For The Ones Who Search For Love von absinthe (Bella und Edward helfen sich gegenseitig in Sachen Beziehungen, doch dann stellt sich heraus, das vieles mehr Schein als Sein ist und dass diese Entdeckung beide in eine unerwartete Richtung wirft.) ================================================================================ Kapitel 22: Keine Geheimnisse mehr ---------------------------------- Während Edward mich nach Hause fuhr, grübelte ich die ganze Zeit über eine geeignete Möglichkeit, meinem Dad darüber zu informieren, dass ich übermorgen Abend bei meinem Freund sein würde. Das war aber nicht das einzige. Weil Freitag - aufgrund des Spiels am Samstag - schulfrei war, hatte er mir auch noch angeboten, dort zu übernachten, falls sich Emmetts Date in die Länge zog. Alles an sich eigentlich kein Grund, Panik zu bekommen, oder? Selbst wenn Edwards Eltern, wie er mir gesagt hatte, heute zu einem zweitägigem Ärztekongress gefahren waren. Es war noch nicht einmal ein richtiges Date und Roxy war ja auch noch da. Andererseits… Wenn die Kleine im Bett war, würden wir dann doch allein sein. Und irgendwie könnte man das ja in dem Fall auch als unsere erste Verabredung sehen. Schließlich hatten wir die noch gar nicht, obwohl wir bereits zusammen waren. Und bei diesem ersten Treffen passierte eh nie etwas gravierendes. Hinzu kam auch noch, dass wir erst seit einigen Tagen miteinander gingen. Irgendwie hatte es ja auch was witziges. Emmett war mit Rosalie aus, Jasper hatte mit Alice eine Verabredung… und ich würde mit Edward zusammen sein. Außerdem vertraute ich ihm. Wenn man es genau betrachtete, freute ich mich sogar auf den Abend, und dennoch konnte ich mich nicht gegen dieses unruhige Gefühl in meinem Bauch wehren. Wenn ich mir schon solche Gedanken machte, wie würde Charlie erst darauf reagieren, wo er momentan doch eh nicht viel von Edward hielt… “Was wenn er es nur solange mit dir aushält, weil er ganz bestimmte Absichten verfolgt?” hatte er gesagt. Konnte ich nicht einfach behaupten, bei Alice zu sein? Ich seufzte. Ich durfte ihn nicht anlügen. Nicht jetzt, wo ich versuchen wollte, seine Meinung bezüglich Edward zu ändern. Das würde nur noch mehr Misstrauen verursachen und irgendwann würde er mir dann, wenn mein Schwindel herauskommen würde, vielleicht sogar den Umgang mit ihm verbieten wollen. Und das würde ich wiederum nicht hinnehmen. Am Ende stände ich dann wieder an dem Punkt, an dem ich war, nachdem Claire angerufen hatte. Nein, das wollte ich nicht. Ich musste ihm die Wahrheit sagen. „Was ist los?“ fragte Edward sanft. Als ich aufsah, bemerkte ich, dass er gerade in unsere Straße einbog. „Ich hab nur nachgedacht“, gab ich als Antwort. „Worüber?“ Edward parkte das Auto am Straßenrand, schaltete den Motor aus und drehte sich in seinem Sitz, um mich neugierig anzusehen. „Na ja…“, fing ich an und schaute auf meine Finger, die nervös miteinander spielten. Das einzige, was die kurze Stille zwischen uns durchbrach, während ich meine nächsten Worte in meinem Kopf gut zurecht legte, war die Stimme des Moderators im Radio. „…Das Tief ‚Hubertus‘ zieht in den nächsten Tagen weiterhin Richtung Osten und bringt heftigen Niederschlag und Gewitter mit sich. San Francisco bleibt jedoch weitestgehend von dem Unwetter verschont…“ Mein Freund drehte die Lautstärke auf Null, damit er mir ohne Unterbrechung zuhören konnte. Ich holte tief Luft und überwand dann endlich meine Zurückhaltung. „Ich hab vorhin zwar sofort zugestimmt, dass ich dir beim Babysitten helfe, nur muss ich leider noch mit Charlie darüber reden. Du weißt ja, wie das ist. Daddy‘s kleines Mädchen übernachtet bei ihrem Freund… Jeder Vater dreht Achten bei dem Gedanken und den dazugehörigen, reichlich fantasievollen Ausschmückungen. Vor allem, da er garantiert nachfragen wird, was mit deinen Eltern sein wird.“ Edward runzelte die Stirn, bis sich seine Augen weiteten und ihm klar wurde, was ich damit sagen wollte. „Oh… daran hatte ich nicht gedacht.“ Ich gab ihm ein zustimmendes, trübes Lächeln, weil ich wirklich keine Ahnung hatte, wie ich es meinem Dad beibringen sollte, ohne dass er an die Decke ging. „Wenn du willst, dann rede ich selbst mal mit ihm“, schlug er auf einmal vor. „Nein!“ Mein Widerspruch war viel zu schnell und viel zu laut. Er konnte gar nicht anders, als dabei misstrauisch zu werden. Und genau so sah er jetzt auch aus. „Hab ich was verpasst?“ fragte er halb amüsiert, halb auf der Hut. Einer seiner Mundwinkel zuckte kurz unruhig nach oben. „Ich weiß ja, dass dein Vater anscheinend nicht gut auf mich zu sprechen ist… warum auch immer, aber ein persönliches Gespräch mit ihm würde da doch am ehesten helfen.“ Ich blickte ihn skeptisch in die Augen. „Das glaube ich kaum.“ Für einen Augenblick musterte er angestrengt meine Gesichtszüge. „Du verschweigst mir doch was“, stellte er fest, allerdings ohne dabei irgendwie böse zu klingen. Mein Mund klappte auf. Wieso musste er auch immer so verdammt gut raten können? „Es ist nichts“, versuchte ich die Sache zu verharmlosen, doch Edwards nächster Satz bereitete mir ebenso Schmerzen, wie scheinbar ihm. „Warum lügst du mich an, Bella? Vertraust du mir nicht?“ „Natürlich!“ widersprach ich ihm energisch. „Tust du nicht“, seufzte er niedergeschlagen und lächelte verzweifelt. „Doch, doch, doch…“ Ich nahm seine Hand in meine und drückte sie ganz fest, um meinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Gedankenverloren beobachtete er unsere, ineinander verschlungenen Finger und streichelte über meinen Handrücken. „Und warum kannst du mir dann nicht die Wahrheit sagen?“ murmelte er, ohne aufzusehen. „Das… Ich will dich einfach nicht mit meinen Problemen belasten. Du hast schon genug um die Ohren. Ich meine, erst musstest du dich um mich kümmern, weil Claire so ein… Biest ist. Dann das mit Tayk. Und dann taucht auch noch Seth auf und bringt alles bei dir durcheinander. Da würde diese eine kleine Sache doch nur-“ Ehe ich meinen Satz beenden konnte, legte er seinen Finger auf meine Lippen und brachte mich so zum Schweigen, während er mich eindringlich ansah. „Bella. Egal was dich bedrückt, ich möchte es wissen. Ich will, dass das hier funktioniert. Wenn du mir Dinge vorenthältst, weil du denkst, du würdest mich damit überfordern, dann entfernst du dich unbewusst von mir. Und das will ich nicht.“ Plötzlich fühlte ich mich bei seinen Worten schuldig. Wie konnte ich davon ausgehen, dass er damit nicht klar kommen würde? Wenn ich ehrlich war, hatte ich doch eigentlich Angst, dass er sich von mir entfernte, wenn er erfuhr, dass ich über seine Polizeiakte Bescheid wusste… und mein Dad auch. Ich atmete tief durch, auch wenn das nicht sonderlich vor der eventuell enttäuschten Reaktion Edwards nach meinen nächsten Sätzen schützen würde. „Ich weiß… dass du bei der Polizei aktenkundig bist.“ Ich sah ihn nicht an, sondern heftete meinen Blick mit aller Kraft auf das Lenkrad. „Oh…“, hörte ich aus seiner Richtung. Dieses eine Wort sprach er so tonlos, dass ich nicht recht erkennen konnte, was er jetzt von mir dachte. Vielleicht, dass ich jetzt Angst vor ihm hatte? So wie er es eh schon vermutete… Oder aber dass ich ihn hintergangen hätte. Dass ich ihm nicht genug vertraute und über seine Vergangenheit Nachforschungen angestellt haben könnte… „Ich hab aber nicht hineingesehen“, fügte ich hastig hinzu, als immer noch nichts von ihm kam, und sah wieder zu ihm. Verwundert hob sich eine seiner Augenbrauen. „Ich versteh nicht ganz. Wie sollst du denn überhaupt dazu gekomm-“ Mitten im Satz hielt er inne und riss die Augen auf, als ihm etwas klar wurde. „Dein Vater…“ „Tut mir Leid…“, sagte ich vorsichtig. „Aber kurz nach der Strandparty hat Claire bei uns angerufen und-“ „Warte mal. Claire hat bei euch Zuhause angerufen?“ fragte er entrüstet nach. Ich nickte. „Sie wollte dich bei Charlie anschwärzen und hat etwas von einer Polizeiakte erwähnt.“ Ich ließ die Schultern hängen. „Er weiß ja nicht, was sie gemacht hat und vertraut ihr natürlich… Oder hat es jedenfalls. Und er ist Polizist… Obwohl ich trotzdem nicht damit gerechnet hab, dass er soweit geht und sogar deine Akte aufstöbert.“ „Na ja, ich kann ihn schon verstehen. Wenn ich er wäre, hätte ich das vielleicht auch gemacht.“ Er lächelte. Edward lächelte plötzlich. Und es schlug sogar in ein leises Kichern um. Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Welcher Teil unserer Unterhaltung war denn bitte so witzig gewesen? Er schüttelte den Kopf, wandte sich von mir ab und stieg aus. Verdattert blieb ich im Auto sitzen und verfolgte seine Bewegungen, als er um den Volvo herumging und die Beifahrertür öffnete. „Kommst du?“ fragte er schmunzelnd. Ich sah ihn noch einen Moment verwirrt an, ehe ich mich erhob und an seine Seite stellte. Er schlug die Tür zu, schloss seine Augen und stützte seine Hände in die Seiten. „Okay… Nur damit ich sicher bin, dass ich das auch richtig verstanden habe: Das einzige, was dir Sorgen bereitet hat, war meine Strafakte?“ Er schlug die Lider auf und sah mich unter seinen Wimpern hindurch an, immer noch ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht. Bei diesem Blick wurden meine Knie weich und ich musste mich konzentrieren, beim Thema zu bleiben. „Nein“, antwortete ich leise. „Ich hatte nur Angst vor deiner Reaktion, wenn du erfährst, dass Charlie davon weiß. Dass du es vielleicht falsch verstehen könntest. Und ich wollte nicht, dass du dich dann eventuell wegen seinem kühlen Verhalten von mir distanzierst.“ Es waren nicht nur Worte. Ich war immer noch unsicher, weil ich Edwards Benehmen gerade überhaupt nicht einschätzen konnte. Er sah mir eindringlich in die Augen, als erwarte er noch mehr meinerseits, doch ich schwieg. „Na gut“, meinte er ruhig. Auch wenn er jetzt etwas ernster klang, wirkte er noch immer gelassen. „Ich gebe zu, dass dieses kleine Detail es schwierig machen wird, die Zweifel deines Vaters zu zerstreuen. Allerdings würde es mich nie daran hindern, dich zu sehen - es sei denn, du verlangst es. Vielleicht hätte ich dir selbst davon erzählen sollen, doch in Anbetracht der Umstände ist so eine Akte doch eigentlich nicht besonders ungewöhnlich, oder? So schnell, wie man in diesem Land nachweisbar straffällig wird… Mich wundert nur, dass du vorhin meintest, du hättest sie dir nicht angeschaut.“ „Wieso sollte ich? Du hast mir doch schon alles erzählt.“ „Vielleicht hab ich dir ja was verschwiegen und bin in Wirklichkeit ein gesuchter Serienmörder“, meinte er achselzuckend, woraufhin ich ihn einen Moment mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Doch dann schüttelte ich langsam den Kopf und entspannte mich wieder. „Wenn das so wäre und etwas davon in der Akte stehen würde, könntest du erstens gar nicht hier vor mir stehen, da du entweder hinter Gittern oder auf der Flucht sein müsstest, und zweitens hätte Charlie mich in Ketten gelegt, nur damit ich dir fern bleibe.“ Er wirkte zuerst ein wenig verdutzt. Als er aber meinen überzeugten Gesichtsausdruck sah, fing er an zu lachen. „Du bist wirklich einzigartig, weißt du das? Ich könnte sonst was angestellt haben, du würdest immer wieder einen Weg finden, die Sache zu verharmlosen. Ich wette, selbst wenn ich dir sagen würde, ich wäre ein Vampir und verrückt nach deinem Blut, würdest du ruhig sitzen bleiben, anstatt wegzulaufen.“ Vermutlich hatte er damit sogar recht. Ich war einfach zu abhängig von seiner Nähe. Er seufzte. „Aber um dich zu beruhigen: Es stand eh nicht viel in dem Ordner. Ich geb zu, bei der Polizei überhaupt registriert zu sein, ist nicht gerade angenehm. Trotzdem. Das was dort vermerkt ist, sind eigentlich nur Kleinigkeiten. Wir haben uns ja nicht immer erwischen lassen. Okay, Einbruch, Diebstahl und Sachbeschädigung sind auch nicht wirklich winzige Delikte, aber-“ „Edward, ich wollte das alles gar nicht wissen“, unterbrach ich ihn. „Ich will aber, dass du es weißt. Keine Geheimnisse mehr, einverstanden?“ Nur langsam erwiderte ich etwas. „Na gut… Ich meinte damit auch nur, dass mir das nicht so wichtig ist.“ „Mir schon. Schließlich will ich alles wissen, was dich beschäftigt. Also erzähle ich dir auch alles über mich.“ „Du bist mir folglich kein Stück böse?“ fragte ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Er kicherte. „Wieso sollte ich dir böse sein? Mal abgesehen davon, dass du das als dein Problem bezeichnet hast, obwohl ich eigentlich der Hauptbestandteil davon bin.“ „Nein! So hab ich das nicht-“ „Ich weiß, was du gemeint hast“, lächelte er sanft. Ich seufzte auf. „Tut mir Leid. In Zukunft werde ich dir nichts mehr verheimlichen. Versprochen.“ „Das will ich auch hoffen“, entgegnete er süffisant. Ungewollt zuckten meine Mundwinkel nach oben. Edward umrahmte mit seinen Fingern sachte die Konturen meines Gesichts - meine Hände legten sich automatisch auf seine - und beugte sich zu mir herunter, um mir einen langen, innigen Kuss zu geben. Als wir uns wieder voneinander trennten, sah er immer noch gelassen aus, auch wenn es ein wenig gedämpft wirkte. „So. Und jetzt werden wir deinen Vater davon überzeugen, dass er dich mir anvertrauen kann.“ Mittels Fernsteuerung schloss er sein Auto ab und nahm meine Hand, um mich zu meinem Haus zu ziehen. Eigentlich wollte ich meine gesamte Kraft einsetzen, um ihn zum Stehen zu bringen, doch bereits nach nur wenig Widerstand hielt er inne und drehte sich zu mir. „Was hast du vor?“ fragte ich ihn irritiert. „Ich wollte bei dir solange warten, bis dein Dad von der Arbeit zurück ist, damit ich mit ihm reden kann.“ Er gab mir einen Blick, der mir sagte, dass seine Absichten doch eigentlich offensichtlich hätten sein müssen. „Warte. Ich würde das lieber gern allein tun.“ Überrascht runzelte er die Stirn. „Irgendwann muss ich doch sowieso mal mit ihm reden.“ „Ja, aber heute ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich würde damit gerne warten, bis sich das alles etwas gelegt hat. Und außerdem kannst du doch leichter sein Vertrauen gewinnen, wenn wir schon etwas länger zusammen sind“, argumentierte ich und hoffte, dass er es genauso sah. Er musterte mich nachdenklich, bis er resigniert ausatmete. „Na gut… Einverstanden.“ Erleichterung durchflutete mich. Ich wusste nicht, was Charlie in seinem jetzigen Zustand mit Edward machen würde. Er hatte ihn vielleicht mehr oder weniger akzeptiert, doch mit Sicherheit schob er immer noch Vorbehalte ihm gegenüber. Das wusste ich, auch ohne dass er es erwähnen musste. Jetzt allerdings konnte ich ihn noch ein wenig bearbeiten und von Edward überzeugen, bis dann am Ende das allzu bekannte Gespräch zwischen dem Vater und dem festen Freund der Tochter stattfinden konnte. „Okay, dann fahre ich jetzt nach Hause. Falls er auf stur stellt, kannst du ja erwähnen, dass meine Eltern Abends wieder zurück sind“, meinte er aufmunternd. „Stimmt das denn, oder ist das nur so eine Art Notlüge?“ fragte ich verhalten grinsend. Er schmunzelte. „Natürlich stimmt das. Ich würde dir nie sagen, dass du deinen Vater anlügen sollst.“ Wieso war ich eigentlich auf so eine Idee gekommen? Ich biss mir auf die Lippen, weil ich ihm so was überhaupt unterstellt hatte. „Also. Wir sehen uns morgen früh.“ Zwar klangen seine leisen Worte nach Abschied, doch seine Bewegungen signalisierten eher, an Ort und Stelle zu bleiben, als er seine Arme um meine Mitte schlang, mich eng an sich drückte und mir einen dermaßen sinnlichen Kuss gab, dass mir ganz schwindelig wurde. Als wir uns wieder voneinander lösten, legte ich meine Arme auf seine, um dem Gleichgewichtsproblem entgegenzuwirken, obwohl das völlig überflüssig war, so sicher wie er mich mit seinem Griff hielt. Während ich noch damit kämpfte, wieder normal zu atmen, zierte ein schiefes Lächeln sein Gesicht. „Und wenn du mir morgen erzählst, dass er dich am Donnerstag nicht zu mir lassen will“, hauchte er gegen meine Lippen. „Dann werde ich doch noch mit ihm reden.“ „Das… schaff ich schon“, brachte ich geradeso heraus. „Wir werden sehen.“ Sein Lächeln wurde breiter, ehe sein Mund wieder meinen berührte, sich dann wieder löste, dann wieder berührte, dann wieder löste… Und jedes Mal verharrte er etwas länger auf meinen Lippen. „Ich sollte jetzt langsam gehen“, flüsterte er, sein Gesicht meinem immer noch nahe. „Solltest du?“ fragte ich genauso leise. Er gluckste, als gefielen ihm meine Worte. „Wenn du deine Meinung bezüglich deines Vaters nicht geändert hast, dann Ja.“ Betrübt senkte ich meinen Blick. „In ein paar Stunden sehen wir uns wieder und dann erwarte ich eine positive Antwort“, grinste er verschmitzt. Ein letzter, gefühlvoller Kuss, dann ließ er mich los, stupste mit seinem Zeigefinger frech meine Nasenspitze an und ging zu seinem Auto. Etwas wehmütig sah ich ihm hinterher. Er erwiderte meinen Blick mit einem sanften Lächeln, ehe er einstieg und ich kurz darauf seinen Motor starten hörte. Als er losfuhr, wandte ich mich um und schloss die Haustür auf. Noch während ich dabei war, mich im Flur zu entkleiden, hörte ich bereits ein Klingeln aus der Küche. Ich hastete - ohne zu stolpern - zum Telefon und blieb direkt davor stehen. „Swan?“ sprach ich schwer atmend in die Muschel, als ich abnahm. „Bella…?“ Diese Stimme erkannte ich sofort. Und auf der Stelle bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mich schon etwas länger nicht mehr bei ihr gemeldet hatte. „Mom…! Hi… Was gibt´s?“ „Eigentlich wollte ich deinen Vater sprechen. Aber wie es aussieht, macht er wohl wieder Überstunden, was?“ Ich musste nichts darauf sagen, da sie die Antwort bereits kannte. Es war einer der Gründe für ihre Trennung gewesen. Mich hingegen störte es nicht, dass er so selten Zuhause war. Das Für sich allein sein wollen musste ich wohl von ihm haben. „Was wolltest du denn von ihm? Ich kann es ja ausrichten“, schlug ich vor. „Oh, ich wollte eigentlich nur Bescheid sagen, dass ich schon morgen komme. Phil hat einen Tag früher frei bekommen.“ Meine Augen weiteten sich vor Verblüffung. „Du kommst uns besuchen?“ „Mehr oder weniger. Hat Charlie dir das nicht gesagt?“ „Nein…“ Dass ich nichts davon wusste, fand ich nicht wirklich überraschend. Schließlich hatte ich die letzten Tage nicht mit ihm gesprochen. „Phil wollte sich das Stadion in San Francisco mal näher anschauen, weil ihr Team in den nächsten Wochen ein Spiel dort haben wird“, fuhr sie fort. „Bisher hat er dort nämlich noch nicht gespielt und er nimmt sich ja immer gerne neue Spielfelder unter die Lupe.“ Auch ohne dass ich sie sah, wusste ich, dass sie ein verliebtes Grinsen auf dem Gesicht hatte. Ein paar Minuten schwiegen wir beide in den Hörer, bis sie sich wieder meldete. „Jedenfalls wollten wir morgen, wenn wir in unser Hotel eingecheckt sind, bei euch zum Abendessen vorbeikommen… Falls ihr nichts dagegen habt.“ „Natürlich nicht“, sagte ich schnell und bereute es in der nächsten Sekunde beinahe schon wieder, weil das hieß, dass ich für das Essen verantwortlich war. Ich konnte ihnen schlecht etwas vom Pizzaservice anbieten. „Wunderbar. Wir sind dann so zu acht Uhr bei euch. Sag Charlie, er soll nicht zu lange arbeiten, ja?“ „Mach ich. Ehm… Wie lange bleibt ihr denn überhaupt?“ wollte ich wissen, weil ich mich plötzlich wieder an Jaspers Frage am Strand erinnerte, als er wissen wollte, ob ich Phil überreden könnte, zum Schulspiel zu kommen. „Leider nur bis Sonntag. Viel zu kurz, um sich die ganze Stadt richtig anzusehen und dabei noch zu relaxen“, jammerte sie. Perfektes Timing, könnte man sagen. „Warum fragst du?“ „Reine Neugierde.“ Ich wollte sie nicht schon am Telefon damit überfallen. Außerdem fand ich es besser, Phil persönlich zu fragen. Ich konnte es gar nicht erwarten, Edwards Gesicht zu sehen, wenn er davon erfuhr, und Emmetts, Jaspers… Falls es denn klappte. „Und wie geht es dir? Irgendwelche Neuigkeiten, die ich wissen sollte?“ wechselte sie das Thema. Ich habe einen festen Freund… Claire und ich sind geschiedene Leute. Stattdessen stellt sich Alice langsam als eine wahre Freundin heraus… „Morgen, einverstanden, Mom?“ bat ich. Das Ganze über eine Stromleitung zu erklären, wollte ich nicht, und von Angesicht zu Angesicht war da demnach die bessere Lösung. „Also gibt es tatsächlich etwas Neues“, stellte sie fest und klang gleich eine gewaltige Spur euphorischer. „Mom…“ „Schon gut. Morgen Abend also. Ich freu mich drauf.“ In ihrer Stimme lag jetzt ein Lächeln. Normalerweise war sie nicht der Typ, der bei einem Geheimnis so schnell aufgab. Ob sie spürte, dass ich momentan kurz angebunden war? „Ich mich auch… Bis dann. Hab dich lieb.“ „Hab dich auch lieb, mein Schatz…“ Ich hörte es in der Leitung knacken, dann war das Telefonat beendet. Ich wusste nicht, ob ich ihren Besuch als gutes oder schlechtes Omen sehen sollte. Aber wenn ich richtig darüber nachdachte, dann könnte sie mir doch vielleicht sogar helfen. Falls Charlie sich bezüglich Donnerstag quer stellte, könnte sie mit ihm reden. In solchen Dingen war sie dann nämlich die aufgeschlossenere von beiden. Und damit kamen wir auch wieder auf die Sache, die mir als nächstes bevorstand. Das Gespräch mit Dad. Ich könnte ein paar Pluspunkte sammeln, wenn ich ihm etwas zum Abendbrot kochen würde, statt beim Italiener zu bestellen. Das war zwar immer eine Alternative, falls mal keine Zeit für die Vorbereitungen war, aber auf Dauer konnte diese Art der Ernährung auch nicht wirklich das wahre sein. Und Charlie liebte meine Gerichte. Das sagte er jedenfalls und ich war mir ziemlich sicher, dass er es ehrlich meinte. Ich öffnete den Kühlschrank, um zu sehen, was wir noch da hatten, und stöhnte auf. Sehr viel gab es nicht mehr. Aus den Lebensmitteln, die noch vorhanden waren, konnte ich nicht mehr als Salat mit Putenbruststreifen zaubern. Hatte Charlie nicht mal erwähnt, dass er etwas gesünder essen wollte? Warum also nicht jetzt damit anfangen? Man konnte sich ja nicht sein Leben lang von Donuts und Kaffee in der Mittagspause und Kalorienbomben am Abend ernähren. Okay, ich bezweifelte, dass er diesen Vorsatz ernsthaft durchziehen würde, aber momentan hatte ich keine andere Wahl. Nachdem ich das Essen fertig hatte, dauerte es auch nicht mehr lange, bis Charlie von der Arbeit kam. Ich war gerade dabei, den Tisch zu decken, als ich die Haustür hörte. „Bells?“ „In der Küche, Dad“, antwortete ich. Einen Augenblick später erkannte ich seinen Kopf im Türrahmen. „Oh, du hast gekocht“, stellte er fest und klang gleich etwas fröhlicher. Wenn er nur wüsste, was es gab… „Mehr oder weniger. Hast du Hunger?“ „Jede Menge“, lachte er. Wie es aussah, war er nach unserer letzten Konversation wieder ganz der Alte. Ob das auch noch in ein paar Stunden so sein würde, war jedoch nicht sicher. Charlie verschwand wieder im Flur, um sich seiner Sachen zu entledigen, ehe er abermals in der Küche auftauchte und sich setzte. Voller Vorfreude rieb er seine Handflächen aneinander. Als ich aber die Schüssel in die Mitte des Tisches stellte, gefroren seine freudigen Gesichtszüge zu Stein. Wie ich es mir gedacht hatte. „Salat…“, bemerkte er steif und ließ die Hände langsam auf seine Oberschenkel sinken. „Keine Sorge. Es gibt auch Fleisch dazu. Du wolltest deine Mahlzeiten doch eh ein wenig abändern.“ Geistesabwesend starrte er auf das Grünzeug vor sich, bis er sich schließlich wieder fing und sich etwas auffüllte. „Na dann. Eine Abwechslung kann nie schaden, was?“ Er bemühte sich, überzeugend zu klingen, auch wenn es nichts brachte. Er war genauso ein schlechter Schauspieler wie ich. Ich füllte die Putenstreifen aus der Pfanne in eine weitere Schale und platzierte sie neben dem Salat. Die ersten Minuten aßen wir schweigend, wobei ich hin und wieder zu Charlie schielte, um zu sehen, ob sich seine Laune verbessert oder verschlechtert hatte. Doch wie es schien, schmeckte es ihm. Dadurch ermutigt fing ich dann mit einem weniger banalen Thema an, um die Atmosphäre zu lockern. „Mom hat angerufen.“ Mein Dad schaute von seinem Teller auf und sah mich fragend an, bevor ihm klar wurde, wovon ich sprach. „Oh… ja. Sie kommt Donnerstag in die Stadt… Zusammen mit diesem… Phil.“ Noch während er redete, widmete er seine Aufmerksamkeit wieder seinem Gericht. Wenn ich mich nicht irrte, dann hatte er den Namen nur widerwillig ausgesprochen. Bisher hatte ich nicht besonders darauf geachtet, aber konnte es sein, dass er die Trennung von meiner Mom noch immer nicht völlig überwunden hatte? Eigentlich gab es noch keine einzige Situation, in der es mir hätte auffallen müssen. Wenn Renée mal zu Besuch gekommen war, dann stets allein. Ohne ihren Mann, sodass Charlie ihm nie entgegentreten musste. Traf meine Vermutung jetzt allerdings wirklich zu, dann könnte sich das Abendessen morgen wirklich etwas schwierig gestalten. Und dass er mir nichts erzählt hatte, könnte dann auch viel eher daran liegen, dass er einfach das Thema an sich meiden wollte. „Ehrlich gesagt sind sie schon morgen da. Und am Abend wollen sie zum Essen kommen… Du sollst dann übrigens nicht solange arbeiten…“ Regelrecht alarmiert hob er seinen Kopf wieder und starrte mich an, bevor er weiteraß und vor sich hingrummelte. Eigentlich dachte ich, dass dieses Thema harmlos war, doch jetzt kam es mir noch komplizierter vor, ihm auch noch von dem Babysitten zu erzählen. Ich wartete ein paar weitere Minuten, auch wenn ich wusste, dass das nicht helfen würde, seine momentane Stimmung wieder zu heben. „Ehm, Dad?“ „Hm?“ Teilnahmslos ließ er den Kopf gesenkt und schob sich eine Gabel voll Blattsalat in den Mund. „Edward hat mich gefragt, ob ich ihm Donnerstag beim Babysitten helfe…“, sagte ich vorsichtig. „Aha.“ „Bei ihm Zuhause“, fügte ich noch hinzu, nachdem er nicht wirklich darauf reagierte. „Hm.“ Entweder machte ihm das in der Tat rein gar nichts aus, oder aber meine Worte waren noch nicht richtig zu ihm durchgedrungen. „Er hat mir auch angeboten, bei ihm zu übernachten, falls es länger dauert…“ Mitten im Kauen stoppte er, genauso wie seine Hand, die die Gabel hielt. Ganz langsam setzte die Bewegung seines Mundes wieder ein und er schluckte letzten Endes. „Auf wen wollt ihr noch mal aufpassen?“ fragte er, als er mich endlich ansah. „Die Tochter einer Freundin von Edwards Bruder.“ Seine Stirn legte sich in Falten. Es wäre natürlich einfacher gewesen, Claires Nichte zu sagen, doch das würde nur unnötige Fragen aufwerfen, die ich im Augenblick einfach nicht beantworten wollte. „Und ihr macht das, weil…?“ hakte er nach. „ …Emmett und Rosalie ausgehen“, vollendete ich den Satz. Ich sah ihm an, dass er immer noch nicht ganz verstand. „Emmett ist Edwards Bruder und Rosalie die Mutter von Roxy.“ Seine grauen Zellen mussten auf Hochtouren arbeiten und es dauerte eine Weile, bis er wieder etwas sagte. „Na ja, ich denke, wenn es bei ihm Zuhause ist, dann ist das in Ordnung.“ Ich fiel aus allen Wolken. Aus einem mir unverständlichen Grund musste ihn diese Tatsache beruhigen. Ich war davon ausgegangen, dass er wütend werden und es mir verbieten würde. Stattdessen wandte er sich jetzt wieder seelenruhig seinem Salat zu. „Du hast nichts dagegen?“ vergewisserte ich mich zweiflerisch. „Warum sollte ich? Seine Eltern sind ja schließlich auch noch da“, murmelte er zwischen seinen Bissen. Ich schluckte. „Ehm… Das stimmt so nicht… Die beiden sind weggefahren und-“ „Also seid ihr alleine?“ fuhr er mir auf einmal unwirsch dazwischen. Der schockierte Ausdruck in seinem Gesicht wurde von Sekunde zu Sekunde deutlicher. „Ich bin mir sicher, dass er auch eigenständig den Aufpasser spielen kann.“ Sein plötzlicher, autoritärer Unterton ließ mich zurückschrecken und bestätigte mir gleichzeitig meine Befürchtungen. „Dad! Wir sind nicht ganz allein. Roxy ist auch noch da und außerdem sind die Cullens abends wieder zurück“, redete ich dagegen und hoffte, dass Edwards Argument Charlie beeinflussen konnte. Das selbst gemachte Essen schaffte es jedenfalls nicht. „Ich verwette meinen Hintern, dass das nur eine Ausrede ist“, konterte er wütig und fuchtelte mit seiner Gabel herum. „Er würde mich nie anlügen. Also hör auf, ihm so was zu unterstellen. Wenn du mir verbieten willst, ihm zu helfen, dann frage ich eben Mom.“ Das hatte gesessen. Allerdings in einer weniger positiven Richtung. Seine Haut nahm eine immer ungesündere Farbe an und er hatte wirklich Mühe, sich unter Kontrolle zu halten. „Wenn du meinst, du müsstest mir mit ihr in den Rücken fallen, dann bitte. Aber solange du unter meinem Dach wohnst, habe ich das Sagen.“ Sein scharfer Ton war nun unverkennbar. Ich war mir bewusst, dass ich ihn verletzt hatte. Am liebsten hätte ich meine letzten Worte wieder zurückgenommen. „Dad…“, flüsterte ich. „Ich will mich nicht schon wieder mit dir streiten. Ich bin froh, dass der letzte gerade erst vorbei ist.“ „Du hast damit angefangen, also beschwer dich nicht“, erwiderte er barsch. Mitleidig ließ ich die Schultern hängen. „Was ist denn so schlimm daran, wenn ich mit Edward auf ein Kind aufpasse?“ “Was daran schlimm ist?“ wiederholte er mich eine Oktave höher. „Wahrscheinlich ist das alles nur ein Vorwand für ganz andere Dinge.“ Verständnislos schaute ich ihn an. „Du kennst ihn überhaupt nicht richtig. Meinst du, bloß weil du in seine Akte gesehen hast, wüsstest du, wie er tickt?“ Er antwortete nicht sofort, sondern rang eher nach Worten. So wirklich konnte er eigentlich nichts logisches entgegenbringen. Deshalb hörte sich sein nächster Satz auch sehr fadenscheinig an. „Diese Burschen sind alle gleich“, zeterte er, klang jetzt aber deutlich unsicherer. „Dad, das ist völliger Schwachsinn, und das weißt du auch.“ Ich bekam mehr und mehr das Gefühl, jetzt auf der sicheren Seite zu stehen. „Na schön.“ Die Unsicherheit war auf einmal wie weggeblasen und Entschlossenheit spiegelte sich in seinen Augen wider. Verwirrt musterte ich seine Gesichtszüge. „Donnerstag nach der Schule kommt er zu mir und dann reden wir. Ich hatte mir den Tag extra frei genommen wegen deiner Mutter, aber da sich das ja erledigt hat, hab ich genügend Zeit, deinen Freund unter die Lupe zu nehmen. Und erst danach entscheide ich, ob du zu ihm darfst.“ Mir klappte der der Mund auf. „Aber…“ „Das ist der einzige Kompromiss, den ich eingehe. Entweder du akzeptierst ihn oder du lässt es bleiben“, fuhr er fort, ohne mich überhaupt richtig zu Wort kommen zu lassen. Wie es aussah, würde Edward sein Gespräch mit meinem Vater früher bekommen, als ich geplant hatte. Und ich war mir sicher, dass er rein gar nichts dagegen haben würde. Ich war offenbar die einzige, der das nicht passte. Aber wie sollte man zwei Sturköpfe, wie sie es waren, auch für immer trennen können? Irgendwann mussten sie ja aneinander geraten… „Fein!“ Etwas beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Mein Appetit war vergangen. Keiner von beiden sagte an dem Abend noch ein weiteres Wort. Die Nacht über hatte ich ziemlich unruhig geschlafen, weil mir einfach zu viel im Kopf umherschwirrte. Nicht nur die Sache mit Charlie und dem Donnerstag, sondern auch Renées Besuch, der für einigen Verdruss bei meinem Vater sorgte. Dann war da noch Seth. Ich war mir eigentlich sicher, dass Edward noch mehr darüber nachdachte, als ich. Immerhin war er einer seiner besten Freunde. Oder ehemaligen besten Freunde? Ob Edward wieder mehr Kontakt mit ihm haben würde, wusste ich nicht, aber wenn Seth wirklich soviel daran lag und mein Freund dem nicht ganz abgeneigt war, dann könnte es klappen. Sollte ich ihnen dabei helfen? Nur wenn Edward es wollte, oder? Andererseits durfte ich mich nicht da einmischen. Und was hatte Claire überhaupt vor? Was sollte diese Entschuldigung von ihr? Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie es ernst gemeint hatte. Nicht, nachdem sie mich jahrelang so hintergangen hatte. Aber was wenn doch? Vielleicht lag ihr ja mehr an unserer Freundschaft, als ich vermutete. Dementgegen konnte man aber niemandem verzeihen, der für das die Schuld trug, was mir passiert war. Nein, ich würde ihr nicht verzeihen, selbst wenn ihr Sinneswandel echt sein mochte. Manche Dinge konnte man einfach nicht vergeben. Sie musste aus ihren Fehlern lernen und sehen, was sie angerichtet hatte. Sie musste verstehen, dass nicht alles gerechtfertigt war. Dann war da noch Alice und der mysteriöse Blumenstrauß. Auch wenn ich davon ausgegangen war, dass er von Jasper kam, schien die Elfe doch nicht wirklich davon überzeugt gewesen zu sein. Es hatte sie ja beinahe erschreckt, als sie die Karte gelesen hatte. Und ihr war nicht wohl bei der Sache. Was wenn es tatsächlich jemand fremdes war? Aber wie sollte ich dann ihre Reaktion auffassen? Dass das in Bezug auf Jasper Komplikationen hervorrufen könnte? Und der Spruch… Wenn es doch Jasper war, dann hatte er einfach die falschen Worte gewählt. Wenn es aber jemand anderes war, dann klang das Ganze schon etwas… besessen. Oder derjenige hatte ebenfalls kein Glück mit solchen Formulierungen. Ein Gespräch mit Alice würde hoffentlich ein paar Dinge klären. Immerhin waren sie zusammen nach Hause gefahren. Davon ging ich jedenfalls aus, denn Jazz war gestern ja auch sehr schnell verschwunden gewesen. Schwerfällig drehte ich mich auf den Rücken und legte meine Hände aufs Gesicht. Der neue Tag würde anstrengender werden als erwartet. Nicht nur wegen Alice, Renée und Edward, sondern weil ich so gut wie kein Auge zubekommen hatte und mir jetzt, als ich auf die Uhr sah - und ernüchternd feststellen musste, dass es bereits halb sechs war -, klar wurde, dass ich den Tag völlig übermüdet beginnen musste. Auch wenn ich noch vor dem Weckerklingeln bereits wach lag, blieb doch nicht mehr viel Zeit, um sich noch einmal umzudrehen und ein paar weitere Minuten zu träumen. Mit noch halb geschlossenen Augen hievte ich mich aus meinem Bett, nahm meine Sachen und ging ins Bad. Auf halbem Weg wäre ich beinahe mit der Wand kollidiert, konnte mich mit der Hand aber noch rechtzeitig abstützen. Der erste Blick in den Spiegel bescherte mir einen regelrechten Schock. Nicht nur dass meine Haare dermaßen wüst aussahen, was noch nicht mal so schlimm war, da das nach dem Schlafen meistens so kam. Unter meinen Augen zeichneten sich viel zu deutlich bläuliche Ringe ab und meine Hautfarbe war blasser als die einer Leiche. Würde mir abgesehen von meiner Müdigkeit noch andersartig unwohl zumute sein, hätte ich vermutet, mir einen Virus eingefangen zu haben. Doch da ich den Umständen entsprechend fit war, schloss ich diese Möglichkeit aus. Eine heiß-kalte Dusche und die Sache würde gleich etwas anders aussehen. Gemächlicher als üblich machte ich mich dann soweit fertig und als ich die Küche betrat, stieg mir bereits der Geruch von Kaffee in die Nase. Charlie saß wie immer am Tisch und las die Zeitung. „Morgen“, sagte ich leise und nahm mir vor, es bei diesem einen Wort für den Rest des Tages zu belassen. „Morgen“, nuschelte er ebenfalls desinteressiert hinter dem beschriebenen Fetzen Papier in seinen Händen. Stillschweigend nahm ich mir mein Müsli und ein Glas Orangensaft und setzte mich ihm gegenüber. Ich schenkte ihm keinerlei weitere Beachtung, obwohl ich das Gefühl hatte, er würde ab und zu hinüberblinzeln. Tat ihm sein Entschluss jetzt leid? Wohl kaum. Charlie Swan war nicht der Typ dafür. Und selbst wenn, würde ich nicht so schnell nachgeben. Er musste selbst sehen, dass seine Haltung vollkommen fehl am Platz war. Ich war keine dreizehn mehr. Irgendwann musste ich doch sowieso anfangen, mein Leben allein zu meistern und Verantwortung zu übernehmen. Aber Väter waren von so einem Gedanken ja eh nie begeistert. Genauso wie beim Duschen und Anziehen, hätte ich mir auch beim Frühstück liebend gern Zeit gelassen, aber ich wollte nicht länger in dieser angespannten Atmosphäre sitzen und eventuell in eine weitere, Vater-Tochter-Diskussion geraten. Also erhob ich mich, sobald ich fertig war, stellte mein Geschirr in die Abwäsche und verließ die Küche. Ich wusste nicht, ob er noch etwas gesagt hatte, da ich es nicht erwarten konnte, aus dem Haus zu kommen. Edward war noch nicht da, als ich auf dem Vorrasen stand, den Kopf in den Nacken legte und mit geschlossenen Augen tief durchatmete. Die schwach kühle Morgenluft tat gut und klärte meine Sinne ein wenig. Ich überlegte, ob ich vielleicht schon vorgehen sollte und er mich dann irgendwann aufgabelte, verwarf die Idee aber schnell wieder. Mir fiel ein, was das letzte Mal passiert war und auf eine zweite Begegnung mit einem Haufen Fahrradfahrern hatte ich wirklich keine Lust. Als wäre meine Anspannung spürbar gewesen, sah ich, nachdem ich meinen Blick wieder geradeaus richtete, einen silbernen Volvo um die Ecke biegen. Je näher das Auto kam, desto deutlicher zeichnete sich Edwards Silhouette durch die Windschutzscheibe ab und schon bald erkannte ich seinen überraschten Gesichtsausdruck. Kein Wunder. Wann hatte ich das letzte Mal auf ihn gewartet? Bis jetzt nie. Er hielt am Straßenrand und ich ging bereits auf den Wagen zu, doch er war schneller ausgestiegen und herumgelaufen als erwartet. Schnellen Schrittes kam er auf mich zu, blieb aber mittendrin stehen. Seine Augen weiteten sich, als er mich betrachtete, ehe er seine Bewegungen nur langsam wieder aufnahm. „Du siehst… geschafft aus. Dabei hat der Tag noch nicht mal angefangen“, stellte er halb schmunzelnd, halb besorgt fest. Ich schenkte ihm ein leichtes Lächeln, während er mich fest in seine Arme schloss. „Guten Morgen“, wisperte er liebevoll in mein Ohr. Ich antwortete ihm mit den gleichen Worten, auch wenn meine etwas träger klangen. „Und was deine kleine Bewerkung angeht…“, fügte ich hinzu. „Ich hatte keine sehr erholsame Nacht. Ich hab kaum ein Auge zubekommen.“ Er lehnte sich zurück und musterte mein Gesicht. Bei seinem Blick färbten sich meine Wangen spürbar rötlich. Allerdings würde er nicht nur das sehen, sondern auch die Augenringe, weshalb ich meine Lider zukniff und meinen Kopf senkte. „Nicht hinsehen“, bat ich. „Ich weiß auch so, dass ich einem Zombie sehr ähnlich komme.“ Er lachte leise und nahm mein Gesicht in seine Hände, um es wieder anzuheben, wobei seine Daumen zaghaft unter meinen Augen entlang strichen. „So schlimm ist es wirklich nicht. Man sieht es eigentlich kaum.“ Meine Augenbraue zuckte ungläubig nach oben, doch ich verkniff mir meinen Kommentar. Würde ich behaupten, dass er das nur gesagt hatte, weil er mein Freund war, dann hätte er mit Sicherheit wieder dagegen geredet. Und da das eh zu nichts führen würde als einer weiteren, wenn auch harmonischeren Auseinandersetzung, ließ ich es lieber ganz sein. Ein Lächeln erhellte seine Züge und behände zog er mein Gesicht gen seinem. So unschuldig wie der Morgen noch war, so sanft war der Kuss, den er mir gab und für einen Moment war jede einzelne Zelle in meinem Kopf und dem Rest meines Körpers damit beschäftigt, das prickelnde Gefühl zu genießen, das diese Berührung auslöste. Die mürrischen Gedanken, die ich eben noch hatte, waren wie weggefegt. An diese wohligen Empfindungen konnte ich mich wirklich gewöhnen. Viel zu schnell löste er sich von mir, doch so einfach wollte ich der Sorglosigkeit nicht entrissen werden. Wie aus Reflex schoben sich meine Arme zwischen uns nach oben, um meine Hände an die Seiten seines Kopfes zu legen. Ich zog ihn wieder zu mir herunter, während ich mich gleichzeitig auf die Zehenspitzen stellte. Abermals trafen sich unsere Lippen, auch wenn seine zu einem kurzen, schwer zu bewerkstelligenden Grinsen verzogen waren, ehe er es richtig erwiderte. Dieses Mal hielt der Moment länger an und wurde eine Spur intensiver, wofür ich Edward sehr dankbar war. Doch letztendlich endete auch das. „Ich persönlich hab nichts dagegen, noch eine Weile in dieser Position zu verharren, nur glaube ich, sehen die Lehrer das etwas anders“, schmunzelte er vergnügt. Ich seufzte. „Auch wenn ich es nur ungern zugebe, aber du hast recht.“ „Ich weiß“, grinste er, als er mich zum Auto führte. „Ich gehöre ja auch zum dominanten Part unserer Rasse. Wir müssen recht haben.“ Aus irgendeinem Grund war er heute zu Scherzen aufgelegt. Oder überspielte er nur seine Nervosität wegen der noch ausstehenden Antwort auf ein gewisses Thema? Ich sah ihn etwas sprachlos an und musste plötzlich leise lachen. Er schaffte es tatsächlich, egal in welcher Situation, die Stimmung zu heben. Aus Rache für mein Amusement zwickte er mir in die Seite. Zwar versuchte ich noch, auszuweichen, doch leider verbog ich mich dabei so ungeschickt, dass ich das Gleichgewicht verlor. Edward schlang noch rechtzeitig seine Arme von hinten um mich und verhinderte den garantierten Sturz. Kichernd drückte er mir seine Lippen auf die Haare. „Na komm…“ Wir stiegen in den Volvo und Edward verschränkte die Finger seiner freien Hand mit meinen. Die kurzweilige Heiterkeit schwand langsam und in unserem Schweigen lag bald eine kaum spürbare Anspannung. „Wie hat dein Vater reagiert?“ fragte er vorsichtig in die Stille hinein. „Ich würde sagen, du bekommst dein Gespräch doch noch.“ Kurz wandte er sich mit hochgezogenen Augenbrauen zu mir. „Er will morgen vorher mit dir reden“, wurde ich etwas genauer. „Wirklich?“ Ich nickte. „ Sieht so aus, als wolle er sich erst ein Bild von dir machen, bevor er dich auf mich loslässt. Oder dich warnen und in die Schranken weisen. Was weiß ich…“ „Das ist doch gut“, lächelte er und strich mit seinem Daumen über meinen Handrücken, während sein Blick der Fahrbahn folgte. „Immerhin hat er nicht Nein gesagt.“ Mein skeptischer Gesichtsausdruck ließ ihn leise kichern. „Er wird mir schon nicht den Kopf abreißen.“ „Ich hab eher Angst, dass er dich erschießt“, murrte ich und starrte gedankenverloren aus dem Seitenfenster. Er gluckste. „Ich denke, ich kann auf mich aufpassen.“ Hoffen wir es, fügte ich in Gedanken hinzu. Edward wirkte ziemlich überzeugt davon, dass alles glatt laufen würde, und als wäre das kleine Treffen von Angesicht zu Angesicht mit Charlie überhaupt nicht bedeutsam, erzählte er von dem Donnerstag, als hätte ich schon Dads Einwilligung. Da Emmett Rosalie ein bisschen Zeit für sich geben wollte, bat er uns, Roxy bereits von der Schule abzuholen und den Nachmittag mit ihr zu verbringen. Die Grundschule befand sich gleich neben der High School, also war das kein großes Problem. Schließlich hatten wir sie schon einmal von dort mitgenommen. Wie es aussah, hatte Edward sogar schon ein paar Sachen, die wir drei machen konnten, geplant, nur leider verriet er mir nicht, was genau es war. Ich unterließ jeden Versuch, ihn diesbezüglich zu überreden, es mir zu sagen; wusste ich doch, wie dickköpfig er sein konnte. Schon bald kam der Parkplatz unserer Schule in Sicht. Edward parkte das Auto in eine der vorderen Reihen und nachdem wir ausgestiegen waren, suchte ich unbewusst die Umgebung nach Alice‘ gelbem Beetle ab. Ich fand ihn relativ schnell etwas weiter hinten. Während Edward mich an seine Seite zog und wir Richtung Hauptgebäude gingen, fiel mir eine Sache als erstes auf. Die Schwarzhaarige kam uns nicht wie erwartet entgegen gerannt. Gut, ich konnte nach einer Woche nicht ihr gesamtes Verhalten analysiert haben, aber trotzdem war ich irgendwie davon ausgegangen, dass sie auf uns warten würde. Wahrscheinlich sollte ich mir nicht allzu viele Sorgen machen. Am Ende war sie vielleicht einfach nur mit etwas anderem beschäftigt. Etwas wichtigerem. Nichtsdestotrotz bekam ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Je näher wir gingen, desto seltsamer kamen mir die Schüler vor, was Edward nicht entging. Einige waren wie wir auf dem Weg in die Schule, andere wiederum standen draußen und tuschelten mit zusammengesteckten Köpfen. Es war zwar nur selten, aber ab und zu kam es mir so vor, als würden einige neugierig zu Edward schielen. Wir betraten die Vorhalle und auch hier hatten sich überall kleine Grüppchen gebildet. Irgendetwas sahen sie sich an und das Gemurmel unter ihnen war lauter als das draußen. Genauer betrachtet, entdeckten wir erst jetzt, dass überall an den Wänden Fotos hingen. Noch standen wir zu weit entfernt, um erkennen zu können, was darauf abgebildet war und zögerlich näherten wir uns dem Objekt des Aufruhrs. Jemand, der uns bemerkte, schaute meinen Freund mit einem mitleidigen Blick an. „Tut mir echt leid für euch.“ Er klopfte mit seiner Hand sachte auf Edwards Schulter, steckte dann beide in die Hosentaschen und machte sich seelenruhig auf den Weg zu seiner Stunde. Mit seinem Kommentar hinterließ er bei uns verwirrte Mienen und als wir endlich sehen konnten, was für alle zur Schau gestellt wurde, klappte uns vor Entsetzen der Mund auf. „Oh mein Gott“, flüsterte ich kaum hörbar. Wer um alles in der Welt war zu so etwas fähig? Auf den Bildern war Tayk zu sehen. In der VIP-Lounge des San Francisco Baseballstadions. Das allein wäre nicht schlimm gewesen, nur war er eben nicht allein dort. Neben ihm saß eine weitere Person. Eine, von der ich so etwas niemals erwartet hätte. Mike Newton. In einer eindeutigen Situation. Er und Tayk küssten sich. Kein Wunder, dass die gesamte Schülerschaft in Aufregung war. Der Baseballcaptain zusammen mit einem anderen Jungen. Der Baseballcaptain schwul! Das Geheimnis, das Tayk um alles in der Welt geheim halten wollte, war raus. Das, für das er sogar in Claires Plan eingewilligt hatte. Jetzt konnte er keinem mehr etwas vormachen. Was konnte es schlimmeres geben? Ausgerechnet jetzt, drei Tage vor dem großen Spiel… „Shit!“ fluchte Edward. Noch bevor ich meinen Kopf ganz zu ihm gedreht hatte, löste er sich bereits von mir und rannte mit einem mörderischen Blick in den Augen in einen der Gänge. Ein paar Sekunden später war er verschwunden. Ich rief ihm zwar noch hinterher, doch entweder hörte er es nicht, oder seine Eile war wichtiger. Wo wollte er so überstürzt hin? Etwas einsam stand ich immer noch vor dem Foto. Mike war also ebenfalls am eigenen Geschlecht interessiert. Seit wann? Etwa schon, als er mit mir ausgegangen war? Wenn ja, wieso hatte er sich die Mühe überhaupt gemacht? Es hätte dann doch eh nicht geklappt, selbst wenn Claire ihre Finger nicht im Spiel gehabt hätte. …Claire! Ein anderer Gedanke, der mir in den Sinn kam. Es gab nur eine Person, die wusste, dass Tayk schwul war. Und ebendiese Person hatte auch mit genau einem meiner potentiellen Freunde nichts angefangen. Claire Stanfield… Anders konnte es gar nicht sein und nach allem, was geschehen war, konnte ich ihr auch das zutrauen. Mit irgendetwas musste sie Tayk ja erpresst haben. Und das hier war der perfekte Beweis. Mein Blick schweifte langsam durch die Scharr an Schülern, die mittlerweile ein wenig größer geworden war, als auch die letzten ankamen und all die Fotos entdeckten. Noch mehr Gemurmel, das sich unter Garantie die nächsten Tage, wenn nicht sogar Wochen halten würde. Ich sah durch die Reihen und entdeckte jede Menge erstaunte, verblüffte, amüsierte und abgeschreckte Gesichtsausdrücke. Letztlich spähte ich in einen etwas leereren Nebenflur und bemerkte am anderen Ende plötzlich einen blonden Haarschopf vorsichtig um die Ecke blinzeln. Ich kniff meine Augen leicht zusammen, um zu sehen, wer sich dort hinten befand. Wenn mir anfänglich das Verhalten der Person merkwürdig vorkam, so war es jetzt, da ich wusste, wer sich da versteckte, nur logisch. Mike… Ich hatte keine Ahnung, warum ich auf einmal auf die Idee kam, zu ihm zu rennen, doch ich tat es. Auch wenn ich ihn nicht leiden konnte. Gerade hatte ich wirklich Mitleid mit ihm. Nicht wegen seiner Vorliebe, sondern weil ich mir einfach vorstellen konnte, dass der ganze Aufruhr nicht gerade angenehm für ihn sein musste. Als er mich erkannte, zog er sich schnell zurück und verschwand wieder hinter der Ecke. „Mike!“ rief ich ihm nach. Kurz darauf bog ich in den Flur ein, in den er abgehauen sein musste. Leider bekam ich danach nicht mehr viel mit, denn sobald ich mich in die Richtung gedreht hatte, stieß ich auch schon mit jemandem zusammen und landete etwas schmerzhaft auf dem Boden. Ich stöhnte auf und stützte mich schwerfällig mit meinen Händen ab. Als ich realisierte, mit wem ich zusammengeprallt war, rappelte ich mich so schnell wie möglich auf, weil ich das Gefühl hatte, ich würde sie sonst noch zerquetschen, so zierlich wie sie war. „Alice…“ Ich stand vollends auf und reichte ihr meine Hand, um ihr aufzuhelfen. Sie sah nicht besser aus, als ich. Ihr Gesicht war verzogen und sie rieb sich ihre Ellenbogen und den Hintern, als sie ebenfalls aufrecht stand. „Autsch“, jammerte sie leise. „Tut mir leid… Ich hab dich nicht gesehen.“ Ein Blick hinter sie verriet mir, dass Mike schon längst weg war. Ihm musste das alles wirklich an die Nieren gehen. Da ich ihn jetzt eh nicht mehr wieder finden würde, gab ich es gleich auf, noch weiter nach ihm zu suchen. „Schon gut“, meinte Alice, sah mich aber ein wenig vorwurfsvoll an. „Wo wolltest du denn so eilig hin?“ „Ich hab Mike hier gesehen und wollte mit ihm reden… glaube ich jedenfalls.“ So ganz genau hatte ich selbst keine Ahnung, was ich eigentlich vorhatte. Ich konnte mir noch nicht mal sicher sein, ob er überhaupt mit mir sprechen würde. Nachdem ich seinen Namen ausgesprochen hatte, weiteten sich ihre Augen. „Oh, ach so… Wegen diesen Fotos…“ „Genau“, stimmte ich ihr zu. „Ich wette, das war Claire“, grummelte sie finster und verschränkte die Arme vor der Brust. „Die Frau hat sie doch nicht mehr alle.“ Ich lächelte ihr trübe zu. „Ja… Gestern hat sie sich übrigens bei mir entschuldigt.“ Alice schaute mich perplex an. „Reden wir von der gleichen Person?“ Bei ihren Worten lachte ich bitter auf. "Ich denke schon. Edwards Reaktion auf sie zufolge jedenfalls… Ich weiß, wie utopisch sich das anhört, aber-“ „Sag mir nicht, dass du ihr das abgekauft hast.“ Ihr Gesichtsausdruck wirkte regelrecht erschüttert. „Nein, eigentlich nicht. Edward war ja Gott sei Dank auch dabei. Andernfalls hätte ich nicht gewusst, was ich machen sollte.“ Ihre Augen wurden schmal und sie zog ihre Brauen zusammen. „Egal was sie sagt oder tut, du darfst ihr nicht mehr vertrauen. Sie ist durch und durch schlecht. Auch wenn ich nicht weiß, wie es vorher zwischen euch abgelaufen ist. Vielleicht war sie ja schon damals so, hat es aber nicht gezeigt.“ „Meinst du? Als Kinder hatten wir eigentlich immer sehr viel Spaß zusammen…“ Auch wenn ich es ungern zugab, aber früher war alles wirklich schön gewesen und ein bisschen trauerte ich der vergangenen Zeit nach. „Wer weiß. Auf jeden Fall wird sie sich nicht wieder von heute auf morgen ändern. So schnell kann sich niemand um hundertachtzig Grad drehen, und bei ihr bin ich mir noch nicht mal sicher, ob man da überhaupt noch hoffen kann. Aber egal was ist, an deiner Stelle würde ich mich von ihr fernhalten. Sie bringt nur Unglück.“ Langsam wurde das Thema doch etwas quälend. Ich wollte es nicht noch weiter vertiefen, sondern am liebsten so weit wie möglich von mir schieben und es irgendwo vergraben. Es einfach vergessen. Doch so einfach würde mir das Leben diese Sache nicht machen, oder? Allerdings konnte ich es aber versuchen. Ich würde weder weiter über Claires Entschuldigung grübeln, noch in irgendeiner Weise über sie reden. Das war sie nicht wert. „Und wie geht´s dir?“ fragte ich schließlich, um den Punkt unserer Unterhaltung zu wechseln. Erst etwas verdutzt, antwortete sie letztlich versucht belustigt. „Nach dem Zusammenstoß oder allgemein?“ Irgendwie war sie auf einmal nicht richtig sie selbst. Seit gestern Nachmittag hatte sich nicht wirklich etwas an ihrer verunsicherten Haltung geändert. „Allgemein“, antwortete ich, während wir uns auf den Weg Richtung Klassenräume machten. „Ganz gut.“ Sie wollte mir doch tatsächlich etwas vormachen. Sie hatte mir dabei ja noch nicht einmal in die Augen gesehen. Ich musste wohl genauer auf ein bestimmtes Thema eingehen. „Und was ist mit dem Blumenstrauß?“ Überrascht drehte sie ihren Kopf zu mir, dann sah sie wieder nach vorne. „Was soll damit sein?“ „Ist er nun von Jasper, oder nicht?“ Ich musste ihr doch normalerweise nichts aus der Nase ziehen. Eine lange Pause legte sich zwischen uns, ehe sie laut seufzte und traurig lächelte. „Nein… Ich hab ihn gestern gefragt und er meinte, er hat - leider - nichts damit zutun.“ „Also ein fremder Verehrer“, schlussfolgerte ich. Eigentlich fand ich die Vorstellung ganz niedlich. Da Alice das aber nicht sonderlich toll fand, unterdrückte ich mein Grinsen. „Könnte man so sagen. Ja.“ „Und was meint Jazz dazu?“ Kurz überlegte sie. „Er… ist, glaub ich eifersüchtig. Obwohl es gar keinen Grund dafür gibt. Als wenn ich mich auf einen Fremden einlassen würde…“ Ich konnte nicht verhindern, dass einer meiner Mundwinkel nach oben zuckte, und dennoch hatte mich ein leicht unsicheres Gefühl befallen. „Steht eure Verabredung morgen Abend denn noch?“ Die Erwähnung dieses Treffens schien ihre Stimmung doch etwas zu erhellen. Ihre Aufregung diesbezüglich konnte sie nicht wirklich verbergen und sie nickte schlussendlich. „Ja, die ist immer noch aktuell. Ich werde mich hüten, so was wegen einem Dritten ausfallen zu lassen.“ „Dann bin ich ja beruhigt“, entgegnete ich, wofür ich eine gerunzelte Stirn und kaum sichtbar gerötete Wangen zu Gesicht bekam, gefolgt von einem schüchternen Lächeln. „Wo ist eigentlich Edward?“ wollte sie auf einmal wissen und sofort fiel mir wieder sein sonderbares Verhalten ein. „Ich hab nicht die geringste Ahnung. Nachdem wir die Fotos gesehen haben, ist er Hals über Kopf irgendwo hingerannt und hat mich ohne eine Erklärung stehen gelassen.“ Ich musste zugeben, dass mich seine Aktion etwas nervös machte, und ihn nicht bei mir zu wissen, gefiel mir überhaupt nicht. Andererseits machte ich mir wahrscheinlich auch wieder viel zu viele Gedanken darüber. Wenn er wieder da war, würde er mir sowieso erzählen, warum er so reagiert hatte. Keine Geheimnisse. Das hatte er erst gestern zu mir gesagt. Und darauf baute ich nun. „Vielleicht ist er einfa-“ „Entschuldigung?“ hörten wir jemanden hinter uns, was Alice ihren Satz nicht zu Ende führen ließ. Als wir uns umdrehten, weiteten sich meine Augen minimal. Ich kannte die Person bereits, die jetzt vor uns stand. Es war derjenige, in den ich gestern hineingerannt war. Ein großer, schlaksiger, aber dennoch muskulöser Körperbau, dunkelbraune Haare und ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. „Oh“, kam es von ihm, als er mich erkannte. „Wir sind uns doch gestern schon über den Weg gelaufen, oder?“ Ich nickte. „Gibt es ein Problem?“ Jetzt wirkte er, als wäre ihm die Situation peinlich. „Ehrlich gesagt ja. Ich habe heute meinen ersten Tag als Lehrer an dieser Schule und den Plan der einzelnen Räume leider noch nicht im Kopf. Ihr könnt mir nicht zufällig sagen, wo ich den Geographieraum finde?“ Während er mit uns sprach, huschten seine Augen immer wieder zwischen uns beiden hin und her. Aus irgendeinem Grund konnte ich ihn nicht lange ansehen. Sein Blick war wachsam und auf eine seltsame Weise mysteriös. „Der liegt direkt auf unserem Weg… Wir können es Ihnen zeigen, wenn Sie möchten“, meinte Alice höflich. War ihr meine Beobachtung ebenfalls aufgefallen? „Danke, das ist wirklich nett… Ach, und falls wir uns in einem Fach wieder sehen sollten: Mein Name ist James Harper.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Hey, wie immer vielen lieben Dank für eure Kommis! Ich freu mich stets über jeden einzelnen...;)) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)