Huans von Nagisa_Tsubaragi ================================================================================ Kapitel 6: Mysteriöser Fremder ------------------------------ Kaum hatte Cedric Nia bei IHREM Salvatore und Katja abgesetzt, hatte er einen stechenden, bohrenden, alles verzehrenden und brennenden Schmerz in der Brust gespürt, Da er gewusst hatte, dass er ohnehin unerwünscht gewesen war und nur als "Störfaktor" gesehen worden wäre, war er sofort gegangen. Sein Geschenk war das Wiedersehen mit Katja gewesen, was ihm nicht nur Zeit, sondern auch Mühe und Geschick abverlangt hatte. Es gab viele Regeln, Richtlinien und Gesetze, die nicht gebrochen oder übertreten werden durften. Eine davon war das Wiedersehen von Personen, die noch nicht "in der anderen Welt (der Huans) waren". Ansonsten erfolgte eine sofortige Strafe, in deren "Genuss" Cedric nun gekommen war. Er bekam keine Luft mehr. Notgedrungen stützte er sich an die Wand, ging aber tapfer weiter. Verdammt! Wenn das so weiterging, würde er noch ohnmächtig werden! Reumütig lächelte er. Hatt er nich von Anfang an gewusst, was ihn erwartete? Ein Gesetzbruch höchsten Grades, das würde nicht ungesühnt bleiben - nicht durch so Kleinigkeiten wie Atemnot oder Schwindel. ___________________________________________________________ Letzten Endes hatte Katja den ultraknappen Bikini gegen einen richtige ausgetauscht. Der neue schmeichelte Nias schwarzen Haaren sehr und harmonierte gut mit ihren marineblauen Augen. Ja, der rosa Bikini gefiel ihr mehr als gut! Das Parfum hütete sie wie einen Schatz - tief in ihrem Spind versteckt, bevor die "drei Schwestern" fragen konnten, woher sie das Geld für so etwas teures hatte aufbringen können. Falls sie nicht antworten würde, konnte Nia schon förmlich die Schlagzeilen in der "Gerüchteküche" sehen: "Prostitution für Parfum?" Nia lief es eiskalt den Rücken runter. Nein, so etwas würde sie nicht zulassen! Sicherheitshalber packte sie noch einen Stapel Bücher vor das Duftwässerchen ... Wohin Cedric geflüchtet war, war ihr herzlich egal. Wer interessierte sich für so einen behinderten Idioten wie ihn? Schade war nur, dass Katja so schnell wieder gehen musste (was sie nicht ganz verstand, aber sie musste ihre Gründe dafür haben) - aber immerhin hatte sie sie wiedergesehen! Mist! Jetzt hatte sie ihr Mathebuch doch glatt eingesperrt, obwohl sie es für die nächste Stunde brauchte! Wo hatte sie bloß ihren Kopf? Seufzend sperrte sie ihren Spind wieder auf, zog das Buch heraus und ... an ihr segelte eine Karteikarte zu Boden. Verwundert klaubte Nia sie auf und las die in Druckbuchstaben geschriebene Frage: "SATZ DES PYTHAGORAS?" Desinteressiert schmiss sie die Karte in den nächsten Abfalleimer. Wer ließ sich so einen Müll einfallen? ___________________________________________________________ Doch mit der einen Karte war es nicht getan. Die Flut erhöhte sich sogar noch. Zuerst täglich eine, in den darauffolgenden Wochen jede Pause und nach einem Monat jede Stunde! Nia begann sich allmählich zu ärgern und hätte sofort Cedric verdächtigt, wenn er nicht schon seit ihrem Geburtstag im Krankenflügel liegen würde. Und das ohne Besuchererlaubnis! All diese dämlichen Karteikarten bezogen sich auf - Mathe. "NENNE DEN SATZ DES VIETA!" "DAS VOLUMEN EINES KEGELS?" "LEITE DIE POLARKOORDINATEN AB!" Manchmal wurden ihr auch konkrete Aufgaben gestellt, die Nia anscheinend lösen sollte - was sie aber nicht tat. Das war aber auch ganz verständlich, oder? Wer wäre schon so bekloppt und würde ernsthaft auf so etwas antworten? Wohl nur ein Hohlkörper! Irgendwann wurde es ihr aber doch zu viel. Zu einem Lehrer konnte sie aber nicht gehen, der hätte sie für verrückt und aufmerksamkeitsheischend gehalten und auf die Lauer konnte sie sich auch nicht legen, da es immer während des Unterrichts geschah (davon ging Nia zumindest aus). Vielleicht war es wirklich das einfachste, die Antworten draufzukritzeln und ab die Post. Dann wäre eventuell Schicht im Schacht. Hoffentlich. So kam es, dass sie sich in stundenlanger Schwerstarbeit die Lösungen fast aus den Fingern saugte, da Nia sich strikt weigerte (oder einfach zu faul war?) ihre Mathehefte als Berater hervorzuholen. Zum Schluss kam sie sich richtig dämlich vor. Wirklich wie ein Hohlkörper. Sie beantwortete Fragen von einem Unbekannten (oder einer Unbekannten?), dessen Absicht sie nicht einmal kannte ... Und trotzdem fühlte sie sich nach der getanen Arbeit seltsam befreit und war ... stolz auf sich. All diese Aufgaben hatte sie ohne (naja, fast) Schwierigkeiten bewältigen können! Schließlich brachte sie alle Karteikarten - säuberlich mit Gummibändern befestigt - zum Spind und stopfte sie wieder hinein. "Wir werden ja sehen, wer den längeren Arm hat!", schnaubte Nia innerlich und stapfte davon. __________________________________________________________ Salvatore saß an Cedrics Bett und las Mary Higgins Clarks "Mondlicht steht dir gut". Cedric war gerade aufgewacht. "Wie fühlst du dich?", frage der Frauenschwarm aus purer Höflichkeit und ohne seinen Blick vom Buch zu heben. "Beschissen!", stöhnte der Patient und richtete sich mit schmerzverzerrtem Gesicht langsam aufrecht hin. "Du sollst liegen bleiben!", herrschte Salvatore ihn an. "Ich hab was zu erledigen!", knurrte der blonde Hühne zurück. "Die Karteikarten?", fragte der Mann gewordene Frauentraum beiläufig. "Die Karteikarten!" "Warum machst du dir solch eine Arbeit? Sie hasst dich!" "Das geht dich nichts an!" "Nia ist doch gut in Mathe, wozu braucht sie da deine "Hilfe"?" "Natürlich ist sie gut in Mathe, ich will sie ja nur ärgern!", fauchte Cedric und dachte still bei sich: "Sie ist so gut in Mathe, dass sie mit einer glatten sechs durchfallen wird, wenn sie nicht aufpasst!" __________________________________________________________ Am nächsten Tag fand Nia einen säuberlich geschriebenen Brief in ihrem Spind: "NIA, SOLANGE DU NICHT BESSER IN MATHE GEWORDEN BIST, WERDE ICH NICHT AUFHÖREN. EINE GUTE FREUNDIN." "Eine gute Freundin?", wiederholte sie irritiert, denn sie hatte ja nur EINE Freundin. Und die war zugleich ihre beste. Bedeutete das etwa, dass Katja ihr diese geheime Hilfe zukommen ließ? Mit einem Mal fühlte sie sich viel besser. "Katja, du altes Schlitzohr!", lachte sie sich im Stillen, "Du hast mich fast wieder in die Irre geführt!" __________________________________________________________ "Eine gute Freundin?", las Salvatore laut vor, als hätte er sich verlesen und wolle seinen Augen nicht glauben schenken. "Du sinkst so tief, dich als Frau auszugeben? Unfassbar!" "Das geht dich nichts an!", schnauzte Cedric ihn an und biss sich auf die Unterlippe. Er lehnte sich für seinen Geschmack zu weit aus dem Fenster. Katja war eine sehr intelligente Frau, die im Handumdrehen seinen ganzen "Plan" zunichte machen konnte. Und dann würde es richtig Ärger geben. Aber darüber wollte sich der Blondschopf noch keine Gedanken machen. Es kam wie es kommen musste. Basta. "Bring lieber den Brief zu ihrem Schließfach, als dich über andere Leute Dinge zu beschweren!", orderte Cedric und legte sich wieder schlafen. ___________________________________________________________ Das Wetter war seit Nias Geburtstag alles andere als gut. Es stürmte und regnete die meiste Zeit über. Zeitweise traten auch heftige, typische Sommergewitter auf. So hatte es die letzten Wochen ausgesehen, aber nicht heute. Es war der letzte Tag vor den Sommerferien und alle saßen wie auf heißen Kohlen. Alle dreißig Sekunden warfen die Schüler einen verstohlenen Blick auf die im Klassenzimmer hängende Uhr. Wäre sie nicht fest anmontiert, hätten dutzende Lehrer sie schon längst abgerissen und Diskuswerfen damit geprobt. Bei Frau Wood glaubte man fast, sie würde sich gleich wie eine wilde Furie auf die Uhr stürzen und die Zeiger ausreißen; stattdessen brummte sie aber jedem Schüler, der du*** genug war, nach der Zeit zu schauen, extra viele Hausaufgaben über die Ferien auf. Als endlich der erlösende Gong ertönte, gab es keinen Halt mehr. Alle Schüler wollten nur noch eins: W-E-G hier! Jeder jubelte und freute sich auf die Ferien, dass sie das Zeugnis ganz vergaßen. Nia aber nicht. Sie saß geschockt auf ihrem Stuhl und starrte ihren Giftzettel an. Ein seltsames Taubheitsgefühl breitete sich in ihrem Körper aus, das mit einem merkwürdigen Kribbeln im Kopf endete. Nia hatte nur durch Notenausgleich bestanden! Latein und Mathe FÜNF! Relie und Sport hatten sie noch retten können. Noch nie hatte sie sich so mies und eldend gefühlt. Sie konnte von Glück reden, dass das Zeugnis nicht an ihren Vater geschickt wurde! Und zu allem Unglück war sie auch noch damit beauftragt worden, SEIN Zeugnis abzuliefern. Derweil wollte Nia niemanden sehen. Und erst recht nicht Cedric! Sie war nämlich froh gewesen, den behinderten Idioten so lange nicht gesehen haben zu müssen, dass sie es fast geschafft hatte, ihn ganz aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Und nun? Jetzt musste sie zu ihm! Frustriert klemmte sie sich den schokobraunen Umschlag unter den Arm und stakste los. Ihre Gedanken galten nun den Ferien, der sie mit einer seltsamen Hassliebe begegnete. Einerseits war sie glücklich, dass alle Zicken und Tussen (einschließlich, bzw. besonders ihre Mitbewohnerinnen, die "drei Schwestern") weg waren und Pool, Mensa und Zimmer ihr allein gehörten. Aber andererseits war sie traurig, dass sie nun allein war und alle sich - mehr oder weniger - auf zu Hause freuten, während sie ihren Vater seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte (wie sah er doch gleich noch mal aus? Und vor allem: Wie war sein Name???) Niedergeschlagen schlenderte sie die Gänge in Richtung Krankenzimmer entlang, wobei sie alle paar Schritte über einen voll gepackten Koffer flog, der unachtsam vor die Zimmertür gestellt worden war. Irgendwann war der Hindernisparkour auch vorbei und sie fand sich im Krankenflügel wieder. Sie seufzte, denn sie hatte so viel Lust, Cedric zu sehen, wie ein kleine Maus auf eine ausgehungerte Katze. Sich mit diesem behinderten Idioten abzugeben und womöglich noch zu streiten ... das waren zwei Dinge, die ihr jetzt empfindlich auf den Magen schlagen würden. "Cedric?", fragte sie selbstbewusst und gespielt heiter, "Bist du wach?" Als keine Antwort kam, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Behutsam näherte sie sich dem Bett mit den einzig zugezogenen Vorhängen und legte den Umschlag auf den Beistelltisch. Plötzlich ergriff sie eine Frauenkrankheit: Die Neugierde. Ohne es zu wollen, wollte sie wissen, ob er genauso schlecht abgeschnitten hatte wie sie. Wäre eigentlich nur logisch, so oft wie er fehlte und so viel, wie er im Unterricht schlief ... Mit zittrigen Händen (sie tat ja etwas unerlaubtes) und klopfendem Herzen zottelte sie sein Zeugnis hervor und erstarrte. Cedric hatte in jedem, aber auch in JEDEM Fach eine glatte ... eins?!!! Wie war das nur möglich? Er passte nie auf! Schlief! Meldete sich nie! Hatte niemals seine Hausaufgaben! Und trotzdem ... überall einsen??? Außerdem war er ständig krank! ... Was er wohl diesmal hatte? Erneut wurde Nia neugierig. Nur ein ganz kurzer Blick, sie wollte ihm ja nichts tun oder so, sie wollte bloß wissen ... warum er so lange krank war. Sie brauchte eigentlich auch kein schlechtes Gewissen haben: Schließlich war sie seine Banknachbarin und hatte ein Recht darauf, zu erfahren, was mit ihm los war! So etwas in der Art würde sie Antworten, wenn sie ertappt werden würde. Denn: Vielleicht täuschte er seine Krankheit nur vor? Behutsam teilte sie den Vorhang und ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)