Denn am Ende steht... von Leira ================================================================================ Kapitel 6: Auftakt ------------------ Guten Tag, allerseits! Zuerst einmal: vielen, vielen Dank für eure Kommentare! Ich freu mich über jeden einzelnen, und ihr helft mir wirklich weiter damit! Es gibt einfach Dinge, die fallen einem selber nicht gleich auf. Danke für Lob und Kritik :) Anderes hat wiederum durchaus seinen Sinn- wie etwa eine gewisse mysteriöse Einladung mit einer gewissen Unterschrift einer gewissen Person… Nun- ich hoffe, ich brings einigermaßen plausibel rüber, wünsche euch viel Vergnügen und gute Unterhaltung und verbleibe bis nächsten Mittwoch Eure Leira :D *verbeug* _________________________________________________________________________________ Es war jetzt halb zwei Uhr nachmittags. Draußen schien die Sonne, die Temperaturen waren ungewöhnlich mild… ein wunderbarer Tag. Nur eine Person hatte es gegeben, die das schöne Wetter wohl nicht so ganz genießen hatte können. Conan. Ai hatte heute, nach ihrem gestrigen Gespräch mit Ran, ihren lieben Freund und Leidensgenossen einmal etwas genauer beobachtet. Fakt war, was Ran sagte, stimmte. Es entsprach leider der Wahrheit. Die gute Laune und die Fröhlichkeit, die er vor ein paar Wochen noch an den Tag gelegt hatte, war mittlerweile ganz klar nur noch Show. Man merkte, die Situation fraß an ihm, nagte an ihm, zehrte an seiner Substanz, Tag und Nacht. Jedes Mal, wenn er nicht damit rechnete, dass ihn jemand ansah, legten sich tiefe Schatten auf sein Gesicht, starrten seine Augen ins Leere - er litt er an der Situation, die er selbst herbeigeführt hatte, man sah es. Allerdings nur, wenn man wusste, wonach man suchen musste. Er war ein exzellenter Schauspieler. Aber Schauspieler hin oder her - diese Zwangslage, in der er steckte, all das Leid, das er ertrug, die Sorge, die auf seinen Schultern lastete, ihn unter sich zu begraben drohte - das alles waren auch die Gründe, warum Ai gerade telefonierte. Denn seither hatte sie sich Gedanken gemacht, wie sie Shinichi ablenken konnte, wie sie Ran helfen konnte. Der Versuch, ihn zu überreden nicht hinzugehen, würde wohl angesichts der Tatsache, dass er wirklich alles darum geben würde um wieder groß zu werden, eher nicht von Erfolg gekrönt werden. Deswegen hatte sie die Einladungskarten heute in aller Früh, vor der Schule noch, von Ran noch mal geholt, sie Agasa gegeben, der sich mit Kopien noch ein Stück besser auskannte als die Amateurdetektivin- und zwar um Rans Kopie zu perfektionieren. Wollte sie auch nur einen Hauch einer Chance haben, dann brauchte sie eine perfekte Einladung. Der alte Mann hatte es nur sehr, sehr widerstrebend getan- aber er hatte am Computer ganze Arbeit geleistet. Die neue Einladung sah aus wie echt. Mittags dann hatte sie ihr die beiden Einladungen wieder gebracht, damit Conan nichts merkte. Ai hatte sie, wie am Morgen verabredet, pünktlich in den Briefkasten geworfen. Sie hatte Ran noch gesehen, als sie die beiden Karten herausgeholt hatte… Sollte Ran das Gift allerdings wirklich in die Finger kriegen, musste sie unbedingt verhindern, dass sie es schluckte. Unbedingt… sie half ihr nur, damit sie schneller an einem Gegengift für ihn arbeiten konnte. Keinesfalls durfte sich Ran dem Risiko aussetzen, an dem Gift zu sterben. Aber damit sie überhaupt ungehindert in die Nähe des Giftes kam, musste etwas anderes vorher passieren. Shinichi musste weg. Also musste sie ihn auf die Seite räumen. Dafür Sorge tragen, dass er ihr nicht in die Quere kam. Ihn den ganzen Abend mit K.O.- Tropfen auszuschalten war ihr zwar in den Sinn gekommen, aber- nach reiflicher Überlegung war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass sie das nicht machen konnte. Auch wenn er da mal weniger Skrupel gehabt hatte… er hatte sie ohne mit der Wimper zu zucken mit der Narkoseuhr ausgeschaltet und in den Keller gesperrt. Allerdings zweifelte sie nicht daran, dass es ihm, wie damals auch ihr, gelingen würde, auszubrechen. Und am Ende würde er dann genau das tun, was sie verhindern wollte- auf diese Premiere gehen. Also hatte sie ihre kleinen, grauen Zellen nochmal etwas angestrengt- und tatsächlich war ihr eine andere, viel bessere Idee gekommen- sie würde an sein Moralgefühl appellieren. Der Professor saß neben ihr. Sie hatte ihm, als sie ihm die beiden Karten in die Hand gedrückt hatte, in Rans Pläne für den heutigen Abend eingeweiht, und es war ihm anzusehen, dass er sie nicht billigte. Keineswegs guthieß. Minutenlang hatten sie diskutiert, debattiert und sich am Ende fast gestritten, ob sie nun Shinichi davon erzählen sollten oder nicht. Ai hatte schließlich die Oberhand behalten, und damit die Herrschaft über das Telefon, das der Professor schon in seinen Händen gehalten hatte, um Shinichis Handynummer einzutippen. Jetzt saß Hiroshi Agasa also neben seiner kleinen Mitbewohnerin und schwitzte Blut und Wasser. Er wusste, wenn es eine Sache gab, weswegen sein Nachbar wirklich wütend werden konnte, dann war das, wenn man ihn anlog. Klar- momentan steckte er selber in der größten Lüge seines Lebens, täuschte die ganze Welt und nebenbei gelegentlich sich selbst- aber Agasa war sich sicher, dass das seiner Einstellung dem Thema gegenüber keinen Abbruch getan hatte. Fast wäre es dem alten Mann lieber gewesen, Ai hätte ihm nichts gesagt, dann hätte er Shinichi nicht anlügen müssen. Der Abend heute würde die Hölle werden. Ihn wegzulocken von ihr, damit sie ihren wahrlich wahnwitzigen Plan durchführen konnte, wie konnten sie nur? Was zur Hölle dachten sie sich dabei? Was zur Hölle dachte sich Ran dabei? Das war ihm gegenüber nicht fair, das war hinterlistig, hinterhältig und verschlagen. Sollte sie da heil rauskommen, und das Gift an sich genommen haben, so musste er sie unbedingt daran hindern, dass sie es tatsächlich einnahm. Dieser Plan war doch irre- Ran war doch ansonsten immer so ein vernünftiges Mädchen, so bedacht, intelligent, alles andere als voreilig… Was war nur in sie gefahren? Tat sie das alles wirklich, weil sie ihn so sehr liebte? Welche Dimensionen konnte Liebe denn annehmen? Nervös kratzte er sich am Hinterkopf, als er zum x-ten Mal seine Bedenken äußerte. „Ai, ich halte das wirklich für keine gute Idee…“ „Ich auch nicht, Professor. Aber sie wissen ja, sie hat unsere Handynummern; falls sie auch nur ansatzweise denkt, sie wäre in Gefahr, ruft sie uns an. Und jetzt seien Sie bitte still, ich telefoniere.“ Ai lauschte angestrengt dem Freizeichen. Der alte Mann seufzte schwer. „Wir müssen es ihr ausreden, Ai. Sie könnte sich umbringen damit, was glaubst du, was dann los ist?“ „Das hab ich doch alles schon versucht, Professor Agasa. Was denken Sie denn? Fast auf Knien angefleht habe ich sie, das zu lassen, es sich zu überlegen, alles sinnlos, zwecklos. Und jetzt halten Sie den Mund, bitte.“ Sie rollte mit den Augen und presste den Hörer noch mehr an ihr Ohr. „Aber wir müssen…“ „Professor!“ Das rotblonde Mädchen funkelte ihn ärgerlich an, als sich eine andere Stimme an ihrem Ohr meldete. „Ai?“ „Oh, Ayumi, hi!“ Ai räusperte sich. Sie hatte einen Plan, und hoffte inständig, dass er aufging. „Was ist denn, Ai?“ Das kleine Mädchen klang neugierig wie eh und je. „Ach weißt du, Ayumi, wir hatten uns doch vorgestern dieses Filmplakat angesehen…“ „Ja?“ „Da wir uns den Film doch ohnehin ansehen wollen, dachte ich mir, wir könnten doch die Vorpremiere im Kino im Beikacenter anschauen? Was hältst du davon?“ „Klasse!“ Ayumi klang schlichtweg begeistert. „Das ist eine super Idee, Ai! Aber wer bringt uns hin und holt uns ab…?“ „Das macht der Professor. Er sieht sich den Film auch an.“ Ai lächelte Agasa sarkastisch zu. Der verengte die Augen zu Schlitzen, schnaubte leise. Ihm war das gar nicht Recht... gar nicht Recht. Er würde ihm wochenlang nicht mehr in die Augen sehen können... wenn Shinichi das rausfand... „Super! Das wird bestimmt klasse! Ich freu mich schon so!“, freute sich Ayumi. Sie schien jetzt schon völlig aus dem Häuschen zu sein. „Hast du Conan, Genta und Mitsuhiko schon Bescheid gesagt?“ Ai verneinte. „Aber ich dachte, Ayumi, ich sage Genta und Mitsuhiko Bescheid und du übernimmst Conan. Dann kannst du das Ganze so darstellen, als ob das deine Idee gewesen wäre…“ Das rotblonde Mädchen sah die kleine Ayumi förmlich vor sich stehen, wie sie rot bis unter den Haarwurzeln wurde. „W-wirklich? Darf ich das?“ Ihre Stimme klang aufgeregt, ein Hauch von Freude und Nervosität schwang in ihr mit. „Klar! Sag ihm, wir holen ihn um halb sieben ab. Lass dich nur nicht abwimmeln! Wir sehen uns, ich freu mich schon!“ „Danke!“, Ayumi lachte fröhlich. „Danke, Ai! Vielen lieben Dank!“ „Nichts zu danken, Ayumi. Bis heut Abend!“ Damit legte Ai auf und seufzte tief. Dann wählte sie die Nummern von Genta und Mitsuhiko und überbrachte ihnen die freudige Nachricht des Kinobesuchs. Als sie endlich fertig war, ließ sie sich erschöpft in den Stuhl zurücksinken. Mit Ayumis Gefühlen für Conan zu spielen und sie derart auszunützen, behagte ihr ganz und gar nicht. Ayumi war ein süßes Mädchen, und es tat ihr Leid, dass sie sich, genauso wie eine gewisse andere Person, die ihr nur allzu bekannt war, in eine Schwärmerei für einen Jungen verrannt hatte, der so was von außerhalb ihrer Reichweite war. Es tat ihr wirklich Leid. Sollte Conan wirklich wieder zu Shinichi werden, und er damit aus Ayumis Leben verschwinden, würde das wohl einer Katastrophe gleichkommen, und Ai schauderte vor dem Tag, an dem das der Fall sein würde - denn egal, ob sie die Kinder jemals einweihten - der Abschied würde nicht leicht werden. Leider hatte sie keine Wahl, als Ayumi in diesem Fall als Helfershelfer zu benützen - Shinichi würde sich von ihr selber nie im Leben überreden lassen; fragte Ai ihn selbst, roch er den Braten sofort, wo doch der Kinobesuch genau auf die Premierenfeier fiel. Auch wenn er wohl nicht gleich alles, das hieß, den absolut absurden, gefährlichen, irrwitzigen Plan seiner großen Liebe, herausfinden würde, würde er doch skeptisch und misstrauisch werden und am Ende sogar selber auf diese verfluchte Feier gehen. Fragte Ayumi ihn, und erklärte ihm, dass sie den Einfall gehabt hatte, würde er nicht nein sagen können. Er hatte ohnehin schon ein ziemlich schlechtes Gewissen wegen ihrer unbedarften Schwärmerei für ihn. Ihr zuliebe würde er mitgehen. Und- er würde, selbst wenn er misstrauisch wurde, nicht einfach abhauen können. Ai hatte mit Agasa und den Kindern vier Helfer, die Conan ganz bestimmt nicht aus den Augen lassen würden. Er hatte keine Chance. Shinichi mit Hilfe des Kinobesuchs, der sich parallel zur Premierenfeier im Tokioter Stadttheater abspielen würde, abzulenken und aus dem Verkehr zu ziehen, gefiel ihr noch viel weniger, als die Art und Weise, wie und mit wessen Hilfe sie ihn aus dem Verkehr zog. Warum tat sie das? Er würde sie hassen, hassen und verachten, wenn Ran was passierte. Er würde wohl allein deswegen schon ausrasten, wenn Rans ‚Plan zur Wiederherstellung des richtigen Verhältnisses’ aufging. Ai schluckte. Wenn er je davon erfuhr... und das würde er, dessen war sie sich sicher... Dann war es wohl aus. Wie war das, Herr Kudô? Ich und nobel? Nein, Sie haben sich wohl geirrt… Meine Seele ist schon lange viel zu schwarz, um nobel zu sein… Heute war wohl der letzte Tag ihrer Freundschaft mit Shinichi Kudô. Sie wischte sich mit zitternden Händen übers Gesicht. „Ich denke immer noch, dass diese Idee unvernünftig ist. Verrückt. Töricht. Gefährlich. Sie weiß doch gar nicht, was sie tut. Sie spielt mit dem Feuer…“, murmelte Agasa. „Tun wir das nicht alle?“ Ai schaute ihn hilflos an. Punkt halb sieben Uhr fuhr der gelbe Käfer von Professor Agasa bei den Môris vor. Er gab sich zwar heiter, aber in einem Moment, in dem er sich unbeobachtet fühlte, sah Ai ihm an, dass ihm nicht wohl war. Dass er sich Sorgen machte, dass sie seine Pläne für den heutigen Abend durchkreuzt hatten. Nun- er war sich noch nicht sicher gewesen, ob er gehen wollte, die Entscheidung hatten sie ihm nun abgenommen. Aber allein das schien es nicht zu sein, was ihn beschäftigte. Er ahnte wohl etwas, wenn sie den Blick, den er Ran zuwarf, richtig deutete. Sie fing sich einen warnenden Blick von Ran ein, und schluckte, dann zog sie ihn ins Auto. Er sah sie nur an. Sie wich dem Blick aus seinen unergründlichen Augen aus. Es kam ihr vor, als würde er versuchen, ihre Gedanken zu lesen. Er war einfach viel zu gut in seinem Metier. Ran winkte ihnen gutgelaunt hinterher, dann ging sie zurück in die Wohnung. Es wurde Zeit, dass sie sich fertig machte. Leider hatte Sonoko sich gemeldet und sie dazu gedrängt, mit ihr Essen zu gehen, weil sie mit ihr unbedingt über etwas Wichtiges reden wollte. Pflichtbewusste Freundin, die sie war, hatte Ran sich breitschlagen lassen- dann würde sie sich wohl etwas verspäten, aber das war vielleicht gar nicht schlecht. Mit etwas Glück würde sie sich auf die Feier schleichen können, ohne dass sie die gefälschte Karte – die zwar jetzt wirklich echt aussah - überhaupt erst herzeigen musste. Mit diesen Überlegungen stand sie also vor dem Spiegel im Badezimmer und machte sich zurecht. Ungefähr eine halbe Stunde später klingelte es an der Wohnungstür- Sonoko war gekommen, um sie abzuholen. Sie schlenderten los, unterhielten sich über Belanglosigkeiten wie das Wetter, über die Jungs in der Schule, über die Mädchen in der Schule, über Lehrer und berühmte Sänger, bis sie bei einem kleinen, italienischen Restaurant angekommen waren. Als Ran ihren Mantel am Garderobenhaken auf hing, fragte sie sich zum wohl hundertsten Male, was mit Sonoko los war. Sie kam ihr so anders vor. Bedrückt, schweigsam… ängstlich, fast. Sie wusste nicht, was sie von ihr halten sollte. Den ganzen Weg über war sie schon so gewesen. Sie hatte geredet wie ein Buch, ohne wirklich was zu sagen. Gut- Sonoko redete immer wie ein Buch, und was sie dabei sagte, war oft nicht unbedingt wirklich wichtig- aber es war immer für Sonoko wichtig gewesen, und dadurch war es auch für Ran wichtig geworden. Das, was sie gerade auf dem Weg beredet hatten, war in keinster Weise wichtig für irgendeine von ihnen gewesen. Es war nur der verzweifelte Versuch gewesen, ein Gespräch im Gang zu halten, damit die Stille, die ansonsten einsetzen würde, sie nicht erdrückte. Irgendetwas war da doch im Busch. Sie setzte sich ihrer Freundin gegenüber an den kleinen Tisch in der Ecke, den die blonde junge Frau ausgewählt hatte, sagte dem Kellner, der gerade herbeigeeilt war, ihre Bestellung und schaute sie durchdringend an. Schließlich seufzte sie. „Was ist los, Sonoko?“ Ihre Freundin, die bis dahin höchst interessiert ihre perfekt manikürten Fingernägel betrachtet hatte, schreckte hoch. „N-nichts… was soll sein?“ Ran schüttelte tadelnd den Kopf. „Du bestellst mich hierher, weil du mir etwas Wichtiges sagen willst, aber anstatt mit der Sprache endlich herauszurücken, schweigst du mich an oder redest über das Wetter. Was ist los?“ Sonoko wurde rot. „Ich…“ „Ja?“ „Weißt du, Ran, ich…“ „Nein, weiß ich nicht, Sonoko…“ Ran stöhnte leise auf. Langsam wurde sie ungeduldig. „Ich weiß nicht, wie ich sagen soll…“ „Sonoko.“ Die blonde Oberschülerin blickte sie fragend, scheu an. „Hm?“ „Sags einfach.“ Ran schaute sie milde lächelnd an. „Ja?“ „Ja!“ „Also schön…“ Sonoko schluckte schwer. „Ich… es geht um Conan.“ Sie seufzte vernehmlich. „Um Conan?“, hakte Ran mit hochgezogenen Augenbrauen nach. „Ja.“ Sonoko nickte bestimmt. „Ich denke, Ran, dass er nicht der ist, der er zu sein scheint. Irgendetwas stimmt nicht mit dem Kerl, ich weiß nur nicht, was.“ Ran schluckte. Ach du gute Güte- genau das konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Offensichtlich ahnte Sonoko etwas; oder? Jetzt war guter Rat teuer. Sie geriet ins Schwitzen. „Was- was meinst du damit?“ „Na, er benimmt sich nicht wie ein kleines Kind!“, brauste Sonoko nun auf. Dass Ran jetzt die Unwissende spielte, ging ihr gar nicht ein. Warum das denn? Warum tat sie das? „Gerade in Gesellschaft mit seinen Freunden fällt mir immer wieder auf, wie wenig kindlich er ist. Er benimmt sich zu erwachsen, er ist zu intelligent für ein Kind, er denkt zu…“ Sie suchte nach Worten. „…zu?“, hakte Ran nach, um auch einen Beitrag zu diesem höchst ungemütlichen Gespräch zu leisten. „…zu logisch. Zu erwachsen, eben. Er erkennt Zusammenhänge, die ich nicht sehe. Er weiß Dinge, von denen er keine Ahnung haben dürfte. Er denkt wie…“ „…wie?“ Man merkte Sonoko an, wie schwer es ihr fiel, die nächsten beiden Worte zu sagen- und wie wichtig es gleichzeitig für sie war, ihre Bedenken nun endlich auszusprechen. „…wie Shinichi.“ Ran spuckte ihr Mineralwasser, das der Kellner gerade gebracht hatte, und von dem sie gerade einen Schluck getrunken hatte, über den Tisch und hustete. Sonoko, nicht doch! Ihre Freundin klopfte ihr umständlich auf den Rücken und reichte ihr eine Serviette. Ran standen Tränen in den Augen und das Wasser tropfte ihr sogar noch aus der Nase. Vorsichtig, um ihr Make-up nicht zu ruinieren, brachte sie ihr Gesicht wieder in Ordnung - dann hatte sie sich wieder im Griff. „Ich meine, kommt dir der Vergleich nicht auch manchmal in den Sinn?“, fuhr Sonoko fort. „Äh…“, begann Ran, kam allerdings nicht weiter. „Ich meine, die ganzen Fälle, in die er seine Nase steckt, die ganzen Bemerkungen die er fallen lässt, und ich hab mir letztens mal ein altes Kinderfoto von euch beiden angesehen, und Shinichi sah aus wie Conan! Ich meine, bei diesen seltsamen Haaren kam mir der Gedanke ja schon oft, aber die beiden sehen sich wirklich, wirklich ähnlich! Wie aus dem Gesicht geschnitten! Nur ohne Brille!“ Sonoko schaute ihre Freundin gleichermaßen verwirrt und erwartungsvoll an, rutschte kurz zurück, damit der Kellner ihr ihre Pizza servieren konnte. Ran ihrerseits bezahlte ihr Essen, das der Kellner ihr gerade gebracht hatte, trotz Sonokos verwundertem Blick, gleich. Dann nahm sie ihr Besteck und drehte mit der Gabel ein paar ihrer Spaghetti auf, steckte sie in den Mund und kaute bedächtig, um sich etwas Zeit zu verschaffen. Die Lage war brenzlig. Sonoko anzulügen behagte ihr zwar gar nicht, aber ihr Recht zu geben wäre verheerend. Oder? Sie wusste es nicht einzuschätzen. Und sie wollte zuerst seine Meinung hören, bevor sie etwas unternahm. Komisch, dachte sie- verglichen zu dem, was sie heute noch vorhatte, war Sonoko zu sagen, wer er war, doch eigentlich ein Klacks. Aber da bekam sie auf einmal Skrupel. „Die Pasta ist köstlich!“, meinte sie dann, in der Hoffnung, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Der Versuch scheiterte kläglich. „Ran! Ich hätte gerne deine Meinung gewusst…! Das kann dir doch nicht entgangen sein…?“ Sonoko ließ, nun, da sie einmal angefangen hatte, nicht locker. Ran schluckte den zweiten Bissen hinunter. „Sonoko, ich komm gleich wieder. Ich muss mal kurz für kleine Mädchen…“, meinte sie, dann stand sie auf. Sonoko starrte sie verständnislos an, nickte dann aber. Sie ging in Richtung der Toiletten - dann schlich sie sich vorsichtig, Sonoko, die sich ein Bild an der Wand anschaute und an einem Stück Pizza kaute, nicht aus dem Auge lassend, zur Garderobe. Für das, was sie jetzt tat, hasste sie sich. Einfach zu gehen… Sie nahm den Mantel vom Haken, gratulierte sich zu ihrer Umsicht, die kleine Handtasche an dem langen, dünnen Trageriemen, die sie dabeihatte, vorhin bei Tisch nicht abgenommen zu haben, und tauchte ein in die dunkle Nachtluft. Entschuldige Sonoko… aber ich kann diese Entscheidung nicht alleine treffen. Und ich weiß nicht, ob du mit der Wahrheit umgehen kannst… Sie ging zügig durch die nur spärlich erhellten Straßen Tokios. Endlich tauchte das festlich beleuchtete Gelände des Stadttheaters vor ihr auf. Wie sie sich gedacht hatte, war die Premierenfeier schon in vollem Gange. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie die gefälschte Karte herzeigte - der Türsteher warf nur einen kurzen Blick darauf und winkte sie durch. Das Dämmerlicht hatte wohl ebenfalls seinen Beitrag zu Agasas exorbitanten Fälscherkünsten geleistet. Im Foyer nahm ihr ein zuvorkommender Portier ihren Mantel ab und drückte ihr eine Garderobenmarke in die Hand. Am Eingang zum Festsaal stand der Platzanweiser. Ran schluckte, merkte wie ihre Hände feucht und kalt wurden. Dann zog sie ihre gefälschte Karte erneut aus ihrer Handtasche, hielt sie dem Mann in roter Livree hin. Der warf einen Blick drauf - und auf seinem Blick breitete sich Erstaunen aus. Ran fing an zu zittern. Bestimmt würde man sie gleich rausschmeißen. Es hatte ja so kommen müssen. Sie hätte es wissen müssen. „Sie dürfen sich einen Platz in der zweiten Reihe aussuchen, Miss.“ Er lächelte sie freundlich an. Sie lächelte zaghaft zurück. „Wissen Sie, ich warte schon den ganzen Abend, mal eine solche Karte zu sehen, mein Kollege hatte schon fünf!“ Ran brach fast zusammen, starrte den Platzanweiser mit offenem Mund an. Er nickte zu einem blonden, jungen Mann hinüber, der die gleiche Uniform wie er trug. „Sie haben wohl bei dem Preisausschreiben gewonnen, das die Produktionsfirma zusammen mit der offiziellen Fanhomepage von Chris Vineyard veranstaltet hat!“ Ran nickte automatisch. Ihr Herz raste. „Miss, Sie dürfen sich den Film exklusiv in der Reihe hinter den Schauspielern ansehen. Das war das besondere Extra, das noch versprochen wurde, sie erinnern sich doch?“ Ran nickte erneut, nun etwas enthusiastischer, versuchte so auszusehen, als wäre ihr das nicht neu. Er notierte etwas auf seinem Klemmbrett. „Herzlichen Glückwunsch! Genießen Sie den Film!“ Er öffnete die Tür für sie und ließ sie ein. Ran ging mit schlotternden Knien in den Festsaal, nahm dankend ein Glas Wein an, das ihr ein Kellner reichte und ließ sich zuerst einmal gegen die Wand sinken, wartete, bis ihr Puls wieder etwas niedriger war, sich der Schock verflüchtigte. Preisausschreiben?! Hatte Shinichi bei einem Preissauschreiben mitgemacht? Unmöglich. Der war beim Anblick des Filmplakats doch aus allen Wolken gefallen. Ran war sich sicher, Chris Vineyard hatte dafür gesorgt, dass er eine Einladung bekam. Die Frau war sich bestimmt sicher gewesen, dass er kommen würde, wenn ihr Name in der Einladung stand. Wenn der Brief von Vermouth kam, konnte sie sich zu neunundneunzig Prozent sicher sein, dass er ihrem Ruf folgen würde- weil allein der Name ankündigte, dass es etwas mit der Organisation zu tun hatte. Ran war sich sicher, dass er heute auch gekommen wäre - hätte sie ihn nicht ausgebremst. Und um nicht aufzufallen, hatte sie daraus ein Preisausschreiben gemacht, eine Karte abgezweigt und ihm zukommen lassen. Wahrscheinlich hatte sie in seinem Namen mitgemacht. Was würde passieren, wenn sie statt ihm sie hier sah? Aber warum so kompliziert? Warum hatte sie den Namen nicht wieder auf das Kuvert geschrieben? Die Antwort folgte auf dem Fuße. Weil so gut wie kein Mensch dem Kontrolleur bei einer Premierenfeier das Kuvert zeigte. Man zeigte immer die Einladungskarte selber her. Und es fiel sehr viel mehr auf, wenn nur einer eine Karte mit Vermouth als Unterschrift bekam - da war es wirklich geschickt gewesen, ein Preisausschreiben daraus zumachen. Sie wollte sicher gehen, dass er kam. Sich den Film ansah… Warum? Ran nippte an ihrem Wein und stutzte. Dann realisierte sie, dass das, was sie in der Hand hielt, gar kein normaler Wein war. Es schmeckte süß und bitter. Sie hielt es von sich weg, schaute die Flüssigkeit an, schwenkte das Glas leicht. Es war bis zur Hälfte gefüllt mit Wermut. Sie verzog das Gesicht, bei dem Gedanken, was das für ein makabrer Scherz war. Sie schaute sich um, sah einen Stand mit Filmprogrammen und ging hin, ließ sich von der Frau, die dort arbeitete, eins in die Hand drücken, verzog sich damit in eine Ecke. Da wurde ihr auch prompt die Erklärung für diesen Running Gag geliefert - die Bedeutung des Aperitifs und der Karte; es war ganz einfach. Die Mörderin in diesem Spielfilm tötete ihre Opfer mit Gift- gelöst in einem Gläschen Wermut. Ran grinste sarkastisch. Wie nett. Daher wohl auch die Unterschrift- es war der Codename der Frau im Film. Da keiner wusste, wer die Mörderin war, hatte ihr die Filmkriminalpolizei den Namen ‚die Wermutmörderin’ verpasst. Der Filmfigur hatte das anscheinend so gut gefallen, dass sie nach jedem Mord einen Gruß von Vermouth hinterließ. Wermut auf Englisch - Vermouth. Deswegen auch der Gruß auf der Einladungskarte. Die Unterschrift war das Lösungswort des Preisausschreibens gewesen, zweifellos. Im Programm wurde Chris außerdem als Mitproduzentin aufgeführt- also wurde hiermit auch klar, woher diese Namensgleichheit kam. Als Produzentin hatte sie viel mehr Mitspracherecht an Drehbüchern, Skripten und Castings, als wenn sie nur als Schauspielerin mitwirkte. Offenbar wollte sie ihn auf etwas aufmerksam machen? Aber das… das war… wirklich makaber. Sie glaubte wohl, ihr konnte keiner etwas anhaben, so offen aufzutreten, ihren Codenamen bei der Organisation einfach so zu verwenden… das zeugte von einer Selbstsicherheit, von einer Arroganz, die nicht mehr zu schlagen war. Was bezweckte sie damit? Ran atmete durch, faltete die Broschüre, stopfte sie sich in ihre Tasche und begann, sich umzusehen. Es war wirklich beeindruckend, was und wen sie hier zu sehen bekam. Mehr oder weniger berühmte Schauspieler, bekannte Sänger, die offenbar am Soundtrack mitgearbeitet hatten, Leute aus Rundfunk, Fernsehen und Presse… Als Leinwand war auf der Bühne ein großes Leinentuch aufgespannt worden, auf das der Film projiziert werden würde. An den Seiten waren verschiedene Buffets aufgebaut, mit verschiedenen europäischen und asiatischen Gerichten. Aus den Lautsprechern sprudelte leise Musik, die elektrischen Kerzen der vier Kronleuchter tauchte die Szene in sanftes, gelbliches Licht. Ran nippte an ihrem Getränk und stieg die Treppe neben den Rängen hinab, ließ ihren Blick zu den Logen in der Galerie schweifen. Ihre Augen suchten eine Person. Chris Vineyard. Sonoko stocherte lustlos in ihrer Pizza herum. Ran war jetzt schon eine halbe Ewigkeit weg, langsam kam ihr das ganze etwas komisch vor. Sie stand auf und machte sich auf den Weg zur Damentoilette. Sie war leer. Alle Kabinen- absolut leer. Sonoko verzog die Augen zu Schlitzen. Ran…? Einer Ahnung folgend ging sie zur Garderobe, suchte, wühlte in den Jacken, bis ein Kellner sie ansprach. „Suchen Sie etwas, Signorina?“ Sonoko blinzelte etwas perplex, bevor sie ihre Sprache wieder fand. Der Kellner schaute sie freundlich an und wartete. „Tja.“, meinte Sonoko dann. „Nicht etwas, sondern jemanden. Haben Sie zufällig eine junge Frau gesehen, in meinem Alter, mit langen braunen Haaren? Sie trug ein rotes, knielanges Kleid, ihr Mantel war beigefarben, mit Kunstpelz am Kragen…“ „Si, Signorina. Die junge Frau, die Sie beschreiben, hat unser Lokal vor etwa einer Viertelstunde verlassen. Sie fiel mir auf, weil sie so angestrengt in eine Richtung geschaut hat, als sie zur Garderobe ging…“ Sonoko seufzte auf. Ärger kochte in ihr hoch. Ran? Was hast du vor? Was soll das? „Könnte ich bezahlen, bitte?“, wandte sie sich dann an den jungen Italiener. „Si, Signorina. Wie Sie wünschen. Ich bin in ein paar Augenblicken bei Ihnen.“ Sonoko nickte und suchte sich ihren Weg zu ihrem Tisch. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Deshalb hatte Ran also gleich nach Eintreffen ihrer Bestellung bezahlt. Damit sie gleich abhauen konnte - aber wo wollte sie hin? Was hatte sie vor? Steckte etwa Shinichi dahinter? Oder Conan? Oder… beide? Im Kino fing der Film gerade an. Ayumi und Ai saßen jeweils rechts und links von ihm, daneben Genta und Mitsuhiko. Sie hatten ihn eingekeilt. Egal in welche Richtung er gehen wollte, es waren immer zwei an seiner Seite, über die er klettern musste. Auf einer Seite sogar drei, wenn man den Professor mitzählte. Conan drehte den Kopf und warf einen Blick auf den alten Mann. Es war auffällig, wie oft und intensiv er zu ihm herüberstarrte. Und jedes Mal, wenn er zu ihm hinsah, wandte er sofort den Kopf ab. Ai hingegen benahm sie wie ein Eiszapfen. Sie schien sich schon fast dazu zu zwingen, geradeaus zu schauen, auf die Leinwand, wo bis gerade eben noch die Werbung zu sehen war. Jetzt lief der Film an. Ein Schauer lief ihm über den Rücken als sie ihren ersten Auftritt hatte, Sharon, viel zu jung, genauso wie er- und ihre Rolle zu spielen begann. Ihr ganzes Leben bestand darin, Rollen zu spielen. Die Rolle der besten Freundin, die Rolle der trauernden Ehefrau, die Rolle der resignierten Mutter, die ganzen Filmrollen, Theaterrollen, die sie hatte, und - die Rolle der eiskalten Mörderin. Wer von diesen Figuren war sie wirklich? Oder war sie eigentlich jemand ganz anderes? Was trieb sie dazu? Warum war sie so jung? Warum inszenierte sie ihren Tod? Warum die Sache mit Jodies Eltern? Die Nacht damals, als Jodie angeschossen wurde, war sehr informativ gewesen… aber sich einen Reim daraus machen zu können, würde wohl noch etwas dauern. Er hätte sich nicht überreden lassen sollen von Ayumi. Was machte er hier? Conan wollte weg. Allerdings - er schaute noch mal nach links und rechts – konnte er das wohl vergessen. Nichtsdestotrotz spürte er, dass er hier nicht sein sollte. Unruhig begann er, in seiner Popcorntüte zu kramen. Gedankenverloren stopfte er sich eine Handvoll Popcorn in den Mund und kam nicht umhin zu spüren, dass er hier im falschen Film war. Und zwar wörtlich. Ai warf ihm einen Blick zu. In seinen Augen spiegelte sich die Kinoleinwand, reflektierte sich Sharon Vineyards Gesicht. Das sanfte Leuchten der Leinwand tauchte sein Gesicht in bleiches Licht, ließ ihn leichenhaft blass erscheinen. Und obwohl ansonsten nichts seine Anspannung verriet, wusste sie, allein aus der Beobachtung des monotonen Popcorn-in-sich-Hineinstopfens, das er gerade veranstaltete, dass er sich hier höchst unwohl fühlte. Er ahnte wohl, ohne zu wissen woher, dass sich seine Freundin für ihn in Gefahr begab. Ai seufzte tief, versuchte, das ungute Gefühl in der Magengegend zu unterdrücken. Sie hatte Angst, panische Angst um Ran, die für sie wie eine Art große Schwester geworden war. Hatte Angst vor dem, was er tun würde, wenn ihr was zustieß. Fühlte sich schlecht, hundsmiserabel, für das, was sie ihm gerade antat, weil sie ihn so schamlos anlog, hinterging, sein Vertrauen, sein mühsam gewonnenes Vertrauen, so ausnutzte. Ran unterdessen hatte gefunden, wen sie suchte. Sie saß wider Erwarten nicht in einer Loge, nein, sondern vorne, in der ersten Reihe. Der Kontrolleur hatte zwar angekündigt, dass dort die Schauspieler sitzen würden, aber sie hätte für den Star des Abends doch erwartet, dass er hoch über allen anderen thronte. Wie ein Stern am Himmel… Die Stühle waren, wie sie feststellte, ziemlich ungewöhnlich; es handelte sich hier nicht um die gewöhnlichen Klappsessel, die sie aus dem Theater oder dem Kino kannte, nein, hier bestanden die Sitzgelegenheiten aus gepolsterten Holzstühlen, deren runde Rückenlehnen nicht durchgängig waren. Sie stützten hauptsächlich den oberen Rückenbereich, waren zwischen Sitzfläche und eigentlicher Lehne offen. Schöne, bequeme Stühle... Und auf einem davon saß sie. Ran, die fast im rechten Winkel und relativ nah zur ersten Reihe stand, konnte sie genau beobachten, sah die Frau fast im Profil. Sie trug ein schwarzes, gewagt ausgeschnittenes, schulterfreies Etuikleid mit einem breiten Gürtel, ihre Lippen feuerrot geschminkt und gab im Sitzen, mit übereinander geschlagenen Beinen, drei Reportern, die bei ihrem Anblick zusehends ins Schwitzen gerieten, ein Interview. Die Frau war eine Diva wie aus dem Lehrbuch. Unnahbar, göttlich, im wahrsten Sinne des Wortes. Gerade lachte sie gewinnend, zeigte ihre makellosen Zähne. Brauchst du einen, gibt es einen Gott? Ran schluckte. Und erst jetzt schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, den sie vorhin zwar angerissen, aber nicht weiter verfolgt hatte. Ihr wurde siedendheiß, und doch merkte sie, wie ihre Finger blau anliefen. Was, wenn Chris sie sah? Sie erwartete Shinichi, nicht sie… Was… Ran schluckte. Sie hatte nur eine Wahl. Warten, bis sie so sehr mit dem Film beschäftigt sein würde, dass sie sich nicht umdrehte. Erst zu ihrem Platz gehen, wenn der Saal dunkel wurde. Und sich bis dahin irgendwo verstecken. Sie sah sich um, fand eine Säule in ihrer Nähe und stellte sich dahinter, allerdings so, dass sie noch ein wenig daran vorbeischauen konnte, Chris Vineyard unauffällig im Blickfeld behielt. Ran zitterte, blieb stehen und wartete. Sie wollte erst nach vorne gehen, wenn der Film schon fast anfing - ihren Sitzplatz hatte sie ja sicher. Also stand sie da, versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Ihre Nervosität zu überspielen. Und wartete. Wartete. Und beobachtete. Keine Bewegung, keine Geste entging ihr. Sharon… Ihre Haare wallten in weichen Wellen über ihre nackten Schultern auf ihren Rücken, fingen das Licht der Kronleuchter und glänzten brillant wie gesponnenes Gold. Ab und an drehte sie suchend den Kopf - Ran war klar, nach wem sie Ausschau hielt. Was nur wollte sie von ihm? Rechts neben ihr stand ihre Handtasche auf einem freien Sitz, ein kleines, fast quadratisches Täschchen aus schwarzem Lackleder. Gerade als Ran überlegte, ob sich eventuell das Gift darin befinden könnte, erregte eine andere Bewegung Rans Aufmerksamkeit. Ein hochgewachsener, schlanker Mann mit langen, blonden, fast weißen Haaren näherte sich, setzte sich neben Chris Vineyard. Er trug einen schwarzen Anzug und einen schwarzen, tief ins Gesicht gezogenen Hut. Ran fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Eimer Eiswürfel in den Magen gekippt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)