Taste Of Confusion II von Karma (Adrian x Jonas) ================================================================================ Kapitel 3: Die Ausstellung -------------------------- So, da ich förmlich genötigt wurde, gibt's auch schon das nächste Kapitel. *zu Aschra schiel* *drop* Ich bin einfach zu leicht weichzukochen. *seufz* Nya, das ist das letzte Kapitel, das ich bisher vorgeschrieben habe. Alles Weitere wird jetzt dauern. Wie lange weiss ich noch nicht genau, aber ich hoffe, ihr bleibt mir trotzdem gewogen. ^___^ Und jetzt viel Spaß! Karma ********************************************************************************* "Nico, Jonas, seid ihr soweit?" Mein Bruder verdreht die Augen, als er Mamas Stimme aus dem Flur hört. "Hilf mir, Jojo. Bitte! Ich will da nicht hin! Auf keinen Fall!", quengelt er und wirft mir einen derart bettelnden Blick zu, dass ich mich geschlagen gebe und seufzend nicke. "Okay. Ich deck Deinen Rückzug. Aber dafür hab ich was gut bei Dir.", verlange ich und daran, dass Nico ohne weitere Verhandlung zustimmt, kann ich deutlich erkennen, wie sehr es ihm zuwider ist, zu dieser Ausstellung zu müssen. "Was immer Du willst! Ich tue alles, Jojo, wenn Du mir nur hilfst zu verschwinden!" Oh Mann, ich wusste ja, dass mein Bruder keinerlei Lust hat, sich die Fotos anzusehen, aber dass es so schlimm ist, überrascht mich dann doch etwas. "In Ordnung. Dann geh schon mal in Startposition.", flüstere ich ihm zu und er lächelt erleichtert, während ich nur den Kopf schüttele. Als ob das so schlimm wäre. Aber okay, mir macht so etwas generell weniger aus als ihm. Ausserdem ist in Nicos Kopf derzeit sowieso nur Platz für seine heissgeliebte und angebetete Gina und für sonst nichts. Schmunzelnd gehe ich in die Küche und fange so unsere Mutter ab, die gerade nach uns sehen will. "Kannst Du mir mal eben helfen, Mama? Schwarz oder rot?", frage ich und halte ihr zwei Hemden entgegen. Hoffentlich lenkt sie das lange genug ab, dass Nico sich unauffällig absetzen kann. Papa hat es ja schliesslich auch geschafft, sich zu drücken. Er hat zwar behauptet, er müsse Überstunden machen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das nur eine Ausrede ist, um nicht mitzumüssen. Immerhin kann er mit Kunst und Kultur genauso viel anfangen wie Nico. "Seit wann fragst Du mich denn wegen eines Hemdes um Rat? Das hast Du schon seit Jahren nicht mehr gemacht." Mamas Blick ist skeptisch und als sie hört, wie die Wohnungstür ins Schloss fällt, seufzt sie abgrundtief. "Ich verstehe. Rückendeckung für Deinen Bruder, damit er sich drücken konnte.", murmelt sie und ich grinse schuldbewusst. Ich bin eben kein besonders guter Lügner. Ausser bei einer Sache. Aber das gehört ganz bestimmt nicht hierher. "Damit wären wir beide dann wohl alleine. Oder willst Du Dich auch noch drücken, Jonas?" "Nein, ich komme mit, Mama.", antworte ich wahrheitsgemäß und schüttele den Kopf. Dafür ernte einen weiteren misstrauischen Blick, aber als ich schliesslich das rote Hemd zur Seite lege und das schwarze anziehe, merkt sie wohl, dass ich es tatsächlich ernst meine. "Wenigstens einer.", seufzt sie und wartet, bis ich fertig angezogen bin, bevor sie mich zum Auto scheucht. Eine halbe Stunde später haben wir die Galerie erreicht, in der die Ausstellung stattfinden soll. Von außen sieht es ziemlich voll aus, aber so sehr ich mich auch umsehe, ich kann Adrian nirgendwo entdecken. Entweder ist er weiter hinten oder er ist noch gar nicht da. Hoffentlich hat er mich letzte Woche nicht verschaukelt, als er mir erzählt hat, er wäre heute auch hier. Ja, so peinlich das auch ist, ich bin eigentlich nur seinetwegen hier. Ich habe die ganze letzte Woche dem heutigen Abend entgegengefiebert und mich gleichzeitig innerlich dafür verflucht. Dass er ein paar Minuten lang nett zu mir war, mich aufgebaut und mich nach Hause gefahren hat, ist eigentlich kein Grund dafür, sich so sehr auf ein Wiedersehen zu freuen, aber ich konnte nichts dagegen tun. Ich war sogar mehrmals kurz davor, Miriam anzurufen und sie zu fragen, ob sie mir Adrians Telefonnummer geben kann, aber das habe ich mir doch lieber verkniffen. Immerhin hätte ich nicht gewusst, wie ich das hätte erklären sollen. "Komm, wir können reingehen." Mamas Stimme und ihre Hand an meinem Arm holen mich wieder in die Wirklichkeit zurück. Ich nicke, folge ihr in die Galerie hinein und sehe mich dann interessiert um. Okay, wenn die Fotos DIN A3-Format haben oder gar noch größer sind, wirken sie definitiv noch viel imposanter als die Abbildungen in der Kunstzeitschrift, die meine Mutter zu Hause hat. Fasziniert schlendere ich an den Wänden entlang und lasse die einzelnen Bilder auf mich wirken. Adrians Mutter hat wirklich einen erstaunlichen Blick für Details und gute Gelegenheiten. Ihre Panoramabilder sind der absolute Wahnsinn. Man hat, wenn man sie betrachtet, das Gefühl, tatsächlich mittendrin zu sein und nicht nur vor einem Foto zu stehen. Nach einigen Landschafts- und sogar ein paar Unterwasserfotografien – alle in Farbe und mehr als beeindruckend – kommen schliesslich etwas weiter hinten die Schwarzweissfotos, von denen Adrian mir erzählt hat. Scheinbar setzt seine Mutter auf Farbe bei Tier- und Landschaftsbildern, lichtet menschliche Modelle aber alle nur in Schwarzweiss ab. Eine wirklich interessante Idee, das kann ich nicht leugnen. Ein Foto nach dem anderen sehe ich mir gründlich an. Die hier fotografierten Menschen kenne ich alle nicht, aber dennoch sprechen mich die Bilder irgendwie an. Sie wirken alle sehr persönlich; so, als habe die Künstlerin zu jeder dieser Personen ein enges persönliches Verhältnis. Ich habe keine Ahnung, wo meine Mutter steckt, aber ich werde sie nachher schon wiederfinden – oder sie mich –, wenn wir nach Hause müssen. Ganz sicher wird sie von diesen Fotos ebenfalls total begeistert sein. Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich nicht in ihrer Nähe bin, wenn sie ausflippt. Das könnte nämlich ziemlich peinlich werden. Immerhin neigt sie dazu, vor Begeisterung zu quietschen, wenn ihr etwas besonders gut gefällt. Ich bin beinahe am Ende der Ausstellung angelangt – was bedeutet, dass ich schon eine ganze Weile hier sein muss –, als ein großes, ebenfalls in Schwarzweiss gehaltenes Foto meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich richtig sehe, aber als ich mich zu dem Bild durchgedrängelt habe, beginnt mein Herz wie wild zu rasen und ich finde meine Vermutung bestätigt. Das ist tatsächlich Adrian. Je länger ich das Foto ansehe, desto größer werden meine Augen. So ein Bild hat seine Mutter von ihm gemacht? Wow! Meine Mutter würde einen Anfall kriegen, wenn Nico oder ich uns so fotografieren lassen würden – egal von wem und egal, ob das Foto jemals an die Öffentlichkeit gelangen würde oder nicht. Sie würde uns schon alleine für die Existenz eines solchen Fotos den Kopf abreissen, das steht fest. Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass mir das, was ich hier zu sehen bekomme, ausgesprochen gut gefällt. Vielleicht sogar ein bisschen zu gut. Das Bild, von dem ich meinen Blick einfach nicht abwenden kann, hat ungefähr DIN A3-Format. Adrian lehnt mit dem Rücken an einer hellen Wand und ausser einer dunklen, höchstwahrscheinlich schwarzen Jeans trägt er nichts weiter. Seine Haare sind offen, die Arme hat er vor seiner Brust verschränkt und das Lächeln, das seine Lippen ziert, ist gleichermaßen belustigt wie provokant. Zu meiner unendlichen Beschämung spüre ich, wie mein Mund trocken wird. Im Gegenzug dazu werden meine Handflächen feucht, aber ich schaffe es einfach nicht, mich abzuwenden und zu gehen. Glücklicherweise sind hier so viele Leute, dass mein Starren wohl niemandem auffallen wird. Jedenfalls hoffe ich das ganz stark. Wie lange ich sprachlos vor diesem Foto gestanden habe, weiss ich nicht genau. Als mich jedoch von hinten plötzlich eine wohlbekannte Stimme anspricht – "Du bist ja tatsächlich gekommen." –, zucke ich erschrocken zusammen, drehe mich um und blicke genau in Adrians Gesicht, der mich unbekümmert angrinst. "Ich wollte Dich nicht erschrecken. Entschuldige.", murmelt er und ich schüttele hastig den Kopf, bekomme aber kein einziges Wort heraus. Stattdessen merke ich, wie mein Gesicht flammend rot anläuft. Das hier ist mir einfach unglaublich peinlich. Hat er mitbekommen, wie lange ich schon hier stehe und dieses Foto anstarre? Hoffentlich nicht! "Bist... bist Du schon lange da?", erkundige ich mich, nachdem ich mich geräuspert habe. Zu meiner unendlichen Erleichterung schüttelt er den Kopf. "Nein. Ich bin erst vor fünf Minuten gekommen. Manchmal ist Devlin echt anstrengender als ein kleines Kind.", antwortet er und grinst wieder. "Aber so ist er eben. Und Du? Bist Du schon lange hier?", will er dann wissen und ich zucke mit den Schultern. Dabei weiche ich seinem Blick aus, aber dass ich beinahe schon automatisch wieder zu dem Foto schiele, hilft mir auch nicht dabei, die Röte aus meinem Gesicht zu vertreiben. Eigentlich ist das sogar eher kontraproduktiv. "Gefällt Dir das Bild?", fragt Adrian und ich zucke wieder zusammen, doch das scheint er glücklicherweise nicht zu bemerken. "Ja, ziemlich.", gebe ich schliesslich zu und hoffe, dass er nicht hört, wie seltsam kratzig meine Stimme klingt. "Ich mag's auch. Ist jetzt schon gut zwei Jahre alt. Sollte damals eigentlich ein Geschenk für meinen Freund Alex werden, aber der hat sich ja noch vor seinem Geburtstag von mir getrennt.", erzählt er und mein Kopf ruckt hoch. Moment! Stopp! Kommando zurück! Was war das eben? Habe ich das jetzt gerade richtig verstanden? Hat Adrian gerade wirklich gesagt, dass dieses Foto ursprünglich als Geschenk gedacht war? Für seinen Freund? Oder vielmehr für seinen jetzigen Exfreund? Oder habe ich irgendwelche akustischen Halluzinationen? Soll das etwa heissen, er... "Du bist schwul?", rutscht es mir ungläubig heraus und Adrian sieht mich überrascht an. "Das wusstest Du nicht?", fragt er zurück und ich schüttele den Kopf. "Nein.", krächze ich und wünsche mir einen Sessel oder irgendetwas anderes, damit ich mich hinsetzen kann. Heilige Scheisse, das haut mich echt um. Adrian ist schwul! Und er steht offenbar ganz locker dazu. Wie schafft er das? "Weiss...", setze ich an, unterbreche mich aber selbst. Natürlich weiss seine Mutter Bescheid. Sonst hätte sie sicher nicht dieses Foto von ihm gemacht, damit er es seinem Freund schenken kann. Adrian scheint meine Gedanken allerdings geradezu erraten zu können – oder vielleicht liest er sie auch einfach von meinem Gesicht ab –, denn er nickt. "In meiner Umgebung weiss eigentlich jeder darüber Bescheid. Meine Mutter, Dev, mein Schwesterchen und inzwischen sogar Claudia und Marc. Ich bin davon ausgegangen, dass Du es auch wusstest. Tut mir leid, wenn ich Dich geschockt habe oder Dir das Thema unangenehm ist.", entschuldigt er sich und ich schüttele so schnell den Kopf, dass mir schwindelig wird. "Nein. Ist schon okay. Ich bin nur... ich weiss auch nicht... ich dachte eben nicht..." Mein Gestotter ist mir unglaublich peinlich, aber ich bekomme einfach keinen vernünftigen Satz zusammen. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken nur so und ich kriege keinen einzelnen davon wirklich zu fassen. "Ich glaub, ich brauch frische Luft.", ist der erste halbwegs intelligente und zusammenhängende Satz, den ich nach einer gefühlten Ewigkeit formulieren kann. "Soll ich sicherheitshalber mitkommen? Du siehst aus, als würdest Du gleich umkippen." Adrians Stimme klingt besorgt und ich würde am liebsten ablehnen, aber spätestens beim ersten unsicheren Schritt merke ich, dass das keine gute Idee ist. Alleine komme ich sicher nicht mal bis zum Ausgang. Offenbar bemerkt er das auch, denn er lotst mich nicht durch die Menge, sondern führt mich zielsicher zum Hinterausgang der Galerie. Draussen ist es inzwischen bereits stockdunkel, aber als die Tür hinter uns zufällt, wird es gleich angenehm still und ich kann beinahe sofort freier atmen. Mit geschlossenen Augen lehne ich mich an die Wand neben der Tür und geniesse die Nachtluft. Adrian sagt nichts, sondern wartet scheinbar ab, bis ich mich wieder etwas erholt habe. Erst als ich meine Augen wieder öffne und ihn ansehe, spricht er mich an. "Besser?", will er wissen und ich nicke. "Tut mir leid.", entschuldige ich mich bei ihm und schenke ihm einen zerknirschten Blick. "Du musst mich für einen Vollidioten halten.", vermute ich, doch er schüttelt einfach nur den Kopf und lächelt. "Ach was. Warum denn?" "Na, wegen meiner Reaktion." Mir ist das Ganze unglaublich peinlich, doch er winkt ab und lehnt sich rücklings an das Geländer der Treppe, die hier offenbar in den Hof führt. "Ich hoffe, Du bist jetzt nicht sauer. Es ist nicht so, dass ich ein Problem damit habe oder so." Gut, das habe ich schon, aber ganz sicher nicht so, wie er jetzt wahrscheinlich denkt. "Es hat mich einfach nur überrascht. Du redest so offen darüber – und das mit jemandem, den Du eigentlich nicht kennst. Ich meine, wir haben bisher kaum ein paar Worte miteinander gewechselt." Was ich, nebenbei bemerkt, wirklich schade finde. Aber das behalte ich lieber für mich. Das muss er nun wirklich nicht wissen. "Das ist vollkommen okay für mich, also keine Panik. Ich weiss das schon seit Jahren und ich bin einfach nicht der Typ für Heimlichtuerei. Ich war dreizehn, als ich gemerkt hab, das Mädchen mich nicht interessieren, und ich hab es damals gleich meiner ersten großen Liebe und meiner Mutter erzählt. Wie gesagt, ich halte nichts von Geheimniskrämerei. Das ist nicht mein Stil." Nach diesen Worten von ihm kann ich nicht anders – ich muss lachen. Adrian blickt mich irritiert an, aber ich kann einfach nicht aufhören. Ganz offenbar haben wir sogar noch mehr gemeinsam, als ich dachte. Immerhin weiss ich seit Dennis' vierzehntem Geburtstag ebenfalls, dass mir ein Kuss von einem Jungen lieber ist als einer von einem Mädchen. Damals war ich auch dreizehn. "Scheinbar haben wir wirklich einiges gemeinsam." Es dauert einen Moment, bis ich den Sinn dieser Worte begreife, doch dann höre ich schlagartig auf zu lachen. "Hab ich das gerade etwa laut gesagt?", erkundige ich mich entsetzt und als Adrian nickt, würde ich am liebsten im Erdboden versinken. "Scheisse!", fluche ich stattdessen einfach nur und mein Gesicht beginnt wieder einmal zu glühen. Verdammt, ist das peinlich! Ausserdem ist jetzt alles vorbei. Ich habe es nicht nur laut ausgesprochen, sondern zu allem Überfluss hat es auch noch jemand gehört. Jetzt kann ich es nicht mehr leugnen. Nicht mal vor mir selbst. Nie wieder. So eine Scheisse! "Keine Sorge, Jonas. Von mir erfährt niemand etwas." Wieder ist es, als könnte Adrian Gedanken lesen, aber das registriere ich nur am Rande. Dafür fällt mir etwas anderes wesentlich mehr auf: Er hat mich zum ersten Mal mit meinem Namen angesprochen. Wenn die Situation nicht so abwegig wäre, würde ich jetzt wieder über mich selbst lachen. Ich habe mich hier gerade vor jemandem geoutet, den ich nicht nur kaum kenne, sondern auch mehr als attraktiv finde, und das Einzige, woran ich denken kann, ist, wie gut sich mein Name aus seinem Mund anhört. Das ist doch vollkommen bescheuert! "Danke.", nuschele ich leise, doch er nickt einfach nur. "Willst Du wieder rein?", erkundigt er sich leise und ich schüttele den Kopf. "Nicht, wenn es sich vermeiden lässt." Das, was gerade passiert ist, muss ich erst einmal verdauen. Ich glaube, ich sehe gleich mal nach, wann der nächste Bus nach Hause fährt. Meine Mutter kann ich von da aus anrufen, damit sie weiss, dass sie mich nicht suchen muss. "Okay. Soll ich Dich nach Hause fahren?", bietet Adrian an und ich muss unwillkürlich grinsen. "Ich hab gerade ein ganz starkes Déjà-vu.", erwidere ich leise und nun grinst er ebenfalls. "Ich auch. Aber dieses Mal liegt's nicht an Dev, sondern an mir, was?" "Nein, tut es nicht. Ich hab nur... ich hab das noch niemandem erzählt. Nicht mal mein Bruder weiss davon.", gestehe ich leise und folge ihm zu seinem Wagen. Wie am letzten Samstag steige ich ein, schnalle mich an und er fährt los. Wieder schweigen wir die ganze Fahrt über, aber dieses Mal ist das Schweigen – zumindest auf meiner Seite – nicht so entspannt wie beim letzten Mal. Ich bin so nervös, dass ich ihn nicht ansehen kann, also starre ich stattdessen aus dem Beifahrerfenster und versuche, die vorbeiziehenden Straßenlaternen zu zählen. Als ich bei zweiundfünfzig bin – ich bin mir sicher, dass ich mich verzählt habe; es waren garantiert mehr –, hält Adrian seinen Wagen an, aber bevor ich mich abschnallen, aussteigen und vor ihm und dieser Peinlichkeit flüchten kann, legt er eine Hand auf den Verschluss des Gurtes und zwingt mich so dazu, ihn doch noch anzusehen. "Mach Dir keine Sorgen, ja? Wenn es wirklich darauf ankommt, kann ich schweigen wie ein Grab. Ich würde mich da nie einmischen. Ob und wann Du es irgendjemandem erzählst, ist ganz allein Deine Sache. Aber wenn Du mal jemanden zum Reden brauchst, kannst Du mich jederzeit anrufen, okay?" Mit diesen Worten kramt er in seiner Tasche herum und drückt mir dann eine Visitenkarte in die Hand. Ich nicke nur stumm, denn ich kann jetzt nichts sagen. Wie am letzten Samstag kribbelt meine Hand auch jetzt da, wo seine Finger sie gestreift haben, und ich schnalle mich so schnell wie möglich ab. Dann ringe ich mir noch ein kaum hörbares "Danke" ab, verlasse fluchtartig das Auto und verschwinde in Rekordgeschwindigkeit im Haus. Drinnen lehne ich mich zitternd an die Haustür und rutsche daran herunter, während ich gleichzeitig auf das Motorengeräusch lausche, das mir sagt, dass er jetzt wieder losfährt. Noch immer halte ich seine Visitenkarte fest, die er mir gegeben hat. Meine Finger klammern sich geradezu an das kleine Stück Pappe und ich brauche vier Anläufe, um mich vom Boden wieder aufzurappeln. Meine Beine fühlen sich an wie aus Gummi und ich muss auf dem Weg zu meinem Zimmer einen Zwischenstopp im Wohnzimmer einlegen – ausgesprochen praktisch, denn dort steht das Telefon. Nach einem sehr knappen Anruf bei meiner Mutter – ich erzähle ihr, dass es mir nicht gut ging und ich nach Hause gefahren bin, beruhige sie aber gleich und mache ihr klar, dass sie den Abend auch ohne mich geniessen und sich keine Sorgen machen soll – lege ich wieder auf, taumele förmlich in mein Zimmer und lasse mich da bäuchlings auf mein Bett fallen. Erst jetzt wird mir wirklich klar, was da gerade passiert ist. Heilige Scheisse, ich habe tatsächlich jemandem mein größtes, bestgehütetstes Geheimnis anvertraut – und dann auch noch ausgerechnet demjenigen, der im Augenblick der größte Teil meines Problems ist. Ich muss vollkommen verrückt geworden sein! Anders ist das nicht zu erklären. Aber hey, das Ganze hat auch eine positive Seite: Er hat mir seine Telefonnummer gegeben und mir gesagt, dass ich ihn jederzeit anrufen kann. Gut, das hat er nur gesagt, weil er mein Problem versteht und meine momentane Situation aus eigener Erfahrung kennt, aber das ändert nichts daran, dass ich ihn theoretisch jetzt sofort anrufen könnte, um mit ihm über das zu sprechen, was mich gerade beschäftigt. Nein, das kann ich nicht machen. Unmöglich. Abgrundtief seufzend rolle ich mich auf den Rücken und starre die Visitenkarte an. Schwarz mit silberner Schrift, so dass ich sie auch im Dunkeln recht gut lesen kann. Erneut seufzend schüttele ich den Kopf. Ich kann ihn nicht anrufen. Auf keinen Fall. Ich habe mich ihm gegenüber heute schon verplappert. Wer weiss schon, was passiert, wenn ich das nächste Mal mit ihm spreche? Am besten, ich vergesse diese Idee ganz schnell wieder und schlage mir auch sämtliche Wunschträume Adrian betreffend aus dem Kopf. Was sollte er denn auch mit mir? Wie lange ich so vor mich hingegrübelt habe, weiss ich nicht. Ich schrecke erst wieder auf, als die Wohnungstür aufgeht und ich Schritte im Flur höre. Blitzschnell verstecke ich die Visitenkarte unter meinem Kopfkissen und verkrieche mich unter meiner Decke. Als die Zimmertür geöffnet wird, stelle ich mich schlafend, aber an den sich nähernden Schritten höre ich, dass Nico und nicht Mama ganz offenbar gerade nach Hause gekommen ist und versucht, mich nicht zu wecken. "Du musst nicht schleichen. Ich bin noch wach.", informiere ich ihn und im nächsten Moment höre ich ein Scheppern und einen Fluch. Ganz offenbar hat er sich gerade seinen Zeh angestoßen. "Jojo? Ist Mama auch schon da?", erkundigt er sich und ich setze mich halb auf. "Nein. Mir war nicht gut und ich bin früher nach Hause gefahren. Sie ist wahrscheinlich immer noch in der Galerie. Schätze ich zumindest.", antworte ich und mein Bruder lässt sich auf sein Bett plumpsen. "Ganz schön clever, Dich krank zu stellen. Das hätte mir auch einfallen können.", murmelt er anerkennend und ich seufze. "Ich habe nicht simuliert. Mir war vorhin wirklich nicht gut. Adrian hat mich nach Hause gefahren.", erwidere ich und möchte mich im nächsten Moment am liebsten für meine eigene Dummheit ohrfeigen. Wie blöd kann man eigentlich sein? "Adrian? Der von Miriam? Was hat der denn da gemacht?", erkundigt Nico sich auch prompt neugierig und ich bin froh, dass er das Licht nicht angemacht hat. So kann er wenigstens nicht sehen, dass mein Gesicht wie eine ganze Ampelanlage leuchtet. "Das war die Ausstellung von seiner Mutter. Logisch, dass er auch da war. Jedenfalls ist mir schlecht geworden und er hat mich eben nach Hause gefahren. Ich hab Mama dann von hier aus angerufen, weil's da drin so voll war, dass ich sie nicht gefunden hätte." Warum muss ich eigentlich so ein schlechter Lügner sein? Und warum hören sich meine Worte sogar in meinen eigenen Ohren wie eine unglaublich billige Ausrede an? Das kauft Nico mir doch garantiert nie im Leben ab! So unglaublich leichtgläubig ist nicht mal mein Bruder, dass er diesen Mist für die Wahrheit hält. Dabei ist es wahr. Halbwegs zumindest. Erstaunlicherweise scheint Nico mir allerdings tatsächlich zu glauben, denn er fragt nicht weiter nach. Entweder bin ich doch ein besserer Lügner, als ich dachte, oder er glaubt einfach, das wäre meine Ausrede, um mich vor der Ausstellung zu drücken und vor Mama trotzdem gut dazustehen. Was auch immer es ist, ich bin dankbar dafür, dass er mich nicht weiter löchert. Vielleicht trägt dazu auch das erneute Zuschlagen der Tür bei. Jedenfalls ziehen wir beide uns blitzschnell aus und verschwinden gerade rechtzeitig unter unseren Bettdecken, bevor unsere Mutter die Tür öffnet. "Jonas?", fragt sie leise und kommt zu meinem Bett. Auch sie macht das Licht nicht an und ich bin unglaublich erleichtert. "Ich bin hier.", antworte ich ebenso leise und im nächsten Moment senkt sich meine Matratze, weil Mama sich auf die Bettkante setzt. Sie streicht mir vorsichtig über die Stirn, um zu fühlen, ob ich vielleicht Fieber habe, und ich bekomme augenblicklich ein schlechtes Gewissen. Toll. Sie hat sich also doch Sorgen gemacht. "Du hättest nicht jetzt schon herkommen müssen. Mir geht's schon wieder etwas besser.", nuschele ich kleinlaut und kann trotz der Dunkelheit erkennen, dass sie den Kopf schüttelt. "Das ist doch wohl logisch. Du hast Dich gar nicht gut angehört, als Du angerufen hast.", erwidert sie und von der anderen Seite des Zimmers – da, wo Nicos Bett steht – kommt ein abgrundtiefes Seufzen. "Warum kommst Du eigentlich nie auf die Idee, dass Jonas simulieren könnte?", will er wissen und jetzt seufzt Mama. "Weil Dein Bruder im Gegensatz zu Dir nicht ständig versucht, sich vor Dingen zu drücken, die ihm unangenehm sind, Nico.", antwortet sie, streicht mir noch einmal über die Wange und steht dann auf, um zu seinem Bett zu gehen. "Ausserdem ist er ein wesentlich schlechterer Lügner als Du und damit auch viel leichter zu durchschauen, wenn er so etwas versucht.", fügt sie hinzu und ich höre an ihrem Tonfall, dass sie lächelt. "Und jetzt schlaft, ihr Zwei. Gute Nacht." Damit steht sie auf, verlässt das Zimmer und schliesst die Tür hinter sich. Nico seufzt erneut und ich muss sein Gesicht nicht sehen um zu wissen, dass er ihr eine Grimasse schneidet. "Du bist und bleibst eben der Mustersohn.", stellt er nicht ganz ohne Neid fest und nun ist es an mir zu seufzen. "Das sieht nur so aus. Niemand ist perfekt. Ich auch nicht. Und mit einer Sache hat Mama Unrecht: Ganz so ein schlechter Lügner, wie sie denkt, bin ich nun auch wieder nicht." Ich weiss nicht genau, warum ich das sage. Glücklicherweise fragt Nico allerdings auch jetzt nicht weiter nach, sondern knipst nur seine Nachttischlampe an und grinst zu mir hinüber. "Irgendwann musst Du mir mal erzählen, inwiefern Du kein so schlechter Lügner bist wie alle glauben.", verlangt er, macht das Licht wieder aus und rollt sich in seine Bettdecke ein. Ich starre noch einen Moment auf den dunklen Knubbel, der mein Bruder ist, dann nicke ich langsam. "Irgendwann vielleicht.", murmele ich, ziehe meine Decke ebenfalls bis an die Nasenspitze, schliesse meine Augen und bin kurz darauf auch schon tief und fest eingeschlafen. ********************************************************************************* Na, hat's euch gefallen? Das hoffe ich doch. Nyan, ihr könnt mir ja nen Kommi dalassen, wenn ihr wollt. *kommigeil ist* XD Man liest sich! Karma Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)