Promise von Ange_de_la_Mort (Xigbar/Demyx) ================================================================================ Stepping Closer to the End of the Tale -------------------------------------- Chapter 11/12 - Stepping Closer to the End of the Tale In der Unterwelt war es kalt. Kalt und dunkel. Und natürlich tot. Automatisch zog Demyx den Mantel enger um seinen Körper, fröstelte, bewegte sich – hoffentlich unauffällig – auf leisen Sohlen durch das Reich des Todesgottes. Zwischendurch fragte er sich natürlich immer wieder, warum ausgerechnet er diese Mission übernehmen musste, warum man glaubte, dass er der Richtige für diesen Auftrag war. Überraschung, Überraschung – das stimmte nämlich nicht. Nicht, dass Xemnas das interessierte. Nicht, dass Demyx an diesem 'Trip' ganz unschuldig war. Nicht, dass sich nicht vieles zum Schlechten verändert hätte. Aber das waren Dinge, für die man etwas weiter ausholen und die Zeit ein Jahr zurückdrehen musste … ~*~ Ungeduldig trommelte Xigbar mit den Fingern auf die Lehne seines Sitzes. Er schlug ein Bein über das andere, ließ den Blick durch die Runde schweifen. „Was soll das?“, fragte er mit hörbarer Missbilligung in der Stimme. „Warum lässt er uns so lange warten, wenn er doch extra ein ach so wichtiges Meeting einberuft?“ „Alles zu seiner Zeit, Xigbar.“ Dass so ein Ausspruch ausgerechnet von Luxord kam, hätte Xigbar unter anderen Umständen zum Lachen oder wenigstens zum Schmunzeln gebracht – des Klischees wegen. Heute jedoch fehlte ihm der Humor. „Gedulde dich gefälligst. Der Superior wird schon seine Gründe haben. Er weiß, was er tut.“ Nicht einmal die Götter wissen, was Xemnas tut, schoss es ihm durch den Kopf, aber auch dieses Mal schwieg er. Es wäre sinnlos, jetzt mit Saïx einen Streit anzufangen und ihn wegen seiner grenzenlosen Loyalität, die nicht nur beinahe schon an Naivität und Dummheit grenzte, aufzuziehen. Sonst jederzeit gerne, aber nicht heute, wo seine Nerven sowieso schon blank lagen. Schließlich war es sein Job gewesen, Xemnas' Herzlosen und somit das Schlüsselbalg zu beobachten, und gerade als es spannend wurde, kam der verdammte Dusk mit dem Rückzugsbefehl. Seufzend verschränkte er die Arme vor der Brust. Dabei hätte er doch so gerne gesehen, wie Sora im ehemaligen Radiant Garden auf seinen von der Dunkelheit besetzen Freund getroffen wäre. Aber hey, es war typisch, dass ihm der ganze Spaß genommen wurde, oder? Xigbar seufzte und lehnte sich in seinem Sitz zurück, und dann, gerade als er kurz davor war, das Meeting sein zu lassen und sich in Radiant Garden zu amüsieren, war das leise, unscheinbare Geräusch eines Portals zu hören – und keine Sekunde später saß ihr hochwohlgeborener Chef an seinem Platz und blickte auf sie herab. Verdammt. Nächstes Mal – so schwor sich Xigbar – würde er gleich verschwinden und behaupten, er hätte nicht bemerkt, wie ein Dusk um ihn herum hüpfte und einen Zettel in dem hielt, was man wohl gemeinhin als 'Hand' bezeichnen würde – aber das auch nur mit viel Liebe, die der Schütze ja sowieso nicht besaß. „Meine Freunde“, sagte ihr ach so geliebter Anführer und breitete die Arme aus, während Xigbar nur leise schnaubte. Sie waren nicht Xemnas' Freunde. Keiner von ihnen. Selbst Saïx nicht – der war sein Schoßhund, aber das galt nicht. „Meine Freunde“, sagte Xemnas einmal mehr, „dies ist ein glorreicher Tag für die Organisation. Das dreizehnte, das letzte Mitglied wurde endlich in unsere Reihen integriert.“ Man konnte beinahe hören, wie die Anwesenden den Atem anhielten. Sie waren komplett. Zumindest in diesem Sinne. Dann musste ihr neues Mitglied aber etwas ganz Besonderes sein. Sie hatten nämlich in den vergangenen Jahren, in der Zeit seit der Zwangsgründung der Organisation viele Anwärter gehabt, Nobodies, die ihresgleichen gesucht hatten, um ihr Herz zurückzugewinnen. Keiner von ihnen hatte überlebt. Keiner von ihnen hatte als Mensch ein Herz besessen, das stark genug war, um die Verwandlung in einen Nobody zu überstehen. Sie alle waren zu Dusks geworden oder in ihrer Nichtexistenz komplett ausgelöscht. Xigbar beugte sich nach vorn und legte die Hände auf seine Knie. „Also? Wo ist Nummer Dreizehn?“, fragte er neugierig. „Axel bringt ihn gerade her.“ Und tatsächlich, keine zwei Sekunden später öffnete sich ein Portal und Axel trat heraus. Hinter ihm wankte eine kleine Gestalt aus den violetten Schatten. Ein Kind. Ein Junge. Er stand wackelig auf seinen Beinen und Axel packte ihn an den Schultern, hielt ihn aufrecht, verhinderte, dass er vor ihnen allen zu Boden ging. Xigbar hob verwundert die sichtbare Augenbraue. Ungewöhnlich, überaus ungewöhnlich, dass ausgerechnet ein Kind in ihre Reihen eintreten sollte. Doch er bezweifelte, dass der Junge lange überleben würde – ein Blick in seine Augen verriet alles, was er wissen musste, was er an zahllosen anderen Anwärtern gesehen hatte: Die Augen des Jungen waren leer, leblos. Tot. Dass er kaum ohne Hilfe gehen konnte und selbst dann schwankte, wenn er auf der Stelle stand, sprach ebenfalls für sich. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist“, meinte Saïx langsam und bedächtig und sprach genau das aus, was Xigbar auch dachte. „Er ist zu jung. Sein Herz konnte nicht stark genug gewesen sein. Auch wenn es beachtlich ist, dass er seine menschliche Form überhaupt noch beibehalten hat.“ Xemnas schüttelte den Kopf. „Er bleibt“, war alles, was er noch dazu sagte, dann sah er zu dem Jungen herunter und lächelte eines dieser seltenen Lächeln, bei denen in seinen Augen ein Hauch von Emotion aufblitzte. „Willkommen in deinem neuen Zuhause, Nummer Dreizehn. Willkommen -“ Hier machte er eine kurze Pause, wohl der Dramaturgie wegen. „- Roxas, du, der du das Schlüsselschwert führst.“ Xigbar blinzelte und starrte zu dem Kind, ging in Gedanken die möglichen Anagramme durch. Und dann dachte er daran, wie irreal dieser Moment doch war. Dass ausgerechnet Sora, das Schlüsselbalg, sich ihnen anschließen würde – wenn nun einmal auch in anderer Form – war einfach eine zu wundervolle Ironie des Schicksals. Also war offensichtlich klar, wie der Kampf des Schlüsselträgers gegen seinen Freund Riku ausgegangen war. Und dann? Dann begann Xigbar lauthals zu lachen. ~*~ Nun, so einfach war es aber natürlich nicht. Es war nie so einfach. Denn der Schlüsselträger Sora lebte weiterhin. Und Roxas blieb. Und wer hätte es gedacht? Nach einigen Tagen ging es ihm sogar verhältnismäßig gut. Er konnte reden, gehen, das Schlüsselschwert führen – und mehr war doch auch nicht nötig. Zumindest nicht, wenn es nach der Organisation ging. Auch, wenn etwas an ihm merkwürdig war. Er erinnerte die ersten Sechs an jemanden, an einen Schatten ihrer Vergangenheit – oder eher der Vergangenheit ihrer anderen Hälften. „Warum sieht er Ventus so ähnlich?“, das war die Frage, die sie alle beschäftigte. Und wenn sie sich gegenseitig in die Augen sahen, wussten sie, dass Roxas noch mehr war, als er jetzt schon zu sein glaubte. Doch sie hatten keine Zeit, sich darum zu kümmern. Das Mädchen, das sie in Oblivion gefunden hatten – Naminé – bedurfte ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit. Weshalb? Nun … das war offensichtlich, oder? „Wir dürfen das Risiko nicht eingehen!“, bemerkte Vexen zum mindestens hundertsten Male in der kurzen Zeit, die sich die sechs Gründerväter der Organisation sowie Saïx – in seiner Rolle als persönlicher Arschkriecher von Xemnas – in dem kleinen Raum befanden, den sie für die Konferenzen ausgewählt hatten, die nicht jedes der Mitglieder etwas angingen. „Der Schlüsselträger darf nicht auf seinen Nobody treffen! Das wäre fatal für unsere Pläne!“ „Ja, Vexen“, sagte Lexaeus gedehnt, „das hattest du bereits erwähnt. Mehrmals. Wir hatten es schon beim ersten Mal verstanden.“ Vexen verzog verächtlich einen Mundwinkel. „Es ist nun einmal wichtig, dass wir uns die Dringlichkeit der Situation vor Augen halten!“ „Indem du dich ständig wiederholst und uns und dir nicht die Möglichkeit gibst, einen klaren Gedanken zu fassen?“ Lexaeus lächelte nur und zuckte mit den Schultern. „Sollte das dein Plan sein, funktioniert er sehr gut.“ Vexen schnaubte und Xaldin seufzte laut. „Könnten die Herren sich bitte wieder auf das Problem konzentrieren? Wie werden wir Sora los?“ Schweigen. Xigbar hatte sich auf das lange, weiße Sofa gefläzt und die Arme hinter dem Nacken verschränkt, starrte an die Decke, als ob sie ihm einen Geistesblitz verschaffen könnte. Xemnas wirkte erstaunlich unbeteiligt. Und Vexen plapperte nur etwas davon, dass ihr Meeting schon längst zu einem Schluss gekommen wäre, wenn er und sein brillanter Geist sich nicht so furchtbar von dem Neophyten – dabei blickte er zu Saïx – abgelenkt fühlen würden. Saïx lächelte daraufhin nur und entblößte seine spitzen Eckzähne, was dazu führte, dass Vexen auf seinem Sessel ein klein wenig schrumpfte und von Saïx wegrückte. „Erinnerungen“, kam es schließlich von Zexion, der überaus nachdenklich dreinblickte. „Erinnerungen sind der Schlüssel zu allem. Besäße Roxas die seinen noch, hätte er uns schon längst verlassen, um sein Gegenstück zu suchen. Dafür vereint Naminé die Erinnerungen der Prinzessin und die des Helden in sich. Gelingt es uns nun, uns das zunutze zu machen ...“ Er hob den Blick und strich sich kurz durchs Haar, betrachtete seine Kollegen eingehend. „Gelingt es uns, ihn vergessen zu lassen, wer er ist und welche Waffe er führt, so haben wir leichtes Spiel mit ihm.“ „Benutzt die Hexe Naminé, um den Helden Sora zu vernichten“, wiederholte Xemnas lächelnd und nickte bestätigend, so, als wäre die Idee auf seinem Mist gewachsen. „Lockt ihn nach Oblivion.“ „Wer soll diese Mission übernehmen, Lord Xemnas?“, fragte Saïx, der froh sein konnte, dass er gerade saß, sonst wäre er – zumindest nach Xigbars Meinung – auf seiner Schleimspur ausgerutscht. „Drei Gründer, drei Neophyten. Das sollte ausreichend sein.“ Xemnas schenkte Vexen ein Nicken und sprach weiter: „Du, Lexaeus und Zexion seht zu, dass alles mit rechten Dingen zugeht.“ Bei diesen Worten schlich sich ein triumphierendes Grinsen auf Vexens Lippen, aber Xigbar würde darauf wetten, dass er sich zu früh freute. „Axel, Marluxia und Larxene übernehmen die Operation an sich.“ Da! Was hatte Xigbar gesagt? Der Satz schlug Vexen das Lächeln geradezu aus dem Gesicht, und man konnte ihm ansehen, dass er protestieren wollte, doch ein vielsagender Blick von Zexion und Lexaeus brachte ihn um Schweigen. Doch Xemnas war noch nicht fertig: „Das Kommando untersteht Nummer Elf.“ Oh, das war ein Treffer in Vexens Magengrube, das war offensichtlich. Aber hey, Befehle waren Befehle. Und solange Xigbar dort nicht hin musste und solange Demyx mit dem Job auch nicht gestraft wurde, sollte es ihm Recht sein. „Viel Spaß“, wünschte er seinen drei Kollegen grinsend und erhob sich, streckte sich und scherte sich nicht um die Abdrücke der Stiefel, die er in dem weißen Polster hinterlassen hatte. „Ich freu' mich, euch lange Zeit nicht mehr an der Backe kleben zu haben. Und ich wette, dem Rest geht es genauso.“ Er grinste scherzhaft. „Also seht zu, dass ihr erfolgreich zurückkommt, sonst müsst ihr euch gar nicht mehr her trauen, eh?“ Wenn er gewusst hätte, was geschehen würde, hätte er sich diese Abschiedsworte verkniffen. ~*~ Keine zwei Wochen später war aus der Organisation Dreizehn eine Organisation Acht geworden. Das Oblivion-Team war tot, ausgelöscht bis auf Axel, welcher es auf wundersame Weise geschafft hatte, dem Wüten des Schlüsselträgers zu entkommen. Auf äußerst wundersame Weise. So wundersam nämlich, dass Xigbar nicht der einzige war, der diese spektakuläre Flucht, dieses elende Glück anzweifelte. Das Glück war Luxords Metier, nicht das von Axel. Und wenn der Schütze in die Mienen seiner Kollegen blickte, konnte er genau die gleichen Zweifel erkennen, von denen er sicher war, dass sie sich auch auf seinen eigenen Gesichtszügen spiegelten. Demyx merkte davon natürlich nichts. Wenn man ehrlich wäre, müsste man zugeben, dass Demyx noch nie eine ausgeprägte Menschenkenntnis besessen hatte. Schließlich hatte er Xigbar von Anfang an für einen netten Kerl gehalten – das sagte doch schon alles! Auch mit der Fähigkeit, in den Gesichtern der Menschen um ihn herum auf deren Gedanken schließen zu können, war er leider nicht ausgestattet. Und zuhören tat er auch nur, wenn er es wollte. Sehr zu Xigbars Verdruss. Denn so verstand er nicht – oder es war ihm einfach egal –, dass sie durch ihren unfreiwilligen Mitgliederverlust mehr zu tun, mehr Arbeiten zu erledigen, mehr Missionen zu absolvieren hatten. Noch dazu war Xemnas, der schon vorher nicht gerade viel für ihr aller Wohl getan hatte, inzwischen vollkommen unbrauchbar geworden, da er nur noch auf dem Dach des Schlosses stand und Kingdom Hearts anstarrte. Wahrscheinlich rezitierte er schwülstige Liebesgedichte und sprach dem Ding seine unendliche Verehrung aus. Und Saïx stand einfach nur im Aufenthaltsraum herum wie bestellt und nicht abgeholt, und drückte jedem, der sie nicht haben wollte, Missionen aufs Auge. Oder, um es kurz auszudrücken: Xigbar hatte die ganze Arbeit am Hals. Die Missionen, die Demyx eigentlich ausführen sollte, vor denen er sich aber überaus geschickt drückte; den Papierkram, den Saïx eigentlich zu erledigen hatte; und natürlich auch noch seine eigenen Aufträge. Konnte man es ihm also verübeln, dass seine Laune auf dem relativen Nullpunkt lag? Eigentlich nicht, oder? Nur irgendwie schien das keiner seiner Kollegen zu verstehen, wahrscheinlich erwarteten sie, dass Xigbar sich breit grinsend und fröhliche Lieder singend in die Arbeit stürzte. Wobei … wenn er das jemals täte, würden sie ihn für verrückt halten. Und das wollte man auch nicht. Seufzend lehnte er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, betrachtete die vielen Stapel, die Papierberge, die vor ihm aufragten wie ein Monster, das es zu bezwingen galt. Einen Teil davon hatte er, der strahlende Ritter mit dem Rotstift, auch schon besiegt. Aus dem Rest waren Türmchen gebaut oder Papierflieger gefaltet worden. Ein paar ansehnliche Kaffeeflecken hatte Xigbar auf ihnen auch schon hinterlassen und seinen Aschenbecher, den er vor einigen Tagen Luxord hinterher geworfen hatte, als jener von Saïx geschickt worden war, um zu fragen, ob Xigbar mit 'dem bisschen Zeug' denn schon fertig wäre, hatte er gekonnt durch einige der Unterlagen ersetzt, in denen sich nun kleine bis mittelgroße Brandflecken befanden Nein, Xigbar war nicht genervt oder überfordert. Er tat nur so. In Wirklichkeit machte ihm das Ganze einen unendlichen Spaß, den er nie wieder missen wollte. Die Ironie in dieser Aussage war klar erkennbar, oder? Ein Klopfen an seiner Zimmertür riss ihn aus seiner wohlverdienten Lethargie und er erhob sich seufzend, öffnete die Tür. „Nein, Demyx, ich kann heute nicht für dich -“, begann er bereits und brach dann mit einem leisen „Oh“ ab, als er den Blick nicht geradeaus, sondern ein Stück nach oben richten musste, um seinem Gegenüber in die Augen zu sehen. „Hallo, Saïx.“ Der lächelte ihn nur an und drückte ihm einen Aktenordner in die Hand. Einen von denen, die die Größe eines ausgewachsenen Mammuts besaßen. „Hallo, Nummer Zwei. Es wird dir doch sicher nichts ausmachen, dich schnell durch diese kurze Abhandlung zu arbeiten, oder?“ Kurz? Kurz?! Das Teil wog eine Tonne. Mindestens! „Doch, eigentlich habe ich etwas dagegen, mir auch noch -“ Erst jetzt warf er überhaupt einen Blick auf den Titel der Akte, dann stutzte er und hob die sichtbare Augenbraue. „Vexens Notizen über das Replikaprojekt? Was soll ich damit? Wir wissen, warum die Replika in Oblivion versagt hat. Axel hat es uns doch geschildert.“ Saïx sah ihn nur vielsagend an und nickte dann. „Korrekt. Axel hat es uns gesagt.“ Oh. Oh. Jetzt verstand er. „Du zweifelst seine Version der Geschichte also an?“ Als Saïx schwieg und das Kinn nur ein wenig in die Höhe reckte, lachte Xigbar amüsiert. „So, so“, meinte er und neigte den Kopf zur Seite. „Was ist denn aus eurer wundervollen Freundschaft geworden?“ Wieder schwieg Saïx, doch in seinen Augen blitzte es wütend auf. Schließlich öffnete er die Lippen und zischte ungehalten:„Ich wüsste nicht, was dich das anginge.“ „Es geht mich vieles etwas an.“ Wieder lachte der Schütze und klemmte sich die Akte unter den Arm. „Als Nummer Zwei der Organisation muss ich über alles informiert sein.“ „Du informierst dich bereits auf eigene Faust mehr als genug. Schließlich belauschst du ja jegliche Gespräche, die der Superior so führt.“ Er hob belehrend den Zeigefinger. „Ah. Und was sagt uns das?“ „Dass ich dir noch mehr Arbeit auferlegen muss, damit du dafür keine Zeit mehr hast?“ Xigbar verzog das Gesicht und ließ den Zeigefinger wieder sinken. „Nein, eigentlich heißt es, dass du uns beiden viel Arbeit ersparen könntest, wenn du mich mal von selbst einweihen würdest.“ Saïx lächelte ihn nur an und zuckte mit den Schultern. „Ich erwarte die Zusammenfassung der Akte bis morgen Früh. Und die Berichte, die du mir schuldest, natürlich auch. Gute Nacht, Nummer Zwei“, meinte er noch gehässig und verschwand in einem Portal, ehe ihn die Akte, die Xigbar nach ihm warf, am Kopf treffen konnte. Oh, wie er Saïx hasste! Und den Superior auch! Und Roxas erst Recht! ~*~ Xigbar und Roxas wurden wahrlich keine Freunde. Natürlich konnte Roxas nichts für Xigbars Unmut, und der Schütze gab sich auch alle Mühe, Roxas nicht allzu sehr spüren zu lassen, wie sehr ihn seine Anwesenheit nervte, doch die allgemeine Grundstimmung war durchweg negativ. Zwar begleitete Xigbar ihn auf Missionen und scherzte immer mal wieder mit ihm, beziehungsweise … er machte Scherze auf Roxas' Kosten. Aber da es Xigbar war, sollte das eigentlich klar und kein Grund zur Verwunderung sein. Erst, wenn er einmal keine spöttischen Bemerkungen machte, dann sollte man sich um seine Gesundheit sorgen, denn dann war man entweder todkrank und Xigbar war einfach so pietätvoll, einen wenigstens dann in Ruhe zu lassen – aber das war unwahrscheinlich, es handelte sich schließlich immer noch um Xigbar – oder aber man würde sogleich durch eine gezielte Kugel im Kopf das Lebenslicht aushauchen. Nun ja … ansonsten hatte er mit Roxas nicht viel zu tun, und es war ihm auch lieber so. Demyx, der nicht wusste, dass Xigbars Schreibtischjob durch Roxas' Erscheinen zustande gekommen war – er dachte, es läge einfach daran, dass Saïx ein Arschloch war –, fragte einmal ganz konkret danach, warum Xigbar mit dem Jungen nicht zurecht kam, und die Antwort, die er erhielt, sagte eigentlich schon alles: „Ich mag einfach kein Kinder. Es sei denn, sie werden mir in süßsaurer Soße auf einem silbernen Tablett serviert.“ Und das war für Demyx Anlass genug, angewidert dreinzuschauen und ihnen beiden den Gefallen zu tun und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Also war es kein Wunder, dass Xigbar über Roxas' Verschwinden zwar empört war – genau wie der Rest der Organisation, denn wie konnte es wagen? Sie waren es doch, die ihm einen Sinn gegeben hatten, eine Bestimmung, eine Aufgabe. Und vor allem ein Zuhause, einen Ort, an dem er bleiben konnte –, war er dennoch nicht allzu traurig darüber. Es bedeutete schließlich nur, dass er weniger zu tun haben würde, da Saïx seinen eigentlichen Pflichten endlich wieder nachkommen würde. Dummerweise überschlugen sich die Ereignisse: Die Organisation wollte verhindern, dass Roxas seine andere Hälfte traf. Sie entsendete Axel, um den Jungen ein für allemal zu vernichten. Schön blöd von ihnen. Jeder hätte den Auftrag besser und schneller erledigt als Axel, aber nein, sie mussten das ja unbedingt Roxas' 'bestem Freund' überlassen. Hätte man auf Xigbar gehört, hätte der ihnen sagen können, dass die ganze Aktion von Vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen war. Aber ihm hörte ja niemand zu. Und so nahm die Geschichte ihren Lauf. Sora war zurück – mitsamt seinen beiden Gefährten und einer nicht zu unterschätzenden, wenn auch unfreiwilligen Beihilfe von Roxas – und beschloss erst einmal, dass es eine gute Idee wäre, spontan bei seinen Freunden vorbei zu schauen, um zu sehen, wie es ihnen denn ging. Natürlich musste die Organisation diesen Zeitpunkt nutzen, um sich vorzustellen. Und wenn sie schon einmal dabei waren, konnten sie ja auch gleich über den Knirps lästern und ihm zeigen, dass sie die Bösen waren. Die richtig Bösen. Die, vor denen man weglaufen und sich unter irgendeinem Tisch verstecken sollte. Nein, wirklich, ihr Auftritt war filmreif. Sie waren sogar gleichzeitig in gehässiges Gelächter ausgebrochen – bis auf Demyx, aber Demyx konnte einfach nicht böse klingen, nicht einmal, wenn sein Leben davon abhängen würde. Xigbar blieb noch ein wenig länger als die anderen, besah sich den Jungen, dem die Macht, das Schlüsselschwert zu führen, mindestens zehn Jahre zu früh in den Schoß gefallen war, genau. Und als er ins Schloss zurückkehrte, wo Demyx ihn bereits erwartete, lachte er nur zufrieden. „Was ist so lustig?“, wollte Demyx wissen und setzte sich auf Xigbars Bett, legte den Kopf schief, sah ihn fragend an. „Ach, nichts.“ Der Schütze grinste und zog seinen Mantel aus, warf ihn über den Schreibtischstuhl. „Ich finde es nur amüsant, dass auch der Knirps mich so ansieht.“ „Wie? Als wäre er scharf auf dich?“ Demyx täuschte Empörung vor. „Dabei darf das doch nur ich.“ Er lächelte, als Xigbar ihm durchs Haar strich und ihn auf die Stirn küsste, zog ihn am Kragen zu sich herunter, legte seine Lippen auf die seines Freundes. „Ich sollte ihm mal die Meinung sagen“, nuschelte er gegen Xigbars Lippen. Der lachte nur wieder, warm und zärtlich, küsste Demyx noch einmal. „Nein, du Idiot“, meinte er, „so, als hätte ich seinen Goldfisch ertränkt.“ Demyx blinzelte. „Xigbar, du weißt, dass man keinen Goldfisch -“ „Das war ironisch gemeint, Kurzer!“ „Bei dir weiß man ja nie.“ Demyx kicherte über Xigbars betont abwertenden Gesichtsausdruck und packte ihn wieder am Kragen, zog ihn zu sich aufs Bett und strich ihm über die Brust. „Jetzt sei doch nicht verärgert“, hauchte er ihm zu und zwinkerte. „Oder doch, sei verärgert … dann kann ich es wieder gutmachen.“ Xigbar hob nur die sichtbare Augenbraue. „Versuchst du gerade, mich zu verführen?“ „Funktioniert es denn?“, fragte Demyx hoffnungsvoll. „Kein bisschen.“ Demyx seufzte leise und verschränkte die Arme vor der Brust, schob schmollend die Unterlippe nach vorn. „Das funktioniert übrigens auch nicht, als lass es, ehe ich über dich lache.“ Man konnte die Frustration in Demyx' Blick erkennen, als er sich nach hinten auf das Bett fallen ließ und die Arme von sich streckte, als er die Augen verdrehte, als er einen missmutigen Laut von sich gab. „Weißt du eigentlich, wie lange wir schon keinen Sex mehr miteinander hatten?“ Xigbars linker Mundwinkel zuckte amüsiert und er legte übertrieben nachdenklich einen Finger ans Kinn. „Deiner Meinung nach zu lange?“ „Ja!“ Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen und wurde mit so viel Ernsthaftigkeit vorgetragen, dass sich nun doch ein Lächeln auf die Lippen des Schützen legte. Dann seufzte er nur. „Dafür haben wir im Moment beide keine Zeit,“ „Du hattest das ganze letzte Jahr kaum Zeit für mich!“ Als wäre das meine Schuld gewesen. „Hättest du Wert auf Sex gelegt, hättest du deine Arbeit selbst erledigt und sie nicht mir aufgehalst.“ Demyx setzte einen unschuldigen Blick auf, woraufhin Xigbar nur noch einmal seufzte und dann mit den Schultern zuckte. „Und jetzt muss ich gleich in ein Meeting.“ Demyx' Aufmerksamkeit wurde nun doch geweckt, denn er setzte sich auf und neigte den Kopf zur Seite. „Von einem Meeting hab ich gar nichts mitbekommen.“ „Du bekommst nie was mit, Kurzer“, sagte der Schütze nur grinsend und strich Demyx durchs Haar, lachte über dessen übertrieben beleidigten Blick „Nein“, meinte er dann, „das wird eine Sache zwischen Xemnas, Xaldin und mir. Und wahrscheinlich Saïx, aber der zählt ja nicht.“ „Dann warte ich hier auf dich und wir haben nach deinem Meeting Sex, ja?“ „Ich dachte, es wäre mein Job, in unserer Beziehung, notgeil zu sein.“ In Xigbars Stimme lag unverhohlenes Amüsement. Kopfschüttelnd verschränkte er die Arme vor der Brust. „Ich sag dir, wie es abläuft: Ich gehe in mein Meeting und du auf die Mission, vor der du dich schon seit gestern drücken willst.“ „Ich will da aber nicht hin! Saïx hat sie doch nicht mehr alle, ausgerechnet mich in die Unterwelt zu schicken! Für den Auftrag bin ich -“ „- nicht der Richtige, ja, ja“, vollendete Xigbar den Satz und winkte nur ab. Grinste dann wieder. „Aber stell dir doch nur mal folgendes vor: Du kommst aus der Unterwelt zurück, siegreich, voller Adrenalin, die Anspannung lässt deinen ganzen Körper vibrieren. Du öffnest die Tür, willst mir mitteilen, dass du zurück bist und erst duschen und dann vor Erschöpfung sterben willst und … findest mich auf dem Bett liegend. Nackt, an den Bettpfosten gefesselt, eine schwarze Augenbinde verstärkt die Hilflosigkeit nur noch. Und natürlich habe ich die Beine bereits weit gespreizt und warte nur noch auf dich.“ Demyx schluckte einmal hart, leckte sich über die plötzlich trockenen Lippen und biss sich auf die Unterlippe. „Du versuchst gerade, mich zu bestechen, oder?“ „Funktioniert es denn?“ ~*~ Natürlich tat es das. Und wie es das tat. Und das war der Grund, aus dem sich Demyx nun hier befand, in der unheimlichen Atmosphäre des überall lauernden Todes. Kein Wunder, dass der Tod hier lauerte, dachte er sich dann allerdings, es war schließlich sein Reich. Aber nicht mehr lange. Zumindest hoffte er das. Seine Mission war es nämlich, ihn auf ihr Seite zu ziehen oder ihm das Herz zu stehlen, je nachdem, was schneller und effektiver war. Seine Schritte lenkten ihn tiefer in die Düsternis hinein. Fackeln säumten seinen Weg, deren blaues, kalt wirkendes Licht ihm unheimlich erschien, so, als würde sie alles Leben absorbieren. Demyx gab sich die größte Mühe, dem Licht nicht näher zu kommen als unbedingt nötig. Tiefer, noch tiefer hinein, immer weiter wagte er sich und schließlich stand er vor der langen, hohen Brücke, die zu Hades' Gemächern führte. Er schluckte einmal hart und blickte unsicher auf das schmutzig grüne Wasser hinab, welches sich in einigen Metern Tiefe unter der Brücke befand. Davon hatte er bereits gehört: Selbst in Mydes Welt erzählte man sich die Geschichte, die Legende vom See der Seelen, dem Styx, in welchem die Toten ihr Dasein fristeten, bis sie gerichtet wurden, bis entschieden wurde, ob sie ihre Sünden büßen mussten oder ob sie so reinen Herzens gewesen waren, dass sie in eine Art von Paradies eintreten durften. Natürlich stellte sich ihm die unausweichliche Frage, wie es ihm ergehen würde, wenn er in diese Position kommen sollte. Aber jemand wie er, ein Wesen ohne Herz, hätte wohl keine Möglichkeit, ein Paradies zu erreichen. Und selbst, wenn er sein Herz zurückbekommen sollte, die Morde, die er begangen hatte, hatten sich sicherlich negativ auf seine Reputation ausgewirkt. Das war – um ehrlich zu sein – auch der Grund, aus dem er sich das ganze letzte Jahr über vor Missionen gedrückt hatte. Die Angst, wieder jemanden töten zu müssen, war zu groß. Das wollte er einfach nicht. Und … er war auch ein wenig wütend auf Xigbar, denn der hatte ihm doch einst versprochen, dass er nichts tun müsste, das ihm zuwider war. Natürlich verstand Demyx, weshalb es Xigbar für nötig gehalten hatte, zu lügen – um Demyx in der Organisation zu behalten, weil er es selbst nicht besser wusste, weil es ja nicht er war, der die Missionen verteilte – aber trotzdem hinterließ es einen schalen Nachgeschmack. Er hoffte nur, Hades wäre leicht von ihrer Sache zu überzeugen. ~*~ Natürlich war dem nicht so. Er hatte Hades ihr Anliegen vorgebracht und war auf taube Ohren gestoßen. Und er hatte die Nerven verloren, als Hades lachte, laut und schallend, hatte sich nicht ernst genommen gefühlt, hatte seine Sitar beschwören wollen … und blickte jetzt panisch drein, als nichts geschah. Hades lachte wieder und lehnte sich in seinem Thron zurück: „Du hast zehn Sekunden.“ „Wofür?“, fragte Demyx mit leicht zitternder Stimme und trat einen Schritt zurück, blickte in die Hades nun deutete. Und er erstarrte. Drei Mäuler, sabbernd, geifernd, voller Spitzer Zähne erschienen in seinem Sichtfeld; sechs Augen gafften ihn an, drei übergroße Nasen bliesen heißen Atem gegen die Scheibe, ließen sie beschlagen. Ach du Scheiße! „Jetzt sind es übrigens nur noch sechs Sekunden“, sagte Hades gelassen. „Fünf, vier ...“ Demyx drehte sich auf dem Absatz um. Und er rannte. Er durchquerte die Unterwelt in Windeseile, vergeudete keine Zeit damit, über seine Schulter zu sehen und sich zu vergewissern, dass das Vieh ihm noch folgte. Er war sicher, dass er den heißen Atem in seinem Nacken spüren – und vor allem riechen – konnte. Die Gefahr, von diesem … ja, diesem Höllenhund in einem Bissen verschluckt zu werden, war zu groß. Diese Angst verlieh ihm Flügel und er versuchte immer wieder vergeblich, ein Portal zu beschwören, was ihn nur noch schneller rennen ließ. Er achtete nicht einmal darauf, wer die Gestalten waren, die ihm auf seiner Flucht entgegenkamen – es war auch zu dunkel, um sie zu erkennen – er rief ihnen nur ein warnendes „Lauft! Lauft weg!“ zu. Und dann? Dann öffnete sich endlich – wohl durch die Nähe zur Oberwelt – ein Portal, durch das er hindurch rannte, beinahe hindurch sprang. ~*~ Durch ihre Dezimierung wirkte der Raum nur noch größer. Obwohl keiner von ihnen darüber auch nur ein Wort verlor, war Xigbar sicher, dass dieser Umstand nicht nur ihm, sondern auch den anderen einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Bis auf Xemnas vielleicht, aber Xemnas hatte schon lange gezeigt, dass ihm das Schicksal seiner Mitstreiter scheißegal war. Seufzend ließ er sich einmal mehr auf dem weißen Sofa nieder und schlug ein Bein über das andere, legte die Arme auf die Sofalehne. „Also“, fragte er, „worum geht’s heute?“ „Radiant Garden“, sprach Xemnas gemächlich und lächelte selbst zufrieden. Eine kurze Pause entstand, die Xigbar genervt durchbrach: „Ja. Toll. Radiant Garden. Was ist mit Radiant Garden?“ Das Lächeln gefror auf Xemnas' Lippen und er sah pointiert in die Runde. „Ich will Radiant Garden fallen sehen.“ So … So war das also. Xaldin sah zu dem Schützen und der erwiderte den Blick vielsagend. Sie dachten beide das Gleiche. Sie dachten an früher, als sie noch Ansems Lehrlinge gewesen waren, als sie durch ihre eigene Dummheit, ihre eigene Enttäuschung und Verbitterung gefallen waren … Sie konnten durchaus nachvollziehen, dass Xemnas … dass Xehanort jedes Monument jener Vergangenheit auslöschen wollte. Dass Xemnas sie beide dazu nicht nach ihrer Meinung fragte, war typisch, aber nicht unwillkommen. Wie hätten sie ihm auch erklären sollen, dass sie noch immer an diesem Ort hingen? Immerhin hatten sie dort ihre Kindheit verbracht, ihr ganzes Leben. „Wer soll sich darum kümmern?“, fragte Xaldin stattdessen tonlos. Xemnas deutete auf Xigbar. „Das sollte für dich eine Leichtigkeit darstellen.“ Als Xigbar grimmig nickte, fuhr er fort: „Saïx und ich werden zugegen sein und dich – falls nötig – unterstützen.“ Xemnas tat etwas. Das war ja mal was ganz Neues. Gleichzeitig, so sagte ihr Superior weiterhin, würde mehrere Ablenkungen stattfinden, die den Schlüsseljungen von Radiant Garden fernhalten sollten, und von denen Xaldin eine übernehmen sollte. „Wann soll die Mission beginnen, Superior?“, fragte Saïx, der von dieser extremen Eigeninitiative seines Herrchens … Verzeihung … seines Vorgesetzten ebenso überrascht schien wie die anderen beiden auch. „So bald wie möglich.“ ~*~ Schwer atmend blieb Demyx stehen, beuge sich nach vorn, stützte die Hände auf de Knie. Er würde nicht zurückgehen! Nicht zu diesem Monstrum! Das konnte Xemnas nicht von ihm verlangen! Und das würde er ihm auch sagen! Ja. Genau. Nachdem er nun genug mentale Ausrufezeichen verbraucht hatte, nahm Demyx allen Mut zusammen und öffnete ein Portal, das nach Hause führen würde, stapfte darauf zu. Dabei steckte er die Hände in die Manteltaschen und … blieb stehen. Was war denn das? Zwei zusammengefaltete Zettel kamen zum Vorschein. Verwundert entfaltete er den ersten und nickte. Den kannte er schon. Es war eine Instruktion von Saïx, die ihm erklärte, was er tun sollte, falls er auf Roxas traf. Nun ja, das konnte er wohl vergessen. Roxas hatte er nicht gesehen und selbst, wenn ihr ehemaliges dreizehntes Mitglied jetzt dort unten auftauchte, würde Demyx es niemals mitbekommen. Schließlich würde er ja nicht … oh. Oh, Mist. Der zweite Zettel war von Xigbar. Oi, Kurzer. Kleiner Tipp am Rande: Bevor du dich in die Unterwelt stürzt und dich mit Hades prügelst, tu dir selbst den Gefallen, erst einmal im Olymp vorbei zu schauen und dir das Olympus-Steinchen unter den Nagel zu reißen. Sonst wischt Hades mit dir den Boden auf. ~ Xigbar. Toll. Hätte er das nicht einfach sagen können? Arsch. Oh, hey, da stand noch etwas. PS. Schwing deinen Hintern und beeil dich! Schließlich warte ich auf dich! Oh. Oh … das klang vielversprechend. Okay, jetzt hatte er wohl doch einen Grund, die Mission zu Ende zu bringen. Seufzend schloss er das Portal zum Schloss und öffnete eines, das in die entgegengesetzte Richtung führte – und trat mit frischem Enthusiasmus hindurch. Als er den ersten Schritt aus dem Portal heraustrat, und noch ehe er sich überhaupt umsehen konnte … versank sein Fuß in einer weichen Substanz und er legte sich auf die Nase. Zum Glück für ihn war der Oberfläche jedoch auch an dieser Stelle recht weich, sodass er ohne größere Schäden davon kam. Es wäre ja auch überaus peinlich gewesen, wenn er sich hier die Nase gebrochen hätte oder ähnliches … wobei Xigbar sicher seine helle Freude daran gehabt hätte, ihn damit bis an sein Lebensende aufzuziehen. Er würde wohl aufpassen müssen, wohin er trat. Vorsichtig, zögerlich und langsam, aber immerhin überhaupt bewegte er sich weiter voran, tippte mit der Fußspitze immer wieder auf jeweils angrenzende Wolken, um herauszufinden, ob er darauf stehen konnte oder nicht. Einige Schritte und diverse Hüpfer später erreichte er das nächste Hindernis: das mit viel Liebe und Mühe geschmiedete, goldene Tor. Na wunderbar. Wie sollte er denn dort hindurch kommen? Wenn die Götter nicht spontan Lust darauf hatten, einen Tag der offenen Tür zu veranstalten, hätte er wohl keine andere Wahl, als darüber zu klettern oder ein weiteres Portal zu beschwören. Er seufzte leise und lehnte sich dem Rücken dagegen, wollte noch kurz überlegen, welche Möglichkeit er jetzt ausführen sollte … und verlor an diesem Tag um zweiten Male das Gleichgewicht, landete auf dem Hosenboden, als sich das Tor quietschend öffnete. Murrend erhob er sich wieder, klopfte sich die weißen Flecken vom Mantel und ging weiter, stapfte auf den riesigen Palast zu, dessen Flügeltüren weit offen standen. Heh. Da hatte er wohl doch den Tag der offenen Tür erwischt. Langsam und vorsichtig schlich er ins Innere des Palastes und versteckte sich hinter der erstbesten Säule, lugte dahinter hervor, um sich umzusehen. Und er sah einiges. Zum Beispiel diverse Gänge, die sich zu beiden Seiten erstreckten. Oder reichlich verzierte Vasen, Amphoren, Mosaike an den Wänden. Wahrlich ein Ort für Götter. Als Demyx gerade überlegen wollte, wohin er zuerst gehen sollte, schreckte er auf. Jemand hatte ihm an die Schulter getippt. Verdammt. Er war erwischt worden. Und das so schnell! Unsicher warf er einen Blick über seine linke Schulter und sah … dieses Mal nichts. Hatte er sich das eingebildet? Wahrscheinlich. Er war wohl nur nervös … „Kann man dir weiterhelfen, junger Mann?“ Demyx zuckte sichtbar zusammen und wirbelte herum. Vor ihm stand ein alter Mann mit schlohweißem Bart und gütigen grauen Augen, der in purpurne Gewänder gehüllt war und einen edlen Stab in der rechten Hand hielt, um den sich ineinander geschlungene Ranken wanden. Oh, verdammt. „Ich … hab nur die falsche Abzweigung genommen“, sagte Demyx schnell und wich rückwärts in Richtung Ausgang. „Ich sollte auch schon wieder gehen“, meinte er weiterhin und wollte sich gerade umdrehen und wegrennen, da fiel er zum dritten Mal an diesem Tage über irgendetwas. Oder über jemanden. Oder doch über etwas, so sicher war er sich da nicht – konnte man ein Wesen, das halb Mensch, halb Ziege war, als 'Jemanden' bezeichnen? Ehe er jedoch zu Boden gehen konnte, packte ihn der alte Mann am Handgelenk und hielt ihn fest. Was erstaunlich war, wenn man das wahrscheinliche Alter des Greises bedachte. Aber nun ja, der Alte war wohl ein Gott und Götter hatten es mit dem Altern nicht so. „Nicht so voreilig, mein junger Freund“, sprach der Alte, „du möchtest dich noch nicht etwa schon verabschieden, ehe du dich vorgestellt hast, oder?“ Demyx linker Mundwinkel zuckte. „Äh, nein. Wie unhöflich von mir. Ich bin Demyx.“ Und damit war er eigentlich der Meinung, dass der Höflichkeit Genüge getan war, doch sein Gegenüber fand das offensichtlich nicht. Demyx wurde nämlich immer noch festgehalten. „Schön, dich kennen zu lernen, Demyx. Mein Name ist Dionysos. Und das -“ Er deutete auf das Mischwesen. „- ist Phineas, der Satyr.“ Das Wesen lächelte, als es seinen Namen hörte, und packte Demyx bei der anderen Hand. „Willst du nicht mit uns feiern?“, fragte es mit jugendlicher Stimme. „Feiern?“, wiederholte Demyx verwirrt. „Was denn feiern?“ „Jeder Tag hat etwas, das man feiern kann“, kam es vom dem Kleinen. „Aber ich habe gar keine Zeit zum Feiern!“ „Unsinn“, sprach Dionysos. „Man hat immer die Zeit zum Feiern.“ Und schon wurde Demyx unter halbherzigen Protesten mitgeschleift. An die allermeisten Sachen er nächsten Stunden konnte er sich gar nicht mehr erinnern. Er war nämlich ziemlich schnell betrunken gewesen. Er wusste nur noch, dass er der Venus zugeprostet und mit ihr über die Auslöschung Trojas diskutiert hatte, ohne zu wissen, wo Troja eigentlich lag und ob es überhaupt eine Stadt war. Weiterhin konnte er sich noch daran erinnern, dass Xigbar auf ihn wartete und ihn umbringen würde, wenn er nicht bald auftauchen würde. Also stand er schwankend auf und nuschelte ein paar Worte des Abschieds und dummerweise rutschte ihm dabei auch heraus, dass er den Olympus-Stein finden musste. Dionysos betrachtete ihn nur kurz und lächelte dann, bedeutete ihm zu warten. Dann beugte er sich zu dem Phineas und flüsterte ihm etwas zu. Der Satyr steckte seine Panflöte weg und lief in Richtung Palast. „Was tut er jetzt?“, fragte Demyx, während er versuchte, fest auf beiden Beinen stehen zu bleiben. „Er bringt dir ein Geschenk“, war die rätselhafte Antwort. Ah. Das half ihm wirklich weiter. Oder eben auch nicht. Die paar Minuten, die der Satyr zur Rückkehr brauchte, beschäftigte sich Demyx damit, der Welt zu befehlen, sich nicht mehr zu drehen. Und schließlich wurde ihm etwas in die Hand gedrückt, das sich bei näherem Besehen als genau das herausstellte, das er gesucht hatte. Moment … als Geschenk? Im Ernst? „Aber ...“ „Kein aber“, sagte Dionysos freundlich, aber bestimmt. „Zeus benutzt ihn sowieso nie, ihm wird überhaupt nicht auffallen, dass er verschwunden ist. Und ein so ausgezeichneter Trinker wie du verdient einfach eine Belohnung.“ Na, wenn das so war ... Demyx betrachtete den Stein von allen Seiten. Er sah … so unscheinbar aus; eine recht flache, runde Scheibe, auf der ein Symbol eingraviert war. In Anbetracht dessen, dass jenes Zeichen überall am Olymp angebracht war, riet Demyx einfach mal ins Blaue hinein und vermutete, dass es sich hierbei um das Zeichen der Götter handelte. War er nicht ein Genie? Lächelnd verabschiedete sich von Dionysos und dem kleinen Satyr, steckte den Stein in seine Manteltasche und begab sich frohen Mutes in Richtung Unterwelt. Jetzt war er unbesiegbar! ~*~ Oder eben auch nicht. Roxas hatte ihn … nun ja, verprügelt wäre das falsche Wort … brutal zusammengeschlagen traf es wohl eher. Und als Dieb beschimpft hatte er ihn auch noch. So eine Frechheit! Natürlich hatte Demyx ihm erklären wollen, dass er den Stein nicht gestohlen, sondern geschenkt bekommen hatte. Aber hörte ihm jemand zu? Nein. Natürlich nicht. Und durch die Prügel war er auch wieder nüchtern geworden. So ein Mist. Demyx murrte leise. Diesen Tag wollte er so schnell wie möglich vergessen. Er würde nämlich auch weiterhin keine positiven Seiten aufziehen, denn Demyx wusste, dass er – sobald er sein Zimmer betrat – von Xigbar erst einmal ausgelacht werden und sich anhören dürfen würde, wie bescheuert es doch von ihm war, anzunehmen, dass Xigbar ausgerechnet auf ihn warten würde. Und dann auch noch nackt. Wovon träumte Demyx denn bitte nachts? Also nahm sich Demyx vor, ihn nicht zu beachten, zu duschen, Xemnas seinen Bericht vorzubringen … und dann würde er bis ins nächste Jahrhundert schlafen. Ein guter Plan, wie er fand. Doch er kam nicht dazu, diesen Plan in die Tat umzusetzen, denn als er die Tür öffnete, erstarrte er sogleich wieder. Xigbar hatte ausnahmsweise einmal sein Wort gehalten. Oh, und wie er das hatte. Sein nackter, gebräunter Körper bildete einen starken Kontrast zu dem weißen Laken, auf welchem er lag, seine goldenen Augen wurden durch ein schwarzes Tuch verdeckt. Seine Brust hob und senkte sich langsam, gemächlich. Die feinen Härchen auf seinen Armen hatten sich aufgestellt – wohl eine Gänsehaut durch den Luftzug, der entstanden war, als Demyx die Tür geöffnet hatte oder war es etwa die freudige Erwartung, die Xigbar diesen sichtbaren Schauer über den Rücken jagte? Wie versprochen – oder viel eher angedroht – waren seine Hände mit Handschellen an den Bettpfosten gekettet, wie versprochen hatte er die Beine angewinkelt und gespreizt. War er die ganze Zeit über so verblieben? Was, wenn zufälligerweise einer der anderen das Zimmer betreten hätte? Was hätte er dann gesagt? Gut, zugegeben, gesagt hätte er nicht viel … das verhinderte der runde Knebel in seinem Mund. Demyx … schluckte. Hart. Und als Xigbars Mundwinkel zuckte, als würde er trotz des Knebels zu grinsen versuchen, beschloss Demyx zwei Dinge. Erstens wäre es doch überaus unhöflich von ihm, den armen Schützen so alleine dort liegen zu lassen. Ganz der Gentleman, der er eigentlich nicht war, aber das interessierte jetzt nicht, schloss er die Tür hinter sich und lächelte, leckte sich voll Vorfreude über die Lippen. Und zweitens? Zweitens würde er Xemnas später Bericht erstatten. Viel später. ___________ tbc ... ___________ Wir sind fast fertig, Leute. Noch ein Kapitel und ein Epilog, dann seid ihr mich los. ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)