Aër von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Im Untergrund ------------------------ Unruhe brach zwischen den Reihen der Männer aus. Der Hohepriester, wie immer in der violett-grünlich schimmernden Kutte gekleidet und hinter seiner güldenen Maske versteckt, segnete die völlig entblößte, an einem Podest angekettete Jungfrau mit einer schwarzen, stinkenden Flüssigkeit, während eine Schar Pastoren einen gregorianischen Choral zum Besten gaben, der durch das Echo das die kalten Steinmauern der verwinkelten Katakombengänge zurückwarfen vielfach verstärkt wurde, so dass es sich ganz so anhörte als sei die ganze Stadt in dieser Nacht im Untergrund versammelt, um dem Spektakel beizuwohnen. Drei Gestalten schritten nun im Rhythmus der feierlichen Musik langsam auf den Hohepriester zu, jeder von einem anderen der drei Haupteingänge des düsteren Grabraums. Alle Drei hatten gelblichgrüne, giftig aussehende Kutten an, deren Kapuzen einen Grossteil der Gesichter in Schatten hüllten. Doch die Münder aller Drei waren sichtbar, und wenn man genauer hinsah konnte man erkennen, das die Lippen fest zusammengepresst waren, ein Indiz, das deutlich die Angespanntheit der Einzelnen zeigte, die durch einen ruhigen, langsamen Gang zu verbergen versucht wurde. Jeder der Drei trug auf einem mit beiden Händen fest umschlossenen tiefschwarzem Samtkissen je einen zeremoniellen Gegenstand vor sich her, die alle nacheinander von dem Hohepriester angenommen wurden. Zunächst nahm er einen Dolch mit einem weißen Griff, wahrscheinlich Elfenbein, und einer schwarzen Klinge, in der goldbemalte Schriftzeichen eingraviert waren. Am Griffende war ein blauer Edelstein eingelassen, ob es ein Saphir oder etwas anderes, vielleicht sogar ein so seltener blauer Diamant war, das vermochte man im schwächlichen Licht der entweihten Krypta nicht wahrzunehmen. Der dunkle Kleriker hob die Waffe zunächst in die Höhe, drehte sich einige Male um die eigene Achse, so dass ihn alle sehen konnten, und sprach laut und deutlich eine Beschwörungsformel aus, bevor er seinen Arm wieder senkte. Anschließend setzte er ihn auf der rechten Brust der ängstlich schauenden Frau an, die jedoch nichts dagegen unternahm, da sie wusste sie würde nicht fliehen können. Langsam fuhr die scharfe Klinge über den vor Schweiß nassen, wohl geformten Körper, gerade so tief das das Blut hervorquellen konnte, ohne dass es zu bleibenden Narben führen würde. Der erste Schnitt führte von der rechten Brust quer über den Körper zur linken Seite wo er auf Höhe des Bauchnabels endete. Dabei verfehlte er die Brustwarze nur um einen Fingerbreit. Der zweite Schnitt steuerte vom Knöchel des rechten Fußes aus die rechte Kniebeuge an, die blutige Linie, die etwas tiefer war, klaffte am linken Oberschenkel, und zuletzt noch ein Schnitt, der, nachdem einige der Wächter die Maid umgedreht hatten, über den Rücken die Wirbelsäule entlang bis zwischen die Beine führte. Anschließend wurde das zerschundene Mädchen dazu gezwungen, ihr eigenes Blut vom Messer abzulecken. Sie tat es widerstandslos. Das zweite Kissen trug einen Krug gefüllt mit einer rötlichschwarzen Salbe. Auch Dieser wurde den Männern dem Dolche gleich gezeigt und durch einen ähnlichen Spruch gesegnet. Dann begann der Priester die Vertreterin des schönen Geschlechtes damit einzureiben, wobei sich das Mittelchen mit dem Blut vermischte. Es brannte offenbar fürchterlich, denn die Frau schrie laut auf als es die Wunden berührte, doch sehr schnell wurde sie durch einige Hiebe wieder zum Schweigen gebracht. Von Kopf bis Fuß wurde sie gesalbt, auch das lange, pechschwarze Haar, das daraufhin verklebte. Die letzten Reste der Substanz musste sie sich wiederum einverleiben. Der dritte Gegenstand, der dem Hohepriester dargebracht wurde, sorgte für Geraune unter denen, die der Zeremonie beiwohnten. Es handelte sich um eine etwa ein dutzend Finger lange und drei Finger breite Röhre aus Glas, deren eines Ende spitz in ein Metallröhrchen das nicht breiter war als ein Haar überlief, während das andere Ende durch einen verschiebbaren Metallzylinder abgeschlossen wurde. In dem Glasrohr befand sich eine gelblich-durchsichtige Flüssigkeit, die jedoch wiedererwarten nicht durch die Metallspitze heraus rann, obwohl diese ja ein Loch hatte. Der Hohepriester nahm den seltsamen zylindrischen Gegenstand und stach mit dem spitzen Teil in den Hals der Jungfer, während er mit der freien Hand die Metallhälfte tiefer in die Röhre schob, so dass die Flüssigkeit in die Halsschlagader der Frau gepumpt wurde. Als der Gottlose den Gegenstand wieder aus ihrem Blutgefäß herauszog hielt er bereits einen weißen Stofffetzen bereit, den er ihr zur Blutstillung über das Einstichloch band. Es war wieder einer dieser Momente, die in ihrem Lärm verblassten und ganz still wurden, als würde alles in einen tiefen Schlaf verfallen. Die Überbringer der Zeremonieinstrumente drehten sich nun um und schritten, immer noch vom gregorianischen Choral begleitet, wieder auf die langen Gänge zu, durch die sie gekommen waren. Nur derjenige, der die Salbe überbracht hatte, sah noch einmal kurz zurück zu dem jungen Mädchen, das mit Tränenerfüllten Augen direkt in dessen Richtung blickte. Sie versuchte den dunklen Fleck unter der Kapuze zu durchbrechen, doch war es viel zu finster. In diesem Moment begann sich die Decke zu bewegen, und im nächsten Augenblick fielen schwarze Klumpen von oben herab. Doch es waren keine Gesteinsbrocken, sondern eine Unzahl an Fledermäusen, die kreuz und quer durch den Raum schwirrten. Eines der Tiere flatterte so dicht über die giftgelbe Kapuze der nun sichtbar erschrockenen Gestalt hinweg, dass diese nach hinten rutschte und ein Gesicht freigab, das Gesicht eines Jungens, kaum älter als 13 Jahre, doch mit der Mimik eines alten, erfahrenen Magiers. Besonders markant war eine Narbe direkt unter dem linken Auge, die die Form einer kleinen Träne hatte. Doch zu schnell zog er die Kapuze wieder hoch, als dass man mehr hätte ausmachen können, und so schnell wie er gekommen war war der Schwarm der geflügelten Tiere auch wieder durch alle Gänge entwichen, so wie der Junge, der sich umgedreht hatte und ebenfalls verschwunden war. Der Fledermausschwarm unterbrach die Feier nur kurz, und noch von weitem konnte man die Stimmen der singenden Pastoren und die beschwörenden Worte des Hohenpriesters hören, manchmal auch die Schreie einer jungen Frau. Die Zeremonie war immer noch in vollem Gange. Der Junge mit der Narbe hatte sich umgezogen und trug nun seine alte braune Kutte, abgewetzt und durchlöchert, die wohl schon seit Jahren von Hand zu Hand weitergereicht und getragen wurde. Müde setzte er sich in den Strohhaufen, der ihm schon seit jeher als Schlafstätte diente. Er war in dem ihm zugesprochenen Raum, einer kleinen Kammer an einem Seitengang gelegen, in der gerade so viel Platz vorhanden war um, den Umständen entsprechend, bequem schlafen zu können. Tür gab es keine, doch wäre diese ohnehin nutzlos, denn hier unten konnte man alles hören- und doch nichts, wenn man nicht aufpasste, denn die Stimmen wurden an allen Ecken und Enden reflektiert, so dass jedes Wort in jedem der verschlungenen Gänge des unterirdischen Labyrinths gehört werden konnte. „Na ihr Ratten?“, Begann der Junge, “Gibt’s was Neues das ihr mir erzählen könnt?“ Für einen Moment rührte er sich nicht als würde er ernsthaft eine Antwort erwarten. Dann beugte er sich leicht zu ihnen vor und setzte leiser fort: „Hätte mich auch gewundert, wenn ihr einmal etwas Neues wissen würdet.“ Der Bursche drehte sein rechtes Ohr in Richtung Ratten und lauschte ihnen. „Wie mein Tag war? Nun, ich bin froh dass ich’s hinter mir habe, ihr wisst ja, für mich war es die erste Zeremonie dieser Art heute, und da war ich schon etwas angespannt… Aber ansonsten gibt es nicht viel zu erzählen. Wie? Vor euch kann man aber auch nichts verbergen, ja, es war noch was. Dieses Mädchen das in zwei Tagen geopfert werden soll... Ich weiß nicht, irgendwie hab ich das Gefühl das das nicht richtig ist. Ja, natürlich weiß ich was sie sagen aber ich… Ich möchte nicht dass sie stirbt! Und sie will es sicherlich auch nicht… Ich weiß nicht… Was ratet ihr mir?“ Der Junge starrte wie gebannt auf die zwei fetten Ratten, die vor seinen Füssen nach Futter suchten, doch außer ein paar Quiekern wollten und wollten sie nichts antworten. „Na klar, sonst plappert ihr immer wie ein Wasserfall, aber kaum stellt man euch eine ernste Frage stellt ihr euch dumm! Pah, ihr seid echt zu nichts zu gebrauchen, aber ich weiß auch so was ich tun werde, ohne euere Hilfe! Ach, auf einmal seid ihr wieder ganz lieb und wollt wissen was ich zu tun gedenke? Das ist mal wieder so typisch! Aber ich will mal nicht so sein: Ich werde zu ihr gehen. Ich werde zu ihr gehen sobald die Festlichkeiten vorbei sind, und dann werde ich mit ihr reden. Verrät das aber keinem, verstanden? Sonst sag ich euch nie wieder etwas, und wenn ihr noch so bettelt!“ Die Ratten verschwanden durch ihre Schlupflöcher und ließen ihn allein zurück, woraufhin er sich hinlegte. Dabei fiel sein Blick auf eine Raupe im Stroh mit der er sogleich ein Gespräch begann, über dass er einschlief. Währenddessen wurde die Jungfrau weiter zur Belustigung der Zuschauer gequält, indem der dunkle Kleriker ihr eine glühende Fackel gegen Bauch und Brust rammte während sie sich vor Schmerzen die Seele aus dem Leib schrie. »Warum Quält ihr mich so sehr? Nun macht schon, bringt’s endlich hinter euch! Ahh… diese Schmerzen. Warum tut ihr das bloß? Am Ende tötet ihr mich ja doch. Ohh… Sollte ich lebend hier rauskommen greif ich nie wieder eine Fackel an! Bastarde! Uhh… Ich halte das einfach nicht mehr aus!« Sie fiel in ein komplett traumloses Koma, und im selben Moment in dem ihr Folterknecht dies bemerkte gab er Befehl die Fesseln zu verstärken. Einige der Kuttenträger, die zuvor bewegungslos im Raum standen und eine Art Wache bildeten, traten näher an den Altar heran, jeder den Strick, der dazu gedacht war die Kleidung zu halten, in den Händen. Sie begannen die Seile um die Gelenke des Mädchens zu binden, während der Hohepriester den Raum verließ, woraufhin auch all die Schaulustigen durch die vielen Gänge in die verschiedensten Richtungen davon strömten. Bald darauf waren nur mehr Fetzen entfernter Gespräche zu vernehmen, und die Geräusche der Nacht, die sich von der Oberfläche ihren Weg durch den Pflasterstein bahnten. „Wach auf.“ Sanft wurde an ihrer Schulter gerüttelt. „Wach auf, ich möchte mit dir sprechen.“ Benommen öffnete sie halb ihre Augen, sah zunächst allerdings nur verschwommene bräunliche Schemen. „Bin ich… bin ich tot?“ fragte sie ängstlich, und eine ruhige, sanfte Stimme antwortete: „Nein. Nein du bist nicht tot. Bestimmt nicht.“ Ihre Augen weiteten sich, als ob sie jeden Moment in Freudentränen ausbrechen würde, und ihre Lippen formten deutlich ein erleichtertes Lächeln. „Dann… war das alles nur ein Traum? Ein Alptraum?“ fragte sie in einem ungläubigen Ton, und schon im nächsten Moment begannen die Worte aus ihr herauszusprudeln wie das Wasser aus einem gebrochenen Damm, unaufhaltsam. „Oh Gott, es war so schrecklich… Ich war nackt und… und angekettet und… und überall Männer und… und man hat mich eingeschmiert mit irgendeinem Zeugs, von Kopf bis Fuß!“ Sie hielt inne als sie die Schmerzen, die nun zurück kehrten zu spüren begann und sie wieder klarer sehen konnte. Sie blickte in ein von Mitleid getränktes Gesicht das zu einem zirka 13 Jahre alten Jungen gehörte. Unter seinem linken Auge befand sich eine tränenförmige Narbe. „Es war kein Traum, nicht wahr?“ Man konnte deutlich die Verzweiflung in den verhältnismäßig ruhig gesprochenen Worten erkennen. Sie versuchte kurz aufzustehen, musste aber feststellen dass sie zu fest angebunden war um auch nur den Kopf hoch zu bekommen. Voller Furcht vor dem Anblick, der sie erwarten würde senkte sie die Augen um ihrem Leib entlang zu sehen. Der Junge schüttelte leicht den Kopf mit den Worten „Nein war es nicht.“, während er ihrem Blick über den zerschundenen Körper folgte. „Bist du gekommen um mich weiter zu quälen?“ Sie begann bei dem Anblick der Wunden, die als Andenken an die Grausamkeiten des Hohepriesters geblieben waren bitterlich zu weinen. „Nein. Ich bin nicht hier um dir wehzutun. Ich möchte dir nur helfen und mit dir reden.“ Sie weint immer noch, hatte sich aber so weit zusammen das sie ihm eine zittrige Antwort geben konnte. „Wenn du mir helfen willst dann binde mich hier los.“ Sie blickte ihn mit einem Ausdruck völliger Hilflosigkeit an, er jedoch setzte sich neben sie auf den Altar. Bedauernd begann er: „Ich darf nicht. Das verbietet mir der Orden. Ich habe mich bereits über die Regeln hinweggesetzt indem ich überhaupt hergekommen bin.“ Nach einem kurzem, kaum hörbaren Seufzer fuhr er fort: „Ich muss erst mit dir reden damit ich mir im klaren darüber werden kann was zu tun ist.“ „Ich liege hier nackt und gefesselt auf einem Altar, auf dem ich bald sterben werde und du möchtest reden?“ Während sie sprach wurde sie immer schneller und zorniger. „Hörst du mir zu? Kannst du dir überhaupt vorstellen wie man sich in so einer Situation vorkommt? Geschunden und Gedemütigt, wie ich bin?“ Sie brüllte ihn an wie eine Furie, alle Hilflosigkeit war aus ihrem Ausdruck entschwunden. Dafür aber begann sie sich in ihm breit zu machen. „Nein, ich weiß es nicht! Ich habe keine Ahnung! Woher sollte ich das auch wissen?“ Sie zögerte kurz, denn sie hatte nicht mit solch einem Gefühlsausbruch gerechnet. Dann aber murmelte sie mehr zu sich selbst als zu ihm: „Ja, woher auch…“ Eine Ratte huschte mit einem alten Apfelstück im Maul über den Boden quer durch den Raum, wurde jedoch an der Mauer von einem Artgenossen aufgehalten. Ein heftiger Kampf um die kostbare Nahrung entbrannte, in dem bald noch weitere Nager verwickelt wurden. Schließlich konnte eine besonders große Ratte das verfaulte Obst für sich gewinnen, mit dem sie sogleich davonzulaufen versuchte. Doch sie war nicht schnell genug, denn dasjenige Tier, das den Apfel zuerst besaß, holte sie ein, schnappte ihr den Leckerbissen aus dem Maul und schlüpfte durch ein Loch in den Boden. Ein Schub hungriger Fellknäuel folgte. „Warum tut ihr mir das an?“ Sie erhoffte sich nicht wirklich eine Antwort auf ihre Frage, aber das Schweigen war ihr unerträglich geworden. Nachdenklich blickte er an die Decke, als ob er dort die Antwort finden könnte. „Ich weiß es nicht sicher…“, begann er nach kurzem überlegen. „Das Ziel unserer Gemeinschaft ist es, den perfekten Menschen zu schaffen. Ich denke, du sollst als Opfer für einen der Götter dienen. Sæpatus vielleicht, oder auch Lætiata, unserer Fruchtbarkeitsgöttin.“ Er senkte seinen Blick nun wieder. „Deshalb darf ich dich auch nicht befreien. Du bist wichtig für unser Vorhaben. Vielleicht bist gerade du das Opfer, das über Erfolg oder Niederlage entscheidet, verstehst du?“ Ein fragender Blick durchbohrte sie, ohne das er es zu merken schien. „Den perfekten Menschen? Das sind doch nur Wunschträume! Der Mensch ist nicht perfekt. Wäre ein Mensch perfekt, dann wäre es kein Mensch, sondern ein… ein…“ „Ein höheres Wesen?“ schlug der Junge vor, und sie erwiderte: „Ein höheres Wesen, ja. Ein Gott!“ Er stand auf und ging strebsam im Raum auf und ab während er laut seine Meinung kundtat. „Und warum sollte die Welt von morgen nicht von Göttern bewohnt werden? Was spricht dagegen? Alles entwickelt sich. Sieh dich doch um! Merkst du nicht wie sich alles verändert? Wie sah die Stadt vor fünf Jahren aus? Sicher nicht so wie heute. Sie verändert sich! Alles verändert sich! Und dank uns wird sich auch der Mensch verändern!“ Er beendete seinen Vortrag als er merkte, wie wenig sie sich mit dem Gedanken anfreunden konnte, dafür geopfert zu werden. „Willst du nicht an diesem großartigen Projekt mitwirken? Willst nicht auch du die Welt von morgen mitgestalten?“, fragte er, nachdem er sich wieder auf dem kalten Steinsockel Platz genommen hatte, mit einer nie zuvor da gewesenen Begeisterung. „Nein! Ich will nicht sterben! Macht doch euren Supermenschen wenn ihr wollt aber lasst mich da raus! Ich will nicht sterben, für gar nichts, ich kann auch gut als Mensch leben und brauche kein Gott zu sein! Ich werde mich für gar nichts opfern lassen, weder für euch noch für die Welt noch für die Götter! Ich will… ich muss leben, denn das Leben… mein Leben ist zu wertvoll, um es für irgendetwas herzugeben, denn es gibt nichts wertvolleres!“ Kühl und abweisend hakte er nach: „Bist du davon wirklich überzeugt? Unabbringbar?“, und eben so kühl kam die Antwort: „Ja das bin ich! Für nichts werde ich jemals mein Leben lassen.“ In der linken Hand des Jungen blinkte ein Dolch auf, den er in einer Falte seines Gewandes versteckt hatte und nun drohen hochhielt, den Arm angespannt und bereit, jederzeit zuzustechen. Das Mädchen schloss die Augen und betete in Gedanken bereits ihr letztes Gebet, den Körper vor Angst angespannt und steif wie ein Brett. Die Klinge blitzte noch ein letztes Mal auf, bevor sie mit gewaltiger Kraft niederfuhr. Man hörte wie das Messer etwas durchtrennte. Gleich darauf fuhr der Dolch ein zweites Mal hinab und durchtrennte wieder etwas, diesmal ließ der Klang keinen Zweifel zu: Es musste sich um etwas Faseriges gehandelt haben. Noch zweimal glitt die scharfe Klinge durch die Fasern, dann erhob sich der Junge und drehte sich von ihrem bewegungslosen Körper weg. Er begann zu weinen, wie er es schon seit Jahren nicht mehr getan hatte. Sie wagte nicht die Augen zu öffnen. Schützend legte sie ihre Arme über den Kopf, einen Hieb erwartend. Doch er kam nicht. Sie öffnete die Augen und blickte sich verwundert um. Immer noch lag sie auf einer steinernen Erhebung im inneren einer Gruft. Erst nach Sekunden bemerkte sie, dass sich ihre Fesseln gelöst hatten. Sie stand auf und stellte sich hinter den weinenden Jungen, der sich inzwischen niedergekniet hatte. Immer noch nicht ganz verstehend, jedoch zutiefst Erleichtert fragte sie: „Warum weinst du?“, doch sie bekam zunächst keine Antwort. Erst als sie sich wiederholte wimmerte er leise: „Bitte, geh jetzt. Du willst doch unbedingt leben also geh und lebe. Ich werde hier meine Strafe erwarten…“ Sie kniete sich zu ihm hinab, doch im selben Moment stand er auf und trat einen Schritt zur Seite. „Welche Strafe erwartet dich, weil du mich befreit hast?“ Er weinte nur noch mehr, und von einem Tränenstrom wurden alle seine weiteren Worte hervorgeschwemmt: „Die Verbannung… das Exil!“ „Wohin wirst du verbannt? In welches Exil?“ Man konnte an der Stimme deutlich erkennen dass sie sich Sorgen um ihn machte. „Das Exil von dieser Welt!“ Er brach zusammen und wandelte sich in ein Häuflein Elend. Das Exil von dieser Welt. Sie wusste um die Bedeutung dieser Worte, und ihr wurde nun auch klar, wie dumm sie doch war. Für nichts wollte sie ihr Leben geben. Auch nicht für ihre Freunde? Dieser Junge hatte es eben getan, trotz seiner Überzeugung hatte er sein Leben gegeben, um das ihre zu retten. „Es tut mir leid…“, begann sie, wusste aber nicht weiter. Statt weiterzureden packte sie ihn deshalb an beiden Schultern und drehte ihn zu sich um. Sie blickte nun direkt in seine nassen Augen. „Bitte… vergib mir...“ sprach sie noch aus, alles Weitere bedeutete sie nur noch durch Mimik und Gestik. Sie nahm seine Hände in die ihren und hielt sie ganz fest. Während er noch nicht wusste wie ihm geschah, legte sie seine Hände auf ihre Brust und drückte ihn liebevoll an sich. Zur selben Zeit legte ein alter Chinese die Steine seiner zwei Ch’i Ch’ae pans, von denen eines aus Jade, das andere aus Elfenbein bestand, voller Konzentration so zusammen, dass sie Figuren ergaben. Es war die eigene Art des Asiaten, mit ihnen Vorhersagungen zu treffen. Zunächst bildete er einen Jungen Mann aus Elfenbein, der einer Jadefrau den Hof machte, indem er sich verneigte und ein Präsent in den Händen hielt. Sobald der Alte die Formen gesehen hatte, verwischte er die Steine auch schon wieder und machte sich daran, die nächsten Figuren zu legen. Er kannte tausende Bilder, die sich mit den Ch'i Ch'ae pans legen ließen, und anders als viele andere Meister auf diesem Gebiet legte er mit Mehreren zugleich. Die nächsten Figuren wurden langsam erkennbar, sie zeigten, dass die Person aus Jade auf dem Rücken lag, die Beine abgewinkelt, währen der Elfenbeinerne über ihr auf den Bauch lag. Ein leichtes Grinsen flog über das verrunzelte Gesicht des Chinesen, als er die Bedeutung erkannte. Er zerlegte die Figuren wieder und baute einen geflügelten Mann aus einem Gemisch beider Ch'i Ch'ae pans, wobei er jedoch rasch feststellte das eines der Spiele genügt hätte. Abwesend nahm er eine ältere Version aus ton, mit der er jemanden legte, der sich vor dem Geflügelten verbeugte. Und er nahm noch eines der Tongefertigten Spiele und wieder verbeugte sich die daraus entstandene Figur vor dem Mann mit Flügeln. Immer wieder nahm er eines seiner unzähligen Spiele und immer wieder war es dieselbe, gebückte Figur, solange bis er nichts mehr hatte, mit dem er legen hätte können. Er hetzte aus seiner Hütte in des grelle Licht der Nachmittagssonne und sprang zur Abkühlung in den Fluss der davor verlief, denn dieses Mal hatte ihn die Kraft des Ch'i Ch'ae pan überfordert. „Wie lautet dein Name?“ fragte das Mädchen, deren Herz immer noch raste, den nun nackten Jungen, der, seine Kutte unter dem Arm tragend gerade darauf bedacht war unauffällig in seine Kammer zurückzukehren. Er drehte sich jedoch noch einmal um. „Ich hab keinen richtigen Namen, man nannte mich bisher immer nur Aër.“ Während er sich umdrehte und durch die Gänge davonhuschte rief sie ihm noch nach: „Rina. Ich bin Rina.“ Erst danach merkte sie, dass sie nicht wusste wie sie aus dem Gewölbe kommt. Kurzerhand betrat sie den ihr am nächsten liegenden Gang und lief über den kalten Stein, doch sie kam nicht weit. Ein Maskierter stellte sich ihr in den Weg und schlug auf ihren erschöpften Körper ein. Sie wachte gefesselt auf dem Altar auf, der Hohepriester stand direkt vor ihr. Doch er machte keine Anstalten ihr auch nur ein Härchen zu krümmen, geschweige denn sie einem Gott zu opfern. Rina merkte jedoch schnell warum: In dem Raum war ein gigantisches Gerät aufgebaut, an dessen Vorderseite eine Scheibe angebracht war, auf deren Rand in gleich bleibendem Abstand Schriftzeichen angebracht waren. Sie konnte zwar nicht lesen, dennoch erkannte Rina das es sich um dieselben Zeichen handelte, die auch auf einer Sonnenuhr abgebildet waren. Also musste es eine Uhr sein, jedoch wie sollte sie ohne Sonne funktionieren? Doch da bewegte sich das Metallstäbchen, das sie für den Schattenwerfenden Zeiger hielt, und ihr wurde klar, dass sie erst dann geopfert werden würde wenn dieses Metallteil auf das Zeichen zeigte, das Mittag und Mitternacht markierte, ganz nach oben. Und das würde sehr bald sein. Doch, anders als sie gedacht hätte, begann der Kleriker schon viel früher mit den Feierlichkeiten, als der Zeiger nämlich erst genau zwischen den Zeichen stand. Er sprach zunächst ein Gebet und begann dann damit, seine Kutte abzustreifen. Rina schrie, doch die Wächter, die ihr zuletzt die Fesseln verstärkt hatten, hielten ihr den Mund zu und drückten ihre Beine auseinander. Der Priester, nun bis auf die Maske nackt, streckte seine Hand in ihre Richtung aus und führte langsam seinen Zeigefinger in sie ein. Plötzlich stutzte er, kurz darauf schlug er Wutentbrannt auf sie ein. Schließlich aber drehte er sich um und ging zornig aus dem Saal. Die Wächter ließen sie los und die meisten lösten die Stricke, während zwei von ihnen eine Kutte brachten und sie ihr anzogen. Anschließend verbanden sie dem Mädchen die Augen und führten sie lange durch die kalten Gänge, bis sie ihr die Augenbinde abnahmen und ihr bedeuteten durch eine Falltüre zu gehen. Sie öffnete sie, und stieg ohne Widerspruch hinab in die Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)