Christmas Carol von maykei ((eine TRC-Weihnachtsgeschichte)) ================================================================================ Overture -------- Christmas Carol //Come and hold my hand I wanna contact the living not sure I understand this role I've been given I sit and talk to god and he just laughts at my plans my head speaks a language I don't understand// - feel, robbie williams Overture Der Wagen erwischte ihn mit erstaunlicher Präzision in einem 45 Grad Winkel von hinten rechts. Ein ohrenbetäubendes Klirren pretterte durch die dunkle Gasse, seine Reifen quietschten und im nächsten Moment flog ihm die ganze Windschutzscheibe um die Ohren. Das einzige, was ihn vor einem neuen Gesicht rettete, war sein jahrelanges Kampftraining bei seinem Vater. Instinktiv hatte er die Arme hochgenommen und sein Gesicht gegen den Airbag gepresst. Als er die Augen öffnete, war neben ihm eine Wand, wo gerade noch die Tür war, dicke Splitter steckten in seinen Armen und ihm war schwindelig. Er hatte es immer gewusst, Autofahren in New York war purer Selbstmord! Der andere Wagen bremste hart neben ihm und im nächsten Moment erschien Fyes breit grinsendes Gesicht am Fenster der Beifahrerseite. Mit einiger Kraftanstrengung schaffte es der Blonde die Autotür zu öffnen und setzte sich zu Kurogane ins Auto. Die Scheinwerfer seines eigenen Autos hatte er angelassen, einer funktionierte noch, obwohl durch den Aufprall das Glas zerbrochen war. „Welche gottverdammte, verfickte Scheiße haben sie dir jetzt schon wieder ins Hirn gepisst?!“ Doch bevor der Irre etwas sagen konnte, krachte es wieder und ein Junge flog vom Himmel, genau auf die lädierte Kühlerhaube des Wagens. „Ich sag doch immer, fluch nicht so, Kuro-chan. Jetzt sind schon die Engel vor Schreck vom Himmel gefallen.“ Langsam schloss Kurogane die Augen. Und das nachdem sie sich zwei Tage kannten. Und das an Weihnachten. Stur starrte Kurogane durch die zerbrochen Fensterscheibe nach draußen. Nicht, dass er viel sah, die verlassene, blitzgefrorene Gasse war eng und dunkel, die Art von Gasse, in der Leichen in Krimis immer abgeladen wurden. Die einzige funktionierende Straßenlampe in der Gasse flackerte. In den traurigen Überresten seiner Windschutzscheibe spiegelte sich ein lächelndes Gesicht, eingerahmt von zerzausten, blonden Haaren und einem endlos langen weiß-blauen Schal um den Hals. Ein schwaches Stöhnen riss ihn aus seiner betäubenden Starre des Unglaubens und, Tatsache, der vom Himmel Gefallene lebte noch! Der Mann neben ihn starrte nur verdutzt, aber Kurogane wollte ungern ins Gefängnis oder für den Tod eines Kindes verantwortlich sein. Ungeduldig schubste er den Anderen durch die offene Fahrertür auf den Asphalt und kletterte aus seinem funktionsunfähigen Kleinwagen. Mit offenen Mund sahen die zwei Unfallopfer auf die Kühlerhaube. Der Junge war n Kurzer, irgend so n' Teenie und wenn sie im Himmel so rumflatterten, dann war Kurogane sein Platz in der Hölle ganz recht. Die schwarze Hose war völlig verrissen, das T-Shirt von irgendeiner Band und zeigte Szenen aus dem Kamasutra, malerisch unterlegt mit viel zu vielen Details. Die braunen Haare klebten an dem blutnassen Gesicht und das, was darunter zu erkennen war, sah ganz frisch rot und blau geschlagen aus. Aber das Verwunderliche war, dass er tatsächlich noch lebte und bei Bewusstsein war. „Hey... ihr Arschlöcher, warum parkt ihr hier unten...?“, der Junge versuchte sich an einem Grinsen. „Idiot, du wärst ganz tot, wenn wir hier nicht zufällig rumgestanden hätten.“ „Aber Kuro-sama, er hat Recht, hier ist tatsächlich Parkverbot.“ Entnervt sah der hochgewachsene Mann seinen um zwei Köpfe kleineren Gegenüber an. „Das nächste Mal, wenn du versuchst mich umzubringen, achte ich drauf, verflucht noch mal!!“ „Pass auf Kuro-pon! Sonst fällt noch einer runter.“ „Wir sollten ihn in's Krankenhaus bringen.“ Kurogane hoffte nur, dass Fyes Auto nach dem Crash noch ansprang. Er sollte vielleicht auch mal medizinische Hilfe zur Rate ziehen. Auch wenn an Heiligabend in den Krankenhäusern die Hölle los war, weil jeder, aber auch wirklich jeder, dem nicht der harte Weihnachtseinkaufsstress einen Survival-Instinkt der Premiumklasse eingetrichtert hatte, heute versuchte Selbstmord zu begehen. „Lasst mal stecken... „, murmelte der Junge und schloss die Augen, als würde er darauf warten, dass tatsächlich die Engel vom Himmel kamen und ihn holten. „Oh, du wolltest da runter springen, nicht wahr?“, fragte der Blonde im Plauderton und zeigte auf die Feuertreppe, die sich an einem Wohnhaus bis zum ungefähr 5. Stock hinauf wand. „Das ist aber nicht besonders hoch.“ „Ging nicht anders.“ Fye war wie immer äußerst verständnisvoll. „Ja, ich weiß, Weihnachten und Silvester sperren sie einfach alles ab... aber hier hat's wohl auch nicht geklappt. Ärgerlich.“ „Bin ja auch nur aus dem Dritten gefallen.“ „Warum nicht aus dem Fünften?“ „Bin runter gefallen als ihr voll Krawachoh gegen die Mauer gefahren seid.“ „Sorry. Sollen wir noch mal drüber fahren?“ Nun war es Kurogane zu viel, diese Hilfsbereitschaft war selbst für ihn ein wenig zu verquer. Nicht gerade sanft hob er den Jungen von der Kühlerhaube des Schrotthaufens und ignorierte das Schreien einfach. Störte ihn sicher nicht, wenn er querschnittsgelähmt war, wollte doch eh sterben. „Dann bekommen wir den Ärger. Mach den Wagen an“, wand er sich an Fye, „wir fahren ins Krankenhaus.“ „Doch nicht an Weihnachten! Wir nehmen ihn mit!“ „Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du mich versucht hast umzubringen!" „Aber Kuro-sama, du hast es versprochen! Ich will heute nicht ins Krankenhaus.“ „Dann bleib hier stehen.“ „Aber allein will ich auch nicht sein!“ Rasend vor Wut sah der Japaner den kleinen Franzosen an und knackte mit den Fingern. Hätte er nicht einen blutenden Jungen in seinen Arm gehabt und wüsste er nicht, dass es Fye auch noch Freude machen würde, hätte er ihn jetzt grün, blau und violett geschlagen und dann in den Dreck des Asphalts getreten. Die Leier hatte er jetzt schon zur genüge gehört! „Also...“, meldete sich der Junge, „Ich will auch nicht ins Krankenhaus. Nehmt mich doch einfach mit, dann bekommt ihr auch keinen Ärger, wegen dem Unfall...“ „Au ja, ein gemeinsames Weihnachten. Wie eine große Familie!“, der kleiner Mann machte vor Freude einen kleinen Hüpfer. „Mein Name ist Fye und der Hüne, in dessen Armen du liegst, heißt Kurogane. Und du bist?“ Mit verkrampften Lächeln hob der Junge die Hand und gab sie dem blonden Mann. Fye bemerkte, dass er rehbraune Augen hatte. „Shaolan. Du bist doch der, der Sakura den Mohn gebracht hat, ne?“ „Oh! Auch ein Japaner?“ „Meine Mutter kommt aus China. Mein Vater war Amerikaner.“ „Cool, ein richtiges Multikulti- Weihnachtsfest!“ Kurogane schloss die Augen. Die dachten doch nicht im Erst, dass er mit einem suizidgefährdeten, was wusste er wie schwer verletzten, Teenie und einem ebenfalls nicht viel lebensfreudigeren, hirnverbrannten Stalker ein Fest feierte, von dem er nichts hielt, auf das er keinen Bock hatte und erst recht nicht mit so vielen Glassplittern im Arm, ner Gehirnerschütterung und mehreren Whiskeys im Blut!!!??! Scheinbar doch, denn schon erwischte er sich dabei, wie er den Jungen auf den Rücksitz legte und neben dem Blonden auf die Beifahrerseite stieg. Strophe 1 bis 15 ---------------- Strophe 1 Die Straßen strömten über vor Menschen. Auf den Bürgersteigen drängten sie sich und es war ein Wunder, dass sie nicht auf die bereits vom heftigen Verkehr eingenommenen Straßen quollen. Über den Wolkenkratzern prangte strahlend weiß der Himmel und in den Ritzen zwischen den Straßenpflastern hatten sich Eiskristalle gebildet. Überall bimmelte und sang es, Männer in schlecht gemachten Weihnachtsmannkostümen sammelten in klappernden Blechboxen für Arme. Männer in sauberen, wuscheligen, puschigen Weihnachtsmannkostümen und knapp bekleidete, wunderschöne Weihnachtselfdamen sammelten Kunden für Reiche. Überall waren Weihnachtsbäume aufgestellt worden und im Park strahlte ein besonders riesiger Weihnachtsbaum vor einer extra für diesen Anlass errichteten Eislaufbahn. Es war einen Tag vor Heiligabend und jeder, wirklich jeder schien noch ein Geschenk zu brauchen. Verärgert bahnte sich ein außergewöhnlich groß gewachsener, aber dennoch kräftiger Mann seinen Weg durch die Menschenmassen und fühlte sich als würde er durch ein Meer im heftigen Wellengang voller Treibholz warten. Hatten die denn nichts anderes zu tun, verdammt noch mal? Wenn sie jetzt noch ein Geschenk suchten, war die Person, für die dieses Geschenk gedacht war, sicher nicht viel wert, sonst hätten würden sie ja das Geschenk nicht am letzten Tag kaufen!! Er selbst war auf dem Weg zu einem Blumenladen. Normalerweise nahm er immer das Taxi, wenn er aus dem Haus ging. In New York Auto zu fahren war nervlicher Suizid, zu Fuß gehen heute allerdings auch. Aber die Straßen waren dicht: Selbst wenn er gegen alle Erwartungen doch noch eins bekommen hätte, wäre er nur dumm in der Gegend herumgestanden, während der Zähler weiter ratterte und der Auspuff grauen Dampf in den eh nicht all zu fröhlich aussehenden Himmel puffte. Hupen und Motorgeräusche vermischten sich mit nerviger Weihnachtsmusik und gingen dem Mann alles in allem auf die Nerven. Blumenladen, Blumenladen. Blumenladen. Er wusste, dass es hier einen gab, doch diese Straße war lang, verdammt lang, und hatte dazu noch verdammt viele Geschäfte in die Menschen aus und ein strömten. Endlich sah er sein Ziel. An der Ecke dort sah er das grüne Schild über dem Laden mit der weißen Schrift. „Claires Flowers“. Endlich dort angekommen schritt er über einen Haufen halb gefrorener violetter Stiefmütterchen und Christsterne ins Innere. Sofort schlug ihn eine schwere Duftwelle entgegen. Aber wenigstens dudelte hier keine Weihnachtsmusik, er fühlte sich nur wie in einem Urwald. Die Heizung war auf das Maximale aufgedreht worden und zwischen lauter Pötten, Blumen und sonstige Pflanzen, die so gar nicht zu dem Weihnachtstrubel passen wollten, war auch noch jeder freie Platz mit Lametta, Glitzer, Weihnachtssternen und Engelsfiguren zugestopft worden. „Kurogane!“, kam mit schrecklich amerikanischen Akzent hinter der Theke hervor, kurz bevor es ein leicht übergewichtiger Mann tat, dessen spärliches Haupthaar schon recht weißlich wirkte. „Du kommst sicher wegen den Lilien und Kirschblütenzweigen, nicht wahr, Kumpel?“ „Ah“, antwortete er und fragte sich, warum sich der Amerikaner einfach nicht seinen Nachnamen merken konnte. „Warte, sie sind hinten. Hast du einen Blick auf den Laden? In letzter Zeit werden immer Blumen geklaut. Blumen! Kann sich das einer vorstellen! Wer klaut denn Blumen?“ Und schon war er verschwunden. Der hochgewachsene Japaner lehnte sich mit verschränkten Armen an die Theke, schloss die Augen und versuchte alles auszublenden. „Huhu~ Alles in Ordnung?“ Doch viel Ruhe war ihm nicht vergönnt. Unter ihm stand ein .... etwas. Es hatte einen unglaublich langen blau-weißen Schal um den Hals mit dem man den wohlbeleibten Besitzer des Blumenladens wohl drei Mal mumifizieren konnte. Die langen Zipfel fielen über eine dick gefütterte weiße Daunenjacke, schmerzlich dünne Jeansbeine entlang auf den Boden. An den Enden waren sie schon etwas grau, er hatte sie wohl den ganzen Weg mit sich herum gestreift. Das Gesicht war verborgen unter einer übergroßen blau-weißen Strickmütze und ein paar straßenköterblonde Haare lugten darunter hervor. Die Stimme war weich, aber definitiv männlich. Sonst hätte Kurogane seinen Gegenüber wohl auf dem ersten Blick für eine Frau gehalten. „Ah.“, gab er nur einsilbig von sich und schloss wieder die Augen. „Hey, kann ich mir was von den Plätzchen da nehmen?“ Kurgane öffnete die Augen wieder und blickte auf die Pfefferminzplätzchen, die in einer schrecklich bunten Schüssel auf dem von Zweigen und Blättern übersäten Einpacktisch standen .“Keine Ahnung, ist nicht mein Laden.“ „Wirklich nicht?“ „Ja, wirklich nicht.“ „Sie sehen aus, als gehörte Ihnen das hier.“ „Ich mag keine Blumen.“ „Ja, aber was machen Sie denn dann hier?“, nervte sein Gegenüber Plätzchen kauend weiter. Doch in dem Moment kam der Amerikaner wieder in den Verkaufsraum, im Arm ein dickes Bündel. Kurogane wand seinen Blick von seinem unfreiwilligen Gesprächspartner ab. Den Schal hatte dieser etwas herunter gezogen und neben außergewöhnlich schön geschwungenen Lippen klebten ein paar Krümel. „Warten Sie, ich wickle es ihnen auf.“ „Nicht nötig, ich nehme es so.“ Eilig bezahlte er und verließ den Laden. Doch das blonde Schalwesen folgte ihm. „Was willst du?“, fragte Kurogane murrend. „Wissen, warum Sie Blumen kaufen, obwohl Sie gar keine Blumen mögen. Sind die für Ihre Freundin? Für ihre Frau? Feiert man in Asien überhaupt Weihnachten? Sie sind doch Asiate, oder? Chinese? Vietnamese?“ Entnervt schritt Kurogane weiter voran seinen Weg durch die Masse. Was nicht so einfach war und schon gar nicht in der von ihm gewünschten Geschwindigkeit. Zu Fuß gehen war wirklich nervig, wie konnte er diesem nervende Kerl nur entkommen? Er hatte gerade wirklich alles andere im Kopf. „Wussten Sie, dass die Blumen länger halten, wenn sie Mineralwasser in die Vase füllen?“ „Nein.“ „Dann halten Sie länger. Heiligabend ist ja erst morgen und wenn Sie die Blumen verschenken, sollen sie dann ja auch noch zumindest Silvester überleben, nicht wahr?“ Es sah eh niemand, wenn die Blumen verwelkten. Also war es völlig egal, wie lange sie hielten. Aber das musste er dem Kerl ja nicht sagen. Sicher war er von einer dieser Weihnachtssekten, die seiner Seele unbedingt gegen einen horrenden Mitgliedsbeitrag retten wollten. Endlich am Ende der Straße angekommen, wurde es leerer und er beschleunigte seinen Gang. Endlich betrat er den Vorplatz des Krankenhauses, aber er wurde immer noch verfolgt. „Besuchen Sie jemanden?“ Abrupt blieb er stehen und das Schalwesen prallte gegen seinen Rücken. Kurogane bemerkte einen krankhaften zarten Knochenbau, selbst durch ihrer beider dicker Kleidung hindurch. Der Vorplatz des renommierten Krankenhauses war völlig leer, bis auf eine geschmacklose Eisenkonstruktion in der Mitte, die sich Kunst schimpfte. Dahinter hob sich die Glasfassade des „Eisenhower-Central-Hospitals“ in den weißen Himmel. „Hören Sie, wenn Sie ein verdammter Stalker sind, suchen Sie sich jemand anderes, ich schlag Sie windelweich. Wenn Sie mir weiter auf die Nerven gegen, schlag ich Sie auch windelweich. Sie haben jetzt also die Möglichkeit zu verschwinden und sich einen anderen Dummen zu suchen, den Sie nerven können, oder die letzten Meter zur Rezeption getragen zu werden.“ „Oh!“, die Augen – eisblau, aber eher wie ein gefrorener Sommerhimmel – leuchteten begeistert auf. „Das würde ich begrüßen!“ Ungläubig sah Kurogane den Mann vor sich an. „Was?“ „Getragen zu werden. Ich wurde sehr lange nicht mehr getragen. Schlagen Sie nur zu!“ Er hatte es mit einem Verrückten zu tun. Er hatte es wirklich mit einem Verrückten zu tun... wortlos ging er weiter. Doch er wurde weiter verfolgt. Einfach ignorieren, bis er aufgab. „Hey, wollten Sie mich nicht schlagen?“ „Sie stehen wohl drauf. Oder suchen Sie nur einen Dummen, von dem Sie Schmerzensgeld fordern können?“ Sein unfreiwilliger Wegbegleiter schloss auf und grinste ihn breit von der Seite an. „Ich will nur, dass Sie sich besser fühlen. Und dachte, wenn Sie sich besser fühlen und ich mich dabei auch noch besser fühle, haben wir beide ein schönes Weihnachten.“ „Ich scheiß auf Weihnachten.“ „Wollen Sie eine Mohnblume? Ist Klatschmohn, aber ich glaube Sie sind nicht der Typ, der oft begeistert in die Hände klatscht, nicht wahr?“ Kurogane hatte es fast bis zu den großen Glastüren des Eingangs geschafft, stoppte nun seine Schritte und sah auf die einzelne, in der Kälte zitternde Mohnblume, die ihm vor der Nase schwankte. Moment, im Laden hatte der Kerl noch keine in der Hand gehabt. „Die hast du geklaut.“ „Jap, zusammen mit den Plätzchen.“ Kuroganes Augenbrauen verengten sich. Der Mann vor ihm kramte mit einer Hand im Inneren seiner dicken Daunenjacke und beförderte ein paar Pfefferminzplätzchen hervor. Die Mohnblume hielt er ihm die ganze Zeit vor die Nase und der Japaner musste etwas schielen, um seinen Gegenüber überhaupt fixieren zu können. Die roten Blüten verströmten einen eigentümlichen Duft. „Wollen Sie was? Plätzchen?“ „Nein.“ „Ach, seien Sie nicht so fies! Tun Sie irgendwas, Sie können doch nicht immer vor ihrem Problemen weglaufen! Stellen Sie sich ihrer Wut! Lassen Sie alles raus.“ Der Kerl wollte ihn also doch provozieren. Ohne ein weiteres Wort ging er an ihm vorbei ins innere, ohne an der Rezeption halt zu machen zum Aufzug und wartete. Ohne hinzusehen, wusste er, dass das Schalmonster neben ihm stand. Die Aufzugtüren öffneten sich, er trat ein, schubste den kleiner Mann kräftig aus der Kabine und fuhr endlich allein in den vierten Stock. Strophe 2 Wieder kein Schnee. Die Musik auf volle Lautstärke gedreht schlurfte der Junge durch die steril stinkenden Krankenhausgänge. Seine Füße waren eiskalt, seine Turnschuhe und Socken durchweicht, weil er auf dem Schulhof in eine Pfütze getreten war. Da kam er mal zur Schule und dann das... aber dieses Mal wieder kein Schnee, hatte der Fritze im Radio gesagt. Wenn schon kalte Füße, dann durch Schnee, aber seit 3 Jahren gab es hier kein weißes Weihnachten mehr. Fast lief er, in so mürrischen Gedanken versunken, gegen einen Riesen in fescher Lederjacke, der ihm auf dem Gang entgegen gestampft kam. Aber bis auf die Tatsache, dass er Asiate war, konnte er nicht viel erkennen. Na ja, war ja auch egal. Raum 472. Er öffnete die Tür, schmiss seine Schultasche in die nächste Ecke, zog sich die Kopfhörer raus und kramte in der Papptüte auf seinen Armen. „Hey, Sakura. Ich hab dir vernünftiges, nährstoffreiches von Mr. Donuts mitgebracht. Den Fraß hier können wir uns nicht noch ne Woche an tun, ich frag mich, ob sie den Koch aus der Psychiatrie geklaut haben.“ Auf dem Bett lag ein Mädchen, die einzige Patientin hier. Die beiden anderen, eine ältere Frau und eine Alkoholikerin waren wohl gerade in der Kantine. Wer noch konnte, dem wurde das Essen nicht aufs Zimmer gebracht. Ihre Haare waren kastanienbraun und sie sah heute nicht so blass aus, stellte der Junge fest. Nun gut, das Essen stand schon da, aber die Schwester hatte sich wohl erinnert, dass es Mittwoch war und er Mittwoch fast immer kam. Das Bett knarzte als er sich auf die Kante fallen ließ, sich rüber beugte und dem Mädchen einen flüchtigen Kuss auf die Lippen gab. Das Bett war schon hochgestellt worden, nichts stand seinem Vorhaben im Wege. „In der Stadt is echt was los, wird wohl echt bald Weihnachten. Bin froh, dass wir das so geregelt haben, erst am 28ten zu feiern, wenn der ganze Schmu vorbei ist. Muss nämlich Weihnachten im Heim sein, Vorschrift. Beschissen, aber alles is ja beschissen, ne?“ Der Kirschdonut in der Tüte war mittlerweile reichlich zerbröselt und er begann ein paar Brocken zwischen die hübschen Kirschlippen zu schieben. Sie aß, aber sie starrte die ganze Zeit aus dem Fenster. „Im Radio haben Sie gesagt, dass es dieses Jahr wohl nicht mehr schneien wird“, erzählte er und stopfte sich den nächsten Brocken selbst in den Mund, bis sie langsam fertig gekaut hatte. Nun war seine Freundin wieder dran und auf diese Art und Weise killten sie 6 Donuts und das Krankenhausessen. Gerade beim Nachtisch, den er allein aß, denn Sakura mochte keinen Griesbrei, öffnete sich die Tür und ein schlanker, blonder Mann kam hereingeschlüpft. Feindlich sah ihn Shaolan an. „Was? Die anderen beiden sind weg, verpiss dich.“ „Aber, aber!“, ein breites Grinsen war die einzige Reaktion des Blondschopfs auf seine Worte. „Ich wollte fragen, ob ihr Mohn mögt.“ „Lass stecken.“ „Aber sie mag Mohn, sie hat es mir gesagt!“, verkündete er und kam herein. Nun sah braunhaarige Junge auch, dass er einen rote Blume in der Hand hielt, der Kerl hatte gar keine Drogen gemeint... Ein langer, weiß-blauer Schal schlurfte über den Boden, als der Fremde mit großen Schritten den Raum durchschritt, unter dem grünen Beistelltisch eine Vase hervor fischte, sie mit der Flasche Mineralwasser vom Nachbartisch auffüllte und die Blume hinein steckte. Shaolan hielt einfach mal den Mund und aß weiter den Griesbrei. „Also dann! Frohe Weihnachten!“, verkündete der Blonde beim Herausgehen und im nächsten Moment war die Erscheinung schon wieder fort. Der Junge sah zu dem Mädchen im Bett. Ihr Blick war noch genau so starr und leer nach draußen gerichtet. Er fragte schon gar nicht mehr, was da draußen so interessant sein konnte. Oder an der weißen Wand, oder an der Tür, oder an ihren Händen. Sie sah immer überall hin, nur nicht in sein Gesicht. „Gesagt hast du's ihm also? Dass ich nicht lache.“ Noch ein Kuss auf die Wange, den Müll in den Eimer, packt er wieder seine Tasche und verließ das Krankenzimmer. Von Zimmer zu Zimmer streifend, ergatterte er noch zwei Portionen Nachtisch, bis er an der Aufzugstür ankam. Ach, es war doch der 23te nicht wahr? Also würden diese hübschen Blumen wieder im Zimmer 419 stehen, die genau so hießen wie Sakura. Sakura war auf einer Japanreise ihrer Eltern zur Welt gekommen und da die beiden total in dieses Land vernarrt waren, hatten sie sie nach den traditionellen Blüten benannt, die da wuchsen. Und ein Mal im Jahr standen solche Zweige auch in Krankenzimmer 419 rum. Shaolan brach sich immer einen Zweig ab und stellte ihn zu Sakura hinein. Als Ritual sozusagen. Doch dieses Mal war das Zimmer besetzt. Durch die Tür schielend sah er den Mann, mit dem er auf dem Gang fast zusammen gecrasht wäre, am Bett der Frau und des Mannes sitzen. Die Ellenbogen auf die Knie gestützt und mit seinen Fingern die Schläfen massierend. Die beiden Patienten, die hier schon waren, als Sakura vor 3 Jahren eingeliefert wurde, war eine Frau mit langen schwarzen Haaren und schweren, schwarzen Wimpern. Er fand sie recht hübsch, obwohl sie voll alt war, sicher so 30, und ihre Haut ganz papierweiß, die Wangen eingefallen. Der Mann, ihr Bruder oder Mann oder so - sie hatten den selben Nachnamen - war allerdings nicht so hübsch. Meistens lag sowieso so n weißes Tuch auf seinem Gesicht, aber die Haut, die darunter hervor blitzte war so rot- schwarz wie ne zerquetschte Stechmücke. Als Shaolan nach nem Streifzug durch die dritte Etage und proppesatt wieder an der Tür zu 419 ankam, war der Besuch immer noch da. Der Kerl hatte wirklich Durchhaltevermögen. Plötzlich bekam er Schluckauf, Schluckauf, der so schlimm war, dass er zum Klo rennen musste und sich übergab. Strophe 3 Als Kurogane sich auf den Rückweg machte, war es zum Glück so spät, dass kaum noch Irre auf der Straße waren. Am Eingang blieb er stehen und erwartete schon irgendwo seinen kleinen Stalker zu erblicken, aber statt dessen tat sich nur ein weiter, windiger Platz vor ihm auf. Der Japaner machte sich seine langen Beine zu nutze und überquerte den Platz zügig mit in den Taschen seiner Lederjacke vergrabenen Händen, rief sich ein Taxi und fuhr zu seiner Wohnung. Sie lag nicht weit vom Krankenhaus entfernt, aber weit genug von jeglichen Trubel. Ein paar Bars waren in der Nähe, aber bis auf ein paar Besoffene war alles zu seiner Zufriedenheit. Nicht die sicherste Gegend, aber billig und für ihn reichte es. Doch vor seiner Tür kam dann das, was seinen eh ziemlich beschissenen Tag noch ein wenig schlechter machte. Er konnte in seiner Tasche graben bis der Morgen kam, er fand seinen verfluchten Schlüssel nicht, war sich nicht einmal sicher, ob er ihn eingepackt hatte! Na wunderbar, jetzt stand er in einem verfickten – scheißkalten – Treppenhaus, selbst scheißkalt, vor ner verfickten Tür, vor seiner eigenen Wohnung, und kam nicht rein. Und morgen war Heilig Abend. Nicht, dass das ne Rolle gespielt hätte, aber es machte die Situation zusätzlich bescheuert. Mit einem Knurren und weiterem kinderunfreundlichen Fluchen ging er ein paar Schritte zurück und warf sich mit aller Kraft gegen die Tür. Auf dem Boden liegend, um ihn herum die Überreste seiner Tür, sah ein von blonden Strähnen umrahmtes Gesicht besorgt auf ihn nieder. „Klopfen“, informierte ihn das Gesicht, „ist in den meisten Kulturkreisen ein Zeichen, dass man um Einlass bittet. Weiß ja nicht wie das bei euch in Asien ist, da sollen die Wände und Türen ja aus Papier sein, aber ich hätte Ihnen auch liebend gern aufgemacht.“ „Was zur Hölle machst du in meiner Wohnung?“, fragte der Japaner nicht motiviert genug Überraschung zu empfinden. „Gerade?“ „Ja, verdammt!“ „Gerade mache ich Kakao. Habe extra Schokolade gekauft.“ Und mit diesem Worten drehte sich der unverschämte Fremde um und verschwand in Kuroganes kleiner Küche, in der sich wahrscheinlich immer noch das Geschirr bis zur Decke stapelte. Er hatte sich wirklich einen Stalker angelacht. Mit einem protestierendem Knarzen, das er bei so einer Behandlung wohl auch von sich gegeben hätte, hob er die Überreste der Tür zurück in die Angeln, griff nach seinem Handy und wählte die Nummer des Hausmeisters. „Ja hallo?“, murrte es am anderen Ende der Leitung euphorisch begeistert. „Ich braun ne neue Tür. Apartment 27.“ „Schon wieder, Kurogane?“ Konnten sich diese scheiß Amis nicht einfach seinen Nachnamen merken? Der war sogar kürzer, verdammt noch mal. In der Küche angekommen vergaß er allerdings seinen Ärger wieder und ließ beinahe das Mobiltelefon fallen: Sie war aufgeräumt, blitzblank und von einem Duft erfüllt, der ihn an Weihnachten seiner Kindheit erinnerte. Plätzchen – Schokoladen- und Kokosplätzchen - lagen auf einem Haufen auf dem Küchentisch des kleinen Raumes, eine Portion war noch in der Röhre, Kakao blubberte in einem seiner Töpfe vor sich hin und der Schalkerl hämmerte diesmal ohne Schal in einer seiner Schüsseln herum. Die Jacke und den Schal entdeckte Kurogane in seinem Wohnzimmer über das Sofa gelegt. Der Mann wirkte in dem weißen Rollkragenpullover nur noch magerer. „Ich dachte, Sie mögen vielleicht Schoko- oder Kokosplätzchen lieber als Pfefferminz“, plauderte der Blonde, als würde das sein hier sein erklären. „Wie, verdammt noch mal, kommst du hier rein?“ „Hab Ihren Schlüssel geklaut.“ „Soll ich die Polizei rufen oder reicht es, wenn ich dir die Fresse poliere?“ „Zweiteres habe ich beim Krankenhaus schon bevorzugt. Aber erst will ich noch die Glasur für die Schokoplätzchen machen.“ Normalerweise wäre jetzt die Gelegenheit gewesen dem Kerl ein neues Gesicht zu verpassen und vor die Tür zu setzen. Aber verflucht noch mal, es war der 23te Dezember, in 4 Stunden sogar der 24te. Und auch wenn bei dem Japaner dieses Datum nicht gerade weihnachtliche Gefühle hegte, es war am Ende des Jahres. Es war verdammt noch mal der 23te und auch wenn er es vermutlich mit einem Psychopaten zu tun hatte, der in seiner Küche voller Messer stand, er hatte einfach dieses Jahr keine Kraft mehr. Selbst um jemanden zu verprügeln fehlte ihm jegliche Motivation. „Willst du hier übernachten?“, fragte er. Offensichtlich eiskalt erwischt ließ der Blonde beinahe die Schüssel fallen und sah ihn verdattert an. Kurogane öffnete nur den Kühlschrank und nahm sich ein Bier. Das kalte, zischende Getränk in seinem Rachen fühlte sich gut an. „Ja... schon. Und was ist mit der Person, die die Blumen bekommen hat?“ „Gestorben.“ „Oh.. echt? Im Krankenhaus?“ „Nein, nicht richtig. Sie wissen es beide noch nicht.“ „Hast du n Blick dafür?“ „Hör auf so bescheuerte Fragen stellen.“ „Okay, ich will übernachten.“ „Runter auf die Knie.“ „Übernachtungskosten?“ „Da ist die Tür.“ „Was kostet die Kaution?“ „Is nicht zu vermieten.“ „Oh, okay.“ Die Schokolade bei Seite stellend, kam der Stalker auf ihn zu und sah von unten zu ihm hoch. Er überragte ihn wirklich um zwei Köpfe, war kräftiger gebaut als dieses halbe Hemd und auch sonst körperlich in jeder Hinsicht überlegen. Was dachte sich der Kerl? Nun ja, in New York gab es genug Verrückte. Aber wohl wenige, die so gut einen blasen konnten. Als die feuchten Lippen ihn umschlossen und er noch einen Schluck von seinem Bier nahm, verschwamm die Welt. Alles bestand nur noch aus der Erregung zwischen seinen Beinen und dem kühlen Alkohol in seinem Rachen. Seine Augen wurden ganz schwer, sein Körper schlapp, als er den Höhepunkt in diesem nervigen, aber genau die richtige Größe besitzenden Mund hatte. Und das erste Mal seit er an diesem scheiß Morgen des 23ten mit einem schweren Gefühl in der Brust aufgewacht war, konnte er aufhören nachzudenken. Als Kurogane wieder in dieser Sphäre ankam, stand der namenlose Blonde wieder an der Arbeitsfläche und bestrich die warmen Plätzchen mit Schokoladenglasur. Stände Kurogane nicht mit offener Hose seiner Küche, hätte er wetten können, er hätte nur einen sehr, sehr feuchten Tagtraum gehabt. Strophe 4 Bis zum Abend hatten sie frei. Vermutlich dachten die Aufseher sie bräuchten noch Zeit, um Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Am 24ten, wo jeder Idiot in der Stadt war und Geschenke suchte. Die Straßen waren überfüllt, der Park war überfüllt. Überall waren gestresste Geschäftsleute, die durch die vollen Straßen hetzten, mit nem Telefon am Ohr klebend, nervige, schreiende Kinder, alte Omas, die den Verkehr aufhielten, Weihnachtsmänner und vor dem großen Kaufhaus standen sogar Rentiere rum. Shaolan betrachtete alles gelangweilt und tat sein bestes taub zu werden. Die Musik schallte so laut in seinen Ohren, dass er nichts anderes mehr hörte, obwohl die Blagen auf der Schaukel neben ihm ein Mords Theater veranstalteten. Er nahm eine Hand Sand und schmiss es den Blagen ins Gesicht, als die Eltern nicht hin sahen. Dann wand er sich wieder seinem neuen mp3 Player zu. 24ter. Er hatte nichts zu tun. Sakura würde er erst am 28ten was schenken und sonst hatte er niemanden, für den er sich sonst den Stress machte. Und heute in die Geschäfte? Nicht in diesem Leben, am 28ten war auch noch Zeit. Aber sie würde es eh nicht merken, wenn er es ihr n Weihnachtsgeschenk mitten im Juli machen würde... warum machte er sich eigentlich die Mühe? Weil du keine bessere Idee hast, beantwortete er sich die Frage in Gedanken. Er war erst 17, in einem Jahr war er aus dem Heim draußen. Vielleicht sollte er irgendetwas anstellen, für das er in den Knast kam? Da müsste er sich wenigstens nicht um sein weiteres Leben Gedanken machen... aber dann konnte er Sakura nicht mehr besuchen. Verdammt, erwachsen werden bedeutete doch eigentlich nur, dass das Leben nicht mehr nur scheiße war. Sondern scheiße und zu allem Überfluss auch noch scheiß kompliziert. Strophe 5 Der Morgen des 24tn brachte schon wieder keinen Schnee. In der kleinen Wohnung war es eiskalt. Mit lautlosen Schritten schlichen nackte Füße zum Fester und schlanke Finger drehten die Heizung höher. Das Fester schloss nicht richtig und da die Tür auch noch kaputt war, zog es. Unten schlossen gerade die Bars, sein Spiegelbild reflektierte im Glas, doch Fye wollte die traurige Gestalt darin nicht ansehen. Auf dem Sofa schnarchte immer noch der Besitzer dieser Wohnung. Mit zitternden Händen fuhr der Mann vor dem Spiegel zu seinem Bauch, er war ein wenig geschwollen, durch die ganzen Plätzchen, die er gegessen hatte, aber seine Beckenknochen stachen dennoch spitz hervor. Da, genau über den rechten Hüftbogen prangte ein blauer Fleck, wie auch auf seinem ganzen Oberkörper. Dafür, dass der andere Mann ihn unbedingt loswerden wollte, hatte er ja fast versucht ihn auszusaugen. Die Hände glitten weiter, über seine Brustwarzen, seinen Hals, dann zu seinem Hintern, der leicht schmerzte. Die ganze Nacht hatten Sie es getan, als hätten sie Angst vor der Nacht und noch größere Angst vor dem Schlaf, aber gegen vier Uhr, der stillsten Stunde der Nacht, konnten sie beide nicht mehr. Befriedigt und dennoch unruhig waren er irgendwann eingeschlafen, mit dem ruhigen Herzschlag eines anderen Menschen im Ohr. Einen Finger in sich gleiten lassend, spürte er, dass es dort feucht war, etwas, was nicht Gleitgel war. Also hatte er sich doch nicht geirrt, irgendwann hatte sein One-night-stand keine Kondome mehr benutzt. Vielleicht waren sie alle ausgegangen, vielleicht hatte er Aids und es war ihm egal, vielleicht war es ihm auch so egal. Fye war das nur Recht, ihm war's ja auch egal. In dem kleinen Badezimmer fand er zu seiner Freude eine Badewanne, auch wenn sie alles andere als geputzt war. Er ließ heißes Wasser ein und schüttete fast das ganze Männerduschgel hinein. Wenn er schon nach dem anderen roch, in sich hatte, würde er auch noch mehr Duft an sich haben können. Oder? Vielleicht würde er dadurch zu jemand anderes werden? Nach einer Weile öffnete sich die Badezimmertür und ein Schwall kalter Luft strömte herein. Der schwarzhaarige Mann sah ihn himmlisch verzaust und verwegen verpennt an, doch dann schien die Nachricht, dass jemand in seiner Badewanne lag in seinem Hirn anzukommen. Seine Augenbrauen zogen sich etwas zusammen und Fye zog sein Bein vom Rand zurück, mit dem er zusätzlich zum Schaum auch noch Wasser auf den Fliesenboden befördert hatte. Die Luft war so feucht, dass er kaum atmen konnte. Aber der Schwarzhaarige drehte sich einfach nur um und begann sich die Zähne zu putzen. „Wie heißt du eigentlich?“ Keine Antwort. Nur Schrubben. „Ich heiße Fye de Flourite.“ „Franzose?“ Fyes Lächeln wurde breit, er sprach! „Meine Eltern. Ich bin in Amerikaner.“ Verächtlich spuckte sein immer noch recht namenloser Gastgeber den Zahnpastaschaum in das mal wieder zu putzende Waschbecken. „Kurogane.“ „Aha, ist das ein chinesischer Name?“ „Nein, japanisch.“ „Bist du Japaner?“ „Ja.“ „Ich kann was auf japanisch sagen! „Ni-hao!“ „Das ist chinesisch.“ „Oh, hab ich mal in nem Restaurant aufgeschnappt, in dem ich gearbeitet habe. Der Chef war da auch Japaner...“ „shaberasena...“ „Was heißt das?“ „Dass du die Klappe halten sollst.“ „Cool!“ „Wenn du denkst, dass du dich hier einnisten kannst, hast du dich geschnitten.“ „Ne hab ich nicht getan, noch nicht. Stehst du drauf? Soll ich's machen?“ Schwungvoll richtete er sich auf und streckte Kurogane seine Arme entgegen. Drei rote Schnitte zierten jedes Handgelenk quer und einer längs. Sein Gegenüber reagierte unangebracht desinteressiert. „Nur einmal ernsthaft, oder was?“ „Jap, is’ schwerer als man denkt.“ Die braunen Augen, die fast rot wirkten, sahen ihn verächtlich an. Dann zuckte er nur mit den Schultern und stieg zu ihm in die Badewanne. Fye lehnte sich nach hinten, schloss die Augen und erwiderte die Küsse. Der große Körper glitt zwischen seine Beine, die großen Hände fuhren seinen Nacken entlang und die kurzen Haare kitzelten an seinen Gesicht, als Lippen seinen Hals entlang fuhren. Leise kicherte er und stellte einen Fuß auf den Wasserregler, den anderen auf den Badewannenrand und schon spürte er einen rauhen Finger zwischen seine Pobacken gleiten. Das Schaumwasser brannte höllisch und er verkrampfte sich kontraproduktiverweise, biß sich aber auf die Lippen, um kein entmutigendes Geräusch von sich zu geben. Sein Sexpartner hielt inne und sah ihn undeutbar an. „Verschwinde.“ Eben ausgesprochen, zog sich der Japaner zurück und wollte aufstehen, doch auch wenn es nur ein One-night stand war, auch wenn dieser Mann noch nie wirklich nett zu ihm gewesen war, diese Worte wollte er nicht hören. Nicht am 24ten. Mit aller Kraft klammerte er Arme und Beine um ihn, auch wenn das bewirkte, dass er etwas aus dem Wasser an die kalte Luft gehoben wurde. „Es ist Weihnachten...“ „Ich scheiß auf Weihnachten.“ „Ich mag Weihnachten nicht allein sein... schick mich nicht weg.“ Entnervt sah Kurogane ihn an und Fye sah sich schon splitternackt in die Dezemberkälte hinaus befördert, doch dann kam dieser leere Blick zurück in die schönen Augen und er wurde wieder ins Wasser gelassen. Es war ganz warm, ganz feucht und das Wasser streichelte immer wieder über seinen ganzen Körper, als sie wieder gegeneinader glitten und er sich wieder für ein paar Minuten vergessen konnte. Strophe 6 Als Kurogane langsam wach wurde, war ihm eiskalt. Auch die Pfütze Badewasser, in der er lag. Der Rest schien abgeflossen zu sein. Mit einem Stöhnen richtete er sich auf und wischte sich über die feuchten Augen. Hatte er etwa geflennt? Doch dann tauten auch endlich seine Sinne auf und er merkte, dass im Badezimmer ein Schwall feuchter, kalter Dampf lag und sich nur das Kondenswasser an seinen Wimpern gesammelt hatte. Sein Rücken knarrte bedenklich, als er aufstand und sich in seinen Bademantel wickelte. Ach ja, sein Stalker. Er sah auf die Digitaluhr neben der Badewanne. 24.12. 10:40. Noch 15 Stunden und 20 Minuten bis Christmas Eve. Zeit seinen ungebetenen, aber gut zu vögelnden, Besuch hinaus zu schmeißen. So hatte er sich einiges Ziehen durch die Clubs erspart, um jemanden auf zu reißen, der ihn auf andere Gedanken brachte. Doch als er das Wohnzimmer betrat, war es aufgeräumt und leer. Kerzen brannten auf dem frisch geputzten Glastisch, Plätzchen stapelten sich in einer Schüssel darauf. In der ganzen Wohnung keine Spur von „Fye“. Zu Tode erschrocken raste er in sein Schlafzimmer, riss den Schrank auf und atmete erleichtert durch. Vor ihm, auf roten Tüchern aufgebart, lag ein edles Langschwert, der Knauf ein silberner Drachenkopf, die Klinge voller Verzierungen. Es verstrahlte einen edlen Glanz, den ihm seine Wohnung und sich selbst nur noch viel schäbiger vorkommen ließen. Ehrfürchtig schloss er die Türe. 24ter. Er hasste diesen Tag. Er ging zu seinem Mantel und suchte nach seinem Portemonnaie. Das er nicht fand. Beschissener Tag. Strophe 7 Er hatte sich doch hier her gewagt. Obwohl es voll blockig war, dass in diesen sterilen Gängen Weihnachtsmusik lief. Auf der Kinderstation waren jetzt die ganzen als Weihnachtsmänner verkleideten Pfleger, aber Sakura lag nicht dort. Dennoch war einer der „Elfen“ bei ihr, als er in das Zimmer kam. Die Musik donnerte in seinen Ohren, aber er hatte es leise machen müssen, die Batterie war fast alle. An der Tür stehen bleibend beobachtete er, wie sie Sakuras Hand tätschelte und einen kleinen Teddy neben sie stellte. Das Mädchen sah langsam vom Fester zu ihr und lächelte leicht. „Ah, Mr. Li!“; begrüßte die Krankenschwester – Amanda war ihr Name – ihn offen fröhlich. Shaolan riss die Stöpsel aus den Ohren und sah sie grimmig an. Sie war noch sehr jung und noch nicht lang genug dabei, um ihr Mitleid gut überspielen zu können. „Willst du deiner Freundin etwas zu Weihnachten schenken?“ „Verschwinden Sie“, zischte der Junge nur und sie sah etwas verletzt drein. „Aber, aber, nicht so frech, Kleiner!“ „Verschwinden Sie!“ Sakura hatte sie angesehen, irgend so eine dahergelaufene Krankenschwester lächelte sie sogar an, aber ihn, ihn erkannte sie nicht und ihn sah sie nicht an! Er war immer hier und redete mit ihr, aber sie bestrafte ihn mit ihrer Ignoranz, nur weil er ein Junge war. Sie strafte ihn, genau wie seine Eltern. Nur waren die wenigstens ehrlich gewesen und hatten gesagt, dass sie ihn nicht wollten! Trotzig gegen die Tränen ankämpfend sprang er zum Bett, packte das Mädchen an ihrem pinken Schlafanzug und scheuerte ihr eine. Amanda schrie empört auf und zog ihn vom Bett weg. „Was soll das?! Verschwinde und komm dieses Jahr nicht wieder! Machst du das immer, wenn niemand da ist, du unverschämter Bengel? Da machen wir schon eine Ausnahme, weil du nicht mit ihr verwandt bist und dann so was! Scher dich hinaus! Ich werde an der Rezeption Bescheid sagen, dass du nicht mehr hier rein darfst!“ „Fick dich ins Knie!“, schrie der braunhaarige Junge außer sich und bemerkte geschockt, dass ihm die Tränen über die Wange liefen. Eilig nahm er seine Tasche und stürmte in den Gang, zum Aufzug, schmiss den Essenswagen um und flüchtete über den großen Platz vor dem Krankenhaus. Strophe 8 Es wurde schnell Abend. Die Weihnachtsmänner legten sich noch einmal so richtig ins Zeug und es bimmelte auf allen Sendern nur Weihnachtsmusik. Kurogane saß in einer Bar und versuchte sich gerade die Welt schön zu trinken. Bedauerlicherweise war er trinkfest. Er hätte seinen Besuch behalten können, dann hätte er sich die Welt wenigstens schön vögeln können. Es war wohl eine außergewöhnlich fiese Ironie des Schicksals, dass Soumas Mutter gestern einen Schlaganfall bekommen hatte und sie noch an diesem Morgen die Stadt verlassen musste, um sie im Krankenhaus zu besuchen. Ihr kam das sicherlich recht, dachte Kurogane, ein Weihnachten mit ihrem Freund war für die junge Frau nie wirklich besinnlich fröhlich und ausgelassen. Sie hatte ihn nicht gebeten ihn zu begleiten, und das war auch gut so. Weihnachten in Krankenhäusern... war wirklich das Letzte. Das Klavierspiel endete und der nervige Moderator ergriff das Mikrofon. Der Idiot dachte wohl es wäre seine Aufgabe, die ganzen Weihnachtsmuffel mit noch weiterer Weihnachtsscheiße zu berieseln, damit mehr Alkohol verkauft wurde. Bei dem hochgewachsenen Japaner klappte das gerade bestens. „Und jetzt meine Lieben! Jetzt ist es fast 9 Uhr! Zeit für unser Scheiß-auf-Weihnachten-super-special!! Wer mag mir erzählen, warum er Weihnachten hasst? Der soll auf die Bühne kommen und der mit der herzzerreißensten Geschichte gewinnt diese wunderschönen, ansehnliche elektrische Glühtanne hier auf meinem Klavier! Freiwillige vor! Freiwillige vor!“ „Hey“, erklang es leise und sanft neben ihm und Kurogane sah schon wieder das Schalmonster. Diesmal wieder mit Schal und dicker Mütze. Doch noch während er ihn wortlos anstarrte, schälte sich der Blonde aus seinen zig tausend Jacken. Was hatte er alles an? Schal, Jacke, Rollkragenpullover, darunter noch ein langärmeliges Oberteil. Da kam er sich mit seinem schwarzen T-Shirt und der Lederjacke an diesem kalten Dezemberabend ja fast nackt vor. Breit grinsend ließ sich Fye auf den Hocker neben ihm nieder. Kurogane wusste nicht, ob er sich freuen sollte, heute doch eine Abendbeschäftigung gefunden zu haben, oder beginnen sollte, die Beerdigung für seine Nerven zu planen. „Du.“ „Jap, ich!“ Da war doch was... Kurogane holte aus und schlug nach dem blonden Kerl, doch dieser wich geschickt aus. „Wo ist mein Portemonnaie?!“ Zum Glück hatte er noch was Geld in der Küche gehabt, sonst hätte er an diesem Abend nicht mal saufen können. „Ach das!“, gut gelaunt holte der kleinere Mann die schwarze Geldbörse aus seiner Tasche und legte sie auf die Theke. „Ich hab davon noch ein Weihnachtsgeschenk gekauft für Sie!“ „Von meinem GELD?! Außerdem, wer am letzten Tag n Geschenk gekauft bekommt, der is dem Geber nichts wert.“ „Stimmt. Aber es ist ne Ausnahme, wenn man den Beschenkten erst zwei Tage kennt!“, erwiderte Fye fröhlich. „Oh, das ist aber ein hübscher Baum da!“ „Kann man gewinnen“, grummelte der Japaner und checkte seine Geldbörse. 50 Dollar fehlten. Na ja, 50 Dollar und eine Übernachtung. Ne Prostituierte wäre ihm teurer gekommen. „Mit der traurigsten Weihnachtsgeschichte.“ „Oh! Echt?!“ „Echt.“ „Ich probier's!“ Gerade als eine rothaarige Frau, die ihre Tochter an diesem ach so schönen, besinnlichen Tag verloren hatte, an dem irgendwo noch viel mehr Kinder in dieser Sekunde krepierten, endete, sprang der Blonde auf und kletterte auf die Bühne. Nonchalant an das Klavier gelehnt nahm er das Mikro an sich, als hätte wäre er schon immer auf der Bühne gestanden. „Also~ ich will diesen tollen Baum bekommen! Aber meine Geschichte ist nicht gelogen! Ersthaft! Also, ich bin jetzt 24 Jahre alt und heiße Fye de Flourite! 24 und heute ist der 24te, cool nicht wahr? Ich bin auch am 24ten geboren, aber ich bin dennoch nicht das Christkind, wollt ich so anmerken. Als ich 5 war, beschlossen meine Eltern sich endgültig die Kante zu geben und die Kugel folgte auf dem Fuße, mein Bruder Yuui und ich schafften es ne Weile ganz allein und dann wurden wir adoptiert. Von einem echt netten Onkel, der aber leider an einen an der Schüssel hatte und na ja, mein liebes Brüderchen, wie er eben war, hatte mit 14 genug und wollte abhauen. Bedauerlicherweise war der Kerl mit der Schüssel Yuui sehr zugetan und na ja, er ließ ihn nicht gehen. Mir war er nicht zugetan, aber ich wollte Yuui dennoch beschützen, weswegen ich mich mit meinem Adoptivvater anlegte. Sehr voraussehbares Ende von der Geschichte war, dass ich zurück ins Heim kam und letztendlich meinen Bruder im Stich ließ, hatte anderes zu tun. Ziemliches Arschloch bin ich, nicht wahr? Und nun ja, mein Bruder begann Selbstmord mit 17, einen Monat bevor er von meinem Ex-Paps weg kam. Verrückt, nicht wahr? Ich hab n ziemlichen Schuldkomplex deswegen und daran erinnere ich mich eben immer an meinem Geburtstag, den 24ten, der Tag an dem sich mein Bruder umgebracht hat, weil ich ihn im Stich gelassen habe. Seit dem suche ich mir zur Weihnachtszeit immer einen Irren, klebe mich an ihn, vögel mit ihm - falls er denn an Männern interessiert ist - und versuche die Tage so gut wie möglich zu überleben, um dann kurz danach auch wieder abzuhauen. Und da ich nicht sicher bin, ob dem grimmig guckenden Kerl an der Bar da der rote Schal gut gefällt, den ich von seinem Geld gekauft habe, brauche ich diesen lustig blinkenden Weihnachtsbaum da. Oder besser seine Lichterkette, wickel mich dann nackt darin ein und na ja, sie wissen schon was dann passiert - den sexuellen Aspekt haben wir ja schon geklärt. Und all diese Gründe zusammen gezählt hasse ich Weihnachten. Ich mag nämlich nicht allein sein, bin es aber jede Weihnacht und sobald ich mich mit jemand anfreunde, lauf ich nur weg. Aber kann man ja nicht erwarten, dass man über Weihnachten hinaus auch nett ist, deswegen schwing ich die Hufe vor Silvester. Ach ja, und ich bin schwer krank, dies ist also mein letztes Weihnachten. Kurzum, ich brauch diesen Baum.“ Strophe 9 Okay, es war Weihnachten und es war ihm vollkommen bewusst, dass er ein Klischee erfüllte! Aber verfickt, wenn's vorbei war, dann war es ihm auch egal was alle dachten. Heimlich hoffte er ja noch, dass es nicht klappte, aber er wusste auch nicht, was er mit einem gefaketen Selbstmordversuch bewirken wollte, also machte er es lieber richtig. Eigentlich war er nur sauer gewesen und der Junge war stundenlang durch die unsagbar nervige Weihnachtswelt gestampft, in die sich NY verwandelt hatte. Auf der Eislaufbahn vor dem großen Weihnachtsbaum drängten sich die Menschen und er hatte recht gute Chancen in diesem Bezirk der Stadt keinem Aufseher über den Weg zu laufen. Hier gab es nur ein paar Bars und irgendwo einen Puff, hatte er gehört. Vielleicht sollte er das letzte Geld nehmen und sich ne Frau kaufen? Aber ließen die einen Minderjährigen da überhaupt rein? Außerdem... er hatte so was noch nie gemacht, und auch wenn er genug Geld zusammen geklaut hatte, fand er es dreckig und irgendwie Verrat gegenüber Sakura. Prostitution war in seinen Augen auch nur so was wie ne bezahlte Vergewaltigung. Er musste es nur bis Silvester schaffen, dann war seine Laune wohl auch was besser, denn dann war der ganze Scheiß hier vorbei. Sakura konnte er wohl am 28ten nicht besuchen, aber sie merkte es eh nicht. So dachte er. Bis zu dem Moment an dem sein mp3-Player endgültig den Geist aufgab. Verdammt! Das Ding war doch neu! Und nirgendwo nen PC zum aufladen. Na super, na toll, genial!! Unachtsam in seiner Wut rannte er fast gegen ein „Parken Verboten“ Schild und wie ein Fingerzeig Gottes zeigte es durch einen vermutlichen Frontalzusammenstoß mit einem Auto leicht zur Hauswand hin. Shaolan sah hoch. In dem Licht der einzelnen Lampe in der dunklen, vereisten Gasse, die aussah, als würden hier Mafiafilme gedreht, sah die Feuertreppe regelrecht verrostet aus. Stieg er auf die Mülltonne da, müsste er hinauf kommen... Strophe 10 Breit grinsend, den Weihnachtsbaum im Arm, setzte sich der Franzose wieder neben Japaner und bestellte sich ein Glas Baileys mit Kirschsaft. Die roten Augen sahen ihn ungläubig und etwas misstrauisch an. „Warum schaust du denn so kritisch?“ „....“ „Ach, ich weiß, du willst dein Geschenk, nicht wahr?“ Eilig griff er in die Tasche, die er mit sich herumtrug und fischte ein rot eingepacktes Geschenk mit einer goldenen Schleife heraus. Der Schwarzhaarige sah ihn immer noch an, als wäre er von einem anderen Stern und hätte ihm gerade erklärt, dass die Welt explodieren würde, wenn er nicht sofort einen Striptease vor ihm machte. „Ich dachte du magst rot, gefällt's dir?“ „....“ Doch endlich schien sein asiatischer Gegenüber sich gefasst zu haben. Wortlos beugte er sich vor, nahm das Geschenk an sich und packte es aus. Er schien verwundert, dass da wirklich ein roter Schal drin war. „Das grade war doch gelogen, oder?“ „Klar! Ich wollt den Weihnachtsbaum!“ Der rote Blick fiel auf seine unter dem langen Ärmeln seines Pullovers verborgenen Arme und Fye wusste, dass er ihm nicht glaubte. Aber es war doch egal, der andere wollte ihn und wenn er ihn genug wollte, war dieses Weihnachten nicht allein. Lasziv grinsend lehnte er sich zurück und bewegte die Bein etwas auseinander. Sie beobachtete die ganze Bar, gespannt wie sich die Geschichte entwickeln würde. „Ich hasse, wenn man sich so wegschmeißt.“ „Dann musst du mich besonders hassen.“ Wortlos schlang sich der Asiate den Schal um. „Du weißt wo ich wohne.“ „Ich darf mitkommen?“ „Morgen früh. Heilig Abend verbring allein. Ich hab keinen Bock auf Prostitution zum „Fest der Liebe“.“ Der große Mann war schon fast auf dem Weg zur Tür. „Hey, ich wiege zwar wenig, aber ich bin kein leichtes Mäd- ähm, kein Stricher!“ „Ich auch nicht.“ Und schon war er im weihnachtlichen Menschenauflauf verschwunden, der sich übrigens um diese Uhrzeit etwas gelichtet hatte. Meist nur Betrunkene, Penner, Sektenanhänger und Weihnachtsboten. Schwer seufze Fye und nahm noch einen Schluck von seinem Drink. Das Portemonnaie lag da noch. Damit bezahlte er wohl seine und Kuroganes Zeche. Er hatte den Schal mitgenommen. Jetzt lag er gerade ganz weich um seinen etwas kratzigen Hals. Er hatte gesagt, er dürfte wieder kommen. Ein ganz... ganz leichtes Glücksgefühl machte sich in Fyes Brustkorb breit und das lag nicht daran, dass er keinen Alkohol vertrug. Strophe 11 Kurogane stampfte die Straße entlang. Das war wohl das verrückteste, hirnverbrannteste Weihnachten, dass er je erlebt hatte! Es gab wirklich mehr als ein psychisches Wrack in NY, er war sogar überzeugt, dass diese Stadt die offizielle Sammelstelle für solche Leute war. Doch bevor sich der hoch gewachsene Mann noch mehr in seinen Gedanken aufregen konnte und mit seiner wütenden Miene den Passenten die gute Weihnachtslaune verdarb, klingelte sein Mobiltelefon. „Ja, was denn verdammt?!“, maulte er in den Hörer. „Kurogane....“, Somas Stimme klang verweint. „Bitte komm her... sie... meine Mutter... sie ist tot...“ Wie vom Donner gerührt blieb er stehen. Sie war tot. Seine war auch tot, auch wenn sie es selbst nicht wusste. Wie konnte Souma ihn nur ausgerechnet an diesem verfluchten Tag anrufen und bitten, dass er zu ihr kam um sie zu trösten, weswegen er gerade viel mehr Trost brauchte. Verfluchte Scheiße! Konnte ihn die Welt nicht einfach in Ruhe lassen!? „Dann wird sie es ja nicht merken, wenn ich heute nicht komme“, brummte er in das Telefon, machte es aus und schmiss es in die nächste Mülltonne. Ihr Weinen, bevor er aufgelegt hatte, klang ihm noch im Ohr. Er sah vor sich, die Straße war mittlerweile fast leer. Die Bar war nicht fern von seiner Wohnung. Aber dennoch, nur ein Penner vor einem beleuchteten, geschlossen Geschäft, die Schaufester glitzerten und funkelten fröhlich weihnachtlich auf den zugefrorenen Asphalt. Der Himmel über ihm war kalt, ihm war kalt. Das einzige, was ihn ein wenig wärmte, war der rote Schal um seinen Hals. Und der war von seinem eigenen Geld gekauft, von einem Hochstapler geschenkt, den er nach Weihnachten zusammen mit seinem Portemonnaie und sonstigen Wertgegenständen aus seiner Wohnung eh nie wieder sehen würde. Langsamen Schrittes trat er auf den Penner zu. Er roch zehn Meilen gegen den Wind nach Bier und Schnaps. Wie konnte man sich nur so gehen lassen? Das vermaledeite rote Strickding von seinem Hals ziehend fluchte er und der Penner rülpste nur, als sein Wohltäter ihm den Schal umband. In seiner Wohnung angekommen, stieg er trotz seines immensen Alkohlpegels in sein Auto und fuhr zum Krankenhaus, um seine Eltern zu besuchen. Weihnachten, das Fest der Liebe und die Feier zur Geburt irgendeines Retters, war für ihn auch nur ein scheiß Tag, der ihm ganz besonders deutlich sagte, dass die Welt einfach nur grausam und unfair war. Die ganzen Irren, die dieses Fest feierten, wollten sich doch nur darüber hinweghelfen, dass alle Welt in Glück schwebte und nur sie es nicht schafften glücklich zu werden. Und wenn man das erst einmal kapiert hatte und sich dennoch ein schönes Weihnachtsfest wünschte... dann wurde man so erbärmlich wie dieser Franzose, der seinen Körper verkaufte, nur um ein paar Nächte Gesellschaft zu haben. Wie viele außer ihm hatte er wohl schon verarscht? Kurogane beschloss ihn am nächsten Morgen, wenn er denn wirklich kam, eine Tracht Prügel zu verpassen und dann rauszuschmeißen. Wie er dem Blonden schon gesagt hatte, er war keine Hure und er hatte keine Lust so einer jämmerlichen Gestalt mit seinem Körper über die Weihnachtstage zu helfen. Strophe 12 „Hey, was machst du da? Das ist unser Revier.“ Entnervt sah der braunhaarige Junge zu dem Quartett Italiener die vor ihm standen und ihn provozierend ansahen. „Is hier Italien Quarter? Dachte hier leben nur Hispani.“ „Halt die Fresse! Denkst du, du hast Ahnung? Ich geb dir gleich Ahnung! Mach deine scheiß Tasche leer und ich schlag dir nur n Zahn aus!“ Immer noch auf dem Müllcontainer thronend zog der Junge seinen mp3-Player heraus und warf ihn den Schlägern vor die Füße. „Mehr hab ich nicht.“ „Erzähl mir nicht, du hast keine Geld dabei.“ „Die fünf Dollar in meiner Tasche brauch ich noch, um deine Schwester zu kaufen.“ „Dich hol ich mir, Schlitzauge.“ DAS, war eine kreative Weise Selbstmord zu begehen, fand Shaolan und wich dem ersten Schlag aus. Das Klacken eines Klappmessers ließ dann doch einen Hauch von Survivalinstinkt in ihm aufkommen und er riss es dem Nudelfresser vor sich aus der Hand und beförderte es in die nächste Kanalisation. Doch rein rechnerisch gesehen hatte er gegen die vier keine Chance, auch mit dem bisschen Karate, das er von dem Heimvorsteher Sakurazuka gelernt hatte. Ein Schlag traf ihm genau im Gesicht, Schmerz legte sich eiskalt darauf und irgendwie tat das gut. Er lebte also noch, okay, dann würde er sich auch dementsprechend wehren. Er kämpfte wie eine wild gewordene Katze, aber das Resultat war eher niederschmetternd. Aufgeschlagene Lippe, garantiert angeknackste Rippe, Spucke im Gesicht und um seinen mp3-Player und 100 Dollar erleichtert, von denen er Sakura ein Weihnachtsgeschenk kaufen wollte, lag er in der eisigen Gasse und sah hoch in den schneelosen Himmel. Im Film hätte er eine voll coole Show hingelegt, aber bedauerlicherweise war das hier kein Film. Sonst gäbe es nämlich so n megakitschiges Happy End... Strophe 13 Die Tiefgarage war um diese späte Stunde längst für Besucher geschlossen, nur das Personal durfte noch ein und aus gehen. Kurogane stellte seinen Wagen einfach auf dem Vorplatz ab, war ihm doch egal, ob der Krankenwagen im Weg stand. Heute Abend wurden doch eh nur Selbstmörder eingeliefert und denen tat er damit noch einen Gefallen. Leer. Sein Kopf war wie lehrgefegt. Seit 5 Jahren war er nicht mehr an diesem Tag hier her gekommen, immer nur am 23ten und hatte Blumen gebracht, damit die Toten an Weihnachten nicht allein dort lagen. Er war wütend, er war so wütend, er hätte fast vor Wut geweint. Doch die Blöße würde er sich nicht geben, selbst in seinem Auto nicht, wo ihn niemand sah. Er musste jetzt seinen Vater sehen. Jenen Mann, der sagte, er sollte alle die er liebte beschützen und sich dann einfach aus dem Staub gemacht hatte. Wahrscheinlich machte er nur nicht die Augen auf, weil er es nicht ertragen konnte seinen Sohn anzusehen, der so jämmerlich versagt hatte. Vielleicht starb er einfach nicht, um ihn zu strafen! Kurogane würde nie wieder versagen, sobald diese Menschen gestorben waren, würde er niemanden auf der ganzen Welt haben, die ihm etwas bedeuteten. Vielleicht Souma, aber die war auch nur ne Frau und Frauen kapierte er nicht. Wollte sich auch gar nicht in ihren modeverrückten, überemotionalen Schäden eindenken. Er – er wurde an der Rezeption aufgehalten. Von einer sehr voluminösen Asiatin im Schwesternkittel. „Sie können hier jetzt nicht rein. Die Besucherzeit ist längst vorbei.“ „Ich will zu meinen Eltern!“ „Es ist halb 12, kommen Sie doch morgen wieder und wünschen Sie ihnen ein frohes Fest. Ich darf Sie hier nicht rein lassen.“ Gefährlich funkelte der rasende Besucher die kleine Frau an und hob drohend eine Faust. Er schlug keine Frauen, aber heute am Fest der Liebe konnte er ja auch eine Ausnahme machen!! „Und wie willst du mich davon abhalten?“ „Ich nicht“, erwiderte sie unbeeindruckt, „aber die da.“ Die Wachmänner waren schon auf Kurogane zugekommen, ihre Gummiknüppel fest in jeder Hand. „Aha. Wollen sie das?“ Gefährlich grinsend, das schon an Wahnsinn grenzte, kam der Japaner auf sie zu. Er hatte keine Kraft mehr weiter zu machen, er hatte keine Nerven mehr sich zurück zu halten, egal was passierte, egal was er hier provozierte. Es war ihm egal. Solange nur irgendetwas passierte. Er wachte wieder auf, mit schmerzenden Schädel und auf dem kalten Boden des Krankenhausvorplatzes liegend. Es zog wie Hechtsuppe auf den ungeschützten Vorplatz und in den Himmel starrend, fragte sich der Japaner, wann, wann endlich, es schneien würde. Aber statt Schnee legte sich eine warme Hand auf sein Gesicht. „Lass' mich raten. Sie wollen da rein.“ Noch bevor er hinsah, wusste Kurogane wer es war. War er denn verflucht diesen Mann ständig an seiner Seite zu haben? „Und lassen Sie mich weiter raten, sie lassen Sie nicht rein, weil Besuchszeit nur bis 8 ist, ne? Und dann haben sie Sie verprügelt.“ „Schnellmerker.“ „Ich helf' Ihnen rein.“ Der kalte Boden schmerzte an seinem Rücken. „Aha.“ „Jap. Is aber nicht umsonst.“ „Was willst du?“ Er schloss die Augen. Die warmen Hände waren immer noch in seinem Gesicht, aber obwohl sie sich gut anfühlten schlug er sie weg. Er hatte sie nicht verdient, er wollte sie nicht, er konnte nichts damit anfangen. „Ich will, dass Sie mich bis zum Ende des Jahres keine Sekunde allein lassen... Vor allem nicht heute Nacht...“ „Und Silvester gehst du?“ „Nicht ohne bye zu sagen.“ Schwer seufzte er. Wieder in dem Himmel starrend, kein Schnee. Der Gedanke machte ihn traurig, obwohl es ihm egal war. Alle redeten von Schnee, von der weißen Weihnacht, im Radio hörte man nichts anderes mehr. Diese ganzen Idioten, die sich auf diesen Weihnachtsblödsinn einließen, wollten das, weil es perfekt in ihr Bild einer friedlichen, fröhlichen Nacht passe. Heutzutage musste alles perfekt aussehen, bunte Lichter, glänzende Geschenke, Pulverschnee am besten noch am Heilig Abend, lachende Kinder. Alles musste perfekt aussehen, um zu überspielen, dass ein Scheißdreck perfekt und gut und glücklich und vor allem nicht heilig und selig war!! „Was auch immer. Bring mich da rein.“ „Okay~!“ Der Blonde sprang auf wie von einer Tarantel gestochen, half ihm hoch und zerrte ihn zur Rückseite des Krankenhauses, Richtung Parkgarage. Unten angekommen frischte Fye geschwind einen Schlüssel zum Treppenhaus hervor und sie schlichen sich hinein. Kritisch betrachtete der Asiate die ganzen Überwachungskameras, aber eigentlich war es ihm egal. Er brach mit seinem persönlichen Stalker in ein Krankenhaus ein. Nachdem man ihm vor nicht mal 10 Minuten wahrscheinlich das Besuchsrecht in dieser Klinik für mehrere Wochen versagt hatte, tat er nun sein Bestes auf immer aus diesem Hause verbannt zu werden. Na ja, er konnte seine Eltern jederzeit verlegen lassen... Sie schlichen durch die Gänge, Kurogane wie im Traum. Ab und an blieben sie stehen, ließen die Schwestern vorbei laufen und versteckten sich in Zimmern, in denen die Patienten ruhig oder röchelnd oder vielleicht auch gar nicht mehr atmeten, aber alle möglichen Geräte piepsten. Er hatte Krankenhäuser von klein auf gehasst, nie hätte er sich träumen lassen, selbst einmal freiwillig so viel Zeit dort zu verbringen. „Mr. Flowright!“, erklang plötzlich eine strenge Frauenstimme hinter ihm. Mit einem ertappten Gesicht eines unschuldig spielenden Schwerverbrechers drehte sich der Blonde um. „Eh.. Mrs. Pumkin, nicht wahr? Sie müssen entschuldigen, das weiße Kaninchen hat so laut gekräht, dass ich nicht schlafen konnte. Ich verspreche hoch und heilig in 10 Minuten in meinem Bett zu sein.“ „Wer ist das da bei Ihnen?“ „Das? Das ist ... .eh... Mr. Ni-hao, er wird mir helfen dieses vermaledeite Kaninchen zurück in seinen Käfig zu packen. Er ist ein renommierter Hasenjäger, Sie haben sicher schon einmal von ihm gehört.“ „Mr. Flowright, hören Sie auf mir so einen Unsinn zu erzählen und gehen Sie zurück in ihr Zimmer.“ „De Flourite, Madamme.“ „Wie auch immer. Gehen sie sofort. Und Sie“, wand sie sich an Kurogane, „Wer sind Sie?“ „Er ist von der Beobachtungsstation, ich zeig im nur das Krankenhaus. Keine Sorge, ich pass auf, dass er nichts anstellt. Geh'n nur mal austreten, dann melden wir uns bei Ihnen!“ „Ich hoffe! Denken Sie bitte daran, dass Sie nicht hier bleiben können, wenn Sie nicht die Regeln befolgen.“ „Ja, Madamme...“ Kurogane konnte es nicht glauben, sie ging tatsächlich. Kurogane war fest überzeugt gewesen, dass sie sie beide rausschmiss. „Du bist hier Patient?“, fragte der Japaner mit einer selbst für ihn skurrilen Mischung aus Überraschung und Desinteresse. „Jap.“ „Lass mich raten, Ebene 5.“ „Jap. 5 is ne schöne Zahl, nicht wahr?“ Gemütlich schlenderte der Mann weiter und sein langer Schal schleifte wieder einmal auf der Erde. „5te Ebene ist doch die Klapse.“ „Jap. Die Offene.“ Kurogane schwieg. „Ist das ein Problem für Sie?“ „Ne, erklärt nur einiges.“ Der kleinere Mann lachte nur und blieb vor dem Zimmer 419 stehen. „Sodalla, hier sind wir!“ Strophe 14 Seine Beschäftigungstherapie stoppte vor dem Zimmer und starrte wie weggetreten auf die Zimmernummer. Nervös sah sich Fye auf dem Gang um, wenn sie nicht hinne machten, würden sie wirklich noch Ärger bekommen! Zum Glück war Amanda wirklich eine Liebe, auch wenn sie manchmal recht rabiat sein konnte, bei ihm und seinen Eskapaden drückte sie stets ein Auge zu. Vielleicht wusste sie ja mittlerweile auch um seinen kleinen Weihnachtstick. Vielleicht wusste sie auch... Seine arg traurigen Gedanken wurden unterbrochen, als der Asiate die Türklinke hinunterdrückte und das stille, dunkle Zimmer betrat. Wie immer piepten hier nur zwei Apparate, mussten wohl Leute mit Kohle sein, die hier lagen. Sonst würden sie wohl kaum so ein schmuckes Einzelzimmer für so viele Jahre bekommen! Er wäre fast gegen den großen Rücken gerannt, der ihm jegliches Licht nahm als er ihm folgte. Bedrohlich, aber so müde, sah ihn sein Gegenüber an. „Ich hab dir nicht die Zimmernummer gesagt.“ „Ich bin schon länger im fünften Stock. Besuch sie öfter mal, mag die rosa Blumen, die du am 23ten immer reinstellst.“ „Sind Sakurablüten.“ „Aha.“ „Sie wachsen im Winter eigentlich nicht... es sind Frühlingsblumen. Nur dieser Blumenladen bestellt sie von einem botanischen Garten...“ Sein Gesprächspartner war heute ungewöhnlich informativ. Fye hatte schon öfter den Verdacht gehabt, dass der Japaner nicht so die Plaudertasche wäre. Die zwei Bewusstlosen atmeten still und unauffällig in ihren Betten, doch der große Mann kam nicht näher. Fye wagte nicht sich zu bewegen, ihm wurde immer noch der Rücken zugedreht und das Piepsen klang überlaut in seinen Ohren. Was wollte der Japaner nur Weihnachten um diese Zeit bei seinen im Koma liegenden Eltern? Und hatte er sich wirklich nur hier her geschlichen, um doof in der Gegend rumzustehen? Na ja, vielleicht machte er das ja immer so, als Ritual sozusagen. Konnte er nicht beurteilen, er hatte nur ein Weihnachten hier im Krankenhaus verbracht und an dem Abend war er zu beschäftigt gewesen Selbstmord zu begehen, als dass er sich um Zimmer 419 hätte scheren können. Er bemerkte immer nur die Blumen am 23ten, aber bald war Weihnachten vorbei und er wollte es auf keinen Fall wieder im Krankenhaus verbringen, dachte der Blonde nervös und hibbelte etwas. Gerade als er fragen wollte, ob er vielleicht raus gehen sollte, setzte sich der Riese in Bewegung und setzte sich auf einen Stuhl zwischen den Betten. Ganz still saß er da, bis auf das Massieren der Schläfen, und starrte ins Nichts. So wie er ihn voriges Jahr stundenlang beobachtet hatte, doch voriges Jahr hatte er nicht gewagt ihm nahe zu kommen. Er brauchte jemand an Weihnachten, den er vergessen konnte. Und dieser Mann, der seine Eltern einmal in Jahr besuchte und diese schönen Blumen mitbrachte, strömte so eine Einsamkeit aus, so eine Leere, dass Fye sich selbst irgendwie wie ein Hochstapler vorkam. Dabei fiel ihm wirklich keiner ein, der in seinem Leben noch eine Rolle spielte. Aber nun... nun würde er vergessen, egal was er tat. Das letzte Weihnachtsfest sollte etwas besonderes sein und der verschwiegene Mann war die einzige, lebende Person auf der ganzen Welt, die ihm eingefallen war. Aber plötzlich, ganz plötzlich wollte er nicht mehr vergessen. Nicht diese Einsamkeit, nicht dieses Bild wie der Mann dort saß, nicht die Umarmung in der Badewanne und auch nicht dass der Mann seinen roten Schal angenommen und um den Hals geschlungen hatte. Das erste Mal in Fyes recht kurzem Leben hatte er etwas tun können, was jemanden ein klein wenig Wärme verschafft hatte. „Sie sind... sie sind schwach.“ „Wer?“ „Sakurablüten. Sie blühen nur einmal in Jahr an Bäumen und sobald auch nur ein Windhauch kommt, segeln sie auf die Erde und sterben. Als wären sie bei ihrer Erschaffung schon dazu bestimmt zu sterben.“ „Is das nicht normal?“ „Ach, ich vergaß. Für euch Suizidgefährdeten ist die ganze Welt ja zum Sterben verurteilt.“ „Nein, Irrtum. Die ganze Welt ist schon tot.“ „Hast du jemals so etwas wie wahre Stärke gesehen?“ „Nein. Aber ich will gar nicht sterben, falls Sie darauf hinaus wollen. Ich will leben.“ „Was auch immer, gehen wir.“ „Schon fertig?“ „Ja.“ „Haben Sie schon einmal wahre Stärke gesehen?“ „Gesehen, nicht gefühlt.“ „Oh.“ „Was ist passiert?“ „Wie, was ist passiert?“, der hochgewachsene Mann hatte sich bereits wieder erhoben und nach seiner Lederjacke gegriffen. Die deprimierte Stimmung im Raum war verschwunden, sie waren sich wieder fremd. Dennoch wollte Fye es nicht auf sich beruhen lassen. „Das mit Ihren Eltern. Die Verbrennungen dritten Grades kann ich mir ja noch selbst erklären, aber Koma, man fällt nicht einfach so ins Koma, oder doch? So weit ich weiß nicht.“ „Hast du nichts anderes zu tun als Krankenakten zu lesen?“ „Schwerlich.“ „Das geht dich einen Scheißdreck an.“ „Ich hab Ihnen meine Geschichte erzählt, nun sind Sie dran.“ Gott, erzähl es mir. Erzähl es mir. Erzähl es mir. Ich will die Erinnerung eines anderen Lebens mit in den Tod nehmen, dann sterbe ich wenigstens nicht allein. Doch dieser Gefallen wurde ihm von Gott nicht getan, und schon recht nicht von seinem One-night-stand, aus dem mittlerweile schon ein Two-night-stand wurde und vielleicht sogar ein all-week-stand. Wütend packte der Japaner ihn an seinem Lieblingsschal und hob ihn etwas in die Höhe. Oh, oh, würde er nun doch seine Pracht Prügel bekommen, die ihm von Anfang an angedroht war? „Ich erzähl dir meine Geschichte und dann lecken wir uns die Wunden, ficken ne Runde und die Welt ist wieder gut, oder was? Ich erzähl dir mal was, das klappt nicht. Man kann nicht von heut auf morgen glücklich werden, man kann es sich nur einbilden. Aber auch da wacht man wieder drauf aus, und darauf hab ich keinen Bock. Menschen können sich nicht erreichen, nicht einmal ansatzweise. Sie kommen sich nur nahe, um Bedürfnisse zu befriedigen, körperliche und seelische. Das ist alles. Und für letzteres hab ich keinen Bedarf, also hör auf Psychiater zu spielen, du brauchst selbst einen. Und halt ja die Klappe, ich will nichts hören.“ „Aber...“ Hart wurde seine Hand gepackt und Kurogane zog den Ärmel seines weißen Pullis hoch, offenbarte die Schnitte. Für einen Moment war das Gesicht des riesigen Japaners nur ein einziger Schatten. „Sie hin, SIEH da hin.“ Schwer schluckte der Blonde. Ein wenig kam ihm die Angst hoch. Der Mann vor ihm schien wirklich gerade auszuflippen, vielleicht hatte er emotionalen Stress oder so... also senkte Fye de Flourite den Blick und sah auf sein Handgelenk. „Siehst du das? DAS ist der Grund, weswegen ich froh sein werde, wenn du Silvester wieder gehst. Ich hasse solche Schwäche!“ Fye zauberte ein breites Lächeln auf seine Lippen. „Dann sind wir uns ja einig, nicht wahr?“ Entnervt ließ ihn der Schwarzhaarige los und Fye taumelte ein paar Schritte zurück. „Ich fahre nach Hause“, verkündete er müde, resigniert, die Wut war raus, ohne Frage. „Au ja, ich hol auf den Weg noch Eiscreme und Milch! Dann kann ich wieder heiße Schokolade machen! Hat Ihnen die letzte denn geschmeckt?“ „Allein.“ „Kein Problem, hab meinen eigenen Wagen da. Denken Sie ich bin ihnen vorher hinterher gejoggt?“ Entnervt sah Kurogane ihn an. Und schüttelte den Kopf. „Ich will heute Abend allein sein. Komm wenn überhaupt morgen. Vielleicht fühle ich mich dann entfrustet genug für's vögeln.“ Das Zimmer war ganz dunkel, er konnte den größeren Mann kaum erkennen. Er ihn wohl auch nicht, sonst hätte er sicher gemerkt, dass er zitterte. Vor Wut oder Angst wusste er nicht. Er wollte diese Nacht nur nicht allein sein. Und wenn sie die ganze Nacht hier standen und sich beleidigten, es war ihm lieber, als heute Nacht allein in seinem Zimmer oder auf den leeren Straßen zusammen mit den Pennern zu sein, ohne einen warmen Körper um sich und in sich, einer Stimme, die kontinuierlich zu ihm sprach oder auch nur Atem, dem er immer lauschen konnte. „Alles was ich mir wünsche, ist diese Nacht nicht allein zu sein, Kurogane....“ „Ich bin nicht der Weihnachtsmann.“ Mit diesen Worten verließ er den Raum und ließ Fye allein zurück. „Ich sterbe, verdammt noch mal!“, schrie er durch den ganzen Gang, als Kurogane bereits am Aufzug war. Ob sie nun doch noch einer der Schwestern ertappte, war ihm gerade herzlich schnuppe. „Du herzloser Kerl! Es ist Weihnachten! Du hast es mir versprochen!“ „Ich scheiß auf Weihnachten. Und sicher stirbst du nicht heute Nacht. Es sein denn du bringst dich um.“ „Wenn, dann nur wegen dir!“, wie verzweifelt war er eigentlich, dass er versuchte mit allen Tricks und Kniffen den anderen Mann zum Bleiben zu bewegen? „Kann ich mit leben, ich kenn' eh nur Tote.“ „Du bist grausam...“ Ein Flüstern. „Die ganze verfluchte Welt ist grausam.“ Ein Flüstern. Und die Aufzugtüren schlossen sich mit einem pling. Strophe 15 Ihm tat alles weh, trotzdem hatte er es auf der Feuerleiter in den fünften Stock geschafft. Shaolan konnte sagen, er hatte was mit seinen 17 Jahren geleistet, auf das er stolz sein konnte. Niemand schaffte es sonst krankenhausreif so eine Zirkusnummer hinzulegen. Im fünften Stock angekommen, machte er eine Verschnaufpause und lehnte sich an das tatsächlich rostige Geländer. Hier in der Gasse war es ganz ruhig. In Filmen wären jetzt alle hinter hell erleuchteten Fenstern und feierten höchst kitschig und Waschmittelwerbung mäßig ein glückliches Weihnachtsfest mit der ganzen Familie. Aber die meisten Fenster an denen er vorbeigeschlichen war, waren dunkel, nur eines erleuchtet und hinter dem saß ein Mann am Fernseher. Die Gasse unter ihm schimmerte feucht, aber er wusste das es Eis war. Es hatte geknackst, als er mit seinen zerrissen Turnschuhe darüber gelaufen war. Der Verkehr ging am Ende der Gasse seinen Gang, allerdings nicht so stark wie sonst. Vermutlich hatten heute alle ihre Energie beim Endeinkaufsspurt verausgabt und nun hatte keiner mehr Lust rauszugehen. Shaolan hatte auch kein Lust hier draußen zu sein. Er hatte auch keine Lust im Heim zu sein. Er hatte auch keine Lust bei Sakura zu sein. Er hatte überhaupt keine Lust dieses Weihnachten irgendwo zu sein. Plötzlich hörte er das Quietschen von Reifen und sah einen roten Kleinwagen die Gasse hinunter schmettern, dicht gefolgt von einem schwarzen. Neugierig lehnte sich Shaolan vor, um die Raser zu beobachten. In der Gasse passten nicht einmal zwei Autos nebeneinander durch, da war vielleicht 70 km/h keine Geschwindigkeit, die der Lebensversicherung Freude machte. Doch dann machte der schwarze Wagen, der mittlerweile aufgeschlossen hatte, einen scharfen Schlenker nach rechts und rammte den Roten. Der verlor auf dem Eis die Bodenhaftung, kollidierte volle Pulle mit der Häuserwand , so dass die ganze Feuerleiter wackelte wie verrückt. Das Geländer gab nach und bevor Shaolan seine Selbstmordpläne noch einmal überdenken konnte, flog er auch schon wie ein nasser Sack Richtung Erde. Bridge ------ Die Straßen waren wie leergefegt, als sie zu dritt durch die Nacht fuhren. Kurogane sah auf die Uhr. 10:51. Noch 1 Stunde und 9 Minuten. Fye fuhr erstaunlich ruhig und sicher, dafür dass er vorhin noch so aufgedreht war. Der Japaner bewegte sich trotz seiner Schmerzen etwas im Beifahrersitz, um im Rückspiegel die Augen des Franzosen zu sehen. Die Pupillen waren nicht erweitert, also hatte er keine Drogen genommen. Aber die Ränder um die Augen gerötet, als hätte er geweint. Na ja, nicht sein Problem. Er veränderte seinen Winkel und sah auf den chinesischen Jungen, den sie aufgenommen hatten. Er lag auf den Rücksitz und sah mit weggetretenen Blick aus dem gegenüberliegenden Fenster. „Oi, sicher, dass du nicht ins Krankenhaus willst?“ „Ja, ganz sicher.. mir geht's gut... hab nur Kopfschmerzen... “ Nun kam endlich Bewegung in den Blonden, der die ganze Zeit wie versteinert auf die Straße gestarrt hatte, so dass Kurogane schon fürchtete, er wäre in ein Wachkoma gefallen. Mit einem beherzt rabiaten Ruck öffnete der Blonde das klemmende Handschuhfach. Ein schwerer Kloß bildete sich in seinem Hals, als er an seine Worte im Krankenhaus dachte, ja, ein wenig vor Schuldbewusstsein, aber das war er gewohnt, damit konnte er leben. Seine Sühne würde einfach sein, heute Abend alles über sich ergehen zu lassen. ~~ „Shaolan, war dein Name, ne?“ Ohne weiter auf die Straße zu achten kramte Fye im Handschuhfach herum und musste leicht grinsen, als der Japaner panisch nach dem Lenkrad griff. „Ich hab hier irgendwo Kopfschmerztabletten.“ „Voll cool Mann, sind aber keine Drogen, oder?“ „Ne.“ „Im Krankenzimmer dachte ich schon, du willst mir was andrehen. Dabei war's nur ne Blume.“ Nun musste Fye wirklich kichern, eine gewisse Euphorie schaffte sich gerade in seinem Brustkorb Platz, während er bedachte, was für ein oller Zufalle das doch waren, dass sie alle stets im selben Krankenhaus rumsaßen, bevor sie sich unter solchen Umständen an Heilig Abend versammelt sahen... Der Mann, in dessen Schoß er gerade lag, rutschte etwas auf seinem Sitz herum und beinahe landete sein Gesicht in dessen Schoß. Die ganze Zeit beobachtete er schon den Jungen oder seinereinen im Rückspiegel, jetzt hatte sein Beifahrer wohl entschlossen, sie direkt anzusehen. Auf der schwarzen Jeans hatten sich dunkle Flecken gebildet, die Splitter in den Armen sollten schleunigst entfernt werden, sie sahen ja aus wie die Sendevertretung der Adamsfamilily! „Dir hat er auch versucht den Mohn anzudrehen?“, fragte Kurogane gerade. „Joa.“ ~~ Das war jetzt ja wirklich voll verrückt! Und Shaolan hatte schon ne Menge verrückter Dinge angestellt! Er war bei Nacht in Schwimmbäder eingebrochen, er war mit 14 in einem Stripclub gekommen, er war mehrmals aus dem Heim abgehauen und hatte sich dennoch ne schöne Zeit gemacht, er hatte sich sogar mal paar Monate bei ner alten Dame einquartiert, er hatte ne Freundin, die seit 3 Jahren nicht mit ihm geredet hatte und sogar schon mal n Dreier gehabt! Aber nun saß er ernsthaft mit zwei wildfremden Kerlen hier in ner wackeligen Schrottkarre, verprügelt, Kopfschmerz geplagt, kurz nach einem missglückten, eher unfreiwilligen Abexversuch. Musste er noch erwähnen, dass das krass war? Es war Weihnachten, der Autounfall der beiden rettete ihm das Leben und nun waren sie alle auf dem Weg sonst wohin um mal eben n schönes Familienfest zu feiern, obwohl sie grad mal ihre Namen kannten. Familienfest! Er hatte seit 10 Jahren kein Familienfest mehr gehabt! Er konnte nur hoffen, dass das keine verrückten Perversen waren, die ihm an die Wäsche wollten, sondern lediglich nur verrückt. Strophe 16 bis 31 ----------------- Strophe 16 Sie parkten den Wagen genau vor der Haustür und sie hatten wirklich Glück, dass die Tür noch kaputt war. Der Große hatte nämlich schon wieder seinen Schlüssel verloren. Ein reinstes Wunder, dass überhaupt noch was in der Wohnung stand, als sie völlig fertig (3. Stock) dort ankamen. Aber heute hatten selbst die Einbrecher wohl besseres zu tun. Kritisch und innerlich total aufgedreht vor Freude besah sich der nun nicht mehr kleinste Mann ihrer illustren Runde, seine Abendgesellschaft. Ein Kurzer und ein Großer. Der Kleine hatte schöne braune Augen und nur wenige asiatische Züge, der Große sah finster wie immer drein. War es nicht seltsam mit denen zwei sein Weihnachten zu verbringen? Feierte man in Asien überhaupt Weihnachten? Er sah auf die Uhr. 11:12. Tatsache war jedenfalls, das die beiden gerade den Teppich vollbluteten. „Ich lass Wasser in die Badewanne~ ihr solltet eure Wunden verarzten. So was aber auch, ihr hattet wirklich Glück, dass ihr noch lebt. So ein schwerer Unfall hätte auch ins Auge gehen können.“ Kurogane sah ihn kritisch, aber ohne viel Elan an. „Erinnere dich bitte daran, dass du den Unfall verursacht hast.“ Er bemühte sich um eine leger wegwerfende Handbewegung. „Is mir noch klar in der Birne gehaftet, aber das war nur der Beweis!“ „Was für ein Beweis?“, fragte der Junge, immer noch von dem Japaner gestützt. „Na, der Beweis, dass es Schicksal ist, dass wir heute zusammen den Abend verbringen!“ „Joah, den Gedanken hatte ich auch schon“, gab der Junge zu. Sein nicht-ganz-sicher-wie-lang-night-stand verdrehte nur die Augen, ließ den Jungen los und bewegte sich Richtung Küche. Eilig sprang Fye vor, um den Jungen zu stützen, der beinahe sein Gleichgewicht verloren hätte. Aus der Küche hörte er das Öffnen des Kühlschranks, danach ein Klacken und dann Zischen. Das erleichterte „ahh“, das danach zu den zwei Lauschenden klang, machte dem Franzosen unmissverständlich klar, dass er sich um die Wunden des Jungen kümmern sollte, während der Japaner die Getränke auftischte. Strophe 17 „HEY! Geh mir nicht an die Wäsche!!“ „Aber willst du denn mit Klamotten baden?“ „Ich kann das allein!“ „Sicher?“ „Ja!“ „Okay.“ Ein Klirren vermittelte Kurogane, dass gerade sein Aftershave vom Badewannenrand gefallen war. Er hätte es wegräumen sollen. „Jetzt bist du hingefallen...“ „Verdammter Fickmist! Ich hab mir den Knöchel gebrochen, alles die Schuld von euch Irren.“ „Eigentlich meine Schuld, ich bin vorsätzlich in den Großen reingefahren. Lass mal schaun.“ „AUA!“ „Ach, is nicht gebrochen, nur verstaucht, mach dir n Verbrand rum.“ „Sag mal, wo schaust du eigentlich die ganze Zeit hin?“ „Auf deinen Fuß.“ „Echt?“ „Jap, ich steh nicht auf Kinder.“ „Ich bin 17!“ „Ich steh nicht auf Kinder. Erst mit 18 ist man erwachsen und darf mit anderen Erwachsenen dreckige Dinger tun, Kleiner. Davor sollten in der Hinsicht Kinder unter sich bleiben.“ „Ist das dein Lover da draußen?“ „So was wie mein Weihnachts-one-night-stand, nur länger.“ „Ah.“ „So, besser? Soll ich dir den Rücken schrubben?“ „Lass stecken. Also, du bist vorsätzlich in ihn reingefahren? Habt ihr euch gezofft?“ Der schwarzhaarige Mann lehnte sich mehr an die Badezimmertür und lauschte mit geschlossen Augen. „War n' Test.“ „Test?“ „Jap. Ich dachte, wenn er stirbt, dann hat mich wenigstens niemand vorsätzlich allein gelassen. Wenn er überlebt, war es Schicksal.“ „Ich hätt' dir was gebrochen, wenn du versuchst hättest mich umzubringen.“ „Ich hab versucht dich umzubringen, schon vergessen?“ „War ja n' Versehen.“ „Stimmt. Kuro-chan droht's mir dauernd, aber er hat mich noch kein einziges Mal geschlagen. Guter Kerl, ne?“ „Voll cool, dass wir jetzt in seiner Wohnung sind.“ Die Badezimmertür ging auf und Kurogane öffnete die Augen. Himmelblaue sahen in seine. Ein leichtes Lächeln umspielten die schmalen Lippen des Blonden und seine Wangen waren ganz rot von der heißen Luft im Raum. Ruhig sah Kurogane ihn an. „Vorsätzlich?“ „Würdest du mir von oben das Shampoo runterholen? Können ja nicht alle so groß sein.“ Strophe 18 Halb 12. Nach dem Bad ging es dem Jungen schon um einiges besser und er musste sagen, jetzt wo er sich vergewissert hatte, dass ihm niemand hier an die Wäsche wollte, fühlte er sich richtig wohl hier. Seine Rippe tat was weh und der Fuß war verknackst, sonst nur blaue Flecken. Kaum zu glauben, dass er tatsächlich aus dem dritten Stock geflogen war. Sein Schutzengel machte wohl heute Überstunden. Die Wohnung war klein und etwas kalt und sehr unordentlich, aber duftete herrlich nach Kakao. Er hatte jahrelang diesen Geruch nicht mehr in der Nase gehabt, früher hatte die Frau, die sich seine Mutter schimpfte, das mal zu Weihnachten gemacht, aber selbst das war ne Fertigpackung gewesen. Und nun stand der blonde Kerl, der ihn vorhin fast totgefahren hätte, tatsächlich in der Küche und schmolz Schokolade und vermischte sie mit Milch, die er gerade bei der Tanke gekauft hatte. Richtig cool. Er war wohl Franzose, hatte jedenfalls n' leichten Akzent, die konnten wirklich alle gut kochen. Der Riese saß neben ihm auf dem durchgesessenen Sofa, schwieg und starrte Löcher in die Luft. War wohl eher von der schweigsamen Sorte. „Weihnachten is wohl nicht so dein Fall, oder?“ „Ich hasse Weihnachten.“ „Ich auch, zu viel los. Ich feier' mit meiner Freundin auch immer erst am 28ten.“ In dem Moment kam der Blonde rein und stellte drei Tassen mit duftenden Kakao vor sie auf den Glastisch. Er summte ein Weihnachtslied. „Rudolf, the rednosed rendeer“. In der Küche war es noch „Santa Baby“ gewesen. „Wenn du ne Freundin hast, ist es aber nicht anständig sich umbringen zu wollen.“ Er zuckte nur mit den Schultern. „Sie hat so ne Art spontane Demenz, oder so. Sie erkennt niemanden.“ „Oh.“ Der Schwarzhaarige zuckte zusammen. „Vor drei Jahren haben n paar Kerle ihr echt übel mitgespielt, seit dem...“, seine Stimme stockte etwas. Warum fiel es ihm leichter Wildfremden das zu erzählen, was sonst kaum einer wusste. „Seit dem....“ Von den Tassen stieg Rauch aus wie von einer Zigarette. Der schwarzhaarige Japaner starrte immer noch irgendwo ins Nichts, der Franzose sah ihn geduldig aber mitfühlend an. „Ach, vergiss es.“ „Ignoriert sie dich“, mischte sich plötzlich die tiefe Stimme des Japsen ein. Sie klang seltsam belegt, als hätte der Kerl n genau so dicken Kloß im Hals wie er selbst. „Ja. Weil ich n' Junge bin und sie Jungen hasst. Sie sieht mich nie an, egal was ich mach... und jetzt darf ich sie dieses Jahr nicht einmal mehr besuchen, weil ich mich mit der Schwester angelegt habe.“ „Merkt sie ja doch nicht.“ Kurogane. „Sie merkt es ganz sicher!“ Fye. „Sie merkt es wirklich nicht, glaube ich..“, murmelte Shaolan. „Sie muss einfach nur mal raus, glaube ich“, bestand Fye auf seinen Punkt und kramte unter dem Tisch ein Päckchen Zigaretten hervor und steckte sich eine an. Der Schwarzhaarige sah ihn angepisst an, doch er ließ sich nicht beirren. „Ich finde wir sollten alle einen Weihnachtswunsch äußern und versuchen ihn bis Silvester zu erfüllen! Du willst doch sicher n schönes Weihnachtsfest mit deiner Freundin haben, ne Shaolan?“, schlug er vor. Der Junge glaubte nicht wirklich daran, dass das klappen könnte. Aber es machte Spaß so zu planen, auch wenn die Verzweiflung ihn nur noch um so breiter grinsen ließ. Er nahm sich auch eine Zigarette von dem Japaner und zog betont gelassen daran. „Klar!“ Ihm war schon wieder übel. „Ich find das ne tolle Idee! Kurogane? Was hältst du davon?“ Shaolan sah zu dem Japaner. Er verdrehte die Augen. Der Franzose grinste nur breit. „Also, ich bin dafür“, bemerkte er einfach mal. Triumphierend stieß Fye die Luft aus und ließ sich in den Sessel fallen. „Juchuu!“ „Ohne mich.“ Der große Mann neben ihm stand ächzend auf und zischte etwas. Seine Arme waren mittlerweile bandagiert wie ne Mumie, aber in dem Alter verrenkte man sich ja eh öfter mal was. Shaolan schätzte ihn so auf 26. „Aber Kuro-pon.“ „Kurogane ist mein Name, Idiot.“ Und dann passierte etwas, was er nicht ganz kapierte, aber na ja, die beiden kannten sich ja schon länger. Und mit ner Freundin wie Sakura vergaß man irgendwann, was normal war. Ganz plötzlich sprang der Franzose auf und stellte sich vor Kurogane. Der hob die Hand als wollte er ihn schlagen, doch der Blonde zuckte nicht zurück. Gebannt sah Shaolan auf die Szene. Ein Klatschen und der kleiner Mann taumelte zurück. Oh je, wenn die beiden sich jetzt zofften, würde ihr verrücktes, improvisiertes Fest wohl in die Hose fallen. Er fand die Idee doch so cool. Die Ohrfeige war eher schwach gewesen, nicht mal die Faust hatte die Lusche benutzt. Shaolan konnte sich nicht ganz entscheiden, ob er das unmännlich oder cool finden sollte. Die ziemlich arg blauen Augen sahen direkt in das Gesicht des Asiaten und dann umarmte er ihn einfach. Wie durch n Volltreffer aus ner Strahlenpistole versteinert, erstarrte der Größere fast. Doch der Franzose klebte. Er klebte sicher gut 2 Minuten da und er selbst starrte sie an als wäre er bekifft. Irgendwann traute er sich zu regen. Die Stimmung war bombig, so ungefähr 20 Sekunden vor der Explosion allerdings. „Ehm...“ In dem Moment erschollen die Kirchturmglocken. Shaolan kapierte erst gar nicht, woher das kam, aber klar, an Weihnachten wurden auch um Mitternacht die Glocken geläutet. Endlich löste sich der Blonde von dem Felsen in dem kleinen Wohnzimmer. „Danke“, sagte er leise. Der große Mann schloss langsam die Augen. „Okay. Wir holen die Kleine.“ Strophe 19 Das Auto sprang nicht an. Er hatte dem Gebrauchtwagen wohl etwas zu viel zugemutet, als er Kurogane mit seiner Kühlerhaube ein wenig angestupst hatte. Also kurzerhand den Weihnachtsbaum aus dem Kofferraum gefischt und mehr schlecht als recht durch klirrende Kälte zur Bushaltestelle gelatscht. Der Große trug den Kleinen und sie bekamen sogar noch Kinderrabatt! Weihnachten war einfach wunderbar, sogar die Busfahrer, die heute Dienst hatten, waren festlich drauf! Zufrieden ließ er sich in einen der gepolsterten Sitze fallen. Außer ihnen waren nur noch ein paar Punks ganz hinten im Bus. Sein Herz klopfte wie wild und es klopfe noch mehr, als sich der Asiate neben ihn setzte. Er konnte sich nicht erinnern, sich die letzten 4 Jahre an diesem Tag so gut gefühlt hatte. Es war der 25te und nun musste er nur noch bis zum 26ten aushalten, dann war es geschafft! Vorhin im Wohnzimmer hatte er wirklich geglaubt, jetzt wäre es vorbei. Der Japaner schien ziemlich angepisst wegen dem Autounfall gewesen zu sein, aber Fye de Flourite hatte es mal wieder mit seiner Hartnäckigkeit und unvergleichlichen Charme geschafft seinen Willen zu bekommen! „Schon ne Idee, was wir mit ihr machen können?“, fragte er Shaolan, der ihm gegenüber saß und nun schon dir dritte Kopfwehtablette schluckte. Der Franzose hatte ihm vorsichtshalber die ganze Packung gegeben. Die konnte man ganz killen, ohne dass man starb. „Sie liebt Eislaufen. Die Eislaufbahn vor dem Rathaus hat doch noch offen, oder?“ „Au ja! Das is ne super Idee! Ich liebe Schlittschuhlaufen! Wie isses mit dir, Kuro-sama?“ Der Größte ihrer Runde reagierte erst überhaupt nicht, dann sah er erst entnervt zu dem Jungen, dann -als hätte er eine sich langsam einstellende Geisteserleuchtung – blickten die rot-braunen Augen direkt in sein Gesicht. Irgendwie gruselig, wenn dieser Mann ihn ansah, hatte Fye stets das Gefühl von oben bis unten durchleuchtet zu werden. Zum Glück war er sich mit 100% Wahrscheinlichkeit sicher, dass diesem Mann schnuppe sein würde, egal was er sah. Er würde ihn verachten, sich aufregen und bei dem Temperament war die Wut sicher nicht bis Silvester verklungen und da war er ja weg. „Was veranstaltest du da eigentlich mit meinem Namen? Weißt du überhaupt, was du da sagst?“ „Ehm... nennt man hier Spitznamen. Gibt's das in Japan nicht?“ „Ich bin nicht erst seit ein paar Jahren in Amerika.“ „Oh wirklich, wie lange denn?“ „21 Jahre.“ „Oh, ich bin hier geboren. Aber du hast so gar keinen Akzent!“ „Echt nicht, Mann“, mischte sich auch nun Shaolan in ihre hirnrissige Unterhaltung ein. „Nich' wahr, Shaolan-kun?“ „Eh?“ Kurogane fischte in den Taschen seiner Lederjacke nach Kippen, aber fand sie nicht. Sie lagen sicher noch im Wohnzimmer. Frustriert schmiss er das unbrauchbare Feuerzeug auf den freien Vierer. „“-kun“ benutzt man glaube ich für Jungen, oder so.“ „Woher weißt n' das? Is das Japanisch?“ „Jap, hab mal in nem japanischen Restaurant gearbeitet.“ „Da sagt man aber nicht „Ni-hao“. „Ach, is doch schnuppe. Ich kann keinen Vietnamesen von nem Chinesen unterscheiden und keinen Japaner von nem Philippino. Hab da einfach keinen Blick für“, theatralisch zuckte Fye mit den Schultern und bemerkte dabei, dass er wohl doch beim Crash ein leichtes Schleudertrauma davon getragen hatte. Kurogane sah ihn an. Undeutbar. Dann beugte er sich vor und Fye blieb echt die Luft weg, als sich die raue, große Hand hob und sich seiner Wange näherte. Diesmal nicht für eine Ohrfeige, er konnte schon die Wärme auf seiner Haut spüren. Der Bus bog scharf um eine Kurve und Kurognes Körper wurde von der Fliehkraft etwas mehr zu ihm befördert. Von ihrem Lauf war ihm immer noch ganz kalt und daher spürte er die Wärme des größeren Körpers um so deutlicher. Der Junge starrte einfach und der Blonde war heilfroh, dass die Haltestelle „Eisenhower-Central-Krankenhaus“ durchgesagt wurde und er eine Entschuldigung hatte, aufzustehen. Strophe 20 Es war mal wieder die Aufgabe seines blonden Stalkers sie ins Krankenhaus zu lotsen. Und verrückterweise klappte alles. Normalerweise, so erklärte ihnen der Franzosen, hatten hier viel mehr Schwestern Aufsicht, aber da an Weihnachten so viel Fälle reinkamen, waren sie fast alle auf der Intensiv- oder Beobachtungsstation. Das Zimmer der Kleinen war das Vorletzte im Gang. Von dem kleinen Fenster aus, unter dem ein hässliches Wartesofa stand, konnte man den erfrischend abwechslungsreichen Krankenhausvorplatz sehen. Warum mussten Krankenhäuser stets so deprimierend sein, das nahm einem ja jede Luft zum atmen. Außer der Kleinen lagen noch zwei weitere Frauen in dem Raum, doch diese schliefen tief und fest. Er würdigte sie keines Blickes. Das Mädchen hatte hellbraune Haare mit einem leicht rötlichen Stich und als sie näher kamen, bemerkte Kurogane, dass ihre Augen einen schönen grasgrünen Ton hatten. Sie war wach, doch eben in diesen schönen Augen tat sich gar nichts, als sie in ihr Blickfeld gerieten. Wie hypnotisiert starrte sie aus dem Fenstern, selbst als es durch ihre Körper verdeckt war. Genau so gut hätte sie schlafen können, so weit weg war sie. Der Junge setzte sich neben sie auf's Bett und flüsterte leise „Sakura, hey, Sakura. Hast du Lust auf einen Weihnachtsausflug?“ Er konnte das nicht mit ansehen und stellte sich an das Fenster, während Fye und der Kurze dem Mädchen Turnschuhe und einen Anorak anzogen. Der Junge nahm sie vorsichtig an die Hand und lotste sie zur Tür. Was taten Sie eigentlich hier? Sie war tot und selbst wenn ihr Körper es nicht war, ihr Geist war meilenweit fort, erreichbar für niemanden. War doch eh alles das selbe. Und dazu waren ihre Schritte noch unerträglich langsam und unsicher! In solch einem Tempo waren sie im Frühling noch nicht hier raus! Mit energischen Schritten trat Kurogane in den Gang und suchte. Nicht nur die beiden anderen hatten die letzten Jahre regelmäßig in diesem Krankenhaus verbracht, auch er, er kannte es in- und auswendig. Und da fand er ja auch schon was er suchte, ein silber-schwarzer Klapprollstuhl. Allerdings war er dann mit seinem Latein auch schon Ende. Wie bekam man dieses verdammte Ding denn auf? „Das ist ja ne super Idee, Kuro-chan!“, rief der Franzose begeistert und ging ihm zur Hand. Kurz darauf war der Rollstuhl einsatzbereit, das Mädchen hineingehievt worden und sie auf ihren Weg zur Tiefgarage. Sie fühlten sich wohl alle plötzlich gehetzt, kein Argument der Welt würde sie raushauen, wenn sie bei der Entführung einer Minderjährigen aus ihrem Zimmer erwischt würden. Da half auch die Ausrede, dass sie lediglich Schlittschuhlaufen gehen wollen so viel wie n neuer Reifen bei seinem geschrotteten Auto. Vom Krankenhaus bis zur Schlittschuhbahn war es zum Glück nicht weit und nachdem Kurogane den Kurzen einfach zu seiner Freundin auf den Rollstuhl befördert hatte, schafften sie die Strecke sogar rennend. Eine auf antik gemachte Uhr über der immer noch verschwenderisch hell und bunt erleuchteten Eislaufbahn zeigte halb 2 Uhr nachts an. Dennoch war die Bahn voll junger Leuchte, rockige Weihnachtsmusik dröhnte über das Eis, am Rand standen Glühwein trinkende Zuschauer oder pausierende Läufer. Sogar ein paar Kinder waren um diese Uhrzeit noch hier. Völlig außer Atem kamen sie am Rand der Eislaufbahn an. Eisige Luft jagte durch seine Lungen und die Wangen seiner Wegbegleiter waren ganz rot. „Ich hole uns Schlittschuhe!“, rief der Junge aufgedreht, nicht mehr der verstockte Teenie, sondern nun hatte er mehr Ähnlichkeit mit einer dieser weihnachtsbegeisterten Blagen, die noch an den Weihnachtsmann glaubten. Kurogane wollte fragen, ob alles in Ordnung war, der Kurze hatte doch ne Rippe gebrochen, oder? Die Fahrt über Bürgersteige und Treppen war ziemlich rabiat gewesen. Doch schon war er abgedüst und er war mit dem Blonden und dem apathisch vor sich hinstarrenden Mädchen allein. Ihm war scheiße kalt, trotz seiner Lederjacke. Vielleicht sollte er noch was trinken. Er starrte das Mädel an. Sie starrte durch ihn hindurch. „Hey, zeig mal etwas Regung. Dein Freund will mit ner gebrochenen Rippe und nem verknacksten Fuß mit dir Schlittschuhlaufen gehen“, versuchte er ungeschickt. „Mein Name ist Kurogane. Und der Irre da ist Fye.“ Sie starrte durch ihn hindurch. Er wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht . Keine Reaktion. Mit einem genervten Zusammenziehen der Brauen drehte er sich zu dem Franzosen um, der auch schon erstaunlich lange keine Reaktion gezeigt hatte. Doch dieser war plötzlich verschwunden. „Verdammte Scheiße!!!“ Jetzt ließ der Kerl ihn auch noch mit den zwei Blagen allein! Strophe 21 „Verdammte Scheiße!“, schrie er und seine Lungen schienen dabei zu zerbersten. Einige junge Leute sahen ihn verwirrt an, Frauen und Männer in seinen Alter, doch er drehte sich nur von ihnen weg. Die ganzen Tannenzweige und blaues Lametta, die am Rande der Eislaufbahn aufgehangen waren, stachen in seinen Rücken und er zog die Jacke mehr über seinen Hintern. Seine ganze Seite brannte wie die Hölle. Versuchend seinen schmerzenden Atem unter Kontrolle zu bekommen, atmete er dabei beinahe eine seiner Haarsträhnen ein. Ärgerlich schob er die blonde Zauserei wieder hinter die Ohren. Er hatte vor lauter Aufbruchsstimmung seine Mütze in der Wohnung vergessen. Er würde wohl nicht wieder kommen, um sie zu holen. Der riesige Weihnachtsbaum prangte vor ihm in die Höhe und glitzerte gold und silbern und blau und grün, als wollte er Aufmerksamkeit einfordern. Kleine Päckchen hingen an den Nadelzweigen und ein süßlicher Tannennadelduft wehte über die ganze Eisfläche, vermischte sich dort mit dem matten Hauch des Eises und dem schweren Stich des Glühweins. Gerade kam ihm dieser Baum genau so übermächtig und irgendwie sinnlos wie seine Weihnachtsidee vor. Fye schloss die Augen und versuchte seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen. Und sein klopfendes Herz, sein verflucht klopfendes Herz. Also so war das alles nicht geplant gewesen. Er war dankbar gewesen, dass der Asiate... Kurogane.. beim Glockenschlag der Kirchtürme bei ihm gewesen war, ihn diese Nacht nicht allein ließ, trotz ihres Streits. Aber das im Bus war zu weit gegangen. Der andere Mann hatte ihn nicht so anzufassen! Niemand hatte ihn so anzufassen... wirklich niemand... Er hatte ihm doch gesagt er war Silvester wieder weg... war der andere Mann denn verrückt sich auf ihn einzulassen? Wochenlang hatte er ihn beobachtet und alles abgewägt, ob er dieses finale Jahresende sein an sich selbst geschenktes Weihnachtsgeschenk sein sollte und dann kam so etwas dabei rum. Dieser Mann war doch verbittert, ständig schlecht drauf und seine Freundin behandelte er auch nicht gut, soweit er das hatte herausfinden können. Warum... warum verdammt noch mal, war es noch mal so verdammt schwer sich Leute emotional vom Hals zu halten, wenn man einmal eine Linie überschritten hatte? Gab es eigentlich immer nur ganz oder gar nicht? Keinen Zustand dazwischen, indem man sich ein bisschen nah sein konnte, aber nicht gleich versuchte sich aufzufressen? Verpflichtete? Vielleicht reagierte er ja über, vielleicht wollte der Japaner ihm wirklich nur über die Wange streicheln, weil er kein schlechter Kerl war und sich entschuldigen wollte, für das was er im Krankenhaus gesagt hatte. Fye atmete noch einmal durch, er war völlig aufgedreht, so aufgedreht, dass er beinahe hysterisch wurde. Vielleicht konnte er ja mal nett sein, vielleicht tat ihm auch die Ohrfeige Leid oder er hatte noch Kakao an der Wange kleben gehabt! Er musste sich entscheiden. Ging er jetzt und riskierte, dass hieraus eine Katastrophe wurde oder machte er sich aus dem Staub und verbrachte bis Silvester allein oder bei irgendeinem Fremden? Jedes andere Weihnachten wäre es ihm egal gewesen, da hätte ihm Körperwärme gereicht, aber dieses... dieses musste doch anders sein, oder? Etwas Besonderes, ein Finale... ein wenig... weihnachtlich eben... dafür waren sie doch jetzt zu viert hier? Kurogane, der Weihnachten irgendwie hasste, der chinesische Junge, der sich vor wenigen Stunden noch umbringen wollte und seine apathische Freundin, die im pinken Pyjama mit den anderen jetzt irgendwo auf der anderen Seite der Eisfläche auf ihn wartete... Vier Leute, die sich gar nicht kannten und nicht mehr miteinander zu tun hatten, als dass sie ab und an im selben Krankenhaus herumsaßen... das musste doch irgendwie Schicksal sein. Kurogane hielt ihn, Kurogane überlebte seinen Autounfall. Einen Autounfall wodurch sie Shaolan kennen gelernt hatten und auch Sakura-chan, ein hübsches Mädchen, er hatte Weihnachten sehr lange nicht mehr mit einem hübschen Mädchen verbracht. Eine skurrile Gruppe, aber sie waren doch eigentlich nur hier, weil sie doch irgendetwas an seinen verwegenen Plan mit den Wünsche erfüllen fanden, oder? Mit zitternden Händen fischte er die Geldbörse des Großen aus seiner Jacke und suchte nach einem 5 Dollarschein, um sich etwas Heißes zu Trinken zu holen. Doch in dem Moment tauchte schon der chinesische Junge vor ihm auf, er war wohl gerannt, denn weißer Atem bildete sich stoßweise vor seinem Gesicht. „Da bist du ja, Alter. Ich hab voll verplant, dass ich eure Schuhgröße nicht kenn'! Ach ja, und Kohle brauch ich auch, Kurogane meinte du hättest sein Portemonnaie.“ Strophe 22 Wie eine Erscheinung starrte der ziemlich magere Mann ihn an und Shaolan fragte sich schon, ob bei dem jetzt völlig ne Sicherung rausgeflogen war, doch dann passierte was Komisches. Er benahm sich genau so wie Sakura, als sie sich noch in irgendeiner Weise abwechslungsreich vor ihm benehmen konnte. Erst sah er ihn so seltsam entrückt an, so als wollte er etwas sagen, dann wand er das Gesicht zum Himmel und tat so, als würde er irgendetwas suchen. Doch Shaolan wusste, dass er das nur machte, um besser mit den Tränen zu kämpfen. Er kannte das. Außerdem war da oben so gar nichts Interessantes zu sehen, nur schwarz, nicht mal der Mond schien. „Hey, Fye.“ Das erste Schluchzen folgte auf dem Fuße und ein wenig unsicher sah Shaolan sich um. Der würde doch hier jetzt keine Szene machen, oder? Das passte nicht ganz zu der improvisiert weihnachtlichen Stimmung, die sie versuchten hier zu schaffen. Wenn er an Weihnachten Tränen und Geschrei gewollt hätte, dann... okay, dann hätte er es genossen, denn es hätte ihn an seine Eltern erinnert. „Hey~ komm schon. Gib mir das Geld und hör auf zu flennen, ihr beide bekommt euch auch schon wieder ein.“ Für eine Sekunde hatte der chinesische Junge das Gesicht des Blonden aus dem Blick gelassen und schon war der Ausdruck ganz anders. So als hätte der Franzose ne Clownsmaske aufgezogen, die genau so aussah wie sein eigenes Gesicht. Breit grinsend hielt er ihm die Geldbörse hin. „8 1/2.“ „Eh?“ „Meine Schuhgröße.“ „So große Füße hast du?“ „Das nehm' ich als Beleidigung“, doch der Mann lachte und wuschelte ihm über den schmerzenden Schädel, nahm sich 20 Dollar aus dem Portemonnaie und gab es ihm dann wieder. „Ich kaufe solange Kakao für uns alle.“ „Oh ja!“ Und schon schwang Shaolan die Hufe. Strophe 23 „Ich dachte schon du wärst' abgehauen.“ Der kleinere Mann lachte und fummelte an den Schnüren von Sakuras Schlittschuhen rum. Shaolan betätigte sich an ihrem anderen Fuß. „Nachdem ich mich so angestrengt habe, Kuro-pon-Asyl bis Silvester zu bekommen? Wäre ich ja blöd!“ Kurogane fixierte den Blonden, die Anwesenheit des Mädchens machte ihm noch schlechtere Laune, als bisher schon. Die drei kritisch beobachtend, nippte er an seinem Glühwein. Für die Kinder und sich selbst hatte sein Stalker Kakao mitgebracht, er dachte wohl er hätte Alkohol gerade nötig. „Ein Brand.“ „Hm?“, der Stalker sah ihn breit grinsend an. Sein Gesicht war ganz rot vor Aufregung. Endlich hatte er dem Mädchen die Schuhe angezogen und half ihr zusammen mit Shaolan aus dem Rollstuhl. Sie machte alles wie sie es wollten, doch sie sah immer noch aus wie eine Traumwandlerin. Eine Marionette. Sie erinnerte ihn an seine Mutter, obwohl sie sich gar nicht ähnlich sahen und er sich schon gar nicht mehr an ihre Augenfarbe erinnern konnte. „Es ist bei einem Brand passiert. Das mit meinen Eltern.“ Kurogane hatte seine Schlittschuhe schon an und bewegte sich auf das Eis, nahm das Mädchen entgegen, das der Kurze vorsichtig auf's Eis führte. Plötzlich hellte sich ihr Gesicht auf und sie kämpfte etwas mit dem Gleichgewicht. Allerdings spärlich erfolgreich, bevor sie hinflog hatte Kurogane sie schon wieder am Arm gepackt und dem Jungen entgegen gedrückt. Der Franzose sah den Kurzen besorgt an und wich einem schlitternden Pärchen aus. „Kannst du überhaupt laufen mit deinem Fuß?“ „Passt schon, hab weitaus lädierter schon andere Sachen gemacht!“ Die Rockmusik dröhnte über das kalte Eis. Er fror verdammt noch mal, nur n dünnes T-Shirt drunter, nicht einmal einen Schal. Sein Stalker bemerkte wohl sein Zittern. Lächelnd wickelte er den Zipfel seines Schals ein paar Mal von seinem Hals und dann um Kurogane. Aus den Lautsprechern jaulte irgendein Sänger, dass er auf so lange er lebte, auf sein Darling warten würde und solange er atmete, da wäre und so weiter und so ein Schwachsinn. „Ich mag das Lied“, flüsterte Fye. Kurogane sah ihn kritisch an. Sie standen mit diesem Monsterschal locker zusammengeschnürt auf einer Eisbahn. Wie sollten sie so laufen? //and as long as I'm livin', I'll be waiting//, klang es aus dem Lautsprechern. Fyes Augen schlossen sich kurz und funkelten ihn dann wieder an, sie waren für einen Mann wirklich außergewöhnlich schön. Undurchsichtig wie Eis, aber dennoch ein gefrorener Sommerhimmel. „as long as I'm breathing', I'll be there...“, sang seine weiche Stimme leise, „whenever you call me, I'll be waitin', whenever you need me... I'll be there...“ Kurogane seufzte innerlich - gut, dass er betrunken war. //I've seen ya cry, into the night, I feel your pain, can I make it right? I realize, there's no end in sight// Aus den Lautsprechern. Kuogane schloss die Augen. „yet still I wait...“, Fyes Stimme zitterte etwas, „for you to see the light...“ „Kann es sein...“, stellte Kurogane mit einem Seufzen fest, „dass du keine Ahnung hast, was du willst?“ Die blauen Augen öffneten sich wieder und Kurogane erinnerte sich an ihr erstes Treffen im Blumenladen. Ein Gedanke hatte sich in seinem Hirn breit gemacht, der wohl nur von zu viel weihnachtlichen Stress, dem Haufen Whiskey den er intus hatte und einer verkehrsunfallbedingten Gehirnerschütterung herführen konnte. „Bis Silvester nicht allein sein.“ „Und dann?“ „Dann sag ich bye.“ „....“, wieder einmal genervt wickelte Kurogane den Schal wieder von sich. „Und dann sag ich dir, wohin ich gehe...“ „Und wenn ich dann mitkomme?“ „Wenn du denn kannst.“ Ganz leise. Kurogane sah zu dem Jungen, er war damit beschäftigt mit seiner Freundin ein paar unsichere Schritte zu gehen, er hoffte nur, dass das Blag nicht über die ganzen Fetzen seiner Hose flog. „Das im Krankenhaus... war nur um mich zu provozieren, nicht wahr?“ „Klar! Ich bin nicht schwerkrank, mein Körper ist fit wie n Turnschuh, ein etwas ausgelatschter vielleicht, aber dennoch sterb' ich nicht an Aids oder Blutkrebs die nächsten Wochen, oder so.“ „Okay. Dann bin ich dran.“ „Womit?“, mit einem eleganten Schlenker zur Seite wich der Franzose einem betrunkenen Eisläufer aus, der sich in seinem delirierten Zustand nicht mal die Mühe gemacht hatte Schlittschuhe anzuziehen. „Du wünscht dir bis Silvester nicht allein zu sein, der Kurze n' Date mit seiner Freundin, ich bin dran.“ „Ach ja, die Wünsche!“ „Sing mir ein Lied.“ „Eh? Ich kann gar nicht singen. Falls du das grad nicht gemerkt hast.“ „Hab ich. Aber egal, ein Lied dass du ernst meinst.“ Seine Mutter hatte auch eine wunderschöne Singstimme gehabt. Der Japaner konnte nicht glauben, dass er sich wirklich gerade auf diesen ganzen Scheiß hier einließ, aber er hatte eine Ausrede. Er war betrunken. Und so lau wie es ihm gerade im Kopf war, konnte er unmöglich Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Und wenn schon, dieser Mann vor ihm war genau so allein wie er und wenn Kurogane etwas angefangen hatte, zog er es auch durch. Seine Gedanken machten für ihn übrigens auch keinen Sinn. Also hörte er auf mit sich selbst zu argumentieren und sah den Blonden möglichst desinteressiert an. „Okay...“, eine leichte Röte hatte sich auf den Wangen des Kleineren ausgebreitet. „Dann singe ich... kennst... kennnst du ... „all I wan't for christmas“?“ „Ich hasse Weihnachtslieder.“ „Das ist aber nun mal mein Lieblingslied!“, schmollte sein Stalker. „Also hör auf zu meckern und hör zu.“ „I don't want a lot for Christmas - There is just one thing I need--,and I don't care about the presents underneath the Christmas tree----- I don't need to hang my stocking, there upon the fireplace Santa Claus won't make me happy, with a toy on Christmas day--- I just want you for my own, more than you could ever know Make my wish come true All I want for Christmas is you, youuuuu..." Es klang gar nicht so schlecht und so wie es Fye sang klang es gar nicht so wie das Gedudel aus dem Kaufhauslautsprechern. Dennoch würde aus dem Mann wohl nie ein Popstar werden. "I won't ask for much this Christmas, I won't even wish for snow, I just want to keep on waiting underneath the mistletoe ---'Cuz I just want you here tonight Holding on to me so tight, what more can I do--- Oh, Baby all I want for Christmas is you, youuuuuuuuhuuuu." Mit einem breiten Grinsen schloss der Blonde sein Ständchen und blickte Kurogane direkt an. Strophe 24 Vorsichtig glitt er ein paar Schritte nach hinten, Sakuras Hände waren ganz weich und kühl in seinen eigenen. Er wünschte er könnte ihr seine Handschuhe geben, aber er hatte ja nicht mal ne Jacke dabei, nur den Pulli, den der Franzose ihm nach dem Baden gegeben hatte. Sie ließ sich mitziehen, eher ungeschickt, aber immerhin war sie wach genug, um auf ihr Gleichgewicht selbst zu achten. Auch wenn sie geistig nicht ganz da war, die jahrelang eingeübten Bewegungen lagen ihr immer noch im Blut. Er erinnerte sich noch wie sie stundenlang geübt hatte, über das Eis geglitten war wie ne Profieiskunstläuferin. Sogar Pirouetten konnte sie drehen und das Schlittschuhlaufen hatte sie ihm beigebracht. Er hätte nie gedacht, dass sie mal diejenige sein würde, der ihr übers Eis half und nicht umgekehrt. Und das auch noch nüchtern, aber Sakura konnte auch stockbesoffen normalerweise besser fahren als er. Na ja, normalerweise noch vor drei Jahren. Ein etwas rockiges Lied endete und ein langsames, romantisches begann. Die ganzen Lichter auf dem Eis und die Schmerztabletten ließen ihn etwas schwummrig werden. Klammeraffenblues.... aber ihm würde es im Leben nicht einfallen Sakura zu umarmen. Unauffällig schielte er zu den beiden Erwachsenen. Das nannten die Schlittschuhlaufen? Die hatten noch keinen Schritt getan, standen nur wie Statuen nah des Randes und redeten miteinander. Der weiß-blaue Schal war um beide Hälse geschlungen und ihre Gesichter beim Reden so nah, dass jeder in ihrer Umgebung merkte, dass sie n' schwules Pärchen waren. Die meisten drehten verlegen den Kopf weg oder starrten blöde, kaum zu glauben, dass es immer noch Leute gab, die das komisch fanden. „HEY! Passt auf ihr Idioten! Was steht ihr denn da rum?!“, rief ein kleiner Bengel und fuhr genau in sie rein! Verflucht! Hart kam er auf dem Eis auf, Sakura flog auf ihn und sie schlitterten über das Eis, bis sie hart mit der Absperrung kollidierten. Wenn das so weiter ging, war er Silvester tot! Hustend spuckte ein paar Haare seiner Freundin aus, die er fast geschluckt hätte und checkte, ob sie in Ordnung war. Der Kleine hatte sich schon wieder aufgerappelt und war weggedüst! Sakuras Körper war seinem ganz Nahe und er spürte sogar ihre kleinen Brüste durch den Anorak hindurch. Shaolan merkte, dass er rot wie eine Tomate wurde und wollte eilig aufstehen, doch dann bewegte sich Sakura und er erstarrte. Ganz langsam hob sich ihr Kopf von seiner Schulter zu seinen Hals und eine kalte Nase an seinem Nacken verpasste ihn ne echt Hammer Gänsehaut. Ihre Hände krallten sich etwas an seine Arme und dann war sie wieder still. Völlig fassungslos lag der chinesische Junge dort mit seiner Freundin auf der Eisbahn und die langsame Musik machte die ganze Situation nur noch verrückter. Für alle anderen musste das aussehen, als würde er stockbesoffen mit seiner Freundin schmusen, die wussten ja nicht, dass eben diese Freundin ihn hasste und allgemein grad keine klaren Funken Bewusstsein in ihrer Birne hatte. „Sakura...“, fragte er leise, doch sie bewegte sich nicht mehr. War sie eingeschlafen? Strophe 25 „Fuck.“ Fye endete gerade mit seinem kleinen, schiefen Ständchen und sah verwundert in die Richtung, in die sein Ein-Mann-Publikum starrte. „Ups. Sind das Polizeiwagen?“ „Sie haben vermutlich gemerkt, dass die Kleine verschwunden ist.“ Und mit einem Rollstuhl am Heilig Abend vom Central-Krankenhaus bis zum Rathaus zu rasen, hatte vermutlich das Interesse von genug Leuten erweckt, so dass rein statistisch auch ein guter Bürger dabei gewesen sein könnte, der vorsichtshalber einmal die Ordnungshüter verständigt hatte. „Na ja, im Eisenhower liegen doch nur Leute, die genug Kohle haben, oder? Da merken sie so was sicher schnell.“ Sein Gegenüber schwieg und Fye kapierte, dass er die Eisbahn nach den Kindern absuchte. Er selbst zitterte wie blöde und merkte, dass gerade jetzt nicht der passendste Moment war, um noch einen Sprint hinzulegen... „Kuro-sama...“ „Sei still und such lieber die Kinder.“ „Aber Kuro...“, die Welt schwankte vor seinen Augen, überall waren bunte Weihnachtslichter und blau leuchtende Polizeiwagen schwirrten zusammen mit Sternschnuppen um seinen Kopf. Das konnte nicht sein, oder? Er halluzinierte... Endlich schien auch der Japaner zu merken, dass irgendetwas über das abendliche Maß hinaus nicht stimmte. Rot-braune Augen fixierten ihn ärgerlich und auch ein klein wenig besorgt. „Hey.“ Doch in dem Moment gaben seine Beine schon nach und die Welt wurde schwarz bevor er auf dem harten Eis aufkam. Strophe 26 Kurogane flog – durch den Schal immer noch mit ihm verbunden - kurzerhand mit auf das Eis, genau auf den Bewusstlosen drauf. Auf was hatte er sich nur eingelassen? Jetzt definitiv ein kleines wenig besorgt fuhr er über das Gesicht des Blonden, es war ganz kalt und sein Puls raste. Aber sonst schien alles in Ordnung zu sein, er war kein Arzt, aber sterben tat er nicht, oder? Er hoffte es. Ein wenig beunruhigt sah er zu dem Polizeiwagen, der auch schon zwei Beamte ausgespuckt hatte. Er hatte irgendwie gehofft, dass es fette, donutmampfende Klischeebullen waren, aber die gab's wohl wirklich nur in der Flimmerkiste. Die würden Sie doch garantiert einholen, wenn er auch noch den Bewusstlosen tragen musste! Dennoch machte er sich mehr ungeschickt als alles andere von dem Schal um seinen Hals los, wickelte ihn lose um den Bewusstlose, nahm ihn Huckepack und schlitterte zu den Kindern, die glücklicherweise, aber aus unerfindlichen Gründen, aufeinander direkt vor dem Geländer auf dem Eis lagen und so noch nicht von den Ordnungshütern gesehen worden waren. „Oi!“, rief er schon von weiten, „Macht hinne, wir müssen uns aus dem Staub machen! Sofort.“ Zum Glück reagierte der Junge schnell, krabbelte unter dem Mädchen hervor und zog sie hoch. Aber die Kleine war noch weggetretener als sonst und wollte nicht einmal von sich aus stehen. Wenn das so weiter ging, wurden die Bullen auch noch auf sie aufmerksam, bevor sie von der Bahn runter waren. „Was ist denn los?“ „Polizei.“ Kurz entschlossen packte Kurogane das Mädchen um die Hüfte und schmiss sie auf seine andere Schulter und so beladen glitten sie über die Eisbahn, Richtung Weihnachtsbaum. Dahinter konnten sie sich vielleicht verstecken. „Verdammt, unsere Schuhe!“, rief der Kurze atemlos, als sie endlich über das Geländer geklettert waren. Mit den Schlittschuhen auf dem sandigen Boden zu laufen war echt n Kunststück und beinahe hätte sich Kurogane elegant auf die Fresse gelegt. „Du hättest eh mal neue gebrauchen können. Wir müssen hier weg.“ „Zu Fuß?“ „N' Flugzeug würde ich bevorzugen.“ „Da vorne stehen Autos!“ Nun nicht mehr die Adamsfamily, sondern eher die Roboterarmee staksten sie mit den Schlittschuhen unter ihren Füßen ungeschickt auf den Parkplatz zu. Der Kleine ließ sich vor einem etwas verbeulten Subaru auf die Erde sinken und der Japaner dachte schon er würde nun versuchen das Auto zu knacken, doch statt dessen schnürte er nur die verdammten Schlittschuhe auf. „Was tust du da verdammt noch mal!?“ „Hör auf rumzuschreien, ich weiß was ich tu!“ Hastig wurde der Schlittschuh von Shaolans Fuß gezogen und im nächsten Moment heulte auch schon die Alarmanlage hysterisch auf, als der chinesische Junge mit der Schneide das Beifahrerfenster einschlug. Geschickt streckte er seinen Arm durch die Fenstersplitter, stellte den Alarm ab und betätigte die Zentralverriegelung. „Schmeiß dich rein, Alter!“, er grinste über beide Ohren, während er sich auf den Sitz fallen ließ. Kurogane überging einfach mal, dass der Junge wohl besser nicht fahren sollte, schmiss den Blonden und das Mädchen auf den Rücksitz und stieg auf den Beifahrersitz. Ihre Verfolger hatten sie fast eingeholt! Hastig fummelte der Junge unter dem Lenkrad rum, dann sprang der Motor endlich an. „Nichts gegen dich, aber japanische Autos sind echt der letzte Schott.“ „Fahr endlich, verflucht!“ Strophe 27 Hart rammten sie das Auto hinter ihnen. Dann nahm er noch das Rücklicht ihres Vordermanns mit. Hoher Verschleiß an Autos dieses Weihnachten, dachte sich Shaolan. Aber warum parkten die auch so eng? Reifenquietschend bogen sie die Hauptstraße ein und düsten die Einkaufsstraße entlang. Zum Glück war um diese Uhrzeit nicht mehr viel los auf den Straßen. Allerdings konnte er sich auch nicht erinnern, wo Kuroganes Wohnung war. Er streckte sich etwas, um in den Rückspiegel zu sehen, Zeit den Wagen auf sich einzustellen hatte er freilich nicht gehabt. Mit Rückspiegeln konnte jeder fahren, aber es interessiert ihn schon, ob die Bullen ihnen jetzt hinterher kamen. „Hier rein!“, rief der Riese neben ihm und er riss das Lenkrad nach links. Von hinten war ein Plumpsen zu hören und ein Blick nach hinten sagte ihm, dass der Franzose hinter den Sitz gerutscht war. Sakura hatte sich aufgerichtet und starrte unbeteiligt aus dem Fenster, als würden sie lediglich eine Spazierfahrt machen. Mit 120 Sachen pretterten sie die schmale Straße entlang und schossen auf die Parallelstraße. Hier machte Shaolan eine Vollbremsung mitten im Halteverbot und stieg aus. „Da is ne Bushaltestelle.“ „Ja und?“ Der Asiate rückte schon auf den Fahrersitz. „Und da kommt der Bus! Komm schon.“ Mit nur einem Schlittschuh humpelte Shaolan auf die Beifahrerseite und zerrte Sakura heraus. Kurogane stieg endlich auch aus und warf sich den, aus irgendeinem Grund bewusstlosen, Franzosen über die Schulter. Sie kamen gerade mit dem Bus an der Haltestelle an, überrannten fast eine alte Dame und... bekamen wieder den Kinderpreis für Sakura und ihn. Glück musste man haben. Strophe 28 Als er erwachte donnerte etwas in seinem Schädel und seine Sinne fühlten sich leicht und schwer zugleich, als wäre er zulange in der heißen Badewanne gelegen. Decken und Wärme war um ihn herum. Sie schienen ihn zu ersticken, seine Kleider waren ganz feucht vor dem leichten, kalten Schweiß. Langsam öffnete er die Augen und erwartete schon das grelle Licht des Krankenhauses zu sehen, doch statt dessen sah er ins dunkle. Wo war er? Er kannte dieses Zimmer nicht. Aber die Tatsache, dass es unsagbar unordentlich war und er nur eine unordentliche Person kannte, die ihn in ihr Schlafzimmer legen würde, war es nicht schwer eins und eins zusammen zu zählen. Er war bei Kurogane. Überall lagen Kleider und Papier herum, keine Zeitschriften, aber eine Menge Bücher. Einen Fernseher fand er hier nicht. Teller mit Krümeln stapelten sich auf dem modisch dunkelholzigen Nachttisch, vertrocknete Käsereste lagen darauf und auch zwei Gläser mit einer Pfütze Wein konnte er darauf ausmachen. Für alles andere war sein Blick gerade zu verschwommen. Etwas bewegte sich neben ihm. Aus dem Wohnzimmer hörte er das überdrehte, musikunterlegte Dröhnen des Fernsehapparates. Ob der Junge noch da war? Ob es immer noch der 25te war? Es bewegte sich wieder und er wollte schon den Kopf zur Seite drehen, als ihn etwas Kaltes frontal im Gesicht erwischte. Er fuhr zusammen und sein Brustkorb tat dabei weh, als hätte sich ein Sumoringer drauf gehockt. „Kuro-chan...?“ „Du bist krank.“ Der kalte Waschlappen wurde wieder von seinem Gesicht genommen und fuhr diesmal etwas sanfter seine Schläfen entlang. Er konnte den Japaner nicht ganz ausmachen, er hatte solche Kopfschmerzen, nur ein dunkler Schatten, der neben ihm in dem großen, weichen Bett lag. Frauenparfum lag noch ganz leicht in der Luft, ob das das Parfum seiner Freundin war? „Antworte mir.“ „Das hast du doch von Anfang an gewusst... „ „Ich meine richtig. Es war keine Provokation, dass du sterben würdest. Es war die Wahrheit.“ Er schwieg. Er wusste nicht, was er darauf sagen sollte. „Bekomme ich ne Kopfschmerztablette...?“ Er hörte den Asiaten schwer ausatmen und dann beugte er sich über ihn, riss die Schublade des Nachtschränkchen auf. Der große, starke Körper erdrückte ihn ein wenig, aber anderes als die Decken. Fye fühlte, wie gern er jetzt mit ihm schlafen würde. Es täte sicher gut, es wäre warm und sicher. Kurogane stockte, und Fye drehte den Kopf. Was konnte denn da in der Schublade so Seltsames sein? Seine Position war äußerst ungünstig, mit dem schweren Körper auf sich, aber dennoch konnte er erkennen, dass in der Schublade „Schlafzimmerobjekte“ waren. Neben den ersehnten Kopfschmerztabletten, diversen Tuben, Handschellen und Kondomen lag da allerdings auch ein kleines, schwarz mit einer edlen silbernen Schleife verpacktes Geschenk. Kurogane rührte sich immer noch nicht. „Von deiner Freundin?“, fragte Fye. „Ah.“ „Is aber bedenklich, dass sie denkt, ausgerechnet diese Schublade wirst du zur Weihnachtszeit aufmachen, wenn sie ihre Mutter besucht.“ „Wie lange beobachtetest du mich eigentlich schon?“ „2 Monate.“ „Ah.“ Das Vokabular des Asiaten war auch schon mal abwechslungsreicher. Ohne das Päckchen angefasst zu haben, fischte er die Kopfschmerztabletten hervor und schmiss sie ihm auf dem Schoß, die Schublade wurde wieder gut verschlossen. Mit einem Seufze brach Fye eine Tablette heraus und erspähte auch schon das benötigte Glas Wasser neben einem Weinglas auf dem Tisch stehen. „Willst du es nicht auf machen?“ Schweigen. „Weiß deine Freundin, dass du ihr fremdgehst?“ Immer noch schwieg der große Mann, saß neben ihm im Bett und starrte in das Dunkel seines Schlafzimmers, oder vielleicht auch ins Nichts, vielleicht auch nur Löcher in die Luft. „Wann.“ „Wann was?“ „Stirbst du?“ „Silvester.“ „Arschloch.“ „Warum?“ „ „Ich geh nicht ohne bye zu sagen und dann auch wohin“, Zitat Ende.“ „Ich hätte es dir gesagt.“ „Ach, ernsthaft?“ „Ja.“ „....“ „Willst du nicht wissen, was ich habe?“ „AIDS?“ „Nein.“ „Dann interessiert es mich nicht.“ „Okay... bleibst du dennoch bei mir?“ Wütend sprang der Asiate auf, packte ihm am Rollkragen, zerrte ihn vom Bett zu einem Schrank und riss ihn auf. Fye rang einen Moment um Luft, doch dann konnte ihm auch die vielen Punkte vor seinen Augen nicht vom Staunen abhalten. In dem recht unscheinbaren Schrank lag auf roten Samt, aufgebahrt auf ner schwarzen Holzkonstruktion, auf denen auch die Schwerter auf dem Weihnachtsmarkt aufgebahrt waren, ein langes, japanisches Schwert. Aber anderes als die billigen Dinger auf den Märkten strahlte es fast ein silberneres Licht aus. Auch ohne den geringsten Schimmer von Schwertern, war sich Fye auf einmal voll sicher, dass das Ding ein Vermögen wert war. Die Klinge war reichlich verziert, der Griff ein silberner Drachenkopf. Einen kurzen, abergläubischen Moment dachte er sogar, dass sich die Nüstern bewegten und das Ding jeden Moment vorspringen würde, um seine Kehle durchzubeißen. „Siehst du das?“, zischte der Mann, der ihn immer noch in einem brutalen Griff hielt. „ist ja schwer zu übersehen..“, hauchte er ehrfürchtig. Er hatte wirklich noch nie etwas Tolleres gesehen, nicht mal im Museum. „Das hat meinem Vater gehört. Er war Schwertkämpfer. In Japan ein angesehner Meister. Der Name des Katana ist „Ginryuu“, das bedeutet „Silberdrache“. Es steht für wahre Stärke, es ist zum Beschützen gemacht, alle die man liebt. Es nimmt niemand als seinen Meister an, der nicht wahre Stärke im Herzen trägt. Es sollte beschützen. Aber statt dessen war es das einzige, was von dem Brand übrig blieb. Nur dieses Schwert. Mein Vater überlebte knapp, doch auf ewig von den Flammen entstellt. Meine Mutter hatte zu viel Rauch eingeatmet und die Ärzte wussten nicht, warum sie nicht aufwachte. Sie schlafen seit sechs Jahren in diesem verdammten Krankenhaus, lebendig und gleichzeitig tot.“ Ein schwerer Kloß lag in Fyes Hals, aber egal wie sehr er schluckte, der ging nicht runter. Rot-braune Augen sahen ihn hart an, als erwarteten sie eine Erwiderung, aber er hielt nur weiter feige den Blick gesenkt. „Meinst du ernsthaft, ich habe Lust noch einmal jemanden sterben zu sehen? Ich habe schon genug getan als ich bei dir geblieben bin. Du bist genau wie sie, du bewegst dich, du atmest, aber hier“, hart tippte er mit den Fingern gegen Fye Stirn, dieser biss sich nur hart auf die Lippen, er wollte das alles nicht hören.. „bist du tot. Ich kann nicht noch mehr Tod sehen, ich kann mich nicht an etwas Lebendiges gewöhnen, nur dass es mir wieder unter den Händen wegstirbt.“ „Du hast es gesehen... den Brand, nicht wahr? Du konntest nichts tun... du warst hilflos“. Hilflos genau wie ich, genau wie ich. Fye wünschte auf einmal alles wäre anders, dass er nie diese Linie überschritten hätte und jemanden nahe kam, den er schon zu lange kannte, um ihn wieder zu vergessen. Die Zeit hatte ihn ein Schnippchen geschlagen, ihn verarscht sozusagen. Nein, er hatte sich selbst verarscht, er hätte von Anfang an die Finger von dem Asiaten lassen sollen. An der Eislaufbahn hätte er sich aus dem Staub machen sollen. Aber ihr Weihnachtsfest... „Ja, und ich habe keine Lust dich auch sterben zu sehen“, Kuroganes Stimme klang belegt. „Ich bin auch hilflos.“ „Dann sind wir schon mal zwei.“ Strophe 29 „Dann ist es doch egal!“, energisch machte sich der Blonde los und Kurogane konnte ihn nur wütend ansehen. „Dann ist es doch egal, was wir tun, was wir glauben, wofür wir uns anstrengen, dann ist doch alles egal.“ „Alles egal, ist es das was du glaubst?“ Er hatte Lust diesen Mann vor sich in den Boden zu stampfen, aber diesmal nicht, weil er ihm auf die Nerven ging, sondern weil sein Gegenüber einfach nicht einsehen wollte, wann es besser war aufzugeben und es sein zu lassen. „Dann ist es doch egal, was nach Silvester kommt! Lass uns doch einfach so TUN als wäre alles in Ordnung.“ Kurogane war fassungslos. Hoffentlich hatte er noch ein Bier im Kühlschrank. „So tun?“ „Genau!“ „Was um Himmels Willen geht nur in deinem durchgefickten Schädel vor?“ „Ich...“, der Blonde stützte sich etwas an der Schranktüre ab und starrte auf das Katana seines Vaters. Nun waren sie offen voreinander, aber was sie damit anfangen sollten, wusste Kurogane gerade nicht. „Ich wünsche mir einfach nur ein Wunder. Ein Weihnachtswunder.“ „Das hast du doch mit dem Kleinen gehabt. Er hat gestrahlt als wir zurück in der Wohnung waren. Das Mädchen hat auf ihn reagiert.“ „Ich will ein Weihnachtswunder... nur für mich.“ Stophe 30 Völlig erledigt schaltete Shaolan den Fernseher aus. Draußen wurde es schon langsam hell und die beiden Erwachsenen waren immer noch im Schlafzimmer. Sakura schlief an seine Seite gelehnt und im Fernsehen kam nur Schrott. Er sah auf die Digitaluhr neben dem DVD-Player. 5:57. Bald würde es hell werden, oder? Die im Heim würden ihm die Hölle heiß machen. Aber der Junge hatte gerade ganz andere, bedeutendere Sorgen. Nämlich Hunger bis unter die Knie. Vielleicht sollte er Pizza bestellen. Aber hatte kein Geld, nur blaue Flecken. Hatte der Franzose - Fye war doch sein Name, komischer Name, aber echt korrekter Kerl – nicht noch das Portemonnaie des Großen in der Jackentasche? Vorsichtig, als hätte er es mit Sprengstoff zu tun, löste er sich von seiner Freundin und tatsächlich, sie wachte nicht auf. Echt beneidenswert so n Schlaf und das obwohl sie so gut wie nichts anderes tat. Aber vielleicht hatte sie das Schlittschuhlaufen angestrengt? Wenn Shaolan nur daran dachte, wie sie sich auf der Eislaufbahn an ihn geschmust hatte, ballerten alle Glücks- und anderen Hormone wie wild los. Die Jacke lag achtlos auf dem Boden und er hob sie auf. Sie war ganz schwer und da war auch schon das Objekt seiner Begierde. Etwas ungeschickt - denn die neuste Lädierung seines jungen Körpers war ein angeknackstes Handgelenk, das er sich beim Sturz auf der Eisbahn geholt hatte – zog er die schwarze Börse aus der hellblauen Jackentasche. Doch noch etwas anderes fiel mit raus. Das kleine Plastikröhrchen sprang auf und verteilte ein paar Tabletten auf den flusigen Teppich. Ah, da war also der Mohn. In dem Moment klingelte das Telefon. Einmal, zweimal. Shaolan zuckte mit den Schultern und ging einfach ran. //„Ja, hier die Selbsthilfegruppe für psychisch labile Weihnachtsfans, wer spricht da?“// Am anderen Ende erklang eine Frauenstimme.// „Kurogane...?“// //„Eh.. der is grade im Schlafzimmer.“// //„Wer bist du?“// Sie sprach aufgebracht. Oh, oh, sicher dachte sie, er wäre sein One-night-stand oder so. //„Ehm.. nur der Nachbarsjunge, wir feiern hier ne kleine Weihnachtsfeier.“// //„Wer bist du?“// Noch ein Grad misstrauischer. Wenn das Kuroganes Freundin war, passten sie ja super zusammen. //„Kurogane hasst Weihnachten.“// //„Ehm...also.. boahr, hör zu, du störst grade voll. Alles in Ordnung hier, war ne lange Nacht, kannst du nicht um 9 noch mal anrufen? Ich hab Hunger bis unter die Knie und will ne Pizza bestellen. Also ich leg jetzt einfach auf, okay?“// //“Halt! Richte ihm vorher was aus.“// Shoalan war sich jetzt fast sicher, dass sie flennte, aber er war – wie gesagt – gerade zu hungrig für Mitgefühl. //“Joa.“// //“Ich werde noch eine Weile hier in Washington bleiben. Wenn er es nicht schon entdeckt hat, im Schlafzimmer ist ein Geschenk für ihn. Er soll sich sehr genau überlegen, ob er mir nicht doch nachkommt, ansonsten werde ich nach Silvester nur noch kommen, um meine Sache zu holen.“// klick In dem Moment kam der schwarzhaarige Mann auch gerade ins Wohnzimmer und sah ihn angepisst an. „Wen rufst du an?“ „Eigentlich den Pizzadienst.“ „Ich will ne Diavolo. Käse für den irren Blonden.“ „Ich glaube deine Freundin hat gerade mit dir Schluss gemacht.“ Kurogane zuckte mit den Schultern. Na ja, wenn das kein Problem war... Shaolan wand sich wieder dem Telefon zu und wählte die schon längst bis in sein Unterbewusstsein vorgedrungene Telefonnummer seines Lieblingspizzalieferanten. „Ach ja, und du sollst das Geschenk aufmachen. Das im Schlafzimmer.“ Aus der Küche war nur das Öffnen des Kühlschranks zu hören und ein Fluchen. //“Pizza Ronirandi, der leckerste und schnellste Pizzabäcker dieser Welt! Pizza Formidable heute im Angebot! Pizza mit Hirschstücken zur Weihnachtszeit, alle XXL für den Preis von XL!“// //“Hey hallo, hier ist Shao!“//, grüßte Shaolan am anderen Ende, „//schaffst du es in 20 Minuten ne XXL Pizza Diavolo, XXL Käse und ne Familienpizze mit Salami, Champions und 3 Fach Peperoni ins alte Hispaniviertel zu bringen? Kenn die Adresse nicht, aber wenn du hupst, komm ich runter.“// //“Ah, mein kleiner bello bruno!“//, schaffte es der Besitzer der Pizzaria einen italienischen Akzent perfekt nachzuahmen, dabei war er gar kein Italiener. //“Ach ja, und n' Sixpack Bier, bitte.“// Gerade hatte er aufgelegt, als auch schon der Franzose aus dem Schlafzimmer getaumelt kam. Er sah echt mitgenommen aus, sein Gesicht fast so weiß wie der Rolli, den er trug und die blonden Haare ganz zerwuschelt. Verwirrt sah Shaolan ihn an. „Magst du Käse?“ „Ja..“ „Hab Pizza bestellt.“ „Oh.“ Ein wenig verunsichert sah der chinesische Junge ihn an. Jetzt wo der Fernseher aus war, war alles ganz ruhig. So wie er vorher, sah der Mann nun auf die digitale Uhr neben dem Fernseher. 6:12. Zählten sie hier eigentlich alle die Minuten bis dieses bescheuerte Fest vorbei war? „Ich wollt nur sagen... danke...“ Verwundert sah der Blonde ihn an und Shaolan schnappte sich einfach seine eiskalte Hand und drückte sie. „Ich hab das echt genossen, das mit dem Schlittschuhlaufen und Sakura aus dem Krankenhaus rausholen. Dabei kennen wir uns nicht mal. Echt, hast was gut bei mir.“ Lange sah ihn Fye an. Er dachte schon er wäre völlig zugedröhnt oder so, aber dann erwiderte er den Druck seiner Hand und lächelte leicht, diesmal nicht so überdreht. „Gern geschehen, Shaolan.“ Es raschelte an der Tür und die beiden drehten sich Richtung Küche. Der Japaner namens Kurogane stand da, auch voll korrekter Kerl, und sah sie durchstechend an. Fye sah wieder zu dem Jungen. „Hast du schon einmal Eierlikör selbst gemacht?“ Shaolan bekam ganz große Augen. „Man kann Eierlikör selbst machen?“ Nun taute auch sein Gegenüber regelrecht auf. „Ja, klar! Kuro-sama, hilfst du uns?“ Der Asiate sah sie immer noch so undeutbar an, doch dann nickte er, ein ganz leichtes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Shaolan fiel das ganz besonders auf, weil es irgendwie nicht zu seinem coolen Image passte. Doch der Franzose strahle über das ganze Gesicht, lief auf den anderen Mann zu und fiel ihm um den Hals. 15 Minuten später hupte es draußen. Gott sei Dank, die Pizza! Strophe 31 Während der Zwerg nach draußen rannte, verblieben die beiden Erwachsenen in der Küche. Kurogane war sich gar nicht bewusst gewesen, dass er gut 10 Eier im Kühlschrank hatte. Allgemein war sein Kühl- und Gefrierschrank ungewöhnlich voll seit der Blonde in seine Wohnung eingebrochen war. Sein Stalker sah ihn von der Seite an, während er das Eigelb vom Eiweiß trennte. Die Umarmung von vorhin haftete noch ganz warm an seinem Körper. „Wir brauchen noch starken Alkohol, oder besser noch Ethanol? Eines davon in der Wohnung? Gibst du mir mal den Zucker?“ Wortlos holte Kurogane den Zucker vom obersten Regal. Diese Küche war für kleine Personen wie Fye denkbar ungünstig eingerichtet. „Hast du Kondensmilch? Du trinkst deinen Kaffee schwarz, nicht wahr?“ Kurogane konnte nicht genau sagen, wann der Idiot zum duzen übergegangen war. „Ah... du?“ „Gar nicht, ich trink lieber Kakao.“ Schwer seufze der hochgewachsene Japaner und sah den Blonden an. „Dein Bruder, Yuui, so hieß er doch, oder?“ Der kleiner Mann erstarrte regelrecht und warf ihm einen gequälten Blick zu. Kurogane hatte keine Zeit sich schuldig zu fühlen. „Der Kerl, bei dem ihr aufgewachsen seid, lebt der noch?“ Draußen gingen auf einmal Sirenen an und bevor sie aus der Küche kamen, kam schon der Kurze durch die kaputte Eingangstür gewetzt. Er hatte Kuroganes Schuhe beim Rausgehen angezogen und flog jetzt beinahe über seine eigenen Füße. Völlig atemlos sah er erst zu Fye, der mit klebrigen Fingern und der Schüssel neben dem grimmig dreinblickenden Asiaten stand, dann zu Kurogane selbst. Nach Shaolans Blick zu Folge, sahen sie beide aus wie Kinder, die auf den Weihnachtsmann gewartet hatten, aber statt dessen stand die Zahnfee vor ihnen. „Wo ist die Pizza?“, fragte Kurogane und ahnte schon Schlimmes. Sirenen. Keine Pizza. Panischer Kurzer. Warum wirkte Alkohol bei ihm erst Stunden später? „Da unten sind die Bullen! Sie wollen sicher Sakura zurück holen!“ Strophe 32 bis 40 ----------------- Strophe 32 Das, war selbst für Fye de Flourites Verhältnisse ein wenig zu verrückt. Und Fye de Flourite hatte schon viele seltsame Dinge getan. Auch der Junge sah etwas verstört drein, das Mädchen im Arm, und erstmals ohne einen geistreichen Spruch auf den frechen Lippen. Die Klinge zitterte vor seinem Hals und er traute sich kaum zu atmen. Im Krebsschritt bewegten sie sich auf einen Porsche zu. Die Waffen der versammelten Insassen der drei Polizeiwagen waren auf sie gerichtet. So langsam wie sie sich zum Wagen hin bewegten, verfolgten sie auch die Läufe ihrer Pistolen. Oh je, oh je, er hatte die Nerven des Japaners an diesem Abend wohl so sehr strapaziert, dass jetzt sämtliche Sicherungen durch gekokelt waren, selbst die Notsicherung. Sie standen, mitten in der Nacht, alle nur mit Hose und Pullover bekleidet, Sakura-chan sogar nur im Pyjama, auf einer Straße mitten im Hispaniviertel. Die Bars um sie herum lärmten, doch kein Mensch traute sich auf die Straße. Er hätte sich auch nicht auf die Straße getraut, wenn 3 Polizeiwagen und n Typ mit nem Katana ihm im Weg gestanden hätten. Seine sockigen Füße waren eiskalt, Kuroganes Atem fuhr immer wieder an seinem Ohr vorbei. Er hoffte nur, dass allen Asiaten Kampfsport im Blut lag, die Klinge zitterte bedenklich vor seiner Adamsapfel. Sie hatten es zu einem Auto geschafft und der chinesische Junge machte sich eiligst daran es zu knacken. „Seien Sie doch vernünftig“, bat einer der Polizisten über ein Megaphon, doch Fye wusste wie kein anderer, dass die Tour bei Kuro-chan nicht zog, „sie sind sicherlich ein wenig aufgebracht, aber Geiselnahme ist wirklich nicht die richtige Lösung! Lassen sie die Kinder und den Mann gehen, dann können wir doch noch mal über alles reden.“ „Haha“, Fye lachte leise und sah zu seinem „Geiselnehmer“ hoch, „das sagen sie bei mir in der Therapie auch immer.“ „Halt die Klappe, oder willst du, dass wir auffliegen?“ zischte der Japaner gereizt. Das Auto war endlich offen, das Mädchen verstaut und Shaolan auf dem Fahrersitz. Ganz langsam, seinen Körper immer noch an sich gepresst, dass ihm schier die Luft wegblieb, bewegte Kurogane sie beide auf den Rücksitz, Fye auf Kuroganes Schoß. Das Mädchen sah beinahe neugierig aus dem Fenster zur immer verzweifelter werdenden New Yorker Sicherheit. Dann flogen sie alle zur Seite, als Shaolan volle Pulle das Gas durchtrat – wohlgemerkt ohne vorher die Kupplung betätigt zu haben – das Auto machte einen Satz nach vorne und sie rasten davon. „Richtig cool!“, entfuhr es Fye euphorisch, „Wie Bonnie und Clyde!“ Kurogane ließ völlig ermattet das Schwert sinken und dann seinen Kopf auf Fye's Schulter. „Ist Wahnsinn eigentlich ansteckend?“ Strophe 33 Sie fuhren auf dem Highway. Endlich sah man ein paar Sterne. Das Radio dudelte vor sich hin und die Straßen waren denkbar leer. In Anbetracht dessen ließ er den Jungen einfach weiter fahren, der Tank war voll und die Polizei verfolgte sie nicht. Vermutlich war er ihnen rasend genug vorgekommen, um die zwei Kinder und den Blonden im Ernstfall abzustechen. Müde sah Kurogane auf Ginryuu. Jahrelang hatte er das Schwert seines Vaters nicht angefasst und nun hatte er es für eine Geiselnahme entweiht. Erst bezweifelte ernsthaft, dass er schon wahre Stärke erlangt hatte... Doch die Nacht war noch nicht vorbei, das alles sollte nicht umsonst sein. Der Blonde saß immer noch auf seinem Schoß. Der Porsche war ein schlankes, sportliches Modell, das normalerweise nur Kinderlose fuhren, daher war auf dem Rücksitz erdenklich wenig Platz. Auch so saß der Blonde halb auf dem Schoß des Mädchens, das sich an gar nichts zu stören schien. Die blonden Zausen flogen ihm dauernd ins Gesicht, wenn sein Stalker auf ihm rum zappelte und erst recht auf dem Partner zwischen seinen Beinen. Von dem Blonden ging ein angenehmer Geruch aus und so nah aneinander spürte er immer wieder die schlanke Gestalt an seinen Körper, die gerade dazu einlud die Arme darum zu schließen, und Fyes Gesicht kam ihm ständig so nah, dass er immer wieder seinen kakaodurchtränkten Atem spüren konnte. Die Gesichtszüge, die er bisher als höchstens mädchenhaft empfunden hatte, wirkten aus der Nähe und nur in dem Licht der Autobahnbeleuchtung weich und edel. „Hey, alles klar da hinten?“, fragte ihr minderjähriger Fahrer. Fye grinste breit und lehnte sich wieder an seinen „Entführer“. „Ja, alles klar. Machst du super, Shaolan-kun!““ Kurogane verwettete seinen Arm, dass der Bengel noch keinen Führerschein hatte. Aber irgendwie waren ihm solche Sachen relativ egal, seit er den Blonden kannte. Und er hatte die letzten Jahre noch nie so viel Aufregung und Leben in zwei Nächten gehabt. Noch nie so viel... Spaß. Ja, er hatte gerade wirklich Spaß. Obwohl er tot müde war und wahrscheinlich grandiosen Ärger mit dem New Yorker Gesetzt bekam, sobald sie anhielten. Aber sie hielten nicht an, bis Silvester würden sie es wohl schaffen. Bis Silvester, und dann? Und dann war eh egal, dann würde er weiter sehen. Ohne es zu merken, hatte er Fyes Mentalität angenommen. Aber diese Lösung war besser als allein und mies gelaunt sein Leben zu fristen. „Fye“, himmelblauen Augen blickten ihn etwas müde an, die Wärme an seiner Schulter verschwand. „Hm?“. Er klang ein wenig verpennt. Hatte er gedöst? „Wo wohnt dieser Kerl?“ Ein Seufzen. „Das ist Vergangenheit.“ „Ist es nicht.“ „Für dich ist nichts Vergangenheit, was nicht gesühnt ist, nicht wahr?“ Die Lichter hinter der Scheibe flogen nur so vorbei. Sakura lächelte leicht und es tat dem Japaner fast physisch weh. Seine Eltern lächelten nie... Shaolan konnte sich glücklich schätzen, dass sie sich überhaupt bewegte. „Nein. Ich kann nicht verzeihen.“ „Ich auch nicht...“, schwer seufze Fye und sie flogen weiter über den leeren Highway. Strophe 34 „Ich hab so einen Kohldampf!“, jammerte Shaolan und trauerte der XXL Familienpizze mit Salami, Champions und 3 Fach Peperoni wehleidig nach. Kurogane brummte nur unwillig und kramte in seiner Geldbörse. Der Junge rutschte melodramatisch unter den Tisch. „20 Dollar. Damit kommen wir nicht weit.“ „Kannst ja das coole Schwert da verticken.“ „Vergiss es.“ Die Sonne war winterlich weiß aufgegangen und endlich sah es nach Schnee aus. Breit lächelnd sah der Blonde in den Himmel. Sie waren in einem kleinen Café in NY, denn mit seiner mangelnden Ortskenntnis war Shaolan eigentlich immer nur im Kreis gefahren. Sakura blies wie immer abwesend in ihren Kakao und sie hatten sich auf der Toilette alle etwas frisch gemacht. Dennoch waren sie ein recht wilder, durchgefrorener Haufen. Fye bereute, dass er den Weihnachtsbaum nicht mitgenommen hatte, aber die dudelnde Weihnachtsmusik tat es auch. Der Japaner wirkte dadurch nur noch gestresster. „Hey, Kuro-sama~ wir können uns auf sie Straße stellen und singen!“ „Oder die Zeche prellen“, schlug Shaolan leise unter dem Tisch vor. Das Mädchen kicherte etwas, als er irgendetwas mit ihren nackten Füßen veranstaltete. Nicht alle Tage kamen wohl vier Personen ohne Schuhe in dieses Café... „Und nu?“, Fyes Frage blieb erst einmal unbeantwortet, als eine hübsche, brünette Kellnerin ihnen Apfelstrudel hinstellte. „Frohe Weihnachten“, sagte sie und zeigte ihre weißen Zähne, der Franzose beugte sich vor und sah sie lasziv, gewinnbringend an. „Du bist das schönste Weihnachtsgeschenk.“ Sie wurde rot und drehte sich nervös weg. „Madamme!“, eilig sprang er auf und hielt ihr das große, klobige Portemonnaie hin. „Das haben sie fallen lassen.“ Als sie wieder hinter der Theke verschwunden war, grinste er seine Kameraden an. „Jetzt“, er legte auf jedes Wort besondere Betonung, auch wenn er flüsterte, „haben wir 270 Dollar.“ „Aber wir wissen immer noch nicht wohin...“, wand der Junge ein und hatte damit natürlich vollkommen Recht. Der Japaner massierte sich die Schläfen. „Wir können nicht den ganzen Tag in einem geklauten Wagen rumfahren...“ „Warum nicht?“, Fye schien wie immer herzhaft unbekümmert, was dem größeren Mann nur ein ungläubiges Schnaufen entlockte. „Hey Kurzer“, Shaolan sah davon ab das 10. Päckchen Zucker in seinen Kakao zu schütten. „Jap?“ „Geh mal Zigaretten kaufen.“ Nun endlich wieder allein beugte sich der Große wieder zu ihm, auf diese halb bedrohliche, halb beschützende Art und Weise. Fye bekam ein Déjà-vu wie im Bus. „Also, wo wohnt er?“, zischte der Japaner. Die braun-roten Augen wirkten durch das Morgenlicht richtig unnatürlich rot und Fye schluckte hart. „Er...“ „Du beschützt ihn auch noch?“ „Ich habe Angst... ich will ihn nicht wieder sehen. Was wirst du tun, wenn du ihn triffst?“ „Ihn umbringen.“ Fye stand so heftig auf, dass die Getränke überschwappten. „Nein!“ „Wie kannst du ihn schützen?!“ „Darum geht es nicht!“ „Worum geht es dann?“, die Wut schien das einzige zu sein, was den Mann noch weiter machen ließ. Was hatte er nur getan?, fragte sich Fye und fühlte wie ihm ganz kalt wurde. Was hatte er mit diesem Mann gemacht? „Es geht darum, dass du dich schon der Entführung und der Geiselnahme schuldig gemacht hast... und kein Mord dazu kommen soll. Du hast noch ein Leben, deine Freundin ist schwanger... du kannst das doch nicht alles für einen Idioten wie mich wegschmeißen...“ Entgeistert sah ihn der Japaner an. Hatte er was Falsches gesagt? Oh... in der Tat hatte er was Falsches gesagt. „SOUMA IST WAS?!“ Die restlichen Besucher des Café hatten sich ein besinnliches Weihnachtsfrühstück sicher besinnlicher vorgestellt. Fassungslos ließ sich Kurogane wieder auf seinen Stuhl fallen und auch wenn Shaolan verwirrt vom Zigarettenautomat zu ihnen rüber guckte, bevorzugte er es wohl, sich noch eine Weile mit diesem zu beschäftigen. „In dem Päckchen“, erklärte er so einfühlsam wie möglich, „war ein positiver Schwangerschaftstest. Ich bezweifle, dass der von dir war, oder?“ Strophe 35 „Also, ich finde er sollte es behalten“, warf Shaolan Pommes mampfend ein. In Anbetracht der Tatsache, dass sie das halbe Café zusammengeschrieen hatten, wusste der Kurze nicht nur Bescheid, sondern auch alle anderen Besucher. Deswegen waren sie zum nächsten Burgerladen ausgewandert. Kaum zu glauben, dass schon wieder alle Hunger hatten... der Kurze befand sich ja noch im Wachstum, aber dem Blonden hätte er nie zugetraut so viel essen zu können. Aber.... Souma. War .Schwanger. Er musste nach Washington. Allerdings, wenn er nicht ging, dann waren seine Probleme aus der Welt. Aber war ein Kind ein Problem, dass er so einfach aus der Welt schaffen konnte? Wenn er ihre wild zusammengewürfelte Reisegruppe ansah, dann nicht. „Du bist auch Waise, oder?“, fragte sein Stalker, der längst sehr viel mehr für ihn war, den Kurzen gerade. „Jap. Seit ich 7 bin, so quasi. Meine Eltern wollten mich nicht“, erklärte er im Plauderton. Fye nahm sich eine Pommes und eine von, natürlich Kuroganes, Zigaretten. Er selbst hatte schon die Hälfte apathisch aus dem Fenster starrend, weggepafft. „Ich seit ich 5 bin... aber na ja, Abtreibung ist für Frauen doch auch sehr belastend, hab ich gehört. Und vielleicht will sie das auch gar nicht." „Bist du auch Waise?“, fragte Shaolan ihn neugierig, aber Kurogane reagierte erst gar nicht. Dieser Ton... dachten die denn, das wäre ein Spiel? Aber er vergaß ja!, für die beiden war das ein gottverdammtes Spiel! Ein todernstes, gottverdammtes Spiel! „Nein... noch nicht...“, antwortete er knapp, um nicht mehr diese kindlichen, übermüdeten Augen auf sich zu haben, um das sich im Laufe der Nacht ein ansehnliches Veilchen gebildet hatte. „Und, was machst du nun?“, fragte Fye. „Ich wette, dass sie's abtreibt! Um 5 Dollar!“, rief der Kurze, als er nicht antwortete. Der Blonde schüttelte entschieden den Kopf. „Auf keinen Fall, auch wenn Kuro-sama nicht den Eindruck erweckt, tief in seinem Inneren ist er ein hochanständiger Kerl. Er wird sie sicher heiraten und dann eine schöne, feine Familie haben! Was denkst du Sakura?“ Mit einem Blick, der Beide sofort verstummen ließ, sah er die beiden drohend an. Fettgeruch lag in der Luft und auch hier bimmelte diese unerträgliche Weihnachtsmusik! „Das.ist.kein.Spiel.“ „Sicher nicht..“, der Junge schluckte hart. Sakura summte leise „Last Christmas“ mit. „Ich fahre nach Washington.“ „Cool! Ich war noch nie in Washington!“ „Au ja, ich auch nicht! Lasst uns nach Washington fahren.“ Kurogane ersparte sich den Einwand, dass er gesagt hatte ER führe nach Washington, nicht WIR fahren nach Washington, aber er ließ es sein. Strophe 36 Sie brauchten einige Stunden [1]. Kurogane übernahm das Steuer und er selbst war völlig fertig auf dem Rücksitz kollabiert. Gerade fuhren sie von der Highwayauffahrt in den Stadtkern. Das Radio plärrte aus Leibeskräften, die Uhr zeigte 4:55 und es war schon wieder am dämmern. Dennoch schien die Stimmung eher gedrückt. Unauffällig sah er zu seiner Freundin hoch. Die Beine ihres Pyjamas waren völlig verdreckt und ihre Augen wirkten müde, obwohl sie dauernd schlief. „Sakura..“, flüsterte er. Sie reagierte nicht, hätte er sich ja denken können. Dennoch zog ihn das nicht so arg runter wie sonst. Der Wagen hielt und niemand stieg aus. Als er sich aufrichtete sah er ein schmuckes Häuschen, in dessen Vorgarten sie standen. Schwer atmete der Japaner aus. Der Franzose beugte sich lächelnd zu ihm und küsste ihn auf die Lippen. Die beiden wirkten wie ein Ehepaar. „Ihr bleibt im Auto.“ „Okay, Chef.“ Shaolan nickte nur und richtete sich auf, um besser sehen zu können. Immer noch ohne Schuhe trottete der hochgewachsene Japaner auf die Treppenstufen zu und klingelte. Eine phänomenal hübsche Frau öffnete ihm und starrte ihn erst Sekundenlang an. Er konnte nichts hören, und sehen konnte er auch nicht richtig. Beinahe brach er in dem engen Sportwagen die Handbremse ab, als er weiter nach vorne kletterte. Auch der Franzose beobachtete die Szene wie versteinert. Sie hatte kinnlange braune Haare und einen dunklen Teint. Waren ihre Brüste echt? Solche Dinger konnte man doch nicht von Geburt an haben, aber sie wirkte nicht wie ne Tussi, die sich die Melonen aufpumpen ließ... Sie hatte ein hübsches schwarzes Netzkleid an und wirkte nicht all zu stark geschminkt. Just in diesem Moment bekam der Japaner eine gescheuert, Shaolan fühlte sich wie in ner Seifenoper, -nur das Schwert passte nicht so ganz in die Szene -, dann fiel sie ihm weinend um den Hals. „Seifenoper...“, murmelte er. Kurogane drehte sich zu ihnen um und auch seine Freundin kam ein paar Stufen die Treppe hinunter, um sie besser sehen zu können. Was der Große jetzt wohl sagte? So was wie: „Und das ist mein Weihnachs-fuck-buddy, ein bisschen durchgeflippt, kann gut kochen und ist klasse im Bett? Dem Kleinen da haben wir vorgestern mit einem spontanen Verkehrsunfall das Leben gerettet und das Mädel da ist seine geistesentrückte Freundin?“ Der Junge bezweifelte, dass der Mann so viel auf einmal reden konnte. Doch er sagte offensichtlich gar nichts, sondern seine eh schon etwas dunklere Gesichtsfarbe wurde aschfahl vor Schreck. Verwirrt sah Shaolan um sich, waren die Bullen wieder da? Doch dann rutschte auch ihm das Herz in die Hose. Bisher war der Franzose gegen sein Hand gestützt am Fenster gelehnt und hatte möglichst desinteressiert die werdenden Eltern beobachtet. Doch nun war er etwas heruntergerutscht, die Hand fiel lose neben ihm auf modisch geschnittenen Sportsitz, der viel zu groß für den hageren Mann wirkte. Auf dem einst weißen Pulli prangte n riesiger roter Fleck, als hätte man ne Ketschupflasche über ihm ausgequetscht. Erst als Kurogane auf das Auto zu gerannt kam, die Tür aufriss und sich über den Bewusstlosen beugte, kapierte der Junge, dass es Blut war. Strophe 37 „Was ist hier überhaupt los, Kurogane?“, Soumas Stimme klang hysterisch und das erste Mal seit sie sich kannten, konnte Kurogane sie vollkommen verstehen. „Er ist krank...“, sagte er leise. Nur eine Plastikscheibe trennte ihn von dem Blonden, doch er kam ihn nicht an ihn ran. Er würde nur den Ärzten im Weg stehen, die um das Leben des Irren kämpften. Aber hatte das überhaupt noch alles einen Sinn? „Was hat er überhaupt?“ Würde Fye nicht so oder so sterben? „Kurogane, rede mit mir! Warum fährst du mit zwei wildfremden Kindern und einem Mann, der offensichtlich ins Krankenhaus gehört durch halb Amerika?“ „Wir wollten zusammen Weihnachten feiern...“, seine Stimme kam ihm seltsam entrückt vor. Hätte er Fye ins Krankenhaus bringen sollen, als er das erste Mal zusammengebrochen war? Wäre er daraus nicht sofort wieder abgehauen? Warum fühlte er sich so... eisig, erstarrt vor Schock, genau so starr wie damals, nach dem Brand, bei dem seine Eltern 'umgekommen' waren. Fye wäre ihm hinterher gekommen, aus dem Krankenhaus ausgebrochen. Oder er hätte sich jemand anderen gesucht. Aber er WUSSTE doch verdammt noch mal, dass sie höchstens bis Silvester zusammen hatten. Warum hatte er sich darauf eingelassen? Warum hatte er sich mehr davon erhofft? Warum hatte er sich gottverdammte Scheiße noch mal in diesen verrückten, suizidgefährdeten Irren ... verliebt. Er war ihm wichtig geworden, viel zu wichtig. So wichtig, dass er mit Bravour seinen gesunden Menschenverstand zur Seite geschoben und sich auf dieses hirnrissige Unternehmen eingelassen hatte, einfach so GETAN hatte, als hätten sie nach Silvester noch die ganzen verfluchten 365 Tage?! „Kurogane... rede mit mir... was ist überhaupt los... Kurogane... weinst du?“ Hart donnerte seine Faust gegen die Wand des Wartesaals. Wie ein eingesperrtes Tier durchquerte er ihn ein paar Mal und ließ sich dann plötzlich kraftlos auf einen der unbequemen Krankenhausstühle nieder. „Es spielt keine Rolle... Silvester wäre er eh gestorben...“, flüsterte er und dann spürte er eine Hand auf seiner. Erst dachte es, es wäre Souma und er wollte sie wegziehen, doch sie war viel zu klein und unfein dafür. Als er aufsah, sah er in rehbraune Augen, asiatisch geformte rehbraune Augen. Seine Sicht verschwamm, aber er schämte sich erstmals nicht für seine Tränen. Und mit diesem warmen Druck auf seiner Hand konnte er auch zulassen, dass ihn Souma umarmte. Strophe 38 Voll hart das ganze. Die megaheiße Freundin von Kurogane hatte ihm einen Kakao gebracht und versuchte sich mit seiner nicht ganz so vollbusigen, aber seiner Meinung nach nicht weniger megaheißen und süßen Freundin, zu unterhalten. Er klärte sie mal nicht auf. Noch dachte sie, Sakura wäre einfach nur ein wenig traumatisiert, mal sehen, wann bei ihr der Groschen fiel. Der Japaner war im Aufwachraum, der Franzose lebte also noch. Nervös drehte er den Pappbecher in seiner Hand. Ihre Gruppe war voll cool gewesen... das erste Mal seit Jahren hatte er Spaß gehabt ohne sich krankenhausreif zu saufen oder voll zu dröhnen. Den Ärzten zu folge, die ihn unbedingt untersuchen wollten und nervige Fragen stellten, ob er denn von seinen Eltern – seinen Eltern! Dass er nicht lachte, er wäre dankbar drum! - nicht verprügelt worden wäre, hatten das nötige an ihm zusammengeflickt und eine Gehirnerschütterung und n Rippenfraktur diagnostiziert. Na ja, mit nem Rippenbruch konnte man ja bekanntlich sogar noch Sport machen... Sakura hatte neue Klamotten bekommen, die ihr ein wenig zu groß waren, aber besser als dieser pinke Pyjama allemal. Ein Königreich für einen Erdbeerdonut von MrDonut's jetzt... „Und... ihr habt euch einfach so alle an heilig Abend getroffen?“, drang eine Frage von Kuroganes Freundin nun doch zu ihm durch. Die sah ja voll fertig aus... er beschloss sie aufzuklären. „Also, ich wollt mich umbringen und Fye wollte Kurogane umbringen. Das ganze gipfelte in einem großen Autounfall und da wir alle voll verdutzt waren noch zu leben, haben wir beschlossen gemeinsam Weihnachten zu feiern. Dann haben wir noch meine Freundin hier aus dem Krankenhaus geholt und kurz nachdem du angerufen hast, kamen die Bullen und wollten sie zurück holen. Dein Macker zückt sein Schwert, nimmt uns als Geiseln – als Fake für die Bullen natürlich – und wir düsen n bisschen auf'm Highway rum. Den Schwangerschaftstest hat übrigens Fye gefunden. Und dann sind wir hier her gefahren und ab dann weiß ich genau so wenig wie du.“ „Deine Freundin... ist sie irgendwie...?“ „Sie hat so ne Art Demenz, durch n Trauma ausgelöst.“ „Ach so...“ „Seit drei Jahren schon.“ „Und dann bist du noch bei ihr?“ „Ich bin nicht so ein Arschloch, der seine Freundin verlässt, wenn sie einen braucht!“, vor Empörung hätte er beinahe den Becher fallen lassen. Sie kniete immer noch vor ihm und sah schuldbewusst drein. Sie war sicher nicht dumm, seinen Freunden war es ja auch n Safe mit siebenstelligem Sicherheitscode, wieso er sich nicht längst eine Neue gesucht hatte. Aber Sakura war eben was ganz Besonderes, auch wenn das niemand außer ihm kapierte, nicht mal ihre Eltern, die sie nie besuchen kamen! „Und Kuro-pon isses sicher auch nicht“, beruhigte Shaolan sie, als ihr schon wieder das Wasser in die Augen schoss. „Kuro-pon?“ „Äh, mein' Kurogane. Er ist korrekt, er wird dich nicht im Stich lassen, aber ich glaube er hat sich voll in den Blonden da verschossen.“ „Hab ich gemerkt... hoffe er wird bald wieder gesund... ich glaube nicht, dass er es aushält noch jemanden zu verlieren...“ „Das sagst du, obwohl du was im Ofen von ihm hast?!“ Shaolan glaubte sein Schwein pfiff, gab es noch Frauen in dem Alter, die nicht egoistische Furien waren? Sie schwieg und kämpfte wieder mit den Tränen. Shaolan fand sie voll korrekt. Strophe 39 Als er aufwachte spürte er kräftige Arme um sich und er war sich ganz, ganz sicher im Himmel zu sein. Oder zu halluzinieren. Denn es roch verdächtig genau so wie der Mann, nach dem er sich die ganze Zeit in diesem seltsamen Schwebezustand der Bewusstlosigkeit gesehnt hatte. Er öffnete die Augen und sah an die Decke eines Krankenhauses. Nicht so viel Glück, doch die Hölle. Er hasste Krankenhäuser... Seine Brust tat höllisch weh und als er seinen Kopf etwas zur Seite drehte piepten alle Geräte um ihn herum protestierend auf. Mit zittrigen Händen nahm er sich die Sauerstoffmaske vom Gesicht. Und ... erstarrte. Neben ihm im Bett, tief schlafend, wie ein Bär im Winterschlaf, lag der Japaner und schnarchelte vor sich hin. Die Arme hatte er vollständig um ihn geschlungen, so dass er selbst wenn er gekonnt hätte, sich dem Griff des Schlafenden nicht hätte entziehen können. Die Kopfschmerzen und die Verwirrung machten es ihm schwer zu denken. Seine Augen waren ganz geschwollen und allgemein sah er nicht besonders erfrischt aus. Der Vorhang um sein Bett vermittelte ihm, dass er auf der Aufwachstation lag... er lag... auf einer Aufwachstation. Dann war er wohl nicht tot, stellte er fest... er war ja auch ein Blitzmerker. Er sah sich um, sein Bett stand vor dem Fenster und draußen glühte es weiß. Er brauchte einen Moment, um zu kapieren, warum das so grell weiß war. „Es schneit!“, rief er freudig aus und erschrak bis ins Mark, weil seine Stimme klang, als wäre er mit nem Reibeisen drüber gewetzt. Der Mann neben ihm fuhr erschrocken aus seinem Schlummer und sah ihn mit roten, völlig übermüdeten Augen an. „Du lebst...“, es klang erstaunlich ungläubig für einen Mann, der normalerweise alles mit einem sarkastischen oder verärgerten Unterton untermalte. Etwas planlos zuckte Fye mit den Schultern, was sollte er sagen, offensichtlich, oder? Seine Brust tat dennoch weh als wäre er schon halb verwest. Einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen und lehnte sich wieder zurück. Er schloss die Augen, aber spürte den Japaner neben sich atmen. „Wie... viel Uhr... haben wir immer noch den 25ten...?“ „Nein, den 7ten..“ „Eh..?“ „Den siebten Januar...“ Strophe 40 Eisblaue Augen öffneten sich und sahen ihn an, als erwarteten sie eine bestimmte Frage. Sie öffneten sich... Seit über 10 verdammten Tagen saß er hier und hatte Angst, dass sich diese Augen nie wieder öffneten, dass dieser Mann hier auch starb, genau wie seine Eltern und dann spielte er Spielchen mit ihm! Aber es erleichterte ihn auch. Er richtete sich auf und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. Seine ganze Seite fühlte sich noch durchgelegen und betäubt an. Blaue Augen – wie ein bewölkter Sommerhimmel – fixierten ihn müde. Der erste Schnee des Jahres und der erste seit vier Jahren und die Kälte in dem Blick seines Stalkers war endlich geschmolzen. Langsam holte er ein Plastikröhrchen raus. Shaolan hatte es in Fyes Anorak gefunden und ihm gegeben, weil er wohl dachte, es wären Medikamente, oder zumindest Drogen, die Fye regelmäßig nahm. Nach den Ärzten nahm Fye keine Drogen, nach den Ärzten hatte Fye Vergiftungserscheinungen der übelsten Sorte. Wortlos hielt er dem Blonden das Fläschchen vor die Nase, doch dieser lächelte wieder erwartend nicht. „Arsen“, sagte er statt dessen nur rau. „Ist das nicht was altmodisch?“ „Hey.. ich find Weihnachten echt magisch... ich BIN altmodisch...“ „Dein Weihnachtswunder hast du ja bekommen...“ „Du warst die ganze Zeit bei mir?“ „Das wolltest du Silvester alles nehmen?“ „Du warst die ganze Zeit bei mir?“, bestand Fye auf seine Frage und sah ihn ernst an. Kurogane nickte. Und bekam einen Kuss dafür. Nur ein ganz leichtes Berühren der Lippen. Er dachte er hätte alle Küsse schon entheiligt, er küsste immer, egal was für dreckige Dinge er tat, aber dieser Kuss war fast unschuldig. Bevor der Blonde zurück weichen konnte, legte Kurogane seine Hand in den seinen Nacken und vertiefte den Kuss. „Silvester... ich dachte das wäre ein gutes Datum... ich will nicht allein sein, wenn ich sterbe...“ „Ich habe einen Wunsch.“ Verwirrt sah Fye ihn an, doch der Japaner ließ sich nicht beirren. Während er schwieg sah Fye auf den Krankenhausbeistelltisch, der wohl in jedem Krankenhaus den selben erbärmlich hässlichen Grünton hatte wie in NY. Er lächelte aufgrund der Mohnblume, die in einer weißen Vase stand. „Shaolan hat sie reingestellt“, klärte Kurogane ihn auf, aber das war gar nicht nötig. „Hab ich mir schon gedacht... aber wir klatschen nicht so oft begeistert in die Hände...“, wieder dieser traurige Ton. Zeit, dass Kurogane auf sein Anliegen zurückkam. „Ich habe einen Wunsch.“ „Schon verspielt, Kurogane. Das Lied. Erinnerst du dich? „All I want for Christmas““. „Das zählt nicht, du hast so krumm gesungen.“ Wieder ein Lächeln. Manche Leute wurden eben nur im Angesichts des Todes ehrlich. „Aber wir wollten die Wünsche bis Silvester erfüllen. Silvester ist vorbei.“ „Mein Wunsch ist, dass du nächstes Weihnachten bei mir bist.“ Kurogane wurde groß angesehen. Draußen Rauschte der Schnee vom Himmel, als müsste er die ganzen schneelosen Jahre nachholen. ____________________ Kommentar: zu [1] ich wollte es beim Überarbeiten rausnehmen und die Stadt ändern, doch im Endeffekt fand ich es zu witzig. Nach google Maps liegen LA und Washington D.C. 40 Stunden außeinander. finale ------ Shaolan stampfte durch den Schnee. Souma wartete im Auto auf ihn. Er freute sich ja sehr, dass Sakura was aufgetaut war und auch darüber, dass sich Souma bei ihren Eltern hatte dafür einsetzen können, dass sie noch was bei ihnen blieb, aber musste sie wirklich dauernd abhauen?! Lag ihr das denn genau wie Schlittschuhlaufen im Blut?! Das Feld war gut einen halben Meter von einer dicken Schneedecke bepackt und sie stach mit ihrem grünen Anorak daraus hervor wie eine exotische Pflanze in der Antarktis. Rauch bildete sich vor seinem Mund als er die letzten Schritte rannte. „Sakura, komm schon! Denk an die Pizza, die bei Souma auf uns wartet. Pizza!“ Das Mädchen starrte in den Himmel, also nahm er einfach ihre Hand und zog daran, doch sie stand stur. Er zog daran, kein überzeugendes Resultat war zu verbuchen. Entnervt, aber nicht ganz so sehr, blieb er stehen und sah mit ihr nach oben. Vielleicht... wenn er immer genau da hin starrte wo sie hinstarrte, konnte er endlich einmal entdecken, was da so fürchterlich interessant war. Der weiße Himmel spuckte Schneeflocken aus wie blöde und irgendwann war er richtig gefesselt davon. Wie kleine Feen... Soumas ungeduldiges Rufen durchbrach seinen leicht poetischen Anfall. Doch darauf konnte er nicht achten. Mit einem ganz leichten Lächeln sahen ihm grasgrüne Augen genau ins Gesicht. ~~ „Es ist nicht unmöglich, haben die Ärzte gesagt. Eine weitere Operation an der Lunge, ein wenig Glück und viel Ruhe, dann hast du gute Chancen sogar mehr oder weniger gesund zu werden." „....“ „Natürlich nur, wenn du kein weiteres Zeug nimmst, was dich halb umbringt.“ „Aber-“ „Kein aber, du musst nicht sterben, nur weil es Fye tat.“ „Was?“ Völlig entgeistert sah ihn der Blonde an. „Du hast mich genau gehört, Yuui de Flourite.“ „Hast du nichts anderes zu tun als Krankenakten zu lesen?“ „Schwerlich.“ Schwer atmete er durch. Silvester war vorbei, was dann kam war für ihn eigentlich immer klar gewesen... das war das Finale. „Ich wollte Silvester sterben... weil ich dann ganz sicher nicht allein wäre.“ Müde schüttelte der große Asiate den Kopf. „Statt sich darauf zu konzentrieren wie du stirbst, solltest du zur Abwechslung mal leben.“ Ja, jetzt konnte er ihm gut zureden, aber wie lange würde diese weihnachtliche Gutmütigkeit halten? Niemand hielt ihn lange aus... niemand... durfte so jemanden wie ihn in seiner Nähe haben. „Ich bin ein Mörder.“ „Du warst ein Kind.“ „Ich...“ „Du warst ein Kind. Und du bist es immer noch. Ein Kind das verzweifelt seine Kindheit zurück will. Ich weiß nicht, was du erlebt hast und deine Vergangenheit ist für mich auch nicht von Bedeutung. Ich will nur, dass du lebst.“ Woher der andere auf einmal diese Klarheit und Bestimmtheit hatte, konnte er nicht sagen, aber hätte sich ein Spalt im Himmel aufgetan und die Stimme Gottes zu ihm gesprochen, es hätte für ihn nicht erschütternder sein können. „Ich... aber du wirst bald Vater.“ „Ja und?“ „Du willst es nicht?“ „Doch. Aber ich will auch dich.“ „Das ist total verrückt... und schwierig...“ „War es von Anfang an.“ Leicht lächelte der Blonde und griff nach Kuroganes Hand. „Da brauchen wir wohl ein Wunder...“ „Das hatten wir schon, glaube ich, ... alle.“ ~end?~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)