There's one thing you should know, my dear... von Yumicho (Der Lebenslauf eines Jungen, der Anfangs nicht verstand, was los war.) ================================================================================ Prolog: Warum? -------------- Du elendes Miststück! Du bist widerlich! Was habe ich bloß für einen missratenen Sohn zur Welt gebracht?! Ekelhaft! Schatz, beruhige dich doch ein wenig... Beruhigen?! Siehst du denn nicht, was das für ein Schandfleck ist?! Er hat einen Jungen geküsst! Er ist schwul, Anthony, schwul! Ja, aber – Kein Aber! Mit einem lauten Krachen fiel die Küchentür ins Schloss und alles wurde dunkel. Und still. Kein Laut drang zu dem verschreckten Elfjährigen, der mit aufgerissenen Augen unter dem Küchentisch saß und sich die Hände krampfhaft auf die Ohren presste. Sein Atem raste, er starrte verstört auf den Boden und schien immer noch die Wucht auf seiner blassen Wange zu spüren, mit der seine Mutter ihn geohrfeigt hatte. Ein einsame Träne bahnte sich ihren Weg über die zarte Haut, über die Wange, die Lippen, bis sie schließlich vom Kinn tropfte und auf dem kalten, mit Parkett beschichteten Boden zerschellte. Seine schmächtigen Schultern hoben und senkten sich zitternd und im Takt des unregelmäßigen Atems, der völlig abgehackt ging und dem Jungen im Halse stecken blieb. Er hatte Angst, so furchtbare Angst. Ein leises Schluchzen entwich seinen bebenden Lippen, als er sich ein wenig bewegte, nur, um näher an die Sitzbank in seinem Rücken zu rutschen und sich so sehr dagegen zu pressen, dass es ihm wehtat und sich das Holz in sein Fleisch drückte, sicher tiefe Spuren hinterließ. Er krallte die Finger in seine Hose, schniefte leise und ignorierte sein wummerndes Herz und den knurrenden Magen, der ihn schon den ganzen langen Tag über plagte. Er spürte die schmerzende Leere in sich gar nicht und schreckte auf, als die Tür erneut aufgerissen wurde. Kilian! Wo bist du?! Lass ihn in Ruhe, Anne, er – Er kann nichts dafür? Wolltest du das sagen?! Er ist krank! Krank im Kopf, das ist doch nicht normal! Verschrocken zog der kleine Junge, dessen Name Kilian war, die Beine enger an seinen schmalen Körper, vergrub das Gesicht in seinen Armen, nachdem er diese auf den Knien abgestützt hatte. Er wollte das, was jetzt folgen würde, nicht. Er wollte nicht schon wieder geschlagen werden, nicht von seiner Mutter, die ihn lieb hatte. Sie hatte ihn doch lieb, oder? Hatte sie zumindest immer gesagt! Immer, jeden Tag hatte sie ihn mehrmals, wenn nicht sogar stündlich in den Arm genommen, ihm ein Küsschen aufgedrückt und gesagt, wie sehr sie ihn doch liebte. Er wäre ihr Ein und Alles, ihr intelligenter Sohn, ihr Spatz, ihr Sonnenschein auf Erden, das Einzige, was sie brauchen würde, worauf sein Vater meistens gespielt eifersüchtig das Gesicht verzogen hatte. Die guten, alten Zeiten. Und was war jetzt? Was war denn jetzt so plötzlich passiert? Warum schlug sie ihn, warum schrie sie ihn an und bezeichnete ihn als ekelhaft? Kilian verstand es nicht, vielleicht – und sehr wahrscheinlich war es das – wollte er es auch gar nicht verstehen. Doch wie sollte ein elfjähriger Junge das auch alles begreifen? Diesen Hass, den die eigene Mutter ihm plötzlich entgegen brachte? Und das nur, weil – Da bist du ja! Komm sofort her! Ein Brennen durchzog Kilians rechten Arm, als seine Mutter unwirsch nach ihm griff und ihm dabei mit den Fingernägeln die Haut aufkratzte, aber gar nicht darauf achtete, wie der Junge schmerzlich die Augen zusammenkniff und fürchtete, sein Arm würde ihm ausgerissen werden. Diese Angst war wieder da, diese große Angst, die ihn gänzlich ausfüllte und alles schwarz werden ließ. Ein heftiges und plötzliches Rucken beförderte ihn auf die dünnen Beine, zwang ihn zum Stehen, wobei er sich den Kopf an der Tischplatte stieß, ehe er unsanft ans Tageslicht befördert wurde. Du Miststück! Dachtest wohl, du könntest dich verstecken, was?! Ein Klatschen hallte durch den Raum und Kilians kopf wurde zur Seite geschleudert. Hätte seine Mutter ihn nicht mit diesem Schraubstockgriff am Handgelenk festgehalten, wäre er höchstwahrscheinlich zu Boden gegangen, so heftig war die Wucht. Doch Anne kümmerte das kein Stück, sie zerrte an seinem Arm und zwang ihn auf grobe Art und Weise, indem sie ihm die freie linke Hand unters Kinn legte und sein Gesicht hochriss, sie anzusehen. Angst, blanke Angst stand in seinen Augen, als er sie auf die seiner Mutter richtete. Dunkles Braun traf stechendes Blau. Und dann griff plötzlich Anthony in das Geschehen, riss den Arm seiner Frau von dem seines Sohnes weg und schob den Jungen nach draußen, setzte ihn vor die Haustüre. Geh zu deinem Freund, Kilian. Dahin, wo du hingehörst! Da bist du am Besten aufgehoben! Kilian sah seinen Vater mit tränenden Augen an. Warum tat er das? Warum wollte er, dass er ging? Hatte er ihn denn gar nicht mehr lieb?! Doch auf das darauf Geschehene war der Junge nicht gefasst. Ein trauriges Lächeln umspielte seines Vaters Lippen, als er ihm – außer Sichtweite seiner Frau – durch das dunkelbraune Haar fuhr. Glaub mir, das ist besser so, wisperte er. Ich hab dich lieb. Und mit einem letzten Kraulen fiel die Tür ins Schloss. Unschlüssig stand der Junge nun vor dem braunen Holz, wusste nicht, wohin er nun sollte, was geschehen war, wieso seine Eltern ihn hassten. Oder zumindest seine Mutter. Er schluchzte leise, wandte sich dann um und ging langsam die Stufen der Veranda hinab. Bestimmt meinte sein Vater damit, er solle sich für die Nacht bei Florian verkriechen. Bei seinem Freund, so wie seine Mutter ihn ja nannte. Aber was war denn so schlimm daran, dass sie sich geküsst hatten? Sie waren doch Freunde und hatten sich ganz doll lieb! Da machte man doch so etwas, oder nicht? Beste Freunde waren sie, für immer! War doch egal, dass beide Jungen waren... Oder? Kilian schniefte leise, ehe er das Grundstück seiner Eltern verließ, das weiße Gartentor hinter sich zu zog. Ihm war kalt, er hatte nur ein T-Shirt und eine kurze Hose an und es war Spätherbst. Nicht mehr lange und die Wolken würden ihre weiße Pracht preisgeben. Kilian mochte den Winter sehr. Die Landschaft war schön, man konnte Schneemänner bauen und sich innerhalb von riesigen Schneeballschlachten bekämpfen. Mit Florian machte es im Winter besonders viel Spaß. Er war immer da, wenn Kilian ihn anrief und fragte, ob er denn Zeit hätte, ein wenig draußen zu spielen. Er hatte immer Zeit für ihn, einfach immer. Und manchmal schien es dem jungen Foster, als würde Florian nur darauf warten, dass er ihn anrief. Unwillkürlich umschlich des Jungen Lippen ein sanftes, kaum merkbares Lächeln. Ja, er war glücklich und zufrieden, wenn er bei Florian sein durfte. Er hatte ihn so schrecklich lieb. Und deshalb verstand er auch nicht, warum seine Mutter ihm nun den Umgang mit ihm verbieten wollte. Er war doch sein bester Freund und der Einzige, der wirklich für ihn da war! Wie konnte seine Mutter ihn bloß von ihm wegreißen wollen? Das war doch gegen alle Menschenrechte, einem den liebsten Menschen auf Erden wegzunehmen! Nur sein Vater, der schickte ihn sogar zu ihm. Zu seinem lieben Florian. Zu seinem besten Freund, mit dem er bislang jeden Winter seines bisher kurzen Lebens verbracht hatte und diesen wohl wieder mit ihm verbringen würde. Doch dieses Jahr sollte alles anders werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)