Ambivalenz von Annatar ================================================================================ Kapitel 1: Yakusoku ------------------- Yakusoku - Versprechen Seine Schritte hallten auf dem Steinboden wieder, laut und unerträglich in seinen Ohren. Am liebsten hätte er sich die Hände auf diese gepresst, um es nicht länger ertragen zu müssen. Aber das ging nicht. Er hatte keine Zeit dazu. Schneller! Hetzte er sich in Gedanken. Wenn er es nicht schaffte... Er musste, verdammt noch mal, schneller rennen! Was passierte, wenn er es nicht mehr schaffte...? Er wollte es sich gar nicht erst ausmalen. Seine Schritte beschleunigten sich ein weiteres Mal, die Dunkelheit griff nach ihm, nur vereinzelt wurde die Halle erleuchtet. Das Herz schlug ihm wild gegen die Brust, sein Atem ging keuchend. In seinen Ohren hallte ein widerliches Kreischen. Dann war die Treppe erklommen. In letzter Minute öffnete sich die Tür der S-Bahn noch einmal und er lehnte sich erschöpft und nach Atem ringend an die nächstbeste Wand. Geschafft! Es war die letzte S-Bahn um diese Zeit, die noch nach Kyoto fuhr. Zumindest von diesem Kaff aus. Er hätte auf die am nächsten Morgen warten müssen, hätte er es nicht mehr rechtzeitig geschafft. Seufzend öffnete er die Tür zu einem weiteren Abteil, auch hier war es nur spärlich beleuchtet. Doch eigentlich war es Kaya ganz recht so. Das stechende Licht hätte ihn sicherlich geblendet. So setzte er sich, die Tasche glitt von seiner Schulter und er schloss die schwarz geschminkten Augen mit den künstlichen Wimpern. Er war nicht mehr dazu gekommen, sich abzuschminken, solange hatte das Fotoshooting gedauert. Er lehnte den Kopf an das Fenster, sein schwarzes Haar fiel ihm in Strähnen ins Gesicht, verschleierte den Blick auf seine ebenmäßigen Züge, die hohen Wangenknochen und die gerade Nase. Die sinnlich geschwungenen Lippen waren einen Spalt breit geöffnet. Der schwarze Mantel, den er trug, schmiegte sich an den schlanken Körper und schimmerte leicht im dämmrigen Licht. Die Mondsichel beherrschte das Himmelszelt, nur vereinzelte Sterne leuchteten ihm den Weg, da sie von einer dunklen Wolkenschicht verdeckt waren, als er sich auf seinen Weg nach Hause begab. Es war nicht mehr lange. Bald war er zu Hause! Freudige Erregung, auf das kuschelige Bett in seinem Zimmer, ließ leine Wangen erröten und seine Schritte ausgreifender werden. Er musste nur aufpassen, dass er auf den hohen Sohlen nicht ausrutschte. Schließlich waren fünfzehn Zentimeter kein Kinderspiel. Er lächelte und wandte sich nach rechts, um den Weg durch den Park zunehmen. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es bereits halb zwölf war. Hatten sie denn unbedingt Fotos mit einem Sonnenuntergang machen müssen? Er schüttelte leicht den Kopf, sah dabei wie sein Atem in kleine weiße Wölkchen gewandelt wurde und eine leichte Gänsehaut zog sich über seinen Rücken, als ein kühler Windstoß ihm die Haare aus dem Gesicht fegte. Sein Blick glitt durch die Finsternis, über die Bete und all die Bäume, deren Farben von der Nacht verschluckt worden waren. Es war still hier und nur ab und an hörte man ein leises Rascheln oder ein paar Äste knacken. Hastigen Schrittes ging er den Weg entlang, den er sonst nur bei Tageslicht gesehen hatte und noch nie in beinahe völliger Finsternis. In einem gleichmäßigen Takt hörte er seine Schritte auf den Kieselsteinen, doch die Sicht schien immer mehr zu verschwimmen. Nebel kroch langsam aber unaufhaltsam um seine Füße, hängte sich an die Zweige der niedrigeren Büsche und verdichtete sich mit der Zeit immer weiter zu einem grauen Netz. Alle Geräusche erstarben, kein Knacken mehr, keine Stimme eines Tieres. Es war als sei er in einer Welt gefangen, die vom Nebel beherrscht wurde, undurchsichtig und kalt und gefährlich. Ein ungutes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus und ein saurer Geschmack auf seiner Zunge, als hätte er in einen verfaulten Apfel gebissen. Mehr und mehr hatte er das Gefühl, das kalte, glühende Augen in aus der Dunkelheit um ihn beobachteten und je mehr er diese Gedanken als unsinnig und lächerlich hinstellte, desto intensiver wurden sie. Waren da nicht doch Schritte nach den seinen? Wenn er genau hinhörte... als ob jemand im selben Takt wie er liefe und man nur eine Millisekunde den anderen Schritt hörte. Dann wieder nichts. Doch die Dunkelheit schien irgendwie... stofflicher zu werden. Kaya atmete langsam ein und aus, sein Herzschlag ging ebenen so schnell wie er gegangen war, als er zur S-Bahn gerannt war. Einbildung... Das ist nur Einbildung. Wieso sollte mich jemand beobachten? Unsinnig, völlig unsinnig... Bald... bald war der Park zu ende und er würde wieder auf die Straße kommen, auf welcher wohl noch vereinzelt Leute unterwegs sein würden. Nicht mehr lange. Und dann würde er sich einen heißen Tee machen und zu Bett gehen. Genau so würde es se- Plötzlich wurde er herumgerissen. Ein erstickter Schrei floh von seinen Lippen, als sich feste Arme um seinen Körper legten. Er spürte kühlen Atem an seiner Wange. Kalte Hände zogen ihn zu sich. Und mit aufgerissenen Augen starrte er in ein Gesicht. Es war, als blickte er in einen eigenwilligen Spiegel, denn es war sein Gesicht, sein Gesicht, auf dessen Lippen sich ein feines Lächeln legte. Er wurde von seinen eigenen Augen angeblickt, Spott und Amüsement blitzten in ihnen auf. „Kaya“, flüsterten seine Lippen. Er schnappte nach Luft, doch sagen konnte er nichts. Er blickte nur weiter in dieses Gesicht, in das er eigentlich nicht hätte blicken können. Wie... wie war das möglich? Er verstand es nicht... Es... es konnte gar nicht- „Wie schön... Wie schön dich wiederzusehen.“ Seine Stimme, und doch klang sie ein wenig anders, eine Nuance dunkler. Er starrte in das tiefe Blau seiner eigenen Augen, versank in diesen dunklen Seen. „Wer bist du?“, wisperte er. Die Nacht hatte eine schwarze, samtene Decke über sie ausgebreitet und bettete sie in Finsternis. „Mein Name ist Hakai. Hast du mich so schnell vergessen...?“, fragte sein komplettes Ebenbild. Er wusste nichts darauf zu antworten. Was sollte das...? Was... „Kaya“, flüsterte sein Gegenüber zärtlich, hob seine Linke und strich ihm über die Wange. „Wir sind eins“, raunte Hakai. Eins?! Was hatte das zu bedeuten? Was wollte dieser Mann mit seinem Gesicht von ihm? Er trat einige Schritte zurück, ohne die Augen von denen des anderen zu nehmen, sein Herz pochte schnell und hart gegen seine Brust, die Luft schien in seinen Lungen zu gefrieren. Er hatte das Gefühl zu ersticken. „Keine Angst. Ich würde dir niemals Schmerzen zufügen.“ Seine Stimme klang zu weich, einschmeichelnd und doch... dennoch weckte sie eine absurde Erinnerung an Geborgenheit in Kaya. „Eins?“, hauchte er mit schwacher Stimme. „Ja“, sagte Hakai und trat wieder näher an Kaya heran. Der Blick seiner blauen Augen war stechend und schien direkt in seine Seele zu dringen. Unglaublich... Wie konnte das nur möglich sein? Ein Mann, mit seinem Gesicht, der behauptete sie seien ‚eins’... „Es ist schon spät“, begann der andere nun. „Du solltest nicht stehen bleiben. Wer weiß, wer alles um diese Uhrzeit noch hier herum läuft...“ Kaya konnte seinen Blick nicht von Hakais Augen nehmen, doch er nickte stumm. Ja... es war besser jetzt weiter zu gehen. Zögerlich wandte er sich um und setzte seinen Weg fort. Hakai folgte ihm, trat nah an ihn heran. Ihre Finger verlochten sich mit einander, und ein Lächeln zeichnete sich auf Kayas Lippen. Ein leichtes Kribbeln fuhr durch seinen Körper, als sie sich so zärtlich berührten. Grotesk, ja, sicherlich, doch dieses Gefühl der Geborgenheit... Das Gefühl, dass er diesen Mann schon seit Geburt an kannte, schlich sich wieder wie eine leise wuchernde Krankheit in sein Herz. Erneut blickte er in das blasse Gesicht seines Gegenübers, als er mit einem Mal eine schleppende Stimme hinter sich hörte. „Hey, Süße!“, kam es von etwas weiter vorne. „Warum so spät noch allein unterwegs?“ Und aus dem Nebel schälten sich die Umrisse von zwei Personen, die auf einer Parkbank saßen, lüsterne Blicke auf Kaya gerichtet, die seine hohen Absätze wohl falsch verstanden. Er pflegte es, solche Leute zu ignorieren und schnellen Schrittes an ihnen vorbei zu eilen. Einer der beiden erhob sich nun und kam mit leicht schwankenden Schritten auf ihn zu. „Wie viel nimmst du, Hure?“, fragte er mit einem dreckigen Grinsen. Hakai schenkte er nicht einen Blick, was Kaya leicht stutzig machte. „Komm schon! Wie viel willst du?!“, die Stimme des Mannes wurde ungeduldiger und seine dunklen Augen blitzten lüstern auf. Kaya wandte sich von ihm ab und beschleunigte seine Schritte. „Hey! Willst du abhauen?! So läuft das aber nicht, du dreckige, kleine Schlampe!“, stieß der Mann mit rauer Stimme aus. Kaya rannte nun beinahe, doch dann spürte er wie der Mann ihn am Arm packte und herum zog. In diesem Moment donnerte Hakais Faust in das Gesicht des Mannes. Ein widerliches Knirschen erklang und der Mann kippte schreiend nach hinten. Blut schoss aus seiner Nase. Sein Gefährte sprang auf, rannte zu ihm und blickte fassungslos Kaya hinterher, der, von Hakai bei der Hand genommen, nun schnell in Richtung Ende des Parks rannte. „Danke“, keuchte Kaya, als sie bei ihm im Wohnungsflur stehen blieben. Er rang noch immer nach Atem, Hakai hingegen schien dieser Spurt nichts ausgemacht zu haben. Ein dunkles Lächeln umspielte seine Mundwinkel, er winkte ab, dann gingen sie gemeinsam in seine Wohnung hinein. Es war düster, aber es war warm und vereinzelt drangen die Strahlen des Mondes zu ihnen hindurch, als sie sich, in die Stille des Raumes gebettet, ansahen, Blau in Blau versank und ihre Lippen sich trafen, als sei es nicht das erste Mal. „Kaya“, hörte er diese weiche, dunkle Stimme in sein Ohr flüstern. Warme Hände an seinem Körper, heiße Lippen an seiner Haut und Stoff, der leise raschelnd zu Boden glitt. „Du gehörst mir“, flüsterte Hakai. „Und ich nur dir, Kaya, nur dir. Ich habe seit jeher nur dich geliebt!“, raunte er. Danach verließen keine Worte mehr ihre Münder, denn sie gebrauchten sie nun für etwas anderes. Hitze, Hitze, leises Stöhnen, feuchte Lippen, der Körper Hakais, auf dem seinen gebettet, der Mond, getaucht in rosenrot und die Erinnerung an etwas längst Vergangenes. Etwas, an das er bis an sein Lebensende nicht mehr hatte rühren wollen. Yakusoku/Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)