermeiden? Der Versuch konnte jedenfalls nicht schaden… Als ich fertig war, nahm ich mir etwas vom Essen, doch nicht viel. Ich hatte nicht wirklich Hunger. Die Aufregung machte sich bereits jetzt bemerkbar. Um mich abzulenken, holte ich meine Schulsachen und erledigte meine Aufgaben, während ich im Wohnzimmer durch die Kanäle zappte, ohne wirklich darauf zu achten, was lief. Ich blieb auf einem Sender hängen, der eine dieser sinnlosen Talkshows zeigte. Das Thema war “Hast du schon die ganz große Liebe gefunden?” Ich hielt mit dem Schreiben meiner Notizen inne, stützte mein Kinn auf meiner Hand ab und seufzte. Natürlich nicht, dachte ich. Wenn es so wäre, würde ich jetzt nicht trübsalblasend Zuhause sitzen und mich über mein Leben beklagen… Ja, wenn ich die große Liebe bereits gefunden hätte, würde ich mit ihr wahrscheinlich in diesem Augenblick meine Zeit verbringen… In den Armen meines Freundes liegen… Mich an seine warme Brust schmiegen… Verschwommene Zukunftsvisionen träumen… Stattdessen hatte ich einen Scheinfreund, eine Freundin, die nicht wusste, dass wir versuchten, sie mit ihm zu verkuppeln und einen womöglich unerreichbaren Traum, mit einem gewissen Baseballkapitän zusammen zu kommen… Was wollte man denn mehr? Ach ja, ich hatte ja auch erfahren, dass nie wirklich jemand an mir Interesse hatte. Ich seufzte wieder. Mein Leben war relativ trostlos. Wäre Edward mein richtiger Freund, würde mein Herz wahrscheinlich jedes Mal Purzelbäume schlagen, wenn er solche Sachen machte, wie mir einen Kuss auf die Wange zu geben oder mich zu umarmen. Doch das alles war nur dazu da, um das Schauspiel glaubwürdiger wirken zu lassen. Vielleicht hätte ich mir vorher überlegen sollen, was das eigentlich bedeutete. Dass es mir mehr ausmachte, als ich vermutete. Dass es nur die Sehnsucht nach einem eigenen Freund vergrößerte und es wehtat, zu wissen, dass es unecht war. Sollte ich mit Edward darüber reden? Ihm sagen, wie es mir ging? Ihn vielleicht bitten, das Ganze abzubrechen? Wohl eher nicht. Bloß weil ich damit meine Schwierigkeiten hatte, mussten nicht gleich alle anderen darunter leiden. Und schon gar nicht Edward und Claire. “Hm…, das duftet aber. Bells, bist du schon zuhause?” hörte ich plötzlich die Stimme meines Dads im Flur. Er musste wohl zurück von der Arbeit sein. “Ja, ich bin hier im Wohnzimmer, Dad.” “Hallo…” grüßte er, als er um die Ecke spähte. “Heute gar nicht mit Edward unterwegs?” Es klang schon fast schelmisch. Ich schüttelte meinen Kopf. “Er hatte heute keine Zeit, weil er zu einem wichtigen Termin musste.” Charlie hob verstehend den Kopf. “Ach so.” “Essen ist auf dem Herd. Falls du also Hunger hast…” “Isst du mit?” fragte er und klang, als wüsste er die Antwort bereits. “Ich hab schon.” Er nickte und lächelte, doch etwas in seinen Blick sagte mir, dass er mein Gefühlstief bemerkt hatte. Allerdings stapfte er in die Küche, ohne ein weiteres Wort zu sagen, wofür ich ihm sehr dankbar war. Ein paar Minuten später kam er mit einem vollen Teller wieder, setzte sich auf die Couch und sah zusammen mit mir fern. Viel Gesprächsstoff hatten wir nicht und wenn wir dann miteinander redeten, waren es unwichtige Dinge: Wie lief es auf Arbeit? Wie lief es in der Schule? Wird das Wetter morgen wieder so schön? Ich erledigte meine restlichen Aufgaben und machte mich relativ früh bettfertig. Zwar konnte ich nicht sofort einschlafen, da ich immerzu grübelte, ob es besser war, den morgigen Tag herbeizusehnen oder zu hoffen, dass er möglichst schnell vorbeiging, doch dafür schlief ich letztendlich traumlos ein. Das Klingeln des Weckers dröhnte in meinen Ohren und ich blinzelte, als die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster kamen, mein Gesicht erreicht hatten. Wie es schien, würde das Wetter auch heute mehr als angenehm werden. Ich sah auf die Uhr. Genug Zeit, sich auf den heutigen Tag vorzubereiten. Charlie schien bereits gegangen zu sein. Sein Halfter und seine Dienstjacke fehlten. Wider Erwarten wartete Edward heute wieder draußen. Er lehnte an seinem Volvo und hatte die Arme verschränkt. Als ich auf ihn zukam, lächelte er mir entgegen und wünschte mir einen “Guten Morgen.”, doch irgendetwas schien ihn zu betrüben. “Was ist los?” fragte ich etwas besorgt, während ich einstieg und er losfuhr. “Dein Vater… Er hat mich so vorwurfsvoll angesehen heute. Hab ich etwas gemacht, von dem ich nichts weiß?” Oh. Also deshalb hatte Edward wohl draußen gewartet. Mein Dad musste ihn verantwortlich machen für meine Trübseligkeit von gestern. Und ich ging davon aus, dass er ihn deshalb auch nicht ins Haus gebeten hatte. “Ach, mir ging es gestern nicht so gut und Charlie denkt jetzt bestimmt, dass es etwas mit dir zutun hat”, erklärte ich und kicherte, doch Edward schien das nicht lustig zu finden. Er sah vollkommen ernst aus. “Was war denn?” “Nichts weiter. Mach dir keine Gedanken”, lächelte ich. “Du weißt, dass du mir alles sagen kannst, oder?” meinte er vollkommen ernsthaft und ein bisschen besorgt. “Ja, das weiß ich”, log ich. Das konnte ich ihm einfach nicht sagen. Gerade jetzt, wo es mit unserem Plan voranging, wollte ich ihn nicht durch persönliche Gefühle beeinflussen und eventuelle Schuldgefühle verursachen. “Also. Wie ist es denn gestern nun gelaufen?” fragte ich, um das Thema etwas aufzuheitern. Plötzlich bildete sich ein breites Lächeln auf seinen Lippen. “Na ja, Claire kann besser spielen, als sie sich eingesteht. Trotzdem erfordert es noch einiges an Übung”, erklärte er freudestrahlend. “Das heißt dann wohl, dass es noch jede Menge Stunden geben wird.” Ich lächelte und versuchte, mich mit ihm zu freuen. Innerlich hoffte ich, er würde meine Enttäuschung nicht bemerkten. Moment mal, wieso war ich überhaupt enttäuscht? Weil er etwas mehr Zeit mit Claire verbringen würde? Wollte ich ihn etwa für mich haben? Das wäre egoistisch und selbstsüchtig. Er sollte doch mehr Zeit mit ihr verbringen… Er erwiderte das Lächeln. “Und ist sonst noch etwas passiert?” wollte ich wissen. Einen kurzen Moment überlegte er. “Sie hat gefragt, wie es zwischen uns beiden läuft…” Er seufzte und starrte auf die Fahrbahn. Die Frage musste ihm wohl gestern schon unangenehm gewesen sein. Das konnte ich spüren. “Und was hast du gesagt?” fragte ich vorsichtig. Er wandte den Blick kurz von der Straße, um mich anzusehen und lächelte verhalten. “Das wir noch am Anfang sind und sehen werden, wie es sich entwickelt.” “Wie hat sie reagiert?” Er zögerte. “Sie… hat gesagt, dass das schon wird. Wenn ich dich erst einmal besser kennen würde… Dass du klug und ehrlich bist… Und dass man so ein Mädchen wie dich nicht überall findet…” Er schmunzelte leise. “Was?” Ich war misstrauisch wegen seinem Verhalten. “Sie hat sich angehört, als wollte sie mich von deinen Werten überzeugen… Dabei kenn ich die doch schon”, meinte er und lächelte, ohne den Blick von der Fahrbahn nehmen. Unter meinen Wangen wurde es heiß, als ich spürte, wie rot ich wurde. Nicht nur hatte Claire sich offenbar für mich eingesetzt, sondern auch Edward schien in mir mehr als nur eine Komplizin zu sehen. Vielleicht würden wir ja sogar richtig gute Freunde nach der ganzen Sache werden. Wenn er mit Claire, und ich - hoffentlich - mit Tayk zusammen war. “Und wann trefft ihr euch wieder?” lenkte ich ein, ohne auf seinen letzten Satz einzugehen. “Übermorgen.” Er bog auf den Parkplatz der Schule, auf dem sich bereits jede Menge Schüler tummelten. Als wir ausstiegen, kam er auf meine Seite, ergriff meine Hand und lächelte. “Auf geht’s.” Hand in Hand gingen wir über das Schulgelände ins Gebäude, während sich immer wieder ein paar Schüler zu uns umdrehten. So langsam mussten doch alle wissen, dass wir zusammen waren. Der Vormittag verlief relativ ereignislos. Claire erzählte mir von ganz allein von der gestrigen Klavierstunde und schien hellauf begeistert von Edwards Talent. Sie schwärmte regelrecht von ihm. “…Wie seine Finger über die Tasten gleiten… Das muss man einfach gesehen haben. Ich hätte nie gedacht, dass jemand in der Lage ist, so wundervolle Melodien aus einem Instrument zu zaubern. Das ist nicht einfach nur Talent und harte Arbeit… Das ist eine Gabe… Die er allerdings verschwendet, wenn es niemand erfährt…” Ich kannte diesen Ton in ihrer Stimme. Er bedeutete, dass wenn es sich lohnte, dann würde sie sofort ihre Mutter darauf ansetzen, um der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass sie ein neues Wunderkind entdeckt hatte. Mrs. Stanfield hätte ohne Umschweife einen Artikel darüber geschrieben, verschiedene, einflussreiche Leute angerufen und Edward keine Zeit mehr gegeben, sich in seinem neuem Umfeld zu orientieren, in das er dann geraten wäre. Glücklicherweise hatten wir ihr verboten, irgendjemandem zu erzählen, dass er Klavier spielte. “Danke, dass du ihn gefragt hast, Bella.” Sie grinste. “Wenn ich nicht wüsste, dass du mit ihm zusammen wärst, dann hätte ich mich wahrscheinlich sofort an ihn herangemacht…” Sie lachte und ich versuchte, mitzulachen. Wenn du wüsstest…, dachte ich. Ja, wenn sie wüsste, dass sie das sogar bald machen konnte. “Das war nur ein Scherz, keine Sorge”, meinte sie, als sie meinen Gesichtsausdruck sah und grinste noch breiter. “Ich weiß.” Es klingelte zur Mittagspause und als wir den Klassenraum verließen, stand Edward bereits auf dem Flur. “Oh… Hi…” sagte ich etwas verdattert, woraufhin einer seiner Mundwinkel nach oben schnellte. “Ich hatte gerade eine Freistunde, deshalb hab ich hier gewartet”, erklärte er. Claire grinste, doch dieses Mal nicht uns beide an, sondern nur Edward, der sie kurz anlächelte, ehe sein Blick zu mir wanderte. “Wollen wir?” fragte er und hielt mir seine Hand hin. Ich ergriff sie und als wir losgingen, gesellte Claire sich an Edwards freie Seite. “Das gestern war wirklich toll…”, fing sie wieder an zu schwärmen, ohne Pause zu machen, und ich musste innerlich stöhnen. Bis zu einem gewissen Grad konnte ich ihren Enthusiasmus ja teilen, aber langsam übertrieb sie es. Ich musste mir das alles bereits den gesamten Vormittag lang anhören. Edward schien es nicht zu stören. Er genoss ihre Aufmerksamkeit. Natürlich. Er wollte ja auch lieber ihre Hand halten, als meine. Und sie schien auch gar nicht mehr zu wissen, dass es mich gab, so sehr war sie von ihm eingenommen. “Ja, fand ich auch. Das mit dem Rock tut mir übrigens leid”, meinte Edward auf einmal etwas schuldbewusst. “Ach, schon in Ordnung. Das kann doch mal passieren.” Claire winkte lächelnd ab. “Was war denn mit dem Rock?” Leider hatte ich den leicht misstrauischen Unterton nicht verhindern können. Beide bemerkten ihn und sahen mich ein wenig erschrocken an. Als hätten sie etwas Verbotenes getan. “Oh, Bella, es ist nichts passiert, okay? Das war nur ein Unfall. Wirklich”, rechtfertigte Claire sich. “Was denn?” hakte ich verwirrt nach. Ich verstand die plötzliche Spannung nicht ganz. “Claire hatte uns etwas zu trinken geholt und als sie wiederkam, ist sie über meine ausgestreckten Beine gestolpert. Ich hab noch versucht, sie zu greifen, hab aber nur ihren Rock erwischt und ihn kaputt gerissen”, erklärte Edward. Die Erinnerung daran schien ihn leicht nervös zu machen. Beide musterten mich erwartungsvoll. Als dachten sie, ich würde mich aufregen. “Ach so”, entgegnete ich stattdessen trocken und atmete tief ein. “Wir sehen uns”, verabschiedete Claire sich plötzlich, als wir die Cafeteria erreicht hatten und warf mir noch einen besorgten Blick zu, ehe sie an einen anderen Tisch als den unseren ging. Während Edward mich zu unserem Platz führte, kurz kehrt machte, um etwas zu essen zu holen und dann mit einem vollen Tablett wiederkam, konnte ich seinen Blick auf mir spüren. Ich verstand den ganzen Wirbel auf einmal nicht. Er setzte sich mir gegenüber und betrachtete mich wachsam. “Was ist?” Das ganze Beobachten war mir unangenehm. “Bist du etwa… eifersüchtig?” Meine Augenbrauen hoben sich vor Überraschung. Meinte er das ernst? Ich und eifersüchtig? Das war das Lächerlichste, das ich je gehört hatte. “Wie kommst du denn darauf?” “Bella…” Er legte seine Hand auf meine, die auf dem Tisch lag und sah mir tief in die Augen. Ich zuckte automatisch bei der schnellen Reaktion und sah kurz auf unsere Hände, dann wieder zu ihm. Meine Atmung ging schwerer und mein Herz klopfte schneller. Ich kam mir vor wie in einem Verhör. “Sag’s mir bitte, wenn es so ist…” Mein überraschter Ausdruck verschwand und ich lächelte, um ihn zu beruhigen. “Ich bin nicht eifersüchtig, okay? Mach dir nicht zu viele Gedanken. Ich war nur neugierig. Das ist alles. Das mit dem Rock hattest du heute morgen schließlich nicht erwähnt.” “Ich hielt es nicht für wichtig.” Er sah mich immer noch verbissen an, als wollte er sehen, ob ich log oder die Wahrheit sagte. Ich verdrehte die Augen. “Edward… Sag mir lieber, wann du mich heute abholst”, erinnerte ich grinsend. Seine Miene entspannte sich ein wenig und ich konnte sehen, wie einer seiner Mundwinkel langsam nach oben wanderte. “Das Spiel fängt um acht an. Also bin ich um sieben bei dir. Dann haben wir noch genügend Zeit, einen guten Platz zu bekommen und Tayk rechtzeitig zu finden.” Mein Puls beschleunigte sich. “Müssen wir ihn etwa suchen? Ich dachte, ihr hattet euch sowieso verabredet.” Edward schüttelte den Kopf. “Er weiß nicht, dass ich da sein werde. Und er ist eigentlich auch nur dort, weil sein Vater einer der Sponsoren ist.” Eine meiner Augenbrauen hob sich. Eine weitere Person, die offenbar Unmengen an Geld besaß. Das hieß, Tayks Status an der Schule hatte nicht nur damit zutun, dass er der Baseballkapitän war. “Hallo”, hörte ich plötzlich eine hohe Stimme hinter mir. Als ich mich umdrehte, sah ich Alice auf uns zukommen. Wir begrüßten sie ebenfalls. “Darf ich mich setzen?” fragte sie und deutete auf den freien Stuhl neben mir. “Ja, klar.” “Danke.” Sie stellte ihr Tablett auf dem Tisch ab und nahm Platz. “Und, wie ist der zweite Tag bisher so gelaufen?” fragte Edward. “Eigentlich ganz okay. Das ganz normale Starren auf die Neue eben. Allerdings glaub ich, dass nach dem, was gestern passiert ist, sich keiner mehr so recht traut, auf mich zuzukommen.” Sie seufzte, aber lächelte. Ihr schien das wirklich nichts auszumachen. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. “Das muss an Lauren liegen. Keiner will sich mit ihr anlegen. Vor allem nicht im letzten Schuljahr.” “Vielleicht… Aber, eine Sache wäre da schon, die etwas seltsam ist”, meinte sie. Edward und ich hoben die Augenbrauen. “Welche?” “In meinem Geschichtskurs ist ein Junge, der mich ständig anstarrt. Es ist aber nicht dieses Lass-mich-bloß-in-Ruhe-Starren. Es hat nichts feindliches.” “Kennst du seinen Namen?” wollte ich wissen. “Leider nicht”, antwortete sie resigniert, dann ließ sie ihren Blick durch die Cafeteria schweifen. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. “Da! Das ist er!” Ich folgte ihrem Blick, genauso wie Edward. Nicht weit entfernt von uns saß ein ziemlich großer Junge mit blonden Haaren. Und er starrte wirklich in unsere Richtung. Edward kicherte auf einmal. “Das ist Jasper. Jasper Whitlock.” “Was ist denn daran so witzig?” fragte ich. “So hab ich ihn noch nie gesehen. Er sieht aus, als wenn er sich in dich verguckt hätte”, erklärte er an Alice gewandt, die nur die Stirn runzelte. “Kennst du ihn denn so gut?” “Er ist in unserem Team. Soll ich dich mit ihm bekannt machen?” “Was…?” Sie schnappte nach Luft und ihre Wangen röteten sich leicht. Jetzt musste sogar ich schmunzeln. Scheinbar beruhte die Anziehung auf Gegenseitigkeit. Und wieder breitete sich in mir das Gefühl der Einsamkeit aus. Ich war die Einzige, die scheinbar kein Glück mit Jungs hatte. Sogar Alice hatte - nach bereits zwei Tagen an dieser Schule - schon einen potentiellen Freund gefunden. Ich seufzte. Was würde das bloß heute mit Tayk werden? “Was ist?” fragte Edward. Alice sah mich genauso überrascht an. “Ach, ich hab mich nur gefragt, was ich heute Abend anziehen soll”, log ich. “Ich bin mir sicher, dass du in allem toll aussiehst”, grinste Edward und prompt röteten sich meine Wangen. Wie konnte er so etwas einfach so sagen? “Was ist denn heute Abend?” mischte Alice sich ein. “Bella und ich gehen uns heute ein Baseballspiel ansehen.” “Ach so.” Auf Alice breitete sich ein verschlagenes Grinsen aus. Ich fühlte mich plötzlich unwohl. “Wenn du willst… Dann helfe ich dir dabei.” Ehrlich gesagt machte mir ihre Euphorie ein bisschen Angst, doch weil ich sie nicht zurückweisen wollte, nickte ich still. “Sehr schön.” Die Schulglocke läutete. Das Rutschen von Stuhlbeinen war im ganzen Raum zu hören, als die meisten sich langsam erhoben, um zum Unterricht zu gehen. “Wir sollten auch los”, sagte Edward und stand bereits auf. “Was hab ich jetzt eigentlich?” meinte ich mehr zu mir selbst. Irgendwie schien ich in letzter Zeit meinen Stundenplan zu vergessen. “Geo”, kam es synchron von beiden. Ich sah sie einen Moment lang überrascht an. Alice kicherte leise und Edward stimmte mit ein, als er mir über die Haare wuschelte und dann meine Hand nahm. “Na komm.” Alice sah sich noch kurz nach hinten um. Ich war mir fast sicher, dass sie nach Jasper Ausschau hielt. Heute fuhr nicht Edward mich nach Hause, sondern wieder Alice. Sie meinte, da sie sich sowieso mit mir treffen würde, könnte sie auch gleich mitkommen. Ich machte schnell etwas zu Essen, während sie mir dabei zusah und immer wieder meine Routine beim Kochen bewunderte. Sie meinte, sie würde das alles nie so hinbekommen. “Na ja, wenn deine Alternativen entweder verbranntes Essen von deinem Vater oder ständige Pizzalieferungen sind, dann bleibt dir nichts anderes übrig, als sich das Kochen selbst beizubringen.” “Kann ich verstehen”, entgegnete sie und kicherte. Wir aßen ziemlich schnell. Alice hatte es irgendwie eilig, an meinen Schrank zu kommen. Da ich ihr gesagt hatte, ich würde nicht einkaufen gehen, da ich mir das einfach nicht leisten konnte, gab sie sich damit zufrieden, aus meinen vorhandenen Sachen etwas zusammenzustellen. “Du hast wirklich eine Menge Kleider, die du scheinbar nicht anziehst. Dabei würden die dir wirklich gut stehen”, sagte sie kopfschüttelnd und hielt bereits das x-te Oberteil in die Höhe, um zu sehen, ob die x-te Hose, die sie rausgekramt hatte, dazu passte. Mein Zimmer konnte man bei all dem herumliegenden Sachen gar nicht mehr erkennen. Der Boden, das Bett, die Stühle, der Tisch… sogar meine Kommode waren behangen. Dann seufzte sie und ließ den Kopf hängen. “Das wird wirklich schwierig. Wenn wir doch nur einkaufen gehen könnten…” “Alice”, warnte ich sie. “Ja, schon gut. Ich weiß. War auch bloß ein Gedanke…” Sie lächelte entschuldigend. “Oh, was haben wir denn da?” sagte sie plötzlich und spähte weit in meinen Schrank hinein. Ich reckte meinen Hals ein wenig, um hinter ihrem Rücken zu erkennen, was sie entdeckt hatte. Dann endlich - es kam mir vor wie Stunden - drehte sie sich zu mir um und hielt ein dunkelblaues Etwas in den Händen. Als sie es vollends entfaltete, sah ich, dass es ein Kleid war. “Wie kommt es, dass das hier in der hintersten Ecke versteckt ist?” “Das ist ein Geschenk von meiner Mutter gewesen. Allerdings zieh ich keine Kleider an, deshalb hab ich es nach hinten vertrachtet.” Alice schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. “So ein schönes Stück und dann ist es ungenutzt.” Irgendwie überredete sie mich, es tatsächlich anzuziehen, obwohl ich mich im ersten Moment total unwohl fühlte. Es hatte nur Spaghettiträger und somit waren meine Schultern frei. In den oberen Teil war eine Korsage mit türkisfarbenen Spitzenstickereien eingearbeitet, sodass es alle Rundungen meines Körpers hervorhob. Ein Effekt, der mir noch peinlicher war. Der Rockteil hatte einen fließenden, weichen Fall und der Stoff sah aus, als wäre er hauchdünn, aber undurchsichtig. Er hatte zwei Schichten, wobei die untere etwas länger war, als die darüber. Insgesamt ging mir das Kleid bis zu den Knien und war schräg zur Seite geschnitten. Hinten war es gerafft und wirkte wie eine Schärpe. Nur war sie nicht so lang, dass sie hätte auf dem Boden schleifen können. “Hier, die Schuhe passen perfekt dazu.” Sie stellte mir ein türkisfarbenes Paar hin, dass ich nur ein einziges Mal getragen hatte. Auf der Hochzeit meiner Mutter. Es hatte einen mörderischen Absatz und jede Menge Bänder, die man ums Bein wickeln musste. “Ich gehe nur zu einem Baseballspiel und nicht zu einer Party, Alice. Und diese Schuhe sehen verdächtig nach Unfall aus.” Und gerade ich war besonders begabt für Unfälle. “Das wird schon. Und zur Not kann dein Freund dich ja auffangen”, kicherte sie. Wie witzig. “Apropos Freund. Du sahst heute auch nicht ganz abgeneigt aus, gegenüber diesem Jasper.” Sie war gerade dabei, mir die Haare zu frisieren und ich zuckte schmerzhaft zusammen, als sie eine der Nadeln zu fest in meine Frisur steckte. “Autsch.” “Oh, tut mir leid.” Ich wusste, dass sie es aufgrund meines Kommentars gemacht hatte. “Das muss dir nicht peinlich sein”, versuchte ich sie zu besänftigen. “Mir ist nichts peinlich. Es ist nervig, wie er mich immerzu ansieht. Wieso sollte ich da was für ihn übrig haben?” sagte sie fast schon etwas wütend. Innerlich grinste ich. Da war definitiv etwas. Aber ich ließ es erst einmal auf sich beruhen. “Wie du meinst.” Nachdem sie mit meinen Haaren fertig war - sie wurden im Nacken zusammengehalten und fielen in lockigen Bahnen hinunter, während ein paar wellige Strähnen an den Seiten hingen -, mich geschminkt hatte und ich letztendlich in den Spiegel geschaut hatte, konnte ich meinen Mund vor Verblüffung gar nicht schließen. Alice hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. “Danke…” sagte ich völlig atemlos. Mehr konnte ich nicht herausbringen. Alice kicherte. “Gern geschehen. Also, wenn du mal wieder Hilfe brauchst, sag Bescheid.” Ich nickte nur benommen. Ein Hupen draußen signalisierte uns, dass Edward bereits da war. War es etwa schon sieben? Hastig und dennoch darauf bedacht, nicht zu stolpern, lief ich aus dem Zimmer und wäre im Flur beinahe mit Charlie zusammengeprallt. “Dad!” Ich hatte nicht bemerkt, wie er nach Hause gekommen war. “Bella?” Er betrachtete meine Erscheinung und seine Augen wurden immer größer. “Ich… dachte, du wolltest zu einem Baseballspiel.” “Will ich ja auch. Das hier ist Alice’ Werk.” Ich deutete auf das schwarzhaarige Mädchen, das hinter mir aufgetaucht war. “Sie ist neu an unserer Schule und sie hat mir geholfen, ein Outfit zu finden. Das ist alles.” “Hallo, Mr. Swan”, grüßte sie ihn höflich. “Hallo… Alice, richtig?” Sie nickte. “Schön, dich kennen zu lernen.” Langsam entspannten sich seine Gesichtszüge. Ich war mir fast sicher, dass er gut mit ihr auskommen würde. Die zweite Person neben Edward. Edward! Er wartete ja draußen. Ich hastete zur Eingangstür und schnappte mir nebenbei schnell meine Handtasche, die seltsamerweise bereits auf der Kommode im Flur lag. Hatte Alice sie dort etwa schon platziert gehabt? Leider hatte ich keine Zeit, darüber ausführlich nachzudenken. “Ich muss los, Dad. Bis dann.” Alice folgte mir. “Bis zum nächsten Mal, Mr. Swan”, rief sie noch. Von meinem Dad hörte ich noch ein “Komm nicht zu spät nach Hause, Bells.”, ehe ich die Tür schloss und auf Edward zuging, der lässig an seinem Volvo lehnte. Seine Augen wurden immer größer, als ich näher kam und ich spürte mein Herz schneller klopfen. “Wow…” flüsterte er, als ich ihn erreicht hatte. Alice kicherte hinter uns. Edward hatte nur eine dunkle Jeans und ein enges Hemd an und obwohl es immer noch elegant aussah, fühlte ich mich mehr overdressed denn zuvor. Edward nahm mich in die Arme und drückte mich kurz. “Da könnte sogar ich schwach werden”, wisperte er in mein Ohr. Ich dankte der Dunkelheit, dass er nicht sah, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Als er sich wieder von mir löste, gab er mir noch einen Kuss auf die Stirn und wandte sich dann an Alice. “Auch wenn es etwas unpassend für Baseball ist… Danke.” Alice schmunzelte. “Immer wieder gerne. Außerdem kann man sich nie hübsch genug für seinen Freund machen. Egal bei welchem Anlass.” Edward lachte kurz und Alice winkte plötzlich. “Ich werde dann mal nach Hause. Bis morgen, ihr beiden und viel Spaß noch.” “Ja, mach’s gut. Und danke noch mal”, antwortete ich. Sie grinste kurz, dann ging sie zu ihrem Auto. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ hehe...Und?...^^ Was Alice' Vergangenheit angeht, hab ich mich ein bisschen auf die Bücher berufen. Da wurde ja gesagt, dass ihre Family sie in die Klapse gesteckt hat...o.O°...nur zur Info... Das nächste Kapi kommt bald und ich kann jetzt schon sagen, dass ihr mehr von Tayk mitbekommt und noch ein neuer (alter) Chara auftaucht...xDD... Kapitel 7: San Francisco Giants vs. Chicago White Sox - Edward vs. Tayk ----------------------------------------------------------------------- Darf ich mit Stolz präsentieren? Das wahrscheinlich längste Kapitel der Welt...;D Okay, vllt das längste persönliche von mir...>.<...Hätt das ja eigentlich auch noch teilen können...hm~...Egal, so gefällt´s mir besser... Darf ich erwähnen, dass das mein persönliches Lieblingskapi is? Wenn ich sowas immer sag, isses bei den Lesern allerdings nie so...lol...>.<... Ich hab mich bei einer Szene auf eine Folge von Akte X berufen. Wer das noch kennt und genauso verrückt danach war wie ich, fällt´s vllt auf...;) Außerdem musste ich mich entscheiden zwischen Beyoncé und Faith Hill. Beide sind gut, auch wenn ihr jetzt noch keinen Schimmer habt, von was ich überhaupt schreibe...xDD Okay, viel Spass... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Edward hielt mir die Beifahrertür auf und ich schlüpfte mehr als vorsichtig hinein. Nicht nur das Kleid machte es schwierig, auch die hohen Schuhe. Während der Fahrt redeten wir nicht viel, sondern hörten der Musik im Radio zu, die mich zu meinem Bedauern ein wenig schläfrig machte. Edward betrachtete mich immer wieder aus den Augenwinkeln und als er sah, dass meine Augen fast zufielen und mein Kopf bereits leicht zur Seite sackte, kicherte er. “Nachher wirst du keine Zeit zum Schlafen haben, Bella. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass du dann nicht einmal mehr müde sein wirst.” Ich sah ihn an und lächelte schwach, während ich Mühe hatte, mein Gähnen zu unterdrücken. “Ich hoffe, du hast Recht.” “Oh, ganz bestimmt.” Er grinste. Als wir nach einer halben Stunde am Stadion ankamen, musste ich erst einmal blinzeln. Ich hatte schon oft solche Gebäude im Fernsehen gesehen und mir nichts weiter gedacht. Komischerweise hatte ich es bisher nie für nötig empfunden, eines dieser Stadien aus der Nähe zu betrachten. Und erst recht hatte ich keine Ahnung, wohin genau mich Edward eigentlich fahren wollte. Jetzt wusste ich es. Und es war beeindruckend. Meine Müdigkeit war mit einem Mal verflogen. Bei Tag musste das Gebäude bereits riesig aussehen, doch nun in der Dunkelheit mit all den Lichtern um die runde Form auf jeder Etage wirkte es noch pompöser. Irgendwie erinnerte es mich an das alte, römische Kolosseum. “Beeindruckend, oder?” fragte mich Edward und konnte sich sein Grinsen nicht verkneifen, als er bemerkte, dass ich den Mund gar nicht mehr schließen konnte. Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zustande. Als ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte und Edward glücklicherweise einen Parkplatz nicht weit entfernt vom Stadion finden konnte, stiegen wir aus und machten uns auf den Weg. Als wir näher kamen, entdeckte ich eine Unmenge an Menschen, die sich vor dem Eingang tummelten und darauf warteten, endlich eingelassen zu werden. Ich stöhnte. Das hieß dann wohl, ewig lange zu warten, bis wir uns einen Platz suchen konnten. “Hm…” machte Edward und seine Augen wurden schmal, als er angestrengt über etwas nachdachte. “Was ist?” “Ich glaube, ich werde Tayk mal anrufen. Wenn wir Glück haben, ist er schon da und wir können uns das Warten sparen.” Er holte sein Handy heraus und wählte. Während er auf eine Antwort wartete, blickte ich mit Schrecken auf die immer größer werdende Schlange. Hoffentlich klappte Edwards Idee. “Tayk? Ich bin’s. Edward…” sagte er plötzlich. “Ich steh gerade vor dem Baseball Station…” Pause. “Ja, genau. Ich hab dir doch von Bella erzählt. Ich wollte ihr unbedingt mal ein richtiges Spiel zeigen.” Mein Herz klopfte schneller. Er hatte mit Tayk über mich gesprochen. Ich sah ihn erstaunt an und er lächelte zurück, während er sich auf das Gespräch konzentrierte. “Das wäre super… Hm… Okay, machen wir, danke… Bis gleich.” Er klappte das Handy zu und steckte es zurück in seine Tasche. Als ich fragend meine Augenbrauen hob, lächelte er. “Er kommt gleich herunter und holt uns ab.” Als wir an der Schlange vorbeigingen und direkt den Einlass ansteuerten, legte Edward stützend seinen Arm um meine Taille. Ihm musste aufgefallen sein, wie wackelig ich auf den Schuhen ging. Zwischen dem allgemeinen Gemurmel hörten wir auch ein paar aufgebrachte Rufe von Leuten, die der Meinung waren, wir würden uns vordrängeln. Na ja, irgendwie taten wir das schließlich auch. “Bitte stellen Sie sich wie jeder andere hinten an, Sir”, hörte ich den Security-Mann am Eingang sagen, als wir dort angekommen waren und uns neben die Schlange stellten. Insgesamt waren es vier Leute, die dafür zuständig waren, dass der Einlass ordnungsgemäß durchgeführt wurde. “Wir warten auf Mr. Rooney. Er wird gleich kommen”, erklärte Edward freundlich, doch ich war mir nicht sicher, ob die Wachmänner ihn ernst nahmen. Obwohl sie uns immer noch misstrauisch ansahen, erwiderten sie nichts. Ich ließ unterdessen meinen Blick über die Menschenmasse schweifen. Baseball hatte eine riesige Fangemeinde und Leute aus allen Schichten schienen sich dafür zu interessieren. Ich blieb an einem Mann hängen, der mich ununterbrochen skeptisch beäugte und von Kopf bis Fuß musterte. Blinzelte er denn nicht mal? Er war sehr groß gewachsen und ein klein wenig bullig gebaut. Seine kurzen, fettigen Haare klebten an seinem Kopf und seine Haut sah ungesund aus. Außerdem konnte man sogar im Halbdunkel den Schweiß auf seiner Stirn erkennen. Er trug eine dunkle Lederjacke und obwohl ich nichts gegen die Kleidung an sich hatte, machte sie ihn nur noch bedrohlicher. Als er meinem Blick begegnete, wurden seine Augen noch schmaler, als sie ohnehin schon waren, und ein kleines, unheimliches Grinsen bildete sich auf seinen Lippen. Schnell wandte ich mein Gesicht ab und starrte auf den Eingang. Edward bemerkte natürlich meine abrupte Reaktion. “Alles in Ordnung?” “Ja, alles bestens. Nur ein bisschen nervös.” “Das wird schon.” Sanft strich er mit dem Daumen der Hand, die an meiner Taille lag, an meiner Seite auf und ab. Ich legte meine Hand auf ebendiese, um seinen Beruhigungsversuch noch zu verstärken, und holte tief Luft. “Edward?” erklang eine Stimme von vorne und im nächsten Moment sahen wir Tayk auf uns zukommen. Ich vergaß beinahe das Atmen und mein Puls erreichte Rekordgeschwindigkeiten. Er hatte einen weißen Anzug an und sah vollkommen anders aus als in der Schule. Viel erwachsener. Seine blonden Haare waren elegant nach hinten frisiert und sein markantes, makelloses Gesicht grinste Edward entgegen, ehe er mit dem Wachmann sprach. Ich fühlte mich auf einmal etwas wohler, denn jetzt war ich nicht mehr die einzige, die sich für ein Baseballspiel herausgeputzt hatte. Die Securitys ließen uns jetzt ein, wobei Edward dem Mann erst noch die Eintrittskarten geben musste. Wann hatte er die denn besorgt? Ich war davon ausgegangen, dass wir sie erst hier kaufen würden. Doch wenn ich an all die Menschen dachte, die da draußen immer noch warteten, konnte ich mir gut vorstellen, dass bereits alles ausverkauft war. Wer konnte auch ahnen, dass wir zu so einem Spiel gingen? Als wir endlich hineingingen, fiel Tayks Blick zum ersten Mal auf mich und - wie schon zuvor bei Edward und anders als in der Sportstunde - weiteten sich seine Augen immer mehr, doch er versuchte, sich sein Erstaunen nicht anmerken zu lassen. In Gedanken dankte ich Alice jetzt mehr den je für ihre Mühen. “Du musst Bella sein, nehme ich an.” Er lächelte, während wir uns auf den Weg zur Tribüne machten. Der Weg, den wir gingen, schien nicht für alle gängig zu sein. Nur ein paar weitere Leute waren hier anwesend. Tayk klang, als würde er sich nicht an mich erinnern. “Ja. Wir haben übrigens zusammen Philosophie”, erklärte ich, doch die Aufregung verhinderte den sarkastischen Unterton. “Wirklich?” Er war ernsthaft überrascht, dann grinste er. “Na ja, wenn du in der Schule auch so herumlaufen würdest, hätte ich dich bestimmt schon eher bemerkt.” Also musste ich meinen Stil ändern, damit er mir mehr Beachtung schenkte? Edward räusperte sich kurz und Tayk wirkte plötzlich schuldig. “Oh, tut mir leid. Das sollte jetzt nicht abwertend klingen. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel, Bella”, wandte er sich an mich. Ich schüttelte heftig den Kopf. Vielleicht etwas zu heftig. Ich hatte plötzlich Angst, das es albern ausgesehen haben könnte, doch Tayk lächelte nur dankbar. Wir gingen eine ziemlich lange Treppe empor und als wir das Ende erreichten und aus der uns eben noch umhüllenden Dunkelheit ins Licht traten, stockte mir der Atem. Nicht nur, dass sich vor mir eine riesige, offene Lounge ausbreitete, in der es Sessel - ungefähr zwölf und dicht an dicht - mit rotem Polster und kleine Tische gab, auch dahinter kam man kaum aus den Staunen heraus. Vorne war die Lounge durch ein, aus zwei Metallstangen bestehendes, Geländer abgesichert und unter uns waren unzählige Reihen an Sitzplätzen, von denen die meisten bereits besetzt waren. Die Gespräche jeder einzelnen Person im Stadion formten eine ungewöhnlich laute Geräuschkulisse - die Musik, die aus den Lautsprechern kam, war dennoch zu hören - und die Euphorie war fast zu spüren. Sie steckte bereits jetzt an. Über den Reihen konnte man mehr als große Banner der einzelnen Mannschaften sehen. Der San Francisco Giants und der Chicago White Sox. In der Mitte des Spielfeldes war ein Podest aufgestellt, hinter dem sich eine größere Anzahl von Menschen befand. Alle mit einem Instrument ausgerüstet. Ich nahm an, dass es ich um ein Orchester handelte. Die riesige Anzeigetafel, die sich uns gegenüber befand, zeigte im Moment noch jede Menge Werbung. Ab und zu wurden die Logos der beiden Mannschaften aufgeführt, während immer wieder der Spruch kam, was für ein Zusammentreffen es doch wäre. Ein Spiel zwischen zwei Spitzenteams. Ich bekam mehr und mehr das Gefühl, dass dieses Game bedeutender war, als ich es mir bisher vorgestellt hatte. Hinter der elektronischen Tafel ragten die meterhohen Gerüste empor, die für die Scheinwerfer verantwortlich waren. Erst jetzt fiel mir das Wasser hinter dem Stadion auf. Ich hatte ganz vergessen, dass das Gebäude sich am Hafen befand. In vielen Werbeanzeigen hieß es: San Francisco Baseball Stadium: Wo die Homeruns ins Meer geschlagen werden. Die Lichter an den Außenwänden des Stadions, als auch die Scheinwerfer wurden auf der dunklen, ruhigen Oberfläche reflektiert. Der Effekt hatte sowohl etwas unheimliches, als auch etwas romantisches. Diesen Abend würde ich mit Sicherheit nicht vergessen. Niemals. “Es scheint dir bereits zu gefallen, wie ich sehe”, hörte ich Edwards Stimme. Er kicherte leise. “Wundervoll”, staunte ich und konnte meinen Blick gar nicht abwenden. “Ich bin gespannt, was du sagst, wenn du das Spiel siehst.” Jetzt drehte ich mich doch zu ihm und grinste. “Setzt euch doch. Wollt ihr etwas trinken oder essen?” fragte uns Tayk. An ihn hatte ich gar nicht mehr gedacht, so überwältigt war ich von dem Anblick gewesen. “Cola…” meinte ich zögerlich und nahm Platz. Die Sessel waren wirklich bequem. “Für mich dasselbe.” Edward setzte sich neben mich und nahm meine Hand, die auf der Lehne lag. Tayk nickte nur und ging zu einem kleinen Tresen, der sich hinter den Sitzreihen befand. Ich beugte mich zu Edward herüber und flüsterte ihm etwas zu. “Sind wir drei hier alleine oder kommt noch jemand?” “Nur wir drei. Tayk reserviert immer die gesamte Lounge. Er ist lieber allein”, flüsterte Edward ebenso leise zurück. “Hat das einen bestimmten Grund?” hakte ich nach. Je mehr ich über Tayk erfuhr, desto besser. Und wer war eigentlich sein Vater, dass er eine VIP-Lounge für sich reservieren konnte? Edward biss sich auf die Lippen. “Das erklär ich dir ein anderes Mal.” Zwar machte mich diese Antwort noch neugieriger, doch ich beließ es erst einmal dabei. Er hatte sicher seine Gründe. Tayk kam wieder und stellte die Getränke auf den kleinen Tisch vor uns. Dann setzte er sich an meine freie Seite. Mein Puls fing wieder an zu rasen. “Gleich fängt es an”, meinte Edward neben mir und drückte meine Hand. Ich erwiderte seinen Griff und versuchte, meine innere Unruhe unter Kontrolle zu bekommen. Die Hintergrundmusik wurde leiser und die Werbung auf der Anzeigetafel verschwand. Stattdessen war darauf nun ein Mann mit einem Mikrophon zu erkennen. Er musste um die Fünfzig sein. Das Murmeln der Zuschauer verstummte und die plötzliche Stille hallte in meinen Ohren wider. Meine Aufregung vergrößerte sich. “Meine Damen und Herren… Willkommen.” Der Sprecher hatte eine ziemlich tiefe Stimme und sein Text klang so professionell, dass man mit Leichtigkeit erkennen konnte, dass er das nicht zum ersten Mal machte. “Ich begrüße Sie recht herzlich zum Start der Best-of-Five. Der Serie, in der es heißt, die Halbfinalisten für die Best-of-Seven zu finden. Und was für ein famoser Start. Das lang ersehnte Aufeinandertreffen der beiden favorisierten Teams ist endlich gekommen. Die CHICAGO… WHITE… SOX……” Er betonte jeden Teil des Namens und zog ihn extra lang. Ich sah, wie aus einem Eingang unter der Tribüne eine lange Reihe an Spielern das Feld betrat. Das musste das Team sein, dass der Sprecher angekündigt hatte. Ihre Trikots waren weiß und hatten hauchdünne schwarze Längsstreifen. Unter dem kurzärmligen Oberteil trugen sie schwarze, langärmlige Shirts. Auf der linken Seite der Brust waren die Buchstaben S, O und X in verschnörkelter Schrift aufgestickt und jeder Spieler trug eine schwarze Baseballkappe, auf dem ebenfalls das Logo prangte. Auf dem Rücken war die Nummer in großen Lettern und der Name des jeweiligen Spielers zu lesen. Normalerweise hätte ich das alles nicht erkennen können, doch die Kameras waren jetzt nicht mehr auf den Sprecher gerichtet, sondern verfolgten den Marsch der Mannschaft, die sich auf dem Spielfeld in einer Reihe stellte. Wir konnten alles perfekt auf der Anzeigetafel verfolgen. Großer Applaus, Zurufe und Jubelschreie von den Zuschauerreihen. “…gegen die SAN… FRANCISCO… GIANTS……” Diesen Namen betonte er ebenso wie den anderen und zog ihn genauso lang, wobei seine Stimme bei jedem Wort höher kletterte. Die Kamera wandte sich von dem ersten Team ab und verfolgte nun die Mitglieder der Gegnermannschaft, die auf das Feld traten. In circa einem Meter Entfernung stellten sie sich neben die White Sox. Ihre Trikots waren ebenfalls weiß, doch das Nadelstreifenmuster, das auch sie besaßen, war rot, genauso wie das langärmlige Shirt unter dem Oberteil, die riesigen Zahlen und Namen der Spieler auf dem Rücken und die Kappen. Auf ihrer Brust stand in großen Buchstaben in einem Halbbogen ’GIANTS’. Wieder Applaus, Rufe und Freudenschreie. Der Sprecher fuhr fort. “Um Amerika zu ehren, erheben Sie sich jetzt bitte für die amerikanische Nationalhymne.” Als er endete, kam aus dem gleichen Ausgang wie eben zuvor eine junge Frau in einem eleganten Anzug. Noch mehr Applaus, noch heftigere Reaktionen, als sie auf das Podest zuging und sich darauf stellte. Eine Art Ächzen oder Raunen ging durch die Reihen, als sich jeder einzelne Besucher erhob, genauso wie wir es taten. Wir legten unsere rechte Hand auf unser Herz, wobei ich Edwards Griff lösen musste. Aus den Augenwinkeln sah ich kurz zu ihm herüber. Ihm war seine Aufregung bereits jetzt anzusehen. Seine Augen sprühten förmlich vor Freude, soviel schien ihm dieser Sport zu bedeuten. Ich musste unweigerlich an damals denken, als er mir von seinem ersten Spiel erzählte, welches er sich mit seinem Dad angesehen hatte. Plötzlich sah ich den kleinen, fünfjährigen Jungen neben mir stehen. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. “Und nun, live mit der amerikanischen Nationalhymne, Ladies and Gentlemen… Mehrfache Grammy-Award-Gewinnerin, Beyoncé Knowles.” Mir stockte der Atem. Wie bedeutend war dieses Spiel eigentlich? Ich hatte keine Ahnung von der Struktur der Baseballliga, doch das hier schien kein Game im üblichen Rahmen zu sein. Innerhalb weniger Sekunden war es totenstill im Stadion und die Celebrity fing an, The Star Spangled Banner vorzutragen. Das Orchester stimmte zeitgleich mit ein. Sämtliche Zuschauerreihen sangen leise mit und allein schon die Masse an Stimmen erhöhte dieses Flüstern ein wenig, sodass es sich anhörte, wie ein Chor. Allerdings immer noch vom Orchester und der Sängerin übertroffen. Es gab eine Stelle im Lied, in der sie akapella sang - eine sehr hohe Stelle, die sie perfekt meisterte. Das Volumen ihrer Stimme war unglaublich. Unweigerlich bildete sich eine Gänsehaut auf meinem gesamten Körper, die so stark war, dass ich sogar kurz zitterte. Als der Song endete, war es für ein paar Sekunden still, dann brach das Publikum in heftigen Applaus aus. Wie aus purem Reflex klatschten wir ebenfalls mit voller Stärke. Ich atmete tief ein und offenbar so laut, dass Edward sich lächelnd zu mir umdrehte. “Unglaublich, oder?” Ich nickte stillschweigend. Ich war immer noch überwältigt von dem eben Gehörten. Noch nie war ich live dabei gewesen, wenn ein Star die Nationalhymne sang. Und schon gar nicht bei einem Sportereignis. Ein Erlebnis, das man unbedingt einmal mit den eigenen Augen gesehen haben musste. Schon jetzt war ich Edward dankbar, dass er mich hierher mitgenommen hatte. “Das ist nicht irgendein Spiel, oder?” fragte ich leise, als würde ich davon ausgehen, meine Stimme könnte jemanden stören, wäre sie etwas lauter. Ich nutzte die Zeit, in der das Orchester sich vom Platz entfernte und das Podest abgebaut wurde, um mich etwas zu informieren. Tayk neben mir kicherte. “Nein, das ist es nicht”, erklärte er. “Die beiden Teams, die heute antreten, sind momentan die Besten im Land. Dass sie bereits jetzt im Viertelfinale gegeneinander spielen, kann man schon fast als vorweggenommenes Finale betrachten.” Ich hatte es geahnt. Es war etwas Besonderes. Ich musste mich später unbedingt bei Edward für das alles revanchieren. Nun war das Spielfeld wieder frei und die beiden Teams positionierten sich, während unter dem Bildschirm auf der Anzeigetafel eine Tabelle erschien und die Namen der Mannschaften eingeblendet wurden. Ich war wirklich erpicht darauf, mir kein einziges Detail entgehen zu lassen. Einer der Giants stellte sich auf die kleine, sandige Erhebung in der Mitte des Feldes - es musste der Pitcher sein - und fing an, den Baseball in seiner Hand auf und ab zu werfen. Drei seiner Teamkollegen gingen zu den drei Bases, die in einem Halbbogen um den Pitcher gekennzeichnet waren, während vier weitere aus seiner Mannschaft sich in einem gewissen Abstand hinter die jeweiligen Bases platzierten. Alle sieben bildeten die Basemen. Der Batter der White Sox stellte sich dem Pitcher gegenüber und schwang den Schläger zur Übung ein paar Mal hin und her - hinter ihm hockte sich der, in seiner Schutzkleidung eingehüllte, Catcher nieder. Vier weitere Personen in blauen Hemden gesellten sich dazu und positionierten sich an den Außenlinien, während sich einer von ihnen hinter den Catcher stellte. Da sich ihre Kleidung von beiden Teams abhob, nahm ich an, dass es sich um die Schiedsrichter handeln musste. “Und nun, Ladies and Gentlemen… Die San Francisco Giants gegen die Chicago White Sox!” Heftiger Applaus, dann war es wie auf Kommando wieder mucksmäuschenstill im Stadion. Der Pitcher ließ den kleinen, weißen Ball noch ein paar Mal in die Luft sausen, legte, nachdem er ihn zum letzten Mal gefangen hatte, seine Hand an die Brust, hob ein Knie, machte einen Ausfallschritt nach hinten, holte tief aus und warf den Baseball mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf den Batter - oder Catcher. Das konnte ich nicht so gut erkennen, obwohl es auf der Anzeigetafel vergrößert wurde. Der Batter schwang den Schläger mit voller Wucht, doch die abrupte Bewegung des Catchers, die erhobene Hand des Schiedsrichters und das darauf folgende “Out” signalisierten mir, dass er den Ball nicht getroffen hatte. Das Ganze wiederholte er zweimal, wobei der Batter den Baseball beim letzten Versuch traf (ein Strike, wenn der Ball in das Feld hinter den Basemen geschlagen wurde. Traf man alle drei Bälle, hieß es Strikeout und der Batter konnte bequem zur ersten Base vorrücken. Falls er nicht traf und der Ball in die Tribüne geworfen wurde, war das ein Foul, was als Strike gezählt wurde. Allerdings konnte man damit kein Strikeout erzielen). Selbst ohne Mikro war das metallene, hohle Geräusch des Treffers deutlich zu hören. Der Batter ließ seinen Schläger fallen und sprintete in einer unmenschlichen Geschwindigkeit los, wobei er die erste Base erreichte, dann die zweite und dann auf die dritte zurutschte, doch leider zu spät. Die Gegner hatten den Ball rechtzeitig weiter geworfen. Der Schiedsrichter schrie ein “Out”. Das Dritte, und wie Edward mir erklärte, bedeutete das, dass die Mannschaften jetzt die Positionen änderten. Jedes Mal, wenn er mir einen Spielzug besser zu verstehen gab, war der pure Enthusiasmus in seiner Stimme zu erkennen. So verlief größtenteils das gesamte Spiel. Jede Menge Outs (ab und zu von Buh-Rufen begleitet, wenn das Publikum das Out als falsche Entscheidung ansah), gestohlene Bases und immer wieder Jubelschreie bei erfolgreichen Runs des jeweiligen Batters. Von weitem konnte ich es nicht erkennen und auf der Tafel wurde es nicht gezeigt, aber Edward erzählte mir, dass der Catcher dem Pitcher immer wieder Handzeichen gab, die seinem Kollegen zeigten, welche Art Ball er werfen sollte. Es gab nämlich verschiedene: Curve Ball, Slider, Sinking Ball… Der Moderator kommentierte jeden Spielzug. Ich begann mich mehr und mehr für diese Sportart zu interessieren und nahm jetzt selbst den Teamgeist und die Begeisterung des Publikums wahr. Ich fieberte schon fast regelrecht mit. Edward war mit Leib und Seele beim Spiel. Er war auf dem Sessel nach vorne gerutscht; die Ellenbogen auf die Oberschenkel gestützt. Ab und an blinzelte ich zu ihm herüber und musste grinsen, wenn ich sah, wie er sich konzentrierte. Manchmal war er kurz davor aufzuspringen, wenn jemand vor der dritten Base war, und sackte dann wieder zurück, wenn es nicht geklappt hatte. Tayk hatte eine ähnliche Position wie Edward; seine Augen waren auf das Spielfeld fixiert. Bald saß sogar ich so da, immer wieder auf- und abhebend, wenn die Giants - für die hatte ich mich nämlich entschieden (immerhin war es unsere Heimmannschaft) - eventuell einen Sieg erringen konnten. Nach ungefähr einer Stunde - genau konnte ich es nicht sagen, da ich jegliches Zeitgefühl verloren hatte -, wurde zu einer halbstündigen Pause aufgerufen, damit sich die Teams etwas erholen konnten. Die White Sox lagen mit 17 Punkten in Führung. “Wir scheinen einen neuen Fan zu haben”, bemerkte Edward und grinste frech. “In der Tat”, entgegnete Tayk und grinste ebenfalls, allerdings ein wenig zurückhaltend, während er uns beide mit einer Spur Neugier betrachtete. Vielleicht bildete ich es mir aber auch nur ein. Im Moment war ich zu sehr vom Spiel gefesselt. “Meint ihr, die Giants schaffen es noch zu gewinnen?” fragte ich unsicher und merkte selbst, wie sehr mich das alles mitriss. “Ein Spiel ist erst zu Ende, wenn der Schiedsrichter es abpfeift”, antwortete Edward völlig überzeugt und sich keine Spur Sorgen machend. Er stand auf und reckte sich, dann ging er zum Geländer und lehnte seine Arme darauf, um seinen Blick über die Massen schweifen zu lassen. In meiner Kehle brannte es auf einmal und ich nahm schnell einen Schluck von meiner Cola. Mittlerweile war mir wirklich warm geworden, obwohl wir draußen saßen. “Das glaub ich ja nicht”, hörten wir Edwards überraschte Stimme plötzlich, dann lachte er. “Bitte entschuldigt mich einen Moment”, wandte er sich an uns und verließ mit schnellen Schritten kopfschüttelnd und grinsend die Lounge. Wo wollte er so eilig hin? Nun war ich mit Tayk allein… ALLEINE! Mein Herz klopfte schneller, mein Puls raste. Vorsichtig stellte ich mein Glas ab und setzte mich so steif in meinen Sessel, dass ich mit einer Skulptur Ähnlichkeit hätte haben können. Ich wollte mich keinen Millimeter bewegen, aus Angst sonst etwas peinliches anzustellen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Tayk mich musterte - von Kopf bis Fuß. “Gefällt dir das Spiel? Edward hat gesagt, dass du zum ersten Mal eines ansiehst.” Er klang verhalten neugierig. “Das stimmt. Und ich bin froh, dass er mich mit hierher genommen hat. Es ist wirklich eindrucksvoll.” Ich traute mich nicht, ihn anzusehen. “Ja, das ist es wirklich…” Er seufzte und sah aufs Feld, dann drehte er seinen Kopf wieder zu mir. “Und du bist also Edwards neue Freundin”, stellte er fest. Ich nickte langsam, konnte ihn aber immer noch nicht ansehen. “Wie lange seit ihr jetzt zusammen?” “Erst ein paar Tage…” “Seid ihr glücklich?” fragte er ohne zu zögern. Die Frage an sich war etwas seltsam. Wenn man erst so kurz zusammen war, musste man doch automatisch ohne Einschränkungen glücklich sein, oder? In einer echten Beziehung… “Sind wir”, antwortete ich knapp und lächelte schwach, statt mir auf die Lippen zu beißen, was ich liebend gerne getan hätte, wenn ich dadurch hätte verhindern können, so eine Frage in seiner Gegenwart zu beantworten. “Wirklich? Du kommst mir ziemlich nervös vor…” Ich blinzelte in seine Richtung und sah, wie sich eine seiner Augenbrauen hob. Ich sagte nichts und er rückte plötzlich etwas näher. Mein Herz pumpte das Blut noch schneller in meine Venen. Meine Hände lagen noch immer auf den Lehnen und Tayk platzierte seine plötzlich direkt darauf. Lag sein plötzliches Interesse an mir denn wegen des Kleides oder wirklich an mir? Oder meine gesamte Erscheinung? Okay, letzteres wohl eher nicht, da ich in gerade in diesem Moment ziemlich dämlich dreinblicken musste, als ich meinen Kopf mit weit aufgerissenen Augen zu ihm drehte. Es fehlte nur noch, dass ich anfing zu sabbern. Ihn schien das nicht zu stören. Er lächelte und sah mir tief in die Augen. Er selbst hatte blaue. “Das ist wirklich schade, weißt du… Aber so etwas sollte ich nicht sagen. Tut mir leid.” Verlegen wandte er den Blick ab. Ich wollte Nein, ist schon in Ordnung sagen, verkniff es mir aber erst einmal. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, einen Ohnmachtsanfall zu verhindern und musste mir wieder in Erinnerung rufen, wie man richtig atmete. Er hatte Interesse an mir… An mir! Und weit und breit keine Claire. Nur ich… und Edward, der übrigens gerade wieder aufgetaucht war und im Eingang stand, während er uns betrachtete. Leider war ich nicht in der Lage, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Schnell zog ich meine Hand zurück und wurde rot. Als wäre ich gerade bei etwas Verbotenem ertappt worden. Ich wunderte mich selbst über meine Reaktion. Es gab doch gar keinen Grund dafür. Tayk lehnte sich zurück und Edward kam langsam auf uns zu, um sich in seinen Sessel zu setzen, ein kleines Lächeln auf den Lippen. Irgendwie sah es erzwungen aus und war nur dafür da, mir kein schlechtes Gewissen einzureden. Meine anfängliche Verwirrung verflog jedoch und ich erwiderte es. “Wo bist du denn so schnell hingelaufen?” wollte ich wissen. Der beabsichtigte Themenwechsel war deutlich. Einer von Edwards Mundwinkeln zuckte nach oben. “Ich hab meinen Bruder in den Zuschauerreihen gesehen und wollte ihn gleich mal begrüßen. Ich wusste nicht, dass er hier ist. Eigentlich müsste er in Chicago an der Uni sein. Für dieses Spiel wollte er aber unbedingt herkommen.” “Dein Bruder?” stellte Tayk verblüfft fest. “Warum hast du ihn nicht hierher mitgebracht?” Edward lachte kurz. “Weil er nicht zwischen einem Haufen Giants-Fans sitzen will. Er fiebert mit den White Sox mit.” “Seit wann ist er denn auf ihre Seite gelaufen?” “Seit er in Chicago wohnt, denke ich…” Edward seufzte. Tayk schüttelte gedankenverloren den Kopf. “Das waren noch Zeiten, als Emmett an unserer High School gespielt hat. So schnell macht ihm keiner Konkurrenz. Noch nicht einmal ich kann mit ihm mithalten.” “Das würde ich nicht sagen. Du schätzt dich selbst völlig falsch ein und das weißt du. Das hab ich dir schon mal gesagt.” Tayk grinste halb. “Ich weiß…” Die Stimme des Kommentators ertönte aus den Lautsprechern und verkündete das Ende der Pause. Wir setzten uns alle wieder ordentlich hin und blickten gebannt aufs Spielfeld. Diesmal nahm Edward meine Hand in seine. Schmunzelnd erwiderte ich seinen Druck. Konnte es sein, dass jetzt er derjenige war, der ein wenig Eifersucht durchblicken ließ? Ich war mir sicher, dass er mein Amüsement bemerkt hatte, ließ es sich aber nicht anmerken. Das Spiel setzte wieder ein und es dauerte nur ein paar Sekunden, ehe wir abermals vollkommen von der Stimmung eingefangen wurden. Ich musste aber feststellen, dass Edward ein wenig von seiner Begeisterung verloren hatte - als könnte er sich nicht mehr richtig konzentrieren. Irgendwann während des Spiels spürte ich plötzlich etwas über meinen freien Arm streichen. Ganz sanft und so vorsichtig, als würde es meine Haut fast gar nicht berühren. Sofort erstarrte ich, wobei mein Herz das genaue Gegenteil tat und aus den Augenwinkeln blickte ich zu Tayk. Er starrte immer noch aufs Feld, als wäre nichts, doch es waren seine Finger, die zaghaft über meinen Unterarm fuhren. Ich fühlte ein kleines Kribbeln an der Stelle. Edward hatte meine Starre ebenfalls bemerkt und blickte nun zu seinem Baseballkapitän. Dann richtete er seine Augen wieder nach vorne, legte allerdings auf einmal seinen Arm um meine Schulter, um mich dichter zu sich zu ziehen - wobei mein Arm unter Tayks Berührung weggezogen wurde - und mir etwas ins Ohr zu flüstern. “Siehst du die Tabelle auf der Tafel?” fragte er ganz leise und ruhig und deutete mit dem Finger darauf, als hätte sein Verhalten nur diesen Grund gehabt. Ich nickte. “Sie ist fast voll. Ein Baseballspiel besteht meistens aus neun Innings, wobei jedes einzelne aus zwei Halbinnings besteht, in dem beide Teams zum Schlag kommen. Aber das hast du bestimmt schon mitbekommen.” Wieder nickte ich. “So wie die Zahlen aussehen, sind die Giants leicht im Rückstand und das hier ist das letzte Inning. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie sie noch gewinnen können…” Ich hielt die Luft an, als ich auf die Antwort wartete, doch Edward sagte nichts weiter. Stattdessen grinste er. “Welche?” flüsterte ich etwas zu energisch. “Warte einfach ab. Ich hab nämlich immer noch Hoffnung, dass sie es schaffen. Und wenn es klappt, dann hast du heute wirklich eins der besten Spiele gesehen.” Er würde nichts weiter sagen, darüber war ich mir klar. Also konzentrierte ich mich voll und ganz auf das Spiel. Der Pitcher der White Sox warf den Ball auf den Catcher. Out. Er warf ihn ein zweites Mal. Der Batter schwang den Schläger, verfehlte aber den Baseball. Out. Dann der dritte Versuch. Es war totenstill. Noch nicht einmal der Kommentator sagte etwas, während der Pitcher den Ball ein paar Mal in die Luft warf und wieder auffing, ihn dann eine Ewigkeit lang an die Brust hielt, ein Knie hob, einen Ausfallschritt machte und dann ausholte. Der Batter der Giants schwang den Schläger ein paar Mal hinter seiner Schulter und festigte noch einmal seine Haltung. Als sein Gegner endlich den Ball warf, kam es mir zum ersten Mal vor, als würde er in Zeitlupe fliegen. Vielleicht wurde der Effekt auch nur durch mein steigendes Adrenalin erzeugt. Und dann… mit einem ohrenbetäubenden Knall traf der Batter den kleinen, weißen Baseball und schleuderte ihn regelrecht über die Tribüne und noch weiter. Sehr viel weiter… Ein paar ewige Sekunden lang war es still, ehe die Tribüne in Jubelschreie ausbrach und sogar der Moderator seine Freude nicht unterdrücken konnte, als er immer wieder ”HOMERUN!!!” und ”DIE SAN FRANCISCO GIANTS HABEN GEWONNEN!!!” ins Mikro schrie. Wir sprangen synchron von unseren Sesseln auf und schrieen ebenfalls wie verrückt vor Freude über den Heimsieg. Ich fiel Edward um den Hals und konnte meine Begeisterung kein bisschen verbergen. Er drückte mich ebenfalls ganz fest und lachte leise in mein Ohr. Ich war einfach nur glücklich in diesem Moment. Unvergesslich. Als wir uns endlich voneinander lösten, strahlten wir beide übers ganze Gesicht und das Leuchten des kleinen, fünfjährigen Jungen war wieder in seinen smaragdgrünen Augen zu erkennen. Ich nahm mir meine Cola vom Tisch und wollte gerade einen Schluck nehmen, weil mein Hals so trocken war, als ich sah, wie Edwards Blick an mir vorbeiwanderte. Neugierig drehte ich mich nach hinten - leider mit viel zu viel Schwung. Tayk stand so dicht hinter mir, dass ich mit meinem Arm gegen seine Brust knallte und die gesamte Cola über seine Kleidung goss. Über seinen weißen Anzug! Vor Schreck ließ ich auch noch das Glas fallen und schlug mir die Hand vor den Mund, während mein Atem stockte, als ich zusah, wie Tayk sich ganz langsam von unten bis oben betrachtete. Mein Herz sackte in die Hose. Ich hatte es vermasselt. Alles. Ich hatte den gesamten - und wunderbarsten - Abend in nur einem Bruchteil einer Sekunde zunichte gemacht… Nur die Ruhe bewahren, Bella. Mein Beruhigungsversuch scheiterte kläglich. Unbeholfen stolperte ich zurück und fühlte, dass mein Kleid ebenfalls etwas abbekommen hatte, auch wenn das jetzt unwichtig war. “Ich… ich… Es… Das wollte ich… nicht”, stammelte ich, dann drehte ich mich um und rannte davon, ein “Ich muss kurz auf die Toilette.” im Vorbeigehen murmelnd, als Edward versuchte, mich aufzuhalten. Als ich - immer wieder kurz davor zu stolpern - das untere Ende der Treppe erreichte und in die Halle trat, hielt ich kurz inne, um den Weg zu den Damentoiletten zu finden. Ein Schild zeigte mir die Richtung und hastig lief ich darauf zu. Sie befanden sich, etwas abgelegen von der Halle, in einem abgeschiedenen Flur. Glücklicherweise war niemand hier. Ich ging in eine der Kabinen, schloss die Tür hinter mir und setzte mich seufzend auf den Toilettendeckel, während ich mein Gesicht in den Händen vergrub. Das konnte doch eben nicht wirklich passiert sein. Ich konnte Tayk unmöglich die Cola wirklich übergeschüttet haben. Über seinen Anzug, der nebenbei betrachtet, wirklich teuer aussah. Tayks Familie war reich, soviel war klar und da war es nur logisch, dass sie ausschließlich Kleidung von Top-Designern tragen würden. Oh Gott, wie konnte ich nur? War es denn nicht möglich, diesen Tag zurückzudrehen, damit ich mich selbst vorwarnen konnte? Oder erst gar nicht mit Edward mitkommen würde? Leider gab es so etwas wie Zeitreisen nicht und ich musste mich meinem Unglück stellen. Tayk würde mich jetzt mit Garantie hassen und noch weniger beachten als vorher schon. Vielleicht musste ich ihm sogar den Anzug ersetzen. Wie teuer war so was überhaupt? Zehntausend Dollar? Zwanzigtausend? Ich würde meinen Dad auch noch in den Ruin treiben. Oder ich würde bis an mein Lebensende irgendwo arbeiten müssen, um meine Schulden abzahlen zu können. Vielleicht besaßen die Rooneys ja irgendwelche Geschäfte, wo ich anfangen könnte - als ewige Sklavin. Dann wäre ich immerhin in Tayks Nähe. Ich lachte leise bei dem Gedanken, doch mein plötzliches Schluchzen ließ es erstickt klingen. Bitte nicht noch weinen! Die Tränen würden mich noch elender aussehen lassen. So wollte ich nicht wieder zurück zu Edward. Ich wollte ihm nicht auch noch Sorgen bereiten. Hastig wischte ich über meine Wangen, bis sie ganz trocken waren. Ich stand auf und trat aus der Kabine. Als ich mich im Spiegel über den Waschbecken betrachtete, hätte ich beinahe wieder angefangen zu schluchzen. Ich sah miserabel aus. Gerötete Augen, verwischtes Mascara… Schnell riss ich etwas Papier aus dem Spender, machte es nass und wischte abermals über meine Wangen. Extra kräftig, um sicher zu gehen, dass nichts schwarzes mehr da war. Leider hatte es einen ganz anderen Effekt. Meine Haut rötete sich noch mehr bei dem starken Reiben und das verwischte Mascara war immer noch da. Wütend warf ich das Papier in den Mülleimer und betrachtete das Häufchen Elend im Spiegel, das mir einen verzweifelten Ausdruck zuwarf. Ich ließ meine Schultern hängen und stakste schweren Schrittes aus der Toilette auf den menschenleeren Flur. Im Moment konnte ich eh nichts ändern. Warum also nicht seinem Schicksal entgegentreten? Als ich mich zum Gehen wandte, öffnete sich hinter mir eine andere Tür. Das musste die Herrentoilette sein. Ich drehte mich kurz um, um zu sehen, wer es war. Als würde ich hier jeden kennen… Dann wandte ich mich wieder um. “Hey, Kleines. Dich hab ich doch schon mal gesehen”, sagte der Mann plötzlich hinter mir. “Wohl kaum”, murmelte ich, als ich mich abermals zu ihm umdrehte. Und da bemerkte ich, dass er recht hatte. Denn ich erkannte ihn auch. Es war der Gleiche, der mich vor ein paar Stunden am Eingang so eindringlich gemustert hatte! Ich hielt die Luft an, als er mich auf einmal genauso widerlich angrinste, wie zuvor draußen. “Wo ist denn dein Freund? Hat er dich etwa alleine gelassen?” fragte er schleimig. Ich fing an zu zittern. “Er… er kommt gleich”, erwiderte ich etwas kleinlaut und hoffte innerlich, dass es wirklich so war. Der Kerl kam ein paar Schritte auf mich zu und grinste noch breiter. “So kommt mir das aber nicht vor. Eher als hättet ihr euch gestritten… Also ich würde so ein hübsches Ding wie dich nicht einfach so gehen lassen.” Er lachte leise und hinterhältig, während er noch etwas dichter kam. Ich wusste, dass ich hätte weglaufen sollen, doch ich war zu erstarrt in meiner Angst. Ich konnte ihn nur mit geweiteten Augen ansehen, während mein Herz so laut klopfte, dass ich das Gefühl bekam, es würde jeden Moment aus meiner Brust springen. Er streckte seine riesige Pranke nach mir aus, doch bevor er mich erreicht hatte, hielt er inne und sah mit zusammengezogenen Augenbrauen an mir vorbei. Im nächsten Augenblick sah ich, wie Edward seine Hand weg schlug und sich schützend vor mich stellte. “Finger weg!” Der aggressive Ton, den ich in seiner Stimme hörte, war beängstigend, doch ich fühlte mich trotzdem vollkommen sicher bei ihm. “An deiner Stelle würde ich hier ganz schnell verschwinden, wenn ich du wäre”, fuhr Edward ihn zornig an. Der Andere lachte nur und reckte sein Kinn, als er auf meinen Beschützer hinuntersah. Er war wirklich doppelt soviel wie Edward. “Ach, und das sagt mir so ein Hänfling wie du, ja?” fragte er belustigt, wobei ich sah, wie er bereits seine Hände zu Fäusten ballte und die Knöchel weiß hervortraten. “Edward, bitte lass uns gehen…” flüsterte ich, als ich meine zittrige Hand auf seinen Oberarm legte. Er drehte sich zu mir um und nahm mein Gesicht in seine Hände. Einen kurzen Moment weiteten sich seine Augen, als er mein verweintes Gesicht sah, dann lächelte er. “Keine Sorge, Bella. Ich mach das schon.” Dann ging er einen Schritt rückwärts und drehte sich wieder zu dem Kerl. Doch noch bevor er überhaupt reagieren konnte, hatte dieser ihm mit voller Wucht die Faust ans Kinn geschlagen. Der Schlag hatte soviel Schwung, dass Edward zu mir zurückschleuderte und mich mit auf den Boden riss. Trotzdem schaffte er es, seine Hand auf meinen Hinterkopf zu legen. Vermutlich, um zu verhindern, dass ich mit dem Kopf aufschlug. “Edward?” flüsterte ich mit brüchiger Stimme. Ich hörte ein Stöhnen neben meinem Ohr, als er sich langsam auf seine Hände stützte und mit geschlossenen Augen seinen Unterkiefer reckte. An seinem Mundwinkel war Blut. Ich hielt die Luft an. Tief durchatmen, Bella. Ich spähte kurz über seine Schulter und sah zu meinem Entsetzen, dass dieser Typ bereits wieder auf uns zukam und Edward packen wollte. Doch das würde ich nicht zulassen. Edward hatte genug gelitten. Ich nahm all meine Kraft zusammen und rollte zur Seite, sodass Edward jetzt auf dem Rücken lag, kniff meine Augen zusammen und machte mich bereits auf den Griff des Angreifers gefasst. Doch es kam nichts. Stattdessen hörte ich hinter mir einen Knall. Abrupt öffnete ich meine Augen wieder und sah nach hinten. Jemand hatte den Typen gegen die Wand und einen Unterarm gegen seine Kehle gepresst. Er röchelte. “Alles in Ordnung bei euch?” fragte der unbekannte, sehr kräftig gebaute Helfer mit den braunen Locken, ohne den finsteren Blick von seinem Opfer zu wenden. “Alles bestens, Emmett. Danke”, antwortete Edward und ich blickte wieder zu ihm. Seine Augen ruhten auf mir und funkelten mich sowohl erschrocken als auch vorwurfsvoll an, als er mein Gesicht abermals in seine Hände nahm. “Kannst du mir mal verraten, was du dir eben dabei gedacht hast, Bella?” fragte er fast schon wütend. “Ich… Was meinst du?” Ich war verwirrt wegen seinem aufkommenden Zorn. “Das, was du vor ein paar Sekunden vorgehabt hattest, kurz bevor Emmett den Kerl weggerissen hat. Weißt du eigentlich, was mit jemandem, der so zierlich ist wie du, passiert wäre, wenn er dich zwischen seine Finger bekommen hätte?” In jedem Wort lag Wut. “Ich… Ich wollte nur, dass dir nichts passiert…” stotterte ich und spürte bereits die Tränen in meinen Augen. Ich wollte doch gar nicht weinen. Nicht schon wieder. “Du schaffst es noch, dass ich einen Herzinfarkt erleide…” “Da wärst du womöglich nicht der Erste”, murmelte ich mehr zu mir selbst. Edwards Wut war plötzlich ganz verschwunden und nur noch Sorge füllte seine Gesichtszüge. Er setzte sich auf, wobei er mich automatisch mit hochzog, nur um mich in den Arm zu nehmen und mich fest zu drücken. “Bella…” seufzte er. Ich schlang meine Arme um seinen Oberkörper und gab mich für einen Moment völlig der Wärme und Sicherheit hin, die ich gerade verspürte. “Tut mir leid”, nuschelte ich in sein Hemd, woraufhin er sanft über meinen Rücken strich. “Mach so was nie wieder, okay?” Jetzt klang seine Stimme ruhiger, nicht mehr so zornig wie eben noch. Ich nickte. Der Mann namens Emmett führte den Angreifer an uns vorbei in die Halle, wobei er kurz innehielt. “Was ist mit euch? Kommt ihr klar?” Wir lösten uns voneinander und Edward nickte ihm zu. “Wir kommen gleich hinterher.” “Okay.” Er verschwand mit dem Kerl um die Ecke und ich konnte hören, wie er nach den Security-Leuten rief. Edward half mir auf die Beine und legte seinen Arm um meine Taille, während wir langsam in Richtung Halle stapften. Dankbar legte ich meinen Kopf an seine Schulter. “Was ist eigentlich mit Tayk?” Edward lachte leise und schüttelte ungläubig den Kopf. “Wir wären beinahe Hackfleisch geworden und du machst dir Gedanken um Tayk.” Ich erwiderte erst einmal nichts. Später hatte ich immer noch Gelegenheit, darauf zurückzukommen. In der Halle sahen wir bereits ein paar Wachmänner, die den Mann gepackt hatten und ihn wegbrachten. Emmett stand noch an der Stelle, wo die anderen eben noch gewesen waren, und blickte ihnen hinterher. Als er sich zur Seite drehte und uns sah, kam er auf uns zu und grinste. “Na, mal wieder in einer Prügelei verwickelt gewesen?” fragte er schelmisch und kickte Edwards freie Schulter, der wiederum eine Grimasse zug. Stop! Wie hieß er? Emmett? Hatte Edward nicht erzählt, dass sein Bruder mit ebendiesem Namen hier wäre? “Du bist sein Bruder”, stellte ich erstaunt fest. Er lachte. “In der Tat. Und du musst Bella sein, oder?” Ich nickte und brachte tatsächlich ein Lächeln zustande. “Wenn mein kleiner Bruder dich zum Weinen gebracht hat, dann kannst du mir das ruhig sagen. Dann bekommt er nämlich eine ordentliche Kopfnuss von mir”, sagte er, als er mein Gesicht sah und ballte seine Hand, um Edward kurz auf den Kopf zu tippen. Der verdrehte nur genervt die Augen. “Nein, hat er nicht”, besänftigte ich ihn und musste kurz schmunzeln. Emmett seufzte. “Tut mir echt leid, Edward. Ich würd ja gerne noch etwas bleiben, um zu quatschen, doch ich muss wieder los. Hab übermorgen wieder jede Menge Seminare vor mir.” Mein Scheinfreund winkte ab. “Schon in Ordnung. Mach dir keinen Kopf deswegen.” Sein Bruder lächelte. “Grüß Carlisle und Esme von mir, ja?” “Mach ich. Versprochen.” Emmett nickte. “Ich werde bald wieder kommen. Die Semesterferien fangen nämlich dieses Jahr schon früher an.” Sie stießen ihre Fäuste leicht gegeneinander, dann wandte sich Emmett auch schon zum Gehen, als er mir noch kurz winkte. “Mach’s gut, Bella. War nett, dich kennen zu lernen.” “Ebenfalls”, antwortete ich, dann drehte ich mich zu Edward. “Er ist ganz nett.” “Ja, aber sag ihm das nicht, sonst bekommt er noch Höhenflüge.” Er lachte kurz, verzog aber plötzlich sein Gesicht und fasste sich an sein Kinn. “Argh.” “Tut es sehr weh?” fragte ich vorsichtig. “Geht schon.” Seine Antwort passte nicht ganz zu der Miene, die er hatte. Ich nahm ihn bei der Hand und zog ihn zurück zu den Toiletten, wobei ich gekonnt seinen Protest ignorierte. Als ich ihn an eines der Waschbecken drückte, holte ich ein Taschentuch aus meiner Handtasche und hielt es unters Wasser. “Bella, das brauchst du nicht zu machen.” “Schht… Keine Wiederrede. Wir müssen das kühlen.” Noch während ich das sagte, presste ich das nasse Tuch gegen seinen Unterkiefer. Edward stöhnte schmerzhaft auf, kniff die Augen zusammen und verzog das Gesicht. “Siehst du”, entgegnete ich ihm triumphierend. Eines seiner Augenlider hob sich und er blinzelte mich an, wobei er sein schiefes Lächeln aufsetzte. Ich erwiderte es, wurde aber gleich darauf wieder ernst. “Danke.” “Gern geschehen”, entgegnete er. Ich lächelte wieder und machte das Tuch abermals nass. Wir schwiegen eine Weile. Eigentlich hatte der Abend ganz normal begonnen und verlief das gesamte Spiel über hervorragend, geradezu perfekt. Und jetzt? Auf einen Schlag war er zu einer Katastrophe mutiert und Edward hatte am eigenen Leib erfahren, dass es nicht gut war, sich mit mir abzugeben. Und Tayk konnte ich wahrscheinlich auch vergessen. “Bella?” Edwards samtene Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich sah ihn fragend an. “Bist du wirklich sicher, dass es dir gut geht?” Ich konnte ihm wirklich nichts vormachen. Er durchschaute mich hervorragend. Ich seufzte. “Na ja, weißt du, die Sache mit Tayk…” fing ich an, doch Edward unterbrach mich. “Er nimmt es dir nicht übel, obwohl er wirklich etwas schockiert war, als er seinen Dolce-und-Gabana-Anzug betrachtet hat. Ich fand es, ehrlich gesagt, ganz lustig.” Er grinste, doch danach war mir nicht zumute. “Du musst dir wirklich keine Gedanken darüber machen”, versuchte er mich zu beschwichtigen. Ich sah ihn skeptisch an. “Und was ist mit dir? Jetzt bist du auch durch mein Pech verletzt worden. Wenn du also weglaufen willst… Ich werde dich nicht aufhalten.” Ich sog die Luft tief ein, um mich innerlich schon darauf vorzubereiten, wieder alleine zu sein. “Du bist unglaublich, weißt du das? Und damit meine ich nicht deinen suizidgetränkten Mut, sondern dein zerstörerisches Talent, dich selbst schlecht zu machen und in Selbstmitleid zu versinken.” Mir klappte der Mund auf und meine Hand verharrte an seinem Unterkiefer. “Wow…” Edward hatte es tatsächlich geschafft, mich in einem Satz zu beschreiben. Auch wenn ich das vorher bereits gewusst hatte, war es doch etwas anderes, es aus dem Mund eines Außenstehenden zu hören. “Das ist nichts positives, Bella. Es wäre besser, wenn du dir mehr zutrauen würdest und nicht jedes Unglück als dein persönliches Pech betrachtest. Das wäre nämlich ganz schön egoistisch von dir. Warum versuchst du die Sache mit den gescheiterten Dates nicht mal positiv zu sehen?” Eine meiner Augenbrauen schnellte nach oben. “Was soll daran denn positiv sein?” “Zum Beispiel dass dein so genanntes Pech vielleicht eher eine Gabe ist, dich vor falschen Freunden zu schützen?” Jetzt musste ich kichern. “Das ist wirklich sehr weit hergeholt, Edward.” Die Hand mit meinem Tuch nahm seine Tätigkeit wieder auf. “Das gleiche könnte ich von deiner Theorie sagen”, grinste er. Ich lächelte und nahm das nasse Taschentuch von seinem Kinn, um ihm einen langen Kuss auf den verletzten Unterkiefer zu geben. Er sah mich überrascht an. “Danke”, sagte ich und wusste, dass ihm dieses eine Wort Antwort genug war. Wir schwiegen wieder eine Weile, während ich weiterhin sein Kinn kühlte. “Bella?” “Hm?” “Ich würde dich gerne etwas fragen und es wird dir vielleicht nicht gefallen.” “Schieß los”, antwortete ich, obwohl mich seine Worte ein wenig misstrauisch machten. “Bist du dir wirklich sicher mit Tayk?” Einen Augenblick starrte ich ihn nur an. “Ja. Wieso fragst du?” Er nickte, wirkte aber nachdenklich, wobei seine Augen sich in die meinen bohrten. “Ich will niemanden schlecht reden, aber mir ist heute aufgefallen, dass Tayk reuloser ist, als ich es erwartet hab. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob wir ihn davon überzeugt bekommen, eine ernsthafte Beziehung zu führen… Was ich damit sagen will, ist, dass ich nicht möchte, dass du eventuell verletzt wirst… Und dann vielleicht sogar noch durch meine Schuld.” Mein erster Eindruck war, Edward wollte einen Rückzieher machen, weil er nicht wusste, wie er mich mit Tayk verkuppeln sollte. Mein zweiter Eindruck war, dass er sich einfach zu viele Sorgen machte, was die Wut über den ersten Eindruck sehr gut linderte. “Edward, ich bin mir hundertprozentig sicher, dass wir das hinbekommen”, sagte ich ruhig und ließ mir meine Verständnislosigkeit über seine Worte nicht anmerken. Er bedachte mich noch mit einem prüfenden Blick. “Wie du meinst.” Dann wandte er seinen Kopf leicht ab. Irgendwann streckte er sein Kinn vorsichtig nach links und rechts und stellte sich aufrecht. “Ich denke, das reicht. Danke…” “Ich bin froh, dass ich zur Abwechslung auch mal helfen konnte.” Er grinste, dann nahm er meine Hand. “Wir sollten los, sonst werden wir noch eingeschlossen.” Als wir auf den Flur traten, hörten wir keinen einzigen Laut. Weder Musik aus dem Radio, noch Stimmen von den Zuschauern, die das Stadion verließen. Schon bevor wir die Halle erreicht hatten, ahnte ich, was los war. Hier war niemand. Noch nicht einmal Personal und als wir weitergingen und Edward letztendlich an der Eingangstür rüttelte, war ich mir sicher, dass wir wirklich eingeschlossen worden waren. Ich schmunzelte. “Tja, ich glaube, du hattest recht.” Er sah mich an und seine rollenden Augen amüsierten mich noch mehr. “Es muss doch noch einen anderen Ausgang geben”, sagte er grummelnd. “Wir könnten ja aufs Spielfeld laufen und versuchen, über die Tribüne dahinter ins Wasser zu springen”, witzelte ich. Plötzlich blitzte etwas in Edwards Augen auf und er grinste. Da er mich sofort mit sich zog, als er zurück zur Halle lief, konnte ich nichts erwähnen, sondern nur versuchen, nicht zu stolpern. Wir rannten einen anderen Gang als den von vor ein paar Stunden entlang. Ehe ich mich versah, stand ich auf einmal direkt vor dem Baseballfeld. Mittlerweile war es viel dunkler hier. Nur ein paar vereinzelte, schwache Scheinwerfer erhellten den Platz. Hier unten zu stehen war noch beeindruckender als oben in der Lounge. Viel gewaltiger. Als wäre ich selbst ein Spieler, konnte ich die imaginären Anfeuerungsschreie der Zuschauer hören. Edward zog mich langsam aufs Feld und erst jetzt realisierte ich, dass jemand eine seltsame Maschine hier hingestellt hatte, neben der ein Metallkorb mit Baseballschlägern stand. “Was ist das?” flüsterte ich und betrachtete das Gerät, das rechteckig und etwas mehr als hüfthoch war. Obenauf war eine Art Rohr angebracht. “Damit können Batter ihre Schläge üben, ohne einen Pitcher zu benötigen. Sie können den Gegner ziemlich gut ersetzen, obwohl sie nicht in der Lage sind, jeden Wurfball abzuschießen.” Er machte kurz eine Pause und betrachtete dieses… Ding. “Ich hatte gehofft, dass es hier steht. Als du das Spielfeld erwähnt hast, ist es mir wieder eingefallen.” Ich sah ihn verwirrt an. Er lächelte. “Manchmal werden sie nach einem Spiel aufgestellt, damit andere Teams am nächsten Tag hier üben können”, erklärte er, als er mit der Hand seine Schulter rieb. Auf einmal grinste er mich an. “Möchtest du es mal probieren?” Er wusste genau, dass ich eine Niete im Sport war. Trotzdem fragte er mich allen Ernstes, ob ich versuchen wollte, einen Baseball mit einer Mordsgeschwindigkeit zu treffen. Normalerweise hätte ich sofort Nein gesagt, doch etwas in seinen leuchtenden Augen brachte mich dazu, seine Frage noch einmal zu überdenken. “Ich werde es vormachen und dir auch dabei helfen”, meinte er, als er mein Zögern bemerkte. Ich holte tief Luft. “Na gut.” Ein breites Lächeln bildete sich auf seinen Lippen und ich bereute meine Entscheidung keine Sekunde. Edward nahm verschiedene Schläger in die Hand. Metallene als auch hölzerne und hielt sie kurz in die Höhe, um sie zu schwingen und die Form und Bearbeitung zu betrachten, wobei er mit seiner Hand sanft über die Oberfläche des Materials glitt. Er lebte für diesen Sport. Das sah man ihm an. Am Ende entschied er sich für einen Baseballschläger aus massivem Eichenholz. “Das Alte ist immer noch das Beste.” Er wandte sich dem Gerät zu und betrachtete das Bedienfeld. Nach ein paar Sekunden nickte er. “Okay. Also ich werde ein paar Schläge vorführen. Du solltest etwas Abstand nehmen. Nur zur Sicherheit.” “Alles klar.” Ich entfernte mich ein paar Meter von ihm und sah dabei zu, wie er etwas eingab. Dann lief er auf die Stelle zu, auf der heute bereits eine Menge Batter gestanden hatten, beugte sich leicht nach vorne, schwang den Schläger noch ein paar Mal hinter seiner Schulter und fixierte die Maschine. Es dauerte nicht lange, da kam auch schon der erste Ball aus dem Rohr geschossen wie eine Pistolenkugel. Edward holte aus und… traf. Der Aufprall des Balls auf dem hölzernen Schläger machte ein dumpfes Geräusch. Ein weiterer Ball kam und Edward traf ihn abermals, sogar noch weiter als zuvor. Ein dritter Ball… War das gerade ein Homerun? Ich schirmte meine Augen mit der Hand vor dem schwachen Scheinwerferlicht ab und blickte in die Richtung, in die der Baseball geflogen war. Meine Lippen formten ein stummes ’Wow’. “Bist du soweit?” hörte ich ihn plötzlich neben mir sagen und fuhr zusammen. Ich holte noch einmal tief Luft und nickte dann. “Okay. Ich werde die Geschwindkeit der Bälle etwas senken, damit es leichter für dich wird”, sagte er, als er mir den Schläger in die Hand drückte und zur Maschine ging. Ha, als wenn ich jemals überhaupt irgendeinen Ball in meinem Leben getroffen hatte. Ich ging zum Platz des Batters und versuchte, mich genauso hinzustellen, wie Edward es getan hatte. Leichter gesagt als getan. Ich spreizte meine Beine ein wenig, beugte mich leicht nach vorne und hielt den Schläger über meine Schulter. Er war verdammt schwer. Und dann sollte ich einen Ball aus zwanzig Metern Entfernung treffen? Ich gab die Hoffnung lieber gleich auf. Außerdem fühlte ich mich total unsicher auf meiner Position. Edward kam auf mich zu gerannt und zu meiner Überraschung stellte er sich direkt hinter mich. Mir fiel auch ein, warum ich mich so unwohl fühlte. Mit diesen Schuhen konnte man einfach nicht sicher stehen. “Warte kurz”, bat ich ihn, legte den Schläger beiseite und wollte in die Hocke gehen, um die Bänder aufzuknoten. Edward stützte mich, sodass ich nicht fallen konnte. Nachdem ich mich von den ‘Monstern’ befreit hatte, schmiss ich sie erleichtert und weit weg von mir. “Viel besser so”, grinste ich und Edward lachte leise, als ich nun barfuss dastand. Ich nahm meinen Schläger wieder und positionierte mich von neuem. Bereit, dem ersten Ball entgegenzutreten. Zu meiner Überraschung legte Edward hinter mir seine Arme um mich und ergriff ebenfalls den Schläger. Mein Puls erhöhte sich um ein paar Schläge pro Minute. Er schob meine Hände am Griff zusammen, sodass er eine seiner Hände am untersten Teil des Schlägers platzierte und die andere auf die obere, kleine, schmale Ecke, die noch vom Griff erkennbar war. Kurz ließ eine seiner Hände den Schläger los. Seine Fingerspitzen berührten meine Hüfte und fuhren vorsichtig über den dünnen Stoff meines Kleides bis zu meinem Becken, das er etwas nach hinten drückte, dichter an ihn. Ein paar Pulsschläge mehr pro Minute. “Die Beine noch ein Stückchen weiter auseinander, damit du einen besseren Halt hast”, flüsterte er in mein Ohr. Es war schon spät und etwas frisch, wodurch sein warmer Atem auf meiner Haut einen noch größeren Effekt hatte. Es jagte mir unweigerlich eine Gänsehaut über den Rücken und ich musste frösteln. Ganz ruhig, Bella. Er will dir nur Baseball beibringen. Alles, was sich gerade in deinem Kopf abspielt, ist bloß deine eigene Einbildung. Es ist spät, du bist erschöpft und kannst eh nicht mehr klar denken. Seine Hand gesellte sich wieder auf den Schläger und gemeinsam schwangen wir ihn ein paar Mal, bevor wir uns auf den ersten Ball vorbereiteten. “Bereit?” fragte er leise. “Hm-hm…” Ich spürte, wie seine Finger sich fester um das Holz wickelten und er seinen Blick auf das Gerät richtete, genauso wie ich. Und dann kam auch schon der erste Ball auf uns zu. Mit voller Wucht schlugen wir zu, doch verfehlten ihn. Ich stöhnte. Ich hatte es ja gewusst. “Das ist nicht schlimm. Den nächsten treffen wir”, versicherte er mir, doch er hatte unrecht. Die weiteren sechs oder sieben traf ich ebenfalls nicht, doch das machte mir gar nichts mehr aus. Wir hatten soviel Spaß dabei, dass wir unser Lachen bald schon unterdrücken mussten, um uns auf den Ball zu konzentrieren. Edward musste immer wieder die Maschine neu einstellen - sogar ein paar Bälle nachfüllen - und stellte sich danach immer wieder hinter mich. Wir dachten gar nicht daran, aufzuhören. Diese Ausgelassenheit tat gut. Für kurze Zeit vergaß ich meine derzeitigen Probleme, mein Pech mit Jungs und meine Abneigung für Sport. Irgendwann traf ich tatsächlich einige Bälle. Wir spielten solange, dass uns irgendwann schon schwindelig wurde von dem ganzen Schwingen des Baseballschlägers. Natürlich war das, was danach passierte, also unausweichlich gewesen. Bei dem Versuch, einen weiteren Ball zu treffen, gaben wir unserem Schlag zuviel Schwung, drehten uns auf unseren Füßen und fielen zu Boden. Edward über mir. Wir lachten über unsere eigene Ungeschickheit, doch schon bald verstummten wir, während Edward mich betrachtete und ich ihn. Sein Gesicht nahm einen vollkommen ruhigen Ausdruck an und einer seiner Finger strich mit dem Rücken sanft über meine Schläfe. Mein Herz klopfte unaufhörlich schnell unter meiner Brust und ich fragte mich, ob Edward es nicht vielleicht fühlen konnte. Zwischen uns war wieder dieselbe, merkwürdige Spannung wie damals in der kleinen Kammer, als sein Gesicht dem meinen auf einmal immer näher kam… ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich hoffe, man kann sich das einigermaßen gut vorstellen mit dem Spiel... Ich liebe Baseball i-wie...O.o... Kommis? ;)...Theorien? Kapitel 8: Alles gleich und doch anders --------------------------------------- Wieder ein neues...und das jetzt schon..xD Okay, und es ist wirklich wieder etwas länger geworden...lol...xD"" ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ “Hey, ihr da!” Eine tiefe, männliche Stimme war zu hören, als wir von einem grellen Licht geblendet wurden und mit zugekniffenen Augen in die besagte Richtung schauten. Ein etwas dicklicher Mann - ungefähr um die Vierzig - mit Uniform hielt seine Taschenlampe auf uns gerichtet, während er schnellen Schrittes auf uns zukam und einen etwas wütenden Blick auf uns warf. Edward richtete sich sofort auf und zog mich mit hoch. Es dauerte nicht lange, bis der Nachtwächter uns erreicht hatte. Ich bemerkte, dass seine Hand am Halfter lag, bereit, seine Waffe im Notfall zu benutzen. Hielt er uns allen Ernstes für Kriminelle? “Es ist verboten, sich um diese Uhrzeit hier aufzuhalten. Könnt ihr mir mal verraten, was ihr hier macht?” fragte er aufgebracht und funkelte uns an. “Wir wurden nur eingeschlossen, Sir”, erklärte Edward und ging einen Schritt auf den Mann zu. Der wich abrupt zurück und öffnete den Verschluss seines Halfters. Sofort blieb Edward stehen und hob abwehrend die Hände. “Schon gut.” “Und da kann man dann nicht anrufen, oder wie?” spöttelte der Wächter nun vorwurfsvoll. Mein Scheinfreund seufzte. “Tut uns wirklich leid.” Der Mann hob seine Augenbrauen, dann kramte er ein Stück Papier und einen Stift aus seiner Tasche. “Ich brauche eure Namen und eure Telefonnummern, damit ich eure Eltern anrufen kann.” Wie bitte? Unsere Eltern? Wenn Charlie davon erfahren würde. Das wäre eine Katastrophe. Außerdem müsste er sich eigentlich sowieso schon Sorgen machen. Zwar hatte ich keine Uhr, doch mein Gefühl sagte mir, dass es schon sehr, sehr spät sein musste. Was würde er wohl sagen, wenn ihn plötzlich jemand anriefe und erzählte, seine Tochter wäre in einem geschlossenen Stadion erwischt worden? “Muss das unbedingt sein? Könnten Sie nicht ein Auge zudrücken?” flehte ich. “Wohl kaum”, antwortete er kalt. Ich wollte etwas erwidern, doch Edward drehte sich zu mir um und lehnte sich mit ernster Miene zu mir herunter, um mir etwas zuzuflüstern. “Lass es, Bella. Ich glaube nicht, dass er sich überzeugen lässt. Er sieht aus wie jemand, der unbedingt seine Regeln befolgen muss”, sagte er verbissen. “Hast du etwas gesagt?” fragte der Wächter und beäugte uns misstrauisch. “Nein, nichts wichtiges.” Edward drehte sich wieder ihm zu. Der Mann sah ihn noch einen Moment an, dann fuhr er mit seinem Protokoll fort. “Also?” “Edward Cullen. Mein Vater heißt Carlisle Cullen. Unsere Nummer lautet 555-764-3752.” Der Wächter notierte die Informationen, dann sah er mich an. “Und deine?” Die eine Sekunde, die ich zögerte, bevor ich antwortete, nutzte Edward, um statt meiner etwas zu sagen. “Esme ist meine Schwester. Also haben Sie bereits alles Nötige.” Ich schaute ihn verdutzt an. Meinte er das ernst? Nicht nur, dass er mich Esme nannte. Wenn der Wächter bereits nah genug gewesen war, als er uns entdeckt hatte, konnte er ihm seine Antwort unmöglich abkaufen. Dazu war es zu… Ja, was eigentlich? Was war denn passiert? Nichts. Es war nichts passiert. Edward und ich waren nur hingefallen. Nicht mehr. Da war es doch nur logisch, dass man auf falsche Schlussfolgerungen kommen konnte. Und als hätte er auch noch geahnt, dass ich mir wegen Charlies Reaktion Sorgen machte, kam er mit dieser Idee. Dankend drückte ich seine Hand, während wir gemeinsam auf die Antwort des Wächters warteten. Es schienen Jahre zu vergehen, ehe er endlich redete. “Deine Schwester…” wiederholte er Edwards Worte tonlos, vielleicht eine Spur skeptisch. Als erwartete er, wir würden anfangen zu lachen und “Nur ein Scherz!” schreien. Edward nickte. Ich war verblüfft von der Sicherheit in seinem Schauspiel, während ich immer nervöser wurde. Der Mann betrachtete ihn immer noch misstrauisch, während seine Augen, die sich wortwörtlich in Edwards bohrten, hin und wieder zu mir huschten. Angestrengt versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen. “Na schön”, fuhr er dann argwöhnisch fort. “Folgt mir.” “Meine Schuhe”, sagte ich laut und rannte bereits zu der Stelle, wo sie liegen mussten. Als ich wieder bei ihnen war, gingen Edward und ich hinter ihm her, während er sich immer wieder kurz zu uns umdrehte, als rechnete er jeden Augenblick mit einem Angriff. Mir war unwohl zumute, nicht zuletzt, weil ich nicht wusste, was auf uns zukam. Vielleicht mussten wir sogar Strafe zahlen oder ähnliches. Obwohl wir ja eigentlich nichts gemacht hatten. Wer konnte schon etwas dafür, wenn man aus Versehen eingeschlossen wurde? Dennoch. Mein eigener Sinn für Gerechtigkeit würde hier womöglich nichts nützen. Ich ging dicht hinter Edward. Mehr als einmal konnte ich einen Blick auf sein Gesicht erhaschen, obwohl mir sein Mienenspiel ein Rätsel war. Natürlich war er angespannt. Das war ich auch. Doch sein Ausdruck hatte einen Hauch Bitterkeit, den ich nicht verstand, und seine Stirn lag ständig in Falten, als würde er angestrengt über etwas nachdenken, während seine Lippen eine krampfhafte, schmale Linie formten. Der innere Drang, ihn nach den Grund seines inneren Konfliktes - denn danach sah es definitiv aus - zu fragen, war stark, doch ich widerstand ihm. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, er würde mir keine Antwort geben. Gewollt oder ungewollt. Am Spielfeldrand zog ich schnell meine Schuhe an. Der Wächter führte uns wieder durch die Halle und dann zu einem kleinen Büro ziemlich abgelegen und versteckt. Es stand nur ein Schreibtisch gegenüber der Tür, eine Kommode direkt dahinter und an einer der Wände eine Art Aktenschrank. Die Wände waren behangen mit Fotos, die - wie ich vermutete - alte, berühmte Baseballspieler sein mussten. Außerdem war auf dem Schreibtisch ein kleiner Monitor, der in sehr langatmigen Intervallen verschiedene Bereiche des Gebäudes zeigte, während davor zwei unbequem aussehende Stühle standen. “Setzt euch hin”, wies er uns in einem befehlenden Ton an. Wir folgten seiner Aufforderung ohne ein Wort des Widerspruchs. Keiner wollte ihn noch mehr verärgern. Obwohl ich mich fragte, wieso er überhaupt so verärgert war. Er nahm den Hörer seines Telefons und wählte die Nummer, die er sich notiert hatte, während er uns finstere Blicke zuwarf. “Hören Sie, könnten wir das Ganze nicht einfach vergessen? Es war ein Versehen und es wird nie wieder vorkommen. Das versprechen wir”, bat ich, doch anhand seines Gesichtsausdrucks erkannte ich, dass mein Versuch zwecklos war. “Ein Versehen,” wiederholte er ungläubig. “Wer sagt denn, dass ihr euch nicht absichtlich versteckt habt, um euch dann hier auszutoben?” Mir klappte der Mund auf. War dieser Mann paranoid oder benötigte er einfach nur einen Grund, etwas während seiner Arbeit zutun, das ausnahmsweise mal nicht zum Standard gehörte? Ich konnte ihn mir schon bildlich vorstellen, wie er nach Ende der Arbeit zurück zu seiner Familie lief und ihnen als auch seinen Freunden erzählte, dass er ein paar Jugendliche erwischt hatte, wie sie erst in ein Gebäude eingebrochen waren und dann bei unanständigen Taten ertappt wurden. Selbst wenn es nicht so gewesen war - und ich mir ziemlich sicher war, dass er Edwards Lüge, wir seien Geschwister, nicht glaubte -, würde er die Geschichte nach seinen Vorstellungen ausschmücken. Er musste einfach schon zu lange in seinem Job arbeiten. Seine Augen fixierten uns, während er dem Klingeln am anderen Ende lauschte. Dann endlich nahm jemand ab. “Guten Abend, Mr. Cullen. Es tut mir leid, dass ich Sie zu so später Stunde stören muss. Mein Name ist Henry McCoven. Ich bin Nachtwächter im San Francisco Baseballstadion. Ich habe ihre Kinder erwischt, als sie sich unerlaubt nach Ende das Spiels noch immer im Gebäude aufgehalten haben.” Kurze Pause. Jetzt war ich richtig nervös. Sogar mehr als das. Edwards Vater wusste gar nichts von dem Plan seines Sohns. Wenn nun alles auffliegen sollte? Welche Konsequenzen hatte das? Außerdem musste Edward doch wissen, dass er keine Möglichkeit hatte, ihn vorher darauf vorzubereiten. Ich blinzelte kurz zu ihm herüber. Er hatte immer noch diese nachdenkliche Maske aufgesetzt und starrte gespannt auf den Hörer des Telefons. Der Wächter schien ebenfalls darauf zu warten, dass Mr. Cullen unsere angebliche, familiäre Verbindung widerlegen würde. Doch kein Anzeichen von Triumph als er weiter sprach. Seine Mundwinkel senkten sich stattdessen enttäuscht. “Ja, es wäre schön, wenn Sie die beiden abholen könnten… Genau… Ja, dann bis gleich.” Er legte auf, stützte seine Arme auf den Schreibtisch und verschränkte seine Hände ineinander, wobei er uns wieder angestrengt musterte. Edward hielt seinem Blick stand, während ich auf den Boden sah und unruhig am Rockteil meines Kleides zupfte. Die Flecken der Cola waren immer noch zu erkennen, doch mittlerweile waren sie trocken. Ob sie jemals wieder herausgehen würden? Oder sollte ich sie lieber drin lassen, als Erinnerung an diesen Abend, der mir mal wieder zeigte, dass ich das Unglück gepachtet hatte? Und Edward bekam jetzt auch noch Ärger wegen mir. Mein Pech schien sich nicht mehr nur auf Fast-Freunde zu beschränken, es breitete sich jetzt auch allgemein über Personen aus, die einfach nur in meiner Nähe waren. Vielleicht wirkte er deshalb auch so verkrampft. So verbissen. So angespannt… Weil jetzt auch er endlich bemerkte, dass ich eine Katastrophe war. Ein Mensch, den man lieber wegschließen sollte. Was verdammt noch mal war denn los mit mir? Warum war ich so anders? Warum so unnormal? Meine Augen wurden feucht und meine Wangen heiß, als leise Tränen über mein Gesicht liefen. Ich sah und spürte, wie sie mir auf die Hände tropften und schluckte, um das Schluchzen zu vermeiden. Hastig wischte ich mit den Fingern über meine Augen. Jedoch erfolglos. Edward spähte zu mir herüber und auch ohne, dass ich ihn direkt ansah, wusste ich, dass er es bemerkt hatte und sich womöglich gerade wünschte, der unangenehmen Situation zu entkommen. Ich sah in die entgegen gesetzte Richtung, um ihm meinen erbärmlichen Anblick zu ersparen. Wieso musste ich auch anfangen zu weinen? Ausgerechnet hier? Neben Edward und in Anwesenheit dieses Nachtwächters, der jetzt ebenfalls sah, was los war. Edward stand auf und kniete sich vor mich, während er mich besorgt ansah. Ich vermochte nicht, meinen Kopf zu drehen. Ihm mein jämmerliches Gesicht zu zeigen. “Hey…” flüsterte er so sanft, dass ich im ersten Moment zusammenzuckte, als ich die Weichheit in seiner Stimme wahrnahm. Keine Spur von Abneigung oder Verlegenheit über diese Peinlichkeit, obwohl sie das für mich war. Peinlich. Widerlich und Unverzeihlich. Wie konnte ich mich so gehen lassen? Ich fühlte Edwards warme Hand an meiner Wange, wie sie mein Gesicht zu ihm drehte und den leichten Widerstand meinerseits mit Leichtigkeit überbrückte. Ich biss meine Zähne zusammen, als ich seine geweiteten Augen sah, wie sie mich voller Sorge betrachteten. Dann wurden seine Gesichtszüge weich und er lächelte sanft, während seine grünen Augen vor Wärme leuchteten und er zaghaft mit seinem Daumen über meine Wange strich. “Es wird alles wieder gut,” flüsterte er. Mir sackte das Herz in die Hose. Wieso musste er immer so verständnisvoll sein? Was dachte er wohl, warum ich weinte? Wegen dem Wächter? Weil wir hier saßen? Sein Verhalten brachte mich nur noch mehr zum Weinen. Auch wenn ich hartnäckig versuchte, es nicht zu tun. Plötzlich richtete er sich auf und zog mich mit hoch, nur um mich fest in die Arme zu nehmen und mir beruhigend über den Rücken zu streichen. Im ersten Moment war ich wie erstarrt und konnte mich nicht regen, doch dann legte ich meine Arme um ihn. Noch ein einziges Mal. Ein letztes Mal. Ich hatte meinen Entschluss gefasst. Ich würde ihn nicht noch einmal in so eine unangenehme Situation bringen. Und wenn er sich nicht von selbst von mir distanzierte, dann würde ich den ersten Schritt machen. Wir mussten sowieso bald miteinander Schluss machen, um Claire freie Bahn zu lassen. Da ich Tayk eh vergessen konnte, spielte unsere Beziehung in dieser Hinsicht auch keine Rolle mehr. Sollte ich doch alleine bleiben. Was machte das schon, wenn es dafür anderen gut ging? Das Opfer konnte ich bringen. “Was ist mit ihr?” fragte er Nachtwächter und klang leicht nervös. Zum ersten Mal schien er in seiner Position verunsichert. Ich hatte keinen Mut, ihm zu antworten und vergrub das Gesicht noch tiefer in Edwards Hemd. Der wiederum festigte seine Umarmung und drehte sich ein wenig in Richtung Schreibtisch. “Sie nimmt sich das alles etwas zu sehr zu Herzen,” entgegnete er vorwurfsvoll. Galt der Unterton mir oder dem Mann? Ich atmete tief durch und es hörte sich zittrig an. “Ich…” fing der Mann an, doch wurde durch ein schrilles Klingeln unterbrochen. Er sah auf seinen Monitor. “Eure Eltern sind da”, stellte er fest, klang aber nicht mehr ganz so kaltherzig. “Ich werde sie holen, während ihr hier wartet.” Er stand auf und ging zur Tür, wo er sich noch einmal zu uns umdrehte. “Und ihr rührt nichts an.” Wir erwiderten nichts. Als er den Raum verließ und wir alleine waren, drückte Edward mich ein Stück von sich weg und sah mich fragend an. “Bella, was ist los?” Mein Gesicht nahm einen schmerzverzerrten Ausdruck an. Ich wandte meinen Blick ab und murmelte “Nichts.” “Das ist die schlechteste Lüge, die ich je gehört hab”, konterte er, jedoch ohne eine Spur Wut. Eher ein kleines, erzwungenes Schmunzeln, als versuchte er mich aufzumuntern. “Sieh mich an, Bella. Bitte.” Er war immer noch ruhig, doch ich konnte seiner Bitte nicht widerstehen, also drehte ich meinen Kopf wieder zu ihm. “Wenn ich nicht weiß, was mit dir los ist, kann ich dir nicht helfen. Es wäre also sehr nett von dir, wenn du mir ein paar Tipps geben könntest.” “Du sollst mir aber nicht helfen. Außerdem kannst du das sowieso nicht. Niemand kann das.” Edward runzelte die Stirn, wartete aber geduldig darauf, dass ich fortfuhr. “Ich bin… hoffnungslos. Und noch dazu eine Gefahr für andere. Ich-” Er legte plötzlich einen Finger auf meinen Mund und brachte mich so zum Schweigen. “Hör zu. Ich hab dir schon mal gesagt, dass du aufhören sollst, dir für alles die Schuld zu geben. Ich würde mich freuen, wenn du meinem Rat folgen würdest, okay? Das hier ist nicht passiert, weil du da bist. Das mit der Cola war auch nur ein Unfall und außerdem noch Tayks Schuld. Nicht deine. Wenn er sich nicht so dicht hinter dich gestellt hätte, wäre nie etwas geschehen.” Er legte eine seiner Hände an mein Gesicht und sah mich an. Als wartete er darauf, dass ich ihm zustimmte. Doch noch bevor ich etwas erwidern konnte, hatte er sich bereits zu mir heruntergebeugt und seine Lippen auf meine Wange gelegt. Für einen ewig langen Moment. Ich schloss meine Augen, legte meine Hand auf seine und fing an zu schluchzen, während ein paar weitere Tränen hinunterliefen. Ich spürte, dass er seinen Kopf wieder hob und mich ansah. Ich öffnete meine Augen, um in sein verwirrtes Gesicht zu blicken. “Wieso machst du das?” fragte ich mit brüchiger Stimme. “Was?” “Wieso bist du so nett zu mir? Wieso versuchst du mich aufzumuntern? Wieso… lässt du mich nicht einfach mit meinem Elend allein?” flüsterte ich und schluckte den Kloß in meiner Kehle herunter. Seine Augen wurden schmal und sein Mund formte sich zu einer schmalen Linie, als er über meine Worte nachdachte. “Ich…” Er zögerte. “Weil wir… Freunde sind. Und Freunde sind für einander da, oder nicht?” Jetzt lächelte er. Ich starrte ihn einen Augenblick erstaunt an, dann wischte ich mit dem Handrücken schnell über meine Wangen. “Freunde…” wiederholte ich ihn leise und konnte nicht verhindern, dass meine Mundwinkel sich leicht nach oben zogen. “Ja.” Edwards Lächeln wurde breiter, als er realisierte, dass das Schlimmste vorüber war. “Alles wieder in Ordnung?” “Ha. Ich hab zweimal an einem Abend geweint. Da ist nichts in Ordnung”, erwiderte ich ironisch. “Na ja, wenn ich die meiste Zeit davon mit diesen Schuhen rumlaufen müsste, hätte ich das auch”, witzelte er. Sein Versuch mich aufzumuntern funktionierte. Ich kicherte leise und er stimmte mit ein, dann seufzte er. “Ich bin das reinste Wrack, oder?” stellte ich leicht sarkastisch fest. Edward grinste nur, gab mir einen Kuss auf die Stirn und zog meinen Kopf an seine Brust, während er mir liebevoll über die Haare strich. “Warum hast du eigentlich gesagt, dass ich deine Schwester bin?” wollte ich wissen. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Doch ehe er antworten konnte, ging die Tür des Büros auf und der Wächter trat ein, dicht gefolgt von Mr. Cullen, der übrigens allein gekommen war. Ich drehte mich, um die beiden anzusehen, ließ Edward aber nicht los. Ich benötigte den Halt im Moment einfach. Der Nachtwärter sah seltsamerweise noch mehr durcheinander aus, als vorher, wo Edward ihm erzählt hatte, wir seien Geschwister. Und ich konnte die Verwirrung im Gesicht von Edwards Vater erkennen, als er uns ansah. “Esme hier geht’s gut. Keine Sorge”, beantwortete Edward eine unausgesprochene Frage und ich wusste sofort, dass sie dazu da war, Mr. Cullen meinen angeblichen Namen mitzuteilen. “Und das ist also euer Vater, ja?” vergewisserte sich McCoven, während er hinter seinen Schreibtisch ging und uns misstrauisch begutachtete. “Er hat uns adoptiert”, entgegnete Edward. Erst jetzt fiel mir ein, warum der Mann so skeptisch war. Man konnte erkennen, dass wir schon mindestens siebzehn wenn nicht noch älter sein mussten und Mr. Cullen sah nicht viel älter als Anfang dreißig aus. Keiner würde darauf kommen, dass er die Rolle des biologischen Vaters einnahm. Den Gesichtsaudruck unseres Gegenübers konnte ich nicht deuten. Ich wusste nicht, ob er uns glaubte oder nicht. Allerdings erwiderte er auch nichts, sondern bot Edwards Vater einen Stuhl an. Der setzte sich, während der Wärter uns seinen Kopf zudrehte. “Ich würde gerne mit Mr. Cullen alleine sprechen. Ihr könnt solange draußen warten.” Edward und ich sahen uns kurz an, dann nickten wir ihm zu und verließen das Büro. Wir setzten uns auf eine der Bänke, die in der großen Halle standen und schwiegen uns an, wobei ich meinen Kopf an Edwards Schulter lehnte. Er blickte immer wieder zu mir hinunter, während ich über die derzeitige Situation nachdachte. Ich hoffte inständig, aus dieser ganzen Sache heil herauszukommen, ohne dass Charlie etwas davon erfuhr. Auch wenn er sonst so verständnisvoll war, würde ihn das hier auf die Palme bringen. Als Gesetzeshüter hatte er schließlich seine Prinzipien. “Geht´s dir wieder ein bisschen besser?” fragte mich Edward plötzlich. Ich hob meinen Kopf und sah direkt in seine Augen. “Ja, ein wenig. Danke noch mal.” Er lächelte, legte einen Arm um meine Schultern und zog mich zu sich, um mir einen Kuss auf die Haare zu geben. Irgendetwas war auf einmal anders. Doch ich kam nicht darauf, was es war. Lag es daran, dass er mir gesagt hatte, wir seien Freunde? Richtige Freunde, die füreinander einstanden und sich gegenseitig Halt boten? Seine Berührungen hatten jetzt viel mehr Nähe, viel mehr Echtheit. Kein Anzeichen von Schauspielerei, obwohl das vorher schon schwer herauszufinden war. Ich schloss die Augen, um mich rundum in der momentanen Geborgenheit zu entspannen und die sanfte Berührung, als sein Daumen über meinen Oberarm fuhr, zu genießen. Nach einer Weile hörte ich von weitem Schritte. Mr. Cullen und der Nachtwächter mussten fertig mit ihrem Gespräch sein. Als ich meine Augen wieder öffnete, schaute ich in das amüsierte Gesicht von Edwards Vater, der Schwierigkeiten hatte, ein Grinsen zu unterdrücken, während sein Blick auf uns ruhte. Dicht hinter ihm ging der Nachtwächter. Er wirkte leicht missgelaunt. Worüber hatten die beiden gesprochen? “Wir können gehen”, sagte Edwards Vater ruhig, ohne eine Spur Groll gegen uns. Dabei musste er doch unseretwegen noch so spät nachts hierher fahren. Edward und ich standen auf und der Wärter begleitete uns zum Ausgang. Als wir uns verabschiedeten, richtete er seine Aufmerksamkeit noch einmal auf Mr. Cullen und murmelte ihm ein “Ich habe Sie darauf hingewiesen. Wenn sich also hinterher rausstellt, dass ich recht hatte, werden Sie sich an meine Worte erinnern.” Er warf uns noch einen bedeutungsvollen Blick zu. “Das werde ich bestimmt”, antwortete Mr. Cullen verhalten amüsiert und streckte dem Mann die Hand entgegen. “Vielen Dank für Ihre Mühen. Auf Widersehen, Mr. McCoven.” Der Angesprochene entgegnete den Händedruck und nickte, dann schloss er die Tür hinter sich. Der Wind wehte hier draußen sehr stark und peitschte mein Kleid gegen meine Beine, während ich spürte, wie die Gänsehaut sich über meinen gesamten Körper ausbreitete. Es war fast so wie in der Wüste, in der die Tage sehr heiß waren und die Nächte mehr als kalt. Und wir waren auch noch am Hafen. Ich hielt meine Arme fest und rieb sie hastig, um möglichst schnell Wärme zu erzeugen. “Du frierst”, stellte Edward trocken fest und legte seinen Arm um meine Schultern. Dankend kuschelte ich mich an ihn. Er war so unglaublich warm. Vielleicht lag das auch daran, dass sich meine nackte Haut in Sekundenschnelle auf eisige Temperaturen abgekühlt hatte. “Danke”, flüsterte ich mit zittriger Stimme. “Meine Jacke ist im Auto. Wir beeilen uns am besten”, antwortete er lächelnd und setzte sich bereits schnellen Schrittes in Bewegung, mich mit sich ziehend. Sein Vater hielt mit seinem Tempo mit. Als wir bei dem silbernen Volvo ankamen, stand neben diesem ein schwarzer Mercedes. Er musste Mr. Cullen gehören, soviel war sicher. Auf dem Parkplatz stand kein weiteres Auto. Ich setzte mich auf die Beifahrerseite, während Edward mir seine Jacke vom Rücksitz gab und den Motor startete, um die Heizung einzuschalten. “Ich komm gleich”, meinte er und ging zum Auto seines Vaters herüber. Dieser wartete bereits neben der Fahrertür auf ihn. Allerdings sah er jetzt nicht mehr so freundlich aus, wie vor ein paar Minuten. Sein Gesicht hatte ein paar ernste Züge angenommen, als er jetzt mit seinem Sohn sprach. Edward redete leise auf ihn ein und ich konnte mir vorstellen, dass er gerade erklärte, was wirklich passiert war. Die Wahrheit und nicht die Geschichte, die dieser Wächter ihm womöglich auftischen wollte. Langsam erhellte sich seine Miene aber und er lächelte plötzlich. Dann verwandelte es sich in ein Grinsen und er erzählte Edward irgend etwas. Wenn ich es bloß hören könnte. Tatsache war, dass es ziemlich lustig sein musste, denn Edward fing plötzlich an zu lachen. Ein kleines Lachen, doch es steckte an und ich musste bei dem Anblick lächeln. Jetzt schienen sie sich zu verabschieden und Carlisle stieg in sein Auto, während mein Scheinfreund zurückkam und sich auf den Fahrersitz setzte. Mittlerweile hatte die Heizung den Innenraum des Autos mollig erwärmt und ich kuschelte mich genießerisch in Edwards Jacke. “Was war so witzig?” fragte ich ihn, als er hinter seinem Vater losfuhr. Einer seiner Mundwinkel hob sich. “Der… Nachtwächter hat ihm erzählt, dass er vermutet, zwischen uns liefe etwas. Da mein Dad ihm gesagt hat, wir beide seien blutsverwandt, wäre so eine Situation in unserer Gesellschaft natürlich völlig inakzeptabel. Er war sich seiner Beobachtung ziemlich sicher, sogar als mein Vater versucht hat, es ihm auszureden.” Er kicherte und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Also hatte dieser Mann uns ständig so seltsam angesehen, nicht weil er uns nicht glaubte, sondern weil er etwas noch viel abwegigeres vermutete. Er war ganz sicher zu lange in seinem Beruf tätig. Das Licht der Laternen rauschte in der Dunkelheit an uns vorbei und das gleichmäßige Intervall als auch die leise Musik im Radio machten mich schläfrig. Ich konnte die Augen kaum noch aufhalten und mein Kopf sackte langsam Richtung Automitte, bis ich letztendlich Edwards Schulter spürte. Einen Augenblick später hatte er meine Hand in seine genommen und streichelte sachte mit dem Daumen über meinen Handrücken, während ich mich vollends meinem Schlaf hingab. “Bella?” hörte ich eine samtene Stimme meinen Namen flüstern. Ich seufzte im Schlaf. “Bella, wir sind da”, sagte dieselbe Stimme und kicherte, als ich benommen meinen Kopf schüttelte. “Doch, sind wir. Wir sollten uns langsam sputen. Es sieht nämlich so aus, als wäre dein Dad noch wach”, fuhr sie etwas ernster fort und Finger strichen vorsichtig ein paar Strähnen aus meinem Gesicht. “Ich will aber nicht”, hauchte ich schlaftrunken. Die Stimme schmunzelte. “Na schön.” Jetzt klang sie entschlossen. Ich fühlte, dass ich zurückgelehnt wurde und sich eine Tür direkt neben mir öffnete. Der kalte Nachtwind wehte mir ins Gesicht und über meinen Körper. Von der plötzlichen Frische wie mit kaltem Wasser geweckt, öffnete ich meine Augen und blinzelte in das belustigte Gesicht von Edward, der dabei war, mich abzuschnallen und aus dem Auto zu ziehen. “Was machst du da?” “Dich sicher nach Hause bringen. So müde wie du bist, schaffst du mit den Schuhen keinen einzigen, unfallfreien Schritt mehr.” Im nächsten Moment hatte er mich bereits auf die Arme genommen und trug mich Richtung Haustür. Ich wollte protestieren, doch als ich die Lichter im Haus sah, änderte ich meine Meinung. Charlie war wirklich noch wach. Hatte er etwa solange gewartet? Vielleicht sollte ich vorgeben, immer noch zu schlafen. Dann müsste ich mir seine Predigt erst morgen früh anhören. Noch ehe Edward das Haus erreicht hatte, wurde die Eingangstür aufgerissen. Das grelle Licht, das von drinnen kam, flutete den Vorgarten und mein Gesicht. Ich kniff die Augen zusammen. Erst der frische Wind und jetzt diese Helligkeit. Noch unsanfter konnte man doch gar nicht wach gemacht werden. Ich hatte eigentlich vor, mich zu beschweren, doch als ich das Gesicht meines Vaters sah, ließ ich diesen Gedanken lieber fallen. Seine Augen glühten vor Wut. Doch als er uns so sah, stand plötzlich Panik in seinem Gesicht. “Was ist mit ihr? Ist etwas passiert?” Edward schüttelte den Kopf. “Sie ist nur müde. Das ist alles.” Die Sorge verschwand und die Wut kehrte in Charlies Gesichtszüge wieder. “Wisst ihr eigentlich wie spät es ist?” fragte er zornig. Ehrlich gesagt wusste ich es wirklich nicht. Vielleicht ein Uhr? “Drei Uhr morgens. Drei!” Oh. Das war wirklich spät. Morgen war wieder Schule. Ich mochte gar nicht daran denken, dass ich in weniger als vier Stunden wieder aufstehen musste. “Tut mir leid, Dad. Wir haben total die Zeit vergessen. Wir…” Ich zögerte. Was sollte ich als Ausrede benutzen? Warum wir solange weg waren? Doch Edward kam mir zuvor. “Wir waren noch bei meinen Eltern zuhause. Sie wollten Bella unbedingt einmal kennen lernen. Dabei haben wir leider nicht auf die Zeit geachtet.” Charlie beäugte ihn mit einem prüfenden Blick. Wie ich ihn kannte, dachte er angestrengt über Edwards Worte nach und analysierte ihre Glaubhaftigkeit. “Sie können meinen Vater gerne anrufen, wenn Sie wollen.” Damit hatte er ihm den Wind aus den Segeln genommen, dennoch fragte ich mich, ob Mr. Cullen ein zweites Mal am gleichen Abend für seinen Sohn lügen würde, sollte mein Dad das Angebot annehmen. Das erste Mal wunderte mich bereits. Ich musste Edward unbedingt noch danach fragen. “Trotzdem hätte man wenigstens Bescheid sagen können. Ich hab mir Sorgen gemacht”, grummelte Charlie etwas kleinlaut. Sein Ärger schien sich gelegt zu haben. “Beim nächsten Mal, Dad. Versprochen”, erwiderte ich und bedeutete Edward, mich abzusetzen. Er stützte mich noch kurz, damit ich mich der Schuhe entledigen und schnell in ein bequemes Paar Hausschuhe schlüpfen konnte. “Bis nachher”, verabschiedete ich mich von Edward. Er lachte leise. “Ja, bis nachher.” Dann legte er seine Hand an meine Wange und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Ich lief sofort rot an. Denn obwohl ich wusste, dass es nur zur Show diente und auch wenn er es schon mehr als einmal gemacht hatte, so war es mir trotzdem peinlich, wenn mein Vater dabei zusah. Bevor er ging, sah er noch einmal zu Charlie. “Bis dann, Mr. Swan.” “Mach’s gut, Edward.” Ich musste gähnen und hielt mir die Hand vor den Mund, als ich an meinem Vater vorbeiging und “Gute Nacht.” murmelte. Er stutzte einen Moment, als er so einfach im Flur stehen gelassen wurde, dann lachte er leise und wünschte mir ebenfalls eine gute Nacht. “Ruh dich aus. Sonst schläfst du morgen noch in der Schule ein.” Ich drehte mich zu ihm um und lächelte. Wahrscheinlich würde ich das sowieso. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich wie gerädert. Zwar war ich sofort eingeschlafen, als ich im Bett gelegen hatte, doch der Wecker klingelte leider viel zu früh. Müde und schlapp machte ich mich fertig und aß mehr in Trance mein Frühstück. Charlie musste schon auf Arbeit sein. Glücklicherweise hatte ich nicht verschlafen und obwohl ich mir ziemlich viel Zeit gelassen hatte heute morgen, lag ich gut in der Zeit. Allerdings nicht gut genug. Edward wartete bereits draußen - Arme verschränkt und an seinen Volvo gelehnt. Er grinste frech, als er mich sah. “Hm, ich glaube, da hat jemand nicht genug Schlaf bekommen”, kommentierte er mein Erscheinungsbild, woraufhin ich das Gesicht zu einer Grimasse verzog. Obwohl er genauso wenig geschlafen haben konnte wie ich, sah er vollkommen erholt aus. “Sehr witzig, Edward.” Er kicherte, dann schloss er mich zur Begrüßung in die Arme. “Das muss dir nicht peinlich sein. Dein verschlafenes Gesicht ist fast so niedlich wie das, wenn du richtig schläfst”, flüsterte er mir ins Ohr. Meine Wangen röteten sich merklich. Wann hatte er mich denn beim Schlafen beobachtet? Gestern… Als mir im Auto die Augen zugefallen waren. Innerlich seufzte ich, auch wenn ich den Kommentar etwas merkwürdig fand. Wahrscheinlich wollte er mich nur aufziehen. Wir stiegen in den Volvo und Edward fuhr los. Es waren erst ein paar Minuten vergangen, als er die Stille durchbrach. “Ich muss nach der Schule mit dir über etwas sehr wichtiges reden, falls du nichts dagegen hast.” Er blickte konzentriert auf die Fahrbahn. Ich musterte ihn angestrengt. Anfänglich machte ich mir etwas Sorgen. “Ist es was schlimmes?” vergewisserte ich mich, doch in seinem Ausdruck spiegelte sich nichts weiter als Freude. Seine Augen leuchteten mit einer Intensität, die ich bis dato noch nie bei ihm gesehen hatte. War in de letzten Stunden etwas passiert, das ich nicht mitbekommen hatte? Er sah kurz zu mir herüber, nahm streichelnd meine Hand und setzte sein schiefes Lächeln auf, das mir für ein paar Sekunden den Atem raubte. “Nichts schlimmes. Keine Angst.” “Okay…” Wieder Stille, doch dann fiel mir etwas ein. “Weißt du, was ich mich frage? Warum dein Dad einfach so für dich lügt. Ich meine, ich kenne niemanden, der das machen würde.” Edward biss sich auf die Lippen. “Das ist schwer zu erklären. Sagen wir, ich war früher ein kleiner Rebell und hab eine Menge Unsinn angestellt, was natürlich dazu führte, dass er mehr als einmal seinen Kopf für mich hinhalten musste. Wenn ich die Liebe zum Baseballspielen nicht wieder gefunden hätte, wäre ich heute wahrscheinlich nicht der, der ich bin.” Ich musste unweigerlich an den Autounfall denken und fragte mich, ob es etwas damit zutun hatte. Außerdem erwähnte Emmett auch etwas in der Art. “Ich musste ihm versprechen, nie wieder etwas anzustellen oder zu lügen, es sei denn es ist ein Notfall. Und das gestern war ein Notfall.” Er grinste mich plötzlich an, woraufhin sich meine Wangen deutlich röteten. Als wir in der Schule ankamen, wartete Alice bereits auf uns. Sie sprang mir förmlich entgegen, als wir sie auf dem Flur trafen. “Und, wie war’s?” fragte sie neugierig und ihre Augen sprühten vor Begierde. Begierde nach Antworten. So wie ich sie mittlerweile einschätzte, musste ich ihr einen zehnseitigen Bericht in allen Einzelheiten schreiben. Wenn das denn reichte. Obwohl ich nicht wusste, ob ich ihr alles erzählen sollte. So gut kannte ich sie dann doch noch nicht. “Nachher im Unterricht”, antwortete ich. “Ist gut.” Edward begleitete uns noch zur Latein-Stunde und legte seine Lippen auf meine Stirn, als wir vor der Tür standen. “Bis nachher.” Dann machte er sich zu seinem Klassenraum auf. Alice bedachte mich mit einem gedankenverloren Blick, als wir uns auf unsere Plätze setzen. “Hm…” “Was ist?” fragte ich vorsichtig. “Irgendetwas ist anders”, gab sie nach einer Weile als Antwort, immer noch nachdenklich. “Was meinst du?” “Ich weiß nicht genau. Dein Freund hat sich verändert. Er wirkt viel… entschlossener.” Ich runzelte die Stirn. “Wie soll ich das denn verstehen?” Alice zuckte mit den Schultern. “Ich muss das noch eine Weile beobachten, dann kann ich vielleicht mehr sagen.” In diesem Moment kam der Lehrer herein und begann den Unterricht. Allerdings hielt das Alice nicht davon ab, das eigentliche Thema, den gestrigen Abend, per Briefverkehr aufzugreifen. Also schrieb ich ihr alles auf, was passiert war. Die Atmosphäre in diesem riesigen Stadion, das beeindruckende Spiel, Edwards ausführliche und verständliche Erklärungen, das Auftauchen seines Bruders Emmett und natürlich dass ich Tayk die Cola übergegossen hatte. Ich ließ aus, dass mich das mehr mitnahm als erwartet. Dann die Sache mit dem Kerl und wie Edward mich verteidigen wollte, und dass Emmett zur Hilfe kam. Dass wir am Ende eingeschlossen wurden und dass der Nachtwächter gedacht hatte, wir wären eingebrochen. Und natürlich das i-Tüpfelchen, dass Mr. Cullen uns abholen musste. Kurzum alle Einzelheiten. “Das stell ich mir ziemlich romantisch vor. Ihr beide alleine in einem großen Stadion und er bringt dir Baseball bei”, schwärmte sie vor sich hin. Ich lächelte ihr entgegen, da ich ihr nicht antworten konnte. Sie hätte es bemerkt, wenn ich sie anlügen würde. Nach dem Unterricht trennten wir uns und verabredeten uns in der Cafeteria. Alice war gerade ein paar Schritte weg von mir, da kam auch schon Claire auf mich zu. “Du scheinst dich ja gut mit der Neuen zu verstehen”, stellte sie frostig fest. Ihr Ton machte mir im erstem Augenblick etwas Angst. “Ja, sie ist ganz nett. Etwas aufgedreht, aber das macht eigentlich nichts.” Claire sah mich ungläubig an, dann wechselte sie plötzlich das Thema. “Und was hast du gestern gemacht? Ich hab versucht, dich zu erreichen, doch es ist niemand ans Telefon gegangen.” Oh. Ich hatte ganz vergessen, ihr davon zu erzählen. “Ich… war mit Edward aus”, gab ich kleinlaut zur Erklärung. Ihre Augen weiteten sich. “Tut mir leid. Hab ich irgendwie vergessen zu erwähnen”, entschuldigte ich mich. Ihr Mund verzog sich zu einem Grinsen. “Macht nichts. Obwohl ich dir gerne beim Einkleiden geholfen hätte. Ich kenn ja dein Talent, das Richtige nicht zu finden.” “Deshalb brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Alice hat wirklich ganze Arbeit geleistet”, versuchte ich sie zu beruhigen, doch leider hatte es einen ganz anderen Effekt. Sie hob eine Augenbraue und wirkte etwas beleidigt. “Ach so.” Ihre Stimme klang monoton, während sie stur nach vorne blickte. “Bist du jetzt böse?” fragte ich vorsichtig. Claire, meine beste Freundin, zu verärgern, war das letzte, dass ich wollte. “Nein, bin ich nicht. Wieso sollte ich?” Jetzt sah sie mich wieder an und lächelte. Erleichterung machte sich in mir breit. “Erzähl mir lieber, was gestern alles passiert ist.” Ich lächelte jetzt auch, obwohl ich innerlich seufzte. Zweimal an einem Tag die gleiche Story zu berichten, war anstrengend. Doch ich kam nicht drum herum. Also verbrachte ich die nächsten Stunden damit, Claire den gesamten Ablauf vom Baseballspiel zu erzählen. “Oh mein Gott. Ich wüsste nicht, was ich machen würde, wenn uns jemand erwischt hätte.” Sie klang ernsthaft schockiert, dabei hatte ich ihr noch nicht einmal von meinem seelischen Zusammenbruch erzählt. Einige Dinge musste ich nämlich auslassen. Die gleichen, die ich auch Alice nicht erzählen konnte. Die nur Edward und ich kannten. Als es endlich zur Mittagsstunde klingelte und Letzterer mich am Klassenraumeingang abfing, grinste sie mir noch einmal entgegen, dann verschwand sie in der Masse. “Na? Den Vormittag gut überstanden, oder doch eingeschlafen?” neckte er mich und nahm meine Hand. “Ich bin gar nicht dazu gekommen. Alice und Claire haben volle Arbeit geleistet, als ich ihnen von gestern erzählen musste.” Er lachte. “Das kann ich mir gut vorstellen.” Alice wartete bereits an unserem Stammtisch. Während Edward sich am Tresen anstellte, um etwas zu essen zu holen, ging ich zu ihr und setzte mich. Sie wirkte nicht mehr ganz so hibbelig wie heute morgen, eher genervt. “Was ist los?” “Nichts.” Mir war sofort klar, dass sie log. “Ich merk doch, dass was nicht stimmt, Alice.” Sie verdrehte die Augen und seufzte. “Sie mal hinter dich. Ein paar Tische weiter.” Ich drehte mich um. Zuerst wusste ich nicht, worauf sie hinaus wollte, doch dann entdeckte ich den Jungen von gestern. Jasper hieß er, soweit ich mich erinnern konnte. Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen, als ich mich wieder ihr zuwandte. “Was ist so witzig?” fragte Edward plötzlich und setzte sich neben mich. Ich hatte nicht gemerkt, dass er wieder da war. “Alice wird wieder angestarrt. Von diesem Jungen da.” Ich deutete in die Richtung, in der er saß. “Jasper?” Jetzt musste auch er grinsen. “Wartet kurz. Ich hab da eine Idee.” Alice sah ihn erschrocken an, als sie realisierte, dass er auf seinen Teamkollegen zuging. “Was hat er vor? Er kann doch nicht… Nein…” Ihr schockiertes Gesicht amüsierte mich ein wenig. Im nächsten Moment war Edward auch schon zurück, dicht gefolgt von Jasper. Beide setzten sich und Alice lief sofort rot an, als er an ihrer Seite Platz nahm. Edward nahm meine Hand, die auf dem Tisch lag und wir grinsten uns beide an, während wir die beiden beobachteten. “Hi”, begrüßte Edwards Kollege Alice. “Ich bin Jasper. Jasper Whitlock.” Er hielt ihr seine Hand entgegen, doch sie weigerte sich, sie anzunehmen und sah ihn nicht einmal an, als sie ihre Arme vor der Brust verschränkte. Er seufzte. “Sie ist nur schüchtern”, erklärte ich und fing sofort einen bösen Blick von ihr ein. “Jasper lächelte mir entgegen. “Hab ich mir schon gedacht.” “Ich bin nicht schüchtern. War ich nie und werde ich auch nie sein”, fauchte Alice. Jasper zuckte zusammen, genauso wie ich. Edward kicherte. Alice drehte sich plötzlich zu ihrem Sitznachbarn um und funkelte ihn an. “Ich weiß ja nicht, ob du das immer so machst, aber ich wäre dir sehr dankbar, wenn du aufhören würdest, mich so anzustarren. Das ist unangenehm und ganz gewiss nicht hilfreich, ein Mädchen zu erobern”, sagte sie aufgebracht, dann stand sie auf und stapfte aus der Cafeteria. Wir starrten ihr sprachlos hinterher. Dann drehte ich mich zu Jasper und lächelte entschuldigend. “Eigentlich ist sie nicht so.” Er fing plötzlich an zu grinsen und ich runzelte verwundert die Stirn. “Das mag ich ja so an ihr. Diese Kratzbürstigkeit und ihre Verrücktheit.” Edward lachte leise neben mir. Es klingelte zum Ende der Pause. Wir verabschiedeten uns von Jasper und Edward begleitete mich zu meiner Philosophie-Stunde. Am Raum angekommen, hauchte er mir noch einen Kuss auf die Wange, was meinen Puls sofort um ein paar Schläge beschleunigte und mir das Blut ins Gesicht schoss. Mir war das alles immer noch so fremd. “Bis gleich”, flüsterte er noch und wirkte sonderbar erheitert, aber auch etwas nervös. Der Unterricht war relativ langatmig und ich hatte das Gefühl, dieses Mal wirklich bald einzuschlafen. Wenn da nicht ein gewisser Tayk ein paar Reihen weiter vorne, schräg von mir, gesessen hätte. Ich fühlte mich unwohl. Ob er mich für das Missgeschick von gestern Abend immer noch verantwortlich machte? Vielleicht hatte er ja schon die Rechnung für den Anzug in seiner Tasche. Plötzlich drehte er sich zu mir um. Sofort sah ich auf meinen Tisch. Mein Herz pochte unregelmäßig. Ich wollte seinen wütenden Blick nicht ertragen. Doch eigentlich sah er gar nicht wütend aus. Ganz im Gegenteil. Er lächelte. Ich hob meinen Kopf wieder vorsichtig und blinzelte zu ihm herüber. Er schaute immer noch in meine Richtung. Ruhig und freundlich. Mein Herz fing an zu rasen. War das nur ein Spiel? Die Ruhe vor dem Sturm, bevor er sich auf mich stürzte? Oder war sein Lächeln ernst gemeint? Ich konzentrierte mich wieder auf den Unterricht und versuchte, ihn zu ignorieren. Ich wollte mir keine falschen Hoffnungen machen. Am Ende wäre die Enttäuschung nur noch größer. Als es klingelte, räumte ich schnell meine Sachen ein und wollte bereits aufstehen und gehen, als sich jemand vor meinen Tisch stellte. Ich kannte die Kleidung. Ich hatte versucht, den Besitzer die gesamte Stunde lang nicht anzusehen. Jetzt war also der Zeitpunkt gekommen, an dem ich meine Strafe erhalten sollte. Dabei hatte ich gehofft, ihr entkommen zu können. “Bella?” fragte mich Tayk vorsichtig und ich zuckte zusammen, als ich die Nervosität in seiner Stimme hörte. Wieso war er überhaupt nervös? Er hatte doch gar keinen Grund dazu. Langsam sah ich zu ihm auf. “Ja?” “Ich… wollte mich bei dir entschuldigen.” Hatte ich das gerade richtig verstanden? Er wollte sich entschuldigen? Für was? Er hatte doch nichts gemacht. “Ich versteh nicht. Sollte ich mich nicht bei dir entschuldigen?” antwortete ich zögerlich. Er hob verwirrt die Augenbrauen, dann lächelte er. “Ach, wegen dem Anzug. Ist schon in Ordnung. Der gehörte eh meinem Vater… Nein, was ich meine, ist, dass ich mich gestern ziemlich aufdringlich verhalten hab. Du hast schließlich einen Freund.” Ach so war das. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Und ehrlich gesagt hatte es mir auch nichts ausgemacht. Schließlich war das doch Edwards und mein Ziel gewesen. “Das… das hab ich gar nicht so mitbekommen”, stammelte ich etwas unbeholfen und versuchte ein Lächeln. Er hob erstaunt eine Augenbraue, dann erwiderte er es. “Ich würde es gerne wieder gut machen, wenn du nichts dagegen hast.” Jetzt war ich verwirrt. Warum gab er sich damit soviel Mühe? Konnte es sein, dass er sich doch für mich interessierte? Ernsthaft? Selbst wenn dieser Versuch nur einer Gutmachung diente? Mein Herzschlag beschleunigte sich bei diesem Gedanken. Ich konnte die plötzliche Aufregung nicht verhindern, genauso wenig wie die Hoffnung. Vielleicht hatte ich doch noch Chancen bei ihm und vielleicht schafften wir es tatsächlich, ihn zu überzeugen, etwas ernster mit menschlichen Gefühlen umzugehen. Ein Ansatz war ja bereits zu erkennen. “Na schön. An was hast du denn so gedacht?” fragte ich und gab mir alle Mühe, nicht zu freudig zu klingen. “Wie wäre es, wenn ich dich morgen zum Essen einlade?” Sollte das eine Art Date sein? “Nur zur Wiedergutmachung, versteht sich”, fügte er schnell hinzu, als er meinen Gesichtsausdruck sah. “Ich würde Edward nie hintergehen. Er ist schließlich ein Freund von mir.” “Ich hatte auch nichts anderes vermutet”, gab ich aufmunternd zurück, obwohl meine Freude bei seinen Worten etwas abflaute. “Also, dann morgen um sechs? Ich hole dich auch ab, wenn du möchtest.” “Sechs ist gut. Ich warte zuhause.” “Also dann bis morgen”, verabschiedete er sich und ging zur Tür hinaus. Ich folgte ihm. Im Flur sah ich bereits Edward auf mich warten. Da er Tayk noch einen Augenblick mit schmalen Augen hinterher sah, bemerkte er fast zu spät, wie ich ihm entgegen sprang. Er fing mich noch rechzeitig auf und drückte mich ganz fest, obwohl er im ersten Moment verwirrt reagierte. “Wie darf ich denn diesen plötzlichen Stimmungswechsel verstehen?” fragte er schmunzelnd, als er mich neugierig musterte. “Ich muss dir unbedingt etwas erzählen”, grinste ich breit. “Ich hoffe, es ist etwas gutes.” “Oh, besser noch.” Edward lachte. “Na schön.” Er nahm meine Hand und gemeinsam gingen wir hinaus auf den Schulhof, wo wir uns auf eine der Bänke setzten. “Also”, fing er an und sah mich gespannt an. Ich konnte nichts anderes als grinsen, doch zögerte kurz. “Du wolltest mir doch auch noch etwas sagen. Heute morgen hattest du es erwähnt.” Er schüttelte den Kopf. “Ladies first.” “Okay…” fing ich langsam an und unterdrückte die pure Euphorie, um klar reden zu können. “Du weißt doch, dass ich gestern noch gesagt hab, dass mein Leben das totale Chaos sei und dass ich gedacht habe, dass sich niemals jemand für mich interessieren würde, richtig?” Edward nickte. Ich fuhr fort. “Heute hat sich meine Meinung geändert. Vielleicht bin ich doch nicht so vom Pech verfolgt, wie ich es vermutet hatte. Mir ist klar geworden, dass ich das alles aus einer viel zu negativen Perspektive betrachtet hab, aber jetzt seh ich das Ganze klarer.” Er nickte abermals, während sein Lächeln breiter wurde und er etwas näher rückte. “Wie ich es gesagt hab. Ich bin froh, dass du meinen Rat nicht vergessen hast.” “Ja, und dafür muss ich dir danken.” Edward kicherte bei meinem Anblick. Ich musste wie ein kleines Kind wirken. “War das alles, was du mir sagen wolltest?” fragte er. Ich schüttelte meinen Kopf und legte meine Hände auf seine Wangen. “Tayk hat mich zum Essen eingeladen”, teilte ich ihm freudestrahlend mit, gab ihm einen langen Kuss auf die Wange und schlang meine Arme fest um seinen Nacken. Edward versteifte sich plötzlich unter der Umarmung. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich weiß, dass das jetzt echt gemein war, aber Theorien sind immer gerne gesehen...;) Kapitel 9: Pacific Heights -------------------------- Ooookay, hier is endlich das nächste...,) Wünsch euch viel Spass damit. Ein neuer Chara kommt, wenn auch anders, als ihr es jemals erwartet habt...xDD... Ich muss auch erwähnen, dass ich Jaspers Nachnamen in Whitlock geändert hab. Ich wollte nicht, dass er mit jemand anderem verwechselt wird...o.O Yiruma - River flows in you http://www.youtube.com/watch?v=rhN7SG-H-3k ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ “Alles okay?” fragte ich und löste mich wieder von ihm. Er lächelte, doch es erreichte nicht seine Augen. Er wirkte seltsam betrübt, als wäre jemand gestorben. “Edward, geht’s dir gut?” hakte ich misstrauisch nach. “Ja, mach dir keine Gedanken.” “Bist du dir sicher? Du siehst aus, als hättest du dir einen Virus eingefangen. Vielleicht hast du dich ja gestern verkühlt, als wir auf dem-” “Bella, es ist alles bestens”, unterbrach er mich energisch, fast schon genervt und verdrehte die Augen. Ich hatte eigentlich gedacht, er würde sich mit mir freuen, doch danach sah es ganz und gar nicht aus. Wir hatten das doch so geplant. Warum reagierte er denn jetzt so? Und dann, als hätte ich nicht schon viel früher darauf kommen müssen, fiel mir der Grund ein. “Du machst dir Sorgen, oder? Weil Tayk anders ist. Weil er bisher keine richtigen Beziehungen geführt hat. Und jetzt hast du Angst, es würde mich verletzen.” Vorsichtig legte ich meine Hand an seine Wange und sah ihm mitfühlend in die Augen, ehe ich lächelte. “Du brauchst dir darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Das wird schon klappen, wenn wir uns ein bisschen anstrengen.” Er lachte kurz auf und sah mich ungläubig an, dann wandte er seinen Blick zur Seite. Ich neigte meinen Kopf leicht in seine Richtung und musterte seine Gesichtszüge. Auf einmal war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob er noch an unserem Plan festhielt. “Edward, wenn du mir nicht hilfst, dann kann ich das mit Sicherheit vergessen. Ich brauche dich”, erklärte ich ihm und klang dabei schon fast flehend. Aus den Augenwinkeln sah er schweigend zu mir herüber. Dann endlich drehte er sich wieder ganz zu mir. “Bella, ich…” fing er an, brach aber gleich wieder ab. “Tayk ist nicht der Typ, der sich einfach so umkrempeln lässt.” “Ja, aber man kann sich ändern. Jeder hat doch eine zweite Chance verdient, oder nicht?” Er lächelte, oder versuchte es zumindest. Ich sah ihn noch einmal prüfend an, dann erhob ich mich und streckte mich kurz, als ich plötzlich gähnen musste. “Ich bring dich nach Hause, dann kannst du dich richtig ausruhen”, sagte Edward und stand ebenfalls auf. Überrascht drehte ich mich zu ihm. “Ich dachte, wir fahren heute wieder ins CrystalMeadow…” “Ich hab leider keine Zeit. Und du brauchst deinen Schlaf.” Er verwuschelte mir noch mit seiner Hand die Haare, dann ging er an mir vorbei; Hände in die Hosentaschen gesteckt. Ich blieb etwas verdattert stehen. Es stimmte, dass ich noch müde war, doch eigentlich waren unsere Gespräche viel wichtiger. Wir mussten klären, wie das mit unserer ‘Trennung’ vonstatten gehen sollte und was er in Bezug auf Claire noch so vorhatte, damit sie ihm mehr als nur freundschaftliche Aufmerksamkeit schenkte. “Kommst du?” Edward war stehen geblieben und sah mich jetzt wartend an. Eine leichte Brise wehte und ließ seine bronzenen Haare im Wind tanzen, während die Sonnenstrahlen es zum schimmern brachten. Es hatte einen wirklich schönen Effekt und brachte mich zum Staunen. So wie er dastand, hatte er sehr viel Ähnlichkeit mit einem Adonis. Es verschlug mir doch tatsächlich den Atem. Warum gab er sich noch mal mit mir ab? Ach ja, weil er mit Claire zusammen kommen wollte. Ein weiteres perfektes Wesen. Aber warum waren die beiden überhaupt mit mir befreundet? Ich wirkte doch wirklich unscheinbar zwischen ihnen. Und zu allem Überfluss wollte ich auch noch etwas von Tayk, der bestens zu den anderen passte. Doch aus einem unerfindlichen Grund war er mir gegenüber nicht so abgeneigt, wie erwartet. Und allein der Gedanke versetzte meinem Herzen ein paar Schläge mehr. Edward setzte bei meinem Anblick ein schiefes Lächeln auf und ich musste ebenfalls lächeln, als ich ihn einholte. Plötzlich raschelte etwas in dem hohen Gebüsch, an dem wir vorbeigingen. Ich hielt an und drehte mich erschocken in die besagte Richtung. “Was ist?” fragte mich Edward besorgt. “Ich glaub, ich hab was gehört”, antwortete ich leise und zeigte auf die Stelle. Er betrachtete mich einen Augenblick, dann ging er auf die Sträucher zu und schob die kleinen, dünnen Zweige beiseite, um nachzusehen. “Da ist nichts”, sagte er letztendlich schmunzelnd und kam wieder zurück. “Du bist wirklich übermüdet.” “Witzig...” Edward kicherte und ging bereits zum Parkplatz. Ich sah noch einen Moment misstrauisch zum Gestrüpp, dann lief ich hinter ihm her. Es war nicht so, dass ich Angst hatte, ich fand es nur seltsam. Vielleicht belauschte uns ja jemand. Ein komisches Gefühl bildete sich in meiner Magengegend. Eine Vorahnung möglicherweise? Alice schien ansteckend zu sein. Wir waren am Auto angekommen, als ich plötzlich ein seltsames Geräusch wahrnahm. “Warte mal, Edward”, sagte ich leise, als er schon einsteigen wollte. Fragend sah er mich an. “Hörst du das?” Langsam ging ich in die Richtung, aus der es kam. Es klang wie ein Schluchzen. Ein hohes Schluchzen um genau zu sein. Edward folgte mir herunter vom Parkplatz. Hinter der Mauer, die unsere Schule von der Grundschule trennte, saß ein kleines Mädchen auf einem Stein; nicht älter als sechs. Sie hatte den Kopf gesenkt, sodass ihr die blonden Locken ins Gesicht hingen. Sie weinte. “Alles in Ordnung mit dir?” fragte ich. Erschrocken sah sie auf. Sogar durch die Gläser ihrer kleinen, runden Brille erkannte man die geröteten Augen. Dennoch hatte sie etwas niedliches. Mit einem ängstlichen Gesicht betrachte sie erst mich, dann Edward. Letzterer ging auf einmal auf sie zu und hockte sich vor sie. “Hey”, redete er sanft auf sie ein und lächelte. “Warum weinst du? Hast du dich vielleicht verletzt?” Das Schluchzen erstarb und sie sah ihn kurz misstrauisch an; unschlüssig, ob sie ihm antworten sollte. Dann schüttelte sie den Kopf und fing erneut an zu weinen. “Ich… ich hab den Bus verpasst”, stotterte sie. “Und jetzt… komme ich nicht mehr nach Hause. Mein Handy ist aus… und ich kann meine Mom nicht anrufen…” Aus ihrer Tasche holte sie ein kleines, schwarzes Telefon. Wieso hatte jemand, der noch so klein war, ein Handy? Damit konnte sie doch unmöglich schon richtig umgehen. Edward nahm ihr das Telefon aus der Hand und sah es sich an. “Der Akku ist leer”, stellte er fest und seufzte. “Ich nehme nicht an, dass du die Nummer von Zuhause im Kopf hast, oder?” Sie fing noch stärker an zu weinen, als hätte er sie angeschrieen. “Schh… Nicht weinen”, versuchte er sie zu beruhigen und streichelte ihre Wange. Ein klein wenig beruhigte sie sich wirklich. Edward konnte wirklich gut mit Kindern umgehen. Meine Mundwinkel zuckten leicht nach oben bei dem Bild. Ich war mir auf einmal fast sicher, dass er später einmal ein wundervoller Vater sein würde. Und seine Kinder - wenn er denn welche bekommen würde, wovon ich ebenfalls überzeugt war - würden wohl behütet aufwachsen. Meine Wangen röteten sich leicht, als mir klar wurde, was ich mir da gerade vorstellte. “Kennst du denn deine Adresse?” fragte er vorsichtig und lächelte wieder. Das kleine Mädchen erwiderte es, wahrscheinlich froh darüber, dieses Mal eine bessere Antwort geben zu können, als sie nickte. “Sehr schön. Sollen wir dich dann mitnehmen?” Ihre Züge wurden wieder etwas ängstlich. “Ich soll nicht mit Fremden mitfahren.” Edward, im ersten Moment etwas verdutzt, grinste. “Da hast du vollkommen recht. Und das solltest du auch weiterhin so machen. Allerdings kannst du uns vertrauen. Siehst du die Tante da?” Er zeigte auf mich und sofort wurde ich wieder rot. Tante? Wie alt sah ich denn bitteschön aus? Dreißig? Vielleicht sogar Vierzig? Ich funkelte ihn böse an, woraufhin er grinste. “Ich muss sie jeden Tag mitnehmen, weil sie sich ständig verläuft und den Weg nach Hause vergisst.” Mir klappte der Mund auf. Ich war also orientierungslos und vergesslich? Vielleicht sogar seelisch labil, oder wie… Ich ballte meine Fäuste und biss meine Zähne zusammen. Bereit, ihm bei der nächsten Lüge eins überzuziehen. Doch dann realisierte ich langsam, worauf er hinaus wollte. Das Mädchen musterte mich neugierig, ehe sie schüchtern lächelte und sich wieder Edward zuwandte. “Wirklich?” vergewisserte sie sich. Edwards Mundwinkel hoben sich deutlich. “Ganz sicher. Glaub mir, sie ist ein hoffnungsloser Fall.” Ich zischte leise, während die Kleine kurz auflachte. Mein so genannter Freund wurde wieder etwas ernst, ohne dabei das Lächeln abzustellen. “Also, sollen wir dich mitnehmen?” fragte er noch einmal nach und wischte ihr sanft die Tränen von den Wangen. Sie zögerte noch kurz, dann nickte sie. “Ich bin übrigens Edward, und das da ist Bella.” Das Mädchen stand auf. “Mein Name ist Roxy.” “Na schön, Roxy. Also, wo genau wohnst du denn?” fragte ich schließlich, während sie ihre Schultasche nahm und wir zurück zum Volvo gingen. “In den Pacific Heights.” “Wirklich? Das ist ja ein Zufall. Eine Freundin von mir wohnt auch dort.” Sie sah mich mit großen Augen an, dann senkte sie verlegen den Blick. “Na ja, wir wohnen noch nicht lange dort. Wir sind erst vor ein paar Tagen hierher gezogen. Mom meint, sie braucht etwas Abwechslung, seid Daddy vor einem halben Jahr weggegangen ist. Zwar behauptet sie, er bräuchte nur eine kleine Pause und würde bald wiederkommen, doch manchmal erwische ich sie, wie sie abends weint, wenn sie denkt, ich schlafe schon.” Edward schnallte sie an, während sie scheinbar gar nicht mehr aufhören konnte, zu reden. Er hatte ihr Vertrauen ziemlich schnell gewonnen. “Das tut mir leid”, erwiderte ich. Bis zu einem gewissen Punkt konnte ich mit ihr mitfühlen. Ich wuchs schließlich auch mit nur einem Elternteil auf. Allerdings hatte ich noch Kontakt zu meiner Mutter, die sich gut mit Charlie verstand. “Vermisst du deinen Vater?” fragte Edward, während er losfuhr. “Eigentlich nicht sonderlich. Ich hab ihn ja kaum gesehen. Ständig war er auf irgendwelchen Reisen. Außerdem hat er meine Mom alleine gelassen”, erklärte sie böse, woraufhin Edward sich auf die Lippen biss. Mir fiel wieder ein, dass er ja keine Eltern mehr hatte. Für ihn musste es sich schmerzhaft anfühlen, wenn jemand seine Eltern, oder einen Teil davon nicht vermisste. Ich nahm seine Hand, die auf dem Steuerknüppel lag und drückte sie vorsichtig. Kurz sah er überrascht zu mir herüber, ehe er verbissen lächelte, was ich mitfühlend erwiderte. Die Fahrt dauerte nicht allzu lange. Schon nach einer viertel Stunde waren wir in den Pacific Heights angekommen. Die Gegend gehörte zu den wohlhabenderen Orten San Franciscos. Viele Geschäftsleute wohnten hier, aber auch jede Menge reiche Leute. Es sah recht idyllisch aus. Das Viertel befand sich auf einem der sieben Berge der Stadt, was dazu beitrug, dass die meisten Straßen recht steil ihren Verlauf fanden. Allerdings konnte man wirklich gut auf die Golden Gate Bridge sehen, sowie auf Alcatraz Island und die Marin Headlands. Die meisten Häuser hatten einen viktorianischen Baustil und es gab jede Menge Villen. Das Ganze wurde durch reichlich angelegte Blumenbeete perfektioniert und gab dem Gebiet einen romantischen, gemütlichen Touch. “Also, wo genau musst du jetzt hin?” erkundigte sich Edward und verlangsamte sein Tempo. Roxy wurde auf einmal wieder leicht schüchtern und senkte den Kopf, während sie nervös mit ihren Fingern spielte. “Die Adresse hab ich mir leider noch nicht gemerkt. Tut mir leid.” “Das ist nicht so schlimm”, beruhigte ich sie und überlegte kurz, wie wir ihren Wohnort herausfinden konnten. “Wir könnten ja zu Claire fahren. Wenn wir Glück haben, weiß sie schon, wer neu in der Gegend ist.” Edward runzelte die Stirn. “Wie kommst du denn darauf? Pacific Heights ist nicht gerade klein.” “Ihre Mutter ist Journalistin, schon vergessen? Wenn jemand sich mit den Nachbarn auskennt, dann sie.” Eine seiner Augenbrauen schnellte nach oben. “Vertrau mir”, grinste ich. Claires Familie gehörte eine dieser riesigen Villen, die eine große Einfahrt aus Mauerwerk besaßen und deren Weg bis zum Haus eine Ewigkeit zu dauern schien. Vor dem Tor mussten wir anhalten und uns durch die Freisprechanlage anmelden. Roxy sprang plötzlich von ihrem Sitz auf - sofern das mit dem Gurt möglich war. “Hey, das ist es!” rief sie freudig. “Hier wohne ich jetzt!” Edward und ich starrten erst sie und dann gegenseitig uns an, ehe ich meinen Kopf wieder zu ihr drehte. “Wie heißt du denn mit Nachnamen?” “Hale." Ich kannte weder diesen Namen, noch dass Claire Besuch erwartete. Jedenfalls hatte sie mir nichts davon erzählt. “Kennst du denn die Familie, die hier wohnt?” hakte ich nach. “Meinst du Tante Claire damit?” Tante? Claire war doch Einzelkind. “Ähm, ich denke schon”, antwortete ich etwas verwirrt, während das Tor aufging und wir die lange Auffahrt entlangfuhren. Direkt vom Haupteingang machte die Straße einen riesigen Bogen, sodass man ohne großes Wenden wieder zurückfahren konnte. In der Mitte befand sich ein imposanter Springbrunnen, dessen klares Wasser in mehreren Etagen seinen Weg hinunterlief, und dessen Spritzer im Licht der Sonne wie Diamanten aussahen. Zu meiner Überraschung stand direkt vor der Haustür ein großer Laster. Mehrere Männer luden diverse Möbel und andere Sachen aus und brachten es ins Haus. Eine junge Frau mit langen, blonden Haaren stand auf der Treppe und beäugte das Geschehen mit Adleraugen. Als hätte sie Angst, etwas würde kaputt gehen. Sie sah sehr elegant aus und ihre Bewegungen, auch wenn sie gerade kaum etwas machte, hatten etwas vornehmes. Allein schon ihr Erscheinungsbild wirkte wie ein professionelles Fotoshooting. Sie passte perfekt in diese Gegend der Reichen und Schönen, da ihr Aussehen etwas modelähnlich herüberkam. Perfektion in Reinform. Ob sie sich schon mal unters Messer gelegt hatte? “Mom!” rief Roxy fröhlich vom Rücksitz und rüttelte bereits kräftig an ihrem Gurt. Das war ihre Mutter? Unmöglich, so jung, wie sie aussah. Edward grinste, als er Roxys Aufregung im Rückspiegel sah. Er parkte etwas abseits vom Laster und stieg aus. “Edward!” rief plötzlich jemand und im nächsten Moment sah ich Claire aus dem Haus rennen. Ihr Gesicht strahlte und sie warf sich regelrecht in seine Arme. Er selbst wirkte etwas überwältigt von der stürmischen Begrüßung und löste sich rasch von ihr. Für eine Sekunde stutzte ich. Dafür, dass Edward und ich immer noch zusammen waren, schmiss sie sich schon ziemlich schnell an ihn heran. Na ja, wenn ich ehrlich war, hatte sie schon immer eine etwas hektische Art an sich. “Hallo, Claire”, begrüßte ich sie, während ich ebenfalls ausstieg und Roxy von dem fesselnden Gurt befreite. “Oh… Bella… Hi”, erwiderte sie etwas überrascht, als sie mich bemerkte, dann drehte sie sich wieder Edward zu. “Was macht ihr denn hier? Ich dachte, wir hätten erst morgen Klavierunterricht.” “Wir haben einen kleinen Gast vorbeigebracht.” “Hallo, Tante Claire”, begrüßte Roxy sie höflich, bevor sie freudestrahlend auf die blonde Frau auf der Treppe zurannte. “Hallo…” grinste Claire sie an, doch das Mädchen war bereits an ihr vorbeigelaufen. “Woher kennt ihr denn Roxy?” “Tun wir gar nicht. Sie hatte den Bus verpasst und keine Möglichkeit, anzurufen. Da haben wir sie mitgenommen”, erklärte ich. “Sie ist einfach so mit euch gegangen?” stellte sie mit gerunzelter Stirn fest. “Edward hat seinen Charme spielen lassen. Da kann halt niemand widerstehen, weißt du?” Claire lachte und nickte. “Ja, das stimmt. Das hab ich schon gemerkt.” Ihr Kommentar verwirrte mich ein wenig. War da bereits mehr, als ich vermutete? Wenn, dann musste ich bald mit Edward darüber reden. “Sag mal, wieso nennt sie dich Tante?” änderte ich schnell die Richtung des Gesprächs. “Du hast doch gar keine Geschwister.” “Stimmt, aber eine Cousine.” Mit einem Kopfnicken deutete sie auf die junge Frau, die Roxy gerade in die Arme nahm. “Das ist Rosalie. Rosalie Hale. Sie kommt aus Miami. Ihr Freund hat sie verlassen und weil sie es bei sich Zuhause nicht mehr aushält, hat sie gefragt, ob sie für ein paar Monate bei uns wohnen kann.” “Ja, ihre Tochter hat uns davon erzählt”, meinte Edward und betrachtete die kleine Familie. Claire sah ihn verwundert an. “Sie scheint ja wirklich ziemlich schnell Vertrauen zu euch geschlossen zu haben. Normalerweise ist sie sehr schüchtern.” Ich kicherte. “Wie gesagt. Edwards Charme.” “Ja, sieht wohl so aus… Wollt ihr nicht reinkommen?” “Klar, gerne.” Gemeinsam machten wir uns auf den Weg ins Haus. Als wir bei der Cousine vorbeigingen, hielten wie inne und Claire stellte uns einander vor. Jedenfalls wollte sie es. Roxy kam ihr zuvor. “Das sind die beiden, Mom. Bella und Edward.” “Das hab mich mir schon gedacht. Trotzdem möchte ich nicht, dass du wieder mit Fremden mitfährst, okay?” antwortete sie ernst, woraufhin ihre Tochter sofort den Blick senkte und ein “Entschuldigung” murmelte. “Tut mir leid. Ich hab sie überredet. Sie wollte eigentlich gar nicht mitkommen”, erklärte Edward höflich und fing sofort einen warnenden Blick von der Mutter ein. “Das hat damit nichts zutun. Wer weiß, was passiert wäre, wenn jemand anderes sie aufgegabelt hätte. Wenn ich sage, dass sie mit niemandem mitgehen soll, heißt das, dass sie auch nicht auf das Geschwätz von selbsternannten Mutter-Theresa-Nachahmern zu hören hat”, erwiderte sie kalt und verschränkte die Arme vor der Brust. Autsch. Diese Frau schien ganz schön verbittert zu sein. Entweder war sie schon immer so, oder erst seit ihr Freund sich aus dem Staub gemacht haben musste. Immerhin hatte sie schon einen Freund gehabt… Ich schweifte schon wieder ab und verglich mich mit der nächst besten Person. Die anderen schienen auch etwas verdutzt von der plötzlichen Spannung, doch Edward ließ sich nicht lange beirren. “Erstens hätten Sie dafür sorgen können, dass Ihre Tochter ein aufgeladenes Handy mitnimmt und zweitens können Sie froh sein, dass wir sie mitgenommen haben und eben nicht jemand anderes. Selbst wenn sie sich weigern würde, mit jemandem mitzukommen, ist sie mit Sicherheit nicht stark genug, sich wenn nötig zu wehren”, konterte er. Die Augen von Claires Cousine weiteten sich, ehe sie sich beängstigend schnell verschmälerten und die Frau wütend aufschnaufte. “Komm mit ins Haus”, wies sie Roxy barsch an und machte auf dem Fuß kehrt. “Tut mir wirklich leid. Sie ist nur etwas angeknickst momentan. Wegen ihrem Exfreund. Das ist alles”, versuchte Claire sich für sie einzusetzen. “Hab ich mir schon gedacht.” Endlich gingen auch wir hinein. Wenn das Anwesen von außen schon beeindruckend aussah, dann war es das jetzt von innen erst recht. Obwohl ich schon tausendmal hier war, verblüffte es mich immer wieder. Vor uns in der pompösen Eingangshalle, deren elfenbeinfarbene Wände den ganzen Raum heller wirken ließen, befanden sich auf beiden Seiten geschwungene Treppen, die in die oberen Stockwerke führten. Der Boden des Foyers bestand aus weißen Fliesen, die wie Karos angeordnet waren. In fast jeder Ecke fand man kleine und große Pflanzen, wodurch man sich gleich viel wohler fühlte. Es gab auch eine Sitzecke und mehrere Vitrinen mit Pokalen und anderen Wettbewerbpreisen. Claire war in allem perfekt und ihre Eltern scheuten sich nicht, dass auch zu zeigen. Zu unserer Rechten ging es in ein geschmackvoll eingerichtetes Wohnzimmer, während sich auf der linken Seite das Esszimmer befand. Direkt vor uns kam man in eine Art Halle, die hauptsächlich für besondere Anlässe und Feiern genutzt wurde und deren Französische Türen direkt in den überwältigenden Garten führten - der mehr einem Park glich. Claire bedeutete uns, nach oben in den Musikraum zu gehen, während sie schnell ein paar Getränke holen gehen wollte. Als wir oben an der Treppe angekommen waren, hörten wir plötzlich ein “Achtung!” hinter uns und Edward zog mich ruckartig an sich, als nur ein paar Sekunden später ein klirrendes Geräusch neben uns zu hören war. Die Möbelpacker hatten einen ziemlich großen Glasschrank transportiert und irgendwie das Gleichgewicht verloren. Dort, wo ich noch ein paar Sekunden vorher gestanden hatte, lagen nun jede Menge Scherben. “Danke”, murmelte ich und starrte erschrocken auf den übersäten Fußboden. Die Arbeiter sahen mich besorgt an, genauso wie Edward. “Alles in Ordnung bei Ihnen?” fragte mich einer von ihnen, woraufhin ich etwas unbeholfen nickte. “Nur etwas atemlos…” Aus dem oberen Flur hörten wir schnelle Schritte und gleich darauf die wütende Stimme dieser Rosalie. “Wenn es das ist, was ich denke, dann werden Sie sich wünschen, nie geboren zu sein!” Als sie uns erreicht hatte und auf das Chaos blickte, wurde ihr Gesicht erst kreidebleich, dann immer rötlicher. “Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie teuer dieser Schrank war?” fuhr sie die Arbeiter zornig an. Die Verantwortlichen versuchten, sich zu entschuldigen, doch sie ließ sie gar nicht richtig zu Wort kommen, während sie eine Kanonade an Schimpfwörtern auf die Männer nieder prasseln ließ. Ich hätte nie gedacht, dass eine Frau wie sie zu solchen Begriffen überhaupt in der Lage war. “Ich glaube, wir verschwinden besser”, flüsterte Edward mir zu und zog mich weiter. Als wir das Musikzimmer erreicht hatten, hörten wir noch immer Rosalies Wutausbruch. Ich seufzte. “Ich hab noch nie jemanden gesehen, der so… oberflächlich ist. Obwohl… Sie würde sich bestimmt gut mit Lauren verstehen”, überlegte ich ernsthaft und stellte mir die beiden bereits im Kopf vor, wie sie sich über irgendwelche angesagten Modetrends unterhielten. Edward kicherte. “Ja, das denke ich auch.” Das Zimmer, in dem wir jetzt standen, glich ebenfalls einer kleinen Halle. Dunkle, bläulich schimmernde Fliesen, die auf Hochglanz poliert waren, blassorange Vorhänge an den bis zum Boden reichenden Fenstern, ein paar bequeme Sessel im modernen Style, dazwischen ein flacher Tisch. Überall waren Musikinstrumente verteilt. Ein Cello, eine Tuba, mehrere Geigen in einem extra dafür angefertigten Glasschrank und ein paar Klarinetten an der Wand. Ich bezweifelte, dass sie jemals wieder benutzt würden, als vielmehr der Dekoration dienten. Das Prunkstück war eindeutig der meterlange, schwarze Flügel in der Mitte des Raums. Die Sonnenstrahlen, die durch die vielen Fenster kamen, spiegelten sich in der glatten Oberfläche. “Ich weiß zwar nicht, warum wir ausgerechnet hierher kommen sollten, aber was soll’s.” Ich zuckte mit den Schultern und ging auf die Sessel zu, um mich mit einem lauten Seufzer niederzulassen. “Du siehst ganz schön erledigt aus”, bemerkte Edward und stellte sich vor mich, sein schiefes Lächeln auf den Lippen. “Bin ich auch…” erwiderte ich, schloss meine Augen für ein paar Sekunden und lehnte mich entspannt zurück. Als ich sie wieder öffnete, war Edward verschwunden. Nicht wirklich verschwunden. Er befand sich nur woanders. Nach der kurzen Orientierungslosigkeit entdeckte ich ihn schließlich am Flügel. Er saß auf dem länglichen Hocker und betrachtete gedankenverloren die Schutzklappe über den Tastaturen. Es erinnerte mich daran, wie er sich die verschiedenen Baseballschläger angesehen hatte, bevor er endlich den richtigen fand. Mir kam plötzlich eine Idee. Mit einem Ruck stand ich auf, ging auf ihn zu und setzte mich neben ihn auf die schwarze Bank. Er zuckte kurz zusammen, als er meine Anwesenheit bemerkte. Er musste wirklich in Gedanken gewesen sein. “Würdest du mir was vorspielen? Ich hab dich nämlich noch nie gehört. Außerdem hab ich Claire angelogen, als ich ihr erzählt hab, du würdest genial spielen. Nicht, dass du das nicht tust. Aber zu dem Zeitpunkt wusste ich das schließlich noch nicht.” Einer seiner Mundwinkel zuckte leicht nach oben, als er mich ansah. “So toll bin ich auch nicht.” “Ach ja? Claire hat aber ganz schön von dir geschwärmt”, erwiderte ich schmunzelnd. Edward wandte seinen Blick ab und klappte langsam den Schutz hoch. “Hat sie das, ja?” Irgendwie klang es etwas desinteressiert, was bei mir eine hochgezogene Augenbraue verursachte. “Möchtest du was bestimmtes hören?” fragte er, während er sachte über die Tastaturen strich. “Beethoven, Mozart… oder vielleicht Haydn?” “Keine Ahnung… Das, was du am liebsten spielst.” Er wandte seinen Kopf abrupt zu mir und grinste auf einmal leicht. Dann sah er wieder auf die Tastaturen und fing an zu spielen. Ich kannte die Melodie nicht, doch ich verliebte mich sofort darin. Sie war wundervoll. Schöner als alles, was ich je gesehen oder gehört hatte. Mit jedem Tastenton, mit jedem Notenklang wurde ich mehr und mehr in eine Art Traumwelt gezogen. Die Melodie war mal ruhig, dann wieder etwas schneller, doch immer noch in einem Tempo, das zum Fliegen verleitete. Sie hielt mich völlig gefangen und ich hatte auch wenig Lust, wieder zu entkommen. Es war romantisch. Es war leidenschaftlich. Es war verführerisch. Edwards Finger schienen wie von Zauberhand geführt über die Tasten zu schweben… “Bella?” hörte ich eine samtene Stimme. Ich befand mich immer noch in dieser wundersamen Welt. “Bella…” Die Stimme klang etwas energischer. Außerdem schmunzelte sie. Langsam öffnete ich meine Augen. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass ich sie geschlossen hatte. Zuerst war ich etwas orientierungslos. Dann sah ich Edward neben mir, der mich grinsend musterte. Er hatte schon längst aufgehört zu spielen. “Oh…” war das einzige, das ich sagen konnte. Er kicherte. “Hat es dir gefallen oder war es so langweilig, dass du sogar eingeschlafen bist?” “Überhaupt nicht. Es war wunderschön. So ein tolles Stück hab ich noch nie gehört… Was vielleicht auch daran liegt, dass ich allgemein nicht viel Klassik höre. Von wem ist es?” Edward zögerte. “…Von mir”, sagte er dann endlich. Ich runzelte die Stirn. “Du hast das komponiert?” Er nickte. “Wow… Das ist beeindruckend. Wie bist du auf so was gekommen?” fragte ich nach, was ihn veranlasste, mich prüfend zu betrachten. Als wollte er herausfinden, wie ich auf seine Antwort reagieren würde. “Durch dich”, sagte er so leise, dass ich es kaum verstanden hatte. “Wie meinst du das?” “Du… hast mich dazu inspiriert.” Mir verschlug es wirklich die Sprache. Meinte er das ernst? Nicht nur, dass er mit seinen siebzehn Jahren überhaupt etwas eigenes und gleich so geniales zustande gebracht hatte. Aber durch mich? Ich, die immer in sämtliche Fettnäpfchen trat… “Du siehst etwas schockiert aus. Tut mir leid, dass es anscheinend doch so schlecht war…” Mein Blick verfinsterte sich, während ich meine Faust ballte und ihm ein paar Mal leicht gegen die Stirn klopfte. “Ich glaube, da oben scheint irgendwas kaputtgegangen zu sein”, warf ich ihm vor. “Hast du dir eigentlich schon mal selbst zugehört?” Er kniff seine Augen zusammen und nahm meine Faust in seine Hand, während sein Gesicht viel zu schnell auf meins zukam. “Autsch…”, sagte er sehr langsam und ernst, immer noch meine geballte Hand haltend. Er war so dicht, dass ich seinen warmen Atem spüren konnte, während er mein Gesicht musterte. Mein Herz hämmerte unregelmäßig, als mir die plötzliche Intensität in seinen Augen bewusst wurde. Was hatte er vor? “Ahh…!” schrie ich plötzlich auf, als sich etwas kaltes über mir ergoss. Ich kniff meine Augen zusammen und wischte mir langsam mit den Händen über das Gesicht. Es war Wasser. “Oh, Bella. Das tut mir wirklich leid. Das wollte ich nicht”, hörte ich Claires flehende Stimme. “Roxy hat mich kurz abgelenkt. Da hab ich nicht darauf geachtet, wo ich hinlaufe.” Als ich blinzelte, sah sie mich mitleidig an. Hinter ihr stand Roxy und beäugte Claire mit einem verständnislosen Blick. Edward saß genauso verdattert da wie ich. Er hatte ebenfalls etwas abbekommen, wenn auch nicht soviel. Dann fing er plötzlich an, leise zu lachen. “Der Wet-Look steht dir.” ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Na? Irgendetwas interessantes dabei entdeckt?...*lach*... Kapitel 10: Des einen Freud ist des anderen Leid ------------------------------------------------ „Danke“, grummelte ich und schloss resigniert meine Augen. „Das war ernst gemeint.“ Ich blinzelte abermals und konnte nicht verhindern, dass einer meiner Mundwinkel nach oben zuckte. Ein schiefes Lächeln huschte über seine Lippen. „Ich gehe schnell ein Handtuch holen“, meinte er, stand auf und verließ das Zimmer. Roxy folgte ihm. Sie schien einen Narren an ihm gefressen zu haben. Claire derweil setzte sich neben mich und sah mich immer noch entschuldigend an. Als hätte sie eines der schlimmsten Verbrechen überhaupt begangen. „Das tut mir wirklich leid, Bella. Ganz ehrlich. Ich wollte euch nicht stören.“ „Ich nehm dir das nicht übel. So was kann passieren.“ Vorsichtig tastete ich die nassen Stellen meines Oberteils ab. Sie lächelte. „Das Stück war wirklich wunderschön“, wechselte sie das Thema und bekam einen leicht verträumten Blick. „Du hast es gehört?“ Ich wusste nicht, seit wann sie bereits im Zimmer gewesen war. Claire nickte. „Ich wollte ihn nicht unterbrechen… Und wie gesagt, er ist ein Naturtalent. Schade, dass er es verheimlicht. Er könnte soviel mehr erreichen in seinem Leben…“ „Baseball ist ihm aber wichtiger“, unterbrach ich sie und erinnerte sie an ihr Versprechen. „Ja, ich weiß.“ Sie seufzte. „Also, wie weit seit ihr denn schon?“ Wie ein kleines Kind sah sie mich mit leuchtenden Augen an. „Was meinst du?“ „Na in eurer Beziehung?“ Eine meiner Augenbrauen schnellte nach oben. „Komm schon, Bella. Du weißt, wie sehr mich das interessiert. Schließlich hattest du noch nie so lange einen Freund.“ Am liebsten würde ich mich jetzt in Luft auflösen. Einerseits hasste ich diese Fragerei, da ich Claire ungern anlügen wollte, und andererseits war mir das auch etwas peinlich, über solche Dinge zu reden, selbst wenn es ernst wäre. Zumal ich ja wirklich noch nie solange durchgehalten hatte. Kein Händchen halten, kein Kuss… Der Rest erschloss sich da von selbst. Wahrscheinlich war ich deshalb auch immer so aufgeregt, wenn Edward meine Hand nahm oder wenn er seine Lippen auf meine Stirn oder meine Wange drückte. Wie weit er wohl schon war… Wie gesagt war mein Pech daran Schuld gewesen, dass ich keinerlei Erfahrung in dieser Sache hatte. Plötzlich kam mir eine Idee. Ich könnte dieses Frage-Antwort-Spiel doch dazu nutzen, ein vielleicht baldiges Ende unserer Scheinbeziehung anzukündigen. „Ehrlich gesagt läuft es gerade nicht so gut. Ich hab das Gefühl, dass er sich von mir distanziert.“ Als Claire die Worte hörte, sah sie wirklich erschüttert aus. „Ist denn schon wieder was passiert?“ „Du meinst abgesehen davon, dass wir im Stadion eingeschlossen und für Einbrecher gehalten wurden?“ Die Frage war rein rhetorisch. „Oh, stimmt ja“, erwiderte sie überrascht, als hätte sie das schon vergessen gehabt. In dem Moment kam Edward wieder ins Zimmer und stellte sich direkt hinter mich, um mir ein weißes, ziemlich kuscheliges Handtuch über den Kopf zu legen und anzufangen, mir die Haare zu rubbeln. Claire hielt sich ihren Handrücken vor den Mund und kicherte leise. „Danke, Edward. Ich denke, meine Haare sind jetzt trocken“, sagte ich weniger fordernd als beabsichtigt und legte meine Hände auf seine - die sich gerade an meinen Schläfen befanden -, um ihn zu stoppen. Es war schwerer, als er wartet. Die kreisenden Bewegungen seiner Finger waren sehr angenehm. Ich musste unweigerlich leise brummen. Dann nahm er das Tuch jedoch trotzdem herunter und ging zu den Sesseln, um es dort abzulegen. Währenddessen stand ich auf und zupfte an meiner Kleidung, die unangenehm auf der Haut klebte. Ich hatte wenig Lust, den ganzen Tag in diesen Sachen herumzulaufen und überlegte bereits, wie ich sie am schnellsten wechseln konnte. Da wir schon mal hier waren, konnte Edward ja gleich etwas mehr Zeit mit Claire verbringen. Also würde ich ihn nicht bitten, wieder loszufahren. Ich müsste mir dementsprechend nur eine Möglichkeit suchen, alleine nach Hause zu kommen. Ich stand neben dem Flügel und hatte mich zu Claire gedreht, als sich von hinten auf einmal zwei Arme um meine Taille schlangen und ein Kinn auf meiner Schulter abgestützt wurde. „Edward…“ stellte ich überrascht fest. Mein Puls beschleunigte sich und meine Hände legten sich wie von selbst auf seine, vor meinem Bauch verschränkten Arme, obwohl ich wirklich überrumpelt war von dieser unerwarteten Aktion. Claires Gesicht hatte den gleichen Ausdruck wie meines. Kein Wunder, ich hatte ihr ja gerade gesagt, dass Edward etwas auf Abstand gegangen war. Sein Verhalten widerlegte das gründlich. Vielleicht sollte ich mich das nächste Mal mit ihm absprechen. Edward hatte seine Augen geschlossen und ich konnte hören, wie er laut die Luft einsog. „Hm… das Wasser hatte auch was positives“, murmelte er. „Du duftest noch… angenehmer.“ Ich runzelte die Stirn. „Was soll das denn heißen?“ Er lachte leise in mein Ohr. „Nicht das, was du denkst.“ Ich drehte meinen Kopf zur Seite, konnte ihn aber trotzdem nicht richtig ansehen. „Ich liebe dich“, flüsterte er plötzlich mit ernster Stimme. Ich hielt den Atem an und lockerte seine Umarmung etwas, um ihn mit geweiteten Augen direkt ansehen zu können. Es klang so ehrlich und aufrichtig, dass ich im ersten Moment geschockt war. Man hörte es ständig in Filmen, erkannte es auf Bildern und betrachtete es im Theater, doch jetzt hatte es eine viel intensivere Wirkung. Und es lag vor allem daran, dass mir das noch nie jemand gesagt hatte. Trotzdem wusste ich am Ende, dass es nur dem Schauspiel diente. Edward war perfekt in seiner Rolle. Abgesehen von seinem Timing. Und das war es doch, oder? Eine Vorführung. Ein leichtes Lächeln bildete sich auf seinem Mund. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Claires verdattertes Gesicht. Als würde er mein Erstaunen nicht bemerken, legte er sanft seine Lippen auf meine Stirn und verharrte eine halbe Ewigkeit so, was mich unausweichlich die Augen schließen ließ. Claire räusperte sich. „Soll… ich dir ein paar trockene Sachen geben, Bella?“ Abrupt drehte ich mich wieder ihr zu und schaute sie fragend an. Bis mir wieder einfiel, was sie überhaupt meinte. „Oh… mach dir keine Umstände deswegen. Ich wollte sowieso los. Zuhause kann ich mir was Neues anziehen. Edward kann ja hier bleiben, wenn er möchte. Dann könnt ihr noch ein bisschen mit dem Klavier üben.“ „Und wie willst du dann zurückkommen?“ fragte mich dieser. „Ich kann mir ein Taxi bestellen, oder ich laufe zur nächsten Haltestelle und warte auf die Straßenbahn.“ „Viel zu gefährlich für dich“, konterte Edward und grinste mich an. „Ich fahre dich.“ Ich verdrehte die Augen. „Du hast keine Möglichkeit, dich zu widersetzen. Ich werde dich einfach mitschleifen“, neckte er. „Ja, also… wenn ich ehrlich bin, hab ich auch noch was wichtiges zu erledigen“, meldete sich Claire zu Wort und klang plötzlich sehr in Eile, als sie schnell aufstand und uns mehr als deutlich signalisierte, das Zimmer zu verlassen. Edward - seine Hand an meiner Taille - schob mich hinaus, während meine Freundin hinter uns ungeduldig folgte. „Alles in Ordnung?“ fragte ich sie, als wir unten im Foyer standen. Sie wirkte leicht nervös, als wäre ihr die ganze Situation unangenehm. Vielleicht hatte sie sich ja bereits ein wenig in ihn verschossen. Natürlich würde sie mir das niemals sagen, schließlich war Edward ja immer noch mein Freund. „Ich ruf dich an, okay?“ kam es von ihr, wobei ihre Augen für eine Sekunde zu Edward huschten. „Und danke noch mal, dass ihr Roxy vorbeigebracht habt.“ Ich nickte. Gerade als wir hinausgehen wollten, hielt uns eine Kinderstimme auf. „Wollt ihr schon los?“ hörten wir Claires Nichte hinter uns. Ich drehte mich zu ihr um und lächelte. „Leider ja… Aber ich denke, das wir uns noch oft genug sehen werden.“ Noch ehe sie etwas erwidern konnte, hatte Rosalie, die mit verschränkten Armen plötzlich im Eingang des Wohnzimmers auftauchte, bereits das Wort ergriffen. „Deine Hausaufgaben sind noch nicht erledigt. Also geh bitte sofort in dein Zimmer, Roxy.“ Ihre Tochter sah sie hilflos an, dann machte sie sich auf den Weg die Treppen hoch und winkte uns noch einmal zu, bevor sie ganz verschwand. „Bis morgen in der Schule“, verabschiedete ich mich jetzt auch von Claire, während Edward seinen Arm um meine Schultern legte. „Ja, bis dann“, lächelte Claire verhalten. Die Heimfahrt verlief relativ schweigsam. Ich hatte einen Arm ans Fenster gestützt und meinen Kopf dagegen gelehnt. Wir hielten nur wenig Small Talk, wobei das meiste von Roxy handelte. Sie war wirklich ein nettes Mädchen und sehr aufgeweckt. Allerdings wurde ihre Energie etwas von der kalten Art ihrer Mutter gebremst. Sie tat uns wirklich ein wenig leid. Ob diese Frau wohl jemals auftauen würde? Den überwiegenden ruhigen Teil der Autofahrt hing ich meinen Gedanken hinterher. Immer wieder tauchte Edwards Satz in meinem Kopf auf. “…Ich liebe dich…“ Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich es sogar geglaubt, so überzeugend klang es. Doch wieso sollte Edward Cullen sich in mich verlieben? Das war so sicher, wie ein Treffen zwischen Sonne und Mond. Er war genauso wie Claire und Tayk. Vollkommen. Für das Beste gab es nur das Beste. Ohne Ausnahme. Und die beiden Letzterwähnten waren auch der Grund, warum es unmöglich war. Edward wollte etwas von Claire, genauso wie ich hinter Tayk her war. Meine Augen wanderten automatisch zu ihm herüber. Sein Profil sah sogar von der Seite fehlerlos aus. Nein, jemand wie er konnte sich nicht in mich verlieben. An mir gab es nichts, das so eine Person begehrenswert finden könnte. Gar nichts. Noch nicht einmal Geld. Ich war Mittelmaß und er Elite. Die Vorstellung, wir würden wirklich zusammen sein, war zwar abwegig, doch insgeheim hatte sie auch etwas schönes. Wenn er mit all seinen Freundinnen so umging, wie er es jetzt mit mir tat, dann konnte die Auserwählte sich wirklich glücklich schätzen, jemanden wie ihn zu haben. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, mit wie vielen Mädchen er schon zusammen war. Es schien, als würde er in der Öffentlichkeit eine Art Geheimnis um seine Person machen. Klar, er war beliebt, was nicht zuletzt auf seinen gesellschaftlichen Status und sein Aussehen zurückzuführen war. Doch es gab immer eine gewisse Distanz zwischen ihm und den Leuten, bei denen er sich gelegentlich aufhielt. Er war nie der Typ Junge, den ich als potentiellen Freund in Betracht gezogen hätte. Er war einfach zu gut für jemanden für mich. Und wahrscheinlich wusste er das auch. Allein schon diese Tatsache verhinderte bis jetzt eine nähere Betrachtungsweise seiner wahren Persönlichkeit. Komisch nur, dass ich ihn kannte, Tayk mir aber vorher nie aufgefallen war. Dabei schien Edward doch im Schatten seines Kapitäns zu stehen. Außerdem war er erst vor drei Jahren nach San Francisco gezogen. Als er bemerkte, wie ich ihn ansah, schaute er kurz zu mir herüber und lächelte, ehe er sich wieder auf die Fahrbahn konzentrierte. Er wirkte seltsam zufrieden, doch mein Blick schien ihn zu verwirren. „Was ist?“ fragte er schmunzelnd, aber dennoch ernsthaft neugierig. „Ich hab nur nachgedacht“, sagte ich beiläufig. „Worüber?“ „Na ja… Das vorhin war etwas unproduktiv, findest du nicht?“ „Was-“ „Das mit dem Liebesgeständnis“, schnitt ich ihm das Wort ab. Edward biss sich auf die Lippen, während ich weiterredete. „Ich bin sicher, dass Claire es gehört hat und das ist nicht gut. So wird es schwieriger, sie für dich zu gewinnen. Ich glaube, sie hat sich schon ein bisschen in dich verguckt. Und wenn sie denkt, dass wir wirklich glücklich miteinander sind, dann gibt sie vielleicht von vornherein auf.“ „Bella, ich…“ fing er an und hielt inne. Er wickelte seine Finger so stark um das Lenkrad, dass seine Knöchel bereits weiß hervortraten. Ich kam ihm zuvor. „Ich weiß, dass unsere Scheinbeziehung wichtig ist, da Tayk sonst wahrscheinlich nicht darauf anspringt, doch wir müssen auch langsam ein Ende finden, damit Claire sich trauen kann, ernsthafte Gefühle für dich zu entwickeln.“ Für einen Moment drehte er seinen bronzenen Kopf zu mir und sah mich mit großen Augen an. Nur ganz langsam wandte er sich wieder ab und sah verbissen nach vorne. „Edward?“ hakte ich nach, um mich zu vergewissern, dass er damit einverstanden war. Er brummte ein „Hm.“ Das war alles. Nichts weiter. „Du bist sauer wegen der Sache mit Tayk, oder?“ Er gab keine Antwort und das war mehr als genug, um zu verstehen, dass ich richtig lag. „Ich weiß beim besten Willen nicht, was du auf einmal hast. Bis jetzt läuft doch alles reibungslos“, versuchte ich in einem ruhigen Ton die Lage zu entschärfen. „Bella, hör auf. Lass uns einfach nicht weiter darüber reden.“ Stur richtete er seinen Blick nach vorne. Ich hielt kurz die Luft an, dann wandte ich mich ebenfalls ab. Ganz offensichtlich hatte ich ihn verärgert. Ich wusste nur nicht genau womit. Ja, es ging um Tayk, doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass er nur deswegen so aufgebracht war. Irgendetwas hatte ich übersehen. „Sag mal, du wolltest mir doch noch etwas erzählen“, fing ich nach einer Weile wieder an. Der Versuch, die angespannte Lage zu lockern, schlug fehl. „Hat sich erledigt“, antwortete er nur knapp. Mehr würde nicht kommen und so beließ ich es dabei. Ich wollte ihn nicht noch mehr verärgern, als er ohnehin schon war. Als wir bei mir ankamen, verabschiedeten wir uns nur flüchtig, ehe ich mich auf den Weg ins Haus machte. Charlie war noch nicht da. Rasch zog ich mir ein paar frische Sachen an. Nur schwer raffte ich mich auf und bereitete ihm etwas zu Essen zu, das er sich später warm machen konnte. Ich war immer noch müde und ließ das Abendbrot lieber gleich sausen. Und dann kam auch noch Edwards abwehrende Haltung dazu. Sie ging mir einfach nicht aus dem Kopf und ich mochte es nicht, wenn er sauer auf mich war. Ich musste mir irgendetwas einfallen lassen, um es wieder gut zu machen. Nur leider war das nicht so einfach wie gedacht. Was würde helfen, einen Edward Cullen wieder aufzumuntern? Sollte ich etwas basteln oder ihm etwas schenken? Ihn zu etwas einladen oder mich zu seinen Gunsten bei etwas blamieren? Obwohl Letzterwähntes auch ohne beabsichtigtes Zutun seine Chance bekommen würde. Seufzend ließ ich mich aufs Sofa im Wohnzimmer fallen. Plötzlich klingelte das Telefon neben mir und ich fuhr erschrocken zusammen. Nach dreimaligem Ringen nahm ich dann endlich ab. „Swan?“ „Bella?… Ich bin‘s, Claire.“ Durch den Hörer klang ihre Stimme leicht verzerrt. „Oh, hi.“ Sie hatte ja gesagt, dass sie mich noch anrufen wollte. „Was gibt‘s?“ „Eigentlich wollte ich mich noch mal bei dir entschuldigen wegen vorhin“, erklärte sie reumütig. Dass sie immer noch darauf herumritt. Konnte sie das nicht einfach dabei belassen? Schließlich war nichts weiter passiert. Und krank konnte ich von dem bisschen Wasser auch nicht werden. „Ist schon okay…“ seufzte ich. „Weswegen ich auch noch anrufe… Wegen Edward… Hattest du nicht gesagt, dass er sich etwas… auf Distanz hält?“ Ich hatte es gewusst. „Ja, weißt du… Ich glaube, er wollte das vor Anderen nicht so offen zeigen. Wir müssen das erst unter uns klären, denke ich.“ „Ach so. Es war nur…“ Sie stoppte. Allerdings machte mich das erst recht neugierig. „Was?“ „Ach nichts. Nur meine Einbildung… Und sonst? Irgendwas interessantes passiert?“ „Na ja, ich glaube, wir hatten eine kleine… Auseinandersetzung?“ Konnte man das so sagen? Das Wort gefiel mir genauso wenig wie der Gedanke daran. „Oh… worüber habt ihr euch denn gestritten?“ Wir hatten uns ja nicht wirklich gestritten. „Bei dir klingt das so… einschneidend“, meinte ich überrascht. Sie erwiderte nichts. „Also, es waren eigentlich nur ein paar Kleinigkeiten. Lappalien, weißt du?“ Es ging darum, dass du ihm mehr Aufmerksamkeit schenken sollst. „Ach so…“ Sollte ich ihren Ton jetzt positiv oder negativ deuten? „Claire, ist alles in Ordnung bei dir? Du kommst mir irgendwie nervös vor.“ Das durch das Telefon zu erkennen, war schon etwas. Sie schwieg kurz, ehe sie viel zu schnell antwortete. „Nein, nein. Alles bestens… Ich wollte dich auch noch was fragen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das sollte.“ „Worum geht‘s?“ „Ich sollte das wirklich nicht. Du könntest das falsch verstehen…“ „Claire“, ermahnte ich sie. „Na schön… Also wegen morgen. Da hab ich doch wieder Klavierunterricht mit Edward… Falls er denn überhaupt kommt. Vielleicht wollt ihr ja auch erst einmal eure privaten Angelegenheiten klären…“ „Er wird kommen“, versicherte ich ihr rasch, was sie etwas stutzig machte, doch letztendlich etwas erleichterte, dem lauten Ausatmen nach zu urteilen. „Das ist schön… Da gibt es aber ein kleines Problem…“ „Welches?“ „Roxy.“ „Ich versteh nicht…“ Wie konnte ein Kind ein Problem sein? „Rose ist morgen den ganzen Tag unterwegs. Und wenn ihre Tochter von der Schule kommt, muss ich normalerweise auf sie aufpassen… Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du sie nehmen kannst… Dann kann ich mich besser auf das Spielen konzentrieren, weißt du?“, erklärte sie zögerlich. Ich konnte mir schon ihr schüchternes Gesicht vorstellen, das Angst vor einer Absage hatte. Innerlich schmunzelte ich. Da war wirklich bereits ein ganz kleines Interesse und dass sie dachte, ich würde es ihr übel nehmen, wenn sie mit Edward allein sein wollte, war irgendwie witzig. Okay, eigentlich sollte ich nicht so denken, wenn ich wirklich mit ihm zusammen wäre - und ein wenig fühlte ich mich auch… hintergangen? Das war verwirrend. Vielleicht lag es daran, dass ich Angst hatte, dass es bei all meinen vorherigen Dates genauso war. Aber normalerweise konnte das nicht sein. So wie Claire sich jetzt anhörte, war es ihr selbst unangenehm. Und sollte sie wirklich schon an ihm interessiert sein, musste es sie ziemlich fertig machen, wenn sie daran dachte, dass er mit mir zusammen war. „Kein Problem. Ich werde sie dann nach der Schule abholen“, sicherte ich ihr zu, stöhnte aber plötzlich auf. „Verdammt… Tut mir leid, aber ich kann das doch nicht machen. Ich hab morgen schon was vor…“ erklärte ich schuldig. Morgen war ich mit Tayk verabredet. Wie konnte ich das nur vergessen? „Oh… Ist es sehr wichtig? Oder kannst du sie mitnehmen?“ „Sehr wichtig. Ich würde sie gerne nehmen, aber ich kann wirklich nicht.“ Claire lachte etwas zögerlich. „Das macht doch nichts. Ich hätte dich gar nicht erst fragen sollen.“ Mein Mundwinkel zuckte nach oben. „Also dann. Bis morgen in der Schule.“ „Tut mir ehrlich leid“, wiederholte ich noch mal. „Schon okay.“ „Bis morgen“, verabschiedete ich mich. „Bye.“ Am anderen Ende wurde der Hörer aufgelegt. Ich tat es ihr nach, doch noch ehe ich mich zurücklehnen konnte, klingelte das Telefon erneut. Ich nahm bereits nach dem ersten Mal ab. „Swan?“ „Bella…“ Das war eindeutig Edwards Stimme. „Hi“, grüßte ich ihn und war ein wenig verblüfft. Er hatte mich noch nie Zuhause angerufen. „Was gibt‘s?“ „Ich… wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich dich morgen nicht abholen kann. Das Auto meines Vaters ist in der Werkstatt und deshalb nimmt er meins. Ich fahre morgen mit dem Bus zur Schule. Ich weiß, dass das echt kurzfristig ist, aber ich hoffe, du kannst mir verzeihen.“ Ich verdrehte die Augen und musste doch tatsächlich lachen. „Edward, wieso sollte ich dir das übel nehmen? Es ist ja nicht so, als würdest du ein Date absagen. Es geht doch nur um den Schulweg. Den kann ich auch mit dem Fahrrad bewältigen. Das hab ich schließlich schon vorher gemacht.“ Er ging nicht auf meine heitere Stimmung ein, sondern blieb ernst. Womöglich war er immer noch sauer auf mich. Ob das mit dem Auto nur eine Ausrede war, um mich nicht abholen zu müssen? „Wir treffen uns dann wahrscheinlich morgen, nehme ich an“, fuhr er ohne Umschweife fort. „Ja, ich denke schon.“ Freitags hatten wir keine einzige Stunde zusammen, aber in der Cafeteria würden wir uns sicher über den Weg laufen. Das hoffte ich jedenfalls. Ich musste unbedingt noch mal mit ihm reden. „Okay, also bis dann“, verabschiedete er sich trocken und legte auf, noch ehe ich etwas erwidern konnte. Etwas überrumpelt hielt ich den Hörer noch ein paar Sekunden in den Händen und starrte ihn an, ehe ich ihn wieder aufs Telefon packte. Mit einem lauten Seufzer ließ ich mich zurück in die Sofakissen fallen und betrachtete frustriert das Wohnzimmer. Es musste doch etwas geben, um mich bei ihm zu entschuldigen. Irgendetwas. Ich grübelte bestimmt eine ganze Stunde darüber nach. Mein Blick wanderte über die zahlreichen Fotos an der Wand und über dem Kamin. Letztendlich blieb ich bei einem Bild von Renée und Phil hängen. Es wurde draußen aufgenommen. Die Sonne schien und meine Mutter grinste in die Kamera, während sie einen Baseballschläger in der Hand hielt. Ich musste bei unserer kleinen Übungsrunde nach dem Spiel wohl genauso dämlich ausgesehen haben wie sie. Phil stand in seiner Teambekleidung neben ihr und lächelte. Plötzlich fiel mir ein, was ich Edward gutes tun konnte. Ich rannte aus dem Raum und direkt in mein Zimmer. Sofort durchwühlte ich sämtliche Ecken und Winkel. Unter dem Bett, hinter den Vorhängen, in den Schubladen meines Schreibtisches, in und hinter meiner Kommode. Zum Schluss kam der Kleiderschrank an die Reihe. Ich riss die Türen auf - und beinahe aus den Angeln - und durchstöberte ihn von Kopf bis Fuß. Hoffentlich war er hier… Nach ein paar verzweifelten Minuten fand ich endlich, wonach ich gesucht hatte. Zufrieden krabbelte ich aus dem Schrank und hockte mich auf meine Knie, um den Baseballhandschuh genauer zu betrachten. Er war definitiv schon einige Male benutzt worden. Die Verschleißspuren waren deutlich zu erkennen. Hier und da gab es ein paar Kratzer. Doch das Leder war herrlich weich. Vorsichtig fuhr ich mit der Hand herüber, während die letzten Sonnenstrahlen, die sich durchs Fenster stahlen, auf die glatte Oberfläche schienen. In der Innenseite befand sich eine, mit schwarzem Edding geschriebene, sehr verschnörkelte Unterschrift eines bekannten Baseballspielers der New York Yankees, wenn ich es richtig in Erinnerung hatte. Phil hatte ihn mir geschenkt. Damals, als meine Mom ihn kennen gelernt und beschlossen hatte, ihn zu heiraten, war ich sehr wütend auf sie, aber vor allem auf ihn. Ich hatte immer gehofft, sie würde wieder mit Dad zusammenkommen und als sie dann ihren neuen Mann vorstellte, wurde mir klar, dass das niemals passieren würde. Immer wenn ich meine Mutter besucht hatte, ignorierte ich ihn. Wenn er versuchte, mit mir zu reden, gab ich ihm patzige Antworten. Meine Abneigung war offensichtlich und keiner von beiden hatte eine Idee, wie sie mich davon überzeugen konnten, ihre Entscheidung zu akzeptieren. Damals hatte Phil mir diesen Handschuh als Friedensangebot geschenkt. Als ein Zeichen, dass sowohl meine Mutter, als auch ich ihm wichtig waren. Er gehörte einem der bekanntesten und erfolgreichsten Spieler der Baseballgeschichte. Ich mochte gar nicht daran denken, wie viel er wert war, geschweige denn wie wichtig für Phil. Erst mit der Zeit hatte ich sein Opfer zu schätzen gewusst. Mittlerweile verstanden wir uns richtig gut. Und Edward würde jetzt mehr davon haben als ich. Schließlich kannte er sich mit dem Sport aus. Ein kleines Grinsen huschte über mein Gesicht. Jetzt musste ich ihn nur noch einpacken und einen kleinen Zettel hineinlegen. Ich holte schnell ein gelbes Stück Papier, sowie einen Stift von meinem Schreibtisch, dann sprang ich auf mein Bett und fing an, eine kleine Notiz zu verfassen. Hi Edward, Ich weiß, dass du auf mich sauer bist. Und was immer ich getan habe, es tut mir leid. Ich hoffe, du bist mir nicht mehr böse und verzeihst mir. Der Handschuh ist eine kleine Wiedergutmachung. Ich habe ihn von meinem Stiefvater, doch ich kann nichts damit anfangen. Du weißt ja, wie viel ich vom Sport verstehe. Mit ziemlicher Sicherheit kann ich aber sagen, dass du seinen Wert besser einschätzen kannst… Love, Bella Ich betrachtete noch kurz das Stück Papier, dann rollte ich es zusammen und steckte es in die Handöffnung. Jetzt musste ich nur noch etwas zum Einwinkeln finden. Ich sah mich im Zimmer um, doch das Chaos an sich verriet mir schon, dass ich nichts finden würde. Also stand ich auf und ging zurück ins Wohnzimmer, um mich dort etwas umzusehen. Charlie war allerdings nicht gerade der Typ, der oft Geschenke kaufte. Im Endeffekt hatte ich auch hier nichts gefunden. Ich beschloss, noch einmal hinaus zu gehen und in einem Geschenkartikelladen nach etwas geeignetem zu suchen. Als ich fertig angezogen draußen vor der Haustür stand, um abzuschließen, hörte ich plötzlich ein Knacken hinter mir. Nicht direkt hinter mir, eher etwas seitlich hinter dem Fliederbusch, der an unser Haus grenzte. Abrupt drehte ich mich um, konnte aber nichts erkennen. Ich schloss rasch die Tür ab und ging ein paar Schritte darauf zu, hielt dann aber an. Mein Puls fing an zu rasen. Bevor er seinen Höhepunkt jedoch erreichen konnte, kam eine weiße Katze mit einem lauten „Miau“ hervor, und erschrak mich im ersten Moment. Womöglich hörte ich schon Gespenster. Ich redete mir immer wieder ein, dass es nur mein Verstand war, der mir einen kleinen Streich spielte. Mein Herzschlag verlangsamte sich wieder, während ich meine Hand auf meine Brust legte, als versuchte ich damit, es zu beruhigen. Ich steuerte unsere winzige Garage an und holte mein Fahrrad hervor. Die Sonne war bereits untergegangen und der Wind hatte etwas zugenommen. Bis zum nächsten Geschäft dauerte es nur eine halbe Stunde. Der Verkäufer beäugte mich misstrauisch, als ich leise durch die Reihen schlich. Es war schon spät und er wollte wahrscheinlich zumachen. Ich war die letzte. Über eines der Regale konnte ich ihn beobachten und bemerkte, wie er mit schmalen Augen etwas am Außenfenster fixierte und sein Blick dann langsam zu mir wanderte. Als ich ebenfalls nach draußen sah, konnte ich allerdings nichts und niemanden erkennen. Was er wohl gesehen hatte… Ich ließ den Gedanken daran schnell fallen und wandte mich wieder meiner Hauptaufgabe zu. Es dauerte auch nicht lange, bis ich fündig wurde. Es war eigentlich weniger Papier, als mehr eine Art Beutel aus Wildleder, deren Schlaufen man am Ende zuziehen konnte. Gerade groß genug, sodass der Handschuh hineinpasste. Auf den ersten Blick ließ es nicht auf ein Geschenk vermuten. Nur die Aufschrift …For those who search for something special… wies darauf hin. Dafür zwanzig Dollar zu bezahlen, war etwas übertrieben, doch wenn es half, Edward wieder lächeln zu sehen, nahm ich den Preis gerne hin. Schnell ging ich zum Verkäufer und beglich die Rechnung, dann machte ich mich zügig auf den Weg nach Hause. Charlie war immer noch nicht da. Ich ging in mein Zimmer und setzte mich auf mein Bett, wo immer noch der Baseballhandschuh lag. Behutsam steckte ich ihn in den sandfarbenen Beutel und zog die Kordel sorgsam zu. Seufzend legte ich mich auf den Rücken, packte das Geschenk auf meinen Bauch und starrte an die Decke. Ich konnte es kaum erwarten, es Edward morgen zu geben. Auf sein Gesicht war ich besonders gespannt, denn er wusste garantiert, von wem das Autogramm stammte. Selbst etwas geschenkt zu bekommen, war eine Sache, aber jemandem eine Freude zu bereiten, eine noch viel schönere. Anderen Menschen ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, verursachte ein ungemein wohliges Gefühl. Ich grinste so breit vor mich hin, dass man glatt denken könnte, ich wäre mit dem Joker verwandt. Ohne Vorwarnung musste ich auf einmal gähnen. Es dauerte nicht lange, bis ich ganz eingeschlafen war. „Bella, aufstehen. Es ist schon spät“, hörte ich die Stimme meines Dads. Etwas schwerfällig öffnete ich meine Augen und blinzelte ihn an, dann sah ich auf die Uhr. Mir blieb die Luft im Halse stecken. Ich hatte nicht einmal mehr eine halbe Stunde, bis die Schule anfing. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich aus dem Bett und hastete an Charlie vorbei ins Bad. Aufs Frühstück konnte ich getrost verzichten. Ich packte noch schnell das Geschenk in die Tasche, dann verließ ich das Haus. „Kommt Edward heute gar nicht?“ fragte mich mein Dad, als ich dabei war, mein Fahrrad aus der Garage zu holen. Ich hatte nur noch zehn Minuten und eigentlich keine Zeit, mich mit ihm zu unterhalten. „Nein“, antwortete ich atemlos. Das ganze Hetzen machte mir wirklich zu schaffen. Mit einem Mal riss er mir das Fahrrad aus der Hand. „Ich fahr dich. Steig ins Auto, Bells.“ Etwas verdattert starrte ich ihn an, erinnerte mich dann aber wieder daran, mich zu beeilen. Nichtsdestotrotz war ich dennoch zu spät. Wenn mein Vater kein Polizist wäre, und er dementsprechend auch nicht haargenau die Verkehrsregeln beachten würde, hätten wir es vielleicht sogar noch rechtzeitig geschafft. So allerdings durfte ich mit gesenktem Haupt das Schulgebäude betreten. Natürlich waren die meisten Schüler jetzt im Unterricht, nur ein paar hatten offenbar eine Freistunde. Als wüssten sie, dass ich zu spät war, beäugten sie mich und steckten dann ihre Köpfe zusammen, um leise zu tuscheln. Ich dachte mir nichts weiter dabei. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, zu überlegen, was ich dem Lehrer sagen sollte. Ob er mir das mit dem Verschlafen abkaufte? Immerhin war es die Wahrheit. Im Klassenzimmer hörte ich das Gemurmel des Lehrers, welches sofort stoppte, als ich vorsichtig anklopfte und auf das „Herein“ wartete. Als dann endlich eine etwas genervte Stimme antwortete, öffnete ich die Tür und trat ein. Wie schon zuvor auf dem Flur starrten mich auch hier die Schüler an, als hätte ich die Pest. Einige überrascht, andere belustigt, wieder andere finster. Sie schüttelten abfällig die Köpfe. Ein leises Summen erfüllte den Raum, als auch hier alle anfingen, sich mit ihrem Banknachbarn und denen dahinter oder davor zu unterhalten. Hin und wieder schaute jemand verstohlen zu mir herüber oder zeigte unauffällig zu mir. Plötzlich fühlte ich mich unwohl. Was zur Hölle ging hier eigentlich vor? War Verschlafen jetzt ein Verbrechen geworden? Davon hatte Charlie mir gar nichts gesagt… „Schön, dass Sie uns auch noch beehren, Miss Swan. Die Gesetze dieses Landes scheinen Ihnen doch nicht vollkommen gleichgültig zu sein“, durchbrach der Lehrer das Stimmengewirr. Sein finsterer Blick blockierte jede Widerrede. Ich konnte eh nichts antworten, so verwirrt war ich von seinem Kommentar. „Setzen Sie sich endlich hin. Der Rest der Klasse stellt bitte das Reden ein.“ Ich befolgte seine Anweisung und ging zu meinem Platz, während mir argwöhnische Blicke folgten. Die ganze Stunde über versuchte ich wirklich, mich auf den Unterricht zu konzentrieren, doch das war schwerer als erwartet bei dem Gestarre der Anderen. Konnte mich mal bitte jemand aufklären, was los war? Das hatte doch wirklich nichts mehr mit dem Zu-Spät-Kommen zutun. Zu allem Überfluss wurde ich auch noch öfter heran genommen als üblich und als wäre das noch nicht genug, hatte ich sogar vergessen, meine Hausaufgaben zu machen. „Selbst wenn Sie jetzt der Meinung sind, die Schule als unwichtig anzusehen und sie zu vernachlässigen, werden Sie dem Nachsitzen heute nicht entkommen können, Miss Swan“, entgegnete der Lehrer kalt. Nachsitzen? Am Freitag? Womit hatte ich das denn bitte verdient? „Das ist nicht Ihr Ernst“, antwortete ich erschrocken. „Ich war doch nur ein paar Minuten zu spät.“ Seine Augen sprühten förmlich Funken. „…Keine Aufgaben gemacht, dem Unterricht keine Beachtung geschenkt und jetzt auch noch dem Lehrer widersprochen. Solange Sie hier sind, haben Sie die Regeln zu beachten!“ Ich öffnete meinen Mund, doch schloss ihn sofort wieder, ehe ich noch mehr Strafen aufbekam. Der Rest des Vormittages verlief ähnlich. Überall abwertende Blicke und Getuschel. Wo ich auch hinging, wurde leise geflüstert. Am liebsten hätte ich einen von ihnen gepackt und in eine Ecke geschliffen, um zu erfahren, warum sich alle so merkwürdig benahmen, doch dazu hatte ich keinen Mut. Stattdessen suchte ich Flure, in denen sich möglichst wenige Schüler befanden. Wenn es denn nur diese waren. Doch sogar die Lehrer sahen mich abfällig an, als wollten sie mir eine Predigt allein durch ihre Augen mitteilen. Die Vorfreude, die ich gestern noch gespürt hatte, als ich über Edwards Geschenk nachdachte, war völlig verschwunden. Ihn musste ich sowieso noch aufsuchen. Nicht, weil ich ihm den Lederbeutel geben wollte, eher weil ich mit ihm über dieses komische Verhalten der Anderen reden musste. Vielleicht wusste er mehr. Der Weg zur Cafeteria verlief nicht so schleppend wie die zu den Klassenräumen. Ich beeilte mich regelrecht, dort anzukommen. Als ich sie betreten hatte und ungefähr in der Mitte stand, schaute ich mich sofort nach Edward um. Im nächsten Augenblick passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Ich hatte meinen Scheinfreund entdeckt und wollte bereits zu ihm laufen; Alice tauchte aus einer anderen Richtung auf und winkte mir überschwänglich zu; und genau hinter mir tauchte die widerliche Stimme Mike Newtons auf. „Ich bin wirklich beeindruckt, Isabella Swan. Und das als Tochter eines Polizisten. Das hätte ich wirklich nicht von dir erwartet“, kicherte er. Langsam drehte ich mich zu ihm um. „Wovon redest du?“ fragte ich herausfordernd und verengte meine Augen. Eine seiner Augenbrauen zuckte nach oben und er wartete einen Augenblick mit seiner Antwort, um mich prüfend zu mustern. „Ach, komm. Glaubst du etwa, so was würde lange geheim bleiben? Ich meine, es reicht doch schon aus, es nur einer einzigen Person zu erzählen, und schon verbreitet es sich wie ein Lauffeuer.“ „Red deutlicher“, zischte ich. Plötzlich fing jemand an zu lachen. Nicht weit entfernt, hinter Mike, stand Lauren, die Arme vor der Brust verschränkt. Etwas mir Unbekanntes schien sie sichtlich zu erheitern. „Swan…“ Sie schüttelte grinsend den Kopf, wobei sie auf uns zukam. „Bist du wirklich so naiv, oder tust du nur so? Es ist doch offensichtlich, dass wenn jemand in ein Baseballstadion einbricht, so was nicht lange ein Geheimnis bleibt.“ Mir stockte der Atem und sie fuhr fort. „Und dann noch die Nacht in einer Zelle zu verbringen… Musste dein Vater bei seiner eigenen Tochter Wache halten?“ Ich war wie gelähmt und konnte sie nur mit offenem Mund anstarren. Woher wusste sie das mit dem Stadion? Aber viel wichtiger war eigentlich, woher sie diese falschen Informationen hatte. Wer hatte so etwas behauptet? Das Verhalten der Schüler kam mir jetzt nur allzu logisch vor. Ich hätte womöglich genauso reagiert, wenn es über jemand anderen so ein Gerücht gab. In der Cafeteria war es totenstill. Sämtliche Augenpaare waren auf uns gerichtet. „Hat dein Vater dich heute zur Schule gefahren, weil er Angst hat, du würdest abhauen?“ Lauren blieb direkt neben Mike stehen, der bei ihrem Anblick anfing, zu japsen. Ich verzog das Gesicht, während diese Frau gar nicht erst auf eine Antwort meinerseits wartete. „Weißt du, es ist mir relativ egal, was du anstellst, aber wie konntest du Edward da mit hineinziehen? Kannst du dir eigentlich vorstellen, was das für ihn und seine Baseballkarriere bedeutet? Vielleicht wird er deswegen ja sogar bei seinem bevorzugten College abgewiesen.“ Sie funkelte mich böse an. „Wir sind nirgends eingebrochen. Wir wurden eingeschlossen“, hörte ich Edwards Stimme auf einmal hinter mir. Ich entspannte mich ein wenig. Mike blickte ihm höhnisch ins Gesicht. „Du musst sie nicht verteidigen. Dieses Mal kannst du sie nicht in Schutz nehmen. Je länger du dich mit ihr abgibst, desto weniger schenken dir die Leute Glauben.“ Edward versteifte sich. Als ich mich umsah, bemerkte ich tatsächlich einige, die ihn genauso verurteilend anblickten, wie sie es mit mir gemacht hatten. „Bitte komm wieder zur Besinnung. Das ist dieses… Miststück doch nicht wert“, flehte Lauren Edward an und erntete sofort ein verachtendes Schnauben von diesem. „Halt den Mund.“ Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie sich ihren Teil dazugereimt hatte. Doch irgendjemand musste ihr von dem Abend erzählt haben. Mich ausgeschlossen, gab es in dieser Schule nur drei Leute, die davon wussten. Claire, Alice und Edward. Erstere konnte ich ausschließen. Sie war meine beste Freundin und würde nie etwas so privates an dritte preisgeben. Genauso wenig mein Scheinfreund. Nicht nur, dass er sich selbst damit belasten würde; er hatte mir einfach schon zu oft aus der Patsche geholfen, als dass er mich jetzt ins Messer laufen ließ. Es blieb also nur noch eine übrig. Und die kam gerade auf uns zu. Alice. “Bella, ich dachte, dass ihr nur-” fing sie an, doch ich fiel ihr ins Wort. “Du warst das, oder?” presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. “Du hast das überall herumposaunt.” Ihre Augen weiteten sich. “Wovon redest du?” Ich runzelte die Stirn. Meinte sie das ernst? Wollte sie mich für dumm verkaufen? “Gib’s doch einfach zu. Ich hab dir vertraut und du nutzt das aus und erzählst Lügen über mich. Es gibt niemanden sonst, der von dem Abend wusste und es weitererzählen könnte”, fauchte ich sie an. “Ich weiß gar nicht, wieso ich so was machen sollte.” Ihre Stimme klang winzig. Ich funkelte sie wütend an. “Du bist wirklich ein Freak. Hast du dadurch wenigstens ein paar neue Freunde gefunden, die sich jetzt mit dir abgeben?” Ich hörte mich immer schriller an und Tränen stießen mir plötzlich in die Augen. “Ich hab nie…” Alice brach mitten im Satz ab. “Mit mir unterhält sich doch eh niemand.” “Bella…” fing Edward auf einmal an und legte seinen Arm um meine Taille. Das unerwartete Auftauchen Jaspers an Alice’ Seite verhinderte, dass er weiter sprach. “Hör auf, sie so anzufahren. Ich glaube keine Sekunde lang, dass sie so ein Gerücht in die Welt gesetzt hat. Also sieh dich gefälligst nach anderen Schuldigen um”, verteidigte er sie. “Du nimmst sie doch bloß in Schutz, weil du sie magst”, sagte ich leise und hatte zutun, meine Stimme nicht zu verlieren. “Das ist ein Grund. Ja”, gab er selbstbewusster denn je zurück. “Jasper, lass es”, mischte sich Edward nun ein, doch ich hob meine Hand und legte sie abwehrend gegen seine Brust. “Schon gut. Wenn er meint… Soll er doch denken, was er will.” Ich musste schlucken, um den Kloß in meinem Hals los zu werden. Alice wollte noch etwas sagen, doch ich hielt die Hand hoch, während mein Gesicht sich zu einer Steinmaske verhärtete. Dann ging ich mit eiligen Schritten aus der Cafeteria; ein Dutzend Blicke auf meinem Rücken geheftet. Im Hintergrund war Laurens und Mikes Gekicher zu erkennen. “Bella, warte”, hörte ich Edward. Er folgte mir. Auf dem Flur packte er meinen Arm und riss mich herum. Für einen Moment erstarrte er und seine Augen weiteten sich, als er mein Gesicht sah. Mittlerweile hatten sich meine Tränen verselbstständigt und liefen nun meine Wangen hinunter. Vorsichtig legte er seine Hände an meine Oberarme. “Mach dir wegen dem, was da drin passiert ist, keine Gedanken, okay? Wir wissen, was wirklich wahr. Also kein Grund, deshalb zu weinen”, versuchte er mich mit sanfter Stimme zu beruhigen. Ich wandte meinen Blick ab. Ich wusste ja selbst, dass es idiotisch war, deshalb gleich zu heulen. “Im Übrigen glaub ich auch nicht, dass Alice so etwas sagen würde”, sagte er plötzlich. Ich starrte ihn erschrocken an. “Du… nimmst sie auch in Schutz?” presste ich hervor. Das konnte doch nicht wahr sein. “Nicht aufregen… Mir fällt nur einfach nichts ein, weshalb sie so etwas machen sollte.” “Das ist doch offensichtlich. Weil sie Aufmerksamkeit will und weil sie verrückt ist”, fuhr ich ihn an. Er hob eine Augenbraue. “Du urteilst ganz schön schnell, dafür dass du doch eigentlich die Letzte sein müsstest, die andere Leute nach ihrem äußeren Auftreten bewertet.” “Es gibt aber sonst niemanden, der es erzählt haben könnte.” “Vertraust du Claire so sehr?” sagte er und traf mich damit voll gegen den Kopf. Gerade er sollte doch anders über Claire denken. “Natürlich tue ich das. Sie würde mir nie wehtun. Dazu ist sie ein viel zu guter Mensch”, erklärte ich aufgebracht. “Wenn du es Alice nicht zutraust, dann hast du es wahrscheinlich selbst rum erzählt und es noch ein wenig ausgeschmückt.” Es kam gehässiger und vorwurfsvoller herüber, als beabsichtigt. Edward ließ mich auf einmal los und ging ein paar Schritte zurück. Seine Miene wurde etwas verbittert, als seine Lippen sich zu einer schmalen Linie formten. “So ist das also”, stellte er trocken fest. Mir wurde klar, dass er das viel zu ernst genommen hatte. Wie konnte ich ausgerechnet ihm so etwas an den Kopf knallen? Er war doch derjenige, der mich in letzter Zeit aufbaute, wenn es mir schlecht ging. “Edward, ich wollte nicht-” “Schon gut. Ich hab verstanden.” Abwehrend hob er die Hände und ließ sie gleich darauf kraftlos wieder fallen. Seine Mundwinkel zuckten nach oben, doch es war kein Lächeln. Es sah enttäuschend aus. Ich starrte ihn mit offenem Mund an. “Soll… soll das heißen, das war’s?” stotterte ich brüchig. “Sieht wohl so aus…” Er blickte noch einen Moment zu mir, dann drehte er sich langsam um und ging. Was hatte ich getan? Gestern Abend hätte ich mir nicht im Traum vorstellt, dass der heutige Tag so aussehen könnte. Und jetzt? Mein ganzes Leben hatte sich in nur ein paar Minuten in eine einzige Tragödie verwandelt. Edwards Geschenk in meiner Tasche pulsierte wie ein schlagendes Herz. Dabei hatte es seinen Nutzen doch verloren. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Okay, sämtliche Mordwaffen werden versteckt...Auch bruchsichere Stifte...O.o... Kapitel 11: Die eine fehlende Hälfte ------------------------------------ Ich weiß, dass ihr mir für das letzte Kapi wahrscheinlich den Kopf abgerissen hättet. Umso gespannter bin ich jetzt bei diesem hier...xD"...*hust* Ich hab endlich n song für dieses Chap gefunden...xD Daniel Bedingfield - If You're Not The One http://de.youtube.com/watch?v=p3bFOT1e-AU ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ “Edward?” flüsterte ich heiser, doch er war bereits um eine Ecke gebogen. Ohne dass ich meinem Gehirn einen direkten Befehl gegeben hatte, kramte ich den Lederbeutel aus meiner Tasche und starrte mit verklärtem Blick darauf. Nicht in der Lage, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Würde ich das, was gerade passiert war, in meine selbst entwickelte Schablone für ausschlaggebende Freund-Vergraulen-Situationen legen, wäre diese mit Abstand die schlimmste. All die Male davor war es immer ein ungeschicktes Verhalten meinerseits gewesen, doch jetzt hatte ich bewusst einen Menschen verletzt. Nicht körperlich, aber seelisch. Und das wiegte tausendmal stärker. Wie in Trance drehte ich mich um und ging zu meiner letzten Unterrichtsstunde vor dem Nachsitzen. Der nächst beste Mülleimer war perfekt geeignet für dieses wertlose Geschenk, von dem ich anfänglich noch gedacht hatte, es würde irgendjemandem gefallen. Unter Garantie noch nicht einmal Edward. Vor allem nicht ihm. Mit einem leisen Plomp landete es auf dem Boden des Abfallbehälters. Als wäre ich gar nicht richtig existent, wanderte ich den Flur entlang. Mir entging sogar das Gestarre der anderen Schüler, die sich jetzt langsam auf den Weg zu ihrem Unterricht machten. Ich war gar nicht richtig anwesend, mein Körper fühlte sich taub an, leblos. Die ganze Stunde über bekam ich nicht viel mit und zu meinem Glück nahm der Lehrer mich auch kein einziges Mal heran. Als würde allein mein Gesicht jedem alles Notwendige entgegen schreien. Edward hatte Schluss gemacht. Es war unausweichlich und auch irgendwie geplant und doch tat es so weh. Wie hundert kleine Nadeln stach es in meiner Brust. Meine Hand wanderte automatisch an die Stelle, an der man den Herzschlag spüren konnte. Was zur Hölle war dieses Gefühl? Ich war in meinem Leben nicht oft krank gewesen, doch wenn, dann richtig schlimm. Trotzdem konnte man das hier nicht damit vergleichen. Gegen physische Instabilität gab es Medikamente. Ich hatte keine Ahnung, was gegen das gegenwärtige Gefühl zu unternehmen war. Mein Blick war auf den Boden gerichtet, als ich auf dem Weg zum Nachsitzen war, deshalb bekam ich auch erst mit, dass mir jemand entgegenkam, als es schon zu spät war und ich direkt in die Person hineinlief. “Bella!” Ich blickte auf, um den Besitzer der zwei Hände, die mich hielten, sehen zu können - und augenblicklich erhöhte sich mein Puls. Es war Tayk. “Hi…” krächzte ich. Meine Stimme schien seinen Dienst aufgeben zu wollen. “Alles in Ordnung mit dir? Du siehst… nicht gut aus.” Seine Frage war verwirrend. Ich dachte eigentlich, dass jeder im Umkreis von hundert Meilen mitbekommen hatte, was in der Cafeteria vorgefallen war. Wieso also fragte er mich, was mit mir los war? “Du… Warst du vorhin denn nicht in der Mittagspause in der Cafeteria?” “Nein. Ich hatte was wichtiges zu erledigen. Ist denn irgendetwas passiert?” Ich sah ihn einen Moment schweigend an, um abzuschätzen, wie viel ich ihm erzählen konnte. “Hast du denn nichts von den… Gerüchten gehört?” fragte ich nach. Das musste er wissen. “Dass du und Edward angeblich in ein Stadion eingebrochen seid?” Ich nickte. “Das glaube ich keine Sekunde lang. Edward ist einfach nicht der Typ für so etwas… Jedenfalls jetzt nicht mehr.” Den letzten Teil murmelte er vor sich hin, als sagte er es nur zu sich selbst. Edward… Der Name verursachte wieder ein Stechen in meiner Brust und sofort verkrampfte ich mich. Gleichzeitig machte mich jedoch das, was er zum Schluss geflüstert hatte, stutzig. Wie gut kannte Tayk ihn eigentlich? “Hast du schon Schluss? Dann bring ich dich nach Hause. Dir scheint es wirklich nicht gut zu gehen.” Seine Worte rissen mich aus meiner Grübelei. “Ich muss noch nachsitzen, weil ich heute zu spät gekommen bin.” Seine Augenbraue schoss überrascht in die Höhe. “Ach so…” Ein unangenehmes Schweigen trat ein, während wir beide in unterschiedliche Richtungen sahen. “Sag mal, das mit dem Essen…” fing er plötzlich an. “Steht das noch, oder willst du im Moment lieber allein sein?” Überrascht sah ich auf. “Trotz der Geschichten willst du dich immer noch mit mir treffen?” Er grinste. “Ich weiß ja, dass sie nicht stimmen. Und außerdem dient die Einladung meiner Entschuldigung.” Einer meiner Mundwinkel zuckte leicht nach oben. “Also wenn dein Angebot wirklich noch steht, hätte ich nichts dagegen.” Ein bisschen Ablenkung würde mir bestimmt gut tun. Und mit ein wenig Abstand würde ich die Situation auch klarer sehen und einiges vielleicht wieder richten können. “Okay, dann bleibt es bei sechs Uhr, ja?” Ich nickte. “Wo gehen wir eigentlich hin? Nur damit ich weiß, wie ich mich anziehen soll. Wenn es sehr fein ist, muss ich mir noch was passendes suchen…” “Oh, eigentlich ist es egal, was du anziehst. Ich dachte, wir speisen bei mir Zuhause.” Meine Augen weiteten sich und mein Herz stand auf einmal still. Bei ihm Zuhause? Er lächelte entschuldigend, als er meinen Gesichtsausdruck sah. “Nur wenn du willst. Ich hab absolut keine Hintergedanken dabei. Wie gesagt, du bist Edwards Freundin…” Abermals schmerzte meine Brust. “…Ich dachte nur, dass unsere Köche sich mal etwas austoben könnten. Meine Eltern sind nicht da, deshalb können sie ihrer Kreativität momentan keinen freien Lauf lassen.” “Oh… Okay, das ist kein Problem. Ich bin gerne Versuchskaninchen für kulinarische Neuheiten.” Tayk lachte kurz. “Du musst natürlich nichts essen, was dir nicht schmeckt.” “Keine Sorge. Ich bin da eigentlich ziemlich offen.” “Also dann, bis heute Abend”, verabschiedete er sich, jedoch nicht ohne noch einmal zu lächeln. Dann ging er. Ich stand noch kurz und dachte über das eben Geschehene nach. Offenbar hatte ich in dieser Hinsicht Glück gehabt. Tayk schien noch immer Interesse an mir zu zeigen. Doch ob das auch so sein würde, wenn er erführe, dass Edward sich von mir getrennt hatte? Ich hatte Angst, es ihm irgendwann zu sagen. Nicht nur vor seiner Reaktion, wenn er es hörte, sondern auch es überhaupt laut auszusprechen. Man könnte glatt denken, Edward und ich wären wirklich zusammen gewesen, so sehr tat es weh. Konnte es sein, dass er das alles viel zu ernst nahm? Oder sollte ich mir diese Frage lieber selbst stellen? Schließlich war ich diejenige, die gerade litt… Ich musste auf jeden Fall noch mal mit ihm reden, um ein paar Dinge zu klären. Das Nachsitzen verlief ruhiger, als erwartet. Ich war die Einzige im Klassenzimmer, abgesehen vom Lehrer, und die Stille tat gut. Außerdem entging ich so den vorwurfsvollen Blicken der Anderen. Die Aufgabe, die ich bekam, umfasste alles in Bezug auf das Analysieren und Interpretieren von Sachtexten. Ein Thema, das so trocken war, dass meine Gedanken immer wieder zu Edward drifteten. An sein Gesicht, als ich ihm vorgeworfen hatte, dieses Gerücht in die Welt gesetzt zu haben. Es hatte etwas seltsames, etwas, das ich mir nicht erklären konnte. Keine Frage, er war enttäuscht, doch den genauen Ursprung dafür kannte ich nicht. Es konnte doch nicht einfach nur an meinem vorschnellen Mundwerk gelegen haben. Mittlerweile musste er mich eigentlich soweit einschätzen können, um zu wissen, dass ich das nur in einem Moment der Wut gesagt hatte. Warum zur Hölle hatte er so verletzt reagiert? Das hatte doch nichts mehr mit unserem Schauspiel zutun. “Miss Swan, die Stunde ist bereits zu Ende. Sie können jetzt gehen”, hörte ich den Lehrer plötzlich sagen. Erschrocken riss ich meinen Kopf hoch und starrte ihn an, bis ich realisierte, wo ich war. “Oh.. Ja, okay.” “Sie können die Aufgaben auf Ihrem Platz liegen lassen.” “Hm-hm.” Ich nickte, räumte meine Sachen zusammen und verließ den Raum. Als ich draußen auf dem Parkplatz stand, fiel mir wieder ein, dass ich ja gar keine andere Wahl hatte, als nach Hause zu laufen. Innerlich stöhnte ich auf. Es würde ewig dauern, bis ich Zuhause ankommen würde, und dann müsste ich mich auch noch fertig machen für heute Abend. “Bella?” Ich drehte mich um und hielt mir schützend die Hand über die Augen, um meine Sicht vor dem Sonnenlicht, dass mich blendete, abzuschirmen. Die Stimme erkannte ich sofort. Sie gehörte Claire. Ich hatte sie den ganzen Vormittag noch nicht gesehen. Ich musste zugeben, dass ich auch nicht sonderlich darauf geachtet hatte. Die Blicke der Schüler lenkten einfach zu sehr ab, zu dem Zeitpunkt. “Was gibt’s?” fragte ich, während in meinem Kopf wieder Edwards Worte auftauchten. Er hatte mich gefragt, ob ich ihr wirklich so sehr vertraute. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie so etwas in der Schule verbreiten würde. “Ich wollte nachfragen, ob alles in Ordnung bei dir ist?” “Wieso?” “Wieso?” wiederholte sie etwas zu heftig für meinen Geschmack. “Weil ich deine Freundin bin und mir Sorgen mache. Deswegen. Das, was in der Cafeteria vorgefallen ist… Ich meine, dass Alice das so schamlos ausgenutzt hat… Ich hab ja gewusst, dass sie eine Irre ist.” Sie schüttelte abfällig den Kopf. “Warum hast du es ihr überhaupt erzählt?” “Weil ich…” fing ich an, hielt dann aber inne. “Sag mal, wenn du auch dort warst, wieso hast du uns nicht geholfen? Auf dich hätten die anderen eher gehört, als auf mich.” Überrascht runzelte sie die Stirn. “Oh… Ich war nicht dort. Ich hab es von einer Freundin gehört. Edward hat dir aber geholfen, hat sie erzählt, also denke ich doch, dass alles gut ausgegangen ist?” Ich schluckte und biss mir auf die Lippen, als ich an die Szene danach denken musste. Sollte ich ihr erzählen, was anschließend passiert war? Sollte ich ihrem Wohl Vorrang lassen und mich in den Hintergrund schieben? “Bella?” fragte sie vorsichtig nach. “Du…” “Hm?” Ich hob meine Augenbrauen, als ich ihren erschrockenen Gesichtsausdruck sah. Plötzlich schloss sie mich in die Arme und rieb mir den Rücken. “Was immer geschehen ist, es wird bestimmt wieder gut werden.” Langsam wurde mir klar, warum sie das tat, als ich spürte, wie warm und nass meine Wangen wurden. Jetzt weinte ich auch noch wegen ihm. Das war doch unglaublich. “Ich hab alles kaputtgemacht…” erklärte ich leise, um nicht zu schluchzen. “Er… wollte mich nur aufmuntern und ich… hab ihm vorgeworfen, das Gerücht in die Welt gesetzt zu haben, und… Keine Ahnung, es hat ihn ziemlich verletzt… Und dann ist er einfach gegangen…” Claire erstarrte einen Augenblick, dann drückte sie mich noch fester. “Deshalb war er heute so kurz angebunden.” “Du hast ihn getroffen?” “Ja. Ich wollte die Klavierstunde noch mal bestätigen.” “Hat er noch irgendetwas gesagt?” hakte ich nach, in der Hoffnung, etwas positives zu hören. “Nein, nichts… Ich werde nachher mal mit ihm reden. Vielleicht bekomme ich ja heraus, ob er sehr sauer ist.” Sie löste die Umarmung und sah mich fragend an. “Warum bist du eigentlich noch hier?” “Ich musste nachsitzen und jetzt wollte ich nach Hause laufen.” Ich lächelte gequält. “Soll ich dich mitnehmen?” fragte sie, doch ich winkte ab. “Dann müsstest du ja einen Umweg machen.” “Als wenn mich das stören würde…” lachte sie. Die Fahrt nach Hause schwiegen wir uns an. Es gab irgendwie kein Thema, über das ich gerade mit ihr reden wollte. Abgesehen davon, hätte ich ihr womöglich eh nicht richtig zugehört, da ich schon wieder an Edward dachte und wie ich mich bei hm entschuldigen konnte. Ob ich das überhaupt noch konnte. Ich hatte regelrecht Angst davor, sollte er mir die nächste Zeit aus dem Weg gehen wollen. Es fühlte sich an, als wäre ich süchtig nach seiner Nähe. Und seine Abwesenheit verursachte kleine Krämpfe. Mir fehlte etwas, ganz klar. Als hätte mir jemand eines meiner Körperteile entfernt. So mussten sich wohl die Leute fühlen, die Prothesen trugen. “Bella?” Claire legte sachte ihre Hand auf meinen Arm. “Hm?” Etwas verwirrt sah ich sie an. Dann bemerkte ich, dass wir bereits vor meinem Haus standen. “Oh… Okay, also danke fürs Fahren. Wir sehen uns dann Montag in der Schule?” Claire nickte lächelnd. “Bis dann… Und grübel’ nicht soviel über Edward. Ich kläre das schon.” Eine meiner Augenbrauen zog sich nach oben, doch ich sagte nichts. Ich verabschiedete mich von ihr und ging ins Haus. Mit jedem Schritt und mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde ich nervöser, wenn ich daran dachte, dass Tayk mich in weniger als drei Stunden abholen würde. Ich hatte keine Ahnung, was ich anziehen sollte. Noch dazu fuhren wir zu ihm. Und seine Eltern waren nicht da. Die Aufregung steigerte sich von Mal zu Mal. Ich rannte ins Bad und machte mich soweit fertig. Als ich mit einem Handtuch umwickelt in mein Zimmer hastete und meinen Kleiderschrank durchwühlte, wurde ich jedoch in meiner Eile gebremst, weil ich nicht fündig wurde. Ich hatte einfach nicht Alice’ Talent. Alice… Konnte Edward vielleicht recht gehabt haben mit dem, was er sagte? War Alice vielleicht wirklich nicht die Schuldige und ich hatte sie zu Unrecht beschimpft? Doch Claire… Mir fiel einfach kein plausibler Grund ein, warum sie mich so hintergehen sollte. Eigentlich wusste sie doch, wie sehr mich das verletzen würde. Um ganz sicher zu gehen, beschloss ich, sie am Montag darauf anzusprechen. Seufzend stand ich in meinem Zimmer. Wenn das noch lange dauerte, würde Tayk mich womöglich noch in Unterwäsche mitnehmen. Sofort röteten sich meine Wangen bei diesem peinlichen Gedanken. Am Ende entschied ich mich für eine blaue Jeans und ein schwarzes Oberteil, dessen nicht vorhandene Ärmel im Grunde nur aus leicht gewellten Rüschen bestand und knapp über der Schulter hingen. Zwar hatte es einen V-Ausschnitt, doch es war alles gut verdeckt. Tayk war noch immer in dem Gedanken, Edward und ich seien zusammen, also wäre es auch besser, nicht zu aufreizend zu erscheinen. Schnell zog ich mir die Sachen an und ging zurück ins Bad, um mir die Haare zu machen. Ich hatte mir bisher nie viel aus meiner Frisur gemacht und da ich jetzt alleine klar kommen musste, ließ ich sie einfach offen über die Schultern fallen. Noch ein bisschen dezentes Make-up und das war’s. Letztlich war ich sogar früher fertig als erwartet. Ungeduldig und wie auf heißen Kohlen saß ich im Wohnzimmer auf der Couch und wusste mich einfach nicht zu beschäftigen, solange wie ich warten musste. Mein Puls stieg minütlich. Als es dann an der Tür klingelte, bekam ich einen halben Herzinfarkt. Mit wackeligen Beinen lief ich zur Haustür und öffnete sie, doch zu meiner Überraschung stand nicht Tayk dort, sondern ein älterer Mann, ungefähr Mitte Vierzig, in einem schwarzen Anzug und mit einer Chauffeursmütze. “Guten Abend, Miss”, begrüßte er mich höflich. “Ich bin im Auftrag von Mr. Rooney hier und soll Sie zu seinem Anwesen bringen.” “Oh… okay.” Ich nickte zögerlich und blickte ihm über die Schulter. Am Straßenrand stand eine sehr lange, dunkle Limousine mit getönten Scheiben. Wahrscheinlich schaute jetzt mehr als die Hälfte der Nachbarn verstohlen aus ihren Fenstern und entwickelte bereits erste Theorien, warum die junge Miss Swan von einem solchen Auto abgeholt wurde. “Ich hole nur schnell meine Tasche“, sagte ich schließlich, machte wieder kehrt zurück ins Haus, um mir meine Sachen zu schnappen und folgte dann dem Fahrer zum Auto. Wie in Filmen hielt er mir die Tür auf und ich schlüpfte etwas unbeholfen hinein. Der Innenraum war riesig und die Sitze mit beigefarbenem Wildleder überzogen. Sehr weich, musste man zugeben. Trotzdem fühle ich mich unbehaglich. Es war nicht die Nervosität vor dem bevorstehenden Date, als vielmehr der große Klassenunterschied zwischen uns beiden. Ich, die Tochter eines Mittelklasse-Polizisten und er der Sohn eines reichen… Was war sein Vater überhaupt von Beruf? Er musste eine Menge Geld verdienen, so wie Tayk lebte. Der Chauffeur fuhr langsam los. Immer wieder warf er kurze Blicke in den Rückspiegel und musterte mich argwöhnisch. Mich beschlich das Gefühl, dass ich nicht das erste Mädchen war, das von ihm zum Haus der Rooneys kutschiert wurde. Mein Herz sackte in die Hose. Hoffentlich verlief das Essen ohne ungewollte Vorkommnisse, peinliche Situationen oder viel schlimmer: etwas, das ich nicht wollte. Doch was genau stellte ich mir eigentlich vor, würde passieren? Wie gut konnte ich Tayk mittlerweile einschätzen? War er nun wirklich ernsthaft an mir interessiert oder dachte er von mir ebenso wie von jeder anderen, die für ihn nur was für zwischendurch war? Worauf hatte ich mich da eigentlich eingelassen? Okay, sollte wirklich etwas geschehen, das ich nicht wollte, oder das mir ein komisches Gefühl bescherte, würde ich die Sache sofort beenden. Ich konnte mir selbst gerade nicht erklären, warum ich mir überhaupt solche Gedanken machte. In der Schule wirkte er doch sehr nett. Gar nicht wie der Typ Junge, den Edward mir beschrieben hatte. Ich seufzte laut auf und verdrängte all die verwirrenden Emotionen, die sich angesammelt hatten und versuchte, mich einfach auf einen schönen Abend zu konzentrieren. Die Fahrt dauerte länger als erwartet. Tayk musste ziemlich weit außerhalb der Stadt wohnen. Wir fuhren eine lange, mit kleinen Lichtern im Boden gesäumte Auffahrt entlang. Wenn man es genau betrachtete, hatte das Anwesen, das langsam zum Vorschein kam, sehr viel Ähnlichkeit mit Claires Haus. Allerdings war dieses Gebäude ein sehr gut erhaltener Altbau, der womöglich noch unter Denkmalschutz stand. Eine sichtbare Erinnerung an die Konföderiertenzeit. Die weiße, gepflegte Vorderfront war von einer offenen Terrasse umrahmt und zur Stütze der Balkone standen in regelmäßigen Abständen baumstammdicke Säulen. Eine kleine Treppe führte zum Haupteingang, der aus einer Doppeltür bestand. Wir hielten genau davor und der Fahrer stieg aus, um mir die Tür aufzuhalten. Ein wenig unsicher folgte ich seiner stummen Bitte und stand nun direkt vor dem Anwesen. Mein Blick wanderte über das gesamte Gebäude: Die reinen Holzwände, die hohen, rechteckigen Fenster, das schwarze, abgeschrägte Dach. Im Hintergrund sah man bereits die Sonne, die sich langsam dem Horizont näherte. Das orange Leuchten des Himmels tauchte das Haus in eine warme Atmosphäre. Während ich immer noch wie angewurzelt davor stand, fuhr die Limousine davon. Ganz langsam schaffte ich es, meine Beine nach vorne zu bewegen und schließlich den massiven Türklopfer in die Hand zu nehmen und dreimal vorsichtig gegen die Tür zu drücken. Abrupt öffnete sie sich und eine kleine, dickliche Frau sah mir misstrauisch in die Augen. “Ja, bitte?” “Ich bin mit… Tayk verabredet”, erklärte ich mich kleinlaut. Ihre Augen weiteten sich für einen Augenblick, dann lächelte sie nüchtern - vielleicht auch ein bisschen gelangweilt? “Ach so. Dann müssen Sie Isabella Swan sein, nehme ich an?” “Ja, genau die bin ich.” “Folgen Sie mir.” Mit kleinen, plumpen Schritten führte sie mich in das Innere des Hauses. Gleich am Eingang kam man in eine riesige Vorhalle, die an jeder Wand mehr als drei Türen aufwies. Ganz am Ende gab es eine seitlich ausgerichtete Treppe. Im Gegensatz zu der äußeren Erscheinung, die ja recht hell war, wurde im Inneren alles etwas dunkler gehalten. Ich machte eine Menge Rot- und Braun-Töne aus. Zwischen den Türen hingen meterhohe Gemälde von Landschaften, aber auch Portraits von älteren Personen. Möbel gab es hier kaum. Nur vereinzelt fanden sich an den Wänden kleine Sockel, auf denen Blumengestecke oder diverse Skulpturen standen. Während wir auf eines der hinteren Zimmer zugingen, hallte das Geräusch unserer Schuhe auf den braunen Fliesen wider. Ich riss meine Augen vor Erstaunen auf, als ich jetzt in dem, wie es schien, Esszimmer stand. Die Wände waren in Bordeaux gehalten, und an einer Seite hing ein pompöser Wandteppich, dessen Bild mich an die römischen Sagen erinnerte. Er war das einzige Element hier, das den Raum ein wenig erhellte. Zu sehen war eine grauweiße Treppe, die von vielen Ranken umgeben war. Zu beiden Seiten standen dünne, blätterlose Baumstämme, dessen obere Äste von einer Art zusammengerafften Gardine zusammengehalten wurden. Überall gab es blasslila Flieder und vor den Stufen ruhte ein weißer Ochse, der den Kopf zwischen seine Beine gelegt hatte. An einigen Stellen schimmerten die dicken Stickereien. Die Mitte des Raumes wurde von einem meterlangen Tisch ausgefüllt, der nur zwei Stühle aufwies. Jeweils am Kopfende. Auch zwei Gedecke waren aufgebaut. Ein ziemlich großer, flacher Teller in Silber, darauf eine weiße Serviette in Form einer Muschel. An den Seiten lagen mehrere Reihen an Besteck, während über dem großen Messer vier Gläser in Form eines Dreiecks akkurat zusammen standen. In der Mitte befand sich ein silbergrauer fünfarmiger Kerzenständer mit weißen Kerzen, die bereits entzündet waren. Ich musste bei dem Anblick schlucken. Das alles sah sehr aufwändig aus. Und das nur für ein Entschuldigungsessen. An den Seiten des Zimmers standen kleine Anrichten. Ich vermutete, sie dienten dem Personal zum Aufbau von Buffets. “Setzen Sie sich solange hin. Der Herr des Hauses wird gleich kommen”, wies mich die Dame an und verließ den Raum. Ich tat nicht gleich, was sie sagte, stattdessen ging ich langsam an den Wänden entlang und befühlte die glatte Oberfläche. Das Holz war sehr fein gearbeitet und glänzte matt im schwachen Licht des Kronleuchters. Erst jetzt hörte ich die sanfte Musik, die leise im Hintergrund spielte. Es war Klassik, ohne Zweifel. Allerdings kam es nicht an das Stück heran, das Edward für mich komponiert hatte. Für mich… Wahrscheinlich tat ihm jetzt leid, dass ich ihn dazu inspiriert hatte. Ob er die Noten in diesem Augenblick wohl verbrannte? Herzstiche… Als ich vor dem Wandläufer stand, strich ich vorsichtig über den Stoff. Er war sehr dick, aber dennoch fein gearbeitet. Wie viel der wohl gekostet hatte?… “Bella. Schön, dass du da bist.” Ich drehte mich zum Eingang und sah Tayk lächelnd in der Tür stehen, die Hände in den Hosentaschen. Er hatte eine dunkle Jeans und ein langärmliges, kaum sichtbar kariertes, helles Knitterhemd an. Die oberen beiden Knöpfe waren offen. Ich lächelte nervös zurück. “Hallo.” “Ich hoffe, das Dienstmädchen hat dich nicht zu sehr erschreckt. Sie hat ein etwas eigenwilliges Benehmen, ist aber im Grunde ganz nett.” “Oh, keine Sorge.” “Wie sieht es mit deinem Hungergefühl aus?” “Warum?” Er lachte kurz. “Unser Chefkoch hat ein Fünf-Gänge-Menü gezaubert.” Ich runzelte die Stirn, konnte aber nichts darauf sagen. “Ich hatte ihnen doch versprochen, sich austoben zu dürfen. Und falls du nicht mehr kannst, ist es auch nicht so schlimm.” “Okay”, antwortete ich langsam und versuchte alleine mit meinen Gedanken etwas mehr Platz in meinem Magen zu schaffen. Tayk kam ins Zimmer und blieb vor einem der beiden Stühle stehen, um ihn vom Tisch abzuziehen. “Darf ich bitten?” fragte er grinsend. Ich ging auf ihn zu und setzte mich, während er den Stuhl wieder heran schob. Ich verkrampfte mich ungewollt und holte tief Luft, während ich meine Hände über meine Oberschenkel wischte, um den Angstschweiß loszuwerden. Tayk währenddessen setzte sich ans andere Ende und klingelte mit einer kleinen Handglocke, die einen sehr hohen Ton abgab. Sofort kamen aus einem Eingang, der mir vorher nicht aufgefallen war, zwei Kellner heraus. Einer von ihnen hielt eine Weinflasche in den Händen, der zweite stellte sich an die Wand und beobachtete das Geschehen. Ich nahm an, dass er die Verantwortung für den Ablauf hatte. Der Bedienstete, der an Tayks Seite stand, hielt ihm das Etikett der Flasche entgegen und murmelte etwas von Anbaugebiet, Jahrgang und Geschmack. “Wir trinken Alkohol?” platzte es aus mir heraus. Tayk sah überrascht zu mir. “Ja, wenn du nichts dagegen hast. Ich finde, es passt einfach besser zum Essen. Wenn du allerdings nicht möchtest, kann ich auch etwas anderes besorgen lassen.” “Nein, nein. Mach dir keine Umstände. Das geht schon in Ordnung”, winkte ich ab, obwohl ich mir gar nicht so sicher war. Ich war nicht sonderlich gut auf Alkohol zu sprechen, und abgesehen davon fielen wir noch in das Minderjährigkeitsgesetz. Eigentlich durften wir so etwas noch nicht trinken. Mich wunderte ja schon damals im Restaurant, als Mike mit mir aus war, dass er so einfach einen Rotwein bestellen konnte. Ob seine Familie den Chef wohl kannte? Und Tayk schien Zuhause alles zu dürfen. Oder er nutzte die Abwesenheit seiner Eltern aus. Er wandte sich wieder dem Ober zu, der jetzt die Flasche am Tisch öffnete und ihm einen Probeschluck einschenkte. Wie ein großer Weinkenner schwenkte Tayk das Glas hin und her, roch am Bouquet und nahm einen winzigen Schluck, um diesen dann im Mund abzuschmecken. Nach dem Schlucken wartete er kurz ab, dann nickte er. “Ausgezeichnet.” Der Kellner verbeugte sich halb und ging mit schnellen Schritten zu mir, stellte sich an meine rechte Seite und goss mir ein. “Danke”, sagte ich rasch, um nicht zuviel zu bekommen. Wenn, dann würde ich eh nur daran nippen. Sofort stoppte er das Eingießen und ging zurück zu seinem Ausgangspunkt, um Tayk einzuschenken. “Möchtest du Wasser dazu?” hörte ich diesen vom anderen Ende fragen. “Das wäre wirklich schön.” Als hätte ich selbst den Befehl gegeben, schnippte der Angestellte, der an der Wand stand, mit den Fingern. Der Kellner mit der Weinflasche verschwand im Personaleingang, nur um ein paar Sekunden später mit einer Flasche Wasser wieder zu kommen und uns beide auch damit zu versorgen. Als er dann wieder aus dem Zimmer ging, fing der Oberkellner an, uns das Menü vorzustellen. Auf französisch, was bedeutete, dass ich nicht viel verstand. “Als kalte Vorspeise servieren wir Fruits de mer frits à la sauce rémoulade…” - irgendetwas mit Meeresfrüchten - “…Gefolgt wird dieser Gang von einer warmen Vorspeise: Tagliolinis aux gambas et aux tomates cerises avec beurre de basil…” - Nudeln und Tomaten waren enthalten. Und das immer noch als Vorspeise? - “…Als Suppe servieren wir eine Soupe à la Bouillabaisse au safran…” - ganz klar eine Fischsuppe - “…Anschließend folgt der Hauptgang: Medaillon de lotte poêlé en croûte de sésame sur lit de roquette…” - jetzt hatte ich keinen Schimmer, was mich beim Hauptgericht erwartete - “…Das Ganze wird abgeschlossen von einer Terrine de chocolat blanc avec figues fraîches au vin rouge.” - Auf jeden Fall würde Schokolade und Wein enthalten sein. Ehrlich gesagt war ich etwas misstrauisch, wenn ich daran dachte, wie das alles schmecken sollte. Ich war zwar immer diejenige, die bei uns Zuhause das Kochen übernahm, doch mit solchen, recht exquisiten Sachen - wenngleich ich auch nicht genau wusste, was alles enthalten war - hatte ich keinerlei Erfahrung. Der Ober klingelte mit seiner eigenen, kleinen Glocke und auf der Stelle kamen zwei weitere Bedienstete mit jeweils einem Teller in der Hand. Sie setzten synchron das Essen bei uns ein. Als sie sich wieder entfernten, hob Tayk das Weinglas zum Prost und wünschte mir einen guten Appetit, bevor er einen kräftigen Schluck nahm. Ich wiederholte seine Bewegung etwas zögerlich und nippte nur am Glas, dann machte ich mich nervös über das Essen her. So lief es während des gesamten Menüs ab. Zur warmen Vorspeise gab es eine andere Sorte Wein, genauso wie zum Hauptgang. Als es ans Dessert ging, wurde Mokka serviert, was mir definitiv mehr zusagte, als der Alkohol. Während des Essens unterhielten wir uns nur kläglich. Das meiste war Small Talk und handelte vom Wetter, von der Schule und von dem bevorstehenden Baseballspiel unserer High School gegen die amtierenden Sieger unseres Nachbarviertels, das nächste Woche stattfand. Ich hatte wirklich Probleme, ein richtiges Gespräch anzufangen, und ihm schien es genauso zu gehen. Mit meinem Ex-Scheinfreund fiel mir das irgendwie leichter. Die ganze Situation wirkte wie eine Farce und war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Die Gefühle dabei waren nicht das, was ich erwartete hatte. Bei Edward fühlte ich mich anders. Edward… Es war diesen Abend nicht das erste Mal, dass meine Gedanken zu ihm wanderten. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich an all die Situationen dachte, in denen wir Spaß hatten, in denen er mich aufmunterte oder mich vor anderen verteidigte. Mir wurde auch klar, dass er ziemlich gelitten haben musste an meiner Seite. Vielleicht war es ja besser, dass wir uns jetzt nicht mehr sahen. Allein dieser eine Gedanke veranlasste eine Rebellion in meinem Magen. Reflexartig legte ich meine Hand auf meinen Bauch und krümmte mich ein wenig. “Bella, alles in Ordnung? Hat was mit dem Essen nicht gestimmt?” Ich sah auf und erwartete, Tayk am anderen Ende des Tisches zu sehen, doch da war er nicht. Als sich eine Hand auf meinen Rücken legte, war mir klar, dass er neben mir stand. Seine Stimme klang besorgt. “Nur ein bisschen Magenschmerzen. Das geht gleich wieder weg”, versuchte ich ihn zu beruhigen, doch mein Körper schien andere Pläne zu haben. Ein widerlicher Geschmack entstand in meinem Mund und ich wusste, dass wenn ich nicht sofort aufs Bad lief, es ein peinliches Unglück geben würde. Ich schlug mir die Hand vor den Mund und stand abrupt auf. “Wo ist die Toilette?” presste ich hervor. Tayk zog mich schnell am Arm und lief mit mir zurück zur Eingangshalle, die wir in einem wahnsinnigen Tempo durchquerten und er mich in einen Raum am anderen Ende schob. Das Bad war sehr groß, doch ich hatte keine Zeit, mich umzusehen. Als ich die Toilettenschüssel entdeckte, rannte ich schnell darauf zu und hielt meine Haare im Nacken und meinen Kopf darüber. Vielleicht war mit dem Essen doch nicht alles in Ordnung gewesen. Als ich endlich fertig war, meinen Magen zu entleeren, wusch ich mir hastig das Gesicht und trank ein paar Hände voll Wasser, um den säuerlichen Geschmack loszuwerden. Das Waschbecken hatte goldene Wasserhähne… Als ich mich in dem riesigen Spiegel, der die gesamte Wand einnahm, betrachtete, wäre ich am liebsten weggelaufen. Ich sah jämmerlich aus. Nicht nur, dass der Abend anders verlaufen war als geplant und Tayk nach dieser Aktion wahrscheinlich eh nichts mehr mit mir zutun haben wollte; Seltsamerweise interessierte mich das plötzlich auch nicht mehr so sehr. Alles drehte sich im Moment um Edward. Genau genommen eigentlich schon den ganzen Tag. Obwohl ich gerade das hatte, was ich wollte, fühlte ich mich allein. Die Geborgenheit fehlte, die ich immer bei ihm verspürte. Wieder zuckte es unangenehm in meinem Bauch, doch dieses Mal unterdrückte ich den Würgereiz mit aller Kraft. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Theorien schlichen sich in meinen Kopf, warum mir auf einmal so schlecht war. Das Essen, ein Virusinfekt, Edwards Abwesenheit… Vor allem der letzte Grund wurde immer klarer. Wenn ich die Augenblicke zusammenzählte, in denen wir zusammen waren und ich an das ständige Herzklopfen dachte, das ich bekam, wenn er mich berührte, wenn er mir zarte Küsse auf die Wange hauchte, oder meine Hand in seine nahm… Wie wohl ich mich plötzlich fühlte, wenn er mich tröstete… Das Empfinden, das ich dabei spürte, war anders als das, welches ich bei Tayk hatte. Vielleicht war ich ja zu geblendet gewesen, um zu sehen, wen ich wirklich brauchte… wen ich wirklich wollte. Es gab so viele Zeichen, die ich scheinbar völlig ignorierte - vielleicht einfach nicht sehen wollte, aus Angst vor Edwards Reaktion darauf. Schließlich wollte er etwas von Claire. Und so wie sie ihn mittlerweile ansah, sie sogar etwas von ihm. Seufzend ließ ich mich auf den kalten Fliesenboden sinken. Es gab nur eine Möglichkeit, um herauszufinden, ob meine Theorien stimmten. Und die würde ich Montag morgen sofort in Angriff nehmen. Auch wenn Edward wahrscheinlich nicht so dachte, wie ich, wollte ich doch ganz sicher sein. Egal wie sehr es mich am Ende vielleicht verletzte. “Bella? Geht’s dir wieder besser?” Bei Tayks Stimme schreckte ich hoch. Er war ja auch noch da. Schnell stand ich auf und richtete meine Kleidung etwas. “Nur eine kleine Magenverstimmung, denke ich.” Ich versuchte, nicht allzu mitleidig zu klingen. Noch einmal betrachtete ich mich im Spiegel, dann öffnete ich die Tür und sah Tayk aufmunternd an. “Alles wieder okay.” Er glaubte mir offenbar nicht. “Du siehst ganz schön blass aus. Warte kurz.” Hastig ging er an mir vorbei ins Bad und öffnete einen weißen Schrank in der hinteren Ecke des Raumes. Als er wiederkam, hielt er mir zwei kleine, weiße Pillen und ein Glas mit Wasser entgegen. Ich runzelte die Stirn, woraufhin er wissend lächelte. “Die sind gegen Magenschmerzen. Meine Mutter hat immer welche im Haus.” “Ach so. Danke.” Ich nahm ihm alles ab, steckte die Tabletten in meinen Mund und schluckte sie mit dem Wasser herunter. “Kein Problem.” Wir gingen zurück, doch dieses Mal führte er mich nicht ins Esszimmer sondern ins Wohnzimmer. Von der Größe her ließ es nicht nach und die Wände wurden ebenfalls in einem dunklen Rot gehalten. In der gegenüberliegenden Wand war ein großer, offener Kamin eingelassen, in dem jetzt ein angenehm warmes Feuer prasselte und die Flammen ein gemütliches Licht ins Zimmer warfen. Davor stand eine riesige, weinrote Couch, über deren Rückenlehne eine edel bestickte Decke geworfen war. In der rechten Ecke machte eine kleine Sitzecke fürs Lesen einen gemütlichen Eindruck, in der linken war ein großer Sessel, neben dem ein niedriger Tisch mit diversen Weinbränden und anderen Schnäpsen in großen, eckigen Glasflacons stand. “Weißt du, eigentlich würde ich jetzt sehr gerne nach Hause, Tayk”, erklärte ich, als er mir anbot, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Mittlerweile war ich wirklich richtig müde und meine Glieder fühlten sich allmählich taub an. “Nichts da. Erst ruhst du dich ein wenig aus. In diesem Zustand lass ich dich doch nicht vor die Tür.” Er grinste halb und bugsierte mich auf die Couch, während er sich direkt neben mich setzte. “In diesem Zustand?” wiederholte ich ihn verwirrt. “Ehrlich, Bella. Es ist doch offensichtlich, dass du schwanger bist.” … Schwanger? “Ich… Ich bin nicht… schwanger”, entgegnete ich ihm schon fast verärgert. Er sah mich ungläubig an. “Und wieso warst du dann heute so bedrückt in der Schule? Weil du Angst hast, es Edward zu sagen, oder nicht?” Mit offenem Mund schüttelte ich meinen Kopf. Ich musste ihn vom Gegenteil überzeugen, ehe ein weiteres Gerücht die Runde machte. “Wirklich Tayk. Ich hab noch nie… Ich meine, ich… Edward hat Schluss gemacht, deshalb bin ich so down”, antwortete ich und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. Tayks Augen wurden schmal, dann entspannten sie sich wieder. “Und du hast wirklich noch nie…”, fing er an und hob seine Augenbrauen. Autsch. Das wollte ich eigentlich nicht erzählen. Und schon gar nicht Tayk. Wieso musste er auch auf jedes Detail, das ich sagte, achten? “Kommst du morgen eigentlich auch zur Strandparty?” fragte er plötzlich, als würde er meine Unbehaglichkeit spüren. Mich warf der abrupte Themenwechsel völlig aus der Bahn. “Was für eine Strandparty?” “Weißt du nichts davon? Morgen ist unser gesamter Jahrgang am Strand und feiert jetzt schon das baldige Ende unserer High-School-Zeit. Ich denke, dass alle da sein werden.” “Oh…”, stellte ich nur fest, während meine Stimme irgendwie nicht mehr richtig funktionieren wollte. Meine Augenlider kamen mir auf einmal sehr schwer vor und ein schläfriges Gefühl stellte sich ein. Ich nahm nur am Rande wahr, wie Tayk von der Party erzählte. Sein Bild verschwamm von Sekunde zu Sekunde mehr. “Bella…” hörte ich noch leise eine Stimme aus weiter Ferne sagen, während sich zwei große, warme Hände auf meine Wangen legten. Alles, was danach geschah, nahm ich nicht mehr wahr, da die Benommenheit mich jetzt vollkommen einhüllte und meinen Verstand der Bewusstlosigkeit wich. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Okay, es gibt jetzt tausend verschiedene Möglichkeiten, wie es weitergehen könnte...o.O°... Kapitel 12: My Guardian Angel(s) -------------------------------- Okay, das chap ist etwas komisch (irgendwie)...oO...und ich bitte euch eingehend, es bis zum Schluss zu lesen, denn ihr werdet zu hundertprozentiger Sicherheit überrascht sein...*kicher*... Es is auch wieder länger, ich glaub, wenn ich vorher schon irgendwo aufgehört hätte, hättet ihr mich gekillt...>.<.. Ach ja, und das is das Lied, das ich irgendwie passend fand, obwohl es erst etwas später richtig passt... Your Guardian Angel - The Red Jumpsuit Apparatus http://de.youtube.com/watch?v=BJbrc8nnQCo ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Nebel, der sich ganz langsam klärte… Claires Klavierzimmer, das immer deutlicher zum Vorschein kam… Sie selbst vor der Flügel und mit einem Gesicht mir gegenüber, das sowohl Erstaunen, als auch Missgunst zeigte… Ich stand vor ihr, während Edward hinter mir seine Arme um meinen Bauch geschlungen hatte und ich seinen Kopf an meiner Schläfe spüren konnte… Meine Hände lagen auf seinen… “…Ich liebe dich…” flüsterte er in mein Ohr und zog seine Umarmung noch fester. Genießerisch schloss ich meine Augen und ließ seine Worte auf mich wirken. Nur ganz langsam öffnete ich sie wieder, damit ich mich ihm zudrehen und ihn zur Bestätigung anlächeln konnte. Seine leuchtend grünen Augen strahlten mich an, dann senkte er ganz langsam sein Gesicht gen meinem. Unsere Lider schlossen sich zeitgleich, kurz bevor sich der Abstand zwischen uns auf Null reduzierte. Der Raum verschwand, sogar der Boden unter unseren Füßen löste sich in Luft auf, doch wir fielen nicht. Sanft schmiegten sich seine Lippen an meine und entfachten ein Feuer, das sich rasend schnell in meinem ganzen Körper ausbreitete, einen Wirbelsturm an Schmetterlingen in meinem Bauch auslöste und mich fast die Besinnung verlieren ließ… “Warum grinst du denn so?” Ich riss meine Augen auf und sah in das verwirrte Gesicht von Tayk. Tayk… Was… Hastig richtete ich mich auf, nur um festzustellen, dass ich nicht Zuhause war. Das Bett, in dem ich jetzt saß, war groß, doch das Zimmer noch um einiges riesiger. Die Sonnenstrahlen, die durch die hohen Fenster zu meiner Linken schienen, wirkten durch die schneeweißen Gardinen noch heller und gaben dem sonst eher dunklen Raum mehr Licht. Es gab einen ziemlich großen Schreibtisch in der einen Ecke und ein breites Regal, in dem sich jede Menge Trophäen befanden, genau daneben. Davon abgesehen hatte das Zimmer drei Türen, von denen sich eine an der freien Stelle neben dem Regal befand. Die anderen beiden waren an meiner rechten Seite. Eine davon war die Eingangstür. Das wusste ich, weil Tayk - nur in Boxershorts - durch eben diese gekommen sein musste und mich jetzt grinsend ansah. Meine eigenen Sachen waren auf dem Boden verstreut. Dass ich in Tayks Zimmer aufwachte, war eine Sache, doch viel verwirrender und schockierender war das, was ich anhatte. Ein sehr aufreizendes Negligé. Meines war es nicht. Ich besaß so etwas ja noch nicht einmal. Jemand musste es mir angezogen haben. Und das während ich geschlafen hatte… Mit Schrecken betrachtete ich mein Gegenüber, während meine Finger langsam und fest über den glatten Stoff fuhren, nur um dann hastig das Bettlaken an mich zu reißen und es mir um den Leib zu wickeln. “Warum hab ich das an?” hauchte ich mit erstickter Stimme und griff nach dem bisschen Stoff an meinem Körper, obwohl die Erkenntnis selbst langsam durchsickerte. Überrascht hob er die Augenbrauen. “Ich dachte, das steht dir vielleicht… Willst du mir etwa erzählen, du kannst dich nicht erinnern?” Benommen schüttelte ich meinen Kopf. Tayk seufzte. “Das kam über Nacht aber anders rüber. Na ja, ich werd‘s jedenfalls nicht vergessen.” Er log doch. Er musste lügen. Das konnte einfach nicht sein. An so etwas müsste man sich erinnern. Ich hatte nicht viel Alkohol zu mir genommen. Ich war noch nicht mal richtig betrunken. Wieso also hatte ich jetzt einen Black-out? Das konnte doch unmöglich wahr sein. Dass wir… Dass Tayk und ich… miteinander geschlafen hatten… Das erste Mal. Dabei sollte das doch ganz anders ablaufen. Ich wusste nicht, was ich mir vorgestellt hatte, aber mit Sicherheit nicht das. Und schon gar nicht mit ihm. Edward hatte Recht gehabt, was Tayk anging, während ich nicht auf ihn hören wollte, sondern einfach nur meinen Tagträumen hinterher gelaufen war. Wie sollte ich ihm jetzt überhaupt entgegentreten? Es war ja nicht so, dass ich ihn betrogen hatte. Dennoch fühlte ich mich so und es schmerzte ungewöhnlich stark. Ich zog meine Knie an und richtete meinen Blick langsam auf die Bettdecke, während eine meiner Hände das bisschen Satin über meiner Brust zusammenkrallte. Als wollte ich das aufkommende Schluchzen unterdrücken, hielt ich mir den Mund zu, sodass meine Tränen über meine Finger rannen. “Ich weiß wirklich nicht, was es da jetzt zu heulen gibt”, hörte ich Tayks genervte Stimme. Abrupt hob ich meinen Kopf, um ihn anzusehen. Ich war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Zu viele Erinnerungen auf einmal tauchten plötzlich in meinem Kopf auf. Edwards letzte Worte, das qualvolle Gefühl danach, das Essen mit Tayk… Und jetzt das. Sein Gesicht sah so verständnislos aus, so gelangweilt. Sein Ausdruck machte mich wütend. Sehr wütend sogar. Automatisch ballten sich meine Hände zu Fäusten. Ich biss meine Zähne zusammen, während ich aufstand und auf ihn zuging. Der Knall, als meine Hand auf seine Wange klatschte, musste im ganzen Haus zu hören gewesen sein. Nur ganz langsam drehte er seinen Kopf wieder mir zu. Mein Gesicht musste schmerzverzerrt sein. So fühlte es sich jedenfalls an. “Du hast keine Ahnung von der Liebe…” presste ich leise hervor, um meine Stimme nicht zu verlieren. “Liebe…” wiederholte er spöttisch. “Meinst du damit Edward?… Du liebst ihn, oder? Aber glaubst du wirklich, er tut das auch? Dann bist du wirklich naiv.” Fassungslos starrte ich ihn an. Was sollte das denn bedeuten? Er konnte doch nicht etwa von unserem Plan wissen. Es sei denn, Edward hatte ihm davon erzählt. Aber das war doch ausgeschlossen… Oder? Ich wusste ja, dass Edward nicht so empfand wie ich, doch es jetzt von Tayk zu hören, war wie ein Stich ins Herz. Einer von seinen Mundwinkeln zuckte nach oben. “Du kennst ihn überhaupt nicht. Wenn das nämlich einer tut, dann bin ich das.” Für einen Moment klappte mir der Mund auf, dann schloss ich ihn rasch wieder, sammelte meine Sachen vom Boden auf und stürmte aus dem Zimmer. Als ich in der Eingangshalle stand, hastete ich ins Bad und zog mich rasch an. Gehetzt wischte ich mir die Wangen trocken, als ich mein Gesicht im Spiegel betrachtete. Es sah erschreckend aus. Der Anblick verursachte nur noch mehr Tränen. Ich rannte aus dem Haus, wobei ich noch das überraschte Gesicht der Haushälterin erblickte, ehe ich draußen war und die Auffahrt abwärts lief. Immer wieder war ich kurz davor, das Gleichgewicht zu verlieren und wäre beinahe gestolpert. Noch dazu verschleierte sich meine Sicht, weil ich einfach nicht aufhören konnte, zu weinen. Das Anwesen der Rooneys schien wirklich sehr weit außerhalb der Stadt zu liegen. Nur vereinzelt entdeckte ich ein paar abgelegene Häuser, zwischen denen sich eine Menge Wald breit machte. Ich lief ohne Unterbrechung die Straße entlang; die Autos, die mir entgegen kamen, ignorierend. Ich wusste noch nicht einmal, ob es der richtige Weg nach Hause war. Immer wieder wollte sich mein Körper dem Boden nähern, doch ich schaffte es gerade so, einen weiteren Fuß vor den anderen zu setzen. Doch selbst das gelang mir nach ein paar Meilen nicht mehr richtig. Es konnte der kleinste Stein auf dem schmutzigen Asphalt liegen, Bella Swan erwischte ihn und stolperte darüber. Die Taubheit in meinem Körper war vielleicht noch ausschlaggebend für den unausweichlichen Fall. Aber sie war jetzt auch angenehm, denn ich fühlte den Schmerz in meinen Knien nicht so sehr. Oder die viel zu heißen Wangen und die, in Sturzbächen darüber laufenden Tränen. Ich ließ meinen Kopf hängen und meine Haare ins Gesicht fallen, stützte mich mit einer Hand ab, während die andere auf meinem Bauch lag, um das zerreißende Gefühl aufzuhalten, das sich gerade in mir ausbreitete. Meine Finger krallten sich in den vom Morgen noch feuchten Schmutz und mein Handballen schabte leicht auf den kleinen Kieselsteinen. Ich hatte das Gefühl, meine Lungen würden sich zusammenziehen, umso größere Atemzüge nahm ich. Ich war so in dieser Benommenheit gefangen, dass ich nicht mal richtig mitbekam, wie ein Auto hinter mir hielt und jemand panisch “Bella?” rief. Erst als sich zwei warme, kleine Hände auf meinen Rücken legten, schaute ich auf. “Alice…” formten meine Lippen überrascht. Ich schluckte. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich wollte eigentlich nicht, dass mich jemand so sah. In meiner selbst zugefügten Pein. Ich war ja Schuld an dem, was passiert war. Wenn ich nicht so gutgläubig gewesen wäre, so naiv, dann hätte es dieses Date nie gegeben. Warum musste Alice hier auftauchen? Und dann auch noch ausgerechnet sie. “Was ist passiert?” “Verschwinde…” flüsterte ich und wand meinen Blick wieder ab. Entweder hatte sie mich nicht gehört, oder aber sie wollte nicht. Stattdessen hockte sie sich vor mich hin und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Ich hatte nicht einmal genug Kraft, um ihr Widerstand zu leisten. “Du siehst schrecklich aus…” stellte sie vorsichtig fest. “Bitte…” flehte ich sie leise an. “Lass mich alleine.” “Du hast sie wohl nicht alle. Ich werde dich hier bestimmt nicht so sitzen lassen. Nicht in dem Zustand.” Einen Augenblick sah ich sie einfach nur an, um zu verstehen, warum sie das machte. Warum sie mir half. Ich hatte sie beschimpft, doch sie sah keineswegs verärgert aus. “Na komm.” Sie griff mir unter die Arme und zog mich auf die Beine. Für jemanden, der so klein war wie sie, hatte sie doch erstaunlich viel Kraft. Sie schob mich zu ihrem Auto, setzte mich auf die Beifahrerseite und stieg dann selbst ein. Noch einen besorgten Blick auf mich werfend, dann fuhr sie los. Gedankenverloren starrte ich aus dem Seitenfenster und verschränkte die Arme fest vor der Brust. Ich nahm nur am Rande wahr, wie Alice meine Hand nahm, sie sanft drückte und nicht eher losließ, bis wir Zuhause waren. Obwohl sie es war, gab ihre Geste doch einen gewissen Halt, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als unser Haus in Sichtweite kam und mir auf unangenehme Weise einfiel, dass Charlie keine Ahnung hatte, wo ich über Nacht gewesen war. Ich hatte ja sogar vergessen gehabt, ihm Abendessen zu machen. Und ausgerechnet heute hatte er auch noch seinen freien Tag. Ob ich es wohl schaffte, meinen Gram vor ihm zu verbergen? So wie ich mich fühlte, wohl eher nicht. Aber vielleicht würde er mir die Lüge abkaufen, dass es einzig und allein daran lag, weil Edward und ich Schluss miteinander gemacht hatten. Alice hielt am Straßenrand und kam auf meine Seite, als sie ausgestiegen war. Stützend legte sie einen Arm um meine Schultern, während ich meine wieder vor der Brust verschränkte. “Danke”, sagte ich, als wir die Haustür erreicht hatten und wollte die Tür öffnen, doch sie ging nicht auf. Wieso hatte Charlie abgeschlossen, obwohl er Zuhause war? Alice derweil kramte in meiner Tasche und zog den Schlüssel heraus. “Du kannst jetzt nach Hause fahren. Ab hier komme ich auch selbst zurecht”, sagte ich, als sie die Tür öffnete und mich hinein schob. “Nichts da. Ich lass dich heute nicht alleine”, konterte sie. “Das bin ich nicht. Charlie ist auch noch da.” Ungläubig hob sie die Augenbrauen, ehe sie weiter ins Hausinnere ging. “Er ist aber nicht der Typ für solche Situationen.” Ich war etwas überrascht über ihre Bemerkung, denn sie hatte meinen Dad erst einmal getroffen, sagte aber nichts dazu. Ich folgte ihr in die Küche, während ich meine Arme fester um mich schlang. Irgendwie war mir kalt und das, obwohl die Temperaturen doch sehr sommerlich waren. “Er ist arbeiten”, sagte Alice plötzlich. Fragend sah ich sie an. “Was?” “Dein Dad. Er ist arbeiten. Hier.” Sie hielt mir einen kleinen Zettel hin. Hi Bells. Wenn du nach Hause kommst, bin ich wahrscheinlich schon weg. Hank ist krank geworden. Deshalb springe ich für ihn ein. Ich hoffe, du und Claire habt gestern noch was fürs Schulprojekt geschafft und seid nicht zu sehr ins Plaudern gekommen. Bis heute Abend. Charlie Meine Augen weiteten sich. Irgendjemand musste meinem Vater erzählt haben, ich sei die Nacht über bei Claire gewesen, um etwas für die Schule zu machen. Hatte Tayk das eingefädelt? Warum machte er sich die Mühe und zog sogar Claire mit hinein? Ich wusste im Moment nicht, ob ich darüber glücklich sein sollte oder nicht. Das einzig Gute, das diese Sache hatte, war dass ich mir keine Ausrede mehr für Charlie ausdenken musste. Und dass er nicht Zuhause war, hatte auch seine Vorteile. Ich musste ihm nichts vorspielen. “Ich geh duschen”, teilte ich Alice mit leiser Stimme mit und verschwand aus der Küche, um direkt ins Bad zu gehen. Als ich in den Spiegel schaute, hätte ich ihn am liebsten von der Wand gerissen. Ich sah noch schlimmer aus, als vorhin in Tayks Haus. Meine Augen waren noch geröteter, noch verweinter. Schnell wandte ich meinen Blick wieder ab, stellte die Dusche an und zog mich aus. Zu meinem Verdruss stellte ich fest, dass ich immer noch dieses widerwärtige Dessous anhatte. Ich riss es mir förmlich vom Leib und warf es in eine Ecke, um es nicht weiter sehen zu müssen. Es erinnerte mich auf schmerzvolle Weise an das, was in den letzten Stunden passiert war - obwohl ich es ja eigentlich nicht wirklich wusste. Das Wasser prasselte in schnellem Rhythmus auf den Duschboden und der Dampf, den die heiße Temperatur verursachte, belegte den Spiegel und das Fenster langsam mit einem trüben Film. Als ich mich hinunterstellte, seufzte ich laut auf. Das heiße Wasser war angenehm auf meiner Haut, obwohl ich das Gefühl hatte, dass es ruhig noch ein paar Grad mehr haben könnte. Es war, als würde nicht nur sichtbarer Schmutz von mir heruntergespült werden, sondern vielmehr. Und dennoch kam es mir vor, als bliebe alles an mir haften. Ich hockte mich auf den Boden und schlang meine Arme um meine angewinkelten Knie, während ich meine Stirn darauf bettete. Was genau war in den letzten vierundzwanzig Stunden so verdammt schief gelaufen? Erst das Gerücht in der Schule, wofür ich auch noch Alice verantwortlich gemacht hatte, obwohl ich nicht mal Beweise hatte - und sie schien noch nicht einmal sauer zu sein; dann die Sache mit Edward… Und letztendlich das Date mit Tayk. Dabei war er den ganzen Abend freundlich geblieben. War das nur eine Farce, um mich zu täuschen? Um mich ins Bett zu kriegen? Das war doch völlig absurd. Was sollte er sich denn davon erhoffen? Es gab weitaus hübschere Mädchen an der Schule, die noch nicht einmal mein Talent, alles zu verderben, besaßen. Oder… vielleicht wollte er sich gerade damit rühmen. Dass er unfallfrei bis zum Äußersten gehen konnte. Obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass überhaupt jemand sein Image mit so etwas schmücken wollte. Egal welchen Grund er hatte… Die Tatsache, dass ich mich benutzt fühlte, wurde durch nichts gelindert. Angestrengt versuchte ich mich daran zu erinnern, was eigentlich passiert war, doch es wollte einfach kein einziges Bild in meinem Kopf auftauchen. Vielleicht war das ja auch besser so. Obwohl ich doch normalerweise dabei hätte aufwachen müssen, oder nicht? Das einzige, was mir noch einfiel, war dass mir schlecht wurde und ich mich übergeben musste, Tayk mir dann ein paar Magentabletten gegeben hatte und ich etwas später ziemlich müde wurde… Konnte es sein, dass die Medizin sich nicht mit dem Alkohol in meinem Körper vertragen hatte? Wenn man getrunken hatte, sollte man ja keine Medikamente zu sich nehmen. Also hatte ich mich praktisch selbst außer Gefecht gesetzt und Tayk leichtes Spiel gelassen. Ich hatte mich selbst ins Unglück gestürzt. Mal wieder… Doch nicht die kleinste Erinnerung an die Nacht. Nur an den Traum, den ich hatte und der zur Abwechslung mal nicht unangenehm war. Ganz im Gegenteil. Es ging ja um Edward und dass er mir gesagt hatte, dass er mich liebte. Da hatte es sich nicht nur ernst angehört. Ich wusste auch, dass er es ernst gemeint hatte. Ein kleines, niedergeschlagenes Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, verschwand aber schnell wieder. Ein Traum blieb ein Traum. Wunschdenken um genau zu sein. Nicht dass ich vorher schon keine Chancen bei ihm gehabt hatte. Nachdem was jetzt passiert war, würde er womöglich noch nicht einmal mehr mit mir reden wollen. Warum musste die Liebe auch so verdammt schmerzvolle Umwege nehmen? Oder in die falsche Richtung führen? Hätte ich früher erkannt, was ich fühlte - oder besser gesagt, für wen ich etwas empfand -, hätte es das Date mit Tayk nie gegeben und ich wäre jetzt nicht in dieser Lage. Wäre Edward jetzt hier… Würde er mich in den Arm nehmen - und wenn es nur freundschaftlich wäre-… Ich würde mich auf der Stelle etwas besser fühlen. Doch soweit würde es mit Sicherheit nicht mehr kommen. Noch nicht einmal mehr reden könnte ich mit ihm. Ich hatte ihn vertrieben. Denjenigen, den ich brauchte, hatte ich fortgejagt. Verdammt! Verdammt. Verdammt… Ein neuer Schwall Tränen suchte sich seinen Weg aus meinen Augen und vermischte sich mit dem heißen Wasser, das ununterbrochen auf mich nieder rauschte, ohne dass ich es wirklich realisierte. Das Schluchzen brachte meinen ganzen Körper zum zittern und ich klammerte mich noch fester um meine Beine. “Bella?” Das war Alice und sie klopfte jetzt gegen die Tür. “Bist du immer noch da drin?” Ich hatte einfach keine Stimme, um ihr zu antworten. Ich wollte es noch nicht mal. Was konnte sie schon tun? Edward ersetzen? Mit Sicherheit nicht. “Bella, wenn du noch länger unter der Dusche stehst, wird deine Haut noch ganz runzlig.” Meinte sie das ernst oder sollte das ein Witz sein? Wenn ja, war er nicht lustig. Als wenn es noch irgendjemanden kümmerte, wie meine Haut aussah. “Wenn du nicht von allein kommst, trete ich die Tür ein!” drohte sie plötzlich und kurz danach hörte ich ein “Oh“, während jemand das Bad betrat. Das Geräusch war aber eigentlich viel zu leise, als dass sie ihr Vorhaben in die Tat hätte umsetzen können. Ich musste wohl vergessen haben, abzuschließen. Leise, langsame Schritte näherten sich mir, dann wurden die rauen Plastikduschwände beiseite geschoben. “Oh mein Gott…” hörte ich Alice flüstern und kurz darauf drehte sie das Wasser ab, holte ein riesiges Badetuch und legte es um meinen Körper, während sie mich aus der Duschwanne hob. “Mir geht’s gut”, erklärte ich leise. Oh, wie schlecht ich doch lügen konnte. Wieso versuchte ich es überhaupt, wenn es mir eh keiner abkaufte? “Bella, du hast sie nicht alle. Das sieht sogar ein Blinder, dass du total fertig bist.” Ohne auf ihren Kommentar einzugehen, drehte ich meinen Kopf kurz zum Fenster. Hatte ich dort gerade etwas gesehen? Wahrscheinlich war es nur meine Einbildung. Im Moment war ich sowieso nicht zurechnungsfähig. Mit einem Arm um meine Schultern brachte sie mich in mein Zimmer und rubbelte mich trocken. Anschließend kramte sie eine Jogginghose und ein T-Shirt aus meinem Schrank, gab es mir zum Anziehen und bugsierte mich aufs Bett, um mich in eine warme Decke einzuwickeln. “So, ich hole schnell den heißen Kakao, den ich gemacht hab und dann reden wir.” Das war kein Vorschlag, das war ein Befehl und ich hatte nicht das Gefühl, mich ihr widersetzen zu können. In Rekordgeschwindigkeit hatte sie zwei große Pötte mit einer dampfenden Flüssigkeit hergebracht und mir einen davon in die Hand gedrückt, während sie sich mir gegenüber aufs Bett setzte. Sogar Schlagsahne war oben auf. Für ein paar Sekunden inhalierte ich den süßlichen Duft mit geschlossenen Augen, ehe ich vorsichtig daran nippte. Die Schokolade war wirklich köstlich und die Wärme breitete sich angenehm in meinem Körper aus. “Schmeckt es dir?” fragte mich Alice. Ich öffnete meine Augen und versuchte ein kaum sichtbares Lächeln. Auch wenn ich nicht mehr zustande brachte, schien ihr das zu genügen. “Ein Rezept von meiner Grandma. Für schlechte Zeiten.” “Sie muss ein Genie gewesen sein”, nuschelte ich. Alice lächelte zustimmend. “Also”, fing sie nach ein paar Minuten des Schweigens an. “Was ist passiert?” Ich sah sie über den Rand meines Bechers hinweg an, die möglichen Antworten meinerseits abwägend. Ich ging immer noch davon aus, dass sie das Gerücht verbreitet hatte, obwohl mein Standpunkt schon langsam anfing zu bröckeln. “Willst du wieder was zu erzählen haben?” warf ich ihr leise vor. Es klang nicht so provokant, wie ich es eigentlich beabsichtigt hatte. Alice verzog das Gesicht. “Ich weiß wirklich nicht, wie du auf so was kommst. Ich hab überhaupt keinen Grund, mich über dich auszulassen.” Ich schnaubte leise. “Es wussten nur drei Leute davon. Edward, Claire und du.” “Und du bist dir felsenfest sicher, dass es nicht deine so genannte Freundin war, ja? Ich finde sie etwas seltsam. Ihre Art verpasst mir eine Gänsehaut…” “Sie würde so etwas nicht tun, okay?” konterte ich leicht bissig, aber ich spürte, dass meine Überzeugung langsam wankte. Ich kannte Claire schon mein halbes Leben lang. Ich konnte ihr doch nicht einfach so misstrauen. Und jetzt? Nicht nur Alice schien sie nicht zu mögen, Edward hatte etwas ähnliches angedeutet. Edward… Bei dem Gedanken an ihn fing mein ganzer Körper wieder an zu schmerzen. “Bella, alles in Ordnung?” Alice hatte eine Hand auf meine gelegt, die sich um die Tasse klammerte, und sah mich mit großen Augen an. Ich musste gezittert haben. “Hör zu. Ich würde nie etwas tun, dass dich verletzen könnte. Als ich gesagt hab, dass wir beste Freunde werden, war das ernst gemeint. Ich bin noch immer überzeugt davon.” Einen Augenblick sah ich sie einfach nur an und ließ mir ihre Worte durch den Kopf gehen. Dabei war das wirklich schwierig, da mein Gehirn im Moment einfach nicht richtig arbeiten wollte. “Wenn du wirklich der Meinung bist, sie hätte nichts erzählt, dann hat vielleicht jemand euer Gespräch belauscht”, fuhr sie fort. Ich runzelte die Stirn und langsam bekam ich einen kleinen Anflug von Reue. An diese Möglichkeit hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich versuchte mich daran zu erinnern, ob vielleicht jemand Verdächtiges in unserer Nähe gewesen war. Lauren zum Beispiel. Oder Tayk…? Vor ein paar Tagen hätte ich ihm so etwas noch nicht zugetraut, aber jetzt… Dabei war er doch Edwards Freund. Wie standen die beiden überhaupt zueinander? Und würde ein Freund der Freundin des Kumpels so etwas antun? Bei der Erinnerung verkrampfte ich mich ungewollt und biss meine Zähne zusammen, um nicht in das alte Schluchzen zurückzufallen, obwohl ein paar stumme Tränen trotzdem kurz davor waren, auszubrechen. Eine Bewegung auf dem Bett signalisierte mir, dass Alice ihren Becher auf den Nachttisch gestellt und sich neben mich gesetzt hatte, um mich in den Arm zu nehmen. “Bella, alles wird wieder gut, okay?” versuchte sie mich zu beruhigen, doch ich konnte sie einfach nicht ernst nehmen. Dafür war es jetzt zu spät. Niemand konnte das, was passiert war, wieder rückgängig machen. Dabei hätte ich ihr so gerne geglaubt. “Weißt du… Edward und ich waren gar nicht richtig… zusammen”, murmelte ich plötzlich fast lautlos vor mich hin. “Wie meinst du das?” fragte sie vorsichtig nach, ohne das sanfte Reiben meines Arms zu unterbrechen. “Das… war nur eine… Scheinbeziehung”, erklärte ich leise mit zittriger Stimme. “Um ihn mit Claire zu verkuppeln.” “Das ist die blödeste Idee, die ich je gehört hab.” Ich lachte gequält auf und konnte das Schluchzen langsam nicht mehr unterdrücken. “Ja, völlig idiotisch, oder?” “Ihr saht überhaupt nicht so aus, als wäre das alles gespielt gewesen”, stellte sie fest. “Edward ist ein guter Akteur.” “Mag ja sein, aber… Ich weiß nicht. Es hatte eine Menge Echtheit.” Ich wollte ihr etwas entgegnen, doch mir fiel einfach nichts ein. “Wie sollte das überhaupt funktionieren? Ich meine, wenn meine Freundin mit jemandem zusammen ist, dann ist ihr Freund doch von vornherein tabu für mich.” “Das ist kompliziert.” Ich war gerade wirklich drauf und dran, ihr alles zu erzählen. Wieso tat ich das denn jetzt auf einmal? “Versuch’s einfach”, ermutigte sie mich einfühlend und drückte leicht meine Schulter. Ich holte tief Luft und versuchte, in möglichst wenigen Sätzen alles zu erklären. “Es… hat sich herausgestellt, dass all die bisherigen Jungs, die sich mit mir getroffen haben, im Endeffekt nur etwas von Claire wollten. Und Letztere hat sich am Ende dann auch darauf eingelassen, nachdem meine Dates sozusagen Schluss gemacht hatten. Da Edward was von ihr wollte, sind wir zu dem Schluss gekommen, dass das die beste Möglichkeit ist, um die beiden sich annähern zu lassen.” “Ich kann sie nicht leiden”, platzte es plötzlich aus Alice heraus. “Wie bitte?” Verwirrt hob ich meinen Kopf und sah sie an. “Claire. Sie ist so… Besitz ergreifend.” “Du kennst sie doch überhaupt nicht.” “Das muss ich auch nicht. Ein Blick genügt, um zu sehen, dass sie mit Anderen nur spielt. Ich würde mich nie an den Kerl heranmachen, der meine Freundin fallen gelassen hat. Und schon gar nicht, wenn er sie benutzt hat, um an mich heranzukommen.” Seltsam. Ich sollte mich aufregen, weil sie Claire schlecht machte, doch ihre Worte hatten etwas sehr tröstendes. Irgendwie hatte sie ja recht. Es tat immer weh, den Jungen, mit dem ich mir mehr erhofft hatte, plötzlich mit Claire zu sehen. Ich hatte ihr nie gezeigt, wie schmerzlich es war. Sie sollte schließlich glücklich sein. “Ich geb zu, dass es da Ausnahmen gibt”, redete Alice weiter. “Wenn sich herausstellt, dass es die große Liebe ist, die, sagen wir, versehentlich mit der falschen Person zusammen war, dann könnte ich das irgendwo noch nachvollziehen. Aber Claire sieht nicht so aus, als ob sie so was schon mal gefühlt hat oder je haben wird.” “Sie ist sehr anspruchsvoll”, warf ich verteidigend ein. “Sie ist ein reiches, verzogenes Mädchen.” “Alice…”, warnte ich sie. “Tut mir leid, aber ich mag sie einfach nicht. Sie ist mir nicht geheuer.” “Ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit.” Sie gab mir ein wissendes Lächeln. “Ich glaube übrigens nicht, dass das mit euch noch lange hält.” Fragend sah ich sie an. “Wovon redest du?” “Das mit dir und Claire.” “Wie kommst du denn jetzt darauf?” Misstrauisch schoben sich meine Augenbrauen zusammen. “Sie will etwas von Edward, oder?” “Na ja…” fing ich an und lehnte mich wieder an ihre Schulter. “Ich glaube, sie hat mittlerweile ein… gewisses Interesse an ihm gefunden. Das würde sie aber niemals zugeben, solange sie denkt, er und ich seien noch zusammen.” Ich musste tief einatmen, um meine Fassung nicht wieder zu verlieren, als ich an ihn dachte - und alles, was damit verbunden war. “Wenn du mich fragst, hat sie das schon lange. Gab es überhaupt mal jemanden, mit dem sie zusammen war, der sich ausnahmsweise nicht vorher mit dir getroffen hat?” Für einen kurzen Moment stockte mir der Atem, denn unglücklicherweise musste ich ihre Frage verneinen. “Siehst du? Und genau da liegt das Problem. Ich denke, sie spielt dir nur was vor.” “Hör auf damit, Alice. Ich bin mit ihr befreundet. Warum sollte sie so etwas machen?” “Da bin ich leider überfragt. Tut mir leid”, seufzte sie. Ich hatte allen Grund, ihr wegen dem, was sie von Claire behauptete, eins zu verpassen, doch ihre Worte brachten das Bild, das ich von meiner besten Freundin hatte, langsam ins Wanken. Plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher, ob sie so makellos war, wie ich immer gedacht hatte. Gleichzeitig hätte ich mich selbst ohrfeigen können, dass ich überhaupt daran zweifelte. “Aber ich denke, dieses Mal hat sie schlechte Karten”, kicherte Alice auf einmal. “Edward will nämlich nichts von ihr.” Abermals hob ich meinen Kopf und musterte sie verwirrt. “Ich… versteh nicht ganz. Hast du denn mit ihm geredet?” Sie nickte. “Gestern nach der Mittagspause. Er hat sich bei mir für deine Vorwürfe entschuldigt. Allerdings sah er ganz schön fertig aus.” Betrübt senkte ich meinen Blick und schniefte. “Weil ich ihn verärgert hab. Dabei war es nur ein Versehen. Ich war einfach so verletzt und-” Alice legte ihre Finger auf meine Lippen und verhinderte somit jedes weitere Wort. Sie lächelte mich sanft an. “Was auch immer du zu ihm gesagt hast. Er ist dir nicht wirklich böse. Ich glaube, er kann das gar nicht richtig. Man könnte sagen, dass er ein wenig angeknackst war, aber das ist auch schon alles.” “Und was hat das jetzt mit Claire zutun?” Sie grinste auf einmal, als würde es ihr Spaß machen, negative Dinge über sie zu erzählen. “Edward hat sie kaum beachtet, als sie plötzlich bei uns aufgetaucht ist. Wenn er wirklich etwas von ihr wollte, dann hätte ihm eure kleine Auseinandersetzung nicht so mitgenommen und er hätte Claire auch freudiger empfangen. Stattdessen hat er sie links liegen lassen, was ihr sichtlich missfallen hat.” Ich riss meine Augen auf. Edwards Verhalten war in letzter Zeit so seltsam gewesen. Und ich konnte mir einfach nicht erklären warum. Dabei dachte ich felsenfest, das Zusammensein mit Claire wäre sein wichtigstes Ziel. Alice betrachtete mich grinsend und schüttelte den Kopf. “Du hast es noch gar nicht gemerkt, oder?” “Was?” “Du bist ihm wichtiger als alles andere, Bella. Er-” “Warte!” Ich holte tief Luft und starrte sie einfach nur mit offenem Mund an. “Du willst mir doch nicht sagen, dass… dass er…” Sie nickte. “Er mag dich. Wenn man überhaupt noch von mögen reden kann. Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass es sogar mehr ist.” “Hat er dir das erzählt?” “Das braucht er nicht. Das sehe ich auch so. Er wollte heute Abend auf der Party eh noch mal mit dir reden.” “Nein…!” hauchte ich. Diese Aussage brachte alles in mir durcheinander. Einerseits bekam ich ein unbeschreibliches Glücksgefühl, dass sich rasend schnell in mir ausbreitete und mir Schmetterlinge in den Bauch setzte, meinen Puls rasen ließ und meine Wangen unnatürlich rot färbte, doch gleichzeitig wurde ich so unglücklich, dass es fast mein Herz auseinander riss. Gerade jetzt, wo das mit Tayk passiert war. Der Zeitpunkt der Erkenntnis war nicht nur unpassend, sondern womöglich auch schon zu spät. Jetzt konnte ich ihm erst recht nicht mehr unter die Augen treten. Es würde ihn noch mehr verletzen, als es mich bereits hatte. Diesen Schmerz wollte ich ihm nicht zufügen. Unter keinen Umständen. Also musste ich mich von ihm entfernen. Soweit wie möglich. Ich fing bei dem Gedanken wieder an zu zittern und das mehr als zuvor. Krampfhaft versuchte ich, die Tränen zu unterdrücken, die wieder aufkommen wollten, doch so richtig funktionierte das nicht. “Bella?… Bella!” Alice riss mir die Tasse aus den Händen, stellte sie ab und legte ihre Hände an meinen Kopf, um ihn an ihre Halsbeuge zu betten. “Schh…” machte sie und wippte langsam hin und her. “Irgendetwas ist gestern passiert, oder?” stellte sie fest. “So, wie ich dich heute morgen gefunden habe, muss es ja ziemlich… schlimm gewesen sein.” Sie wartete auf eine Antwort, doch ich schwieg. “Verrätst du es mir?… Bitte…” Obwohl ich eigentlich vorhatte, niemandem davon zu erzählen, bekam ich das dringende Bedürfnis, mich jemandem anzuvertrauen. Und obwohl ich Alice gegenüber voreingenommen gewesen war, schien sie mir jetzt genau die Richtige. “Ich… Gestern hatte ich eine Verabredung mit… Tayk.” Plötzlich fiel es mir sehr schwer, seinen Namen auszusprechen. “Und jetzt hast du das Gefühl, Edward hintergangen zu haben?” schlussfolgerte sie, doch ich schüttelte ganz leicht meinen Kopf. “Das ist es nicht. Jedenfalls nicht so. Edward wusste ja, dass ich mich mit seinem Freund treffe”, flüsterte ich. “Warte mal… Die Gegend, in der ich dich heute gefunden habe. Da bist du nicht erst heute morgen hingekommen, oder?” Still schüttelte ich abermals meinen Kopf. “Wohnt Tayk irgendwo dort?” Ich nickte. “Also hast du bei ihm übernachtet?” hakte sie vorsichtig nach. Ich nickte erneut. “Aber ihr habt doch nicht…” Sie hielt mitten im Satz inne und holte tief Luft, selbst schon ahnend, was kommen würde. Ich fing nur noch mehr an zu zittern. “Ich weiß es nicht”, murmelte ich schluchzend. Alice drückte mich ein Stück von sich, um mich anzusehen, doch ich konnte ihren Blick nicht erwidern. “Was soll das heißen, du weißt es nicht?” “Dass ich keine Ahnung habe, was genau los war. Ich wurde auf einmal sehr müde und das nächste, an das ich mich erinnern konnte, war dass ich in… seinem Bett aufgewacht bin. Außerdem hat er es zugegeben und da ich nicht weiß, was war, kann ich es auch nicht abstreiten…” Sie schwieg kurz und den Stirnfalten nach zu urteilen, dachte sie angestrengt nach, ehe sie wieder etwas sagte. “Ich gehe davon aus, dass wenn du wach gewesen wärst, du dich nicht darauf eingelassen hättest, richtig?” “Ganz sicher…” “Also hat er dir was gegeben, damit du ruhig bist.” Erschrocken riss ich die Augen auf. Meinte sie das ernst? Würde er soweit gehen? Nicht dass ich schon selbst zu dem Schluss gekommen war, dass er die Situation ausgenutzt hatte, doch jetzt hörte es sich an, als wenn er es von vornherein geplant hätte. Vielleicht sogar schon, als er sich mit mir verabredet hatte. Demnach war sein Interesse an mir nur… vorgegaukelt. Oder besser gesagt anderer Natur. Nicht meiner Person Willen, sondern zum Spaß… “Das… Das glaub ich nicht… Wahrscheinlich hat sich der Alkohol nicht mit den Magentabletten vertragen und mich lahm gelegt…” versuchte ich meine Schläfrigkeit zu rechtfertigen, obwohl ich selbst nicht mehr so sicher war. “Alkohol… und Magentabletten…?” wiederholte Alice schockiert. “Ich hab nicht viel getrunken. Und nach dem Essen ist mir schlecht geworden und Tayk hat mir ein paar… Magentabletten… gegeben.” Während ich die letzten Worte immer langsamer aussprach, wurde Alice und mir gleichzeitig klar, dass es womöglich nicht die Medikamente waren, für die ich sie gehalten hatte. Wir starrten uns beide an, immer noch die Erkenntnis vor unseren Augen. Plötzlich kramte sie in ihrer Tasche und holte ein Handy heraus. “Was hast du vor?” fragte ich sie misstrauisch. “Dieser Kerl gehört angezeigt!” presste sie wütend hervor und tippte bereits auf der Tastatur. Sofort riss ich ihr das Telefon aus der Hand. “Bitte nicht, Alice”, flehte ich leise. “Ich will das einfach nur vergessen, okay?” Ungläubig musterte sie mich. “Er muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden, Bella. Du kannst ihn doch nicht einfach so damit durchkommen lassen.” “Du verstehst nicht… Ich will einfach keine einzige weitere Sekunde an dieses Thema verschwenden. Außerdem will ich Charlie keinen Kummer bereiten. Er ist jeden Tag auf Arbeit und sieht schon genug Verbrechen. Ich will nicht, dass er auch noch ein Drama in der eigenen Familie durchleben muss…” Bei meinen Worten sah sie mich gequält an und überlegte lange. Dann streckte se ihre Hand aus, um mir zu signalisieren, dass sie ihr Handy wiederhaben wollte. “Einverstanden… Und was ist mit Edward?” Ich schluckte. “Er soll es auch nicht wissen. Ich will ihm das nicht antun. Außerdem ist es ja meine Schuld gewesen. Schließlich hatte er mich gewarnt, aber ich hab nicht auf ihn gehört.” Ich versuchte ein Lächeln, doch so richtig klappte es nicht. “Bella!” seufzte sie schockiert und nahm mich in die Arme. “Du bist an gar nichts Schuld, hörst du? Dieser Mistkerl hat deine Gutgläubigkeit aufs Schlimmste ausgenutzt. Du bist die Letzte, die sich dafür verantwortlich fühlen sollte. So was will ich nie wieder hören, okay?” Ich wusste nicht warum, aber auf einmal rannen mir wieder Tränen über die Wangen. Nicht weil ich traurig war, eher weil mich ihre Worte auf eine seltsame Weise trösteten. Zum Dank erwiderte ich ihre Umarmung. “Du solltest trotzdem mit Edward reden”, fing sie aus heiterem Himmel wieder an. “Was?” “Du musst ihm ja nichts erzählen, was du nicht willst. Aber du solltest dich entscheiden, wie es weitergeht und ihm deinen Entschluss dann mitteilen, damit er nicht im Ungewissen bleibt.” “Ich… Ich kann mich nicht mit ihm treffen. Das geht einfach nicht. Er würde sofort merken, dass etwas nicht stimmt und… dann müsste ich es ihm erklären und dann…” Ich schüttelte panisch meinen Kopf, doch Alice hielt ihn plötzlich mit ihren Händen fest. “Doch. Heute Abend am Strand. Und wenn du es nicht machst, dann ruf ich ihn jetzt an und bitte ihn, herzukommen”, drohte sie. “Das tust du nicht.” Es fiel mir schwer, meinen eigenen Worten zu glauben. Statt zu antworten, zog sie wieder ihr Handy heraus und hielt es extra weit weg, damit ich nicht herankam. Ich beugte mich nach vorn und streckte meinen Arm aus, doch dieses Mal lehnte sie sich zurück und ließ mir keine Chance. “Bitte, Alice…” flehte ich sie an, doch sie wartete bereits das Klingeln ab. Ich war hin- und hergerissen, zwischen der Wahl, Edward schon in ein paar Minuten entgegentreten zu müssen - und dafür fühlte ich mich überhaupt nicht in der Lage -, oder erst heute Abend, wobei ich mich bei letzterem noch darauf vorbereiten konnte. “Na schön”, gab ich nach. “Am Strand…” Alice schenkte mir ein kleines, mitfühlendes Lächeln, ehe sie die Verbindung unterbrach. Sie legte eine Hand auf meinen Arm und fuhr sachte darüber. “Glaub mir, es ist besser so. Und vielleicht lenkt dich die Party etwas ab.” Innerlich verkrampfte ich mich schon, alleine bei dem Gedanken an später. Als wir uns auf den Weg zum Strand machten, senkte sich die Sonne bereits, doch es war noch angenehm warm. Am Horizont hatte sich ein rot-oranger, breiter Streifen gebildet, der sich auf der Wasseroberfläche spiegelte. Es herrschte nur leichter Wellengang. Bevor wir losgefahren waren, hatte ich dieses Mal daran gedacht, Charlie eine Notiz zu hinterlassen. Ich fühlte mich nicht in der Lage, ihm Abendessen zu bereiten und bat ihn, sich beim Pizzaservice etwas zu bestellen. Ich ging nicht davon aus, dass er mir das übel nehmen würde. Alice hatte sich noch den ganzen Tag bei mir aufgehalten. Sie wollte mich einfach nicht alleine lassen. Außerdem hatte sie sich wirklich bemüht, mich auf jede erdenkliche Weise abzulenken, und trotzdem konnte mich an diesem Tag nichts wirklich erheitern und meine Gedanken wanderten immer wieder zurück zu dem grauenvollen Morgen. Sie hatte sogar meine Sachen gepackt, inklusive Badezeug, für den Fall, dass wir noch Nachts ins Wasser gehen würden. Und das, obwohl ich ihr gesagt hatte, dass mich dazu eh niemand überreden konnte. Sie kicherte nur und meinte, wir würden ja sehen. Wir putzten uns nicht groß heraus und ich beließ es einfach bei Jeans und einem kurzärmligen Oberteil, im Gegensatz zu Alice, die aus allem etwas Besonderes zaubern konnte. Und das, obwohl sie eigentlich nur ein türkisfarbenes, knielanges Kleid trug. Die ganze Fahrt über hatte ich darüber gegrübelt, was ich zu Edward sagen sollte. Und was nicht. Doch das Nachdenken fiel mir mittlerweile mehr als schwer und es war nicht einfach, einen einzigen, klaren Gedanken zu fassen. “Warum warst du eigentlich in dieser Gegend heute morgen?” fragte ich Alice, als wir das Auto am Straßenrand geparkt hatten und uns jetzt auf den Weg zum Strand machten. “Nenn es eine Vorahnung”, lächelte sie. Verwirrt sah ich sie an. “Na ja. Ich war heute morgen schon einkaufen… Für heute Abend, weißt du, und irgendwie hatte ich das Gefühl, ausnahmsweise mal den Weg nehmen zu müssen. Wie sich ja herausgestellt hat, war das die richtige Wahl.” Sie lächelte und ich wollte es erwidern, doch mit jedem Schritt, den wir näher kamen, hämmerte mein Herz schneller und meine Beine wurden wackelig. Der Strand war bereits gut gefüllt. Überall tummelten sich kleine Gruppen. Eine riesige, leicht erhobene Tanzfläche aus hellen Holz war aufgebaut und an den armdünnen Säulen an jeder Ecke waren Lichterketten aufgehängt. Sie leuchteten in verschiedenen Farben. Wenn es richtig dunkel sein würde, kämen sie mit Sicherheit besser zur Geltung. An einem Ende der Fläche war eine Tribüne und eine Band spielte bereits. Ich kannte sie nicht, doch Alice flüsterte mir ins Ohr, dass sie sich The Red Jumpsuit Apparatus nannten. An drei Seiten der hölzernen Fläche, etwas niedriger angelegt und durch Stufen mit dem Tanzbereich verbunden, ging es mit einer weiteren Ebnung weiter, auf der sich jede Menge kleine, runde Tische mit Stühlen befanden. Etwas weiter weg gab es sogar eine kleine Bar und ein paar Kellner. Einige Meter entfernt war schon ein meterhoher Kegel an Geäst aufgebaut worden und für das spätere Lagerfeuer bereitgestellt. Ich hatte wirklich nicht mit diesem Ausmaß gerechnet. Es musste eine Menge Geld dafür ausgegeben worden sein. Ich hatte nicht gewusst, dass unser Schülerkomitee soviel in der Kasse hatte. Obwohl… Da Claire die Vorsitzende war, konnte ich mir gut vorstellen, dass sie etwas beigesteuert hatte. Allerdings wusste ich bis gestern noch überhaupt nichts davon. Mir kam es so vor, als wäre ich die einzige Unwissende gewesen, und das, obwohl Claire doch Bescheid gewusst haben musste. Noch ein Punkt für Alice’ Meinung. Nervös suchte ich die Köpfe der Leute ab, um zu sehen, ob ich jemanden Bestimmten unter ihnen finden konnte. Gleichzeitig hoffte ich auf seine Abwesenheit. “Ich kann ihn nirgends sehen”, stellte ich schließlich seufzend fest, innerlich leicht aufatmend. “Wahrscheinlich ist er noch nicht da. Aber er kommt bestimmt”, entgegnete Alice und machte meine Hoffnung zunichte. Wir waren jetzt genau neben der Tanzfläche, als ich plötzlich Claires Cousine entdeckte, zusammen mit ihrer Tochter Roxy. Dass sie überhaupt solange aufbleiben durfte. Ihre Mutter saß nicht weit entfernt von uns allein an einem Tisch und beobachtete ihre Tochter, wie sie freudig auf der Tanzfläche herumhüpfte. Rosalie selbst sah eher betrübt aus. Die Stimmung schien nicht auf sie einzuwirken. Genauso wie bei mir. Claire selbst sah ich allerdings nicht. “Alice!” rief plötzlich jemand und ich hielt automatisch Ausschau nach der Person. Dann sah ich auch schon Jasper auf uns zukommen, ein breites Grinsen auf den Lippen, als er sie anstrahlte. Meine Brust schmerzte augenblicklich, als ich die Innigkeit seines Blickes erkannte. Alice neben mir schien seltsam nervös, doch anders als erwartet, lächelte sie ihm entgegen. Dabei hätte ich gedacht, das sie ihn wieder anschreien würde. Als er bei uns angekommen war und mich bemerkte, sagte er nur kurz “Hallo” zu mir und wandte sich dann wieder ihr zu. Sein Tonfall verpasste mir eine Gänsehaut. Er war bestimmt noch sauer wegen der Sache in der Cafeteria. Wenn es die beiden irgendwie näher gebracht hatte, konnte man dem Vorfall sogar was Gutes abgewinnen. Obwohl ich mich wirklich für sie freuen wollte, hatte ich momentan keine Kraft dafür. Meine Gedanken kreisten immer noch um Edward. Außerdem fiel mir jetzt auch ein, dass Tayk genauso hier sein konnte. Die Vorstellung, ihn wieder zu sehen, schüttelte mich und wie aus Reflex schlang ich meine Arme um meinen Körper und verzog schmerzhaft das Gesicht. “Bella, alles in Ordnung?” Alice stand plötzlich vor mir und hatte eine Hand auf meine verschränkten Arme gelegt. “Geht’s ihr gut?” fragte Jasper und klang dieses Mal nicht ganz so abweisend. “Alles okay“, beruhigte ich die beiden und versuchte zu lächeln. “Weißt du was, Jasper? Ich komm später zu dir. Ich würde erstmal noch ein bisschen allein mit Bella bleiben, wenn du nichts dagegen hast.” “Ihr müsst nicht wegen mir-”, mischte ich mich ein, doch Alice unterbrach mich. “Das geht schon klar.” Jasper nickte nur und verschwand dann wieder, während ich zu einem der Tische bugsiert wurde. Bei der Kellnerin bestellten wir uns zwei Wasser und schauten eine Weile schweigend den Leuten auf der Tanzfläche zu. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und die Lichter, die die Tanzfläche einrahmten und das Lagerfeuer, das jetzt entzündet wurde, waren die einzigen helligkeitspendenden Quellen am Strand. Einige der Anwesenden waren bereits mehr oder weniger angetrunken und nicht alle konnten mehr gerade laufen. Alice versuchte mich immer wieder zum Tanzen zu überreden, doch ich war ganz und gar nicht in der Stimmung dafür. Außerdem wollte ich im Moment so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf mich lenken. “Wollen wir ein Stück am Ufer spazieren gehen?” schlug ich vor und Alice nickte zustimmend. Direkt am Wasser war es nicht ganz so hell und wir hielten uns jetzt etwas abseits der Leute. “Du scheinst jetzt gut mit Jasper auszukommen”, bemerkte ich und konnte fast sehen, wie ihre Wangen Feuer fingen. “Ja, na ja… weißt du, er ist doch nicht so schlimm wie ich zuerst gedacht hab. Und-” “Du musst dich nicht rechfertigen.” “Bella…” stöhnte sie, woraufhin ich leicht schmunzeln musste. “Ihr seid niedlich zusammen.” Überrascht hob sie eine Augenbraue. “Als er mich so verteidigt hat gestern, da konnte ich ihm sein Gestarre nicht mehr so übel nehmen… und ich hab ihn auch deswegen angesprochen. Also wegen dem permanenten Gucken… Und er meinte, er konnte einfach nicht wegschauen.” Jetzt war ich mir fast sicher, dass ihr Gesicht dunkelrot war. Außerdem sah sie stur geradeaus und mied den Blickkontakt. “Irgendwie passt ihr gut zusammen”, seufzte ich und starrte in den Himmel. Gleichzeitig beneidete ich sie für ihr scheinbar gefundenes Glück und dachte automatisch wieder zurück an meine eigene, derzeitige Lage. Doch noch ehe ich in meine trübe Stimmung zurückfallen konnte, lenkte Alice’ Stimme mich ab. “Ich glaube, das kleine Mädchen hat einen ziemlich ungewöhnlichen Tanzpartner gefunden”, kicherte sie. Ich folgte ihrem Blick zur Tanzfläche und sah einen ziemlich großen Mann, der Roxy auf den Schultern trug und sich seltsam komisch zur Musik bewegte. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte ich ihn. “Emmett”, stellte ich überrascht fest. “Kennst du ihn?” “Das ist Edwards Bruder, aber eigentlich sollte er doch in Chicago sein”, erklärte ich ihr. “Wenn der da ist, dann heißt das bestimmt, dass Edward auch irgendwo sein muss.” Alice hielt sofort Ausschau nach ihm. “Bitte, können wir das nicht lassen?” versuchte ich sie vergebens zu überreden, doch da hatte sie ihn schon entdeckt und lief auf ihn zu, kurz nachdem sie mir ein “Warte hier” zugerufen hatte. Wir waren schon ein ganzes Stück entfernt von den Anderen, also dauerte es womöglich etwas länger, bis die beiden hier waren. Die Anspannung, die schon den ganzen Abend nicht von mir abfallen wollte, vergrößerte sich jetzt um ein Maximum und ich hatte alle Hände voll zutun, meinen Puls einigermaßen unter Kontrolle zu kriegen. Plötzlich legte sich ein Arm um meine Schultern und erschreckte mich im ersten Moment. “Bella”, sagte jemand überrascht und mit alkoholgetränktem Atem, während ich die Stimme sofort erkannte. Angewidert schleuderte ich den Arm herunter und drehte mich um meine eigene Achse, nur um in Tayks grinsendes Gesicht zu blicken. Alles, was ich heute morgen gefühlt hatte, kam wieder hoch. Wut, Frust, Erniedrigung… Und obwohl ich ihm die Genugtuung nicht geben wollte, über mich Macht gehabt zu haben, konnte ich nicht verhindern, dass meine Augen feucht wurden. “Was willst du?” presste ich mit erstickter Stimme und entfernte mich mit zittrigen Beinen ein paar Schritte von ihm. “Na ja, ich bin nicht davon ausgegangen, dich hier zu sehen. Also muss es dir ja Spaß gemacht haben. Wolltest du mich vielleicht nach einer weiteren Runde fragen? Hier im Sand? Jetzt gleich?” “Halt den Mund!” befahl ich ihm gedämpft, doch es klang nicht ansatzweise so drohend, wie es eigentlich sollte. Tränen rannen bereits meine Wangen hinunter und ich wickelte meine Arme wieder um meinen Körper, zum Schutz vor dem nächsten schmerzhaften Treffer. Er kam einen Schritt näher und sofort wich ich einen Schritt von ihm zurück. “Bleib weg”, zischte ich. Noch ein bisschen länger und meine Stimme würde ganz aufgeben. “Jetzt komm schon. Gestern hast du dich auch nicht so geziert.” Ein weiterer Schritt seinerseits und als ich abermals zurückweichen wollte, wurde meine Fluchtmöglichkeit durch jemanden hinter mir gestoppt, als ich zwei Hände auf meinem Rücken spürte. “Hallo, Edward”, begrüßte Tayk den Neuankömmling heiter. Edward… Augenblicklich erstarrte ich in meiner Position und wagte es nicht, mich umzudrehen. Seine Hände ruhten auf meinen Schultern und es gab mir irgendwie ein sicheres Gefühl, doch gleichzeitig hatte ich Angst, das alles in der nächsten Sekunde zerspringen würde. Wenn Tayk auch nur ein Wort erwähnte… Wenn er auch nur die kleinste Andeutung wagte… Ich mochte mir Edwards Reaktion gar nicht ausmalen. Er würde enttäuscht sein - und wenn Alice recht behielt mit dem, was sie gesagt hatte - dass ich ihm wichtig sei -, dann würde ihn das Wissen ganz sicher noch mehr verletzen als mich. Ich musste mir die Hand auf den Mund legen, um das aufkommende Schluchzen zu unterdrücken. Leider konnte ich das Zittern nicht verhindern. “Bella?” hörte ich Edward besorgt hinter mir. Natürlich hatte er bemerkt, dass ich kurz vor einem Zusammenbruch stand. Vorsichtig versuchte er mich zu sich zu drehen, doch ich hielt geradeso dagegen. “Nicht”, flüsterte ich kaum hörbar und zu meiner Erleichterung kam er meiner Bitte nach. “Was hast du mit ihr gemacht?” wandte er sich jetzt an Tayk und klang gar nicht mehr so friedlich. Ich hatte ihn noch nie so erlebt, noch nicht einmal im Baseballstadion. Meine Augen waren so mit Tränen gefüllt, dass ich nur schwer Tayks besserwisserisches Grinsen erkennen konnte. “Ich hab sie nur gefragt, ob sie noch so einen Ritt wie letzte Nacht haben will.” Das erste, was ich mitbekam, war dass sich der Druck von Edwards Fingern an meinen Armen leicht erhöhte. Gleichzeitig hatten meine Lungen das Ausatmen eingestellt und während Edward noch leise “Das hast du nicht getan” knurrte - und damit ganz bestimmt nicht Tayks erwähnte Frage an mich meinte -, gaben meine Beine nach und ich sackte auf den Sand, Edward hinter mir mit auf die Knie ziehend bei dem Versuch, mich noch aufzufangen. “Bella!” sagte er besorgt und hielt mein Gesicht in seinen warmen, großen Händen. Dummerweise wurde ausgerechnet meins von den Lichtern der Tanzfläche erhellt, während seines im Schatten lag. Ich konnte seinen Ausdruck nicht richtig deuten, als er mich betrachtete, doch ich hörte, wie er scharf die Luft einsog und mich dann plötzlich losließ. Er ging an mir vorbei, doch ich konnte mich nicht zu ihm umdrehen, sondern saß wie erstarrt auf dem Boden, ohne wirklich etwas wahr zu nehmen. Auch wenn er nichts sagte, wusste ich doch, dass das Maß Enttäuschung und Schmerz, das ich bei ihm erwartet hatte, weit unter dem lag, was er jetzt scheinbar tatsächlich fühlte. Stumm suchten sich meine Tränen ihren Weg gen Boden. “Edward, was-” hörte ich Tayk kichernd und doch verwirrt ängstlich hinter mir. Im nächsten Moment gab es einen Knall und einen Aufschrei, während jemand hart in den Strandsand fiel. Erschrocken drehte ich mich um und sah, dass Edward auf Tayk eingeschlagen hatte. Letzterer hatte sich auf seine Ellenbogen gestützt und blickte panisch in das Gesicht seines Gegenübers. Ich war mir nicht hundertprozentig sicher, doch ich meinte, ein wenig Blut an seinem Kinn erkannt zu haben. “Das kannst du doch nicht ernst meinen, oder?” redete Tayk leicht hysterisch. “Nicht wegen… ihr…” Seine Augen huschten kurz zu mir und erst in der letzten Sekunde bemerkte er, wie Edward ihn an seinen Sachen hochzog und ihm ein zweites Mal die Faust ins Gesicht schlug. Tayk landete wieder im Sand und hatte jetzt damit zutun, seine Benommenheit abzuschütteln, während er ein bisschen Blut spuckte. Sollte er angetrunken gewesen sein, dann war er jetzt mit Sicherheit nüchtern. “Wie kannst du es eigentlich wagen”, presste Edward wütend hervor und ging wieder auf ihn zu, um ihn ein weiteres Mal zu packen. “Du hast dich ganz schön verändert”, würgte Tayk, kurz bevor Edward abermals auf ihn einschlug und ihn ein paar Zentimeter weiter schleuderte. Tayk keuchte und eine weitere Ladung Blut fand seinen Weg ins Freie. “Ganz im Gegenteil. Du bist derjenige, der sich unnormal verhält und den ich nicht mehr wieder erkenne”, konterte Edward aufgebracht und wollte bereits wieder auf ihn zugehen, doch dieses Mal warf ich mich dazwischen und riss Edward mit auf den Boden. Nicht, weil ich Tayk vielleicht beschützen wollte. Ganz im Gegenteil. Ich hatte keinerlei Mitleid mit ihm. Doch ich hatte Angst um Edward. Wenn er so weiter machte, würde eventuell etwas passieren, mit dem keiner glücklich werden konnte und er selbst möglicherweise noch bestraft werden würde. “Hör auf”, flehte ich leise mit viel zu hoher Stimme und schlang meine Arme fest um seinen Nacken. “Bitte…” Ich konnte spüren, wie es in ihm brodelte und wie hin- und hergerissen er war zwischen der Möglichkeit, mich beiseite zu schieben und weiterzumachen oder auf mich zu hören. “Er hat es verdient”, schnaufte er schwer und ich nickte zustimmend. “Ja, aber er ist es nicht wert, dass du für ihn ins Gefängnis gehst”, flüsterte ich mit tränenerstickter Stimme. Edward saß ganz still, während ich ihn immer noch festhielt und auf seine Antwort wartete. Dann endlich ließ seine Anspannung nach, wobei er seine Arme um meine Taille legte und seinen Kopf auf meine Schulter bettete. “Tut mir leid”, nuschelte er in meine Haare und drückte mich so fest, dass es schon fast wehtat, doch ich beschwerte mich nicht. “Tut mir leid”, wiederholte er immer wieder und klang vollkommen reumütig, was ich nicht verstand. “Ich dachte, ich kenne Tayk. Ich hätte nie damit gerechnet, dass er… Wenn ich das geahnt hätte, dann hätte ich von Anfang an verhindert, dass du mit ihm in Kontakt kommst.” “Edward, lass das. Das war allein mein Fehler, nicht deiner.” “Bella, ich-” “Es ist nichts passiert”, unterbrach Tayk ihn auf einmal. Verwirrt sahen wir zu ihm. Er lag auf dem Rücken und hatte eine Hand auf der Brust, die sich unter seinem schweren Atmen stark nach oben und unten senkte, während seine Augen auf den klaren Nachthimmel fixiert waren. “Ich hab ihr nichts getan. Das war alles nur Show”, erklärte er leise. “Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht.” “Red deutlicher”, forderte Edward ungeduldig. Tayk holte tief Luft und strich langsam mit einer Hand über sein Gesicht, während er seine Augen schloss. “Ich bin schwul”, sagte er so leise, dass wir das letzte Wort nicht mitbekamen. “Ich hab nichts verstanden”, stellte Edward leicht wütend fest. “Mein Gott, ich bin schwul, okay?”, schrie er jetzt schon fast genervt. Für einen kurzen Augenblick waren wir sprachlos und unfähig, uns zu bewegen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich denke, alle theorien, tayk und claire könnten zusammen kommen, haben sich erledigt...O.o... Kapitel 13: Papyrus, Citrin und Leder ------------------------------------- Okay, wer es noch nicht weiß...Ich hab dieses Chap überarbeitet. Dummerweise hab ich das alte aus Versehen gelöscht, anstatt einfach nur den Text zu ändern. Klassische Kurzschlussreaktion, weil ich in dem Moment so unzufrieden war mit dem Kapitel...T___T...Hoffe, euch gefällt die neue Variante. Mir jedenfalls besser als die alte...;) Sugarcult - Pretty Girl (The Way) http://de.youtube.com/watch?v=LSwB_yioDE0 ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ “Was soll der Blödsinn?” fragte Edward, das eben gehörte nicht ganz glaubend. Tayk lachte leise keuchend auf, seinen Blick immer noch in den dunklen Himmel gerichtet. “Das war kein Witz.” “Und was um alles in der Welt hat dich dann dazu gebracht, ihr so wehzutun?” Seine Stimme klang wieder etwas aufgebracht und ich fühlte, dass seine Wut wieder zunahm, als seine Umarmung fester wurde. Tayk seufzte. “Wie gesagt, es ist nichts passiert.” “Ja, klar. Als wenn Bella das nicht mitbekommen hätte”, spottete Edward finster. “Sie hat doch gar nichts mitbekommen. Sie war betäubt.” Seine Antwort klang so leise, als hätte er Angst gehabt, sie auszusprechen. “Wie bitte?!” Während Edward immer zorniger wurde, spürte ich, wie die Erleichterung in mir langsam die Oberhand gewann. Obwohl ich nicht wusste, ob es wirklich die Wahrheit war und ob ich ihm glauben konnte, sehnte sich ein großer Teil von mir doch sehr danach. Zu wissen, oder jedenfalls davon auszugehen, dass rein gar nichts passiert war, hatte eine unglaublich beruhigende Wirkung und die Belastung wich auch langsam von mir ab. “Die Magentabletten…” erinnerte ich mich und Tayk bestätigte es mit einem “Hm.” Plötzlich schob Edward mich von sich herunter und wollte schon aufstehen, doch ich schlang meine Arme von hinten um seinen Körper, um ihn aufzuhalten, kurz bevor er Tayk erreicht hatte. “Warte.” “Lass mich los, Bella.” “Das bringt doch nichts. Können wir nicht einfach glücklich darüber sein, dass nichts war?” flehte ich. “Wenn das überhaupt stimmt”, sagte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. “Ich sehe nämlich keinen Grund, warum er dich dann in dem Glauben lässt, er hätte dich… vergewaltigt.” Sein letztes Wort verursachte ein Kneifen in meiner Brust. Die Vorstellung, es wäre wirklich soweit gekommen… Und wenn ich vielleicht noch wach gewesen wäre… Ein Schauer überkam mich, doch um ihn glauben zu lassen, mir würde es nicht soviel ausmachen, sollte es wirklich nur eine Lüge gewesen sein, legte ich meine Wange an seinen Rücken und schloss die Augen. “Ich hatte keine Wahl, okay? Wenn ich es nicht gemacht hätte, wäre ich dran gewesen. Dann hätte jeder gewusst, dass ich…” flüsterte Tayk. “Könnt ihr euch vorstellen, was mein Vater mit mir macht, wenn er davon erfährt?” “Kannst du dir vorstellen, was ich gleich mit dir mache?” fuhr Edward ihn an. Seinen Kommentar ignorierend löste ich mich von ihm und kam hinter seinem Rücken hervor, um Tayk sehen zu können. Verwirrt runzelte ich die Stirn. “Moment mal, soll das heißen, dass es von Anfang an geplant war, mir vorzugaukeln, wir hätten miteinander…” Ich konnte den Satz einfach nicht beenden und vergaß beinahe das Atmen, doch Tayk nickte. “Eigentlich sollte ich dich ordentlich durchnehmen…” nuschelte er. Edward wollte schon wieder auf ihn los, aber ich hielt meinen Arm vor seine Brust. “Warte, lass ihn reden, ja?” versuchte ich ihn zu besänftigen und schaute ihn bittend an, obwohl meine Beine bei der bloßen Vorstellung an das, was Tayk gesagt hatte, wieder wackelig wurden. Er erwiderte den Blick und musterte mich eindringlich; kurz darauf legte er seinen Arm um meine Hüfte und gab mir einen sichereren Halt, als er mich näher zu sich zog und mir einen langen, etwas verkrampften Kuss auf die Stirn gab. Sofort rann mein Blut schneller und ich schloss tief einatmend die Augen, um den winzigen Moment Innigkeit zu genießen, während meine Hand sich von ganz allein auf seine, an meiner Taille verweilten, legte. “Doch genau deswegen hab ich es nicht getan”, fuhr Tayk fort. Seine Worte hinterließen bei uns verwirrte Blicke, als wir uns wieder ihm zuwandten. Mittlerweile hatte er sich auf seine Ellenbogen gestützt und sah uns mit einem halben Grinsen an, ohne jedoch weiter zu reden. “Tayk…” drohte Edward ihm. “Sie hat… ein paar Mal deinen Namen gemurmelt, als sie geschlafen hat”, antwortete er schnell. Ich riss meine Augen auf und schnappte nach Luft, als meine Wangen heiß wurden und zuviel Blut unter meine Haut rauschte. Okay, ich hatte von ihm geträumt, aber seinen Namen auch noch laut ausgesprochen? Und das in Gegenwart von Tayk? Ich vermied es, Edward anzusehen, aus Angst vor dem, was ich eventuell sehen würde. Vielleicht machte er sich ja darüber lustig, oder er fühlte sich eingeengt… “Ich hab nie für möglich gehalten, dass du überhaupt mal jemanden an dich heranlässt. Anfänglich hab ich wirklich gedacht, dass du meine kleine Bemerkung für bare Münze nimmst und es ausprobieren willst. Ich hab mich wohl geirrt”, seufzte er. Edward versteifte sich neben mir, während ich nicht die leiseste Ahnung hatte, wovon Tayk da sprach. “Was meint er?” wollte ich wissen und sah fragend zu meinem persönlichen Schutzengel. “Das ist jetzt nicht mehr wichtig”, sagte dieser trocken und fixierte sein Gegenüber mit schmalen Augen. Ich folgte seinem Blick. “Könnte mich mal jemand aufklären?” “Tut mir leid, Bella”, meinte Tayk nur und schüttelte den Kopf. “Das kann er dir selbst sagen.” Gott, dieses Hin und Her war unerträglich. “Edward?” wandte ich mich abermals an ihn und wurde langsam etwas ungeduldig. Dieser drehte sich mir zu und legte seine freie Hand plötzlich auf meine Wange, um ganz langsam darüber zu streichen. Seine Berührung ließ mein Herz schneller klopfen, und ich musste mich zusammenreißen, ihm nicht zu zeigen, wie viel mir diese kleine Geste ausmachte. Er sah mich ernst an. In seinem Gesicht gab es nicht die kleinste Regung. “Das ist jetzt alles nicht mehr von Bedeutung, okay? Vertrau mir, es ist nichts, was du nicht schon weißt.” Wollte er damit auf Claire ansprechen? Wusste Tayk, dass sein Kumpel etwas von ihr wollte und sich deshalb mit mir abgab? Von der Seite erkannte ich Letzteren, wie er Edward mit zusammengekniffenen Augen misstrauisch beäugte. Dieser warf seinem Freund ebenfalls unauffällig einen scharfen Blick zu. Obwohl mich diese kleine, stumme Interaktion verwirrte, nickte ich auf Edwards Aussage hin und fragte erst einmal nicht weiter nach. Etwas anderes, das viel wichtiger war, kam mir wieder in Erinnerung. “Wer hat dich eigentlich dazu gezwungen? Zu dieser Sache.” Ich löste meinen Blick von Edward und drehte meinen Kopf zu Tayk, den diese Frage scheinbar unangenehm an den Ausgangspunkt unseres Gesprächs zurückführte. Er schaute zur Seite und mied den Blickkontakt. “Das kann ich nicht sagen.” Mein Scheinfreund war ebenfalls wieder hellhörig geworden. “Soll ich dir vielleicht auf die Sprünge helfen?” entgegnete er etwas angriffslustig. “Hör zu, ich kann das wirklich nicht sagen. Wenn die Person das erfährt, dann bin ich geliefert.” Es gab jemanden, der Tayk Rooney unter Druck setzten konnte? Der soviel Einfluss besaß, ihn Dinge tun zu lassen, die sogar unter die Gürtellinie gingen? Wer, verdammt noch mal, hasste mich so, dass er oder sie zu solchen Mitteln griff? Was hatte ich denn verbrochen? Automatisch klammerte ich mich enger an Edward und starrte auf den dunklen Sand. Er bemerkte meine Reaktion und verstärkte die Umarmung, ohne nachzufragen, wofür ich sehr dankbar war. “Und du meinst, wir würden diese dämliche Aktion einfach so vergessen, oder wie?” entgegnete er Tayk kalt. “Ehrlich gesagt hab ich überhaupt nicht damit gerechnet, dass du so reagierst. Ich hab dich völlig falsch eingeschätzt… Und sie hat das auch.” Den letzten Satz murmelte er so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob er ihn überhaupt gesagt hatte. Wen genau meinte er damit? Er setzte sich auf und betrachtete uns ungläubig. Dann wanderte sein Blick auf einmal an uns vorbei. “Wir kriegen Besuch”, stellte er fest und sah zu der noch unbekannten Person. Ich wollte meinen Kopf gerade drehen, als ich im nächsten Moment auch schon bemerkte, wie Alice an mir vorbeiging und direkt auf Tayk zustapfte. Sie hielt etwas in den Händen und es sah aus wie Fotos, doch ich erkannte nicht, was darauf abgebildet war. Tayks Blick fiel ebenfalls darauf und er nuschelte ein “Shit”, ehe Alice ihm auch schon eine heftige Ohrfeige verpasste, die ihn beinahe wieder zu Fall brachte. “Alice, was…” brachte ich völlig atemlos zustande. Edward sah genauso überrumpelt aus. “Mistkerl!” schrie sie ihn an und stemmte ihre Hände in die Hüften. Sie hatte ja noch keine Ahnung, dass seine gesamte Aktion nur Show gewesen war. “Edward, meinst du nicht, wir sollten sie aufhalten?” Ich wollte bereits auf sie zu, doch er hielt mich fest. Ein kleines Lächeln hatte sich auf seinen Lippen gebildet. “Ich nehme an, sie weiß Bescheid?” fragte er. Ich nickte. “Dann lass sie doch. Er hat’s immer noch verdient, wenn du mich fragst.” “…Wie kannst du nur?” warf sie ihm vor. “Man sollte dich kastrieren und dir dann dein bestes Stück als Andenken zu all deinen Trophäen stellen.” Eine meiner Augenbrauen hob sich und ich hätte mich beinahe verschluckt. Edwards Brust vibrierte, als er versuchte, sein stummes Lachen zu unterdrücken. Tayk hingegen reagierte gar nicht darauf, sondern starrte weiterhin auf Alice’ Hand. “Kann ich die bitte wiederhaben?” fragte er zögerlich. “Damit du es überall herumzeigen kannst, oder wie? Du hast sie wohl nicht alle!” Böse funkelte sie ihn an und war kurz davor, ihm noch eine zu verpassen. “Alice, du kannst aufhören. Er hat nichts gemacht, okay?” unterbrach ich ihre kleine Racheaktion. Zum ersten Mal sah sie jetzt mich an, doch so recht schien sie mir nicht zu glauben. “Hat der dir das erzählt? Dann hat er gelogen.” “Nein, hat er nicht. Wir sind uns ziemlich sicher, dass er die Wahrheit gesagt hat. Du kannst dich also wieder beruhigen”, lächelte ich sie an, doch sie sah noch immer wütend aus. Ihre Augen huschten zu Edward. “Du weißt davon?” Er nickte. “Gut. Dann kannst du mir ja helfen, aus ihm einen Eunuchen zu machen.” Edward riss die Augen auf und starrte sie an, dann zogen seine Brauen sich misstrauisch zusammen. “Alice, was ist los?” “Das ist los!” Sie riss ihre Hand in die Höhe und wedelte mit den Fotos herum. Edward löste sich von mir und stand auf, um sich den Grund für Alice’ Ausbruch zeigen zu lassen. Ich erhob mich ebenfalls, stellte mich vor die beiden und strecke die Hand aus. “Darf ich?” Der Blick meines Scheinfreundes war starr auf das Stück Papier gerichtet, sein Körper bebte und seine freie Hand war zu einer Faust geballt. “Jetzt reicht’s”, zischte er leise und noch ehe ich das Bild fassen konnte, hatte er es zerknüllt. Langsam ging er auf Tayk zu, seine Finger dabei immer wieder streckend und dann wieder zu einer Faust geformt. Sein Gegenüber wich zurück und hob seine Arme zur Abwehr. “Warte, ich kann das erklären.” “Da bin ich aber gespannt”, flüsterte Edward bedrohlich. Ich lief auf ihn zu und stellte mich ihm in den Weg. “Was war darauf zu sehen?” fragte ich vorsichtig, doch er gab mir keine Antwort. Stattdessen betrachtete er nur sehr lange mein Gesicht, wobei seines einen seltsam gequälten Ausdruck annahm. “Als ich gesagt hab, dass nichts passiert ist, war das wahr. Es ist wirklich nichts geschehen. Aber ich musste schließlich irgendwelche Beweise dafür haben, um vorzugeben, es sei wirklich was gewesen”, meldete sich Tayk wieder zu Wort. “Das ist krank.” Alice hatte sich neben mich gestellt und die Arme vor der Brust verschränkt. Langsam dämmerte mir, worum es hier ging und warum die beiden so sauer waren. Auf den Fotos muss etwas gewesen sein, dass nicht nach Nichts aussah, sondern womöglich das zeigte, was mir von Anfang an vorgespielt wurde. Was konnte ich denn jetzt bitteschön noch glauben? Ich drehte mich ebenfalls zu dem Beschuldigten um. “Was hast du mit mir gemacht?” hauchte ich mit zittriger Stimme und stolperte einen Schritt zurück. Edward hinter mir drehte mich sachte um, legte eine Hand in meinen Nacken und einen Arm um meinen Rücken, um mich eng an sich zu drücken, während er Tayk mit frostigen Augen förmlich durchbohrte. “Was ich vorhin gesagt habe, stimmt”, erklärte sich Letzterer, wobei sein Blick kurz zu Alice wanderte. Sie wusste ja nichts von seinem Interesse am gleichen Geschlecht und er wollte es wahrscheinlich auch dabei belassen. Für einen kurzen Moment verspürte ich den Drang, ihm diesen Wunsch nicht zu gewähren, entschied mich dann aber, mich nicht auf sein Niveau herunter zu lassen. “Die Bilder sind allesamt gestellt, okay?” fuhr er zögerlich fort. Ich hoffte, dass ihm seine Gesundheit sehr am Herzen lag und er uns dementsprechend nicht anlog. Edwards Zorn konnte ich sowieso spüren, aber auch Alice hatte Mühe, sich zurückzuhalten. “Wer?” fragte mein Scheinfreund gepresst. “Das darf ich nicht sagen”, antwortete unser Gegenüber wehleidig. Edward wollte gerade etwas entgegnen, als unsere Namen plötzlich von weitem gerufen wurden. Als wir uns umdrehten, sahen wir Jasper und Emmett auf uns zukommen, wobei Letzterer freudig winkte. “Warum seid ihr hier hinten im Dunkeln? Da bekommt ihr ja überhaupt nichts von der Party mit”, meinte er heiter, ließ die muntere Miene aber sofort fallen, als er zwischen Tayk und seinen jüngeren Bruder hin- und hersah. Der wiederum starrte permanent auf seinen Kapitän, ohne auch nur die geringste Andeutung einer Gefühlsregung. “Nur eine kleine Auseinandersetzung”, erklärte er ihm. Jasper, der sich neben Alice gesellt hatte, schaute verwirrt in die Runde. “Alles in Ordnung, Tayk?” fragte er ihn und wollte ihm schon aufhelfen, doch Alice hielt ihn am Arm fest. “Lass ihn. Der kommt schon allein zurecht.” Überrascht sah er sie an, ehe er wieder auf Tayk blickte, der gerade dabei war, sich zu erheben. “Tret’ mir nie wieder unter die Augen”, zischte Edward noch leise, dann drehte er sich zum Gehen um. “Das macht sich wohl schlecht. Wir sind in einem Team, schon vergessen?” antwortete er schnippisch. Edward drehte sich noch mal mit finsterem Blick zu ihm um, bevor er sich nicht weiter um ihn kümmerte und mich mit sich zog. Die Anderen folgten uns, während Emmett und Jasper immer wieder verwirrt zu uns herüberschielten. “Ist irgendetwas passiert, von dem wir wissen sollten?” fragte Edwards Bruder ernst. Ich klammerte mich noch fester an meinen Retter, um ihm zu zeigen, dass er nichts sagen sollte und zu meiner Erleichterung verstand er meine stille Bitte. “Nicht mehr so wichtig”, antwortete er mit einem Ton, der jedem zu Verstehen gab, nicht weiter nachzufragen. Alice derweil hatte meine lose herunterhängende Hand in ihre genommen und drückte sie sanft. Ich musste mir eingestehen, so schlimm die Situation auch war, genau in diesem Moment fühlte ich mich so wohl wie noch nie. Soweit ich mich zurückerinnern konnte, hatte ich dieses Gefühl, vollkommen sicher zu sein, noch nie verspürt. Noch nicht einmal, wenn Claire mich in meinen deprimierten Phasen aufgemuntert hatte. Ich schloss meine Augen - stolpern konnte ich nicht, so fest wie Edward mich hielt - und seufzte leise auf. Edward schien das gehört zu haben und streichelte langsam an meiner Seite entlang, während er seine Lippen sanft auf meinen Kopf drückte. Emmett schmunzelte neben uns. Allerdings war es so leise, dass ich es kaum wahrnehmen konnte. Allmählich wurde es wärmer und als ich meine Lider wieder öffnete, erkannte ich das große Lagerfeuer, vor dem wir jetzt standen. Edward warf die zusammengeknüllten Fotos in die langen, orange-roten Flammen und sah zu, wie das dicke, glänzende Papier durch die Hitze Bläschen bildete und sich erst langsam auswickelte, ehe es sich wieder zusammenzog und schwarz wurde. Was darauf zu erkennen war, konnte ich nicht mehr sehen. Vielleicht war das auch besser so. Das Problem war damit aber dennoch nicht gelöst. Wir wussten immer noch nicht, wer Tayk dazu gezwungen hatte. “Was machen wir jetzt?” fragte ich in die Runde. “Keine Sorge. Wir finden schon heraus, wer das alles angezettelt hat”, antwortete Edward beruhigend. “Onkel Em”, rief plötzlich jemand. Als wir uns zu der Stimme umdrehten, sahen wir Roxy auf uns zulaufen. Kurz bevor sie uns erreicht hatte, stolperte sie auf einmal über einen kleinen Ast, der in der Nähe lag. Glücklicherweise war Emmett schneller als erwartet bei ihr und fing sie noch rechtzeitig auf. Ein kleines Grinsen bildete sich auf meine Lippen, als ich beobachtete, wie er sie in die Höhe hob und dann auf seine Schultern setzte. “Na, beim Laufen musst du aufpassen, okay?” lachte er mit seiner tiefen Bärenstimme. Er hatte wirklich Ähnlichkeit mit einem kuscheligen Teddy. “Hm-hm”, stimmte die Kleine zu und verwuschelte ihm die braunen Locken. “Was macht deine Mom?” “Sie hat sich wieder beruhigt. Und sie hat mir jetzt erlaubt, mit dir zu tanzen.” “Wirklich?” “Ich glaub, sie mag dich”, grinste Roxy. Emmett lachte, während wir bei der Szene leise kichern mussten. Es war einfach zu süß. “Was ist denn passiert?” wollte Edward wissen. Emmett grinste. “Keiner wollte mit Roxy hier tanzen, also hab ich mich bereit erklärt. Ihre Mom war eingeschlafen. Ich muss zugeben, sie sieht wirklich wie ein Engel aus, wenn sie so vor sich hinträumt… Jedenfalls nach ein paar Songs ist sie dann aufgewacht und hat ihre Tochter in den Händen eines fremden Mannes gesehen…” Sein Blick schweifte ab, wobei er sich gedankenverloren die Wange rieb. “Na ja, sie hat dann gesagt, ich solle mich von ihrer Tochter fern halten, aber ich glaube, so sehr verachten tut sie mich gar nicht. Danach sah es jedenfalls nicht aus”, kicherte er. “Irgendwann legst du dich noch mit dem gesamten weiblichen Geschlecht auf einmal an”, meinte Edward kopfschüttelnd. “Ja, wahrscheinlich.” “Also, tanzen wir jetzt wieder?” meldete sich Roxy ungeduldig. “Schon auf dem Weg.” Emmett machte kehrt und ging in Richtung Tanzfläche, immer darauf bedacht, das kleine Mädchen mit den blonden Locken nicht fallen zu lassen. “Das ist eine ziemlich gute Idee”, hörte ich Jasper hinter uns sagen und sah Alice tief in die Augen. Die verstand sofort und nickte. Wussten die beiden überhaupt, dass wir noch da waren? Jasper nahm ihre Hand und wollte sie bereits mit sich ziehen, als ich sie aufhielt. “Alice, warte mal.” Überrascht drehte sie sich zu mir um. “Wegen gestern…” fing ich an und wollte es eigentlich vermeiden, ihr in die Augen zu sehen, doch das würde eigentlich nicht ehrlich rüberkommen. Also hob ich meinen Kopf, um sie direkt anschauen zu können. Mittlerweile war ich davon überzeugt, dass sie nicht für das Gerücht verantwortlich war. Dazu hatte sie mir in den letzten Stunden einfach zu sehr geholfen. “Es tut mir leid. Das, was ich gesagt habe… In dem Moment war ich einfach so wütend und hab nicht richtig nachgedacht. Wenn ich das irgendwie wieder gutma-” Noch bevor ich den Satz beenden konnte, hatte sie mich schon in ihre dünnen Arme genommen und drückte mich ganz fest. “Schon gut. Ich kann mir ja vorstellen, wie du dich gefühlt haben musst. Ich hätte selbst nicht gewusst, wie ich reagieren sollte, wenn jemand über mich so etwas erzählt… Obwohl… was das angeht, denke ich womöglich etwas eigen über die Meinung anderer Leute…” lachte sie leise. “Danke…” flüsterte ich ihr zu. “Schon gut.” “Ich meine auch wegen heute.” “Ich bin da, wenn du mich brauchst, okay?” Ich nickte und sie rieb mir daraufhin beruhigend den Rücken, ehe sie mich leicht von sich schob und mich noch einmal lächelnd ansah. Dann nahm sie Jaspers Hand - der mich jetzt übrigens nicht mehr so kalt anschaute - und lief zur Tanzfläche. “Willst du auch?” Ich erschrak im ersten Moment beim Klang von Edwards Stimme an meinem Ohr. “Tanzen?” fragte ich unsicher und drehte mich zu ihm. Er setzte mein geliebtes, schiefes Lächeln auf - mir kam es vor wie eine Ewigkeit, seit ich es das letzte Mal gesehen hatte - und nahm bereits meine Hand, als würde er davon ausgehen, ich würde ihm zustimmen. “Ich kann nicht tanzen”, bemerkte ich zögerlich, doch das schien ihn nicht davon abzuhalten, mich jetzt mit sich zu schleifen. “Ich weiß, dass es jetzt eigentlich nicht passt, aber vielleicht lenkt es dich ein bisschen ab.” “Edward, warte. Ich kann das wirklich nicht”, rief ich ihm zu und stemmte mich mit all meiner Kraft gegen sein Ziehen. Allerdings vergebens. Wer hätte auch damit gerechnet, dass er mich auf die Arme hob, um mich notfalls zur Bühne zu tragen. “Edward, bitte. Du wirst kein Vergnügen mit mir haben”, protestierte ich. Er beachtete es gar nicht, sondern kicherte nur. “Alles eine Frage der Übung, weißt du?” Erst als wir auf dem Holz standen, ließ er mich wieder runter. “Vertrau mir, okay?” flüsterte er mir zu und sah mir abwartend in die Augen. Einen Moment lang zögerte ich mit meiner Antwort, doch dann nickte ich. Vielleicht war das eine gute Möglichkeit, herauszufinden wie weit sein Mögen ging, wie Alice es genannt hatte. Er nahm vorsichtig meine Arme, um sie in seinen Nacken zu legen und platzierte seine Hände an meiner Hüfte. Immer darauf bedacht, nicht allzu grobe Bewegungen zu machen. Ob er nach der Sache mit Tayk Angst hatte, ich würde mich bei der kleinsten Berührung bedrängt fühlen? Absurd. Das würde ich bei ihm nie. Mein Herz klopfte schneller, mein Puls raste und das Atmen wurde schwerer. Das einzige Gefühl, das ich bekam, war Aufregung. Aus den Augenwinkeln sah ich Alice grinsen, was mich seltsamerweise dazu verleitete, es leicht zu erwidern. Sie selbst bewegte sich bereits zu der Musik, die die Band spielte und das Bild, das sie und Jasper darstellten, wirkte auf mich wie zwei Hälften, die sich perfekt ergänzten. Sie tanzten synchron zur Melodie, als würden sie schon seit Jahren den jeweils anderen kennen und nicht erst ein paar Tage. Emmett war ebenfalls zu sehen. Er hatte sichtlich Spaß mit Roxy, auch wenn sie überhaupt nicht im Takt waren. Umso größer war das Lachen der beiden. Es steckte an und als Edward verwundert die Stirn runzelte, deutete ich auf seinen Bruder. Jetzt grinste auch er. Ich ließ meinen Blick über die Tische wandern, um Ausschau nach Roxys Mom zu halten und entdeckte sie tatsächlich an dem gleichen, wie vor ein paar Stunden. Hatte sie den ganzen Abend da gesessen? Abgesehen davon, dass auf dem Tisch jetzt drei Getränke standen statt zwei, hatte sich nichts verändert. Okay, ihr Gesichtsausdruck war anders. Sie betrachtete immer noch ihre Tochter und deren Tanzpartner. Es war schwer, herauszufinden, was genau sie dachte. “Ich denke, sie findet Interesse an Emmett”, meinte Edward und brachte mich dazu, jetzt wieder ihn anzusehen. “Auch wenn sie scheinbar versucht, gerade das nicht zu tun.” “Sieht so aus, als wenn ihr das nicht gelingt”, meinte ich schmunzelnd. “Offenbar… Also, bist du bereit?” brachte Edward mich wieder auf unsere gegenwärtige Situation zurück. Ich nickte nervös. Ganz langsam fing er an, sich zu dem Song zu bewegen, der gerade gespielt wurde. Der ruhige Takt war eigentlich nicht schwer und seine Führung war wirklich ausgezeichnet. Ich musste so gut wie nichts machen. “Edward?” unterbrach ich nach einer Weile das Schweigen, in der ich mich unauffällig an seine Brust gelehnt hatte. “Hm?” “Ich muss mich bei dir auch noch entschuldigen.” “Wofür?” fragte er ernsthaft. Hatte er das etwa schon vergessen? “Für… gestern…” sagte ich so leise, dass ich fast der Meinung war, er hätte es eventuell nicht gehört. Doch er zog mich nur fester an sich und legte sein Kinn an meine Schläfe. “Du musst dich nicht entschuldigen, sondern ich.” Verwirrt lehnte ich mich etwas zurück, um ihn ansehen zu können. Er lächelte gequält. “Ich hab überreagiert und dich in dem Moment allein gelassen, in dem du mich am meisten gebraucht hast. Das wollte ich nicht.” “Ist das dein Ernst?” fragte ich ungläubig. Er legte seine Stirn an meine und schloss die Augen. “Bella…” seufzte er, während sein warmer Atem bei mir eine Gänsehaut auslöste und ich ebenfalls meine Augen schloss. “Ich denke, ich kann dich mittlerweile so einschätzen, das ich weiß, wie du dich in bestimmten Situationen fühlst”, fuhr er fort. “Ich könnte mich immer noch selbst ohrfeigen, wenn ich an gestern zurückdenke. Ich hab dich ja praktisch persönlich in Tayks Arme getrieben. Wäre es anders gelaufen, hätte ich dich vielleicht noch überreden können, nicht hinzugehen… Und jetzt sieh, was ich mit meinem Verhalten verursacht habe…” Abrupt riss ich meine Augen auf und starrte ihn an. Er gab doch tatsächlich sich selbst die Schuld für meine Misere. Dabei hatte es doch eigentlich auch was gutes gehabt! Immerhin hatte ich dadurch herausgefunden, wer mir am wichtigsten war; wer den einzigen, bislang leeren Platz in meinem Herzen einnahm, auch wenn er selbst es nicht wusste. “Du bist verrückt, weißt du das?” lachte ich, doch er fand es anscheinend nicht lustig. “Du hast vorhin überhaupt nicht in Frage gestellt, ob ich mich nicht eventuell freiwillig auf Tayk eingelassen haben könnte. Warum nicht?” Sein Gesicht war ernst und dennoch wies es sanfte Züge auf. “Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du so was machen würdest. Dazu bist du einfach… viel zu sehr ‘Bella‘…” Ich runzelte die Stirn. Was genau wollte er denn damit sagen? Als er mein Gesicht sah, zuckte einer seiner Mundwinkel ungewollt nach oben, doch in der nächsten Sekunde verschwand es wieder. “Du kennst ihn doch aber besser als mich”, warf ich verwundert ein. Edwards Blick verfinsterte sich, wobei er mich wieder an sich drückte. “Ein Grund, warum ich nicht mit so was gerechnet habe. Ich bin mit ihm befreundet, seit ich denken kann, und-” “Warte mal, ich dachte, du bist vor drei Jahren erst hierher gezogen?” “Tayk lebt seit fünf Jahren hier. Wir kommen beide aus Seattle. Nur ist er schon etwas früher hierher gezogen. Sein Vater ist Vorsitzender eines weltweit expandierenden Unternehmens für Mikroelektronik, die ihren Hauptsitz in San Francisco hat. Deshalb war seine Familie gezwungen, ihren Wohnort zu wechseln.” “Also kennt ihr euch von klein auf an”, schlussfolgerte ich. Edward nickte. “Das wir auch umgezogen sind und dann auch noch hierher, war purer Zufall. Als ich erfahren hab, dass er auf dieselbe Schule geht, konnte ich es im ersten Moment gar nicht fassen. Immerhin musste ich so nicht ganz alleine dastehen. Mit vierzehn in eine neue Klasse zu kommen ist nicht gerade berauschend, weißt du.” “Kann ich mir vorstellen.” Der Gedanke, völlig allein auf sich gestellt zu sein und sich zurecht finden zu müssen, sich dann noch mit selbsternannten Ich-helfe-dem-Neuen-Schülern herumschlagen zu müssen und im Mittelpunkt zu stehen, war wirklich grausam. “Wie dem auch sei. Ich war froh, jemanden zu haben, der mir alles erklärt hat, obwohl ich da schon gemerkt hab, dass irgendwas an ihm anders war. Ich hab ihn danach gefragt, doch er meinte nur, ich würde mir das einbilden, weil ich ihn so lange nicht gesehen hatte. In den letzten Monaten ist es richtig schlimm geworden. Vor allem was seine Beziehungen anging. Wie ich dir schon mal erzählt hab, hatte er nur was mit vergebenen Mädchen. Warum auch immer er sich nur mit solchen abgegeben hatte… Ich kann mir jetzt vorstellen, warum es so viele in so kurzer Zeit waren.” “Ist sein Vater denn so schlimm, dass er so was verheimlicht?” “Ich geb zu, der alte Rooney hat etwas sehr… bestimmendes. Tayk ist Baseballcaptain, weil sein Vater einer war und ich gehe stark davon aus, dass er später auch seine Firma übernehmen soll. Ich hab nicht den leisesten Schimmer, was er machen würde, wenn er herausfindet, dass sein Sohn auf Männer steht… Trotzdem entschuldigt das nicht, was er dir angetan hat.” Er drückte mich wieder etwas fester und strich mit seinem Daumen sachte über mein Schulterblatt. Alles in mir fing an zu kribbeln, bei seiner Berührung. “Es ist ja nichts passiert”, beruhigte ich ihn. “Schlimm genug, dass du es aber gedacht hast. Außerdem hatte er es ja anfänglich vor…” Bei seinem letzten Satz krallte ich mich, ohne es eigentlich zu wollen, in den Kragen seines Hemdes. “Tut mir leid”, flüsterte er reumütig. “Schon okay… Was meinte er damit, du hättest dich verändert?” versuchte ich das Thema zu wechseln und hoffte, Edward würde meine Neugier nicht allzu sehr verärgern. “Ich hab dir doch erzählt, das ich früher ziemlich… rebellisch war.” Ich nickte. “Damals nach dem Unfall meiner Eltern wusste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich war wütend auf mich selbst, weil ich dachte, ich hätte es irgendwie verhindern können. Wenn ich meinen Vater nicht vom Fahren abgelenkt hätte, wären wir sehr wahrscheinlich nicht über Rot über die Straße gefahren und in den Laster gerast…” Es kam mir vor, als wenn er das noch nie jemandem erzählt hatte. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte Dr. Cullen etwas davon erwähnt, er würde nicht über seine Familie reden. Doch gerade jetzt schien er mir alles anzuvertrauen. Ich nahm mir vor, zu schweigen, während er fortfuhr. “…Es gab in Seattle eine Gruppe von Jugendlichen, die unser Viertel fast jeden Abend tyrannisiert haben. Irgendwann bin ich an sie geraten und hab mich mit einem von ihnen angelegt. Überraschenderweise hab ich sogar gewonnen. Ihr Anführer war so beeindruckt, dass er mich gefragt hat, ob ich nicht bei ihnen mitmachen wolle. Damals war mir eh alles egal und all der Mist, den wir gemacht haben, hat mir geholfen, meinen Frust abzubauen. Ich musste mir über nichts Sorgen machen. Egal wo was los war, ich war dabei. Tayk hat natürlich auch meine Veränderung mitbekommen und hat immer wieder versucht, mich zurückzuholen. Als er gemerkt hat, dass es nichts bringt, war er stattdessen bereit, mich in bestimmten Situationen zu decken. Irgendwann hat mein Onkel das alles mitbekommen und mir ein Ultimatum gestellt. Entweder ich würde aussteigen und anfangen, ein ordentliches Leben zu führen oder er würde mich mit dem nächsten Zug in ein Internat für schwer Erziehbare schicken… An dem Abend, als ich mich dann von meinen Leuten verabschieden wollte, ist etwas passiert, womit keiner gerechnet hat… Kurz darauf sind wir umgezogen…” Ich hatte das Bedürfnis, ihn nach dieser Sache zu fragen, doch so wie sein Körper gerade bebte, ließ ich es lieber sein. Wenn er soweit war, würde er mir bestimmt davon erzählen. “…Als ich dann hier war und Tayk mich wieder gesehen hat, hab ich es ziemlich schwer gehabt, mich mit anderen anzufreunden. Einzig Tayks Status hat mich nicht zum totalen Außenseiter mutieren lassen. Ich war das erste Jahr relativ ruhig und hab noch nicht mal was angestellt. Erst langsam ist mein ganz altes Ich wiedergekommen. Das, was ich war, bevor ich mich dieser Gruppe angeschlossen hatte, obwohl ich immer noch niemanden so richtig an mich heranlassen wollte. Ich hab mir immer noch aus allem einen Spaß gemacht…” “Edward Cullen war Mitglied einer Gang…” stellte ich gespielt trocken fest und er lachte leise in mein Ohr. “Ja, so könnte man es sagen.” “Und wie sieht es jetzt aus?” fragte ich neugierig. Konnte ich vielleicht doch hoffen? Immerhin war ich diejenige, der er gerade seine gesamte Lebensgeschichte erzählte. Plötzlich nahm er mein Gesicht in beide Hände, strich mit seinen Daumen über meine Wangenknochen und sah mich mit seinen smaragdgrünen Augen an. Ein seltsames Leuchten war darin zu erkennen, während seine Lippen zu einem Lächeln verzogen waren. “Na ja…” sagte er leise. “Man könnte sagen, es gibt da jemanden, für den es sich lohnt, die gute Seite auszugraben.” “Wirklich…?” flüsterte ich etwas benommen. Er war mittlerweile so dicht gekommen, dass ich kaum noch etwas um mich herum wahr nahm. Die plötzliche Spannung zwischen uns kam mir seltsam bekannt vor. Wenn ich mich recht erinnerte, gab es sie das erste Mal, als ich Edward erzählt hatte, wir müssten eine Scheinbeziehung führen… Dann beim Baseballspiel, als er mit mir geübt hatte und wir hingefallen waren und auch als er mir auf dem Flügel vorgespielt hatte… Vielleicht war ich ja wirklich etwas blind gewesen. Vielleicht hatte ich die offensichtlichen Anzeichen nicht bemerkt, weil wir uns zu sehr auf unseren Plan konzentriert hatten. Dabei war ich immer überzeugt davon gewesen, dass er etwas von Claire wollte. Konnte Alice recht gehabt haben? Dass ich ihm wirklich sehr wichtig war? Wichtiger als meine Freundin? So wichtig, dass man sogar von… Liebe sprechen konnte? “Wirklich.” Seine Antwort war nicht mehr als ein Hauchen und uns trennten nur noch wenige Millimeter, in denen ich bereits seinen warmen, süßlichen Atem schmecken konnte. So sehr ich mich auch nach dem nächsten Schritt sehnte, so sehr hatte ich auch plötzlich Angst. Was, wenn ich es nicht konnte und ihn damit zurückschreckte? Die bloße Vorstellung brachte alles in mir zum Zittern. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Hätte er nicht gemerkt, dass ich kurz davor war wegzusacken, einen Arm um meine Taille geschlungen und mich eng an sich gedrückt, würde ich schon längst nicht mehr stehen. “Warte…” flüsterte ich, kurz bevor sich seine Lippen auf meine legen konnten, obwohl sich die Wärme, die von ihnen ausging, bereits auf mich übertrug. Er hielt inne, ohne jedoch den Abstand zwischen uns wieder zu vergrößern. “Ich… Ich hab noch nie… geküsst”, brachte ich leise und etwas zögerlich heraus. Ich spürte, wie er lächelte, ehe er langsam und mit einer Stimme antwortete, die meine Knie weich werden ließ. “Wenn du es mir erlaubst, zeig’ ich es dir…” Unfähig, noch ein einziges, weiteres Wort zu sagen, nickte ich nervös. Im nächsten Moment war jegliche Sorge verschwunden. Seine samtweichen Lippen schmiegten sich elegant an meine. Er war nicht fordernd. Er war nicht drängend. Er ließ mir alle Zeit der Welt. Doch eigentlich brauchte ich die gar nicht mehr. Meine Hände wanderten von ganz allein seinen Nacken hoch zu seinen Haaren, nur um seinen Kopf noch dichter an mich zu ziehen, während er das gleiche mit dem Rest meines Körpers tat. Ich bezweifelte, dass auch nur ein einziges Molekül zwischen uns Platz gehabt hätte, so eng umschlungen hatten mich seine Arme. Das hier war soviel besser als mein Traum. Zwar verlor ich auch hier jegliches Raum- und Zeitgefühl, doch dieses Mal war es real. Keine Einbildung, kein Wunschdenken. Zur gleichen Zeit, wie der Wirbel an Schmetterlingen in meinem Bauch an einen Ausbruch dachte, schien ein Feuerwerk in mir loszugehen. Nur gab es wirklich ein Feuerwerk. Um uns herum knallte es und bunte Lichter flackerten vor meinem inneren Auge auf, doch so wirklich wollten wir uns davon nicht stören lassen. Erst nach einer halben Ewigkeit lösten wir uns wieder voneinander, doch seine Stirn verhaarte an meiner und seine Hände hielten mich immer noch fest, genauso wie meine ihn. “Für den ersten Kuss nicht schlecht, oder?” keuchte er schwer atmend und lächelte zufrieden, während seine Augen versuchten, mit meinen um die Wette zu strahlen. Mir ging es nicht anders als ihm und ich nickte stumm. Schweigend sahen wir uns an und versuchten, unsere Lungenfunktion wieder zu normalisieren. Zwar wusste ich nicht, wie lange wir so standen, doch die paar Minuten fühlten sich an wie unendlich lange Stunden. “Ich hab was für dich”, meinte er plötzlich und steckte eine Hand in seine Tasche. Ich runzelte die Stirn und beobachtete ihn dabei, wie er einen kleinen, schwarzen, samtenen Beutel herausholte. “Ich wollte dir das eigentlich schon viel früher geben. Aber jetzt ist es, glaube ich, sogar noch besser.” Stillschweigend sah ich zu, wie er das Täschchen auf seiner Handfläche ausschüttete und etwas funkelndes heraus fiel. Es war eine silberne Kette mit einem länglichen Kristall - ungefähr drei Zentimeter -, der in einem sehr hellen gelb schimmerte. “Was…” Edward grinste und hielt den Anhänger leicht in die Höhe. Die Lichter der Tanzfläche und die vom Feuerwerk wurden von den vielen, geschliffenen Seiten reflektiert und ähnelten einem Prisma. Erst jetzt erkannte ich, dass sich etwas darin befand. “Das ist ein Citrin-Edelstein. Ich hab ein bisschen recherchiert und herausgefunden, dass die römischen Legionäre ihn damals getragen haben, um vor bösen Blicken und neidischen Intrigen beschützt zu werden. Außerdem wurde er bis ins Mittelalter als Sonnenstein verehrt und sollte ewiges Leben schenken”, erklärte er. “Das Röllchen, dass du sehen kannst, ist eine kleine, schmale Seite aus Papyrus. Wenn du genau hinsiehst, erkennst du sogar ein paar Noten.” Tatsächlich waren auf dem gelblich-braunen Papierstück einige schwarze und mit Hand geschriebene musikalische Zeichen abgebildet, die sich in jedem Winkel des Kristalls spiegelten. Noch ehe ich nachfragen konnte, beantwortete Edward bereits meine Frage. “Das ist der Anfang von dem Stück, dass ich dir vorgespielt habe. Ich hätte zwar gerne noch die Melodie mit einbauen lassen, aber soweit ist die Technik dann doch noch nicht,” meinte er etwas schmunzelnd. Ich war viel zu gerührt, als dass ich etwas hätte erwidern können. Nicht nur, dass es aussah, als würde ich Edward wirklich eine Menge bedeuten… Nein, jetzt schenkte er mir auch noch etwas, zu dessen Ursprung ich ihn angeblich einmal inspiriert hatte. Etwas, das uns verband, selbst wenn er einmal nicht bei mir sein würde. Ich hätte mich dafür ohrfeigen können, dass ich ausgerechnet jetzt anfing, zu weinen. Hastig versuchte ich die Tränen wegzuwischen, doch Edward schmunzelte nur etwas nervös. “Darf ich?” fragte er und hob die Hand mit der Kette ein wenig in die Höhe. Ich nickte und drehte ihm dann langsam meinen Rücken zu. Sanft strich er mir meine Haare aus dem Nacken und augenblicklich lief mir ein Schauer hinunter, als seine Finger sich leicht auf meiner Haut bewegten. Während er mir die Kette umhängte, fiel mir plötzlich etwas sehr wichtiges ein. Mein Geschenk an ihn. Der Handschuh. Ich dachte, ich würde ihn nicht mehr brauchen und jetzt hatte ich ihn nicht hier. Verdammt. Die Putzkolonne leerte jeden Tag den Müll aus. Ob ich soviel Glück hatte und die Abfuhr am Montag noch nicht da sein würde, wenn ich zur Schule kam? Vielleicht sollte ich extra früher hinfahren, um ganz sicher zu gehen. Nur musste ich Edward dann erklären, warum ich alleine zur Schule wollte. Die unerwartete Berührung seiner Lippen auf dem Verschluss und auf meinem Nacken lenkte mich wieder zurück in die Gegenwart und ich schnappte leicht nach Luft. Meine Finger befühlten den kalten Edelstein. Ich mochte gar nicht wissen, wie viel er dafür ausgegeben hatte... “Sie steht dir”, hauchte Edward an meinem Ohr, während seine Arme den Weg um meinen Bauch gefunden hatten und seine Lippen auf meinem Wangenknochen lagen, als ich meinen Kopf zu ihm drehte. Als ich etwas erwidern wollte, hörte ich eine mir altbekannte Stimme hinter uns. “Gerade erst einen Tag von der alten getrennt und schon an einem neuen Mädchen dran?” sagte Claire gespielt schockiert. “Da hättest du aber auch-” Weiter kam sie nicht, als wir uns zu ihr umdrehten. “Bella!” japste sie und ihre Augen weiteten sich immer mehr, als diese im Wechsel immer wieder zwischen Edward und mir huschten. “Was… Was machst du denn hier?” Eine meiner Augenbrauen zuckte nach oben. Obwohl sie am Besten wusste, dass es die Feier unseres Jahrgangs war, fragte sie mich allen Ernstes, was ich hier machte? Wollte sie mich etwa absichtlich nicht hier haben? “Feiern”, antwortete ich ihr trocken, ehe mein Blick auf etwas in ihrer Hand fiel, das ich nur allzu gut kannte. Es war der Beutel, den ich als Verpackung für Edwards Geschenk gekauft hatte. Mein Beutel. Mein Baseballhandschuh. Mein Geschenk. Wieso hatte Claire es? ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ So, irgendwem die Veränderungen aufgefallen?...>.<... Kapitel 14: Gute Miene zum bösen Spiel -------------------------------------- 1. Da ich dieses Mal leider keine Zeit habe, jedem einzeln für eure Kommis zu bedanken, mach ich das hier. Ich hoffe, ihr nehmt mir das nicht übel...>.<...^^ 2.Ich hoffe, jeder hat die Veränderung im letzten Chap mitbekommen, sodass sich keiner mehr wundert, auch wenn nur zum Schluss darauf Bezug genommen wird...;) Und jetzt viel Spass...(kleine Anmerkung: Das Kapitel löst einige Fragen, wenn ach nicht alle...xD) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Vielleicht reagierte ich auch gerade über. Dass sie mein Geschenk für Edward in der Hand hielt, musste nicht unbedingt etwas bedeuten. Es war gut möglich, dass sie mich gesehen hatte, wie ich es in den Mülleimer schmiss und es konnte doch sein, dass sie ihn wieder herausgeholt und dann den Zettel darin entdeckt hatte. Und jetzt war sie hier, um ihn mir wiederzugeben. Diese Theorie bröckelte allerdings an der Tatsache, dass sie eben völlig überrascht über meine Anwesenheit war. Doch die anfängliche Überraschung verschwand schnell und ein Lächeln trat jetzt auf ihr Gesicht. “Ich freu mich, dich zu sehen. Anscheinend geht es dir wieder besser.” “Ja…” sagte ich langsam. “Moment… Was genau meinst du damit?” Spielte sie auf Tayk an? Davon konnte sie doch gar nichts wissen. “Wegen gestern. Ihr hattet euch doch gestritten.” Ihr Blick huschte kurz zu Edward und dann zwischen uns, als er meine Hand nahm und sie sanft drückte. “Das haben wir bereits geklärt”, sagte dieser reserviert. “Oh… Das ist wirklich… unerwartet”, erwiderte sie und versuchte zu lächeln. “Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell geht. Aber es ist natürlich schön, dass-” “Claire… Wie kommt es, dass ich die Einzige bin, dich nichts hiervon gewusst hat? Ich meine, du hast mitgeholfen, es zu organisieren und erzählst mir nicht mal was”, unterbrach ich sie etwas barsch. Ihre Miene war erst verdutzt, dann wurde sie wehleidig. “Das wollte ich, aber als ich gesehen hab, wie schlecht es dir ging, dachte ich, so eine Party wäre bestimmt nichts für dich.” “Das war nur gestern. Ich glaube kaum, dass ihr das hier erst vor einem Tag auf die Beine gestellt habt.” Sie sah aus, als wollte sie etwas erwidern, hielt sich dann jedoch zurück. Langsam wurde ich nervös. Irgendetwas stimmte hier nicht und ich bekam Angst, dass das alles kein gutes Ende nehmen würde. Alles mögliche schwirrte in meinem Kopf herum. Szenen, in denen Claire und ich vorkamen, Situationen, in denen es mir schlecht ging, Alice’ Ansichten über Claire und jetzt das hier. Der Gedanke, meine beste Freundin würde nicht das sein, was sie vorgab, schnürte mir die Kehle zu und ich musste tief Luft holen, um wieder Sauerstoff in meine Lungen zu bekommen. Edward drückte meine Hand fester und sofort fühlte ich mich etwas wohler; sicherer. “Und was soll das da?” fragte ich sie langsam und nickte zu dem Beutel in ihrer Hand. “Warum hast-” “Oh, das ist nur ein kleines Dankeschön für Edward. Weil er mir doch so viel hilft”, schnitt sie mir das Wort ab und kam einen Schritt auf uns zu. Alice und Jasper, als auch Emmett, der Roxy jetzt auf den Armen trug, blieben stehen und beobachteten uns. Im ersten Moment hatte ich keine Ahnung, was ich auf ihre Erklärung antworten sollte. In meinem Kopf herrschte Chaos und ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Nicht nur hatte sie gerade mein Geschenk als ihres ausgegeben, sie hatte mir auch eiskalt ins Gesicht gelogen. Das war doch nicht die Claire, die ich kannte; die mir immer geholfen hatte; die sich für mich einsetzte und mich immer wieder aufmunterte. Was war hier verdammt noch mal los? Ich musste mich gerade einfach verhört haben. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. “Das… Das meinst du doch nicht ernst, oder?” fragte ich leise und hoffte inständig, dass das alles nur ein Scherz war. Vielleicht war der Zettel ja nicht mehr im Handschuh gewesen und sie wusste einfach nicht, dass er mir gehörte. Und dann ist ihr möglicherweise selbst die Idee gekommen, ihn Edward zu schenken. Schließlich kannte sie seine Leidenschaft für Baseball. Claire sah mich kopfschüttelnd an und schmunzelte. “Bella, irgendwie muss ich mich doch bei ihm bedanken, wenn er schon seine Zeit für mich opfert.” “Sag mal”, ergriff Edward plötzlich das Wort. “Ist es nicht etwas übertrieben, sich für nur zwei Unterrichtsstunden so zu revanchieren?” Sie lächelte. “Ich weiß, dass ich dein Niveau noch nicht erreicht habe, aber ich kann jetzt schon sagen, dass wir weiter sind, als ich je mit einem anderen Nachhilfelehrer war und dass ich dich wahrscheinlich schon bald einholen werde.” “Dann kannst du ja ab jetzt alleine üben.” “Wie bitte?” fragte sie ein wenig zu laut und sah aus, als hätte ihr jemand vor den Kopf gestoßen. Mittlerweile standen noch mehr Leute in der Nähe und beobachteten unsere Unterhaltung, die eine immer merkwürdigere Richtung einschlug. Als wäre es so interessant, was das beliebteste Mädchen unserer Schule gerade für eine Auseinandersetzung hatte. “Du bist doch in allem perfekt. Die Grundlagen kannst du und ich bin sicher, dass du den Rest auch selbst hinbekommst”, antwortete er mit einem süffisanten Lächeln, ehe sein Gesicht wieder ernst wurde, er einen Arm um meine Taille legte und mich eng an sich zog. Mein Puls erhöhte sich bei der Berührung genauso wie sonst auch, nur war das Gefühl dieses Mal ein wenig anders. Angenehmer. Nicht, dass es das vorher nicht gewesen wäre, nur jetzt wusste ich, dass es echt war und kein Spiel. Dass Edward es gerne tat und nicht, weil er es musste. “Außerdem würde Bella sich nicht wohl fühlen, wenn ich bei dir wäre.” Ihre Augen weiteten sich kurz, dann entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder. “Wegen Bella…” murmelte sie vor sich hin. “Glaubst du etwa, sie ist eifersüchtig?” “Ich würde es nicht eifersüchtig nennen. Dennoch… Wenn ich wüsste, dass mein Freund bei der Freundin ist, die mir bisher jedes Date ausgespannt hat, dann denke ich: Ja.” Ein unangenehmes Ziehen entstand in meiner Brust bei seinen Worten und meine Hand legte sich automatisch auf mein Herz, um den schwachen Schmerz zu unterdrücken, den sie auslösten. Edward strich beruhigend an meiner Seite entlang. “Ausgespannt?” wiederholte sie ungläubig und sah mich finster an, als hätte ich ein Gerücht über sie erzählt. Dabei war es doch auch irgendwie wahr, oder nicht? “Was kann ich denn dafür, dass sich die Jungs plötzlich für mich interessiert haben, anstatt für sie”, blaffte sie etwas gereizt. “Das gibt einem noch lange nicht das Recht, der besten Freundin in den Rücken zu fallen und mit jedem etwas anzufangen, findest du nicht?” konterte Edward selbstgefällig. “Das war nur Zufall, dass ich dem Werben nachgegeben und mich darauf eingelassen habe. Außerdem waren sie zu dem Zeitpunkt bereits immer auseinander und ich hab Bella vorher gefragt, ob es ihr was ausmacht.” “Ein bisschen zu viele Zufälle, meiner Meinung nach”, entgegnete Alice plötzlich und stellte sich mit verschränkten Armen an meine freie Seite. Ihre Augen waren so schmal wie Schlitze. “Dafür, dass du dich Freundin schimpfst, trampelst du ganz schön auf den Gefühlen Anderer herum.” Claire verschlug es die Sprache und als sie wieder etwas sagte, klang ihre Stimme nicht mehr so fest wie zu Anfang. Es sah aus, als fühlte sie sich unwohl in ihrer Haut. Scheu wie ein Tier, das in die Ecke gedrängt wurde. “Ich verletze andere Menschen?” spottete sie und ihr Blick wanderte zu Edward. “Dabei sollte sich Bella mal an die eigene Nase fassen.” “Was?” japste ich und verschluckte mich fast an dem einen Wort. “Was soll das denn heißen?” Vielleicht meinte sie auch nur die Sache in der Cafeteria, doch als ich ihre Antwort hörte, ließ ich die Idee schnell wieder fallen. “Ach, komm schon, Bella. Meinst du nicht, du solltest aufhören, Edward etwas vorzuspielen?” Ihre Miene flehte mich geradezu an, etwas zuzugeben, von dem ich selbst keine Ahnung hatte. Worauf wollte sie hinaus? Letzterer schob misstrauisch seine Augenbrauen zusammen. “Könntest du uns bitte mal aufklären?” Claire musterte erst die Szenerie, ehe sie resigniert seufzte. “Na schön, wenn Bella es nicht selbst erklärt, muss ich es wohl machen. Aber ich warne dich, Edward. Es wird nicht schön.” Mein Herz schlug unregelmäßig und viel zu schnell. Egal, was Claire sagen würde, ich wusste, dass es eine Lüge sein musste. Ich konnte mich beim besten Willen an nichts erinnern, was Edward noch nicht wusste und ihn in irgendeiner Weise verletzen könnte. Und trotzdem hatte ich Angst, er und alle anderen würden das, was gleich kam, glauben. “Ich dachte eigentlich”, setzte sie an und klang mitleidig. “Dass ich dir gestern die Augen geöffnet hätte und du bereits einen Entschluss gefasst hast. Aber da hab ich mich wohl geirrt. Als ich gestern sagte, ich glaube, Bella betrügt dich, war das mein Ernst.” Mir blieb der Mund offen stehen. Die Verwirrung lähmte meine Gedanken und obwohl ich ihr etwas entgegnen wollte, fehlten mir gerade jetzt die passenden Worte. Sie hatte hinter meinem Rücken über mich gesprochen. Viel schlimmer. Sie hatte Edward Dinge über mich erzählt, die eindeutig dazu führen konnten, dass er sich von mir trennte. “Ich kann mich noch an unser Gespräch erinnern”, antwortete er kühl. “Ich weiß nicht, was du vorhast, Claire. Aber ich weiß, wem ich vertrauen kann.” “Wie kommst du auf so was?” fragte ich sie leise mit erstickter Stimme. Sie sah aus, als fiele es ihr schwer, weiterzureden. “Ich tue das wirklich ungern, aber es gibt Beweise.” Langsam steckte sie ihre Hand in die Hosentasche und holte ein Stück glänzendes Papier heraus, was sie uns demonstrativ entgegenhielt. Alice, Edward und ich mussten das gleiche entsetzte Gesicht haben, nur traf es mich wahrscheinlich härter als die anderen, als mir klar wurde, um was für ein Foto es sich da handelte. Ich kniff meine Augen zusammen, um besser sehen zu können. Es waren zwei Personen in einem Bett zu erkennen und eine davon ähnelte sehr stark mir. Ich erkannte sogar das Negligé von Tayk. Er war die zweite Person auf dem Bild und die Position, in der wir uns befanden… Mir blieb die Luft weg. Ich hatte tatsächlich vergessen, wie man atmete. Auch wenn man irgendwie nichts erkennen konnte und dann wieder soviel, dass sich der Rest von alleine ergab, überwältigte mich das Gefühl des Schams und der Bloßstellung. Meine Wangen färbten sich unnatürlich rot und meine Beine drohten wegzusacken, hätte Edward mich nicht so festgehalten. Ich konnte meinen Herzschlag regelrecht hören, wie er in die unterschiedlichsten Intervalle verfiel. “Siehst du?” erklärte sie. “Ich denke, das ist eindeutig. Ich hab sogar gehört, sie soll schwanger sein. Also muss das ja schon länger gehen.” “Was…“ setzte ich an, doch meine Stimme brach. Tränen stiegen auf und wollten sich bereits nach außen kämpfen. Es war nicht nur dieses Foto. Die Tatsache, dass ausgerechnet Claire eines hatte, war um einiges schlimmer und dass sie so etwas behauptete, verdoppelte den Schmerz. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Emmett und Jasper dichter kamen, um ebenfalls etwas erkennen zu können. Ich betete, das irgendetwas passierte, damit sie nicht auch noch mitbekamen, um was es sich da handelte. Noch ehe jedoch Alice oder Edward etwas unternehmen konnten, hatte sich jemand dazwischen geschalten, von dem ich so etwas als letztes erwartet hätte. Rosalie kam auf uns zu, riss Claire das Foto aus der Hand und holte weit aus. Die Ohrfeige kam so schnell, dass sie keine Zeit mehr hatte, zu reagieren. Claire stand da, das Gesicht zur Seite. Ich Wange war leicht gerötet und einige Strähnen ihrer blonden Haare waren darüber verteilt. Langsam drehte sie ihren Kopf zurück und starrte ihre Verwandte vollkommen erschrocken an. Spätestens jetzt kümmerte sich keiner mehr um die Party. Sogar die Band hatte aufgehört zu spielen. “Rose…?” stellte sie verwirrt fest. “Du bist erbärmlich, weißt du das?” fuhr die Angesprochene sie an und die Wut ließ ihre Stimme beben. “Was ist eigentlich dein Problem? Kannst du es einfach nicht sehen, wenn jemand glücklich ist oder macht es dir Spaß, Andere leiden zu lassen?” “Was hab ich dir denn getan?” “Mir?” wiederholte sie fast schon hysterisch. “Du solltest dir lieber anschauen, was du ihr da gerade antust!” Rosalie deutete auf uns und jetzt konnte ich sehen, wie zornig ihr Gesicht aussah. Ich konnte nicht verstehen, warum sie sich für mich einsetzte, aber ich war ihr sehr dankbar dafür. Vor allem, da ich wusste, dass ich zu so etwas nicht in der Lage gewesen wäre. “Was kümmert dich das? Jeder sollte das bekommen, was er verdient hat”, konterte Claire bissig und funkelte ihre Cousine an. “Ohhh… Mich wundert, dass du in dem Fall noch so selbstzufrieden durch die Gegend laufen kannst. Denk nicht, ich wüsste nicht, was du alles treibst. Ich hab gehört, was du mit diesem Typen ausgemacht hast und mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich daran denke. Wie kann ein einziger Mensch absichtlich das Glück anderer zerstören wollen? Es gibt doch schon genug Schwierigkeiten in einer Beziehung, auch ohne äußere Einflüsse. Da muss man nicht-” “Oh bitte, fang jetzt nicht wieder damit an, ja? Dass dein Freund dich verlassen hat, ist nicht meine Schuld. Also lass deinen Frust nicht an mir aus”, fuhr Claire ihr schroff dazwischen. Für eine kurze Weile herrschte Stille, bevor Rosalie wieder etwas sagte. “Das hat damit überhaupt nichts zutun”, flüsterte sie und ihre Stimme zitterte plötzlich. “Natürlich nicht”, blaffte Claire. “Ich seh doch, wie du jeden Abend in der gleichen Ecke des Wohnzimmers sitzt und deinem Ex-Lover hinterher weinst.” Darauf wusste ihre Cousine nichts zu sagen. Ich konnte nur sehen, wie sie ihre Hände ballte und ihre Lippen zusammenpresste, als versuchte sie angestrengt, sich zurückzuhalten. Ihre Augen funkelten vor Wut und Verletzung. Im nächsten Augenblick machte sie kehrt und rannte von der Tanzfläche. “Mommy?” hörte ich Roxy fragen und als ich mich zu ihr umdrehte, setzte Emmett sie gerade ab und flüsterte ihr “Warte hier, okay?” zu. Dann folgte er mit ernsthaft besorgtem Gesicht ihrer Mutter. Voller Entsetzen starrte ich zurück zu Claire. Was war nur los mit ihr? Ich erkannte sie überhaupt nicht mehr wieder. Weder ihre Freundlichkeit, noch ihre verständnisvolle Art, mit der sie sonst immer jedem zugehört hatte. Edward neben mir lachte plötzlich bitter auf und verwundert sah ich ihn an. “Ich glaub das nicht”, murmelte er mit geschlossenen Augen und tippte sich mit der Daumenspitze an seine Stirn. Claire war genauso verwirrt wie ich. “Du steckst dahinter, oder?” fragte er, sah sie jetzt aber wieder finster an. “Ich weiß nicht, was du meinst.” Claires Worte entsprachen nicht wirklich dem, was sich in ihrem Gesicht widerspiegelte. Es schien, als hätte sie Angst, etwas würde ans Licht kommen, das sie auf jeden Fall geheim halten wollte. “Wir brauchen nach eben doch nur eins und eins zusammenzählen”, meinte Alice und kam einen Schritt auf sie zu. “Ich kann nicht glauben, dass es jemandem gibt, der zu so was in der Lage ist.” Edward zog mich noch fester an sich, doch seine Miene war hart wie Stein. “Ich hab überhaupt keine Ahnung, worauf du hinaus willst.” “Jetzt wissen wir doch, dass du diejenige bist, die das alles mit Tayk geplant hat”, erklärte ihr Alice. “Ich frage mich nur, wie du so was machen konntest.” “Das ist doch lächerlich”, sagte Claire, doch es klang nicht annähernd so überzeugend, wie sie es vorhatte. Ihre Worte sickerten nur langsam in mein Bewusstsein. Darauf war ich nicht vorbereitet. Nie im Leben wäre ich darauf gekommen, dass Claire, meine eigentlich beste Freundin, mir so etwas antun wollte - könnte. Dass sie sich extra mit jemandem zusammengetan hatte, um es zu planen. Nein, sie hatte ihn sogar erpresst. Ihm gedroht, sein Geheimnis zu verraten, sollte er ihr nicht helfen. Das erklärte auch, warum Charlie davon ausging, ich sei bei ihr. Weil sie selbst es ihm erzählt hatte. Ich verstand die Welt nicht mehr. Was in Gottes Namen hatte sie zu so was veranlasst? Wieso hatte sie mir nicht einfach ins Gesicht gesagt, dass sie mich nicht leiden konnte? Dass sie mich so sehr hasste? “Sag, dass das nicht wahr ist”, hauchte ich mit zittriger Stimme und ging ein Stück auf sie zu. Ich spürte, wie meine Augen wieder feucht wurden. “Sag mir,… dass du das nicht getan hast.” Ein Murmeln ging durch die Reihen. “Ich glaube, Claire fliegt langsam auf”, konnte ich heraushören und ich meinte, Laurens Stimme erkannt zu haben. Wer wusste denn noch davon? Claires Gesicht war ausdruckslos. Sie lachte einmal leise auf und einer ihrer Mundwinkel zuckte kurz nach oben. “Jetzt erzähl mir nicht, du hättest es nicht geahnt.” “Wir sind befreundet. Woher sollte ich-” “Das ist ein ziemlich weitläufiger Begriff, meiner Meinung nach”, unterbrach sie mich. “Was?” “Das war nicht das erste Mal, oder?” fragte Alice, woraufhin Claires Augen kurz zu ihr huschten und dann zu Edward. “Sieh mich bitte nicht so an, ja?” bat sie ihn in einem seltsam flehenden Ton. Als ich meinen Kopf kurz zu ihm drehte, bemerkte ich, wie seine Augen vor Zorn sprühten und es schien, als wollte er sie allein mit seinem Blick verletzen. “Ich hab allen Grund dazu”, meinte er nur knapp. “Wie lange läuft das schon?” Alice war noch dichter gekommen und stand jetzt wieder neben mir. “Wann hast du dich entschlossen, so mit Bellas Gefühlen zu spielen?” Claire wich einen Schritt zurück und ihr Gesicht nahm einen schmerzlich verärgerten Ausdruck an. “Du hast doch keine Ahnung”, flüsterte sie gepresst. “Dann erklär’s uns doch.” “Ich sollte da stehen”, sagte sie und deutete mit einem Nicken zu mir. Alice runzelte die Stirn. “Du bist verrückt, weißt du das?” “Ach ja? Bella hat so jemanden überhaupt nicht verdient…” “Was soll das denn heißen?” fragte Edward. Claire lächelte gequält. “Ich bin die Beste in der Schule und die Beliebteste. Ich hab eine Menge Geld und kann mir alles leisten. Außerdem sehe ich hübsch aus. Ich bin perfekt. Und trotzdem… Wer hatte mit vierzehn seinen ersten Freund?… Isabella Swan. Meine unscheinbare Freundin, die weder besonders auffiel, noch irgendwie reizvoll war.” “Meinen ersten Freund?” fiel ich ihr ins Wort. “Nach der dritten Verabredung hat er gemeint, ich wäre das peinlichste, das es je gegeben hat. Dabei konnte ich mir damals selbst kaum erklären, wie all diese Missgeschicke passieren konnten.” Claire lachte kurz leise auf, ehe sie wieder völlig ernst wurde. “Es war so einfach, deine Dates ein wenig in die richtige Richtung zu lenken und die Jungs darauf hinzuweisen, was für ein Mädchen sie da hatten. Und weißt du was? Es ging mir danach sogar besser. Als ich gesehen hab, wie entmutigt du jedes Mal warst. Das hat mir nur verdeutlicht, wie schwach du bist. Jämmerlich. Ich war mir sicher, dass wenn alle denken, sie müssten bei dir ständig aufpassen, dann würden sie sich schon alleine von dir fernhalten. Irgendwann hab ich mich gar nicht mehr darum kümmern müssen, bei deinen Verabredungen ein wenig nachzuhelfen. Du hast sie alle von ganz allein verjagt. Vielleicht musste ich ab und zu eingreifen, wenn ein Junge begriffsstutzig war. Doch der Rest erledigte sich von selbst.” Ich hatte plötzlich einen Kloß im Hals und konnte sie nur anstarren. Ich war immer davon ausgegangen, dass meine Tollpatschigkeit daran Schuld war, dass es jemand nie lange mit mir ausgehalten hatte. Dass das eine meiner Angewohnheiten war, ständig ins Fettnäpfchen zu treten. Und jetzt stellte sich heraus, dass Claire dahinter steckte? “Das heißt, jedes Mal, wenn jemand Interesse an mir gezeigt hat, warst du eifersüchtig?” Sie erwiderte nichts, sondern sah mich nur missbilligend an. “Warum…” fragte ich heiser und unterdrückte mit aller Gewalt meine Tränen. “Warum hast du dann auch noch was mit ihnen angefangen?” “Damit sie sehen, dass ich besser bin als du. Dass ich es wert bin, einen Freund zu haben, im Gegensatz zu dir”, antwortete sie kalt. “Und Mike? Mit ihm hast du nichts gehabt.” “Ich bitte dich. Es gibt Menschen, die sind sogar unter meinem Niveau. Mike ist ein aufgeblasener Wichtigtuer, der jedem in den Arsch kriecht, solange er Profit herausschlagen kann.” Ich taumelte zurück, kam aber nicht weit, da Edward derweil hinter mich getreten war und nun seine Hände an meine Schultern legte. “Könntest du bitte damit aufhören, sie ständig so… anzufassen?” blaffte sie ihn an. “Das ist unerträglich.” “Weil es dir zeigt, dass du dieses Mal keinen Erfolg hattest?” entgegnete er abfällig und legte seine Arme weiter um mich. Claire sah immer wütender aus. “Weil du ihr mehr Aufmerksamkeit schenkst als mir. Und das schon eine halbe Ewigkeit lang.” Für einen Moment herrschte Stille und keiner wagte, etwas zu sagen, nur Alice grinste höhnisch, als hätte sie so etwas erwartet. “Ein Jahr nachdem du auf unsere Schule gekommen bist, hab ich langsam gemerkt, wie sehr ich dich haben wollte. Deine kühle, abweisende Art hatte mich fasziniert,” durchbrach Claire das Schweigen. “Aber du hast mich nie beachtet, dabei waren die Anzeichen so verdammt deutlich gewesen. Du hast mich behandelt, als wäre ich Luft.” “Weil mich reiche, verwöhnte Mädchen, die denken, sie könnten alles haben, nicht interessieren.” Edwards frostiger Ton schien ihr zuzusetzen. “Weißt du eigentlich, wie weh es getan hat, als ich gemerkt habe, dass du sie immer beobachtest?” quiekte sie. “Ich stand ständig neben ihr und du hattest nur Augen für sie. Das war ja schon fast abnormal. Als wäre sie die Einzige, die sich zusammen mit dir in einem Raum befindet.” “Das hatte seine Gründe”, sagte er nur. Ich hätte gerne genauer gewusst, was er damit meinte, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um nachzufragen. “Ich hab alles versucht, um dir zu zeigen, dass sie gar nicht so toll ist und was machst du? Du rennst ihr auch noch hinterher, als dieser Kerl sie weggeschleppt hat” fuhr Claire aufgebracht fort. “Was für ein Kerl?” fragte Alice mit zusammengezogenen Augenbrauen, doch Edward schien bereits zu wissen, worauf sie hinaus wollte. “Meinst du den Zwischenfall im Club?” Sie antwortete nicht. Stattdessen wandte sie ihren Blick von ihm ab. “Sag mir nicht, dass du ihr diese K.O.-Tropfen untergemischt hast”, knurrte er, während bei mir langsam der Boden unter meinen Füßen aufbrach. Alles, was ich bisher geglaubt hatte, schien gerade in tausend Scherben zu zerfallen. Die ganze Zeit über wurde mir weiß gemacht, wie schwächlich ich doch wäre. Dass ich niemanden in meine Nähe lassen konnte, ohne ihm unbewusst etwas anzutun. Mein Selbstbewusstsein war schon lange so sehr in den Keller gerutscht, dass ich sowieso nur noch selten jemanden an mich heranlassen wollte, während ich nach außen hin immer vorgegeben hatte, dass es mir gut ging. Ich hatte mir das sogar selbst eingeredet. Ich war sogar überzeugt davon, dass wenn ich mich richtig anstrengen würde, ich es doch schaffen konnte, mit jemandem ohne Hindernisse zusammenzukommen. Dass ich meine Ängste überwinden könnte. Obwohl ich tief im Inneren auch irgendwie gewusst hatte, dass es nicht klappen würde. Und in genau diesem Augenblick wurde mir klar gemacht, dass ich systematisch hintergangen und mein Selbstvertrauen auf den tiefsten Punkt hinuntergeschraubt wurde. Von meiner eigenen Freundin. Und das nur, weil ich als Erste einen Freund hatte? Das war doch Wahnsinn… Ich klammerte mich regelrecht an Edwards Arme, um den Halt nicht zu verlieren. “Ich dachte, das würde das Bild, das du von ihr hast, ins Wanken bringen”, erklärte Claire. “Wenn sich vielleicht herausstellt, dass sie Drogen nimmt, oder sich auf ältere Männer einlässt, dann wendest du dich von ihr ab und dir wird klar, wer wirklich zu dir passt.” “Und damit meinst du dich, vermute ich mal”, ergänzte Alice schnippisch. Claires Mundwinkel zuckte nach oben, als sie kurz zu ihr blickte, dann schüttelte sie ungläubig den Kopf und sah wieder zu Edward. “Aber du hast überhaupt nicht an so eine Möglichkeit gedacht, sondern hilfst ihr auch noch. Viel schlimmer, du hältst dich danach noch öfter in ihrer Nähe auf - bist sogar mit ihr zusammen - und lässt sie nicht eine Sekunde mehr aus den Augen. Als wäre sie aus Glas. Ich kam überhaupt nicht mehr dazu, etwas zu unternehmen, ohne dass du mitbekommen hättest, was wirklich los sein könnte… Und dann sah es plötzlich so aus, als hättest du doch Gefallen an mir gefunden und Bella nur als Vorwand genommen, um dich hinter ihrem Rücken an mich heranzumachen.” Automatisch verkrampfte ich mich, da das, was sie eben gesagt hatte, anfänglich ja wirklich der Wahrheit entsprach. Nur dass sie es von vornherein geahnt hatte, überraschte mich, genauso wie die Tatsache, dass Edward scheinbar nie Interesse an ihr gezeigt hatte. “Doch dann sah es wieder so aus, als würde ich dich nerven”, sprach sie weiter. “Du hast dich bei den Übungsstunden noch nicht mal richtig auf das Spielen konzentriert und warst mit deinen Gedanken immer woanders. Ich bin fast verrückt geworden. Ich hab es gehasst, wenn du immer wieder von Bella angefangen und dir wegen ihr sogar Vorwürfe gemacht hast. Und als mir eingefallen ist, dass Bella mal was von Tayk wollte, ist mir eine Idee gekommen, wie ich dir klar machen kann, dass sie nicht die Richtige für dich ist.” “Ist dir überhaupt klar, was du damit hättest anrichten können?” fuhr Alice sie an. “Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie man sich nach so was fühlt? Oder ist dein Herz schon so kalt, dass du sogar über Leichen gehen würdest, um an dein Ziel zu kommen?” Für einen Augenblick sah sie verwirrt aus. Vielleicht kam es ihr merkwürdig vor, dass es hieß hätte anrichten können und nicht angerichtet hatte. Ich konnte langsam nicht mehr. Das alles wurde zuviel für mich. Ich wusste noch nicht einmal mehr etwas zu erwidern, so geschockt war ich von Claires wahrem Gesicht. “Wer braucht denn schon jemanden wie sie!” schnappte sie aufgebracht. “Weißt du, bei all dem, was du ihr angetan hast, ist es kein Wunder, dass ihr Weltbild um einiges angeknackst ist und sie kaum noch Vertrauen in sich setzt”, meinte Edward und strich mit seinem Daumen sanft über meine Hände. Vielleicht um einem drohenden Zusammenbruch entgegenzuwirken. “Und was ist mit mir?” entgegnete Claire mitleidig. “Hab ich nicht auch das Recht, geliebt zu werden? Das Recht auf jemanden, der mich in den Arm nimmt und mich tröstet, wenn es mir schlecht geht? Der mir sagt, dass ich das Kostbarste auf der Welt bin?” “Ganz ehrlich?” wollte Alice wissen und ihr Blick wurde noch finsterer. “In Anbetracht deiner bisherigen Leistungen: Nein.” Claire starrte sie zuerst einfach nur fassungslos an, ehe sie auf einmal völlig in Rage verfiel. “Aber Bella hat es? Sie läuft durch die Gegend und tut so, als wäre sie ein kleines, schüchternes Mädchen. Dabei hat sie doch nur darauf gewartet, mir denjenigen wegzuschnappen, der für mich bestimmt war. Wenn ihr all die Hindernisse, die ich ihr in den Weg gelegt hab, wirklich etwas ausgemacht hätten, dann würde sie jetzt nicht hier stehen, sondern sich Zuhause in einer Ecke verkriechen und in Selbstmitleid verfallen!” Alice war bereits auf sie zugegangen, doch dieses Mal war ich schneller. Ich hatte mich so hastig aus Edwards Umarmung befreit und war auf sie zugeschritten, dass ich erst wieder wusste, was passiert war, als ich meine erhobene Hand sah und der Knall auf ihre Wange noch immer in meinen Ohren hallte. Die Ohrfeige war so heftig, dass Claire sogar leicht ins Schwanken geriet und beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Mein ganzer Körper vibrierte vor Wut und Enttäuschung. Nie hätte ich damit gerechnet, zu so etwas in der Lage zu sein, doch jetzt tat es unglaublich gut und eine gewisse Genugtuung machte sich breit. Ihr Gesicht war starr auf meins gerichtet, während ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Ich spürte die Wärme, die von ihnen ausging, und es fühlte sich an, als würden da, wo sie entlangliefen, glühende Linien bleiben. “Du bist das Letzte”, flüsterte ich ihr zu. Zu mehr war ich nicht in der Lage. Ich wollte es auch gar nicht. Ich wollte nie wieder ein Wort mit ihr reden. Nicht einmal mehr ihr Gesicht sehen. Ich ging an ihr vorbei die Tanzfläche hinunter und drängte mich durch die kleine Masse an Schaulustigen auf das Ufer zu. Als ich mich um einiges entfernt hatte und jetzt nur noch mein Rücken leicht von den Lichtern angestrahlt wurde, ließ ich mich in den immer noch etwas warmen Sand fallen, schlang meine Arme um meine Knie und starrte auf die dunkle Oberfläche des Wassers, ohne eigentlich wirklich etwas um mich herum wahrzunehmen. Nicht einmal das stumme Pochen in meiner Hand, die nach dem Schlag ein wenig schmerzte. Das einzige, das ich jetzt wollte, war Ruhe. Soviel wirbelte gerade in meinem Kopf und es war schwer, meine Gedanken richtig zu ordnen. Die kühle Brise, die aufkam, war angenehm. Außerdem half sie, mein Gesicht zu trocknen, auch wenn es bereits regelrecht überflutet war und ich den salzigen Geschmack an meinen Mundwinkeln schmeckte. “Bella?” hörte eine mir vertraute Stimme leise hinter mir und bereits in der nächsten Sekunde spürte ich eine warme Hand auf meinem Rücken. Ich mochte mich nicht zu ihm umdrehen. Ich wollte ihm den Anblick ersparen. Den Anblick einer mitleidigen, hilflosen Bella, die drei Jahre lang nicht gemerkt hatte, dass ihre beste Freundin eigentlich ihre schlimmste Feindin war. Da bekam das Sprichwort Sei deinen Freunden nah, aber deinen Feinden noch näher ganz neue Ausmaße. Wahrscheinlich war das noch nicht mal der richtige Wortlaut. Sogar dazu war ich nicht mehr in der Lage. Und ich war auch noch so selbstlos und wünschte ihr jedes Mal Glück, wenn sie denn wieder mit einem meiner Exfreunde ausging. Wie dumm war ich eigentlich? Irgendwie hatte Claire ja auch Recht. Ich war es mittlerweile wirklich nicht mehr wert, dass sich jemand mit mir abgab. Ich war schwach, ich war naiv. Und dann war ich wiederum so überzeugt davon gewesen, mit Edward zusammen sein zu können, dass es sich jetzt schon wieder völlig lächerlich anhörte. Er setzte sich jetzt neben mich und legte einen Arm um meine Schultern. “Was willst du hier?” nuschelte ich, ohne ihn anzusehen. “Dich davor bewahren, auch nur ein Wort von dem, was Claire über dich gesagt hat, zu glauben. Ich kann mir vorstellen, dass wenn du jetzt alleine darüber nachdenkst, womöglich zu dem Schluss kommst, sie hätte Recht gehabt.” “Hat sie das denn nicht?” flüsterte ich mit kratziger Stimme, während ich mit feuchten Augen weiterhin aufs Meer blickte. Edward zog mich noch etwas enger an sich und legte seine Hand vorsichtig an meine Wange, um mein Gesicht zu sich zu drehen. “Bella”, fing er an und ließ meine Augen nicht mehr von seinen los. “Sie lügt, wenn sie sagt, du bist schwach. Sie lügt, wenn sie sagt, du seiest nicht toll und sie lügt, wenn sie sagt, du wärst nichts wert. Denn das bist du. Sogar mehr als das. Du bist ein wunderbarer Mensch, der es verdient, mit ganzem Herzen geliebt zu werden.” Wie von selbst rannen erneut Tränen mein Gesicht hinunter bei seinen Worten, auch wenn ich es schwer hatte, ihnen Glauben zu schenken. Edward drückte seine Lippen fest an meine Schläfe und legte meinen Kopf dann an seine Halsbeuge, nur um mir noch einen weiteren langen Kuss auf meinen Kopf zu geben und seine Wange auf meine Haare zu betten. Seine Hand verweilte weiterhin auf meinem Gesicht. “Jeder, der etwas anderes behauptet, ist genauso verkorkst wie Claire.” Ich musste bei seiner Wortwahl ungewollt kichern, doch durch das Schluchzen klang es ein wenig verkrampft. “Das hört sich doch schon besser an, findest du nicht?” meinte er hoffnungsvoll und ich nickte kaum merklich. Ich war gerade sehr dankbar dafür, dass Edward bei mir war. Seine Nähe beruhigte mich und seine Worte waren tröstlich. Hatte ich wirklich so jemanden verdient? Ich konnte mir die Frage nicht beantworten, aber offen aussprechen wollte ich sie auch nicht. Resigniert seufzte ich auf. Was hatte Claire vorhin eigentlich gemeint gehabt? “Edward?” “Hm?” “Was meinte sie vorhin, als sie sagte, du hättest mich schon seit einiger Zeit beobachtet?” fragte ich neugierig und war nicht darauf gefasst, dass sich seine Haltung plötzlich leicht versteifte. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein, denn als er antwortete, klang er genauso ruhig und warmherzig, wie zuvor. “Na ja, sagen wir, du hast mich an jemanden von früher erinnert. Jemanden, der genauso unfallgefährdet durch den Tag gewandert ist, wie du. Man könnte vermuten, das hat eine Art Beschützerinstinkt in mir geweckt. Am Anfang wollte ich mich eigentlich nicht darauf einlassen. Aber wie das halt so ist mit seinen Vorsätzen… Irgendwann kann man sich nicht zurückhalten…” kicherte er. Auf einmal bekam ich Schuldgefühle. Wenn ich daran zurückdachte, wie er darauf bestanden hatte, mich jeden Morgen zur Schule zu fahren… Die Sache im Club… Die Auseinandersetzung mit Mike… Die Prügelei im Stadion und die Lüge vor dem Nachtwärter… “Tut mir leid”, flüsterte ich und hätte mich am liebsten von ihm weggesetzt. Vielleicht färbte mein Pech ja ab. Edward lachte leise auf und drückte mich fester. “Ich mache das, weil ich es möchte. Also entschuldige dich nicht bei mir. Lieber sterbe ich zehnmal, als dass ich mich von dir fernhalten könnte.” “Sag so was nicht. Es könnte nämlich sein, dass das wirklich passiert, weil du dich nicht von mir ferngehalten hast”, meinte ich bitter. “Wenigstens geschieht es dann in einer Situation, in der ich dich gerade vor etwas bewahrt habe”, konterte er schmunzelnd und doch ernst. “Und was mache ich, wenn du nicht mehr da bist?” fragte ich ihn vorwurfsvoll, doch darauf wusste er keine Antwort. “Also komm erst gar nicht auf so eine Idee, ja?” Ich legte meine Finger fest um Edwards Anhänger und verdrängte die bloße Vorstellung, er würde sich für mich aus irgendeinem Grund freiwillig opfern. Allein der Gedanke, ich müsste ohne ihn weiterleben, war unerträglich. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, wie es erst in der Realität sein würde. Und trotzdem war ich hin- und hergerissen. Obwohl ich alles getan hätte, um so einer Situation gar nicht erst die Chance zu lassen, wollte ich doch auch nichts sehnlicher, als bei ihm sein. “Einverstanden”, murmelte er und gab mir abermals einen Kuss auf die Haare. Während ich mit dem länglichen Kristall spielte, fiel mir plötzlich ein, dass Claire immer noch meinen Handschuh hatte. “Was ist?” fragte Edward besorgt, als ich panisch aufschreckte. “Mein Geschenk”, erklärte ich knapp und stand bereits auf. “Das hängt doch immer noch um deinen Hals.” Edward hielt mich auf und sah mich verwirrt an. “Das meine ich nicht, sondern das, was ich dir geben wollte. Claire hatte es vorhin in der Hand gehabt. Sie wollte es dir schenken, erinnerst du dich? Dabei ist es meins. Ich hab keine Ahnung, wie sie es gefunden hat, aber ich werde es ihr auch nicht einfach so überlassen. Schließlich möchte ich, dass du es hast”, sagte ich schon fast flehend. Hoffentlich verstand er, wie wichtig mir das war. Er musterte mich für einen langen Augenblick, dann nickte er. “Na schön.” Kapitel 15: Yankee Whitey Ford ------------------------------ Als wir uns auf den Weg zurück zur Tanzfläche machten und ich meinen Blick über die Massen - die sich jetzt wieder etwas aufgelöst hatten, aber wahrscheinlich trotzdem noch über das eben Geschehene sprachen - wandern ließ, stellte ich erschrocken fest, dass Claire nicht mehr dort war, wo ich sie vermutet hatte. Hastig schaute ich mich um, konnte sie aber nirgends sehen. Verdammt! Sie konnte doch eh nichts mehr damit anfangen, also war es eigentlich sinnlos für sie. Sinnlos… Dieses Wort machte mir gerade sehr viel Angst. Was wenn Claire es so sah wie ich? Was würde sie dann tun? Mir noch mehr Schaden zufügen? Schließlich wusste sie, dass es mir gehörte. Da war ich mir jetzt sicher. “Siehst du sie irgendwo?” fragte ich Edward, der bereits wieder meine Hand ergriffen hatte. Er schüttelte den Kopf und suchte mit seinen Augen ebenfalls jeden Winkel des Strandes ab. Wir standen jetzt neben der Bühne und ich wurde immer nervöser. “Bella?” Das war Alice. Ich drehte mich um und sah in ihr mitfühlendes Gesicht. “Wie geht’s dir jetzt?” fragte sie vorsichtig und ich wusste, worauf sie hinaus wollte. “Ganz okay soweit. Weißt du, wo Claire jetzt ist?” Beim Klang ihres Namens verdüsterte sich ihr Blick schlagartig. “Nein, und ich glaube auch nicht, dass es so eine gute Idee ist, sie gleich wieder aufzusuchen.” Ich lächelte gequält. “Glaub mir, ich würde ihre Anwesenheit für den Rest meines Lebens meiden. Aber sie hat was von mir, das ich ihr auf keinen Fall überlassen will.” Eine ihrer Augenbrauen zuckte nach oben, dann schüttelte sie langsam den Kopf. “Tut mir leid. Ich weiß wirklich nicht, wohin sie gegangen ist. Nachdem du weggelaufen bist, stand sie noch eine Weile da, ohne was zu sagen. Lauren, Jessica und… Rebecca, glaub ich, haben irgendwas zu ihr gesagt, aber sie sah nicht so aus, als wenn sie die drei überhaupt wahrgenommen hat. Dann aus heiterem Himmel fing sie plötzlich an, leise zu lachen. Mir läuft es jetzt noch eiskalt den Rücken herunter, wenn ich daran denke. Und danach…” Sie starrte an mir vorbei und war voll und ganz in Erinnerungen versunken. “…Sie hat einen ganz eigenartigen Gesichtsausdruck gehabt. An deiner Stelle würde ich aufpassen, Bella. Ich glaub nicht, dass sie so einfach aufgeben wird.” Ich bekam ein mulmiges Gefühl bei ihren Worten und schlang automatisch meine Arme um meinen Körper, als wolle ich ihn zusammenhalten und mich auf den nächsten Schlag vorbereiten. Es dauerte nicht lange, bis ich die Wärme von Edwards Arm um meinen Rücken und meine Seite spüren konnte und auch Alice lächelte mich aufmunternd an. “Was immer kommt, wir sind bei dir.” Mein Mundwinkel hob sich leicht in die Höhe, doch gleichzeitig hasste ich mich plötzlich dafür, dass ich mich so auf die beiden stützte. Als wäre ich ein hilfloses Kind, dass sich nicht selbst verteidigen konnte. “Ich hab gesehen, wie sie Richtung Lagerfeuer gegangen ist”, meinte Jasper auf einmal, als er hinter Alice auftauchte. Ich sah ihn kurz an, ehe ich nickte, ein “Danke” murmelte und mich zum Gehen wandte. Edward wollte mir bereits hinterher, doch ich hob meine Hand, um ihn zum Stehenbleiben zu zwingen. “Warte… Ich würde das dieses Mal gerne alleine regeln. Ich weiß, dass du mir nur helfen willst, aber…” Ich hielt kurz inne, um zu überlegen, was genau ich eigentlich sagen wollte - und konnte, ohne ihn zu verletzen. Doch er hatte bereits begriffen und schaute mich ernst an. “Wie du willst, aber lass dich nicht auf ihre Spielchen ein.” “Schon gut”, beschwichtigte ich ihn mit einem leichten Lächeln und machte dann kehrt. In der Nähe des Feuers tummelten sich ein paar Leute, während Claire auf der anderen Seite mit etwas Abstand dahinter stand. Kein Wunder, dass ich sie vorhin nicht sehen konnte. Sie starrte gedankenverloren in die Flammen, ohne mein Kommen zu bemerken. Das Geschenk hatte sie in der Hand, allerdings wusste ich nicht, ob sie sich dessen überhaupt noch bewusst war. Ich ging an den paar umgekippten, dicken Baumstämmen, die als Sitzgelegenheiten dienten, vorbei auf sie zu, bis ich nur noch ein paar Meter von ihr entfernt war. Dabei wäre ich am liebsten wieder umgedreht. “Claire?” fragte ich leise, doch sie schien mich nicht zu hören. “Claire!” sagte ich etwas lauter. Wie aus einer Trance gerissen schreckte sie hoch, doch als sie mich sah, gefror ihr Blick schlagartig. “Was willst du?” Obwohl ihre Stimme nur ein Flüstern war, klang es doch so klar, als würde sie ganz dicht vor mir stehen. Im ersten Augenblick war ich zu überwältigt über den ungwohnten, feindseligen Ton, der in ihren Worten lag und den ich bis dato nicht von ihr kannte, obwohl ich sie erst vor ein paar Minuten genauso hatte reden gehört. Nein… Selbst da hatte sie ein gewisses Gefühl hineingelegt. Nun war es einfach nur abweisend und irgendwie… tot. Doch ich sollte mich davon nicht ablenken lassen und mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, was sie alles getan hatte. Ich würde sie nicht auch noch bemitleiden. “Ich will es zurück”, erklärte ich genauso hart. Sie hob ihre Augenbrauen, als verstände sie nicht, wovon ich redete, doch ihre Augen blieben von der Unkenntnis unberührt. Ich blickte kurz zur ihrer Hand und als sie realisierte, worauf ich hinaus wollte, sah ich, wie ihre Finger sich in den Lederbeutel krallten. “Verrat mir eins, Bella”, fing sie an. Offensichtlich versuchte sie mich abzulenken. “Warum bist du hier?” “Gib es mir einfach”, sagte ich energischer und ignorierte ihre Frage. Ich hatte keine Lust, an dem Gespräch teilzunehmen, mit dem sich mich wahrscheinlich provozieren wollte. “Ich meine, wie kannst du hier sein?” fuhr sie fort, ohne meine Aufforderung zu beachten. “Warum stehst du hier und diskutierst mit mir, anstatt Zuhause zu sitzen? Bist du so abgebrüht? Macht es dir überhaupt nichts aus, ver-… Warte… Oder hast du dich etwa freiwillig auf ihn eingelassen und spielst Edward jetzt nur das verletzte, kleine Mädchen vor?” In ihren Augen funkelte es. Ich konnte nicht ausmachen, ob es Wut oder Frustration war, oder ob ihr auf einmal der Gedanke kam, ich sei wie sie. Ich konnte es nicht fassen, dass sie mir so etwas überhaupt zutraute, obwohl sie mich doch ganz offensichtlich all die Jahre bewusst in eine von ihr gewünschte Form gebogen hatte. Mal abgesehen davon, dass sie gerade scheinbar die ganze Zeit über diese Sache gegrübelt hatte. “Vergleich mich nicht mit dir”, gab ich so ruhig wie möglich zurück und versuchte den Zorn, der sich langsam in mir ausbreitete, zu unterdrücken. Selbst überrascht über mein ungewohntes Verhalten. Claires Blick verfinsterte sich, nur um gleich darauf misstrauisch zu werden. “Also?” “Ich sehe nicht ein, warum ich dir darauf antworten sollte”, entgegnete ich eisig - wenn auch etwas unsicher -und verschränkte die Arme vor der Brust, als würde es mir mehr Halt geben. Sie hob den Beutel in die Luft und schüttelte ihn leicht, nur um mir ihren wortlosen Handel zu demonstrieren. Ich hielt für ein paar Sekunden die Luft an, ehe ich schnell wieder ein gleichgültiges Gesicht aufsetzte, um ihr nicht zu zeigen, wie wichtig mir das Geschenk war. Oh, wie schlecht ich doch Lügen konnte. Claire wusste die Bedeutung bereits. Lass dich nicht auf ihre Spielchen ein. Edwards Worte hallten in meinem Kopf wieder, doch jetzt schien es, als könnte ich seinem Rat nicht nachkommen. Wenn sie irgendetwas anderes in der Hand gehabt hätte vielleicht, aber nicht hierbei. Sie sah mich erwartungsvoll an, als könnte sie sich die Antwort nicht bereits denken. “Er hat nichts gemacht”, sagte ich so leise, dass ich nicht sicher war, ob sie mich verstanden hatte, denn genau so sah sie mich jetzt an. “Er hat selbst zugegeben, dass nichts passiert ist”, wiederholte ich mich etwas lauter und sog die Luft scharf ein, frustriert über mich selbst, dass ich mein Handeln schon wieder von ihr beeinflussen ließ. Ich wusste nicht, was jetzt in ihr vorging. Offensichtlich hatte sie ihr Mienenspiel, das sie drei Jahre lang perfekt aufrecht erhalten konnte und das heute Abend gewaltig an Überzeugung verloren hatte, wiedererlangt. “Weißt du, Bella?” fing sie auf einmal an und klang ungewöhnlich ausgeglichen, während sie wieder in die Flammen starrte. “Ich hätte nie gedacht, dass Edward dein Typ ist… Halt, formulieren wir es anders. Ich hätte nicht gedacht, das du sein Typ bist.” “Was soll das denn heißen?” “Na ja… er ist so vollkommen anders als die, die sich vorher mit dir abgegeben haben… Außerdem bin ich davon ausgegangen, dass er nach allem, was er durchgemacht hat, jemanden sucht, der… sagen wir, selbst auf sich aufpassen kann und nicht jemanden, bei dem man aufpassen muss, nicht von einem Zug überrollt zu werden.” “Worauf willst du hinaus?” hakte ich misstrauisch nach. Ihre Aussage klang, als wusste sie etwas über ihn, das mir entweder entgangen war oder das er mir (bis jetzt) nicht erzählt hatte. Wenn er mir denn überhaupt etwas von sich preisgeben und nicht immer nur Andeutungen machen würde. Claire sah auf und lächelte mich plötzlich an. Es war weder gehässig noch hinterhältig oder in sonst einer Art abweisend. Und trotzdem machte es mir Angst. Was genau wusste sie? Tayk hatte auch etwas erwähnt, doch Edward war nicht darauf eingegangen. Warum war ich die Einzige, der ständig etwas vorenthalten wurde? Doch Claire danach zu fragen, war sinnlos und würde nur wieder eine ihrer Lügen zu Tage fördern. “Er ist dir sehr wichtig, oder?” Das war keine Frage, eher eine Feststellung, während ihr Blick wieder auf das Feuer fiel. “Ja…” antwortete ich nur knapp und ging ein paar Schritte auf sie zu. “Claire, könntest du…” Mitten im Satz hielt ich inne, als mir mit Schrecken klar wurde, was sie gerade vorhatte. Sie grinste mir frech ins Gesicht und ließ den Beutel mit dem Handschuh für ein paar Sekunden in der Luft baumeln. “Nein!” schrie ich panisch, als sie ihn ins Feuer warf und ich ohne Nachzudenken hinterher sprang. Ich hätte mit Sicherheit in die brennenden Stöcker gegriffen, wenn sich nicht zwei muskulöse Arme um mich geschlungen und mich zurückgehalten hätten, um uns zurück auf die Knie fallen zu lassen. “Bella, bist du wahnsinnig geworden? Willst du dich selbst grillen?” Es war unverkennbar Emmetts Stimme. Ich wehrte mich gegen seinen Griff. Ich wollte einfach nur das Geschenk retten, dessen Hülle bereits von den Flammen umhüllt war, sich rasend schnell schwarz färbte und sich gefräßig zum Inhalt kämpfte. “Lass mich los, verdammt noch mal!” schrie ich ihn an und Tränen der Wut schossen in meine Augen. Mit aller Kraft drückte ich gegen seinen Oberkörper, hatte aber nicht die geringste Chance. “Emmett, bitte!” flehte ich ihn an, doch es half alles nichts. Rosalie tauchte neben uns auf. Sie hielt einen länglichen Stock in der Hand, der scheinbar von dem Haufen in der Nähe stammte und zum Nachlegen diente. Vorsichtig kratzte sie damit zwischen den brennenden Holzteilen herum und rollte den teilweise geschwärzten Klumpen aus der gierigen Hitze. Emmett ließ von mir ab und sofort machte ich mich daran, Sandhaufen um Sandhaufen auf die kleinen, übrig gebliebenen Flammen, die den Handschuh an einigen Stellen noch immer einhüllten, zu werfen. “Verdammt, verdammt, verdammt…” murmelte ich immer wieder leicht schluchzend, pustete und klopfte mit meinen Händen auf das heiße Leder. Dummerweise war es immer noch etwas zu heiß. “Ah…” stieß ich leise aus, kümmerte mich aber nicht weiter um den langsam aufkommenden Schmerz, sondern versuchte weiter, das Geschenk zu retten. Dabei waren die Flammen längst gelöscht und der Handschuh schon halb eingegraben. “Bella!” Fremde Finger legten sich um meine Gelenke und verhinderten jede weitere Bewegung. “Nicht”, sagte ich und wollte mich aus dem eisernen Griff befreien, doch als ich aufsah, erkannte ich, dass Edward derjenige war, der meine Hände festhielt und jetzt direkt vor mir kniete. “Was machst du da?” fragte er und in seinen Augen war ganz deutlich die Sorge geschrieben. “Ich…” fing ich an und sah auf den Baseballhandschuh - und dann voller Wut zu Claire, die allerdings verschwunden zu sein schien. Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell jemanden hassen könnte. Dass ich in der Lage war, überhaupt jemanden zu hassen. Doch Dinge ändern sich bekanntlich. “Ich glaub das einfach nicht…” presste ich mit gebrochener Stimme hervor und ballte meine Hände zu Fäusten. “Was ist denn passiert?” Edwards Stimme ließ meinen Kopf wieder zu ihm schnellen. Emmett, der ebenfalls noch auf dem Boden saß, sich jetzt entspannt nach hinten fallen ließ und auf seine Hände stützte, antwortete für mich. “Kam mir ganz so vor, als wollte sie das mit der lebenden Fackel ausprobieren.” Edward, der eben noch zu seinem Bruder gestarrte hatte, blickte jetzt wieder erschrocken zu mir, doch ich konnte nichts darauf erwidern, stattdessen starrte ich weiterhin auf das Geschenk, was ihm natürlich nicht entging. “Warte!” protestierte ich und wollte ihn dabei aufhalten, den Sand von dem schwarzen Etwas herunterzuwischen, doch er achtete gar nicht darauf. “Was ist das?” “Eigentlich das Geschenk, das ich dir geben wollte”, erklärte ich niedergeschlagen und wandte mein Gesicht ab. Am liebsten hätte ich es ihm aus der Hand gerissen. Ich wollte nicht, dass er es sich noch in diesem Zustand ansah. Er hatte mir eine so wundervolle Kette geschenkt und ich konnte noch nicht einmal auf meine eigenen Dinge aufpassen. Er hob es hoch und betrachtete es genauer. Ein paar wenige Fetzen des Beutels hingen noch daran, die er abzupfte, und das Leder des Handschuhs, von dem sich immer noch kleine Dampfwölkchen in die Luft erhoben, war zu meiner Überraschung nicht so schwer beschädigt, wie ich es vermutet hatte. Zwar wiesen einige Stellen raue, angebrannte Flecken auf, aber der Großteil war noch zu erkennen. Langsam drehte er es hin und her, wobei seine Augen immer größer wurden und er vorsichtig über die Oberfläche strich. Dann hielt er die Innenseite dichter an sein Gesicht und drehte es zum Feuer, um besser sehen zu können. War das Autogramm vielleicht doch noch zu lesen? “Oh mein Gott…” flüsterte er kaum hörbar und starrte wie gebannt darauf. “Was interessantes?” fragte Emmett neugierig. Rosalie hatte sich neben ihn gekniet, lehnte an einem der liegenden Baumstämme und betrachtete schweigend das Szenario. Wie in Zeitlupe hoben sich Edwards Mundwinkel, als er nickte. “Kann man wohl sagen.” Sein Blick wanderte kurz zu mir - eine Freude war darin zu erkennen, die mich im ersten Moment sprachlos machte - und dann wieder zum Handschuh, während er mit den Fingern über die Innenseite fuhr. “Bella… Wo hast du den her?” Seine Stimme war so leise, als würden selbst ihm die Worte fehlen. “Von Phil… meinem Stiefvater…” antwortete ich eher nebenbei, da mich das Glitzern in seinen Augen gerade ungewollt zum Luftanhalten zwang. Dennoch konnte ich seine plötzliche Begeisterung für das ruinierte Geschenk nicht ganz nachvollziehen. “Soll das heißen, es gefällt dir?” fragte ich ungläubig und fing sofort einen vorwurfsvollen Blick von ihm ein. “Bella…” seufzte er und ließ den Kopf hängen. Ich wollte bereits etwas erwidern, als er sich ohne Vorwarnung viel zu schnell auf mich zubeugte und mir einen so stürmischen Kuss auf die Lippen drückte, dass ich nach hinten gefallen wäre, hätte ich meine Arme nicht in seinen Nacken gelegt. “Das heißt dann wohl… Ja”, hauchte ich benommen, als er sich von mir löste und zur Seite fallen ließ, um sich anschließend hinter mich zu setzen. Seine Arme schlangen sich um meine Mitte und sein Kinn stützte er auf meiner Schulter ab, während er wie ein kleines Kind wieder auf den Handschuh starrte. Ein leichtes Kribbeln durchfuhr meinen Körper, als ich seinen so nah bei mir spürte, genauso wie sich meine Wangen ein wenig erhitzten. Jetzt konnte ich ebenfalls die Innenseite sehen und stellte erleichtert fest, dass das Autogramm wirklich noch zu sehen war. “Weißt du, wer das ist?” fragte er mich, auf den Namen deutend und sein Atem, der mein Ohr und meinen Hals streifte, ließ mich angenehm frösteln. “Ein Baseballspieler?” war alles, was ich dazu sagen konnte und veranlasste Edward, leise zu lachen. “Richtig. Aber nicht nur irgendeiner. Das hier gehör-” doch ehe er den Satz beenden konnte, erklang Alice‘ Stimme aus dem Schatten. “Alles okay bei euch? Von weitem sah das ganz schön dramatisch aus.” Als ich zu ihr sah, bemerkte ich Rosalies Tochter an ihrer Hand, während Jasper dicht hinter den beiden stand. “Mommy?” fragte Roxy zögerlich und besorgt, wobei sie auf ihre Mutter zuging. Die wirkte im ersten Moment etwas überrascht, lächelte dann aber und zog ihre Tochter auf den Schoß, während sie ihr sachte über die blonden Locken strich. “Alles bestens, mein Schatz”, beruhigte sie die Kleine und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, während Emmett ihr mit einem Grinsen auf die Nasenspitze tippte. “Uns geht’s gut soweit”, beantwortete Edward Alice’ Frage, bekam aber gleich darauf eine düstere Miene, als er weiter sprach. “Claire hat das vorhin anscheinend noch nicht gereicht und meinte wohl, Bella noch ein wenig reizen zu müssen.” Alice knurrte. Dieses kleine, zierliche, vielleicht etwas überdrehte Mädchen knurrte doch tatsächlich. Ich konnte nicht anders - obwohl es überhaupt nicht angebracht war -, als leise zu kichern. Erst sahen mich alle verwirrt an, doch dann grinsten sie, außer Alice. Jasper machte es sich ebenfalls auf dem Sand neben Rose bequem und saß uns mehr oder weniger gegenüber, während Alice es ihm gleichtat und sich schräg vor ihn setzte. “Und wo ist diese… diese…” Sie knirschte mit den Zähen, als sie vergeblich nach einem passenden Wort suchte und letztendlich resigniert seufzte, als ihr keins einfiel. “Abgehauen”, meinte Emmett kopfschüttelnd und murmelte “Was für ein Biest…” “Die Bezeichnung tut’s auch”, stimmte sie ihm zu. Ein Lächeln huschte über meine Lippen, als ich erkannte, wie sehr sie sich doch für mich einsetzte, obwohl wir uns noch nicht so lange kannten und ich eigentlich dachte, dass ihr so ziemlich alles gleichgültig wäre. “Danke.” Alice hob verwirrt die Augenbrauen. “Hm?” “Danke für alles”, wiederholte ich und atmete tief ein und aus. Sie lächelte plötzlich, als sie verstand. “Jederzeit, Bella.” “Ich sollte besser gehen”, kam es auf einmal von Rosalie, als sie bereits Anstalten machte aufzustehen, wobei sie Roxy kurz absetzte, doch Emmett hielt sie am Arm fest. “Du kannst ruhig bleiben. Nur weil du mit ihr verwandt bist, heißt das nicht, dass ihr gleich seid. In jeder Familie gibt es ein schwarzes Schaf.” Und mit einem Blick zu Edward fügte er noch “Sogar in meiner” hinzu. Letzterer funkelte ihn böse an, doch Emmett beachtete es gar nicht, sondern lachte leise mit seiner tiefen Bärenstimme. Rosalie schaute sich jeden von uns an und als sie sah, dass keiner etwas gegen ihre Anwesenheit hatte, ließ sie sich wieder zurück fallen und zog ihre Tochter an sich. “Was ist das da für ein… Ding?” Jasper runzelte die Stirn und zeigte auf den Handschuh in Edwards Hand. Alice rammte ihm ihren spitzen Ellenbogen in den Magen, woraufhin er schmerzhaft aufstöhnte. “Wofür war das denn?” fragte er gepresst und rieb sich seinen Bauch. “Für deine Unsensibilität.” Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schloss die Augen. Jasper sah sie verwirrt von der Seite an. Alice hob eines ihrer Augenlider und als sie bemerkte, dass er keinen Schimmer hatte, was sie meinte, stöhnte sie laut auf. “Das da”, erklärte sie gespielt säuerlich und deutete mit Nachdruck auf das halb verkohlte Stück Leder. “Ist unter Garantie das, was Bella vorhin erwähnt hat und ich nehme an, dass es ein Geschenk sein soll. Also halt dich mit deinen Aussagen ein bisschen zurück, ja?” Bei Jasper schien es Klick gemacht zu haben, denn jetzt sah er wehleidig zu mir. “Oh… Tut mir leid. Ich…” “Es wird dir gleich noch mehr leid tun, wenn du weißt, von wem dieser Baseballhandschuh ist, Jazz”, grinste Edward plötzlich. Er machte eine bedeutungsvolle Pause, ehe er “Whitey Ford…” sagte und den Namen extra in die Länge zog. Für einen kurzen Moment war es still und die Augen der beiden Jungs weiteten sich rekordverdächtig langsam, während sie den Mund gar nicht mehr zu bekamen. Glücklicherweise sahen Rose und Alice genauso ahnungslos aus wie ich. “Der Whitey Ford?” hörte ich Emmett. Er hatte sich ein Stück aufgerichtet und sah aus, als würde er gleich aus allen Wolken fallen. “Genau der”, grinste Edward. “Oh, verdammter…” kicherte Jasper und schüttelte ungläubig den Kopf. “Darf ich mal sehen?” Emmett streckte die Hand aus, doch mein Freund - das hörte sich, nebenbei bemerkt, wahnsinnig gut an - zog das Stück Leder nur dichter an mich. “Vergiss es. Du setzt es bloß wieder bei ebay rein.” Sein Bruder seufzte. “Das war damals nur ein Versehen gewesen.” “Ein Versehen? Du hast mein Cap von Barry Bonds versteigert!” konterte Edward. “Ich dachte, es sei mein altes Trainings-Cap gewesen.” “Ja, klar…” “Ist dieser Bonds denn so bekannt?” mischte sich Alice ein. “Er ist Stammspieler der San Fransisco Giants und Rekordhalter der ewigen Homerun-Liste. Er war übrigens derjenige, der am Mittwoch die Mannschaft zum Sieg geführt hat. Das war sein 757. Homerun. Außer dem ehemaligen Spieler Sadaharu Oh gibt es bisher niemanden, der so viele erlangen konnte”, erklärte Edward euphorisch. “Ja, aber er ist ziemlich unbeliebt”, ergänzte Jasper, woraufhin Emmett gleich etwas erwiderte. “Nur weil ihm sein Ruhm zu Kopf gestiegen ist.” “Bei all seinen Rekorden in der Baseball League wundert mich das nicht”, fügte Edward hinzu. “Das heißt dann wohl, dass er einer der Besten ist, oder?” stellte ich lächelnd fest und versuchte mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Vielleicht war mein Geschenk gar nicht so wertvoll, wie ich dachte, und wenn Edward bereits einmal einen Fanartikel besessen hatte, der meinen noch überbot, dann konnte er sich doch unmöglich über dieses halb verbrannte Ding, wie Jasper es nannte, freuen. “Einer der Besten, die immer noch spielen”, verbesserte mich Emmett. Verwirrt wandte ich meinen Kopf in seine Richtung. “Whitey Ford, von dem offenbar dieses antike Stück in Edwards Händen stammt, ist eine Legende. In den Fünfzigern hat er als Pitcher für die New York Yankees gespielt und wurde achtmal für den All-Star berufen…” “Eine Bezeichnung für herausragende Spieler”, flüsterte Edward mir ins Ohr. “…und gewann sogar den Cy Young Award, der nur an die besten Pitcher verliehen wird. Bis heute ist er der Linkshänder mit den meisten Siegen in dieser Position.” Ich war mir nicht sicher, ob sie meine Niedergeschlagenheit bemerkt hatten, doch ich fühlte mich schlagartig wohler, nachdem ich das alles wusste. Auch wenn ich nichts damit anfangen konnte, hörte es ich doch bedeutend an. “'Whitey' ist übrigens nur sein Spitzname”, sagte Jasper und grinste plötzlich seltsam verschlagen. Edwards Brust vibrierte, als er leise anfing zu lachen. Dann seufzte er, als sein Teamkollege weiter erzählte. “Sein richtiger Name lautet Edward Charles ’Whitey’ Ford.” Das war ganz deutlich ein Wink mit dem Zaunpfahl. Mir klappte der Mund auf und hastig griff ich nach dem Handschuh, um mir die Schrift noch einmal deutlicher anzuschauen. Konnte ich so was einfach so übersehen? Doch in dem ganzen Geschnörkel war keine Andeutung dieses Namens zu erkennen. Mir war schleierhaft, wie Edward überhaupt erkannt hatte, von wem das hier stammte. “Du wirst den Namen nicht finden. Er hat immer mit seinem Spitznamen unterschrieben”, meinte er, nahm meine Hand und zeichnete mit meinem Finger die Linien der Unterschrift nach. “Danke”, hauchte er an meiner Seite und legte seine Lippen für einen unglaublich langen Moment an mein Ohr, was mich unweigerlich meine Augen schließen ließ. “Wo hast du diese Rarität überhaupt her?” Jaspers neugierige Stimme ließ uns unsere Köpfe zu ihm drehen. “Von meinem Stiefvater. Er ist Profispieler”, erklärte ich. “Baseball?” fragte Emmett auf einmal nach, worauf ich nickte. “Welche Mannschaft?” Jasper schien hellhörig geworden zu sein. “Bedrängt sie doch nicht so”, meinte Alice mit tadelnder Miene, obwohl ihr warnender Blick leicht ins Schwanken geriet, als sie sich nach hinten umdrehte und direkt in zwei leuchtend blaue Augen sah. Jaspers Mund verzog sich zu einem Lächeln, das mich ansteckte, als ich die beiden beobachtete und Edward in meine Haare kichern ließ. Ein Schauer rann meinen Nacken herunter, als ich seinen warmen Atem auf meiner Kopfhaut spürte und mich erst nach einer gefühlten Ewigkeit auf die eben noch gestellte Frage antworten ließ. “Irgendetwas mit Arizona…” Ich wusste noch, dass der Name des Staates enthalten war, doch an mehr konnte ich mich nicht erinnern. Bisher war ich schließlich nicht sonderlich daran interessiert gewesen. “Arizona Diamondbacks?” Dieses Mal war es Edward, der sein Gesicht verblüfft zu mir drehte. “Davon hast du mir gar nichts erzählt.” Ich zuckte mit den Schultern. “Ich hab es nicht für wichtig gehalten.” “Nicht für wichtig…” murmelte er amüsiert und schloss seine Augen. “Du weißt, wie sehr ich an diesem Sport hänge und hältst es nicht für wichtig…” Er seufzte. “Wie heißt er?” fragte Emmett und konnte seine Begeisterung jetzt kaum bremsen. “Phil Dwyer… Ich glaub aber nicht, dass er so bekan-” “Ist der nicht vor kurzem in die Major League gewechselt?” unterbrach mich Edwards Bruder. Jasper nickte. “Ja, ich glaube. Er hat einen ziemlich guten Wurfarm, heißt es… Sag mal, Bella. Meinst du, es wäre möglich, dass er nächsten Samstag zu unserem Spiel kommt?” “Na ja…” sagte ich zögerlich, ohne zu wissen, was ich darauf antworten sollte. Emmett fing an zu lachen, während Edward ihn nur schief ansah. “Jazz… Warum sollte sich ein Profispieler ein High School Game ansehen? Noch dazu müsste er extra hierher kommen.” “Und wenn Bella ihn bittet?” versuchte er es, was meinen Freund aufstöhnen ließ. “Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob er Zeit hat. Die Mannschaft verreist sehr oft wegen Auswärtsspielen oder Trainingszwecken”, erklärte ich leicht entschuldigend. “Siehst du?” pflichtete Edward mir grinsend bei. “Schon schade… Obwohl, vielleicht ist es auch besser so. Wenn wir verlieren sollten…” Der plötzliche Wechsel in Jaspers Stimme war unverkennbar. “Was soll das denn heißen?” fragte Edward skeptisch. Jazz sah ihn einen Moment schweigend an, bevor er etwas sagte. “Wegen unserem Captain? Ich hab vorhin gesehen, was für eine Spannung zwischen euch beiden herrscht und ich hab Angst, dass es das Mannschaftsklima beeinflusst.” Schlagartig änderte sich die Stimmung wieder. Außer Rosalie hatte jeder den Streit zwischen Edward und Tayk mehr oder weniger mitbekommen. Alice sah mich mit demselben angespannten Blick an wie ich sie und Emmett blickte erwartungsvoll zwischen seinem Bruder und dessen Teamkollegen hin und her. “Was mich betrifft, kann ich beides voneinander trennen. Und ich denke, Tayk schafft das auch”, meinte Edward ruhig, doch insgeheim konnte ich mir vorstellen, dass er deswegen immer noch sauer war. “Was hat er denn gemacht, dass ihr so aufeinander losgegangen seid?” wollte Emmett wissen. Ungewollt versteifte sich mein Körper bei der Erinnerung und ich sah schweigend zu Boden, während Edward seine Umarmung, nur für mich spürbar, fester zog. Dennoch bekam ich aus irgendeinem Grund das Gefühl, Jasper wüsste auf einmal, dass es etwas mit mir zutun hatte, denn er bedachte mich mit einem prüfenden Blick - allerdings nicht vorwurfsvoll oder feindselig -, als Edward auf die Frage antwortete. “Er hat gewaltigen Mist gebaut. Das ist alles.” Damit war die Sache für ihn erledigt und dem Blicken der Anderen nach zu urteilen, würde auch keiner mehr nachfragen. “Wie kommt es, dass du schon wieder hier bist, Emmett?” Ein eindeutiger Versuch meinerseits, das Thema zu wechseln. Etwas aus der Bahn geworfen, runzelte er die Stirn, lächelte dann aber. “Vorzeitige Semesterferien… Hatte ich das letzte Mal ja erwähnt.” “Stimmt. Hatte ich ganz vergessen.” “Macht nichts. Kommt mir sowies-” Er wurde jäh von einer Bewegung neben ihm unterbrochen und schaute überrascht über seine Schulter. Rosalie war eingeschlafen und musste zur Seite gerutscht sein. Ihr Kopf lehnte jetzt an Emmetts Arm und mich wunderte, dass Roxy, die ebenfalls schlief, noch nicht von ihrem Schoß gefallen war. Die drei gaben wirklich ein schönes Bild ab. “Ich glaube, ich werde sie nach Hause bringen”, flüsterte er und lächelte auf die beiden hinab. “Wir sollten auch langsam.” Edward gab mir noch einen Kuss auf meine Schläfe, ehe er sich erhob und mich langsam mit hochzog. Ebenso standen Alice und Jasper auf und klopften sich den Sand von der Kleidung. “Hältst du kurz?” meinte Edward und hielt mir das Geschenk hin. Als ich es ihm abgenommen hatte, nahm er vorsichtig Roxy auf seine Arme, sodass Emmett Rosalie tragen konnte. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zu den Parkplätzen am Rand des Strandes, während Alice sich an meine Seite gesellte. Hier und da standen noch Schüler, doch die meisten schienen sich ebenfalls auf den Weg zu machen. Eine Weile betrachteten wir die drei Jungs, bis Alice mich ein Stück von ihnen wegzog. “Ich nehme an, du fährst mit Edward zurück?” Auch wenn sich ihre Stimme am Ende hob, war es doch nicht wirklich eine Frage. “Denke schon. Warum?” Statt zu antworten schüttelte sie nur den Kopf und schwieg einen Augenblick. “Ich bin froh, dass ihr jetzt keine Spielchen mehr führt”, meinte sie nach ein paar Minuten nachdenklich. Mit gehobenen Augenbrauen drehte ich mich zu ihr. “Was ich sagen will, ist dass ich es einfach schön finde, euch beide zu beobachten und zu wissen, dass es alles echt ist. Nicht dass ich das vorher nicht gedacht habe, nur jetzt ist es doppelt so schön, zu sehen, wie glücklich ihr seid.” “Sind wir das?” fragte ich nach, obwohl das, was sie eben gesagt hatte, bereits beinahe ein Lächeln auf mein Gesicht zauberte und ich das angenehme Gefühl in meinem Bauch nur schwer unterdrücken konnte. “Definitiv. Ihr habt so ein Strahlen in den Augen, das… Ach, das ist schwer zu beschreiben, aber es gibt eine Menge über euch preis.” Unweigerlich schoss mir das Blut ins Gesicht. Wie gut, dass es Nacht war. Doch noch bevor ich etwas erwidern konnte, war Edward bereits neben mir und hatte meine Hand ergriffen. “Darf ich Bella jetzt wieder zurück haben?” fragte er schmunzelnd. Wir standen bereits auf dem Parkplatz. Rosalie und Roxy saßen schon in einem Jeep. Das musste Emmetts Auto sein. Es war ziemlich groß und bot viel Platz, und im Schein des schwachen Lichts der Promenade schimmerte seine schwarze Farbe. “Nur zu”, grinste Alice und drückte mich noch einmal. “Bis Montag.” “Ja, bis dann.” Wir verabschiedeten uns auch von Jasper und Emmett - der mich in eine knochenbrecherische Umarmung zog, um mir “Vielleicht klappt das mit deinem Stiefvater ja doch” zuzuflüstern. Edward war der kleine Versuch seines großen Bruders natürlich nicht entgangen und warf ihm einen finsteren Blick zu, ehe er mich zu seinem Volvo zog. Ich konnte nicht anders als zu grinsen. Die beiden zusammen hatte etwas richtig entspanntes. Seufzend ließ ich mich in den Sitz sinken, als Edward mir die Tür aufhielt und kurze Zeit später selbst eingestiegen war und den Motor startete. “Anstrengender Tag, oder?” meinte er mitfühlend, wobei er meine Hand nahm und mit seinem Daumen beruhigende Kreise auf meinem Handrücken zeichnete. “Hm-hm… Kann man wohl sagen…” murmelte ich. Wir waren bereits auf der Straße und die Lichter der Stadt flogen am Fenster vorbei. Ein Gähnen machte sich bemerkbar und erst jetzt spürte ich, wie müde ich war. Ich hoffte, Edward würde nicht eines der Themen, die heute ans Licht gekommen waren, aufgreifen. Dazu war ich momentan einfach nicht in der Lage, obwohl mich selbst doch eines interessierte. “Warum hast Jasper eigentlich nicht gesagt, dass Tayk schwul ist? Nicht, dass ich es tun würde. Aber ihr seid doch in einem Team. Wäre es da nicht besser, wenn er Bescheid weiß?” “Gerade weil wir zusammen spielen, wäre es besser, wenn keiner davon was mitkriegt. Wer weiß, was für ein Chaos das verursachen würde, sollte das herauskommen. Und gerade jetzt kurz vor diesem wichtigen Spiel nächstes Wochenende wäre es gut, jeden Ärger zu vermeiden”, seufzte er und starrte aus der Windschutzscheibe. “Meinst du nicht, die Anderen könnten damit eventuell umgehen?” “Mit Sicherheit nicht jeder… Immerhin ist er unser Captain, zu dem wir aufsehen und Respekt entgegenbringen sollen. Selbst wenn es auf wundersame Weise alle akzeptieren, ist der Teamgeist garantiert angeknackst und führt vielleicht zu Streitereien. Wer weiß, vielleicht bricht die Mannschaft dann sogar auseinander.” “Kann ich verstehen”, stimmte ich zu. Er wandte seinen Blick kurz zu mir und lächelte, dann sah er wieder auf die Fahrbahn. “Ich will dieses Spiel am Samstag unter allen Umständen gewinnen. Egal was kommt. Diese Möchtegernspieler von der Northern Shore haben uns lange genug vorgeführt…” Als ich sah, dass seine Finger sich um das Lenkrad wickelten, er bereits jetzt schon mitfieberte und ich seinen plötzlich ansteigenden Adrenalinpegel geradezu spüren konnte, musste ich einfach anfangen zu lachen. Edward so zu sehen, war einfach himmlisch. Ganz das Kind, das sich nicht gedulden konnte. “Was?” fragte er mich irritiert und sah kurz zu mir herüber. “Nichts”, sagte ich leise und wedelte mir ein bisschen Luft zu, während ich angestrengt versuchte, wieder ernst zu werden. Größtenteils gelang mir das sogar, auch wenn ich ab und zu trotzdem noch ein Restkichern hervorbrachte. Mit meiner freien Hand wischte ich mir ein paar Lachtränen aus den Augen. “Bella…!” versuchte Edward zu drohen und drückte meine Hand etwas fester - aber nicht zu fest -, doch seine Wirkung schlug völlig fehl. Stattdessen zuckten seine Mundwinkel verdächtig oft nach oben, auch wenn er es eigentlich nicht wollte. “Das hat noch ein Nachspiel”, murmelte er vor sich hin, doch ich musste nur noch mehr grinsen. Der Rest der Fahrt schwiegen wir, nur ab und zu sah Edward zu mir oder ich zu ihm. Bis meine Lider so schwer wurden, dass ich sie nicht mehr offen halten konnte und ich mich dem Schlaf ganz hingab. “Bella…” Ich hörte, wie jemand meinen Namen sprach, eher flüsterte, doch ich vermochte nicht, meine Augen zu öffnen. Das Gefühl, das ich gerade verspürte, war so angenehm, dass ich nicht wieder davon los wollte. Es war alles schwarz und ich hatte keine Bilder vor Augen. Ich fühlte mich trotzdem vollkommen geborgen. “Bella…” Dieses Mal war es ein leises Kichern. Auf einmal fühlte ich etwas weiches und warmes auf meinen Lippen, das tausendmal schöner war, als das, was ich eben noch verspürt hatte. Ich wollte mich voll und ganz diesem Gefühl hingeben, ohne ein baldiges Ende abzusehen. Der Moment hätte ewig so bleiben können. Die fremden Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und als ich meine Augen ganz langsam öffnete, sah ich in ein strahlendes Grün. “Edward…” hauchte ich benommen, immer noch seinen warmen Atem spürend, wie er meine Haut kitzelte. Er saß auf der Kante des Beifahrersitzes und hatte sich mit den Händen auf beiden Seiten abgestützt, sodass er jetzt nur Millimeter von mir entfernt war. Meine Arme lagen um seinen Nacken, obwohl ich mir gar nicht bewusst war, diese dort überhaupt platziert zu haben. “Wir sind da”, flüsterte er kaum hörbar. Ich nickte und sah aus den Augenwinkeln zum Haus herüber. “Rufst du morgen an?” wollte ich wissen und hielt plötzlich die Luft an, aus Angst, er würde mir eine Absage erteilen. Doch er setzte nur sein schiefes Lächeln auf. “Versprochen.” Erleichterung flutete meinen gesamten Körper, während ich ruhig ausatmete und zurücklächelte. Er gab mir einen Kuss auf die Stirn, ehe er aufstand und mir aus dem Auto half. Ich wollte schon zur Tür gehen, als Edward mich am Arm festhielt. “Bella…?” Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn fragend an. “Danke noch mal”, lächelte er, ehe er von mir abließ und ins Auto stieg. Kapitel 16: Alles hat seinen Grund... Oder? ------------------------------------------- Okay, endlich ist dieses Chap fertig. Es hat mich wirklich ein paar Nerven gekostet. Vor allem der Anfang. Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem und kommt glaubhaft rüber...;) The Killers - For Reasons Unkown http://www.youtube.com/watch?v=fW2vE2WTJ3E ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Als ich ins Haus kam, war alles dunkel. Ich schaltete das Licht im Flur an und an der aufgehängten Dienstjacke erkannte ich, dass Charlie bereits da war und womöglich schon schlief. Mein Magen knurrte und erst jetzt viel mir ein, dass ich den ganzen Abend über nichts gegessen hatte. Schwerfällig schlenderte ich in die Küche. Charlie musste etwas beim Chinesen bestellt haben - statt beim Pizzaservice, wie ich es ihm vorgeschlagen hatte -, denn an der Metalltür des Kühlschranks hing ein Zettel mit seiner groben Handschrift darauf. Er hatte für mich mitbestellt. Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Charlie machte sich immer so viele Gedanken um mich, auch wenn er mir das nie richtig zeigte. Ich holte den weißen Pappkarton heraus und wärmte das Essen in der Mikrowelle auf. Die Stille, die mich umgab, als ich das heiße Etwas hinunterschluckte, war fast erdrückend. Soviel war heute geschehen. Mit so vielem hatte ich nicht gerechnet. Weder mit den schönen, noch mit den weniger schönen Dingen. Tayk… Wie konnte ich jemals Interesse an ihm haben? An jemanden, der sich auf so schmutzige Intrigen einließ, um sein Geheimnis zu wahren. Er hatte seine Rolle perfekt gespielt. Nie wäre auch nur eine Person auf die Idee gekommen, er würde sich für das gleiche Geschlecht interessieren. Noch nicht einmal Edward hatte so etwas geahnt. Claire musste irgendetwas gegen ihn in der Hand haben, anders konnte ich mir seine Bereitschaft für ihren Plan nicht erklären. Etwas ziemlich gravierendes, das ihn seine menschliche Moral vergessen ließ. Wie auf Kommando kamen mir wieder die Bilder in den Sinn und die Erinnerung rief einen Würgereiz hervor. Ich hoffte nur, dass es nicht noch mehr davon gab. Allein schon bei dem Gedanken wurde mir schlecht. Mein Magen zog sich schon unheilvoll zusammen. Noch so eine Bloßstellung würde ich vermutlich nicht verkraften. Claire war skrupellos. Das musste man ihr lassen. “Ha…” stieß ich leise und deprimiert hervor. Noch vor einem Tag hätte ich das Wort 'skrupellos' nie mit ihr in Verbindung gebracht. Unter keinen Umständen. Sie war immer nett gewesen, hatte nie mit irgendjemandem Streit gehabt, hat sich nichts aus den Meinungen anderer gemacht und war stets da, wenn ich sie brauchte. Ja, genau. Damit sie mich noch mehr zurecht stutzen; mein Selbstwertgefühl auf den Tiefpunkt bringen konnte. Ich musste so blind gewesen sein, dass ich das all die Jahre nicht gesehen hatte. Sie hatte nach außen hin immer so ein perfektes Bild abgegeben, das sich durch nichts erschüttern ließ. Und nun war dieses Bild in sich zusammengefallen und hatte das Wahre zum Vorschein gebracht. Lauren schien das geahnt zu haben. Vielleicht hatte sie sich auch deshalb nie mit Claire, die eine eindeutige Konkurrenz für sie darstellte, angelegt. So wie Mr. Stanfield als Richter über Mr. Mallory stand, so schien sich das auch auf die Töchter zu übertragen. Man konnte glatt sagen, Böses erkannte Böses. Nur das Lauren in dem Fall noch harmlos wirkte. Vielleicht hatte sie Claire durchschaut. Dass Jessica und Rebecca ebenfalls davon wussten, konnte ich mir nicht vorstellen. Claire war mit Sicherheit schlau genug, keine unnötigen Mitwisser um sich zu scharren. Denn schlau war sie, sonst hätte sie das nicht solange durchziehen können. Immer wieder dachte ich an vergangene Zeiten zurück. Dinge, die ich mit ihr verbunden hatte. Die mich glauben ließen, eine wahre Freundin gefunden zu haben. Einmal waren wir beide mit Charlie zum einem seiner monatlichen Angelausflüge außerhalb von San Francisco mitgefahren. Wir wohnten das Wochenende über am Ufer eines Sees in einem dieser kleinen Blockhütten, die einen Kamin hatten und vor dem ein einladendes Bärenfell lag. Abends hatten wir es uns gemütlich gemacht, lauschten dem Knistern der Flammen und schwärmten uns gegenseitig von den Jungs unserer Schule vor. Das war vor drei Jahren gewesen - kurz bevor ich angefangen hatte, mich mit meinem ersten Freund zu treffen. Claire und ich hatten uns in eine Decke gekuschelt, lehnten an der Couch hinter uns und die Köpfe aneinander. Charlie war immer noch draußen in einem Boot und hoffte auf einen guten Fang. Bei Nacht sollten die Fische wohl besser beißen. Während wir gedankenverloren ins Feuer starrten, bedienten wir uns immer wieder bei den neben jedem von uns stehenden, bis zum Rand gefüllten Schalen mit Popcorn. “Und?” meinte ich grinsend, während ich mir eine handvoll nahm. “Wie sieht’s aus in der Liebe?” “Wie kommst du jetzt darauf?” Irgendwie schien ihr das Thema unangenehm. “Nur so. Mir kam es so vor, als hättest du ein Auge auf Ben geworfen”, meinte ich schelmisch. “Ben Cheney? Nie im Leben. Außerdem rennt der doch ständig dieser Angela hinterher.” “Stimmt…” sagte ich nachdenklich. “Und Tyler?” “Ist ganz niedlich, aber nicht wirklich mein Fall.” “Mike?” “Nein.” “Eric?” “Niemals!” Bei ihrer Empörung musste ich kurz schmunzeln. “Riley?” “Keine Chance.” “Pete?” “Ich bitte dich.” “Ryan…?” seufzte ich jetzt schon. Entweder sie wollte mich nur abwimmeln, oder aber sie setzte zu hohe Ansprüche. “Hmmm… Vielleicht.” Ein verlegenes Grinsen huschte über ihr Gesicht und ich schöpfte wieder Hoffnung. “Ich hab ihn letztens in Sport gesehen… Ehrlich, wenn die diese durchgeschwitzten T-Shirts tragen, könnte man glatt dahin schmelzen…” Für einen kurzen Augenblick schwiegen wir und stellten uns das Ganze mit verträumten Blicken bildlich vor, ehe ich mit meiner Fragerei fortfuhr. “Hm… was ist mit Jasper Whitlock? Von den Haaren her würdet ihr gut zusammen passen”, gluckste ich. Claire kicherte. “Ja. Stimmt. Ehrlich gesagt hat er wirklich was. So was anziehendes…” schwärmte sie. “Dann frag ihn doch”, schlug ich vor. “Bist du verrückt? Das geht nicht. Das wäre viel zu peinlich. Stell dir vor, er lehnt ab, oder lacht mich sogar aus.” Sie klang ernsthaft besorgt deswegen, obwohl ich das überhaupt nicht verstehen konnte. “Jemand soll Claire Stanfield eine Abfuhr erteilen?… Nie im Leben. Du wirst wahrscheinlich bereits zehnmal einen Freund gehabt haben, bevor sich jemand für mich interessiert”, munterte ich sie auf. Claire lächelte zurück. “Was ist denn mit diesem Neuen? Der, der vor ein paar Monaten hierher gezogen ist”, machte ich schließlich weiter. “Redest du von dem, mit dem steinalten Namen?” Ich nickte. “’Edward‘, glaube ich, hieß er.” “Nicht ‘Edwin‘?” “Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass es ‘Edward’ war”, grinste ich. “Ein bisschen tut er mir ja leid. Wer sein Kind mit so einem Namen bestraft…” sinnierte sie. “So schlimm finde ich den nun auch wieder nicht. Immer noch besser als meiner”, grummelte ich. ‘Isabella’ hätte ich mir niemals selbst ausgesucht. “Im Italienischen werden hübsche Mädchen aber ‘Bella’ genannt.” Versuchte sie mich jetzt aufzumuntern? Wenn ja, war ihr das definitiv gelungen. “Also, was ist nun mit ihm?” erinnerte ich sie an das eigentliche Thema. “Ja… schon irgendwie… niedlich”, druckste sie rum. “Ich hab noch nie jemanden mit solchen Haaren gesehen… Ich meine, es gibt schon einige Rothaarige hier, aber seine… Die schimmern so anders…” “Bronze”, half ich ihr auf die Sprünge und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. “Am liebsten würde man gerne mal mit den Fingern durchfahren, oder?” Claire kicherte. “Ja… Ist dir aufgefallen, dass er ab und an zu uns herüberschaut?” “Tut er?” Im Kopf holte ich alle Erinnerungen wieder hervor, in denen dieser Junge vorkam. Was sie ansprach, fand ich nicht darin, dafür aber etwas anderes. “Irgendwie ist er komisch. So abweisend. Er ist schon ein halbes Jahr hier und unterhält sich trotzdem mit keinem. Macht noch nicht einmal den Versuch, sich mit jemandem anzufreunden. Und sein Blick…” “Was ist damit?” “Ich schwöre, wenn man damit jemanden töten könnte, wäre die Schule schon halb leer.” Sie hob ihren Kopf und sah mich skeptisch an. “Vielleicht ist er nur schüchtern.” “Also unter schüchtern verstehe ich etwas anderes.” “Gut, ich geb zu, dass es mir manchmal eiskalt den Rücken herunter läuft, wenn ich ihn sehe”, seufzte sie und legte ihren Kopf wieder an meinen. “Aber vielleicht ändert er sich ja noch…” Ich verdrehte nur die Augen, was sie glücklicherweise nicht sah, da sie wieder auf das Feuer fixiert war. Zugegeben, es musste schwer sein, in unserem Alter in eine neue Schule zu kommen und das Thema Nummer eins zu sein, ständig Blicke auf sich zu spüren und Getuschel im Hintergrund zu hören. Wer wusste schon, wie ich in dem Fall reagieren würde. Dennoch hatte Edward Cullen etwas unheimliches, etwas bedrohliches… Etwas, das einem sagte, man sollte sich lieber fernhalten. Mit der Zeit schien er sich dann doch einzuleben und war irgendwann nur noch einer von vielen, die im Baseballteam spielten und von den Mädchen angegafft wurden. Ich wäre nie darauf gekommen, dass Claire einmal tatsächlich ernsthaftes Interesse an so jemanden zeigen würde. Ich hatte immer eine ganz andere Vorstellung von ihrem Traummann gehabt. Doch wahrscheinlich war das genau so eine fadenscheinige Lüge gewesen. Ich erinnerte mich auch noch, dass wir Lauren und den anderen beiden immer Streiche gespielt (schon da war Claire der Ideengeber) und uns über ihre Art, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, lustig gemacht hatten. Wir hatten sie für so oberflächlich gehalten, weil ihnen ihre äußere Erscheinung am wichtigsten war und sie ständig auf denen herumgehackt hatten, die schwächer waren als sie und nicht in ihr Schema passten. Jetzt allerdings musste ich zugeben, dass Laurens Art doch auf eine gewisse Weise mehr Ehrlichkeit besaß, da sie wenigstens offen zeigte, wen sie nicht leiden konnte. Sie schien nicht so hinterhältig wie Claire. Ich hatte so viele schöne Erinnerungen, in denen wir Spaß gehabt und gelacht hatten, in denen wir uns gegenseitig halfen, uns trösteten. Und jetzt stellte sich heraus, dass das alles mehr Schein als Sein war. Nicht ein Wort von ihr in den letzten drei Jahren war ernst gemeint, nicht eine Geste oder Tat. Alles war geplant. Ein Spiel, bei dem es darum ging, mich fertig zu machen. Während ich ins Bad ging und mich im Spiegel betrachtete, bemerkte ich die Tränen, die an meinen Wangen herunter liefen. Hastig wischte ich sie mit dem Handrücken weg. Claire verdiente es nicht, dass ich den alten Zeiten nachtrauerte. Nicht jetzt und auch sonst nicht mehr. Ein kaltes Wesen wie sie war es nicht wert, bemitleidet zu werden, so plausibel die Gründe für sie auch zu sein schienen. Ich stieg in die Dusche und ließ das heiße Wasser über meinen Körper laufen. Es war angenehm und entspannte meine verhärteten Muskeln. Außerdem wischte es die Überreste der Tränen weg. Meine Hände strichen meine langen Haare nach hinten, sodass die heiße Flüssigkeit ungehindert über mein Gesicht fließen konnte, während ich meine Augen schloss und meinen Kopf gen Duschkopf hob. Wie gut, dass ich Alice und Edward hatte, fiel es mir plötzlich ein. Obwohl wir noch nicht allzu lange etwas miteinander zutun hatten, stellten sie sich doch als echte Freunde heraus. Das hoffte ich jedenfalls. Was wenn ich wieder hintergangen wurde? Was wenn mir wieder Lügen aufgetischt wurden? Vehement schüttelte ich meinen Kopf und spritzte somit ein paar Wassertropfen an die ohnehin nassen Fliesen. Ich wollte nicht glauben, dass sie so waren wie Claire. Alice hatte sich so sehr für mich eingesetzt in den letzten Tagen; hatte mir Halt gegeben, als ich ihn am meisten brauchte. Und ich hatte ein gutes Gefühl bei ihr. Mehr als das sogar. Sie schien auf eine verrückte Art die Freundschaft ehrlich zu meinen. Und Edward… Er war genauso an meiner Seite gewesen wie Alice. Sogar in der Zeit, in der wir noch unser eigentliches Ziel, den Grund, weshalb wir uns überhaupt zusammengetan hatten, verfolgten. Das mit der Scheinbeziehung hatte er mir überraschender Weise nicht allzu übel genommen und letztendlich sogar mit eingestimmt. Als sich herausstellte, was es mit meinen Verabredungen wirklich auf sich hatte, fing er nicht an zu lachen. Stattdessen tröstete er mich. Als ich ihm erzählte, dass ich überhaupt keine Ahnung von Baseball hatte, wollte er mich unbedingt von diesem Sport überzeugen. Und das mit Erfolg. Der Abend in dem Stadion war einer der schönsten, die ich hatte. Jetzt daran zu denken rief eine Menge Ereignisse von dem Tag hervor. Seine liebvolle Art, wie er mir all die Regeln und Spielzüge erklärte; wie er geschaut hatte, als er Tayks Annäherungsversuche sah… Ein leises Kichern entfuhr mir bei dem Gedanken. Vielleicht war er da ja wirklich schon eifersüchtig gewesen. Danach hatte er sich zu allem Überfluss auch noch wegen mir geprügelt. Mehr oder weniger. Eigentlich hatte nur er etwas abbekommen. Und als wir dann im Bad zusammen gehockt hatten und danach feststellen mussten, dass wir eingeschlossen wurden… Der Nachhilfeunterricht im Batten hatte wirklich Spaß gemacht. Bei Gelegenheit würde ich ihn fragen, ob er das noch mal machen würde. Die Erinnerung an das Tanzen, oder besser gesagt an das danach, ließ meine Finger automatisch sanft meine nassen Lippen berühren, während ich mich mit einer Hand an den Fliesen abstützte und die Temperatur des Wassers, das jetzt auf meinen Rücken sprudelte, gar nicht mehr wahrnahm. Er hatte mich geküsst. Mein erster Kuss… Das Empfinden, das ich dabei hatte, brachte mein Herz jetzt wieder zum rasen und ohne, dass ich es richtig mitbekam, hielt ich die Luft für einen kurzen Augenblick an. Es hatte sich so schön angefühlt. Ich hatte es genossen, seine Lippen auf meinen zu spüren. Und es gab mir die Bestätigung, dass Edward genauso empfand wie ich. Das tat er doch, oder? Wenn ich daran dachte, dass er mir von seiner Vergangenheit erzählt hatte, festigte das doch nur meine Hoffnung. Schließlich war ich womöglich die Erste, der er das alles anvertrauen konnte. Abgesehen davon, dass er mir nicht alles verraten wollte. Weder was passiert war, als sie hierher umgezogen waren, noch an wen ich ihn erinnerte. Vielleicht eine alte Bekannte? Oder sogar Freundin… Jemanden, den er geliebt hatte? Er hatte mir die Kette geschenkt, die jetzt um meinen Hals hing. Er hatte sich wahnsinnig über den Baseballhandschuh gefreut und er hatte mich danach weitere zwei Male geküsst. Außerdem hatte er mich so unglaublich viele Male in den Arm genommen, dass mir jetzt regelrecht etwas fehlte, wenn er nicht da war. Also deutete ich die Zeichen doch völlig richtig… Oder nicht? Alice hatte das auch gesagt. Sie hatte das mit Claire geahnt und das mit Edward ebenfalls schon vorher gesehen. Ich kaute auf meiner Unterlippe, als ich wieder anfing zu zweifeln. Obwohl ich doch überhaupt keinen Grund dazu hatte. Er meint es ernst und er wird morgen anrufen, rief ich mir ins Gedächtnis. Ja, er würde morgen anrufen und dann wäre ich mir wieder sicher. Und wenn er da war und ich ihn wieder spürbar neben mir wusste, wäre ich wieder komplett. Mittlerweile war ich in meinem Zimmer. Ich zog mir rasch meine Jogginghose und ein T-Shirt an und schlüpfte unter die Bettdecke, um mich darin einzukuscheln. Noch lange blieb ich wach und konnte nicht einschlafen. Ich war viel zu nervös wegen morgen. Fast krampfhaft umklammerte ich Edwards Anhänger, bis ich dann doch nach Stunden in einen traumlosen Schlaf fiel. Als ich am nächsten Morgen aufwachte und auf meinen Wecker schaute, blieb mir fast die Luft weg. Es war bereits zehn. Die Grübelei von übernacht war wie weggeblasen und neue Vorfreude durchströmte mich bei dem Gedanken, Edward bald wieder bei mir zu haben. Aber was wenn er schon angerufen hatte? Und ich lag in meinem Bett und schlief tief und fest. Hastig krabbelte ich unter der Decke hervor und huschte ins Bad, um mich fertig zu machen. Doch sobald ich mein Zimmer wieder betrat, blieb ich wie versteinert vor meinem Schrank stehen. Sollte er schon angerufen haben, würde ich ihn zurückrufen. Sollte er das noch nicht getan haben, würde ich warten. Auf jeden Fall würden wir uns aber verabreden und etwas unternehmen. Davon ging ich aus. Das einzige Problem, das sich mir jetzt bot, war die Kleiderfrage. Was sollte ich anziehen? Ich wollte nicht in irgendwelchen Alltagsklamotten mit ihm umherschlendern. Vielleicht achtete er nicht einmal sonderlich darauf, doch ich würde mich wohler fühlen, zu wissen, dass ich ihm gefiel. Mehr als sonst. Ich hatte seinen Blick noch in Erinnerung, als ich von Alice frisch gestylt aus dem Haus trat, kurz bevor wir zum Spiel gefahren waren. Alice! Sollte ich sie anrufen und sie fragen, ob sie mir helfen würde? Nein. Da musste ich jetzt alleine durch. Ich konnte mich ja nicht immer auf sie verlassen. Seufzend zog ich eine dunkle Hose aus dem Schrank. Jeans passte immer und wirkte nicht zu vornehm. Und was dazu? Etwas helles, soviel stand fest. Nur was? Ich schob Kleiderbügel um Kleiderbügel zur Seite, nur um immer wieder resigniert aufzustöhnen. Warum war ich damals nicht auf Alice’ Vorschlag eingegangen, einkaufen zu gehen? Dann würde ich jetzt nicht so hilflos hier stehen. Nach einer realen halben und gefühlten zwanzig Stunden, in denen ich immer unruhiger wurde, weil ich nicht das geringste Klingeln von Telefon oder Haustür hörte, hatte ich mich entschieden, ein weißes, schulterfreies Oberteil anzuziehen, das unterhalb der Brust mit einem dünnen Band gerafft war und dann nach unten hin weiter wurde, sodass es einen fließenden Fall hatte, während die Ärmel, die erst am Oberarm anfingen, bis zur Hälfte des Unterarms gingen. Ich wusste nicht einmal, dass ich so etwas besaß. Auf jeden Fall würde es für heute reichen. Es musste. Die Haare… Ich beschloss, sie offen zu lassen. Für kunstvolle Hochsteckfrisuren hatte ich nicht Alice’ Talent und ein einfacher Pferdeschwanz wirkte womöglich zu streng. Nachdem ich endlich fertig war, warf ich noch einen letzten, kritischen Blick in den Spiegel. Edwards Kette prangte auf meinem Dekolleté und durch das schulterfreie Oberteil kam sie noch viel besser zur Geltung. Eilig hastete ich in die Küche, um noch schnell etwas zu essen. Abrupt blieb ich stehen, als ich Charlie am Tisch sitzen sah, den Kopf tief in der Morgenzeitung vergraben und einen Becher Kaffee auf dem Tisch stehend. “Morgen, Dad… Musst du gar nicht arbeiten?” fragte ich ihn, während ich mir eine Schale Cornflakes und ein Glas Orangensaft holte. “Hab heute frei. Als Ersatz für gestern.” Er sah nicht auf, als er sprach und seine Stimme klang seltsam ernst. Ich setzte mich ihm gegenüber, murmelte ein “Aha…” und aß schweigend mein verspätetes Frühstück. Es vergingen ein paar Minuten, in denen nur das Rascheln der Zeitung, wenn Charlie eine Seite umblätterte, zu hören war. “Hattest du gestern einen schönen Abend?” fragte er auf einmal, ohne aufzusehen. Ich konnte mir diese plötzlich aufkommende Spannung, die zwischen uns herrschte, nicht erklären. Ich presste meine Lippen aufeinander. Die Bilder der Strandparty rauschten vor meinem inneren Auge wie die Lichter der Großstadt während einer Autofahrt bei Nacht. Immer wieder hielten sie an bestimmten Stellen an, die meinem Herzen entweder einen Stich versetzten oder mehr Blut pumpen ließen. “Er hatte seine Höhen und Tiefen”, antwortete ich knapp, ohne näher drauf eingehen zu wollen. “Hm-hm…” machte er nur und las immer noch ohne Unterbrechung. “Hat jemand angerufen, während ich geschlafen habe?” Ein Themenwechsel war jetzt bitter nötig. Innerlich hoffend, dass in seiner Antwort die Worte Ja und Edward lagen, hielt ich es kaum aus, als er sich ziemlich viel Zeit ließ, ehe er etwas sagte. Noch länger und ich würde das reinste Nervenbündel sein. Dann endlich seufzte er - und ich hielt die Luft an. “Ja…” Langsam atmete ich wieder aus und musste das aufkommende Grinsen unterdrücken. Zwar wusste Charlie, dass ich mit Edward zusammen war, doch jetzt hatte es ein ganz anderes Gewicht. Die Beziehung, die wir ihm vorgespielt hatten, war jetzt (hoffentlich) echt. Keine Vorführung mehr. Es fehlte nur noch ein Wort, ein Name. Sag es… Sag es! Charlie legte die Zeitung ab, hob seinen Kopf und musterte mich angestrengt für einen winzigen Moment. Er öffnete seinen Mund - und ich hielt abermals die Luft an. “Claire…” Ausatmen… Doch die erhoffte Freude wollte nicht kommen. Stattdessen sackte mein Herz in die Hose und mein Blick verfinsterte sich. Was wollte sie? Warum rief sie noch hier an? Er hatte seinen Kopf wieder hinter der Zeitung versteckt, doch ich wusste, dass er nicht mehr darin las. Was hatte sie ihm erzählt? Völlig entgeistert starrte ich in seine Augen, die jetzt über den Rand des Tagesblattes zu mir herüberschielten und mich wachsam musterten, während meine Finger sich immer fester um den Löffel wickelten und ihn so sehr in die Schale drückten, dass man denken könnte, ich wolle das Porzellan durchbohren. Ihm entging das natürlich nicht. “Sie macht sich nur Sorgen um dich, Bella.” Für einen kleinen Augenblick setzte mein Herz aus. “Sorgen!” wiederholte ich, wobei sich meine Stimme überschlug. “Du musst nicht gleich so wütend werden. Ich weiß, dass du in einer schwierigen Position steckst.” “Ha… schwierige Position”, schnaubte ich und wendete mich wieder meinem Essen zu. “Ich bin durch mit ihr. Wir sind nicht mehr befreundet. Sollte sie mir noch mal unter die Augen treten, dreh ich ihr persönlich den Hals um.” “Bella”, sagte er etwas lauter und drehte sich ganz zu mir, während er die Zeitung zusammenfaltete und sie auf den Tisch legte. “Ist dieser Junge es wert, dass die Freundschaft mit deiner besten Freundin daran zerbricht?” Für einen Moment blickte ich ihn fassungslos an, nicht ganz seine Worte glaubend. “Edward?… Was hat er denn damit zutun?” “Bella, red dich jetzt bitte nicht heraus. Ich find-” “Ich rede mich nicht raus”, fuhr ich unwirsch dazwischen. “Was immer sie gesagt hat, es ist gelogen und der einzige Grund, den sie hat, dir irgendwelche Lügenmärchen zu erzählen, ist, dass sie Edward und mich auseinander bringen will.” “Ich finde, eine Strafakte bei der Polizei ist nicht gerade unbedeutend.” Damit hatte ich nicht gerechnet und für eine Sekunde hatte er mir so den Wind aus den Segeln genommen. “Damals war mir eh alles egal und all der Mist, den wir gemacht haben, hat mir geholfen, meinen Frust abzubauen.” Ja, Edward hatte früher viel Blödsinn gemacht, doch das war Vergangenheit. Auch wenn ich nicht gleich mit einer Polizeiakte gerechnet hatte. Und woher wusste Claire das schon wieder? Am Lagerfeuer hatte sie ähnliche Andeutungen gemacht. Trotzdem änderte das nichts daran, dass Edward jetzt ein Anderer war. Davon war ich überzeugt. Ich wollte und würde nichts anderes glauben. Jemand wie er konnte einfach kein durch und durch schlechter Mensch sein. “Sieht so aus, als wäre das nichts neues für dich”, stellte Charlie aufmerksam fest. “Was immer Claire erzählt hat… Edward ist nicht mehr der, der er früher einmal war.” Obwohl ich mir vorkam wie bei einem Verhör, versuchte ich so überzeugend wie möglich zu antworten. “Und das kannst du jetzt schon sagen, ja? Wie lange seid ihr zusammen? Eine Woche? Ich bin beeindruckt von deiner Menschenkenntnis.” Ich hasste es, wenn er sarkastisch wurde. “Wem glaubst du eigentlich mehr, Dad? Claire oder deiner eigenen Tochter?” fragte ich ihn und mein Zorn, der kurzzeitig leicht abgeklungen war, stieg wieder hoch. “Bells…” seufzte er. “Das ändert doch nichts an den Fakten. Ich bin Polizist. Ich sehe jeden Tag solche Fälle und glaub mir, die meisten fallen immer wieder in ihr altes Schema zurück.” “Ja, Dad. Genau. Die meisten!” fuhr ich ihn an. Meine Stimme war schon hart an der Grenze zum Schreien. “Und Edward gehört nicht dazu.” “Ich will doch nur nicht, dass du dich zu sehr da hinein steigerst und verletzt wirst”, versuchte er mich zu besänftigen. “Weißt du, was mich jetzt gerade verletzt?” Meine Sicht verschwamm allmählich. “Dass mein Vater mir nicht vertraut und lieber den Worten einer Außenstehenden glaubt.” Für einen kurzen Augenblick weiteten sich seine Augen und er sah mich besorgt an. “Bella, natürlich vertraue ich dir”, meinte er und wollte meine Hand, die auf dem Tisch lag, berühren, doch ich zog sie weg, was ihn kurz inne halten ließ. Er musterte mich skeptisch. Es sah aus, als wöge er die nächsten Worte mit Bedacht ab. “Nur sind die Jugendlichen heutzutage etwas… naiv. Sie lassen sich viel zu schnell auf andere Dinge ein, weil sie ihren Träumen nachlaufen.” Ich schnaubte und konnte nur fassungslos meinen Kopf schütteln. “Wie sehr kannst du ihm denn schon vertrauen…?” meinte er und es war keine ernst gemeinte Frage. “Mehr als irgendjemandem sonst”, antwortete ich zähneknirschend. Mein Unterkiefer zitterte verräterisch und mein Gesicht tat schon weh, so sehr versuchte ich die Tränen zu unterdrücken. “Bis er dich zu irgendetwas überredet und ich dich am Ende noch aus dem Gefängnis abholen muss?” “Dad!” Just in diesem Moment klingelte es an der Tür und wir beide erstarrten zeitgleich. Es war auf einmal so still um uns, dass ich meinte, nur das schneller werdende Klopfen meines Herzens zu hören. “Erwartest du Besuch?” fragte Charlie überrascht. “Edward.” Ich funkelte ihn schadenfroh an, ehe ich mich erhob und schnurstracks zur Haustür ging. “Isabella Swan, bleib gefälligst stehen!” rief er aufgebracht hinterher, während er mir folgte. “E-”, setzte ich an, also ich die Tür aufriss, nur um im nächsten Augenblick in Alice’ bedrückt freundliches Gesicht zu sehen, das aber sofort in Sorge umschlug, als sie meines sah. Hinter mir tauchte mein Dad auf. Er schien genauso verwirrt wie ich. “Alice! Hallo…” begrüßte er sie höflich. Dafür, dass er sie erst einmal gesehen hatte, konnte er sich ihren Namen verdammt schnell merken. “Guten Tag, Mr. Swan”, lächelte sie. “Was führt dich zu uns?” Charlie klang, als wäre er nie wütend gewesen. Ihre Augen huschten kurz zu mir. “Ich wollte Bella fragen, ob sie Lust hat, etwas mit mir zu unternehmen.” “Ich… Tut mir leid, aber ich kann nicht. Ich warte noch auf einen Anruf von Edward”, meinte ich entschuldigend. Ihre Miene, die eben noch freundlich war, bekam wieder diesen betrübten Ausdruck. “Ich denke nicht, dass er das wird.” Ich wollte eigentlich etwas erwidern, doch dann drängelte ich mich lieber schweigend an Charlie vorbei, um meine Tasche zu holen. “Wo willst du hin?” fragte er mich, als ich aus dem Haus trat. “Mit Alice einkaufen.” Ich wartete gar nicht auf seine Antwort, sondern zog das kleine, schwarzhaarige Mädchen mit zu ihrem gelben VW Beetle Cabriolet, der am Straßenrand parkte. Ich ließ mich auf den Beifahrersitz sinken und verschränkte die Arme vor der Brust, während ich darauf wartete, dass sie endlich losfuhr. “Er sieht ziemlich wütend aus.” Ich hob meinen Kopf und sah kurz zu ihr, dann zum Eingang unseres Hauses. Mein Dad stand immer noch da und fixierte mich argwöhnisch. Dann endlich schloss er die Tür. Ich sackte in meinem Sitz zusammen und legte eine Hand über meine Augen. “Alles in Ordnung?” wollte Alice wissen und ich konnte spüren, wie ihre kleinen, dünnen Finger sanft über meinen Rücken strichen. Ich nickte nur und atmete tief durch. “Was meintest du vorhin?” fragte ich nach ein paar Sekunden in die Stille hinein. “Na ja, er hat mich angerufen und gefragt, ob ich vor hatte, dich heute zu besuchen. Er meinte, er wollte das eigentlich selbst, nur hat er unerwarteten Besuch bekommen. Außerdem hat er mich gebeten, dich morgen zur Schule zu fahren.” Ich hob meinen Kopf und sah sie verwirrt an. “Wie bitte? Warum sagt er mir das denn nicht selbst?” Sie zuckte nur mit den Schultern. “Er klang irgendwie kurz angebunden und ziemlich nervös am Telefon.” Was war denn mit ihm los? Bereute er den gestrigen Abend auf einmal? Dabei hatte er doch so glücklich ausgesehen. So glücklich, wie ich mich fühlte. “Ich bin sicher, er hat seine Gründe, Bella. Und morgen in der Schule kannst du ihn persönlich fragen. Du musst keine voreiligen Schlüsse ziehen”, versuchte sie mich zu beruhigen, als sie die Panik in meinem Gesicht sah. Meine Mundwinkel zuckten nur für eine Sekunde nach oben. Länger konnte ich das Lächeln nicht aufrecht erhalten. “Leichter gesagt als getan.” “Hey, du hast die beste Wahrsagerin der Welt vor dir”, grinste sie. Unweigerlich musste ich es erwidern, wenn auch nur halbherzig. “Also, was machen wir jetzt?” Alice tippte sich mit dem Finger ans Kinn. “Hm… Deine Idee von vorhin war eigentlich gar nicht so übel. Außerdem ist so was ideal, um wieder bessere Laune zu bekommen.” Irritiert hob ich meine Augenbrauen. “Shoppen”, half sie mir fröhlich auf die Sprünge. Schnell zauberte ich ein kleines Lächeln auf meine Lippen, um ihr zu zeigen, dass ihre Aufmunterungsversuche nicht umsonst waren. Das Kaufhaus, in das sie mich geführt hatte, kannte ich bis dato noch gar nicht. Jedenfalls war ich noch nie hier gewesen. Wir schlenderten eine immens breite Passage im Erdegeschoss entlang, die in der Mitte in regelmäßigen Abständen von länglichen Holzblumenkästen, die uns bis zur Brust gingen, geteilt wurde. Über uns in ein paar Metern Höhe erstreckte sich die verglaste Decke, durch die jetzt die volle Intensität der Sonne schien. Zu beiden Seiten konnte man die fünf Stockwerke, auf denen sich die verschiedensten Läden befanden, einsehen. An den Geländern standen immer wieder ein paar Menschen, die auf das Treiben hier unten in der Passage schauten. Links und rechts von uns erstreckte sich ein Restaurant oder Café nach dem anderen, McDonald’s, Burger King, Bäckereien und Fastfood-Läden. Überall waren kleine Tische vor jedem Geschäft aufgestellt, ab und zu durch kleine Sonnenschirme aufgeteilt. Es wurde Eis gegessen, Pizza oder einfach nur ein Kaffee oder etwas erfrischendes getrunken. Wir verbrachten hier jetzt bestimmt schon zwei oder drei Stunden. Bei Alice’ regelrechter Verfolgungsjagd auf Schnäppchen verlor ich jegliches Zeitgefühl. Es war erstaunlich, dass wir die ganzen Tüten, von denen mittlerweile sechs an jeder Hand hingen und nur eine davon mir gehörte, überhaupt noch tragen konnten. Sie hatte einen vollkommen zufriedenen Ausdruck auf ihrem Gesicht, während die Sonnenstrahlen sie wie eine kleine Elfe wirken ließen. “Das hat wirklich gut getan, findest du nicht?” seufzte sie und wanderte mit geschlossenen Augen neben mir her, ihr Gesicht gen Sonne gestreckt. Ein Wunder, dass sie noch nicht gestolpert war. Statt zu antworten, kicherte ich nur. Auch wenn sie in gewisser Weise recht hatte, so konnte ich dem ganzen einfach nichts abgewinnen. Sich die schönsten und teuersten Kleider heraussuchen und die Verkäuferin so lange bereden, bis sie diese nur noch für den halben Preis herausgab, überstieg meinen Horizont. Alice nannte es ’Handeln’, ich nannte es ’Bedrohen’. Denn das tat sie, wenn auch auf eine Weise, die von weitem aussah wie ein harmloser Hang zum Reden ohne Luft holen. Alice war scheinbar geübt darin und wenn dann noch die Sätze ’woanders hab ich das aber billiger gesehen’ und ’ist das überhaupt echt’ vorkamen, hatte man einfach keine Chance mehr. Das schlimmste jedoch war, dass sie mir unbedingt ein Oberteil kaufen wollte. Sie hatte es zufällig zwischen all den eng aneinander gepressten Kleiderhaken entdeckt und war sofort überzeugt davon, dass es wie für mich gemacht wäre. Mal davon abgesehen, dass sie wundersamerweise immer noch in Erinnerung hatte, wie mein Kleiderschrank von innen aussah. Ich hatte bestimmt eine halbe Stunde lang protestiert, doch irgendwann wandte sie diesen überfreundlichen Blick an: Nimm es an, oder du wirst den Tag nicht überleben. Als ich nachgab, umarmte sie mich stürmisch und meinte, ich würde es noch brauchen. Ihre Worte in Gottes Ohr… “Wollen wir uns irgendwo hinsetzen? Das wird langsam schwer.” Ich hob die Tüten leicht an. Alice blinzelte kurz und als ihr klar wurde, was ich meinte, nickte sie. “Ich hab Hunger. Du auch?” “Hm-hm.” “Okay, italienisch, chinesisch oder Fastfood”, überlegte sie. “Chinesisch. Wenn du nichts dagegen hast.” Gemeinsam steuerten wir einen kleinen, hübsch dekorierten Laden rechts von uns an. An beiden Seiten der Theke standen lebensgroße, goldene Drachenstatuen, die ihr Maul gefährlich weit aufgerissen hatten. Direkt im Laden an der Decke hingen diese roten, runden Lichtballons aus Stoff, auf denen schwarze Schriftzeichen zu erkennen waren. Hier waren ebenfalls kleine Tische vor dem Geschäft aufgestellt und durch kleine Blumenkästen von den anderen Läden abgegrenzt. Wir setzten uns an einen kleinen Tisch, der am Rand des Laufwegs der Passage stand. Erleichtert, endlich all die Taschen abstellen zu können, ließ ich mich in den Stuhl fallen. Alice tat es mir gleich. Es dauerte nicht lange, bis wir unsere Bestellung aufgeben konnten. “Was darf es sein?” fragte die Bedienung. “Eine Cola und gebratenes Hähnchenbrustfilet in Currysauce”, sagte ich. “Für mich einen grünen Tee und Bami Goreng.” Die Kellnerin nickte und verschwand, ehe sie kurze Zeit später mit unseren Getränken kam. Ich nippte daran und genoss das erfrischende Gefühl, als die gekühlte Flüssigkeit meine Kehle hinunterlief. Es war bereits nach Mittag und die Sonne hatte ihre volle Kraft bereits erreicht. Ich verschränkte meine Arme auf dem Tisch und schweifte mit meinem Blick durch die Menschenmassen, die entweder umherwanderten oder saßen. Überall Pärchen, wohin ich auch sah. Händchenhaltend, kuschelnd, küssend. So sehr ich Alice’ Anwesenheit auch genoss, so sehr wünschte ich mir jetzt, dass Edward hier wäre und ich mich an ihn lehnen könnte. Ich würde ihm nicht gegenübersitzen, so wie ich es jetzt bei ihr tat, sondern daneben. Ich würde meinen Kopf an seiner Schulterbeuge vergraben, während er seinen Arm um meine Taille geschlungen hätte. Ich würde die Wärme seiner Brust auf meiner Wange spüren und seinem Herzschlag lauschen. Und er würde sanft an meiner Seite entlang streicheln, mir ab und zu einen Kuss auf die Haare hauchen und wenn ich meinen Kopf dann hob, seine Lippen auf meinen spüren und alles um uns herum vergessen. Nur seinen süßlichen Duft einatmen, nur ihn fühlen, nur mit ihm die Zweisamkeit genießen. “Bella, aufwachen!” Ich zuckte zusammen, als ich eine Hand auf meinem Arm spürte und blinzelte verwirrt in Alice’ Gesicht. “Das Essen ist da”, meinte sie und deutete zwischen uns. Tatsächlich standen dort jetzt zwei längliche Wärmeplatten, auf denen sich zwei Teller mit unserem Essen befanden. Zusätzlich gab es eine große Schüssel mit Reis und vor jedem von uns stand eine kleine Schale mit der dazugehörigen Packung Stäbchen. Alice packte sie begeistert aus und murmelte “Man man qi”, während sie sich bereits Reis auflud. “Was?” fragte ich. “Das heißt ’Guten Appetit’”, erklärte sie fröhlich, ohne aufzusehen. Eine Weile aßen wir schweigend. Wenn Edward da wäre, könnte ich jetzt so tun, als hätte ich keine Ahnung, wie ich die Stäbchen halten sollte und er könnte es mir beibringen. Und wenn ich danach immer noch keinen einzigen Happen zu meinem Mund führen könnte, müsste er mich wohl oder übel füttern. Ich bezweifelte, dass er mich verhungern ließe. Ein kleines Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich mir das Ganze deutlicher vorstellte - mit all den Tücken, die diese Szene wohl bringen könnte. “Du denkst die ganze Zeit an ihn”, stellte Alice fest und riss mich aus meiner Träumerei. Schlagartig verdunkelte sich meine Miene. Als hätte der Himmel meine Stimmung gespürt, zogen ebenfalls ein paar dünne Wolken auf. Mein kleiner Schutzengel musterte mich besorgt. “Ich kann mir sein Verhalten einfach nicht erklären”, erklärte ich betrübt und starrte auf das Essen, die Stäbchen nur noch locker in der Hand haltend. “Gestern Abend wirkte er noch so gutgelaunt, so zufrieden und glücklich. Er hat mir versprochen, anzurufen und jetzt hat er sich stattdessen bei dir gemeldet, ohne auch nur ein einziges Wort zu mir zu sagen.” “Bella?” Ich hob meinen Kopf, um sie direkt ansehen zu können. “Vielleicht ist irgendetwas passiert und er hat einfach Angst gehabt, dich zu beunruhigen”, meinte sie. “Vielleicht ist ihm heute aber auch nur klar geworden, auf was er sich da eingelassen hat und macht jetzt einen Rückzieher”, erwiderte ich mit einem aufgesetzten Lächeln. “Das glaubst du doch selber nicht. Das wäre das Dümmste, das er machen kann, zumal ich diesen Schwachsinn keine Sekunde glaube.” Ihre Augenbrauen waren gefährlich tief zusammengezogen. “Ich hab euch beide gestern beobachtet und glaub mir, er sah ganz und gar nicht danach aus, als bereue er es. Eher im Gegenteil. So happy hab ich noch nie jemanden gesehen.” Ich musste zugeben, was sie sagte, erleichterte mein Herz ungemein und ich ertappte mich dabei, wie ich sie anlächelte, was sie natürlich erwiderte. “Siehst du? Und morgen redest du mit ihm und schaffst endlich dieses Missverständnis aus der Welt”, entschied sie triumphierend und schob sich ein Stück Fleisch in den Mund. Ich fing ebenfalls wieder an zu essen, obwohl es derweil nicht mehr so heiß war wie zu Anfang. “Sag mal, wie sieht es eigentlich mit dir und Jasper aus?” “Was genau meinst du?” So unschuldig sie jetzt auch klingen wollte, ich wusste, dass da mehr war. “Na ja, ihr habt gestern so vertraut gewirkt. Ist da was im Busch?” “Er ist ganz nett, das ist alles.” Wollte sie mich abwimmeln? “Ganz nett? Das sah nicht nach ganz nett aus. Eher nach küss mich, oder ich werde noch wahnsinnig.” Für einen Moment starrte sie mich erschrocken an und ich konnte deutlich erkennen, wie ihre Wangen Nuance um Nuance dunkler wurden, ehe sie ihrem Reis wieder die volle Aufmerksamkeit schenkte. “So ein Quatsch”, nuschelte sie zwischen zwei Happen, nur um sich gleich danach den nächsten hinein zu schieben. “Alice… Du bist immer so zuversichtlich, was Edward und mich betrifft, doch wenn es darum geht, deine eigene Gefühlswelt zu beurteilen, scheinst du irgendwie das Ziel zu verfehlen.” Abermals hob sie ihren Kopf und starrte mich an. “Wow…” sagte sie bewundernd. “Was?” “Du… …Ach, nicht so wichtig.” Und wieder war das Essen interessanter als unsere Unterhaltung. “Ist gestern etwas bedeutendes passiert?” hakte ich misstrauisch nach, woraufhin sie schnell ihren Kopf schüttelte. “Du weißt, dass das gemein ist, wenn du mir nichts erzählst, obwohl vielleicht doch was war.” Alice seufzte. “Als ihr losgefahren seid, standen wir noch kurz auf dem Parkplatz und da… hat er mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm am Donnerstag etwas zu unternehmen. Er möchte mir irgendwas zeigen.” “Das hört sich doch gut an.” “Ja, oder?” grinste sie verlegen. “Aber vielleicht interpretiere ich auch zuviel hinein. Es ist schließlich nur ein Treffen.” Ich seufzte schmunzelnd. “Du erzählst mir aber hinterher, was ihr gemacht habt, okay?” “Nur wenn du mit deinen Selbstzweifeln aufhörst”, lenkte sie lächelnd ein. “Apropos… Was war das heute Vormittag eigentlich mit deinem Dad?” Meine Augenbrauen hoben sich kurz bei dem plötzlichen Themenwechsel, nur um sich dann zusammenzuziehen, als ich meinen Blick abwandte. “Weißt du, wer heute bei uns angerufen hat?” Eine rein rhetorische Frage. “Claire”, schnaubte ich abfällig. Alice’ Blick verfinsterte sich genauso wie meiner, als Charlie davon anfing. “Sie hat meinem Vater erzählt, Edward wäre nicht gut für mich. Er wäre gefährlich, weil er früher soviel Unsinn angestellt hat. Du weißt ja bestimmt schon, dass mein Dad Polizist ist. Er war alles andere als begeistert.” “Aber du hast ihn doch aufgeklärt, oder? Auch wegen Claire, meine ich”, warf sie ein. “Er mag Claire sehr. Ich hab ihm zwar gesagt, dass ich nichts mehr mit ihr zutun haben will, aber nicht, was sie alles angestellt hat. Ich kann ihm das nicht erzählen. Nur das schlimme ist, dass sie ihm vorgegaukelt hat, wir hätten uns gestritten, weil sie mich angeblich warnen wollte.” Ich sah, dass das Stäbchen in Alice’ Hand bedrohlich gebogen war und kurz davor stand, auseinander zu brechen. “Falsche Schlange!” presste sie wütend hervor. “Ich versteh nur nicht, wieso dein Dad ihr die Lügen abkauft.” “Na ja…” fing ich vorsichtig an. “Weil womöglich außer dieser angeblichen Warnung alle anderen wahr sind und mein Dad hat das an meinem Verhalten auch mitbekommen. Deshalb konnte ich es nicht mehr abstreiten.” Ihre Augen weiteten sich, doch sie sagte nichts. Sie wusste ja gar nichts von Edwards Vergangenheit. “Edward hat mir erzählt, dass er früher nicht gerade brav war”, erklärte ich langsam, während ich angestrengt ihr Gesicht musterte. “Ich gehe davon aus, dass die Betonung auf ‘früher’ liegt, oder?” überlegte sie. Ich nickte. “Genau. Nur Charlie denkt jetzt, Edward könnte immer noch so sein und würde mich wahrscheinlich in irgendwelche kriminellen Kreise ziehen.” Alice’ Miene wurde plötzlich wieder weich und verständnisvoll. “Er hat nur Angst. Das ist alles. Das haben… fast alle Eltern.” Ich sah kurz in ihre Augen und wusste, dass sie jetzt gerade an ihre eigenen dachte. Trotzdem lächelte ich dankbar und sie erwiderte es. “Vielleicht muss er ihn einfach nur etwas besser kennen lernen.” “Charlie und Edward?” fragte ich skeptisch. “Ich hätte viel zu viel Angst, dass er ihn erschießt.” “Ich bin sicher, das legt sich wieder. Glaub mir”, meinte sie optimistisch und ich fragte mich, woher sie jetzt wieder diese Zuversicht hatte. Ich wollte das Thema nicht weiter vertiefen, also lächelte ich höflich und aß den Rest meines Gerichts weiter. Wir verbrachten noch eine Weile in den Einkaufsläden - zu den vierundzwanzig Tüten kamen tatsächlich noch mehr dazu -, als wir bemerkten, dass sich die Sonne langsam gen Horizont neigte. Wir beschlossen, dass es Zeit war, wieder nach Hause zu fahren und so machten wir uns auf den Weg zum Parkhaus, wo Alice’ Auto stand. Obwohl ihr Beetle recht klein wirkte, war es erstaunlich, wie schnell wir den gesamten Einkauf untergebracht bekamen. Es war immer noch warm draußen und der Fahrtwind blies meine Haare nach hinten. Ich vermisste Edwards Volvo. Das Leder der Sitze, sein Geruch auf dem Fahrersitz, er selbst am Steuer. Wenn er meine Hand in seine nahm und sie leicht drückte… Wenn seine strahlend grünen Augen alle paar Minuten die meinen suchten und ich unter seinem Blick rot wurde… Wenn er mich auf seine ganz eigene Art weckte, falls ich mal wieder eingeschlafen war… “Wir sind da”, informierte mich Alice und das Grinsen, das ich eben noch auf den Lippen hatte, erlosch sofort. Von weitem konnte ich schon unser Haus sehen. Je dichter wir kamen, desto unwohler fühlte ich mich. Auf eine erneute Konfrontation mit meinem Dad hatte ich so absolut gar keine Lust. Nur schwer schaffte ich es, aus dem Auto zu steigen, nachdem Alice angehalten hatte. “Bis morgen”, verabschiedete ich mich, während ich meine eine Tüte vom Rücksitz holte. “Ja, bis dann.” Ich winkte ihr noch kurz, dann ging ich schweren Schrittes ins Haus. Überall war das Licht aus. Nur aus dem Wohnzimmer kam ein schwaches Flackern, das - zusammen mit den gedämpften Geräuschen - eindeutig zum Fernseher gehörte. Ohne auch nur einmal hineinzusehen, ging ich direkt auf mein Zimmer zu und glücklicherweise hielt Charlie mich nicht auf. Entweder hatte er mein Kommen nicht bemerkt - was ich für ziemlich unwahrscheinlich hielt -, oder aber er ging ebenso wie ich einer erneuten Diskussion aus dem Weg. Sie würde zu nichts führen. Das wussten wir beide. Diese Sturheit hatte ich schließlich von ihm. Geschafft von diesem anstrengenden Tag schleuderte ich meine Einkaufstasche in die Ecke und ließ mich aufs Bett fallen. Ich beschloss, noch schnell meine Tasche für morgen zu packen und mich dann fürs Schlafen fertig zu machen. Ich war hundemüde. Als ich dann endlich im Bett lag und meine Finger wieder mit dem Kristall um meinen Hals spielten, schweiften meine Gedanken wie nicht anders zu erwarten, zu Edward. Nur dieses Mal war die Aufregung unangenehm, weniger freudig. Der morgige Tag würde anstrengend werden. Soviel stand fest. Ich versuchte, mir Alice’ Worte in Erinnerung zu rufen und hoffte, dass sie sich bewahrheiten würden. Dass ich alles einfach zu pessimistisch darstellte und es am Ende nur halb so schlimm war. Morgen würde ich Gewissheit haben. Morgen würde alles klarer erscheinen. Morgen… Viel zu früh öffnete ich am nächsten Tag die Augen, als sich die ersten Sonnenstrahlen durch meine Gardine den Weg ins Zimmer bahnten. Ich blieb noch ein paar Minuten liegen, um richtig wach zu werden. Innerlich hoffte ich, dass Dad schon zur Arbeit war, wenn ich in die Küche gehen würde und ich hatte Glück. Als ich fertig angezogen war und frühstücken wollte, war niemand mehr im Haus. Ich nahm mir ein Brötchen und ein Glas Milch und setzte mich an den Küchentisch. Die Stille, die herrschte, war angenehm. Keiner, der versuchte, auf mich einzureden. Nicht so wie gestern. Wenn ich an heute dachte, bekam ich sofort ein mulmiges Gefühl im Bauch. Heute würde sich entscheiden, ob ich am Nachmittag glücklich nach Hause fahren würde oder nicht. Es stand fest, dass ich mit Edward reden musste. Kurzzeitig hatte ich auch überlegt, ob ich ihn auf die Sache mit der Strafakte ansprechen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Nicht dass ihn meine Neugierde am Ende noch verärgern würde. Draußen ertönte ein lautes Hupen. Das musste Alice sein. Ich trank noch den letzten Schluck Milch aus, ehe ich in den Flur hastete, meine Sachen nahm und nach draußen lief. Während der gesamten Fahrt, in der Alice mich besorgt musterte, und auch während der ersten Stunden konnte ich einfach nicht meine Nervosität ablegen. Zwar versuchte sie mich immer wieder zu beruhigen, doch es half alles nichts. Zu allem Übel traf ich Edward auch auf keinem der Gänge und da ich heute keinen einzigen Kurs mit ihm hatte, war er auch nicht in der Klasse. Anwesend war er, denn ich hatte sein Auto auf dem Parkplatz gesehen. Als würde er mich absichtlich meiden. Nur warum? Ich setzte all meine Hoffnung in die Mittagspause, doch selbst da hatte ich Pech. Kein Edward. Zusammen mit Alice und Jasper - der höflich gefragt hatte, ob er uns Gesellschaft leisten durfte - saß ich an unserem Stammtisch, doch nirgends eine Spur von ihm. Dem Gespräch der Beiden hörte ich nur halbherzig zu und dass Claire heute anscheinend nicht in der Schule war, bekam ich nur am Rande mit. Ein einziges Mal wandte ich mich an Alice’ Freund, um ihn zu fragen, ob er Edward denn heute schon gesehen hatte und ob er sich anders verhielt als sonst. “Er wirkt etwas angeschlagen. Ich hab ihn zwar darauf angesprochen, doch er meinte, es sei nichts”, erklärte er mir mit einem Schulterzucken. Ich schenkte ihm ein gezwungenes Lächeln für seine Auskunft, das so schnell wieder verschwand wie es gekommen war. Jasper schien meine Gefühlslage mitzubekommen, denn er betrachtete mich immer noch aufmerksam. “Wir haben heute Training. Ich bin sicher, dass du ihn dort antreffen wirst.” Als ich das hörte, schöpfte ich wieder neuen Mut und mein Herz schlug wieder etwas schneller. “Danke, Jasper.” “Du kannst mich Jazz nennen”, meinte er mit hochgezogenen Mundwinkeln. Die letzten beiden Stunden versuchte ich so schnell wie möglich hinter mich zu bringen, auch wenn mir das nicht so recht gelang. Und je mehr Zeit verging und mein hoffentliches Treffen mit Edward näher rückte, stieg auch meine Aufregung. Zumal ich das ungute Gefühl bekam, dass doch nicht alles in Ordnung war. Außerdem wurde meine Sportstunde, die ich normalerweise zusammen mit seinem Training hatte, durch Englisch ersetzt, da unsere Lehrerin krank war. Edwards Unterricht fing demnach gleichzeitig mit meinem an. Ich hoffte, dass sie lange genug spielen würden, damit ich ihn nicht verpasste. Als dann endlich die Klingel das Ende der letzten Stunde verkündete, packte ich in Windeseile meine Sachen und hastete aus dem Raum Richtung Baseballplatz. Und tatsächlich. Jasper hatte recht behalten. Sie trainierten und ich konnte einen bronzenen Wuschelkopf im Sonnenlicht schimmern sehen. Für einen kurzen Moment verlor ich mich in dem Anblick und sah nur noch ihn. Seine blasse Haut, die so gar nicht zu unserem Klima hier passte - und ich war noch nicht mal besser dran als er in dieser Hinsicht -, seine entspannten Gesichtszüge, während er den Schläger über seiner Schulter schwang und auf den kleinen, weißen Ball wartete, nur um ihn ein paar Meter in die Luft zu schlagen, seine graziöse Haltung auf dem Spielfeld… Ein Engel… Ich setzte mich auf die Zuschauerreihen, stützte meine Ellenbogen auf meine Knie und meinen Kopf auf meine Hände, während ich ihm zusah - genauso wie jede Menge andere Mädchen hier, die scheinbar nicht genug davon bekommen konnten. Eine verträumter als die Andere. “Ist er nicht wunderbar?… Der Kühle mit den roten Haaren…” hörte ich jemanden seufzen, der nicht weit weg von mir ein paar Reihen weiter oben saß und ich war schon kurz davor, mich umzudrehen und ‘bronze‘ zu rufen. “Was würde ich nicht dafür geben, einmal in seinen starken Armen zu liegen…” Automatisch dachte ich an die Male zurück, in denen ich das durfte und ein kleines, kaum sichtbares, schadenfrohes Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. “Oh, mir würden noch jede Menge andere Dinge einfallen”, hörte ich eine zweite Person kichern. “Ich weiß, wo die Umkleiden sind”, meinte die Erste verschlagen, woraufhin die Zweite kurz lachte. “Aber ist er nicht vergeben?” “Wen stört das? So was hält bei solchen Leuten eh nicht lange.” “Soweit ich weiß, soll es diese Swan sein.” “Die sich drei Jahre lang von Claire auf der Nase herumtanzen hat lassen? Haha, dann ist ihre Beziehung ja noch schneller vorbei als ich es erwartet hab.” Ungewollt versteifte sich mein Körper und ich widerstand dem Drang, mich zu ihnen umzudrehen. “Wieso? Was hat Claire denn gemacht?” “Weißt du das nicht?… Also ich war am Wochenende auf dieser Strandparty und na ja,… es sind einige Dinge ans Licht gekommen. Zum Beispiel dass unsere beliebte Ms. Stanfield noch listiger ist als diese Lauren Mallory. Sie hat allen nur vorgespielt, brav und anständig zu sein, dabei hat sie in Wahrheit über Jahre hinweg ihre eigene Freundin hintergangen…” “Nicht wahr…” staunte die Andere. “Doch, doch. Aber wenn du mich fragst, ist die Swan selbst schuld. Wer sich so hinters Licht führen lässt, verdient es nicht besser.” In meinen Augen sammelte sich Wasser, doch ich wollte stark bleiben. Mit so etwas würde ich wahrscheinlich noch öfter konfrontiert werden. “…So wie es aussah, waren sie ja ziemlich eng miteinander befreundet. Ich wäre wahrscheinlich auch nicht gleich auf so was gekommen”, seufzte die Eine. “Hey, ich glaube, sie sind jetzt fertig”, grinste ihre Freundin. “Ab in die Umkleide?” Sie kicherten einstimmig. Jetzt sah auch ich, dass das Team auf die Bank, die vor den Zuschauerreihen stand, zuging, um ihre Sachen zu packen. So schnell ich konnte, stand ich auf, schlängelte mich durch die Reihen zum Tribünenmittelgang, um zum Spielfeld zu laufen. Zu dumm, dass ich nicht an meine Tollpatschigkeit gedacht hatte, denn schon im nächsten Augenblick war ich kurz davor, Bekanntschaft mit dem Boden zu machen. Wenn mich nicht jemand aufgefangen hätte. Die starken Arme umschlangen meinen Oberkörper und drückten mein Gesicht in eine mir allzu bekannte Brust, dessen Geruch mir sofort in die Nase stieg. Schlagartig fühlte ich mich wohler, als ich ihn “Bella” kichern hörte. Jedoch erstarb es für meinen Geschmack viel zu schnell wieder. “Alles in Ordnung?” fragte er mich, als ich mich wieder vollends aufrappelte, ohne mich jedoch von ihm zu lösen. Ich nickte. “Danke.” “Was machst du hier?” Seine Stimme klang verhalten. Ich sah ihn irritiert an. Hatte er mich das gerade wirklich gefragt? Als wäre ihm bewusst geworden, was ich meinte, formten sich seine Lippen plötzlich zu einer schmalen Linie. “Du… hast gestern nicht angerufen”, half ich ihm auf die Sprünge. “Ja… Tut mir leid deswegen. Ich hab einen sehr unerwarteten Besuch bekommen.” Bei dem Wort ‘Besuch’ klang seine Stimme abweisend. Ich konnte mich aber auch irren. “Alice hat es mir erzählt”, stimmte ich zu. “Trotzdem hättest du es mir selbst sagen können.” “Ja, ich weiß…” meinte er und strich mir über den Kopf, was ich für ein paar Sekunden genoss. Bis mir wieder einfiel, wo ich mich gerade befand. “Sag mal”, fing ich an und musterte vorsichtig seine Miene, um mir auch keinen einzigen Gesichtszug bei meiner nächsten Frage entgehen zu lassen. “Kann es sein, dass du mir aus dem Weg gehst?” Für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde weiteten sich seine Augen, nur um im nächsten Augenblick die meinen förmlich zu durchbohren, während er nervös auf der Unterlippe kaute. “Nein… Wie kommst du darauf?” war seine viel zu ruhige Antwort, die mich kurz inne halten ließ. “Wir haben uns heute noch kein einziges Mal gesehen und es sah auch nicht so aus, als ob du mich gesucht hättest.” “Weißt du, Bella…” meinte er plötzlich. “Ich finde, wir sollten das Ganze nicht so schnell angehen und uns mehr Zeit damit lassen. Wir überstürzen sonst vielleicht alles.” Meine Augen weiteten sich schlagartig und ein unangenehmer Kloß bildete sich in meiner Kehle, doch der Schock legte sich schnell wieder und ich zwang mich zu lächeln. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Ich sah zu Boden und schluckte. “Du willst dich nicht mehr mit mir sehen lassen, oder? Ich bin peinlich und jetzt hast du Angst, dein Ansehen könnte darunter leiden…” Ich konnte hören, wie er die Luft anhielt und dann schnaubte. “Bella, das ist absurd. Mir ist es völlig egal, was die anderen denken. Es ist nur… Ich will wirklich nicht so schnell an die Sache herangehen, okay? Ich will keinen Fehler machen.” Er legte seinen Finger unter mein Kinn und drehte meinen Kopf wieder zu sich. “Hast du das verstanden?” fragte er sanft. Ich zögerte kurz, ehe ich nickte. Auch wenn das nicht erklärte, warum er sich den ganzen Vormittag nicht bei mir hatte sehen lassen. Er zog mich wieder fest in die Umarmung und strich langsam über meine Haare, vom Ansatz bis zur Spitze, bevor er seine weichen Lippen auf meinen Kopf drückte. Ich gab mich diesem Moment vollkommen hin und bettete mein Wohlempfinden in diese zärtliche Geste. Ich hatte es so sehr vermisst. Es gab nur ihn und mich. Sonst niemanden. Und doch wirkte es auf mich plötzlich wie eine Farce - eine Hülle. Es war so unnatürlich. “Edward?” hörte ich jemanden, doch ich kannte die Stimme nicht. Edwards gesamter Körper versteifte sich ruckartig und langsam drückte er mich von sich, ohne mich auch nur ein einziges Mal anzusehen, bis wir uns überhaupt nicht mehr berührten. Sein Gesicht war die reinste Steinmaske, als er sich zu der fremden Person umdrehte. Ich folgte seinem Blick und sah jetzt einen ziemlich großen Jungen mit verwuschelten, schwarzen Haaren auf uns zukommen. Seine Haut war rostbraun und selbst für permanente Strandgänger war das zuviel. Es musste von Natur aus so sein. Ein freundliches Lächeln umspielte seine Lippen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich auf einmal Tayk, der in unserer Nähe stand. Er hatte sich eine Wasserflasche genommen und hielt jetzt in seiner Bewegung inne, als er misstrauisch den Neuankömmling beobachtete. “Was machst du denn hier?” fragte Edward ihn kalt, was den fremden Jungen nicht zu stören schien. “Ich war neugierig auf dein neues Leben. Das ist alles”, antwortete er schulterzuckend und blieb nur wenige Meter vor uns stehen. Sein Blick huschte kurz zu mir. Ich war noch immer halb hinter Edward versteckt. “Stellst du uns gar nicht vor?” fragte er. Edward zögerte. “Das ist Seth. Ein alter… Bekannter”, erklärte er schließlich, ohne mich anzusehen. “Und das hier ist Bella. Eine Freundin.” Meine Brust zog sich zusammen. Hatte er gerade ‘eine Freundin’ gesagt? Kapitel 17: Pool der Erinnerungen --------------------------------- Sorry, dass es so lange gedauert hat und das Kapitel trotzdem nicht so lang ist, wie sonst. Ich muss gestehen, dass es schwierig war, da Edwards Charakter hier ein wenig andere Züge annimmt, die für einige von euch vielleicht etwas verwirrend sein könnten. Es war kompliziert, das richtig darzustellen und gleichzeitig nicht zuviel durchblicken zu lassen. Auch was Bellas Verhalten angeht und wie sie auf alles reagiert...;) Ich hoffe, ihr könnt beiden ansatzweise folgen...^^° Übrigens wollte ich mich mal bei euch allen bedanken für die ganzen Kommentare. Ich liebe jeden einzelnen...*_*... So, und jetzt viel Spass... Linkin Park - Forgotten http://www.youtube.com/watch?v=2V_MxGLT7TI ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Hatte ich mich gerade vielleicht verhört? Erst meldete er sich nicht, mied meine Gesellschaft, dann wollte er es langsam angehen und jetzt… verleugnete er mich? Der Schmerz durchzog mich wie ein Stromschlag. Meine Lungen wollten mir nicht mehr die Menge an Sauerstoff geben, die ich brauchte, um normal atmen zu können. Meine Kehle fühlte sich trocken an. Beim Schlucken hatte ich jedes Mal das Gefühl, Steine gegessen zu haben. Ich zitterte am ganzen Leib und obwohl es Sommer war, fror ich plötzlich. Mein Körper stolperte unbeholfen zurück, während ich mit weit aufgerissenen Augen von hinten auf seine Silhouette starrte. Erst da bemerkte ich, dass er eine Hand hinter seinem Rücken versteckte. Sein Mittelfinger war krampfhaft mit seinem Zeigefinger gekreuzt. Als wolle er auf gar keinen Fall, dass sie sich wieder lösten. Sie zitterten kaum merklich und es wirkte, als wollte er mich darauf aufmerksam machen. Sollte es das sein, was ich vermutete? Was ich hoffte, zu vermuten? Dass er eben gelogen hatte. Dass er das, was er sagte, nicht so meinte. Es musste einen Grund geben, warum er mich in Anwesenheit dieses… Bekannten so vorstellte. Denn das sollte es. Das wollte ich jedenfalls glauben. Edward würde mich nach der Sache mit Claire doch nicht einfach so fallen lassen, oder? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Allein der Gedanke… Innerlich schüttelte es mich und ich verdrängte diese Vermutung schnell. Das leichte Schwindelgefühl, das aufkommen wollte, klang langsam wieder ab. Meine Atmung normalisierte sich ein wenig. “Schön, dich kennen zu lernen, Bella.” Die Stimme von diesem Seth lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. “Hi”, antwortete ich nur knapp. “Du machst deinem Namen wirklich alle Ehre.” Sein Lächeln wurde breiter. Ich wusste nicht, wie ich auf ihn reagieren sollte. Edward schien jedenfalls etwas gegen ihn zu haben und selbst Tayk war nicht gerade begeistert, ihn hier zu sehen. “Du gehörst doch zu den Wolves, oder?” fragte der Kapitän und kam näher. Seths Kopf drehte sich überrascht zu ihm. “Kennen wir uns?” “Nicht direkt… Man könnte sagen, wir haben einen gemeinsamen Freund aus alten Zeiten”, entgegnete er und nickte in Edwards Richtung. “Das mit dem Freund hab ich wohl gerade überhört”, meinte Edward trocken. Tayk sah ihn kurz an und verdrehte dann die Augen, ehe er sich wieder unserem Gast zuwandte. “Also? Was führt dich hierher? Willst du ihn wieder zurückholen?” “Tayk, halt die Klappe!” zischte Edward und hatte seinen Blick ebenfalls wieder auf den Neuen gerichtet. “Geh wieder zurück, Seth. Wir hatten eine Abmachung, falls du das vergessen hast. Also halt dich dran.” “Irgendwo muss ich ja wohl anfangen, oder?” “Wir haben gestern schon darüber geredet, also lass das Thema. Sei lieber froh, dass ich deiner Bitte nachkomme”, würgte Edward ihn ab. War dieser Junge der Besuch, der bei ihm war und weswegen er sich nicht mit mir treffen konnte? Gehörte er vielleicht auch zu dieser Gruppe, in der Edward damals war? Ich sah bei all dem überhaupt nicht mehr durch. Er hatte mir zwar erzählt, dass er früher in einer Gang war, aber nicht, was genau dort vor sich ging. Und dann gab es ja noch die Polizeiakte. Einer von Seths Mundwinkeln zuckte verächtlich nach oben. “Eigentlich… hast du überhaupt nicht das Recht, so mit mir zu reden… Trotzdem. Ich hab dir gestern schon gesagt, dass ich dir nicht die Schuld für das, was damals passiert ist, gebe.” “Ja, klar…” murmelte Edward leise und spöttisch zu sich selbst, während er den Kopf hängen ließ und auf den Boden starrte. “Das meine ich so, wie ich es sage, glaub mir. Auch wenn Jake das vielleicht anders sieht.” Seths Ton war jetzt eine Spur ernster, als noch zu Anfang. Edward legte sich eine Hand über die Augen und stützte die andere in die Seite. Ein paar Sekunden verhaarte er in dieser Position und nahm einen tiefen, zittrigen Atemzug. Als müsste er sich erst einmal sammeln. Ich wusste nicht, was mit ihm los war, doch ich wusste, das es ihm nicht gut ging. Wovon auch immer der fremde Junge sprach, es schien Edward ziemlich aufzuwühlen. Vielleicht hatte er sich gestern deshalb nicht bei mir gemeldet. Weil dieser Besuch mehr Erinnerungen hervorrief, als ihm lieb war. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, ihm irgendwie beizustehen. Nur ein paar Schritte und ich stand neben ihm, um seine, in die Hüfte gestemmte Hand in meine zu nehmen und sie sanft zu streicheln. Obwohl ich bereits seinen Protest erwartete, tat er nichts und ließ meine Geste zu. “Hey… alles in Ordnung?” flüsterte ich und sah vorsichtig zu ihm auf. Langsam strich er mit der Hand über sein Gesicht und entzog mir gleichzeitig die andere. Dann wandte er seinen Blick zu mir. “Musst du nicht los? Alice wartet bestimmt auf dich”, meinte er mit gedrückter Stimme und zwang sich, zu lächeln. Sollte sie? Wir hatten nichts dergleichen ausgemacht. Soweit ich wusste, sollte sie mich doch nur heute morgen mitnehmen, nicht aber wieder zurück. Oder hatte ich etwas nicht mitbekommen? Ich war nach der letzten Stunde Hals über Kopf aus der Schule gestürmt, nur um Edward noch rechtzeitig zu erwischen. Dass Alice eventuell davon ausging, ich würde wieder mit ihr mitfahren… Daran hatte ich nicht gedacht. Aber sie wusste, dass ich noch mit Edward reden wollte und ihr war eventuell der gleiche Gedanke gekommen, den auch ich jetzt hatte. “Ich dachte, du würdest mich wieder mitnehmen”, meinte ich hoffnungsvoll. “Ich… Ich muss das hier noch regeln und das könnte etwas länger dauern.” “Wieso? Wenn sie möchte, kann sie uns doch Gesellschaft leisten und uns vielleicht sogar helfen”, meldete sich Seth plötzlich wieder zu Wort. Edwards Kopf wanderte sofort zu ihm, jetzt wieder mit kalter Miene. “Das geht nur uns was an. Außerdem hab ich dir gesagt, dass du dich aus meinem Leben raushalten sollst.” “Müsstest du nicht derjenige sein, der jedem eine zweite Chance gewähren sollte?” fragte Seth mit hochgezogenen Augenbrauen. “Wie soll ich das machen, wenn ich keine neuen Kontakte knüpfe?” “Mach, was du willst, aber nicht in meinem Freundeskreis”, entgegnete Edward schroff. “Kannst du mir mal verraten, warum du so wütend bist, seit ich hier bin? Früher haben wir uns auch blendend verstanden…” “Früher war auch alles anders. [í]Ich bin jetzt ein Anderer”, erklärte er grantig. “Ja, und du hast Angst, ich könnte dir dieses wundervolle, neue Leben vermasseln, richtig?” spottete Seth und schüttelte seinen Kopf. “Ich glaub das einfach nicht… Du bist so armselig geworden. Der alte Edward hätte sich voll und ganz für seine ’Brüder’ eingesetzt. Was du jetzt machst, ist sich zu verkriechen.” “Du hast doch keine Ahnung”, flüsterte Edward mit zusammengebissenen Zähnen. Sein Gegenüber lachte kurz ungläubig auf. “Ich?… Ich hab keine Ahnung? Das sagst du ausgerechnet mir?” Edward sog scharf die Luft ein und wandte den Blick zur Seite. Auch wenn er es versuchte zu verbergen, konnte ich sehen, dass ihm seine Worte tatsächlich Leid taten. Seth schien auf eine Antwort zu warten, kam aber anscheinend zu dem gleichen Ergebnis wie ich. Er würde keine bekommen. “Weißt du was?” meinte er verächtlich und hob abwehrend seine Hände. “Ich brauch deine Hilfe nicht. Ich komm auch so klar. Genieß dein ach so tolles, neues Leben mit deinen ach so tollen, neuen Freunden. Ich werde dich nicht weiter belästigen.” Er stolperte noch ein paar Schritte rückwärts, dann drehte er sich um und ging mit Händen in den Hosentaschen davon, während er mit seiner Fußspitze ein paar Kieselsteine vor sich herschubste. Edward sah ihm noch hinterher, seine Lippen zu einer schmalen Linie verzogen, sein Gesicht verzerrt vor Wut… und Trauer? Er schnaubte leise und drehte sich dann ebenfalls weg, nur um im nächsten Moment mit voller Wucht gegen die Bank zu treten und sie ein paar Meter weiter zu befördern. Tayk, der als Einziger noch vom Baseballteam hier war, schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an, genauso wie ein paar Schüler, die noch auf der Tribüne saßen. “Verdammt…” murmelte er und legte Zeige- und Mittelfinger auf seinen Nasenrücken, während seine Augen geschlossen waren. Seine Brust hob und senkte sich sichtlich. Immer wieder holte er tief Luft. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Okay, ich hatte noch nicht sehr viele Möglichkeiten, seine verschiedenen Charakterfacetten zu beobachten. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte, diese Seite an ihm zu entdecken oder nicht. Wohl eher letzteres. Bisher kannte ich ihn nur als denjenigen, der mich stützte und mir Halt gab. Der immer die starke Schulter zum Anlehnen hatte. Ihn jetzt so zu sehen, brach mir beinahe das Herz. Vergessen war das eben gehörte; seine Bemerkung, von der ich jetzt fast sicher war, dass es nur ein Vorwand sein sollte. Gerade jetzt schien er derjenige zu sein, der dringend Unterstützung brauchte. Er hatte mir geholfen, also half ich ihm. Meine Probleme waren momentan nicht wichtig. “Edward..?” sagte ich leise und legte ihm meine Hand auf den Rücken. Für einen Moment wirkte er überrascht, als er seine Hand wieder herunternahm und mich verwirrt ansah. Dann lächelte er, jedoch ohne jegliche Überzeugungskraft. “Alles bestens…” erwiderte er. Offenbar versuchte er sich seine innere Unruhe nicht anmerken zu lassen. “Was meintest du mit ’Abmachung’?” mischte Tayk sich plötzlich ein. Edward und ich drehten uns synchron zu ihm um. “Das geht dich einen Dreck an”, bekam er von seinem ehemals besten Freund als Antwort. Auch wenn sie schwach klang, hatte sie doch den gewünschten Effekt. “Wie du meinst”, entgegnete dieser nur, warf ihm noch einen Mach-doch-was-du-willst-Blick zu und ging dann Richtung Schulgebäude zurück. Hatte er ernsthaft erwartet, Edward würde so mir nichts dir nichts wieder normal mit ihm reden? “Wollen wir?” fragte ich schließlich. Er drehte sich zu mir um und nickte dann, ehe er seinen Baseballschläger aufhob und ihn locker an der Seite baumeln ließ. Gemeinsam liefen wir zu den Umkleiden, wo ich draußen auf ihn wartete. Es dauerte nicht lange, da war er auch schon fertig. Während wir nebeneinander zum Parkplatz liefen, widerstand ich dem ständigen Drang, einfach seine Hand in meine zu nehmen, zumal er diese sowieso in den Hosentaschen versteckt hatte. Ich wusste nicht, inwieweit er es zulassen würde. Vorhin hatte er nichts dagegen gehabt, doch ich wollte mein Glück nicht überstrapazieren. Ich wusste immer noch nicht, aus welchem Grund er mich als eine Freundin vorgestellt hatte, auch wenn es dazu bereits ein paar Theorien meinerseits gab. Und die logischste hatte etwas mit diesem Seth zutun. Und so sehr ich nachfragen wollte, so viel Angst hatte ich auch, dass Edward abblocken würde. Ich musste also warten, bis er selbst damit anfing. “Ich hab ja gesagt, Alice wartet auf dich”, riss mich seine Stimme aus meinen Gedanken. Ich sah auf und konnte das kleine, schwarzhaarige Mädchen neben ihrem Auto stehen sehen, ein fröhliches Lächeln auf dem Gesicht. Womit ich nicht gerechnet hatte, waren Emmett und Roxy. Sie standen direkt neben ihr und grinsten uns an. Edward schien genauso überrascht wie ich. “Sieht so aus, als hättest du ihn gefunden”, stellte Alice fest. “Ja, hab ich”, meinte ich nur und versuchte zu lächeln. Den Dreien fiel die Stimmung, die zwischen uns herrschte auf und sofort machten sie besorgte Gesichter. Selbst Roxy, die immer so aufgeweckt wirkte, schien die gedrückte Atmosphäre zu spüren und blieb ruhig. “Stimmt irgendwas nicht?” wollte der bärige Lockenkopf wissen. “Nichts…” - “Jemand namens Seth ist…” redeten wir beide gleichzeitig los und hielten mittendrin inne. “…hier aufgetaucht”, beendete ich langsam meinen Satz, während Edward mich mit einem vorwurfsvollen Blick bedachte. Sofort bereute ich meine voreilige Erklärung. Ich hatte nicht dran gedacht, dass er vielleicht nicht wollte, dass sein Bruder von dem Besuch wusste. Ich schluckte und sah ihn dann entschuldigend an. Er atmete tief ein und im nächsten Augenblick wurden seine Gesichtszüge wieder weich. “Tut mir Leid.” “Mein Fehler. Ich hab nicht das Recht, mich da einzumischen”, antwortete ich. Dennoch hatte Emmett bereits mitbekommen, worum es ging, weshalb seine Miene schlagartig misstrauisch wurde, während Alice uns irritiert beobachtete. “Jemand, den ich kenne?” fragte er nach. “Nein…, und es hat auch nichts weiter zu bedeuten”, meinte sein Bruder schlicht. Emmett schien ihm das nicht so recht abzukaufen und drehte seinen Kopf zu mir, doch dieses Mal schwieg ich. “Weshalb bist du eigentlich hier?” lenkte Edward ein. “Ich hab mit Erlaubnis von Rose Roxy von der Schule abgeholt und weil ich dich sowieso noch was fragen wollte, bin ich auf gut Glück gleich mal hier vorbeigekommen. Die High School ist ja gleich um die Ecke. Als ich Alice getroffen hab und sie meinte, du wärst noch da, hab ich gewartet.” “Was wolltest du denn?” fragte ihn sein kleiner Bruder. “Na ja…“ fing er an und kratzte sich verlegen am Kopf. “Wir wollen heute in den Vergnügungspark”, plapperte das kleine, blonde Mädchen ihm dazwischen und hatte ihr Lächeln mittlerweile wieder gefunden. “Genau”, stimmte ihr Emmett zu. “Ich wollte euch fragen, ob ihr nicht Lust hättet, uns zu begleiten. Je mehr Leute wir sind, desto mehr Spaß haben wir.” Und mit einem kurzen Blick zu Alice fügte er noch hinzu: “Du kannst auch mit, wenn du willst.” Diese machte große Augen, dann runzelte sie nachdenklich die Stirn. “Ich könnte Jasper auch fragen, ob er mit will… falls er nicht schon was vorhat…” murmelte sie mehr zu sich selbst und tippte sich ans Kinn. Einer meiner Mundwinkel zuckte bei dem Anblick nach oben. Als ich kurz zu Edward hinüberblinzelte, bemerkte ich, dass er sich immer noch nicht entschieden hatte. “Wir kommen auf jeden Fall mit”, bestätigte ich gleich darauf Emmetts Bitte, noch ehe sein Bruder etwas sagen - oder ablehnen konnte. Die Ablenkung würde ihm mit Sicherheit gut tun. Etwas verwirrt blickte er in meine Richtung, woraufhin ich ihn vorsichtig anlächelte, in der Hoffnung, er würde es mir nicht zu übel nehmen. Doch scheinbar tat er das nicht. Er betrachtete mich nur ziemlich lange, bevor er sich Emmett zuwandte. “Wann treffen wir uns denn?” “Also, ich bring nur schnell Roxy nach Hause, damit sie ihre Schultasche abstellen kann und nehm auf diesem Weg gleich Rose mit. Ich dachte, so in einer Stunde vorm Golden Gate Park?” Edward nickte. “Gut. Dann sehen wir uns dort.” Ich wollte gerade etwas zu Alice sagen, als ich feststellen musste, dass sie nicht mehr dort stand, wo ich sie erwartet hatte, sondern etwas weiter abseits. Sie telefonierte, wobei das Grinsen auf ihrem Gesicht immer breiter wurde, ehe sie freudestrahlend auflegte und mit leuchtenden Augen wieder zu uns kam. “Okay, Jasper kommt mit”, teilte sie uns mit und hatte alle Hände voll damit zutun, ihre Aufregung zu verbergen. Hastig umarmte sie mich und meinte noch: “Ich hab gar nicht soviel Zeit übrig. Ich muss mir noch was zum Anziehen heraussuchen und ihn dann auch noch abholen. Er hat nämlich kein Auto. Ich würde dir ja so gerne helfen, ein Outfit zu finden, aber das würde einfach zu lange dauern. Ich hoffe, du verzeihst mir. Also bis später”, beendete sie ihren Redeschwall. Den letzten Teil richtete sie an alle. Noch bevor ich etwas erwidern konnte, war sie schon in ihrem Auto verschwunden. Sie gab mir noch einen entschuldigenden Blick und zwinkerte mir zu (was ich nicht ganz deuten konnte), dann startete sie den Motor und fuhr vom Parkplatz. Ich hatte sie gar nicht gebeten, mir zu helfen. Als das Geräusch ihres Wagens verschwunden war, verabschiedeten sich Emmett und ein grinsendes Mädchen ebenfalls. Nun waren nur noch Edward und ich übrig. “Sieht so aus, als müsstest du mich doch mitnehmen”, stellte ich seufzend fest und sah Roxy und ihrem ’Bodyguard’ nach, die schon fast die Ausfahrt des Parkplatzes erreicht hatten. “Bella… Das vorhin sollte sich nicht so anhören, als würde ich das nicht gerne tun”, rechtfertigte er sich mit nervöser Stimme und drehte seinen bronzenen Schopf zu mir. Ich wandte mich ebenfalls zu ihm und lächelte aufmunternd. Ich versuchte, so gut es ging, mir nicht anmerken zu lassen, dass mich seine distanzierte Art kränkte. Ich wusste ja - oder hoffte jedenfalls -, dass es nicht direkt mit mir zutun hatte, sondern mit dem Umstand, dass ihn dieser unerwartete Besuch durcheinander brachte. Umso mehr freute ich mich, dass er eben nicht abgesagt hatte. So konnte ich den ganzen Nachmittag mit ihm verbringen und vielleicht sogar etwas mehr über sein altes Leben erfahren. Ich wollte ihn nicht drängen, und wenn er mir nichts von sich aus erzählte, würde ich es auch dabei belassen. Dabei wollte ich ihn doch nur ein bisschen besser verstehen. Das war alles. “Ich weiß”, sagte ich letztendlich. “Ganz sicher?” vergewisserte er sich und fixierte mich prüfend. Ich nickte. Zärtlich strich er mir mit dem Handrücken über die Wange, woraufhin ich für einen kurzen Moment die Augen schloss und die Berührung genoss. Das schneller schlagende Herz; das Kribbeln im Bauch, das sich langsam im ganzen Körper ausbreitete; die erhitzten Wangen und dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, das ich dabei empfand… Wie konnte ich nur einen Tag ohne das alles auskommen? Und wie lange würde es dieses Mal anhalten? Ich atmete tief ein und sog den Duft, den seine warme Haut verbreitete, ein, woraufhin ich ein leises Schmunzeln hörte. Als ich meine Augen wieder öffnete, zog mich ein schiefes Lächeln in seinen Bann. Auch wenn es nicht seine volle Intensität erreichte, steckte es an. “Ach, Bella…” seufzte er und zog mich in seine Arme. Obwohl ich zuerst etwas überrascht über diese Geste war, da sie das genaue Gegenteil von dem darstellte, was er die letzten vierundzwanzig Stunden getan hatte, wehrte ich mich nicht, sondern entspannte mich wieder. Dafür hatte ich es einfach viel zu sehr vermisst. Er legte seine Wange auf meinen Kopf und zeichnete ganz sanft Kreise auf meinen Rücken. Obwohl es sich anfühlte, als würde er mich kaum berühren, konnte ich jede einzelne Fingerspitze spüren, wie sie meine Wirbelsäule entlang strichen und über meine Schulterblätter wanderten, während die andere Hand immer wieder an meiner Taille entlang streichelte. Ein regelrechter Schauer überkam mich. Ein angenehmer, wohl gemerkt und ich könnte ihn jeden Tag, rund um die Uhr, genießen. “Tut mir Leid”, flüsterte er in meine Haare. Ich wollte bereits etwas sagen, doch da redete er auch schon weiter. “Wegen gestern und auch wegen heute…, vor allem wegen vorhin. Ich wollte dich nicht verletzen.” Das hieß dann wohl, dass meine Schauspielkünste kläglich versagt hatten. Mal wieder. “Heißt das, ich bin doch nicht nur eine Freundin?” fragte ich nach. “Ganz bestimmt nicht. Du bist meine Freundin. Meine ganz alleine… Vorausgesetzt, du hast nichts dagegen.” Ich fühlte mich erleichtert, es aus seinem Mund zu hören, trotzdem gab es immer noch eine gewisse Spannung zwischen uns. “Ich gehe nicht davon aus, dass du mir verrätst, warum du das gesagt hast, oder?” “Bella, ich…” fing er an. “Schon gut. Ich verstehe das”, unterbrach ich ihn. Eigentlich stimmte das nicht ganz und ohne einen konkreten Grund konnte ich nur Vermutungen über seine Beweggründe anstellen. Doch ich empfand es einfach nicht als den richtigen Zeitpunkt, jetzt auf dieser Kleinigkeit herumzureiten. Ich musste ihm einfach vertrauen. Er antworte nicht auf meine Worte, nur seine Haltung versteifte sich etwas. “Ich glaube übrigens, dass Alice da noch ein Wörtchen mitzureden hat”, warnte ich ihn mit ernster Stimme vor und lenkte gleichzeitig vom Thema ab. Erst verstand er nicht, wovon ich redete, doch dann kicherte er. “Okay, ich gebe zu, dass ich vergessen habe, den kleinen Wirbelwind mit einzuplanen. Ich sollte wohl sehr bald mit ihr in Verhandlungen treten. Ich denke, wenn ich dich für 99,9 Prozent deiner Zeit beanspruche, ist das noch fair, findest du nicht?” Das ohnehin schon anhaltende Kribbeln in meinem Bauch wurde stärker. “Oh, ich bezweifle, dass sie sich damit zufrieden geben wird”, grinste ich. “Na gut, ich lass ihr auch die 0,9 Prozent”, seufzte Edward resigniert. Spätestens jetzt musste ich leise lachen. Dabei kannte er Alice’ Verhandlungsfähigkeiten noch nicht mal so, wie ich sie erst gestern miterleben musste. Plötzlich und ohne Vorwarnung schob er mich von sich weg, jedoch ohne seine Hände von meinen Schultern zu lösen, und sah sich hektisch um. “Stimmt was nicht?” wollte ich wissen. Noch einen Augenblick schaute er in alle Richtungen, ehe er seinen Kopf wieder zu mir drehte. Eine Sorgenfalte hatte sich auf seiner Stirn gebildet. “Ich hab nur eben gedacht, dass wir beobachtet würden”, erklärte er. Eine meiner Augenbrauen schob ich nach oben. Jetzt sah ich mich ebenfalls um. Etwas, das scheinbar in Vergessenheit geraten war, kam mir wieder in Erinnerung. Damals, als ich Edward von dem Date mit Tayk erzählt hatte, entstand bei mir ebenfalls das Gefühl, nicht alleine mit ihm gewesen zu sein. Edward hatte es als eine Einbildung meinerseits abgetan, als ich davon ausging, ein Rascheln im Busch gehört zu haben. “War vielleicht bloß meine Fantasie, die mit mir durchgegangen ist.” Ich sah ihn etwas skeptisch an, doch er lächelte nur. Allerdings kam es mir so vor, als wäre es aufgesetzt. “Bist du dir da sicher?” hakte ich nach. “Ja… Und jetzt lass uns gehen. Wir müssen schließlich auch noch bei dir Zuhause ran”, sagte er und führte mich zu seinem Volvo. “Fährst du vorher nicht mehr zu dir?” Er schüttelte den Kopf. “Nein. Ich hab alles, was ich brauche, hier. Und durch Emmett wissen Carlisle und Esme bestimmt schon, dass wir unterwegs sind. Aber ich denke, du würdest deinem Dad gerne eine Nachricht hinterlassen, oder?” fragte er mich, während er den Motor startete und vom Schulgelände fuhr. Bei der Erwähnung meines Vaters zog sich mein Magen zusammen. Wenn ich an unseren Streit von gestern zurückdachte, wurde mir übel. Ich schlang meine Arme um meinen Körper und starrte aus der Windschutzscheibe. Es war eigentlich selten, dass wir nach einer Auseinandersetzung so abweisend miteinander umgingen. Normalerweise vertrugen wir uns relativ schnell wieder. Dieses Mal war es jedoch anders. Ich konnte mich nicht richtig mit Charlie aussprechen, weil ich ihm nicht alles sagen konnte. Ich wollte ihn nicht mit meinen Problemen belasten. Doch dass er jetzt offensichtlich - Dank Claire - etwas gegen Edward hatte, gefiel mir ganz und gar nicht. Zumal ich ihn noch nicht einmal richtig überzeugen konnte, dass Letzter ein völlig Anderer war, als früher. Auch wenn ich den alten Edward nicht kannte, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass der Jetzige etwas tun könnte, das ihn in Schwierigkeiten bringen würde. Selbst wenn ich Charlie von Claires wahrem Charakter erzählen würde… Er wäre trotzdem noch misstrauisch auf meinen Freund. Allein schon die Erwähnung einer Polizeiakte verursachte scheinbar einige Vorbehalte. Wenn es diese Akte überhaupt gab. Wer sagte denn, dass das alles nicht nur erfunden war? Claire traute ich mittlerweile alles zu. Allerdings müsste sie dann aber auch wissen, dass sie ihr Vertrauen bei meinem Vater verloren hätte, würde sich herausstellen, dass sie gelogen hatte. So ungern ich es zugab: So dumm war sie nicht. Und ihr Vater war Richter, ihre Mutter Journalistin. Eine Kombination, die, wenn man sie denn richtig nutzte, jede Menge Vorteile brachte. Was wenn sie das irgendwie ausgenutzt hatte und deshalb soviel über Edwards Vergangenheit wusste? “Alles in Ordnung mit dir?” fragte mich dieser, während er vorsichtig über meinen Oberarm strich und hin und wieder seinen Blick von der Fahrbahn wandte, um mich anzusehen. Eine Sekunde schaute ich ihn einfach nur an. Er wusste ja nichts von meinem Streit mit Charlie, genauso wenig wie von dem Auslöser: Claires Anruf. Ich überlegte, ob ich ihm davon erzählen sollte, beschloss dann aber, es zu lassen. Im Moment hatte er einfach genug um die Ohren. “Mir geht’s gut”, log ich, auch wenn ich wusste, dass er mir das nicht abkaufen würde. Allein sein Gesichtsausdruck zeigte mir diese Tatsache. “Wirklich”, fügte ich noch mit etwas Nachdruck hinzu, nahm seine Hand, um sie zwischen meine beiden zu platzieren und seine Finger mit meinen zu verschränken. Es sah immer noch nicht überzeugt aus, beließ es aber erstmal dabei. Den Rest der Fahrt schwiegen wir. Nur das leise Summen des Radios war zu hören, während jeder von uns seinen Gedanken nachhing. Es war nicht schwer, zu erraten, worüber Edward wieder nachdachte. Dieser Seth schien ihm nicht aus dem Kopf zu gehen. Gedankenverloren starrte er nach vorne. Seine linke Hand wickelte sich ungesund fest um das Lenkrad, wobei seine Knöchel bereits weiß hervortraten. “Edward, wir sind da”, bemerkte ich mit gerunzelter Stirn, als er gerade dabei war, an unserem Haus vorbeizufahren. Fragend drehte er sich zu mir um, sah dann in den Rückspiegel und konnte wohl gerade noch die letzten Reste des immer kleiner werdenden Gebäudes, in dem ich wohnte, erkennen, ehe er mit voller Wucht auf die Bremse trat und uns so gegen unsere Gurte schleuderte. “Entschuldigung”, murmelte er und drehte in einer fremden Einfahrt den Wagen. “Ich war in Gedanken…” “Das hab ich gemerkt.” Jetzt konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und einen Versuch war es immerhin wert. “Willst du darüber reden?” Für ein paar Sekunden sah er mich nachdenklich an, dann schaute er wieder nach vorne. “Nein… Jedenfalls nicht heute…” Wie ich es mir gedacht hatte. Ich nickte langsam und drehte meinen Kopf ebenfalls nach vorne. “Okay…” Mit einem leicht mulmigen Gefühl stieg ich aus, als er geparkt hatte, und ging ins Haus. Ich wusste ja, dass Charlie auf Arbeit war. Trotzdem verursachte mir meine bloße Anwesenheit hier Unbehagen. Ich war etwas überrascht, als Edward hinter mir im Flur auftauchte, da ich davon ausging, dass er im Auto warten würde. “Ich muss nur kurz aufs Bad”, entschuldigte er sich und verschwand, nachdem ich ihm gezeigt hatte, wo es sich befand, in der besagten Richtung. Währenddessen brachte ich meine Schultasche in mein Zimmer und nahm mir eine etwas kleinere, in der ich nur das nötigste mitnahm. Anschließend ging ich in die Küche, um Charlie eine Nachricht zu schreiben. Es würde nichts bringen, ihm noch mehr Sorgen zu bereiten, so gern ich es aus Trotz auch gemacht hätte, würde ich ihm nicht mitteilen, wo ich war. Ich erwähnte nur, dass ich mit Alice unterwegs sein würde und ließ Edwards Namen ganz aus dem Spiel. Seufzend pinnte ich den kleinen Zettel an den Kühlschrank. Ich überlegte noch kurz, ob ich schnell etwas essen sollte. Doch im Park würde es sicherlich ein paar Stände geben, wo ich mir etwas kaufen konnte. Ein Knarren ließ mich hochschrecken. Eigentlich völlig unnötig, mir deswegen Sorgen zu machen. Der Einzige, der sich außer mir im Haus befand, war Edward. Vermutlich kam er gerade aus dem Bad. “Ich bin in der Küche”, rief ich in den Flur, doch es kam keine Antwort. Etwas seltsam war es schon. Die Haustür hatte ich nicht abgeschlossen. Warum auch. Wieso ging ich überhaupt davon aus, jemand würde hereinkommen? Langsam verließ ich die Küche und ging Richtung Bad, das sich am Ende des Flures befand. Die Tür stand einen Spalt breit offen. Vorsichtig lugte ich hindurch. “Edward?” Doch es war niemand da. Es gab keinen Grund zur Aufregung, dennoch stieg mein Adrenalinspiegel beachtlich schnell an und mein Herz klopfte schneller. “Edward, wo bist du?” fragte ich und hörte, wie meine Stimme an Festigkeit verloren hatte. Nichts. Kein einziger Laut. Kein Geräusch. Langsam wurde ich doch etwas nervös. Ich sah in meinem Zimmer nach, doch auch hier kein Anzeichen von ihm. Er konnte doch nicht einfach so verschwunden sein. War er vielleicht schon draußen? Aber dann hätte ich die Haustür hören müssen. Das Wohnzimmer war ebenfalls leer. Ich stolperte rückwärts in den Flur zurück. Unterschwellig bekam ich doch Angst, auch wenn die eigentlich völlig unberechtigt war. Es war einfach unmöglich, dass etwas in so kurzer Zeit passiert sein sollte. Vollkommen ausgeschlossen. Absurd… Und wenn doch? “Buh!” Mit einem lauten Schrei drehte ich mich um und starrte mit weit aufgerissenen Augen in das belustigte Gesicht von Edward. Mein Herz hatte für ein paar Sekunden ausgesetzt und ich hatte Mühe, meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. “Verdammt!” fluchte ich wütend. “Was sollte das?” “Ich wollte nur etwas in Erfahrung bringen”, erklärte er mit hochgezogenem Mundwinkel. “Und nebenbei die Stimmung etwas heben.” Skeptisch musterte ich sein Gesicht. Meinte er das jetzt ernst? “Tut mir Leid, wenn ich dich erschreckt habe”, sagte er reumütig, wobei sein entschuldigender Blick meine Wut fast verrauchen ließ. “Mach so was nie wieder, okay?” “Versprochen.” Er legte eine seiner Hände behutsam auf meine Wange, streichelte mit seinem Daumen sanft darüber und hielt mich mit seinen grünen Augen förmlich gefangen, ehe er mein Gesicht langsam an seines heranzog. Meine Knie wurden weich, als sich unsere Lippen berührten und die Hitze, die sich in meinem Körper ausbreitete, verbrannte mich fast. Das Kribbeln, das ich im Bauch hatte, war allerdings anders als bisher. Ich konnte es nicht richtig deuten. Nur dass es nichts Gutes verlauten ließ. Auch der Kuss fühlte sich merkwürdig an. Er war leidenschaftlich, keine Frage und trotzdem fiel mir diese eisige Traurigkeit, die darin lag, auf. Mich beschlich ein komisches Gefühl und viel zu schnell löste ich mich wieder von Edward. Er bemerkte das natürlich und sah mich irritiert an. “Stimmt was nicht?” fragte er zögerlich. “Alles bestens”, log ich und lächelte so überzeugend wie möglich. “Wir sollten uns beeilen. Wir wollen ja nicht zu spät kommen. Ich muss nur noch schnell ins Bad, dann können wir los.” Ohne eine Antwort zu erwarten, wandte ich mich ab und entfernte mich von ihm. An meinem Ziel angekommen, stützte ich mich am Rand des Waschbeckens ab und sah in den Spiegel, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Edwards Verhalten war so… verwirrend. Ich wollte ihn aufmuntern und gleichzeitig wusste ich nicht, woran ich bei ihm war. Mal entfernte er sich von mir, nur um im nächsten Moment so dicht bei mir zu sein, dass es mir fast den Atem raubte. Seine Stimmung wechselte sekundenschnell von einem Extrem ins andere. Ich konnte mir ja denken, dass ihn dieser Besuch zu schaffen machte und ich wünschte, er würde sich mir öffnen, damit ich ihm helfen konnte. Doch diese Ungewissheit war so… belastend. Was wenn ich ihn verschrecken würde, sollte ich den ersten Schritt wagen? Ich wollte ihn nicht wieder von mir stoßen… Innerlich fluchte ich. Die Situation war so verdammt verzwickt. Grummelnd ließ ich meinen Kopf hängen. Ich stellte das Wasser an, um in meinen Händen ein bisschen davon zu sammeln und mein Gesicht darin einzutauchen. Die Kühle war erfrischend. Noch einen letzten Blick in den Spiegel, bevor ich aus dem Bad trat. Mal sehen, was der Nachmittag bringen würde. Kapitel 18: Madame Brinet und andere Katastrophen ------------------------------------------------- Jap, ich weiß, ich liege etwas über der Zeit und hab es nicht ganz geschafft mit der Woche...Sorry...>.<... Okay, dafür ist das Kapitel aber wieder etwas länger, glaube ich...=) Trotzdem einen riesen Dank für eure Reviews. Ich freu mich wirklich wie irre, wenn ich von euch höre, was ihr alles so denkt...^^ Das hier ist übrigens erst der erste Teil des Nachmittags. Und jetzt viel Spass... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Als ich wieder in den Flur trat, stand Edward immer noch an der gleichen Stelle wie vor ein paar Minuten, nur dass er sich dieses Mal an die Wand gelehnt hatte und die Arme vor der Brust verschränkt waren. Als er mich bemerkte, lächelte er zögerlich. “Tut mir wirklich Leid wegen eben”, sagte er und schien wohl ein richtig schlechtes Gewissen zu haben. “Schon längst vergessen”, winkte ich ab. “Lass uns einfach den Tag genießen, ja?” Das erheiterte ihn schon mehr. Er nahm meine Hand und zog mich zu sich, während er seine Andere auf meiner Wange platzierte und mir einen langen Kuss auf die Stirn drückte. “Okay”, murmelte er und strich mit seinem Daumen liebevoll ein paar Strähnen aus meinem Gesicht. Die Fahrt zum Golden Gate Park dauerte nicht lange und während wir die meiste Zeit schwiegen, hielt ich ohne Unterbrechung seine Hand in meiner. Immer wieder schaute er kurz zur mir herüber und lächelte, was mir jedes Mal einige Pulsschläge mehr zufügte. Da Edward leider keinen Parkplatz in der Nähe mehr finden konnte, mussten wir ein paar Minuten laufen, bis wir zum Ticketschalter kamen. Schon aus der Ferne war das Riesenrad zu erkennen. Tatsächlich warteten sein Bruder, Rosalie und Roxy bereits am Eingang auf uns. Die Einzigen, die jetzt noch fehlten, waren Alice und Jasper. “Hallo, Bella”, zwinkerte mir Emmett zu. Wir begrüßten die drei ebenfalls, wobei Rosalie doch etwas distanziert wirkte. Es kam mir nicht feindselig vor, trotzdem war es zögerlich und unsicher, andererseits dann wieder sehr selbstbewusst. Eine Art Fassade nach außen hin. Bei der Strandparty war sie relativ ruhig gewesen. Sie hatte mir zwar in Bezug auf Claire geholfen, doch das schrieb ich weniger meinetwillen zu, als vielmehr der Tatsache, dass sie das Verhalten ihrer Cousine womöglich kein Stück tolerierte. Ob sie sich jetzt mir gegenüber besonders vorsichtig verhielt, weil ich die Betroffene war, konnte ich nicht sagen. Ihre Tochter schien jedenfalls aufgeweckter und kontaktfreudiger. Sie grinste uns breit an. Nachdem wir fast eine halbe Stunde auf die letzten beiden Fehlenden gewartet hatten, wurde Roxy immer ungeduldiger, genauso wie wir. “Ruf doch mal Jasper an”, schlug Emmett vor, während das kleine blonde Mädchen sich schon völlig erschöpft an seinen muskulösen Arm hängte. Der Himmel war klar und die Wärme der Sonne wurde von Minute zu Minute aufdringlicher. Rosalie beobachtete die beiden mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. Ich wusste nicht genau, ob es Verwunderung über die ziemlich schnell entwickelte Vertrautheit der beiden war. Edward folgte dem Rat und wollte bereits sein Handy herausholen, als wir eine bekannte Stimme in der Ferne hörten. “Bella!” Alice und Jasper kamen auf uns zu - Jasper ruhig und zufrieden, und Alice etwas verlegen, wie mir schien. “Wo wart ihr solange?” fragte ich, während Edward und sein Teamkollege sich zur Begrüßung zunickten. “Wir… Also, ich habe ihn abgeholt und weil sein Haus so interessant ist… Dann sind wir ins Quatschen gekommen… Na ja, du kennst das doch”, lächelte sie. Einen Augenblick betrachtete ich ihre Gesichtszüge so genau wie möglich, um eventuelle ungewöhnliche Entwicklungen darin zu erkennen, jedoch ohne Erfolg. “Können wir endlich?” murrte Roxy drängelnd. Erst da fiel Alice’ Blick auf die Kleine. “Tut mir Leid, dass wir euch aufgehalten haben. Ich gebe dir nachher ein Eis aus, einverstanden?” Das Wort ’Eis’ musste etwas magisches an sich haben, denn sofort erhellten sich die blauen Augen des blonden Lockenkopfes und sie grinste wieder. Wir kauften uns die Karten - wobei Edward es sich nicht nehmen ließ, meine zu bezahlen, ohne auch nur ein einziges Mal auf meine Proteste zu achten - und mischten uns zwischen die große Menschenmasse, die den Platz hier schon fast überfüllten. “Was machen wir als erstes?” wollte ich wissen, als wir ungefähr mittig standen und das Meiste in Sichtweite war. “Am Besten wir trennen uns”, schlug Rosalie plötzlich vor, während Emmett damit zutun hatte, Roxy am Weglaufen zu hindern. Scheinbar hatte sie bereits eine Aktivität ins Auge gefasst und wollte jetzt unbedingt dorthin. “Ich schlage vor, jeder geht dem nach, was er möchte?… Sind Zweiergruppen… und eine Dreiergruppe okay?” Wir nickten zustimmend. Es war gut möglich, dass sie sich mit Emmett und ihrer Tochter alleine wohler fühlte. “Wir treffen uns dann am Ende wieder hier. Falls irgendetwas sein sollte, ruft derjenige an”, meinte Emmett grinsend und nahm Roxy kurzerhand auf den Arm. Rosalie lächelte uns noch halb an, dann war die kleine ’Vorzeigefamilie’ - die vielleicht tatsächlich wahr werden könnte - auch schon in der nächsten Sekunde ein paar Meter weiter weg, auf dem Weg Richtung Karussell. “Bis nachher.” Jasper und Alice entfernten sich ebenfalls von uns und verschwanden zwischen den Ständen, die überall aufgebaut waren. Jetzt war ich mit Edward allein. Da wir uns nicht entscheiden konnten, mit was genau wir anfangen sollten, schlenderten wir erst einmal umher, wobei er mich sachte an seine Seite zog und einen Arm um meine Taille legte. Zwar bettete ich meinen Kopf an seine Schulter, doch so richtig entspannen konnte ich mich nicht. “Was bedrückt dich?” fragte er nach einer Weile, in der keiner von uns ein Wort gesagt hatte. Überrascht hob ich meinen Blick und erinnerte mich wieder daran, dass ihm ja nichts verborgen blieb. Und wenn ihm schon meine Stimmung auffiel, dann müsste er doch eigentlich auch auf den Grund kommen können. Abgesehen davon, dass teilweise immer wieder ein paar meiner Gehirnzellen Bilder von Claire in den Vordergrund schoben, oder die ungeklärte Diskussion mit meinem Dad, war es mir nicht möglich, von Edwards derzeitigem Problem abzukommen. Und ich hatte einfach keine Chance, ein bisschen mehr von ihm persönlich zu hören. Ob er wohl jetzt versuchte, sich zusammenzureißen? “Nichts”, log ich lächelnd. Er musterte mich immer noch achtsam, bevor auf einmal ein etwas heiterer Ausdruck auf sein Gesicht trat. “Ich weiß, was dagegen hilft”, sagte er. Meine Augenbrauen schnellten nach oben und kurz darauf zog er mich zu einem kleinen Stand, der in den verschiedensten Tönen leuchte. Rosa, Gelb, Blau… “Zuckerschock”, erklärte er und stellte sich bereits hinter den Kunden, der gerade bedient wurde. Dieser nahm sein Wechselgeld entgegen und entfernte sich mit zwei riesigen Zuckerwattestäbchen. “Eine extragroße, bitte”, bestellte er auf das fragende Gesicht des Verkäufers hin und legte das Geld auf den Tresen. Gemeinsam sahen wir dabei zu, wie dieser einen langen, schmalen Holzstab in das flauschige Etwas, das sich in einer Metallschüssel im Kreis drehte, hielt. Langsam wurde es gedreht und immer mehr von dem rosafarbenen Kariesverursacher wickelte sich auf das Stäbchen. Allmählich bekam ich Panik. Wer sollte das alles schaffen? Dann endlich entfernte der Verkäufer sich von der Zuckerwattemaschine und reichte Edward unsere Bestellung. Wir gingen ein Stück weiter, als er sich damit zu mir drehte. Ich stand etwas zu dicht neben ihm, sodass ich spüren konnte, wie die Zuckerwatte aus Versehen ganz leicht mein Gesicht berührte. Edward nahm sie wieder ein Stück weg und wirkte im ersten Moment überrascht. Dann grinste er mich schief an und gluckste. Ich konnte spüren, dass etwas von dem klebrigen Zeug an meiner Nase und meinen Lippen hing. Resigniert schloss ich meine Augen und seufzte. Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte, war etwas warmes und weiches auf meiner Nasenspitze. Ganz sanft wurde die Zuckerwatte von meiner Haut gesogen. Mein Herz beschleunigte sich, meine Atmung war flach, mein Körper fing an zu zittern. Edwards Lippen wanderten tiefer bis zu meinem Mundwinkel und strichen kaum spürbar über die süße Watte. Die Spitze seiner Zunge strich so zaghaft die Konturen meiner Lippen nach, dass ich im ersten Moment nicht einmal sicher war, dass mich seine wirklich berührten. Ich ließ meine Augen weiterhin geschlossen, da das diesen Moment, der mich völlig in Aufruhr versetzte, nur noch verschönerte. Dann verstärkte er den Druck leicht und jetzt war ich mir sicher, dass sein Mund auf meinem lag. Eine seiner Hände wanderte auf meinen Rücken, um mich dichter an ihn zu ziehen und ich konnte schwören, dass ich den Abdruck seines Arms hinterher wie ein Brandzeichen sehen und spüren würde. Meine Hand wanderte automatisch in seinen Nacken. Dieses Mal fühlte sich der Kuss wirklich angenehm an und ich genoss jede Sekunde davon. Keine Spur von Trauer, kein Zeichen von Kälte. Nur Wärme und Zuneigung. Als wir uns wieder voneinander lösten, hatte er seine Augen geschlossen und brummte zufrieden. “Hmmm… was für ein süßer Kuss…”, murmelte er. Ich konnte nicht anders als zu lächeln. Dieser Anblick hatte so etwas unglaublich friedliches. “Das war Absicht, oder?” schmunzelte ich leise, während meine Augen jeden Millimeter seines makellosen Gesichts betrachteten. Langsam öffnete er seine Lider und ließ das Strahlen dahinter frei. Einer seiner Mundwinkel schob sich nach oben. “Unverbesserlich”, seufzte ich, ohne meinen Blick von ihm zu wenden, meinen Zeigefinger unauffällig in die Zuckerwatte zu stecken und etwas davon abzureißen, nur um damit im Anschluss ruhig und gemächlich die Form seines Mundes nachzuzeichnen, während meine Augen jeder meiner Bewegungen folgten. Seine Lippen verzogen sich zu einem Kussmund, der jetzt leicht gegen meine Fingerspitze drückte. Konnte ein menschliches Herz kräftiger Pumpen, als das eines Blauwals? Gerade jetzt lautete die Antwort Ja. Ich ließ meine Hand sinken. Edwards Gesicht näherte sich wieder dem meinen und abermals schmeckte ich die Süße. Dieses Mal war ich diejenige, deren Zungenspitze über seine Lippenkonturen wanderte, ehe unser beider Münder in einem sanften Feuer miteinander verschmolzen und er mich noch enger an sich presste. “Du hattest Recht”, wisperte ich ein wenig atemlos, als wir wieder ein wenig Abstand zwischen uns brachten - jedoch ohne uns voneinander zu lösen. Er war immer noch so dicht, dass ich seinen warmen, zuckersüßen Atem schmecken konnte. “Ich weiß”, hauchte er grinsend. “Idiot.” Ich sagte es genauso leise und genauso liebevoll. Er beugte sich wieder ein bisschen nach vorne und gab mir einen langen Kuss auf meine Nasenspitze. Als er seinen Kopf mit geschlossenen Augen zurücklehnte, fuhr seine Zunge auf eine unglaublich elegante Weise genießerisch über seine Lippen, wobei er wieder aufbrummte. “Hmmm…” “Was?” fragte ich stirnrunzelnd. “Immer noch süß… Dabei war gar kein Zucker mehr dran”, stellte er verträumt fest. Ich konnte nicht anders als leise zu kichern und er stieg mit ein. Eigentlich mochte ich dieses klebrige Zeug gar nicht. Eigentlich. Dieser sorglose Moment war so wundervoll. Die Ängste und Probleme von heute Vormittag kamen mir vor, als lägen sie schon Jahre zurück. Jetzt gerade konnte mich nichts betrüben. Ich schwebte. Schwebte auf Wolke sieben, wenn es so was denn überhaupt gab. Zur Not musste die Zuckerwatte herhalten. Ich nahm kaum wahr, dass um uns herum der Trubel des Jahrmarktes weiterging, dass Leute an uns vorbeihuschten… vielleicht sogar einen Blick auf das Paar, das nichts anderes als sich selbst im Kopf hatte, warfen. Er löste seinen Arm von meinem Rücken - ich konnte die Berührung hinterher tatsächlich immer noch spüren -, strich mir zaghaft ein paar Strähnen zur Seite und klemmte sie hinter mein Ohr, ehe er ein Stück von der Süßigkeit abriss und es vorsichtig meinem Mund näherte. Ich öffnete ihn und als Edward den kleinen Wattebausch hinein schob, widerstand ich der Versuchung, ihm in den Finger zu beißen. Dennoch konnte ich das hinterhältige Grinsen nicht unterdrücken. Er sah mich etwas verwirrt an, doch ich schüttelte nur meinen Kopf, woraufhin er lächelte und seinen Arm wieder um meine Taille legte, um mir zu bedeuten, weiterzugehen. Ich tat es ihm gleich und legte meine Hand an seine Hüfte. Jetzt war ich diejenige, die abwechselnd ihn und dann wieder mich selbst fütterte. Mittlerweile war ich mir fast sicher, dass der restliche Tag entspannter verlaufen würde. Wir waren erst ein paar Schritte gegangen, als Edward plötzlich anfing, zu kichern. Fragend drehte ich ihm meinen Kopf zu, doch er nickte nur nach vorne. Als ich der Richtung folgte, musste ich zweimal hinsehen, bevor ich richtig mitbekam, was ihn so erheiterte. Nicht weit entfernt standen Jasper und Alice neben einem, mit einem blauen Samtvorhang verschlossenen Eingang. Ein paar Schaufensterpuppen in - aus verschiedenen Zeiten stammenden - Kleidern waren draußen aufgestellt. Auf einem Schild stand Kostümwandler - Reisen Sie in Ihr Lieblingsjahrhundert und nehmen Sie eine bleibende Erinnerung mit sich! Ich kannte solche Stände, bei denen man sich verkleiden konnte und jemand extra für Make-up und Frisur verantwortlich war, um dann im Anschluss ein Foto davon zu machen. So war jetzt auch ihre Kleidung eine ganz andere. Jazz hatte eine Art beige-braune Uniform aus dem neunzehnten Jahrhundert, wie es wohl die Konföderiertenarmee damals trug, an und Alice ein knielanges, schulterfreies, weißes Kleid mit kleinen, schwarzen Punkten und einer schmalen, schwarzen Schleife um den Leib, das insgesamt eindeutig an die Fünfziger erinnerte. Sie standen vor einer Kulisse, die eine Wiese und einen blauen Himmel zeigte, und vor ihnen beugte sich ein Fotograf über das Stativ seiner Kamera. Wenn sie wenigstens beide das gleiche Jahrhundert gewählt hätten. So wirkte die Kombination eigentlich etwas abstrakt. Andererseits… Ein ganzes Jahrhundert lag zwischen Ihnen und dennoch hatten es die beiden geschafft, sich zu treffen. Okay, auf eine skurrile Weise war es auch romantisch. Alice war bei Jasper eingehakt und lächelte mit einem unglaublichen Strahlen in die Kamera. Auch wenn seine Züge ruhiger aussahen als ihre, so mangelte es jedoch nicht an Intensität - selbst durch seine stramme, konzentrierte Haltung hindurch. Das merkwürdige war, dass obwohl die beiden im ersten Moment so unterschiedlich wirkten, doch bereits eine Vertrautheit zwischen ihnen herrschte, die nicht einmal die eingeschworensten Ehepaare erzeugen konnten. Wir gingen auf sie zu und blieben nur ein paar Meter schräg vor ihnen stehen, um die Szenerie zu beobachten. Ihre Augen huschten kurz zu uns herüber. Nur ganz schwach bemerkte ich, wie ihre Wangen einen leichten Rosé-Ton annahmen, während ihre Mundwinkel noch ein Stück höher rutschten. Seufzend lehnte ich meinen Kopf seitlich an Edwards Brust und zupfte unbewusst an der Zuckerwatte, die ich jetzt in der Hand hielt, um Edwards Arm ein wenig zu entlasten, während wir die beiden beobachteten. Die Zwei waren das beste Beispiel für Seelenverwandschaft. Sie hatten sich gesucht und gefunden. Sanft wurde mir über den Rücken gestrichen, bis ich weiche Lippen auf meinen Haaren spüren konnte. Ein Schauer rann meinen Nacken herunter und ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, während ich das seltsame Paar vor uns schon fast träumend betrachtete. “Bella…?” Plötzlich wurde mein Handgelenk gepackt. Überrascht sah ich auf. Edward hatte seine Finger darum geschlossen und sah mich belustigt an. Der Situation nach zu urteilen hatte ich überhaupt nicht darauf geachtet, ob ich auch seinen Mund traf und ihm so beinahe das Zeug an die Wange geklebt. “Entschuldigung”, murmelte ich und presste meine Lippen zusammen, um das Kichern zu unterdrücken. Doch er selbst schmunzelte darüber und aß dabei die Zuckerwatte von meinem Finger. “Na, ihr zwei?” Ich schaute nach vorne und sah Alice auf einmal grinsend vor mir stehen. Der Fotograf war gerade dabei, hinter dem dicken Vorhang zu verschwinden. “Nette Uniform”, bemerkte Edward und musterte Jaspers Kostüm. Der sah an sich herab, um zu sehen, ob sie auch noch richtig saß. “Ja, oder? Als wäre sie für mich gemacht.” Er grinste. “Warum hast du nicht was genommen, das mehr an Jazz’ Zeitepoche anlehnt?” fragte ich Alice und deutete auf ihren ausgefallenen Kleidergeschmack. “Das würde doch authentischer auf den Fotos herüberkommen.” “Ich finde es so viel verrückter. Ansonsten wäre es doch wie jedes andere Bild, das gemacht wird.” “Ich glaube eher, dass keiner von euch nachgeben wollte, als es darum ging, sich dem anderen anzupassen”, sagte Edward schnippisch. “So könnte man das auch nennen”, nickte Jasper und warf Alice aus den Augenwinkeln einen amüsanten Blick zu. Sie konnte sich nur schwer zurückhalten, diesen nicht zu erwidern. “Würden Sie sich bitte noch umziehen? Die Fotos sind auch gleich fertig.” Der Fotograf lugte hinter dem Vorhang hervor und sah etwas argwöhnisch zu uns herüber, versuchte aber dennoch eine freundliche Miene beizubehalten. Womöglich hatte er Angst um seine Kostüme. “Wir sind gleich wieder da”, meinte Alice und schleifte ihren Fast-Freund mit sich. “Da bahnt sich was an”, stellte ich fest, als wir wieder alleine dastanden. “Ganz offensichtlich”, pflichtete mir Edward bei und strich an meiner Seite entlang. Mittlerweile waren nur noch ein paar Fetzen Zuckerwatte an dem Holzstäbchen und ich hielt Ausschau nach einem Mülleimer. Als ich endlich einen gefunden hatte und den Rest wegschmiss, entdeckte ich plötzlich in einiger Entfernung Roxy, die einen braunen Teddybären in den Armen trug, der halb so groß wie sie selbst war. Lachend lief sie zwischen den verschiedenen Attraktionen und hielt immer wieder inne, um nach hinten zu sehen. Erst da bemerkte ich auch Emmett und Rosalie, die sich scheinbar blendend unterhielten. Auf Rose’ Gesicht war ein richtig breites Lächeln, als der Bärige ihr etwas erzählte. “Und da scheinbar auch”, murmelte ich, doch Edward hörte es trotzdem. Jetzt erblickte auch er seinen Bruder und schmunzelte. “Ich freu mich für ihn.” “Wie meinst du das?” “Na ja,… bis jetzt hatte er in seinen Beziehungen nicht lange durchgehalten. Der Sport war ihm einfach wichtiger und das haben seine damaligen Freundinnen auch bald gemerkt”, erklärte er. “Und jetzt ist es anders?” “Ein bisschen. Dieses Mal scheint er derjenige zu sein, der sich Mühe geben muss, sein Gegenüber für sich zu begeistern. Sonst waren es immer die Frauen, die nicht von ihm lassen konnten und sich ihm förmlich an den Hals geschmissen haben. Dieser Ausdruck, den er im Gesicht hat… den habe ich vorher noch nie bei ihm gesehen.” Edwards Worte im Gedächtnis betrachtete ich die drei noch einmal genauer. Tatsächlich wirkte es, als fühlten sie sich sehr wohl, wie zwei Vertraute. Rosalie fing auf einmal so stark an zu lachen, dass sie sich ihren Bauch halten musste, während sie sich mit der anderen an seiner Schulter abstützte. Roxy betrachtete die beiden ebenfalls. Teils verwundert, teils belustigt. Dann rannte sie zu Emmett, nahm seine Hand und zog ihn mit sich. Just in dem Moment kamen Alice und Jasper in ihren normalen Sachen wieder heraus. Jasper trug einen großen A4-Umschlag in seiner Hand. Das mussten die Fotos sein. “Darf ich?” fragte ich und deutete darauf, woraufhin er sie herausholte und mir entgegenhielt. “Wie gut, dass wir im einundzwanzigsten Jahrhundert leben”, bemerkte Alice, als ich mir die Bilder ansah. “In der Zeit, in der es Computer gibt. Sonst hätten wir ewig hierauf warten müssen.” Ich nickte stillschweigend. Die Fotos waren in einem sepia-ähnlichen Ton gehalten. Nur etwas ausgeblichener und älter wirkend. So als hätte es die beiden wirklich zu der vergangenen Zeit gegeben. “Machst du mir einen Abzug davon?” Ich deutete auf das Bild, das ich gerade in der Hand hielt. Alice hatte darauf ihren Kopf an Jaspers Schulter gelehnt und lächelte vollkommen im Einklang mit sich selbst in die Linse, ebenso wie er. “Kein Problem”, stimmte sie zu. Ich gab Jasper alles zurück und gemeinsam setzten wir vier unsere Erkundungstour durch den Park fort. Während Edward seinen Arm um meine Schultern und ich meinen um seine Taille geschlungen hatte, liefen Alice und Jazz schweigend neben uns. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass beide ihre Hände schlaff nach unten hängen hatten und bei jeder Bewegung einander streiften. Wie sichtbare Blitze herrschte eine unglaubliche Elektrizität zwischen ihnen. Stumm tippte ich Edward an und deutete auf die zwei. Doch ihm schien das nicht entgangen zu sein, denn er wirkte keineswegs überrascht, als er ebenfalls kurz hinüber blinzelte und einer seiner Mundwinkel nach oben zuckte. Gerade als ich dachte, einer von beiden würde endlich die Initiative ergreifen, blieb Alice auf einmal wie vom Donner getroffen stehen. “Was ist?” fragten wir fast zeitgleich und richteten unsere Augen alle auf sie. Sie antwortete nicht, sondern deutete schweigend nach vorne. Ohne Unterbrechung starrte sie völlig verblüfft auf einen riesigen Aufsteller direkt vor sich. Glück oder Pech in der Liebe. Was ist mit ihrem Beruf? Wie sehen ihre Pläne für die Zukunft aus? Lassen Sie mich einen Blick in Ihre werfen und treffen Sie danach die richtigen Entscheidungen… Ich schaute daran vorbei und entdeckte ein riesiges, viereckiges Stoffzelt, wie es früher die römischen Legionäre bei Schlachten besaßen - und die Zigeuner. Es war gemustert mit orangen, lilafarbenen und rotbraunen Längsstreifen und über dem Eingang, der von einem gleichfarbigen Vorhang verhüllt wurde, hing ein Schild mit der Aufschrift Les Visions de Madame Brinet. “Wollen wir?” fragte Alice begeistert und sah jeden von uns einzeln an. Ich wollte erst schon fragen, ob sie nicht genug Vertrauen in ihre eigenen, kleinen Vorahnungen setzte, ließ es dann aber sein. Ich wusste nicht, inwiefern es der Entwicklung zwischen ihr und Jasper dienlich war. “Meinetwegen”, sagte ich stattdessen, während die Jungs eher resigniert zustimmten. Wir schoben den schweren, dicken Vorhang ein wenig beiseite und gingen langsam hinein. Unsere Blicke richteten sich in diesem weiträumigen Inneren auf alles. Ein sehr penetranter Geruch von Räucherstäbchen stieg mir in die Nase und ich musste sie unwillkürlich kräuseln. Es war ein bisschen dunkel hier drin. Nur das Licht der Kerzen erhellte unsere Umgebung. Etwas beängstigend war es ja schon. Wenn auch nur eine davon umkippte, konnte das ganze Zelt in Flammen gehen. Möbel und andere Dinge, Teppiche, bestickte Sitzkissen, die überall auf dem Boden verstreut waren,… Tücher über Regalen, die an einigen Wänden standen,… die Decke auf dem runden Tisch in der Mitte… alles war in diverse Rot-Töne gehalten. Von oben hingen verschiedene Dinge herunter: Federn, Zweige, Steinchen,… kleine Fetzen von Tierhäuten (?), verschiedene dunkle Perlenketten und farbige, durchsichtige Stoffe… In einer Ecke stand eine hüfthohe Chicha und hier und dort gab es kleine Pflänzchen. Der Tisch in der Mitte ging mir nicht höher als bis zu den Knien und auch hier gab es jede Menge Sitzkissen, die rundherum verteilt waren. Auf der hinteren Seite des Zeltes gab es einen weiteren Eingang, der von einem goldgelben, transparenten Tuch verhüllt wurde. “Ich habe euch bereits erwartet”, hörten wir eine Stimme aus eben dieser Richtung, in einem schwerfälligen Ton sprechend. Auf eine merkwürdige Art jagte sie mir einen kalten Schauer über den Rücken. Ich ergriff sofort Edwards Hand und rückte näher an ihn heran. Nun trat uns eine alte Frau entgegen, gekleidet in einem breiten, langen Rock, einer roten Bluse und einem gelblich-braunen Dreieckstuch um die Schultern. Auf dem Kopf hatte sie ebenfalls ein Tuch gewickelt und ihre langen Locken lugten darunter hervor. Mit Schmuck geizte sie ebenfalls nicht. Mehrere Ketten hingen um ihren Hals und ihren Gelenken. In den Ohren hingen große, runde Ohrringe. Im Gesamtbild erfüllte diese Wahrsagerin doch fast alle Klischees einer Zigeunerin. Womöglich war sie sogar eine. “Setzt euch doch”, wies sie uns an und zeigte auf den Tisch. Wir kamen ihrer Bitte nach und ließen uns auf den Sitzkissen nieder, während sie sich uns gegenübersetzte. Die Glaskugel, die in der Mitte stand, war zwar farblos, doch konnte man trotzdem nicht richtig hindurch sehen. Das Material war seltsam verarbeitet und würde man seine Hand dahinter halten, könnte man vorne nicht mehr erkennen, als einen schattenhaften Farbwechsel. Man sah in die Kugel hinein, ohne auf die andere Seite blicken zu können. Stattdessen versank man in den Tiefen der gläsernen Unendlichkeit. “Sie alle sind zu mir gekommen, weil Sie meinen Rat brauchen”, stellte sie fest, als würde sie unsere Absichten kennen. Alice grinste, Jasper beobachtete das Ganze aufmerksam und Edward nahm meine Hand in seine, während er angestrengt versuchte, eine ernste Miene beizubehalten. Die alte Dame richtete ihren Blick auf die Glaskugel und hielt ihre Hände schwebend darüber. Ich wusste nicht, wie sie das machte, aber der Gegenstand, auf den wir alle starrten, wurde trüb. Wie Nebel, oder eher wie ein Schleier wurde die Kugel noch undurchsichtiger und fing ganz schwach an zu leuchten. Es war kein Leuchten, von dem man denken könnte, jemand hätte eine Lampe unter dem Tisch versteckt und gerade jetzt angeknipst. Viel eher kam es aus dem Inneren des Glases. Ich hatte das Gefühl, um uns herum würde es immer dunkler werden, doch es war auch gut möglich, dass ich mir das nur einbildete. Wir alle sahen jetzt nicht mehr so heiter aus und auch Alice’ Grinsen war verschwunden. Nur die Neugier stand ihr noch ins Gesicht geschrieben. “Eine Menge Gefühle herrschen in diesem Raum”, sagte Madame Brinet langsam und mit einer unheimlich rauen Stimme, wobei sie konzentriert in die Kugel starrte. Die Atmosphäre spannte sich langsam aber sicher an, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab. “Brauchen Sie nicht eigentlich erst ein paar Daten von uns?” warf Alice etwas schroff ein, was nicht besonders gut bei der Frau ankam. Nur ein ganz klein wenig schmälerten sich ihre Augen, doch es reichte, um das schwarzhaarige Mädchen verstummen zu lassen. Wenn auch widerwillig. Jasper warf ihr ein mitfühlendes Grinsen zu, woraufhin sie nur mit den Schultern zuckte. Doch von meiner Seite aus konnte ich sehen, dass sich ihr Mundwinkel verdächtig nach oben bewegte. Die ‘Zigeunerin’ fuhr mit ihrem wahrscheinlichen Plan, uns verwirren zu wollen, fort. “Ich sehe Liebe… Aber auch Angst.” Bei dem Wort ’Liebe’ zog mich Edward in seine Arme und legte seine Wange auf meinen Kopf, während er bei ’Angst’ mit seinen Streicheleinheiten an meinem Arm kurz inne hielt. Ich konnte das nicht richtig deuten, drückte seine Hand aber automatisch etwas fester. “Es werden in naher Zukunft eine Menge Entwicklungen stattfinden”, meinte sie wieder in diesem Ton, der mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Sie kniff ihre Augen zusammen, als versuchte sie, etwas genaueres herauszufinden. Dann hob sie kurz die Augenbrauen und sah für einen winzigen Augenblick etwas entspannter aus. “Ihre Wünsche werden bald in Erfüllung gehen.” Nur ganz kurz blinzelte sie zu Alice herüber, was diese natürlich bemerkte. Ihre Stirn legte sich leicht in Falten. “Ebenso Ihre, junger Mann.” Ein kurzer, intensiver Blick zu Jasper, den das nicht im mindesten zu beeindrucken schien. So wirkte es jedenfalls nach außen hin. Edward und ich schielten synchron zu den beiden hinüber, wobei Ersterer anfing, leise zu kichern. Ich hob meinen Kopf von seiner Schulter und sah ihn fragend an, doch er wisperte nur kopfschüttelnd “Später”. Für einen Moment dachte ich, dass Jasper es gehört hätte, da er aus den Augenwinkeln kurz zu uns herüber schielte. Plötzlich weiteten sich die Augen der alten Dame sichtlich, ehe sie sich zu Schlitzen verengten und sich ihre Augenbrauen in der Mitte über der Nase fast trafen. Ruckartig richtete sie ihren starren Blick auf mich, sodass ich bei der unerwarteten Schnelligkeit zusammenzuckte. Viel schlimmer war aber, wie sie mich ansah. Vorwurfsvoll und gleichzeitig voller Trauer. Keinem der anderen entging das und somit waren jetzt zwei überraschte Augenpaare auf mich gerichtet. Nur Edwards zielten auf die Person uns gegenüber. “Sie haben erst vor kurzem einen herben Rückschlag erlitten”, erzählte sie. Dieser Teil gehörte zu der Trauer in ihren Augen. Ihre Worte verursachten ein unangenehmes Ziehen im Bauch. Als wüsste sie das mit Claire. Doch das alles hier war nur Humbug, an den man einfach nicht glauben konnte und der letzte Satz konnte nicht mehr als ein Zufallstreffer gewesen sein. Dennoch fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, um diesem hypnotisierenden Blickkontakt zu lösen, den ihre trüben, grauen Augen unerwartet stark ausübten. Edward hatte nicht aufgehört, an meiner Seite entlang zu streicheln und so tat er es jetzt auch. Das Gefühl beruhigte mich ungemein und lenkte mich sogar ein wenig ab. Für einen Moment war es still zwischen der Frau und mir. Als versuchte sie, herauszufinden, ob sie mit ihrer Aussage richtig lag. Dann redete sie weiter. “Doch das ist im Vergleich zu dem, was noch kommen wird, harmlos. Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie ihr Leben so verlaufen lassen wollen, wie Sie es bis jetzt vorhatten.” Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. An Vorhersagen glaubte ich nicht - auch wenn sich die von Alice bestätigt hatten. Und trotzdem ängstigten mich die Worte. Die Art, wie sie sie sprach… Die Spannung, die in der Luft lag… All das ließ mich erschaudern. “Das reicht”, befahl Edward in einem bedacht mäßigen Ton. Madame Brinet ignorierte ihn, als wäre sie selbst gefesselt von jeder einzelnen Silbe, die aus ihrem Mund kam. Sie hörte nicht auf, mich weiterhin mit scharfen Blicken zu durchbohren. Ich hatte das Gefühl, sie würde immer dichter kommen, dabei bewegte sie sich keinen Millimeter. Aus Reflex umfasste ich den Kristallanhänger, obwohl Edward selbst direkt neben mir saß. “Wenn Ihnen Ihre Mitmenschen am Herzen liegen, sollten Sie sich von ihnen fernhalten. Andernfalls stürzen Sie alle ins Unglück…” - Ich konnte nicht anders, als sie wieder anzuschauen. Zu schockiert war ich von dem, was sie sagte. Noch dazu blickte sie kurz mitleidig zu Edward - “…Vielleicht sind Sie nicht ganz alleine schuld. Aber das Chaos wird-” Sie wurde jäh von einem lauten Knall unterbrochen, der uns alle aufschrecken ließ. Alice hatte ihre Hand mit etwas zuviel Schwung auf den Tisch geknallt. Als wir sie erschrocken anstarrten, kam nur ein schmunzelndes “Oh” von ihr. Eine Weile war es totenstill, während meine Freundin ihr Gegenüber mit verengten Augen und einem breiten Grinsen anfunkelte. “Glauben Sie diesen Mist eigentlich selbst, den Sie hier jeden Tag von sich geben? Normalerweise müssen Sie den Leuten doch das Blaue vom Himmel lügen. Ein langes, glückliches Leben… Erfolg im Beruf… Ein großer, finanzieller Gewinn…” “Man kommt zu mir, weil ich für andere in die Zukunft sehen soll und weil sie Rat brauchen. Alles, was ich sage, ist die Wahrheit. Mehr nicht. Jeder kommt damit anders zurecht und wer meine Visionen nicht verkraftet, sollte mich nicht aufsuchen”, konterte sie erhaben und ruhig. Alice’ Augenbraue schnellte nach oben. “Mein sechster Sinn ist besser als Ihre pseudopsychologischen Weißsagungen.” Jasper kicherte bei dieser Aussage. Das Blickgefecht, das sich die beiden Frauen lieferten, wurde immer intensiver und würde ich Gedanken lesen können, hätte ich gewettet, dass sie Alice gerade mit einer Menge Zigeunerhokuspokus belegte. Ihre Pupillen glühten förmlich. Wenn ich es nicht besser wüsste, wäre ich der Meinung gewesen, das Grau hätte sich in tiefes Schwarz verwandelt. Mir wurde das alles zuviel. Ich wollte einfach nur noch hieraus. Zittrig krabbelte ich aus Edwards Umarmung, stand etwas unbeholfen auf und verließ mit wackeligen Knien schnellstmöglich das Zelt. Mein Freund folgte mir auf den Fuß und war in nur wenigen Sekunden neben mir. Vorsichtig legte er eine Hand auf meinen Rücken, während ich ein paar tiefe Atemzüge nahm und die leicht kühle Luft geradezu einsog. Die Frische belebte mein angespanntes Gesicht ein wenig. “Alles in Ordnung?” fragte Edward zögerlich. Ich nickte ihm aufmunternd zu und rang mir ein Lächeln ab. So ganz konnte ich das, was eben passiert war, dennoch nicht vergessen. Dabei sollte ich das doch eigentlich. Es war nur Show, um uns zu beeindrucken. Die Atmosphäre hatte mich einfach zu sehr in den Bann gezogen, dass ich ihr so leicht Glauben schenkte. Jetzt hier draußen waren meine Gedanken wieder klarer und ich sah ein, wie sehr ich mich gerade von allem hatte beeinflussen lassen. Plötzlich kam mir ein Satz in Erinnerung, den Edward einmal gesagt hatte. ”Lieber sterbe ich zehnmal, als das ich mich von dir fernhalten könnte.” “Was ist?” fragte er, als meine Bewegungen einfroren und ich geistesabwesend nach vorne starrte. “Bella?” Er klang nervös. Aber das bildete ich mir gerade alles doch nur ein, oder? Das waren nur ein paar dumme Sprüche von ihm gewesen. Nicht die Wirklichkeit. Denn die spürte ich gerade jetzt, als Edward seine Hand auf meine Wange legte und sein Daumen sanft über meine Haut strich. Mein Körper entspannte sich von ganz allein. “Du glaubst dieser alten Schachtel doch nicht etwa.” Ein minimaler Vorwurf lag in seiner samtenen Stimme. Ich hob meine Mundwinkel leicht und neigte mich seiner Hand entgegen, um meinen Kopf praktisch darin zu betten, und schloss meine Augen. Sie konnte gar nicht Recht haben. Das waren bestimmt nur die Nachwirkungen der Räucherstäbchen. Edward war doch er derjenige, der mich immer vor einem Unglück bewahrte. Mein Schutzengel. Und diese waren bekanntlich unsterblich. “Natürlich nicht”, flüsterte ich und war froh, dass meine Stimme nicht an Festigkeit verlor. “Das ist auch besser so.” Er zog meinen Kopf dichter zu sich und legte seine Lippen zärtlich auf meine Stirn, wobei er mit seinem freien Arm meinen Rücken umschlang. Dankend legte ich meine ebenfalls um ihn, während er sein Kinn auf meinem Kopf abstützte. Er seufzte. “Was soll ich bloß mit dir machen?” “Mich ganz fest halten?” flüsterte ich in seine Brust. “Liebend gern”, gluckste er und drückte mich noch etwas mehr. Wie wohl ich mich doch an diesem Platz fühlte. Geborgen und sicher. Selbst meine eben noch recht plausibel wirkenden Gedanken kamen mir jetzt so absurd vor. In diesem Moment hörten wir etwas im Zeltinneren scheppern und kurz darauf kam Jasper, der schützend einen Arm um Alice’ Schultern gelegt hatte, hinausgestürmt. Wir hoben unsere Köpfe und schauten sie irritiert an. “Was war denn das eben?” fragte mein Bronzeschopf stirnrunzelnd. Alice winkte gutgelaunt ab. “Sie hat mit der Glaskugel nach mir geworfen und Jasper hat mich aus der Flugbahn gezogen.” Sie schenkte ihm ein herzerwärmendes Lächeln, das er scheinbar nur allzu gern erwiderte. Für geschlagene sechzig Sekunden. Obwohl es Minuten wohl näher kam. Ich war so gefesselt von diesem Anblick, dass ich Alice’ Frage überhaupt nicht mitbekam. Erst als Edward ihr antwortete, realisierte ich, dass sie überhaupt eine gestellt hatte. “Ich konnte das Schlimmste verhindern”, meinte er, teils amüsiert teils ernst. “Wirklich, Bella. Die Frau hat nur Schwachsinn erzählt.” Alice lief neben mir, als wir uns von diesem Platz entfernten. Mittlerweile hielten sich die beiden nicht mehr im Arm, obwohl der Drang danach aber noch da war. So dicht, wie die beiden nebeneinander hergingen. “Ich weiß… Und jetzt hört auf, mich so zu bemuttern. So labil bin ich nun auch wieder nicht”, meinte ich mit einem leichten Grinsen, wofür ich aber nur skeptische Blicke erntete. Sogar von Jasper, der mich von den dreien eigentlich am Wenigsten kannte. Was war er? Hobbypsychologe? Edward und ich hatten die Finger in einander verhakt und sein Daumen kreiste auf meinem Handrücken. Überall wo seine Haut meine berührte, kribbelte es. Wenn Alice und Jasper das Offensichtliche endlich mal hinbekommen würden, könnten sie sich auch voll und ganz auf dieses Knistern konzentrieren und würden sich nicht ständig Sorgen um mich machen. Ob ein kleiner Schubs ausreichte? Ich ließ die Idee schnell wieder fallen. Der Abstand zwischen uns war zwar nicht groß, aber ich hätte Edward mitziehen müssen und das wäre dann doch eindeutig gewesen. Irgendwann schüttelte Alice wütend den kleinen Kopf, wobei ihre, in alle Richtungen abstehenden Haare, sanft bei der Bewegung mitschwangen. Ihre Stirn hatte sich in Falten gelegt. “Ich hätte wissen müssen, dass es keine gute Idee war, dort hinein zu gehen. So eine Heuchlerin!” grummelte sie vor sich hin. “Was hast du denn erwartet?” Jasper strengte sich an, nicht allzu belustigt zu klingen. “Keine Ahnung. Ich war einfach nur neugierig… Weißt du, was sie zu mir gesagt hat?” fragte sie, jetzt an mich gewandt. “Ich sei eine Ausgeburt der Finsternis.” Meine Augenbraue zuckte nach oben. Auf so was wäre ich noch nicht einmal gekommen, selbst wenn es das letzte wäre, das mir für einen Vergleich zur Verfügung stehen würde. Jeder, der sie das erste Mal erblickte, musste eigentlich automatisch an eine Fee oder Elfe denken. Aber nicht an ein Monster. Gut, sie hatte einige extreme Charakterzüge, und wenn sie jemanden nicht leiden konnte, würde sie bestimmt mal zum Monster werden. Aber an sich war sie doch eines der nettesten Mädchen, die ich kannte. “Ha! Wenn ich das wäre, hätte ich mich schon längst auf sie gestürzt.” Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Sie bemerkte es und grinste. “So, und was steht nun an?” fragte Jasper nach ein paar Minuten in die Runde. “Ich wollte unbedingt mal den Top-Spin ausprobieren”, warf Alice begeistert ein. Jasper nickte, dann drehte er sich uns zu. “Wollt ihr auch?” Ich schüttelte schnell den Kopf. Allein bei dem Gedanken, durch die Luft gewirbelt zu werden, zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen. “Wie es aussieht, eher nicht”, stellte Edward schmunzelnd fest, steckte eine Hand in die Hosentasche und legte die andere an meine Seite, um mich dichter zu sich zu bewegen - für einen Kuss auf die Haare. “Na gut, aber beschwert euch hinterher nicht, weil ihr es verpasst habt”, meinte Alice, bevor die beiden ihren Weg in eine andere Richtung fortsetzten. Eigentlich war ich gar nicht so erpicht darauf, etwas in diesem Park auszuprobieren. Mit Edward einfach spazieren zu gehen und abschalten zu können, füllte mich vollkommen aus. Noch dazu schien ihm dieser kleine Ausflug wirklich abzulenken. Ich genoss seine ruhige Ausstrahlung und wiegte mich in der Wärme, die sein Körper ausstrahlte. Mittlerweile war es später Nachmittag. Der Himmel nahm bereits einen blassen Rosé-Ton an und die Sonne hatte an Intensität verloren. Allerdings war mir überhaupt nicht kalt. Edwards Hand bewegte sich kreisend auf meinem Rücken und hinterließ überall förmlich glühende Spiralen, die mich von innen heraus wärmten. Mein Gesicht lag an seiner Brust, die sich leicht auf und ab senkte. Ich meinte sogar, seinen Herzschlag hören zu können. Um den Moment noch inniger werden zu lassen und um noch mehr von ihm zu fühlen, schlang ich meinen freien Arm um seinen Bauch und streichelte mit meinem Daumen ganz langsam über seine Seite. Immer wieder hauchte er mir zarte Küsse auf den Kopf. Vermutlich würde ich bald eine permanente Gänsehaut auf dem Rücken bekommen. Die Geräusche der anderen Besucher waren in den Hintergrund gerutscht und so leise, dass ich nur noch ein schwaches Summen vernahm. Der Moment war einfach viel zu schön, als dass ich mich jetzt von irgendetwas ablenken lassen wollte. Edward blieb plötzlich stehen. “Was ist?” fragte ich, als ich ihn anschaute. Er sah nach vorne und ich folgte seinem Blick. Wir befanden uns direkt vor einer Geisterbahn. Schon von außen sah sie gespenstisch aus. Die riesige Fassade war in dunklen Farben gehalten. Hier und dort hingen kleine und große Spinnennetze. Vorne hatte der Tunnel, also am Startpunkt, eine offene Seite, sodass man die Wagen von außen sehen konnte. Alles wirkte wie die Seite einer alten Burg. Graue Mauern, manchmal ein paar Risse darin… Hinter den hohen Fenstern war es dunkel. Kurz blinzelte ich, weil ich dachte, etwas vorbeihuschen gesehen zu haben. “Wolltest du da rein?” “Nein”, antwortete er gelassen. “Warte mal… Hast du mich heute deswegen erschreckt?” Ich musterte ihn aufmerksam, während sich eine meiner Augenbrauen langsam aber sicher nach oben stahl. “Ich wollte nur wissen, ob wir das hier machen können, oder nicht”, erklärte er sich entschuldigend. “Du hättest mich auch fragen können.” “Hättest du mir denn die Wahrheit gesagt?” schmunzelte er. Seine indirekte Andeutung traf es fast. Ich war mir nicht sicher, was ich geantwortet hätte, aber da es so aussah, als machte ihm so was Spaß, hätte ich ihm das bestimmt nicht abgeschlagen. “Siehst du?” meinte er, als ich nichts sagte. “So schlecht, wie ich lüge, wärst du mir doch eh auf die Schliche gekommen.” “Und wenn schon”, lächelte er. “Es ist jetzt sowieso nicht mehr wichtig.” “Denkst du etwa, ich hätte Angst?” fragte ich ihn entrüstet. “Vielleicht?” “So ein Blödsinn.” Er grinste und versuchte allen Ernstes, ein Lachen zu unterdrücken. Meine Augen weiteten sich, nur um in der nächsten Sekunde bedrohlich klein zu werden. Ich löste mich aus seiner Umarmung und stolzierte Richtung Geisterbahn. “Bella, warte!” Jetzt kicherte er, als er mir hinterherlief. Ich war schon bei dem Ticketverkäufer angekommen und wollte gerade bezahlen, als Edward meine Hand mit seiner aufhielt. “Du musst das jetzt nicht tun, nur um mir zu beweisen, dass du mutig bist. Das weiß ich auch so.” Sein schiefes Lächeln raubte mir den Atem und für einen Moment versank ich vollkommen in seinem Blick. Bis sich der Kassierer räusperte und mich auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Meine Miene wurde wieder entschlossen. Ich würde ihm zeigen, dass man sich nicht lustig über mich machen brauchte. “Eine Karte, bitte”, sagte ich, als ich meinen Blick von meinem Freund löste. Er seufzte resigniert. “Zwei.” Innerlich grinste ich triumphierend, ließ mir aber nichts anmerken. Gemeinsam gingen wir zu den Wagen und setzten uns nach ganz vorne. Wenn schon, denn schon. Es gab nur drei weitere Leute, die mit uns mitfuhren, aber etwas verteilt sehr weit hinten Platz genommen hatten. Wie es aussah, würden keine weiteren Fahrgäste kommen und schon nach wenigen Minuten fuhren wir los. Ganz langsam rollten wir in den Tunnel und nahmen nur leicht an Geschwindigkeit zu. Hier drinnen war es sehr dunkel. Nur das Licht des Eingangs erhellte unsere Umgebung schwach. Es wirkte wirklich schaurig, soviel stand fest. Mein Herzschlag erhöhte sich mit jedem Meter, den wir weiterfuhren und als die Einfahrt vollends verschwunden war, verdoppelte er sich noch einmal. “Nervös?” flüsterte Edward und sah mich amüsiert an. “Nicht doch”, lächelte ich. Dummerweise zitterte meine Stimme am Ende, woraufhin er laut ausatmete. Ich spürte, wie seine Finger vorsichtig über meinen Schoß wanderten, um meine Hand in seine zu nehmen und sie sachte zu drücken. Mein Herz raste noch schneller, doch dieses Mal lag es nicht an der Umgebung. Diese hatte es übrigens in sich. Auf beiden Seiten befanden sich momentan alte Grabsteine, umgeben von Rasen, der durch einen künstlichen Vollmond beleuchtet wurde und alles in ein schwaches grau-grün tauchte. An einigen Stellen lagen unappetitlich abgetrennte Körperteile: Ein Arm, oder ein Bein… Manchmal auch ein halber Kopf, dessen Augen hervortraten. Irgendwo gab eine Eule merkwürdige Geräusche von sich. Eiskalt lief es mir den Rücken hinunter. Wie gebannt ließ ich meinen Blick über die Grabsteine wandern. Bis ich plötzlich eine Bewegung ausmachte. Sofort schnellte mein Kopf zur Seite. Bewegte sich unter der Erde etwas? Ich verengte meine Augen, um in diesem Halbdunkel mehr erkennen zu können. Und da! Tatsächlich. Das Gras hob sich leicht nach oben an, bis etwas daraus hervorlugte. Finger? Mir stockte der Atem. Bella, das ist alles nicht echt. Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben. Wegen so was so nervös zu werden, war doch lächerlich. Und ich schaffte es tatsächlich, meine Körperfunktionen wieder ein wenig zu normalisieren. Bis mich etwas von der anderen Seite antippte und ich ein halb eingewickeltes, bleiches Etwas nur wenige Millimeter vor meinem Gesicht entdeckte, als ich mich umdrehte. Die riesigen, schwarz umrandeten Augen der Leiche starrten mich an und aus dem Mund kam ein seltsames Röcheln. Ich stieß einen lauten Schreckensschrei aus und wandte mich mit einem Ruck zu Edward. Er legte, ohne zu zögern einen Arm um mich und wisperte mir “Es ist weg” zu. Doch so schnell wollte ich nicht wieder los. Zu heftig pumpte mein Herz, zu schwer ging mein Atem, von dem abrupten Adrenalinanstieg ganz zu schweigen. Ich dachte, ihn würde das alles kalt lassen, aber als ich so dicht an seiner Brust lag, konnte ich seinen Herzschlag hören, der etwas schneller als normal ging. So wirklich beruhigte mich das nicht. Eher im Gegenteil. Das war erst der Anfang und ich hatte jetzt schon damit zutun, meine Fassung zu bewahren. “Und du hast doch Angst”, schmunzelte er, allerdings war seine Stimme dünn. “Weißt du? Am Besten ich werde für den Rest der Fahrt meine Augen schließen. Dann bekomme ich nur die Hälfte mit…” entschied ich mich gleichgültig. So sollte es jedenfalls klingen. Edward lachte leise und presste seine Lippen auf meine Stirn. Ich rutschte noch enger an ihn heran, kniff meine Augen fest zusammen und legte meinen Arm um seine Mitte. In gewisser Weise war das hier genauso wie ins Kino zu gehen und einen Horrorstreifen zu gucken. Der Kuschelfaktor war auf jeden Fall da. Dass ich nichts mehr sah, war zwar gut, nur leider verhinderte es nicht die Geräusche um mich herum. Das Aufheulen eines Wolfes, knackendes Geäst, Rascheln… Immer wieder fühlte ich, wie Edwards Herz ein paar Mal die Geschwindigkeit erhöhte, nur um im nächsten Moment viel zu langsam zu schlagen. Auch sein Brustkorb hob und senkte sich manchmal deutlich. “Sieht so aus, als wenn ich nicht die Einzige mit einer Phobie gegen Gruselmonster bin”, nuschelte ich in sein Hemd. “Wer sagt, dass ich Angst habe?” Er räusperte sich. Ich konnte nicht anders als zu grinsen. Allerdings verschwand das gleich wieder, als ein erneutes Aufheulen an meine Ohren drang, dicht gefolgt von einem schrillen Schrei und verwirrendem Geflüster. Schlagartig rutschte mir das Herz in die Hose und jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ich blinzelte kurz und bemerkte, dass wir auf der einen Seite jetzt die Vorderfront eines riesigen Anwesens sehen konnten. Es wirkte wie aus einer vergessenen Zeit. Überall zeigte es Spuren des Verfalls. Teilweise hingen zerrissene Gardinen vor den schmutzigen Fenstern. Hatte sich dahinter gerade jemand bewegt? Das Stück Boden vor dem Haus war übersät mit braunem Laub, während an den Seiten blätterlose, skelettartige Sträucher standen. Auf der anderen Seite unseres Wagens war Wald. Ein künstlicher, vermutete ich, doch er sah wirklich naturgetreu aus. Ein schummriges Licht wand sich durch die Baumstämme und erhellte den schwachen Nebel, der über der Erde schwebte. Kam es mir nur so vor, oder wurde es hier drinnen wirklich kälter? Meine Nackenhaare richteten sich auf. Ein Schrei hinter uns ließ mich zusammenzucken und brachte meinen Puls beinahe zum Kollabieren. Es klang viel zu echt und zu dicht. Gleich darauf folgte ein noch lauteres Heulen als zuvor. War das ein Wolf? Es gab hier doch keine echten Tiere… Oder? “Was war das?” flüsterte ich kaum hörbar. Mich umdrehen und selbst nachsehen wollte ich nicht. Stattdessen schloss ich meine Augen wieder. Keine Panik. Das ist alles nur Show. Wenn ich meinen Worten doch nur Glauben schenken könnte. “Nur das Übliche Zeug, um dir einen Schrecken einzujagen”, erklärte Edward und rieb meine Schulter. Wieder heulte eine Eule. Ich versuchte die nächsten Minuten so gut es ging, die Geräusche um mich herum zu ignorieren und konzentrierte mich weitestgehend auf Edwards sanftes Streicheln. Ohne jede Vorwarnung ratterte der gesamte Wagen unheilvoll und ließ uns auf unserem Sitz leicht hin und her wippen. Er stockte in seiner Fahrt und kam am Ende ganz zum Halt. Irritiert öffnete ich meine Augen und stellte zu meiner aufkommenden Panik fest, dass wir uns in völliger Dunkelheit befanden. Fast völliger Dunkelheit. Auf dem Weg vor uns waren schwach leuchtende Pfeile zu erkennen und irgendwo weit weg strahlte etwas. Doch es war so klein, dass nichts wirklich richtig davon erfasst wurde. Mehr als schemenhafte Umrisse konnte ich nicht erkennen. “Was…?” entwich es mir. “Vielleicht ist der Wagen kaputt.” Wirklich helfen tat mir das auch nicht. Viel eher verschlimmerte es die Sache noch. “Ich werde mal nachsehen, was los ist, okay?” meinte er und machte Anstalten, sich von mir zu lösen. “Ich kann nämlich unsere Mitfahrer seit einiger Zeit nicht mehr hören.” Was hatte er vor? Er wollte weg? Mich alleine lassen? “Geh nicht”, bat ich ihn mit zittriger Stimme und klammerte mich an seine Sachen. “Nur ganz kurz, Bella. Wenn ich nichts mache, sitzen wir vielleicht ewig hier fest.” Er gab mir noch einen kleinen, unschuldigenden Kuss auf die Lippen und löste dann sachte meine Hände von seinem Hemd. “Beeil dich, bitte.” “Versprochen”, hauchte er, dann war er weg. Ich konnte hören, wie seine Hände sich am Wagen nach hinten entlang tasteten. Ich kauerte mich auf unserem Platz zusammen. Mein Brustkorb schien zu zerspringen, so stark hämmerte es dahinter. Ich versuchte, mich nur darauf zu konzentrieren, dass Edward gleich wieder da sein würde und eine Lösung mitbrachte, und gleichzeitig wollte ich mir einreden, dass meine Angst total sinnlos war. Das hier war eine Geisterbahn, in der alles gestellt war. Von den Kulissen, über die Figuren bis hin zu den Geräuschen. Und trotzdem wirkte alles so realistisch. Einfach unheimlich. Ein Arm legte sich um meine Schultern und durchflutete mich mit ungewöhnlich viel Wärme. Im ersten Augenblick zuckte ich zusammen, doch entspannte mich gleich darauf wieder, weil es nur eine Person gab, die das da neben mir sein konnte. “Hast du etwa Angst im Dunkeln?” Mein Körper hatte seine Funktionen eingestellt. Das war nicht Edward… Kapitel 19: Träume können fliegen lernen… Oder schmerzvoll abstürzen -------------------------------------------------------------------- So, sorry, hat ein bisschen gedauert, dafür ist es aber wieder etwas länger...^^ Ich weiß, dass das ein wirklich richtig böser Cliff war und ihr einen ganz schönen Schrecken bekommen habt, oder?. Könnt ihr mir verzeihen? (auch wenn ich Cliffs mag... liebe...) Und nochmal ein riesen DANKESCHÖN an alle Reviewer...You made my day, guys!! Okay, dieses Mal hatte ich sogar zwei Songs... Blue October - Let It Go (leider ne Live-Aufnahme -.-) http://www.youtube.com/watch?v=Agf1Uv6qcRY Switchfoot - This Is Your Life http://www.youtube.com/watch?v=LA2CpQWg2pA ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Augenblicklich erstarrte ich, hatte meinen Blick nach vorne in die Dunkelheit gerichtet. Ich atmete stoßweise aus und war kurz davor, meiner Lunge freien Lauf zu lassen. “Warte, nicht schreien, okay?” bat der Fremde mit einer seltsam bekannten Stimme. “Ich bin’s. Seth. Falls du mich noch kennst.” Erst erstarrte ich, dann überlegte ich, bis mir wieder einfiel, woher ich den Namen kannte. Erst heute Mittag hatte ich ihn gehört. “Seth… Der alte Bekannte von Edward?” brachte ich erstickt hervor. “Genau der.” Es wirkte nicht so, als würde er mir Böses wollen. Trotzdem fühlte ich mich unwohl. Edward war nicht gut auf ihn zu sprechen und wenn er wiederkam und bemerkte, wer hier war, würde die Hölle los sein. Mal ganz davon abgesehen, wo ich mich gerade befand. “Was… Wie…?” “Ich arbeite hier”, erklärte er, als hätte er gewusst, was ich sagen wollte. “Ich verstehe nicht ganz… Ich dachte, du wärst… nur zu Besuch.” Er schmunzelte. “Nein, ich wohne schon seit einer Woche hier. Ich hab durch Zufall herausgefunden, dass Edward auch hier lebt.” “Ich dachte, du gehörst zu seiner alten… Gang.” “Da bin ich ausgestiegen. Ich will mir ein neues Leben aufbauen. So wie er das gemacht hat. Das hier ist nur ein kleiner Nebenjob.” “Aha”, meinte ich leise und nervös, während ich einen seiner Finger der Hand, die auf meiner Schulter lag, nach oben zog. “Könntest du bitte…” “Entschuldigung. Ich wollte dich nicht bedrängen”, erwiderte er und nahm seinen Arm weg. “Aber das musste sein. Das ist mein Job. Eigentlich hätte ich dich richtig erschrecken müssen. Aber du siehst jetzt schon so verängstigt aus, dass ich das nicht übers Herz gebracht hab.” Ich nickte, bis mir wieder einfiel, dass er das vermutlich gar nicht richtig erkennen konnte. Aber woher wusste er dann, wie viel Angst ich hatte? “Wie konntest du wissen, wer ich bin?” “Ich hab eine Nachtsichtbrille auf. Damit wir besser die Fahrgäste ausmachen können”, erklärte er, immer noch freundlich. “Wozu?” “Na ja, damit wir sie uns holen können.” “Ich weiß gerade leider nicht, was du meinst”, warf ich verständnislos ein. “Dieser Teil der Bahn dient dazu, den Leuten vorzugaukeln, der Wagen sei kaputt. Deshalb auch nur das winzige Licht dort hinten und die leuchtenden Pfeile da vorne auf dem Boden. Falls mal jemand denkt, er müsste auf eigene Faust Hilfe holen.” Ich versuchte, mich die ganze Zeit auf seine Worte zu konzentrieren, doch die schaurigen Hintergrundgeräusche ließen mich immer wieder zusammenschrecken und Edwards anhaltende Abwesenheit beunruhigte mich. Normalerweise müsste er doch längst wieder bei mir sein. So lang war diese Wagenkette nun auch nicht. Alle fünf Sekunden blickte ich mich unruhig um, auch wenn ich eigentlich nichts in der Dunkelheit ausmachen konnte. “Edward wird nicht wiederkommen”, sagte Seth plötzlich. Mein Herz flatterte. “Wie bitte?!” “Er wurde schon abgeholt. Dieser Part hier ist mehr oder weniger das Highlight, da die Fahrgäste aus ihren Sitzen heraus ’entführt’ werden. Wie gesagt wollte ich dir das nicht antun. Deswegen hab ich nur meinen Arm um dich gelegt. Normalerweise sollte ich dich von hinten packen, dich rechtzeitig zum Schweigen bringen und dann aus der Geisterbahn bringen, bevor du einen Herzinfarkt erleidest”, witzelte er. Meine Augen weiteten sich bei jeder Silbe mehr. War das die Wahrheit - was bedeuten würde, dass es Menschen gab, die ihren Beruf ein wenig zu ernst nahmen und ich mir die Frage stellen musste, ob sich noch keiner beschwert hatte -, oder log er mich gerade an? Schließlich kannte ich ihn überhaupt nicht. “Edward?” rief ich mit bebender Stimme in die Finsternis hinter mir. Keine Antwort. “Edward!” rief ich abermals, jetzt aber etwas lauter. Wieder nichts. “Er wird dir nicht antworten. Er ist gar nicht mehr hier”, wiederholte sich Seth. “Ich weiß doch noch nicht einmal, ob ich dir trauen kann. Wieso sollte ich dir das also abkaufen? Und Edward ist ja auch ziemlich wütend auf dich”, meinte ich nur und schreckte bei einem lauten Knurren zusammen. Gleichzeitig rutschte ich ein Stück von der Person neben mir weg. Er seufzte betrübt und als er redete, hörte er sich auf einmal nachdenklich an. “Er ist nicht wütend auf mich. Er ist wütend auf sich selbst, weil er sich Vorwürfe macht. Das war schon immer so.” “Was soll das denn heißen?” fragte ich irritiert und drehte meinen Kopf zu ihm. Er zögerte mit seiner Antwort. “…Wie viel weißt du von ihm?” “Er war in einer Gang… eurer Gang, nehme ich an… Aber nichts genaues…” “Dann würde ich vorschlagen, dass er dir das selbst erzählt”, entgegnete er ernst. “Wenn er denn mit mir reden würde”, seufzte ich beiläufig und sah zur Seite. “Erwähn einfach den Namen ‘Leah’. Das müsste ihn aus der Reserve locken.” Verwirrt hob ich meinen Kopf in seine Richtung. “Wer ist das?” Kurz zögerte er mit seiner Antwort und es hörte sich an, als holte er tief Luft. “Meine Schwester.” “Und was ist mit ihr?” “Tut mir Leid, aber das sollte wirklich er dir sagen. Ich würde dich nur bitten, ihm etwas auszurichten.” “Und was?” fragte ich misstrauisch nach. “Dass mir das von damals Leid tut. Ich war nicht ich selbst, aber jetzt sehe ich die Dinge anders. Ich weiß, dass er nichts dafür kann und ich mache ihm keine Vorwürfe mehr. Ich würde mich freuen, wenn wir uns wieder so verstehen würden, so wie’s früher der Fall war.” Ich hörte ihm aufmerksam zu. Seine Worte klangen so entschuldigend, auch wenn ich nicht die geringste Ahnung hatte, wovon er sprach. Aber er musste es ernst meinen. Und wenn sie damals wirklich so gut miteinander befreundet waren, dann konnte ich verstehen, dass Edward, nach welchem ausschlaggebenden Grund für ihren Streit auch immer, so fertig war. So etwas konnte einem wirklich an die Nieren gehen. Ich fühlte irgendwie mit beiden mit. “Also? Würdest du ihm das bitte sagen?” hakte er nach, nachdem ich nicht antwortete. “Kann ich machen, aber ich kann nicht versprechen, dass es danach anders sein wird.” “Das ist okay”, entgegnete er freundlich. “Wieso redest du denn nicht selbst noch mal mit ihm?” “Oh, er würde mich gar nicht erst zu Wort kommen lassen und sofort abblocken. In der Hinsicht ist er stur. Aber wenn jemand mit ihm spricht, der ihm nahe steht… Seid ihr eigentlich zusammen?” Die Frage traf mich völlig unerwartet und ich wusste nicht gleich, was ich darauf antworten sollte. Und wenn ich jetzt darüber nachdachte, hatte Edward mich ihm ja auch nur als eine Freundin vorgestellt. Seth schien ein netter Kerl zu sein, doch ich wollte meinem Freund nicht in den Rücken fallen. Er kannte ihn schließlich besser als ich. “…Nein”, gab ich letztendlich als Antwort, auch wenn mich diese Aussage hart traf. “Heißt das, ich hab noch Chancen?” fragte er eine Spur heiterer. Meine Augen weiteten sich, woraufhin er anfing, zu kichern. “Das war nur ein Scherz.” Die darauf folgende Stille ließ mich wieder bewusst werden, wo ich mich befand. Eine Gänsehaut überzog meine Haut, als der Nachhall der Hintergrundgeräusche durch meinen gesamten Körper fuhr. Hastig drehte ich mich um meine Achse. Jeder Fremde, der mich sah, könnte glatt denken, ich würde unter Paranoia stehen. “Ist wohl besser, wenn wir hier langsam verschwinden, sonst bekommst du wirklich noch einen Herzinfarkt”, stellte er schmunzelnd fest und das dumpfe Geräusch neben mir signalisierte, dass er ausstieg. Ich machte mich ebenfalls daran, den Wagen zu verlassen. Was gäbe ich doch gerade dafür, ebenfalls so eine Nachtsichtbrille zu besitzen. Doch noch ehe ich den vermeintlichen Boden erreichen konnte, war Seth bereits an meiner Seite und stützte mich. Erst da bemerkte ich einen leicht modrigen, hölzernen Geruch an ihm. “So was aber auch. Man könnte meinen, du legst es darauf an, auf die Nase zu fallen”, witzelte er, woraufhin ich ihm nur einen missbilligenden Blick - oder eher der Dunkelheit zwischen uns - zuwarf. Er lachte nur. “Wieso fahren wir eigentlich nicht mit dem Wagen weiter?” fragte ich, als dieser sich plötzlich leicht ratternd in Bewegung setzte. “Weil es immer noch mein Job ist, dich zu erschrecken. Deshalb gehen wir hinaus.” Er legte mir wieder einen Arm um die Schultern. Sofort versteifte ich mich. Soviel Nähe war mir unangenehm und das nicht zuletzt, weil ich hilflos im Dunkeln stand und mit ihm alleine war. Dass meine Fahrgelegenheit weg war, unterstützte dieses Gefühl nur noch. Außerdem gab es nur eine Person, die das durfte, was er gerade tat und ich wünschte mir dessen Anwesenheit genau jetzt wie nichts auf der Welt. Edward. Hoffentlich ging es ihm gut. Wenn Seth die Wahrheit sagte, wovon ich jetzt am meisten ausgehen musste - schließlich befand ich mich in einer nachteiligen Lage -, dann musste er wohlauf sein. “Denk nichts falsches von mir. Du siehst nur etwas sehr… wackelig auf den Beinen aus und da kam einfach der Impuls, dir zu helfen. Und irgendwie hab ich die leise Vermutung, dass wenn ich das nicht tue, du dann wahrscheinlich nicht ohne Blessuren hier herauskommst. Das weckt Erinnerungen…” Verblüfft runzelte ich die Stirn. Er war nicht der Erste, der mir das sagte. “Was für Erinnerungen?” “Nicht so wichtig. Das ist schon lange her”, meinte er gedankenverloren, während wir einem mir unbekannten Weg folgten und mein Herz hin und wieder ein paar Oktaven höher schlug, wenn ich mich bei all dem Geheul und den Schreien erschreckte. “Es dauert nicht mehr lange”, versuchte er mich zu beruhigen und jedes Mal drückte er mich etwas fester, wenn ich drohte, über meine eigenen Beine zu stolpern. Dieser Ort war wirklich nichts für mich. Wieso musste ich auch meinen Mut beweisen wollen? Ich wusste nicht, wie viele Minuten wir schon gingen, in denen mich einzig und allein Seths Körper etwas wärmte, während ich das Gefühl hatte, dass mir meiner immer eisiger vorkam - meine Gänsehaut war das beste Beispiel dafür. Kein Wunder, ich wollte ja auch lieber in den Armen meines Freundes sein. Allmählich wurden die angsteinflößenden Stimmen leiser. Trotzdem fühlte ich mich noch unbehaglich. Dann endlich und nur ganz klein konnte ich einen weißen Punkt vor uns sehen. Mein Instinkt sagte mir, dass das der Ausgang war, und mit jedem Schritt wurde er größer. Automatisch beschleunigte ich. Seth entging das natürlich nicht. Er kicherte. “Ganz ruhig. Wir sind ja gleich da.” “Ich will einfach nur hieraus, okay?” entgegnete ich schon fast genervt. Würde Edward eigentlich auch schon da sein? Würde er dort draußen auf mich warten? Was würde passieren, wenn er Seth wieder sah? Langsam entwand ich mich aus seiner Umarmung, ging noch etwas schneller, sodass ich schon leicht vor ihm lief, beschleunigte noch etwas und wechselte von Schritt zu Schritt in ein Rennen über, während die Öffnung größer wurde und das Außenlicht den Gang erhellte. Und dann wurde mir von neuem bewusst, dass wir Seth in dem Glauben ließen, Edward und ich seien kein Paar. Ich musste ihm das rechtzeitig begreiflich machen, ehe sein alter Kumpel eine freundschafts-untypische Geste mitbekam. Mit dem nächsten Schritt betrat ich die Außenwelt - und musste meine Augen für ein paar Sekunden zukneifen, weil mich die unerwartete Helligkeit blendete. Die Sonne war schon fast hinter dem Horizont verschwunden, doch die Scheinwerfer hier an diesem Hinterausgang schienen mir direkt ins Gesicht. Den Lauten unter meinen Füßen zu urteilen, musste ich mich auf einer erhöhten Plattform befinden. Ich hatte noch nicht gestoppt, als ich hinter mir meinen Namen hörte. “Bella!” rief Edward besorgt und fast gleichzeitig spürte ich seine Hand an meinem Oberarm. Er wollte mich zu sich drehen, doch in der halben Bewegung riss ich meinen Arm hoch, löste auf diese Weise seinen Griff und presste ein gedämpftes “Nicht anfassen!” hervor. Wenn ich darauf geachtet hätte, wo ich hinlief, wäre mir die breite, dreistufige Treppe zu meinen Füßen aufgefallen. So aber rutschte mein Hacken von der Kante ab. Wie in Zeitlupe fiel ich nach hinten, während ich erschrocken Edwards Anblick betrachtete. Er hatte einen Arm nach vorne gestreckt und seine Gesichtszüge waren zu Eis erstarrt. Nein, sein gesamter Körper, seine Bewegung war erstarrt. In seinen weit aufgerissenen Augen spiegelte sich Schock, Trauer und… Schmerz wider. Qualvoller Schmerz. Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte auch ich und mein Herz verspürte einen seltsamen Stich, ehe ich versuchte, nach ihm zu greifen, doch der Abstand war bereits zu groß. Aus Reflex schloss ich meine Augen und rechnete jeden Moment mit dem Aufprall, als plötzlich zwei starke Arme unter meinen auftauchten und mich leicht federnd auffingen. “Na, na. Schön aufpassen beim Laufen oder hat dich Edward so aus der Fassung gebracht?“ schmunzelte Emmett und richtete mich wieder vollends auf. Ich ging nicht darauf ein, sondern blickte ununterbrochen zu seinem Bruder, deren Verhalten ich im Moment überhaupt nicht deuten konnte. “Alles in Ordnung bei euch beiden?” fragte Emmett misstrauisch nach, als er der Situation bewusst wurde. Seine Augen wanderten zwischen Edward und mir aufmerksam hin und her. “Ich hatte Recht gehabt mit meiner Feststellung. Du bist tatsächlich wackelig auf den Beinen”, rief Seth auf einmal hinter Edward. Er stand grinsend im Eingang. An ihn hatte ich gar nicht mehr gedacht. Jetzt erkannte ich auch das Kostüm, dass er anhatte. Das Geheul in der Dunkelheit machte plötzlich Sinn und wenn ich es richtig deutete, stellte er einen Werwolf dar. Die Maske trug er allerdings im Arm. Edwards Kopf fuhr herum und war für einen ewig langen Augenblick auf ihn gerichtet. Als er dann wieder zu mir sah, waren seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst und seine Augen verengt. Ich war wie gebannt von diesem eindringlichen Blick, der mir Angst machte. Angst, dass Edward sich von mir entfernen würde. Emmett hatte Seth ebenfalls entdeckt. Seine Augen wurden schmal und es kam mir vor, als überlegte er angestrengt. Edward derweil war die Treppe heruntergekommen und lief, ohne mich anzusehen, an mir vorbei. Ich schaute ihm hinterher. Ich verstand die Welt nicht mehr. Machte er das jetzt, weil Seth da war, oder war es etwas anderes? Er sollte nicht weggehen. Er sollte bei mir bleiben. Mein Gesicht spannte sich schmerzvoll an, als ich versuchte, meine aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Sein großer Bruder bemerkte die Atmosphäre zwischen uns. Er sah erst zu uns, dann noch mal zu Seth und dann wieder zu uns, bevor er hinter Edward, der schon ein ganzes Stück weiter war, herlief und ihn etwas unsanft herumwirbelte. Ich konnte nicht hören, was er zu ihm sagte, sondern vernahm nur ein Murmeln und anhand seiner Mimik und Gestik erkannte ich, dass er nicht sehr erfreut war. Kurz schoss sein Arm in meine Richtung, woraufhin Edward zu mir sah. Er betrachtete mich sehr lange. Seine Miene war anfangs noch steinern, wich jedoch allmählich einer traurigen, fast schon entschuldigenden. Er wandte seinen Kopf wieder Emmett zu und sprach bedacht auf ihn ein. Dieser schien zuerst nicht zu wissen, was sein kleiner Bruder von ihm wollte, nickte dann aber. Edward nahm daraufhin seine Laufrichtung wieder auf und verschwand hinter einer Ecke. Ich wollte ihm hinterher, doch angesichts der Lage, ließ ich es sein. Dafür kam Emmett auf mich zu, sein Gesicht jetzt wieder freundlich. Ich fühlte mich etwas überrumpelt, als er seinen Arm um meine Schulter legte und mich in eine fast erdrückende Umarmung zog, während er mir den Kopf verwuschelte. Seth konnte mein verwirrtes Gesicht nicht sehen, nur den Rücken dieses… Bären. “Mach dir keine Sorgen um Edward”, sagte er so leise, dass nur ich es hörte, und dann etwas lauter und heiterer: “Hast du Lust, Go-Kart zu fahren?” Ich drückte mich ein Stück von ihm weg und sah ihn irritiert an, woraufhin er mir nur zuzwinkerte. Es sah so aus, als wollte er, dass ich mitspielte, also zwang ich meine Lippen zu einem verkrampften Lächeln und antwortete zittrig. “Na, klar.” “Sehr schön. Rose und Roxy sind schon vollkommen besessen davon”, grinste er und bugsierte mich in eine neue Richtung, ohne seinen Griff um mich zu lockern. “Bella!” meldete sich Seth noch einmal zu Wort. Wir drehten uns um und sahen ihn fragend an. “Denkst du an meine Bitte?” erinnerte er mich. Sein Gesicht allein sprach ein Flehen aus. Ich nickte vorsichtig. Er lächelte dankbar. “Kennst du ihn?” fragte ich Emmett beiläufig, während wir weitergingen und meine Gedanken versuchten, Edwards seltsame Reaktion vor Seths Auftauchen zu entschlüsseln. “Den von eben?… Sagen wir so. Er kommt mir bekannt vor. Erinnert mich ein wenig an die Typen, mit denen Edward früher herumhing. Und so wie er grade reagiert hat, muss es ja einer von ihnen sein.” “Ist er”, versicherte ich ihm. “Er will wieder mit ihm befreundet sein.” Emmett sah mich kurz überrascht an, dann richtete er seinen Blick nachdenklich nach vorne. “Was weißt du alles über sie?” unterbrach ich sein Schweigen. “Und was ist mit deinem Bruder los? Seit dieser Seth hier ist, benimmt er sich komisch. Was ist damals passiert und wo ist Edward jetzt?” “Woho… nicht so schnell”, stoppte er mich in meinem Redeschwall und hielt seine Hand hoch. “Erstens kenne ich nur im Groben die Geschichte zwischen ihnen, zweitens ist es besser, wenn er dir das selbst erzählt und…” - Ich wollte bereits etwas dazu erwidern, doch er hob seinen Zeigefinger und seine Stimme an, um mich in meinem Vorhaben aufzuhalten - “…Und Drittens ist er genau dort.” Sein Blick wanderte nach vorne. Erst jetzt wurde mir klar, dass wir nicht auf dem Weg zur Go-Kart-Bahn waren, sondern zum Riesenrad. Edward stand neben der kleinen Schlange, von der bereits einer nach dem anderen die Wagons füllten. Die Speichen dieser Attraktion leuchteten jetzt im Dunkeln in einem angenehmen Blau, während die Lichter den Rand in einem warmen Gelb umrahmten. Die Gondeln selbst waren sechseckig, über den Sitzgelegenheiten rundum komplett verglast und für bis zu vier Leute. Eine sechseckige Abdeckung in Form eines Metallregenschirms bildete das Dach. Edwards Haltung war leicht versteift, vielleicht auch ein wenig nervös. Seine Hände steckten in den Hosentaschen und er blickte immer wieder in unterschiedliche Richtungen, nur um dann hin und wieder den Boden anzustarren und mit den Füßen darauf zu scharren. Als er uns entdeckte, hellte sich sein Ausdruck etwas auf und ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf seine Lippen. Ich konnte nicht anders und als hätte Emmett geahnt, was ich wollte, ließ er mich in dem Augenblick los, in dem ich auf Edward zurannte. Mit voller Wucht prallte ich gegen seinen angespannten Körper und schlang meine Arme fest um ihn - genauso wie er es tat -, für den Fall, er würde wieder die Flucht ergreifen wollen. Sein Gesicht vergrub er in meinen Haaren, sog tief die Luft ein und drückte seine weichen Lippen auf mein Haupt. Einen Augenblick verhaarten wir in dieser Position, wobei er mir immer wieder zärtlich über den Rücken strich und mich erschaudern ließ. “Wenn du nichts dagegen hast, würde ich mit dir gerne eine kleine Runde da drinnen drehen”, meinte er auf einmal und löste sich ein Stück von mir. Er zeigte auf das Riesenrad, das jetzt schon fast voll besetzt war. “Okay”, lächelte ich. Gemeinsam stellten wir uns an und erwischten gerade noch den letzten Wagon. Da wir die Letzten waren, konnten wir alleine darin sitzen. Die Sitzbänke hatten einen weichen, roten Stoffüberzug. Der Angestellte schloss die Tür und schon kurz darauf setzte sich das Rad in Bewegung. Ich saß mit einigem Abstand schräg neben Edward und musterte ihn aufmerksam. Ich wusste, dass wir nicht hier waren, um die schöne Aussicht zu genießen. Er hatte sich nach vorn gebeugt, die Ellenbogen auf die Knie gestützt und starrte auf seine, ineinander verschränkten Hände. Noch einmal atmete er tief ein, dann begann er zu sprechen. “Du fragst dich sicher, was mit mir los ist… Warum ich mich so merkwürdig verhalte in letzter Zeit…” Kurz sah er auf und schaute mich vorsichtig, fast schon selbstironisch an. “Aber bevor ich damit anfange, will ich wissen, ob mit dir alles in Ordnung ist.” Sofort wurde seine Miene etwas ernster. Verwirrt hob ich die Augenbrauen, was ihn kurz sprachlos machte, ehe er etwas zu heftig darauf reagierte. “Wegen Seth!… Du bist aus der Geisterbahn gerannt und kurze Zeit später kam er aus der gleichen Richtung!” Erschrocken von seinem scharfen Ton zuckte ich zusammen. “Er… Mir geht es gut. Er hat mir nichts getan. Ganz im Gegenteil…” erklärte ich mich kleinlaut. Sich plötzlich selbst bewusst über sein Verhalten richtete er sich seufzend auf, schloss resigniert die Augen und fuhr mit den Händen über sein Gesicht. “Verzeih mir. Ich wollte dich nicht so anfahren”, entschuldigte er sich. “Schon okay…” sagte ich mit einem leichten Lächeln, wofür ich einen ungläubigen Blick erntete. “Also… was hast du eben gemeint mit ganz im Gegenteil?” fragte er. “Na ja… Seth arbeitet hier. Also in dieser Bahn. Er… sollte mich wohl eigentlich erschrecken, hat es dann aber sein lassen. Er hat mich nur nach draußen geführt… Was war eigentlich mit dir?” Überrascht sah er auf, dann wandte er seinen Blick fast abfällig auf den Boden. “Unsere drei so genannten Fahrgäste waren gar nicht das, was sie vorgegeben haben. Ihre Sitze waren leer und auf einmal haben sie mich von hinten gepackt. Ich hatte gar keine Möglichkeit, mich zu wehren. Zwar haben sie mich schnell über die Situation aufgeklärt, aber nicht wieder zu dir gelassen, obwohl ich ihnen erklärt habe, wie schreckhaft du bist. Und als ich sie dann doch überzeugen konnte, warst du schon weg. Ich hätte dich einfach nicht alleine lassen dürfen. Ich hab nur gehofft, dass alles in Ordnung mit dir ist. Dass ich dich nicht schreien gehört hab, war ein gutes Zeichen. Obwohl es auch bedeuten hätte können, dass du ohnmächtig geworden bist.” Bei seinem letzten Satz verzog ich das Gesicht, was ihn kurz schmunzeln ließ. Doch gleich darauf schlug seine Laune wieder in Bitterkeit um. “Und als du dann so panisch herausgelaufen kamst… Ich dachte, sonst was wäre passiert.” “Das war nur, weil ich dich erreichen wollte, bevor du Seth entdeckst. Weil du doch vor ihm behauptet hast, wir seien nur Freunde…” Den letzten Teil flüsterte ich so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob er es überhaupt verstanden hatte. Ich war mir ja nicht mal bei mir selbst sicher. Edwards Augen weiteten sich, dann rutschte er zu mir auf und nahm mich fest in den Arm. “Tut mir Leid… …Tut mir Leid, tut mir Leid, tut mir Leid”, murmelte er ununterbrochen in mein Haar und legte seine Lippen als Unterstützung auf. “Hey, ich hab doch gar nicht behauptet, dass ich dir das übel nehme”, witzelte ich leicht nervös, doch er ging nicht darauf ein. “Das hat damit nichts zutun. Ich hätte das einfach nicht sagen dürfen. Man verleugnet seine Freundin nicht, sollte sie einem wirklich wichtig sein. Und das bist du. Mehr als das sogar.” Statt zu antworten, schmiegte ich mich noch enger an ihn, während ich meine Beine leicht angewinkelt auf die Bank legte. “Ich… soll dir was ausrichten… von Seth”, sagte ich in die aufgekommene Stille hinein. Erst nach einer kleinen Pause fragte er nach. “Was?” “Dass es ihm Leid tut und dass er dir nicht die Schuld gibt. Er sieht die Dinge jetzt wohl anders und er möchte sich wieder mit dir anfreunden.” Edward schnaubte leise. Allerdings sah es dieses Mal danach aus, als würde er sich mehr Gedanken darüber machen, als noch heute Mittag auf dem Sportfeld. Für einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob ich wirklich den Namen Leah in das wiederkehrende Schweigen werfen sollte, besann mich dann aber eines Besseren. Edward hatte mich nicht umsonst hierher gebracht und vielleicht kam er ja von ganz allein darauf zu sprechen. Dann hörte ich ihn tief Luft holen und kurz darauf seine ruhige Stimme. “Damals als ich den Wolves - so hieß unsere Gruppe - beigetreten bin… Ich war da ziemlich egoistisch. Am Anfang hab ich sie nur für meine Bedürfnisse ausgenutzt. Mir ging es schlecht, ich hatte Frust und musste den irgendwie abbauen. Der Blödsinn, den da alle gemacht haben, kam mir da natürlich nur recht…” “Was für Blödsinn?” wollte ich wissen. Wenn, dann konnte er mir auch alles erzählen. Egal, was kam, ich würde eh bei ihm bleiben. Ich brauchte ihn einfach zu sehr. Er zögerte. “…Diebstahl… Einbruch… Körperverletzung…” Für eine Sekunde verkrampfte ich mich, was er mitbekam und das, was er daraufhin sagte, kam ihm nicht leicht über die Lippen. “Du kannst dich auch wegsetzen, wenn du dich dann wohler fühlst.” “Nein!” sagte ich schon fast etwas zu laut und klammerte mich regelrecht um seine Mitte. Wenn er dachte, das würde mich verschrecken, dann hatte er sich geirrt. All das war doch Vergangenheit. Nie hatte ich erlebt - okay, fast nie, wenn ich an Tayk dachte -, dass er bei etwas gewalttätig wurde. Auch wenn es hin und wieder eine Situation gab, in der er sich zusammenreißen musste. Er schüttelte leicht den Kopf und murmelte ein “Unglaublich… “Ich muss aber dazu sagen, dass ich nie einen Unschuldigen verletzt habe. Meistens waren es welche aus anderen Banden, die uns unser Revier streitig machen wollten, oder die uns einfach nur provoziert haben… Heute weiß ich, dass das trotzdem nicht richtig war”, fügte er noch hinzu. “Tief im Inneren bist du also doch ein guter Junge”, lächelte ich. “Ansichtssache”, meinte er nur. “Wie dem auch sei… Irgendwann hab ich doch angefangen, mich mehr zu integrieren. Wenn man es genau nimmt, gab es drei von ihnen, mit denen ich mich wirklich gut verstanden und die ich auch an mich herabgelassen habe. Einer davon war Seth. Die anderen beiden waren Jake und… Leah.” Da war er. Der Name. Und es quälte ihn, diesen auszusprechen. “Wir hatten keinen richtigen Anführer, aber wenn es einen gegeben hätte, dann wäre es Jake gewesen. Einerseits haben wir uns ziemlich gut verstanden, aber andererseits hatte ich ständig das Gefühl, als wäre ich ihm ein Dorn im Auge, obwohl das am Anfang noch gar nicht so extrem war. Mit Seth war ich richtig gut befreundet. Neben Tayk könnte man sagen, war er mein nächster bester Kumpel. Wir hatten die gleichen Ansichten, die gleichen Gedanken… wir waren fast immer einer Meinung. Leah… war seine Schwester und der Ruhepol zwischen uns. Sie hat Streitigkeiten geschlichtet und uns immer auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, wenn wir mal wieder in unerreichbaren Zukunftsträumen schwelgten. Eigentlich hat sie uns auch davor bewahrt, richtig dummes Zeug, das uns vielleicht unser ganzes Leben versaut hätte, anzustellen… “…Außerdem hat sie uns ständig ins Gewissen geredet. Wir sollten doch über das, was wir machen, mal ordentlich drüber nachdenken. Es sei nicht richtig und es würde irgendwann wirklich böse enden, wenn wir so weitermachen… Hätten wir doch bloß früher auf sie gehört…” Gedankenverloren starrte er aus dem Fenster in die, durch die Lichter der Stadt, erhellte Nacht und für ein paar Minuten war es still. “…Ich glaube… Nein, mittlerweile weiß ich, dass Jake sehr viel für sie empfunden hat. Ich hab keine Ahnung, ob man mit vierzehn schon von Liebe reden kann, wenn man das Leben selbst noch nicht richtig begreift, aber ich bin mir sicher, es wäre dem sehr dicht gekommen. Er und Leah sind immer wieder aneinander geraten. Aber es war nie ein ernster Streit. Was sich neckt, das liebt sich, war eine passende Bezeichnung für ihre seltsame Beziehung. Manchmal bekam ich den Eindruck, Jake sei eifersüchtig auf mich. Leah und ich haben sehr viel Zeit miteinander verbracht und als ich langsam angefangen habe, nicht mehr bei allem, was unsere Gang durchziehen wollte, mitzumachen, hat sie mich voll und ganz unterstützt. Das hat Jake natürlich nicht gepasst. Seth war hin- und hergerissen. Ich kann es ihm nicht verübeln. Sich zwischen zwei Freunden zu entscheiden, ist nicht leicht. Letztendlich war er aber meistens auf Jakes Seite… “…Jedes Mal, wenn mir Leah begegnet ist, hatte ich Herzklopfen. Nicht, weil ich vielleicht in sie verknallt gewesen war. Nein, das bestimmt nicht. Ich hab sie eher wie eine Schwester betrachtet und wenn ich erzählt hatte, dass ich den Anderen bei einer ihrer Aktionen mal wieder abgesagt habe, um mich mehr auf die Schule zu konzentrieren, dann hat sie gesagt, sie sei stolz auf mich. Das Gefühl, das ich dabei gespürt hab, war unglaublich. Ich fühlte mich besser, als bei Jakes Mist, bei dem ich meinen Frust bisher abgebaut hatte, und es sah so aus, als wäre es jemandem wirklich wichtig, was aus mir wird… “…Gleichzeitig konnte man ihr aber ansehen, dass sie das auch unglücklich gemacht hat. Ich war der Einzige, der langsam wieder den richtigen Weg aus der ganzen Sache gefunden hat. Jake war so verdammt stur. Jedes Mal wenn Leah versucht hat, ihn zu überreden, hat er sie ignoriert. Dazu kam, dass er ja auch immer ihren Bruder mit hineingezogen hat. Sie liebte Seth und sie mochte Jake genauso wie er sie… “…Manchmal hätte ich ihm wirklich eine verpassen können, weil er das einfach nicht mitbekam. Ehrlich gesagt, hab ich das sogar irgendwann. Ich wollte ihm klar machen, wie wichtig er ihr ist und dass er endlich mal die Augen aufmachen sollte. Ab dann schien er auch endlich zu begreifen. Zwischen uns Vieren lief dann auch alles etwas ruhiger und entspannter ab, aber ganz aufhören konnte er nicht. Da waren immer noch die anderen aus der Gruppe, die nicht so einfach mit dem rebellischen Leben Schluss machen wollten und Jake wusste das. Bevor er sie also ganz auf sich allein gestellt auf die Außenwelt losließ, kümmerte er sich lieber um sie. Einige von ihnen lebten nämlich auf der Straße und hatten kein Zuhause, in das sie sich zurückziehen konnten… “…Und dann kam der Tag, an dem Carlisle mir das Ultimatum gestellt hat… Der Tag, an dem sich alles verändert hat…” Seine Gesichtszüge verhärteten sich, seine Zähne waren knirschend zusammengepresst und sein Griff um meine Schulter wurde straffer. “…An dem Tag hatte Jake etwas ganz Großes geplant. Etwas, das weitaus gefährlicher war als das, was wir bisher immer gemacht hatten. Ich bin zu ihm gegangen, um ihm mitzuteilen, dass ich nicht mehr mitmache und aussteige. Er ist ziemlich wütend geworden. Sehr wütend sogar, vor allem, als Leah aufgetaucht ist und sich auf meine Seite geschlagen hat. Du kannst dir bestimmt vorstellen, wie ihn das aufgeregt hat.” Ich nickte stillschweigend und er fuhr fort. “Dabei war das noch nicht mal das Schlimmste. Am Ende hab ich mich doch breitschlagen lassen. Zum Teil auch, um aufzupassen, dass alles glatt geht und dass sie wieder heil zurück kommen. Auch um Leahs Willen. Womit ich nicht gerechnet habe, ist ihre Reaktion darauf gewesen. Plötzlich war sie auch auf mich sauer. Sie hat mir vorgeworfen, dass ich mein Leben wegwerfe und dass ich es nie schaffen würde, wenn ich mich immer wieder überreden lasse. Und dann hat sie wieder angefangen, auf Jake einzureden. Er muss sie völlig falsch verstanden haben. Sie hat sich nur Sorgen um ihn gemacht, vor allem um ihn, und er dachte wohl, sie wolle ihm Vorwürfe machen und ihm vorschreiben, was für ein Leben er leben soll. Er hat natürlich versucht, ihr klar zu machen, dass sie das alles nicht verstehen würde, weil sie ein Mädchen ist. Und sie sollte sich aus seinen Angelegenheiten raushalten. Sie würde nur im Weg stehen und ihm alles verbauen. Und sie würde versuchen, einen Keil zwischen seinen Freunden zu treiben… “…Das hat sie sehr hart getroffen, vor allem da es von ihm kam. Ich werde nie vergessen, wie verletzt sie aussah, als sie weinend in die Nacht hinausgestürzt ist. Ich bin ihr sofort hinterher. Nach einer halben Stunde hab ich sie dann in der U-Bahn erwischt. Wir waren die Einzigen. Sie ist am Gleis entlanggelaufen und ich hab sie am Arm gepackt… “…Du musst wissen, sie war nicht gerade die Sicherste im Laufen. Ich war fast jeden Tag damit beschäftigt, einen Unfall zu verhindern. Ich fand das immer sehr witzig und hab sie damit aufgezogen. Zwar bekam ich dafür immer einen Todesblick von ihr, doch eigentlich machte sie sich selbst darüber lustig…” Anhand seiner Stimme erkannte ich, dass er lächelte, doch gleichzeitig schluckte er schwer. Jedes weitere Wort kam brüchiger aus seinem Mund. “Sie… hat sich losgerissen… Hat mich… angeschrieen… ’Nicht anfassen!’… Meine Hand hat… den Halt verloren… Und sie das Gleichgewicht… Sie stand viel zu dicht am Rand des Bahnsteiges… Ihre Füße sind weggerutscht… Sie ist rückwärts gefallen und dann…” Abermals musste er schwer schlucken und als ich aufsah, erkannte ich das Glitzern in seinen Augen, die leblos nach vorne gerichtet waren. “…Das Geräusch des Zuges, der in dem Moment kam… Das hallt immer noch in meinem Kopf, wenn ich daran denke… Und ihr Gesicht, das mich voller Furcht ansieht… Ihre weit aufgerissenen Augen, in denen die pure Angst steht… Ihre Hand war nach mir ausgestreckt und meine zu ihr… Doch der Abstand war zu groß… Ich hab sie nicht mehr greifen können… Aus den Augenwinkeln sah ich das viel zu grelle und viel zu schnell näher kommende Licht der Bahn… Ein dumpfer Knall drang an meine Ohren… Der Fahrtwind wehte meine Haare zur Seite und ließ mich kurz erschaudern… Und dann kam der Zug quietschend zum Stehen…” Edwards ganzer Körper zitterte auf einmal. So heftig, dass ich dachte, es sogar sehen zu können. Diesmal war er es, der sich an mich klammerte. Der, der Halt brauchte. Sein Daumen und sein Zeigefinger legten sich auf den Nasenrücken zwischen seinen Augen, die er jetzt krampfhaft zusammenkniff. Angestrengt versuchte er sich zusammenzureißen. Aus einem Instinkt heraus fasste ich mit beiden Händen seinen Kopf und zog ihn an meine Schulter, legte eine an seinen Hinterkopf, während die andere beruhigend über seinen Rücken strich. Dankbar schlang er seine Arme um mich und presste mich so stark an sich, dass es schon fast wehtat. Doch ich beschwerte mich nicht. Jetzt gerade konnte ich mich für all das, was er für mich getan hatte, revanchieren, indem ich für ihn da war. Für einen Moment war es bedrückend still, doch dann lachte er einmal kurz und argwöhnisch auf. “Und dann… hab ich Jake aufschreien gehört. Er stand an der Treppe zur U-Bahn und sah genauso geschockt aus wie ich. Er musste uns gefolgt sein. Ich stand immer noch mit nach vorne gerichtetem Arm da, unfähig, mich zu regen. Sein Gesicht war kreidebleich, nicht besser als meins… Als ich zu ihm aufsah, waren seine Augen auf eine Stelle vor dem Zug gerichtet, die ich von meiner Position nicht erkennen konnte. Ich wusste auch so, was, oder besser gesagt, wer dort lag… “…Langsam wandte er dann seinen Kopf zu mir. Aus dem anfänglichen Schockzustand wurde Wut. Eisige, hasserfüllte Wut… Er kam auf mich zu… Er stürzte sich auf mich, könnte man wohl eher sagen, und schlug auf mich ein. Ich hab mich nicht gewehrt. Ich war wie gelähmt. Ich hab noch nicht mal den Schmerz gespürt, als er mir die Nase gebrochen hat, oder als meine Lippen aufgeplatzt sind… oder als ich das Knacken meiner Rippen gehört hab… Er hätte wohl ewig so weitermachen können, wenn ihn nicht ein paar der Fahrgäste, die ausgestiegen waren, von mir runtergeholt hätten… Was dann alles passiert war, weiß ich nur noch ungenau. Ein Krankenwagen und ein Leichenwagen wurden gerufen, die Leute murmelten untereinander, ein paar hatten damit zutun, Jake von mir fernzuhalten, der immer wieder ’Mörder’ gerufen hat… Seth war nicht dabei gewesen, aber ein paar Tage später wusste ich, dass er mich ebenfalls für den Tod seiner Schwester verantwortlich macht.” “Du meinst wohl, gemacht hat…” korrigierte ich ihn leise. Er schaute mich etwas ungläubig an, ehe er den Kopf schüttelte. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mir das verziehen hat. Es war seine Schwester… Außerdem hat er ja Recht. Ich bin daran Schuld. Wenn ich besser aufgepasst hätte… Wenn ich sie nicht festhalten hätte wollen… Vielleicht würde sie dann noch leben…” Abrupt wandte ich meinen Kopf ihm zu, legte meine Hand an seine Wange und drehte sein Gesicht zu mir, sodass ich ihm in die Augen sehen konnte. “Edward, das war ein Unfall. Niemand hat daran Schuld, verstanden?” sagte ich mit fester Stimme, doch seine Miene verriet mir, dass er mir keinen Glauben schenkte. Meine Augen wurden schmal. “Selbst wenn dieser Jake meint, du hättest das alles zu verantworten… Er hat Unrecht. Keiner kann etwas dafür. Am Wenigsten du. Ganz im Gegenteil. So wie du davon erzählt hast, könnte man sagen, dass schon viel früher was passiert wäre, wenn du es nicht immer verhindert hättest. Also hör bitte auf, dich selbst fertig zu machen. Das würde Leah nicht wollen und ich bin mir sicher, dass sie dir niemals vorwerfen würde, Schuld daran zu sein.” Für einen sehr langen Augenblick sah er mich mit einem Ausdruck an, den ich einfach nicht deuten konnte. Dann zog er mich wieder eng an sich und legte seine Lippen auf meine Haare. “Erstaunlich”, sagte er, und seine traurige Stimme klang verwundert. “Carlisle hatte Recht.” Ich unterdrückte den Drang, ihn nach der Bedeutung dieses Satzes zu fragen. Wieder wurde es still um uns herum und zu meinem Verdruss realisierten wir, dass die Fahrt kurz vor dem Ende stand. Als wir unten wieder ankamen, stieg Edward zu meiner Überraschung alleine aus, um für eine weitere Runde zu bezahlen. Als er wieder herein kam und sich neben mich setzte, nahm er mich wieder in den Arm. Nachdem alle neuen Gäste ebenfalls eingestiegen waren, setzte sich das Rad abermals in Bewegung. “Jedenfalls…” fuhr er mit seiner Geschichte fort, jetzt wieder etwas fester in der Stimme. “Kurz darauf sind wir dann auf meinen Wunsch hin umgezogen. Carlisle hatte keine Einwände. Ich habe mir geschworen, nie wieder jemanden an mich heran zu lassen. Ich wollte niemanden mehr in Gefahr bringen… Und dann hab ich dich gesehen… Du siehst nicht so aus wie sie, aber… wie du durch den Tag gewandert bist… und dann all die Geschichten über deine vermasselten Dates… Es gehört schon einiges dazu, jemanden ins Krankenhaus zu befördern, indem man ihn aus Versehen in ein Gehege voller Eisbären schubst…” Ich fühlte mich etwas unwohl bei der Erwähnung dieser unangenehmen Erinnerung. “Erstens, hab ich Tyler nur auf den Rücken geklopft, weil er sich verschluckt hatte, woraufhin er das Gleichgewicht verloren hat - Wieso stellt sich jemand auch auf die Absperrung? - und Zweitens konnte ja keiner ahnen, dass er eine Phobie gegen diese Tiere hat”, flüsterte ich an seine Brust. “Mich hat es ehrlich gesagt nicht gestört”, entschuldigte er sich. “Eher dass er dir vorher immer so auf die Pelle gerückt ist. Es war mir klar, dass du irgendwann nachgibst. Hattest du bisher immer gemacht. Ich konnte einfach nicht glauben, dass deine Menschenkenntnis jedes Mal so daneben lag. Tyler galt überall als Aufreißer und du lässt dich auf ihn ein. Ich musste wirklich lachen, als Tayk mir dann die Story vom Zoo erzählt hat. Mich hat selbst überrascht, dass ich überhaupt mal wieder gute Laune hatte. Von da an… konnte ich nicht mehr aufhören, dich ein bisschen zu beobachten. Allerdings erinnerte mich das auf einmal mehr und mehr an… Leah. Und dann wollte ich mich wieder von dir distanzieren, als plötzlich die Sache im Club passiert ist… Der Kerl kam mir schon den ganzen Abend merkwürdig vor. Ständig lagen seine Blicke auf dir… und wie er dich angesehen hat…” Ein Grollen entrann seiner Brust und endete in einem leisen Knurren, während er mich noch fester hielt. “…Wenn ich das einfach ignoriert hätte, so wie ich es eigentlich wollte… Ich hätte mir selbst nicht mehr entgegentreten können… Und dann kam mir der Gedanke, dass sie mir vielleicht irgendwann verzeiht, wenn ich dir helfe… Also hab ich mich ab da öfter in deiner Nähe aufgehalten.” “Warum hast du das mit Claire erfunden, wenn du doch nie was von ihr wolltest?” fragte ich. “Kannst du dich noch erinnern, was ich dir in Bezug auf Tayk erzählt habe? Dass er sehr auf die Gruppenunterschiede in der Schule achtet? Stell dir vor, es geht um, dass sich jemand aus dem Baseballteam mit dem tollpatschigsten Mädchen der High School trifft… Also hab ich Tayk erzählt, ich wolle über dich an deine Freundin herankommen.” Ehemalige Freundin fügte ich in Gedanken zu, während mir sein Geständnis doch leichte Stiche versetzte. “Auch das tut mir Leid. Ich hätte von Anfang an mit offenen Karten spielen sollen. Dann wäre das alles, was passiert ist, nie geschehen”, seufzte er verbittert. “Das glaube ich nicht. Das mit Tayk…” Reflexartig verkrampfte ich mich, als ich an diesen einen Tag zurückdachte. “…Das hättest du nicht verhindern können. Wie du selbst gesagt hast… Keiner konnte mit so was rechnen…” Darauf wusste er nichts zu erwidern. Stattdessen drückte er seine warmen, weichen Lippen an meine Stirn. Schweigen trat wieder ein, doch dieses Mal war es nicht unangenehm. Jeder hing seinen Gedanken nach. Ich war froh, dass Edward mir endlich gesagt hatte, was ihn so bedrückte. Ich verstand jetzt sein bisheriges Verhalten und konnte ihm besser helfen. “Bella?” fragte er nach ein paar Minuten und wenn ich mich nicht irrte, dann schnupperte er gerade an mir. “Hm?” antwortete ich mit hochgezogener Augenbraue. “Du… Sei mir nicht böse, aber… du riechst komisch…” Sofort richtete ich mich auf und sah ihn stirnrunzelnd an, weswegen sein Gesicht gleich einen entschuldigenden Ausdruck annahm. “Na ja, irgendwie… nach Friedhof…” Mir fielen fast die Augen heraus und leicht gereizt schlug ich ihm auf die Brust. Noch ehe ich etwas sagen konnte, zog er mich wieder an sich und murmelte ein ernstes “Entschuldigung.” Doch da fiel mir ein, dass er gar nicht so unrecht haben konnte und mich wunderte, dass er das erst jetzt bemerkte. Jetzt bereute ich es schon, ihn so finster angesehen zu haben. “Da könnte was dran sein”, meinte ich verlegen. “Seth hat merkwürdig gerochen. Jetzt im nachhinein denke ich, dass es vielleicht an seinem Kostüm lag…” “Wie dicht ist er dir denn gekommen?” fragte er und ich wusste, dass der Vorwurf in seiner Stimme nicht mir galt. “Es war dunkel… Er hat aufgepasst, dass ich nicht stolpere”, erklärte ich vorsichtig. Edward versteifte sich, sagte aber nichts. “Hast du deswegen so getan, als seien wir nicht zusammen? Weil du Angst hattest, er könnte mir was antun?” Er antwortete nicht und das allein war mir Bestätigung genug. “Meinst du nicht, du könntest ihm noch eine Chance geben? Er scheint es ehrlich zu meinen und mir kam er wirklich nett vor.” “Das ist nicht so einfach…” seufzte er niedergeschlagen. “Versuch es einfach. Mir zuliebe? Ich denke nämlich, dass es sein Ernst war, als er gesagt hat, er würde dir nicht die Schuld geben. …Die du definitiv nicht hast!” fügte ich noch rasch hinzu. “Leah hätte das bestimmt auch gewollt.” Er schien sehr lange zu überlegen, dann endlich sagte er etwas. “Na schön.” Ein Lächeln huschte über meine Lippen, die ich ihm dankbar auf die Brust drückte. “Fühlst du dich jetzt eigentlich besser?” wollte ich wissen und sah ihn abwartend an. “Jetzt, nachdem du dir das alles mal von der Seele reden konntest.” “Irgendwie schon… Und ich bin froh, dass du zugehört hast, obwohl ich eigentlich damit gerechnet habe, dass du wegläufst.” Verwundert schoben sich meine Augenbrauen zusammen. “Wieso das denn?” “Weil jeder normale Mensch das Weite suchen würde, wenn er erfährt, dass er neben einem Mörder sitzt?” Im ersten Moment war ich wie betäubt und wusste nicht, auf welchen Teil ich als Erstes reagieren sollte. “…Dankeschön… Das heißt dann wohl, dass ich ein Freak bin, ja?” Edward runzelte die Stirn, dann schmunzelte er kurz. “Unfassbar…” Bei mir bildete sich ebenfalls ein Lächeln. Ich kniete mich auf die Bank, direkt neben ihn, und nahm sein Gesicht in beide Hände. Dann zog ich es langsam an meines heran und legte meine Lippen für eine sehr lange Zeit auf seine. “Du bist kein Mörder”, flüsterte ich, als ich den Kuss beendete, sein Gesicht aber dennoch festhielt und ihm in die Augen sah. “Und selbst wenn… Ich habe auch schon die eine oder andere Mücke erschlagen oder bin auf eine Spinne getreten.” In seinen Augen spiegelte sich die Verwirrung, dann kicherte er leise und schüttelte den Kopf. “Oh, Bella…” Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und zu meiner Erleichterung erwiderte er es. Ein Schauer rann mir plötzlich über den Rücken und unwillkürlich musste ich frösteln. “Ist dir kalt?” fragte er, woraufhin ich meinen Kopf schüttelte. Er seufzte. “Immer die Starke spielen, was?” Noch bevor ich mich verteidigen konnte, hatte er mich auf seinen Schoß gezogen, einen Arm um meinen Rücken gelegt und die andere Hand an die Seite meines Oberschenkels platziert. Zum Glück war der Wagon nicht so sehr erhellt, sodass er nicht sehen konnte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Eine Weile saßen wir so da und betrachteten die Lichtershow, die am anderen Ende des Parks anfing. Eine Bühne war aufgebaut und ein paar Akteure führten beeindruckende Kunststücke auf. Unter ihnen waren auch Feuerspucker und das Ganze wurde von Lasern in verschiedenen Farben und Formen unterstützt. Sie reichten weit in den dunklen Himmel hinein. Von hier aus hatte man wirklich eine gute Sicht. Besser vielleicht sogar noch, als wenn man direkt davor saß. “Die Geisterbahn war ganz schön heftig, oder?” meinte ich irgendwann. Mein äußerer Arm lag in seinem Nacken und meine Finger spielten mit seinen Haaren, während seine Hand zaghaft an der Außenseite meines Beins entlang streichelte und in meinem Bauch ein leichtes Kribbeln verursachte. “Ich dachte, du hast das Schild vorher gelesen, das draußen angemacht war. Diesen Trip werden Sie garantiert nie wieder vergessen. Die realistischste Geisterbahn der Welt.”, zitierte er amüsiert. An so eine Aufschrift konnte ich mich wirklich nicht erinnern und so entgegnete ich nur: “Oh…” Erst wurde es wieder still, doch dann lachte er auf einmal leise auf. “Bella…” gluckste er, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ich fragte auch nicht nach, auch wenn ich ihn ein wenig irritiert anschaute, während meine Lippen sich zu einem verwirrten Lächeln verzogen. Dadurch, dass er mir sein Geheimnis - wenn man es denn so nennen konnte - anvertraut hatte, fühlte ich mich noch enger mit ihm verbunden. Dankbar für das Vertrauen, das er mir entgegenbrachte, kuschelte ich mich dichter an ihn, zog seinen Kopf zu mir herunter und küsste seine Wange. Mein Daumen führ langsam über die Konturen seines Wangenknochens, als wir uns gegenseitig betrachteten. Er nahm seine Hand von meinem Bein weg und griff meine, die immer noch sein Gesicht hielt, um sanft über meinen Handrücken und mein Gelenk zu streichen. Die Lichter der Lasershow spiegelten sich in seinen Augen wider, doch das Strahlen darin kam nicht nur davon. Langsam beugte er sich zu mir herunter, drückte mich gleichzeitig zu sich und legte zärtlich seine Lippen auf meine. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Hm, klärt das jetzt ein PAAR Dinge? Gab's den "Aha"-Effekt? Irgendwie haben alle Seth schon gehasst, weil Edward nicht gut auf ihn zu sprechen war, oder? Deshalb auch all die dramatischen Vermutungen...*schmunzel*... Übrigens: ZITAT-ALARM EIn verstecktes Zitat aus den Büchern. Mal sehen, ob's jemand findet. Falls ich es nicht zu sehr verpackt hab...o.O... Theoretisch könnten es aber auch zwei sein. Ist Ansichtssache ;)... Kapitel 20: Jagd auf einen Schatten ----------------------------------- Hm, also der Titel könnte doppeldeutig sein. Seh aber vllt nur ich so, weil ich mehr über diese FF weiß, als ihr. Ach, nya~...XD Viel Spass, es könnte etwas verwirrend werden... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die Fahrt endete bald und nachdem wir ausgestiegen waren, rief Edward seinen Bruder an. Es war schon spät und langsam mussten wir wieder zurück. Außerdem konnte Roxy ja auch nicht so lange auf bleiben. Wir trafen uns alle am vereinbarten Punkt wieder. Auf dem Weg dorthin hatte Edward noch weniger von mir abgelassen als vorher schon. Es gab kaum einen Moment, in dem wir keinen Körperkontakt hatten und wenn ich es zugelassen hätte, würde er mich wahrscheinlich auf dem Arm tragen. Alle paar Sekunden konnte ich seinen Atem in meinen Haaren spüren, ebenso wie seine Lippen oder seine Wange. Als wolle er mich nie wieder loslassen. Oder aber er hatte jetzt noch mehr Angst um meine Sicherheit. Ich konnte nicht verhindern, dass sich plötzlich ein merkwürdiger Gedanke in meinem Kopf breit machte, der mir sagte, ich sei nur ein Ersatz. Ein Lückenfüller für Leah. Und wer konnte einer einzelnen Person am nächsten stehen? Der feste Freund. Mit ihm teilte man einfach alles. Gefühle, Empfindungen, Erinnerungen und Erfahrungen. Die geheimsten Gedanken und jede freie Minute. Der feste Freund hatte den perfekten Grund, sich rund um die Uhr um die Auserwählte zu kümmern. Er hatte selbst gesagt, dass er es vielleicht wieder gut machen könnte, wenn er bei mir war und mich vor jeglichen Unfällen bewahrte. Wenn ich klug wäre und an mein eigenes Wohl denken würde, müsste ich mich sofort von ihm zurückziehen. Doch das war ich nicht. Meine Sturköpfigkeit… meine Naivität und meine Abhängigkeit ließen mich dort stehen, wo ich mich jetzt befand. Neben der Person, die mir vor nur wenigen Augenblicken ihr ganzes Vertrauen entgegengebracht hatte. Neben der Person, die gerade am meisten Unterstützung brauchte. Was würde geschehen, wenn ich mich jetzt auf einmal zurückzog? Er würde denken, es sei wegen seiner Vergangenheit. Und dann hatte ich ihn auch noch durch meine blöde Stolperaktion auf schmerzvolle Weise an den schlimmsten Tag seines Lebens erinnert. Schuldgefühle flammten auf und sie bestätigten mich in meiner Entscheidung, um Edwards Willen bei ihm zu bleiben und ihm seine Erlösung zu lassen. Selbst wenn ich dafür vorgespielte Gefühle in Kauf nehmen musste. Entweder diese oder gar keine. Ersteres war da doch die bessere Alternative und das Mindeste, das ich für ihn tun konnte. Ich schluckte bei den Gedanken, dass er andere Beweggründe hatte, mir nahe sein zu wollen als ich. Tief in Gedanken spielten meine Finger mit den Knöpfen seines Hemdes und ein leicht trostloser Ausdruck entstand in meinen Gesichtszügen. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich eine etwas größere Hand auf und umschloss meine, die auf seiner Brust lag. Edward nahm sie weg und legte sie auf seine Wange, ohne seine wieder zu lösen, während er mich besorgt musterte. Als hätte mein Körper diese Geste erahnt - oder vielleicht auch ersehnt -, durchfuhr mich ein Schauer. “Hey… Alles okay mir dir?” fragte er mit einer unglaublich sanften, melodischen Stimme, die mir ein trübes Lächeln auf mein Gesicht zauberte. “Ja…”, sagte ich leise und sah in seine wunderschönen, grünen Augen. Seine Pupillen bewegten sich nur minimal. Irgendwie nervös und zittrig, doch ich hielt seinem Blick stand. Egal was er sehen würde, mein Entschluss stand fest. Ich würde bei ihm bleiben und meine Bedürfnisse herunterschrauben, um seine in den Vordergrund zu stellen. Solange es ihm dadurch besser ging. “Du siehst unglücklich aus”, stellte er fest und klang noch eine Spur besorgter. Verwirrt runzelte ich die Stirn. “Ich hab dich verschreckt, oder?” meinte er, jetzt auf eine traurige Weise verständnisvoll. “Blödsinn”, erwiderte ich mit einem schwachen Grinsen. “Ich bin nur müde. Das ist alles.” Er schien mir nicht zu glauben. “Wenn dich das überfordert… Wenn du nichts mit alldem zutun haben willst, dann kann ich das verstehen.” “Edward!” sagte ich leicht vorwurfsvoll. “Mit mir ist alles in Ordnung. Der Tag war einfach nur anstrengend. Das ist alles.” Er betrachtete mich noch einen Augenblick, dann legte er seine weichen Lippen auf meine Stirn, verharrte eine gefühlte Ewigkeit so und schloss mich dann in eine feste Umarmung. Mein gesamter Körper bebte. Meine psychische Seite hatte sich damit abgefunden, dass seine Zuneigung eine andere als die von mir ersehnte war, doch der physische Part schien das alles als echt zu deuten. “Weißt du”, fing er an. “Ich kenne wirklich niemanden, der so ist wie du.” Natürlich kannte er so jemanden. Leah… “Normalerweise kann ich meistens erahnen, was andere Leute ungefähr denken. Du aber… Du machst ständig Sachen, mit denen ich nie rechnen würde. Ich habe keine Ahnung, was in dir vorgeht und so kann ich immer nur vermuten, dass das, was ich tue, das Richtige ist. So was habe ich noch nie erlebt. Aber genau das ist es ja, was mich so an dir fasziniert. So stehe ich jeden Tag vor einer neuen Herausforderung.” Mein Herz schlug schneller und meine Atmung ging unkontrollierter. Ja, das alles würde ich über mir ergehen lassen. “Bella, Edward!” Alice… Seufzend drehte ich mich zu ihr um. Sie und Jasper kamen auf uns zu, wobei mein Blick auf etwas in ihrer Hand fiel. Schweigend deutete ich auf das kleine, braun-weiße Kuscheltier mit den riesigen Ohren. “Ein Gremlin. Den hat Jasper für mich geschossen”, strahlte sie. Ich lächelte und Edward fing plötzlich an zu kichern. “Was ist?” Fragend sah ich ihn an, doch er schüttelte nur seinen Kopf. “Ich kann nicht. Wenn ich was dazu sage, reißt sie mir den Kopf ab.” Alice sah ihn etwas irritiert an, winkte dann aber ab und grinste. “Ach, Quatsch. So schlimm wird es schon nicht sein.” Mein Freund schien sich kurz nicht sicher zu sein, entschloss sich dann aber anders. “Na ja… Die Dinger sind klein und niedlich. Beachtet man aber die Regeln nicht, mutieren sie zu einem kleinen Monster.” Er presste angestrengt seine Lippen zusammen. Mir klappte der Mund auf und Alice erging es nicht anders. Jasper hinter ihr hatte ebenfalls Mühe, ernst zu bleiben. Doch im Gegensatz zu mir war die Schwarzhaarige nicht wirklich amüsiert darüber. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte Edward mit schmalen Augen an. Er musste sie tatsächlich damit getroffen haben. Er drehte sein Gesicht in meine Richtung und versteckte es hinter meinem Kopf. Ich konnte sein leises Schmunzeln hören und das leichte Vibrieren seiner Brust spüren. Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, sah er abermals ihn ihre Richtung. “Wirklich tolles Geschenk, Jazz”, grinste er. Wenn Alice sich in dem Moment nicht zu diesem gewandt hätte, wäre er unter Garantie auf den Spruch eingegangen, doch der Blick der Elfe ließ ihn verstummen. Stattdessen stellte er sich ganz dicht neben sie, beugte sich an ihr Ohr und flüsterte ihr etwas zu. Alice’ Wangen röteten sich leicht und ihre Augen weiteten sich kurz, dann wich ihre beleidigte Miene einer überlegenen, triumphalen. “Ja, ich denke, das wird es sein”, seufzte sie und jetzt war sie es, die breit grinste - und wir, die misstrauisch guckten. Die seltsame Atmosphäre, die sich zwischen uns bildete, wurde jäh von Emmett unterbrochen. Er und Rose waren auf dem Weg zu uns. Roxy lag in den Armen des menschlichen Teddys, während die große Stoffausgabe in der anderen Hand des Bären hing. Sie hatte ihre Arme schlaff um seinen Nacken geschlungen und ihr Kopf lag auf seiner breiten Schulter. Rosalie betrachtete erst die beiden, ehe ihr Blick zu uns wanderte. Sie sah nicht mehr ganz so distanziert aus, wie noch heute Nachmittag. Ein kleines Lächeln lag auf ihren Lippen. Emmett sah kurz zwischen Edward und mir und zwinkerte dann in meine Richtung. Meine Mundwinkel zuckten nach oben und ich nickte kaum merklich. “Wir sollten langsam”, meinte Edward und rieb meinen Arm. “Du fühlst dich ganz eisig an. Nicht dass du noch krank wirst.” Er hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. “Keine Angst. So schnell kriegt man mich nicht unter.” “Glaub ich dir gern”, lächelte er. Alle zusammen machten wir uns auf den Weg zum Eingang und dann Richtung Parkplatz. Jasper und Alice gingen zu ihrem Beetle, Rose und Emmett zu seinem Jeep, auf dessen Rücksitz er Roxy absetzte und festschnallte, und Edward und ich zum Volvo. “Wir sehen uns morgen in de Schule “, rief mir Alice noch hinterher und ich winkte ihr zu. Langsam fuhren wir los. Als wir auf der Straße waren, hakte mein Freund seinen Arm unter meinen und verschränkte unsere Finger miteinander, während sein Daumen kleine Kreise auf meinen Handrücken zeichnete. Mich überraschte, dass er dieses Mal nicht ansatzweise so schnell fuhr wie sonst. Gleichzeitig genoss ich die langsame Fahrt und die Ruhe, die nur durch das Radio nicht unangenehm wurde. “Edward?” fragte ich nach ein paar Minuten. “Hm?” Seine Stimme war so sanft und ruhig wie eh und je. “Wusstest du, dass Seth schon seit einer Woche hier ist?” Anhand der auffälligen Erhöhung seines Brustkorbes sah ich, dass er tief Luft holte und dann ganz langsam ausatmete. “Ja, er hat es mir erzählt. Auch dass er bereits Arbeit hat. Nur das ‘Wo’ hat er verschwiegen.” “Was für eine Abmachung hattet ihr?” Edward drehte stirnrunzelnd seinen Kopf zu mir. “Daran kannst du dich noch erinnern?” Dann schüttelte er seinen Kopf und sah wieder auf die Fahrbahn. “Ich sollte ihm dabei helfen, einen richtigen Job zu finden, der mehr Geld bringt. Außerdem will er eine ordentliche Wohnung. Die Bruchbude, in der er momentan lebt, ist wohl alles andere als wohnlich. Zuerst sollte ich ihm einen Unterschlupf bei mir geben, bis er was gefunden hätte…” “Aber du wolltest nicht”, stellte ich fest. “Weil dir das zu sehr ans Herz gegangen wäre.” Ein trauriges Lächeln entstand auf seinem Mund. “Ich hab der Abmachung nur zugestimmt, wenn er so weit weg von mir wie möglich eine Bleibe findet und wenn er sich aus meinem Leben heraushält.” “Wäre es nicht besser, wenn er zuerst die Schule beendet? Mit einem Abschluss hat der doch viel bessere Möglichkeiten, Arbeit zu finden.” “Überzeug mal jemanden davon, der seit einem halben Jahr nicht mehr auf der High School war und seit drei Jahren mit seinen Eltern auf Kriegsfuß steht”, spottete er. “Oh…” Er sah kurz zu mir, dann seufzte er verständnisvoll. “Vielleicht schaffst du es ja, ihn zu überreden”, versuchte ich ihn aufzumuntern, doch bekam nur eine ungläubige Miene als Antwort. “Ich helfe dir auch, wenn du willst.” Wieder keine Antwort, dafür aber ein langer, intensiver Blick und ein festerer Druck seiner Hand, bevor er wieder - und noch rechtzeitig - auf die Straße sah. Die Ampel schaltete auf Rot. Wie gut, dass er dieses Mal wirklich langsamer fuhr. Trotzdem schlug mein Herz etwas zu schnell. Ich nahm mir vor, den Rest der Fahrt nichts mehr zu sagen, um ihn nicht noch weiter abzulenken. Am Ende würde ich noch Schuld an einem Unfall sein. Etwas später parkte er vor meinem Haus und stieg aus. Nur langsam machte ich mich an dem Gurt zu schaffen. So langsam, dass Edward genug Zeit hatte, an meine Seite zu treten und sich auf den Rand des Beifahrersitzes nieder zu lassen. Ich winkelte meine Beine ein Stück an und rutschte ein wenig zur Seite, um ihm Platz zu machen. Mein Kopf war noch immer auf den Verschluss gerichtet und irgendwie brachte ich es nicht zustande, diesen zu öffnen. Er kicherte leise, dann traten seine Hände in mein Blickfeld, wie sie meine weg schoben und er mich in nur wenigen Sekunden befreit hatte. “Danke”, murmelte ich und starrte noch immer nach unten auf unsere Hände, die wieder ineinander verschlungen waren. “Du wirkst nachdenklich”, stellte er fest. Ich wusste, dass sein Blick auf mir ruhte. Langsam hob er eine seiner Hände, strich liebevoll über meinen Kopf und legte sie letztendlich an meine Wange, doch ich vermochte immer noch nicht, nach oben zu schauen. Ich wusste ja selbst nicht, was auf einmal mit mir los war. Seine Berührung wanderte ein wenig nach vorne, halb unter mein Kinn und mit sanftem Druck hob er mein Gesicht. Die Wärme, die ich in diesem Moment in seinen Augen erkannte, verschlug mir die Sprache. Was bedeutete dieser Blick? Was war ich für ihn? Lange saßen wir so da, während das Gefühl seiner Haut auf meiner und die zärtlichen Liebkosungen seiner Finger auf meiner Wange ein einziges Chaos in mir verursachten. Erhöhter Puls, stockender Atem, gerötete Wangen, ein vermutlich dümmlicher Gesichtsausdruck, der ein kleines nervöses Lächeln auf seine Lippen zauberte… Ich versuchte die ganze Zeit, dieses Wesen direkt vor mir und sein gesamtes Verhalten zu entschlüsseln, doch vergebens. Mir fiel einfach nichts logisches ein. Und dann, aus einem Impuls heraus, schlang ich meine Arme um seinen Nacken und drückte mich so eng wie möglich an ihn. Er war erst etwas überrumpelt, erwiderte dann aber die Umarmung und - was ich eigentlich nicht für möglich gehalten hatte - erhöhte deren Festigkeit. “Bella”, flüsterte er verwirrt und strich mir gleichzeitig beruhigend über den Rücken. “Was ist los?” Doch ich bewegte nur meinen Kopf leicht hin und her. Im Augenblick war mir nicht nach reden zumute. Ich wollte ihn nur halten und selbst gehalten werden. Ich sog seinen süßlichen Duft ein, ließ meinen Körper von seiner Wärme durchfluten, genoss die Geborgenheit, die ich in seinen Armen verspürte… und ganz langsam… noch langsamer, als es überhaupt möglich war, beruhigte sich mein Herz. Ich entspannte mich und gab mich der Situation vollkommen hin. Ich schloss meine Augen und rutschte mit meinem Kopf noch dichter an seinen. Meine Hand vergrub sich in seinen bronzenen Haaren, während die andere sich noch weiter um ihn legte. “Besser?” flüsterte er nach einer Weile in mein Ohr, während er zaghaft über meine Haare strich. Ich atmete noch einmal tief ein und aus, dann nickte ich. Der kalte Nachtwind blies ein wenig ins Wageninnere und jagte mir eine Gänsehaut über meinen Rücken. Da wurde mir bewusst, wie spät es bereits war. Langsam löste ich mich von Edward, doch sein besorgter Blick ließ mich nicht los. Ich lächelte, um ihm zu zeigen, dass es mir gut ging. Nur widerwillig glaubte er meinem Schauspiel, sah mich aber weiterhin eindringlich an, während seine Hand zärtlich meine Wange streichelte. Er musste wissen, dass er keine Antwort auf seine unausgesprochene Verwirrung erhalten würde, also fragte er zu meinem Glück nicht weiter nach. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass es hinter dem Fenster zum Wohnzimmer flackerte. Charlie musste also schon da sein. Eine weitere Komplikation, der ich mich stellen müsste. “Ich sollte jetzt rein”, meinte ich und lächelte abermals. Edward musterte mich noch einen Augenblick, dann seufzte er und erwiderte mein Lächeln, wenn auch etwas unzufrieden. Sanft legte er seine weichen Lippen auf meine und verhaarte für ein paar Sekunden so, ehe er sich wieder ein Stück entfernte, mir noch einmal in die Augen sah und dann ausstieg, um mir ebenfalls herauszuhelfen. Ich wollte bereits zum Haus gehen, doch er hielt mich sachte am Handgelenk fest, um mich zu sich zurück zu ziehen. Er strich mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht und gab mir noch einen Kuss auf die Stirn. “Bis morgen früh”, hauchte er. “Ich werde wieder hier warten.” “Okay”, flüsterte ich ebenso leise, dann ging ich auf den Eingang zu. Bevor ich aufschloss, sah ich noch mal zurück. Edward saß bereits im Auto. Er lächelte noch einmal, bevor er den Motor startete und davonfuhr. Laut atmete ich aus. Sollte das wirklich so weitergehen? Es fiel mir ja jetzt schon schwer. Mit einem leisen Klick öffnete ich die Tür und trat ein. Aus dem Wohnzimmer drang das gedämpfte Murmeln des Moderators. Es musste wohl wieder ein Spiel laufen. Schweigend ging ich daran vorbei in mein Zimmer, ließ das Licht aus und legte meine Sachen in die Ecke, nur um mich anschließend quer aufs Bett fallen zu lassen. Erst da fiel mir auf, dass ich mich beinahe auf etwas gelegt hätte, das heute morgen definitiv noch nicht dort war. Ich drehte mich zur Seite und stützte mich auf einem Arm ab. Es musste eine Art Mappe sein, ein Ordner. Ziemlich schmal, also konnte nicht sonderlich viel darin sein. Ich beugte mich kurz nach hinten, um die Nachttischlampe anzuschalten. Als ich jetzt im Licht mehr erkennen konnte, sah ich, um was es sich da handelte. Eine Polizeiakte. Doch nicht nur irgendeine. Nein, es war die von Edward! Ohne Zweifel musste Charlie sie hierher gepackt haben. Aber wie war er überhaupt daran gekommen? Es war doch überhaupt nicht erlaubt, einfach so an derartige Dinge zu gelangen. Und schon gar nicht ein einfacher Straßenpolizist wie er konnte dazu in der Lage sein. Machte er sich wirklich dermaßen Sorgen um mich, dass er zu solchen Mitteln griff? Als würde ich etwas heißes anfassen, strich ich vorsichtig über die dicke, gelblich-braune Pappe, bis meine Finger bei dem Namen des Besitzers hängen blieben. Edward Anthony Cullen. Einerseits wollte ich nicht hineinsehen, andererseits war ich sehr neugierig. Innerlich rang ich mit mir. Was würde ich dort finden? Hatte mein Dad bereits nachgesehen und wusste, was Edward früher alles angestellt hatte? Und genau da lag der Knackpunkt. Mein Daumen lag schon an der Ecke. Bereit, den Deckel aufzuschlagen, hielt dann aber inne. Früher… Er hatte mir erzählt, was früher war. Hatte mir vertraut. Und jetzt musste ich ihm vertrauen. Das war ich ihm schuldig. Ich würde nicht nachsehen, nur um meine Neugierde zu befriedigen. Nur um etwas bestätigt zu haben, das ich schon längst wusste. Meine Finger entfernten sich wieder von der Mappe und strichen abermals darüber. Dann nahm ich den Ordner und ging damit zu meinem Dad. Er sah nicht auf, als ich das Zimmer betrat. Auch nicht, als ich mich zu ihm aufs Sofa setzte. Ganze fünf Minuten sahen wir schweigend in den Fernseher und verfolgten das Baseballspiel. Meine Lippen formten ein kleines Lächeln bei der Erinnerung an das Game, das ich hautnah erleben durfte. Charlie nahm die Fernbedienung in die Hand und drückte auf die Mute-Taste. Jetzt war es ganz still um uns herum, beinahe erdrückend. Ich räusperte mich kurz, bevor ich die Akte auf den Couchtisch legte. “Dad”, fing ich an. “Du hast sie dir nicht angesehen, oder?” unterbrach er mich, klang dabei aber völlig ruhig. Ich war nicht überrascht, dass er zu so einer Schlussfolgerung kam. Schließlich kannte er mich am besten. Ich schüttelte meinen Kopf. “Nein.” “Hör zu, Bells… Ich bin mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass es einen guten Grund geben muss, warum du und Claire keinen Kontakt mehr habt.” Verblüfft drehte ich meinen Kopf zu ihm. Mit diesem abrupten Themenwechsel hatte ich nicht gerechnet. Ich dachte, wir würden über Edward reden. “Ich geh davon aus, dass du mir nicht erzählst, was genau passiert ist, oder?” Fragend drehte er seinen Kopf zu mir. Kurz sah ich ihn an, dann antwortete ich leise. “Nein, tut mir Leid.” Allein die Erinnerung daran schmerzte. “Schon gut. Ich hab nichts anderes erwartet. Ich will auch gar nicht weiter nachfragen. Das ist eine Sache zwischen euch beiden. Wenn sie etwas ungerechtes getan hat und du nichts mehr mit ihr zutun haben willst, dann ist das deine Entscheidung.” Innerlich atmete ich erleichtert auf. Dafür liebte ich meinen Dad. Er hielt sich aus den meisten Dingen heraus, wenn auch nicht aus allen. “Aber die Sache mit deinem Freund”, fuhr er fort. Ich wusste, dass er in der Hinsicht noch nicht locker lassen würde. “Es ist nicht so, dass ich mich nicht für dich freue. Ich will nur nicht, dass du dich mit den falschen Leuten aus den falschen Gründen abgibst.” “Falsche Gründe?”, wiederholte ich seine Worte. Einen Augenblick musterte er mich nachdenklich. “Dass du dich auf ihn einlässt, weil du das Warten auf den Richtigen vielleicht satt hast…” Mein Mund klappte leicht auf, doch ich schüttelte schnell meinen Kopf. “Nein, Dad. So ist das nicht-” “Was wenn er es nur solange mit dir aushält, weil er ganz bestimmte Absichten verfolgt?” warf er ein. “Dad!” “Ich will nur nicht, dass mein Mädchen eine zu große Enttäuschung erlebt.” “Meinst du nicht, dass ich bereits eine Menge Enttäuschungen hinter mir habe?” Ich presste meine Lippen zusammen. Er wusste doch von all meinen vermasselten Verabredungen. Charlie seufzte und ein mitfühlender Blick trat auf sein Gesicht. Ein wenig überraschend, da er sonst nie Emotionen zeigte. “Und deshalb hab ich Angst, dass du noch mehr darunter leidest. Es kommt mir nämlich so vor, als wäre es dieses Mal etwas ernster.” Dass ihm das aufgefallen war. Waren mir meine Gefühle so anzusehen? “Dad… Du musst dir keine Sorgen machen. Edward ist ein anständiger Kerl. Er hat mir schon mehr geholfen, als irgendjemand sonst.” Und das war die Wahrheit. Ich wusste nicht, in welchem Zustand ich jetzt vor ihm sitzen würde, hätten Alice und Edward mich nicht bei der Sache mit Tayk und Claire unterstützt. “Du vertraust ihm, oder?” fragte er skeptisch. Ich nickte und holte tief Luft, um meinen Standpunkt noch mit einem festen und deutlichen “Ja” zu unterstreichen. Für ein paar Sekunden saßen wir da und beobachteten uns gegenseitig. Nur ganz langsam und vorsichtig zuckten seine Mundwinkel ein Stück nach oben. “In der Küche ist noch Pizza. Falls du Hunger hast”, durchbrach er die Stille. Schwerfällig erhob er sich und griff nach dem Ordner. “Das hier werde ich mal morgen wieder wegbringen.” Er strich mir noch über den Kopf, als er an mir vorbeiging. “Danke”, sagte ich, bevor er den Flur erreicht hatte. Er stoppte und hob seine Hand kurz in die Luft, dann verließ er das Zimmer. Jetzt lächelte auch ich. Dankbar, dass er mir dasselbe Vertrauen entgegenbrachte, wie ich Edward. Obwohl ich genügend Schlaf bekommen hatte, fühlte ich mich nicht besonders ausgeruht. Nur schwer raffte ich mich auf, um mich für den Tag fertig zu machen. Charlie war wie immer bereits wach. Als ich in die Küche kam, saß er am Tisch und las die Zeitung. “Morgen, Bells”, begrüßte er mich. Freundlich, so wie sonst auch. “Morgen.” Ohne ein weiteres Wort zu wechselten, aß ich mein Frühstück. Das Schweigen war nicht unangenehm, sondern das, was uns vor unserer kleinen Auseinandersetzung ständig umhüllt hatte. Ein Hupen signalisierte mir, dass Edward da war. Mein Kopf schnellte in die Höhe und sofort kribbelte es in meinem Bauch. Allerdings mit gemischten Gefühlen. Einerseits wollte ich nichts sehnlicher, als ihn wieder zu sehen, andererseits bedeutete das auch, mich abermals der Tatsache zu stellen, dass er nicht wirklich meiner Willen an mir interessiert war, als vielmehr einem Schatten, der jemandem aus seiner Vergangenheit ähnelte. Charlies Haltung hatte sich ebenfalls geändert. Er wirkte jetzt leicht angespannt. “Bis heute Abend”, verabschiedete ich mich von ihm, nahm meine Sachen und verließ das Haus. Edward lehnte an seinem Auto und hatte die Arme ineinander verschränkt. Als er mich sah, bildete sich ein Lächeln auf seinen Lippen, das mir Herzrasen beschwerte und meinen Körper mit Wärme flutete. Er kam mir entgegen und nahm mich sofort in die Arme, als hätte er mich seit Wochen nicht gesehen. “Guten Morgen”, flüsterte er mir ins Ohr und drückte mir einen zärtlichen Kuss auf eben diese Stelle. “Morgen”, antwortete ich leise. Noch bevor er sich wieder von mir löste, versteifte er sich kaum merklich. “Guten Morgen, Mr. Swan.” Er stellte sich gerade hin und ließ nur seinen Arm um meine Taille. Als ich mich umdrehte, bemerkte ich meinen Dad im Türrahmen stehen. Seine schmalen Augen musterten Edward wachsam. Als wollte er ihm allein dadurch mitteilen, dass er ihn im Auge behalten würde. “Morgen”, sagte er schließlich, stand noch für einen Moment reglos da und verschwand dann wieder im Haus. Edward zog mich langsam zum Volvo und als wir eingestiegen waren, nahm er wie selbstverständlich meine Hand in seine. “Hab ich… irgendwas falsch gemacht?” fragte er, als wir schon ein Stück weit gefahren waren. “Wie kommst du darauf?” “Also der Blick von deinem Vater war unmissverständlich”, lächelte er trüb und sah mich an, als hätte ich auch selbst darauf kommen können. “Er… ist nur vorsichtig. Das ist alles. Schließlich hatte ich noch nie solange einen Freund, verstehst du? Er will einfach nicht, dass ich verletzt werde…” Kurz sah er zu mir. Sein Blick war undefinierbar. Als wollte er analysieren, ob ich auch die Wahrheit sagte. Ob er zu einer Antwort kam, wusste ich nicht, denn er schwieg, als er wieder auf die Fahrbahn schaute. Er dachte nach, soviel stand fest, doch er war nicht böse auf mich. Er schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein. Irgendwann entspannte sich seine Miene und kurz darauf spürte ich, wie seine Finger mit meinen spielten. Ich beobachtete das Hin und Her und ohne es beeinflussen zu können, zogen sich meine Mundwinkel nach oben. Seine Fingerspitzen kitzelten meine Handinnenfläche und ein Gefühl wie ein leichter Stromschlag durchzuckte meinen gesamten Arm. Mein Lächeln wurde breiter. Mein Blick folgte seiner Bewegung, als er unsere miteinander verschränkten Hände hob und an sein Gesicht führte. Er legte meinen Handrücken auf seine Wange, schloss die Augen und atmete tief ein. Anschließend hauchte er einen langen Kuss auf meine Haut, öffnete seine Augen wieder und sah mich liebevoll an. So liebevoll, dass ich nach Luft schnappen musste. Moment mal! Wieso konnte er mich solange ansehen, geschweige denn seine Augen schließen? Abrupt drehte ich meinen Kopf nach vorne und starrte durch die Windschutzscheibe. “Wir sind da”, schmunzelte er. “Oh” war alles, was ich hervorbrachte, was ihn nur noch mehr kichern ließ. “Na komm”, meinte er und stieg aus. Als wir beide draußen standen, nahm er sofort wieder meine Hand und gab ihr einen leichten Druck. Wir hatten erst die Hälfte des Schulhofs überquert, da kam Alice uns auch schon entgegen. Ein Strahlen auf dem Gesicht. “Hallo.” Sie umarmte erst mich ganz fest, dann Edward und ihre sonderbar gute Laune steckte schon fast an. Aber nur fast. “Warum so fröhlich?” fragte ich sie, während wir uns auf den Weg zur ersten Stunde machten. “Nur so.” “Hat es was mit Jasper zutun?” Augenblicklich erhellte sich ihr Gesicht und sie grinste. “Vielleicht?” “Ist gestern noch irgendwas passiert?” Musste man ihr jedes Wort aus der Nase ziehen? Sie schüttelte den Kopf. “Nicht was du denkst. Wir haben nur geredet und festgestellt, dass wir uns super ergänzen.” Edward hörte ihr genauso gespannt zu wie ich und zog mich dabei an seine Seite, um seine Lippen auf meine Haare zu legen. Und obwohl mir diese Geste einen Schauer über den Rücken jagte, fühlte ich mich gleichzeitig unwohl und verkrampfte mich ungewollt. Ich hoffte nur, dass er es nicht mitbekam. Ich lächelte Alice an, oder versuchte es zumindest. Sie erwiderte es, wurde aber gleich darauf ernst. “Fühlst du dich nicht gut?” Warum musste sich meine Gefühlswelt eigentlich jedem so offen darbieten? Doch noch ehe ich etwas erwidern konnte, hatte Edward schon das Wort ergriffen. “Sie ist nur noch nicht ganz wach. Das ist alles.” Ich fragte mich, ob ihm meine trübe Stimmung doch aufgefallen war. Ein Wunder wäre es jedenfalls nicht. Im Schauspielern war ich schließlich kein Naturtalent. Alice sah ihn stirnrunzelnd an, dann mich und dann seufzte sie lächelnd. Heute hatten wir drei die erste Stunde gemeinsam. Wir betraten den Klassenraum und setzten uns jeder auf unsere Plätze. Edward saß wie immer ein paar Reihen vor mir, während Alice gleich neben mir war. Ab und an, wenn ich zu ihr hinüber schaute, hatte sie ein Lächeln auf den Lippen. Ich freute mich für sie, doch im selben Moment machte mich der Anblick wehmütig. Sie wusste wenigstens, dass Jazz sie ihrer wegen mochte und keinem Phantom nachjagte. Ich hingegen lebte in einer Welt, in der mal wieder alles eher Schein als Sein war. Und obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, meine Rolle zu spielen, spürte ich, dass ich das nicht lange aushalten würde. Dafür war ich einfach zu sehr in ihn verliebt. Unerwiderte oder falsch erwiderte Gefühle konnten höllisch wehtun. Außerdem schien er schon sehr bald selbst dahinter zu kommen, dass mit mir nicht alles in Ordnung war. Spätestens dann müsste ich mich der Situation endgültig stellen. Doch noch war es nicht soweit und innerlich war ich ein klein wenig erleichtert, dass wir den Rest des Vormittages nicht zusammen Unterricht hatten. Das Klingeln zum Ende der Stunde riss mich unsanft aus meinen Gedanken. “Na? War der Stoff so anstrengend?”, lächelte Edward mitfühlend, als er an meinen Tisch trat. “Ein bisschen”, log ich. Die Wahrheit war, dass ich überhaupt nicht auf das Thema geachtet hatte. Alice verabschiedete sich bereits auf dem Flur von uns, um zu ihrem nächsten Fach zu gehen, während Edward mich noch zur meiner zweiten Stunde begleitete. Am Klassenraum angekommen, streichelte er mir verträumt über die Wange, weswegen sich das Blut darunter wieder sammelte und seine Lippen ein schmales Lächeln formten. Und doch wirkte er abermals nachdenklich. “Bis nachher”, hauchte er an meine Stirn, ehe er seine Worte mit einem Kuss auf diese Stelle versiegelte. Ich nickte, lächelte ihn noch einmal an und verschwand gleich darauf in dem Raum hinter mir. Der Rest des Vormittages verging eher schleppend und ständig machte ich mir Gedanken darüber, wie ich das Ganze am erträglichsten für uns beide machen konnte. Doch mir viel keine einzige Lösung ein. Dazu kam, dass ich manchmal immer noch verstohlene Blicke von anderen Schülern zugeworfen bekam und zu allem Überfluss war mir Claire einmal über den Weg gelaufen. Zwar nur ganz kurz, doch in dem Moment, in dem unsere Blicke einander streiften, erfüllte der blanke Hass ihr Gesicht. Völlig durcheinander wegen diesem kleinen Zusammentreffen, bemerkte ich nicht, wie ich auf dem Weg zur Cafeteria in jemanden hineinlief. Er hielt mich sachte an den Schultern fest, damit ich nicht nach hinten fiel. “Oh, Entschuldigung”, sagte er höflich, als sei er für den Zusammenstoß verantwortlich. Ich sah zu ihm auf und erst jetzt erkannte ich, dass er keiner der Schüler war. Dazu war er zu alt. Ich schätzte ihn auf Anfang Zwanzig. Er hatte kurze, hellbraune Haare und dunkle Augen, und seine Kleidung war lässig. “Kein Problem”, murmelte ich. “Ich hab ja nicht aufgepasst. Also muss ich mich entschuldigen.” Er lachte kurz auf, dann ließ er mich los und trat einen Schritt zurück. “Wie dem auch sei. Ich muss jetzt leider weiter, aber vielleicht sieht man sich ja noch mal.” Er zwinkerte mir noch zu, dann ging er an mir vorbei und verschwand im Flur. Ich sah ihm noch kurz hinterher. “Bella!” Das war Edwards Stimme. Ich drehte mich wieder zurück. Er kam auf mich zu und musterte mich mit gerunzelter Stirn. “Wer war das?” Ich zuckte mit den Schultern. “Keine Ahnung. Hab ich noch nie hier gesehen.” Er schaute ebenfalls noch einmal den Gang entlang, ehe er mich bei der Hand nahm und mit sich zog. Etwas zu grob meiner Meinung nach. Ich hatte Mühe, nicht zu stolpern. Erst als wir an der Cafeteria vorbei liefen, fiel mir auf, dass er einen verbissenen Ausdruck auf dem Gesicht hatte. Vor einer seltsam bekannten Tür blieb er stehen und schob mich sanft hinein. Ja, an diesen Ort konnte ich mich noch erinnern. Es war die Besenkammer, in der ich ihm von unserer Scheinbeziehung erzählt hatte. Leise und schnell schloss er die Tür hinter sich. Das schummrige Licht des Flures, das durch die raue Scheibe trat, zeichnete nur grob seine Konturen nach. “Was-”, setzte ich an, konnte den Satz aber nicht beenden. Ein mulmiges Gefühl entstand in meinem Magen. “Bella”, seufzte Edward gequält. Er legte seinen Kopf in den Nacken, atmete einmal laut aus und stemmte seine Hände in die Hüften, als er mich wieder ansah. “Verrätst du mir bitte, was mit dir los ist? Seit gestern Abend benimmst du dich merkwürdig. Wenn es etwas mit dem zutun hat, was ich dir erzähl-” “Nein”, fuhr ich ihm hastig dazwischen, nur um den nächsten Satz mehr zu mir selbst zu flüstern. “Nicht direkt…” Da war er. Der Moment, der unausweichlich war. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass er so schnell kommen würde. Es musste ihm also tatsächlich aufgefallen sein. “Was dann?” In seiner Stimme lag die pure Verzweiflung. Er machte sich Sorgen und weil er nicht wusste, was ich hatte, konnte er mir auch nicht helfen. Als wenn er das könnte, selbst wenn er der Grund kannte… Ich hatte meinen Blick auf den Boden gerichtet, doch seine Hände legten sich vorsichtig an mein Gesicht und zwangen mich, seinem Blick zu begegnen. “Bella”, hauchte er nervös. “Ich ertrage es nicht, dich so unglücklich zu sehen. Bitte verrate mir, warum du dich so traurig fühlst.” “Ich…” fing ich an, doch eigentlich wusste ich überhaupt nicht, wie ich es ihm erklären sollte. Ungeduldig huschten seine Augen hin und her. “Ich… Weißt du, das ist nicht so leicht.” “Versuch es”, bat er eindringlich. Der Kloß in meinem Hals wurde immer größer und das Schlucken fiel mir schwer. “Ich… hab wirklich versucht, mir das Alles nicht so zu Herzen zu nehmen. Ich wollte dir helfen. Auch wenn deine Gefühle nicht wirklich mir gelten.” “Was?” fragte er auf einmal völlig irritiert. “Was soll das denn heißen?” “Ich weiß, dass ich nicht Leah bin. Und das werde ich auch nie sein, aber vielleicht-” “Moment mal”, unterbrach er mich. “Was hat sie denn damit zutun?” Einen Augenblick hielt ich die Luft an. “…Ich weiß, dass du sie in mir siehst.” Das verschlug ihm die Sprache und er rang ernsthaft nach Worten. “Wie kommst du darauf?” Vollkommen entgeistert starrte er mich an. “Wieso sollte ich dich für sie halten?” “Das hast du doch selbst gesagt… Ich würde dich an sie erinnern.” “Bella…”, presste er hervor und klang jetzt wieder genauso gequält wie am Anfang. “Du glaubst, du wärst ein Ersatz?” Ich nickte stillschweigend. Wieder fehlten ihm die Worte, doch dann lachte er leise und verzweifelt auf. Die Erleichterung war unverkennbar. “Und ich dachte schon, du hättest jetzt Angst vor mir.” Erst verstand ich nicht, worauf er hinaus wollte, doch dann fiel mir ein, dass er ja dachte, er sei ein Mörder. Dass er auf so etwas kam, war wiederum für mich unbegreiflich. Als er wieder anfing zu reden, wirkte er ein klein wenig entspannter. “Es stimmt, dass du mich durch dein ganz eigenes Talent ein wenig an sie erinnert und so meine Aufmerksamkeit erregt hast, aber… das ist auch schon alles. Wärst du genauso wie sie… Nein, wäre sie genauso wie du gewesen, hätte ich mich doch in sie verliebt… Aber das habe ich nicht.” Ich wollte etwas sagen, doch er legte mir seinen Daumen auf die Lippen. “Weißt du, warum du so einzigartig bist? Was mich so an dir faszinierst?” Ein Lächeln, sogar durch das Halbdunkel erkennbar, zierte sein makelloses Gesicht. “Deine rehbraunen Augen, in die ich versinke und die mich süchtig danach machen… Deine dunklen Haare, die ständig zwischen deinen Lippen hängen bleiben, ohne dass du es bemerkst… Deine kleine spitze Nase, die du so niedlich rümpfst, wenn du böse wirst… Die kleine Falte, die sich zwischen deinen Augenbrauen bildet, wenn du etwas als absolut ungerecht empfindest… Deine blasse Haut, dessen Teint sich immer wieder aufs neue in diesem wunderschönen Rosé-Ton verfärbt, wenn ich das hier mache…” Vorsichtig kam er näher und küsste zärtlich meinen Wangenknochen. Und wie er es eben noch erzählt hatte, wurde mein Gesicht warm und ich wusste, dass ich rot geworden war. Mein Herz raste und meine Atmung ging so flach, dass ich nicht sicher war, ob diese Funktion überhaupt noch funktionierte. “Oder das hier…”, flüsterte er und legte seine Finger an meinen Hals, nur um das zu bestätigen, was ich eben erst selbst festgestellt hatte. “Dass du das Atmen vergisst, wenn ich dir zu nahe komme…” Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen und ich spürte, wie meine Augen feucht wurden, als seine Worte in meinem Kopf widerhallten und ich nach und nach den Sinn begriff. Ihre Bedeutung, die mich unkontrolliert erzittern ließ und nur schwer in mein Bewusstsein drangen. Er betrachte mich mit einem so unglaublich intensiven Blick, der meine Knie weich werden ließ und ganz langsam zog er mein Gesicht wieder dichter an seines, was dazu führte, dass sich mein Puls beinahe überschlug. Wenn das denn überhaupt möglich war. Millimeter für Millimeter verringerte sich der Abstand zwischen uns und ich sehnte mich nach dem Augenblick, der danach folgte. “Bella, ich-” Ein Klingeln. Im ersten Moment dachten wir, dass es die Schulglocke war, doch es stellte sich heraus, dass Edwards Handy uns unterbrochen hatte. Seufzend löste er eine Hand von meiner Wange und holte es aus seiner Tasche. “Ja?” sprach er hinein. Sein warmer Blick ruhte auf mir. “Emmett…! Was-… Donnerstag?” Kurze Pause, dann grinste er. “Ehm… Ich kann sie mal fragen…” Wieder Stille. “Ja… …Aha…” Während er sprach, läutete es jetzt auch tatsächlich zum Ende der Mittagspause. Edward schloss die Augen und seine Braue zuckte leicht genervt in die Höhe. “Das war die Schulglocke… Ja, ich hab noch Unterricht…” Ich konnte mir ein leises Schmunzeln nicht verkneifen, was ihn seinen Blick sofort wieder auf mich richten ließ. Er lächelte. “Okay, bis dann.” Er klappte das Telefon zu und steckte es wieder weg. “Was wollte er?” fragte ich neugierig. “Das erzähl ich dir später, aber erstmal sollten wir hier raus, sonst kommen wir noch zu spät.” Wir traten auf den Flur und zu meinem Bedauern waren ein paar Schüler anwesend, die uns überrascht ansahen. Warum hatte ich bloß das dumpfe Gefühl, für neue Gerüchte verantwortlich zu sein? Mein Kopf wurde feuerrot, im Gegensatz zu Edwards. Den schien das nicht im Geringsten zu stören. Er legte seinen Arm um meine Hüfte und spazierte ruhig den Gang entlang. Dieses Mal verkrampfte ich mich nicht. Ich musste zugeben, dass seine Worte einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatten, auch wenn immer noch kleine Zweifel aufkommen wollten. Und dennoch glaubte ich ihm jede Silbe, die sich wie Balsam auf meine Seele legte. Ich konnte wieder Hoffnung schöpfen. Er war doch wegen meiner mit mir zusammen. Ich war kein Lückenfüller. Ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus und als wäre eine riesige Bürde von mir gefallen, fühlte ich mich leichter. Edward setzte mich vor meinem nächsten Klassenraum ab. “Ich hab nachher noch Training. Wenn du willst, kannst du mit Alice nach Hause fahren.” Es klang, als wollte er diesen Satz eigentlich nicht sagen und als ich ihm antwortete, ich würde auf ihn warten und ihm beim Spiel zusehen, hellte sich seine Miene auf. Gleich darauf sah er aber wieder besorgt aus. “Wegen vorhin… Du glaubst mir doch, oder? Du bist wirklich kein Ersatz. So etwas würde ich dir niemals antun.” Ich holte tief Luft und dachte noch einmal darüber nach. Er hatte so ernst geklungen, so sicher in seinem Standpunkt, dass es fast unmöglich war, seine Worte als eine Lüge zu sehen. Und das würde er doch erst recht nicht tun. Er würde mich nicht anlügen. Natürlich konnte ich mir noch nicht hundertprozentig sicher sein, aber ich wollte es. Ich wollte es so sehr. Um zu verhindern, dass ich unter all der Last zusammenbrach. Zaghaft nickte ich. “Okay”, lächelte er, strich mir über den Kopf und hauchte einen Kuss auf meine Lippen. “Bis nachher.” Ich musste ihm einfach glauben. ~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich bin mir mit dem Chap etwas unsicher. Ich hoffe, es gefällt...^^ Kapitel 21: Will she see? How much she means to me... ----------------------------------------------------- Eine seltsame Unruhe erfasste mich, während ich dem Unterricht der letzten beiden Stunden folgte. Dieses Mal konnte die Zeit gar nicht schnell genug vergehen. Doch wie es nun mal so war, lief sie dann erst recht langsam. Aber selbst das überstand ich. Ich hatte ja keine andere Wahl, als es auszuhalten. Dann klingelte es endlich. Schnell packte ich meine Sachen zusammen und huschte aus dem Raum, nur um in der darauf folgenden Sekunde in Edwards Arme zu stolpern. “Auf einmal so stürmisch?” lächelte er verhalten und eine gewisse Wachsamkeit war noch in seinen Zügen zu lesen. Er war sich wohl noch nicht ganz sicher, ob ich seinen Worten auch wirklich Glauben schenkte. “Wir sollten los”, meinte ich und überging seinen Kommentar. Ich zog ihn bei der Hand hinaus aus dem Gebäude. Kurz bevor wir die Umkleiden erreicht hatten, kam uns Alice auf einmal entgegen. Wie heute morgen ein einziges Strahlen auf dem Gesicht. “Was machst du denn hier?” “Ich warte auf Jazz”, verkündete sie. “Er hat aber noch Baseballtraining”, meinte Edward und sah sie verwundert an. “Ich weiß. Aber da wir abgemacht haben, dass ich ihn jetzt auch immer nach Hause fahre, bleibt mir ja nichts anderes übrig.” “Ehm, Alice… er wohnt nur zwei Blocks entfernt von hier”, erklärte ihr mein Freund. “Das macht doch nichts.” Egal was wir sagten, nichts davon verhinderte das Zucken ihrer Mundwinkel, was sie angestrengt versuchte, zu unterdrücken. “Ich lass euch dann mal alleine”, kicherte Edward auf einmal, gab mir noch einen Kuss auf die Haare und ging weiter. “Du hast dich verknallt, oder?” Der Satz kam einfach so über meine Lippen, als wir uns zum Spielfeld begaben und uns einen schönen Platz auf den Tribünen suchten. Wie nicht anders zu erwarten, hatten sich bereits ein paar weitere, weibliche Schüler versammelt. “Vielleicht”, antwortete sie nur. Das Wort kam nicht im Ansatz an den Ausdruck in ihrem Gesicht heran, der mir förmlich sämtliche Emotionen entgegen schrie. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass das Team näher kam. Edward und Jasper waren weiter hinten und unterhielten sich angeregt. Ob er von Alice erzählte? Oder doch eher von ein paar Spieltaktiken. Ihre Unterhaltung wurde jäh unterbrochen, als Jazz zur Seite deutete. Ich folgte seinem Blick… und konnte meinen Augen kaum trauen. War das ein Kurier? Hier in der Schule? Er hatte einen riesigen Blumenstrauß in der Hand. Wenn ich mich nicht irrte, waren es weiße Lilien. Er ging auf die Mannschaft zu und kurz darauf deutete einer der Spieler auf die Zuschauerreihen. Sofort setzte er seinen Weg fort, bis er schließlich in der Mitte der Reihen stand. Da erkannte ich, wie abgehetzt er wirkte. Alle Augenpaare, die des Baseballteams, als auch die der Mädchen, einschließlich unsere, waren auf ihn gerichtet. “Ist eine… “ Kurz sah er auf einen Zettel. “…Alice Brandon anwesend?” schrie er in die Runde und ließ seinen Blick über die Bänke wandern. Selbst in seiner Stimme hörte man, wie sehr er aus der Puste war. Mein Kopf schnellte zur Seite und ich sah die Schwarzhaarige neben mir mit großen Augen an. Diese hob ihren Arm, als hätte sie so was kommen sehen. Und das, obwohl sie nicht minder überrascht aussah. Erleichtert, dass sich jemand auf seine Frage meldete, kam er auf uns zu und verschnaufte erst einmal. “Gott sei Dank… habe ich Sie noch erwischt. Ich dachte schon, ich würde Sie verpassen… Das hier ist an Sie gerichtet…” Er hielt ihr ein elektronisches Gerät hin, auf das sie ihre Unterschrift setzte, dann übergab er ihr den Blumenstrauß. “Also…” Er atmete noch einmal tief durch. “Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag.” Er hob sein Cap zur Verabschiedung, ehe er sich umdrehte und - jetzt etwas ruhiger - davonging. Ich hatte ein wenig Mitleid mit ihm. Wie lange musste er wohl durch die Schule gelaufen sein, bis er sie gefunden hatte? Alice derweil hatte sich bereits die Blumen näher angesehen und die kleine Karte, die darin steckte, geöffnet. Neugierig beugte ich mich zu ihr hinüber und las den Text darauf. Liebste Ich bin so froh, dich endlich gefunden zu haben. Du glaubst gar nicht, wie lange ich nach dir gesucht habe. Ich werde dich nie wieder gehen lassen. Nichts und niemand wird uns je trennen können. In nach dir verzehrender Liebe J. J… Konnte das etwa? Konnte diese wahnsinnig schöne Überraschung wirklich von… Jasper stammen? Mein Herz klopfte so schnell, als wäre es direkt an mich adressiert gewesen. Auf meinen Lippen bildete sich langsam ein Grinsen, während ich vorsichtig zu Alice schielte. „Du hast einen Verehrer“, stellte ich trocken fest und versuchte gleichzeitig, sie aus der Starre zu holen, die gerade ihren gesamten Körper befiel. Sie war sprachlos. Ihr Mund war geöffnet, doch ich vernahm keinen Laut. Hinter mir hörte ich ein paar andere Schüler nuscheln - nicht anders zu erwarten, bei so einer Aktion - und als ich kurz zur Mannschaft sah, die sich auf ihren Plätzen positionierte, suchte ich Jasper, um meine Vermutung bestätigt zu wissen. Doch als ich ihn gefunden hatte, wurde ich nicht wirklich schlauer. Nur eine Sekunde lang sah ich, dass er zu uns geschaut hatte, doch dann wandte er sich schlagartig seinem Training zu. Edward war das alles ebenfalls aufgefallen und ein fragender Blick lag auf seinem Gesicht, als er immer wieder zu uns hoch sah. Es war doch Jasper, der Alice diese… unerwartete Freude gemacht hatte, oder? Wer sonst würde so etwas aufwendiges tun? Oder war ihm das jetzt peinlich? Ich deutete kurz auf den Blondschopf, als Edward abermals zu mir sah. Er verstand sofort. Einen Augenblick wirkte er überrascht, schüttelte aber anschließend grinsend den Kopf, ehe er sich dem Spiel zuwandte. Ich musste ebenfalls grinsen. Neben mir wurde laut Luft ausgestoßen und ich wusste, dass Alice wieder aufgetaut war. „Alles okay mit dir? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen“, meinte ich. „Was?“ schreckte sie hoch und sah mich überrascht an. „Oh, ach so. Nein. Ich war nur etwas durcheinander.“ Sie lächelte entschuldigend. „Wäre ich auch, wenn Edward so was machen würde. Ich finde es jedenfalls sehr… romantisch von Jazz.“ „Jazz?“ fragte sie verwundert. „Wer sonst? Schließlich steht da ein J unter. Ich kenne sonst niemanden, dessen Name so anfängt. Und außerdem ist es offensichtlich“, fügte ich sicherheitshalber hinzu, denn wie es aussah, war sie noch nicht auf diesen Gedanken gekommen. Sie blickte mich noch verwirrter an, als vorher, bis sie letztendlich dann doch die Erkenntnis traf und ihre Augenbrauen noch höher wanderten. Ihr Kopf schoss Richtung Spielfeld, direkt zu Jasper und ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen. „Verstehe…“ Während des gesamten Trainings hörte ich kein einziges Wort mehr von ihr. Ihre Augen hingen ununterbrochen an einer ganz bestimmten Person und ihre Pupillen sahen leicht glasig aus. Teilweise machte ich mir ernsthafte Sorgen, ob sie nicht eventuell an einem Schock litt. Bei ihr konnte ich mir alles mögliche vorstellen. Trotzdem kam sie mir seltsam unruhig vor. Ich bildete mir ein, dass es an den Blumen lag und dass sie deshalb einfach nur aufgeregt war. Alle fünf Minuten sah ich aus den Augenwinkeln zu ihr herüber, traute mich aber nicht, sie weiter auf das Thema anzusprechen. Wenn sie mich mal erwischte, wie ich sie anstarrte, lächelte sie, als wollte sie mir zeigen, dass alles in Ordnung sei. „Alice?“ fragte ich vorsichtig nach einer Weile, weil ich mich einfach nicht mehr zurückhalten konnte. „Hm?“ Dass sie dieses Mal gleich reagierte, war ein gutes Zeichen. „Freust du dich gar nicht?“ Ein wenig erstaunt sah sie mich an, woraufhin ich auf die Blumen deutete. Ihr Blick folgte meinem und sie verstand sofort. Ihre Hand wanderte langsam über die zusammengerafften Stängel, bis sie am Ende an den Blütenblättern innehielt. „Doch“, sagte sie in einem leicht verträumten Ton, unter den sich schwach Nervosität mischte. „Aber?“ hakte ich nach. Ihr Kopf drehte sich wieder zu mir und ein unsicheres Lächeln lag darauf. Moment. Alice und unsicher? „Weißt du, ich hab irgendwie so ein komisches Gefühl dabei.“ Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Ich versteh nicht ganz. Ich dachte, du magst ihn. Ich meine, so wie du aussiehst, wenn du an ihn denkst - und das ist in letzter Zeit ziemlich häufig der Fall gewesen… Also wo ist das Problem? Du bist doch sonst nicht so schüchtern.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob es überhaupt was mit ihm zutun hat. Es ist einfach…“ Sie rang nach Worten. „…als würde sich da was zusammenbrauen, etwas ungutes.“ Zwar sehr schwach, doch ein bisschen beunruhigte mich ihre Aussage. Außerdem passte es perfekt zu der Vorahnung der Wahrsagerin. „Ich kann mich auch irren“, fügte sie schnell hinzu, als hätte sie etwas in meinem Gesicht gelesen, das sie dazu verleitete, ihre eigenen Worte abzuschwächen. „Hoffen wir es“, entgegnete ich nur und lächelte. Sie nickte verhalten und sah wieder nach vorne. Als das Training vorbei war und die Spieler ihre Sachen von den Bänken nahmen, stand ich auf, um zu Edward zu gehen. Ich nahm an, dass Alice mir folgen würde, doch kurz bevor ich die unterste Sitzreihe erreicht hatte und nach hinten sah, war sie verschwunden. Mein Blick suchte die Umgebung ab und fand sie schließlich schon etwas weiter entfernt zurück zur Schule laufen, die Blumen - für meinen Geschmack etwas achtlos - an der Seite hängend. Ich dachte eigentlich, dass sie auf Jasper warten und die beiden Jungs mit zur Kabine begleiten würde. „Alice!“ rief ich ihr hinterher. Glücklicherweise hatte sie mich noch gehört, denn sie drehte sich zu mir um. „Wo willst du hin?“ Sie hob kurz den Strauß hoch. „Das hier wegbringen.“ Und schon machte sie sich wieder auf den Weg. Ihr noch immer hinterher sehend, setzten sich meine Beine bereits wieder in Bewegung. „Ups“, hörte ich nur, als ich gegen jemand mir nur allzu bekanntes stieß und sich gleich darauf zwei erwärmte Arme um mich legten. Ich hob etwas überrascht meinen Kopf und wurde prompt mit einem schiefen Lächeln konfrontiert, das jedoch gleich in Neugierde wechselte. „Sie sieht nicht gerade glücklich aus“, stellte er fest und blickte ebenfalls kurz in die Richtung, in die Alice verschwunden war. „Nicht wirklich. Ihr Verhalten ist das genaue Gegenteil von dem, was ich erwartet hab.“ „Ich werde Jazz nachher mal drauf ansprechen. Er sah nämlich auch nicht gerade zufrieden aus. Vielleicht war er enttäuscht von ihrer Reaktion“, vermutete er. „Vielleicht…“, seufzte ich. Als ich zur Spielerbank sah, stand der eben erwähnte davor und trank gerade einen kräftigen Schluck Wasser aus seiner Flasche, bevor er davonging. Er wirkte bedrückt, irgendwie nachdenklich und schien seine Umgebung nicht wirklich wahrzunehmen. Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Was wenn wirklich jemand fremdes Alice die Blumen geschenkt hatte? Ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, dass das für Jasper alles andere als gern gesehen war. „Wenn es denn überhaupt von Jazz kam“, nuschelte ich verunsichert. Irritiert schaute Edward mich an. „Hast du vorhin nicht gemeint, dass er-“ „Doch, schon. Auf dem kleinen Kärtchen stand aber nur ein ‘J‘. Ich bin automatisch davon ausgegangen, dass es von ihm war. Ich meine, schließlich mag er sie doch auch, oder?“ stellte ich so überzeugt wie möglich klar und lehnte meine Wange an seine Brust. Seine Körpertemperatur war etwas höher als normal, was ich dem Sport zuschrieb. Auch wenn die Sonne sowieso schien, ließ mich seine Wärme frösteln, als wäre ich vorher unterkühlt gewesen. „Ohne Zweifel.“ Edward legte seine Arme noch enger um mich und strich mir immer wieder ein paar Strähnen entlang der Schläfe zur Seite. Tief ein- und ausatmend schloss ich meine Augen, genoss das Kribbeln an den Stellen, die seine Finger streiften und schwelgte einen Moment in dieser Zweisamkeit, während er mir ab und an seine Lippen auf meinen Kopf legte. „Und wie geht‘s dir?“ fragte er mich leise in die Stille hinein. Ich wusste, worauf er hinaus wollte und fühlte mich schlagartig ein wenig unbehaglich. Tief im Inneren hatte ich gehofft, mich diesem Thema nicht mehr stellen zu müssen, aber Edward sah das offensichtlich anders. Meine Unsicherheit bestand noch immer, allerdings entschloss ich mich dafür, ihm die Chance zu lassen, mir diese endgültig zu nehmen. Natürlich war das auf eine Art selbstsüchtig, da ich ihm das so noch nicht mal offen mitgeteilt hatte, aber wenn ich ihm wirklich hundertprozentig glauben konnte - was ich sehr hoffte -, dann müsste er auch in der Lage sein, selbst herauszufinden, was er zutun hatte. Vielleicht sollte ich aber auch einfach auf mein Herz hören, das mir sagte, dass Edward es ernst meinte, anstatt auf meinen labilen Verstand. „Gut?“ Meine Antwort war mehr eine Frage an ihn. „Sicher?“ hakte er nach. „Ich denke schon…“, nickte ich und rieb somit meine Wange an seinem Hemd. Sein Duft legte sich in meine Nase und bescherte mir von dort aus ein wohliges Gefühl in alle weiteren Teile meines Körpers, bis in die kleinste Ecke. „Das ist schön“, flüsterte er liebevoll. Seine weichen Lippen berührten meine Stirn. „Hm…“, brummte ich zufrieden. Würden wir uns in einer anderen Umgebung befinden, hätte ich glatt einschlafen können. Allerdings ließ mich ein komisches Tuscheln im Hintergrund diesen wunderbaren Moment gar nicht erst auskosten. Mehr widerwillig öffnete ich meine Augen und sah ein paar weibliche Zaungäste sich gerade entfernen. Ihr Blick lag kurzzeitig auf uns, ehe er aufs Spielfeld wanderte. Dann wieder zu uns, bis sich diese so genannten Fans letztendlich zur Schule bewegten. Meine Augen huschten dennoch zu der Stelle, zu der auch die Mädchen eben noch geschaut hatten. Es wäre besser bewesen, wenn ich es nicht getan hätte, denn die Person, die dort stand, erklärte die eigenartigen Blicke von eben. Genau dort stand nämlich Claire mit einer weiteren Person. Sie waren außer uns jetzt die Letzten hier draußen. Sie schien ein sehr angeregtes Gespräch mit Tayk zu führen. Wobei angeregt eventuell das falsche Wort war. Hitzig würde wohl eher passen. Wie sie da stand. So erhaben und autoritär. Etwas, das ich früher nie an ihr feststellen konnte. Edward musste die beiden offenbar genauso beobachten, denn sein Griff festigte sich minimal und ein leises Grummeln war in seiner Brust zu hören. „Was hecken die denn schon wieder aus?“ Ich wusste nichts darauf zu antworten. Auf einmal drehte der blonde Teufel seinen Kopf zu uns. Mich wunderte, dass sie dieses Mal nicht diesen mörderischen Blick auf dem Gesicht hatte, so wie heute Vormittag. Er war vielmehr ruhig und entspannt. Was ich allerdings unglaublich fand, war das kleine Lächeln, das ihre Lippen zierte. Tayk blickte ihr mit zusammengezogenen Augenbrauen hinterher, als sie direkt auf uns zukam. Dann schüttelte er abfällig den Kopf und machte sich auf den Weg zu den Umkleiden. „Hallo“, begrüßte sie uns. Verhalten, aber dennoch freundlich. Ihre Augen ruhten auf uns und… Konnte das etwa Nervosität sein, die sich darin widerspiegelte? Keiner von uns sagte etwas. „Ich… wollte mich bei euch entschuldigen“, fing sie kleinlaut an. „Besonders bei dir Bella.“ ??? Hatte ich mich gerade verhört? Ich musste. Fassungslos starrte ich sie an und wusste, dass Edward den gleichen Gesichtsausdruck hatte. „Bitte?!“ keuchte ich hervor. „Bevor du mir irgendetwas an den Kopf wirfst, lass mich ausreden, okay?“ bat sie mit erhobenen Händen. „Ich weiß, ich habe Fehler gemacht und ich-“ „Du nennst jahrelanges Manipulieren nur einen Fehler?“ fuhr ihr Edward unwirsch dazwischen. „Ich w e i ß“, setzte sie erneut an und sah kurz zu ihm, ehe sie ihren Blick wieder mir zuwandte. „…dass das nicht im Ansatz dem entspricht, was ich gemacht habe und dass es auch absolut keine Entschuldigung für mein Verhalten gibt. Trotzdem hoffe ich, dass ich es wieder gutmachen kann und dass du mir verzeihst. Und wenn das der Fall sein sollte, würde ich mich freuen, irgendwann - und wenn es auch noch solange dauert - wieder dein Vertrauen zu gewinnen.“ Bittend hob sie ihre Augenbrauen und sah mich eindringlich an, als erwarte sie genau jetzt eine Antwort. Ich war so perplex von ihrer… Rede, dass ich einfach nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte. Zumal ich nie damit gerechnet hätte, dass sie sich bei mir entschuldigte. Ihre stechend blauen Augen lagen auf mir und hielten mich fest. Als hätten sie vor, mich solange gefangen zu nehmen, bis ich ihrer Bitte nachkam. „Das ist nicht dein Ernst“, schnaubte Edward und riss ihre Aufmerksamkeit auf sich. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich unbewusst die Luft angehalten hatte. Meine Lunge zog sich schmerzhaft zusammen bei dem Drang, sich wieder mit Sauerstoff zu füllen. „Das damals war eine Kurzschlussreaktion“, erklärte sie sich fieberhaft. „Ich habe nicht gewusst, was ich dir alles damit antue. Selbst jetzt im Nachhinein kann ich mir nur ansatzweise vorstellen, wie schrecklich das alles für dich gewesen sein muss, Bella.“ „Du willst mir weismachen, du hättest keine Ahnung, wie es ist, in dem Glauben zu leben, vergewaltigt worden zu sein?“, entgegnete ich ihr ungläubig. „Jeder halbwegs normale Mensch versteht, wie grauenhaft das ist, auch ohne, dass er die Erfahrung gemacht hat. Ich meine, tagtäglich kommen solche Fälle in den Nachrichten!“ Traurig schaute sie mich an, fast schon hoffnungslos. „Ich meine es so, wie ich es sage. Das musst du mir glauben.“ „Merkst du eigentlich noch, wie lächerlich du dich anhörst?“ lachte Edward düster. Claire wandte sich zu ihm. „Ich finde das überhaupt nicht lächerlich. Aber ich kann nachvollziehen, dass euch das jetzt noch komisch vorkommt. Dennoch würde ich mich freuen, wenn Bella sich das Ganze noch mal durch den Kopf gehen lässt.“ „Wohl kaum“, antwortete er ihr knapp und zog mich eisern mit sich, als er an ihr vorbeiging und ihr weiter keinerlei Beachtung schenkte. „Bella!“ rief sie noch hinterher, doch wir reagierten gar nicht darauf. Edward nahm seine Sachen von der Bank und gemeinsam machten wir uns eiligen Schrittes auf den Weg zurück Richtung Schule. Bei den Umkleideräumen angekommen, schüttelte er langsam den Kopf. „Unglaublich, diese Frau…“ „Wem sagst du das“, murmelte ich und ließ dieses aufwühlende Gespräch immer wieder Revue passieren. „Ich hoffe, du hast ihr kein einziges Wort geglaubt“, meinte er und betrachtete mich wachsam. „Natürlich nicht.“ Ich erwiderte seinen Blick mit soviel Sicherheit wie nur irgend möglich. Ich wollte nicht, dass er dachte, ich könnte eventuell doch darauf reingefallen sein. „Gut…“, lächelte er zufrieden. Er legte einen Arm um mich und gab mir schnell einen Kuss auf Stirn. „Ich beeil mich mit dem Umziehen. Und wehe du stehst nicht mehr hier draußen, wenn ich wieder da bin…“ „Keine Sorge. Sofern mich nicht irgendein Psychopath vom Fleck weg schnappt, rühre ich mich keinen Millimeter“, grinste ich. Eine seiner Augenbrauen zuckte nach oben, als würde er das tatsächlich für möglich halten. „Jetzt werde ich doppelt so schnell sein.“ Er huschte in die Kabinen und ließ jetzt mich mit einer hochgezogenen Augenbraue stehen. Schwachkopf… Ich lehnte mich an die Außenwand, wobei meine Arme sich hinter meinem Rücken befanden und ich mein Blick über das Gelände schweifen ließ. Ich fragte mich, ob Alice schon weg war. Diese Sache mit den Blumen schien ihr doch mehr auszumachen als erwartet. Und Jasper sah auch nicht viel besser aus. Wer wusste, wie ihre gemeinsame Fahrt ablief. Wenn sie sich - hoffentlich - nicht anschwiegen, dann müsste es theoretisch ein paar aufschlussreiche Informationen geben. Ob Jasper derjenige war oder nicht. Aber wenn es wirklich nicht seine Idee war, wer konnte dann dahinter stecken? Der Spruch war ja wirklich etwas… ungewöhnlich. In nach dir verzehrender Liebe… Meine Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als ich Claire in der Ferne entdeckte. Sie stand dort und sah direkt zu mir. Sie kam mir unschlüssig vor. Als wüsste sie nicht, ob sie herkommen sollte oder nicht. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, damit ich sie nicht weiter ansehen musste, und als ich nach ein paar Minuten wieder hinsah, war sie verschwunden. Erleichtert über diese Tatsache holte ich tief Luft und stieß sie laut wieder aus. „Also so lange hab ich nun wirklich nicht gebraucht“, sprach meine Lieblingsstimme gespielt beleidigt und jagte mir mit der plötzlichen Anwesenheit einen Schrecken ein. „Edward!“ wollte ich eigentlich verärgert sagen, klang aber eher nach einer Maus, die zuviel Helium geschluckt hatte, als er mich amüsiert betrachtete und seine Augen mich vollkommen in ihren Bann zogen, so nah, wie er sich zu mir gebeugt hatte. Meinen gescheiterten Versuch, vorwurfsvoll zu wirken, bemerkend, kicherte er. „Warum auf einmal so gute Laune?“ lenkte ich ein, damit er endlich aufhörte, sich über mich lustig zu machen. „Ach, mir ist nur eben eine Idee gekommen.“ Er zuckte mit den Schultern, konnte es aber nicht lassen, mich zu hypnotisieren. Wirklich ein toller Schachzug, um mich aus der Fassung zu bringen. „Welche?“ flüsterte ich dieses Mal, damit meine Stimme mehr Festigkeit bekam. „Überraschung.“ Er küsste meine Nasenspitze - worauf ich kurz blinzeln musste -, nahm meine Hand und zog mich mit sich, noch ehe ich weiter nachfragen konnte. Als wir auf dem Parkplatz ankamen, fiel mir auf, dass Alice‘ Auto nicht mehr da war. „Hast du Jasper eigentlich noch angetroffen?“ Edward schüttelte den Kopf. „Er war schon weg. Er muss es ganz schön eilig gehabt haben. Normalerweise wartet er immer auf mich.“ „Das ist ein gutes Zeichen, oder?“ überlegte ich. „Ein Pluspunkt dafür, dass er das doch mit den Blumen war.“ „Möglich. Und wenn nicht… dann ermutigt ihn das vielleicht, ein bisschen mehr Eigeninitiative zu ergreifen“, grinste er verschlagen. „Man könnte denken, du hättest das in Auftrag gegeben.“ Er sah mich überrascht an, lachte dann aber. „Oh, ich bin bestimmt kein Kuppler. Da müssen die beiden selbst durch.“ Als wir in den Volvo stiegen und Edward meine Hand mit seiner verschloss, sah ich lächelnd zu ihm hinüber. Da fiel mich auf, dass er ein sonderbares Leuchten in seinen Augen hatte. Eins, das mich nervös machte und es gleichzeitig in meinem Bauch ungeduldig kribbeln ließ. Schon nach kurzer Fahrt fiel mir auf, dass das nicht der Weg nach Hause war. „Ehm, Edward. Ich glaube, du bist falsch abgebogen“, wies ich ihn darauf hin und bekam als Dank ein schiefes Lächeln, als er zu mir herübersah. „Ich weiß.“ Eigentlich müsste er rot werden wegen dieser Peinlichkeit, stattdessen war ich diejenige, deren Wangen heiß wurden. „Oder wolltest du gleich nach Hause?“ fragte er und klang jetzt gar nicht mehr so sicher. „Ich meine, es ist ja nicht so, dass dort jemand auf dich warten würde.“ Meine Stirn legte sich in Falten. „Was soll das denn heißen?“ „Dein Vater ist tagsüber schließlich auf Arbeit. Oder gibt es etwas, von dem ich wissen sollte?“ fragte er so überzeugend schockiert, als würde er sich tatsächlich Sorgen machen. Mein Mund öffnete sich, während ich ihn verblüfft anstarrte, schloss sich aber gleich wieder. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und sah aus dem Fenster. „Wer weiß“, murmelte ich. „Aber natürlich…“ Selbstsicher grinste er und streichelte mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Wieder wandte ich mich mit fassungslosem Gesicht zu ihm. „So was hältst du also nicht für möglich, ja?“ Kurz richtete er seinen Blick auf mich, ehe er wieder die Straße fixierte. „Nein“, kam es nach einer minimalen Pause. Dieses Mal hörte er sich nicht amüsiert an, sondern ernst. „Dass sich andere für dich interessieren, ja. Aber ansonsten, nein.“ „Edw-“ „Andernfalls wäre ich nicht mit dir zusammen“, unterbrach er mich sanft und als er abermals zu mir schaute, hatte sein Gesicht einen so liebevollen Ausdruck, dass mir richtig warm ums Herz wurde. Wenn ich das richtig interpretierte, hatte er gerade gesagt, dass er mir voll und ganz vertraute, oder? Ich war so gerührt, dass ich ihm am liebsten einen Kuss gegeben hätte, doch da das womöglich den Straßenverkehr gefährden würde, drehte ich mich in meinem Sitz so weit wie möglich in seine Richtung, legte seine Hand an meine Wange und küsste die Innenfläche. Immer wieder sah er zu mir und lächelte, wobei sein Daumen zärtlich meinen Wangenknochen entlangfuhr. Von dieser Berührung so beruhigt, schloss ich meine Augen und konzentrierte mich einzig und allein auf das angenehme Gefühl, dass sie auslöste. Nach einer Weile, in der ich fast völlig abschweifte, wanderten Edwards Finger auf einmal meinen Hals entlang. Wie klitzekleine Füßchen liefen sie über meine Haut und blieben schlussendlich unter meinem Kinn. Das Killern hörte aber dennoch nicht auf. Reflexartig zog ich mein Kinn nach unten und griff nach seiner Hand. Ein leises Kichern konnte ich mir nicht verkneifen. Als ich meine Augen öffnete, griente mir Edward entgegen. „Wir sind gleich da“, meinte er und entzog mir seine Hand, um auf einem Parkplatz zu halten. Ich sah nach draußen. Zu meiner Überraschung erkannte ich das CrystalMeadow vor uns. „Hier wolltest du mit mir hin?“ „Nicht direkt“, antwortete er. „Du wirst schon sehen. Warte es ab.“ Gemeinsam stiegen wir aus und obwohl ich aufgrund seiner Aussage dachte, wir würden an dem Café vorbei gehen, steuerten wir darauf zu. Er zog mich zum Tresen, hinter dem zwei Personen standen. Die eine erkannte ich als den Kellner, der uns immer bedient hatte, wenn wir hier waren, doch den anderen kannte ich nicht. Er sah etwas älter aus - in etwa um die Vierzig -, war leicht kräftig und hatte einen Bart über den Lippen als auch als senkrechte Linie darunter. Wie ein Musketier… „Hallo, Kenneth“, begrüßte Edward ihn, als wären sie alte Freunde. „Hallo, Edward. Wie geht‘s dir?“ gab der Angesprochene ebenso heiter zurück. „Sehr gut, und dir?“ „Kann mich nicht beklagen.“ Kenneth grinste, dann sah er interessiert zu mir. Edward bemerkte das und zog mich gleich darauf dicht an sich. Allerdings nicht aus beschützerischen Gründen, wie ich vermutete. „Das ist Bella“, stellte er mich stolz vor. „Ich hab dir von ihr erzählt, falls du dich noch erinnern kannst.“ Sofort schoss mein Kopf zu ihm. „Natürlich erinnere ich mich“, lachte der andere. „Freut mich, das Mädchen kennen zu lernen, das zu so schönen Melodien anregt. Hallo, Bella.“ Ein wenig verwirrt sah ich ihn an, grüßte ihn dann aber ebenfalls mit einem freundlichen „Hallo.“ Er betrachtete mich einen Augenblick und seufzte anschließend resigniert auf. „So jung würde ich auch noch mal gerne sein.“ „Tja, dann wäre Bella aber trotzdem schon vergeben“, grinste Edward herausfordernd und hielt mich noch fester. Zwar trieb mir das wieder die Röte ins Gesicht, doch innerlich mochte ich diese besitzergreifende Art von ihm, was sich am Ende auch in einem kleinen Lächeln meinerseits zeigte. Kenneth lachte wieder und hielt uns dann etwas silbernes hin. „Hier ist der Schlüssel. Ich wünsch euch beiden viel Spaß. Aber denk dran, dass ihr nur bis sechs Zeit habt.“ „Ich weiß. Danke“, meinte Edward lächelnd und nahm ihn entgegen, bevor wir wieder nach draußen gehen wollten. „Und bleibt anständig“, rief uns Kenneth belustigt hinterher, worauf Edward nur kicherte und mit der Hand nach hinten winkte. Abermals wurde ich rot und machte mir langsam Sorgen, wohin er mich bringen wollte. „Wofür ist der?“ fragte ich vorsichtshalber, als wir ins Auto stiegen. Eigentlich hätte ich mir auch denken können, dass ich keine Antwort bekommen würde. Edward schüttelte amüsiert den Kopf, während er losfuhr. „Noch ein bisschen Geduld. Dann wirst du es sehen.“ Diesmal dauerte die Fahrt nicht sehr lange und nach nur ein paar Minuten hielt er an und stellte das Auto am Straßenrand ab. Er lief so schnell um den Volvo herum und half mir beim Aussteigen, dass es mir vorkam, als könne er selbst es kaum noch aushalten. Wir standen jetzt vor dem Eingang einer… Bar… Wenn ich es richtig deutete. Laut den riesigen Lettern etwas weiter höher angebracht, hieß sie At Twilight und sie sah sehr nach ‚geschlossen‘ aus. Edward platzierte seinen Arm auf meiner Hüfte, um mich sachte voran zu schieben. „Na komm“, flüsterte er mir zu und als wir vorm Eingang standen, benutzte er den eben erhaltenen Schlüssel, um die Tür zu öffnen. „Gehört das alles diesem Kenneth? Wieso lässt er dich einfach so hier rein?“ fragte ich neugierig und streckte bereits meinen Kopf, als wir ein paar Schritte im Inneren standen. Der gesamte Raum bestand aus Holz, das man auch als solches sehen konnte; sowohl der Fußboden, als auch die Wände. Sie hatten eine angenehme, braune Farbe, die alles gleich etwas wärmer wirken ließ. Teppichboden gab es keinen. An den Wänden hingen Lampen in geschlängelter, senkrechter Form aus milchtrübem Glas. Das Dach war von beiden Seiten schwach angeschrägt und lief in der Mitte zusammen. Auf unserer linken Seite befand sich der Tresen, hinter dem sich die Spirituosenflaschen in Spiegelregalen nur so häuften. Eine lange Reihe an Barhockern war aufgereiht. In der Raummitte standen jede Menge rotbraune, runde Tische, die meistens nur bis zu vier Personen Platz boten. Auf unserer rechten Seite befand sich - und ich nahm an, dass es das war, was Edward mir zeigen wollte - eine kleine Bühne. Und auf ebendieser stand ein großes, langes Piano in dunkelbraun. In dem Teil der Decke über der Pianobank war das einzige, und zudem sehr große, Fenster dieses Raums eingelassen, das durch Quer- und Längssprossen unterteilt wurde. Jetzt am späten Nachmittag konnte die Sonne direkt hinein scheinen. Ihre Strahlen trafen auf die Vorderseite des Klaviers und brachten das polierte Instrument zum Glänzen, während die mikroskopisch kleinen Staubteilchen im Licht tanzten. „Ihm gehört das CrystalMeadow und diese Bar. Ich kenne ihn schon, seit wir hierher gezogen sind“, antwortete Edward. „Ich weiß, es ist nichts besonderes, aber-“ „Nein. Ganz im Gegenteil. Es ist… unglaublich.“ Mir fiel kein besseres Wort dafür ein und das, was ich benutzt hatte, traf es wenigstens halbwegs. „Wirklich?“ vergewisserte er sich und ich nickte heftig. „Ganz bestimmt.“ Langsam ging ich darauf zu, um es aus der Nähe betrachten zu können, während Edward anfing, zu erzählen. „Kurz nachdem wir nach San Francisco gezogen sind, hab ich mich in diese Gegend verirrt. Durch einen Zufall entdeckte ich die Hintertür dieser Bar. An diesem Tag war sie unachtsamerweise nicht abgeschlossen. Also bin ich hinein. Es muss ungefähr die gleiche Uhrzeit wie jetzt gewesen sein, demnach war noch niemand hier. Ich hab mich ein bisschen umgesehen und bin bei diesem Piano hängen geblieben. Es hat mich einfach fasziniert. Damals hätte ich das allerdings nie zugegeben…“ Er war mittlerweile auf der Bühne und strich mit seiner Hand sachte die gewellte Form nach; von hinten bis nach vorne. „…In meiner alten Gang in Seattle hatten wir in unserem Versteck auch ein Klavier gehabt. Nicht so eins wie das hier. Nur ein kleines, altes, das zum Teil schon etwas verstimmt war. Aber es hat Spaß gemacht, darauf zu spielen, auch wenn ich es eigentlich nicht konnte. Es war mehr ein wahlloses Umhergeklimper, das sich am Ende aber trotzdem einigermaßen passabel angehört hat. Jedenfalls für die Ohren eines kleinen Teenagers“, grinste er und sah kurz zu mir. Ich erwiderte sein Lächeln, schwieg aber, um ihn nicht zu unterbrechen. „…Jedenfalls, als ich hier stand und dieses Piano gesehen hab, musste ich mich einfach heransetzen und spielen. Es war eine ganze Weile vergangen, als plötzlich Kenneth im Raum stand. Ich hab ihn zuerst gar nicht bemerkt, doch als er auf sich aufmerksam gemacht hat, hab ich einen riesigen Schreck bekommen. Ich wollte weglaufen, aber er war schneller. Er hat mich festgehalten und gemeint, er wolle zur Polizei gehen. Natürlich hatte ich immer noch Carlisles Ultimatum im Hinterkopf, also hab ich Kenneth förmlich angefleht, niemandem etwas zu sagen. Ich musste ihn wohl überzeugt haben, und als ich erklärt hatte, dass die Tür aufstand, war er sogar ein bisschen froh, das nur ein kleiner Junge hereingekommen ist und nicht wer weiß wer…“ Ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, was alles hätte passieren können, wenn es statt seiner, zwielichtige Gestalten bemerkt hätten. „…Kenneth hat mir angeboten, ein bisschen bei ihm auszuhelfen, als Entschädigung dafür, dass ich trotzdem einfach unerlaubt rein bin, anstatt die Polizei zu benachrichtigen. Ein wenig widerwillig, aber letzten Endes dankbar, dass er meinen Eltern nichts sagen würde, stimmte ich zu. Abends hab ich nicht gearbeitet, sondern nur beim Saubermachen nachmittags geholfen, und bezahlt hatte er mich auch für meine Arbeit… Dann, eine Woche später hab ich zufällig mitbekommen, wie er auf dem Piano gespielt hat. Ich war ganz gefangen von der Melodie, die er aus dem Instrument lockte, und im selben Augenblick unglaublich neidisch. Ich wollte auch so spielen können wie er. Also hab ich ihn gefragt, ob er es mir beibringen könnte. Ich würde das Geld, das ich hier verdiente, als Bezahlung nehmen. Na ja, er hat es nicht annehmen wollen…“ Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er sich auf der Bank niederließ. Er platzierte seine Finger in die Mitte der Tastenklappe und fuhr zaghaft an der abgerundeten Kante entlang zu den Seiten, wo er inne hielt und seine Daumen sich unter den Rand legten, um den Deckel anschließend hochzuheben. Einen Moment lang betrachtete ich dieses atemberaubende Bild, als das Sonnenlicht von hinten auf ihn schimmerte und seinen Körper in eine dunkle Silhouette umwandelte, bei der ich nur sehr schwer seine mir zugewandte Vorderseite erkennen konnte. Ich gesellte mich geräuschlos zu ihm. „…Normalerweise hätte er meine Bitte abgelehnt, aber an dem Tag, als er mich erwischt hatte, war er wohl schon eine ganze Weile früher da und hatte mir zugehört. Und weil er der Meinung war, ich wäre nicht ganz talentfrei, ist er meinem Wunsch nachgekommen. Ich hab eigentlich ziemlich schnell gelernt, aber trotzdem muss ich noch sehr viel üben, um mit den großen Komponisten dieser Erde mithalten zu können…“ „Also ich bin von dem bisher gehörten schon vollkommen überzeugt“, murmelte ich, während meine Finger meinen Anhänger umschlossen und ich meinen Kopf an Edwards Schulter lehnte. Er schmunzelte und gab mir einen Kuss auf die Haare. Seine Finger glitten über die Tasten und berührten sie nur ganz zaghaft. „Niemand weiß von meiner kleinen Leidenschaft, außer Kenneth. Und jetzt auch du.“ So sehr mir seine Worte schmeichelten, so ganz stimmten sie dennoch nicht. „Und Claire…“, fügte ich düster hinzu. „Na ja, ich meinte eher, dass nur ihr beide diesen Ort und seine Bedeutung kennt. Nicht einmal Carlisle und Esme wissen davon.“ Überrascht hob ich meinen Kopf. „Ihr habt kein Klavier zuhause?“ Er schüttelte den Kopf. „Sie wissen nur, dass ich hier mal gearbeitet hab, um mein Taschengeld aufzubessern, aber nicht, dass ich Musik spielen kann. Außerdem ist so ein Piano nicht gerade billig. Es war schon was besonderes, als sie mir kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag den Volvo geschenkt haben. Und auch das nur als Belohnung… Wegen guter Führung“, scherzte er mit ernstem Unterton. „Oh“, kam es von mir, was ihn kurz leise auflachen ließ, während sein Blick wieder seinen, über die Tasten schwebenden, Fingern folgte. (http://www.youtube.com/watch?v=QpVQli93LVA) Dann fing er langsam an zu spielen. Meine Augen schlossen sich bei den ersten Klängen wie selbstverständlich. Die Melodie war leise und ruhig, auf eine seltsame Art und Weise melancholisch, und dennoch wunderschön. Ich mochte es, ihr zuzuhören und mich von den Tönen tragen zu lassen, die mich immer weiter in die Schwerelosigkeit gleiten ließen. Eine Wärme erfüllte mein Herz, die sich bis zur kleinsten Faser meines Körpers durchkämpfte. Ich hatte das Gefühl, dass es genau an mich gerichtet war, auch wenn ich mir nicht erklären konnte, warum. Die letzten Töne klangen aus und nur langsam erwachte ich wieder aus meiner Trance. Bedauerlicherweise war es schon zu Ende. Tief atmete ich ein und ließ die Luft langsam wieder frei. „Traumhaft“, seufzte ich benommen. Mein Blick lag auf seinen Händen, die die Tastatur noch nicht losgelassen hatten. „Finde ich auch…“ Wie es aussah, war er genauso gefesselt wie ich. „Hast du das auch komponiert?“ wollte ich wissen und erinnerte mich an das letzte Mal, als er mir etwas vorgespielt hatte. Er kicherte. „Nein. Das hier nicht. Es nennt sich Sally‘s Song und stammt aus dem Film Nightmare Before Christmas. Falls du den kennst.“ „Ich hab schon davon gehört, nur gesehen hab ich ihn noch nicht.“ „In dem Lied…“, fing er an und klang unerwartet bedrückt. „…geht es darum, dass der Angebetete einfach nicht sieht, was Sally für ihn empfindet…“ Seine Worte drangen langsam in mein Bewusstsein und als mir ihre Bedeutung klar wurde - die, die Edward mir damit vermutlich mitteilen wollte -, überfiel mich ein kleiner Anflug von Reue. Es war sehr gut möglich, dass er das auf uns bezog. Ich hatte einfach nicht gesehen, welche Gefühle er für mich hatte. Oder war jedenfalls davon ausgegangen, dass seine anderer Natur waren. Ich rückte noch dichter an ihn heran und legte meine Hand auf seine. Meine Finger griffen zwischen seine und drückten sie sanft, woraufhin er seinen Kopf zu mir drehte und seine Augen mich lange musterten. Nur allmählich zogen sich seine Mundwinkel nach oben. Urplötzlich umgab uns eine mir vertraute Spannung, die alles andere in den Hintergrund schwinden ließ. Er zog seinen, mit mir verbundenen Arm an seine freie Seite, sodass er automatisch meinen Oberkörper weiter zu sich drehte. Ich stand auf und stieg mit einem Bein über seine, um mich auf seinen Schoß zu setzen, und damit ich nicht herunterrutschte, winkelte er seine ausgestreckten Beine ein wenig an. Meine Hand ließ er los, um seine an meine Hüfte zu legen. Ich konnte nicht verhindern, wie mir das Blut unter die Wangen schoss, der Position peinlich bewusst. Zurückschrecken wollte ich aber auch nicht, da er das eventuell falsch verstehen könnte; und um ihm zu zeigen, dass ich ihm mittlerweile glaubte. Dass er sich keine Sorgen mehr machen musste, ich würde denken, er wolle Leah nur mit mir ersetzen. Also unterdrückte ich meine Scheu und hob meine Beine - wenn auch zögerlich und nervös - an seinen beiden Seiten über die schmale Bank, damit ich einen besseren Halt hatte, bettete meine Unterarme an seine Brust und meine Handflächen an seine Schultern. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wuchs meine Aufregung und mein Puls steigerte sich sekündlich. Ein klein wenig wirkte er überrumpelt, lächelte mich dann aber an und strich mir liebevoll über die Wange, um anschließend dort zu verhaaren. Seine Augen ruhten ohne Unterbrechung auf mir, während er mein Gesicht immer dichter an seines zog. Als unsere Lippen sich trafen, war es zuerst nur eine leichte Berührung, die allerdings bereits soviel Intensität barg, dass mir überall warm wurde und gleichzeitig ein Schauer über den Rücken lief, der ein angenehmes Kribbeln zur Folge hatte. Kurz fröstelte ich, während ich innerlich anfing, Zelle um Zelle zu verbrennen, als der Kuss mehr Leidenschaft erlangte und langsam drängender wurde. Meine Hände wanderten seine Halsbeuge entlang zu seinem Nacken, bis zwischen seine Haare, um ihn zu kraulen. Zeitgleich spürte ich seine Hand, wie sie weiter und fester um meine Seite griff, ein glühendes Gefühl unter meine Haut mischte und mich enger an ihn presste. Die andere legte sich an meinen Hals und sein Daumen strich über meinen Unterkiefer. Unser Kuss vertiefte sich, wurde noch fordernder und ungestümer, wobei sich das letzte bisschen Sauerstoff, das sich noch in meinen Lungen befand, langsam aber sicher verabschiedete. Immer wieder rannen Schauer über meinen Rücken und mein Herzschlag erreichte Rekordwerte. Sachte neigte er sich nach vorne und ich mich demzufolge nach hinten, ohne dass auch nur ein Lufthauch zwischen uns Platz gehabt hätte. Plötzlich schreckte ich wieder nach vorne, als mein Rücken gegen die Klaviertasten drückte und diese ein ohrenbetäubendes Geräusch von sich gaben. Ein kleiner, von Atemnot gekennzeichneter Aufschrei entwich mir und wie ein Klammeraffe hielt ich mich an Edward fest, er ebenso an mir. Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb und ich hatte Mühe, sowohl das zu regulieren, als auch meinen Luftmangel zu beheben. Ihm erging es nicht anders und er hatte jetzt beide Arme um mich geschlungen. „Wow…“ Er schnaufte schwerfällig und sein erhitzter Atem streifte meine Haut, was mich unwillkürlich erzittern ließ. „Tut mir Leid“, wisperte er und rieb mir über die Stelle, die eben noch die harten Kanten des Klaviers zu spüren bekommen hatten. Tatsächlich pulsierte es dort ein klein wenig. Aber das war nur minimal und nicht der Rede wert. „Schon gut“, murmelte ich, noch leicht durcheinander. Schweigend blieben wir eine zeitlang reglos sitzen und lauschten gegenseitig dem immer ruhiger werdenden Herzschlag des anderen. Wir genossen die Stille, dich sich um uns legte und das entspannte Gefühl zwischen uns. „Hast du Lust, auch mal zu spielen?“ säuselte Edward irgendwann in mein Ohr, während seine Fingerspitzen zart über mein Schulterblatt streichelten. Verwirrt lehnte ich mich zurück und sah ihn an. „Klavier“, erklärte er und hob einen Mundwinkel in die Höhe. Seine Augen funkelten ungeduldig. „Ehm…“, stammelte ich. „Ich kann das überhaupt nicht.“ Meine Antwort schien ihn nicht im geringsten zu entmutigen. „Es kommt nur auf die Führung an.“ Noch ehe ich etwas erwidern konnte, machte er Anstalten, aufzustehen und hastig stellte ich mich auf die Beine. „Warte kurz“, sagte er, als wir beide standen. Er nahm die Bank und stellte sie vertikal vor das Piano, setzte sich in die Mitte, sodass er vor sich noch Platz hatte, und schaute mich erwartungsvoll an. Ich holte tief Luft. Wirklich lernen würde ich nichts. Dazu war ich im Gegensatz zu ihm tatsächlich talentfrei. Dennoch ließ ich ihm den Spaß und nahm vor ihm Platz, woraufhin er noch dichter an mich heranrutschte. Ich konnte seinen Bauch an meinem Rücken spüren und die Wärme, die davon ausging. Edward blickte über meine Schulter, hob seine Arme nach vorne und streckte seine Finger in der Luft, ehe er mit einem „So!“ seinen Tatendrang signalisierte. Ich hob meine Hände ebenfalls und ließ sie mit geringem Abstand über die Tasten schweben. Bereit, auf Kommando eine davon zu drücken. „Wo das ‚c‘ ist, weiß du, oder?“ fragte er mich. Ich versuchte mich an die letzte Musikstunde zu erinnern und nickte dann. „Gut. Am besten, wir fangen mit etwas einfachem an. Ich spiel die ersten Noten vor und dann machst du sie einfach nach.“ „Okay.“ Ich nahm meine Hände erst einmal wieder weg, damit er seine auf der Tastatur positionieren konnte. ( http://www.youtube.com/watch?v=_mVW8tgGY_w ) Er fing an zu spielen und bereits nach den ersten Klängen erkannte ich das Stück. Wenn ich mich nicht täuschte, stammte es von Beethoven. „Das war viel zu schnell, Edward“, grinste ich siegesgewiss, als er fertig war. Ich war mir sicher, dass ich das nie im Leben auf die Reihe bekommen würde. „Keine Sorge. Wir fangen extra langsam an.“ Mit diesen Worten nahm er meine Hände und legte seine parallel darüber. Seine Finger führten meine zum Klavier, und Taste für Taste erklang ein Ton nach dem anderen. Unzweifelhaft war das die Melodie, die er gerade noch vorgespielt hatte, wenn auch in ihrer Geschwindigkeit drastisch reduziert. Mein Mund öffnete sich leicht vor Erstaunen. Ich war nun wirklich nicht gerade musikalisch und trotzdem schaffte er es, dass es sich nicht wie ein sinnloses Tastendrücken anhörte. Hin und wieder rutschte ich dann doch ab und verzerrte so die Musik ein wenig, was Edward allerdings nur zum lachen brachte. Nach ein paar Versuchen wollte ich es dann doch alleine ausprobieren und Edward ließ mich gewähren. Seine Hände ruhten jetzt auf meinem Bauch, während ich mich noch kurz sammelte, bevor ich anfing. Doch bereits bei der ersten Note erwischte ich die falsche Taste, und das nur, weil der Daumen eines gewissen Jemand auf meinem Bauch Kreise zeichnete und mich durch das dadurch entstandene Kribbeln völlig aus der Bahn warf. „Edward!“, zischte ich leise und versuchte, ruhig zu bleiben, doch er tat so, als wäre er vollkommen unschuldig. Tief duchatmend schloss ich kurz meine Augen, ehe ich einen neuen Versuch startete. Dieses Mal schaffte ich die ersten Töne, auch wenn das Wort ‚Schneckentempo‘ eine ganz neue Bedeutung bekam. „Siehst du? Es klappt“, stellte er anerkennend fest, noch während ich spielte, und gab mir einen Kuss in meine Schulterbeuge. Er hätte doch wissen müssen, dass er so was nicht machen durfte. Wie nicht anders zu erwarten, folgte auch prompt der nächste falsche Ton. Er schien das ziemlich witzig zu finden und konnte sich sein Kichern kaum noch verkneifen. Ich begann noch ein paar weitere Anläufe, die aber immer wieder erfolgreich von ihm zu Scheitern gebracht wurden, indem er entweder meine Armbeugen kitzelte, die Außenseiten meiner Oberschenkel entlang strich - was meine Wangen sofort eine Nuance dunkler färbte -, oder mir seinen Atem sanft in meinen Nacken pustete. Eine Gänsehaut krabbelte über meinen Rücken und breitete sich über meinem gesamten Körper aus. „Du lenkst mich ab…“, japste ich, als ich schon wieder vergessen hatte, zu atmen. „Wirklich?“ kam es ahnungslos von ihm, doch in seinem Unterton war der Schalk versteckt. „Ja“, seufzte ich und ließ meine Arme resigniert sinken. Er lachte leise, dann schmiegte er seine Wange seitlich an meinen Kopf. „Entschuldige. Es war nur gerade so verlockend.“ Ein erneutes Prickeln. Ich schloss meine Augen abermals und platzierte meine Hände auf seine vor meinem Bauch verschränkten, während seine Lippen erst meine Schläfe berührten und anschließend hinunter wanderten; über meinen Wangenknochen, mein Kinn, meinen Hals… Eine einzige Flammenspur mit sich ziehend. Wie aus dem Nichts fiel mir gerade jetzt wieder etwas ein, an das ich schon den ganzen Tag nicht mehr gedacht hatte. „Edward?“ „Hm…?“ brummte er, was mich zum Schmunzeln brachte. „Was wollte Emmett heute am Telefon?“ Abrupt hob er seinen Kopf und sah mich an, als ich meinen zu ihm drehte. Seine Mundwinkel zuckten sehr weit nach oben und sein Lächeln entblößte zwei perfekte Reihen weißer Zähne. Dann stützte er sein Kinn auf meiner Schulter ab und richtete seinen Blick nach vorne. „Er… würde Donnerstag gerne mit Rosalie ausgehen. Das einzige Problem dabei ist, dass sie keinen Babysitter für Roxy hat. Sie will die Kleine nicht bei ihrer Cousine lassen und hatte schon vor, bei einer Firma jemanden zu engagieren… Em hatte dann aber die Idee, dass ich - oder besser gesagt wir - auf sie aufpassen. Weil sie uns schon ein bisschen kennt…“ Er wandte sich wieder mir zu. „Hast du Lust?“ „Etwa… bei den Stanfields?“ fragte ich zögerlich. Mir wurde schlagartig unwohl zumute, wenn ich daran dachte, das Haus von Claire noch einmal zu betreten. „Nein, ganz bestimmt nicht. Wir würden das dann bei uns zuhause machen“, beruhigte er mich, klang aber trotzdem ein wenig unsicher, als hätte er Angst vor meiner Antwort. Ohne weiter darüber nachzudenken, sagte ich ihm jetzt zu und erntete einen glücklichen und stürmischen Kuss. „Es wird bestimmt ein schöner Abend“, lächelte er, als er sich wieder von mir löste, und ich konnte nichts weiter, als dieses Lächeln zu erwidern, während ich jedes Detail seines strahlenden Gesichts betrachtete. „Also…“, begann er nach ein paar Minuten. „Wollen wir die restliche Zeit noch ein bisschen mit üben verbringen?“ Ich stöhnte auf, weil ich wusste, dass das eh zwecklos war, wenn er hinter mir saß. „Nur nicht aufgeben“, schmunzelte er. Zu meiner Überraschung wies er mich aber diesmal an, meine Hände auf seine zu packen. Ich tat, was er sagte und kurz darauf fing er von neuem an zu spielen. ( http://www.youtube.com/watch?v=1p_ebSseEq8 ) Mir wurde gleich viel wärmer ums Herz, als ich erkennte, dass es die Melodie war, die er für mich komponiert hatte. Mit einem Lächeln sah ich zu, wie unsere Finger gemeinsam elegant über die Tasten glitten und ihnen eine außergewöhnliche Note nach der anderen entlockten, während ich sehr darauf achtete, nicht abzurutschen. Letztendlich zog ich meine Hände dann doch zurück, um ihn nicht eventuell noch zu unterbrechen. Dafür war die Musik einfach zu wundervoll, als dass sie durch eine Unachtsamkeit zerstört würde. Abermals bekam ich das Gefühl zu schweben, dahin zu gleiten und alles unwichtige hinter mir zu lassen. Nur Edward war bei mir, und das sichere Gefühl, das seine Anwesenheit bei mir auslöste. Das hier war seine Welt, in die ich mit jedem Schritt tiefer eintauchte, ohne befürchten zu müssen, unterzugehen. Am Ende konnte ich es dennoch nicht vollkommen genießen. Erst jetzt wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich Charlie von dem Donnerstag erzählen sollte, ohne ihn anzulügen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich weiß, es hat etwas gedauert. Ich hoffe, das Chap hat die Wartezeit entschädigt...^^... Kapitel 22: Keine Geheimnisse mehr ---------------------------------- Während Edward mich nach Hause fuhr, grübelte ich die ganze Zeit über eine geeignete Möglichkeit, meinem Dad darüber zu informieren, dass ich übermorgen Abend bei meinem Freund sein würde. Das war aber nicht das einzige. Weil Freitag - aufgrund des Spiels am Samstag - schulfrei war, hatte er mir auch noch angeboten, dort zu übernachten, falls sich Emmetts Date in die Länge zog. Alles an sich eigentlich kein Grund, Panik zu bekommen, oder? Selbst wenn Edwards Eltern, wie er mir gesagt hatte, heute zu einem zweitägigem Ärztekongress gefahren waren. Es war noch nicht einmal ein richtiges Date und Roxy war ja auch noch da. Andererseits… Wenn die Kleine im Bett war, würden wir dann doch allein sein. Und irgendwie könnte man das ja in dem Fall auch als unsere erste Verabredung sehen. Schließlich hatten wir die noch gar nicht, obwohl wir bereits zusammen waren. Und bei diesem ersten Treffen passierte eh nie etwas gravierendes. Hinzu kam auch noch, dass wir erst seit einigen Tagen miteinander gingen. Irgendwie hatte es ja auch was witziges. Emmett war mit Rosalie aus, Jasper hatte mit Alice eine Verabredung… und ich würde mit Edward zusammen sein. Außerdem vertraute ich ihm. Wenn man es genau betrachtete, freute ich mich sogar auf den Abend, und dennoch konnte ich mich nicht gegen dieses unruhige Gefühl in meinem Bauch wehren. Wenn ich mir schon solche Gedanken machte, wie würde Charlie erst darauf reagieren, wo er momentan doch eh nicht viel von Edward hielt… “Was wenn er es nur solange mit dir aushält, weil er ganz bestimmte Absichten verfolgt?” hatte er gesagt. Konnte ich nicht einfach behaupten, bei Alice zu sein? Ich seufzte. Ich durfte ihn nicht anlügen. Nicht jetzt, wo ich versuchen wollte, seine Meinung bezüglich Edward zu ändern. Das würde nur noch mehr Misstrauen verursachen und irgendwann würde er mir dann, wenn mein Schwindel herauskommen würde, vielleicht sogar den Umgang mit ihm verbieten wollen. Und das würde ich wiederum nicht hinnehmen. Am Ende stände ich dann wieder an dem Punkt, an dem ich war, nachdem Claire angerufen hatte. Nein, das wollte ich nicht. Ich musste ihm die Wahrheit sagen. „Was ist los?“ fragte Edward sanft. Als ich aufsah, bemerkte ich, dass er gerade in unsere Straße einbog. „Ich hab nur nachgedacht“, gab ich als Antwort. „Worüber?“ Edward parkte das Auto am Straßenrand, schaltete den Motor aus und drehte sich in seinem Sitz, um mich neugierig anzusehen. „Na ja…“, fing ich an und schaute auf meine Finger, die nervös miteinander spielten. Das einzige, was die kurze Stille zwischen uns durchbrach, während ich meine nächsten Worte in meinem Kopf gut zurecht legte, war die Stimme des Moderators im Radio. „…Das Tief ‚Hubertus‘ zieht in den nächsten Tagen weiterhin Richtung Osten und bringt heftigen Niederschlag und Gewitter mit sich. San Francisco bleibt jedoch weitestgehend von dem Unwetter verschont…“ Mein Freund drehte die Lautstärke auf Null, damit er mir ohne Unterbrechung zuhören konnte. Ich holte tief Luft und überwand dann endlich meine Zurückhaltung. „Ich hab vorhin zwar sofort zugestimmt, dass ich dir beim Babysitten helfe, nur muss ich leider noch mit Charlie darüber reden. Du weißt ja, wie das ist. Daddy‘s kleines Mädchen übernachtet bei ihrem Freund… Jeder Vater dreht Achten bei dem Gedanken und den dazugehörigen, reichlich fantasievollen Ausschmückungen. Vor allem, da er garantiert nachfragen wird, was mit deinen Eltern sein wird.“ Edward runzelte die Stirn, bis sich seine Augen weiteten und ihm klar wurde, was ich damit sagen wollte. „Oh… daran hatte ich nicht gedacht.“ Ich gab ihm ein zustimmendes, trübes Lächeln, weil ich wirklich keine Ahnung hatte, wie ich es meinem Dad beibringen sollte, ohne dass er an die Decke ging. „Wenn du willst, dann rede ich selbst mal mit ihm“, schlug er auf einmal vor. „Nein!“ Mein Widerspruch war viel zu schnell und viel zu laut. Er konnte gar nicht anders, als dabei misstrauisch zu werden. Und genau so sah er jetzt auch aus. „Hab ich was verpasst?“ fragte er halb amüsiert, halb auf der Hut. Einer seiner Mundwinkel zuckte kurz unruhig nach oben. „Ich weiß ja, dass dein Vater anscheinend nicht gut auf mich zu sprechen ist… warum auch immer, aber ein persönliches Gespräch mit ihm würde da doch am ehesten helfen.“ Ich blickte ihn skeptisch in die Augen. „Das glaube ich kaum.“ Für einen Augenblick musterte er angestrengt meine Gesichtszüge. „Du verschweigst mir doch was“, stellte er fest, allerdings ohne dabei irgendwie böse zu klingen. Mein Mund klappte auf. Wieso musste er auch immer so verdammt gut raten können? „Es ist nichts“, versuchte ich die Sache zu verharmlosen, doch Edwards nächster Satz bereitete mir ebenso Schmerzen, wie scheinbar ihm. „Warum lügst du mich an, Bella? Vertraust du mir nicht?“ „Natürlich!“ widersprach ich ihm energisch. „Tust du nicht“, seufzte er niedergeschlagen und lächelte verzweifelt. „Doch, doch, doch…“ Ich nahm seine Hand in meine und drückte sie ganz fest, um meinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Gedankenverloren beobachtete er unsere, ineinander verschlungenen Finger und streichelte über meinen Handrücken. „Und warum kannst du mir dann nicht die Wahrheit sagen?“ murmelte er, ohne aufzusehen. „Das… Ich will dich einfach nicht mit meinen Problemen belasten. Du hast schon genug um die Ohren. Ich meine, erst musstest du dich um mich kümmern, weil Claire so ein… Biest ist. Dann das mit Tayk. Und dann taucht auch noch Seth auf und bringt alles bei dir durcheinander. Da würde diese eine kleine Sache doch nur-“ Ehe ich meinen Satz beenden konnte, legte er seinen Finger auf meine Lippen und brachte mich so zum Schweigen, während er mich eindringlich ansah. „Bella. Egal was dich bedrückt, ich möchte es wissen. Ich will, dass das hier funktioniert. Wenn du mir Dinge vorenthältst, weil du denkst, du würdest mich damit überfordern, dann entfernst du dich unbewusst von mir. Und das will ich nicht.“ Plötzlich fühlte ich mich bei seinen Worten schuldig. Wie konnte ich davon ausgehen, dass er damit nicht klar kommen würde? Wenn ich ehrlich war, hatte ich doch eigentlich Angst, dass er sich von mir entfernte, wenn er erfuhr, dass ich über seine Polizeiakte Bescheid wusste… und mein Dad auch. Ich atmete tief durch, auch wenn das nicht sonderlich vor der eventuell enttäuschten Reaktion Edwards nach meinen nächsten Sätzen schützen würde. „Ich weiß… dass du bei der Polizei aktenkundig bist.“ Ich sah ihn nicht an, sondern heftete meinen Blick mit aller Kraft auf das Lenkrad. „Oh…“, hörte ich aus seiner Richtung. Dieses eine Wort sprach er so tonlos, dass ich nicht recht erkennen konnte, was er jetzt von mir dachte. Vielleicht, dass ich jetzt Angst vor ihm hatte? So wie er es eh schon vermutete… Oder aber dass ich ihn hintergangen hätte. Dass ich ihm nicht genug vertraute und über seine Vergangenheit Nachforschungen angestellt haben könnte… „Ich hab aber nicht hineingesehen“, fügte ich hastig hinzu, als immer noch nichts von ihm kam, und sah wieder zu ihm. Verwundert hob sich eine seiner Augenbrauen. „Ich versteh nicht ganz. Wie sollst du denn überhaupt dazu gekomm-“ Mitten im Satz hielt er inne und riss die Augen auf, als ihm etwas klar wurde. „Dein Vater…“ „Tut mir Leid…“, sagte ich vorsichtig. „Aber kurz nach der Strandparty hat Claire bei uns angerufen und-“ „Warte mal. Claire hat bei euch Zuhause angerufen?“ fragte er entrüstet nach. Ich nickte. „Sie wollte dich bei Charlie anschwärzen und hat etwas von einer Polizeiakte erwähnt.“ Ich ließ die Schultern hängen. „Er weiß ja nicht, was sie gemacht hat und vertraut ihr natürlich… Oder hat es jedenfalls. Und er ist Polizist… Obwohl ich trotzdem nicht damit gerechnet hab, dass er soweit geht und sogar deine Akte aufstöbert.“ „Na ja, ich kann ihn schon verstehen. Wenn ich er wäre, hätte ich das vielleicht auch gemacht.“ Er lächelte. Edward lächelte plötzlich. Und es schlug sogar in ein leises Kichern um. Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Welcher Teil unserer Unterhaltung war denn bitte so witzig gewesen? Er schüttelte den Kopf, wandte sich von mir ab und stieg aus. Verdattert blieb ich im Auto sitzen und verfolgte seine Bewegungen, als er um den Volvo herumging und die Beifahrertür öffnete. „Kommst du?“ fragte er schmunzelnd. Ich sah ihn noch einen Moment verwirrt an, ehe ich mich erhob und an seine Seite stellte. Er schlug die Tür zu, schloss seine Augen und stützte seine Hände in die Seiten. „Okay… Nur damit ich sicher bin, dass ich das auch richtig verstanden habe: Das einzige, was dir Sorgen bereitet hat, war meine Strafakte?“ Er schlug die Lider auf und sah mich unter seinen Wimpern hindurch an, immer noch ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht. Bei diesem Blick wurden meine Knie weich und ich musste mich konzentrieren, beim Thema zu bleiben. „Nein“, antwortete ich leise. „Ich hatte nur Angst vor deiner Reaktion, wenn du erfährst, dass Charlie davon weiß. Dass du es vielleicht falsch verstehen könntest. Und ich wollte nicht, dass du dich dann eventuell wegen seinem kühlen Verhalten von mir distanzierst.“ Es waren nicht nur Worte. Ich war immer noch unsicher, weil ich Edwards Benehmen gerade überhaupt nicht einschätzen konnte. Er sah mir eindringlich in die Augen, als erwarte er noch mehr meinerseits, doch ich schwieg. „Na gut“, meinte er ruhig. Auch wenn er jetzt etwas ernster klang, wirkte er noch immer gelassen. „Ich gebe zu, dass dieses kleine Detail es schwierig machen wird, die Zweifel deines Vaters zu zerstreuen. Allerdings würde es mich nie daran hindern, dich zu sehen - es sei denn, du verlangst es. Vielleicht hätte ich dir selbst davon erzählen sollen, doch in Anbetracht der Umstände ist so eine Akte doch eigentlich nicht besonders ungewöhnlich, oder? So schnell, wie man in diesem Land nachweisbar straffällig wird… Mich wundert nur, dass du vorhin meintest, du hättest sie dir nicht angeschaut.“ „Wieso sollte ich? Du hast mir doch schon alles erzählt.“ „Vielleicht hab ich dir ja was verschwiegen und bin in Wirklichkeit ein gesuchter Serienmörder“, meinte er achselzuckend, woraufhin ich ihn einen Moment mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Doch dann schüttelte ich langsam den Kopf und entspannte mich wieder. „Wenn das so wäre und etwas davon in der Akte stehen würde, könntest du erstens gar nicht hier vor mir stehen, da du entweder hinter Gittern oder auf der Flucht sein müsstest, und zweitens hätte Charlie mich in Ketten gelegt, nur damit ich dir fern bleibe.“ Er wirkte zuerst ein wenig verdutzt. Als er aber meinen überzeugten Gesichtsausdruck sah, fing er an zu lachen. „Du bist wirklich einzigartig, weißt du das? Ich könnte sonst was angestellt haben, du würdest immer wieder einen Weg finden, die Sache zu verharmlosen. Ich wette, selbst wenn ich dir sagen würde, ich wäre ein Vampir und verrückt nach deinem Blut, würdest du ruhig sitzen bleiben, anstatt wegzulaufen.“ Vermutlich hatte er damit sogar recht. Ich war einfach zu abhängig von seiner Nähe. Er seufzte. „Aber um dich zu beruhigen: Es stand eh nicht viel in dem Ordner. Ich geb zu, bei der Polizei überhaupt registriert zu sein, ist nicht gerade angenehm. Trotzdem. Das was dort vermerkt ist, sind eigentlich nur Kleinigkeiten. Wir haben uns ja nicht immer erwischen lassen. Okay, Einbruch, Diebstahl und Sachbeschädigung sind auch nicht wirklich winzige Delikte, aber-“ „Edward, ich wollte das alles gar nicht wissen“, unterbrach ich ihn. „Ich will aber, dass du es weißt. Keine Geheimnisse mehr, einverstanden?“ Nur langsam erwiderte ich etwas. „Na gut… Ich meinte damit auch nur, dass mir das nicht so wichtig ist.“ „Mir schon. Schließlich will ich alles wissen, was dich beschäftigt. Also erzähle ich dir auch alles über mich.“ „Du bist mir folglich kein Stück böse?“ fragte ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Er kicherte. „Wieso sollte ich dir böse sein? Mal abgesehen davon, dass du das als dein Problem bezeichnet hast, obwohl ich eigentlich der Hauptbestandteil davon bin.“ „Nein! So hab ich das nicht-“ „Ich weiß, was du gemeint hast“, lächelte er sanft. Ich seufzte auf. „Tut mir Leid. In Zukunft werde ich dir nichts mehr verheimlichen. Versprochen.“ „Das will ich auch hoffen“, entgegnete er süffisant. Ungewollt zuckten meine Mundwinkel nach oben. Edward umrahmte mit seinen Fingern sachte die Konturen meines Gesichts - meine Hände legten sich automatisch auf seine - und beugte sich zu mir herunter, um mir einen langen, innigen Kuss zu geben. Als wir uns wieder voneinander trennten, sah er immer noch gelassen aus, auch wenn es ein wenig gedämpft wirkte. „So. Und jetzt werden wir deinen Vater davon überzeugen, dass er dich mir anvertrauen kann.“ Mittels Fernsteuerung schloss er sein Auto ab und nahm meine Hand, um mich zu meinem Haus zu ziehen. Eigentlich wollte ich meine gesamte Kraft einsetzen, um ihn zum Stehen zu bringen, doch bereits nach nur wenig Widerstand hielt er inne und drehte sich zu mir. „Was hast du vor?“ fragte ich ihn irritiert. „Ich wollte bei dir solange warten, bis dein Dad von der Arbeit zurück ist, damit ich mit ihm reden kann.“ Er gab mir einen Blick, der mir sagte, dass seine Absichten doch eigentlich offensichtlich hätten sein müssen. „Warte. Ich würde das lieber gern allein tun.“ Überrascht runzelte er die Stirn. „Irgendwann muss ich doch sowieso mal mit ihm reden.“ „Ja, aber heute ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich würde damit gerne warten, bis sich das alles etwas gelegt hat. Und außerdem kannst du doch leichter sein Vertrauen gewinnen, wenn wir schon etwas länger zusammen sind“, argumentierte ich und hoffte, dass er es genauso sah. Er musterte mich nachdenklich, bis er resigniert ausatmete. „Na gut… Einverstanden.“ Erleichterung durchflutete mich. Ich wusste nicht, was Charlie in seinem jetzigen Zustand mit Edward machen würde. Er hatte ihn vielleicht mehr oder weniger akzeptiert, doch mit Sicherheit schob er immer noch Vorbehalte ihm gegenüber. Das wusste ich, auch ohne dass er es erwähnen musste. Jetzt allerdings konnte ich ihn noch ein wenig bearbeiten und von Edward überzeugen, bis dann am Ende das allzu bekannte Gespräch zwischen dem Vater und dem festen Freund der Tochter stattfinden konnte. „Okay, dann fahre ich jetzt nach Hause. Falls er auf stur stellt, kannst du ja erwähnen, dass meine Eltern Abends wieder zurück sind“, meinte er aufmunternd. „Stimmt das denn, oder ist das nur so eine Art Notlüge?“ fragte ich verhalten grinsend. Er schmunzelte. „Natürlich stimmt das. Ich würde dir nie sagen, dass du deinen Vater anlügen sollst.“ Wieso war ich eigentlich auf so eine Idee gekommen? Ich biss mir auf die Lippen, weil ich ihm so was überhaupt unterstellt hatte. „Also. Wir sehen uns morgen früh.“ Zwar klangen seine leisen Worte nach Abschied, doch seine Bewegungen signalisierten eher, an Ort und Stelle zu bleiben, als er seine Arme um meine Mitte schlang, mich eng an sich drückte und mir einen dermaßen sinnlichen Kuss gab, dass mir ganz schwindelig wurde. Als wir uns wieder voneinander lösten, legte ich meine Arme auf seine, um dem Gleichgewichtsproblem entgegenzuwirken, obwohl das völlig überflüssig war, so sicher wie er mich mit seinem Griff hielt. Während ich noch damit kämpfte, wieder normal zu atmen, zierte ein schiefes Lächeln sein Gesicht. „Und wenn du mir morgen erzählst, dass er dich am Donnerstag nicht zu mir lassen will“, hauchte er gegen meine Lippen. „Dann werde ich doch noch mit ihm reden.“ „Das… schaff ich schon“, brachte ich geradeso heraus. „Wir werden sehen.“ Sein Lächeln wurde breiter, ehe sein Mund wieder meinen berührte, sich dann wieder löste, dann wieder berührte, dann wieder löste… Und jedes Mal verharrte er etwas länger auf meinen Lippen. „Ich sollte jetzt langsam gehen“, flüsterte er, sein Gesicht meinem immer noch nahe. „Solltest du?“ fragte ich genauso leise. Er gluckste, als gefielen ihm meine Worte. „Wenn du deine Meinung bezüglich deines Vaters nicht geändert hast, dann Ja.“ Betrübt senkte ich meinen Blick. „In ein paar Stunden sehen wir uns wieder und dann erwarte ich eine positive Antwort“, grinste er verschmitzt. Ein letzter, gefühlvoller Kuss, dann ließ er mich los, stupste mit seinem Zeigefinger frech meine Nasenspitze an und ging zu seinem Auto. Etwas wehmütig sah ich ihm hinterher. Er erwiderte meinen Blick mit einem sanften Lächeln, ehe er einstieg und ich kurz darauf seinen Motor starten hörte. Als er losfuhr, wandte ich mich um und schloss die Haustür auf. Noch während ich dabei war, mich im Flur zu entkleiden, hörte ich bereits ein Klingeln aus der Küche. Ich hastete - ohne zu stolpern - zum Telefon und blieb direkt davor stehen. „Swan?“ sprach ich schwer atmend in die Muschel, als ich abnahm. „Bella…?“ Diese Stimme erkannte ich sofort. Und auf der Stelle bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich schon etwas länger nicht mehr bei ihr gemeldet hatte. „Mom…! Hi… Was gibt´s?“ „Eigentlich wollte ich deinen Vater sprechen. Aber wie es aussieht, macht er wohl wieder Überstunden, was?“ Ich musste nichts darauf sagen, da sie die Antwort bereits kannte. Es war einer der Gründe für ihre Trennung gewesen. Mich hingegen störte es nicht, dass er so selten Zuhause war. Das Für sich allein sein wollen musste ich wohl von ihm haben. „Was wolltest du denn von ihm? Ich kann es ja ausrichten“, schlug ich vor. „Oh, ich wollte eigentlich nur Bescheid sagen, dass ich schon morgen komme. Phil hat einen Tag früher frei bekommen.“ Meine Augen weiteten sich vor Verblüffung. „Du kommst uns besuchen?“ „Mehr oder weniger. Hat Charlie dir das nicht gesagt?“ „Nein…“ Dass ich nichts davon wusste, fand ich nicht wirklich überraschend. Schließlich hatte ich die letzten Tage nicht mit ihm gesprochen. „Phil wollte sich das Stadion in San Francisco mal näher anschauen, weil ihr Team in den nächsten Wochen ein Spiel dort haben wird“, fuhr sie fort. „Bisher hat er dort nämlich noch nicht gespielt und er nimmt sich ja immer gerne neue Spielfelder unter die Lupe.“ Auch ohne dass ich sie sah, wusste ich, dass sie ein verliebtes Grinsen auf dem Gesicht hatte. Ein paar Minuten schwiegen wir beide in den Hörer, bis sie sich wieder meldete. „Jedenfalls wollten wir morgen, wenn wir in unser Hotel eingecheckt sind, bei euch zum Abendessen vorbeikommen… Falls ihr nichts dagegen habt.“ „Natürlich nicht“, sagte ich schnell und bereute es in der nächsten Sekunde beinahe schon wieder, weil das hieß, dass ich für das Essen verantwortlich war. Ich konnte ihnen schlecht etwas vom Pizzaservice anbieten. „Wunderbar. Wir sind dann so zu acht Uhr bei euch. Sag Charlie, er soll nicht zu lange arbeiten, ja?“ „Mach ich. Ehm… Wie lange bleibt ihr denn überhaupt?“ wollte ich wissen, weil ich mich plötzlich wieder an Jaspers Frage am Strand erinnerte, als er wissen wollte, ob ich Phil überreden könnte, zum Schulspiel zu kommen. „Leider nur bis Sonntag. Viel zu kurz, um sich die ganze Stadt richtig anzusehen und dabei noch zu relaxen“, jammerte sie. Perfektes Timing, könnte man sagen. „Warum fragst du?“ „Reine Neugierde.“ Ich wollte sie nicht schon am Telefon damit überfallen. Außerdem fand ich es besser, Phil persönlich zu fragen. Ich konnte es gar nicht erwarten, Edwards Gesicht zu sehen, wenn er davon erfuhr, und Emmetts, Jaspers… Falls es denn klappte. „Und wie geht es dir? Irgendwelche Neuigkeiten, die ich wissen sollte?“ wechselte sie das Thema. Ich habe einen festen Freund… Claire und ich sind geschiedene Leute. Stattdessen stellt sich Alice langsam als eine wahre Freundin heraus… „Morgen, einverstanden, Mom?“ bat ich. Das Ganze über eine Stromleitung zu erklären, wollte ich nicht, und von Angesicht zu Angesicht war da demnach die bessere Lösung. „Also gibt es tatsächlich etwas Neues“, stellte sie fest und klang gleich eine gewaltige Spur euphorischer. „Mom…“ „Schon gut. Morgen Abend also. Ich freu mich drauf.“ In ihrer Stimme lag jetzt ein Lächeln. Normalerweise war sie nicht der Typ, der bei einem Geheimnis so schnell aufgab. Ob sie spürte, dass ich momentan kurz angebunden war? „Ich mich auch… Bis dann. Hab dich lieb.“ „Hab dich auch lieb, mein Schatz…“ Ich hörte es in der Leitung knacken, dann war das Telefonat beendet. Ich wusste nicht, ob ich ihren Besuch als gutes oder schlechtes Omen sehen sollte. Aber wenn ich richtig darüber nachdachte, dann könnte sie mir doch vielleicht sogar helfen. Falls Charlie sich bezüglich Donnerstag quer stellte, könnte sie mit ihm reden. In solchen Dingen war sie dann nämlich die aufgeschlossenere von beiden. Und damit kamen wir auch wieder auf die Sache, die mir als nächstes bevorstand. Das Gespräch mit Dad. Ich könnte ein paar Pluspunkte sammeln, wenn ich ihm etwas zum Abendbrot kochen würde, statt beim Italiener zu bestellen. Das war zwar immer eine Alternative, falls mal keine Zeit für die Vorbereitungen war, aber auf Dauer konnte diese Art der Ernährung auch nicht wirklich das wahre sein. Und Charlie liebte meine Gerichte. Das sagte er jedenfalls und ich war mir ziemlich sicher, dass er es ehrlich meinte. Ich öffnete den Kühlschrank, um zu sehen, was wir noch da hatten, und stöhnte auf. Sehr viel gab es nicht mehr. Aus den Lebensmitteln, die noch vorhanden waren, konnte ich nicht mehr als Salat mit Putenbruststreifen zaubern. Hatte Charlie nicht mal erwähnt, dass er etwas gesünder essen wollte? Warum also nicht jetzt damit anfangen? Man konnte sich ja nicht sein Leben lang von Donuts und Kaffee in der Mittagspause und Kalorienbomben am Abend ernähren. Okay, ich bezweifelte, dass er diesen Vorsatz ernsthaft durchziehen würde, aber momentan hatte ich keine andere Wahl. Nachdem ich das Essen fertig hatte, dauerte es auch nicht mehr lange, bis Charlie von der Arbeit kam. Ich war gerade dabei, den Tisch zu decken, als ich die Haustür hörte. „Bells?“ „In der Küche, Dad“, antwortete ich. Einen Augenblick später erkannte ich seinen Kopf im Türrahmen. „Oh, du hast gekocht“, stellte er fest und klang gleich etwas fröhlicher. Wenn er nur wüsste, was es gab… „Mehr oder weniger. Hast du Hunger?“ „Jede Menge“, lachte er. Wie es aussah, war er nach unserer letzten Konversation wieder ganz der Alte. Ob das auch noch in ein paar Stunden so sein würde, war jedoch nicht sicher. Charlie verschwand wieder im Flur, um sich seiner Sachen zu entledigen, ehe er abermals in der Küche auftauchte und sich setzte. Voller Vorfreude rieb er seine Handflächen aneinander. Als ich aber die Schüssel in die Mitte des Tisches stellte, gefroren seine freudigen Gesichtszüge zu Stein. Wie ich es mir gedacht hatte. „Salat…“, bemerkte er steif und ließ die Hände langsam auf seine Oberschenkel sinken. „Keine Sorge. Es gibt auch Fleisch dazu. Du wolltest deine Mahlzeiten doch eh ein wenig abändern.“ Geistesabwesend starrte er auf das Grünzeug vor sich, bis er sich schließlich wieder fing und sich etwas auffüllte. „Na dann. Eine Abwechslung kann nie schaden, was?“ Er bemühte sich, überzeugend zu klingen, auch wenn es nichts brachte. Er war genauso ein schlechter Schauspieler wie ich. Ich füllte die Putenstreifen aus der Pfanne in eine weitere Schale und platzierte sie neben dem Salat. Die ersten Minuten aßen wir schweigend, wobei ich hin und wieder zu Charlie schielte, um zu sehen, ob sich seine Laune verbessert oder verschlechtert hatte. Doch wie es schien, schmeckte es ihm. Dadurch ermutigt fing ich dann mit einem weniger banalen Thema an, um die Atmosphäre zu lockern. „Mom hat angerufen.“ Mein Dad schaute von seinem Teller auf und sah mich fragend an, bevor ihm klar wurde, wovon ich sprach. „Oh… ja. Sie kommt Donnerstag in die Stadt… Zusammen mit diesem… Phil.“ Noch während er redete, widmete er seine Aufmerksamkeit wieder seinem Gericht. Wenn ich mich nicht irrte, dann hatte er den Namen nur widerwillig ausgesprochen. Bisher hatte ich nicht besonders darauf geachtet, aber konnte es sein, dass er die Trennung von meiner Mom noch immer nicht völlig überwunden hatte? Eigentlich gab es noch keine einzige Situation, in der es mir hätte auffallen müssen. Wenn Renée mal zu Besuch gekommen war, dann stets allein. Ohne ihren Mann, sodass Charlie ihm nie entgegentreten musste. Traf meine Vermutung jetzt allerdings wirklich zu, dann könnte sich das Abendessen morgen wirklich etwas schwierig gestalten. Und dass er mir nichts erzählt hatte, könnte dann auch viel eher daran liegen, dass er einfach das Thema an sich meiden wollte. „Ehrlich gesagt sind sie schon morgen da. Und am Abend wollen sie zum Essen kommen… Du sollst dann übrigens nicht solange arbeiten…“ Regelrecht alarmiert hob er seinen Kopf wieder und starrte mich an, bevor er weiteraß und vor sich hingrummelte. Eigentlich dachte ich, dass dieses Thema harmlos war, doch jetzt kam es mir noch komplizierter vor, ihm auch noch von dem Babysitten zu erzählen. Ich wartete ein paar weitere Minuten, auch wenn ich wusste, dass das nicht helfen würde, seine momentane Stimmung wieder zu heben. „Ehm, Dad?“ „Hm?“ Teilnahmslos ließ er den Kopf gesenkt und schob sich eine Gabel voll Blattsalat in den Mund. „Edward hat mich gefragt, ob ich ihm Donnerstag beim Babysitten helfe…“, sagte ich vorsichtig. „Aha.“ „Bei ihm Zuhause“, fügte ich noch hinzu, nachdem er nicht wirklich darauf reagierte. „Hm.“ Entweder machte ihm das in der Tat rein gar nichts aus, oder aber meine Worte waren noch nicht richtig zu ihm durchgedrungen. „Er hat mir auch angeboten, bei ihm zu übernachten, falls es länger dauert…“ Mitten im Kauen stoppte er, genauso wie seine Hand, die die Gabel hielt. Ganz langsam setzte die Bewegung seines Mundes wieder ein und er schluckte letzten Endes. „Auf wen wollt ihr noch mal aufpassen?“ fragte er, als er mich endlich ansah. „Die Tochter einer Freundin von Edwards Bruder.“ Seine Stirn legte sich in Falten. Es wäre natürlich einfacher gewesen, Claires Nichte zu sagen, doch das würde nur unnötige Fragen aufwerfen, die ich im Augenblick einfach nicht beantworten wollte. „Und ihr macht das, weil…?“ hakte er nach. „ …Emmett und Rosalie ausgehen“, vollendete ich den Satz. Ich sah ihm an, dass er immer noch nicht ganz verstand. „Emmett ist Edwards Bruder und Rosalie die Mutter von Roxy.“ Seine grauen Zellen mussten auf Hochtouren arbeiten und es dauerte eine Weile, bis er wieder etwas sagte. „Na ja, ich denke, wenn es bei ihm Zuhause ist, dann ist das in Ordnung.“ Ich fiel aus allen Wolken. Aus einem mir unverständlichen Grund musste ihn diese Tatsache beruhigen. Ich war davon ausgegangen, dass er wütend werden und es mir verbieten würde. Stattdessen wandte er sich jetzt wieder seelenruhig seinem Salat zu. „Du hast nichts dagegen?“ vergewisserte ich mich zweiflerisch. „Warum sollte ich? Seine Eltern sind ja schließlich auch noch da“, murmelte er zwischen seinen Bissen. Ich schluckte. „Ehm… Das stimmt so nicht… Die beiden sind weggefahren und-“ „Also seid ihr alleine?“ fuhr er mir auf einmal unwirsch dazwischen. Der schockierte Ausdruck in seinem Gesicht wurde von Sekunde zu Sekunde deutlicher. „Ich bin mir sicher, dass er auch eigenständig den Aufpasser spielen kann.“ Sein plötzlicher, autoritärer Unterton ließ mich zurückschrecken und bestätigte mir gleichzeitig meine Befürchtungen. „Dad! Wir sind nicht ganz allein. Roxy ist auch noch da und außerdem sind die Cullens abends wieder zurück“, redete ich dagegen und hoffte, dass Edwards Argument Charlie beeinflussen konnte. Das selbst gemachte Essen schaffte es jedenfalls nicht. „Ich verwette meinen Hintern, dass das nur eine Ausrede ist“, konterte er wütig und fuchtelte mit seiner Gabel herum. „Er würde mich nie anlügen. Also hör auf, ihm so was zu unterstellen. Wenn du mir verbieten willst, ihm zu helfen, dann frage ich eben Mom.“ Das hatte gesessen. Allerdings in einer weniger positiven Richtung. Seine Haut nahm eine immer ungesündere Farbe an und er hatte wirklich Mühe, sich unter Kontrolle zu halten. „Wenn du meinst, du müsstest mir mit ihr in den Rücken fallen, dann bitte. Aber solange du unter meinem Dach wohnst, habe ich das Sagen.“ Sein scharfer Ton war nun unverkennbar. Ich war mir bewusst, dass ich ihn verletzt hatte. Am liebsten hätte ich meine letzten Worte wieder zurückgenommen. „Dad…“, flüsterte ich. „Ich will mich nicht schon wieder mit dir streiten. Ich bin froh, dass der letzte gerade erst vorbei ist.“ „Du hast damit angefangen, also beschwer dich nicht“, erwiderte er barsch. Mitleidig ließ ich die Schultern hängen. „Was ist denn so schlimm daran, wenn ich mit Edward auf ein Kind aufpasse?“ “Was daran schlimm ist?“ wiederholte er mich eine Oktave höher. „Wahrscheinlich ist das alles nur ein Vorwand für ganz andere Dinge.“ Verständnislos schaute ich ihn an. „Du kennst ihn überhaupt nicht richtig. Meinst du, bloß weil du in seine Akte gesehen hast, wüsstest du, wie er tickt?“ Er antwortete nicht sofort, sondern rang eher nach Worten. So wirklich konnte er eigentlich nichts logisches entgegenbringen. Deshalb hörte sich sein nächster Satz auch sehr fadenscheinig an. „Diese Burschen sind alle gleich“, zeterte er, klang jetzt aber deutlich unsicherer. „Dad, das ist völliger Schwachsinn, und das weißt du auch.“ Ich bekam mehr und mehr das Gefühl, jetzt auf der sicheren Seite zu stehen. „Na schön.“ Die Unsicherheit war auf einmal wie weggeblasen und Entschlossenheit spiegelte sich in seinen Augen wider. Verwirrt musterte ich seine Gesichtszüge. „Donnerstag nach der Schule kommt er zu mir und dann reden wir. Ich hatte mir den Tag extra frei genommen wegen deiner Mutter, aber da sich das ja erledigt hat, hab ich genügend Zeit, deinen Freund unter die Lupe zu nehmen. Und erst danach entscheide ich, ob du zu ihm darfst.“ Mir klappte der der Mund auf. „Aber…“ „Das ist der einzige Kompromiss, den ich eingehe. Entweder du akzeptierst ihn oder du lässt es bleiben“, fuhr er fort, ohne mich überhaupt richtig zu Wort kommen zu lassen. Wie es aussah, würde Edward sein Gespräch mit meinem Vater früher bekommen, als ich geplant hatte. Und ich war mir sicher, dass er rein gar nichts dagegen haben würde. Ich war offenbar die einzige, der das nicht passte. Aber wie sollte man zwei Sturköpfe, wie sie es waren, auch für immer trennen können? Irgendwann mussten sie ja aneinander geraten… „Fein!“ Etwas beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Mein Appetit war vergangen. Keiner von beiden sagte an dem Abend noch ein weiteres Wort. Die Nacht über hatte ich ziemlich unruhig geschlafen, weil mir einfach zu viel im Kopf umherschwirrte. Nicht nur die Sache mit Charlie und dem Donnerstag, sondern auch Renées Besuch, der für einigen Verdruss bei meinem Vater sorgte. Dann war da noch Seth. Ich war mir eigentlich sicher, dass Edward noch mehr darüber nachdachte, als ich. Immerhin war er einer seiner besten Freunde. Oder ehemaligen besten Freunde? Ob Edward wieder mehr Kontakt mit ihm haben würde, wusste ich nicht, aber wenn Seth wirklich soviel daran lag und mein Freund dem nicht ganz abgeneigt war, dann könnte es klappen. Sollte ich ihnen dabei helfen? Nur wenn Edward es wollte, oder? Andererseits durfte ich mich nicht da einmischen. Und was hatte Claire überhaupt vor? Was sollte diese Entschuldigung von ihr? Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie es ernst gemeint hatte. Nicht, nachdem sie mich jahrelang so hintergangen hatte. Aber was wenn doch? Vielleicht lag ihr ja mehr an unserer Freundschaft, als ich vermutete. Dementgegen konnte man aber niemandem verzeihen, der für das die Schuld trug, was mir passiert war. Nein, ich würde ihr nicht verzeihen, selbst wenn ihr Sinneswandel echt sein mochte. Manche Dinge konnte man einfach nicht vergeben. Sie musste aus ihren Fehlern lernen und sehen, was sie angerichtet hatte. Sie musste verstehen, dass nicht alles gerechtfertigt war. Dann war da noch Alice und der mysteriöse Blumenstrauß. Auch wenn ich davon ausgegangen war, dass er von Jasper kam, schien die Elfe doch nicht wirklich davon überzeugt gewesen zu sein. Es hatte sie ja beinahe erschreckt, als sie die Karte gelesen hatte. Und ihr war nicht wohl bei der Sache. Was wenn es tatsächlich jemand fremdes war? Aber wie sollte ich dann ihre Reaktion auffassen? Dass das in Bezug auf Jasper Komplikationen hervorrufen könnte? Und der Spruch… Wenn es doch Jasper war, dann hatte er einfach die falschen Worte gewählt. Wenn es aber jemand anderes war, dann klang das Ganze schon etwas… besessen. Oder derjenige hatte ebenfalls kein Glück mit solchen Formulierungen. Ein Gespräch mit Alice würde hoffentlich ein paar Dinge klären. Immerhin waren sie zusammen nach Hause gefahren. Davon ging ich jedenfalls aus, denn Jazz war gestern ja auch sehr schnell verschwunden gewesen. Schwerfällig drehte ich mich auf den Rücken und legte meine Hände aufs Gesicht. Der neue Tag würde anstrengender werden als erwartet. Nicht nur wegen Alice, Renée und Edward, sondern weil ich so gut wie kein Auge zubekommen hatte und mir jetzt, als ich auf die Uhr sah - und ernüchternd feststellen musste, dass es bereits halb sechs war -, klar wurde, dass ich den Tag völlig übermüdet beginnen musste. Auch wenn ich noch vor dem Weckerklingeln bereits wach lag, blieb doch nicht mehr viel Zeit, um sich noch einmal umzudrehen und ein paar weitere Minuten zu träumen. Mit noch halb geschlossenen Augen hievte ich mich aus meinem Bett, nahm meine Sachen und ging ins Bad. Auf halbem Weg wäre ich beinahe mit der Wand kollidiert, konnte mich mit der Hand aber noch rechtzeitig abstützen. Der erste Blick in den Spiegel bescherte mir einen regelrechten Schock. Nicht nur dass meine Haare dermaßen wüst aussahen, was noch nicht mal so schlimm war, da das nach dem Schlafen meistens so kam. Unter meinen Augen zeichneten sich viel zu deutlich bläuliche Ringe ab und meine Hautfarbe war blasser als die einer Leiche. Würde mir abgesehen von meiner Müdigkeit noch andersartig unwohl zumute sein, hätte ich vermutet, mir einen Virus eingefangen zu haben. Doch da ich den Umständen entsprechend fit war, schloss ich diese Möglichkeit aus. Eine heiß-kalte Dusche und die Sache würde gleich etwas anders aussehen. Gemächlicher als üblich machte ich mich dann soweit fertig und als ich die Küche betrat, stieg mir bereits der Geruch von Kaffee in die Nase. Charlie saß wie immer am Tisch und las die Zeitung. „Morgen“, sagte ich leise und nahm mir vor, es bei diesem einen Wort für den Rest des Tages zu belassen. „Morgen“, nuschelte er ebenfalls desinteressiert hinter dem beschriebenen Fetzen Papier in seinen Händen. Stillschweigend nahm ich mir mein Müsli und ein Glas Orangensaft und setzte mich ihm gegenüber. Ich schenkte ihm keinerlei weitere Beachtung, obwohl ich das Gefühl hatte, er würde ab und zu hinüberblinzeln. Tat ihm sein Entschluss jetzt leid? Wohl kaum. Charlie Swan war nicht der Typ dafür. Und selbst wenn, würde ich nicht so schnell nachgeben. Er musste selbst sehen, dass seine Haltung vollkommen fehl am Platz war. Ich war keine dreizehn mehr. Irgendwann musste ich doch sowieso anfangen, mein Leben allein zu meistern und Verantwortung zu übernehmen. Aber Väter waren von so einem Gedanken ja eh nie begeistert. Genauso wie beim Duschen und Anziehen, hätte ich mir auch beim Frühstück liebend gern Zeit gelassen, aber ich wollte nicht länger in dieser angespannten Atmosphäre sitzen und eventuell in eine weitere, Vater-Tochter-Diskussion geraten. Also erhob ich mich, sobald ich fertig war, stellte mein Geschirr in die Abwäsche und verließ die Küche. Ich wusste nicht, ob er noch etwas gesagt hatte, da ich es nicht erwarten konnte, aus dem Haus zu kommen. Edward war noch nicht da, als ich auf dem Vorrasen stand, den Kopf in den Nacken legte und mit geschlossenen Augen tief durchatmete. Die schwach kühle Morgenluft tat gut und klärte meine Sinne ein wenig. Ich überlegte, ob ich vielleicht schon vorgehen sollte und er mich dann irgendwann aufgabelte, verwarf die Idee aber schnell wieder. Mir fiel ein, was das letzte Mal passiert war und auf eine zweite Begegnung mit einem Haufen Fahrradfahrern hatte ich wirklich keine Lust. Als wäre meine Anspannung spürbar gewesen, sah ich, nachdem ich meinen Blick wieder geradeaus richtete, einen silbernen Volvo um die Ecke biegen. Je näher das Auto kam, desto deutlicher zeichnete sich Edwards Silhouette durch die Windschutzscheibe ab und schon bald erkannte ich seinen überraschten Gesichtsausdruck. Kein Wunder. Wann hatte ich das letzte Mal auf ihn gewartet? Bis jetzt nie. Er hielt am Straßenrand und ich ging bereits auf den Wagen zu, doch er war schneller ausgestiegen und herumgelaufen als erwartet. Schnellen Schrittes kam er auf mich zu, blieb aber mittendrin stehen. Seine Augen weiteten sich, als er mich betrachtete, ehe er seine Bewegungen nur langsam wieder aufnahm. „Du siehst… geschafft aus. Dabei hat der Tag noch nicht mal angefangen“, stellte er halb schmunzelnd, halb besorgt fest. Ich schenkte ihm ein leichtes Lächeln, während er mich fest in seine Arme schloss. „Guten Morgen“, wisperte er liebevoll in mein Ohr. Ich antwortete ihm mit den gleichen Worten, auch wenn meine etwas träger klangen. „Und was deine kleine Bewerkung angeht…“, fügte ich hinzu. „Ich hatte keine sehr erholsame Nacht. Ich hab kaum ein Auge zubekommen.“ Er lehnte sich zurück und musterte mein Gesicht. Bei seinem Blick färbten sich meine Wangen spürbar rötlich. Allerdings würde er nicht nur das sehen, sondern auch die Augenringe, weshalb ich meine Lider zukniff und meinen Kopf senkte. „Nicht hinsehen“, bat ich. „Ich weiß auch so, dass ich einem Zombie sehr ähnlich komme.“ Er lachte leise und nahm mein Gesicht in seine Hände, um es wieder anzuheben, wobei seine Daumen zaghaft unter meinen Augen entlang strichen. „So schlimm ist es wirklich nicht. Man sieht es eigentlich kaum.“ Meine Augenbraue zuckte ungläubig nach oben, doch ich verkniff mir meinen Kommentar. Würde ich behaupten, dass er das nur gesagt hatte, weil er mein Freund war, dann hätte er mit Sicherheit wieder dagegen geredet. Und da das eh zu nichts führen würde als einer weiteren, wenn auch harmonischeren Auseinandersetzung, ließ ich es lieber ganz sein. Ein Lächeln erhellte seine Züge und behände zog er mein Gesicht gen seinem. So unschuldig wie der Morgen noch war, so sanft war der Kuss, den er mir gab und für einen Moment war jede einzelne Zelle in meinem Kopf und dem Rest meines Körpers damit beschäftigt, das prickelnde Gefühl zu genießen, das diese Berührung auslöste. Die mürrischen Gedanken, die ich eben noch hatte, waren wie weggefegt. An diese wohligen Empfindungen konnte ich mich wirklich gewöhnen. Viel zu schnell löste er sich von mir, doch so einfach wollte ich der Sorglosigkeit nicht entrissen werden. Wie aus Reflex schoben sich meine Arme zwischen uns nach oben, um meine Hände an die Seiten seines Kopfes zu legen. Ich zog ihn wieder zu mir herunter, während ich mich gleichzeitig auf die Zehenspitzen stellte. Abermals trafen sich unsere Lippen, auch wenn seine zu einem kurzen, schwer zu bewerkstelligenden Grinsen verzogen waren, ehe er es richtig erwiderte. Dieses Mal hielt der Moment länger an und wurde eine Spur intensiver, wofür ich Edward sehr dankbar war. Doch letztendlich endete auch das. „Ich persönlich hab nichts dagegen, noch eine Weile in dieser Position zu verharren, nur glaube ich, sehen die Lehrer das etwas anders“, schmunzelte er vergnügt. Ich seufzte. „Auch wenn ich es nur ungern zugebe, aber du hast recht.“ „Ich weiß“, grinste er, als er mich zum Auto führte. „Ich gehöre ja auch zum dominanten Part unserer Rasse. Wir müssen recht haben.“ Aus irgendeinem Grund war er heute zu Scherzen aufgelegt. Oder überspielte er nur seine Nervosität wegen der noch ausstehenden Antwort auf ein gewisses Thema? Ich sah ihn etwas sprachlos an und musste plötzlich leise lachen. Er schaffte es tatsächlich, egal in welcher Situation, die Stimmung zu heben. Aus Rache für mein Amusement zwickte er mir in die Seite. Zwar versuchte ich noch, auszuweichen, doch leider verbog ich mich dabei so ungeschickt, dass ich das Gleichgewicht verlor. Edward schlang noch rechtzeitig seine Arme von hinten um mich und verhinderte den garantierten Sturz. Kichernd drückte er mir seine Lippen auf die Haare. „Na komm…“ Wir stiegen in den Volvo und Edward verschränkte die Finger seiner freien Hand mit meinen. Die kurzweilige Heiterkeit schwand langsam und in unserem Schweigen lag bald eine kaum spürbare Anspannung. „Wie hat dein Vater reagiert?“ fragte er vorsichtig in die Stille hinein. „Ich würde sagen, du bekommst dein Gespräch doch noch.“ Kurz wandte er sich mit hochgezogenen Augenbrauen zu mir. „Er will morgen vorher mit dir reden“, wurde ich etwas genauer. „Wirklich?“ Ich nickte. „ Sieht so aus, als wolle er sich erst ein Bild von dir machen, bevor er dich auf mich loslässt. Oder dich warnen und in die Schranken weisen. Was weiß ich…“ „Das ist doch gut“, lächelte er und strich mit seinem Daumen über meinen Handrücken, während sein Blick der Fahrbahn folgte. „Immerhin hat er nicht Nein gesagt.“ Mein skeptischer Gesichtsausdruck ließ ihn leise kichern. „Er wird mir schon nicht den Kopf abreißen.“ „Ich hab eher Angst, dass er dich erschießt“, murrte ich und starrte gedankenverloren aus dem Seitenfenster. Er gluckste. „Ich denke, ich kann auf mich aufpassen.“ Hoffen wir es, fügte ich in Gedanken hinzu. Edward wirkte ziemlich überzeugt davon, dass alles glatt laufen würde, und als wäre das kleine Treffen von Angesicht zu Angesicht mit Charlie überhaupt nicht bedeutsam, erzählte er von dem Donnerstag, als hätte ich schon Dads Einwilligung. Da Emmett Rosalie ein bisschen Zeit für sich geben wollte, bat er uns, Roxy bereits von der Schule abzuholen und den Nachmittag mit ihr zu verbringen. Die Grundschule befand sich gleich neben der High School, also war das kein großes Problem. Schließlich hatten wir sie schon einmal von dort mitgenommen. Wie es aussah, hatte Edward sogar schon ein paar Sachen, die wir drei machen konnten, geplant, nur leider verriet er mir nicht, was genau es war. Ich unterließ jeden Versuch, ihn diesbezüglich zu überreden, es mir zu sagen; wusste ich doch, wie dickköpfig er sein konnte. Schon bald kam der Parkplatz unserer Schule in Sicht. Edward parkte das Auto in eine der vorderen Reihen und nachdem wir ausgestiegen waren, suchte ich unbewusst die Umgebung nach Alice‘ gelbem Beetle ab. Ich fand ihn relativ schnell etwas weiter hinten. Während Edward mich an seine Seite zog und wir Richtung Hauptgebäude gingen, fiel mir eine Sache als erstes auf. Die Schwarzhaarige kam uns nicht wie erwartet entgegen gerannt. Gut, ich konnte nach einer Woche nicht ihr gesamtes Verhalten analysiert haben, aber trotzdem war ich irgendwie davon ausgegangen, dass sie auf uns warten würde. Wahrscheinlich sollte ich mir nicht allzu viele Sorgen machen. Am Ende war sie vielleicht einfach nur mit etwas anderem beschäftigt. Etwas wichtigerem. Nichtsdestotrotz bekam ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Je näher wir gingen, desto seltsamer kamen mir die Schüler vor, was Edward nicht entging. Einige waren wie wir auf dem Weg in die Schule, andere wiederum standen draußen und tuschelten mit zusammengesteckten Köpfen. Es war zwar nur selten, aber ab und zu kam es mir so vor, als würden einige neugierig zu Edward schielen. Wir betraten die Vorhalle und auch hier hatten sich überall kleine Grüppchen gebildet. Irgendetwas sahen sie sich an und das Gemurmel unter ihnen war lauter als das draußen. Genauer betrachtet, entdeckten wir erst jetzt, dass überall an den Wänden Fotos hingen. Noch standen wir zu weit entfernt, um erkennen zu können, was darauf abgebildet war und zögerlich näherten wir uns dem Objekt des Aufruhrs. Jemand, der uns bemerkte, schaute meinen Freund mit einem mitleidigen Blick an. „Tut mir echt leid für euch.“ Er klopfte mit seiner Hand sachte auf Edwards Schulter, steckte dann beide in die Hosentaschen und machte sich seelenruhig auf den Weg zu seiner Stunde. Mit seinem Kommentar hinterließ er bei uns verwirrte Mienen und als wir endlich sehen konnten, was für alle zur Schau gestellt wurde, klappte uns vor Entsetzen der Mund auf. „Oh mein Gott“, flüsterte ich kaum hörbar. Wer um alles in der Welt war zu so etwas fähig? Auf den Bildern war Tayk zu sehen. In der VIP-Lounge des San Francisco Baseballstadions. Das allein wäre nicht schlimm gewesen, nur war er eben nicht allein dort. Neben ihm saß eine weitere Person. Eine, von der ich so etwas niemals erwartet hätte. Mike Newton. In einer eindeutigen Situation. Er und Tayk küssten sich. Kein Wunder, dass die gesamte Schülerschaft in Aufregung war. Der Baseballcaptain zusammen mit einem anderen Jungen. Der Baseballcaptain schwul! Das Geheimnis, das Tayk um alles in der Welt geheim halten wollte, war raus. Das, für das er sogar in Claires Plan eingewilligt hatte. Jetzt konnte er keinem mehr etwas vormachen. Was konnte es schlimmeres geben? Ausgerechnet jetzt, drei Tage vor dem großen Spiel… „Shit!“ fluchte Edward. Noch bevor ich meinen Kopf ganz zu ihm gedreht hatte, löste er sich bereits von mir und rannte mit einem mörderischen Blick in den Augen in einen der Gänge. Ein paar Sekunden später war er verschwunden. Ich rief ihm zwar noch hinterher, doch entweder hörte er es nicht, oder seine Eile war wichtiger. Wo wollte er so überstürzt hin? Etwas einsam stand ich immer noch vor dem Foto. Mike war also ebenfalls am eigenen Geschlecht interessiert. Seit wann? Etwa schon, als er mit mir ausgegangen war? Wenn ja, wieso hatte er sich die Mühe überhaupt gemacht? Es hätte dann doch eh nicht geklappt, selbst wenn Claire ihre Finger nicht im Spiel gehabt hätte. …Claire! Ein anderer Gedanke, der mir in den Sinn kam. Es gab nur eine Person, die wusste, dass Tayk schwul war. Und ebendiese Person hatte auch mit genau einem meiner potentiellen Freunde nichts angefangen. Claire Stanfield… Anders konnte es gar nicht sein und nach allem, was geschehen war, konnte ich ihr auch das zutrauen. Mit irgendetwas musste sie Tayk ja erpresst haben. Und das hier war der perfekte Beweis. Mein Blick schweifte langsam durch die Scharr an Schülern, die mittlerweile ein wenig größer geworden war, als auch die letzten ankamen und all die Fotos entdeckten. Noch mehr Gemurmel, das sich unter Garantie die nächsten Tage, wenn nicht sogar Wochen halten würde. Ich sah durch die Reihen und entdeckte jede Menge erstaunte, verblüffte, amüsierte und abgeschreckte Gesichtsausdrücke. Letztlich spähte ich in einen etwas leereren Nebenflur und bemerkte am anderen Ende plötzlich einen blonden Haarschopf vorsichtig um die Ecke blinzeln. Ich kniff meine Augen leicht zusammen, um zu sehen, wer sich dort hinten befand. Wenn mir anfänglich das Verhalten der Person merkwürdig vorkam, so war es jetzt, da ich wusste, wer sich da versteckte, nur logisch. Mike… Ich hatte keine Ahnung, warum ich auf einmal auf die Idee kam, zu ihm zu rennen, doch ich tat es. Auch wenn ich ihn nicht leiden konnte. Gerade hatte ich wirklich Mitleid mit ihm. Nicht wegen seiner Vorliebe, sondern weil ich mir einfach vorstellen konnte, dass der ganze Aufruhr nicht gerade angenehm für ihn sein musste. Als er mich erkannte, zog er sich schnell zurück und verschwand wieder hinter der Ecke. „Mike!“ rief ich ihm nach. Kurz darauf bog ich in den Flur ein, in den er abgehauen sein musste. Leider bekam ich danach nicht mehr viel mit, denn sobald ich mich in die Richtung gedreht hatte, stieß ich auch schon mit jemandem zusammen und landete etwas schmerzhaft auf dem Boden. Ich stöhnte auf und stützte mich schwerfällig mit meinen Händen ab. Als ich realisierte, mit wem ich zusammengeprallt war, rappelte ich mich so schnell wie möglich auf, weil ich das Gefühl hatte, ich würde sie sonst noch zerquetschen, so zierlich wie sie war. „Alice…“ Ich stand vollends auf und reichte ihr meine Hand, um ihr aufzuhelfen. Sie sah nicht besser aus, als ich. Ihr Gesicht war verzogen und sie rieb sich ihre Ellenbogen und den Hintern, als sie ebenfalls aufrecht stand. „Autsch“, jammerte sie leise. „Tut mir leid… Ich hab dich nicht gesehen.“ Ein Blick hinter sie verriet mir, dass Mike schon längst weg war. Ihm musste das alles wirklich an die Nieren gehen. Da ich ihn jetzt eh nicht mehr wieder finden würde, gab ich es gleich auf, noch weiter nach ihm zu suchen. „Schon gut“, meinte Alice, sah mich aber ein wenig vorwurfsvoll an. „Wo wolltest du denn so eilig hin?“ „Ich hab Mike hier gesehen und wollte mit ihm reden… glaube ich jedenfalls.“ So ganz genau hatte ich selbst keine Ahnung, was ich eigentlich vorhatte. Ich konnte mir noch nicht mal sicher sein, ob er überhaupt mit mir sprechen würde. Nachdem ich seinen Namen ausgesprochen hatte, weiteten sich ihre Augen. „Oh, ach so… Wegen diesen Fotos…“ „Genau“, stimmte ich ihr zu. „Ich wette, das war Claire“, grummelte sie finster und verschränkte die Arme vor der Brust. „Die Frau hat sie doch nicht mehr alle.“ Ich lächelte ihr trübe zu. „Ja… Gestern hat sie sich übrigens bei mir entschuldigt.“ Alice schaute mich perplex an. „Reden wir von der gleichen Person?“ Bei ihren Worten lachte ich bitter auf. "Ich denke schon. Edwards Reaktion auf sie zufolge jedenfalls… Ich weiß, wie utopisch sich das anhört, aber-“ „Sag mir nicht, dass du ihr das abgekauft hast.“ Ihr Gesichtsausdruck wirkte regelrecht erschüttert. „Nein, eigentlich nicht. Edward war ja Gott sei Dank auch dabei. Andernfalls hätte ich nicht gewusst, was ich machen sollte.“ Ihre Augen wurden schmal und sie zog ihre Brauen zusammen. „Egal was sie sagt oder tut, du darfst ihr nicht mehr vertrauen. Sie ist durch und durch schlecht. Auch wenn ich nicht weiß, wie es vorher zwischen euch abgelaufen ist. Vielleicht war sie ja schon damals so, hat es aber nicht gezeigt.“ „Meinst du? Als Kinder hatten wir eigentlich immer sehr viel Spaß zusammen…“ Auch wenn ich es ungern zugab, aber früher war alles wirklich schön gewesen und ein bisschen trauerte ich der vergangenen Zeit nach. „Wer weiß. Auf jeden Fall wird sie sich nicht wieder von heute auf morgen ändern. So schnell kann sich niemand um hundertachtzig Grad drehen, und bei ihr bin ich mir noch nicht mal sicher, ob man da überhaupt noch hoffen kann. Aber egal was ist, an deiner Stelle würde ich mich von ihr fernhalten. Sie bringt nur Unglück.“ Langsam wurde das Thema doch etwas quälend. Ich wollte es nicht noch weiter vertiefen, sondern am liebsten so weit wie möglich von mir schieben und es irgendwo vergraben. Es einfach vergessen. Doch so einfach würde mir das Leben diese Sache nicht machen, oder? Allerdings konnte ich es aber versuchen. Ich würde weder weiter über Claires Entschuldigung grübeln, noch in irgendeiner Weise über sie reden. Das war sie nicht wert. „Und wie geht´s dir?“ fragte ich schließlich, um den Punkt unserer Unterhaltung zu wechseln. Erst etwas verdutzt, antwortete sie letztlich versucht belustigt. „Nach dem Zusammenstoß oder allgemein?“ Irgendwie war sie auf einmal nicht richtig sie selbst. Seit gestern Nachmittag hatte sich nicht wirklich etwas an ihrer verunsicherten Haltung geändert. „Allgemein“, antwortete ich, während wir uns auf den Weg Richtung Klassenräume machten. „Ganz gut.“ Sie wollte mir doch tatsächlich etwas vormachen. Sie hatte mir dabei ja noch nicht einmal in die Augen gesehen. Ich musste wohl genauer auf ein bestimmtes Thema eingehen. „Und was ist mit dem Blumenstrauß?“ Überrascht drehte sie ihren Kopf zu mir, dann sah sie wieder nach vorne. „Was soll damit sein?“ „Ist er nun von Jasper, oder nicht?“ Ich musste ihr doch normalerweise nichts aus der Nase ziehen. Eine lange Pause legte sich zwischen uns, ehe sie laut seufzte und traurig lächelte. „Nein… Ich hab ihn gestern gefragt und er meinte, er hat - leider - nichts damit zutun.“ „Also ein fremder Verehrer“, schlussfolgerte ich. Eigentlich fand ich die Vorstellung ganz niedlich. Da Alice das aber nicht sonderlich toll fand, unterdrückte ich mein Grinsen. „Könnte man so sagen. Ja.“ „Und was meint Jazz dazu?“ Kurz überlegte sie. „Er… ist, glaub ich eifersüchtig. Obwohl es gar keinen Grund dafür gibt. Als wenn ich mich auf einen Fremden einlassen würde…“ Ich konnte nicht verhindern, dass einer meiner Mundwinkel nach oben zuckte, und dennoch hatte mich ein leicht unsicheres Gefühl befallen. „Steht eure Verabredung morgen Abend denn noch?“ Die Erwähnung dieses Treffens schien ihre Stimmung doch etwas zu erhellen. Ihre Aufregung diesbezüglich konnte sie nicht wirklich verbergen und sie nickte schlussendlich. „Ja, die ist immer noch aktuell. Ich werde mich hüten, so was wegen einem Dritten ausfallen zu lassen.“ „Dann bin ich ja beruhigt“, entgegnete ich, wofür ich eine gerunzelte Stirn und kaum sichtbar gerötete Wangen zu Gesicht bekam, gefolgt von einem schüchternen Lächeln. „Wo ist eigentlich Edward?“ wollte sie auf einmal wissen und sofort fiel mir wieder sein sonderbares Verhalten ein. „Ich hab nicht die geringste Ahnung. Nachdem wir die Fotos gesehen haben, ist er Hals über Kopf irgendwo hingerannt und hat mich ohne eine Erklärung stehen gelassen.“ Ich musste zugeben, dass mich seine Aktion etwas nervös machte, und ihn nicht bei mir zu wissen, gefiel mir überhaupt nicht. Andererseits machte ich mir wahrscheinlich auch wieder viel zu viele Gedanken darüber. Wenn er wieder da war, würde er mir sowieso erzählen, warum er so reagiert hatte. Keine Geheimnisse. Das hatte er erst gestern zu mir gesagt. Und darauf baute ich nun. „Vielleicht ist er einfa-“ „Entschuldigung?“ hörten wir jemanden hinter uns, was Alice ihren Satz nicht zu Ende führen ließ. Als wir uns umdrehten, weiteten sich meine Augen minimal. Ich kannte die Person bereits, die jetzt vor uns stand. Es war derjenige, in den ich gestern hineingerannt war. Ein großer, schlaksiger, aber dennoch muskulöser Körperbau, dunkelbraune Haare und ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. „Oh“, kam es von ihm, als er mich erkannte. „Wir sind uns doch gestern schon über den Weg gelaufen, oder?“ Ich nickte. „Gibt es ein Problem?“ Jetzt wirkte er, als wäre ihm die Situation peinlich. „Ehrlich gesagt ja. Ich habe heute meinen ersten Tag als Lehrer an dieser Schule und den Plan der einzelnen Räume leider noch nicht im Kopf. Ihr könnt mir nicht zufällig sagen, wo ich den Geographieraum finde?“ Während er mit uns sprach, huschten seine Augen immer wieder zwischen uns beiden hin und her. Aus irgendeinem Grund konnte ich ihn nicht lange ansehen. Sein Blick war wachsam und auf eine seltsame Weise mysteriös. „Der liegt direkt auf unserem Weg… Wir können es Ihnen zeigen, wenn Sie möchten“, meinte Alice höflich. War ihr meine Beobachtung ebenfalls aufgefallen? „Danke, das ist wirklich nett… Ach, und falls wir uns in einem Fach wieder sehen sollten: Mein Name ist James Harper.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Hey, wie immer vielen lieben Dank für eure Kommis! Ich freu mich stets über jeden einzelnen...;)) Kapitel 23: The Sixth Sense - Manchmal kann man sich täuschen, manchmal aber auch nicht --------------------------------------------------------------------------------------- Auch wenn ich euch das schon mal gesagt hab. Trotzdem vielen Dank für eure tollen Commis...;D Und jetzt viel Spass... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Und Sie unterrichten also Geographie, ja?“ fragte ich, um die drückende Stille zwischen uns zu vertreiben. Dieser Mr. Harper lief hinter uns, was mir gar nicht gefiel. Ständig bekam ich das Gefühl, dass seine Blicke auf uns lagen. „Ganz recht“, antwortete er und als ich nach hinten schaute, grinste er neckisch. Alice neben mir lachte leise auf. „Da sollte man doch meinen, dass gerade Sie wissen müssten, wo sich was befindet.“ „Hm?“ Er schien nicht ganz zu verstehen, doch dann weiteten sich seine Augen und ein verlegenes Lächeln huschte über sein Gesicht, das so viel jünger aussah, als es wahrscheinlich wirklich war. „Oh… ja“, kam es von ihm, als er endlich Alice‘ Anspielung begriff. „Manchmal wird man einfach so sehr von etwas anderem abgelenkt, dass man das eigentliche Ziel völlig aus den Augen verliert.“ Da war es wieder. Dieser seltsam mysteriöse Unterton in seiner Stimme, der mir einen Schauer über den Rücken jagte. „Ich wusste gar nicht, dass wir unter Lehrermangel leiden“, warf ich ein. „Oder hat jemand gekündigt?“ „Nicht direkt. Ich weiß nicht, ob ich den Job überhaupt bekommen hätte, aber kurz nachdem ich mich beworben habe, ist ein gewisser Mr. …Warner ausgefallen. Er hatte, soweit mir berichtet wurde, einen Unfall.“ Mr. Warner fiel aus? Diese Neuigkeit kam überraschend. Noch gestern früh hatten wir mit ihm Unterricht. „Also werden wir Sie wahrscheinlich heute noch einmal sehen“, sprach Alice das Offensichtliche aus. „Sofern ihr ursprünglich mit ihm hattet, ja.“ Mittlerweile waren wir an dem gesuchten Raum angelangt. „So, da sind wir“, sagte ich trocken. Ich konnte einfach keine Sympathie für diesen Mann aufbringen. „Danke.“ Er verabschiedete sich von uns, nur um im nächsten Moment ein „Bis heute Nachmittag“ heranzuhängen. Ich stutzte kurz und wollte bereits nachfragen, woher er denn überhaupt wusste, dass wir erst heute nach der Mittagspause Unterricht mit ihm haben würden, doch da war er schon im Klassenzimmer verschwunden. „Kommst du?“ riss mich Alice zurück in die Gegenwart, nachdem ich etwas abwesend im Flur stehen geblieben war. „Wie bitte?… Oh. Ja, natürlich.“ Wir liefen weiter, bis ich sie bei ihrem Raum absetzte, mich mit ihr noch zum Mittag in der Cafeteria verabredete und mich schließlich auf dem Weg zu meiner eigenen Stunde machte. Leider würde ich heute Vormittag keinen von beiden mehr, weder Alice noch Edward, sehen, da jeder unterschiedliche Kurse hatte. Dafür musste ich ein paar von meinen mit Claire verbringen. Allein schon bei dem Gedanken daran wurde mir übel. Und was wenn sie immer noch diese Nummer mit der Entschuldigung schob? Darauf konnte ich gut und gerne verzichten. Aber was blieb mir schon anderes übrig? Seufzend betrat ich mein Klassenzimmer. Die meisten waren schon da und wie nicht anders zu erwarten, tuschelten sie untereinander. Zwischen ihnen entdeckte ich auch den Blondschopf. Zwar hörte sie dem Getratsche der anderen zu, doch wirklich überraschen schien es sie nicht. Hin und wieder lachte sie, zog eine abwertende Grimasse und grinste dann wieder. Dass sich die Schüler überhaupt noch mit ihr abgaben, wo doch eigentlich jeder wusste, was sie gemacht hatte und wie sie wirklich war. Es gab nur zwei Möglichkeiten, das Verhalten dieser Leute zu erklären: Entweder war es ihnen egal, wer dort neben ihnen saß, oder aber sie hatten Angst vor ihr und taten deshalb so, als würden sie diese… Schlange mögen. Sie hatte viel Geld. Also eventuell auch jede Menge Einfluss. Oder… gab es vielleicht wirklich jemanden, der ihren Charakter toll fand? Dass Lauren ebenfalls unter ihnen war, überraschte mich gerade kein bisschen. Als ich mich auf meinem Platz weiter hinten niederließ, drehte Claire ihren Kopf in meine Richtung, ein zaghaftes, zögerliches Lächeln auf den Lippen, das ich nicht erwiderte. Stur wandte ich meinen Blick ab. Sie erwartete doch nicht allen Ernstes, dass ich ihr diese Show abkaufte. Nachdem sie mir drei Jahre etwas vorspielen konnte. Ha, wie lächerlich… Die nächsten Stunden, in denen ich sie sah, ignorierte ich sie geflissentlich, ebenso ihre mitleidige Miene. Ich war froh, dass sie mich nicht auch noch ansprach. Worum ich mir allerdings viel mehr Sorgen machte, war Edward. Insgeheim hatte ich gehofft, dass er sich, auch wenn die Pausen eher kurz bemessen waren, wenigstens einmal davon stehlen konnte. Leider war dem nicht so. Vielleicht war das aber auch besser. Nicht dass ich am Ende noch zu sehr klammerte und ihn damit verschreckte. Man sollte dem anderen schließlich Freiraum geben… Was immer er gerade tat, es musste sehr wichtig sein. Ich wusste nicht genau was, aber aufgrund seiner Reaktion vorhin vermutete ich stark, dass es um das Team oder aber Tayk selbst ging. Grrr… ich könnte schreien! Um mich herum passierte soviel und ich hatte nur vage Anhaltspunkte über alles. Keiner sagte mir etwas, es gab keine genaueren Hinweise. Ich konnte nur immer wieder Vermutungen anstellen… Leicht frustriert betrat ich die Cafeteria und schon nach wenigem Suchen erkannte ich die quirligen Einmeterfünfzig geradeso inmitten der anderen. Während ich mir einen Weg zu ihr bahnte, konnte ich regelrecht spüren, dass eine andere Intensität in der Luft lag, auch ohne dass man den einzelnen Gesprächen lauschen musste. Fast jedes hatte mindestens einmal dasselbe Thema. Wie die Aasgeier stürzten sie sich auf ein neu gefundenes Fressen. „Hey, Alice!“ rief ich, kurz bevor ich die Schwarzhaarige erreichte. Sie drehte sich zu mir um und als sie mich erkannte, lächelte sie. „Hey.“ „Wo sind die anderen?“ Ich blickte im Raum umher, konnte aber weder Edward noch Jasper entdecken. Letzteren suchte ich fast automatisch mit, da ich davon ausging, dass er sich eh zu Alice setzen würde. „Keine Ahnung. Aber die haben im Moment bestimmt wichtigere Dinge zutun.“ Gemeinsam gingen wir zum Tresen, um unsere Tabletts mit Essen zu füllen. Wir reihten uns in der Schlange ein, während ich hinter Alice herlief. „Wegen Tayk?“ Sie nickte. „Ja… Überleg mal, was das für ein Chaos verursachen wird, oder womöglich schon hat. Ich will nichts gegen die Spieler sagen, aber so was in einer… Männermannschaft? “ Ich wollte gerade etwas erwidern, als mir jemand zuvor kam. „Tja, das kommt davon, wenn man sich mit der falschen Person anlegt.“ Die ganze Zeit über hatten wir nicht darauf geachtet, wer direkt vor Alice in der Reihe stand. Wie hätten wir sie auch überhaupt erkennen können? Ihre sonst so langen, blonden Haare waren zu einer Kurzhaarfrisur geschnitten. „Lauren…“, stellte Alice gespielt interessiert fest. „Was ist mit deinen Haaren passiert?“ Einer von Laurens Mundwinkeln zuckte verdächtig nach oben. Während sie sich einen Apfel vom Tresen nahm, schielte sie kurz zu uns herüber. „Warum willst du das wissen? Ist dir dein Dornenkranz leid?“ Alice lächelte breit, wobei sie sich ebenfalls etwas zu essen auflud. „Nein, ich versuche nur herauszufinden, welchen Friseur ich meiden sollte.“ „Oh, glaub mir. Den könntest du dir gar nicht leisten“, sagte sie zuckersüß, ihre Augen zu Schlitzen verengt. Doch dann verzog sie genervt das Gesicht und drehte sich zu jemandem, der auf der anderen Seite neben ihr stand. Jessica. „Ich rede die ganze Zeit mit dir und du hörst mir überhaupt nicht zu“, beschwerte sich diese. „Ich wollte wissen, ob sich dieser ominöse Agent schon bei dir gemeldet hat. Du weißt schon. Der, der dich zu dieser schrägen Frisur überredet hat und meinte, es würde deine Modelkarriere ankurbeln.“ Ich musste mir ein Kichern verkneifen, ebenso Alice. Selbst wenn wir jetzt nur ihren Rücken sahen, bemerkten wir doch, dass Lauren versucht war, Jessica eins überzuziehen, beherrschte sich allerdings gerade noch so. „Halt einfach deine Klappe, ja?“ zischte sie leise. Ich gluckste und wandte mich den Speisen vor mir zu, auch wenn ich mich nicht wirklich darauf konzentrieren konnte. „So, so. Modelkarriere…“ Laurens Kopf schoss in meine Richtung, ein hinterhältiges Grinsen auf dem Gesicht. „Wenigstens kenne ich die Leute, mit denen ich mich abgebe.“ Ich starrte sie nur an und musste dann tief Luft holen, um mich wieder zu beruhigen. Ich würde ihr nicht auf diesen sinnlosen Kommentar antworten. Alice sah das anscheinend anders. „Mal abgesehen davon, dass mich das nicht wundert, da man deine… Laufburschen schon beim ersten Blick einschätzen kann… Warum hab ich das Gefühl, dass du Claire schon lange durchschaut hast?“ fragte sie betont abweisend. Lauren lachte leise, nebenbei die Lebensmittel vor sich analysierend. „Sagen wir so: Ich hab ein Auge für Intrigen.“ Alice hatte ihr Tablett derweil auf der kleinen Vorrichte am Tresen abgestellt und sich ganz zu unserem Gegenüber gewandt, die Arme vor der Brust verschränkt. „Und warum hast du dann nichts gesagt?“ Überrascht sah Lauren auf, dann lächelte sie. „Oh, man könnte sagen, ich beobachte gerne aus dem Hintergrund. Außerdem was hätte ich davon, außer Claires Zorn?“ „Stimmt ja. Ich vergaß“, erwiderte Alice gereizt. „Du kriechst anderen ja lieber in den Hintern.“ Die Angesprochene schien der Kommentar nicht wirklich zu stören. „Jeder muss sehen, wie er überlebt.“ „Und dafür wirft man einfach mal so sein Gewissen über Bord?“ fragte die Elfe ungläubig. „Ich hab nie behauptet, eins zu haben.“ „Danke, dass du mich daran erinnerst.“ Alice hob eine Augenbraue, ehe sie ihr Tablett wieder in Angriff nahm. „Du musst auch zugreifen, wenn du schon hier stehst“, flüsterte mir plötzlich jemand ins Ohr, während sich ein Arm um meinen Bauch schlang und fremde Finger sich auf die meinen, nach dem Obst ausgestreckten, legten. Augenblicklich beschleunigte sich mein Puls, als er mir sanft einen Kuss unterhalb meines Ohrläppchens gab. Mithilfe meiner Hand nahm er einen Apfel und packte ihn auf mein immer noch leeres Tablett. „Ich war… abgelenkt“, erwiderte ich leise und beobachtete ihn dabei, wie er immer mehr Speisen auflud. „Und von was?“ Noch ehe ich seine Frage beantworten konnte, meldete sich die Antwort bereits selbst. „Oh, bitte, Edward. Könntest du dieses Geturtel sein lassen? Das passt überhaupt nicht zu dir.“ Lauren sprach gelangweilt, vielleicht sogar ein bisschen genervt. Mein Freund sah auf und ich hatte das Gefühl, dass er nicht so recht wusste, wer da vor ihm stand. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Lauren…?“ Auf einmal fing er an zu glucksen. „Was ist denn mit… Was…“ Er kam nicht richtig dazu, seinen Satz zu beenden, da er immer wieder anfing, leise zu kichern, weshalb sich der Blick der Kurzhaarfrisur verfinsterte. „Ich glaube nicht, dass du momentan einen Grund zum Lachen hast, oder?“ meinte Lauren spitz. „Jetzt, wo das mit Tayk raus ist.“ Edwards Schmunzeln erstarb auf der Stelle und ein feindseliger Ausdruck überzog seine Züge. Noch ehe er allerdings etwas sagen konnte, hatte sie ihr Tablett genommen und war gegangen. Wir starrten ihr hinterher und ich dachte, er würde noch etwas rufen, doch er beließ es dabei. „Wo bist du heute morgen eigentlich so schnell hin?“ fragte ich, während meine Fingerspitzen über seinen, um meinen Bauch gelegten Arm langsam hin und her streichelten. „Schadensbegrenzung.“ Er seufzte niedergeschlagen und stützte seinen Kopf auf meiner Schulter ab. Gerade als ich zum reden ansetzte, tauchte Jasper neben uns auf. „Hi.“ Wir begrüßten ihn ebenfalls, Edward sah allerdings nur beiläufig auf. Vermutlich, weil er ihn heute schon gesehen hatte. Sein Teamkollege kam mir irgendwie… entschlossen vor. Entschlossen und ruhig. Ungewöhnlich, wenn man daran dachte, welchem Problem sich ihre Mannschaft gerade stellen musste. „Alice?“ fragte er und fixierte diese geradezu mit seinem Blick, wobei Letztere die Intensität, die darin lag, auf merkwürdige Weise erwiderte. „Könnte ich kurz mit dir sprechen? Allein?“ Irritiert runzelten wir drei die Stirn. Die Schwarzhaarige war die erste, die sich wieder besann und nickte. „Natürlich.“ Jazz‘ Mundwinkel schoben sich kaum merklich nach oben, während er ihr seine Hand hinhielt. Bereitwillig nahm sie diese entgegen und wurde gleich darauf von uns weggezogen. Als sie aus unserem Sichtfeld verschwunden waren, wandte ich mich zu Edward. „Wo will er denn mit ihr hin?“ Er schüttelte den Kopf und löste sich von mir, um mit dem nun etwas besser gefüllten Tablett an einen der Tische zu gehen. Nachdem er das Essen abgestellt hatte, schob er einen Stuhl ab und bedeutete mir, mich zu setzen. Anschließend nahm er neben mir Platz, legte seinen Arm zwischen meinen Rücken und die Lehne, und nahm sich ein Stück Pizza. „Er ist schon den ganzen Vormittag so seltsam. Ich hab zwar versucht, herauszufinden, was mit ihm los ist, aber bisher war ich erfolglos.“ „Vielleicht wegen Tayk und dem Spiel am Samstag?“ vermutete ich, doch seine Miene widerlegte meine Theorie. „Was das angeht, nimmt ihn die Sache gar nicht so mit. Er meinte, er hätte schon vorher geahnt, dass Tayk irgendwas belastet oder verheimlicht. Aber er hat nichts gesagt, weil er sich nicht sicher war.“ „Also wegen Alice…“ Mir kam ‘J‘ wieder in den Sinn und dass meine Freundin erwähnte, Jasper wäre eifersüchtig. Vielleicht hatte er sich ja endlich entschlossen, die Initiative zu ergreifen und ein wenig mehr Einsatz zu zeigen. Ich musste unweigerlich schmunzeln, was Edward neugierig zu mir schauen ließ. Auf seine unausgesprochene Frage hin schüttelte ich nur den Kopf. Er verdrehte resigniert die Augen und deutete mit dem Zeigefinger auf das Tablett. „Du solltest auch was essen, Bella. Sonst kippst du mir noch irgendwann vom Stuhl.“ Demonstrativ hielt er mir ein Stück Pizza vors Gesicht. Mein Blick wanderte zwischen dem Essen und Edward hin und her, bis ich letztendlich tief durchatmete, meinen Mund leicht öffnete, eine Hand unter mein Kinn hielt - für eventuelle Missgeschicke - und einen Bissen nahm. Ich wusste, dass er mich ununterbrochen ansah, und weil es mir unangenehm war, dass er mich beim Kauen beobachtete, beeilte ich mich beim essen, wenngleich ich darauf achtete, mich nicht zu verschlucken. „Zufrieden?“ fragte ich, als ich fertig war, woraufhin er nur schelmisch grinste. „Noch lange nicht.“ Er neigte sein Gesicht gefährlich nahe an meines, bis ich plötzlich seine weichen Lippen an meinem Mundwinkel spürte. Mir war noch nie so schnell das Blut unter meine Wangen geschossen wie gerade eben. Ich wollte ihm mein Gesicht ein paar Zentimeter entgegendrehen, doch da entfernte er sich auch schon wieder von mir und sah mich schmunzelnd an. „Was war das denn eben?“ fragte ich verwirrt. „Du hattest da… ein bisschen Sauce.“ „Wirklich?“ Leichte Panik kam auf bei dem Gedanken, in der Öffentlichkeit nicht richtig essen zu können, noch dazu direkt vor Edward. „Nur ein ganz klein wenig“, erklärte er. „Kaum zu sehen“, fügte er bei meinem alarmierten Gesichtsausdruck hinzu. Misstrauisch schoben sich meine Augenbrauen zusammen. „War da überhaupt was?“ „Ich kann mich auch geirrt haben.“ Verräterisch zuckte einer seiner Mundwinkel nach oben. Ich musste lächeln und hasste mich im selben Moment dafür, gleich diese sorglose Stimmung zu unterbrechen, doch genauso interessierte mich, wie nun seine Schadensbegrenzung ausgegangen war. „Das vorhin war auf die Mannschaft bezogen, oder?“ Sofort wurde Edwards Miene ernst, fast schon ein wenig bedrückt. „Kann man so sagen, ja. Ich hab ihnen gesagt, dass sie Ruhe bewahren und sich davon nicht aus dem Konzept bringen lassen sollen, vor allem jetzt kurz vor unserem Spiel. Ob sich das bis Samstag halten wird, müssen wir sehen. Ich hoffe da ja ein bisschen auf Jazz.“ „Warum?“ „Weil seine Art die anderen irgendwie beeinflusst. Er hat schon in der Vergangenheit einige Streitigkeiten geschlichtet. Er kommt ziemlich gut mir anderen zurecht und ich denke, er schafft es, dass der Teamgeist wegen dieser kleinen Sache nicht anfängt zu bröckeln.“ Ich nickte. „Und was ist nun mit Tayk? Hast du auch mit ihm gesprochen?“ „Nein, leider nicht. Das hätte ich zwar gerne, aber ich bin mir grad nicht mal sicher, ob er überhaupt noch in der Schule ist“, meinte er niedergeschlagen und hatte seine Hand, die auf dem Tisch lag, zu einer Faust geballt. „Wenn er sich allerdings vor dem Spiel drücken will, dann kann er was erleben.“ „Ich bin sicher, dass er das nicht tun wird“, versuchte ich ihn aufzumuntern und öffnete seine angespannten Finger wieder. Sie umschlossen meine, während seine andere Hand, die immer noch hinter meinem Rücken lag, mich dichter zu ihm zog und er mir einen Kuss auf die Schläfe drückte. „Hoffen wir es.“ Er seufzte. „Ich hab Mike übrigens gesehen“, erwähnte ich, da wir gerade beim Thema waren. „Und?“ „Na ja“, murmelte ich. „Er ist… weggelaufen. Ich wollte eigentlich mit ihm reden, aber er hat wohl gedacht, ich wollte ihn auslachen.“ „Geschieht ihm recht.“ „Edward!“ Ich drehte meinen Kopf zu ihm und sah ihn vorwurfsvoll an. „Tut mir leid, Bella, aber ich hab keinerlei Sympathie für diesen Idioten übrig, und jetzt sieht er mal, wie es ist, in der Öffentlichkeit bloßgestellt zu werden.“ „Trotzdem…“, nuschelte ich. Auch wenn er irgendwie recht hatte, wollte ich ihm das nicht zeigen. „So was hat er nicht verdient.“ Edward redete wie erwartet dagegen an. „Und dass er dich wegen deiner Dates vor allen Leuten heruntergemacht hat, war gerechtfertigt?“ „Natürlich nicht, nur…“ Mein Standpunkt fing langsam an, ins Schwanken zu geraten. „Ich versteh dich. Mir ist es auch egal, auf wen oder was Mike steht. Allerdings kann er jetzt wenigstens am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn sich die anderen über einen das Maul zerreißen. Jeder bekommt irgendwann das, was er verdient.“ Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren. „Du kannst ja richtig fies sein…“ „Nur wenn es sein muss“, entgegnete er, sah mich einen Moment nachdenklich an und verwuschelte mir anschließend die Haare, wofür ich ihm einen strafenden Blick zuwarf. Doch er lachte nur auf und zog mich wieder zu sich. „Ich werde trotzdem mit ihm reden, falls er mir über den Weg läuft“, flüsterte ich mehr zu mir selbst, auch wenn er es womöglich dennoch gehört hatte. Ein paar Minuten verharrten wir schweigend und hingen unseren Gedanken hinterher, während wir beiläufig immer wieder zum Essen griffen. Mein Kopf sackte fast von allein an seine Halsbeuge, woraufhin er seinen Arm etwas hob, um ihn liebevoll um meine Schulter zu legen. Seine Finger spielten mit meinen Haarsträhnen und ich vergaß beinahe, dass wir uns immer noch in der Cafeteria befanden. „Edward?“ durchbrach ich dann die Stille. „Ja?“ „Hast du zufällig Lust, heute Nachmittag mit mir einkaufen zu gehen? Wir bekommen heute Abend… Besuch und ich brauche noch ein paar Sachen fürs Essen.“ Ich ließ bewusst aus, wer genau kam, da ich, wenn das mit Phil klappen sollte, Edward erst Donnerstag damit überraschen wollte. Gerade als er dabei war, zu antworten, unterbrach ihn die Schulglocke. Die Mittagspause war vorbei und die Schüler setzten sich langsam in Bewegung. Ich schaute automatisch Richtung Eingang, da Alice immer noch nicht da war, doch sie tauchte nicht auf. Vermutlich war sie bereits auf dem Weg zum Klassenraum. Da wir drei jetzt gemeinsam Geographie hatten, würde ich sie spätestens dort wieder sehen. Während wir ebenfalls Richtung Unterricht gingen, hatte Edward meine Hand in seine genommen. Nach und nach gewöhnte ich mich an diese völlig neue Situation, die sie nun einmal für mich war. Ich genoss jede Berührung seinerseits, jeden Kuss, jede Sekunde, die ich mit ihm verbringen konnte. Das jeden Tag erleben zu dürfen, war eine wunderbare Aussicht. „Was deine Frage angeht“, griff er das Thema von eben wieder auf und hatte einen leicht entschuldigenden Ausdruck im Gesicht. „Ich kann leider nicht mitkommen. Ich hab Emmett versprochen, heute was mit ihm zu unternehmen. So ein… Männerding, weißt du?“ „Das ist kein Problem“, sagte ich hastig. Mir kam es so vor, als würde er ein schlechtes Gewissen bekommen, bloß weil er mir gerade abgesagt hatte. „Wirklich?“ hakte er sicherheitshalber nach, weshalb ich schmunzelnd die Augen verdrehte. „Ich werde auch mal einen Nachmittag ohne dich aushalten.“ „Ich aber vielleicht nicht“, grinste er neckisch. „Tja, du bist derjenige, der nicht will.“ Schulterzuckend gab ich ihm einen Pech-gehabt-Blick. Plötzlich schmälerten sich seine Augen und ein unheimliches Grinsen lag auf seinen Lippen, als er ohne Vorwarnung stehen blieb. Dummerweise hatte er immer noch meine Hand in seiner, sodass er mich zu sich heranzog und mich fest an sich drückte. „Dafür hab ich dich morgen den ganzen Tag für mich allein.“ Ein langer Kuss auf meine Stirn besiegelte seine Worte, die das Blut unter meinen Wangen stärker zirkulieren ließ, nur hatte er eine Sache vergessen. „Wenn du denn das Gespräch überlebst“, erinnerte ich ihn mit ernstem Unterton. „Außerdem ist Roxy auch noch da.“ „Was deinen Vater angeht, mach dir mal keine Sorgen und wegen der Kleinen-“ Edward hörte mitten im Satz auf und fragend schaute ich ihn an. Sein Blick war auf etwas weit hinter mir gerichtet und als ich ihm folgte, sah auch ich die Ursache für seinen abrupten Stimmungsumschwung. Denn den hatte er definitiv. Seine gute Laune war wie weggeblasen und ein undefinierbarer Ausdruck lag in seinen Zügen. Nicht weit entfernt stand Alice und wie es aussah, wartete sie vor dem Klassenzimmer auf uns. Das allein war natürlich nicht der Grund für Edwards Verhalten, sondern das, was sich dahinter abspielte. Der neue Lehrer, Mr. Harper, war mit etwas Abstand hinter ihr. Er hatte ein paar Unterlagen in der Hand und hob seinen Blick, um über den Rand hinweg zu unserer Freundin zu schauen. Seine Augen waren fast starr auf sie fixiert und seine Füße setzten sich langsam in Bewegung, direkt auf sie zu. Das merkwürdige war, dass es wirkte, als wolle er sich anschleichen - unauffällig, aber dennoch lautlos. Ich war mir nicht sicher, da wir zu weit weg standen und die Geste nur für Sekunden anhielt, aber es sah so aus, als hätte er seine Finger kurz von seinen Notizen gelöst, um sie nach vorne auszustrecken. Alice hatte weder ihn noch uns bemerkt. Genauso wie er scheinbar völlig von seinem Vorhaben - was auch immer das sein sollte - abgelenkt war. „Was zum Teufel hat dieser Kerl vor?“ murmelte Edward vor sich hin, während wir langsam auf die beiden zugingen. „Alice?“ rief ich, als wir nicht mehr weit weg waren. Sie drehte sich zu uns, ebenso wandte Mr. Harper seinen Kopf in unsere Richtung und hielt sofort in seiner Haltung inne. Sein Gesicht, das eben noch etwas angespannt war, wurde wieder relaxter - wenn auch ein wenig frustriert vielleicht…? „Hey“, begrüßte uns die kleine Elfe. Mir fiel gleich auf, dass sie, seit sie mit Jasper verschwunden war, viel heiterer wirkte, nicht mehr so bedrückt. Was auch immer er mit ihr bereden wollte, offenbar hatte es ihr geholfen und das freute mich wirklich für sie. „Hallo“, kam es freundlich von dem Lehrer. Alice zuckte kurz zusammen bei seiner Stimme. Vermutlich weil sie erst da realisierte, dass sich noch jemand hinter ihr befand. Überrascht drehte sie sich um. „Oh… hallo.“ Ich begrüßte ihn ebenfalls, wenn auch verhalten. Edward war der einzige, der kein Wort sagte, sondern unser Gegenüber nur mit schmalen Augen anfunkelte. Entweder war das Mr. Harper aufgefallen und es kümmerte ihn nicht weiter, oder aber er bemerkte es tatsächlich nicht. „Tja, also haben wir wohl jetzt zusammen, was?“ Wie es schien, versuchte er ein wenig oberflächlichen Smalltalk zu halten, nur gingen wir nicht wirklich darauf ein. Alice und ich nickten nur, ein schwaches Lächeln auf den Gesichtern, ehe wir an ihm vorbei in den Raum traten. Die Schwarzhaarige zuerst, danach Edward und ich, Mr. Harper unmittelbar hinter uns. Mein Freund drückte mich kaum merklich fester an seine Seite und schob mich regelrecht zu meinem Platz. Ein kurzer, bestimmter Kuss auf meinen Kopf, seine Hand an meiner Wange und ein sachtes Streicheln seines Daumens, dann ging er zu seinem eigenen Tisch etwas weiter vorne. Meine Augenbraue zuckte kurz nach oben bei seinem etwas verwirrenden Verhalten. Ich redete mir ein, dass er mir sowieso alles erklären würde, sobald wir wieder allein waren, also beließ ich es erst einmal dabei. Mal ganz davon abgesehen, dass die Stunde gleich anfing und wir demnach eh keine Zeit für Gespräche hatten. Während ich meine Sachen auf den Tisch packte, wanderte mein Blick zufällig an meine Seite, wo Alice saß. Und ihre Haltung stoppte mich in meinem Tun. Ihre Ellenbogen waren auf der Tischoberfläche abgestützt und ihr Kinn lag auf ihren ineinander gefalteten Händen. Die Augen waren zwar nach vorne gerichtet, doch sie sah mit Sicherheit nicht den Lehrer an, sondern starrte einfach nur verträumt ins Leere. „Alice?“ versuchte ich sie sanft aus ihrer Trance zu reißen. Glücklicherweise reagierte sie sofort darauf und drehte sich zu mir. „Alles in Ordnung mit dir?“ Ein leises Schmunzeln lag in meinen Worten, was ihr nicht entging. Sie nickte lächelnd. „Alles bestens.“ „Was hat Jasper mit dir besprechen wollen?“ fragte ich neugierig. Es musste mit ihm zutun haben. Eine andere Erklärung gab es nicht. Allerdings winkte sie nur grinsend ab. „Ach, nichts bestimmtes. Nur was wegen morgen Abend. Uhrzeit und so weiter… Und wo wir schon mal dabei sind. Ich wollte dich fragen, ob du heute mit zu mir willst. Sprich, schon mal ein paar Vorbereitungen wegen morgen treffen. Gestern hab ich mir nämlich ein paar wirklich schöne Sachen gekauft und ich wollte deinen Rat bezüglich der Auswahl.“ Ich war ein wenig überrumpelt, weil ich eigentlich auf den ersten Teil ihrer Antwort reagieren wollte. Denn wenn es bloß um ihr Date ging, dann hätte Jazz das auch vor uns sagen können. Jedenfalls meiner Meinung nach. Ich blinzelte und schnappte unbewusst nach Luft, als ich mir wieder ihren zweiten Teil in Erinnerung rief, um ihr eine Antwort zu geben. „Tut mir leid, Alice. Ich kann nicht. Heute Abend bekommen wir Besuch und ich muss noch einiges an Lebensmitteln einkaufen gehen, weil ich für das Abendessen zuständig bin. Aber wenn du willst, dann kannst du mich begleiten.“ „Oh… entschuldige, aber das kann ich wiederum nicht. Ich hab zuhause noch eine Menge zu erledigen.“ Ihr schien es wirklich leid zu tun und nichts deutete darauf hin, dass sie enttäuscht über meine Absage bezüglich ihres Angebots war. Stattdessen lächelte sie. „Darf ich fragen, wer zu Bes-“ „Ms. Brandon. Darf ich Sie daran erinnern, dass der Unterricht bereits begonnen hat?“ riss uns die Stimme von diesem Mr. Harper aus unserer Unterhaltung. Abrupt hoben wir unsere Köpfe und sahen nach vorne. „Entschuldigung“, meinte Alice höflich. Mochte sein, dass der Lehrer ernst gucken wollte, doch so ganz gelang ihm das nicht. Seine Augen waren schmal, doch seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Grinsen, auch wenn er versuchte, es vorwurfsvoll aussehen zu lassen. Mit jeder Minute, die ich diese Person beobachtete, kam sie mir komischer vor. Ich konnte sein gesamtes Verhalten kein Stück einschätzen, noch dazu irritierte mich sein sehr junges Aussehen. Natürlich hatten wir an dieser Schule mehrere Lehrer, die jünger als der Standard waren, doch Mr. Harper kam mir für eine voll ausgebildete Lehrkraft einfach viel zu jung vor. Wäre ich ihm so begegnet, hätte ich ihn auf einen Studenten Anfang Zwanzig geschätzt. Aber jedem das seine. Einigen war ja das Glück vergönnt, selbst noch im hohen Alter frisch zu wirken. Seufzend richtete ich meine Aufmerksamkeit auf meine Notizen und verfolgte stillschweigend die restliche Stunde. Am Anfang stellte sich unser neuer Lektor erst einmal vor und erzählte dann der Klasse, was Alice und ich schon längst wussten, nämlich dass Mr. Warner vorerst nicht zur Arbeit kommen würde. Bei Mr. Harper klang es so, als würde das eine sehr lange Zeit sein. War der Unfall, den unser alter Lehrer hatte, denn so gravierend gewesen? Mir fiel auf, dass er den Stoff anders lehrte, als wir es bisher gewohnt waren. Allerdings nicht im negativen Sinne. Vielleicht war es eine moderne Methode, die man heutzutage anwandte. Wie dem auch sei, sie kam beim Großteil der Schüler gut an und ich wettete, allein dadurch bekam dieser Typ schon so einige Pluspunkte. Als nächstes dann womöglich durch sein Aussehen, das besonders bei den Mädchen auf Interesse stieß. Anders als Mr. Warner nahm er auch oft einige von uns heran, damit wir unsere Meinung oder Vermutungen über eine Sache äußern konnten. Ich wurde nur einmal dazu aufgefordert, während Alice heute scheinbar die Pechkarte gezogen hatte. Sie war mit Abstand diejenige, die am meisten aufgerufen wurde. Als hätte Mr. Harper sie bereits nach einem Tag auf dem Kieker. Oder aber er wollte unsere Strapazierfähigkeit testen. Als es dann endlich zum Ende klingelte, seufzte ich erleichtert auf. Es war einfach ungewohnt, plötzlich in der letzten Stunde aufzupassen, wenn man mit seinem Geist normalerweise schon längst halb im freien Nachmittag verbrachte. Ich war gerade dabei, mein Buch in meine Tasche zu packen, als es mir aus der Hand rutschte und mit einem dumpfen Knall auf dem Boden landete. In dem Moment, als ich mich herunterbeugen wollte, um es aufzuheben, traten zwei Hände in mein Blickfeld. Zwei unterschiedliche. Und beide hatten jeweils eine Ecke des Buches. In dem Augenblick, als der jeweils andere das bemerkte, hielten sie inne und hoben es dann ganz langsam auf. Mein Blick folgte meinem Schulutensil, bis ich erkannte, wem die Hände gehörten. Mr. Harper und Edward. „Danke.“ Letzterer hatte seine Lippen zusammengepresst und betrachtete sein Gegenüber mit einem düsteren Blick. Als ich zu Alice sah, schaute sie genauso verwirrt wie ich. Man könnte glatt meinen, zwischen den beiden Herren würde eine jahrelange Fehde liegen. Nur dass Mr. Harper all das offenbar nichts ausmachte. Zwar erwiderte er das stumme Blickgefecht mit der gleichen Intensität, doch dann lächelte er und nickte, als er losließ. „Kein Problem. Immer wieder gern.“ „Das wird garantiert nicht noch mal nötig sein.“ Edwards Worte so kühl wie nie. Der Lehrer zwinkerte mir kurz zu - was die Augen meines Freundes noch dunkler werden ließ -, ehe er sich zu Alice drehte. „Ms. Brandon. Ich würde Sie bitten, nach ihrer letzten Stunde kurz zu mir zu kommen. Ich möchte gerne etwas mit Ihnen besprechen.“ Wir drei sahen ihn mit gerunzelter Stirn an, bevor ich mich zu Alice wandte. Sie schien ebenso überrascht, nickte dann aber. „Das war bereits meine letzte Stunde.“ „Umso besser“, lächelte Mr. Harper breit. „Dann können wir das auch gleich jetzt besprechen. Wenn Sie mit nach vorne kommen würden…?“ „Natürlich.“ Alice stand auf und ging - immer noch mit an uns gerichtetem, fragendem Blick - hinterher. Edward und ich ließen sie keine Sekunde aus den Augen, und so bemerkte ich beinahe nicht, wie mein Freund mir mein Buch entgegenhielt, selbst überhaupt nicht darauf achtend, was er machte. Ich nahm es ihm ab und packte den Rest ein, anschließend stand ich auf und wollte Edward hinausziehen, doch er bewegte sich keinen Millimeter. Stattdessen lehnte er an der vorderen Kante meines Tisches. „Ich will solange warten, bis die beiden fertig sind.“ „Aber das könnte vielleicht länger dauern“, warf ich ein. „Das ist egal“, entgegnete er, ohne auch nur einmal woanders hinzuschauen. „Hast du nicht noch Baseballtraining?“ Jetzt drehte er sich doch zu mir. „Das kann warten.“ Als ich ihn verständnislos anstarrte, streckte er seine Hand nach mir aus, um meine zu ergreifen und mich zu sich zu ziehen. Ich lehnte mich ebenfalls an die Tischkante und wartete auf seine Erklärung. Mittlerweile war der Raum so gut wie leer. Nur noch Alice, Mr. Harper und wir beide waren anwesend, und damit nur ich Edwards nächste Worte verstehen konnte, beugte dieser sich zu mir herunter und sprach im Flüsterton. „Hast du schon mal das Gefühl gehabt, dass dir eine Person, die du eigentlich noch nicht kennst, völlig unsympathisch ist? Dass du gar nicht erst den Versuch starten würdest, sie näher kennen zu lernen?“ „Nein“, antwortete ich ebenso leise. Seine Augen huschten kurz nach vorne. „Bei ihm ist es so. Ich kann‘s mir selbst nicht erklären. So was hab ich noch nie erlebt. Er strahlt so eine… feindselige Aura aus.“ Meine Augenbraue und mein Mundwinkel zuckten nach oben. „Ich würde sagen, die Chemie zwischen euch stimmt nicht. Das mit dem ‚neue beste Freunde‘ wird dann wohl nichts.“ „Bella, ich meine das ernst“, tadelte er mich. „Ich weiß. Das war nur ein kleiner Scherz. Ehrlich gesagt, ist er mir auch etwas unheimlich“, gab ich zu. Bei der bloßen Erinnerung an das letzte Mal, schüttelte es mich, was Edward veranlasste, seinen Arm um meine Seite zu legen und mich näher zu sich heranzuziehen. Er küsste meine Schläfe und ich schmiegte meinen Kopf an seine Schulter, während ich wieder nach vorne zu den anderen beiden sah. „Vielleicht bilden wir uns das aber auch nur ein“, meinte ich beiläufig. „Mag sein. Trotzdem werde ich dich nicht mit ihm allein lassen.“ Ich musste bei seiner Aussage schmunzeln. „Eifersüchtig?“ „Ich bin immer eifersüchtig, wenn dir jemand nachschaut.“ Er klang, als wäre das doch zu erwarten. „In diesem Fall ist es aber eher der Beschützerinstinkt.“ Meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und ich verinnerlichte die Bedeutung seiner Worte, die sich wie Balsam anfühlten. Während Mr. Harper mit Alice redete, wanderten dessen Augen kurz in unsere Richtung. Es konnte nicht länger als für den Bruchteil einer Sekunde gewesen sein. Dennoch rutschte ich instinktiv noch dichter an Edward, was dieser mit der entsprechenden Reaktion quittierte: Beruhigende Streicheleinheiten entlang meiner Taille. Okay, beruhigend waren sie nicht wirklich, eher… ablenkend; kribbelnd. „Sie können auch schon gehen“, sprach uns plötzlich der Lehrer an, sein Ton vollkommen neutral. Im Gegensatz zu Edwards, der wie schon vorhin frostig war. „Danke. Aber wir warten lieber.“ Mr. Harper schien das nicht wirklich zu gefallen, leistete aber gute Arbeit, diese Gefühle so wenig wie möglich zu zeigen. Seufzend wandte er sich wieder Alice zu. Ich fing unweigerlich leise an zu lachen. Unser Verhalten war, wenn man es von außen betrachtete, seltsam, fast schon absurd. „Warum lachst du?“ fragte Edward. Ich holte tief Luft, bevor ich antwortete. „Na ja, wir benehmen uns, als hätte sich ein Verbrecher oder so was in unsere Schule geschlichen.“ „Hm… Bei einer Wahrscheinlichkeit von eins zu zehntausend? So gut wie ausgeschlossen. Bei deinem Glück? Mit ziemlicher Sicherheit.“ Als Dank für diese schmeichelnden Worte stieß ich ihm meine zierliche Faust unsanft in die Seite. Ein unterdrücktes Stöhnen entwich ihm. Unterdessen kuschelte ich mich im Genuss der Genugtuung wieder an ihn. „Ich dachte, ich hätte dir nur das Klavierspielen beigebracht und nicht das Boxen“, meinte er gespielt geschockt. Wirklich wehgetan hatte es ihm mit Sicherheit nicht. „Mein Vater ist Polizist. Schon vergessen?“ „Auch wieder wahr…“ Wie es aussah, war das Gespräch von Alice nun auch endlich vorbei, denn sie verabschiedete sich und kam auf uns zu. Schnell packte sie ihre Unterlagen ein und gemeinsam verließen wir den Raum, in dem Mr. Harper noch immer an seinem Schreibtisch saß und seine Notizen studierte. „Was wollte er von dir?“ fragte ich die kleine Schwarzhaarige, während wir das Schulgebäude verließen und zu den Umkleiden gingen. Sie zuckte mit den Schultern. „Er meinte, ihm sei heute aufgefallen, dass ich mit dem Lehrstoff etwas hinterher hinke und er hat auch schon meine Noten von meiner alten Schule gesehen, die ihm wohl nicht so sehr gefallen haben. Und weil ich ihm sympathisch sei und er nicht möchte, dass ich am Ende des Schuljahres durchfalle, hat er mir vorgeschlagen, mir Nachhilfeunterricht zu geben.“ Meine Augenbraue rutschte ungläubig nach oben, Edward schien nicht minder irritiert. „Und das kann er schon nach einem Tag erkennen?“ fragte er skeptisch nach. „Keine Ahnung. Aber er will bereits Freitag anfangen, damit ich die Klasse bis zu den Sommerferien mit einem akzeptablen Ergebnis abschließe.“ „Freitag ist schulfrei“, erinnerte ich sie. Sie seufzte. „Ja, ich weiß. Nur leider hab ich ihm schon zugestimmt, zu kommen.“ „Sag ab.“ Das war Edward. Verwirrt sahen wir zu ihm. „Er hatte gerade mal einen Tag mit uns Unterricht und er behauptet, deinen Lernstatus bereits einschätzen zu können. Das ist völliger Schwachsinn, wenn du mich fragst. Wo wollte er sich überhaupt mit dir treffen? Die Schule ist schließlich geschlossen.“ „Er hat einen Schlüssel dafür. Falls ich aber keine Lust habe, das Gebäude an einem freien Tag von innen zu betrachten, könnten wir auch bei ihm lernen.“ Edward starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an und nur langsam glätteten sich seine Gesichtszüge wieder. „Dich scheint das überhaupt nicht zu beunruhigen, oder?“ stellte ich verwundert fest. Alice lächelte mich an. „Wieso auch? Ich würde es spüren, wenn irgendetwas nicht stimmt. So was hab ich im Blut. Viel mehr Sorgen bereitet mir eher der morgige Abend.“ „Warum?“ Leichte Nervosität schlich sich in ihre Stimme. „Ich weiß auch nicht. Ich hab Angst, dass irgendwas schief geht. Und im Gegensatz zu eurer sehr abwegigen Theorie hab ich eher bei dieser Verabredung ein ungutes Gefühl…“ Ich stutzte… und musste dann leise kichern. „Weil du eventuell ein bisschen aufgeregt bist? Mach dir keinen Kopf deswegen. Das wird schon.“ Sie lächelte mich halbherzig an. „So…“, meinte sie auf einmal und blieb stehen, als wir die Umkleiden erreicht hatten. „Heute schaue ich mir das Training leider nicht an. Wie gesagt… Ich hab noch einiges zu erledigen.“ „Heißt das, du fährst jetzt schon?“ hakte ich nach. Sie nickte und ich drehte mich daraufhin zu Edward. „Ich denke, ich fahr mit ihr mit. Ich hab wegen dem Essen noch einige Vorbereitungen zu treffen.“ Ein kurzer Blick zu Alice, um zu sehen, ob ich ihr Einverständnis hatte. Sie zwinkerte mir zu. „Okay. Dann sehen wir uns morgen früh.“ Edward strich mir eine Strähne hinters Ohr und lächelte mich so liebevoll an, dass es mir einen Stich versetzte, mich jetzt schon von ihm zu verabschieden. Andererseits… Wie war das mit der Klette? Ich musste ihm doch ein bisschen Freiraum lassen. An so was zerbrachen schließlich sehr viele Beziehungen… Hatte ich gehört. Und wenn ich ihn jeden Tag jede Sekunde für mich beanspruchte, dann würde ich doch genau das bewirken. Dass ich heute also einkaufen musste, kam da genau richtig. Außerdem war ja die Wiedersehensfreude, je länger die Trennung voneinander dauerte, umso schöner… Während er seine Hand an meine Wange legte, um mein Gesicht dichter an seins zu ziehen, bemerkte ich aus den Augenwinkeln, wie Alice sich dezent wegdrehte und uns ein wenig Privatsphäre ließ. In der nächsten Sekunde spürte ich auch schon ein Paar weicher Lippen auf meinen, wie sie meine immer wieder sinnlich liebkosten. Meine Arme legten sich ohne Aufforderung in seinen Nacken, gleich darauf spielten meine Finger mit seinen bronzenen Haarspitzen. Bronze… Damals hatte ich sie für rötlich gehalten. Wie einfallslos. Seine Haarfarbe hatte eine ganz besondere Nuance, die ich unter tausenden erkennen würde. Ich liebte dieses verschiedenfarbige Funkeln, wenn die Sonnenstrahlen darauf fielen, und das samtene Gefühl unter meiner Haut, wenn meine Hand hindurch fuhr… Der Kuss wurde langsam intensiver, vertiefte sich und beschleunigte sowohl meine Atmung als auch meine Herzfunktion um ein paar Pulsschläge mehr pro Minute. Edwards Fingerspitzen wanderten allmählich meine Wirbelsäule hinunter und obwohl die Berührung nicht viel stärker war, als hätte er eine Feder benutzt, fühlte es sich viel inniger an als üblich. Ich wusste nicht mehr, auf was ich mich zuerst konzentrieren sollte: den Kuss oder das anhaltende, impulsive Prickeln unterhalb meiner Kleidung, welches mir eine Gänsehaut bescherte. Noch einmal erwiderte ich die Bewegungen seiner Lippen mit Nachdruck, ehe wir uns voneinander lösten und ich ein wenig nach Luft japste. Nur konnte ich leider nicht gleich richtig Sauerstoff tanken, da sein Kopf noch einmal nach vorne schoss und mir einen weiteren kleinen, sanften Kuss aufhauchte, den ich nur allzu gerne entgegennahm. „Ich glaube, Alice wird ungeduldig“, flüsterte er, seine Stirn an meiner. Vorsichtig drehte ich mich in ihre Richtung. Sie stand noch immer mit dem Rücken zu uns, ihr Fuß sah allerdings leicht hibbelig aus. „Denke ich auch“, antwortete ich leise, nahm meine Arme zurück und trat einen Schritt nach hinten. Sie musste uns gehört haben, denn sie drehte sich wieder zu uns. Zwar lächelte Alice, aber ihre Augen verrieten, dass sie endlich los wollte. „Bis morgen“, verabschiedete sich Edward von mir, küsste mich noch einmal auf die Stirn und strich mir über den Arm. „Ja, bis dann.“ Ich lächelte ihn an und ging anschließend auf Alice zu, die meinem Freund noch einmal zuwinkte, bevor wir uns auf den Weg zum Parkplatz machten. Als wir fast ihren Beetle erreicht hatten, seufzte sie, lauter als sonst, neben mir auf. Fragend sah ich sie an, woraufhin sie lächelte. „Ihr beiden… wenn man euch so sieht, dann könnte man glatt neidisch werden“, erklärte sie bitter freundlich. „Ach das bedrückt dich so… Wenn es dir unangenehm ist, dann versuch ich in nächster Zeit, so was zu vermeiden.“ Sie lachte leise. „Sei nicht albern. Ich finde es schön, wie ihr miteinander umgeht und ich gönn dir dein Glück von ganzem Herzen.“ Auch wenn sie das so sagte, kam sie mir doch ein wenig… seltsam vor: auf eine Art traurig und dann wieder nicht. Während wir in ihr kleines, gelbes Auto stiegen, überlegte ich, wie ich sie am besten aufmuntern konnte. Bis mir schließlich das nahe liegendste einfiel. „Ich bin zwar nicht so gut darin wie du, aber manchmal hab auch ich Vorahnungen“, meinte ich; dabei, meinen Gurt zu schließen. Eine ihrer Augenbrauen zuckte nach oben, als sie kurz zu mir sah. „Und was siehst du?“ „Dass du schon sehr bald selbst im Glück baden wirst“, meinte ich zuversichtlich. Zwar sah sie noch immer nicht überzeugt aus, doch das Grinsen auf ihren Lippen bestätigte mir, dass mein Plan aufgegangen war. Jedenfalls für ein paar Sekunden, denn schon im nächsten Augenblick weiteten sich ihre Augen und ein leises Grummeln entrann ihrer Brust, als sie ärgerlich auf das Armaturenbrett starrte. „Was ist?“ Erst jetzt bemerkte ich, dass sie bereits ein paar Mal den Schlüssel im Zündschloss hin und her drehte. Der Motor heulte kurz kränklich auf, dann verstummte er wieder. „Ich glaub das jetzt nicht…“, murmelte sie leicht gereizt. Sie stieg aus und öffnete die Haube, um ins Innere zu schauen. Ich tat es ihr gleich und stellte mich neben sie. „Hast du Ahnung von Autos?“ fragte ich skeptisch nach, doch schon allein ihr verzweifelter, resignierter Ausdruck verriet mir die Antwort. „Und jetzt?“ „Sieht wohl so aus, als müssten wir mit dem Bus fahren.“ Sie ging ein paar Schritte zurück, ohne den Blick vom Auto zu nehmen und verschränkte die Arme vor der Brust. Gerade als ich etwas erwidern wollte, hörten wir eine männliche Stimme hinter uns. „Haben die Damen ein Problem?“ Überrascht wandten wir uns zu der fremden Person und erkannten erst jetzt, dass es sich um Mr. Harper handelte. „Na ja, der Wagen springt nicht an“, erklärte ihm Alice. „Darf ich mal sehen? Vielleicht kann ich ja helfen.“ „Ehm… klar.“ So ganz überzeugt von seiner Hilfe waren wir zwar nicht, aber vielleicht fand er das Problem sogar. Schließlich war er ein Mann und die wussten über so etwas ja bekanntlich Bescheid. Alice trat zur Seite und ließ ihn an den Motor heran. Er beugte sich hinüber, ebenso ich, weil ich wissen wollte, was genau er dort machte, konnte aber nicht so richtig etwas erkennen. Irgendwas hatte er in den Händen, sah es sich genauer an, schaute dann ich einer andere Ecke, dann wieder zurück. „Tja, sieht so aus, als wäre der Keilriemen durchgerissen. Von euch beiden hat nicht zufällig jemand eine Nylonstrumpfhose, oder?“ fragte er uns, als er sich zurücklehnte. Ich tauschte mit Alice einen verwirrten Blick, ehe wir den Kopf schüttelten und verneinten. „Schade. Damit hätte man es bis nach Hause überbrücken können. So muss das Auto jetzt leider hier stehen bleiben.“ Alice sah ziemlich mitgenommen aus bei diesen Worten. Mit in die Seiten gestützten Händen betrachtete sie mitleidig ihren geliebten Beetle. „Wenn ihr wollt, dann fahre ich euch nach Hause“, schlug plötzlich Mr. Harper vor, woraufhin ich die Stirn runzelte. „Ich will nicht unhöflich klingen, aber wir kennen Sie kaum.“ Er nickte verständnisvoll. „Das stimmt allerdings. Schön zu hören, dass es noch junge Leute gibt, die nicht mit jedem wildfremden mitfahren. Und nach einem Tag kann man natürlich auch noch nicht das Vertrauen zu einem neuen Lehrer aufbauen. Na ja, es war nur ein Vorschlag.“ Beinahe tat es mir schon leid, dass wir ihn eben so vor den Kopf gestoßen hatten und ich verfluchte mich selbst dafür, dass mein Instinkt mir wieder sagte, ich sollte mich vorsehen. Alice sah mich an und in ihren Augen lag dieselbe Unschlüssigkeit. Ebenso wartete Mr. Harper auf eine Antwort. Sein Blick wechselte immer wieder zwischen der Schwarzhaarigen und mir, und jedes Mal bohrte er sich regelrecht in den unseren. „Also…“, stammelte ich vor mich hin und noch bevor ich auch nur ein einziges weiteres Wort sagen konnte, hörte ich bereits eine andere Stimme, von dessen Besitzer ich gedacht hätte, er würde schon auf dem Feld trainieren. „Bella!“ rief er von weitem. Seine Baseballuniform hatte er schon an und eine seiner Hände war leicht zu einer Faust geballt, während er mit schmalen Augen zum Lehrer schaute. „Edward…“, stellte ich mit geweiteten Augen fest. „Was machst du denn hier?“ „Als ich aus der Kabine gekommen bin, lag das hier auf dem Boden.“ Er öffnete seine Faust und als ich erkennte, was er da hielt, fasste ich mir automatisch auf mein Dekolleté. Gleichzeitig fragte ich mich, warum ich nicht bemerkt hatte, wie mir Edwards Anhänger von meinem Hals gerutscht war. Allein die Vorstellung, sein Geschenk verloren zu haben und es dann möglicherweise nie wieder zu finden, war grausam. „Oh… Danke!“ „Man könnte sagen, mein Gefühl hat mir geraten, es gleich ins Auto zu packen. Es hat sich scheinbar nicht geirrt“, erklärte er, kurz zu Mr. Harper schielend. „Warum seid ihr überhaupt noch hier? Ihr hattet es doch so eilig.“ „Wie es aussieht, ist mein Keilriemen durch“, jammerte Alice. Als Edward das hörte, übergab er mir erst die Kette und ging dann direkt zum Motor, um ihn sich etwas genauer anzuschauen. Doch da bereits der Lehrer nichts machen konnte, bezweifelte ich, dass er etwas an der Situation ändern würde. Mr. Harper beobachtete jede seiner Bewegungen haargenau. Während Edwards Stirn immer mehr Falten bekam, wurde ich langsam ungeduldig. Ein seltsamer Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht. „Edward?“ Nur allmählich stellte er sich wieder gerade hin, starrte aber weiterhin auf die Stelle, die auch Mr. Harper betrachtet hatte. „Hm… der Keilriemen ist vollkommen hinüber“, stellte er dann endlich fest. Etwas in seiner Stimme beunruhigte mich. Etwas, das ich jetzt noch nicht einordnen konnte. „Wie ich es gesagt habe.“ Mr. Harper klang unterschwellig leicht böse, als wäre es unverschämt, etwas in Frage zu stellen, dass er bereits herausgefunden hatte. Edward musterte ihn streng, fast schon herausfordernd. „Ich hatte die beiden gerade gefragt, ob ich sie mitnehmen soll“, fuhr der andere fort. Schon wieder diese Spannung zwischen den beiden. „Ich denke, wir werden mit-“, setzte ich an, wurde aber von meinem Freund unterbrochen. „Das wird nicht nötig sein.“ Ich hatte leider keine Ahnung, ob er wusste, was ich sagen wollte und hatte mir geantwortet, oder aber es galt Mr. Harper. Edward wandte sich zu mir und holte etwas aus seiner Hosentasche. Beim näheren Betrachten erkannte ich seinen Autoschlüssel. „Ihr könnt mit dem Volvo fahren.“ Erstaunt hoben sich meine Augenbrauen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich richtig gehört hatte. Ich nahm seine Hand und zog ihn etwas abseits von den anderen, damit wir unter vier Augen reden konnten. „Meinst du das ernst?“ fragte ich ihn in gedämpftem Ton. „Absolut“, versicherte er mir mit einer Hartnäckigkeit in seiner Stimme, die jeden Zweifel ausräumte. Für einen Moment sah ich ihn einfach nur völlig perplex an. „Du weißt doch gar nicht, ob ich überhaupt fahren darf.“ Er grinste halb. „Natürlich weiß ich das.“ „…Woher?“ „Von deinem Vater.“ Okay, jetzt war ich verwirrt, was Edward bemerkte. „Als ich dich das eine Mal abgeholt und im Haus auf dich gewartet hab. Bevor er das alles über mich wusste. Er hat mir erzählt, dass du zwar deinen Führerschein gemacht hast, aber kein eigenes Auto haben wolltest.“ Ich nickte kaum merklich. „Weil er wegen dem Kurs an sich bereits soviel Geld ausgegeben hat. Da wollte ich ihm nicht auch noch die Kosten eines Zweitwagens aufbürden… Außerdem leben wir in einer Millionenstadt. Es gibt genug öffentliche Verkehrsmittel.“ „Wie dem auch sei.“ Er hob meine Handfläche nach oben und packte den Schlüssel hinein. „Edward, das letzte Mal, als ich ein Auto gefahren hab, war vor einem Jahr zu meiner Fahrprüfung!“ protestierte ich, doch es schien ihn nicht zu stören. „Was ist, wenn ich irgendwo gegen fahre…? Bei meinem Glück…“ „Lieber das, als dass euch dieser Kerl mitnimmt“, sagte er fast schon böse, und ich erkannte die unterschwellige Ablehnung gegenüber Mr. Harper in seinem Ton. „Das heißt allerdings nicht, dass ich mir wünsche, dass du einen Unfall baust. Versteh das bitte nicht falsch.“ Natürlich wusste ich, was er meinte, aber dass er sogar lieber eine Beule in seinem Auto in Kauf nahm, ließ meine Stirn Falten bilden. „Du kannst ihn wirklich nicht ausstehen, was?“ „Kein Stück“, bestätigte er mir zähneknirschend, während seine Pupillen kurz zur gemeinten Person herüberhuschten. Diese hatte sich zu Alice gesellt und unterhielt sich mit ihr. „Ich kann es nicht leiden, wie er euch ansieht…“ Ich seufzte laut auf und ignorierte seinen letzten Satz. „Wie kommst du heute nach Hause?“ Als er zu mir zurückschaute, waren seine Gesichtszüge wieder weich. „Ich werde Emmett anrufen und ihm sagen, dass er mich abholen soll… Und jetzt solltest du langsam los, wenn du noch soviel zutun hast.“ Damit legte er seinen Arm an meine Hüfte und drehte uns den anderen beiden zu. „Wir haben das Problem gelöst“, rief er. Mr. Harper und Alice kamen auf uns zu, wobei ersterer Edward leicht arrogant musterte. „Ich hab gar nicht gewusst, dass es überhaupt eines gegeben hat.“ Ich ahnte schlimmes. Irgendwann würde diese Spannung noch mal eskalieren. Glücklicherweise ging Edward nicht auf seinen kleinen Kommentar ein. Ich zeigte Alice den Schlüssel. „Wir können mit Edwards Auto nach Hause fahren.“ „Wirklich?“ Ich nickte. „Okay, super… Ich hol nur schnell unsere Sachen aus meinem Wagen“, lächelte sie fröhlich und rannte bereits zum Beetle, klappte die Motorhaube wieder zu und ging anschließend zur Fahrerseite. Als sie wiederkam, reichte sie mir meine Tasche. „Na dann“, verabschiedete sich daraufhin Mr. Harper von uns, schaute jeden noch einmal an und ging dann davon. Wir standen noch kurz und beobachteten ihn, wie er sein eigenes Auto ansteuerte, ehe wir selbst Edwards Volvo aufsuchten. „Und du bist dir wirklich sicher, dass du mir dein Auto anvertrauen willst“, hakte ich noch einmal unsicher nach. Edward lachte leise. „Natürlich. Erstens weiß ich, dass du eh vorsichtig fahren wirst, weil du viel zu viel Angst hast, was kaputt zu machen, und zweitens kannst du damit besser einkaufen, oder nicht?“ „Schon, aber… dann würde ich ja deinen Tank leer fahren. Ich will nicht, dass jemand für mich Geld ausgibt und schon gar nicht d-“ „Bella, ich mache das gerne“, unterbrach er mich mit Flüsterstimme und legte einen Finger auf meine Lippen. Wir standen direkt vor seinem Wagen, während Alice dabei war, ihre Tasche ins Innere zu werfen. Ein kurzer Blick von Edward zur Seite genügte, um seine Augen sich vor Schreck weiten zu lassen. „Alice! Etwas vorsichtiger, bitte.“ Angesprochene hatte den Beifahrersitz ein Stück verstellt; wie es aussah, wohl etwas zu grob. Sie verdrehte theatralisch ihre Augen und schenkte ihm ein besserwisserisches Lächeln. „Edward, ich weiß, wie man mit einem Automobil umgeht.“ Mein Freund schien ihr das nicht ganz abzukaufen, so ungläubig, wie er sie ansah. Bis ihm auf einmal etwas einfiel und er wieder mich anschaute. „Wegen der Kette… Gibst du sie mir bitte wieder? Der Verschluss ist hinüber und ich möchte ihn gerne reparieren lassen.“ Ich nickte und übergab ihm den Anhänger, nicht ohne noch einmal einen sehnsüchtigen Blick hinauf zu werfen. Wie aus heiterem Himmel kam mir die Wahrsagerin in den Sinn. Ob es ein Zeichen war, dass ich sein Geschenk verloren hatte? Nein. Ich war nicht abergläubisch. An so etwas glaubte ich nicht. „Ich werde mich damit beeilen“, schmunzelte er. „Können wir dann?“ drängelte Alice und lugte aus dem Seitenfenster zu uns hinüber. Wenn sie jetzt schon so hibbelig war, was sollte das dann erst morgen werden? Edward atmete tief durch. „Na schön. Ich sollte auch wieder zurück. Die anderen warten bereits, und da Tayk tatsächlich da ist, muss ich aufpassen, dass alles ruhig bleibt.“ „Du schaffst das schon“, lächelte ich ihn aufmunternd an. Er erwiderte es und strich mir ein paar Mal über die Arme, ehe seine Hände höher wanderten, über meine Schultern zu meinen Wangen, wo er mir einen zarten Kuss auf die Lippen hauchte. Ein Grinsen umspielte seine, als er seinen Kopf etwas zurücklehnte, nur um anschließend den Abstand zwischen uns ein weiteres Mal zu überbrücken. „Ich glaube, Alice dreht mir den Hals um, wenn sie noch länger warten muss“, wisperte ich und erntete ein Kichern seinerseits. „Ja, Jazz könnte genauso reagieren, wenn ich ihn mit der Meute alleine lasse.“ Ich seufzte. „Bis morgen.“ Ein dritter Kuss, dann verabschiedete er sich wirklich. Während ich in das Auto stieg, trat er einige Schritte zurück und an die Seite. Ich atmete tief durch und ließ meinen Blick über das Armaturenbrett gleiten. Viel Technik. Bei den neuen Modellen nicht mehr ungewöhnlich. Bisher hatte ich sonderlich wenig darauf geachtet, wenn ich mit ihm mitgefahren war, doch jetzt musste ich mich damit auseinandersetzen. „Das Zündschloss ist dort unten“, deutete Alice mit dem Finger. Mochte sein, dass sie das tatsächlich als ernsthafte Hilfe betrachtet hatte. Dennoch bekam sie von mir ein relativ giftiges „Danke“ zu hören. Ganz so eingerostet war ich nun auch noch nicht. Ich war einfach nur nervös. Zumal auch noch Edward zuschaute. „Okay…“, murmelte ich mehr zu mir selbst, vergewisserte mich noch einmal, ob kein Gang drin war und startete dann den Wagen. Ein leises Brummen ertönte, eine leichte Vibration war zu spüren und das Radio ging auch an. Plötzlich schoss Alice‘ Hand nach vorne und drückte auf irgendwelche Knöpfe. „Hör auf! Am Ende machst du noch was kaputt“, zischte ich leise, aber sie lachte nur. „Ich hab nur auf CD geschalten. Ich bin neugierig, was er so hört…“ Ich antwortete ihr nicht, sondern grummelte nur vor mich hin, bis ich erkannte, welches Lied spielte. Es war Klassik und obwohl ich in dem Gebiet nicht sonderlich bewandert war, erkannte ich dieses Stück. „Claire de Lune…“, hauchte ich überrascht. Renée hatte eine weit gefächerte Auswahl an Musik. Nur dadurch hatte ich zufällig ein Lieblingslied aus dem Genre. Es war schon eine Ewigkeit her, seit ich es das letzte Mal gehört hatte. Nur das Aussprechen des Namens versetzte mir einen Stich. Auf unangenehme Weise erinnerte es mich jetzt an Claire. Allein die Ungerechtigkeit des Lebens konnte etwas schönes mit etwas schlechtem verbinden. Sehr langsam steuerte ich den Volvo aus der Parklücke, was Edward ein Grinsen aufs Gesicht zauberte. Als ich ihn passiert und das Ende des Parkplatzes erreicht hatte, sah ich noch mal in den Rückspiegel. Endlich machte er sich auf den Weg zum Training. Wer wusste, wie viel Zeit sie bereits verschwendet hatten. Oder aber sie hatten schon ohne ihn begonnen. Die Fahrt über hielten Alice und ich nur wenig Konversation, während ich penibel darauf achtete, wieder ein ordentliches Gefühl für das Fahren von Autos zu bekommen, und sie mir hin und wieder Anweisungen gab, wo es zu ihrer Wohnung ging. Außerdem hatte Edward recht. Ich fuhr wirklich vorsichtig, um nicht irgendwo gegen zu rammen. Ich erkundigte mich danach, was Mr. Harper noch mit ihr besprochen hatte. „Er wollte mir mit meinem Auto helfen. Es nach Hause fahren und sich ein bisschen um die Reparaturen kümmern. Er meinte, ich würde dann nicht so viele Kosten damit haben.“ „Das klingt aber ganz schön aufdringlich. Ich meine, wir kennen ihn überhaupt nicht.“ Ich war doch leicht geschockt, das zu hören. Sie zuckte mit den Schultern. „Das hab ich ihm auch gesagt.“ „Also hast du sein Angebot ausgeschlagen“, schlussfolgerte ich, jetzt schon wieder etwas entspannter. „Ich hab gesagt, ich überleg‘s mir.“ „Alice…“, mahnte ich. „Bella…“, äffte sie mich in dem gleichen Ton nach, bevor sie grinste. „Er wollte einfach nur nett sein. Solche Leute soll es heute tatsächlich noch geben.“ „Mag sein. Aber ist dir nicht aufgefallen, wie feindselig Edward sich ihm gegenüber verhält?“ „Oh ja… und irgendwie ist es witzig. Das erinnert mich ein bisschen an das Revierverhalten von Tieren.“ Meine Augenbraue hob sich in Skepsis. „Ist er dir überhaupt nicht unheimlich?“ „Kein bisschen. Etwas anders, ja. Aber das bin ich auch, oder?“ „Bei dir ist das was anderes. Manchmal bekomme ich eine richtige Gänsehaut bei ihm.“ Alice kicherte. „Du bist ganz schön paranoid. Wirklich, mir würde es als Erste auffallen, wenn mit ihm was nicht stimmt. Mein sechster Sinn verlässt mich nie.“ „Vielleicht ist der aber auch durch andere Dinge abgelenkt“, konterte ich. Sie verstand den Wink sofort, weshalb sich ihre Wangen leicht rötlich färbten. „Das… ist völliger Blödsinn. So was allein lenkt mich doch nicht ab.“ „Oh… na ja, da wäre dann noch die Sache mit dem heimlichen Verehrer und wenn Jasper wirklich so eifersüchtig ist, wie du sagst…“ „Okay“, unterbrach sie mich energisch. Zitterte ihre Stimme leicht? „Vielleicht bin ich wegen all dem etwas aufgeregt. Trotzdem… Ich bin eine Frau. Wir können mehrere Dinge gleichzeitig.“ „Ja schon, aber…“, wollte ich einwenden, doch sie ließ mich nicht richtig zu Wort kommen. „Kein aber.“ Unruhig rutschte sie in ihrem Sitz umher und starrte aus der Windschutzscheibe. Ich wusste, dass das Thema für sie beendet war. Seufzend schüttelte ich kaum merklich den Kopf und ein schmales Grinsen lag auf meinen Lippen. Wir verbrachten den Rest der Fahrt größtenteils schweigend, nur ab und zu kam von ihr ein Links oder Rechts abbiegen. Als wir schließlich die Gegend erreicht hatten, in der sie wohnte, wäre ich beinahe daran vorbeigefahren. Ihre Wohnung lag am Stadtrand von San Francisco und befand sich in einem dieser etwas höheren Häuser mit ungefähr fünfzehn Stockwerken. Sie erzählte mir, dass sie glücklicherweise eine Dachgeschosswohnung bekommen hatte. Sogar ein Teil des Daches selbst konnte sie als Balkon nutzen, und da wir in der Nähe des Meeres waren, konnte man von dort aus auch auf das Wasser sehen. Ich stellte mir gerade vor, wie es wohl abends sein musste, bei sternenklarem Himmel, als Alice‘ Stimme mich wieder zurück in die Gegenwart holte. „Wir sehen uns morgen früh in der Schule“, verabschiedete sie sich, grinste und stieg dann aus. „Ja, bis dann“, lächelte ich. „Und viel Spaß heute noch mit deinen Vorbereitungen.“ „Werde ich haben.“ Als ich zurück fuhr - und froh war, dass ich den Weg zu mir nach Hause von dieser Position auf der Landkarte trotzdem fand -, gab es so gut wie keine Vorkommnisse bezüglich irgendwelcher potenzieller Unfälle. Nur einmal wäre ich beinahe bei Rot über die Ampel gefahren, weil mich ein Passant abgelenkt hatte. Eine Sekunde lang hatte ich geglaubt, in diesem Seth wieder zu erkennen, musste mich dann aber doch geirrt haben. Auf mein Winken reagierte er nämlich nicht. Nach dieser kleinen Notbremsung an der Kreuzung und dem nur langsam abklingenden Adrenalinpegel, fuhr ich noch vorsichtiger als ohnehin schon die restliche Strecke. Bis ich mich dazu entschloss, gleich einkaufen zu fahren und keinen Zwischenstopp mehr zuhause zu machen. Das Einkaufszentrum war nicht weit entfernt und so fuhr ich nicht länger als zehn Minuten, bis ich dort ankam. Ich parkte so dicht am Eingang wie möglich, schnappte mir einen Einkaufskorb und stürzte mich in die täglich überfüllten Läden. Während ich durch die Gänge schlich, überlegte ich, was genau ich alles kaufen konnte, um ein einigermaßen ordentliches Essen zu zaubern. Mental bereitete ich mich dabei bereits auf den Abend vor. Renée und Phil… Freude als auch Nervosität beherrschten mein inneres Gefühl. Freude, weil ich meine Mom nach langer Zeit wieder sah, und Nervosität, weil Charlie offenbar nicht viel für Phil übrig hatte. Ich bezweifelte, an der eventuell aufkommenden geladenen Stimmung auch nur eine Kleinigkeit ändern zu können, aber wenigstens konnte ich versuchen, ein vernünftiges Essen zuzubereiten. Vielleicht würde ja das für ein bisschen gute Laune sorgen. Ich bog gerade in einen weiteren Gang, als ich an der Ecke abrupt stehen blieb. Direkt am anderen Ende stand eine mir mittlerweile allzu bekannte Person. Die, die ich erst vor ein paar Minuten versehentlich mit jemand anderes verwechselt hatte. Seth. Ständig huschten Leute zwischen uns hin und her, sodass ich immer nur ein Stück von ihm erhaschte. Er stand mit dem Rücken zu mir, weshalb er mich nicht bemerkt hatte und ich wollte bereits auf ihn zugehen, bis ich erkannte, dass er sich mit jemandem unterhielt. Jemand, der ihm verdammt ähnlich sah und den ich kurzzeitig für den Passanten von der Straße hielt. Die gleichen schwarzen Haare, die rostbraune Haut. Nur war der Fremde ein Stück größer als Edwards alter Bekannter. Natürlich konnte ich mir nicht sicher sein, ob es sich wirklich um die Person handelte, die mich beim Autofahren abgelenkt hatte, aber eine gewisse Ähnlichkeit war vorhanden. Aus einem inneren Impuls ging ich nicht auf Seth zu, sondern verschwand halb hinter dem Regal. In dem lauten Gemurmel der Einkaufsmassen verstand ich leider nicht, worüber sie sich unterhielten, allerdings bemerkte ich, dass Seth seinem Gegenüber etwas reichte. Und wenn ich mich nicht täuschte, dann waren es Lichtbildaufnahmen. Fotos. Der Fremde sah sie sich an und nickte anschließend. Als hätte ich etwas gesagt, schoss sein Kopf so schnell in meine Richtung, dass ich im ersten Moment gar nicht reagieren konnte, mich dann aber hastig ganz um die Ecke drehte. Mit einem Mal war mein Adrenalinspiegel abermals gestiegen und mein Herz klopfte unnatürlich laut in meiner Brust. Ich hoffte, dass er mich nicht gesehen hatte. Im selben Augenblick kam ich mir völlig lächerlich vor. So wie ich mich verhielt. Edwards Paranoia schien mich angesteckt zu haben. Gerade als ich mich wieder beruhigt hatte, erschreckte mich von neuem eine Stimme direkt neben mir. „Bella?“ Ich japste nach Luft, als ich mich erschrocken zur Seite wandte und Seth vor mir stehen sah. „Tut mir leid. Ich wollte dir keine Angst einjagen“, entschuldigte er sich zögerlich lächelnd. Ich versuchte ebenfalls zu lächeln, legte eine Hand über meine Brust, als würde das dieses verdammte Herzklopfen verlangsamen und schritt einen Schritt zurück, um ein bisschen Abstand zwischen uns zu bringen, weil er mir einfach zu nahe stand. „Kein Problem.“ Ich bemühte mich krampfhaft, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. „Ehm…“, stammelte er und räusperte sich kurz. „Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden, Bella.“ Allein schon seine Wortwahl verursachte ein paar Falten auf meiner Stirn und als er weiter sprach, wusste ich auch, warum. „Bitte erzähl Edward nicht, dass du Jake hier gesehen hast.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Heeey...;) Ich weiß, ich hab ewig gebraucht. Sorry. Ich hoffe, euch hat das Kapitel dennoch gefallen...Irgendwie...hihi. Sehr schöne Sachen sind ja nicht passiert und das Finale lässt auch noch etwas auf sich warten...^^ Kapitel 24: Die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm? --------------------------------------------------- *blinzel* o.o Waré~waré~, ich weiß, ich bin sehr spät dran. *drop* Aber das Kapitel wollte nicht so, wie ich wollte und dann musste ich noch über meine Charaktere nachdenken. In Bezug auf realitätsnah, tiefgründig usw ^^ Na ja, jetzt hab ich mich aber wieder gefangen und konnte das Chapter fertig stellen. Und eins sag ich schon mal vorweg: Genießt es. Es wird evtl das letzte, vllt vorletzte ruhige Kapitel sein. Kommt drauf an, was in dem nächsten passiert…hehehe… xD Zusammenfassung (damit ihr wieder wisst, worum es ging ^^): - Bella trifft Edward durch einen Zufall. Beide machen einen Deal, dem anderen in Sachen Beziehung zu helfen. - Anfänglich läuft alles gut, bis Bella merkt, dass sie mehr für Edward empfindet als erwartet. - Es stellt sich heraus, dass Claire ein falsches Spiel mit Bella gespielt hat, ebenso Tayk, der des übrigen eigentlich schwul ist, es aber immer verheimlicht hat. - Indes findet Bella in Alice eine neue Freundin, bei der sie das Gefühl hat, ihr vertrauen zu können und die ihr schon sehr geholfen hat. - Diese scheint sich mit Jasper, ein Mitglied in Edwards Baseballmannschaft, näher anzufreunden - Bella hat ein paar Mal das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden, dem aber nicht viel Bedeutung zugeschrieben. - Auf der Strandparty werden Claires Intrigen aufgedeckt und Bella und Edward kommen sich näher. - Außerdem taucht Edwards Bruder auf und findet Interesse an Claires Cousine Rosalie. - Als alles perfekt scheint, taucht unerwarteter Besuch aus Edwards Vergangenheit auf und sorgt für einigen Wirbel. Seth, ein alter Kumpel aus Edwards Gang. Außerdem hat Claire Edward bei Charlie angeschwärzt, sodass dieser jetzt mit Bellas neuem Freund auf Kriegsfuß steht. - Schließlich erzählt Edward Bella von seiner Vergangenheit, sodass mehr Klarheit zwischen den beiden herrscht, obwohl Bella Edwards Gefühle dadurch falsch interpretiert. Edward konnte Seths Schwester Leah damals nicht beschützen und hat sich die Schuld dafür gegeben. Weil Bella ihr ähnlich ist, denkt sie, dass Edward nur mit ihr zusammen ist, um seine Schuld zu begleichen. Edward kann sie aber wieder umstimmen. - Außerdem verspricht er ihr, seine Freundschaft mit Seth wieder aufleben zu lassen. - Eine Wahrsagerin in dem Vergnügungspark, den alle besuchen, verheißt Bella eine schlechte Zukunft und obwohl letztere nicht wirklich daran glauben will, kann sie ihr eigenes ungutes Gefühl nicht abschütteln. - Claire derweil versucht, sich bei Bella zu entschuldigen. Ohne Erfolg. - Die Beziehung zwischen Bella und Edward wird enger und vertrauensvoller, das Problem mit Charlie scheint sich langsam dennoch nur langsam zu legen, wenn auch noch nicht ganz. - Phil und Renée kündigen einen Besuch an. - Am Samstag gibt es ein wichtiges Baseballspiel zwischen Bellas Schule und einer Nachbarschule. - Am Donnerstag haben sowohl Alice und Jasper ein Date, als auch Emmett und Rose. Bella und Edward sollen auf Rose`s Tochter Roxy aufpassen. - Alice bekommt plötzlich Blumen von einem Fremden geschenkt und obwohl man zuerst davon ausgeht, dass sie von Jasper sind, ist dem aber nicht so. Und Alice verhält sich diesbezüglich auch seltsam. - Ein neues Problem taucht auf, als jemand Tayks Homosexualität in der Schule zur Schau stellt, zumal er der Captain der Mannschaft ist. - Ein neuer Lehrer namens James Harper taucht an der Schule auf und ist Edward sofort unsympathisch. Trotz der offensichtlichen Feindseligkeit, sieht Alice in dem Neuen kein Problem, obwohl dieser gleich am ersten Tag ein merkliches Faible für sie hat - Zu allem Unglück geht auch noch Alice‘ Auto kaputt - Womit letztendlich aber keiner gerechnet hat, ist das Auftauchen von Jake, dem alten Mitglied aus Edwards Gang, noch dazu in Verbindung mit Seth, der Bella eine unmögliche Bitte auferlegt. So, ich hoffe, ich hab die wichtigsten Sachen aufgezählt und ihr könnt euch wieder etwas einfinden. Falls ich was vergessen hab, könnt ihr es mir ja schreiben. ^^ In dem Sinne: Viel Spaß jetzt x) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm? „Jake…?“ echote ich ihn nach und stand für ein paar Sekunden auf dem Schlauch. „Jacob!“ Jetzt wurde mir bewusst, wen er meinte. Deshalb kam er mir auch so bekannt vor. Weil er zu Edwards alter Gang gehörte. Besser gesagt, war er mehr oder weniger das Oberhaupt - das Alphatier. „Ich versteh nicht ganz. Was macht er hier? Ich meine… warum triffst du dich mit ihm?“ Ich wusste noch ganz genau, dass Seth nichts mehr mit den Wolves zutun haben wollte; dass er ausgestiegen war. Und jetzt sah ich ihn mit einem von ihnen hier in San Francisco. „Er…“, druckste Seth unsicher herum. „Er ist mir hinterher gereist. Ich weiß auch nicht, wie er herausgefunden hat, wo ich mich momentan aufhalte. Aber das ist auch egal. Wichtig ist nur, dass Edward nichts davon mitbekommt. Deshalb darfst du ihm auch nichts von diesem Treffen erzählen.“ Meine Brauen schoben sich mitleidig zusammen. „Weißt du eigentlich, was du da von mir verlangst? Ich kann ihn nicht einfach so anlügen. Das würde er mir nie verzeihen.“ Okay, womöglich stimmte das nicht ganz. Er würde es mir nicht übel nehmen, wenn ich einen plausiblen Grund dafür hätte, nur könnte ich es mir selbst nicht verzeihen. Gerade jetzt, wo wir ausgemacht hatten, uns immer die Wahrheit zu sagen. „Natürlich weiß ich das“, meinte Seth. „Aber bitte versteh doch. Wenn er herausfindet, dass ich mich mit Jake getroffen hab, dann kann ich es mit der Freundschaft gleich ganz vergessen. Mir liegt wirklich fiel daran, mich mit Ed wieder zu verstehen.“ Meine Stimme blieb mir im Halse stecken. Ich konnte nichts erwidern, da ich ja selbst wollte, dass die beiden ihre alten Differenzen ablegten und von vorne anfingen. „Und was genau will dieser Jacob von dir?“ fragte ich stattdessen. „Er… wollte mich überreden, wieder zurückzukommen.“ Seth seufzte. „Aber ich hab ihm erklärt, dass ich hier bleibe und dass ich mir ein neues Leben aufbauen will. Ohne die Wolves.“ „Und das hat er einfach so akzeptiert?“ hakte ich skeptisch nach. „Keine Ahnung, aber fürs erste konnte ich ihn ruhig stellen.“ „Hat das was mit dem zutun, was du ihm gegeben hast?“ Verdammte Neugier. Warum konnte ich nicht einfach mal meine Klappe halten? Das ging mich nun wirklich nichts an. Seth schien verdutzt, lächelte dann aber traurig. „Ja. Das waren ein paar Fotos von meiner Schwester.“ Meine Intuition war sich nicht sicher, ob ich ihm glauben konnte. Aber wieso sollte er mich anlügen? Außerdem klang er völlig überzeugend. Plötzlich legte sich ein fragender Ausdruck auf sein Gesicht. „Hast du Edward eigentlich drauf angesprochen?“ „Auf deine Bitte?“ Er nickte. „Auf alles eigentlich.“ „Ja, hab ich… Das mit Leah tut mir leid“, flüsterte ich und sah ihm vorsichtig in die Augen. Ein trübes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Also weißt du, wie viel Jake für sie übrig hatte… Und warum Edward nicht so gut auf ihn zu sprechen ist.“ Ich sog scharf die Luft ein. „Ja…“ „Dann verstehst du doch sicherlich, warum Ed nichts hiervon wissen darf, oder?“ Ein Flehen lag in seiner Stimme, das fast schon verzweifelt klang - und mich gleichzeitig in eine Bredouille zwängte. Wie konnte ich die Bitte des einen erfüllen, ohne die des anderen zu verletzen? Das war so gut wie unmöglich. Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit, wenigstens halbwegs eine Lösung zu finden. Ein Kompromiss. „Hör zu, Seth“, fing ich an und versuchte, meinen Standpunkt so verständlich wie möglich zu vermitteln. „Ich kann das nicht einfach so versprechen. Ich kann und will Edward nichts vormachen.“ Seths Miene wechselte in Resignation, vielleicht auch Enttäuschung. Umso mehr beeilte ich mich, auf den Punkt zu kommen. „Aber ich kann es ein paar Tage aufschieben. Am Samstag hat unsere Schule ein wichtiges Baseballspiel. Warum kommst du nicht einfach dorthin und redest danach mit ihm? Solange kann ich es für mich behalten, denke ich.“ Er musterte mich nachdenklich. „Und du sagst bis dahin kein Sterbenswörtchen?“ Ich schüttelte den Kopf. Sollte ich erwähnen, dass ich eine schlechte Lügnerin war? Wohl eher nicht. Würde Edward mir tatsächlich auf die Schliche kommen, müsste ich mir etwas einfallen lassen. Und zur Not könnte ich immer noch die Hälfte der Wahrheit sagen, dass ich Seth getroffen hatte und dass dieser sich mit ihm am Samstag treffen wolle. „Danke.“ Mein Gegenüber sah mich eine lange Zeit mit einem undefinierbaren Ausdruck an, während er leicht auf den Rand seiner Lippe kaute. Mir wurde sein Blick etwas unangenehm und ich fühlte mich noch unbehaglicher, als er seine Hand auf einmal hob, als wollte er mein Gesicht berühren, sie dann aber sinken ließ. Seine Augen folgten der Bewegung seiner Hand und blieben an meinem Dekolleté hängen. Überrascht hoben sich seine Augenbrauen. „Du trägst deine Kette ja gar nicht.“ Dieses Mal war ich diejenige, die verwundert dreinschaute. Warum fiel ihm das auf? Meine Finger legten sich auf die Stelle, an der normalerweise der gelbliche Kristall prangte. Sie fühlte sich ungewohnt nackt an. Als würde mir etwas fehlen, das ich schon seit Ewigkeiten besaß. „Der Verschluss ist kaputt gegangen“, erklärte ich und musterte ihn aufmerksam. Er starrte immer noch auf die Stelle, dann sah er mich an, holte tief Luft und lächelte. „Okay, ich werd dann mal wieder… Bis Samstag.“ Er ging ein paar Schritte zurück, winkte noch einmal und drehte sich dann ganz, um Richtung Ausgang zu verschwinden. Ich sah ihm noch ein paar Sekunden nach, ehe ich mich wieder besann und mich meinem derzeitigen Problem widmete. Das Abendessen mit Renée und Phil. Während ich durch die Regale wanderte und nach geeigneten Zutaten suchte, spielte sich in meinem Kopf immer wieder die Szene mit Seth ab. Ein seltsamer Ausdruck hatte in den Augen dieses Jacobs gelegen, als er seinen Kopf zu mir gewandt hatte. Aber womöglich bildete ich mir das nur ein. Ich versuchte, die wirren Gedanken abzuschütteln und mich voll und ganz auf heute Abend zu konzentrieren. Wenn ich nicht an das eben stattgefundene Treffen dachte, musste ich auch nicht einer gewissen Person gegenüber versuchen, es so gut wie möglich zu verheimlichen. Außerdem standen gute Absichten dahinter. Mein Schweigen war entschuldbar. Ich seufzte, als mir klar wurde, dass ich mich gerade für mich selbst rechtfertigte und nach Argumenten suchte, die mein Handeln befürworteten. Eins nach dem anderen. Erst stand das heutige Essen an. Denn das allein würde schon jede Menge Stress mit sich bringen. So wie Charlie bei der Erwähnung von Phil reagiert hatte. Überraschenderweise fand ich ziemlich schnell etwas geeignetes zum Kochen, das alle Anwesenden ansprechen würde. So brauchte ich auch nicht länger als eine halbe Stunde im Markt. Natürlich achtete ich auf der Fahrt zu mir nach Hause darauf, Edwards Auto nicht zu beschädigen und keinen Kratzer in den Lack zu setzen, geschweige denn eine Beule. Ich war heilfroh, als ich den Volvo unsere Einfahrt hochfahren, den Motor abstellen und endlich aussteigen konnte. Ich entschied mich dazu, erst die Haustür aufzuschließen und die Tür weit zu öffnen, bevor ich die beiden großen Papiertüten hineinschleppte und auf den Küchentisch abstellte. Nicht, dass mir noch eine davon aus den Händen rutschte. Dann hätte ich noch mal losfahren können. Und das mit Edwards geliebtem Fahruntersatz wollte ich nun wirklich nicht. Nachdem ich alles soweit da hatte, fing ich sofort mit dem Vorbereiten der Speisen an. Kartoffeln schälen und ansetzen, Gemüse kochen, Fleisch zubereiten, Salat waschen, Brot aufbacken und schneiden… Das alles allein zu machen, dauerte und ich war froh, als ich endlich die Pfanne mit dem Braten in den Ofen schieben konnte. Während er vor sich hinschmorte und die Töpfe auf dem Herd leise Geräusche der zerplatzenden Wasserbläschen von sich gaben, holte ich meine Schulsachen und machte auf dem Tisch ein wenig Platz, um meine Hausaufgaben zu erledigen. So verging die Zeit und ich konnte nebenbei aufpassen, dass nichts anbrannte. Zwischendurch wurden die Kartoffeln gar, ebenso das Gemüse, sodass ich meine Arbeit kurz unterbrechen musste. Charlie kam heute sehr viel früher nach Hause, als ich es erwartet hatte. Ich war gerade dabei gewesen, meine Unterlagen wegzupacken, als ich unsere Tür und dann seine schweren Schritte im Flur hörte. Normalerweise rief er schon von dort nach mir, doch heute steckte er einfach nur seinen Kopf in die Küche und murmelte ein „Du bist ja schon da.“ Ich lächelte verhalten und wandte mich dann wieder meiner Aufgabe zu, weil ich davon ausging, dass er eh gleich verschwinden würde. Allerdings tat er das nicht. Er beobachtete mich wachsam. „Ist das nicht Edwards Auto in der Einfahrt?“ Stimmt ja. Natürlich würde ihm das auffallen. „Ehm, ja, ist es. Er hat es mir geliehen, damit ich einkaufen konnte. Alice‘ Wagen ist kaputt gegangen und weil er nicht wollte, das wir mit einem Fremden mitfahren, hat er mir seinen anvertraut.“ Letzteres hätte ich mir eigentlich sparen können, doch vielleicht half es auch, Edward gut dastehen zu lassen. Charlies Stirn hatte sich derweil in Falten gelegt und seine Augen waren gefährlich eng zusammengezogen. Aber er erwiderte nichts darauf, sondern nickte nur und verschwand im Wohnzimmer - kurz darauf hörte ich den Fernseher. Er war mürrisch und still. Letzteres war er sonst eigentlich auch, nur dieses Mal war es noch auffälliger. Ich hatte nicht vergessen, das ich immer noch ein bisschen sauer auf ihn war, weil er unbedingt mit Edward morgen reden wollte, aber ich entschied, diesen kleinen Gram heute mal beiseite zu schieben. Er würde eh noch einen schwierigen Abend vor sich haben. Und vorher mit ihm zu reden, würde auch nichts bringen. Er war kein Fan von großen Worten. Ich konnte also einfach nur hoffen, dass der Abend einigermaßen glimpflich ablief. Ein kurzer Check durch die Scheibe des Backofens verriet mir, dass das Fleisch jetzt fertig war und ich das Gerät ausschalten konnte. Stillschweigend räumte ich meine Sachen weg und deckte den Tisch. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Charlie Richtung Bad lief. Vermutlich duschte er und zog sich anschließend um. Wenigstens würde er so einen guten Eindruck bei Renée machen, und darüber war ich heilfroh. Und dass er heute früher von der Arbeit gekommen war, musste schließlich auch ein gutes Zeichen sein. Oder aber er war einfach nur nervös. Als alles soweit fertig war, warf ich einen Blick auf die weiße, runde Uhr an der Wand. Zehn vor acht. Hoffentlich hielt sie sich an die Zeit, obwohl Pünktlichkeit nicht unbedingt zu ihren Steckenpferden zählte. Langsam wurde auch ich nervös und so sehr ich auch versuchte, es zu unterdrücken, so sehr versagte ich dabei auch. Hinzu kam, dass Dad immer noch nicht wieder aufgetaucht war. Ob er sich im Kleiderschrank verlaufen hatte? Dann endlich hörte ich draußen das kiesige Geräusch von Gummireifen, die langsamer wurden, als das Auto am Straßenrand hielt, danach das Klappen von Autotüren… Ich machte mich bereits auf den Weg zur Tür, als es auch schon an dieser klingelte. „Mom!“ rief ich freudig. Vielleicht ein bisschen zu übertrieben, doch ich freute mich wirklich, dass sie da war. Sie umarmte mich fest, nahm mein Gesicht in ihre Hände und betrachtete es mit einem mütterlichen Strahlen, ehe sie mir einen Kuss auf die Stirn gab. „Hallo, mein Schatz.“ Gleich hinter ihr war Phil. Er war das genaue Gegenteil von Charlie. Groß, durchtrainiert und jünger. Seine kurzen, schwarzen Haare waren leicht durcheinander. Er nahm mich ebenfalls in die Arme, wenngleich es sich bei ihm etwas steifer und zurückhaltender anfühlte. „Hey, Sportsfreund.“ Okay, diesen Kosenamen gab er mir, seid er herausgefunden hatte, dass ich eine absolute Niete in Sachen Sport war. Genau genommen seid er seinen Versuch, mir Baseball beizubringen, aufgegeben hatte. Wenn er wüsste, dass ich jetzt einen neuen Lehrer hatte… Jedes Mal wenn wir uns sahen, neckte er mich damit. Ob er dachte, dass er dadurch eine gewisse Verbindung zu mir hatte, wusste ich nicht. Ich akzeptierte ihn zwar als den neuen Mann meiner Mutter, doch das musste zwangsläufig ja nicht unbedingt heißen, dass wir die besten Freunde waren. Ich lächelte nervös. „Hallo, Renée“, hörte ich hinter mir die brummige Stimme meines Vaters. Augenblicklich drehte ich mich zu ihm um. „Charlie!“ Meine Mom ging auf ihn zu und drückte ihn herzlich. „Wie geht´s dir?“ „Gut, gut“, antwortete er und bemühte sich, freundlich zu schauen. Ich musste eingestehen, dass eine gewisse Intensität in der Luft lag. Und als Phil ihn begrüßte und ihm die Hand entgegenhielt, war ich mir nicht sicher, ob Charlie sie überhaupt ergreifen würde. Doch er tat es und ein Stein fiel mir vom Herzen. „Hmm, das duftet aber“, stellte Renée fest und hielt ihre kleine, spitze Nase ein Stück in die Luft. Sie wusste doch immer, wann man die Stimmung aufheitern musste und wie man gekonnt das Thema wechselte. „Ja, das Essen ist schon fertig. Ihr könnt ja in Ruhe eure Sachen ablegen, während ich die letzten Feinheiten vorbereite.“ Die ersten paar Minuten, die wir am Tisch saßen, herrschte Schweigen zwischen uns und nur das Kratzen des Bestecks auf den Tellern war zu hören, genauso wie das leise Kauen der einzelnen Personen. Phil hatte eine Flasche Rotwein mitgebracht und zu meinem Erstaunen trank Charlie ebenfalls davon. Ich war wirklich davon ausgegangen, dass er sein Bier bevorzugte. So war also ich die einzige, die mit einem Glas Saft am Tisch saß. Zuerst wusste ich nicht, wie ich diese drückende Stille auflösen konnte, bis ich mich wieder an etwas aus dem Telefongespräch mit meiner Mutter erinnerte. „Ihr habt also bald ein Spiel hier in San Francisco, ja? Wie ist denn deine neue Mannschaft eigentlich?“ Phil hob verwundert die Augenbrauen. Vermutlich weil ich ihn das erste Mal von selbst auf das Thema ansprach. Charlie sah nicht minder überrascht aus. „Na ja, so neu bin ich gar nicht mehr. Immerhin hat der Wechsel schon vor ein paar Monaten stattgefunden.“ „Wirklich? Edward meinte, du bist erst vor kurzem in die Major League gewechselt“, bemerkte ich. Gerade als Phil antworten wollte, hörte ich ein komisches Geräusch von Seiten meiner Mutter und als ich meinen Kopf zu ihr drehte, grinste sie mich mit schmalen Augen an. „Edward?“ Oh, verdammter. Hatte ich ihn etwa erwähnt? So schnell wollte ich gar nicht auf das Thema zu sprechen kommen. Charlie grummelte leise, was Renée kurz zu ihm schauen ließ, bevor sie sich wieder mir zuwandte. „Also… was hast du mir zu sagen?“ Nervosität… und sie brachte meine Wangen zum Glühen, als drei Augenpaare erwartungsvoll auf mich gerichtet waren. „Er… ist mein Freund?“ stammelte ich scheu. Das Glitzern in Renées Augen wurde größer. „Fragt sich nur, für wie lange noch“, murmelte mein Dad auf einmal und machte sich an sein Essen, als hätte er eine unbedeutende Kleinigkeit erwähnt. „Ich versteh nicht ganz.“ Mom sah sichtlich verwirrt aus, als sie ihren Exmann mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete und dann fragend zu mir sah. Doch ich winkte nur ab. „Das erklär ich dir später, okay?“ „Bella“, mahnte sie mich. „Bitte. Nicht jetzt beim Essen.“ Ein paar lange Sekunden betrachtete sie mich noch misstrauisch, ließ das Thema dann aber vorerst wieder fallen. Jedenfalls fast. „Wie ist dieser Edward denn so? Ich hoffe nett.“ Während sie sprach, bearbeitete sie das Fleisch vor sich mit Messer und Gabel. „Wunderbar“, lächelte ich und nickte zur Bestätigung. „Er spielt in der Baseballmannschaft unserer Schule.“ „Wirklich?“ Dieses Mal war es Phil, der etwas sagte. „Auf welcher Position?“ „Er ist der Schläger.“ Mein Stiefvater fing auf einmal an zu kichern - sogar Charlie -, doch leider hatte ich den Witz bei meiner Antwort verpasst. „Du meinst wohl, der Batter. Der Schläger ist er sicher nicht“, klärte er mich dann auf und ließ eine meiner Brauen nach oben schnellen. Herrgott, ich war ein Mädchen. Ich musste mich mit so was nicht auskennen. Renée sah das offensichtlich genauso, denn sie lächelte mich aufmunternd an. So verbrachten wir den Rest des Abends. Mit einem Gespräch über Baseball. Obwohl ich eigentlich nicht mitreden konnte und meine Mutter auch nicht sonderlich viel zu dem Thema beitragen konnte, machte mich die aufgekommene Stimmung doch glücklich. Charlie wirkte nicht ganz so abweisend wie zu Anfang und durch das gemeinsame Interesse schien die Eisschicht zwischen den beiden langsam zu schmelzen. Ehrlich gesagt hatte ich es mir schlimmer vorgestellt. Das positive war, dass ich sogar dazu kam, Phil wegen Samstag zu fragen - oder besser gesagt, alle. Es wäre gemein gewesen, Charlie diesbezüglich außen vorzulassen, zumal ich wusste, wie sehr er diesen Sport vergötterte. Außerdem war es ja auch eine weitere, passende Gelegenheit, ihn von Edwards guter Seite zu überzeugen. Und mal ernsthaft: Wer sich für Baseball interessierte, konnte kein schlechter Mensch sein. Laut Charlie. Und an seinen Überzeugungen hielt man schließlich fest. Dad stimmte sofort zu, während Renée und Phil kurz darüber nachdachten. Ich wurde schon leicht nervös und ich hielt den Atem an, als sie sich einen unschlüssigen Blick zuwarfen. Ich erklärte ihnen, dass unsere Mannschaft sich bestimmt freuen würde, wenn jemand wie Phil da wäre, vor allem da es ein schwieriges Spiel für unsere Schule war. Das musste sie überzeugt haben - mal ganz davon abgesehen, dass mein Stiefvater sich immer noch bemühte, bei mir zu punkten, um vollständig anerkannt zu werden. Am Ende lächelten mich beide an und nickten eifrig. Erleichtert atmete ich aus. „Sag mal, was mir vorhin aufgefallen ist“, meinte Renée plötzlich, während wir dabei waren, den Tisch abzuräumen und das Geschirr in den Spüler zu stellen. Charlie und Phil waren derweil im Wohnzimmer und schauten sich ein Spiel an. Vielleicht unterhielten sie sich auch, das konnte ich nicht so genau sagen, da die Stimme des Kommentators alles übertönte. „Habt ihr euch ein neues Auto gekauft?“ „Hm?“ Mir fiel nicht auf Anhieb ein, worauf sie hinauswollte, doch dann traf mich die Erkenntnis. „Oh!… Nein, das ist Edwards Volvo. Er hat ihn mir geliehen.“ Moms Augen wurden groß und ein warmherziges Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. „Er muss dich wirklich lieben, wenn er es dir anvertraut. Ein Mann und sein Heiligtum sind schwer voneinander zu trennen.“ Ja, Männer und Autos. Die altbekannte Liebe… Und genau das letzte Worte ließ mich nachdenken. Liebe. Das in Verbindung mit Renées Worten. Edward hatte das noch nie zu mir gesagt. Dass er mich liebte. Okay, zugegeben, ein einziges Mal hatte er es in Anwesenheit von Claire getan. Damals diente es aber nur der Täuschung. Dennoch, die Erinnerung daran ließ mein Herz schneller schlagen und ich wünschte mir plötzlich, dass er es ernst gemeint hätte. Aber würde er das überhaupt? Die Vorstellung, die in meinem Kopf gerade immer mehr an Form gewann, war fast schon utopisch. Wenn er das wirklich einmal zu mir sagen sollte… würde… Mit einem Mal wurde mir wärmer ums Herz und die Aufregung durchflutete meinen Körper wie heiße Lava. Doch sobald mich die Stimme meiner Mutter aus meinen Gedanken riss, verblasste das Bild in Sekunden und das Gefühl kühlte so schnell ab, wie es gekommen war. Vermutlich war es eh noch zu früh, um so etwas von jemandem zu erwarten. Was hieß zu früh. So etwas überhaupt zu erwarten, wäre die bessere Formulierung. Wir waren erst ein paar Tage zusammen. Da konnte sich so etwas wie Liebe doch noch gar nicht richtig entwickeln. Und wir waren erst siebzehn. War es möglich, so zeitig schon jemanden zu finden, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen konnte… wollte? Viele Paare wurden in diesem Alter schon Eltern und heirateten kurz darauf. Die Hälfte davon wurde todunglücklich mit dem erstbesten Partner, den sie sich ausgesucht hatten, ertrugen aber ihr Schicksal, und die andere Hälfte ließ sich scheiden und suchte nach jemand neuem. Woher sollte man schon wissen, wer der Richtige war… Oder die Richtige? Woher sollte Edward wissen, dass ich es für ihn war? Außerdem hatte ich es bisher auch noch nicht zu ihm gesagt. Wie konnte ich da von ihm verlangen, mir seine Liebe zu gestehen? Ich wusste, dass ich in ihn verliebt war, aber liebte ich ihn auch? Mein Herz sagte Ja, und auf das sollte man bekanntlich hören. Wenn er nicht bei mir war, sehnte ich mich mit jeder Faser meines Körpers nach ihm, jeder Gedanke handelte von ihm und ich sah sein Gesicht und sein schiefes Lächeln, wenn ich die Augen schloss. Auch das waren Anzeichen dafür. Aber könnte ich ihm das sagen? Direkt, gerade heraus? Wie groß war der Schmerz bei einer Enttäuschung? Wie sehr würde es an mir zerren, wenn er nicht so für mich empfand? Wie dämlich würde ich dann dastehen? „Bella…!“ Erschrocken hob ich meinen Kopf. „Entschuldige, ich war nur gerade in Gedanken versunken.“ „Hab ich mir schon gedacht“, grinste sie. Dann kam sie schnurstracks auf mich zu und zog mich zum Küchentisch, um uns beide auf zwei Stühle zu setzen. Kurz huschte ihr Blick Richtung Wohnzimmer, dann wieder zu mir. „Also…“, fing sie an und in ihren Augen war abermals dieses Leuchten. „Jetzt erzähl mir alles über diesen Edward.“ Kurz gefror mein Gesicht anhand dieser völlig überrumpelten Aufforderung. Dann jedoch atmete ich ergeben aus. Ich wusste, dass sie nicht eher locker lassen würde, bis sie jede Einzelheit erfahren hatte. So erzählte ich ihr alles über meinen Freund, während die Herrn der Schöpfung sich mit Baseball amüsierten. Einige Dinge änderte ich natürlich um, oder ging nicht näher darauf ein, genauso als ich ihr von Claire erzählte. Renée hatte sie nie persönlich getroffen und kannte sie nur aus meinen Erzählungen. Als ich mich mit Claire angefreundet hatte, lebte Mom bereits in Phoenix. Trotzdem war sie traurig, dass unsere Freundschaft vorbei war. Zumal sie unser Verhältnis immer als sehr eng angesehen hatte und froh war, dass ich so eine gute Freundin besaß. Auf der anderen Seite freute sie sich unheimlich für mich, dass ich in Alice eine neue, gute Seele finden konnte und hoffte, dass es dieses Mal keine Enttäuschung gab. Was genau Claire angestellt hatte, wie hinterhältig sie wirklich war, verriet ich ihr nicht. Manche Dinge behielt man einfach für sich und diese Sache war meiner Meinung nach nichts, das ich meinen Eltern unbedingt erzählen musste. Am Ende gab sie mir ein mütterliches Lächeln, das mir zeigte, wie sehr sie sich für mich freute, hatte sie doch einige der bisherigen Enttäuschungen, was Jungs anging, mitbekommen. Und sie wünschte mir alles Glück der Welt, dass es dieses Mal besser laufen würde - auch wenn man den Lauf des Lebens nie von vornherein einschätzen konnte… Was ich jedoch ausließ, war das morgige Gespräch zwischen Dad und Edward. Zwar hatte ich in Erwägung gezogen, sie deshalb zu fragen, ihr sogar versprochen, Dads kleine Bemerkung zu erklären, doch im Endeffekt wäre es wirklich gemein Charlie gegenüber. Ich würde ihm in den Rücken fallen. So hätte ich mich automatisch auf Claires Niveau herabgelassen. Und das war nun wirklich das letzte, was ich wollte… Als Phil und Renée wieder aufbrachen, war es schon ziemlich spät. Wir machten noch einen genauen Zeitpunkt für Samstag aus, wann genau wir uns denn in der Schule treffen würden. Renée war schon ganz gespannt darauf, Edward dann selbst sehen zu können. Schon bald darauf machte ich mich für die Nacht fertig. Erst jetzt realisierte ich, wie müde ich eigentlich war. Doch kurz bevor ich gänzlich in die Traumwelt versank, fiel mir etwas ein, an das ich den ganzen Tag über nicht gedacht hatte und weshalb ich jetzt im Bett regelrecht hochschreckte. Edwards Auto stand bei uns und er selbst hatte keine Möglichkeit, zur Schule zu kommen. Also hieß das, dass ich ihn abholen musste. Nur gab es da ein Problem: Ich hatte keine Ahnung, wo er wohnte. Ein Blick auf meinen Wecker verriet mir, dass es kurz vor Mitternacht war. Auch auf die Gefahr hin, ihn aufzuwecken, beschloss ich, bei ihm anzurufen. Hastig krabbelte ich aus meinem Bett, nur um dann auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer zu schleichen und tunlichst darauf zu achten, kein allzu lautes Geräusch zu machen, das eventuell Charlie aufwecken könnte. Das war gar nicht so einfach, wenn man kein Licht anmachen wollte. Nachdem ich dann meinen Fuß einmal an einer Kommode gestoßen hatte und es fast unmöglich war, den Schrei zu unterdrücken, gelangte ich zu dem kleinen Tisch neben der Couch. Vorsichtig tastete nach dem Schalter der kleinen Lampe, die dort stand, damit ich in dem kleinen Notizbuch nach seiner Nummer suchen konnte. Ich rieb mir meinen immer noch schmerzenden Zeh, während das Klingeln auf der anderen Seite der Leitung ziemlich lange dauerte. Dann endlich hörte ich eine sehr verschlafene Stimme. Augenblicklich musste ich schmunzeln. „Cullen…?“ antwortete er, gefolgt von einem unterdrückten Gähnen. „Edward, ich bin‘s“, flüsterte ich, war mir allerdings nicht ganz sicher, ob man das durch die Sprechmuschel hören konnte. Er zögerte, als ob er überlegen würde. „…Bella… Was…“, fing er dann an und im nächsten Augenblick fuhr er doppelt so schnell, hellwach und besorgt weiter. „Alles in Ordnung? Geht‘s dir gut?“ „Ja. Nein. Also… Mein Fuß tut weh, aber das ist jetzt unwichtig.“ Ein Kichern am anderen Ende. „Bist du irgendwo gegen gelaufen?“ Statt etwas zu sagen, brummte ich nur vor mich hin und anscheinend amüsierte ihn das noch mehr. Was für ein Glück hatte er doch, dass er nicht gerade neben mir saß. Ich schloss meine Augen, und atmete tief ein und aus, während sich meine Hand, die zu einer Faust geballt war, langsam wieder entspannte. „Weswegen ich anrufe…“, kam ich in gedämpftem Ton wieder auf das eigentliche Thema zurück. Allerdings blieb es auch bei den paar Wörtern, denn Edward unterbrach mich. „Warum flüsterst du?“ „Um Charlie nicht zu wecken…?“ Eine meiner Augenbrauen hob sich. Das war ja nun wirklich offensichtlich. „Ach so. Okay… Also, du rufst an, weil…?“ „Weil ich dich fragen wollte, wo du wohnst. Ich hab dein Auto, was bedeutet, dass ich dich morgen früh abholen muss. Sonst kommst du ja schlecht zur Schule.“ Er lachte leise, woraufhin sich meine Stirn in Falten legte. Was an meiner Sorge so witzig war, konnte ich leider nicht erkennen. „Da mach dir mal keinen Kopf“, antwortete er schließlich. „Abgesehen davon, dass ich auch mit dem Bus hätte fahren können… Emmett bringt mich.“ „Ich versteh nicht. Warum sollte er so früh aufstehen?“ Jetzt klang sein Lachen ein wenig triumphierend. „Er hat gestern bei einer Wette verloren und ich hab deshalb noch was gut bei ihm.“ „Oh…“ Hätte ich genauer nachgefragt, hätte ich gewusst, was er damit meinte, als er sagte, Emmett würde ihn bringen. So war ich doch ziemlich überrascht, als ich am nächsten Morgen aus der Tür trat und einen Jeep am Straßenrand stehen und zwei männliche Wesen mit vor der Brust verschränkten Armen daran lehnen sah; einer ein breites Grinsen auf dem Gesicht und der andere eine mürrische Miene. Und genau in diesem Augenblick, als Edward seine Arme leicht ausbreitete und auf mich zukam, spürte ich es. Dieses ungute Gefühl, das einem eine Gänsehaut verpasste und Schweißausbrüche verursachte. Ruckartig drehte ich mich nach hinten, als ich ein Geräusch in der Hecke neben unserem Haus wahrnahm. Meine geweiteten Augen verengten sich, um genauer sehen zu können, trotzdem konnte ich nichts erkennen. Und als ich Edwards Arme um mich spürte, verschwand das Unbehagen. Einzig die Erinnerung daran blieb. Doch das allein reichte, um mich nervös zu machen. „Morgen“, begrüßte er mich und legte seine Lippen sanft auf die meinen. Und als er mich danach aufmerksam musterte, sah ich, wie das Lächeln in Verwirrung umschlug. „Alles in Ordnung?“ „Ja. Ich dachte nur eben, dass ich was gehört hätte. Aber ich hab mich wohl geirrt.“ Ich lächelte und fing gleich daraufhin mit einem anderen Thema an. „Was machst du hier?“ Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. „Das ist ja eine Begrüßung. Ich hab doch gesagt, dass Emmett mich bringt.“ „Ja, aber ich dachte, dass ihr gleich zur Schule fahrt.“ „Und mir so eine Fahrt mit dir entgeht? Keine Chance“, schmunzelte er leise. Für einen Moment war ich still und analysierte seine Antwort. Dann wurde mir klar, was der wahre Grund für seine Anwesenheit war und meine Augen wurden schmal. „Du hast nur deinen Volvo vermisst.“ Sichtlich irritiert wollte er gerade zum Sprechen ansetzen, als sein großer Bruder ihm seine Pranke auf die Schulter drückte. „Tja, du bist wohl aufgeflogen.“ Ich selbst war minimal zusammengezuckt, weil ich gar nicht mehr an ihn gedacht hatte und er wie aus dem Nichts hinter Edward aufgetaucht war. „Ich hab mein Auto nicht vermisst“, verteidigte sich Edward ärgerlich, was Emmett nur zum lachen brachte. Etwas leiser fügte er dann mit geschlossenen Augen hinzu: „Jedenfalls nicht nur.“ Und als er sie dann wieder öffnete, waren seine Lippen zu einem schelmischen Grinsen verzogen. In dem kurzen Moment des Schweigens regte sich Emmett und unterbrach somit unseren Blickkontakt. „Ich mach mich dann wieder auf den Weg.“ Wir nickten ihm zu, während ich ihm noch viel Spaß heute Abend wünschte. Mit einem verschlagenen Grinsen wünschte er mir dasselbe, ehe er in seinen Wagen stieg und davonfuhr, und für ein paar Sekunden machte mich genau das stutzig. Der Vormittag schleppte sich nur so dahin. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Die erste Stunde hatte ich zusammen mit Alice und was mir dabei besonders auffiel, war ihre Hibbeligkeit, die sie heute an den Tag legte. Nicht diese quirlige Art wie sonst, sondern auf eine nervöse Weise. Die Ursache dafür konnte ich mir nur allzu gut vorstellen. Ihr Date mit Jasper. Mir ging es nicht viel anders, obwohl bei mir nicht nur die Aufregung allein wiegte. Einerseits wollte ich Edward von Phils Besuch erzählen, andererseits waren da noch das Gespräch mit Charlie am Nachmittag und die Sache mit Seth. Zwar versuchte ich mir meine innere Unruhe nicht anmerken zu lassen, doch ich war mir fast sicher, dass Edward sie trotzdem bemerkte. Es war komisch, dass er mich nicht einmal darauf ansprach, auch wenn ich mehr als froh darüber war. Vielleicht hielt er sich absichtlich zurück. Oder hatte ich soviel Glück, dass er das alles auf das Babysitten bezog? Unterricht mit Mr. Harper hatten wir heute Gott sei dank nicht. Nur einmal waren wir ihm auf dem Flur begegnet; als Edward mich zu einem meiner Räume begleitete. Er hatte uns freundlich gegrüßt, doch mein Freund tat sich schwer, überhaupt eine Antwort zu geben und letztendlich kam sie relativ krampfhaft. Sein Blick war dabei so feindselig wie eh und je. Dass wir ihm bis Schulschluss kein weiteres Mal über den Weg liefen, deklarierte ich als eine glückliche Fügung. Mir war er ja selbst irgendwie zwiespältig und die Gänsehaut krabbelte meinen Nacken hinunter, wenn ich auch nur an diese Augen von ihm dachte. Sie besaßen eine seltsam dunkle Farbe und das Schimmern darin strahlte eine noch nie gesehene Kälte aus. Im selben Moment waren sie von einer verzehrenden Intensität erfüllt. Flammende Eisigkeit… Dabei war ich davon ausgegangen, so was nur im Fernsehen sehen zu können. Edward hatte heute kein Baseballtraining, weshalb ich nicht auf ihn warten musste. Wir konnten gemeinsam das Gebäude verlassen, und die Freude darüber, diesen Teil des Tages endlich geschafft zu haben, zeigte sich in einem lauten Seufzer, als ich mit geschlossenen Augen über den Parkplatz ging; das Gesicht gen Sonne gestreckt und die Wärme der Strahlen auf meiner Haut genießend. Durch Edwards vorsorglichen Griff um meine Hüfte war jede mögliche Tollpatschigkeit ausgeschlossen. Der Himmel war wolkenlos und das Wetter an sich eigentlich viel zu schade, um sich über alles mögliche den Kopf zu zerbrechen. Sei es wegen heute Abend, noch wegen dem neuen Lehrer oder diversen, zufälligen Begebenheiten. „Was bedrückt dich?“ Edwards leise Stimme brach sanft die Stille und kurz darauf spürte ich seine weichen Lippen auf meiner Schläfe. Meine gegenwärtige ‘Blindheit‘ unterbrach ich deshalb allerdings nicht. Mit der gleichen Ruhe und etwas träumerisch antwortete ich. „Wie kommst du darauf, dass mich was bedrückt?“ „Bella…“, schmunzelte er halb vorwurfsvoll. „Das ist offensichtlich.“ Wie ich es mir gedacht hatte. Also hatte er mich den Morgen über absichtlich nicht angesprochen. Ob er mir Zeit lassen wollte, bis ich von allein damit anfing? Wenn ja, musste ihm die Wartezeit jetzt zu lang geworden sein. Langsam öffnete ich meine Augen und richtete sie auf einen unbedeutenden Fleck vor mir. „Du… Hast du das Gespräch mit meinem Vater schon vergessen?“ fragte ich dann und sah zu ihm auf. Er schien doch tatsächlich überrumpelt, so groß, wie seine Augen waren. Im nächsten Moment fing er aus heiterem Himmel an zu lachen. „Machst du dir darum etwa immer noch einen Kopf? Wirklich, Bella. Du nimmst dir das alles ein bisschen zu sehr zu Herzen. Was soll denn schon großartig passieren?“ Ich öffnete meinen Mund, um dagegen zu halten, doch leider hatte er meinen Standpunkt komplett zunichte gemacht. Natürlich hatte ich einige Argumente parat, allerdings ließen die doch sehr an der Realität zweifeln. Und ehrlich gesagt war ich noch nie in so einer Situation gewesen, in der mein Vater meinen Freund auf die Probe stellte. Wahrscheinlich sollte ich es einfach drauf ankommen lassen. Dass Edward Recht hatte, musste ich ihm aber dennoch nicht zeigen. Immerhin hatte er sich gerade über mich lustig gemacht. Also versuchte ich, ihn so böse wie möglich anzufunkeln. Wer hätte gedacht, dass jeder Widerstand gegen seine dunklen Augen zwecklos war? Mein Gesichtsausdruck fütterte das Amüsement, das sich in ihnen widerspiegelte, noch. Ehe aber einer von uns beiden weiter agieren konnte, drang eine ziemlich hohe Stimme an unsere Ohren. „Eddy!“ Unsere Köpfe schossen synchron in die besagte Richtung. Sekunden später erkannten wir einen blonden Wirbelwind auf uns zu rennen. Ihre großen Locken schwangen im Takt ihres Laufschritts. Ohne Vorwarnung sprang sie auf Edward zu, welcher gerade noch rechtzeitig seine Arme ausbreitete, um sie aufzufangen. „Woah… Roxy, nicht so stürmisch.“ Er lachte und setzte die Kleine dann ab. Ihre Brille war ein bisschen verrutscht, weshalb er diese wieder richtig auf ihre Stupsnase setzte. „Du brauchst mich übrigens nicht Eddy nennen.“ „Aber Onkel Em meinte, du willst lieber so genannt werden“, erklärte sie mit gehobenen Augenbrauen. Edwards Augen weiteten sich, ehe sie ganz schmal wurden, er aber dennoch versuchte zu lächeln. „Hat er das, ja?“ Wie es aussah, musste sich Emmett einen kleinen Scherz erlaubt haben, über den mein Freund so gar nicht erfreut war. Ich konnte mein Kichern nur schwer unterdrücken und für den Bruchteil einer Sekunde huschten Edwards Pupillen in meine Richtung, bevor sei wieder das blonde Mädchen betrachteten. „Na ja, er muss da wohl was verwechselt haben. Edward ist mir lieber, einverstanden?“ „Einverstanden“, nickte sie und grinste. „Wo kommst du eigentlich her?“ Normalerweise sollten wir sie von der Schule abholen, umso überraschter waren wir doch, sie hier auf dem Parkplatz zu finden. „Der Unterricht war schon früher vorbei und da die High School ja gleich nebenan ist, bin ich einfach hergekommen und hab bei dem silbernen Volvo gewartet.“ Sie deutete auf Edwards Auto. „Ach so“, lächelte Edward. „Aber das nächste Mal wartest du in deiner Schule, okay? Nicht dass noch was passiert, wenn du einfach so allein losgehst.“ Sein Einwand schien ihr nicht so sehr zu gefallen. Das ließ jedenfalls ihr Gesichtsausdruck durchblicken. Und höchstwahrscheinlich auch die kleinen, in die Seite gestemmten Arme. „Ich bin aber schon groß“, widersprach sie ihm energisch. Edward nahm es mit Humor, wollte sie aber dennoch nicht zu sehr verärgern. „Das bezweifle ich auch nicht. Nur gibt es sogar Erwachsene, die in alle möglichen Unfälle verwickelt werden, und das bloß, weil sie nicht warten können.“ Ein unauffälliger Seitenblick zu mir und ich wusste, dass er die Sache mit den Fahrradfahrern meinte. Meine Augen weiteten sich. Er machte es schon wieder! Ruhig Blut, Bella. Lass dich nicht immer auf seine Provokationen ein. Ich setzte ein gespieltes Lächeln auf und symbolisierte ihm meine Gleichgültigkeit über seine Anmerkung. Als er seine Aufmerksamkeit aber Roxy wieder widmete, stellte ich mich etwas dichter neben ihn und trat dann mit etwas mehr Kraft auf seinen Fuß. „Au!“ schrie er auf und zuckte kurz zusammen. Geschockt sah er zu mir. Ich lächelte entschuldigend. „Tut mir leid, aber es sah so aus, als wäre da was herumgekrabbelt.“ Natürlich kaufte er mir das nicht ab, stattdessen schoss eine seiner Augenbrauen in die Höhe, ehe sich ein verstohlenes Lächeln auf seinen Lippen bildete. Meine Hand lag die gesamte Zeit der Heimfahrt über in Edwards und der leichte Druck linderte die Anspannung, die meinen Körper abermals befallen hatte. Je näher wir meinem Zuhause kamen, desto nervöser wurde ich. Alle möglichen Szenen spielten sich in meinem Kopf ab, wie das Gespräch verlaufen könnte. Die eine absurder als die andere. Andererseits kam mir auch ein anderer Gedanke. Roxy. Dass wir sie jetzt schon dabei hatten, konnte man durchaus als Pluspunkt betrachten. Wenn Charlie sie sehen würde - und sie war nun wirklich niedlich -, konnte er gar nicht anders, als dem Abend zuzustimmen und mich gehen zu lassen. Also hieß es, alles auf diese eine Karte setzen - und vielleicht auf Edwards Überredungskunst? Als er sein Auto letztendlich am Straßenrand parkte und ich vor dem Haus Charlies Wagen stehen sah, musste bereits eine kleine Revolte in meinem Magen begonnen haben. Am liebsten wäre ich sitzen geblieben. Doch ich konnte Edward nicht allein hineingehen lassen. Und mein Vater musste ja Roxy sehen. Während der Fahrt hatten wir der Kleinen erklärt, dass wir vorher noch zu mir fahren würden, weil Edward mit meinem Vater reden musste, ehe wir uns auf den Weg zu den Cullens machten. Gemeinsam gingen wir ins Haus; ich mit weichen Knien und Edward mit einem heiteren Kopfschütteln, als er mich kurz betrachtete. Als wir im Flur standen, hörte ich Geräusche aus dem Wohnzimmer. Ich wusste sofort, dass es Charlie war und ein Blick um die Ecke bestätigte mir meine Vermutung. Nur als ich sah, was er dort machte, bekam ich leichte Panik. Auf dem Tisch lagen diverse Reinigungsutensilien und in seinen Händen hielt er eine halb auseinander genommene Waffe. Im selben Moment wie er aufsah, drehte ich mich zurück, um Edward und Roxy daran zu hindern, näher zu kommen. Gerade als ich etwas zu den beiden sagen wollte, unterbrach mich die Stimme meines Vaters. „Bella?“ Er kam in den Flur und als er Edward erkannte, wurden seine Gesichtszüge hart, obwohl es aussah, als würde er genau diese Distanz verbergen wollen. „Guten Tag, Sir“, begrüßte Edward ihn höflich. Charlie musterte ihn, ehe er sich räusperte und „Hallo“ sagte. Ich konnte mir nicht helfen, aber die Situation erinnerte mich doch leicht ans Militär. Ein paar Sekunden herrschte Stille, dann allerdings machte sich Roxy ungewollt bemerkbar. Mein Dad musste sie erst jetzt wahrgenommen haben. Überrascht sah er auf den blonden Lockenkopf hinab. „Oh… Und das ist?“ Roxy wirkte irgendwie auf der Hut. Als hätte sie die stumme Interaktion zwischen meinem Freund und Charlie mitbekommen und sich ihr angepasst. „Roxy Madeleine Hale, Sir“, antwortete sie leise und stand halb hinter Edward, als wolle sie sich verstecken. „Dann bist du also…“ Dad schien jetzt doch leicht überfordert. Sein hilfesuchender Blick in meine Richtung entging mir nicht und ich nickte ihm zur Bestätigung zu. Ein Stein fiel mir von Herzen, als ich bemerkte, dass seine Haltung etwas erweichte, wobei das vielleicht nicht das richtige Wort war. Er kam mir leicht unbeholfen vor und irgendwie wusste ich, dass er der Situation am liebsten auf der Stelle entfliehen würde. Na ja, immerhin konnte er jetzt nicht mehr behaupten, das Babysitten wäre nur ein Vorwand für etwas anderes. Ich beschloss, Edward und Charlie allein zu lassen und mit Roxy in mein Zimmer zu gehen. Ich hätte dem Gespräch zwischen den beiden zwar lieber beigewohnt, nur leider war das mit Roxys Anwesenheit unmöglich, und allein in unserem Haus lassen konnte ich sie auch nicht - ganz davon abgesehen, dass mich mein Vater eh nicht hätte dabei haben wollen. Das wusste ich, auch ohne dass er es sagen musste. Also packte ich ein paar Sachen für heute zusammen, während Claires Nichte sich schweigend in meinem Zimmer umsah. Kleider zum Wechseln, Waschzeug und… Sachen zum Übernachten. Dieses leicht kribbelnde Gefühl in meinem Bauch stellte sich wieder ein und ich musste gestehen, dass es mir gefiel. Ebenso wie der Gedanke daran, bei Edward zu schlafen. Doch während ich dabei war, meine Tasche zu packen, kam mir wieder das Gespräch in den Sinn, das er mit Charlie gerade führte - seit einer geschlagenen halben Stunde. Was wenn es ein schlechtes Ende nahm? Was wenn der ganze Abend ins Wasser fiel? Mitten in meinem Tun, das letzte Stück Kleidung einzupacken, hielt ich inne und überlegte. Ich könnte mich leise an die beiden heranschleichen und eventuell etwas von dem Gespräch mitbekommen. Ich hatte die Überlegung noch gar nicht richtig zu Ende geführt, da war ich schon auf Zehenspitzen aus meinem Zimmer geschlichen und auf dem Flur. Ein Blick in Richtung Wohnzimmer zeigte mir, dass sie die Tür zugemacht hatten. Sehr gut. So würden sie es nicht bemerken, wenn ich kurz in die Küche ging, um ein Glas zu holen. In den Filmen hatten die Leute das auch immer gemacht, um besser hören zu können, also musste da was dran sein. Ein Versuch war es jedenfalls wert. Vorsichtig, auch ja kein einziges Geräusch zu machen, huschte ich an einen Küchenschrank und nahm mir ein Glas heraus. Anschließend schlich ich zurück in den Flur, stellte mich ganz dicht an die Tür zum Wohnzimmer und hielt die offene Seite des Glases an das Holz, ganz langsam und so geräuschlos wie möglich. Dann legte ich mein Ohr an den Fuß des Gefäßes. Zuerst hörte ich nichts, was schon leichte Besorgnis in mir auslöste. Hatte Charlie seine Waffe doch benutzt? Aber das war unmöglich. Er war Polizist. Allerdings reagierten selbst die manchmal über. Vielleicht hatte Edward was falsches gesagt. Ich spannte meinen Kopf an, in dem Glauben, so mein Gehör zu verbessern, und presste ihn noch mehr ans Glas. Und dann endlich nahm ich ein leises Gemurmel war. Es hörte sich unerwartet heiter an, als würden sie lachen. Ebenfalls unmöglich. Warum sollten die beiden lachen? Gemeinsam? „Was machst du da?“ Roxys Stimme warf mich total aus der Bahn und ich zuckte förmlich zusammen. Nur mit Mühe schaffte ich es, meinen erschreckten Schrei zu unterdrücken. Ich hatte sie ganz vergessen. Vorhin war sie noch damit beschäftigt gewesen, mein Regal zu inspizieren. Jetzt stand der Wirbelwind vor mir, die Augen geweitet und die Neugierde schon fast spürbar. Ihr Blick wanderte von meinem Gesicht zu meiner Hand, die das Glas hielt und dann zu ebendiesem. Ganz langsam schoben sich ihre Mundwinkel nach oben, entblößten ihre kleinen Milchzähne, bis ein breites Grinsen zu sehen und ein leises Kichern zu hören war. So schnell wie sie in die Küche flitzte, konnte ich gar nicht gucken. Schlagartig wurde mir bewusst, was sie vorhatte. Das gleiche, was ich gerade machte. Ich wollte ihr bereits hinterher rufen, bekam aber nur ein leises Zischen zustande. Andernfalls hätten Charlie und Edward mich bemerkt. Wenn da nicht noch eine andere kleine Sache gewesen wäre. Nämlich die, dass ich die beiden gehört hätte, wenn ich nicht von Roxy abgelenkt worden wäre. „Bella?“ Die Tür neben mir ging auf und zwei verdutzte Gesichter sahen mich aufmerksam an. Ich stand immer noch mit erhobenem Glas da. Zugegeben, die Situation war doch recht peinlich und dass sich meine Wangen deshalb knallrot färbten, nur verständlich. „Ich…“, stammelte ich unbeholfen, senkte die Hand mit dem Glas hastig und versuchte, zu lächeln. „Ich wollte mir gerade etwas zu trinken holen.“ In dem Moment kam der Lockenkopf aus der Küche, ebenfalls ein Glas in der Hand. Wie war sie verdammt noch mal an den Schrank gekommen? „Jetzt kann ich auch-“, fing sie voller Euphorie an, stoppte aber, als sie die beiden Männer sah, und ihre Stimme daraufhin leicht enttäuscht klang. „Oh, schon vorbei?“ Edwards Stirn legte sich immer weiter in Falten, während die Augen meines Vaters immer schmaler wurden. Bevor das Schweigen aber noch lächerlicher wurde, hielt sich mein Freund die Faust vor den Mund und räusperte sich. Ich konnte genau sehen, dass er sich ein Grinsen verkniff. „Also, wenn ihr dann soweit seid, können wir los.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Soo, ich hoffe, ich bin nicht zu sehr durchs Kapitel gerast, aber sonst wär´s noch länger geworden mit Dingen, die nicht wirklich spektakulär sind…^^ Ich hab auch Absätze zum besseren Lesen. Mir ist aufgefallen, dass ich dadurch bessere Zeitsprünge machen kann o.o… … und ich hab auch nicht mehr sooo viele Dialoge… Wenn auch etwas ereignisruhiger, hoffe ich doch, dass es euch trotzdem gefallen hat (?) :) Kapitel 25: Der Wolf im Schafspelz… Oder doch eher ein Teufel in Ausbildung? ---------------------------------------------------------------------------- Edwards Plan, was wir denn mit Roxy unternehmen könnten, bestand darin, den Nachmittag am Half Moon Bay zu verbringen. Das Wetter ließ auch nichts anderes zu. Die Sonne brannte mittlerweile so heiß, dass jegliche andere Aktivität nur unangenehm gewesen wäre. Da Edward diesen Ausflug bis zum Schluss geheim halten wollte, hatte er natürlich auch nicht mehr als seine Badehose in seiner Schultasche verstecken können. So suchte ich dann noch ein paar weitere Badetücher, etwas zu trinken und meinen Bikini heraus. Rosalie hatte ihrer Tochter ebenfalls schon einen Badeanzug eingepackt. Also hieß das, dass ich die letzte war, die davon erfahren hatte. Super… Die Fahrt zum Strand dauerte einige Minuten, in denen ich verzweifelt versuchte, herauszubekommen, worüber Charlie und Edward geredet hatten und warum ich ohne ein weiteres Wort der Ermahnung mit ihm mit durfte. Doch er schwieg wie ein Grab. Er erwähnte lediglich eine Abmachung, die er und mein Vater getroffen hatten, während dabei ein seltsames Grinsen seine Lippen umspielte. Um vom Thema abzulenken, machte er sich ständig darüber lustig, dass ich versucht hatte, zu lauschen, und dass Roxy darin scheinbar ein neues Hobby gefunden hatte. Sollte das jemals herauskommen, wäre ich bei Rosalie unten durch, noch ehe ich mich richtig mit ihr anfreunden konnte. Das waren doch mal Aussichten. Zwar legte ich mich nicht direkt ins Zeug, um mit ihr auf gutem Fuß zu stehen, aber wenn sich zwischen ihr und Emmett mehr entwickelte, würde man sich zwangsläufig öfter über den Weg laufen. Ich konnte also nur hoffen, das Roxy ihr nichts davon erzählte. Edward stellte das Auto auf dem Parkplatz ab, der direkt am Strand lag und nur durch eine Reihe Palmen eine sichtbare Grenze fand. Wir holten die Sachen heraus, wobei mein Freund mir spielend leicht mit einem Grinsen und einem flüchtigen Kuss die großen Taschen abnahm, die ich gerade aus dem Kofferraum holen wollte. Doch statt mich darüber aufzuregen, als schwach dargestellt zu werden, seufzte ich nur und ließ ihn gewähren. Umkleidekabinen gab es gleich in der Nähe, also machten wir uns zuerst dorthin auf den Weg. Während Edward sich eine allein nahm, teilte ich mir eine andere mit Roxy, um ihr mit dem Anziehen ihres Badeanzugs zu helfen. Sie musste es ziemlich eilig gehabt haben, denn sobald sie fertig war, flitzte sie aus der Kabine. Zum Glück war ich mit dem Umziehen noch nicht so weit gewesen und hatte meine Kleidung dementsprechend noch an, als sie die Tür sperrangelweit aufstieß. „Warte!“ rief ich und wollte ihr hinterher, doch Edward stand bereits draußen und fing den kleinen Wirbelwind ab. Anscheinend war er genauso schnell mit dem Umziehen gewesen. Normalerweise wäre ich gleich wieder zurück in die Umkleide verschwunden, doch ich blieb einfach im Türrahmen stehen und betrachtete mein Gegenüber, das sich vor Roxy hingehockt hatte und einen Baseball, sowie den dazugehörigen Handschuh in den Händen hielt. Eigentlich hätte ich mich jetzt darüber gewundert, dass er ihr von diesem Spiel erzählte, aber seine Erscheinung allein nahm meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Immerhin hatte er jetzt nicht mehr als Badeshorts an. Weiße, mit einem verschnörkelten, roten Werbeschriftzug schräg an der Seite. Der Anblick ließ mich doch tatsächlich die Luft anhalten. Bisher hatte ich, ehrlich gesagt, noch nicht sonderlich darauf geachtet. Sein Körperbau wirkte eigentlich genauso schlaksig wie der von vielen anderen Jungs in seinem Alter auch, doch jetzt erkannte ich die angedeuteten Muskeln, sowohl an Bauch, als auch an Armen und Beinen. Mein Blick wanderte im Stundentakt von oben nach unten und wieder zurück. Dass Edward seinen Kopf in meine Richtung drehte und mich ansah, nahm ich gar nicht wahr. Erst als er seine Frage etwas lauter wiederholte, erwachte ich aus meiner Trance. „Willst du dich nicht auch endlich umziehen?“ lautete sie, gefolgt von einem Schmunzeln. Sowohl von Edward, als auch von der kleinen Blonden. Verwirrt starrte ich in sein amüsiertes Gesicht, gleich darauf verstand ich die Bedeutung, die hinter seiner Frage steckte. „Oh!… Ja, ich bin gleich soweit.“ Und damit verschwand ich wieder in der Umkleide. ( Duffy - I'm Scared http://www.youtube.com/watch?v=YpZ48Bl_hJU ) Obwohl ich meiner eigenen Antwort treu bleiben wollte, brauchte ich am Ende dann doch länger. Und das nur, weil ich plötzlich innehalten musste, als ich mich, nur mit einem dunkelbraunen, mit türkisfarbenen Nadelstreifenmuster überzogenen Bikini bekleidet, im Spiegel betrachtete. Dass ich mich und meinen Körper auf einmal etwas genauer ansah, lag unter Garantie nicht an meinen Badesachen. Vielmehr bereitete mir die Vorstellung, gleich halbnackt vor Edward zu stehen, ein gewisses Unbehagen. Ich wusste, dass ich mich völlig idiotisch benahm, vor allem da ich mich sonst nie so verhielt, wenn ich am Strand war. Nur dieses Mal war es eben jemand bestimmtes, jemand besonderes, dem ich mich so präsentierte. Von außen betrachtet, mochte es eventuell keine Gründe für meine Aufregung geben. Ich war schlank und die leichte Blässe meiner Haut war auch nicht sonderlich auffällig - hier und da existierten noch die letzten Reste eines oder zweier blauer Flecken eines selbstverschuldeten Unfalls -, trotzdem gab es da die Angst, ihm von heute auf morgen weniger zu gefallen, wenn er erst einmal sah, was sich ‚darunter‘ befand. Meine Hand legte sich von ganz allein auf meinen Bauch und fuhr langsam an den Seiten meines Körpers entlang, während mein Kopf nach einer Lösung für dieses Problem suchte. Meine Zähne nagten erbarmungslos auf meiner Unterlippe. „Bella?“ hörte ich plötzlich Edwards Stimme und ein kurzes Klopfen an der Tür. Bei dem Geräusch zuckte ich leicht zusammen und drehte meinen Kopf dann in seine Richtung. „Ich bin fast fertig. Einen Augenblick noch.“ Mir fiel ein, dass ich ein orangefarbenes Wickeltuch eingepackt hatte. Das konnte ich mir wenigstens um die Hüften binden. Als ich endlich fertig war und noch einen letzten, kritischen Blick in den Spiegel geworfen hatte, packte ich unsere Sachen zusammen, wobei mir beinahe Roxys Brille abhanden gekommen wäre. Schnell legte ich sie in das Etui und verstaute es ebenfalls in der Tasche. Beim Baden würde sie der Kleinen eh stören. Noch einmal rief ich mir innerlich zu, dass mein Verhalten lächerlich wäre, dann atmete ich tief durch und trat aus der Kabine. Edward stand mit dem Rücken zu mir, nur Roxy konnte mich sehen, und als sie ihn auf mich aufmerksam machte, drehte er sich sofort zu mir um. Auch wenn er versuchte, es zu verhindern, wanderte sein Blick doch für den Bruchteil einer Sekunde über meinen gesamten Körper. Eigentlich durfte ich mich nicht beschweren, schließlich hatte ich ihn kurz zuvor auch von oben bis unten betrachtet. „Wir können dann, wenn ihr wollt“, unterbrach ich die Stille. „Oh… ja.“ Etwas aus der Starre gerissen, antwortete Edward, gleich darauf legte sich ein verlegenes Grinsen auf seine Lippen, ehe er auf mich zukam und seine Hand auf meine, die die Tasche hielt, legte. Er beugte seinen Kopf ganz dicht an meinen und flüsterte mir ins Ohr. „Sieht gut aus.“ Und schon hatte er mich meines Gepäcks erledigt, während ich gegen den Farbwechsel meiner Wangen kämpfte. Edward bekam das mit und lachte leise, als er mit Roxy vorging und ich schweigend folgte. Der Strand war ziemlich gut besucht und wir mussten ein paar Minuten suchen, bevor wir einen geeigneten Platz fanden. Mittig, nicht zu weit am Ufer, aber auch nicht zu weit weg. Wir breiteten die großen Badetücher aus. Edward hatte noch einen kleinen, rötlichfarbenen Schirm mitgenommen, den er jetzt am Kopfende in den Sand steckte, um uns ein bisschen Schutz vor der Sonne zu bieten. Als wir mit allem fertig waren und wir Roxy ein Paar Schwimmflügel angelegt hatten, stürmte sie sofort Richtung Wasser, mein Freund ihr nach. Es war windstill und es gab so gut wie keine Wellen. Ich blieb derweil auf den Tüchern sitzen, zog meine Knie etwas an, um meine Arme darauf zu betten und beobachtete die beiden, wie sie ins kühle Nass rannten und dabei riesige Wasserspritzer vor sich aufwarfen. Mir selbst war noch nicht nach baden zumute. Ich sah Edward immer wieder untertauchen und mit dem Lockenkopf toben, bis ihm scheinbar klar geworden sein musste, dass ich nicht folgen würde. Irgendetwas sagte er zu Roxy, ehe die beiden aus dem Wasser und auf mich zukamen. „Willst du nicht auch?“ fragte er dann, als er direkt vor mir stand und sein Schatten somit auf mich fiel. Roxy gleich hinter ihm. Ich sah auf und schüttelte meinen Kopf. „Ich will die Sonne erst ein bisschen genießen.“ Edward zog die Brauen hoch, ehe er sich seufzend neben mir niederließ. Sehr dicht, nebenbei bemerkt. So dicht, dass seine nasse Haut meinen Arm streifte und die Kälte mir eine leichte Gänsehaut bescherte. Dann beugte er sich noch näher an mich heran, stützte sich mit seinem Arm hinter meinem Rücken ab und fixierte meine Augen, sobald ich ihn fragend und mit erhöhtem Herzschlag ansah - das verschmitzte Grinsen auf seinem Gesicht nahm ich nur am Rande wahr. „Bella?“ hauchte er. Mit einem erstickten „Hm?“ antwortete ich ihm. „Findest du nicht auch, dass du Roxy den ganzen Spaß nimmst, wenn du nicht mitkommst?“ „Ehm…“ Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und erschwerte mir das Reden. Es war so gut wie unmöglich, mich von seinem Blick loszureißen. Ich hatte einfach keine Chance, zu entkommen. Bis ich eine Bewegung an meiner, zu Edward gewandten, Taille spürte. Ich senkte meinen Kopf, um nachzusehen, doch leider bekam ich zu spät mit, dass mein Freund den Knoten meines Wickeltuchs fast gänzlich geöffnet hatte. Ehe ich reagieren konnte, war er aufgesprungen, hatte mich mit hochgezogen und das Tuch vollends von mir befreit. Innerhalb von nur ein paar Sekunden hob er mich hoch und rannte Richtung Meer. Roxy folgte uns lachend. Eigentlich hätte ich mich mit Händen und Füßen gewehrt, nur befürchtete ich, dass Edward dann das Gleichgewicht verlieren würde, also klammerte ich mich stattdessen um seinen Nacken. Meinen Protest machte ich einzig und allein durch Sätze wie „Lass mich runter!“ und „Nein, Edward! Nicht!“ deutlich. Ihn amüsierte das allerdings nur. Schon bald hörte und fühlte ich das Wasser, als er hinein rannte und sich anschließend mit mir fallen ließ, als wir die nötige Tiefe erreicht hatten. Mein Aufschrei hielt nur bis zum Passieren der Oberfläche an und kam zu einem abrupten Halt, als mein Kopf untertauchte. Gerade noch rechtzeitig konnte ich die Luft anhalten. Sobald Edward mich losließ, schwamm ich zurück an die Oberfläche. Genauer gesagt, stieß ich mich vom Meeresboden ab. Sehr tief war es hier nicht. Als ich endlich stand und mir das Wasser aus dem Gesicht gewischt hatte, sah ich mich um. Roxy befand sich in einiger Entfernung von mir, näher am Ufer, und winkte mir mit einem breiten Grinsen zu. Auch wenn mir selbst das Wasser nur bis zur Mitte meines Bauches ging, würde es bei ihr bereits den Hals erreichen. Abgesehen von jeder Menge fremden Badegästen, vermisste ich eine bestimmte Person. Edward. Er war noch nicht wieder aufgetaucht und mit jeder Sekunde, in der ich mich umschaute, wurde ich nervöser. Rosalies Tochter kam in der Zwischenzeit näher. Als ich sie fragte, ob sie den Bronzekopf gesehen hatte, schüttelte sie nur ihre nassen Locken. Es dauerte allerdings nicht lange, bis ich wusste, wo er abgeblieben war. Denn schon bald spürte ich Finger an meinen Hüften, wie sie sich bis zu meinen Seiten hocharbeiteten und mich gleich darauf hinab ins kühle Nass zogen - mir kaum Zeit zum erneuten Luftanhalten lassend. Die Hände, die mich immer noch hielten, zogen mich noch weiter herunter und die dazugehörigen Arme schlangen sich um meinen Körper, ehe ich ein mir nur allzu bekanntes Paar Lippen auf meinen spürte. Meine Hände hatten schon nach Edwards Nacken gegriffen, doch leider ging alles viel zu schnell, weil das Wasser uns gleich wieder nach oben drückte. Als wir jetzt wieder standen, wurde ich abermals von zwei fremden Händen in Beschlag genommen, als mein Freund sich hinter mich stellte und mir einen Kuss auf meine Schulter gab. Dadurch dass er so nah war, hörte ich ihn nicht nur schwer atmen, sondern fühlte auch das verstärkte Auf und Ab seines Brustkorbs an meinem Rücken. Jetzt da ich mich auf nichts bestimmtes mehr konzentrieren musste, nahm ich seine nackte Haut an meiner erst richtig wahr. Seine Finger umkreisten immer wieder meinen Bauchnabel und bescherten mir ein kribbelndes Gefühl nach dem anderen. Roxy stand uns genau gegenüber. Sie strahlte übers ganze Gesicht und gluckste ununterbrochen. Bis Edward einen ganz bestimmten Satz mit Unheil verkündend tiefer Stimme aussprach, bei dem seine Mundwinkel verdächtig weit nach oben wanderten. „Und jetzt bist du dran.“ Die Gesichtszüge des Wirbelwindes froren erst ein, bevor sich leichte Panik in ihnen spiegelte. Als mein Freund dann von mir abließ und auf sie zuging, rannte sie wie von der Tarantel gestochen weg. Nur leider war sie viel langsamer, als sie es eigentlich sein wollte. Der Widerstand des Wassers erschwerte ihr die Flucht. Edward schwamm dennoch viel langsamer hinter ihr her. Mir war von vornherein klar, dass er sie nicht untertauchen würde. Stattdessen veranstaltete er eine kleine Verfolgungsjagd, die erfüllt war von Roxys Lachen, welches mich noch dazu ansteckte. Um ihre Chancen zu erhöhen, schlug ich mich auf ihre Seite und zog sie mit mir, sodass wir die Entfernung zu Edward noch ausbauen konnten. Jedenfalls hatten wir das vorgehabt. Da ich Roxy half, hielt er sich nicht mehr länger zurück und beschleunigte. Das Kind in ihm kam jetzt anscheinend vollends durch. Wie der Löwe seine Beute jagte er uns. Sobald er dann aufgeholt hatte, packte er mich und trennte mich von der Kleinen. Jedes Mal, wenn er das tat, hatte ich damit zu kämpfen, mich so schnell wie möglich aus seinem Griff zu befreien und, vor lauter anstrengendem Lachen, das Atmen nicht zu vergessen, wenn ich dann ihm hinterher schwamm und ihn daran hinderte, Roxy zu erreichen. Wir blieben solange im Wasser, bis uns die Albernheiten völlig ausgepowert hatten und wir uns letztendlich dazu entschlossen, erst einmal zurück zum Strand zu gehen und eine Pause zu machen. Erschöpft ließ ich mich bäuchlings auf die Handtücher fallen. Ich bettete meine Stirn auf meine Unterarme, sodass mein Gesicht im Dunkeln lag. Ein Geräusch neben mir ließ mich meinen Kopf zur Seite drehen und nachdem ich kurz wegen dem Helligkeitsunterschied, als meine Pupillen wieder das Sonnenlicht erfasst hatten, geblinzelt hatte, erkannte ich Edward rechts neben mir sitzen, wie er in einer der Taschen kramte. Kurz darauf holte er eine Flasche Sonnenmilch heraus und drehte mir den Rücken zu. Ich hob meinen Kopf ein Stück an, um zu sehen, was er vorhatte und als ich bemerkte, dass Roxy auf der anderen Seite neben ihm saß und er dabei war, sie einzucremen, legte ich mein Gesicht wieder zurück zwischen meine Arme und schloss meine Augen ein zweites Mal. Immer wieder hörte ich meinen Freund lachen und die Kleine mit ihrer hohen Kinderstimme kichern. Es stellte sich heraus, dass sie sehr kitzlig war und Edward nutzte das natürlich schamlos aus. Während ich den beiden zuhörte, musste ich selbst grinsen. „So, und jetzt du“, meinte Edward gespielt bedrohlich und ließ mich aufschauen. Er hatte sich bereits zu mir gedreht und wollte gerade etwas Sonnenmilch in seine Handfläche geben, als Roxys Schrei uns aufschreckte. Mit alarmiertem Blick sahen wir zu ihr. Man könnte glatt meinen, sie stände kurz vor einem Zusammenbruch, solche Panik war in ihren Gesichtszügen zu lesen. Die uns am nächsten liegenden Familien schauten überrascht in unsere Richtung. „Alles in Ordnung? Was ist denn los?“ fragte Edward sie besorgt. Die Flasche hatte er schon abgestellt und seine Hände beruhigend auf die schmalen Oberarme des blonden Mädchens gelegt. „Da!“ sagte sie weinerlich und streckte den Arm nach rechts. „Wir haben den Eismann verpasst…“ Meinte sie das ernst? Ich reckte meinen Kopf noch ein Stück, um mehr zu erkennen und musste meine Augen wirklich verengen, ehe ich eine Person am Ufer erkannte, wie sie einen Wagen vor sich her schob. Es war tatsächlich ein Eisverkäufer. Allerdings wunderte mich, wie Roxy ihn überhaupt bemerken konnte, so weit entfernt wie er schon war. Ob Kinder für so was einen besonderen Sensor hatten? Edward atmete erleichtert aus, froh, dass der Grund der Hysterie nichts schlimmes war. „Wenn wir nachher nach Hause fahren, kaufen wir ein Eis, okay?“ lächelte er. Bei der Art und Weise, wie er es gesagt hatte, wäre ich sofort einverstanden gewesen, nur schien die Kleine aus einem anderen Holz geschnitzt zu sein. Sie wirkte ganz und gar nicht überzeugt. „Aber dann hat er vielleicht nichts mehr übrig!“ Edward lachte aufmunternd. „Keine Sorge. Es gibt hier genügend Stände, die Eis verkaufen.“ „Ich will aber jetzt ein Eis“, jammerte sie und sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Oh mein Gott… Mein Freund war für einen Augenblick still, dann seufzte er resigniert. „Na schön. Dann gehen wir eben jetzt eins kaufen.“ Sobald er diesen Satz beendet hatte, hellte sich Roxys Gesicht in Sekundenschnelle auf. Etwas zu schnell, meiner Meinung nach. Kinder mussten in dieser Hinsicht anscheinend wirklich eine besondere Gabe haben. Eigentlich war Edward derjenige, der andere um den Finger wickelte - genau genommen mich -, doch jetzt war er derjenige, der um den Finger gewickelt wurde. Er holte sein Portemonnaie aus der Tasche und wandte sich noch einmal zu mir. „Soll ich dir auch was mitbringen?“ „Gerne“, grinste ich, daran denkend, dass Roxy ihn gerade völlig ausgespielt hatte. „Und welche Sorte?“ „Ist mir egal. Du kannst was aussuchen“, antwortete ich schulterzuckend. „Na schön. Dann bis gleich. Wir beeilen uns auch.“ Sanft strich er mit seiner Hand über meinen Kopf und gab mir einen Kuss auf ebendiesen, bevor er sich mit dem kleinen Teufel in Ausbildung auf den Weg machte. Mit dieser Vorstellung in meinem Kopf legte ich mich wieder ganz hin und vergrub mein Gesicht abermals zwischen meinen Armen. Während ich den umliegenden Geräuschen der anderen Badegäste lauschte, versuchte ich, mich etwas zu entspannen. Auch wenn meine Gedanken die ersten Minuten zurück zu meinen Sorgen drifteten. Größtenteils zu Seth und Jake. Wenn ich es so gut wie möglich bis Samstag verdrängen konnte und nicht zuviel darüber nachdachte, dürfte eigentlich alles gut werden, oder? Ich musste also einfach nur hoffen. Trotzdem beunruhigte mich sein Aufenthalt hier. Nachdem was Edward mir erzählt hatte, bezweifelte ich, dass die beiden über die Jahre hinweg einander verziehen hatten. Ehrlich gesagt machte es mir sogar Angst, wenn mein Freund darüber Bescheid wusste. Was, wenn der Streit von damals wieder eskalieren würde? Und dann war da ja noch Seth. Dass ihm das Fehlen meiner Kette so ins Auge gestochen war, ließ mir irgendwie keine Ruhe. Normalerweise war es für ein Mädchen doch nichts ungewöhnliches, Schmuck zu wechseln oder einen Tag auch mal ohne dieses Glitzerzeug herumzulaufen. Dennoch war es ihm aufgefallen. Wenn ich an gestern Nachmittag dachte, überkam mich ein Schauer. Seths Blick war so seltsam gewesen. So versunken. Als hätte er an etwas zurückgedacht. Eigentlich war ich davon ausgegangen, ihn bereits ein wenig einschätzen zu können, aber momentan war mir sein Verhalten ein Rätsel. Andererseits… Was, wenn ich da einfach zuviel hinein interpretierte? Ich wäre heilfroh, wenn sich Samstag das gröbste klären ließe. Dann müsste ich mir auch nicht mehr so sehr den Kopf darüber zerbrechen. Einen Lichtblick gab es aber - in Bezug auf das Wochenende. Phil. Ich konnte es kaum erwarten, es Edward zu erzählen. Nur musste sich dafür erst einmal der richtige Zeitpunkt finden und bisher hatte sich dieser leider noch nicht gezeigt. Nicht dass ich etwas gegen Roxy hatte, aber mir war lieber, wenn ich es Edward allein sagte. Auf einmal entstanden in meinem Kopf die verschiedensten Vorstellungen von seiner Reaktion. Überraschung, Freude, Überwältigung, ein Bronzekopf, der mir um den Hals fiel, der mich stürmisch küsste… Letzteres wiederholte sich jedes Mal mit kleinen großen Abwandlungen. Die sommerliche Hitze und das leicht schläfrige Gefühl, das sich langsam einstellte, waren Schuld an meiner plötzlich dermaßen ausartenden Fantasie, dass ich mich glücklich schätzen konnte, mein Gesicht gerade gen Boden gerichtet zu haben und mir so niemand meine Schamesröte ansehen konnte. Schon halb von der Müdigkeit überwältigt, bewegte ich meinen Kopf nur leicht auf meinen Armen in eine andere Position und blinzelte dabei unbewusst. In dieser einen Sekunde registrierte ich ein paar neue Badegäste, die sich gerade eine geeignete Stelle am Strand suchten. Darunter gab es auch eine Gruppe von vier jungen Männern, die sich lachend nicht weit entfernt von unserem Platz niederließen. Allerdings war der Moment zu kurz, um ihn langfristig in Erinnerung zu behalten, und sobald ich meine Augen wieder schloss, war das eben gesehene schon fast wieder vergessen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, doch das erste, was ich in meinem Halbschlaf wieder spürte, waren zwei große Hände auf meinen Schulterblättern, wie sie mit kreisenden, langsamen Bewegungen meine Haut massierten. Ohne meine Augen zu öffnen, hob ich meinen Kopf ein paar Zentimeter und nuschelte „Edward?“ Eine kurze Pause trat ein, dann hörte ich ein „Hm“ als Antwort, was mir bestätigte, dass mein Freund wieder da war. Gleich darauf fiel mir ein, dass er ja vorgehabt hatte, mich einzucremen. Scheinbar holte er das jetzt nach. Roxy konnte ich nicht hören, weshalb ich davon ausging, dass sie wahrscheinlich wieder am Wasser war. Die Massage war so angenehm, dass ich seufzend in meinen schlaftrunkenen Zustand zurücksank, und Edwards Berührungen viel zu schön, als dass ich mir über die Tatsache, dass seine Hände über meine nackte Haut wanderten, Gedanken machte. Mit sanftem Druck fuhren sie über meinen Rücken. Ich genoss das kribbelnde und gleichzeitig entspannte Gefühl, das sie bewirkten, und wider Willen entfuhr mir mehrmals ein Seufzen. Allerdings spannte ich mich innerlich jedes Mal ein wenig an, wenn er das Band und vor allem den Knoten meines Oberteils streifte, ebenso, wenn sie nach unten strichen, wobei sie jedes Mal ein Stückchen tiefer wanderten. Immer, wenn sie mit dem Bund meiner Bikinihose in Kontakt kamen, wurde ich wachsamer, aufgeregter. Und ich konzentrierte mich stärker auf die Berührungen. Nicht, dass ich Edward etwas unterstellen wollte - vielleicht würden andere mein Verhalten sogar als verklemmt bezeichnen. Es brachte mich nur einfach durcheinander und ich wusste nicht, was ich machen sollte, würden seine Hände noch weiter nach unten gleiten. Wir sind zusammen. Es ist also völlig unlogisch, wegen so etwas nervös zu werden. Das versuchte ich mir jedenfalls immer wieder einzureden, nur an der Überzeugungskraft haperte es. Vor allem, als seine Finger auf eine Art und Weise an meinem unteren Bikiniteil verhaarten, als hätten sie vor, es ein bisschen tiefer zu schieben. Ich brauchte gar nicht mehr darüber nachzudenken, wie ich handeln sollte. Ich drehte mich versucht gelassen um, sodass sie automatisch von meiner Hüfte rutschten. „Edw-“ Was ich dann aber sah - oder besser gesagt, wen -, ließ mich kurz aufschreien und meinen Puls rasant ansteigen. Ein Wildfremder saß mir auf Knien gegenüber. Ziemlich groß und leicht muskulös, schwarze, kurze Haare und braungebrannte Haut. Wider Erwarten sah er allerdings nicht mich an, sondern zu der Person auf, die neben ihm stand und sein Handgelenk fest gepackt hatte. Eine Welle der Erleichterung überkam mich, als mir bewusst wurde, dass es Edward war. Nur der Ausdruck in seinen Augen machte mir ein wenig Angst. Es war nicht nur ein böses Funkeln, was er dem Fremden entgegenbrachte. Es war… Ich konnte es selbst nicht richtig beschreiben. Auf jeden Fall war es hundertmal eisiger als sonst. Die Antarktis war ein Witz dagegen. „Gehört das hier mit zu den Dingen auf deiner Liste, die du erledigen musst, bevor du deine Hände nicht mehr benutzen kannst, oder was soll das werden, wenn ich fragen darf?“ Bei dem Klang von Edwards Stimme überkam mich eine Gänsehaut. Hätte die Frage mir gegolten, wäre ich sofort ein paar Meter rückwärts gegangen, doch Männer schienen da scheinbar ganz andere Verhaltensmuster aufzuzeigen. Der Fremde erwiderte Edwards Blick mit der gleichen Intensität, nur dass er dabei noch grinste. „Netter Spruch“, konterte er gehässig und nickte anschließend in meine Richtung. „Nur wer so ein Püppchen allein am Strand lässt, muss damit rechnen, dass sie sich ein anderer unter den Nagel reißt.“ Er riss seinen Arm los und stand auf, um Edward jetzt gleichberechtigt gegenüber zu stehen. Ich erhob mich ebenfalls so schnell wie möglich und stellte mich genau vor meinen Freund, ehe dieser den Abstand zwischen sich und dem anderen verringern konnte. Mein Gefühl sagte mir, dass die ganze Sache nicht sonderlich glimpflich ausgehen würde, sollte ich nichts unternehmen. Das wollte ich auf keinen Fall. Wieso hatte ich auch nicht früher gemerkt, dass nicht mein Freund mir den Rücken eincremte, sondern jemand anderes? „Edward, bitte lass es“, bat ich und sah flehend zu ihm auf, während ich meine Hände auf seine Brust legte, für den Fall, ihn zurückdrücken zu müssen. Er sah mich überhaupt nicht an, sondern einfach über mich hinweg. Sein Unterkiefer war bis zum äußersten gespannt und sein Körper regelrecht geladen. Er legte einen Arm um meine Hüfte und im ersten Moment dachte ich, er würde mich zur Seite schieben wollen, doch er tat nichts dergleichen, eher hielt er mich noch etwas fester. „Du solltest auf die Kleine hören“, meinte der Kerl amüsiert und stachelte Edwards Zorn nur noch an. „Obwohl ich ja das Gefühl hatte, dass es ihr gefallen hat. Vielleicht sogar mehr, als wenn du es gemacht hättest.“ Jetzt hatte ich es erst richtig schwer, meinen Freund aufzuhalten. Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen ihn, als er auf dem Fremden losgehen wollte. „Hör nicht auf ihn, okay? Er will dich nur provozieren…“ Ich hielt die Luft an, als ich auf seine Antwort wartete, in der Hoffnung, er würde auf mich hören. In diesem Moment wanderte meine Aufmerksamkeit zu seinem Schlüsselbein, das genau auf Augenhöhe lag. Bisher war es mir noch nicht aufgefallen, nicht einmal im Wasser, doch genau dort prangte eine sehr lange Narbe, parallel über dem Kochen. Sie war hauchdünn, kein Wunder also, dass ich sie nicht sofort bemerkt hatte. Normalerweise war das nichts ungewöhnliches, vor allem bei seiner Vergangenheit und eigentlich sollte mich deshalb eher wundern, dass es nicht noch mehr gab. Dennoch hatte diese hier etwas merkwürdiges. Etwas, das mich veranlasste, meine Hand zu heben und sie berühren zu wollen. Bevor ich allerdings dazu kam, riss mich eine Kinderstimme aus meiner Starre. „Ah…!“ Ruckartig drehte ich mich um und sah Roxy vor dem Fremden stehen, den Blick entsetzt geradeaus gerichtet. Oder besser gesagt auf die Hose ihres Gegenübers. Denn genau dort prangte jetzt ein riesiger, gelber Fleck einer gewissen süßlichen Substanz. Hinter mir hörte ich Edward leise kichern. Seine Wut von vor ein paar Sekunden schien wie weggefegt. Ich musste selbst etwas - wenn auch verhalten - grinsen bei dem Anblick, der sich mir bot. Der Fremde allerdings regte sich überhaupt nicht. „Lass gut sein, Brian. Du hast die Wette verloren!“ Ich sah in die Richtung, aus der die unbekannte Stimme kam. Es war einer der Jungs aus der Gruppe, die erst vor kurzem hierher gekommen waren, als ich in der Sonne gedöst hatte. Die ganze Bande bekam sich kaum ein vor Lachen. „Eine Wette also“, meinte Edward und grinste den Verlierer bitterböse an. „Egal, um was es darin ging. Das nächste Mal sucht euch gefälligst ein anderes Opfer.“ Der Angesprochene schnaubte verächtlich und bevor er ging, funkelte er uns alle noch einmal argwöhnisch an, besonders Roxy, obwohl diese nun wirklich nichts für all das konnte. Als er endlich verschwunden war, atmete ich erleichtert aus. Edward derweil ließ von mir ab und hockte sich vor den kleinen Lockenkopf. „Gut gemacht“, grinste er, woraufhin sie kicherte und mit ihren Fingern das Victory-Zeichen darstellte. Edward und ich hatten uns wieder auf die Handtücher gelegt, während wir Roxy dabei beobachteten, wie sie eine Sandburg in der Nähe des Ufers baute. Seit dem kleinen Zwischenfall waren einige Minuten vergangen, in denen mein Freund noch kein einziges Wort mit mir gesprochen hatte. Die Stille zwischen uns war leicht bedrückend und Schuldgefühle plagten mich. Wenn ich nur früher etwas gemerkt hätte, wäre es wahrscheinlich überhaupt nicht zu der kleinen Auseinandersetzung gekommen. Stattdessen genoss ich die Massage auch noch. Seufzend setzte ich mich in den Schneidersitz und löffelte lustlos das Eis aus dem kleinen Pappbecher, welches Edward mir mitgebracht hatte. Er selbst hatte seines Roxy gegeben, da diese ihres ja für andere Zwecke missbrauchen musste. Zugegeben kam ihre Aktion gelegen und verhinderte schlimmeres. Von wem hatte sie eigentlich diese Listigkeit? Von ihrer Mutter?… „Du bist sauer auf mich, oder?“ „Wie kommst du darauf?“ Er war sauer. Der monotone Klang seiner Stimme und die Tatsache, dass er stur geradeaus starrte, bestätigte meine Vermutung nur und ich fühlte mich noch schlechter. „Weil jeder wegen so was sauer sein würde?“ antwortete ich kleinlaut. „Wegen was?“ Eine meiner Augenbrauen wanderte ein paar Millimeter nach oben, ehe sich meine Augen schmälerten. Vorzugeben, nicht zornig zu sein, obwohl genau das eigentlich der Realität entsprach, war noch schlimmer für den Schuldigen, als direkt angeschrieen zu werden. Außerdem war es offensichtlich. Unauffällig - jedenfalls versuchte ich das - rutschte ich dichter an Edward heran, so dicht, dass unsere Arme sich kaum merklich streiften. „Edward… Ich weiß, dass du sauer bist.“ Er seufzte laut und drehte seinen Kopf letztendlich zu mir. „Ich bin nicht-“ Mitten im Satz stoppte er, während seine Augen groß wurden. Sein ernster Gesichtsausdruck wurde durch das Zucken seiner Mundwinkel fast gänzlich aufgelöst. Er wirkte schon fast komisch, als würde er jeden Moment einen Lachanfall bekommen. „Was ist?“ fragte ich verwundert. „Du… Du kannst wirklich nicht richtig essen.“ Jetzt konnte er sein Lachen nicht mehr halten, auch wenn er immer noch versuchte, es zu unterdrücken. Normalerweise hätte ich jetzt sauer sein müssen, doch da ich mich dieses Mal absichtlich mit Eiscreme beschmiert hatte, bildete sich stattdessen ein Grinsen auf meinen Lippen. Mein Vorhaben, die Stimmung aufzuheitern, war erfolgreich. Als Edward sich wieder gefangen hatte, entstand ein seltsames Leuchten in seinen Augen, als er sich ganz nahe zu mir herüberbeugte und mit seinem Finger das Eis von meinem Mundwinkel wischte, um es anschließend selbst zu essen. „Okay, zugegeben, ich war tatsächlich ein bisschen wütend“, meinte er dann, ein diabolisches Grinsen im Gesicht. „Vor allem darüber, dass du einfach so andere Männer an dich heranlässt. Und das, obwohl ich selbst mich bisher immer zurück gehalten hab.“ Herzrhythmusstörungen… Edward beugte sich immer mehr zu mir herüber, und ich lehnte mich automatisch weiter zurück, bis ich schließlich ganz auf dem Rücken lag und er, die Hände neben meinen beiden Seiten abgestützt, über mir war. Es fiel mir schwer, meine Atmung in dieser Position unter Kontrolle zu halten, noch dazu erwies sich mein Puls als ebenso problematisch, ganz zu schweigen von der Röte in meinem Gesicht. Mit einer Hand nahm er mir den Eisbecher, den ich viel zu locker auf meinem Bauch festhielt, ab und stellte ihn weit weg. „Meinst du nicht, dass das eine gewisse Bestrafung erfordert?“ flüsterte er, als sein Gesicht dem meinen immer näher kam; seine Augen ließen mich keine Sekunde frei. „Findest du?“ japste ich unbeholfen. Okay, meine Stimmbänder schienen auch ihren Geist aufgeben zu wollen. Alles, was ich tun konnte, war still zu liegen und Edward wie gebannt anzustarren. „Finde ich.“ Gespielt bedrohlich hauchte er die Worte gegen meinen Hals, so nah war er mir bereits. Sekunden später spürte ich seine weichen Lippen, wie sie sanft meine Haut liebkosten. Reglos wie eine Statue lag ich da, unfähig, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Jedoch war mir die Situation keineswegs unangenehm. Ganz im Gegenteil. Ich genoss sie mehr und mehr. Man könnte meinen, das Knistern, das in der Luft lag, würde bald Funken sprühen. „Das nennst du Bestrafung?“ Ich konnte mir nicht anders behelfen, als plötzlich zu kichern. Die paar winzigen Stoppeln seines kaum vorhandenen Bartwuchses kitzeln ein bisschen. Ruckartig hob er seinen Kopf und schaute mich mit gerunzelter Stirn an, bevor sich seine Brauen unheilvoll zusammenzogen und er mir dieses wunderschöne, schiefe Lächeln schenkte. Ich indes versuchte, mein Grinsen, so gut es ging, zu verstecken, und kaute zur Unterstützung auf meiner Unterlippe. „So, Madame ist das also noch zu lasch.“ Blitzschnell senkte er seinen Kopf zu meinem Ohr. „Wir werden ja sehen.“ Dann biss er zärtlich in mein Ohrläppchen. Seine Lippen wanderten wieder über meinen Hals und bei jedem Kuss konnte ich einen Augenblick lang seine Zähne spüren, als wolle er jeden Moment zubeißen. Er küsste jetzt intensiver, fordernder, was mein Gefühlschaos stetig wachsen und mich ungewollt nach Luft schnappen ließ, als er bei meinem Schlüsselbein angelangt war und eine seiner Hände an meiner Seite Richtung Hüfte entlangfuhr. Als sie am Bändchen meiner Bikinihose kurz innehielt, legte ich reflexartig meine Hand auf seine, um ihn aufzuhalten. „Edward, was-“ „Widerstand ist nicht erlaubt“, unterbrach er mich und verhinderte meinen Widerspruch mit einem Kuss direkt auf meinen Mund, während er meine Hand sachte abschüttelte und weiter entlang meines Oberschenkels strich, um mein Bein anzuwinkeln und es um seine Hüfte zu legen. Dass mein Blutdruck sein Limit bald erreicht hatte, musste ich nicht extra erwähnen, oder? Und dann dieses Prickeln, das sich durch meinen gesamten Körper zog. Meine Umgebung hatte ich so gut wie gänzlich aus meinem Bewusstsein gestrichen. Erst als Edward uns beide mit einer ruckartigen Bewegung drehte, sodass ich jetzt auf ihm saß, nahm ich sie wieder wahr. „Edward. Ist das nicht ein bisschen zu…“, flüsterte ich. Mein Gesicht färbte sich dabei knallrot und meine Augen huschten aufgeregt zu den, uns am nächsten sitzenden, Badegästen, doch niemand schenkte uns Beachtung. „…eindeutig?“ beendete er meinen Satz mit einem breiten Grinsen. „…peinlich“, korrigierte ich ihn leise, aber bestimmt. Er schmunzelte. „Bella, wir sind nicht das einzige Pärchen hier. Und glaub mir, es gibt Leute, die machen noch ganz andere Sachen am Strand. Es gibt da einen bestimmten Cocktail, dessen Name das ganz gut beschreibt.“ Ich war sprachlos. Wie konnte man seine eigene Freundin eigentlich ständig so auskontern? „Glaub mir, wir haben noch nicht mal ansatzweise mit derlei Dingen angefangen“, fuhr er belustigt fort, als er meine Miene sah, seine Hände streichelten dabei liebevoll über meine Arme und bedeuteten mir letztendlich, mich zu ihm hinunter zu lehnen. „Nicht?“ hakte ich leicht nervös nach. „Nein, noch nicht“, wisperte er verheißungsvoll, als seine Finger mein Gesicht umrahmten und es näher an seines zogen. Im entscheidenden Moment jedoch wurden wir von einer Ladung Wasser getroffen und fuhren erschrocken hoch. Der Übeltäter stand direkt vor uns, beide Arme in die Seiten gestemmt, in der einen noch einen Strandeimer haltend. „Ich hab gesagt, mein Sandschloss ist jetzt fertig“, fuhr uns Roxy wütend an. Gott! An den kleinen Wirbelwind hatte ich gar nicht mehr gedacht. Noch peinlicher konnte die Situation wirklich nicht mehr werden. Schnell rutschte ich von Edwards Schoß und wischte mir das Wasser aus dem Gesicht. Für das ganze konnte ich doch eigentlich Edward die Schuld geben, oder? Schließlich hatte er mich abgelenkt. Den Rest des Nachmittags widmeten wir ganz Roxy, damit sie sich auch keinesfalls vernachlässigt fühlte. Ehrlich gesagt, hatte sie besonders Edward in Beschlag genommen, einen derartigen Narren hatte sie an ihm gefressen. Ich war also nicht die einzige, die von seinem Charme gefesselt wurde. Das musste in der Familie liegen. Wenn ich mich an Dr. Cullen zurückerinnerte… Und Roxy war ja auch ganz fasziniert von Emmett. Von diesem anscheinend sogar noch mehr als von meinem Freund. Denn als Edward mit ihr Baseball spielen wollte, lehnte sie ab und wollte viel lieber mit ihm ringen. Sein Bruder hätte es wohl das eine Mal mit ihr gemacht, als er zu Besuch war. Und es bereitete ihr mehr Spaß als Edwards Lieblingssport. Ob ihm das wohl einen kleinen Stich versetzte? Als wir endlich aufbrachen, setzte langsam aber sicher die Dämmerung ein. Die Sonne senkte sich bereits gen Horizont und der Himmel verfärbte ich in einem wunderschönen Rotorange. Die Fahrt zu Edwards Zuhause dauerte sehr viel länger, als ich erwartet hatte und ich bekam schon fast ein schlechtes Gewissen, als mir klar wurde, dass er immer einen Umweg machte, wenn er mich morgens abholte. Allerdings freute sich der kleine, egoistische Teil in mir auch jedes Mal, wenn ich ihn am Straßenrand auf mich warten sah. Kurz schaute ich auf die Rückbank zu der Kleinen. Zwar war sie wach, doch der Blick, den sie aus dem Fenster warf, verriet mir, dass sie völlig erschöpft sein musste. Ihre trägen Augenlider zwangen sich dazu, oben zu bleiben. Roxy zu betrachten, erinnerte mich daran, dass ihre Mutter und Emmett ebenfalls mitten in ihrem Date waren, genauso wie Alice und Jasper. Ich wünschte den Vieren das Beste. Was letzteres Paar anging, so wusste ich, dass ich morgen einen ausführlichen Bericht zu hören bekommen würde, und was die anderen beiden betraf, da würde mir Edward schon bald Auskunft geben können. Bei dem Gedanken gab ich unseren verschlungenen Händen einen leichten Druck, wofür mir mein Bronzeschopf ein liebevolles Lächeln schenkte. Als ich meiner Umgebung wieder mehr Beachtung schenkte, wurde mir klar, dass wir auf den äußeren Stadtrand von San Francisco zusteuerten. Hier irgendwo mussten die Cullens also wohnen. Je länger wir fuhren, desto weniger Häuser fielen mir auf. Größere Grundstücke mit riesigen Gärten davor oder dahinter. Eindeutig eine der wohlhabenderen Gegenden dieser Millionenstadt. Irgendwann folgte die Straße einem leichten Anstieg, der sich über mehrere Meilen erstreckte. Nach einer weiteren Viertelstunde bog Edward dann in eine Allee ein, die in gleichmäßigen Abständen mit schmalen Bäumen gesäumt war und kurz darauf folgte er einer längeren Einfahrt in einem Halbbogen, an deren Ende sich schließlich unser Ziel befand - und das Haus war wirklich groß. Gleich daneben war die, ebenfalls sehr geräumige, Garage, in die er jetzt fuhr. Sie bot genug Platz für drei Autos und ich konnte mir bereits denken, welche beiden fehlten. Das von seinem Onkel/Adoptivvater und das von Emmett. Das Innere des Hauses war wirklich beeindruckend. Direkt am Eingang befand sich die Empfangshalle, an dessen rechter Seite eine Wendeltreppe in die oberen Stockwerke führte. Zur Linken gab es mehrere Eingänge. Edward erklärte mir, dass einer davon in die Küche führte und ein weiterer ins Gäste-WC. Wenn man geradeaus ging, kam man ins Wohnzimmer. In eines, das sich wirklich sehen lassen konnte. Die Hinterwand bestand ausschließlich aus Glas und führte auf die Terrasse - und wenn ich mich nicht täuschte, dann gab es sogar einen Pool. Hauptaugenmerk war das breite, helle Sofa in der Mitte des Raumes, das auf den großen, schwarzen Flachbildfernseher an der rechten Wand ausgerichtet war. Dazwischen stand ein niedriger Couchtisch in Bambusoptik. Unter dem TV befand sich ein flaches Regal mit diversen DVDs. Das Zimmer was ausgelegt mit einem sehr weichen, kurzhaarigen Teppich, auf dem das Laufen fast so angenehm war, wie das Wandern auf Strandsand. Überall gab es sehr hohe Pflanzen, die die räumliche Atmosphäre immens auflockerten. „Esme hatte freie Hand bei der Einrichtung dieses Hauses, bis auf Emmetts und mein Zimmer“, flüsterte mir Edward zu, als er mein erstauntes Gesicht sah. Weil sich gleich nach unserer Ankunft unser Magen meldete, beschlossen wir, uns eine Familienpizza zukommen zu lassen, die reichlich bestückt war mit unseren Extrawünschen. Um nichts schmutzig zu machen, aßen wir in der Küche, die, nebenbei bemerkt, typisch amerikanisch eingerichtet war. Eine über Eck gezogene, moderne Küchenzeile, dazu ein doppeltüriger Kühlschrank in Silber und ein tresenartiger Tisch, inklusive Kochfläche in der Mitte des Zimmers. Natürlich durften bei dieser Höhe die Barhocker nicht fehlen… „Ich glaube, du solltest langsam ins Bett, sonst fällt dein Kopf noch in die Pizza“, meinte ich schmunzelnd. Roxy hatte diesen nämlich auf eine Hand gestützt, doch so wirklich Kraft schien nicht mehr in ihr zu stecken. Jedes Mal zuckte sie zusammen, wenn sie kurz davor war, abzurutschen. Dass ihre Augen dabei schon halb geschlossen waren und Roxy selbst nicht mehr wirklich aß, war da nicht verwunderlich. Sie war einfach müde. „Na, komm. Ich bring dich ins Bett.“ Ich stand auf und hielt ihr meine Hand hin, doch der blonde Lockenkopf zögerte, und auf einmal war sie wieder hellwach. „Ich will, dass Onkel Eddy mich ins Bett bringt“, protestierte sie auf eine Weise, mit der ich bei ihr bis jetzt nicht gerechnet hatte. Sie setzte nämlich einen Dackelblick auf. Edward seufzte - wahrscheinlich, weil sie wieder diese besondere Abkürzung für seinen Namen genommen hatte - und erhob sich dennoch mit einem Lächeln. Als der kleine Teufel mitbekam, dass er gewonnen hatte, grinste er plötzlich und sprang regelrecht vom Hocker. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, sie wolle mir meinen Freund ausspannen. Völlig absurd. Sie war ein kleines Mädchen. Nur scheinbar sehr einnehmend - und ich widersetzte mich der Vorstellung, dass das besonders bei männlichen Personen der Fall war. Immerhin war sie erst sechs. Okay, fast sieben. Trotzdem… „Ich bin gleich wieder da“, meinte Edward noch amüsiert - als hätte er meinen inneren Monolog mitbekommen -, ehe er Roxy, nach eindeutigem Andeuten ihrerseits, auf den Arm nahm und mit ihr nach oben verschwand. ( Bruce Springsteen - Magic http://www.youtube.com/watch?v=e-F1iWB8PGY&feature=related ) Entgegen seiner Worte dauerte es doch länger, bis er wieder bei mir war. Während der Wartezeit überlegte ich, wie ich es ein bisschen romantischer machen konnte und kam am Ende auf die ‘glorreiche‘ Idee, Kerzen anzuzünden. Nur musste ich diese erst einmal suchen. Anfänglich zögerte ich, doch dann kramte ich doch in allen Schränken und Schubladen nach etwas brauchbarem. Und ich wurde sogar fündig. Ein angefangener Kerzenstumpen war allerdings alles, dazu eine Packung Streichhölzer. Erst dimmte ich das Licht bis auf Minimum, bevor ich die Kerze in die Mitte des Tisches stellte und sie anzündete. Dass im Radio leise Musik spielte, kam mir nur recht. Perfekt… „Wow…“, hauchte mir eine ganz bestimmte Person verführerisch gegen meinen Nacken, gleichzeitig nahmen mich zwei starke Arme von hinten gefangen. „Wo hast du die denn gefunden?“ Der schalkhafte Unterton in seiner tiefen, brummigen Stimme entging mir nicht, wusste er doch auch ohne eine Antwort, dass ich die Küche durchstöbert hatte. „Lag hier so rum“, entgegnete ich gespielt unbeeindruckt. Edward schmunzelte. „Ach so…“ Stille trat ein, in der wir für einen Moment die Zweisamkeit genossen und ich mit geschlossenen Augen über seine, um mich geschlungenen, Arme strich, während seine Daumen das gleiche auf meinem Bauch taten. „Warum hat das eigentlich so lange gedauert? Musstest du ihr noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen?“ fragte ich und grinste bei der Vorstellung vor mich hin. „Eifersüchtig?“ konterte er. „Blödsinn. Sie ist ein kleines Mädchen. Wieso sollte ich da eifersüchtig sein?“ „Na ja, sie hat schon ihre Vorzüge“, sagte er in einem Ton, als würde er diese gedanklich gerade aufzählen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen wandte ich meinen Kopf halb zu ihm und sah ihn finster an. Gleich darauf lachte er leise. „Bella… Das war ein Scherz.“ „Ich weiß“, grummelte ich. Glücklicherweise ging er nicht weiter darauf sein, sondern beantwortete mir meine Frage. „Nein, vorlesen sollte ich ihr nichts, dafür haben wir aber ein bisschen erzählt.“ „Über was?“ „Über sie… Über ihre Mom… Über Emmett… Über mich…“ „Über dich?“ Edward nickte. „Jap. Sie meinte, wenn das mit Em und ihrer Mutter nicht klappt, dann könnte ich doch einspringen und die Rolle übernehmen.“ Meine Augen wurden groß, doch gleichzeitig hielt ich den Gedanken für unsinnig. Vermutlich wünschte sie sich für ihre Mutter einfach nur ein Happy End, und zur Not würde sie selbst dabei helfen. „Und was hast du geantwortet?“ „Dass ich in dem Fall natürlich sofort an ihrer Seite wäre.“ Bevor ich irgendwie darauf reagieren konnte, redete er weiter. „Nein, im Ernst. Ich hab ihr gesagt, dass ich zwar nichts versprechen kann, aber dass die Chancen bei Em ziemlich gut stehen und sie einfach dran glauben muss. Und dass ich bereits eine wundervolle Freundin habe, die ich für nichts auf der Welt verlassen würde.“ Röte! Erstaunlich, wie oft am Tag Edward den Rhythmus meines Blutes durcheinander bringen konnte. „Eine Freundin, die ich jetzt ganz für mich allein hab“, flüsterte er, kurz bevor ich seine Lippen an meiner Wange und anschließend an meinem Hals spürte. Ich legte mich sprichwörtlich in das Gefühl, dass seine Küsse auslösten, schloss genießerisch meine Augen und lehnte meinen Hinterkopf an seine Schulter. Das Kribbeln zog sich hinab bis hin zu meinem Schlüsselbein. „Edward?“ murmelte ich irgendwann in die Stille. „Hm…“, brummte er nur. „Mir… ist da heute was aufgefallen. An deiner linken Schulter. Die Narbe… Verrätst du mir, woher du die hast?“ Augenblicklich froren seine Bewegungen ein und er lehnte sich zurück. Etwas verwirrt drehte ich mich zu ihm und blickte in seine ernste Miene. Nach ein paar Sekunden des Schweigen antwortete er endlich. „Die hab ich Seth zu verdanken… Kurz nach Leahs Tod.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Bin gespannt, ob es euch gefallen hat... ;D Kapitel 26: Wie der Flügelschlag eines Kolibris ----------------------------------------------- Ui, wow, endlich ein neues Kapitel. Das, auf das ihr schon so gewartet habt :D Ich hab mir wirklich Mühe gegeben und mir persönlich gefällt es eigentlich. Hoffe, euch auch :) Und dann WOW zum Zweiten. Das letzte Kapitel hat die 2o Kommi-Grenze überschritten. DANKE! ;-) Luxuslärm - Unsterblich http://www.youtube.com/watch?v=imkwB7Ys-lU ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich hatte eindeutig die Stimmung versaut. „Tut mir leid“, meinte ich unbeholfen und starrte ihn weiterhin hilflos an. „Ich wollte dich nicht an etwas unangenehmes erinnern.“ Einen Moment blieb seine Miene noch reglos, dann seufzte er und wischte sich mit beiden Händen übers Gesicht. „Nein, mir tut‘s leid. Ich hab überreagiert und dir einen Schrecken eingejagt.“ Er lächelte trübe und breitete anschließend seine Arme aus, um mich fest darin einzuschließen. Es vergingen ein paar Minuten, in denen keiner von uns beiden etwas sagte. Als ich hörte, wie er einatmete und zum Reden ansetzte, unterbrach ich ihn schnell. Ganz sicher würde er mir jetzt erzählen, wie er sie bekommen hatte, aber ich wollte nicht, dass er sich meinetwegen dazu zwang. Wozu alte Wunden wieder öffnen? „Wo ist eigentlich dein Zimmer?“ warf ich stattdessen schnell ein. Von meiner Frage überrumpelt, schaute er mich erst verwirrt an, ehe einer seiner Mundwinkel gen Norden rutschte. „Im oberen Stockwerk.“ „Darf ich es sehen?“ „Wenn du willst…“ Ihm schien noch nicht ganz klar zu sein, worauf ich hinaus wollte, doch er gewährte mir meinen Wunsch. Auf den Rest der Pizza verzichteten wir. Appetit hatte ich nach dieser Sache sowieso nicht mehr. Edward hielt meine Hand und führte mich über die Treppe in der Eingangshalle nach oben. Ein langer Flur erstreckte sich dort zu beiden Seiten, gesäumt mit Türen. Während sich auf der rechten Seite der Treppe unter anderem die Gästezimmer befanden, war Edwards am Ende der linken Seite. Er drückte den Türgriff nach unten und ließ die Tür langsam aufschwingen. Mit dem Arm bedeutete er mir, als erstes einzutreten. Vorsichtig, als würde ich in eine ganz neue Welt eintauchen, ging ich hinein. Die Glasfront schien sich über die gesamte hintere Hauswand zu ziehen, weshalb das Mondlicht genügend Fläche hatte, sein Licht hinein zu senden. Mein Freund machte sich gar nicht erst die Mühe, das Licht vollends aufzudrehen, sondern den Mond mit künstlicher Helligkeit nur minimal zu unterstützen. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Ehrlich gesagt nichts besonderes, doch aus irgendeinem Grund bekam ich das Gefühl, selbst wenn mir niemand verraten hätte, wem es gehörte, ich hätte gewusst, dass es Edwards war. Die Einrichtung hatte nichts außergewöhnliches, nur erkannte ich in allem ein wenig von ihm wider. Ob es das große Bett auf der rechten Seite des Zimmers war - aus irgendeinem Grund starrte ich viel zu lange darauf -, oder der schmale Computertisch auf der linken. Selbst der Kleiderschrank gleich links am Eingang hatte etwas von ihm. Was allerdings eindeutig auf Edwards Lieblingssport und -mannschaft hinwies, war das riesige Poster der San Francisco Giants über dem Kopfende seines Bettes; Baseball, Handschuh und Schläger lagen auf der schwarzen Ledercouch, die gleich neben dem Bett in der Nähe der Glaswand stand. Nach und nach betrachtete ich jede Einzelheit des Raums, bis ich schließlich zum, recht dürftig bestückten, CD-Regal neben dem PC gelangte. An die fünf Alben von schon etwas älteren Künstlern hatten sich dorthin verirrt. Mein Finger fuhr langsam über die schmalen Rücken der Plastikhüllen und meine Augen folgten der Leserichtung der verschiedenen Namen. „Das ist nur ein Bruchteil der Musik, die ich hab. Das meiste befindet sich auf meiner Festplatte“, meinte Edward plötzlich direkt hinter mir und jagte mir einen kleinen Schrecken ein. Was ich allerdings wirklich verblüffend fand, war seine Haltung. Sie wirkte leicht angespannt, als erwartete er mein Urteil über sein Zimmer; als hätte er Angst, es würde mir nicht gefallen. Auch wenn er versuchte, diese Nervosität nicht deutlich werden zu lassen… Selbst er konnte sie nicht gänzlich unterdrücken. „Ich finde es sehr schön hier“, versicherte ich ihm mit einem beruhigenden Lächeln. Und tatsächlich. Er lächelte sanft zurück und schien gleich etwas lockerer zu werden. Mein Blick fiel unbewusst auf etwas, das mich wirklich mit offenem Mund dastehen ließ. Auf einem Wandregal über dem Sofa stand ein würfelähnliches Glasgestell, in dessen Inneren sich mein Geschenk für Edward befand: Der Baseballhandschuh von Whitey Ford. Ich ging darauf zu, um mir das Ganze näher ansehen zu können und kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Er lag nicht einfach nur darin, sondern war auf einem kleinen Ständer aufgebahrt, sodass man die gesamte vordere Seite samt Autogramm erkennen konnte. „Du hast ihn…“, fing ich im Flüsterton an, bekam aber leider nicht mehr heraus, stattdessen wurden meine Wangen ganz warm. Edward schmunzelte. „Auf diese Weise kann Emmett ihn nicht wieder verwechseln und ins Internet stellen. Außerdem kann ich so eine Rarität doch nicht einfach herumliegen lassen… Und wo wir schon mal dabei sind…“ Mit diesen Worten ging er auf seinen Schreibtisch zu und schloss eine kleine Tür auf. Im Inneren gab es zwei Fächer und aus dem oberen nahm er etwas heraus. Da er es in seiner geschlossenen Hand transportierte, konnte ich nicht ausmachen, um was es sich handelte. Erst als er wieder ganz nah vor mir stand, öffnete er sie. Auf seiner Handfläche lag meine Kette, und wie es aussah, hatte er sie bereits reparieren lassen. „Dieses Mal kannst du sie nicht verlieren“, grinste er schelmisch. Er öffnete das Schmuckstück und legte seine Arme in meinen Nacken, um die Kette dort wieder zu verschließen. Dabei war sein Gesicht dem meinen so nah, dass ich seiner Atmung lauschen und die Wärme seiner Haut fühlen konnte. Mein Herz schlug um ein paar Etappen schneller und ich hoffte, dass er seinen Kopf nur leicht in meine Richtung drehen würde, damit ich meine Sehnsucht endlich stillen konnte, seine Lippen auf meinen zu spüren. Meine Wünsche wurden erhört. Nur ein paar Sekunden vergingen, bevor er mir einen langen, innigen Kuss gab. Meine Hände wanderten zu seinen Wangen empor, nur um den Moment noch auszudehnen. „Danke“, wisperte ich, als er von sich aus die traute Versunkenheit auflöste. Stirn an Stirn standen wir dort und sahen dem jeweils anderen in die Augen. Bis Edward erwartungsvoll grinste. „Ich würde dir gerne was zeigen.“ Er nahm meine Hand und zog mich zur Glasfront, an der eine Tür eingelassen war. Sie führte auf einen Balkon, dessen Geländer aus silbernem Metall bestand. Als wir nach draußen traten, wehte mir der warme Nachtwind angenehm entgegen. In dem Moment, als Edward einen Schalter neben der Glastür betätigte, wusste ich, was er mir womöglich zeigen wollte. Kleine Lampen an der Hauswand leuchteten auf einmal matt auf und erhellten eine weitläufige Terrasse, deren Mitte von einem großen, ovalen Pool geziert wurde. Lichter unter dem Wasser ließen ihn türkis schimmern. Das allein war schon beeindruckend, doch noch viel schöner war der Blick dahinter. Einzig durch eine hüfthohe Hecke getrennt, konnte man von hier aus auf ganz San Francisco schauen. All die bunten Lichter erinnerten mich an einen Jahrmarkt bei Nacht, nur dass es leider kein Riesenrad gab, das diese unglaublich hohen Häuser überragen hätte können. „Wunderschön…“, flüsterte ich fast tonlos. Ein Glucksen neben mir war zu hören. Ich musste nicht erst zur Seite sehen, um zu wissen, dass Edward mich ununterbrochen musterte. Links vom Balkon führte eine Treppe nach unten. Während wir hinunter gingen, schaute ich permanent auf meine Füße, um sicherzustellen, nicht zu stürzen. Als wir den Boden erreicht hatten, wanderte mein Blick in alle Richtungen - und blieb schlussendlich an einer Hollywoodschaukel gleich links vor uns hängen. Ihr Design war recht altmodisch. „Mit so was hätte ich jetzt nicht gerechnet“, meinte ich überrascht und lief auf die Sitzgelegenheit zu. „Alles andere hier sieht so modern aus.“ „Esme sammelt gerne Antiquitäten und platziert sie an jede erdenkliche Stelle. Komischerweise passt es trotzdem immer zum Rest der Einrichtung.“ Edward überholte mich und zog mich auf die Schaukel. Einladend streckte er seinen Arm zur Seite, damit ich mich an seine Schulter lehnen konnte. Das Polster war so weich und bequem, dass ich darauf hätte einschlafen können. Während Edwards Finger mit meinen Haaren spielten, betrachteten wir beide in entspannter Stille die Stadt… „Und? Bist du schon aufgeregt?“ fragte ich und sah zu ihm auf. „Wegen dem Spiel Samstag?“ Ich nickte. „Man könnte eher sagen, ich bin beunruhigt. Das Training gestern lief nicht besonders gut. Die Spieler haben zwar versucht, sich zusammenzureißen, aber die Distanz, die sie zu Tayk aufgebaut haben, war trotzdem zu spüren. Jazz und ich haben ihnen klar gemacht, dass sie sich nur auf das Match konzentrieren und ihre persönlichen Gefühle außer Acht lassen sollen. Ob das Samstag auch so bleibt, weiß ich aber nicht…“ Ein frustriertes Seufzen entwich ihm und er schloss müde die Augen. „Wie es aussieht, hat Claire es geschafft, dir mit Tayks Enthüllung ebenfalls eins reinzuwürgen. Meinst du, das mit den Fotos war ihr letzter Schachzug?“ meinte ich und musste mich unweigerlich an ihre seltsame Entschuldigung erinnern. Gedankenverloren starrte ich auf den Pool. Die Oberfläche hatte leichte Wellen durch den schwachen Wind. Das Licht, das sich auf dem Wasser spiegelte, tanzte überall; auf dem Boden, den Hauswänden und sogar auf Edwards freier Hand, die auf seinem Schoß lag. Plötzlich hob sie sich und näherte sich meinem Gesicht, nur um dann meine Wange zu berühren und meinen Kopf nach oben zu drehen. Edward sah mich liebevoll an und lächelte. „Mach dir deswegen keine Sorgen. So leicht kriegt sie uns nicht unter. Und sollte sie noch irgendwas planen, werde ich bei dir sein.“ Ich runzelte die Stirn, lächelte aber dennoch. „Danke, das ist nett von dir. Aber vielleicht sollte ich ihr das nächste Mal selbst die Meinung sagen, damit das ein für alle mal geklärt ist. Ich kann mich schließlich nicht ständig auf andere verlassen…“ „Ich möchte aber, dass du dich auf mich verlässt. Ich bin dein Freund“, entgegnete er schon fast entrüstet. Ich musste doch glatt anfangen zu kichern. „Hey, schon mal was von Emanzipation gehört?“ Auch wenn ich sein beschützerisches Verhalten rührend fand und er mir in den vergangenen Wochen wirklich sehr geholfen hatte, konnte er trotzdem nicht permanent an meiner Seite verharren. Man konnte nur aus Fehlern lernen und mit den eigenen Erfahrungen wachsen. „Bella-“, setzte er zum Einspruch an, behielt den Rest jedoch für sich. Er war viel zu überrascht, als ich meinen Kopf auf seinen Schoß legte und zu ihm hochsah. „Kommen deine Eltern eigentlich auch zum Spiel?“ Jetzt wäre doch eigentlich ein guter Zeitpunkt, ihm von Phil zu erzählen. Bestimmt würde es seine Stimmung heben und gleichzeitig auf ein anderes Thema lenken. Es vergingen ein paar Sekunden des Schweigens und ich musste mir bei seinem perplexen Gesichtsausdruck ein Schmunzeln verkneifen. Dann wurden seine Augen allerdings schmal und ein merkwürdiges Grinsen entstand auf seinen Lippen. „Ich entdecke ja ganz neue Seiten an dir. Hast du herausgefunden, wie du mich völlig durcheinander bringen kannst, oder wie darf ich das jetzt verstehen?“ Zuerst war mir nicht klar, worauf er hinaus wollte, doch je länger ich darüber nachdachte - und ich mir meiner derzeitigen Position bewusst wurde -, desto deutlicher verstand ich seinen Kommentar. Blitzschnell erhob ich mich und blieb mit dem Rücken zu ihm sitzen. So konnte er wenigstens nicht sehen, wie ich rot anlief. Sogar mein Herz klopfte lauter als sonst. Hinter mir erklang ein leises Lachen und im nächsten Moment hatte Edward bereits seinen Arm um meinen Bauch geschlungen. „Das war nur ein Scherz.“ Mit leichtem Druck wollte er meinen Oberkörper zurückziehen, doch ich stemmte mich dagegen. Er seufzte und klang beim nächsten Satz gar nicht mehr so amüsiert; eher resigniert. „Bella, das war nicht ernst gemeint…“ Etwas viel… banaleres schlich sich plötzlich in mein Bewusstsein. So wie ich mich gerade anstellte, könnte man glatt auf den Gedanken kommen, ich sei verklemmt. Natürlich hatte ich derlei Erfahrungen noch nie gemacht, nur bedeutete das ja nicht, gleich wegen jedem bisschen zusammenzuschrecken. Dummerweise verhielt ich mich aber so, dabei war das von eben gar nichts. Ich hatte bloß zu viel in Edwards Worte hineininterpretiert und reagierte jetzt über. Es lag nur daran, dass wir alleine waren… und an Emmetts blöden Kommentar von heute morgen… und Edwards ständigen idiotischen Anspielungen… Herrje! Hormone konnten so verdammt grausam sein. Er musste mich einfach für völlig verstockt halten. Wenn ich dieses Verhalten beibehielt, würde er sich am Ende noch von mir abwenden… Gott, Bella. Du bist siebzehn. Andere Leute in deinem Alter haben schon längst… Okay, diesen Satz würde ich jetzt nicht zu Ende denken. Ich sollte mich einfach zusammenreißen. „Bella…?“ Er versuchte mich noch einmal nach hinten zu drücken und dieses Mal ließ ich ihn gewähren. Langsam senkte ich meinen Kopf wieder auf seinen Schoß. „Alles okay?“ fragte er nach und betrachtete mich aufmerksam, während sein Daumen sanft über meinen Bauch streichelte. „Alles bestens. Kein Grund zu Sorge.“ Mit einem Lächeln versicherte ich ihm mein Wohlbefinden, förderte aber nur eine hochgezogene Augenbraue bei ihm zutage. „Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet“, meinte ich, um ihn wieder an das ursprüngliche Gesprächsthema zu erinnern. „Was für eine Frage?“ „Ob deine Eltern Samstag ebenfalls kommen…“, erinnerte ich ihn amüsiert. Verwirrt runzelte er die Stirn. „Ich… denke schon. Ich hab´s ihnen jedenfalls gesagt… Worauf willst du hinaus?“ „Mir ist nur aufgefallen, dass eine Menge Leute da sein werden…“ Eine Menge Leute… Alle möglichen Personen. Phil geriet plötzlich in Vergessenheit, als mir wieder einfiel, wer noch kommen würde. Welche Person ich für ein paar Minuten erfolgreich aus meinem Kopf verdrängen konnte, sich jetzt aber gewaltsam in den Vordergrund schob… „Na ja, es ist ja auch ein sehr wichtiges Spiel für unsere Schule.“ Edwards Stimme erinnerte mich wieder an seine Anwesenheit und leicht erschrocken wandte ich mich zu ihm. „Hm?… Oh… ja, kann ich verstehen…“ „Bella, was ist los?“ Wie eine Frage klang es nicht. Eher wie eine Aufforderung. Eine ziemlich ungeduldige und es sah nicht so aus, als würde er noch allzu lange warten wollen. „Ich merke schon den ganzen Tag, dass dich irgendwas beschäftigt.“ Ich würde es nicht länger aufschieben können, oder? Ich musste es ihm sagen. „Isabella…“ Das hatte er noch nie getan. Die Art wie er meinen vollen Namen aussprach… Seine Stimme hatte einen ungewöhnlichen Klang. Das war kein gutes Zeichen. Ich beobachtete meine Finger dabei, wie sie sich auf meinem Bauch nervös ineinander verkneteten. „Gestern, als ich einkaufen war… Da hab ich Seth getroffen…“ Als ich zu ihm aufschaute, war sein Mund leicht geöffnet, jedoch sagte er kein Wort, also sprach ich weiter. „Er will sich Samstag mit dir aussprechen…“ „Wieso trifft er sich dann mit dir?“ kam es endlich von ihm, während seine Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen waren. „Euer letztes Treffen ist nicht gerade fröhlich verlaufen.“ Ganz und gar nicht. Das letzte Mal, als sich die beiden gesehen hatten, waren wir auf dem Rummel und Seth hatte mich aus der Geisterbahn geführt. Als Edward das bemerkt hatte, war er wütend davongelaufen. „Außerdem war das nur ein Zufall. Wir waren beide im gleichen Einkaufsmarkt.“ „Und du bist dir sicher, dass er dir nicht vorher schon gefolgt ist?“ „Ganz sicher.“ Edwards Misstrauen seinem alten Kumpel gegenüber wurde einfach nicht kleiner. Ich konnte durchaus verstehen, dass er eine gewisse… Distanz zu seiner ehemaligen Clique aufgebaut hatte und dass er ihnen womöglich nicht mehr vertraute. Wenn ich ihm jetzt noch von Jacob erzählte, würde seine Paranoia sicherlich noch wachsen. Also behielt ich diese Kleinigkeit erstmal für mich. Wenn ich ehrlich war, kam mir die Szene mit dem ‘Alphatier‘ schon damals recht merkwürdig vor, aber ich hatte Seth nun einmal mein Wort gegeben, vorerst nichts zu sagen. Samstag würde sich alles klären. Da war ich mir sicher. Edward schien in Gedanken und seine Brauen hatten sich noch tiefer gezogen. „Bist du jetzt sauer?“ wollte ich wissen und riss ihn mit dieser Frage aus seinen Tagträumen. Er lächelte trüb. „Nein, bin ich nicht. Wahrscheinlich bin ich einfach etwas zu voreingenommen und betrachte die ganze Situation viel zu kritisch. Ich sollte Seth einfach eine Chance geben und seinen Sinneswandel nicht mehr anzweifeln.“ „Sinneswandel? Das klingt, als wärst du bis eben noch ganz anderer Meinung gewesen“, meinte ich verwundert. „Na ja, das hier…“ Edward schob seine Hand unter den Kragen seines Hemdes und strich auf seinem linken Schlüsselbein langsam hin und her. Genau dort, wo sich die Narbe befand. „…wurde zwar ziemlich gut vernäht, aber ganz heilen wird es nie.“ Traurig wanderten seine Mundwinkel nach oben. „Es waren-“ „Edward, du musst nicht“, unterbrach ich ihn schnell, als ich erkannte, was gleich kommen würde. Doch da schüttelte er plötzlich seinen Kopf. „Schon gut… Ich will es erzählen.“ Er holte tief Luft und fing erneut an zu reden. „Nach Leahs… Unfall waren ein paar Tage vergangen. Ich hatte bereits mit Carlisle über den Umzug gesprochen. Wie schon mal erwähnt, war er einverstanden. Obwohl es noch zwei Wochen bis zur eigentlichen Abreise nach San Francisco dauerte, hatte ich bereits alle meine Sachen gepackt. Ich wollte einfach weg. Ich war nicht mal auf der Beerdigung…“ Schwerfällig atmete er aus, dann sprach er weiter. „Jedenfalls… Ich war gerade in unserem Garten hinter unserem alten Haus, um noch ein paar Dinge zu holen. Das Grundstück dort war mit einer Hecke gesäumt und obwohl sie sehr dick war, hatten wir eine Stelle gefunden, durch die ich damals immer abgehauen bin, wenn die Wolves ein Treffen hatten… Seth hat diese Lücke an diesem Tag genutzt, um mir mehr oder weniger aufzulauern. Ich hab mich tierisch erschrocken, als er plötzlich hervorgesprungen kam. Ich wusste sofort, dass das kein Freundschaftsbesuch werden würde. Dazu war seine Miene einfach zu… feindselig. Seine Augen waren rot gerändert, als hätte er Tag und Nacht durchgeweint, nur sein Gesichtsausdruck spiegelte keinerlei Trauer wieder. Stattdessen war da Wut… rasende Wut, die mir wirklich Angst einjagte…“ Wieder eine kleine Pause, in der seine Hand gedankenverloren mit meinen Haarsträhnen spielte. „Weißt du, vor diesem… Zwischenfall mit seiner Schwester war Seth einer der ausgeglichensten Personen, die ich kannte. Natürlich war er aufgeweckt, vielleicht sogar ein bisschen voreilig in manchen Dingen; hyperaktiv. Aber ich hatte ihn bis dato niemals so außer sich gesehen. Mir war gleich klar, dass Jacob ihm seine ganz eigene Version erzählt haben musste und ich ihm nicht mal widersprechen konnte.“ „Weil du dir die Schuld gegeben hast“, meinte ich leise. Edward nickte. „Ja… Keiner der Wolves wusste, dass wir umzogen und als Seth das mitbekommen hat, meinte er, ich würde vor meiner Verantwortung fliehen. Erst wollte ich ihn einfach ignorieren und meinte, er solle verschwinden, doch er bewegte sich keinen Millimeter. Wir fingen an zu streiten, bis ich ihn am Kragen gepackt hab und ihm vorwarf, überhaupt keine Ahnung von meinen Gefühlen zu haben. Dieser Satz muss wohl das Fass zum Überlaufen gebracht haben. In der einen Sekunde sah ich das Taschenmesser aufblitzen und in der nächsten lag ich bereits auf dem Boden und spürte einen stechenden Schmerz an meiner Schulter. Keine Ahnung, wie ich das überlebt hab. Ich weiß nur noch, dass ich mich so gedreht haben muss, dass Seth mit dem Messer abgerutscht ist. Deshalb ist die Narbe auch so lang.“ Er lächelte, als wollte er das Klima durch diese Kleinigkeit erheitern, nur konnte ich es nicht erwidern. Zu sehr war ich von dieser Geschichte in den Bann gezogen worden. Als ich nicht antwortete, erzählte er weiter. „Mein Dad musste uns gehört haben, denn kurz darauf ist er im Garten aufgetaucht. Seth war abgehauen und Carlisle brachte mich ins Krankenhaus, nachdem er die Wunde provisorisch verbunden hatte. Ich wusste, dass die Ärzte wissen wollen würden, wie das alles passiert war und ich konnte meinen Vater während der Fahrt irgendwie davon überzeugen, Seth nicht zu verraten. Ich frag mich heute noch, wie er mein Gemurmel überhaupt verstanden hat…“ „Und er hat keine Einwände gehabt?“ fragte ich stirnrunzelnd. „Natürlich hat er das. Und er war ganz schön sauer, weil er für mich lügen musste. Das hat er mir aber erst ein paar Tage später gesagt. Daraufhin war ich dann gezwungen, ihm das Warum und Weshalb zu erklären.“ Ich nickte. „Das würde ich auch gerne wissen.“ Edward sah mich an, als müsste ich das schon längst herausgefunden haben. „Erstens war Seth gar nicht richtig zurechnungsfähig und zweitens konnte ich seinen Hass nur allzu gut nachvollziehen. Ich hab es als Bestrafung angesehen. Schlussendlich war ich der festen Überzeugung, Schuld an seinem Verlust zu sein.“ Etwas in seinem letzten Satz ließ mich stutzen. „Heißt das, jetzt bist du nicht mehr der Ansicht?“ „Mehr oder weniger, ja.“ Ein halbes Lächeln huschte über sein Gesicht. Meine Stirn legte sich in Falten. „Sag mal… An dem Tag im Riesenrad… Da meintest du: Carlisle hatte Recht. Was genau sollte das bedeuten?“ „Hab ich das wirklich gesagt?“ Ich nickte und Edward atmete tief durch. „Na ja, als ich ihm damals alles erklärt hab, wollte er mich unbedingt davon überzeugen, dass ich nichts für den Unfall konnte. Ich hab ihm kein einziges Wort geglaubt. Daraufhin meinte er nur, irgendwann würde mir schon jemand gehörig den Kopf waschen und dann könnte ich auch anfangen, mir selbst zu verzeihen…“ „Wenn man überhaupt nichts getan hat, muss man sich auch nichts verzeihen“, warf ich ihm verständnislos vor. „Siehst du?“ grinste er schief und betrachtete mich mit so einem intensiven Blick, dass meine Wangen regelrecht Feuer fingen. Nur langsam sickerte die Erkenntnis zu mir durch und abrupt setzte ich mich auf. „Soll das heißen…?“ Statt zu antworten, nahm er mein Gesicht in seine Hände und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. Als er seinen Kopf leicht zurücklehnte, musterten wir uns beide aufmerksam. Also bedeutete das, ich war für seinen Meinungswechsel verantwortlich. Ich war diejenige, die ihm den Kopf gewaschen hatte… Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Edward zog mich seitlich auf seinen Schoß und drückte mich fest an sich, während ich meinen Kopf an seine Schulter lehnte und meine Beine auf der freien Seite der Hollywoodschaukel ausstreckte. Ein paar Augenblicke lang lauschten wir den Geräuschen der Nacht und jeder versank in seinen eigenen Gedanken. In meinem Kopf spielte sich noch einmal Edwards Geschichte ab; wie er zu seiner Narbe gekommen war und wie zornig Seth gewesen sein musste… Oder besser gesagt, wie groß seine Trauer war. Ihre Folgen hätten verheerend sein können. Im schlimmsten Fall würde ich jetzt gar nicht hier sitzen. Ich hätte dann keinen Freund, der es ernst mit mir meinte und stünde mit Claire womöglich immer noch auf gutem Fuß. Nur gut, dass Seths Angriff keine größeren Schäden angerichtet hatte. Edwards distanziertes Verhalten konnte ich jetzt sogar gut verstehen. Ich würde wahrscheinlich das gleiche machen… Ganz langsam hob ich meine Hand und wollte sie bereits unter sein Hemd schieben, stoppte dann aber mitten in der Bewegung und sah ihn fragend an. „Darf ich?“ Er war zwar überrascht, zog seinen Kragen aber trotzdem ein bisschen zur Seite. Das Licht des Pools leuchtete nur schwach auf seiner Haut und ich musste mich anstrengen, die Narbe richtig zu erkennen, so dünn und unscheinbar war sie. Vorsichtig, als könnte ich etwas zerbrechen, strichen meine Fingerspitzen über die Stelle. Nur ganz leicht war die Verformung seine Haut zu spüren; die schmale Linie, die sich fast über das gesamte linke Schlüsselbein zog. Jetzt wurde mir auch bewusst, was für ein Glück Edward gehabt hatte und automatisch hielt ich die Luft an. Seine Hauptschlagader war schließlich nur Millimeter entfernt. „Du musst einen ziemlich guten Schutzengel gehabt haben“, murmelte ich gedankenverloren. Plötzlich schlich sich die Vorstellung in meinen Kopf, Leah hätte über die beiden gewacht, was durchaus ein beruhigender Gedanke war. Nachdem, was Edward mir über sie erzählt hatte, hätte sie bestimmt nicht gewollt, dass sich ihre Freunde und ihr Bruder gegenseitig fertig machten. „Allerdings“, antwortete er mit einem nervösen Seufzen. Geistesabwesend wanderte meine Hand tiefer unter sein Hemd, im selben Moment lehnte sich meine gesamte Handfläche leicht gegen seinen Oberkörper. Seine Haut war so warm, glatt und weich, und gleichzeitig strahlte sie eine gewisse Festigkeit und Stärke aus, als ich ein kurzes Zucken seiner Muskeln wahrnahm. Doch viel… faszinierender war es, seinen Herzschlag zu fühlen, als meine Hand auf seiner linken Brust verharrte. Wow… formten meine Lippen, ohne einen einzigen Ton von sich zu geben. Mit der Geschwindigkeit eines Kolibris konnte es zwar nicht mithalten, aber dennoch klopfte es ungewöhnlich schnell. Als wollte mein eigenes Herz zu dem seinen aufholen und im gleichen Takt schlagen, pochte es ebenfalls spürbar schneller. „Hast du etwa nicht damit gerechnet, dass meins genauso aufgeregt flattert?“ hauchte Edward kaum wahrnehmbar. Sein warmer Atemzug streifte meine Stirn. Ich wollte meinen Kopf heben, nur legte sich eine ungeahnte Spannung auf meine Bewegungen. Eine ungefähre Vorahnung verriet mir, was mich erwartete, sollte ich ihn jetzt wirklich ansehen. Und doch konnte ich dem inneren Impuls nicht widerstehen; zu stark war der Wunsch, das Offensichtliche endlich geschehen zu lassen. Zaghaft huschten meine Augen ein Stück nach oben, allerdings war Edward mir schon so nahe, dass sich unsere Blicke nicht mehr trafen. Seine Lider waren halb geschlossen - ebenso wie meine -, während unsere Nasenspitzen bereits einander streiften. Dann - bevor sich unsere Lippen trafen - schloss ich meine Augen vollends, um mich ganz und gar dem darauf folgenden Gefühl zu ergeben. Zärtlich und zugleich fordernd zog er den Kuss an sich. Nicht einmal eine Sekunde verging, in der wir uns voneinander lösten und gleich darauf abermals aufeinander trafen, nur dieses Mal eine Spur leidenschaftlicher. Ich zog meine Hand von seiner Brust zurück und legte sie stattdessen in seinen Nacken. Nebenbei winkelte ich meine Beine an und setzte mich ihm richtig gegenüber. Während sich seine Lippen drängend gegen meine schmiegten und sich das Verlangen nach mehr intensivierte, nahm mir der Kuss beinahe die Luft zum Atmen, als er sich vertiefte. Ich krallte meine Finger regelrecht in Edwards Haare und im selben Moment konnte ich seine Hände an meinen Hüften spüren. Sanft und zugleich fest strichen sie an ihnen entlang, bis sie kurz an meiner Taille innehielten. Eine Hand fuhr allmählich unter mein Shirt, unterdessen folgte die andere dem Bund meiner Jeans. Als sich ein paar seiner Finger unter meinen Hosenstoff schoben und ein brennendes Gefühl genau dort hinterließen, wo sie meine nackte Haut berührten, zuckte ich für einen Augenblick zusammen und versteifte mich. Gleich darauf bereute ich mein Verhalten, als Edwards Streicheleinheiten verstummten und er mich einerseits fragend, andererseits fast schon entschuldigend ansah. Würde er jetzt denken, ich sei zu schüchtern? Würde er mit seinen Zärtlichkeiten aufhören, wenn er spürte, dass mich das alles völlig aus der Fassung brachte und der weitere Verlauf mich verunsicherte? Würde er dann überhaupt noch etwas mit mir zutun haben wollen? Das wiederum wollte ich nicht. Nein, ich wollte ja, dass er mich auf diese Weise umschmeichelte und mir das Gefühl gab, begehrenswert zu sein. Nur meine Befangenheit und die Angst, etwas falsch zu machen, zogen mir einen Strich durch die Rechnung. Doch dieser Unschlüssigkeit würde ich mich dieses Mal nicht ergeben. Angriff ist die beste Verteidigung, hieß es ständig. Jetzt war es einfach die beste Lösung, meine Hemmungen zu überwinden… Ich lächelte zögernd und ließ meine Hände über seine Schultern nach unten gleiten, bis sie die Knöpfe seines Hemdes gefunden hatten. Ich öffnete den obersten und wartete danach seine Reaktion ab. Er wirkte unentschlossen, zog mich dann aber an sich, um dort weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten. Während sich unser Kuss ziemlich schnell wieder an das ursprüngliche, innige Level von eben herantastete, zitterten meine Finger leicht, als sie sich die restlichen Knöpfe vornahmen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie endlich fertig waren. Meine Handrücken schoben das Hemd zur Seite und meine Fingerspitzen fuhren nervös über seine freigelegte Haut, über seinen angespannten Bauch, seine glatte Brust - die sich ungewöhnlich schnell auf und ab bewegte -, über seine gestrafften Schultern… Edward löste sich von mir, sodass ich sein Hemd abstreifen konnte. Einen Moment betrachteten wir uns gegenseitig und ich konnte nicht verhindern, dass meine Augen über seinen freien Oberkörper wanderten. Mein Herz klopfte bis zum Anschlag und die unausgesprochene Sehnsucht spiegelte sich in dem Blick des jeweils anderen wider. Er legte seine Hand an meine Wange und hauchte mir einen Kuss auf meine Lippen. Ein rauer und hitziger folgte. Sachte bedeutete er mir, mich seitlich nach hinten zu lehnen. Während mich eine seiner Hände im Rücken hielt, stützte er sich mit der anderen vorsichtig auf der weichen Sitzfläche ab, bis er letztendlich über mir lag. Seine Lippen verließen meine, nur um im nächsten Moment ein glühendes Erlebnis nach dem anderen auf meinem Hals zu hinterlassen. Meine Hände klammerten sich unbeholfen an seinen Rücken. Seine Liebkosungen zeichneten die Konturen meines Kiefers nach, wanderten mein Kinn entlang, über meine Kehle, bis hin zum freiliegenden Teil meines Dekolletés, wobei er - gewollt oder ungewollt - den Anhänger meiner Kette streifte. Unwillkürlich entwich mir ein Seufzen. Edward lehnte sich ein wenig zurück und sah mich mit einem undefinierbaren Blick an. Ein kaum merkliches Lächeln schlich sich in seine Züge. Dabei fuhren seine Hände so sanft an meinen Seiten hinab, dass ich einen erneuten Seufzer unterdrücken musste, dermaßen kribbelnd war die Empfindung. Seine Finger glitten abermals unter mein Oberteil und schoben es Stück für Stück höher. Mit jedem Millimeter, der mehr von meiner nackten Haut preisgab, beschleunigte sich mein Puls um das zehnfache. Wider Erwarten hielt er am Ansatz meines BHs inne. Seine Hände verharrten an meinen Seiten und seine Daumen vollführten kreisende Bewegungen an den besagten Stellen. Als Edward dann seinen Kopf senkte und ich kurz darauf seine Lippen auf der oberen Hälfte meines Bauchs fühlen konnte, setzte meine Atmung, die sowieso schon schwerer als sonst ging, für kurze Zeit ganz aus. Die Emotionen, die ein einziges Chaos in meinem Inneren verursachten, waren so ungewohnt und gleichzeitig so berauschend. Edward presste einen sinnlichen Kuss nach dem anderen auf meine Haut, umspielte meinen Bauchnabel und löste eine noch nie gekannte, erwartungsvolle Vorfreude in mir aus. Mein Bauch streckte sich ihm intuitiv ein bisschen entgegen. Meinen zweiten Seufzer konnte ich nicht verhindern. Ein Schauer jagte über meinen Rücken, mir war heiß und kalt zur selben Zeit. Der aufkommende, fieberhafte Aufruhr in meinem Körper schien mich förmlich zu überrollen… War es das, was ich dachte? Würde es heute passieren? War das hier die Nacht? Eine der Hürden, die man in seinem Leben überwinden würde? Plötzlich fing ich an zu zittern. Heftiger als noch vor ein paar Minuten. Beinahe hätte ich mich wieder verkrampft, wäre mir da nicht mein eigener Vorsatz in den Sinn gekommen. Eigenoffensive… Ich würde jetzt nicht zurückschrecken. Dieses Mal nicht. Was sollte Edward denn von mir denken? Meine Hände legten sich um seinen Kopf und zogen ihn zu mir hoch. Nun war ich diejenige, die ihn in einen, zwar flatterigen, aber dennoch ungestümen Kuss verwickelte. Ich konnte seine Überraschung spüren, was ihn aber nicht daran hinderte, meinem Eifer entgegen zu kommen. Er erwiderte ihn mit dem gleichen Enthusiasmus. Das Zittern meines Körpers ließ nicht nach, stattdessen wurde es schlimmer und beeinflusste meine Kontrolle über sämtliche Bewegungen. Meine Finger strichen fahrig über seinen Rücken, suchten den Bund seiner Hose. So wie er es vorhin bei mir getan hatte, fuhren meine Fingerspitzen am Stoff seiner Jeans entlang, hielten aber an den Seiten seines Beckenknochens inne. Das Vorhaben gestaltete sich schwieriger als gedacht, da er auf mir lag und nicht wirklich Anstalten machte, mir in dieser Sache ein bisschen entgegenzukommen. Als wollte er das Liebkosen meines Ohrläppchens unter keinen Umständen unterbrechen. Zweifel kamen auf und rissen mich in alle erdenklichen Richtungen. Ich fragte mich, ob ich das Richtige tat; ob meine Entscheidung die Richtige war… Ob ich überhaupt bereit dazu war. Reiß dich zusammen, Bella! Ich atmete tief durch, während Edward seine Lippen in meine Schulterbeuge schmiegte. Mein Herz versagte bald seinen Dienst, so kräftig und hart hämmerte es gegen meinen Brustkorb und als er seine Hüfte unbewusst ein Stück hob, nutzte ich die Gelegenheit, um den Verschluss seines Gürtels zu ertasten und ihn zu öffnen. Wäre Edward selbst nicht plötzlich dazwischen gegangen… „Wow… Warte mal, Bella. Nicht so schnell.“ Ruckartig richtete er sich auf und griff nach meinen Handgelenken. Allerdings bekam die Hollywoodschaukel durch seine abrupte Bewegung zuviel Schwung und er stolperte ziemlich unbeholfen aus der Sitzfläche, während ich mich noch rechtzeitig an der Rückenlehne festhalten konnte. Nun stand er ein paar Schritte von mir entfernt. Seine Brust hob und senkte sich heftig. „Ist dir eigentlich klar, was du da machst?“ Meine Verwirrung war deutlich in mein Gesicht geschrieben. War das nicht das, was er wollte? Wo wir sowieso irgendwann ankommen würden? Die Atmosphäre um uns herum erhielt einen bedrückenden Beigeschmack. „Ich… Ich dachte…“, stammelte ich perplex und setzte mich auf. „Versteh mich nicht falsch, ja?“ meinte er aufgeregt und ich sah, wie er nach weiteren Wörtern rang. Ein Gefühl von Scham machte sich in mir breit. So zurückgestoßen und nicht gewollt zu werden, tat weh. Sehr sogar. Ich zog meine Knie an, haftete meinen Blick auf einen Punkt am Boden und versuchte, mein aufgewühltes Herz zu beruhigen. „Es ist nicht so, dass ich es nicht will“, fuhr Edward dann ruhiger fort und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Natürlich nicht… „Und es liegt auch nicht an dir“, fügte er rasch hinzu, als hätte er meine Gedanken gehört. „Ehrlich gesagt hätte ich nicht damit gerechnet, dass du so… aus dir herausgehst. Trotzdem ist das hier nicht der richtige Zeitpunkt.“ „Warum nicht?“ flüsterte ich. Im Moment verstand ich gar nichts. Zu konfus war die Situation. Was genau hatte ich falsch gemacht? „Findest du nicht, wir sollten es langsam angehen und uns Stück für Stück herantasten? Ich will nicht, dass du dich zu irgendwas zwingst, nur weil du denkst, ich könnte nicht warten.“ Er stemmte die Hände in die Seite und blickte zur Seite, nur um im nächsten Augenblick leise vor sich hinzumurmeln: „Mal abgesehen davon, dass du nicht die einzige bist, für die das alles neu ist…“ Ich riss die Augen auf. Mir fiel ein, dass ich ihn noch nie nach ehemaligen Freundinnen gefragt hatte. Bedeutete sein letzter Satz, dass er genauso unerfahren war wie ich? Dabei kam er mir in dieser Hinsicht immer so selbstbewusst vor. Allerdings hatte ich ihn in der Schule nie mit jemandem gesehen. „Tut mir leid.“ Langsam erhob ich mich, schaute ihn aber nicht direkt an. Zu tief saß der Frust und die Erkenntnis, dass ich ihn mit meinem Verhalten enttäuscht hatte. Unruhig kaute ich auf meiner Unterlippe und drehte mich dann zum Gehen um. Nicht mal einen Schritt hatte ich mich entfernt, da hielt er mich bereits am Arm fest. „Du bist nicht diejenige, die sich entschuldigen muss. Ich hätte dich nicht so grob zurückweisen sollen. Verzeih mir.“ Ungläubig drehte ich meinen Kopf in seine Richtung. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und drückte mir einen zarten Kuss auf die Lippen, dann auf die Stirn. Letztlich schloss er mich in eine feste Umarmung, als wollte er auf diese Weise mein Unbehagen vertreiben. Es funktionierte sogar und ich entspannte mich. Ein leichter Wind war aufgekommen und ließ mich kurz frösteln. Allerdings verscheuchte Edwards Körpertemperatur die aufkommende Gänsehaut ganz schnell. „Heißt das eigentlich, dass du noch nie eine Freundin gehabt hast?“ fragte ich nach einer Weile und schöpfte Hoffnung, mit ihm auf gleicher Stufe zu stehen. „Natürlich nicht.“ Edward schmunzelte, obwohl ich meine Frage völlig ernst meinte und sein Amusement keineswegs teilte. Selbst wenn ich im Grunde bei jemandem wie ihm nichts anderes erwartet hatte… Die bloße Vorstellung, dass er vor mir schon mit anderen zusammen war, mit ihnen Küsse und diverse andere Dinge ausgetauscht hatte… Meine Brust zog sich zusammen und seltsamerweise quoll Wut in mir auf. Ich wollte ihn für mich; für mich allein. Dabei war es absurd, auf verflossene Liebschaften eifersüchtig zu sein… „Aber bisher war es nie so ernst, dass ich hätte sagen können, ich sei für alles bereit“, erklärte er und setzte meinem inneren Monolog somit ein Ende. „Und jetzt?“ nuschelte ich unsicher; hatte ich doch auf einmal Angst vor seiner Antwort. „Egal, was ich sage… Heute wird nichts passieren.“ Er schmunzelte. „Außerdem hab ich keine Lust, mich von deinem Vater erschießen zu lassen…“ Abrupt hob ich meinen Kopf. Bevor ich allerdings nachfragen konnte, ließ uns ein berstendes Geräusch am Himmel zusammenzucken. Donner folgte auf der Stelle. Im selben Moment wie wir nach oben schauten, traf uns ein Platzregen und innerhalb weniger Sekunden waren wir klitschnass. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sich der Himmel so zugezogen hatte. In der Ferne sah ich einen Blitz und das Grollen des Donners ließ nicht lange auf sich warten. Das Dröhnen der Tropfen, als sie schnell und hart auf dem Boden aufprallten, vermischte sich mit dem krachenden Geräusch des Gewitters und übertönte alles andere. „Ich hab dir ja schon mal gesagt, dass dir der Wet-Look steht“, kicherte Edward. Wie schön, dass er sich noch an den Tag erinnern konnte, an dem Claire mir das Wasser über den Kopf geschüttet hatte. Eine Windböe streifte mich und augenblicklich erschauderte ich. „Wir sollten rein, sonst erkälten wir uns noch“, meinte er dann. Eilig liefen wir zum Haus. Entgegen meiner Erwartung führte er mich aber nicht zu seinem Zimmer zurück, sondern öffnete die Glaswand im Erdgeschoss. Schnell schlüpften wir hinein und schlossen die Tür wieder hinter uns. Als er das Licht einschaltete, erkannte ich das Wohnzimmer, das ich heute schon einmal bewundern durfte. Edward zog mich mit sich, bis wir uns in der Eingangshalle befanden und deutete auf die Badtür. „Geh schon mal. Ich hol ein paar trockene Sachen von oben.“ „Für mich brauchst du nichts zu holen. Ich hab meine Sachen hier.“ Mein Blick fiel auf meine Taschen, die im Flur standen. „Okay. Handtücher findest du rechts neben dem Waschbecken. Ich werde mich oben schnell umziehen.“ Ich nickte. Während er die Treppe hinaufhastete, nahm ich mir frische Unterwäsche, ein T-Shirt und eine dünne Trainingshose und verschwand rasch im Bad. Schneller als erwartet stand ich wieder in der Halle. Weil von Edward weit und breit noch nichts zu sehen war, ging ich zurück ins Wohnzimmer und ließ mich auf der Couch nieder. Ich überlegte, was wir als nächstes machen könnten, denn obwohl die Digitalanzeige des DVD-Players halb zwölf anzeigte, war ich kein bisschen müde. Einen Film schauen, war keine schlechte Idee… Weiter kamen meine Überlegungen nicht, da meine Gedanken in die Vergangenheit wanderten. Zu dem eben erlebten. Die Vorstellung allein genügte, um mir das Blut unter die Wangen zu jagen und meinen Puls zu beschleunigen. Ich holte tief Luft. Wenn ich mich daran erinnerte, was passiert war und was ich vorgehabt hatte…! Jetzt im Nachhinein wäre ich am liebsten Im Erdboden versunken. So peinlich war mir das Ganze. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und schüttelte den Kopf. Und dann war da ja noch sein komischer Kommentar bezüglich Charlie… „Bella?“ Als hätte mich jemand bei etwas verbotenem ertappt, schreckte ich auf und sah Edward in T-Shirt und Boxershorts vor dem Sofa stehen. Verwundert betrachtete er mein Gesicht, doch ich hatte keine Zeit, darauf zu reagieren, denn nun bemerkte ich das kleine Mädchen an seiner Hand. Mit der Faust der anderen rieb sie sich die Augen und schniefte. „Sie hat Angst vor Gewitter“, beantwortete mir mein Freund die unausgesprochene Frage. „Oh…“ „Ich dachte mir, wir sehen uns einen Film an, damit sie sich wieder ein bisschen beruhigt.“ Ich stimmte seinem Vorschlag zu und rückte auf der Couch zur Seite. Edward setzte Roxy neben mich und kramte dann im DVD-Regal unter dem Fernseher. „Mal sehen… Wir haben Peter Pan, Das letzte Einhorn, Verwünscht…“ „Peter Pan!“ rief das blonde Mädchen verhalten. Der Bronzeschopf wandte sich nach hinten und lächelte ihr zu. „Einverstanden.“ Als draußen ein weiterer Donner zu hören war, zuckte die Kleine ängstlich zusammen und krallte sich an meinem Arm fest. Ich strich ihr liebevoll über den Kopf und zog sie an mich. „Schht… alles ist gut…“, flüsterte ich ihr zu. Edward startete den Film, schaltete das Licht aus und setzte sich auf Roxys freie Seite, wobei er seinen Arm um meine Schultern legte und mich - soweit mit Roxy in der Mitte möglich - näher zu sich zog. Es stellte sich heraus, dass wir uns eine ziemlich neue Realverfilmung des Klassikers anschauten. Roxy gefiel der Film offenbar sehr, sie fieberte regelrecht mit den Hauptdarstellern mit. Das Gewitter hatte sie so gut wie ganz vergessen; nicht zuletzt, weil es im Verlaufe schwächer geworden war. Einzig der Regen prasselte wie eh und je gegen die Scheiben. Es war gerade etwas mehr als die Hälfte der Story vergangen, als ich das erste Gähnen wahrnahm. Nur wenige Minuten später folgte das nächste. Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen, während Edwards Finger über meinen Oberarm streichelten. Irgendwann bekam ich Durst. „Ich geh mir schnell was zu trinken holen“, flüsterte ich ihm zu. So unauffällig wie möglich stahl ich mich von meinem Platz und machte mich auf den Weg in die Küche. Durch das Suchen nach den Kerzen wusste ich noch sehr genau, wo sich alles befand. Zielstrebig ging ich auf die Schränke zu und holte den Kakao sowie drei Tassen heraus. Die anderen beiden würden sicher auch etwas haben wollen, wenn sie erst einmal den Duft heißer Schokolade in die Nase bekamen, also beschloss ich, gleich für alle etwas zuzubereiten. Es vergingen ein paar Minuten, in denen ich die Getränke in der Mikrowelle erwärmte. Als sie endlich fertig waren, tapste ich vorsichtig ins Wohnzimmer zurück, um nichts von der heißen Flüssigkeit zu verschütten. Ich wollte schon etwas sagen, da stellte ich fest, dass die beiden nicht mehr auf dem Sofa saßen, sondern lagen. Der Film lief noch, doch das störte sie nicht, in aller Seelenruhe vor sich hinzuschlummern. Roxy hatte sich an Edwards Bauch eingerollt, während er seine Wange auf seine Hände gebettet hatte. Das Bild hatte etwas verdammt niedliches. Schade, dass ich keine Kamera dabei hatte. Langsam stellte ich die Tassen auf dem Couchtisch ab, schaltete den Fernseher aus und kniete mich vors Sofa. Die Terrassenlampen waren das einzige Licht, das nun schwach ins Zimmer schien. (Ayo - Better Days http://www.youtube.com/watch?v=0pNIrhbWEFo ) Ich hätte Edward ewig so beobachten können. Das ruhige Auf und Ab seines Brustkorbs, die gleichmäßige, stete Atmung, der friedliche Ausdruck auf seinem Gesicht… Seine bronzenen Haare, die nun im fahlen Außenlicht in einem dunklen Kupfer schimmerten, waren schon fast getrocknet und einige Spitzen fielen ihm ins Gesicht. Behutsam strich ich sie zur Seite, immer darauf bedacht, ihn nicht aufzuwecken. Wenn ich wieder an vorhin dachte, kam mir mein Verhalten so lächerlich vor. Edward hatte selbst gesagt, dass er es langsam angehen wollte. Schon vor diesem Abend. Ich hatte keinen Grund, ihm nicht zu vertrauen. Ganz im Gegenteil. Wenn ich all die Dinge aufzählte, die er schon für mich getan hatte, konnte man nur zu dem Schluss kommen, dass ich ihm wichtig war. Sehr sogar. So wichtig, wie er für mich. Ich liebte ihn und je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde die Erkenntnis, dass auch er das tun musste. Dass er mich liebte. Zwar hatte ich es noch nicht direkt von ihm gehört, doch plötzlich war es die einzige Erklärung, die ich für sein Verhalten finden konnte. Mein Herz schwoll an, je mehr ich diesen Gedanken verinnerlichte. Auf einmal stahl sich ein kleines, ironisches Lächeln auf meine Lippen. Charlie misstraute Edward so sehr und ich war mir sicher, dass er unsere Beziehung nicht guthieß. Zu suspekt kam ihm mein Freund vor, nicht zuletzt wegen dessen rauer Vergangenheit. Wenn es nach meinem Dad ging, hätte ich mich womöglich schon längst von Edward trennen müssen. Als wenn ich das je könnte… Selbst wenn ich es wollte, ich war zu abhängig von ihm. Ich brauchte ihn und seine Nähe, seine Art, wie er mich ansah und mir das Gefühl gab, das Kostbarste auf der Welt zu sein. Ich fühlte mich bei ihm geborgen. Mehr als irgendwo sonst. Außerdem lagen seine dunklen Tage hinter ihm. Er hatte ihnen abgeschworen, er hatte sich geändert. Es konnte also nur noch besser werden. Bessere Tage würden kommen. Nein, bessere Tage waren schon längst gekommen und ich war ein Teil von ihnen. Ich war ein Teil von Edward. Egal wie die Zukunft aussehen mochte, ich würde ihn auf seinem Weg begleiten… Mein Lächeln wurde breiter und sachte folgten meine Fingerspitzen seinen Konturen, strichen über seine Stirn, zogen eine Linie, angefangen an der Stelle zwischen seinen wohlgeformten Augenbrauen, bis hinunter zu seiner Nasenspitze. Ich zeichnete die Form seiner Lippen so dezent nach, dass ich selbst nicht ganz sicher war, ob meine Finger seine weiche, warme Haut überhaupt berührten. Doch ich fühlte, wie sein warmer Atem durch die Zwischenräume meiner Finger glitt und sogar meinen Handrücken kaum merklich streifte. Einige Härchen auf meinem Unterarm richteten sich auf… Er atmete tief ein und ehe ich mich versah, hatte er seine Hand unter seiner Wange hervorgezogen und meine ergriffen. „Bella…“, murmelte er und im ersten Augenblick dachte ich, er sei aufgewacht. Dann jedoch seufzte er im Schlaf und rutschte mit seinem Kopf einige Millimeter nach vorn. Seine Augen waren noch immer geschlossen. Sein Griff war sanft und zugleich so fest, dass ich nicht sicher war, ob ich mich überhaupt befreien hätte können. Ich legte meinen freien Arm auf die Kante des Sofas und ruhte meine Wange darauf. Sein Gesicht war mir jetzt so nah… Ich schloss ebenfalls meine Augen und konzentrierte mich auf seine Hand, die meine hielt; lauschte seiner Atmung. Das beständige Trommeln der Regentropfen gegen die Scheiben machte mich schläfrig. Ich bemerkte, wie mich die Müdigkeit langsam übermannte und mein Körper sich dem Gefühl bereits ergeben wollte. Noch einmal streichelte mein Daumen über seine Finger, ehe mein Bewusstsein in eine andere Welt versank. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Habt ihr es genossen? Das war nämlich definitiv das letzte ruhige Kapitel. Ab dem nächsten geht´s turbulent zu...hehe... Kapitel 27: J wie Jasper - J wie Jason - J wie Joseph - J wie … --------------------------------------------------------------- Hehe... Schneller als gedacht, was? ;) Noch zwei kleine Dinge: 1. Vielen, vielen lieben Dank für die Nominierung dieser FF beim Fanfiction-Emmy. Ich hab mich wirklich gefreut...*-* 2. Nochmal ein ganz großes Dankeschön an eure tollen Reviews und für über 14o Favos zu dieser Story! Okay, das wollte ich nur loswerden. Jetzt wünsch ich euch viel Spass. Donna Summer - Sand On My Feet http://www.youtube.com/watch?v=yeL2tb4J6KM ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die letzten Schatten meines Traums verblassten vor meinen geschlossenen Augenlidern. Mit jeder Sekunde, die ich wacher wurde, vergaß ich ein Stück davon. Eigentlich wollte ich gar nicht aufwachen. Mich wunderte jedoch, dass einige Dinge aus meinem Traum bestehen blieben. Vor allem gewisse Empfindungen. So zum Beispiel fühlte ich mich immer noch geborgen und sicher, dazu kam, dass mein Körper angenehm warm eingebettet war. Nur eines passte nicht in das Bild, in dem ich mich gerade befand. Die beiden Stimmen, die sich im Flüsterton unterhielten. „Sind sie angezogen?“ fragte eine hohe, weibliche besorgt. „Erwartest du jetzt etwa, dass ich nachsehe?“ Definitiv eine männliche. Und sie kam mir bekannt vor. „Selbst wenn… was macht das schon?“ „Carlisle, er ist erst siebzehn!“ antwortete die Frau schockiert. „Er ist ein Mann.“ „Sie ist erst siebzehn!“ Die männliche Stimme schmunzelte. „Schatz, die Zeiten haben sich geändert…“ „Und das auf dem Bad-“ „Hat nichts zu bedeuten“, unterbrach er sie mit festem Ton. Die Frau schien nicht überzeugt. „Trotzdem sind sie noch Kinder.“ „Die weitaus erwachsener sind, als so manch anderer. Und im Fall der Fälle würden sie bestimmt genug Verantwortung zeigen. Da bin ich mir sicher“, entgegnete er in einem Ton, der das Thema beendete. Die Frau seufzte resigniert. „Warum musste unser Flug auch storniert werden…“ Der Mann lachte leise. „Komm, lass sie schlafen.“ Kaum wahrnehmbare Schritte waren zu hören, wie sie sich entfernten und bald darauf war alles wieder still. Allerdings nur für ein paar Sekunden. Direkt hinter mir fing plötzlich jemand an, in sich hineinzulachen. Ein kleiner Schauer lief mir über den Rücken, weil er so dicht war, dass sein Atem meinen Nacken streifte. So langsam kehrte auch die Erinnerung zurück und mir fiel wieder ein, wo ich mich befand. Oder besser gesagt, wo ich mich eigentlich befinden sollte. Nämlich direkt vor der Wohnzimmercouch in Edwards Haus - auf dem Boden. Doch stattdessen lag ich auf etwas weichem, während mich auch etwas weiches bedeckte. Noch dazu war ein Arm um meinen Bauch geschlungen. Langsam betastete ich ihn vom Ellenbogen an, bis meine Finger die seinen erreicht hatten. Als Reaktion auf meine Berührung wurde meine Hand ergriffen und gestreichelt, der Arm selbst zog mich noch etwas enger an seinen Besitzer. Ich drehte meinen Körper halb nach hinten, konnte aber nicht wirklich etwas erkennen. Nur dass ich auf dem Sofa lag, bemerkte ich. „Guten Morgen“, flüsterte mir eine vertraute Stimme leise und ein bisschen verschlafen ins Ohr. Edward… „Morgen…“, antwortete ich aus reinem Reflex, viel mehr beschäftigte mich das Gespräch, das ich eben mit anhören durfte. Da ich noch gar nicht richtig wach war, musste ich selbst erstmal nachsehen, ob ich meine Sachen tatsächlich noch anhatte. Vorsichtig hob ich die Decke, mit der wir scheinbar zugedeckt wurden, hoch und atmete anschließend erleichtert aus. Ja, ich hatte meine Klamotten noch an. Aber wie war ich auf die Couch gekommen? Eingeschlafen war ich definitiv auf dem Boden. Und was war mit Roxy? Zwischen uns lag sie nicht. Das hätte ich gespürt. „Beschäftigt dich irgendwas?“ murmelte Edward, kuschelte sich noch ein bisschen dichter an mich und machte den Eindruck, als wolle er gleich wieder einnicken. „Na ja… Ich wundere mich nur… Hast du mich aufs Sofa geholt?“ „Nein. Ich dachte, du hättest dich von allein neben mich gelegt.“ Wirklich interessieren tat ihn das Thema nicht, so wie er sich anhörte. Schlummern schien ihm wichtiger. Zugegeben, eigentlich war es auch egal. Die Situation war viel zu schön, als dass ich die Stimmung jetzt mit meiner Neugier verderben musste. Viel angenehmer war es, sie noch ein bisschen auszukosten und zu genießen. Ich wachte schließlich nicht alle Tage neben meinem Freund auf. Ich grinste in mich hinein und schloss meine Augen wieder, während ich meinen Kopf ein klein wenig in seine Richtung drehte, bis meine Wange seine Nasenspitze berührte. Er strich mit ihr ein paar Mal über meine Haut und seufzte. Meine Atmung glich sich seiner ruhigen an und langsam fiel ich zurück in einen Dämmerschlaf. Der allerdings nicht länger als ein paar Minuten dauerte, denn genau in diesem Moment wurde uns die Decke vom Leib gerissen. Automatisch stieß ich einen spitzen Schrei aus, zog die Beine an und murrte dann vor mich hin. „Aufstehen, ihr Turteltauben. Der frühe Vogel fängt schließlich den Wurm“, plärrte eine brummige Stimme und drohte, mein Trommelfell zu zerplatzen. Edward hinter mir vergrub sein Gesicht zwischen meinen Schulterblättern und grummelte. „Emmett, ich bring dich um.“ „Ach was, vergiss nicht, dass du heute Baseballtraining hast“, lachte sein Bruder neckisch. „Erst am Nachmittag. Und jetzt gib uns die Decke wieder, sonst werd‘ ich wirklich sauer.“ „Keine Chance, Eddy.“ Plötzlich richtete Edward seinen Kopf auf und sah Emmett finster an. „Ich warne dich.“ Emmetts Augen wurden schmal und er gluckste triumphierend. „Das schüchtert mich nicht ein. Ich war dir schon immer überlegen, erinnerst du dich?“ „Ich glaube, du verdrehst da ein paar Tatsachen.“ Edward war mittlerweile schon halb auf den Beinen. Es fehlte nicht mehr viel und er wäre von der Couch gesprungen. Ich beobachtete das Szenario mit Adleraugen. Die beiden in so einer… doch recht kindischen Unterhaltung zu erleben, war ungewohnt. Aber dennoch lustig. Ich musste kichern. Edward sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem schiefen Lächeln an. „Und was findest du so amüsant?“ „Nichts“, gab ich mit meinem unschuldigsten Lächeln zurück. „Na warte…“ Edward hatte sich innerhalb von Sekunden auf meine Beine gesetzt und fing jetzt an, mich zu kitzeln. „Ah, hör auf!“ brachte ich immer wieder durch mein Lachen hervor, doch keine Besserung lag in Sicht. Ich krümmte mich, um seinen Griffen zu entgehen, aber nichts half. „Außerdem solltest du mir dankbar sein“, meldete sich Emmett wieder zu Wort und lächelte selbstsicher. „Muss ich das verstehen?“ Edward stoppte und sah ihn stirnrunzelnd an, während ich mich langsam wieder beruhigte. „Ed, man lässt seine Freundin nicht einfach auf dem Boden schlafen. Unsere kleine Bella hier wäre womöglich noch erfroren, wenn ich sie nicht zu dir gelegt hätte…“ Der große Bruder bedachte den kleinen mit einem vorwurfsvollen Blick. Meine Augen weiteten sich bei seinen Worten und rasch sah ich nach unten, um meinen roten Kopf zu verbergen. Emmett musste uns so vorgefunden haben, als er von seinem Date zurück war und hatte Roxy anscheinend dabei ins Bett gebracht. Edward erwiderte nichts… und wie es aussah, konnte er das auch nicht. Emmett schüttelte theatralisch den Kopf und machte Anstalten, das Wohnzimmer zu verlassen. Kurz vor der Tür drehte er sich noch einmal um und grinste. „Beeilt euch mit dem Anziehen. Esme bereitet schon das Frühstück vor.“ Ich zog die Stirn kraus und sah zu Edward. Der verdrehte nur die Augen und ließ sich mit einem Stöhnen langsam zurück auf die Couch und halb auf mich fallen. Dieser Morgen war seltsam. Ich fühlte mich seltsam. Nach gestern Abend und meiner mehr oder weniger eigenhändigen Erkenntnis fühlte ich mich leichter, ausgeglichen und irgendwie beflügelt… als wäre eine Last von mir gefallen. Ich konnte meine… Beziehung - wie sich das anhörte - mit Edward in vollen Zügen genießen. Es tat einfach gut. Es machte mich glücklich. „Bella?“ murmelte Edward nach einer Weile im Halbschlaf. „Hm…?“ „Hättest du Lust, morgen nach dem Spiel mit mir auszugehen? So eine Art erstes Date…“ Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte, so leise hatte er es in seinem Halbschlaf genuschelt. Doch mein Herz pochte sofort schneller. „Erstes? Aber das gestern Abend-“ „War kein richtiges“, beendete er meinen Satz. „Sondern nur Babysitten…“ Mein Magen schien Purzelbäume zu schlagen, so aufgeregt war ich auf einmal. „Okay…“, flüsterte ich langsam. „Schön…“ Nachdem er dieses eine Wort mit einem Lächeln gemurmelt hatte, fiel er ganz offensichtlich zurück in seinen Schlummerzustand. Ob er später wohl noch wissen würde, was er mich gerade gefragt hatte? Ich hoffte es, sonst würde es ziemlich peinlich werden, ihn darauf anzusprechen. Ich schloss meine Augen, um das Gefühl, das sich gerade in mir ausbreitete, noch ein bisschen zu verinnerlichen und mir schon vorzustellen, wie der morgige Abend aussehen könnte. Die Minuten vergingen, in denen ich selbst halb einschlief. Bis mir wieder einfiel, dass ja jemand auf uns wartete. Ich seufzte leise. „Na komm, Emmett hat Recht“, wisperte ich und drehte mich zu Edward. Er lag auf dem Bauch und hatte sein Gesicht in meine Richtung gewandt. Die Augen waren geschlossen. Ein spitzbübisches Grinsen stahl sich auf meine Lippen. Ich säuselte ihm ein „Sonst mach ich da weiter, wo ich gestern aufgehört hab“ ins Ohr und fuhr mit meinen Fingern den Saum seiner Boxershorts entlang. Abrupt hob er seinen Kopf, doch den erhofften schockierten Ausdruck erkannte ich nicht darin. Stattdessen stützte er seine Arme zu meinen beiden Seiten ab und lächelte verschlagen. „Denk nicht, dass mich das nicht reizen würde, oder dass du meine Geduld überstrapazieren kannst. Die meisten Männer sagen da nicht zweimal Nein.“ Mein Herz schlug höher, aber meine Augen verengten sich. So einfach würde ich ihm den Sieg dieses Mal nicht überlassen. „Wie gut, dass ich nicht mit den meisten Männern zusammen bin“, grinste ich selbstsicher. Er schmunzelte ergeben und senkte sich zu mir hinunter, um mir einen zarten Kuss auf die Lippen zu drücken. „Das war das erste Frühstück… Und das zweite holen wir jetzt nach.“ Damit stieg er vom Sofa und hob mich gleich danach auf seine Arme. Etwas überwältigt von dieser Tat schlang ich ruckartig meine Hände um seinen Nacken, um einen gewissen Halt zu bekommen. Dabei musste ich kichern und das schlimme war, es wollte einfach nicht aufhören. Ich fühlte mich einfach pudelwohl. Sogar Edward fing leise an zu lachen. Im Flur stellte er mich dann auf meine Füße, damit ich mir meine Sachen holen und mich im Bad fertig konnte. Da stand ich nun, betrachtete mich im Spiegel und konnte das Grinsen nicht abstellen… Verdammt! Bis ich allerdings etwas Gravierendes entdeckte… und die Panik in meine Züge kroch. Ich lehnte mich dichter an den Spiegel und legte zwei Fingerspitzen auf eine Stelle an meinem Hals, um sie etwas glatter zu ziehen. Genau dort befand sich ein Fleck, dessen Farbe so gar nicht zum Rest meines Teints passen wollte. Nein, er war sehr viel dunkler und leuchtete in einem kräftigen Rosé. Vorsichtig strich ich über die Stelle. Ich war wie erstarrt… und zwiegespalten. Einerseits gefiel es mir irgendwie, meinen ersten Knutschfleck zu haben, andererseits fand ich es peinlich, ihn so in der Öffentlichkeit zu zeigen… Verzweifelt suchte ich nach einer Lösung für das Problem. Ob sich hier irgendwo Make-up befand? Edwards Mutter musste doch bestimmt etwas zum Abdecken aufbewahren, oder? Entgegen meinen Erwartungen wurde ich aber nicht fündig, bis mir allerdings eine Idee kam. Hatte ich nicht einen dünnen Sommerschal eingepackt? Wie gut, dass ich meine Tasche dieses Mal mit ins Bad genommen hatte. Hektisch durchsuchte ich jedes Fach darin und hatte am Ende tatsächlich gefunden, was ich suchte. Erleichtert atmete ich aus. Als ich dann endlich soweit fertig war - und sichergestellt hatte, dass man dieses Ding nicht mehr sehen konnte -, packte ich auch noch die Kleider, die ich gestern zum Trocknen hier aufgehängt hatte, zurück in die Tasche. Ich wusste nicht, ob Edward selbst schon soweit war, deshalb ging ich einfach in die Küche. Entweder würde er dort sein, oder aber nachkommen. Zu meiner Überraschung fand ich aber keinen einzigen Menschen dort. Hatte Emmett nicht behauptet, seine Mom würde das Frühstück vorbereiten? Gerade als ich die Küche wieder verlassen wollte, kam jemand aus einer Tür rechts von mir. „Ah, Bella. Lange nicht gesehen, was? Du suchst bestimmt die anderen“, meinte Dr. Cullen mit einem warmen Lächeln. Das letzte Mal, als ich ihn getroffen hatte, musste er sich eine Lüge für Edward und mich ausdenken, weil wir unabsichtlich im Baseballstadion eingeschlossen und erwischt wurden. Das letzte Mal, als ich ihn gehört hatte, war vorhin gewesen… Das Gespräch mit seiner Frau. Wenn ich daran dachte, fingen meine Wangen an zu glühen. Ich nickte schnell, als ich sah, dass er auf eine Antwort wartete. „Hallo, Dr. Cullen. Ja, das stimmt.“ „Hier ist es etwas zu eng für so viele Personen“, erklärte er und deutete auf den Eingang, aus dem er gerade gekommen war. „Wir frühstücken im Esszimmer. Geh einfach schon mal vor.“ Ich bedankte mich noch bei ihm und tat dann, wie mir geheißen. Der Raum musste gleich ans Wohnzimmer grenzen, denn die Rückseite bildete hier ebenfalls eine Glasfront. Das Wetter hatte sich wieder gebessert, die Sonne schien in ihrer morgendlichen Intensität durch die Fenster. Genau davor war ein langer, ovaler Tisch aufgestellt, der nun reichlich bestückt war mit diversen Leckereien: Brötchen, Pancakes, Croissants, Marmelade, Sirup, Erdnussbutter, Milch, Orangensaft, Aufschnitt, Käse, Streichschokolade, Honig, Müsli, Obst und und und… In der Mitte stand ein bunter Blumenstrauß. Am Tisch selbst saß noch niemand, dafür wuselten aber zwei Personen um ihn herum. Das eine war Emmett und das andere musste… Edwards Mom sein. Ich hatte sie bisher noch nie gesehen. Sie war ungefähr genauso groß wie ich, die langen, schokobraunen Haare fielen ihr in großen Wellen sanft auf die Schultern. Ihr Gang war der einer… Dame. Und doch hatte sie etwas mütterliches an sich. „Bella, da bist du ja!“ Emmett grinste mich freudestrahlend an - aus irgendeinem Grund hatte er schon den ganzen Morgen überschwängliche Laune -, was sofort die Aufmerksamkeit seiner Mutter auf mich lenkte. Ein warmherziges Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie einen Stapel Teller abstellte und mit offenen Armen auf mich zukam, um mich ebenfalls herzlich zu empfangen. Und noch einmal kam mir das belauschte Gespräch mit ihrem Mann in den Sinn. Abermals wurden meine Wangen rot. Sie hingegen ließ sich nichts anmerken. „Hallo, Bella. Schön, dass ich dich auch endlich einmal kennen lerne. Edward hat schon soviel von dir erzählt.“ „Was hat er denn so erzählt?“ wollte ich wissen, bekam aber keine richtige Antwort. Edward selbst packte mich in diesem Moment von hinten bei den Schultern und flüsterte „Nur das Beste“ in mein Ohr, ehe er seine Lippen flüchtig auf meine Wange legte. Kurz darauf tauchte auch sein Vater wieder auf. Ich war etwas nervös, jetzt vor Edwards gesamter Familie zu stehen. Gut, zwei von ihnen hatte ich schon vorher einzeln getroffen, sie jetzt aber alle auf einem Fleck zu wissen, war merkwürdig. Die Vorstellung, mich auf irgendeine Weise zu blamieren und einen schlechten Eindruck bei ihnen zu hinterlassen, war furchtbar. Edward bugsierte mich Richtung Tisch und setzte sich neben mich, wobei er meinen Stuhl so dicht wie möglich an seinen zog. Ich schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln, das er gleich darauf erwiderte. Emmett und seine Mom saßen uns gegenüber, Dr. Cullen hatte am Kopfende Platz genommen. Wie mir erzählt wurde, war Roxy bereits in der Schule. Im Gegensatz zu unserer High School hatte ihre heute nämlich nicht geschlossen. Während Mr. und Mrs. Cullen sich angeregt unterhielten, hatte Edward sich ganz und gar mir gewidmet. Er ließ es sich auch nicht nehmen, mir ein Marmeladentoast zuzubereiten. Ich musste kichern, als er sich zu mir beugte und es mir vor die Nase hielt, bis ich endlich eine Ecke abbiss. Von unserer Umgebung nahmen wir relativ wenig wahr, dann allerdings schreckte uns ein Piepen hoch. Neugierig schauten wir in die Richtung, aus der es kam. Dr. Cullen holte, wie es aussah, einen Pager aus seiner Tasche und las die kleine Notiz auf dem Digitalfeld. Er seufzte. „Tut mir Leid, aber wie es scheint, brauchen sie mich im Krankenhaus.“ Mit diesen Worten stand er auf, gab seiner Frau einen schnellen Kuss und verabschiedete sich von uns. Bevor er das Esszimmer verließ, bedachte er mich noch einmal mit einem freundlichen Nicken. „Bella? Ich hoffe, wir sehen uns bald mal wieder.“ „Ich auch.“ Mrs. Cullen schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf. „Nicht mal in Ruhe frühstücken lassen sie ihn.“ Es klang weniger bitter, als ich es erwartet hatte. Als würde sie die Störung tolerieren. Andererseits wusste sie ja eigentlich von Anfang an, worauf sie sich einließ, als sie ihn geheiratet hatte. „Wann seid ihr eigentlich nach Hause gekommen?“ fragte Edward sie. „Wir waren ziemlich lange wach und da wart ihr immer noch nicht zurück.“ Mrs. Cullen schmunzelte. „Wie auch. Wegen dem Sturm wurde unser Flug storniert. Wir haben euch eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Habt ihr sie nicht gehört?“ Edward runzelte die Stirn. „Nein…“ „Ich hab sie heute morgen um halb Drei abgehört“, meinte Emmett plötzlich und dippte sein Croissant genüsslich in den Schokoladenaufstrich. Wir drei starrten ihn an. Bevor aber überhaupt jemand was sagen konnte, klingelte es auf einmal. Irgendwo im Haus läutete ein Telefon. „Ich geh schnell“, sagte Mrs. Cullen und verschwand. Edward und ich wandten uns wieder zu Emmett. „Kann es sein, dass du zu wenig Schlaf hattest, oder was ist heute mit dir los? Du bist irgendwie völlig überdreht“, neckte mein Freund seinen Bruder. Em grinste ihm spitzbübisch entgegen, ließ aber kein einziges Wort über seine Lippen gleiten. Das jedoch stachelte Edward nur noch mehr an, während seine Augen schmal wurden und er sich nach vorne lehnte. „Ist bei deiner Verabredung gestern was interessantes passiert?“ „Sagen wir so: Ich befinde mich auf Erfolgskurs.“ Um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen, zeichnete er mit seinem Arm eine steile Kurve in die Luft. „Ich meine, habt ihr schon mal ein Mädel getroffen, das sich mit Autos auskennt und wie der helle Wahnsinn aussieht?“ Meine Mundwinkel zuckten bei soviel Euphorie nach oben. Edward erging es nicht anders. „Wie es aussieht, hat da jemand den Treffer versenkt“, stellte er fest und wandte sich seinem Frühstück zu. Der Grizzly setzte ein bedeutungsvolles Grinsen auf. „Oh, soweit wie ihr sind wir noch nicht.“ Edward lehnte sich zurück und hob eine Augenbraue. Kurz huschte sein Blick in meine Richtung. „Ich… weiß gerade nicht, was du meinst.“ Emmett lachte mit seiner tiefen Bärenstimme und sah seinem Bruder dann tief in die Augen. „Ed, ich kann Eins und Eins zusammenzählen. Deine Klamotten auf der Hollywoodschaukel… ihre im Badezimmer…“ Nein! Wenn ich mich recht erinnerte, hatte meine Unterwäsche auch dort gehangen. Wieso war mir nicht früher in den Sinn gekommen, dass sie ja für jedermann sichtbar war? Gott, kann mich mal jemand erschießen? Wie passend, dass man in solchen Momenten immer etwas zu trinken im Mund haben musste. Um der Peinlichkeit zu entgehen, alles über dem Tisch zu verteilen, würgte ich die Flüssigkeit hinunter… und verschluckte mich prompt. Ich bekam einen dermaßen starken Hustanfall, dass man meinen könnte, ich stünde kurz vorm Sterben. Edward klopfte mir ein paar Mal sachte aber bestimmt auf den Rücken. „Emmett, ich glaub-“, fing Edward an, wurde aber plötzlich von seiner Mutter unterbrochen. „Edward? Kommst du bitte kurz ans Telefon?“ Überrascht sahen wir auf. Mein Freund schaute mich fragend an. „Geht´s wieder?“ Ich nickte, woraufhin er sich erhob und mich mit seinem Bruder allein zurückließ. Mindestens eine Minute verging, die eine Ewigkeit zu dauern schien und in der keiner von uns beiden etwas sagte. Als wäre nichts passiert, widmete ich mich mit aller Konzentration meinem Essen. Emmett sah ab und zu von seinem Frühstücksteller auf und schmunzelte, wenn er meinen Blick traf. Na wunderbar… Vielleicht sollte ich selbst einen Versuch starten, die Sache richtig zu stellen. Ich ordnete meine Gedanken und holte tief Luft, um mich auf die Art ein bisschen zu beruhigen. „Also, was Edward sagen wollte, war bestimmt-“ „Ihr müsst euch bei mir wegen nichts entschuldigen“, konterte er augenzwinkernd, ohne mich überhaupt ausreden zu lassen. „Das ist das natürlichste auf der Welt. Die Abwesenheit unserer Eltern auszunutzen, ist doch kein Verbrechen.“ Hastig schüttelte ich meinen Kopf. „Nein, du verstehst das falsch. Wir haben nicht… Also, es ist nicht so, wie du denkst…“ Während ich vergeblich nach den richtigen Worten suchte, amüsierte er sich über meine Nervosität. Als Edward jedoch mit bestürzter Miene ins Zimmer gestürmt kam, wurde es blitzartig still. Seine Mom stand mit sorgenvollem Blick hinter ihm. „Bist du soweit fertig?“ fragte er mich hektisch. „Ja…?“ Vollkommen überrumpelt von seiner Eile ließ ich mein Toast auf den Teller fallen und machte Anstalten aufzustehen. „Stimmt was nicht? Ist irgendwas passiert?“ „Das eben war Alice. Jasper liegt im Krankenhaus.“ Es dauerte keine zehn Minuten, da befanden wir uns bereits in Edwards Auto. Sein Tempo trug nicht gerade zu meinem Wohlbefinden bei, weil ich aber wusste, dass Edward so schnell wie möglich bei seinem Teamkollegen sein wollte, verkniff ich mir meinen Kommentar. Außerdem machte ich mir ja selbst Sorgen um diesen. Den Großteil der Fahrt über herrschte bedrückendes Schweigen. Nur einmal fragte ich nach, was genau passiert war. Alice hatte wohl erzählt, dass Jazz gestern Abend von einem Auto angefahren worden sei und nun einen gebrochenen Arm hatte. Bei dieser Information atmete ich erleichtert aus, denn würde sie sich bewahrheiten, hieß das, Jasper hatte keine weiteren Verletzungen davon getragen. Ich hoffte inständig, dass es ihm soweit gut ging. Als wir am Krankenhaus ankamen, nahm mich Edward bei der Hand und sprintete regelrecht die Flure entlang, bis wir letztendlich in der chirurgischen Abteilung landeten. An der Rezeption erkundigten wir uns nach einem Jasper Whitlock und nachdem die Dame am Empfang leicht überfordert in ihrem Computerprogramm gesucht hatte - und Edwards Nerven somit aufs äußerste reizte -, konnten wir uns endlich auf den Weg zu Raum C312 machen. Vor der Tür blieben wir stehen. Edward atmete tief durch und ich strich ihm beruhigend über den Handrücken, obwohl ich selbst ziemlich aufgeregt war. Dann klopfte er. Ein leises „Herein“ war auf der anderen Seite zu hören. Vorsichtig öffneten wir die Tür und blickten in den Raum; das schlimmste erwartend. „Bella!“ Ein kleines Mädchen mit kurzen, schwarzen Haaren und einem freudigen Lächeln auf den Lippen kam auf mich zugetänzelt und umarmte mich. Ich musste zweimal hinsehen, um sicher zu sein, dass es auch wirklich Alice war. Ich war wie versteinert, hatte ich doch erwartet, ein etwas dramatischeres Szenario vorzufinden. Doch Alice‘ Laune passte so gar nicht hierher. Nicht, nachdem was Edward mir erzählt hatte. Ich blickte über ihre Schulter und sah Jasper in einem Krankenbett liegen. Sein rechter Arm war bis zur Schulter im Gips und lag in einem meiner Meinung nach unnatürlichen Winkel neben seinem Körper. Dass er so überhaupt liegen konnte. Er lächelte uns kraftlos entgegen und Edward ging sofort auf ihn zu. „Mensch, Jazz! Was machst du denn nur für einen Blödsinn?“ neckte er seinen Teamkollegen. Die Sorge, die ihn noch vor ein paar Minuten komplett beherrscht hatte, überspielte er nun mit einem schwachen Grinsen. Er war eindeutig froh, Jasper wach anzutreffen. Ebenso wie Edward holte ich mir einen Stuhl von einem gegenüberliegenden Tisch. Während er sich auf Jaspers rechte Seite setzte, ließ ich mich auf der anderen links neben Alice nieder. Kurz fiel mein Blick auf ihre Hand, die Jaspers hielt. „Wie geht´s dir?“ fragte ich ihn und musterte seinen gebrochenen Arm. „Ganz gut. Es ist ein glatter Bruch. Die Ärzte meinen, es wird schnell verheilen.“ Mit einem entschuldigenden Blick zu Edward fügte er noch hinzu: „Tut mir Leid, dass ich euch morgen so im Stich lasse.“ Edward schüttelte den Kopf und lachte. „Mach dir da mal keine Gedanken. Das schaffen wir schon. Werd‘ du lieber schnell gesund, damit du beim nächsten Match dabei sein kannst.“ Auch wenn er ein heiteres Gesicht aufgesetzt hatte, die Anspannung konnte er nicht ganz hinter dieser Fassade verstecken. Es war nicht schwer sich vorzustellen, wie er sich fühlte. Die Probleme mit Tayk waren schon nicht einfach, aber jetzt auch noch einen wichtigen Spieler zu verlieren, musste ihm ganz schön zusetzen. Zumal Jasper mehr oder weniger der Motivationstrainer des Teams war. Dieser ließ sich übrigens ebenso wenig von Edwards aufgesetztem Mienenspiel täuschen wie ich, schien aber selbst nicht richtig zu wissen, wie er ihm Mut zusprechen konnte. „Wisst ihr“, fing ich an und blickte aufmunternd zu den beiden. „Vielleicht gibt es ja noch eine andere Möglichkeit, den Kampfgeist eures Teams zu stärken.“ Zwei gerunzelte Stirnen schauten mich fragend an - nein, drei. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Alice. „Bei der Strandparty“, fuhr ich fort. „Hab ich euch doch von meinem Stiefvater erzählt. Phil Dwyer. Und ihr hattet mich gefragt, ob er nicht vielleicht zu eurem Spiel kommen könnte.“ Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien Edward herausgefunden zu haben, worauf ich hinaus wollte. Wirklich überzeugt sah er aber nicht aus. „Ich glaube, ich weiß, was du vorhast und es ist wirklich nett gemeint, aber ich fürchte, das wird nichts. Das Match findet schon morgen statt. Es ist viel zu kurzfristig, ihn jetzt noch danach zu fragen. Es ist ja nicht so, dass er auf so einen Anruf wartet. Er ist Profilspieler und hat sicher viel wich-“ „Edward, warte mal“, unterbrach ich ihn schnell. „Du hast mich gar nicht ausreden lassen. Du kannst also gar nicht wissen, was ich sagen wollte.“ Während er mich verwirrt musterte, grinste ich ihn geheimnisvoll an. „Du hattest also nicht vor, ihn zu bitten, sich das Spiel anzusehen?“ vergewisserte er sich. „Doch. Genau das hatte ich vor.“ „Ja, aber dann-“ „Besser gesagt, ich hab es schon längst getan.“ Ich konnte sehen, wie konfus ihn meine Worte machten. Meine Mundwinkel schoben sich noch weiter nach oben. „Ich hab ihn schon danach gefragt und er hat zugesagt. Meine Mom und er sind für ein paar Tage in der Stadt. Das hatte ich dir schon mal erzählt, weißt du noch? Ich dachte mir, es wäre eine schöne Überraschung, wenn er Samstag plötzlich da auftauchen würde. Und vielleicht kann er ja ein paar Worte an eure Mitspieler richten. Ich bin mir sicher, dass sie sich dann noch mehr anstrengen werden.“ Für einen unendlich langen Augenblick war es still im Raum. Alice war die erste, die sich wieder regte. „Das hört sich doch wunderbar an, oder?“ lächelte sie den beiden Jungs entgegen. Wenn es darum ging, einzuschätzen, welchen Wert dieser kleine Besuch meines Stiefvaters hatte, dann stand die Schwarzhaarige eindeutig auf der Seite der Personen, die für sich persönlich überhaupt nichts damit anfangen konnten. Also auf meiner Seite. Allerdings hieß das nicht, dass wir keine Ahnung hatten, was es für Jasper und Edward bedeutete. Baseball war ihnen heilig, es war ihr goldener Gral. Und genau deshalb war mir auch klar, was gerade in ihren Köpfen vorgehen musste. „Bella…“, erhob Edward dann endlich das Wort und sprach bedacht langsam, ohne mich jedoch anzusehen. „Wenn wir jetzt allein wären…“ Nun schaute er unter seinen dichten Wimpern zu mir auf und setzte ein schiefes, viel sagendes Lächeln auf. Etwas zögerlich erwiderte ich es. Sein Blick glich dem eines ausgehungerten Raubtieres, das seine Beute fokussierte und kurz davor war, sie zu attackieren. Ich hatte mir alle möglichen Szenarien vorgestellt, wie er auf diese Neuigkeit reagieren könnte, diese war allerdings nicht dabei. Während Jasper neben uns leise lachte, grinste meine kleine Freundin nur. „Ich nehme mal stark an, dass Emmett noch nichts davon weiß“, meinte der Blonde. Edward drehte seinen Kopf zu ihm. „Oh, wenn er erfährt, dass Phil Dwyer zum Spiel kommt, gibt es für ihn garantiert kein Halten mehr. In dem Fall muss ich Bella wohl gut verstecken, damit sie seinem Dankeschön heil entgeht.“ „Mit Sicherheit“, stimmte Jazz lachend zu. „Hm?“ Ich wusste nicht so recht, wie ich seinen Kommentar deuten sollte. Edward wandte sich wieder mir zu. „Ich geb dir jetzt einen Rat, den du unter keinen Umständen missachten darfst. Auch mir zuliebe, schließlich will ich noch sehr lange was von dir haben… Wenn mein großer Bruder jemals das Gefühl bekommt, sich bei dir wegen irgendwas bedanken zu müssen, lass dich auf keinen Fall von ihm umarmen.“ Meine Augenbraue rutschte ungläubig nach oben. „Das hört sich an, als könnte er mir alle Knochen brechen.“ Anfänglich lachte ich noch über meinen eigenen kleinen Witz, als sich aber keiner der beiden Herrschaften dazu äußerte, schluckte ich. „Okay… ich werd´s im Hinterkopf behalten.“ „Sag mal, wo ist eigentlich deine Mom?“ fragte Edward nach ein paar Minuten, in denen sich wohl jeder vorgestellt haben musste, wie es war, von Emmett zu Brei gedrückt zu werden. „Wenn sich Alice bei ihr am Telefon genauso angehört hat wie bei mir, dann müsste sie doch schon längst das gesamte Krankenhaus verrückt machen.“ Jasper sah mit sowohl hochgezogener Braue als auch Mundwinkel zu Alice. „Was hast du den beiden erzählt? Dass ich im Sterben liege?“ Die Angesprochene machte ein Gesicht, als hätte sie keine Ahnung, auf was die beiden Jungs hinaus wollten. „Mrs. Whitlock war über Nacht schon hier. Sie wollte heute Abend noch mal vorbeischauen“, erklärte sie dann an meinen Freund gewandt. „Warte mal, wenn Jasper schon über Nacht angefahren wurde, wieso hast du uns dann erst heute Morgen angerufen?“ wollte ich wissen. Es war merkwürdig, dass sie sich damit soviel Zeit gelassen hatte. „Ich hab einmal auf Edwards Handy versucht anzurufen, aber es war aus. Und dann war mir eingefallen, dass ihr zusammen auf Roxy aufpasst. Ich wollte euch den Abend nicht verderben“, erwiderte sie entschuldigend. Plötzlich nahm Jasper in meinem letzten Kommentar auf etwas Bezug, das dem Gesicht der Elfe einen ertappten Ausdruck verlieh. Als wäre etwas ungewolltes ans Licht gekommen. „Also direkt angefahren wurde ich nicht…“ „Das hat Alice aber gesagt“, widersprach ihm Edward und sah erst ihn und dann meine Freundin an. Diese wich seinem Blick aus und presste ihre Lippen aufeinander. Irgendetwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht. Andernfalls würde sie nicht so reagieren. Das letzte Mal, dass ich sie so erlebt hatte, war an dem Tag gewesen, an dem sie diesen mysteriösen Blumenstrauß von Mr. J bekommen hatte. „Alice, was ist los?“ fragte ich sie vorsichtig. Sie lächelte mich an und schüttelte den Kopf. Ich kannte dieses Lächeln. Es war falsch. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Jasper ihre Hand sachte drückte. „Meinst du nicht, du solltest es ihnen langsam mal erklären?“ „Da gibt es nichts zu erklären, Jazz“, konterte die Schwarzhaarige leicht genervt. „Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Vermutlich bilde ich mir das alles auch einfach nur ein, weil ich ein bisschen zu paranoid bin und meine Eltern damals recht hatten, als sie meinten, ich hätte eine Schraube locker.“ „Alice“, erwiderte Jasper ruhig, aber bestimmt. Es war das erste Mal, dass ich ihn so… aufgebracht sah. Auf eine ruhige Art und Weise, wohlgemerkt. Man erkannte es nicht sofort. Gerade diese Beherrschung hatte eine beeindruckende Wirkung… Und brachte Alice letztendlich auch dazu, sich seinem Willen zu beugen. Für eine lange Zeit war es ruhig, während sich die beiden lange und intensiv ansahen - als führten sie eine stille Konversation. Schlussendlich ließ sie sich dann seufzend in ihren Stuhl zurückfallen. „Würde mal bitte einer von euch Klartext reden?“ Edward konnte seine Ungeduld scheinbar nicht länger für sich behalten. Jazz sah erwartungsvoll zu Alice, während diese tief Luft holte. „Er wurde nicht direkt von einem Auto angefahren. Es war so, dass der Fahrer irgendwie die Kontrolle über seinen Wagen verloren haben musste und auf den Bürgersteig zugerast ist. Jasper hat uns beide noch rechtzeitig aus der ‚Schusslinie‘ gezogen und ist dabei unglücklich mit dem Arm aufgekommen.“ Der Blonde im Krankenbett stöhnte. „Für mich sah es aber ganz danach aus, als hätte er absichtlich auf uns zugehalten.“ „So ein Quatsch“, widersprach Alice. „Wer sollte denn bitteschön so was idiotisches tun?“ „Dieser Stalker zum Beispiel?“ Alice schnaubte, doch Edward und ich waren jetzt vollends hellhörig. „Was für ein Stalker?“ „Niemand“, antwortete meine Freundin schnell, nur Jazz schien sich damit nicht ganz abzufinden. „Wenn du es nicht erzählen willst, dann tu ich das.“ Ein letzter abwartender Blick zur Elfe. Die allerdings verschränkte nur die Arme vor der Brust und schaute weg. „Na schön“, fing Jazz dann an und wandte sich zu uns. „Ihre Eltern waren nicht der einzige Grund, warum Alice weggezogen ist. Es gab da ein paar Vorfälle, die… sie in eine Art Außenseiterposition gezwängt haben. Und das alles nur, weil sie sich ein bisschen zu gut mit jemandem verstanden hat, den der Rest der Stadt nicht leiden konnte. Dieser Jemand-“ „Arbeitete in einer Psychiatrie“, unterbrach Alice den Kranken. Scheinbar hatte sie sich dazu entschlossen, ihre Geschichte doch selbst zu erzählen. Sie lehnte ihre Arme aufs Bett und verschränkte ihre Finger ineinander. „Sein Name war Samuel. Er war schon etwas älter, so um die Fünfzig und hat sein halbes Leben in dieser geschlossenen Anstalt gearbeitet. Das Gebäude stand etwas abseits unserer Stadt, ein bisschen versteckt durch jede Menge Bäume. Seit ich mich erinnern konnte, kursierten diverse Gerüchte, dort würde es nicht mit rechten Dingen zugehen… Daraus könnte man übrigens eine gute Geistergeschichte machen“, fügte sie schmunzelnd den letzten Part hinzu. Ich lächelte, wenn auch ungewollt. Als keiner weiter darauf einging, sprach sie weiter. „Jedenfalls haben viele Leute, vor allem die Älteren behauptet, Samuel sei für all das verantwortlich. Da ihm aber keiner etwas nachweisen konnte, blieb es eben bei Vermutungen… und bösen Blicken. Die Jüngeren, also wir, haben uns immer darüber lustig gemacht und dumme Witze gerissen. Ein paar Freunde von mir sind dann auf die Idee gekommen, eine Art Mutprobe durchzuführen. Und natürlich sollte die in dieser Psychiatrie stattfinden. Ich war die Erste, die sich ihr stellen musste, weil ich angeblich furchtloser als die anderen war - was vielleicht daran liegt, dass ich ein bisschen seltsam bin…“ Sie grinste und seufzte dann. „Lange Rede, kurzer Sinn. Dadurch hab ich Samuel halt kennen gelernt. Ihr könnt euch bestimmt vorstellen, dass Vorurteile den Leuten oft ein falsches Bild von jemandem zeigen. Samuel war überhaupt nicht so, wie alle immer behauptet hatten. Ganz im Gegenteil. Er war richtig nett. Ich hab mich auf Anhieb mit ihm verstanden. Er tat mir ein bisschen leid, weil er alleine war und sich alle immer von ihm ferngehalten haben. Deshalb hatte ich beschlossen, ihn öfter mal zu besuchen… Zuerst hatten sich meine Freunde nur gewundert und meinten, ich wäre nicht ganz dicht, mich mit diesem Verrückten abzugeben. Na ja, und ab diesem Zeitpunkt fingen dann die Merkwürdigkeiten an…“ Sie machte eine kurze Pause. Keiner von uns wagte es, auch nur einen Mucks von sich zu geben. „Ich hab dann plötzlich Geschenke bekommen. Die lagen entweder vor unserer Haustür, im Briefkasten, oder sogar in meinem Spint. Briefe, Schmuck, Blumen… Alle von einem gewissen J.… Den anderen in der Schule ist das natürlich aufgefallen. Zuerst beneideten mich alle wegen diesem Verehrer, obwohl ich selbst nicht besonders viel damit anfangen konnte. Es gab da einen Jungen namens Jason. Eher ein unscheinbarer Typ, der mir nie sonderlich aufgefallen war. Ein paar meiner Freunde vermuteten, dass er der geheimnisvolle Fremde ist, der für all diese Geschenke verantwortlich sei. Es hatte sich wohl herumgesprochen, dass er mich mochte…“ Wieder setzte sie zu einer Pause an, nur dieses Mal dauerte sie etwas länger. „Und dann?“ fragte ich leise nach. Sie schreckte hoch, als wäre sie eben noch tief in Gedanken gewesen. „Oh… na ja, sagen wir so… Er hatte einen Unfall und lag am Ende mehrere Monate im Krankenhaus.“ Meine Augen weiteten sich. Die Art, wie sie das sagte, war unheimlich. Als steckte mehr hinter dieser Aussage. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, was passiert ist. Da sind die Meinungen auseinander gegangen. Offiziell hieß es, er sei im Wald einen sehr steilen Abhang hinuntergestürzt. Weil es aber in der Nähe der Psychiatrie geschehen ist, wurde gemunkelt, Samuel hätte etwas damit zu tun. Ich fand das völlig absurd. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass er unschuldig war, aber es wollte keiner auf mich hören. In der Schule haben sie sogar behauptet, all meine Geschenke könnten auch von ihm sein. Was ich bis dato nicht wusste, war dass Samuels zweiter Name Joseph lautete. Zugegeben, für einen Moment hatte mich das unsicher gemacht. Als ich ihn dann aber darauf angesprochen hatte und er mir felsenfest erklärte, er hätte nichts mit dem Unfall zu tun, fühlte ich mich in meiner Meinung bestärkt, dass die Einwohner nicht mehr ganz dicht waren…“ Genervt verdrehte sie die Augen. „…Während ich ihn also weiterhin besuchte - und somit den Zorn meiner Eltern auf mich zog -, sind die Leute um mich herum immer mehr auf Distanz gegangen. In als auch außerhalb der Schule. Durch Zufall bekam ich mit, dass sie wohl Angst hatten, das nächste Opfer von Samuel zu werden, wenn sie sich weiterhin in meiner Nähe aufhielten“, schnaubte Alice verächtlich. „So was lächerliches… Auf jeden Fall stand ich am Ende ziemlich allein da. Ich wurde als Freak abgestempelt. Meine Eltern hielten mich für lebensmüde und versuchten mich mit allen Mitteln von Samuel fernzuhalten. Erfolglos natürlich. Ich hab immer wieder ein Weg gefunden, mich aus meinem Zimmer zu schleichen. Dummerweise war ihnen das irgendwann zuviel und sie waren kurz davor, mich auf ein Internat zu schicken. An dem Tag, als ich Samuel davon erzählen wollte, bin ich gar nicht mehr dazu gekommen, ihn zu besuchen. Es wimmelte bei der Psychiatrie nur so von Polizei. Ich hab dann erfahren, dass einer der Patienten verrückt gespielt hat und dass Samuel…“ Sie schluckte hart und sah uns dann lächelnd an. „Na ja, man könnte sagen, es war sein letzter Arbeitstag.“ So sehr sie es auch versuchte, sie konnte uns nichts vormachen. Ich entdeckte die kleine Träne in ihren Augenwinkeln und schlang meinen Arm um sie, um sie fest an mich zu drücken. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie anfangen würde zu schluchzen, doch nichts dergleichen geschah. Ich spürte nur an meiner Schulter, wie sie ein paar Mal tief einatmete. Jasper derweil hatte ihre Hand nicht losgelassen. „Wisst ihr, was das ‚Beste‘ daran ist?“ Es war eine rein rhetorische Frage und der Sarkasmus war deutlich herauszuhören. „Die Leute in der Stadt waren sogar froh über diesen Zwischenfall. Unglaublich…“ Ich hörte ein leises und bitteres Lachen von der kleinen Elfe. Etwas elfenhaftes konnte ich nur leider momentan überhaupt nicht an ihr entdecken. Bisher hatte sie immer einen starken und selbstbewussten Eindruck auf mich gemacht, aber jetzt wirkte sie so zerbrechlich, so unsicher. Ich wollte ihr helfen, nur wusste ich nicht wie. Alles was ich tun konnte, war sie im Arm zu halten. Es herrschte eine gedrückte Stimmung im Raum, in der jeder seinen Gedanken nachhing. Bis Edward nach langer Zeit wieder etwas sagte. „Was ist mit dem Patienten passiert?“ Alice zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich bin kurz darauf von zuhause weg. Wahrscheinlich haben sie ihn einfach nur wieder in seine Zelle gesperrt…“ „Und du denkst, das hat was mit deinem ‚Unfall‘ zu tun?“ meinte ich an Jazz gewandt, als mir das eigentliche Thema wieder in den Sinn kam. Außerdem wurde mir gerade bewusst, dass Alice schon vorher mit ihm darüber geredet haben musste. Er nickte. „Erst der Blumenstrauß, dann ihr Auto und jetzt das hier.“ Er hielt seinen Gipsarm ein kleines Stück in die Höhe. „Ihr Auto? Was soll denn damit gewesen sein?“ „Der Keilriemen war nicht gerissen. Er wurde durchgeschnitten“, beantwortete Edward meine Frage. Ich stutzte. Meinte er das etwa ernst? Wenn das stimmte, warum hatte er nicht schon damals was gesagt? Als ich die Erinnerung noch mal Revue passieren ließ, wurde mir jedoch klar, was womöglich der Grund dafür war. James Harper. Alice wand sich derweil aus meiner Umarmung und setzte sich gerade hin. Ein nervöses Lächeln lag auf ihren Lippen. „Ja, so was in der Art hat die Werkstatt auch festgestellt.“ „Du glaubst, der neue Lehrer steckt da mit drin, oder?“ sprach ich meinen Gedanken laut aus und suchte die Bestätigung in Edwards Blick. Alice‘ Kommentar von eben überraschte mich nicht sonderlich, zumal gewisse Experten in diesem Gebiet so etwas auf Anhieb erkannten - genauso wie der Großteil des männlichen Geschlechts. Dass ich aber die letzte war, die davon erfuhr, war irgendwie ärgerlich. Nur war jetzt nicht der richtige Augenblick, mich darüber aufzuregen. Mein Freund nickte bestimmt. „Er kam mir schon von Anfang an suspekt vor. Ich trau ihm keine fünf Meter über den Weg.“ „Ich ebenfalls nicht.“ Jasper nickte. „Meint ihr nicht, dass ihr da viel zu viel hineininterpretiert?“ warf Alice skeptisch ein. „Und nur weil er zufällig neu an unserer Schule ist, heißt das noch lange nicht, dass… na ja, dass…“ Wie es aussah, wusste sie selbst nicht so richtig, was sie eigentlich sagen wollte. Und ich wusste nicht, ob ich ihr oder meinem Freund zustimmen sollte. Natürlich war es falsch, einem wildfremden Menschen ohne Grund etwas zu unterstellen, bloß weil er eventuell zur falschen Zeit am falschen Ort war. Andererseits waren die kleinen, versteckten Hinweise langsam zu eindeutig, als dass man sie hätte ignorieren können. Stellte sich nur die Frage, wie man Alice davon überzeugen konnte. Es war merkwürdig. Als wäre ihr 'sechster Sinn' in diesem besonderen Fall getrübt. „Ich glaube kaum, dass du mir das alles erzählt hättest, wenn du nicht auch der Meinung wärst, irgendwas sei da faul.“ Jaspers Worte beendeten meine Überlegungen und lenkten meine Aufmerksamkeit wieder auf die kleine Schwarzhaarige, die gerade darüber nachdachte, wie sie ihm am besten antworten konnte. „Ich… hatte wahrscheinlich gehofft, dass du meine Zweifel bestätigen würdest und es als Humbug abtust? Und dass ich mir einfach nur was einbilde“, meinte sie dann. An Überzeugungskraft haperte es gerade ganz gewaltig. „Alice…“, mahnte Jazz. „Das ist doch Blödsinn. So viele Zufälle kann es nicht geben.“ „Ganz genau“, pflichtete Edward ihm bei. „Überleg mal, wie er dich immer ansieht, seit er hier ist; wie viel Aufmerksamkeit er dir schenkt. Nicht zu vergessen sein Nachhilfeangebot nach bereits einer Unterrichtsstunde.“ Alice hob auf einmal den Kopf, als wäre ihr etwas wichtiges eingefallen. „Oh mein Gott. Daran hab ich überhaupt nicht mehr gedacht. Das ist ja heute Nachmittag.“ Jetzt fiel es mir auch wieder ein. „Stimmt…“ Jaspers Miene wurde skeptisch und als hätte er gewusst, was mir im Kopf herumging, sprach er meine Bedenken aus. „Du hast doch wohl nicht vor, da hinzugehen.“ „Natürlich nicht. Ich kann dich ja schlecht allein hier im Krankenhaus lassen.“ „Ich bezweifle, dass Jazz das gemeint hat, Alice.“ Edwards Blick war fast schon anklagend. Die Angesprochene wirkte, als wollte sie kontern, doch anscheinend fiel ihr nichts ein. Sie blickte ihn stur an, tat dann so, als wäre sein Einwand belanglos und atmete tief durch. „Ich geh kurz zur Toilette. Auf dem Rückweg kann ich ja schnell Mr. Harper anrufen und die Stunde heute absagen.“ Ohne eine Antwort unsererseits abzuwarten, entzog sie Jasper ihre Hand und stand auf, um hastig das Zimmer zu verlassen. Wir starrten ihr hinterher. Ich wollte zuerst folgen, nur hatte ich plötzlich das Gefühl, ihr besser ein bisschen Zeit für sich zu lassen. „Sie ist nur etwas überfordert mit der Situation“, erklärte Jasper und sah noch immer zur Zimmertür, während Edward und ich unseren Freund musterten. „Ich kann es ihr nicht verübeln. Sie zieht weg von Zuhause, um all das hinter sich zu lassen und weil sie genug von diesen engstirnigen Kleinstadtidioten hat, und dann ist sie hier und alles fängt von vorne an.“ Ich war erstaunt, wie gut Jazz Alice schon einschätzen konnte. So lange kannten sie sich schließlich noch nicht. Aber hatte Edward nicht mal erwähnt, dass genau das Jaspers Talent war? Dass der Blonde ein Gespür für die Emotionen anderer hatte? „Kein Wunder, dass sie es nicht wahrhaben will“, stimmte mein Freund ihm zu. „Und was machen wir jetzt?“ fragte ich in die Runde. Zu wissen - oder zu vermuten -, dass offensichtlich jemand unsere Freundin verfolgte, war eine Sache, eine Lösung dafür zu finden, eine ganz andere. Die beiden Jungs sahen sich an, ehe Jazz etwas vorschlug. „Erstmal werden wir sie die nächste Zeit nicht aus den Augen lassen. Wenn es nicht zuviel verlangt ist, wäre es mir lieb, wenn sie für eine Weile bei dir übernachtet?“ Er sah mich an und sofort bejahte ich seine Bitte. „Kein Problem.“ „Und wir sollten den Lehrer genauer unter die Lupe nehmen“, meinte Edward nachdenklich. „Findest du nicht, wir sollten die Polizei in dem Fall drauf aufmerksam machen?“, meinte ich skeptisch. Nach Alice Geschichte konnte man nicht gerade behaupten, dieser Kerl sei ungefährlich. Mein Freund lächelte mich fast schon ironisch an. „Solange wir keine Beweise haben, können wir auf deren Hilfe verzichten.“ „Und was ist, wenn ich…?“ Mitten im Satz hielt ich inne. Eigentlich wollte ich vorschlagen, Charlie um Hilfe zu bitten. Wenn sich aber nun herausstellte, dass wir im Unrecht lagen und womöglich noch die falsche Person beschuldigten - vielleicht hatte Alice ja wirklich nur einen unbekannten Verehrer -, dann würde uns das erstens ziemlich blöd dastehen lassen und zweitens ein schlechtes Licht auf Edward werfen. Ich war mir sicher, dass mein Dad irgendeine Verbindung zwischen dem vermeintlichen Stalker und meinem Freund finden würde; einfach weil er ihm nicht traute. Am Ende wäre er noch der Meinung, irgendwelche kriminellen Freunde von ihm wären Schuld - falls er uns überhaupt glaubte. „Wenn du…?“ wiederholte Edward und wartete auf die Fortsetzung meines Satzes. Ich schüttelte meinen Kopf und winkte ab. „Schon gut. Hat sich erledigt.“ Misstrauisch analysierte er mein Mienenspiel, beließ es dann aber dabei. „Im Moment können wir eh nichts machen als abzuwarten“, seufzte Jasper. „Und hoffen, dass wir unrecht haben“, ergänzte ich frustriert. Edward sah mich an und lächelte versucht aufmunternd, machte dann aber einen zerknirschten Eindruck. „Und außerdem ist morgen noch das Spiel.“ „Apropos…“ Jazz sah auf die Uhr an der Wand. „Musst du nicht langsam zum Training? Es ist schon kurz nach Zwölf.“ Mein Freund hob den Kopf. Seine Augen weiteten sich, als er auf die Zeiger starrte. „Oh, verdammt! Wenn ich mich nicht beeile, komm ich zu spät.“ Hastig stand er auf. Aus einem Reflex heraus tat ich das ebenfalls. „Willst du jetzt sofort los?“ Er nickte und kam auf meine Seite. „Ich würde zwar lieber bei euch bleiben, aber irgendjemand muss sich ja um die Jungs kümmern. Und wenn ich ihnen erstmal erzähle, wer morgen kommen wird…“ Ein schiefes Lächeln zierte sein Gesicht. Er legte seine Hand an meine Wange und bedachte mich mit einem sehnsüchtigen Blick, ehe seine Lippen die meinen berührten und sie beinahe fanatisch an sich zogen. Nach einer schieren Unendlichkeit löste er sich erst wieder von mir. Während sein Daumen über meine Wange strich, behielt ich meine Augen noch eine Weile geschlossen, um den nachhallenden Geschmack des Kusses länger in Erinnerung zu behalten. Erst als Edward gluckste und Jasper sich räusperte, öffnete ich sie wieder - mit einem verlegenen Lächeln. „Jetzt tu bloß nicht so“, meinte Edward verschmitzt, an seinen Kumpel gewandt. „Ich will gar nicht wissen, was du gestern gemacht hast.“ Jazz hob unbeeindruckt eine seiner Augenbrauen, erwiderte aber nichts und grinste nebulös. Mir klappte die Kinnlade leicht nach unten. Ganz sicher würde ich Alice heute noch ausquetschen. Edward seufzte. „Na gut… Ich muss los. Wie kommt ihr später nach Hause?“ „Ich denke, ich bestell uns ein Taxi. Oder wir warten solange, bis Charlie von der Arbeit kommt. Dann kann ich ihn bitten, uns auf dem Heimweg mitzunehmen. Mal sehen“, antwortete ich ihm. Er nickte zufrieden. Schnell hauchte er mir noch einen Kuss auf die Stirn, bevor er sich von uns verabschiedete und das Zimmer verließ. Ich blickte ihm noch einige Sekunden hinterher, dann setzte ich mich zurück auf meinen Stuhl. Jasper und ich schwiegen, wobei ich ihn permanent anstarrte und nicht verhindern konnte, wie meine Mundwinkel verräterisch zuckten. Ich bemerkte, wie unwohl er sich unter meinem Blick fühlte, ab und an versuchte, ihm zu entgehen, letztendlich aber doch immer wieder zu mir sehen musste. „Was?“ fragte er dann endlich - und wenn ich mich nicht täuschte, leicht gereizt. „Was haben du und Alice denn gestern so gemacht?“ Er verdrehte die Augen und machte keine Anstalten, darauf zu antworten. Mein Grinsen wurde breiter. Langsam erkannte ich, warum es Edward immer so großen Spaß machte, andere auf diese Weise zu quälen. Irgendwo musste wohl jeder eine sadistische Ader versteckt haben. Die Tür öffnete sich und augenblicklich sahen wir auf. Alice war wiedergekommen. Mir fiel auf Anhieb auf, dass etwas mit ihr nicht in Ordnung war. Sie schlich geradezu ins Zimmer, ihre Augen waren starr nach vorne gerichtet und der Blick glasig. Sofort lief ich auf sie zu und packte sie bei den Schultern. „Alice?“ Sie reagierte nicht. Ihr ganzer Leib zitterte. Sie war wie erstarrt. Ich fühlte mich leicht überfordert, weil ich nicht wusste, was ich machen sollte. So hatte ich sie noch nie erlebt. Sie jagte mir einen richtigen Schrecken ein. „Alice! Hörst du mich? Was ist los? Ist irgendwas passiert?“ „Was hat sie?“ fragte Jasper - Sorge und Panik deutlich in seiner Stimme erkennbar. Als ich mich kurz zu ihm drehte, wollte er sich bereits aufsetzen. „Ich weiß es nicht“, entgegnete ich hilflos. „Aber du solltest besser liegen blieben.“ Sachte nahm ich das Gesicht der Elfe in meine Hände. „Alice… rede mit uns“, sprach ich noch einmal verzweifelt auf sie ein. Und dann regte sie sich plötzlich. Als wäre sie aus einem Traum erwacht. Verblüfft schaute sie mich an. „Was…?“ kam es leise von ihr, als wüsste sie nicht, was eben passiert war. Erleichtert atmete ich aus und lächelte ergeben. „Du hast uns gerade einen ganz schönen Schrecken eingejagt, weißt du das?“ Kurz überlegte sie, dann schien es ihr selbst wieder einzufallen. “Oh!… Tut mir leid…“ „Was war denn los?“ versuchte ich es noch einmal ruhiger. Ein schmerzvoller Ausdruck beherrschte ihre Züge, voller Kummer sah sie mich an, während ihre Pupillen nervös hin und her huschten. „Weißt du, meine Vorahnungen haben bisher immer ins Schwarze getroffen.“ Meine Brauen schoben sich zusammen, ich war sichtlich verwirrt. „Worauf willst du hinaus?“ „Ich weiß auch nicht, aber… Ich hab das komische Gefühl, dass morgen etwas ganz Schreckliches passieren wird…“ Ehrlich gesagt verstand ich noch immer nicht ganz. Bis mir James wieder einfiel. Vermutlich war sie deshalb so durch den Wind. Beruhigend strich ich über ihre Arme und schenkte ihr ein Lächeln. „Mach dir wegen diesem ominösen Stalker keine Sorgen. Heute Nacht schläfst du bei mir und morgen werden wir alle zusammen sein und dich keine Sekunde aus den Augen lassen. Keiner wird dir was zuleide tun.“ Sie schüttelte bitterlich den Kopf und sah mich noch trauriger an. „Bella, ich rede nicht von mir.“ Was? ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Gemeiner Cliffie, nicht wahr?... Kapitel 28: Und am Ende stand der Anfang ---------------------------------------- Ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim auf Alice‘ Worte machen. Was genau meinte sie damit? Auf wen sprach sie an? Jedes Mal, wenn ich versuchte, es aus ihr herauszubekommen, schüttelte sie nur den Kopf und meinte, sie wüsste es nicht. Nur dass es nicht sie betraf. Dabei sah sie mich dann allerdings immer so an, als wäre ich ein potenzielles Opfer. Den ganzen restlichen Nachmittag hatten wir noch bei Jasper im Krankenhaus verbracht. Zwischendurch hatte ich Charlie auf Arbeit angerufen und gefragt, ob er uns auf dem Heimweg abholen könnte. Als ich ihm erzählte, wir wären im Krankenhaus, war er natürlich gleich wieder in Aufruhr und wollte wissen, ob es uns gut ging. Ich konnte ihn relativ schnell beruhigen. Was Alice betraf, hatte er keinerlei Einwände über ihren längeren Aufenthalt bei uns. Im Gegensatz zu Alice selbst. Sie fand es übertrieben, gab sich letztendlich aber durch einen bittenden Blick von Jasper geschlagen. Wir erzählten meinem Dad, ihre Wohnung hätte einen Wasserrohrbruch erlitten, weshalb sie erst einmal einen neuen Unterschlupf benötigte. Ohne Murren stimmte Charlie zu, sie bei uns aufzunehmen. Und jetzt saßen wir hier im Wohnzimmer unseres Hauses und sahen fern. Es war schon relativ spät, deshalb schlief mein Dad bereits. Bis jetzt hatten wir ziemlich wenig gesprochen. Was im Grunde doch recht ungewöhnlich war. Schließlich konnte Alice sonst eher viel reden und war eine Frohnatur durch und durch. Zugegeben musste ihr das mit Jasper ganz schön zusetzen und auch die Verbindung zu ihrer Vergangenheit war nicht gerade hilfreich. Dann auch noch Edwards und Jazz‘ Vermutungen bezüglich dem neuen Lehrer. Mir fiel auf, dass die kleine Elfe sehr unruhig war. So oft, wie sie heute an ihren Fingernägeln gekaut hatte… Normalerweise müsste sie gar keine mehr haben. Ebenso war es mit ihrer Unterlippe. Als würde sie unter Hochspannung stehen. Das Negative war, es steckte an. Ich kam nicht umhin, mich ebenfalls unbehaglich zu fühlen. Insgeheim machte auch ich mir Sorgen, dass morgen tatsächlich etwas Schlimmes passierte. Was wenn Edward etwas geschah? Oder beim Spiel nicht alles glatt laufen würde? “Wenn Ihnen Ihre Mitmenschen am Herzen liegen, sollten Sie sich von ihnen fernhalten. Andernfalls stürzen Sie alle ins Unglück…“ Ich konnte nicht glauben, dass mir diese dämlichen Worte der Wahrsagerin wieder in den Sinn kamen. Genervt seufzte ich auf und fuhr mir durch die Haare. Alice sah überrascht auf. „Was ist los?“ „Nichts“, verneinte ich und schüttelte den Kopf. Skeptisch betrachtete sie mich einen Augenblick, ehe sie sich wieder dem TV-Programm widmete. Wenn sie jetzt erfuhr, dass ihre Worte mich verunsichert hatten, würde sie das in ihrem Gefühl nur noch bestärken. Dabei versuchte ich doch gerade alles, um sie zu beruhigen. Ein paar Minuten später erhob ich mich und ging zur Küche. Dort angekommen, suchte ich im Gefrierfach des Kühlschranks nach Eis. Wenn ich mich nicht täuschte, mussten wir noch etwas da haben. Eingekauft hatte ich es jedenfalls. Nach kurzer Zeit fand ich es auch - in der hintersten Ecke. Ich holte es heraus, kramte zwei kleine Porzellanschalen aus dem Schrank und füllte beide mit der Süßigkeit. Anschließend betrat ich wieder das Wohnzimmer und hielt meiner quirligen Freundin ihren Teil entgegen. Fragend schaute sie auf, nahm mir die Schüssel dann aber dankend ab. Eis konnte man in solchen Situationen immer gebrauchen. Eigentlich konnte man das in jeder Situation. Es hob die Stimmung sofort und war dazu noch lecker. Und dieses Mal würde es auch Alice helfen. Schließlich war es eine ungeschriebene Gesetzlichkeit, in schlechten Zeiten etwas Süßes zu sich zu nehmen. Ich setzte mich ihr gegenüber und zog meine Beine aufs Sofa. Es gab noch etwas anderes, das mich neben dem Offensichtlichen brennend interessierte und das die Laune der Schwarzhaarigen garantiert heben würde. Und hoffentlich auch ihre Sorgen vertrieb. „Also… Wie ist denn dein Date mit Jasper gelaufen?“ Zuerst überrumpelt mit der Frage, stahl sich dann langsam ein Lächeln auf ihr Gesicht. Ich hatte richtig gewettet. Es lenkte sie tatsächlich ab. Somit führten wir ein ziemlich langes Gespräch, das bis tief in die Nacht dauerte. Sie erzählte mir, dass sie zusammen in einem Museum für die geschichtliche Entwicklung der Vereinigten Staaten waren. Jasper war wohl sehr an der Vergangenheit interessiert und wollte später Historiker oder so etwas ähnliches werden. Vor allem interessierte er sich wohl für die Armee. Das lag mitunter daran, dass sein Vater ein Offizier war. Leider war dieser deswegen auch ziemlich selten Zuhause. Kein Wunder, dass nur seine Mutter ihn im Krankenhaus besuchen konnte. Ich fragte Alice, ob es nicht langweilig sei, ein Museum zu besuchen, doch sie meinte nur, dass Jasper eine Menge über die Vergangenheit wüsste und dass er eine Art zu erzählen an sich hatte, die jedes Thema interessant machte. Ich schmunzelte, als ich ihre leuchtenden Augen bei diesem Kommentar registrierte. Danach hatten sie scheinbar die Twin Peaks besucht. Zwei Gipfel von San Francisco, die von einem Naturpark umgeben waren. Von dort aus konnte man ihrer Aussage zufolge auf die ganze Stadt sehen. Ja, als ich mir den Anblick vorstellte, grinste ich in mich hinein. Ich war also nicht die Einzige, die Frisco betrachten konnte. Nur dass bei mir die Sonne schon untergegangen war. Alice und Jasper hingegen hatten dort ein kleines Picknick veranstaltet und sich dabei den Sonnenuntergang angeschaut. Wenn ich nicht selbst einen wundervollen Abend verbracht hätte, wäre ich wirklich neidisch geworden. Ein bisschen hatte ich gehofft, dass an dieser Stelle nun der erwartete Kuss kommen würde, doch nichts dergleichen geschah. Sogar als ich nachhakte, schüttelte sie nur den Kopf und grinste, als wäre es nicht weiter schlimm. Dabei war es so verdammt eindeutig, dass sich die beiden sehr mochten. Dann jedoch kam sie zu dem Teil des ‘Nach-Hause-Bringens‘. Jasper hatte sie vor ihrer Tür abgesetzt, wo sie sich etwas länger als normal aufgehalten hatten - auch Alice machte an dieser Stelle eine Pause und starrte verträumt ins Leere. Ihre Reaktion war so offensichtlich, dass ich praktisch nur noch auf den Satz „Und dann hat er mich geküsst“ wartete. Just in diesem Moment veränderte sich ihre Miene aber schlagartig in Bitterkeit. „Und dann kam das Auto auf uns zugerast. Wir waren so versunken in unserer Zweisamkeit, dass wir es am Anfang gar nicht bemerkt hatten.“ Für einen Augenblick herrschte angespannte Stille zwischen uns. Bis ich mich dazu entschloss, ihr vom Babysitten zu erzählen, um sie wieder auf andere Gedanken zu bringen. Als ich schließlich zu dem Punkt kam, an dem mich Edward nach einem ersten Date fragte, lächelte Alice süffisant und meinte nur, dass jetzt endlich das Oberteil, das wir gemeinsam gekauft hatten, zum Einsatz kommen würde. Ich grinste sie an, bis sich ein leicht erzwungenes Schweigen zwischen uns legte. Wir sahen beide in verschiedene Richtungen, um nicht dem Blick des anderen zu begegnen. Kurze Zeit später beschlossen wir, schlafen zu gehen. Mein Zimmer bot gerade genug Platz für eine Liege neben meinem Bett. Nachdem wir uns für die Nacht fertig gemacht hatten, schlüpften Alice und ich unter unsere Bettdecken. Ein schwaches Pochen war an meinen Schläfen zu spüren und ich war froh, endlich schlafen zu können. Die Müdigkeit übermannte mich relativ schnell, doch bevor ich vollends in die Traumwelt eintauchen konnte, vernahm ich Alice‘ leise Stimme. „Bella?“ „Hm…“, murmelte ich. „Sei morgen bitte vorsichtig, ja?“ Ich nahm nur halbwegs wahr, was sie mir damit sagen wollte. Zu verlockend war es, sich dem Schlaf hinzugeben. „Hmhm… Du auch.“ „Gute Nacht“, flüsterte sie noch und ich antwortete ihr mit den gleichen Worten. Ich schlief ziemlich unruhig. Immer wieder tauchten verschwommene Bilder vor meinem inneren Auge auf. Ich konnte sie nicht richtig erkennen, doch dafür konnte ich die Gefühle spüren, die sie begleiteten. Sorge, Verwirrung, Angst… Irgendjemand rief meinen Namen, nur leider konnte ich die Stimme nicht erkennen. Ich wälzte mich in meinem Bett, warf die Decke zur Seite. Mir warm viel zu warm. „Bella!“ Mit einem Mal riss ich die Augen auf und schrak nach oben. Alice saß auf meiner Bettkante und hatte mich bei meinen Schultern gefasst. „Endlich bist du wach“, seufzte sie erleichtert und lächelte. „Hattest du einen Albtraum?“ Einen Augenblick überlegte ich, während ich meine Hand an meine Stirn legte. Sie war schweißnass und Schmerzen durchzuckten plötzlich meinen Kopf. Gequält verzerrte ich das Gesicht. „Keine Ahnung. Ich weiß nicht mehr genau, was ich geträumt hab. War alles irgendwie durcheinander.“ „Geht´s dir gut? Du siehst irgendwie blass aus“, stellte sie fest. „Alles okay, nur ein bisschen Kopfschmerzen.“ Alice nickte. „Du solltest langsam aufstehen, es ist schon fast Mittag. Und wenn wir uns noch für heute Abend fertig machen wollen…“ Erschrocken schaute ich sie an. „Schon fast Mittag…?“ „Ja, du hast ganz schön lange geschlafen. Dein Vater ist schon zur Arbeit.“ „Was?“ Wieso war Charlie arbeiten? Ich dachte, er hatte sich wegen dem Spiel für heute frei genommen. „Ich soll dir ausrichten, dass er am Abend rechtzeitig zurück ist. Sie haben ihn nur wegen einer Kleinigkeit ins Office gerufen.“ „Ach so…“ „Na komm, zieh dich an. Ich mach in der Zwischenzeit das ‘Frühstück‘ fertig“, grinste sie. Etwas später aßen wir zusammen in der Küche. Alice hatte extra auf mich gewartet, obwohl sie schon ein paar Stunden früher wach war als ich. Ich fragte sie, womit sie sich denn solange beschäftigen konnte und sie meinte nur, dass sie sich mein Bücherregal etwas näher angesehen hatte. Meine Kopfschmerzen waren mittlerweile auch verschwunden. In unserem Medikamentenschrank gab es die wichtigsten Arzneimittel immer vorrätig, sodass ich heute nicht mehr extra zur Apotheke laufen musste. Um zu verhindern, dass es in mein Kopf heute Abend wieder hämmern würde, steckte ich mir sicherheitshalber gleich ein paar davon in die Tasche. Für meinen Geschmack verging die Zeit den restlichen Tag viel zu schnell. Gleich nach dem Frühstück hetzte Alice mich mit den Vorbereitungen für das Spiel. Make-up, Frisur, Kleidung… Natürlich entging mir nicht der Wechsel ihrer Stimmung. Gestern noch relativ angespannt und heute wieder ganz die Alte. Fast. Mir kam es beinahe so vor, als wollte sie ihr schlechtes Gefühl unterdrücken und so tun, als wäre nichts gewesen. Ob sie sich Vorwürfe machte, mir einen Schrecken eingejagt zu haben, oder wollte sie einfach selbst nicht daran glauben? Ich startete nur einmal den Versuch, sie nach ihrem Wohlbefinden zu fragen und den winkte sie mit einem „Mach dir keine Sorgen. Mir geht´s gut“ ab. Ich wusste, dass sie heute viel lieber im Krankenhaus bei Jasper sein wollte, doch dieser bestand darauf, dass sie sich das Spiel ansah. Für ihn. Damit sie ihm hinterher alles erzählen konnte. Ich selbst würde Edward auch erst heute Abend treffen. Sein Team hatte noch ein kleines Aufwärmtraining und danach Besprechung. Jedes Mal wenn ich daran dachte, wie viel Zeit bis dahin noch vergehen musste, seufzte ich laut auf. Ich konnte es gar nicht erwarten, ihn endlich wieder zu sehen, dabei waren wir erst einen Tag getrennt. Andererseits war ich etwas nervös, sobald mir wieder einfiel, dass auch Renée ihn heute zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Unser letztes Gespräch verlief diesbezüglich mehr als positiv, dennoch kamen kleine Zweifel auf. Nicht dass mich ihr Eindruck auf Edward beeinflussen könnte. Ich wollte nur einfach, dass wenigstens sie ihn akzeptierte, wenn schon Charlie bei diesem Thema Probleme machte. Es war grauenhaft, sich vorzustellen, Edward sei in meiner Familie nicht erwünscht. Er selbst müsste sich demnach noch viel unwohler fühlen. Ich wurde von seiner Familie so herzlich empfangen. Dieselbe Geborgenheit wollte ich ihm einfach zurückgeben. Aber eigentlich war meine Mom nicht der Typ, der andere gleich verurteilte. Nein, sie würde ihm eine Chance geben… Und jetzt saßen Alice und ich hier im Wohnzimmer und warteten auf sie und Phil. Da Charlie nachkommen würde und Edward bereits auf dem Schulgelände war, blieb uns nur die Möglichkeit, entweder ein Taxi zu rufen, oder uns von Renée abholen zu lassen. Meine Mutter war sofort einverstanden. Nur mit der Zeit hatte sie heute scheinbar Probleme. Dann endlich klingelte es an der Haustür. Hastig standen wir auf und liefen in den Flur, um den beiden zu öffnen. Renée begrüßte uns herzlich, ebenso Phil. Meine Mutter bedachte den kleinen Wirbelwind mit einem bedeutungsvollen Blick und einem warmen Lächeln, wusste sie doch noch, was ich ihr über meine neue Freundin erzählt hatte. Im Moment konnte ich auch von Glück reden, dass Alice genauso wenig Ahnung von Baseball hatte wie ich. Andernfalls wäre sie meinem Stiefvater womöglich um den Hals gefallen. Genau das konnte ich mir nämlich nach Edwards Beschreibung von Emmett gut vorstellen, wäre dieser denn ein Mädchen. „Ihr beide seht toll aus“, lobte meine Mom unser Erscheinungsbild anerkennend. „Danke.“ Ich seufzte lächelnd und betrachtete mich in dem Wandspiegel neben der Garderobe. Wenn es Edward auch gefallen würde, wäre ich vollends zufrieden. Das Oberteil, dass Alice damals für mich ausgesucht hatte, bestand aus einem weichen, glatten Samtstoff, dessen Farbe in einem dermaßen tiefen Blau leuchtete, dass man meinen könnte, die Nacht selbst wäre mit eingewebt worden. Es bestand aus zwei Schichten, wobei die äußere einen sehr tiefen Wasserfallausschnitt aufwies. Zum Ende hin ausgestellte Ärmel, die bis zu den Ellenbogen gingen, das Kleidungsstück selbst wurde am Rücken nur durch Bänder zusammengehalten - wie bei einer Korsage. Der weiße, knielange Rock rundete das Bild ab. Ein weiterer, prüfender Blick. Akzeptabel. Eine halbe Drehung, damit ich auch meinen Rücken betrachten konnte. Vielleicht doch ein wenig zu aufreizend? Ich schüttelte meinen Kopf. Es musste passen. Es sollte. Edward wollte mich nach dem Spiel zu unserem ersten richtigen Date ausführen. Da wollte ich mich doch so hübsch wie möglich für ihn machen. In meiner Brust pochte es augenblicklich schneller. Das erste Date. Das erste, richtige Date zwischen Edward und mir… Alice trug nur eine schlichte, dunkle Hose und ein gelbes, trägerloses Oberteil, welches unterhalb der Brust in weiten, geschmeidigen Wellen luftig nach unten fiel. Es war einfach und trotzdem hatte es einen gewissen Reiz. Immerhin fuhr sie nach dem Spiel noch ins Krankenhaus, um Jasper zu besuchen. Womöglich würden Edward und ich auch noch kurz mitkommen. „Bella, kommst du?“ Ganz in Gedanken versunken schreckte ich bei der amüsierten Stimme meiner Mutter hoch. Ich stand immer noch vor dem Spiegel, während die anderen drei bereits halb im Vorgarten waren. Schnell nahm ich meine Tasche und huschte aus der Tür, schloss sie ab und rutschte letztlich zu Alice auf die Rückbank. Während ich mit jeder Minute meine Finger mehr ineinander verknotete, schien meine Freundin irgendwie abwesend. Sie starrte permanent aus dem Fenster, ohne auch nur ein Wort mit mir zu reden. Ich wusste, dass es nicht an mir lag und dass sie keinen Groll gegen einen von uns hegte, sie wirkte einfach nur völlig in Gedanken versunken. Ich wurde nicht schlau aus ihrem Verhalten. Es gab nur zwei Möglichkeiten, an was sie momentan denken konnte: Jasper, oder ihre Vorahnung. Vielleicht sogar beides zusammen. War sie am Ende eventuell doch sauer, weil wir ihre Besorgnis nicht ernst nahmen? Dabei taten wir das ja eigentlich. Nur verlief ihre Sorge in eine völlig andere Richtung. Man musste zugeben, dass unsere Angst plausibler war. Schließlich wurde Alice verfolgt und man hatte Jasper attackiert. Da war es doch nur logisch davon auszugehen, dass bei ihrer Vermutung sie das wahrscheinlichste Opfer darstellte. Phil machte uns darauf aufmerksam, dass das Schulgebäude langsam in Sicht kam. Nach der Menge zu urteilen, waren wir wirklich ein bisschen spät dran. Es war schon so gut wie alles besetzt. Ein Wunder, dass wir überhaupt noch eine Lücke fanden. Als wir ausstiegen, hielt ich automatisch Ausschau nach Edwards silbernem Volvo. Erst konnte ich ihn nicht entdecken, dafür stach ein großer Jeep sehr heraus. Ich kannte dieses Auto, hatte ich es doch am Donnerstag noch vor meinem Haus parken sehen. Es war Emmetts Wagen, was bedeutete, dass sowohl er als auch Rosalie und Roxy hier sein mussten. Es war einfach undenkbar, dass er allein kommen würde. Gleich daneben entdeckte ich dann auch endlich Edwards Fahruntensil. Ein kleines Lächeln der Vorfreude huschte über meine Lippen. Wir hielten uns nicht lange auf und eilten zügig zum Sportgelände. Ich wäre viel lieber zu den Umkleiden gegangen, um meinen Freund vor dem Spiel noch einmal viel Glück zu wünschen, nur leider schienen wir wirklich nicht mehr allzu viel Zeit zu haben. Und wenn wir uns einen guten Platz aussuchen wollten, mussten wir uns beeilen. Dabei sollte Phil sich doch noch dem Team vorstellen und sie ein bisschen motivieren. Was mussten die beiden auch erst so spät bei uns sein! Als wir die Tribüne erreichten, stieß ich einen frustrierten Seufzer aus. Nicht nur, dass schon vor dem Spielfeld - wo jede Menge Stände aufgebaut waren - reges Treiben herrschte, es waren auch schon fast alle Plätze besetzt, vor allem die richtig guten ganz vorn. Unfassbar, wie viele Leute zu diesem Spiel gekommen waren. „Da vorn“, sagte Alice plötzlich neben mir und deutete auf eine lange, freie Bank in der fünften Reihe. Als ich ihrer Blickrichtung folgte, entdeckte ich eine winkende Roxy und einen grinsenden Emmett. Gleich neben ihm saß die blonde Anmut Rosalie. Sie lächelte uns ebenfalls freundlich zu, wenn auch nicht ganz so energisch wie der Bär und ihre Tochter. „Sieht so aus, als hätten wir Glück gehabt“, stellte ich schmunzelnd fest und bahnte mir einen Weg zu den Dreien. Einzig darauf konzentriert, die anderen zu erreichen, stieß ich in der Menge ungewollt mit jemandem zusammen und torkelte ein bisschen nach hinten. „Entschuldigung“, murmelte ich unbeholfen und sah zu meinem Gegenüber auf. Sofort blieb mir das Wort im Halse stecken. Ich war mit Claire zusammengeprallt. Meine Augen wurden schmal und ich bereute, dass ich mich eben bei ihr entschuldigt hatte. Während ich sie finster anschaute, lächelte sie mich schüchtern an. „Kein Problem. Nichts passiert.“ Setzte sie etwa dieses Spiel der bereuenden Freundin fort? Unglaublich. Vielleicht hatte Alice mit ihrer Vorahnung ja doch recht gehabt, nur dass es sich auf ein Treffen mit dieser… dieser… was auch immer handelte. „Leider“, erwiderte ich versucht ruhig, konnte und wollte den Sarkasmus darin allerdings nicht unterdrücken. „Bella, ich-“, fing sie an, doch ich ließ ihr nicht die Chance, den Satz zu beenden. Ich drängte mich an ihr vorbei und musste der Versuchung widerstehen, sie dabei anzurempeln. Als ich dann endlich weit genug von ihr entfernt war, hielt ich an und atmete laut aus. Die anderen drei waren mir gefolgt. Ein Kribbeln in meiner Nase, welches ziemlich schnell unangenehm wurde, ließ mich meine Hände automatisch vor mein Gesicht halten, um das Unvermeidbare wenigstens ein bisschen einzudämmen. Nicht mal eine Sekunde verging, ehe ich dann auch laut nieste. Zum Glück nur einmal. „Da scheint wohl jemand schlecht über dich zu reden.“ Ich verstand Alice‘ kleine Anspielung sofort, weshalb ich ihr ein halbherziges Lächeln schenkte. Nur Renée und Phil blickten etwas verwirrt drein. „War das eben eigentlich…“, meinte meine Mom und ich nickte ihr zu. „Ja, das war Claire. Von der ich dir erzählt hatte.“ „Ach so…“ Renée schien nachzudenken, sagte aber glücklicherweise nichts mehr zu diesem Thema. Endlich erreichten wir unsere Sitzplätze. Emmett stand freudig auf, um uns zu begrüßen. „Ich hab euch was freigehalten, falls ihr nichts dagegen habt.“ „Natürlich nicht“, lachte ich. „Ähm, darf ich euch vorstellen? Das sind meine Mom Renée und ihr Mann Phil… Und das sind Rosalie, ihre Tochter Roxy und Emmett, der Bruder von Edward.“ „Hallo“, begrüßten sie sich gegenseitig, bis dem Grizzly letztendlich ein Licht aufging und er wie angewurzelt inne hielt. Hastig sah er zwischen meinem Stiefvater und mir hin und her. „Phil… Dwyer?… Der Phil Dwyer?“ Wie es aussah, hatte Edward ihm noch nichts von dieser Neuigkeit erzählt gehabt. „Ja.“ Phil nickte und lachte… professionell. Als wäre er diese Situation bereits gewohnt. Was natürlich auch nicht verwunderlich war, immerhin gehörte er nun zur Major League. Tatsächlich drehten sich ein paar neugierige Blicke von in der Nähe sitzenden Personen in unsere Richtung und musterteten die Szenerie interessiert. „Bella…“, hörte ich eine brummige Stimme vor mir. „Vielleicht sollten wir uns lieber setzen“, flüsterte ich den anderen zu, als mir klar wurde, mit was für einem Blick Emmett mich gerade ansah. Was hatte Edward noch gleich gesagt gehabt? Ich dürfte mich unter keinen Umständen von seinem Bruder umarmen lassen, sollte der in einer ausgeprägten Art von Euphorie schweben. Hastig ließ ich mich auf meinem Platz nieder, der Rest tat es mir gleich. Ich war ganz zufrieden damit, dass Roxy zwischen Em und mir saß, doch auf einmal hob dieser den winzigen Lockenkopf an und tauschte mit ihr. Nun saß er direkt neben mir. Er musterte mich eindringlich und seine Augen leuchteten. „Wie hast du das geschafft?“, wollte er wissen, hielt seine Stimme aber gedämpft, damit die anderen nichts hören konnten. Ich zuckte nur mit den Schultern. “Eigentlich gar nicht. Sie waren zufällig in der Stadt“, wisperte ich ebenso leise zurück. „Ich hab sie nur gefragt, ob sie sich das Spiel ansehen wollen.“ Kurz sagte er nichts, bis ich schließlich ein „Danke“ hörte, dessen Klang allein es schon wert war, meine Mom und ihrem Mann mitgebracht zu haben. Ich konnte die Bedeutung darin förmlich spüren. „Kein Problem“, lächelte ich zurück. „Wo bleibt eigentlich Charlie?“, meinte Renée plötzlich. Schlagartig fiel mir wieder ein, dass er zu Alice gesagt hatte, er müsste noch mal aufs Revier und er würde dann später nachkommen. Hoffentlich nicht zu spät. Das Spiel fing jeden Moment an. „Vielleicht hat es auf Arbeit länger gedauert“, antwortete ich, hoffte insgeheim aber das Gegenteil. Die Sonne senkte sich langsam gen Horizont und tauchte die großen, weißen Flauschwolken in ein sattes orange-rot. Es dauerte nicht mehr lange, bis die Nacht hereinbrach. Der leichte Abendwind, der aufgekommen war, streifte angenehm meine Haut, ließ mich aber dennoch leicht frösteln. Mein Blick wanderte über die Tribüne und über das Spielfeld. Letztlich blieb er an der Person hängen, die sich direkt in der Mitte des Rasens befand. Ich erkannte einen der Lehrer aus unserer High School, genauer gesagt unseren Rektor. Scheinwerfer von mehreren Seiten gingen auf einmal an und die gelben Lämpchen der riesigen, schwarzen Anzeigetafel am Ende des Feldes leuchteten auf. Jetzt standen dort in großen Lettern die Namen der Mannschaften und die auf Null gesetzten Punkte in einer Tabelle. Kurz darauf wurde mir klar, dass Charlie tatsächlich den Start verpassen würde, denn genau in diesem Moment hörte ich die Stimme unseres Rektors durch ein Mikrophon. „Sehr geehrte Damen und Herren. Ich begrüße Sie recht herzlich zum alljährlichen Wettkampf zwischen unseren East Coast Lions und den amtierenden Gewinnern des letzten Jahres, den Black Tigers der Northern Shore.“ Er legte eine bedeutungsvolle Pause ein, in der das Publikum in lautem Applaus ausbrechen konnte. Mit seinem Arm deutete er auf den Eingang des Spielfeldes, aus dem jetzt die beiden Mannschaften - in ihren weißen, mit orangem bzw. schwarzem Nadelstreifenmuster überzogenen Spieluniformen - in zwei Reihen den Rasen betraten und sich dann mit einem Meter Abstand zueinander in einer Linie aufstellten. Mein Herz klopfte schneller, als ich unter den Baseballcaps der Spieler meine Lieblingshaarfarbe erkannte. Unbewusst lehnte ich mich auf meinem Platz ein Stück nach vorn, während mein Körper mit jeder Sekunde angespannter wirkte. Als Edward unter dem Schirm seiner Mütze einen flüchtigen Blick über die Menge schweifen ließ, hob ich meinen Arm ein wenig, um ihm zuzuwinken und zu zeigen, wo ich saß. Er entdeckte mich kurz darauf und lächelte dieses schiefe Lächeln, das ich so an ihm liebte. Ich lächelte zurück und formte mit meinem Lippen stumm die Wörte Viel Glück. Ob er diese auch verstanden hatte, wusste ich nicht, aber immerhin konnte ich sie ihm noch sagen. Jemand tippte mich von der Seite an. Nur ungern wandte ich meinen Blick von meinem Freund ab. Als ich zur Seite sah, erkannte ich meine Mutter, wie sie sich über Alice‘ Schoß gebeugt hatte, um besser mit mir reden zu können. „Welcher ist es?“, fragte sie mich leise. Ich lehnte mich ebenfalls ein Stück zu ihr und deutete mit dem Zeigefinger auf Edward. „Da vorn. Der mit den bronzenen Haaren.“ Zu meinem Bedauern hatte er seinen Blick bereits wieder von mir gelöst. Renée nickte andächtig und grinste dann tückisch. „Stellst du ihn mir nachher vor? Ich würde ihn gerne aus der Nähe kennen lernen.“ „Mach‘ ich.“ Wir beide konzentrierten uns wieder auf das eigentliche Ereignis und schwiegen für den Rest der nächsten Stunde. Die ganze Zeremonie ähnelte sehr dem Spiel, das ich zusammen mit Edward besucht hatte und ich fragte mich, ob wir auch hier die Nationalhymne singen würden. Immerhin hatte ich es bisher stets gemieden, mir eines unserer Schulspiele anzusehen und konnte das deshalb nicht wissen. Meine Frage erübrigte sich, als einige Leute das Feld betraten und sich hinter zwei aufgestellten Mikrophonen in mehreren Reihen positionierten. Als sie alle standen und eine Art Dirigent sich vor die Gruppe gestellt hatte, fuhr der Direktor fort. „Und nun, werte Gäste, bitte ich Sie, sich für unsere Nationalhymne zu erheben.“ Ich fühlte mich wie in einem Déjà-vu, als ein Raunen und Ächzen durch die Sitzreihen ging. Die Anwesenden erhoben sich und legten die rechte Hand auf die linke Brust - uns eingeschlossen. Der Chorleiter wedelte ein paar Mal mit seinen Armen in der Luft, bevor seine Gruppe anfing, a cappella die amerikanische Hymne vorzutragen. Und wie schon einmal erlebt, stimmte das Publikum mit ein. Die Tribüne war erfüllt mit den unterschiedlichsten Stimmen, die alle zusammen dennoch eine wunderschöne Melodie hervorbrachten. Der Patriotismus war in jeder Silbe des Textes wieder zu erkennen und auch der Gesang selbst war erfüllt davon. Gemeinsam hier zu stehen und zu singen; das Gefühl, zusammen mit anderen einer Sache anzugehören… Als würde es von einer Person auf die nächste übergreifen, schwoll selbst meine Brust vor Stolz ein bisschen an und ich fühlte mich glücklich, ein Teil dieses Ganzen zu sein. Als der Gesang endete und der Chor das Feld wieder verließ, setzte der Rektor erneut zum Reden an. „Und nun, liebe Zuschauer, will ich Sie nicht länger warten lassen. Ich bin mir sicher, dass Sie, ebenso wie ich, wissen wollen, wer dieses Jahr den Sieg mit nach Hause tragen wird. Seien wir also gespannt. Genießen wir zusammen dieses Spiel und wünschen den beiden Teams viel Glück.“ Mit diesem Worten und begleitet von Applaus verließ er den Rasen und bahnte sich einen Weg zu seinem Sitzplatz in der ersten Reihe. Das Mikro übergab er dabei an jemanden, der scheinbar das gesamte Match kommentieren würde. Während sich mehrere Schiedsrichter an die Außenlinien platzierten, liefen die beiden Mannschaften auf ihre Positionen. Wie es aussah, waren unsere Spieler als erstes an der Reihe, die Bälle zu schlagen. Die Gegner platzierten sich auf die markierten Sandflächen: Der Pitcher, also der Werfer, in der Mitte auf einen kleinen Hügel und vier seiner Kollegen in einem Halbkreis und in einem gewissen Abstand hinter ihm. Hinter diesen stellten sich dann noch einmal im selben Abstand weiter außen drei weitere Mitspieler. Der einzige Spieler unserer Mannschaft, der sich nun auf dem Spielfeld befand, war einer unserer Batter. Er stellte sich dem Pitcher in einigen Metern Entfernung entgegen, während sich der neunte Mann des Gegnerteams, eingehüllt in Schutzkleidung und Maske - der Catcher -, hinter ihm in die Hocke ging. Einer der Schiedsrichter tauchte ebenfalls bei ihnen auf, um von dort die Strikes und Outs sofort pfeifen zu können. Während unser Spieler den Schläger über seiner linken Schulter bereits kreisen ließ, hob der Schiedsrichter den Arm, um den Spielbeginn zu signalisieren. Kurz darauf regte sich der Pitcher. Er warf den kleinen, weißen Ball ein paar Mal in die Luft, drückte dann die darum umschlossene Faust gegen seine Brust und hob ein Knie an, ehe er einen Ausfallschritt nach hinten machte, mit dem Arm weit ausholte und dann den Ball in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit Richtung Batter katapultierte. Das gesamte Publikum hielt den Atem an, so kam es mir vor. Er schwang den Schläger und… Der Knall, als der Ball auf das harte Metall traf, hallte durchs gesamte Spielfeld. Unser Mann ließ seinen Schläger fallen und rannte nach rechts auf die erste Base zu. Doch bevor er die zweite Base erreichen konnte, war der Ball bereits zum dazugehörigen zweiten Baseman zurück geworfen worden. Mein Körper erschlaffte, als die Anspannung von meinem Körper wich und ich einen frustrierten Seufzer ausstieß. „Für den Anfang war das gar nicht schlecht, Bella.“ Überrascht schaute ich zur Seite. Phil hatte sich - soweit das möglich war - zu mir herübergelehnt und lächelte sanft. „Wirklich. Das ist ein guter Start gewesen.“ Ich quittierte seinen Aufheiterungsversuch mit einem dankenden Lächeln, was ihn zu einem breiten Grinsen motivierte. „Ich hätte nie gedacht, dass ich dich mal auf diese Weise bei einem Spiel mitfiebern sehe.“ Verblüfft hob ich die Augenbrauen. „Ach nein?“ Er schüttelte nur seinen Kopf. „Tja, Männer verändern eine Frau“, stellte Renée spitzbübisch fest, ohne dabei ihren Blick vom Spielfeld zu wenden. Phil sah sie mit leuchtenden Augen an und neigte seinen Kopf gefährlich nahe zu ihrem Ohr, wobei sein Arm ihre Taille umschloss. „Das kann ich nur zurückgeben“, flüsterte er ihr zu, woraufhin sie anfing, leise zu kichern. Ich hatte Mom schon lange nicht mehr so… intim mit ihrem Mann erlebt, weshalb ich bei diesem Anblick jetzt auch prompt rot wurde und meinen Kopf ruckartig wegdrehte. Immerhin war das da meine Mutter. Emmett neben mir schmunzelte. „Du würdest genauso reagieren, wenn du deine Eltern bei so was beobachtest“, rechtfertigte ich mich mit gedämpfter Stimme. „Also nach vorgestern dachte ich eigentlich, dass du etwas lockerer wärst.“ Er hatte die Lautstärke noch ein bisschen mehr gesenkt, sodass wirklich niemand anderes mithören konnte. Der Schalk saß in jedem einzelnen Wort. Ich wollte bereits etwas erwidern, ließ es dann aber sein. Mich jetzt mit Emmett anzulegen und zu wissen, dass ich seine Meinung ohnehin nicht ändern konnte, war sinnlos. Schlimmstenfalls würde meine Mom noch irgendein Gerücht aufschnappen und dann wäre das Chaos perfekt. „Und ich würde nicht so reagieren“, erwiderte er immer noch kichernd, schaute allerdings längst wieder nach vorne. Ich verdrehte nur die Augen und musste mich regelrecht zwingen, nichts weiter dazu zu sagen. Ein Seitenblick zu Alice verriet mir, dass sie sich überhaupt nicht an der Konversation beteiligen wollte. Sie hatte ihre Ellenbogen auf ihre Oberschenkel und ihr Kinn in ihre Hände gestützt. Völlig desinteressiert beobachtete sie das Spiel. Als sie meinen Blick registrierte, lächelte sie mich matt an, bevor sie wieder aufs Feld sah. Es dauerte nicht sehr lange, bis Edward seine Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte. Als er sich auf seine Position begab, wäre ich beinahe vom Platz gefallen, so weit war ich nach vorn gerutscht. Die Aufregung beherrschte mein Inneres dermaßen heftig, dass man denken konnte, ich selbst würde dort auf dem Rasen stehen. Ich hielt den Atem an. Edward in seiner Uniform sah so unglaublich… anmutig aus. Ich war überglücklich, ihn als meinen Freund allein bezeichnen zu können. Und ich war mir hundertprozentig sicher, dass ihn mir niemand streitig machen konnte. Er liebte mich und ich liebte ihn. Und genau das würde ich ihm heute Abend bei unserem ersten, offiziellen Date sagen. Der gerade getroffene Entschluss machte mich plötzlich nervös, allerdings auf eine positive Weise. Ich freute mich darauf, wusste ich doch aus meiner selbst gewonnenen Erkenntnis, dass ich danach nichts schlimmes zu befürchten hatte. Edward stellte sich auf seinen Platz, die Beine auseinander, den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, den Blick auf den Pitcher gerichtet. Über seiner Schulter schwang er seinen Schläger, ehe er seine Hände um den Griff festigte. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als sich vor meinem inneren Auge auf einmal die Silhouette meiner selbst direkt vor Edward bildete - und wie er damals mit mir das Schlagen geübt hatte. Zwar waren wir zu diesem Zeitpunkt noch in einer Scheinbeziehung, dennoch hatte die ganze Szenerie im Nachhinein etwas romantisches. Der Pitcher machte sich bereit, warf den Ball in seiner Hand und vollführte dieselbe Akrobatik wie auch die Male zuvor, ehe er den winzigen Baseball mit voller Wucht Edward entgegenschleuderte. Dieser schwang seinen Schläger und… „Out!“, schrie der Schiedsrichter hinter ihm und streckte seinen Arm in die Luft. Kurz sackten meine Schultern nach unten, hatte ich doch gehofft, dass Edward gleich beim ersten Mal treffen würde. Er positionierte sich wieder ordentlich auf seinem Platz und gleich darauf kam bereits der zweite Ball geflogen. Wieder holte mein Freund mit voller Kraft aus und… traf! Das runde Leder wurde in einem hohen, weiten Bogen zurückgeworfen. Reflexartig stand ich auf und hielt meine Handfläche zur Abschirmung über meine Augen, um der Flugrichtung zu folgen. Nur am Rande nahm ich wahr, dass ich nicht die Einzige stehende Person war. Edward war derweil längst losgerannt. Erst erreichte er die erste Base, dann die zweite… Die Spieler des Gegnerteams hatten alle Hände voll damit zu tun, den Ball wieder zurückzuwerfen. Edward hatte die dritte Base beinahe erreicht, als ich bemerkte, wie der zweite Baseman den Ball gerade auf den dritten schleuderte. Ich hielt die Luft an und drückte meine Daumen ganz fest in meine Fäuste. Nur noch ein bisschen… Der dritte Baseman fing den Ball und Edward rutschte auf das kleine, weiße Feld unter diesem. Für einen Augenblick war es still auf den Tribünen, dann brachen alle in einem heftigen Applaus aus. Jubelschreie und Pfiffe waren zu hören und noch mehr Leute standen von ihren Sitzen auf. Verwirrt drehte ich mich zu beiden Seiten. Was genau bedeutete das jetzt? Wer hatte dieses Inning gewonnen? „Dein Freund hat‘s geschafft“, meinte Phil auf einmal grinsend, als er meinen irritierten Gesichtsausdruck sah. Mit großen Augen schaute ich ihn an, dann wanderte mein Blick zurück zu Edward, der jetzt von seinen Kollegen gefeiert wurde. „Er hat die Base nur ganz knapp vorher erreicht“, erklärte mir mein Stiefvater weiter, legte dann aber eine kleine Pause ein, ehe er etwas mehr zu sich selbst murmelte. „Der Junge hat wirklich Talent…“ Ich kam nicht umhin, bei diesem kleinen Satz zu schmunzeln. Edward hatte seiner Mannschaft einen kleinen Vorsprung verschafft, wie mir Em erklärte. Wenn sie den halten und eventuell noch ein bisschen ausbauen konnten, würden sie den Sieg in der Tasche haben. Als er mir das erzählte, war ich noch optimistisch gestimmt, doch schon bald änderte sich die Sachlage. Tayk war gleich nach Edward mit dem Batten dran gewesen. Er wirkte sicher in seinem Spiel. Ich wäre nie darauf gekommen, dass er es schaffte, drei Outs nacheinander zu bekommen. Natürlich konnte man so ein Ergebnis vom Teamkapitän nicht einfach nur mit einem Schulterklopfen und netten Worten wieder gut reden. Auch wenn Edward genau das scheinbar tat, als Tayk zurück auf seinen Platz in der Mannschaftsloge ging. Allerdings sah es auch ganz danach aus, als würde mein Freund der Einzige sein, der ihn aufmunterte. Die anderen hielten auf merkwürdige Weise Distanz zu ihm. Ich ahnte bereits, woran es lag und ich hoffte, dass es sich nicht auf das Match übertragen würde. Aber all meine Gebete wurden leider nicht erhört. Es schien wirklich, als wären die Spieler in einer Art Trancezustand. Phil und Emmett bemerkten es sofort und sogar ich als Laie erkannte, dass ihnen keinerlei Motivation innewohnte. Als zur Halbzeit schließlich die Pause eingeläutet wurde, lagen die Black Tigers mit einer Menge Punkten in Führung. Seufzend vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen. „Nur nicht die Hoffnung aufgeben, Bella“, hörte ich auf einmal Alice‘ Stimme neben mir. Verblüfft drehte ich mich zu ihr. Sie lächelte mich zuversichtlich an. „Ich bin davon überzeugt, dass unsere Jungs das schaffen.“ „Wie kommst du darauf?“, fragte ich ungläubig. Sie tippte sich mit ihrem Zeigefinger nur grinsend gegen ihre Schläfe. Ihr sechster Sinn, huh? Schade, dass er bei diversen anderen Dingen im Augenblick nicht richtig funktionierte. „Du solltest auf die Kleine hören.“ Das war Emmett und er sah nicht minder überzeugend aus. Noch ehe ich allerdings etwas erwidern konnte, stand meine Mom bereits und hielt mir ihre Hand hin. „Na, los! Ich möchte ihn jetzt endlich kennen lernen.“ Und so machten meine Mom, Phil und ich uns auf den Weg zu den Umkleiden, in denen sich die Teams zurückgezogen hatten. Mittlerweile war es dunkel und der Weg wurde nur durch vereinzelte Lichter in der Ferne ein bisschen erhellt. Emmett wollte bzw. musste bei Rosalie bleiben - obwohl ich mir schon denken konnte, dass er viel lieber in Phils Nähe geblieben wäre. Demnach hieß es offiziell, er könnte seinem Bruder auch nachher noch eins überziehen, sollte er das Spiel vermasseln. Insgeheim fragte ich mich, ob ich das Edward ausrichten sollte, oder lieber nicht. Alice wollte ebenfalls bei den Tribünen bleiben. Ehrlich gesagt war mir das nicht gerade recht. Ich hätte lieber einen permanenten Blick auf sie gehabt, um sicher zu gehen, dass ihr nichts geschah. Im selben Moment, in dem ich diesen Gedanken hatte, fiel mir auch auf, dass ich Mr. Harper heute Abend noch kein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte. Ab und zu hatte ich in der Menge schon das ein oder andere Mal nach ihm Ausschau gehalten, doch bisher erfolglos. Ich fragte mich, ob er überhaupt anwesend war. Normalerweise ging nämlich die gesamte Lehrkraft zu solchen Matches. Einzig die Tatsache, dass Emmett von der Sache mit Alice‘ Stalker wusste und bei ihr bleiben würde, beruhigte mich ein wenig. Und wo wir schon bei vermissten Personen waren… Seth war ebenfalls noch nicht aufgekreuzt, dabei wollte er sich heute mit Edward aussprechen. Abrupt hielt ich mitten auf dem Weg inne, als mir bewusst wurde, was das bedeutete. Eigentlich wollten wir gleich nach dem Spiel zu unserem ersten Date gehen. Wenn nun aber Seth noch auftauchte - und normalerweise müsste er das, wenn ich seinen Worten glauben schenken konnte -, dann würde das doch auch heißen, dass das Date ins Wasser fiel. So ein Gespräch war schließlich nicht in ein paar Minuten erledigt. Nicht bei dem, was zwischen den beiden stand. Resigniert ließ ich den Kopf hängen, als ich mir eingestehen musste, dass es heute doch kein Date mehr geben würde. Dabei hatte ich mich extra so herausgeputzt. Selbstverständlich wusste ich, dass die Angelegenheit mit seinem alten Kumpel Vorrang hatte, aber der kleine, egoistische Teil in mir wollte nicht, dass Seth heute kam. Dieser Abend war einfach viel zu perfekt, als dass er mit so was beschattet werden sollte. Leider konnte ich in diesem Fall kein Veto einlegen. „Bella, kommst du?“, rief Renée, als sie bemerkte, dass ich zurückgeblieben war. Erschrocken sah ich auf, besann mich dann schnell und holte zu ihnen auf. „Sag mal, gibt es in eurem Team irgendwelche speziellen Probleme?“ Neugierig schielte Phil zu mir herüber, während wir in naher Entfernung bereits die Umkleiden ausmachen konnten. „Wie kommst du darauf?“, fragte ich vorsichtig nach, auch wenn ich sehr wohl wusste, dass das eigentlich überflüssig war. „Die Spieler scheinen unkonzentriert. Ich gebe zu, dass die Gegner wirklich nicht schlecht spielen und die Bälle der Pitcher sind nicht einfach zu treffen. Aber als eure Mannschaft mit dem Werfen dran war… Ich meine, die hätte sogar ein Grundschulkind treffen können, so langsam waren die.“ Mit geweiteten Augen sah ich ihn an. Ohne Frage war er Profi in diesem Sport. Und wenn er so redete, musste es wirklich schlimm gewesen sein. Ich hatte bisher nur ein einziges Match angesehen und konnte überhaupt nicht beurteilen, in welche Tiefe Tayks Enthüllung den Geist des Teams gezogen hatte. Edward war deswegen zwar ebenso fertig gewesen, aber ich hätte mir dieses Ausmaß niemals vorstellen können. Im Nachhinein musste ich innerlich sogar zugeben, dass die Hälfte des Publikums genauso niedergeschlagen auf der Tribüne gesessen hatte… „Der eigentliche Grund, warum ich euch gebeten habe, mit zum Spiel zu kommen, war der, dass du vielleicht mal mit den Jungs reden könntest, um sie ein wenig zu motivieren. Vor ein paar Tagen hat sich nämlich herausgestellt, dass ihr Kapitän… ähm, auf Männer steht“, erklärte ich schlussendlich und schaute schüchtern zu Phil auf. „Und da wolltest du meine Prominenz etwas ausnutzen“, lächelte er süffisant, gleich darauf rammte meine Mom ihm den Ellenbogen leicht in die Seite. Er stöhnte theatralisch auf. „So bekannt bist du nun auch noch nicht.“ „Nicht nur!“, rechtfertigte ich mich und ignorierte den Kommentar meiner Mutter. „In erster Linie wollte ich Edward, Emmett und Jasper eine Freude machen, indem ich euch hierher bitte.“ „Jasper?“ Renée musterte mich neugierig. „Einer von Edwards Freunden und Mitglied im Team. Leider liegt er momentan im Krankenhaus. Deshalb kann er nicht mitspielen.“ „Oh…“ „Wie dem auch sei“, mischte Phil sich wieder ein. „Ich werde mit ihnen reden. Und wenn das tatsächlich was bringen sollte, umso besser.“ „Danke“, lächelte ich erleichtert. Als wir vor den Türen der Umkleide standen, war ich doch etwas ratlos. Ich war noch nie in die der Jungs gegangen und auch jetzt konnte ich nicht einfach so hereinplatzen. Also beschloss ich, einfach anzuklopfen. Die doppelseitigen Metalltüren wirkten sehr dick auf mich und ich war mir nicht ganz sicher, ob man mein Klopfen überhaupt hören konnte. Wer wusste schon, in welchem Teil des Raums sich alle aufhielten. So klein war er nämlich nicht. Wider Erwarten öffnete sie sich jedoch und zu meiner Überraschung fast lautlos. „Ja?… Bella!“ Sofort erhellte sich Edwards Gesicht und er schlang seine Arme um meinen Körper, um mich hochzuheben. Ich hielt mich automatisch in seinem Nacken fest und musste lachen. Erst als er mich wieder absetzte, bemerkte er die beiden anderen Personen hinter mir. Augenblicklich schraubte er seine Euphorie zurück und stellte sich ordentlich hin. „Sie müssen Bellas Mom sein, wenn ich mich nicht irre. Freut mich, Sie kennen zu lernen.“ Höflich streckte er ihr seine Hand entgegen. Renée nahm sie an und grinste vielsagend. „Freut mich ebenfalls. Ich hab schon einiges von dir gehört. Du scheinst das Herz meiner Tochter ja im Sturm erobert zu haben.“ „Das hoffe ich doch“, erwiderte er stolz und zwinkerte mir zu. Meine Mundwinkel zuckten nach oben und unauffällig umschloss meine Hand die seine. „Und Sie sind bestimmt Phil Dwyer. Ich fühle mich geehrt, Sie zu mal treffen.“ „Ganz meinerseits“, entgegnete mein Stiefvater anerkennend. „Du hast einen wirklich interessanten Batting Style. Ich bin beeindruckt.“ Für einen winzigen Moment schien es mir, als würden Edwards Wangen einen leichten Rosé-Ton annehmen. Offenbar machte ihn das Lob verlegen. Bei dem Anblick musste ich ein Kichern unterdrücken. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Leider fasste er sich viel zu schnell wieder. „Danke, Sir.“ Dann wandte er sich wieder mir zu. „Nebenbei bemerkt könnt ihr von Glück reden, dass ich gerade beim Eingang war, sonst hätte euch wahrscheinlich niemand bemerkt.“ „Ach, in dem Fall wären wir einfach so reinge-“ „Könnt ihr mir mal verraten, was das eben sollte?!“ Die fremde Stimme ließ uns vier aufhorchen. „Wer war das?“ Edward seufzte. „Unser Trainer. Er ist nicht gerade begeistert von der ersten Halbzeit und ich kann es ihm noch nicht mal verdenken.“ „Was habt ihr euch dabei gedacht? Was ist los mit euch? Ich dachte, ihr wolltet diesen Schweinehunden von der Northern Shore dieses Jahr ordentlich den Marsch blasen? Wo ist eure Motivation? Euer Stolz?“ Das hörte sich gar nicht gut an. Schnell zog ich Edward mit mir, während die anderen beiden uns folgten. Nachdem wir ein paar Reihen von Spinten und dazwischen stehenden Sitzbänken passiert hatten, erreichten wir die Szenerie. Die Mannschaft hatte sich auf den Bänken vor ihren Umkleiden in einem Halbkreis niedergelassen. Ihre Köpfe hingen nach unten. Sie waren sichtlich angeschlagen. Tayk saß in einem kleinen Abstand gleich auf der Bank neben uns und sah auf, als er uns bemerkte. Mittlerweile tat er mir wirklich leid, auf diese Weise von den anderen behandelt zu werden. Das hatte selbst jemand wie er nicht verdient. Ich schenkte ihm ein leichtes, aufmunterndes Lächeln. Der Trainer stand - ebenfalls in unserer Nähe - vor seinem Team und wütete, was das Zeug hielt. Er fuchtelte wild mit seinen Armen in der Luft. „Mr. Rodríguez?“, sprach Edward ihn an. Gleich darauf war es still im Raum und alle Anwesenden sahen auf. „Ich würde den Jungs gerne jemanden vorstellen.“ Er machte mit seinem Arm eine Bewegung zu meinem Stiefvater. „Wahrscheinlich kennen die meisten den neuen Star-Pitcher der Arizona Diamondbacks schon aus dem Fernsehen, Phil Dwyer.“ Ein Murmeln ging durch die Reihen und auch der Trainer sah nicht minder überrascht aus. „Er würde sich gerne kurz mit euch unterhalten“, fuhr Edward fort und ließ meinem Stiefvater dann den Vortritt, während er selbst zurück an meine Seite kam. Seine Finger verhakten sich mit meinen in einem festen Griff und ein Lächeln zierte seine Lippen, als er zu mir heruntersah. Phil hatte derweil die Mannschaft begrüßt und fing an, über das Spiel und den Ehrgeiz jedes Einzelnen zu reden. Vielmehr bekam ich aber nicht mit, da mein Freund mich langsam zurück zum Eingang und hinaus ins Freie zog. „Edward, was soll das werden? Ich dachte, Phil soll euch ein bisschen mot-“ „Tsch“, machte er und legte mir einen Finger auf die Lippen. „Keine Sorge. Ich hab genug Motivation bei mir.“ Sein Grinsen verriet mir augenblicklich, was bzw. wen er damit meinte. Sofort wurden meine Wangen warm, als zu viel Blut unter meine Haut rauschte. „Schlei-“, setzte ich gerade an, als er seine Lippen stürmisch auf meine presste und mich in einen derartig leidenschaftlichen Kuss verwickelte, dass ich bereits nach kurzer Zeit in Atemnot geriet. Ich legte meine Arme in seinen Nacken und zog mich enger an ihn, während seine Arme dasselbe mit meinem Körper taten. Als wir uns nach einer kleinen Ewigkeit wieder voneinander lösten, keuchten wir beide schwer; mir war sogar leicht schwindelig. „Wow…“, hauchte ich gegen seine Lippen. Unvorstellbar, dass ich es den ganzen Tag ohne dieses unbeschreibliche Gefühl aushalten konnte. Jetzt, da ich es wieder gespürt hatte, wollte ich gar nicht mehr damit aufhören. „Ich hatte Sehnsucht“, wisperte er verführerisch und ich konnte nichts weiter als nicken. „Ging mir nicht anders.“ Sein breites Lächeln entblößte zwei perfekte Reihen weißer Zähne. Gleich darauf beugte er sein Gesicht nach vorne und flüsterte mir ins Ohr, während seine Finger sanft über die Bänder meines Oberteils glitten und dabei jedes Mal einen Teil meiner nackten Haut berührten. „Du siehst heute wirklich einzigartig aus.“ „Danke“, flüsterte ich benommen. Die feinfühligen Bewegungen seiner Finger auf meinem Rücken brachten mich völlig aus dem Konzept. Plötzlich hielt er inne. „Sag mal“, fing er an und legte seine Hand auf meine Stirn, anschließend auf meine Wange. „Geht´s dir gut? Du bist ganz warm.“ Erstaunt hoben sich meine Augenbrauen, bevor ich allerdings etwas sagen konnte, fing es an, in meiner Nase zu kribbeln. Gleich darauf musste ich erst ein-, dann zweimal niesen. „Scheint, als würdest du eine Erkältung ausbrüten.“ „Blödsinn. Ich bin nicht krank. Wem würde denn nicht warm werden, wenn er von dir so in den Armen gehalten wird.“ „Ach, so ist das“, grinste Edward, wurde gleich darauf aber wieder ernst. „Pass trotzdem ein bisschen auf.“ „Einverstanden.“ „Bella, wir sind dann soweit.“ So schnell, wie die Tür zur Umkleide aufging, konnten wir gar nicht reagieren, und so entdeckten Renée und Phil uns in inniger Umarmung gleich neben dem Eingang - beide Parteien mit demselben erschrockenen Gesichtsausdruck. Eine bedrückende Stille hielt für ein paar unendlich lange Sekunden an. Meine Mom war die Erste, die sich wieder regte. „Ähm… Wir gehen dann schon mal vor. Du kannst ja nachkommen, wenn du soweit bist.“ Mit einem Zwinkern zog sie ihren Mann mit sich und verschwand ziemlich rasch in der Dunkelheit. Ich kam überhaupt nicht dazu, noch etwas zu sagen. Edward kicherte leise. „Hör auf zu lachen. Das war peinlich“, schalt ich ihn, konnte mir selbst aber ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. „Schon gut… Ich sollte aber auch langsam wieder rein. Die Pause ist bald vorbei.“ „Ist gut“, nickte ich verstehend. „Wünsch uns Glück.“ „Viel Glück“, antwortete ich mit einem Grinsen. „Seht zu, dass ihr gewinnt.“ Er lachte kurz, lockerte die Umarmung und gab mir noch einen langen Kuss auf die Stirn, ehe er in der Umkleide verschwand. Mit einem wehmütigen Seufzen blieb ich noch einen Augenblick dort stehen, dann machte ich mich ebenfalls auf den Weg zu den Tribünen. „Bella!“, hörte ich plötzlich hinter mir. Ich war bereits einige Minuten unterwegs und hatte das Spielfeld schon beinahe erreicht. Als ich mich umdrehte, erkannte ich Tayk, wie er auf mich zugerannt kam. Abrupt blieb ich stehen. „Was gibt es?“ Mit Vorsicht musterte ich seine Erscheinung, als er ca. einen Meter vor mir stehen blieb. Auch wenn er mir leid tat… Ihn jetzt allein im Dunkeln zu treffen, trug nicht gerade zu meinem Wohlbefinden bei. Sonst war Edward immer bei mir gewesen. Er schien ein bisschen außer Atem und antwortete erst etwas später, während er mir ein Stück Papier entgegenhielt. „Das soll ich dir noch von Edward geben.“ Verwirrt runzelte ich die Stirn. Konnte ich ihm das glauben? Abwechselnd betrachtete ich den Umschlag und mein Gegenüber. „Du kannst ihn ruhig entgegen nehmen“, meinte er lächelnd, als er mein Zögern bemerkte. „Mit Claire hab ich nichts mehr am Hut und es sieht so aus, als wollte Edward mir noch eine Chance geben. Ich hab die Möglichkeit, das alles wieder gut zu machen, deshalb wäre ich dir dankbar, wenn du den Brief nimmst.“ „Okay…“ Langsam nahm ich ihm das Stück Papier ab. Falls das alles ein Scherz sein sollte, konnte ich es hinterher immer noch wegwerfen. „Danke“, entgegnete Tayk lächelnd. „Also, bis dann. Wir müssen noch ein Spiel gewinnen.“ Er drehte sich um und wollte bereits wieder loslaufen, als er noch einmal stoppte und sich zu mir drehte. „Ach… und Bella? Das, was damals passiert ist… Das tut mir wirklich leid. Ich weiß, dass das nicht richtig war. Und Edward scheint dich wirklich zu lieben.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er zurück - nicht, dass ich überhaupt eine hätte geben können. Mein Herz schlug schneller und mein Körper wollte sich partout nicht regen. Wie sollte ich das jetzt verstehen? Der ehrliche Ausdruck auf seinem Gesicht ließ mich nicht wirklich an ihm zweifeln. Er wirkte tatsächlich aufrichtig. Auch konnte ich mir gut vorstellen, dass Edward ihm wirklich noch eine Chance geben würde. Immerhin waren sie schon seit Jahren befreundet. Langsam taute ich wieder auf und setzte mich in Bewegung, bis ich die Tribüne erreicht hatte. Allerdings suchte ich nicht sofort die anderen auf. Ich wollte den Brief in Ruhe lesen. Mit Emmett und Alice an beiden Seiten wäre das definitiv schwierig geworden. Ich setzte mich auf eine der Bänke, die bei den Ständen aufgestellt worden waren und blickte auf den Umschlag. In fein säuberlicher Schrift stand dort Bella. Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen. Wenn ich ehrlich war, hatte ich noch nie auf Edwards Handschrift geachtet. Einerseits hätte ich nicht damit gerechnet, dass er eine so ordentliche besaß, andererseits passte es irgendwie zu ihm. Vorsichtig öffnete ich den Brief und holte ein beigefarbenes Stück Papier heraus. Als ich es aufklappte, erkannte ich auch dort diese gleichmäßig geschwungenen Buchstaben… Meine Bella, Bestimmt wunderst du dich über diesen Brief und vor allem darüber, dass Tayk ihn dir gebracht hat. Ich habe beschlossen, ihm noch eine Chance zu geben. Ich hoffe, du kannst mir deshalb verzeihen. Ich weiß, wie schrecklich das, was er gemacht hat, für dich gewesen sein muss. Wenn du damit nicht einverstanden sein solltest, werde ich es natürlich sein lassen, mich wieder mit ihm anzufreunden. Warum ich aber eigentlich diesen Brief schreibe. Ich wollte dich bitten, genau eine Stunde nach Spielende in unsere Umkleidekabine zu kommen. Bis dahin sollte Tayk unser Team dazu gebracht haben, sich zu beeilen, damit wir beide ungestört sein können. Eine kleine Überraschung wartet dort auf dich und ich hoffe, sie wird dir gefallen. In Liebe Edward P.S. Wegen Seth brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Ich habe ihn bereits angerufen und unser Treffen auf morgen verschoben. Abermals hämmerte es in meiner Brust ungewöhnlich stark. Von neuem huschten meine Augen über die geschriebenen Zeilen. Die Aufregung nahm mit jedem Wort zu. Sinngemäß war dieser Brief eine Art Einleitung zu unserem Date. Also würde es heute doch stattfinden. Gleich nach dem Spiel. Edward hatte anscheinend alles durchgeplant, auch die Sache mit Seth. Ich war tatsächlich erleichtert, dass er ihr Gespräch auf einen anderen Tag verlegt hatte. So würde dieser Abend doch noch ein wunderbares Ende finden. Ein drittes Mal las ich den Text. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen. Die Vorfreude übermannte meine Sinne, ließ meinen Körper in Begeisterung schwelgen. Schnell steckte ich das Papier zurück in den Umschlag, als ich von weitem die Stimme des Moderatoren hörte. Die Pause war vorbei und in der Ferne konnte ich bereits die schwachen Silhouetten der Spieler ausmachen, die auf dem Weg zum Spielfeld waren. Als ich endlich auf meinem Platz angekommen war, wurde meine Hochstimmung jäh von Alice‘ trüber Miene unterbrochen. Mit Bedacht setzte ich mich neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern. „Ich weiß, dass du jetzt viel lieber bei Jasper sein würdest.“ Traurig lächelte sie mich an. „Ja und Nein. Ich hab ihm versprochen, mir das Spiel anzusehen. Was mir aber eigentlich zu Denken gibt, ist die Tatsache, dass sich meine Vorahnung noch nicht bestätigt hat.“ „Sieh‘s mal so. Der Abend ist noch jung“, versuchte ich zu scherzen. Aber bei dem frustrierten Ausdruck in ihrem Gesicht verging mir das Lachen und ich musste zugeben, dass der Witz wirklich nicht sonderlich angebracht war. „Versteh mich nicht falsch, Bella. Eigentlich müsste ich mich freuen. Nur leider kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass garantiert noch etwas passieren wird.“ Als ich bemerkte, dass meine Mom uns einen kurzen Seitenblick zuwarf, antwortete ich Alice in einem etwas leiseren Tonfall. „Das wird es nicht. Emmett und Edward sind bei uns, und diesen Mr. Harper hab ich den ganzen Abend noch nicht gesehen. Womöglich ist er heute gar nicht anwesend.“ Alice seufzte. „Ich hab schon mal gesagt, dass es hier nicht um m-“ „Ja, ich weiß“, unterbrach ich sie schroff. Würde sie es noch einmal sagen, würde ich es am Ende eventuell sogar noch glauben. Aber ich wollte nicht glauben, dass heute noch etwas Schlimmes geschah. Dieser Abend konnte doch nicht bloß durch eine ungewisse Vorahnung ruiniert werden. Bestimmt täuschte sie sich. „Charlie hat mich vorhin übrigens angerufen.“ Renées plötzliche Aussage beendete den kleinen Disput zwischen Alice und mir. „Hat er gesagt, wann er kommt?“, wollte ich wissen. Immerhin hatte er schon die Hälfte verpasst. Meine Mom schüttelte den Kopf. „Leider gar nicht. Der Fall, in den sein Revier mit hineingezogen wurde, hat wohl gerade eine heiße Spur zu einer gesuchten Person entdeckt. Deshalb kann er da nicht weg.“ „Oh…“ Die Enttäuschung musste mir anzusehen sein, denn Renée lächelte aufmunternd. „Mach‘ dir deswegen keinen Kopf. Er wird bestimmt noch mehr Gelegenheiten haben, Edwards Baseballfähigkeiten bewundern zu können.“ „Ja, wahrscheinlich. Trotzdem ist es schade.“ Ich hätte Charlie wirklich sehr gerne heute hier gehabt. Nicht nur, um ihm ein besseres Bild von Edward zu geben. Aber das musste wohl auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Ein paar Minuten später begann die zweite Spielhälfte. Ich war überrascht, als ich bemerkte, dass Edwards Team von Anfang an ein ganz anderes Tempo vorlegte. Von den Unsicherheiten und den Distanzen in den ersten Innings war rein gar nichts mehr zu sehen. Vielmehr war jetzt sogar ein gewisser Teamgeist zu spüren. Die Lions schienen sich wirklich anzustrengen, das Ruder noch herumzureißen. Als ich Phil fragte, was er ihnen denn alles erzählt hatte, meinte er nur, dass er ein bisschen von Spielerehre und Stolz erwähnt hatte… und dass es in seiner Mannschaft ebenfalls jemanden gab, der in der gleichen Situation wie Tayk steckte. Würde ihr Team, egal in welcher Situation, nicht zusammenhalten, wäre es schon lange nicht mehr in der Major League. Das erklärte natürlich einiges. Ich freute mich wahnsinnig, dass der Besuch meines Stiefvaters so viel bewirken konnte. Unsere Mannschaft holte wirklich schnell den Vorsprung ein, den die Gegner sich in der ersten Halbzeit zugelegt hatten. Auch hatten es die Black Tigers dieses Mal schwer zu punkten. Unsere Defensive war genauso gut wie unsere Offensive. So war es also kein Wunder, dass die Lions im letzten Inning mit nur ein paar Punkten im Rückstand lagen. Eine verzwickte Situation, die sie meistern mussten, wenn sie den Tigers den Titel abnehmen wollten. Nur ein Homerun würde ihnen zum Sieg verhelfen. Die Anspannung befiel sowohl Publikum als auch Spieler. Ich konnte es spüren, mir ging es nicht besser. Ich gönnte ihnen und vor allem Edward die Trophäe und drückte beide Daumen. Allerdings fiel mir auf, dass mein Freund bereits mit Batten an der Reihe gewesen war und somit nicht die Chance hatte, den benötigten Homerun zu schlagen. Nein, derjenige, auf dessen Schultern das Schicksal der Mannschaft lag, war… Tayk. Ich betete inständig, dass es ihm gelingen würde. Wenn er dem Team zum Sieg verhalf, würden die alten Differenzen sicher vergessen sein. Mit gespreizten Beinen stellte er sich auf seinen Platz, während der Catcher des Gegners sich hinter ihn hockte. Einige Male schwang er den Schläger über seiner Schulter, fixierte mit den Augen den Pitcher. Ein Zeichen des Schiedsrichters signalisierte Letzterem zu beginnen. Mit der schon so oft gesehen Prozedur warf er den Ball und Tayk holte mit dem Schläger aus. Gleich darauf streckte der Schiedsrichter seinen Arm in die Höhe: Out. Er hatte nicht getroffen. Beinahe konnte man das Seufzen der Leute hören. Aber noch hatte er nicht verloren. Noch standen zwei Versuche aus. Die Nerven der Zuschauer waren zum Zerreißen gespannt, als der Pitcher den zweiten Ball warf. Und wieder verfehlte Tayk ihn. Es kam mir so vor, als würden einige langsam die Hoffnung aufgeben, die Lions könnten dieses Spiel noch herumreißen. Die Gegner und vor allem ihr Werfer wirkten auch zuversichtlicher als noch vor ein paar Minuten. Als wüssten sie, dass unser Kapitän den letzten Ball ebenfalls verfehlen würde. Als wüssten sie, dass sie gewinnen würden. Ich sendete Stoßgebete gen Himmel. Unser Team musste es einfach schaffen. In der Luft knisterte es regelrecht, als der Pitcher zum dritten Wurf ansetzte. Er warf den Ball in seiner Hand immer wieder in die Höhe. Er war ebenso nervös wie wir - für ihn stand ebenfalls eine Menge auf dem Spiel. Fest umschloss er das Leder mit seinen Fingern, legte die geballte Faust an seine Brust und hob das rechte Knie. Ein Ausfallschritt nach hinten, den Arm weit ausgeholt, ehe der Ball in einer Mordsgeschwindigkeit auf unseren Kapitän zuraste. Tayk schwang seinen Schläger und alle Anwesenden hielten die Luft an… Ein Laut, wie man in nur bei einem Gewitter hören konnte. Hartes Leder traf auf Metall. Das hohle Geräusch, das der kleine Ball auf dem Schläger erzeugte, erfüllte die Tribüne. Die Köpfe der Leute folgten synchron der Flugrichtung und als der Kommentator HOMERUN ins Mikro schrie, jubelte das gesamte Stadion. Keiner blieb mehr auf seinem Platz sitzen. Alle schossen in die Höhe, klatschten, schrieen, pfiffen… Auch wir verhielten uns nicht anders. Selbst Alice freute sich. Die East Coast Lions hatten gewonnen. Nach Jahren der Niederlage hatten sie endlich wieder einen Sieg gegen die Black Tigers errungen. Die Menge feierte und auch unsere Mannschaft rannte vor Freude auf dem Feld herum. Sie hoben ihren Kapitän hoch und warfen ihn immer wieder in die Luft. Wie ich es mir gedacht hatte… Ihre Scheu war vergessen. Jetzt zählte nur der Sieg. Musik ertönte, bei der die Mannschaft sich vom Publikum umjubeln ließ. Nach ein paar Minuten stellten sich alle in einer Reihe auf und unser Rektor trat wieder aufs Feld. Neben ihm jemand, der einen sehr großen, glänzenden Gegenstand mit sich trug. „Es war ein nervenaufreibendes Match. Nicht nur die beiden Teams haben Blut und Wasser geschwitzt, so spannend war es. Beiden Mannschaften gebührt Ehre und Respekt für dieses wunderbare Schauspiel. Aber nun, werte Gäste. Lassen Sie uns gemeinsam den East Coast Lions zu ihrem verdienten Triumph gratulieren“, sprach der Direktor stolz ins Mikro. Er schüttelte allen Mitgliedern die Hand und stellte sich dann vor Tayk, um ihm den Pokal zu überreichen. Dieser streckte ihn sogleich in die Höhe und drehte sich um seine eigene Achse, um der Masse die Auszeichnung zu präsentieren. Abermals ertönte heftiger Applaus. Meine Hände taten bereits weh, so sehr klatschte ich sie aufeinander. Die Mannschaft bedankte sich noch einmal bei dem Publikum, ehe sie, ebenso wie der Gegner, das Feld verließen. Kurz bevor sie verschwunden waren, konnte ich noch einen Blick auf Edward erhaschen. Seine Augen lagen ebenfalls auf mir und ein sehnsüchtiger Ausdruck lag in ihnen. Am liebsten wäre ich sofort zu ihm hinunter gerannt. Aber das konnte ich nicht. In einer Stunde würde ich ihn ohnehin wieder sehen. Mal ganz davon abgesehen, dass beim ‘Rennen‘ immer die Möglichkeit bestand, sich der Länge nach hinzupacken. Darin war ich nämlich unschlagbar. Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde die Erkenntnis, dass mir bei Edward bisher nichts wirklich Schlimmes passiert war. Wir waren jetzt bereits eine Woche fest zusammen und verbrachten fast jeden Tag miteinander. Doch nie geschah etwas außergewöhnlich Peinliches. Im Gegensatz zu meinen früheren Dates lief diese Beziehung fabelhaft. Die ein oder andere Stolperattacke war zwar vorgekommen, aber niemals hatte ich etwas wirklich Gravierendes verursacht. Nichts, das Edward sich von mir abwenden lassen könnte. Zugegeben lag es damals teilweise an Claire, weil sie meine Verabredungen manipuliert hatte, aber das war jetzt Geschichte. Sie konnte mir nicht mehr dazwischen funken. Und schon gar nicht konnte sie Edward dazu bringen, sich von mir zu trennen. Erleichtert atmete ich auf. Von nun an würde alles bergauf gehen. Heute war unser erstes, offizielles Date und es würden keine Probleme auftauchen. Da war ich mir absolut sicher. „Bella, nicht träumen!“ Erschrocken hob ich meinen Kopf. Alice lächelte mich an. Sie stand bereits etwas weiter weg von mir. Als ich mich umsah, bemerkte ich verlegen, dass viele der Zuschauer schon die Tribüne verlassen hatten. Schnell holte ich zu ihr auf und gemeinsam verließen wir unsere Sitzplätze. Bei den Ständen vor dem Spielfeld angekommen, bahnten wir uns einen Weg zu den anderen. Die meisten Leute standen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich angeregt. Nach ein paar hektischen Augenblicken der Suche entdeckten wir Emmett, Rose, Roxy, meine Mom und Phil an einem runden Stehtisch. Em hielt das kleine Mädchen in seinen Armen. Sie war richtig aufgekratzt und rief zwischen ihrem Lachen immer wieder „Onkel Eddy hat gewonnen!“ Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen und die anderen fanden es ebenfalls amüsant. Emmett stimmte dem Wirbelwind zu, während ab und zu liebevolle Blicke zu Rosalie wanderten. Alice betrachtete die drei mit einem schwachen Lächeln. In Gedanken musste sie wohl wieder bei Jasper sein. „Willst du Edward nicht schon entgegenlaufen?“, fragte Renée mich auf einmal. „Nein, noch nicht. Wir haben eine kleine Abmachung. Ich gehe erst in einer Stunde zu ihm.“ Sie, Em und Alice musterten mich irritiert. „Was für eine Abmachung?“ „Das bleibt ein Geheimnis“, grinste ich und legte meinen Zeigefinger auf meine Lippen. Keiner von ihnen fragte nach, meine Mutter schenkte mir nur ein vielsagendes Lächeln und auch Emmett hatte einen ähnlichen Ausdruck auf dem Gesicht. Die nächste Stunde hörte ich also hauptsächlich dem Gespräch von Phil und dem braunlockigen Bären zu, das überwiegend von dem Baseballspiel handelte. Mein Stiefvater stellte fest, dass einige der Spieler richtiges Potenzial hätten, um Profi zu werden. Auch Edward wurde dabei erwähnt. Davon würde ich ihm später ganz sicher erzählen. Erst als meine Mom mich mit einem Augenzwinkern darauf aufmerksam machte, registrierte ich, dass die Stunde schon fast vorbei war. „Und du lässt keinen aus den Augen?“, wandte ich mich noch sicherheitshalber an Emmett. Er nickte verstehend. Meinen Wink hatte er sofort erkannt. „Solange du selbst nicht verloren gehst…“ „Keine Sorge… Also, bis später“, verabschiedete ich mich und ging Richtung Umkleiden. Ich hatte ihnen zwischendurch mal angeboten, nach Hause zu fahren, wenn sie nicht so lange auf uns warten wollten, aber meine Mutter meinte, dass sie sich wenigstens noch von Edward verabschieden wollte. Immerhin würde sie ihn für eine lange Zeit nicht wieder sehen. Bei all der Begeisterung, die sie für meinen Freund aufbrachte, konnte ich nur lachend den Kopf schütteln. Während ich auf dem Weg zu den Umkleiden war, bekam ich ein leicht mulmiges Gefühl. Der Wind hatte aufgefrischt und allein im Dunkeln hier lang zu gehen, bereitete einem schon gewisse schaurige Momente. Vor allem dann, wenn man irgendwo ein unbekanntes Geräusch vernahm. Ich schreckte jedes Mal zusammen, wenn es irgendwo knackte, oder die Eule ihren nächtlichen Schrei von sich geben musste. Als ich mein Ziel endlich erreicht hatte, atmete ich beruhigt aus. Sobald ich mich im Innern befand, brauchte ich keine Angst mehr zu haben. So schreckhaft wie ich war, hätte ich vielleicht Phil darum bitten sollen, mich bis hierher zu begleiten. Im selben Augenblick fand ich diese Idee aber völlig absurd. Letztendlich hatte ich es ja geschafft. Da Edward mir selbst gesagt hatte, er würde mein Klopfen nicht nicht hören, öffnete ich einfach die schwere Tür und trat ein. Im ersten Moment war ich etwas verwundert, hatte ich doch damit gerechnet, einen erhellten Raum vorzufinden. Allerdings war das nicht der Fall. Die recht dürftige Beleuchtung bestand ausschließlich aus dicken Kerzenstumpen, die auf dem Boden verteilt waren. Ihr Licht flackerte und die Schatten der Flammen tanzten auf den Wänden. Völlig verblüfft von diesem Anblick blieb ich im ersten Moment reglos stehen. Ich konnte mich gar nicht satt sehen. Ich fühlte mich in dieser romantischen Atmosphäre auf der Stelle geborgen. Mit Bedacht setzte ich einen Fuß vor den anderen, folgte den Kerzen weiter in den Raum hinein. Ich passierte eine Spintreihe nach der anderen, immer darauf achtend, die Stimmung nicht durch irgendein lautes Geräusch zu verderben. Bei den Lichtverhältnissen war es nämlich durchaus möglich zu stolpern. Nicht weit entfernt von mir ließ mich ein Kichern aufhorchen. Kurz hielt ich inne, ging aber gleich darauf weiter. Und als ich endlich um die Ecke des letzten Spints schauen konnte, setzte mein Herzschlag aus… Dort stand Edward. Einzig ein weißes Badetuch war um seine Hüften gewickelt. Seine Haut war immer noch feucht vom Duschwasser, welches an einigen Stellen auf den Boden perlte. Ebenso von seinen Haaren, dessen bronzene Farbe nun im Kerzenschein schimmerte. Das Schlimmste an diesem Bild war die Person, die vor ihm stand und der er scheinbar mit Freude seine Lippen aufdrückte; den Kuss regelrecht genoss. Claire… In einer einzigen Sekunde war meine Welt wie ein Glashaus in sich zusammengestürzt. Wie konnte er mir das antun? Nicht nur, dass er überhaupt jemand anderes küsste, aber warum ausgerechnet sie?! Mir stockte der Atem, meine Brust zog sich schmerzvoll zusammen. Mein Herz wollte einfach nicht wieder anfangen zu schlagen. Zu grauenhaft war dieser Anblick, zu verletzend diese Entdeckung. Meine Sicht verschwamm, als ich die Tränen, die sich in Windeseile angestaut hatten, nicht länger zurückhalten konnte. Ungehemmt rannen sie wie Bäche über meine erhitzten Wangen und ließen den Schmerz frei, den ich zu unterdrücken versucht hatte. Ich taumelte benommen nach hinten. Über uns auf dem Dach setzte plötzlich ein schnelles, gleichmäßiges Trommeln ein. Es musste angefangen haben zu regnen - als teilte der Himmel meine Trauer. Das Geräusch ließ die beiden aufschrecken. Edward sah zu mir, dann zu Claire und dann wieder zu mir. Seine Augen weiteten sich vor Bestürzung. „Bella…“, fing er an und kam ein paar Schritte auf mich zu. Doch ich wich zurück. „Lass mich“, krächzte ich schluchzend und hielt ihm abwehrend meine Hand entgegen, während sich die andere fest um den Anhänger schloss. „Das ist ein Missverständnis. Ich-“ „Hör auf, mir irgendetwas erklären zu wollen“, fuhr ich ihm barsch dazwischen. „Ich will nichts hören.“ „Aber-“, setzte er erneut an. „Nein, verdammt noch mal!“ Ich schrie beinahe, der Zorn und die Trauer beherrschten meine Stimme fast vollständig. Mit Gewalt zog ich an meiner Kette. Ich wollte dieses Ding nicht mehr an meinem Hals spüren. „Bella, nicht…“ Ich ignorierte sein Flehen und konzentrierte mich allein darauf, dieses blöde Geschenk endlich loszuwerden, aber es schien fast, als wollte es sich nicht von mir lösen. Meine Hände zitterten elendig stark und mein Kopf drohte zu zerplatzen. Mit aller Gewalt zog ich an dem Anhänger, ich spürte, wie das Metall der Kette in meine Haut schnitt - wie ein glühendes Eisen, ehe der Verschluss endlich riss und ich Edward dieses verfluchte Schmuckstück gegen die Brust schleudern konnte. Mit einem leisen Kling fiel es zu Boden. „Tritt mir nie wieder unter die Augen, Edward Cullen“, flüsterte ich mit dem letzten bisschen Sauerstoff, der mir noch innewohnte und rannte hinaus in den Regen; rannte, ohne überhaupt zu wissen, wohin mich meine Füße trugen. Das war alles, was ich noch tun konnte. Für mehr war mein Körper nicht mehr im Stande. Ich wollte einfach weg von hier, weg von diesem Ort und vor allem weit weg von ihm… (Melody Gardot - Our Love Is Easy http://www.youtube.com/watch?v=lLSjZHshqj0 ) Der Regen hatte mich in Sekunden vollkommen durchnässt, aber ich kümmerte mich nicht darum. Immer wieder tauchte das Bild von ihm und Claire vor meinem inneren Auge auf. Ich hätte es wissen müssen. Nie hätte ich mich auf ihn einlassen sollen. Er wollte überhaupt nichts von mir. Er war die ganze Zeit über hinter ihr her gewesen. Natürlich! Wie konnte ich auch denken, er würde sich ernsthaft für die kleine Isabella Swan interessieren, wenn er doch eine Claire Stanfield haben konnte. Die ganze Zeit hatte er nur mit mir gespielt. So wie alle anderen. Ja… So wie alle anderen auch. Mit dem einzigen Unterschied, dass ich mich dieses Mal bedingungslos verliebt hatte. Immer wenn er mich in den Arm nahm… Oder wenn er mir einen Kuss auf die Stirn hauchte… Wenn seine Finger sanft meine Haut streichelten… Wie er mich immer angesehen hatte… Das Gefühl der Geborgenheit wollte einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden. Es zerriss mir das Herz, so sehr schmerzte die Erinnerung an all die wundervollen Momente. Krampfhaft klammerten sich meine Finger in mein Oberteil, in die Stelle, unter der sich mein Herz befand… Dort, wo die Wunde am größten war und unbarmherzig wuchs. Obwohl ich ja eigentlich seine wahren Absichten gekannt hatte, war ich dieses Mal völlig blind in mein Verderben gelaufen. War ich doch am Ende davon ausgegangen, er würde so empfinden wie ich. Ich hätte auf Alice hören sollen. Ihre Vorahnung war richtig gewesen, ich wollte es nur nicht wahr haben. Ich wollte nicht, dass dieser Traum wie eine Seifenblase zerplatzte. Und nun hatte er sich in einen Albtraum verwandelt. Ich stand wieder am Anfang. Nichts hatte sich geändert. Tief im Innern wusste ich doch eigentlich, wie es enden würde. Schließlich lief es immer so ab. Ich lernte jemanden kennen und fing an, ihn zu mögen. Mehr als drei Verabredungen hielt er nicht aus, weil ich ihn durch meine Ungeschicklichkeit vergraulte. Und schlussendlich hatte Claire ihn. Jetzt war es das gleiche Schema, nur mit einer kleinen Änderung. Es war nämlich gar nicht erst zu einem richtigen Date gekommen. Ich hatte mich geirrt, als ich dachte, ich wäre dieses Mal nicht vom Pech verfolgt. Claire selbst war meine personifizierte Ungeschicklichkeit… Ein erneuter Schwall Tränen vermischte sich mit den Regentropfen. Ich konnte das Schluchzen einfach nicht aufhalten. Völlig erschöpft ließ ich mich nach vorn fallen und stieß mit meinen Knien hart in eine der Pfützen, die sich am Straßenrand gebildet hatten. Ich spürte, wie sich kleine Kieselsteine in meine Haut bohrten. Mein Oberkörper sackte in sich zusammen, meine Finger krallten sich in die Bordsteinkante, als wollten sie mit den aufschürfenden Fingerkuppen versuchen, von dem Kummer abzulenken, der mich innerlich zerfraß. Ich schrie, wollte die Pein dadurch lindern. Vergeblich. Es wurde nicht weniger, es wurde mehr. Die Stiche in meiner Brust, die Krämpfe in meinem Bauch… Mein ganzer Körper litt Höllenqualen. Ich wollte es stoppen, irgendwie. Ich brauchte nur einen kleinen Strohhalm, an den ich mich klammern konnte. Irgendeinen… Missverständnis. Ja, das hatte er gesagt. Aber das konnte ich ihm nicht glauben. Nicht nach dieser Szene, die sich mir geboten hatte. Und was, wenn doch? Wenn es wirklich nur ein Missverständnis war? Ich konnte mir nicht vorstellen, ihn derart falsch eingeschätzt zu haben. All die innigen Augenblicke, all die Emotionen… Das konnte keine Lüge gewesen sein. Dazu war sein Verhalten viel zu aufrichtig. Erst vor kurzem war mir schließlich bewusst geworden, dass er mich liebte… Allein bei dem Gedanken blühte wieder ein Fünkchen Hoffnung in mir auf. Ich wollte so sehr daran glauben. Wenn er mich also wahrhaftig liebte, würde er auf der Stelle hinter mir herrennen, um diese Sache zu klären, nicht wahr? Ja, das würde er. Das Ziehen in meiner Brust wurde weniger, auch das Weinen hörte allmählich auf. Nur noch vereinzelt entwich mir ein Schluchzen. Unbeholfen setzte ich mich auf den kalten, nassen Bordstein, während der Regen erbarmungslos auf mich niederprasselte. Ich zog meine Knie an, um der Kälte ein bisschen Einhalt zu gebieten, wirklich helfen tat es aber nicht. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand, im Dunkeln konnte ich nichts richtig ausmachen. Allerdings war das jetzt mein geringstes Problem. Viel wichtiger war es jetzt, hier sitzen zu bleiben, damit Edward mich fand. Ich musste ihm ein bisschen Zeit gewähren. Er konnte schlecht in dem Badetuch nach draußen laufen… Mit jeder Minute, die verging, schrumpfte meine Hoffnung, während der Schmerz drohte, mich abermals zu überrollen. Vielleicht wollte er ja noch einen Regenschirm besorgen und fand nicht sofort einen… Je länger ich wartete, desto lächerlicher kamen mir meine Ausreden für sein Fernbleiben vor. Jegliches Zeitgefühl war verschwunden. Wie lange saß ich jetzt schon hier? Der Strohhalm, den ich mir gesucht hatte, war eine Attrappe gewesen. Sobald man sie berührte, fiel sie zusammen. Ich hätte gar nicht erst danach greifen dürfen und nun fiel ich zurück in das Loch. Mein Kopf sackte nach vorne, meine Arme hingen schlaff an meinen Seiten, meine Hände lagen in der eiskalten Pfütze. Und mein Schluchzen erfüllte die menschenleere Straße. Ich hatte ihn tatsächlich falsch eingeschätzt. Ich hatte seine Lügen geglaubt. Ich hatte mir von Anfang an etwas vorgemacht. Er würde nicht kommen… Kapitel 29: Miteinander verbundene Schicksale? ---------------------------------------------- Waaahhh, sorry. ich weiß, dass das letzte Update schon eine Ewigkeit her ist ;_; Ich werd mich bessern, das hab ich ja versprochen :'D Ich weiß, das Chapter ist im Vergleich zum letzten nur halb so lang. Aber ich wollte euch nicht länger auf die Folter spannen, zumal ich ja angekündigt hatte, diese FF noch diesen Monat zu aktualisieren. Es gibt auch noch eine kleine Werbung, vielleicht habt ihr ja aber auch schon davon gehört ;) fictionfans.de richtet zur Zeit den Diamond Heart Award (http://www.fictionfans.de/viewpage.php?page=award) aus, bei dem ihr eure LieblingsFFs im Twilight-Fandom nominieren könnt :'D Im Übrigen ein fucking big THANKS für die ganzen Kommentare auf das letzte Kapitel!! O_O ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Bella?“ Augenblicklich sah ich auf und hatte schon die ersten Buchstaben im Mund. „Ed-…“ Doch es war nicht der, den ich erwartet, auf den ich gehofft hatte. Nein, genau genommen war ich ziemlich überrascht über die Person, die vor mir stand. „Seth…? Was…“, fing ich an, brach dann aber mitten im Satz ab und ließ meinen Kopf sinken, als mir bewusst wurde, wie ich aussehen musste. Völlig miserabel. Vielleicht konnte man meine Tränen durch den Regen nicht mehr erkennen, doch meine Verfassung musste trotzdem nicht die Beste sein. Seths Gesichtsausdruck zeigte das deutlich. „Mir geht’s gut“, murmelte ich, während ich mir meine Haare glatt strich und den Regen aus meinem Gesicht wischte. Was ich bis eben jedoch nicht bemerkt hatte, war, dass dieser nicht mehr auf mich niederprasselte. Verwundert blickte ich wieder auf und stellte fest, dass Seth einen Regenschirm über meinen Kopf hielt. „Ich glaub dir kein Wort, Bella“, war seine Antwort. Ich blieb stumm, ich wollte nicht auf seine Feststellung reagieren, stattdessen wandte ich mich wieder ab. „Was willst du, Seth?“, fragte ich leicht gereizt und hoffte, dass er endlich verschwand. Ich war nicht in der Stimmung, mich mit ihm oder sonst jemandem zu unterhalten. Ich wollte allein sein. Edward wäre der Einzige gewesen, den ich jetzt geduldet hätte und das allein nur deswegen, um meine Hoffnung wieder aufflammen zu lassen – selbst, wenn ich wusste, dass es längst zu spät für so etwas war. „Ursprünglich hatte ich vor, mich mit Edward zu treffen. Wir wollten uns aussprechen.“ „Edward…“, schnaubte ich abwertend, und doch drangen bei der Erwähnung seines Namens wieder ein paar Tränen an die Oberfläche. Mein Gesicht spannte sich schmerzvoll an, als ich versuchte, sie mit aller Kraft zurückzuhalten. Ich hatte erwartet, dass er auf meinen Kommentar eingehen würde, doch dem war nicht so. Er blieb still und erst nach ein paar langen Sekunden sagte er wieder etwas. „Du solltest erstmal aus dem Regen raus. Wenn du noch länger hier sitzt, holst du dir noch was weg.“ Aus den Augenwinkeln sah ich, dass er mir seine Hand anbot, allerdings machte ich keine Anstalten, seine Einladung anzunehmen. Warum konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Was kümmerte er sich überhaupt um mich? „Bella…“, mahnte er mich eindringlich und schob seine Hand unter meine Achsel. Ich wollte protestieren, doch er hatte mich längst auf die Beine gezogen. Er war viel zu stark, als dass mein Federgewicht ihm irgendwie Konkurrenz hätte machen können. Außerdem hatte ich einfach nicht mehr die Kraft dazu, mich irgendjemandem ernsthaft entgegenzustellen. Ich war viel zu ausgelaugt. „Seth, was soll das?“, murrte ich erschöpft und wand mich aus seinem Griff. Glücklicherweise ließ er es zu, andernfalls hätte ich keine Chance gehabt. „Ich bring dich erstmal ins Trockene. Schließlich kann ich dich schlecht hier allein lassen.“ „Warum nicht? Es kümmert doch niemanden, was mit mir ist“, patzte ich zurück, leistete aber keinen Widerstand, als er einen Arm um meine Schultern legte und mich mit sich zog. „Ich bin sicher, dass es Edward etwas ausmachen würde.“ Ich schnaubte wieder. „Davon bin ich überzeugt…“ Wir gingen ein Stück, während der Regen unaufhörlich um uns herum den Schmutz der Nacht wegwischte und die Welt wieder ein bisschen zum Glänzen brachte. Nur ich stand in einem trockenen Spot und wurde davon verschont. Zu Recht, denn meine eigene Dummheit konnte man nicht einfach mit Wasser reinwaschen. Ich war Schuld an meiner Misere und dafür musste ich jetzt büßen. Nach einer kleinen Weile führte mich Seth in einen Diner, dessen Licht durch die durchgehenden Fenster schien und den breiten Bürgersteig vor sich hell erleuchtete. Als wir durch die Tür gingen, schellte die kleine Glocke über ihr und kündigte uns an. Die Bedingung hinter dem Tresen sah auf und schenkte uns nur ein schwaches Lächeln, als sie uns begrüßte – als hätte sie nicht wirklich Lust auf neue Gäste. Außer uns gab es noch eine Hand voll Leute, von denen zwei direkt am Tresen saßen. Die anderen drei Personen waren an den Fenstertischen verteilt. Seth geleitete mich zu einem abgelegenen Tisch in der Ecke. Nachdem ich mich gesetzt hatte, rutschte er auf die Bank mir gegenüber und nahm die schmale Speisekarte in die Hand. „Also, was willst du trinken?“, fragte er und sah mich neugierig an. Kurz blickte ich zu ihm auf, schüttelte dann aber meinen Kopf und schaute wieder weg, als auch schon die Bedienung an unseren Tisch trat und nach unserer Bestellung fragte. „Einen schwarzen Kaffee für mich und eine heiße Schokolade für sie.“ Ruckartig wandte ich mich wieder Seth zu, hatte ich ihm doch eben noch gesagt, ich wolle nichts trinken. Jetzt konnte ich aber auch erkennen, dass mich die Kellnerin misstrauisch aus den Augenwinkeln musterte. Kein Wunder, so durchnässt wie ich war. Wahrscheinlich machte sie sich Sorgen, ich würde den Sitzbezug irgendwie ruinieren. Erst als Seth meinte, dass das alles wäre, verschwand sie endlich. „Ich hab doch gesagt, dass ich nichts haben möchte“, meinte ich müde und ließ meine Schultern sinken, während ich den Regen beobachtete, wie er draußen immer noch für ein kleines Chaos sorgte und jeder seiner Versuche, zu uns zu gelangen, von der Scheibe des Diners vereitelt wurde. Obwohl die Wärme hier drinnen wirklich angenehm war, wollte ich wieder nach draußen. Ich wollte die Regentropfen spüren, wie sie auf mich niederprasselten und meinen Körper nach und nach taub für jegliche Empfindungen machten. Hier an einem sicheren Ort war mir meine Lage wieder viel zu bewusst, als die Bilder von vor ein paar Stunden abermals zum Vorschein kamen. „Du brauchst was Warmes, sonst kühlst du in den dünnen Klamotten noch aus.“ Seths Stimme drang nur leise an mein Ohr. Die schrecklichen Erinnerungen von Edward und Claire waren einfach zu mächtig, als dass ich sie hätte ausblenden können. Dieses Mal versuchte ich nicht, meine Tränen aufzuhalten. Stumm liefen sie an meinen Wangen hinab. Zum Glück hingen meine nassen, verklebten Haare achtlos an meiner Seite herunter. So konnte Seth mein Gesicht nicht erkennen. „Also…“, fing er dann an und schien sich kaum daran zu stoßen, dass ich ihm nicht auf seinen Kommentar von eben geantwortet hatte. „Was ist passiert?“ Geduldig wartete er, aber ich blieb stumm und sah weiter aus dem Fenster. Als ich hörte, wie er abermals etwas sagen wollte, kam die Kellnerin zurück und stellte die Getränke vor uns ab. Seth bezahlte sofort. Ich würde ihm später meinen Teil zurück geben. Als die Bedienung wieder weg war, begann er von neuem. „Bella… Egal was geschehen ist, Reden hilft, damit besser klar zu kommen.“ Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Auflachen. Reden… Es gab nichts, worüber ich reden sollte. Die Tatsachen standen fest und an denen würde selbst ein Gespräch nichts ändern. Es würde mir Edward nicht wieder zurückgeben. Reden war sinnlos. „Es ist Edward, oder?“ Ich war drauf und dran, ihn zu fragen, ob es so offensichtlich war, von diesem… Kerl sitzen gelassen zu werden; ob es vielleicht auf meiner Stirn stand, dass ich ein naives Dummerchen war. Doch ich verkniff mir diesen Kommentar und würgte stattdessen den Kloß in meinem Hals hinunter, während weitere Tränen ihren Weg über mein Gesicht fanden. Dass er überhaupt ausgerechnet Edward erwähnte. Dabei hatte ich ihm bei unserem letzten Treffen erklärt, dass wir nicht zusammen waren. Es hätte alles Mögliche an meiner Verfassung Schuld sein können. Warum also ein Junge? Warum ausgerechnet Edward? „Hör zu, ich weiß längst, dass ihr mehr als nur Freunde seid“, stellte er klar und setzte das Wort ‚Freunde‘ mit seinen Fingern in Anführungszeichen. Abrupt drehte ich mich zu ihm um. Ein kleines, neckisches Grinsen lag auf seinen Lippen. „Es ist sozusagen unübersehbar, dass ihr beide euch nicht einfach nur gern habt. Außerdem muss etwas zwischen euch vorgefallen sein, sonst würdest du nicht alleine und weinend mitten in der Nacht auf der Straße sitzen. Ich geh jetzt mal davon aus, dass du ihm beim Spiel nicht nur aus der Ferne beobachtet hast, sondern auch bei ihm warst.“ „Gern haben…“, murmelte ich mit kratziger Stimme und einem Anflug von Sarkasmus. „Edward Cullen hat mich nicht gern.“ Seth sah mich überrascht an, seine Augenbrauen waren weit nach oben gezogen, wodurch sich kleine Fältchen auf seiner Stirn bildeten. Dieser Ausdruck verschwand aber bald und sein Mund formte sich zu einem selbstgefälligen Grinsen. „Das ist unmöglich, Bella. Ich hab euch beide zwar noch nicht so oft zusammen angetroffen, aber das, was ich gesehen hab, war-“ „Hör auf, Seth!“, fuhr ich ihn auf einmal wütend an und schlug mit beiden Fäusten auf die Tischplatte. Die Blicke der anderen Gäste und der Kellnerin interessierten mich nicht. „Soll ich dir sagen, was unmöglich ist? Es ist unmöglich, dass er mich mag. Und es ist unmöglich, dass er überhaupt je etwas für mich empfunden hat. Das Einzige, das überhaupt möglich sein kann, ist, dass er mich erfolgreich glauben hat lassen, ich sei etwas Besonderes, nur um mir gleich darauf zu zeigen, wie wichtig ich ihm bin.“ Ich funkelte ihn böse an, hin und wieder entwich mir ein Schluchzer. Die Tränen, die jetzt in meinen Augen standen, galten nicht der Trauer, sondern dem Zorn gegenüber Seth. Seine optimistische Haltung nervte mich von Minute zu Minute mehr. Sein kurzzeitig erschrockener Gesichtsausdruck verschwand allmählich und je deutlicher das Lächeln an seine Stelle trat, desto wütender wurde ich. „Bella. Egal, was passiert ist, ich bin mir sicher, dass er eine Erklärung dafür hat.“ Einen Moment lang starrte ich ihn einfach nur hilflos an. Ich spürte, wie ihm ein kleiner Teil in mir glauben wollte. Ihm, als auch Edwards Worten, es sei alles ein Missverständnis gewesen. Doch der Vorfall in der Umkleide hatte sich in meinem Gedächtnis festgesetzt und stellte sich wie eine unüberwindbare Mauer allen Hoffnungsschimmern entgegen. Wie sollte seine Erklärung überhaupt aussehen? Oh, Bella. Es tut mir leid, aber ich hab doch gemerkt, dass ich mehr für Claire empfinde. Aber ich bin sicher, dass du eines Tages den Richtigen finden wirst. Haha, das hatte er mir schon damals ganz am Anfang gesagt. Auf sein Mitleid und seine tröstenden Worte konnte ich gut verzichten. Auf seinen entschuldigenden Blick oder seine Versuche, es mir irgendwie erträglicher zu machen. Mein Gesicht spannte sich an und langsam schüttelte ich den Kopf. Gerade, als ich etwas sagen wollte, unterbrach mich ein dumpfes Klingeln. Seth schaute schlagartig nach unten und holte dann ein Handy aus seiner Tasche. Kurz blickte er aufs Display, bevor er aber seine Nachricht öffnete, sah er auf und deutete mit einem Nicken entschuldigend auf sein Handy. Während er dann seine SMS las, richtete ich mich ordentlich auf, straffte meine Schultern und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich hielt sowieso ziemlich wenig von unserer Unterhaltung, da sie von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Also brauchte ich auch nicht länger hier sitzen. Es war schon ein Fehler gewesen, überhaupt mit Seth mitzugehen. Ich würde ihm ja doch nur zur Last fallen und außerdem wollte ich allein sein. Ich rutschte aus der Sitznische und ging schnellen Schrittes an Seth vorbei. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie er aufsah und seine Hand nach oben hielt, wie um mir zu bedeuten, anzuhalten. „Bella, warte-“ Ich ignorierte seine Bitte und marschierte aus dem Diner, wobei die kleine Glocke über der Tür wieder klingelte. Draußen regnete es immer noch, aber ich störte mich nicht weiter daran. Ich war erst ein paar Schritte gegangen, als mir jemand von hinten eine Jacke über die Schultern warf. Sofort blieb ich stehen und drehte mich um. „Was soll das?“, fragte Seth mich verwirrt. „Wieso rennst du einfach raus? Es regnet immer noch.“ Ich ignorierte ihn und nahm meinen Weg wieder auf. „Hey! Jetzt warte mal…“ Seine Hand packte meinen Oberarm und brachte mich ein zweites Mal zum Stehen, während er sich vor mir aufbaute und den Weg versperrte. Mitleidig sah er mich an. „Okay. Du willst nicht reden und du willst keine Gesellschaft. Das respektiere ich. Aber lass mich dich wenigstens nach Hause bringen.“ Einen Augenblick sahen wir uns an und ich wollte bereits ablehnen. Doch dann bemerkte ich, wie entschlossen er wirkte und irgendwas in meinem Inneren sagte mir, dass er in diesem Fall wohl nie aufgeben und mir weiterhin folgen würde. Also zuckte ich nur widerwillig mit den Schultern, wobei mein Blick ins Leere wanderte. „Danke“, murmelte er erleichtert und schob mich auch sogleich mit sich den Bürgersteig entlang. Sein Auto stand ganz in der Nähe. Es war ein alter VW Golf, der beinahe schon Fossilstatus hätte bekommen können, so rostig, wie der rote Lack aussah. Ich war kein Ass, wenn es um Autos ging, aber dass die heutigen Modelle alle etwas runder waren, hatte sogar ich schon bemerkt. Für eine Millisekunde machte ich mir wirklich Sorgen, ob wir damit überhaupt bis nach Hause kommen würden. Seth geleitete mich zur Beifahrertür und hielt sie mir auf, während ich mich beeilte einzusteigen. Schon kurze Zeit später saß auch er im Auto. „Es könnte etwas dauern, bis die Heizung ihre Wirkung zeigt“, entschuldigte er sich, als er den Motor gestartet hatte und das erwähnte Gerät auf volle Leistung schaltete. Ich gab ihm ein kaum erkennbares Lächeln, ehe ich mich in den Sitz kuschelte, meine Arme um meinen Leib schlang und meinen Blick aus dem Seitenfenster wandern ließ. „Wo wohnst du?“, fragte er, während er den Wagen langsam zum Rollen brachte. Ich teilte ihm schnell meine Adresse mit und wandte mich anschließend ab, um dadurch jedem weiteren Gespräch von vornherein entgehen zu können. Eine Weile war es stumm zwischen uns. Ich dachte über viel zu viele Dinge nach und Seth fuhr einfach seinen Weg. Anfangs hatte er das Radio eingeschalten gehabt, um die steife Atmosphäre aufzulockern, doch als jeder gottverdammte Sender der Meinung sein musste, an einem Samstagabend romantische Songs zu spielen, war ich wütend geworden und hatte den Knopf fast schon zu kräftig nach links gedreht, um das Geplänkel abzustellen. Hatte Seth in dieser Zeit etwas sagen wollen, so schien es ihm nach meinem kleinen Ausbruch womöglich vergangen zu sein. So kam es mir jedenfalls vor. Ich dankte ihm im Stillen für sein Entgegenkommen, mich nicht von irgendwelchen Hirngespinsten überzeugen zu wollen, und widmete mich letztendlich ganz der Melancholie, die mich nach und nach zu überrollen versuchte. Die orangenen Lichter der Straßenlaternen nahm ich kaum wahr, nicht einmal die Kühle der Scheibe, als meine Stirn an das Glas rutschte. Mit jeder Minute erschlaffte mein Körper mehr und ich wollte nichts weiter als in mein Bett. Irgendwann wanderte meine Hand unbewusst mein Dekolleté entlang bis hinauf zu meinem Hals, und als sie nicht fand, wonach sie suchte, formten sich meine Finger zu einer Faust und ich drückte meine Lippen aufeinander, während ich mich bemühte, den Kummer über die Erkenntnis zu unterdrücken. Die Erkenntnis, dass ich Edwards Kette nicht mehr besaß; dass ich sie ihm vor nicht allzu langer Zeit entgegen geschleudert hatte… Vielleicht war das auch besser so. Zügig wischte ich die nervige Träne, von denen sich in den letzten Stunden schon zu viele gelöst hatten, von meiner Wange. Neben mir hörte ich Seth seufzen. „Hat er dir denn wenigstens gesagt, warum er das gemacht hat… was auch immer er gemacht hat?“ Ich sah kurz zu ihm herüber, unentschlossen, ob ich ihm antworten sollte, dann drehte ich meinen Kopf wieder Richtung Fenster. „Nein“, murmelte ich und versuchte, das Thema damit gleich wieder im Keim zu ersticken, doch nach einer kurzen Pause fügte ich noch leiser hinzu: „Er hat es versucht, aber ich bin weggerannt, bevor er richtig dazu kommen konnte.“ Seth nickte. „Dafür scheint er ein Talent zu haben…“ Fragend schaute ich ihn an und als er ganz kurz zu mir herübersah, grinste er schwach, bevor er seinen Blick wieder auf die Fahrbahn richtete. „Damals in Seattle, als noch alles in Ordnung war… Auch wenn meine Schwester und er sich bestens verstanden hatten, kam es öfter mal zu kleinen oder großen Missverständnissen, weswegen die beiden häufig aneinander geraten sind. Na ja, und das eine Mal ist halt was ziemlich… Dämliches passiert. Sie hatte das völlig falsch verstanden und deshalb tagelang nicht mit ihm geredet.“ Einen Moment lang sah ich Seth stumm an. Mein Magen verkrampfte sich leicht, als ich mir vorstellte, was es für ein Gefühl sein musste, von jemandem falsch verstanden worden zu sein. Beinahe bekam ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich davon ausging, dass ich mich irreliegend von Edward abgewandt hatte, nur weil ich die Umstände nicht richtig interpretieren konnte. Aber dann tauchte wieder das Bild in meinem Kopf auf und festigte meine Entscheidung. Edward hatte Claire geküsst. Daran konnte man einfach nichts falsch verstehen. Und er hatte mich garantiert nur dahin bestellt, damit er mir sagen konnte, dass es aus war. Vielleicht tat es ihm ja sogar tatsächlich leid, dass ich gerade in dem Moment reingeplatzt war, als er mit Claire so intim war. Doch keine Erklärung der Welt konnte deutlicher und unmissverständlicher sein als diese Szene. Langsam schüttelte ich meinen Kopf, ehe ich diesen wieder an die kühle Scheibe lehnte. „Ich glaube nicht, dass man etwas falsch verstehen kann, wenn man den eigenen Freund dabei erwischt, wie er eine Andere küsst.“ Ich wusste nicht, wie Seth darauf reagierte, mein Gesicht war seinem abgewandt. Aber ich meinte gehört zu haben, wie er nach Luft schnappte. „Und du bist dir sicher, dass es so war? Ich meine… vielleicht hat auch nur sie ihn geküsst und er hatte einfach noch keine Zeit gehabt, darauf zu reagieren.“ Es war absurderweise in dieser Situation schon fast niedlich, wie Seth versuchte, für seinen alten Freund Partei zu ergreifen. Trotzdem… Ich wusste, was ich gesehen hatte. „Es hat ihm gefallen. Das konnte ich hören, glaub mir“, murmelte ich bitter. Er seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich bekomm das einfach nicht in meinen Kopf, dass er so drauf ist. Ich meine, er müsste schon einen verdammt guten Grund haben, um so was zu tun.“ „Ja, mich vorzuführen.“ Er lachte nervös. „Ich kenne Edward schon fast mein ganzes Leben lang, so was macht er nicht.“ „Als Leah gestorben ist, hast du ihm auch die Schuld dafür gegeben.“ Noch während ich sprach, bereute ich meine Worte. Das war ganz gewiss kein Thema, in das ich mich einmischen durfte oder das Recht hatte, irgendwelche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Als ich bemerkte, wie fest Seth seine Finger um das Lenkrad wickelte, versuchte ich mich augenblicklich zu entschuldigen. „Es tut mir leid. Ich hatte nicht das Recht, mich-“ „Schon gut“, winkte er ab. „Ich nehme an, er hat dir diese eine Sache auch erzählt. Dass ich ein bisschen ausgetickt bin.“ Ich nickte vorsichtig. „Ich war neugierig, woher seine Narbe stammt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so… böse Erinnerungen hervorruft.“ „Ich war damals einfach sehr durcheinander.“ „Was ja auch verständlich ist“, fügte ich hinzu. „Heute weiß ich es besser.“ Wieder verkrampfte sich sein Griff um das Lenkrad, während er kurz aus dem Seitenfenster blickte. Schüchtern betrachtete ich sein Profil, unschlüssig, wie ich seinen letzten Part deuten sollte. In gewisser Weise bedeutete es doch eigentlich, dass er Edward nicht mehr für den Tod seiner Schwester verantwortlich machte. Und was war nun mit seiner angespannten Haltung? Verfluchte er sich selbst dafür, es nicht eher eingesehen und Edward deswegen verletzt zu haben? Seth tat mir leid. Sehr sogar. Vorsichtig legte ich ihm meine Hand auf seinen Arm, um ihm zu zeigen, dass ich ihn verstand und dass er eigentlich nichts dafür konnte, so zu fühlen, wie er es denn tat oder getan hatte. Er schenkte mir ein mitleidiges Lächeln, das ich erwiderte, bevor ich meine Hand zurückzog und meinen Blick abermals abwandte. Wir schwiegen eine Weile, nur das Laufen des Motors und die gedämpften Geräusche des Verkehrs waren zu hören. Meine Lider wurden träge und schlossen sich allmählich, während mein Körper wieder zur Seite und mein Kopf an die Fensterscheibe sanken. Ich registrierte nur noch schwach, wie die Lichter der Stadt an uns vorbeirauschten. Das nächste, was ich wahrnahm, waren eine männliche Stimme, die ständig meinen Namen rief und ein sanftes Ruckeln an meiner Schulter. „Bella?“ Lahm öffnete ich meine Augen und schaute in Seths angespanntes Lächeln. „Ich fürchte, wir haben da ein kleines Problem“, entschuldigte er sich. Verwirrt erwiderte ich seinen Bilck, dann bemerkte ich, dass wir nicht mehr fuhren – und dass Seth auch nicht mehr vor dem Steuer saß. Vielmehr kniete er auf seinem Sitz – seine Tür war weit geöffnet – und nahm nun seine Hand wieder von meinem Oberarm. Ich sah mich um. Wir standen am Straßenrand und nur noch vereinzelt fuhren Autos an uns vorbei. Die Gegend war recht einsam, ich konnte mich nicht mal daran erinnern, je hier gewesen zu sein. „Was ist los? Wo sind wir?“ „Ich fürchte, wir müssen den Rest der Strecke laufen“, den Kopf zur Seite legend, fügte er hinzu, „oder auch mit dem Zug fahren. Das Auto springt nicht mehr an. Wie’s aussieht, ist die Batterie hinüber.“ Tatsächlich stand die Motorhaube auf und versperrte mir die Sicht nach vorn. Offenbar war ich so tief in den Schlaf gesunken, dass ich das alles nicht mitbekommen hatte. „Kommst du?“, fragte mich Seth, während er selbst aus dem Auto stieg und seine Sachen von der Rückbank nahm. Nur sehr schwerfällig richtete ich mich auf und stieg ebenfalls aus. Der Regen hatte aufgehört, dafür wehte allerdings ein kalter Wind. Unwillkürlich fing ich an zu frösteln, während sich schlagartig eine Gäsenhaut über meinem Körper ausbreitete. Meine immer noch feuchten Haare wurden mir hin und wieder ins Gesicht geweht, während der Rest von ihnen unangenehm im Nacken klebte. Als ich im Regen gesessen hatte, war mir gar nicht aufgefallen, wie kalt es eigentlich schon war. Ich hatte immer noch Seths Jacke um meine Schultern zu hängen und nun zog ich sie mir extra fest um den Leib, damit ich nicht mehr so zitterte. Im Auto war es so viel wärmer gewesen. Seth kam an meine Seite und schob mich sachte vorwärts, sein Arm umschlang ein zweites Mal meine Schultern, als hätte er mitbekommen, dass ich fror. Wir gingen ein paar Schritte, wobei ich mich ein bisschen genauer umsah. Diesen Teil von San Francisco kannte ich wirklich nicht und ich wunderte mich plötzlich, warum wir überhaupt hier waren. Ich wusste, dass der Weg zu mir nach Hause anders aussah. Ich kannte ihn auswendig, vor allem von der Schule aus. Allerdings fiel mir auch ein, dass ich ein ganzes Stück vom Spielfeld weggelaufen war und nicht darauf geachtet hatte, wohin ich eigentlich rannte. „Sag mal, wo genau sind wir hier?“, erkundigte ich mich und musterte angespannt mein Umfeld. Mir war unheimlich zumute. Seth zuckte mit den Schultern und antwortete nur knapp. „Das weiß ich selbst nicht genau.“ Mir fiel auf, dass er in den letzten Minuten noch ruhiger als ohnehin schon gworden war. „Der Weg zu mir nach Hause sieht anders aus, weißt du? Ich wundere mich nur. Das hier kommt mir nämlich unbekannt vor.“ „Ich dachte, ich nehme eine andere Strecke und verlängere so die Heimfahrt ein wenig. Damit du dich ein bisschen entspannen kannst und nicht gleich wieder allein bist“, erklärte er teilnahmslos und mied meinen Blick. Stattdessen sah er sich um und kaute auf seiner Unterlippe. Ich wollte bereits nachfragen, als er mich plötzlich anlächelte. Mit der Hand deutete er auf etwas, das ich erst erkannte, als er es mir bereits sagte. „Da ist eine U-Bahn. Damit sind wir bestimmt in null Komma nichts bei dir zuhause“, meinte er dann aufmunternd. Tatsächlich befand sich auf der anderen Straßenseite eine an zwei Seiten von einem hohen Zaun eingerahmte Treppe, die im Erdboden versank. Seth dirigierte mich zum Fußgängerüberweg, doch ich widersetzte mich dem mit leichtem Druck und hielt ihn ebenfalls zurück. „Was ist mit deinem Auto? Willst du das einfach so stehen lassen?“ „Das klaut schon keiner. Dafür ist es viel zu alt“, winkte er ab. „Und anspringen tut es eh nicht.“ Noch einmal versuchte er, mich höflich weiterzuschieben und dieses Mal ließ ich es zu. Am Übergang warteten wir einige Augenblicke, bis die Ampel Grün anzeigte. Schnell überquerten wir die Straße, ehe wir die Treppen etwas langsamer hinabstiegen. Die Lichter waren etwas gedämpft und die kalten, grauen Fliesen an den Wänden sowie das dunkle Pflaster auf dem Boden verliehen dem langen, breiten Tunnel, der sich vor uns erstreckte, eine schaurige Note. Sich nachts hier aufzuhalten und dann auch noch fast allein, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Es befand sich keine Menschenseele hier unten. Auf eine positive Art und Weise sagte mir das andererseits natürlich auch zu. Ich verzichtete gerne darauf, irgendwelchen seltsamen Gestalten zu begegnen, auch wenn man das Gefühl nicht loswurde, von irgendjemandem beobachtet zu werden. Ob dem wirklich so war, spielte dabei keine Rolle. Aber Seth war ja auch noch bei mir, sodass ich hier nicht völlig allein umherwandern musste. Der Weg kam mir vermutlich länger vor, als er in Wirklichkeit war. Dennoch atmete ich erleichtert auf, als der Tunnel endlich endete und wir die eigentliche U-Bahn-Station erreichten. Zu beiden Seiten erstreckten sich die sehr tief gelegten Bahngleise, doch momentan war kein Zug eingefahren. Mehrere Bänke standen in einer geraden Linie in der Bahnhofshalle, hin und wieder wurde die Reihe durch sehr breite Pfeiler, Fahrkarten- oder Snackautomaten und mittlerweile geschlossene Kioskstände unterbrochen. Die Neonlampen warfen hier das gleiche kühle, leicht grünliche Licht wie schon im Gang zuvor. Es erinnerte mich ein wenig an eine alte Arztpraxis, nur dass es hier keine Leute gab. Genaugenommen waren Seth und ich die einzigen Personen in der Halle. Seth ging vor und studierte einen der Fahrpläne, die an den Pfeilern hingen, während ich es mir auf einer der Holzbänke so gut es ging gemütlich machte. Hier unten gab es zwar keinen Wind und keinen Regen, dennoch war es ziemlich kalt, weshalb ich mir die Jacke noch enger um den Torso wickelte. „Und, wann kommt der nächste Zug?“, erkundigte ich mich, als Seth zurück kam. „Erst in einer Stunde.“ Er setzte sich seufzend neben mich, beugte sich nach vorn und stützte seine Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln ab. Abermals fiel mir auf, dass er ziemlich angespannt wirkte. Wahrscheinlich war er einfach nur genervt, dass sein Auto liegen geblieben war und dass er nun so lange auf einen Zug warten musste. Ich konnte ihn verstehen, mir ging es nicht anders. Ich hatte mir den Abend auch ganz anders vorgestellt gehabt. Eigentlich hätte ich bereits irgendwo mit Edward sein und unser erstes Date genießen müssen… Darauf konnte ich jetzt und in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach verzichten. Vermutlich amüsierte er sich schon die ganze Zeit mit Claire und hatte mich bereits vergessen. Stattdessen saß ich ausgerechnet mit Seth in einer verlassenen U-Bahn-Station und wünschte mir nichts sehnlicher, als mich endlich in mein Bett zu verkriechen und dem Kummer der ganzen Nacht lang freien Lauf lassen zu können. Erschöpft lehnte ich mich zurück und strich mir langsam und mit festem Druck übers Gesicht. Allmählich machten sich leichte Kopfschmerzen bemerkbar und ich stöhnte resigniert auf. Seth und ich schwiegen eine ganze Weile und ich verspürte auch gar nicht den Drang, jetzt ein Gespärch anzufangen. Selbst dafür war ich zu erledigt. Irgendwann erhob er sich, steckte seine Hände in die Hosentaschen und wanderte ein paar Schritte auf dem Bahnsteig entlang. Hin und wieder blickte ich zu ihm, aber meistens war mein Blick ins Leere gerichtet, auf keinen direkten Punkt. Als meine Kopfschmerzen stärker wurden, schloss ich meine Augen und massierte meine Schläfen, in der Hoffnung, den Schmerz somit ein wenig lindern zu können. Vielleicht hätte ich das aber auch lieber sein lassen sollen, denn das Kopfweh lenkte wunderbar von meinen Gedanken ab, die es einfach nicht einsehen konnten, dass ich den Abend vergessen wollte. Jedes Mal, wenn ich mich dabei erwischte, wie mein Gedächtnis die Bilder wieder zum Vorschein bringen wollte, schluckte ich den Kloß, der sich dabei stets aufs Neue bildete, nur mit Mühe hinunter, während ich meine Konzentration auf den Schmerz in meiner Stirn lenkte. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, als ich meine Augen wieder öffnete und meinen Kopf hob. Allerdings bereute ich gleich darauf wieder, sie geöffnet zu haben beziehungsweise hätte ich meine Augen gar nicht erst schließen sollen. Sofort erfasste mich eine kleine Panikattacke, als ich feststellen musste, dass Seth nicht mehr da war. „Seth?“, rief ich vorsichtig in die Stille hinein. Keine Antwort. „Seth!“, wiederholte ich etwas lauter und stand auf. Dieses Mal war es nicht die Kälte, wegen der ich meinen Körper fest umschlungen hielt. Die Angst, die allmählich meinen Rücken hinaufkroch, ließ mich erschaudern. Ich wollte hier nicht allein gelassen werden, zumal mir die große, weiße Uhr anzeigte, dass ich noch über eine halbe Stunde auf den Zug warten musste – auch wenn es mir eigentlich so vorkam, als wäre längst mehr Zeit vergangen. „Seth!“, schrie ich abermals und ging langsam den Bahnsteig entlang. „Das ist nicht witzig, hörst du?“ Ich klammerte all meine Hoffnung daran, dass er vielleicht auf die Idee gekommen war, meine Laune mit einem Streich aufzuheitern, auch wenn mir diese Methode im Augenblick alles andere als gefiel. Vorsichtig lugte ich um einen der Kioskstände. Nichts. Meine Nervosität wuchs. Ich ging wieder zurück, dieses Mal schneller, und schaute mich zu allen Seiten um, sogar in die Tunnel der Bahngleise, doch keine Spur von ihm. Wo zum Teufel versteckte er sich? „Seth! Komm endlich raus!“ Meine Stimme klang schon leicht hysterisch. Je mehr ich daran glaubte, ihn nicht wiederzusehen, desto ängstlicher wurde ich, während meine Stimme durch den Kloß in meinem Hals immer kratziger wurde. „Hör auf mit dem Versteckspiel. Bitte!“ Doch was, wenn er gar nicht spielte? Was, wenn ihm etwas zugestoßen war? Aber dann hätte er garantiert einen Schrei oder ähnliches von sich gegeben oder etwa nicht? Konnte es auch sein, dass ich ihm diesen Abend zu sehr vertraut und dass er mich absichtlich allein hier unten gelassen hatte? Vielleicht war das ja auch ein abgekartertes Spiel, das Edward sich ausgedacht hatte. Ich verwarf den Gedanken so schnell, wie er gekommen war. Das würde ich Edward nicht zutrauen, selbst wenn er mich so verletzend vor Claire vorgeführt hatte. Ein großer Teil in mir hoffte jedenfalls, dass er nicht so abgebrüht war. Ein Geräusch hinter mir ließ mich unruhig, aber auch hoffend herumfahren. Beide Gefühle wurden aber sofort im Keim erstickt, als ich nichts entdeckte. Ich schritt wieder zurück, wobei ich mich noch verzweifelter an meinen Leib klammerte. Doch mitten im Gehen blieb ich stehen, als ich dasselbe Geräusch abermals wahrnahm. Es klang, als würde jemand mit dem Fuß auf dem Beton scharren. Angespannt starrte ich in die Richtung, aus der ich ursprünglich gekommen war. Ein paar Pfeiler weiter, hinter dem Kiosk erhaschte ich eine minimale Bewegung, meine Nackenhaare richteten sich auf und meine Muskeln versteiften sich. „Seth?“, rief ich kleinlaut, zittrig. Ganz langsam trat eine Gestalt aus dem Schatten des Pfeilers. Im ersten Moment dachte ich aufgrund der Statur, dass es sich tatsächlich um Seth handelte. Doch je näher die Person kam, desto deutlicher wurde das Gegenteil. Seth war ein wenig schmächtiger als dieser Riese, der nun mit erhobenem Haupt und einem unheilvollen Lächeln auf den Lippen auf mich zugeschritten kam. Seine Haut hatte die gleiche rostbraune Farbe wie Edwards Freund, ebenso waren die Haare pechschwarz und zerwühlt. Was mich allerdings am meisten in den Bann zog, waren seine dunklen Augen, die mich so stark fixierten, dass ich keine Chance hatte, seinem Blick auszuweichen, obwohl ich es die ganze Zeit versuchte. Und mit einem Mal wusste ich, wen ich vor mir hatte. Es war noch nicht allzu lange her, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Gerade mal einige Tage. Damals im Kaufhaus hatte ich ihn nur von Weitem hinter einem Lebensmittelregal beobachtet, doch sein Erscheinungsbild war mir im Gedächtnis geblieben. Und nun schüchterte es mich zutiefst ein. Jacob kam immer dichter, sein Lächeln wurde immer breiter. Ich war nicht in der Lage, mich vom Fleck wegzurühren; als würde er mich allein mit seinem Blick lähmen. In diesem Moment wurde mir klar, warum er das Alphamännchen seiner Clique war. Zwar hatte ich mir Edwards Erzählungen immer genau angehört, aber ich wäre nie auf Idee gekommen, mir vorzustellen, wie der Rest seiner ehemaligen Freunde wirken musste. Edward selbst und auch Seth trugen eine ganz andere Aura mit sich. Jacobs hingegen war irgendwie auf gezwungene Weise paralysierend. „Bella Swan“, sagte er ruhig und freundlich, als er genau vor mir stand. Ein mysteriöses Grinsen huschte über seine Züge. „Schön, dass wir uns endlich mal treffen. Ich hab schon so viel von dir gehört.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Der Cliffie ist harmloser als der, den ich ursprünglich vorgehabt hatte :'D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)