Vergessen!? von abgemeldet (Die Wichtel-FF für PrincessAkari) ================================================================================ Langsam betrat ich den Raum, den die Frau mir gezeigt hatte. Das hier sollte mein Zimmer sein, aber es erschien mir so fremd, so als wäre ich hier ein Eindringling. Meine Mutter, war sie das überhaupt, hatte mich aus dem Krankenhaus abgeholt. Nach mehr als drei Monaten in denen mein Leben sich nicht weitergedreht hatte, war doch so viel passiert. Ich ging durch den Raum und setzte mich aufs Bett, das frisch bezogen worden war. Oder doch nicht? Es roch so nach… After Shave. Der Duft kam mir bekannt vor, ich wusste nicht wieso. Ich hörte wie jemand „Hannah“ rief. Sie nannten mich schon die ganze Zeit so. Die Ärzte hatten mich auch schon so genannt, dabei wusste ich meinen Namen gar nicht, wusste nicht mal, ob das wirklich mein Name war und sollte diesen trotzdem annehmen. „Hannah… Hannah… Hannah…“ Ein paar Mal hatte ich selbst versucht ihn zu sagen, als sei er mein Name, aber es klang so fremd zu sagen: „Hallo ich heiße Hannah, freut mich, dich kennen zu lernen.“ „Hannah?“ Ich blickte auf. Die Frau, die sich mir als Mutter vorgestellt hatte stand im Türrahmen und schaute mich besorgt an. „Kommst du essen? Es gibt dein Lieblingsessen?“ „Mein was?“ Irgendwie schien das nicht zu passen. Diese Frau behauptete ich hätte ein Lieblingsessen, dabei wusste ich nicht mal, was ich gerne aß, wie konnte sie es dann wissen, fragte ich mich. „Dein Lieblingsessen Hannah.“ Sie schien verwundert, dass sie es überhaupt erklären musste. Ich lachte bitter auf. „Ich wusste bis vor fünf Minuten nicht, dass dieser Raum mein Zimmer ist, geschweige denn weiß ich, was in welchen Schubladen liegt, denkst du da, ich erinnere mich an mein Leibgericht?“, fragte ich und war mir nicht bewusst, dass ich sie sicher verletzte. Sie wollte einen normalen Alltag und meinte es sicher gut, aber ich wollte das nicht, ich wollte wissen, wer ich war und wer diese Frau war, aber was verhinderte nur, dass ich mich erinnerte? Ich ging wirklich zum Abendessen, auch wenn es mir irgendwie zu wider war und auch wenn ich nicht wusste, was mich erwartete. Ich wusste, dass hier noch mein Vater, auch hier fragte ich mich ob er es war, lebte, aber mehr wusste ich nicht, deswegen wunderte ich mich, warum nur für zwei gedeckt war. Meine Mutter, so langsam begann ich zu akzeptieren, dass sie das sein musste, erklärte mir, wir äßen immer zu zweit und mein Vater würde sich unterwegs etwas holen oder nachher aufgewärmtes essen. Wir aßen also schweigend. Vielleicht, weil es nichts zu erzählen gab, vielleicht weil ich nichts sagte. „Es schmeckt wirklich. Ess ich das wirklich gern?“, fragte ich dann auf einmal. Meine Mutter blickte auf. „Ja schon immer. Ich glaube seit du ein Kind warst.“ Sie lächelte und ich dachte daran, dass es wirklich schön war, dass ich nicht alleine war und das jemand so etwas sagte, gleichzeitig versetzte es mir einen Stich, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte um ihr verständlich zu machen, dass ich wirklich keine Ahnung hatte. Fakten kannte ich viele, zum Beispiel geschichtliche Daten oder auch Sachen die in Büchern standen, aber ich wusste nichts über mich, meine Familie, meine Freunde. Hatte ich wirklich Familie? Gab es so etwas wie Freunde? Wer war ich überhaupt? Nach dem Essen half ich beim Abwasch und ging danach wieder in mein Zimmer. Dort zog ich wahllos Schubladen auf und schaute mir den Inhalt an. Zeichnungen, Fotos, Geschichten… irgendwie kam mir das alles so fremd vor. Ich seufzte und legte mich schlafen, denn ich wollte nicht noch mehr Menschen begegnen, an die ich mich nicht erinnern konnte. Schreie. Alles drehte sich. Dann der Baum verdächtig nahe. Ein Knall. „Tom!“ Ich hielt jemanden im Arm. Schrie verzweifelt immer wieder seinen Namen und dann… „Nein!“ Ein verzweifelter Schrei, der in dem dunklen Zimmer wider halte. Ich befand mich wieder in meinem Schlafzimmer, spürte Tränen auf meiner Wange. Was war das? Ein Albtraum. Nur ein Albtraum, versuchte ich mir einzureden, aber ich wusste nicht, was das bedeuten sollte. Langsam machte ich Licht und blickte mich im Raum um. Die Fotos hatte ich noch gar nicht bemerkt, aber jetzt so mitten in der Nacht, machten sie mich neugierig. Auf einem der Bilder, sah ich wie ein Junge mich im Arm hielt, neben uns beiden ein Mädchen und ein Junge ebenfalls Arm in Arm. Wer diese Leute wohl waren? Wir lachten alle. Ich musste beim Anblick dieses Bildes lächeln, als wollte ich mich an einen schönen Tag erinnern. Ich seufzte und stellte es wieder weg. Es nützte nichts, ich erinnerte mich nicht. Die nächsten Tage verliefen immer gleich. Ich versuchte mich zu erinnern, bekam von meiner Mutter Geschichten aus meiner Kindheit erzählt, aber nie etwas Aktuelles, nichts dass mir half, nichts das mir sagte, warum ich mich nicht mehr erinnern konnte, nichts dass mir half zu erklären, warum ich in einem Krankenhaus gewesen war und warum ich offensichtlich im Koma gelegen hatte. Was sollte das eigentlich? Doch meine Mutter war fürsorglich und lieb. Ich vermutete sie hatte ihre Gründe und würde schon irgendwann dorthin kommen, deswegen lauschte ich ihr auch, ohne mich zu beschweren. Sie hatte übrigens Recht gehabt mit meinem Lieblingsessen, ich liebte ihr Essen zwar, aber das war wirklich das Beste, was sie kochen konnte. Ich machte mir schreckliche Sorgen um Hannah. Sie war gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden, nach diesem schrecklichen Unfall. Tom war tot. Er war ihr Freund gewesen, sie hatten eigentlich noch viel miteinander vor, aber nun war er tot und Milena und Alexander auch. Wieso waren sie auch bei so viel Laub auf der Straße so schnell gefahren? Immer wieder stellte ich mir diese Fragen und konnte sie mir nicht beantworten, weil auch Hannah mir keine Antworten geben konnte. Ich wollte, dass sie sich an schöne Dinge erinnerte, doch ich wusste nicht, was ich ihr alles sagen sollte, damit sie sich auch wirklich erinnerte… „Nein Tom!“, wieder schrie ich auf und saß aufrecht im Bett. Was sollte das nur bedeuten? Wer war Tom und wer waren die Leute in diesem Auto? Ich schluchzte. Warum nur erinnerte ich mich nicht? Ich wollte es so dringend wissen! Ich entschloss mich etwas schier wahnsinniges zu tun und legte mich wieder hin. Der Albtraum kam in dieser Nacht immer wieder und irgendwie wurde mir bewusst, dass wenn ich nur herausfand, wer Tom war und was dort geschehen war, ich mich auch an alles andere erinnern würde, mir mein Name nicht mehr fremd erscheinen würde. Am nächsten Abend half ich meiner Mutter beim Kochen und fragte ganz plötzlich, als sei diese Frage das normalste der Welt: „Wer ist Tom Mama?“ Sie schaute mich einen Moment fragend und skeptisch an, dann sagte sie: „Nicht wichtig mein Schatz.“ Sie fragte mich ganz einfach ohne Vorwarnung nach Tom. Ich war nicht darauf vorbereitet, dass sie nach ihm fragte. Erinnerte sie sich an den Unfall? Was sollte ich tun, wenn es wirklich so war? Ich schluckte und tat ihn als unwichtig ab, der Freund meiner Tochter war zwar ein sehr netter Junge und war mir auch wichtig, aber ich wollte, dass sie glücklich in ihre Zukunft blickte. Ich wollte nicht, dass sie sich an einen von ihnen erinnerte. So sehr es mich selbst schmerzte. Doch dann sah ich, dass sie angefangen hatte zu weinen. „Bitte Mama. Ich… ich muss es wissen“, stotterte sie. Ich stand einen Moment nur da, doch dann nahm ich sie sanft in den Arm und wiegte sie vor und zurück. „Wieso willst du das denn wissen Hannah?“, fragte ich, wie als fragte ich ein Kind. „Ich… ich träume jede Nacht. Ich sitze in einem Auto und dann gerät der Wagen ins rutschen und wir knallen gegen einen Baum. Die beiden vorne kann ich nicht erkennen, aber… aber ich rufe den Jungen neben mir Tom. Bitte… ich muss wissen, ob er… ob die Leute in diesem Auto etwas mit mir zu tun haben. Bitte Mama.“ Ich zögerte. Sollte ich wirklich? Doch mir blieb keine Wahl. Ich musste ihr alles erzählen. So erzählte ich Hannah also von Alexander, dem eher stillen, aber doch netten neunzehnjährigen, der immer mit Milly, der etwas aufgedrehten, quirligen achtzehnjährigen geknutscht hatte. Milly war ihre beste Freundin gewesen und immer für Hannah da gewesen. Irgendwie vermisste ich das manchmal laute Wesen, dass überraschend bei uns vorbei kam und unser Haus aufwirbelte. Ich erzählte ihr zuerst nur von den beiden und dann ganz langsam flüsterte ich: „Und dann war da Tom.“ Wie sollte ich ihr von ihm erzählen? „Tom hatte dunkle Haare, grüne Augen und war sehr stark. Ich weiß nicht, er war wirklich perfekt für dich. Ihr ward von dem Moment in dem ihr einander kennen lerntet ward ihr das perfekte Paar und wurdet es auch. Dann kam der Abend, an dem ihr zu dieser Geburtstagsparty fuhrt. Ich weiß gar nicht mehr wer da feierte. Keine Ahnung. Aber als ihr nach Hause fuhrt, Alex saß am Steuer, daneben Milena und du warst mir Tom auf der Rückbank, kam der Wagen auf der Landstraße auf nassem Laub ins Schleudern. Ihr seid viel zu schnell gefahren. Der Wagen raste frontal in einen Baum, Milly und Alex waren sofort tot. Tom hattest du in den Armen. Irgendwie weiß ich nicht, wie das alles von statten ging, aber der Feuerwehrmann, der euch rettete meinte, du hättest seinen Namen gerufen, immer wieder und wieder, dabei sei er schon lange…“ Meine Mutter brach ab. Das war also der Grund für meinen Traum. Ich saß da und dann schlagartig kam die Erinnerung zurück an den Unfall und all das. Ich weinte. Ich konnte die Tränen nicht stoppen. Was geschah da mit mir? Bilder überschlugen sich in meinen Inneren. Ich sah mich lachen, ich sah den Unfall, hörte Musik, sah ein kleines Mädchen irgendwo spielen. Dann wurde alles schwarz. Ich weiß nicht einmal wieso, aber mir wurde bewusst, dass alles anders war jetzt, dass mein ganzes Leben anders war. Ich wachte auf und ein vertrauter Duft stieg in meine Nase: „Guten Morgen kleine Prinzessin.“ „Tom…“ Erstaunt blickte ich in seine Augen. „Aber du bist…“ „Du träumst Hannah“, flüsterte er in mein Ohr. „Wieso? Träume fühlen sich nicht so schön an…“, stellte ich fest und sah ihn an. Er war es wirklich. Es war als erinnere ich mich auf einmal ganz genau an ihn. Er nahm mich mit und zeigte mir die Welt, in der ich gelebt hatte, Schule, Freunde, meine Familie. Es war wirklich schön so neben ihm einher zu spazieren. „Hannah, du wirst weiterleben. Ich freue mich sehr, dass wenigstens du leben wirst und noch erleben wirst, was wir wollten. Ich… ich werde immer bei dir sein“, flüsterte er zum Abschied und küsste mich kurz. Dann wachte ich auf und mir stieg der Duft von Toms After Shave in die Nase, weil ich in meinem Bett lag. Meine Mutter saß auf einem Stuhl daneben und ich lächelte: „Hallo Mama!“ „Hannah! Schön dass du zurück bist.“ Sie lächelte ebenfalls und ich beschloss, dass ich bald Milly, Alexander und auch Tom auf dem Friedhof besuchen musste. Ein in schwarz gekleidetes Mädchen betrat den Friedhof mit drei Blumensträußen. Zuerst legte Hannah auf Alexanders Grab einen Strauß Margariten nieder und verabschiedete sich auf diese Weise. Für Milly hatte sie Orchideen besorgt. „Bis bald. Wir sehen uns dann“, flüsterte sie dem Grabstein zu, als sie ging. An Toms Grab stand sie einige Minuten, ehe sie flüsterte: „Ich werde dich immer vermissen Tom, denn… ich liebe dich.“ Als sie ging ließ sie Vergissmeinnicht zurück, die Blumen der ewigen Liebe und Verbundenheit. Sie würde ihn niemals vergessen, würde ihn immer lieben und in ihrem Herzen würde er für immer bei ihr sein, egal was sie tat oder was noch geschah. Ihre Liebe würde die Ewigkeit überdauern, wie die kleinen Blüten, die sein Grab schmückten… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)