Sorglospunks forever von Nifen ================================================================================ Kapitel 6: Sommer in Deutschland -------------------------------- I. Sommer in Deutschland. Ein endloser Wechsel, Jahr für Jahr, zwischen strahlendem Sonnenschein, wo alle Welt unter der Hitze litt, und endlosem Regen, so dass besonders die Bauern mit steigenden Obstpreisen drohten. Ganz zu schweigen vom Rest der Nation, der sich über durchweichte Schuhe freute, frustriert Lieder wie "Wann wird's mal wieder richtig Sommer" sang (als ob es diesen Bilderbuchsommer je gegeben hätte) und selbst die Optimisten, die den Regen freundlich als Flüssigsonne betitelten, langsam ihre notorisch gute Laune verloren. Man kann schon an der Ausführlichkeit der Regen-Sommer-Beschreibung erkennen, dass die Sorglospunks in diesem Jahr von einem solchen Sommer heimgesucht wurden. Aber vielleicht wäre ja all das noch zu ertragen gewesen, inklusive der omnipräsenten Matschspuren in Katzenpfotenform, wann immer die Frontfrau Easy der Ansicht war Kiwi bräuchte Frischluft, wäre Nifen nicht mal wieder auf einem absoluten Ace of Base-Trip gewesen. Eine musikalische Hölle, an der Bandteufel Chibichi vollkommen unschuldig war, und die aufgrund der Tatsache, dass Nifen von dieser Band stolze viereinhalb Alben besaß ausdauernder war als ihr restjährliches Weihnachtsspektakel. Denn in Punkto Weihnachtsmusik besaß die Bandmanagerin zum Glück nur drei Alben und eine Single, wobei sie selbst aber letztere nur einmal pro Jahr abspielte, war ihre eigene Toleranzschwelle was "Last Christmas" betraf doch ähnlich niedrig wie beim Rest der Welt. So aber beschallte sie das ganze Sorglospunk-Hauptquartier mit Schweden-Pop, so dass sogar Kiwi bald "Happy Nation" einschließlich des lateinischen Intros fehlerfrei miauen konnte. Nicht, dass das jemand von der Band (mit Ausnahme des Bandteufels Chibichi) verstanden hätte, aber im Hause Sorglospunks war man schon ganz anderen Katzenjammer gewöhnt. Besonders schlimm aber traf die Band ein Song mit dem Titel "Every time it rains", der noch dazu das Pech hatte, auf dem halben Album zu sein und entsprechend bei eingestelltem ‚Repeat all' etwa doppelt so häufig gespielt zu werden, wie die Lieder auf den ganzen Alben. "... Look here comes the very first drop Cause every time it rains I fall to pieces So many memories the rain releases I feel you... I taste you I cannot forget Every time it rains..." Unbewusst den Refrain vor sich hinträllernd, betrat Easy das Wohnzimmer und musste sich gleich darauf ducken, denn ein finster dreinblickender Chris hatte sich die Metalldose mit den übriggebliebenen Weihnachtskeksen geschnappt, um sich in aller Ruhe und von ordentlich Zucker unterstützt seinem Weltschmerz hinzugeben, und bombardierte die Frontfrau der Band nun mit Ninja-Zimt-Sternen. (Diese waren zwar noch herrlich weich gewesen, als die Truppe sie aus dem Backofen geholt hatte, doch bereits zum ersten Advent waren sie so steinhart gewesen, dass noch nicht einmal die Allzweckwaffe der Sorglospunks - Kaffee - da hatte helfen können.) "Autsch! Chris! Lass das! Aus! Chris! Was soll das?", schimpfte Easy, fast als wäre ihr Bandkollege ein Hund. "Dieses blöde Lied. Dieser doofe Refrain", grummelte Chris und aß schleunigst ein paar Plätzchen, um seiner Depression wenigstens einen zuckrigen Anstrich zu geben. "Und dann noch dieses Wetter. Das alles erinnert mich an Katja." Und ein langgezogener Seufzer war zu hören, ehe der Bassist sich wieder seiner Rolle als Krümelmonster widmete. Easy rollte bloß mit den Augen. Sinnlos, ihren Bandkollegen darauf hinweisen zu wollen, dass er besagte Katja bei Sonnenschein getroffen hatte, oder Stefanie, die er im Supermarkt kennen gelernt hatte, während draußen höchstens ein leichter Frühlingswind ging, oder Beatrice, die ihm während des romantischsten Schneefalls im Februar begegnet war. Alle waren sie natürlich seine einzige, seine große, seine wahre Liebe gewesen (selbstverständlich ohne dass Chris es geschafft hätte, auch nur bei einer seine himmlischen Gefühle in einen Song umzusetzen, obwohl die Bandmuse abranka wirklich ihr Bestes gegeben hatte, was Inspiration und ähnliches betraf), und natürlich erwachten bei obengenanntem Lied alle Erinnerungen an die gemeinsame Zeit - meist ganze zehn Minuten, ehe die Angebetete wieder ihrer Wege ging, weil Chris zu schüchtern war, sie anzusprechen. Und so war gestern Beatrice der Grund für meditative Kaffeepulver-Mandalas auf dem Wohnzimmertisch (Song und Wetter das gleiche wie an diesem Tag) gewesen, sehr zum Missfallen des Rests der Band, der plötzlich ohne Lebenselixier auf dem Trockenen hockte, und Stefanie am Tag davor der Grund für seinen Entschluss seiner Angebeteten ein Erinnerungsfreundschaftsband aus Bandmaskottchenhaaren zu knüpfen und dafür sämtliche Möbel peinlichst genau nach Katzenhaaren abgegrast hatte und schließlich bei der Quelle selbst gelandet war. Etwas, das Kiwi ihm noch immer nicht verziehen hatte, wie er später feststellen sollte. Easy kannte also schon die Sachlage und wusste, dass jeder Versuch, Chris zur Einsicht bewegen zu wollen, zwecklos war. Und da sie obendrein wusste, dass es nichts brachte, mit Nifen darüber reden zu wollen, endlich andere Musik durch das Sorglospunk-Hauptquartier dudeln zu lassen, ging sie gleich zu Plan C über. C wie Chibichi. "Chibichi! Chihibichiiiii!", tönte sie munter und suchte nach dem einzig wahren Teufel, den diese Band Stabsmitglied nannte. Sie fand sie schließlich in Chris' Schlafzimmer, wo der Bandteufel mit diabolisch vergnügtem Grinsen Kiwi dabei zusah, wie diese Rache für die Katzenhaaraktion nahm. Chris würde sich nie wieder darüber beschweren, nicht genug herumliegende Katzenhaare zu finden, denn gründlich, wie das Maskottchen war, gab es in dem durchwühlten Kleiderschrank kein einziges Kleidungsstück mehr, das zu diesem Zeitpunkt noch haarfrei gewesen wäre. Außerdem hatte Kiwi mit scharfer Kralle dafür gesorgt, dass Chris' sämtliche Garderobe eine nette Streifenoptik bekommen hatte. Was für den Bassisten angesichts der noch immer nicht gerade rosigen finanziellen Situation der Band (zwar hatten die Sorglospunks mittlerweile den Teufel höchstpersönlich auf ihrer Seite, aber da die Bandmitglieder ihre Seelen behalten hatten, waren Übernachtwunder ausgeschlossen... immerhin musste nicht mehr befürchtet werden, dass die Grundnahrungsmittel Kaffee und Schokolade dauerhaft ausgingen) höchstens ein neues Briefchen Nähnadeln und eine extra große Rolle Garn bedeutete. Und viele Stunden fleißiger Stichelei, wo er sich bei Heft- und Steppstich seinen heißgeliebten Erinnerungen bezüglich der einzelnen Kleidungsstücke hingeben durfte. "Chiiiiiiiiiiiiiiii, größte aller Bandteufelinnen", rief Easy freudestrahlend, fischte aber als Allererstes Kiwi aus dem Kleiderschrank. "Na Bommel, wie geht es dir? Oh, du hast Chris' Garderobe einen neuen Look verpasst." Diese und ähnliche Kommentare gelassen vor sich hinmurmelnd, gesellte sich Easy zu Chibichi und setzte sich im Schneidersitz auf das Bett. "Wir haben ein Problem", begann die Frontfrau schließlich. Lässig zog der Teufel eine Augenbraue hoch. "Nur ein Problem? Das wäre ja mal was Neues." Waren doch die absurden, täglich über diese Band hereinbrechenden Probleme ihr ein steter Quell der Belustigung. "Gut, zumindest nur ein Problem, das man lösen könnte", korrigierte Easy. Jetzt lachte Chibichi. "Okay, und welches Problem wäre das?" "Das Wetter." "Das Wetter? Inwiefern ist das Wetter ein lösbares Problem?" Irritiert sah Chibichi Easy an. Seit wann konnten Menschen das Wetter beeinflussen und so ihre Probleme bezüglich zu viel Regen oder zu viel Sonnenschein lösen? "Chris macht mich noch wahnsinnig, und wenn Nifen auch nur noch ein einziges Mal ‚Every time it rains' spielt, könnte es sein, dass unser lieber Bassist uns mit einem melancholischen Feuer die Bude über dem Kopf anzündet. All das bloß, weil ihn das Lied an irgendeine Verflossene erinnert, die vermutlich gar nicht weiß, dass es ihn gibt", erklärte Easy. Chibichi erkannte blitzschnell die Lage. Sie wusste, wie wenig kooperativ (um nicht zu sagen halsstarrig) die Managerin war, wenn sie mal wieder eine ihrer Musik-Phasen hatte (nicht, dass nicht jeder in dieser Band die ein oder andere Phase hatte und damit dem Rest der Band auf den Wecker fiel), und sie wusste auch, wie wenig zugänglich Chris war, wenn es um seinen höchstpersönlichen Weltschmerz ging. So betrachtet... "Also hast du dir gedacht, wenn ich mit ein wenig Höllenzauber und Fegefeuerhitze dafür sorge, dass es nicht mehr regnet, kann Chris auch nicht mehr dieses Regenlied für seinen Dauerblues heranziehen?", vergewisserte sie sich. Easy nickte enthusiastisch. II. Sommer in Deutschland. Ein endloser Wechsel, Jahr für Jahr, zwischen endlosem Regen, wo alle Welt sich stets nasser Hosensäume erfreuen durfte und andauerndem, strahlendem Sonnenschein, begleitet von beinahe sengender Hitze, so dass besonders die Bauern mit steigenden Obstpreisen drohten. Einzig der Einzelhandel freute sich, weil er endlich alle, bereits zu Ladenhütern verkommenden Ventilatoren und Klimaanlagen verkaufen konnte. Und für all jene, die es nicht rechtzeitig geschafft hatten, ein solches Wunder der modernen Kühltechnik zu ergattern, boten diverse Import-Export-Läden Chinafächer minderer Qualität mit Pastelldruck an. Man ahnt schon, ob der ausführlichen Beschreibung des Sonnensommers, dass Chibichi tatsächlich Easys Vorschlag in die Tat umgesetzt hatte und sich das Land nun nach wochenlangem Regen über schönsten Sonnenschein freuen durfte. Aber das Land der Sorglospunks war immer noch Deutschland und keine Nation beherrschte Jammern auf hohem Niveau als erste Fremdsprache so gut wie die Deutschen, und so dauerte es keine zehn Tage, bis die Bevölkerung einhellig beschloss, dass es der Sonne schon wieder genug sei. "Undankbares Pack", knurrte Chibichi nur, schnappte sich einen Eistee und verzog sich dann mit Kiwi in den kühlsten Raum des Hauses - den Keller. Sie hatte nicht vor, das Wetter schon wieder zu ändern, bloß weil es den Menschen dann besser in den Kram passte. Abgesehen davon, dass der alte Zottelbär im Himmel gar nicht so glücklich über ihre meteorologische Einmischung gewesen war, aber da sie auf die Wärme der Hölle zurückgegriffen hatte, konnte er wenig dagegen sagen. Auf dem Weg zur Kellertreppe wären Teufel und Maskottchen beinahe Jack in die Arme gelaufen, die eindeutig auf der Flucht vor Chris, oder besser gesagt seinem Gesang, war. Denn es schien als hätte die schwedische Geheimwaffe, die Nifen über die Hausstereoanlage zum Einsatz brachte, beinahe für jedes Wetter und jede Jahreszeit ein passendes Lied geschrieben. Und während das Regenlied den Bandbassisten zwar deprimiert hatte, war es wenigstens eine stille Depression gewesen, deprimierte ihn das Hitzelied ihn ebenfalls, weil es ihn an all seine Verflossenen erinnerte, aber dummerweise animierte es ihn auch noch zum Mitsingen. "Hot summer streets and the pavements are burning I sit around Trying to smile but the air is so heavy and dry strange voices are saying (ah what did they say) Things I can't understand It's too close to comfort this heat has got right out of hand it's a cruel, cruel summer leaving me, leaving me here on my own it's a cruel, cruel summer now you're gone you're not the only one..." Gut, den Text hatte Chris mittlerweile drauf, aber an der Melodie haperte es noch ein wenig, besonders, weil er darauf bestand, den Off-Gesang in der Strophe mitzusingen und dieser nun mal leider nicht für männliche Stimmlagen geschrieben worden war. Ein geschicktes Ausweichmanöver nach links, rechts antäuschen und mit einem erleichterten Aufseufzen ließ Chibichi die Kellertür hinter sich und Kiwi zufallen. Und das Ganze, selbstverständlich, ohne Jack über den Haufen zu rennen oder sich von der Drummerin für irgendwelche hirnrissigen Pläne einfangen zu lassen. Ein Sorglospunkwunsch pro Woche zu erfüllen sollte doch wohl bitte mal mehr als genug sein. Schließlich machte sie das alles für lau. Unten im Keller war es deutlich dunkler, deutlich kühler und deutlich ruhiger, auch wenn man immer noch Bruchstücke von Ace of Base hören konnte, hatte sich die Band doch bislang keine Schallisolierung für einzelne Räume oder Stockwerke leisten können. Und selbst wenn, hätte man wohl zuerst Nifens Büro mit einem solchen Schallschutz versehen, damit die restlichen, schwerarbeitenden Bandmitglieder zukünftig von ihren musikalischen Irrungen verschont blieben. "Seid ihr auch vor der Hitze da oben geflohen", klang es plötzlich aus einer Ecke zu Kiwi und Chibichi hinüber. Augenblicklich wandten beide, Katze und Teufel, sich um und durchteilten mit ihren übernatürlichen Sehkräften die Dunkelheit. "Ach, du bist es, Lenn", meinte Chibichi und ging zu dem Bandphilosophen und Chef-Fan hinüber. Dass dieser sie trotz der im Keller herrschenden Finsternis hatte sehen können, wunderte den Teufel nicht weiter. Entweder lag es am Wesen des Philosophen, oder er hatte Kiwi miauen gehört und einfach Eins und Eins zusammengezählt, was bei den Sorglospunks seit neustem bedeutete, dass dort wo das Maskottchen war, der Teufel nicht weit sein konnte, fühlten sich doch die beiden in der Gegenwart des anderen äußerst wohl. "Nein, eigentlich mehr vor dem Wahnsinn... Und vor Easy", gab Chibichi vor. "Denn bestimmt will sie den Regen wieder zurück, um Chris abzustellen. Aber: ...I'm not normal I know it I don't care I'm never gonna say I'm sorry I'm a clown for everyone..." Erschrocken hielt Chibichi inne. Hatte sie soeben tatsächlich Ace of Base als Antwort zitiert? Heftig den Kopf schüttelnd begann sie ein paar altdämonische Zauberformeln zu murmeln um den bösen Geist des Schwedenpops aus ihrem Unterbewusstsein zu verbannen. Interessiert sah Kiwi ihr zu, während LennStar wieder in seine philosophischen Gedanken verfiel, die nun neue Bahnen einschlagen mussten. Denn tatsächlich hatte er nach einem denkerisch ausgereiften Ansatz gesucht, wie er Chibichi davon überzeugen konnte, doch bitte die Temperatur wieder etwas herunterzuschrauben. Denn bei der draußen herrschenden Hitze fiel es selbst einem Vollprofiphilosophen wie ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Allerdings war LennStar nur ein Mensch und kannte sich daher nicht wirklich mit dem komplizierten Geflecht zwischen Himmel und Hölle, Regen und Sonnenschein aus und wusste somit auch nicht, dass Chibichi einen sehr guten Grund hatte, wenn sie sich schon ins Wetter einmischte, die Sonne voll aufzudrehen. Denn nur drei Grad weniger an Außentemperatur hätten bedeutet, dass der Regen wieder eine Chance gehabt hätte und Deutschland war leider nicht wirklich ein tropisches Land und die Bevölkerung entsprechend wenig widerstandsfähig, was ein solches Klima betraf. Etwa zwei Stunden und etliche gedankliche Irrungen später, hatte LennStar schließlich die einzig logische Möglichkeit gefunden, mit dem Temperaturproblem umzugehen. Zumindest die einzig logische Möglichkeit seiner Meinung nach. Denn wenn die Sommerhitze nicht aus Deutschland verschwinden wollte, so seine Überlegungen, dann mussten sich die Sorglospunks eben ins nicht so heiße Ausland begeben. Vielleicht Schweden. Wobei, nein, nicht Schweden! Dort kam schließlich der momentane Hausterror her. Island? Zu viele unberechenbare Geysire. Grönland? Zu viel Eis. Denn auch wenn der Bandphilosoph es gerne kühler gehabt hätte, wollte er wiederum nicht riskieren, dass seine Gedanken oder das Bandkonto, das auch zu seinen Obliegenheiten bei den Sorglospunks zählte, eingefroren würden. Wohin also? Und das möglichst Budget-freundlich... Vielleicht hatte abranka ja eine Idee. Als Bandmuse war das doch praktisch ihr Fachgebiet. Seufzend stand LennStar auf und machte sich gedanklich Mut, als er schweren Herzens Abschied von dem kühlen Keller nahm und die Treppe zum Erdgeschoss erklomm. Wie wünschte er sich doch, auch so eine Superwolke zu besitzen, wie abranka sie ihr Eigen nannte. Denn mit Hilfe ihrer Wolke konnte sich die Muse ihre eigene, unsichtbare Wetterblase schaffen, weshalb es ihr ziemlich egal sein konnte, wenn die Sorglospunks in dieser Hitze fast zerflossen. Wie gesagt, konnte, aber als gute Muse fühlte sie natürlich mit ihren Schützlingen, auch wenn sie das nicht daran hinderte, die Wolkenklimaanlage ordentlich auf Touren zu bringen. Besagte Bandmuse war gerade im Wohnzimmer und versuchte dringend Chris dazu zu inspirieren, doch bitte nicht mehr "Cruel Summer" mitzusingen. Denn Klimawolken waren schön und gut, schallisoliert war sie deswegen noch lange nicht. Ein vergebliches Unterfangen, aber wenigstens war es ihr gelungen, Jack mit einer Oropax-Eingebung zu versehen, so dass zumindest nicht mehr akut Gefahr bestand, dass die Drummerin Amok lief. "abranka, bist du hier?", fragte LennStar leise und lugte vorsichtig um die Ecke. Tatsächlich, über dem Sofa war ein verräterischer Schimmer zu sehen, der auf eine unsichtbare Muse hindeutete. Vermutlich reiner Selbstschutz, um nicht von Jack für die Erarbeitung hirnrissiger Pläne eingefangen zu werden. Denn nach allem, was das Triangelwunder der Sorglospunks in den vergangenen Tagen in Punkto Chris hatte ertragen müssen, war deren Geisteszustand mehr als verzweifelt, ja schon beinahe bedenklich. Und jeder wusste, wie schmal der Grat zwischen Genie und Wahnsinn war. Und bei den Sorglospunks war jeder ein Genie - auf seine/ihre ganz persönliche Art und Weise. Erleichtert, einen triftigen Grund zu haben, das Wohnzimmer zu verlassen, tuckerte abranka sogleich auf ihrer Wolke zu LennStar hinüber und folgte ihm in den Flur, wo sie sich auf dessen Bitte hin wieder sichtbar machte. "Was gibt es?", fragte die Muse, nachdem die Tür zum Wohnzimmer sorgfältig geschlossen war. "Wir müssen Nifen dazu inspirieren, mit uns Urlaub zu machen. Du weißt schon, anderes Wetter, andere Umgebung, neue Mädchen für Chris zum Anhimmeln... Und das ganze natürlich möglichst so, dass wir uns das auch finanziell leisten können", erklärte LennStar ohne Umschweife. III. Sommer in Deutschland. Das war traditionell die Zeit des Jahres, wo sich die Menschen in endlosen Blechschlangen gen Süden bewegten, um dann Handtuch an Handtuch friedlich neben ihren Nachbarn, mit denen sie sich sonst über den Zaun hinweg bekriegten, am Strand zu liegen, während zu Hause die Obstbauern mit der immergleichen Botschaft von steigenden Preisen das Sommerloch zu füllen versuchten. So lange, bis die mit Souvenirs überladenen Ferienflieger aus Spanien und der Türkei wieder zurückkehrten, diverse Reiseunternehmen mittendrin pleite machten und die unfreiwillig gestrandeten Urlauber die Nachrichten füllten und so die Bauern aus den Fernsehbildschirmen verdrängten. Auch im Hause Sorglospunk herrschte Urlaubs- und Aufbruchsstimmung, denn gemeinsam war es LennStar und abranka gelungen, Bandmanagerin Nifen davon zu überzeugen, dass sich die Band nach dem arbeitsreichen Jahr, das hinter ihnen lag, einen Urlaub redlich verdient hatte. Eine Überzeugungsarbeit, die erstaunlicherweise (besorgniserregenderweise?) gar nicht mal so schwer gewesen war... "...and snap I'm with you we are on vacation you and me together laying in sunshine I travel to Romantis I travel to Romantis where nothing 'bout the blue skies will tell me that the time flies I travel to Romantis every time I think of you you're giving me my life back I travel to Romantis..." Ausnahmsweise waren sich mal alle drei Sorglospunks einig und so klang gleich dreistimmig ein weiteres Lied von Ace of Base durch das Haus, während Easy, Jack und Chris, dergestalt ihre Hoffnungen bezüglich der bevorstehenden Reise ausdrückend, ihre Taschen und Koffer packten. (Lediglich aus Chris' Zimmer wurde der Gesang von Zeit zu Zeit durch ein Fluchen unterbrochen, erst als er die Shredder-Optik seiner Kleidung im Schrank entdeckte - bislang hatte er sich einfach am Korb mit der frisch gewaschenen Wäsche bedient, um seine Klamotten zu wechseln -, dann als er keine Fusselbürste für die Katzenhaare finden konnte und zuletzt als er die Nähsachen suchte, um sich während des Flugs die Zeit damit zu vertreiben wenigstens die Badehose zu flicken. Zwar wusste noch niemand aus der Band, wo die Reise hingehen würde, aber eine Badehose brauchte ja wohl mal jeder im Urlaub.) Apropos unbekanntes Reiseziel... "Nifen, willst du uns nicht langsam mal verraten, wohin wir fliegen?", fragte abranka vorsichtig bei der Bandmanagerin nach. Zwar wusste die Muse, dass Nifens Ideen meist doch ein wenig realitätsnaher waren als etwa die Einfälle der Frontfrau Easy, wenn man dieser freie Hand ließ, aber andererseits hatte die Managerin bislang nicht gerade ein glückliches Händchen bewiesen, wenn es um Lokalitäten für Auftritte der Sorglospunks ging. Weshalb sie also dieses Mal so fest davon überzeugt war, in Punkto Urlaubsziel das Richtige gefunden zu haben, war der Muse ein Rätsel. "Geduld, abranka, Geduld. Sobald alle fertig sind und ihr Gepäck in den Flur geschafft haben, erzähle ich es", versicherte Nifen, die nicht gewillt war, sich den Mund fusselig zu reden, bloß weil sie es jedem einzeln erklären sollte. Geduld - jene Eigenschaft, die bei abranka im letzten Jahr aufgrund des ständigen Songschreibzeitdrucks, unter dem Easy immer wieder stand, reichlich gelitten hatte, denn der Muse war gar keine Zeit geblieben, diese Tugend zu pflegen, wenn die Band auch nur ansatzweise Erfolg haben sollte. Natürlich war das mit Chibichis Auftauchen etwas einfacher geworden, aber halt auch nur etwas... Der Haken mit den behaltenen Seelen eben. Aber Nifen war bei so etwas unerbittlich, egal wie laut abranka seufzte, weshalb die Bandmuse nach kurzem Überlegen beschloss, der Band lieber beim Packen zu helfen. Vielleicht gelang es ihr ja, die drei Diven dazu zu inspirieren, nur mit leichtem Gepäck zu reisen? Kiwi brauchte schließlich nur ihr Fell und sogar LennStar kam mit nur einer Badehose und einer Ersatzbettlakentoga aus. Endlich war es geschafft und das Gepäck von drei Sorglospunks, einer Katze, einem Bandteufel, einem Bandphilosophen, einer Managerin und einer Muse stapelte sich im Flur. "So, und jetzt spuck endlich aus, wohin die Reise geht", sagte abranka und baute sich fast schon drohend auf ihrer Wolke vor Nifen auf. Auch die restlichen Mitglieder der Reisegesellschaft sahen so aus, als wollten sie sich nicht länger auf die Folter spannen lassen. "Ja, ja, hatte ich doch versprochen", sagte die Managerin und zog aus einer Außentasche ihres Handgepäcks einen Computerausdruck. "Also, unsere Reise geht nach..." "Wehe du bittest jetzt um einen Trommelwirbel", unterbrach Jack die spannungssteigernde Pause, noch ehe überhaupt irgendwelche Spannung hatte erzeugt werden können. "Nach Balkonien", verkündete Nifen. Minutenlanges Schweigen. "Balkonien?", brach es schließlich aus LennStar hervor. "Urlaub auf Balkonien? Das soll wohl ein Witz sein? Der erste April war in diesem Jahr bereits, oder hast du einen Auftritt bei der versteckten Kamera organisiert, und alle Welt darf sich bei der Ausstrahlung darüber kaputtlachen, wie das ganze Haus für einen vermeintlichen Urlaub packt?" Seine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. Schließlich war es allgemein bekannt, dass Urlaub auf Balkonien nur eine beschönigende Umschreibung für die traurige Tatsache war, dass man seine Ferien zu Hause verbrachte. "Nein, kein Scherz", widersprach die Managerin und zeigte den anderen den Computerausdruck. "Erinnert ihr euch, wie ich vor ein paar Jahren bei einer von abranka gestarteten Aktion über die wichtigsten Fragen der Menschheit bei der NASA auf dieses Projekt über die versunkene Insel Mathematika[1] gestoßen bin?" Vereinzeltes, zögerndes Nicken. "Tja, das Projekt war so erfolgreich, dass sie die Mittel bewilligt bekommen haben, nach weiteren versunkenen Inseln zu suchen. Und Balkonien ist auch so eine Insel. Sie hatte ganz viele überstehende Felsnasen, daher der Name Balkonien. Und bei dem großen Erdbeben 1906, wo unter anderem Großteile von San Francisco in Schutt und Asche gelegt wurden, ist diese Insel im Pazifik versunken. Sie war in dem Jahr ein neu entdecktes Reiseziel bei den Kunden der gerade aufblühenden Tourismusindustrie, und plötzlich mussten alle Reisen abgesagt werden", erzählte Nifen. "Weil man damals aber nicht mal eben mit dem Computer solche Reisen stornieren und die Touristen stattdessen nach Mallorca umbuchen konnte, mussten damals die meisten Reisenden zu Hause bleiben. Natürlich hatten sie aber im Vorfeld schon mächtig damit angegeben hatten, dass sie Urlaub auf Balkonien machen würden, und so kam es zu dem geflügelten Wort, als die gehässigen Nachbarn sie mit der geplatzten Reise aufzogen. Auf jeden Fall, als ich mich vor ein paar Tagen bei der NASA mal wieder eingeloggt habe - fragt lieber nicht, wem ich den Zugang verdanke -, stand auf der Seite mit den Inselprojekten plötzlich, dass sie für die Balkonien-Expedition noch ein Team suchen. Und da hab ich uns spontan angemeldet. Wir kriegen einen Tauchkurs, freie Unterkunft auf einem großzügig ausgestatteten, umgebauten Kreuzfahrtschiff, auf dem auch Katzen erlaubt sind, werden voll verpflegt und die Flugtickets bekommen wir auch bezahlt. Das einzige, was wir als Gegenleistung machen müssen, ist jeden Tag etwa fünf bis sechs Stunden im Wasser planschen und nach der Insel suchen." Freudestrahlend sah Managerin die übrigen Teammitglieder an. Diese blickten erst ungläubig zu Nifen, dann auf den Computerausdruck, aber tatsächlich, oben in der Adresszeile stand der offizielle Link zu dem Projekt (http://www.nasa.gov/missions/earth/lost-islands/project-balconia.html) und darunter die Details der Reise. IV. Sommer in Deutschland. Jene Zeit des Jahres, wo man aufregende Abenteuer wie etwa der Kampf mit der Sonnencreme LSF 35+ oder die Schlacht um die Liegestühle erlebte, die, mit einigen hundert Fotos beweiskräftig dokumentiert, als Unterhaltung bei den bald hereinbrechenden Weihnachtsfeierlichkeiten herhalten mussten. Nicht, dass sich die Sorglospunks mit derartigen Kleinigkeiten begnügt hätten. Oh nein! Diese Sorgloseste aller Bands hatte doch wirklich und wahrhaftig an einer sechswöchigen Expedition zur Entdeckung der versunkenen Insel Balkonien teilgenommen. Und sie waren sogar in sofern erfolgreich gewesen, als die NASA nun gleich drei Suchquadrate auf ihrer Karte mit der möglichen Lage der Insel ausschließen konnte. Doch nicht nur das: Chris war endlich aus seinem Ex-Angebeteten-Blues heraus. Denn an Bord des Expeditionskreuzers hatte es eine bildschöne Barkeeperin aus Japan mit Namen Umeko gegeben, die nicht nur mit dem Bassisten geflirtet hatte, sondern ihm zum Abschied sogar ihre E-Mail-Adresse gegeben hatte, damit sie in Kontakt bleiben konnten. (Und ja, es war wirklich ihre E-Mail-Adresse, denn Chris hatte es noch am gleichen Abend ausprobiert.) "Tokyo girl, Tokyo girl you've got the moves to rule the world that cute inscru-tability Tokyo girl, you're a mystery Tokyo girl, Tokyo girl shaking up hearts around the world you can't forget that stunning face smiling at you it's your destiny she's got the face sweet as a baby elegant taste..." Glücklich vor sich hinsingend, trug Chris ohne zu murren das gesamte Gepäck der Band ins Haus, während diese sich freute, das mit den ersten Lebkuchen im schnell herannahenden September Nifen wohl endlich ihre Ace of Base-Phase zugunsten der beginnenden Weihnachtszeit beenden würde. Und was die Obstpreise betraf, nun, letztendlich war der Sommer doch nicht so verheerend gewesen, so dass die Bauern schließlich verstummten und die Äpfel auch nicht viel mehr kosteten als im Jahr zuvor... _________________________________________________________________________________ [1] Informationen zu Mathematika: http://www.chaotizitaet.hive-network.de/Chaos/FAQ.htm#q7 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)