Der Elfenkönig von myrys84 ================================================================================ Kapitel 6: Kapitel VI - Die Macht des weißen Drachen ---------------------------------------------------- Halli hallo zusammen, ich begrüße euch herzlich zu einem neuen Kapitel von meinem kleinen Elfenkönig. Dazu muss ich gestehen, weil ich nur selten zum Schreiben komme, wird das wohl für längere Zeit das letzte Update bleiben, da auch mein Vorrat an im Voraus geschriebenen Seiten zu Ende geht. Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse und genießt die weiteren Entwicklungen. ^^ Liebe Grüße und viel Spaß Myrys _________________________________________________________________________________ Kapitel VI Die Macht des weißen Drachen Ryan schlief schlecht. Wilde Träume verfolgten ihn und brachten ihn um seine wohlverdiente Ruhe. Er sah die Drachen – seine Drachen – die wild fauchend und Feuer speiend über Menschen herfielen. Er wollte ihnen "Hört auf" zurufen, doch er schaffte es nicht, seine Stimme erreichte sie nicht durch das Tosen der Flammen. "Siehst du nun, was du angerichtet hast?", erklang eine vertraute Stimme hinter ihm. Als er sich umdrehte, stand da der Dunkelelf, den er schon aus seinen Träumen kannte und plötzlich fiel ihm auch sein Name wieder ein. "Rhocaen…", flüsterte er. "Sie verletzen, töten, brennen alles nieder", sagte Rhocaen leise und trat näher an Ryan heran. "Und es ist das ärmste aller Völker, über das sie Leid und Verderben bringen. Warum, frage ich dich." "Ich weiß es nicht. Ich wusste nicht einmal, dass sie das tun. Also ist es die Wahrheit, was ich gerade gesehen habe?", hakte Ryan zerknirscht nach. Rhocaen nickte nur. "Warum sagt mir das keiner?", fragte der Drachenreiter fassungslos. "Ich dachte, ich sei ihr Herr. Also sollte ich das wissen, oder?" "Vermutlich, um dich nicht zu beunruhigen", erklärte Rhocaen. "Also, hast du eine Ahnung, was sie suchen?" "Suchen? Was sollen sie denn suchen? Woher soll ich das wissen? Ohne Nifredil wüsste ich nicht einmal, dass ich überhaupt jemals Kontakt mit ihnen gehabt hätte." "Sowas dachte ich mir schon", seufzte der Dunkelelf. "Hör zu, ich habe nicht genug Zeit, es dir zu erklären, aber sie müssen aufhören. Wenn nicht, hat der Dunkle Gott im Süden leichtes Spiel. Die wenigen Sûr, die noch überleben, werden sich ihm anschließen. Das muss ein Ende haben, verstehst du?" "Aber wie? Wie soll ich das machen? Ich kann mich nicht daran erinnern, was geschah, als Shauk kam. Wie soll ich da mit ihnen Kontakt aufnehmen? Und dann, soll ich ihnen einfach sagen, dass sie aufhören sollen? Vielleicht war es ja tatsächlich mein Befehl… Ach, Rhocaen, ich weiß gar nichts mehr." "Du bist ihr Herr. Du wirst einen Weg finden, da bin ich ganz sicher. Ich muss mich jetzt von dir verabschieden, Herr der Drachen. Meine Zeit bei dir ist um. Bis dann." Rhocaen drehte sich um und ging. "Warte doch mal kurz!", rief ihm Ryan hinterher. Tatsächlich drehte sich der Dunkelelf noch einmal zu ihm um und blickte ihn fragend an. "Du hast die Lösung zu dem Rätsel, nicht wahr? Du weißt mehr, als du mir sagst, ist es nicht so?" Rhocaen lächelte nur. Im nächsten Moment war er verschwunden. "Mann, ich hoffe, dass mir der Typ nie in der Realität über den Weg läuft, sonst bring ich ihn um", murmelte Ryan verstimmt. Er erwachte mit Kopfschmerzen. Seufzend rieb er sich die Schläfen und kämpfte sich müde hoch. Die Sonne schien schon in voller Pracht durch das Fenster seines Schlafgemachs. Aber was war das denn? Vor dem blauen Hintergrund des Himmels stand jemand. "Und, ausgeschlafen?", fragte eine fröhliche Stimme. "Nifredil? Was machst du denn hier?", rief Ryan überrascht. "Ich komme, um dich zu retten", lächelte der Elf. "Muss ich das jetzt verstehen?", wollte der Mann wissen und schob sich eine vorwitzige Locke aus der Stirn. "Na ja, zum Einen finde ich, dass ich dich in letzter Zeit wirklich etwas vernachlässigt habe und zum Anderen, Mahon wird dich in den nächsten Wochen ziemlich schinden, deswegen hab ich mir gesagt, dass du noch einen freien Tag brauchst und den darfst du mit mir verbringen. Wenn du magst, natürlich", erklärte der Blonde. "Wie kommst du überhaupt hier rein?" "Über den Balkon, durchs Fenster und rein. Gar kein Problem." "Ach so. Moment noch, ich muss mir nur eben was Anständiges anziehen", meinte Ryan und verschwand im Nebenraum. Soso, Nifredil wollte also den Tag mit ihm verbringen. Sehr schön. Schell schlüpfte er in seine Kleider und seine Stiefel und kämmte sein Haar. Dann kaute er eines der Blätter, die ihm Nifredil gegeben hatte und die wie Zahnpasta schmeckten und ebendiese Funktion erfüllten. Als er zurückkam, saß der Elf auf seinem Bett und lächelte ihn an. Vor seinem inneren Auge stiegen Bilder auf, in denen er jetzt zu ihm ging, ihn aufs Bett schob und mindestens leidenschaftlich küsste. Aber er verbot sich, weiter zu denken, denn dann hätte er seine Gedanken wohl nicht mehr verstecken können. "Und, bist du bereit?", fragte Nifredil gut gelaunt. "Bereit wofür genau?", erkundigte sich Ryan. "Wir machen einen kleinen Ausflug. Aber wir müssen vorsichtig sein, es weiß nämlich niemand davon." Er stand auf, nahm Ryan bei der Hand und führte ihn auf den Balkon. Von dort aus führte ein kleiner Mauervorsprung unter den Fenstern entlang zu einem großen Baum. Ohne groß nachzudenken kletterte der Elf auf den Vorsprung, balancierte vorsichtig an ihm entlang bis zu einem starken Ast des Baumes und hangelte sich auf diesen. Von dort aus kletterte er in die Krone und kam kurze Zeit später unten auf dem Boden an. "Na los, komm schon!", rief er hinauf. "Mahon kommt gleich! Wenn er feststellt, dass du weg bist, dann kriegst du Ärger!" Ryan schluckte. War der Kerl eine Katze? Na ja, Augen zu und durch. Vorsichtig kraxelte er auf den Vorsprung und hangelte sich mit beiden Händen an der Wand entlang. Am Baum angekommen kostete es ihn einige Überwindung, den Ast zu ergreifen. Hinter sich hörte er Mahons Stimme, die rief: "Ryan, wo bist du?" 'Okay, jetzt oder nie', sagte er sich. "Komm schon, beeil dich!", rief Nifredil. Im nächsten Moment hatte er den Ast in der Hand und schwang sich in die Baumkrone. Gut, auf Bäume klettern und auch von ihnen wieder runterkommen konnte er. Im Garten seiner Großeltern hatten riesige Apfelbäume gestanden, also kein Problem. Schnell wie der Blitz war er unten bei Nifredil, der, bereits einen Korb in der Hand haltend, dastand und auf ihn wartete. "Los, komm", sagte der Blonde und zog ihn mit sich. Sie liefen schnell, jedoch schien Nifredil zu befürchten, dass Mahon sie vom Balkon aus sehen konnte, deswegen hielt er bei der nächsten Mauernische inne, schaute zurück und schob Ryan hinein. Es war sehr eng und Ryan spürte den heißen Atem des Elfen an seinem Hals, dessen warme Hände auf seiner Brust. Verstohlen lugte Nifredil an ihm vorbei und an der schräg gegenüberliegenden Wand, wo Ryans Zimmer lag, hinauf und atmete auf. "Gut, er ist gegangen", sagte er schließlich. "Weiter." 'Schade', dachte Ryan als der Elf sich von ihm löste, doch er zuckte nur die Achseln und folgte dem König. "Wo gehen wir eigentlich hin?", fragte er, als sie das Schloss hinter sich ließen und in den Wald jenseits der Schlossmauer eintauchten. "Ich will dir was zeigen", antwortete Nifredil nur geheimnisvoll. Er wartete kurz, bis Ryan zu ihm aufgeschlossen hatte und nahm wieder dessen Hand. 'Nanu, schmusebedürftig heute?' Durch einen kleinen Seitenblick stellte er fest, dass die Wangen des Elfen leicht gerötet waren. Nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergegangen waren, erreichten sie eine große Lichtung, auf der unzählige, etwa kniehohe Statuen standen. In der Mitte erhob sich ein kleines, weißes Gebäude, das wie eine Gruft aussah. "Wo sind wir hier?", fragte Ryan. "Auf dem Friedhof", erklärte Nifredil. "Hier ruhen die Krieger aus allen Kriegen, die jemals geführt wurden. Weißt du, normalerweise sind Elfen unsterblich. Aber im Krieg kann es durchaus passieren, dass uns ein Feind tödlich trifft. Wenn es den Überlebenden gelingt, die Leichen zu bergen, werden sie hier bestattet und eine kleine Statue des Verstorbenen aufgestellt um ihm zu gedenken." "Sind ganz schön viele", stellte der Mensch fest. "Ja. Allein mit denen, die hier liegen, könnten wir zur Festung des Feindes marschieren und sie in den Boden stampfen. Und das sind noch nicht einmal alle gefallenen Elfenkrieger. Ein großer Teil von ihnen wurde vom Feind verschleppt und in den Gefängnissen zu Tode gefoltert oder auf dem Schlachtfeld so geschändet, dass es unmöglich war, sie zu bergen, außer in Einzelteilen." "Igitt. Bitte erspar mir die Details, ja? Und das da drüben?", erkundigte sich Ryan neugierig und zeigte auf das Gebäude. "Das ist die Königsgruft. Da wollte ich hin. Weißt du, mein Vater liegt dort", erklärte Nifredil. "Oh. Und das war's, was du mir zeigen wolltest, ja?", fragte der Drachenreiter skeptisch. "Nein, eigentlich nicht. Aber es liegt auf dem Weg, deshalb." Er ließ Ryans Hand los und ging hinüber zur Gruft. Zögernd folgte ihm der junge Mann. Irgendwie hatte er so ein komisches Gefühl, was diesen Ort anging. Wie ein feindlicher Wille, der ihn daran hindern wollte, näher zu kommen. Aber das war absolut unsinnig. Oder? Nifredil war schon jahrelang nicht mehr hier gewesen. Wohl, weil die Erinnerungen an seinen Vater immer mehr verblasst waren. Bevor er Ryan geweckt hatte, hatte er noch ein paar Rosen aus dem Garten geholt, um sie auf den Sarkophag seines Vaters zu legen. Er betrat die Gruft und ging ganz nach hinten. Natürlich war sein Vater nicht der erste verstorbene König, doch mit Sicherheit einer der jüngsten unter ihnen. Vor der letzten Ruhestätte des Mannes, den er kaum gekannt hatte, hielt er inne und betrachtete nachdenklich das Gesicht, das seinen schlafenden Vater zeigte. Eine Eigenheit, die seine Mutter sich so gewünscht hatte. Sie hatte gewollt, dass man sich auch an die Schönheit ihres Gatten erinnerte. Und wenn schon einfache Soldaten eine Statue bekamen, warum dann nicht auch ihr Mann? Tatsächlich war er der einzige, dessen Grabmal die lebensgroße Statue auf dem Deckel des Sarkophags aufwies. Es hieß nämlich, dass Elfenkönige ausschließlich wegen ihrer Taten im Gedächtnis bleiben sollten und deshalb nur bescheiden beigesetzt wurden. Verhältnismäßig natürlich. Je nachdem, wie stark sie die Staatskasse heruntergewirtschaftet hatten. "Vater. Ich war lange nicht mehr hier. Verzeih mir", murmelte er und legte die Blumen, die er aus dem Korb holte, zu Füßen der schlafenden Gestalt. "Wärst du doch nur noch ein paar Jahre länger geblieben. Mutter hätte dich gebraucht. Ich hätte dich gebraucht. So kenne ich dich nicht einmal richtig…" Plötzlich spürte er eine warme Hand auf seiner Schulter. Zögernd legte er seine eigene darauf und stellte fest, dass ihn diese Geste mehr tröstete, als alles andere zuvor. "Ich weiß, wie du dich fühlst", sagte Ryan leise. "Zwar ist mein Vater nicht tot, aber verloren hab ich ihn auch. Weißt du, vielleicht ist es sogar besser, wenn jemand tot ist, aber du weißt, dass er dich geliebt hat, als dass er lebt, aber sich einen feuchten Dreck darum kümmert, ob du überhaupt existierst." "Ich weiß nicht, ob er mich geliebt hat", meinte Nifredil traurig. "Er hat es mir nie gesagt und viel hat er mich auch nicht von seiner Liebe spüren lassen." "Vielleicht konnte er nur nicht. Aus irgendwelchen Gründen. Möglicherweise war er nur nicht der Typ dafür." "Möglich…", murmelte der Elfenkönig und schwieg dann, tief in seine Gedanken versunken. "Komm, gehen wir. Sonst verlier ich noch meine gute Laune", sagte er schließlich und zog Ryan mit sich aus der Gruft hinaus. Noch bevor sie den Friedhof verließen, hatte Ryan wieder dieses Gefühl, von unfreundlichen Augen beobachtet zu werden. Wurde er langsam verrückt oder lag es nur an der merkwürdigen Stimmung, die Friedhöfe nun einmal so an sich hatten? Nach einiger Zeit lang wanderten sie erneut schweigend nebeneinander her und genossen einfach die Gegenwart des jeweils anderen. Schließlich erreichten sie einen kleinen Teich, der von einem Fluss gespeist wurde und an dem ein kleiner Wasserfall aus geringer Höhe in die Tiefe stürzte. "Ist es nicht schön hier?", fragte Nifredil und lächelte. "Ja. Wunderschön", stimmte Ryan zu. Genauso einen Ort hatte er sich immer als ideal für die Schönheit des Elfen vorgestellt. "Ich komme oft hierher. Es ist einfach so friedlich", erklärte der Elfenkönig. "Es ist ein guter Ort zum Nachdenken." Aus seinem Korb zog er eine Decke und legte diese auf den Boden. Anschließend ließ er sich darauf sinken und klopfte neben sich. "Komm, setz dich", forderte er seinen Ritter auf. "Was wird das hier? Ein Picknick oder so?", wollte dieser wissen. "Keine Ahnung, was ein Pick… was auch immer ist. Ich nenne es einfach Essen im Freien." Ein schelmisches Grinsen huschte über sein Gesicht. "Na gut, dann eben so", meinte Ryan und ließ sich neben dem blonden Elf nieder. Dieser schnappte sich wieder seinen Korb und holte zwei belegte Brote heraus. "Ich weiß nicht, welches du lieber magst", meinte er nachdenklich. Schließlich reichte er Ryan einfach eines mit etwas Fleisch und Käse. Der Drachenreiter starrte den Elfenkönig fasziniert an. Jetzt war er wieder so unbeschwert und fröhlich wie ein Kind. "Du kannst es ruhig essen, es ist nicht vergiftet", grinste der Blonde auf Grund seines Zögerns. Und wie um seine Behauptung zu unterstreichen schnappte er sich Ryans Handgelenk der Hand, in welcher er das Sandwich hielt, und biss eine Ecke ab. "Siehst du? Ist ganz harmlos und ganz lecker." Daraufhin musste Ryan laut lachen. "Du bist echt süß, Nifredil", sagte er mit Lachtränen in den Augen. Der König starrte ihn kurz verständnislos an. Dann schluckte er den Rest seines Sandwichbissens, den er gerade von seinem eigenen abgebissen hatte, hinunter und steckte einen Finger in den Mund, an welchem er mit nachdenklichem Blick kurz lutschte und ihn dann wieder herauszog. "Hm, ich finde eigentlich nicht, dass ich süß schmecke. Allenfalls ganz leicht salzig", stellte er fest. "Und überhaupt, woher willst du eigentlich wissen, ob ich süß bin oder nicht? Du weißt doch gar nicht, wie ich schmecke." Okay, das war zu viel. "Das lässt sich nachholen", raunte Ryan mit tiefer Stimme und lehnte sich zu Nifredil hinüber. Seine freie Hand legte er auf die Wange des Elfen und zog in so näher zu sich. Warum schlug sein Herz plötzlich so schnell? Zu Hause hätte er es nie zugelassen, einem Mann so nahe zu kommen. Doch bei Nifredil war das anders. Er hörte, wie der Elf scharf den Atem einzog. Im nächsten Augenblick berührten sich ganz sanft ihre Lippen. Im Gebüsch hinter ihnen knackte plötzlich etwas und die zwei fuhren auseinander. Nifredils Gesicht hatte die Farbe einer reifen Tomate angenommen. Um sich abzulenken rief er: "Wer ist da?" Ein Quieken war zu hören, allerdings keines von einem Tier. "Komm raus, ich weiß, dass du da bist", sagte der Elf, diesmal mit Respekt einflößender Stimme. Ein dunkler Haarschopf erschien. Unter diesem leuchtete den beiden Männern ein leicht gerötetes Mädchengesicht entgegen. "Dich kenne ich doch!", rief Ryan. "Du bist die Kleine, die mit mir zum Schloss geritten ist." Das Mädchen schaute schüchtern und kam schließlich aus dem Gebüsch hervor. "Komm her", forderte der König sie auf und sie leistete seinem Befehl folge. "Wie heißt du?", fragte er sie. "Lia", antwortete sie schüchtern. "Bist du uns gefolgt?", wollte er weiter wissen. Lia schüttelte den Kopf. "Nein, Herr. Ich bin einem Kaninchen nachgelaufen. Aber ich hab es hier verloren." Nifredil schaute sie durchdringend an. Da war er wieder, der Blick, den Ryan insgeheim den "Königsblick" nannte. Diese unterschwellige Autorität, die den jungen Elfen umgab. Lia sah das Ganze anscheinend ähnlich, denn sie lief zu Ryan und versteckte sich hinter ihm. "Keine Angst, er guckt nur so böse. Er beißt nicht, nicht wahr, kleiner König?", wollte Ryan sie beruhigen und grinste Nifredil an. "Natürlich nicht", antwortete dieser und schenkte dem Mädchen ein warmes Lächeln. Ryan hingegen schickte er einen "Fall-tot-um-oder-ich-helf-nach-Blick". Noch bevor sich der Ritter irgendwie herausreden konnte, veränderte sich die Atmosphäre um den Wasserfall herum. Es schien, als hörten die Vögel auf, zu singen und die Temperatur sank merklich. Die vereinzelten Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach gebrochen waren, verschwanden, so, als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. Auch das sanfte Rauschen des Wassers klang nun nur noch gedämpft. Lia klammerte sich ängstlich an Ryan. Als er sie ansah, fiel ihm auf, dass sich vor ihrem Mund kleine weiße Wölkchen bildeten, ebenso vor Nifredils und seinem eigenen. "Was passiert hier?", fragte er und wunderte sich, dass seine Stimme so verzerrt klang. "Ich weiß es nicht", antwortete der Elf beunruhigt. Er griff in den Korb und zog einen Dolch heraus. Aufmerksam sahen sie sich um, mit zum Zerreißen angespannten Nerven, jederzeit bereit, zuzuschlagen. Da fiel es Ryan auf. Dadurch, dass die Sonnenstrahlen verschwunden waren, waren auch die Schatten verschwunden. Doch aus der Richtung, aus der sie gekommen waren, fiel ein langer, schwarzer Schatten auf den Rand der Lichtung. "Nifredil, da drüben", flüsterte er. Der Elf sah hin und verstand sofort. Blankes Entsetzen erschien auf seinem Gesicht. "Ein Schatten…", murmelte er. "Ja, das seh' ich selber", gab Ryan zurück. "Was ihn wohl wirft?" "Das ist nicht das Problem", antwortete der Elfenkönig, doch er kam nicht mehr dazu, weiter zu erklären, denn der Schatten richtete sich auf, wurde größer und deutlicher. Als er seine volle Größe erreicht hatte, sah er aus wie eine große Gestalt mit einem Kapuzenumhang. Ganz deutlich waren Arme, Beine und ein Kopf zu erkennen, welcher jedoch unter der Kapuze steckte. Lange, dürre Finger griffen nach den beiden Männern und dem Mädchen aus. Lia schrie entsetzt auf. Sofort sprangen Ryan und Nifredil auf, doch die Waffe des Elfen entglitt seinen Händen, als wäre sie plötzlich glühend heiß und er hätte sich daran verbrannt. "Keine Waffe kann ihn verletzen…", jammerte er. "Ach was", meinte Ryan nur locker. "Irgendwas muss es doch geben." Todesmutig stürzte er sich auf seinen Gegner, doch es war, als würde er durch einen Schauer kalten Wassers stürzen als er durch ihn hindurch fiel. 'Scheiße', dachte er. Er drehte sich um und erstarrte mitten in der Bewegung. Der Schatten schwebte auf Lia zu und schlang sich um die Beine der Elfe. Es schien, als würde er sie komplett einwickeln wie mit einem schwarzen Spinnennetz. Nifredil schrie auf. "Lass sie los!", schrie Ryan panisch. Sofort ließ das Wesen von dem Mädchen ab und wandte sich dem blonden Elf zu. Lia sank kraftlos zusammen. Wieder einmal ging eine Veränderung mit Ryan vonstatten. Auch das Wesen schien sie zu bemerken, denn es wandte seine Aufmerksamkeit dem Drachenreiter zu. Nifredil verfolgte gebannt, was mit dem jungen Menschenmann geschah. Es war, als würde sich eine bedrohliche Aura um ihn herum aufbauen. Sie war so stark, dass man sie fast greifen konnte. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt und seine Augen hatte er geschlossen. Als er sie wieder öffnete, erschrak der Elfenkönig bis ins Mark. Sie waren gelb. Nicht nur die Iris, das ganze Auge hatte diese Farbe. Und die Pupille war nicht mehr die eines Menschen sondern die eines Reptils. Trotz des Feuers, das in ihnen brannte, waren sie eiskalt. Der tödliche Blick richtete sich auf den Schatten. Kleine Flämmchen begannen, an dem Gewand der Gestalt empor zu lecken. Ein entsetzter, spitzer Schreckensschrei stieg auf und verhallte, als die Flammen das ganze Wesen einhüllten und zu Asche verbrannten. Kaum, dass der Schatten verschwunden war, war die Sonne wieder da, die Vögel waren wieder zu hören und die Luft wurde wieder warm. Lia regte sich vorsichtig und schaute mit müden Augen auf ihren Retter. Dieser ging in die Knie. Schnell war Nifredil bei ihm, doch diesmal verlor Ryan nicht das Bewusstsein. Als er seine Augen wieder öffnete, waren sie wieder ganz normal. Sanftes, warmes Braun. "Was war das denn?", fragte er fassungslos. "Ein Schatten", erklärte der Elf. "Wo ist das Ding hin?" "Weißt du das denn nicht? Es ist in Flammen aufgegangen." Nifredil schaute ihn verwirrt an. "Ich hab was verpasst, stell ich gerade fest. Ich bin durch das Ding durchgefallen und dann bist du plötzlich neben mir." "Du kannst dich nicht erinnern?", hakte der König nach. "Nö. Hab keine Ahnung, was gerade war. Wie nanntest du das Teil? Schatten?" "Ja. Schatten sind böse Geister. Die Seelen Verstorbener, die keine Ruhe finden und deshalb rastlos durch die Welt ziehen. Sie können nicht mit gewöhnlichen Waffen verletzt werden, deshalb schart der Dunkle Herrscher sie um sich und nährt ihren Hass auf die Lebenden. Dann lässt er sie los und sie töten alles Leben, das ihren Weg kreuzt", erklärte Nifredil. "Aha. Und du sagst, der hier ist verkokelt? Einfach so?", wollte Ryan wissen. "Ja, einfach so. Na ja, nicht ganz einfach so. Es heißt, dass nur Drachenfeuer ihnen etwas anhaben kann." "Also war ein Drache hier?" "Nicht direkt." Der Elf atmete tief durch. "Du warst der Drache." "Ich?", rief der jung Mann entsetzt. "Jetzt versteh ich gar nichts mehr." "Ich auch nicht", erwiderte Nifredil. Nach ihren verkorksten Ausflug beschlossen sie, wieder ins Schloss zurückzukehren. Dort kassierten sie beide erst einmal einen riesigen Anpfiff. Nifredil von seinem Beraterstab und seiner Mutter, Ryan von Mahon. Dieser ließ es sich nicht nehmen, den Ritter in Ausbildung jetzt noch mehr zu schikanieren. Und so vergingen die zwei Wochen bis zum Antritt ihrer Reise zur Felsenburg wie im Flug. +++++ Auf der Felsenburg wanderte Prinz Kaneth im Thronsaal auf und ab. Soeben war ein Bote Dhulmars eingetroffen. Sein Angebot war nicht schlecht gewesen. Nicht mehr oder weniger als das Reich der Hochelfen. Bàn konnte unter die Herrschaft der Dunkelelfen fallen. Er war jetzt sehr gespannt, was ihm Nifredil anbieten würde. Er wollte es nicht laut vor seinem Vater aussprechen, doch er hoffte, dass der junge König das bessere Angebot machen würde. 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