Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 44: Erinnerungen eines anderen -------------------------------------- Erinnerungen eines anderen Catherine war über ihren Runen eingeschlafen und niemand hatte sie geweckt. Draußen war es dunkel und nur ein spärliches Licht brannte noch in der Bibliothek. Sie fühlte sich wie gerädert und dachte einen Moment, sie müsste sämtliche Knochen und Wirbel ihres Rückend erst einmal neu ordnen, bevor sie wieder in der Lage war, einigermaßen anständig zu gehen. Ein schmerzverzerrtes Ächzen entwich ihrer Kehle, als sie ihre Wirbelsäule im Hohlkreuz durchstreckte und ihre Arme ausschüttelte. Ihr Blick fiel auf die Blätter vor ihr und stellte ernüchternd fest, dass sie keinen einzigen Schritt weiter war. Im Schlaf erledigte sich die Arbeit mit Sicherheit nicht, das war ihr auch bewusst, doch plötzlich war sie so müde geworden und die Stille in der Bibliothek hatte den Rest getan. Die Augen waren ihr einfach zugefallen. Catherine blickte nach draußen in den dunklen Park und schüttelte den Kopf, als sie ihr Spiegelbild sah. Hatte sie sich vom Schock von Lestats Verschwinden nicht erholt oder war sie schon immer so blass gewesen? Ihre Hände fuhren über ihre Stirn und pressten kurz ihre Finger gegen die Schläfen, dann packte sie die Blätter und die Stifte zusammen, mit denen sie verschiedene Möglichkeiten auf den Papierbögen herumgestrichen hatte, und erhob sich von ihrem Tisch. Sie war tatsächlich die letzte Leserin in der Bibliothek, wie sie feststellte, und auch im übrigen Schloss schien es ruhig, soweit sie das hier hören konnte. Catherine blinzelte gegen die Müdigkeit an und ordnete die Bücher auf ihrem Tisch. Sie würde sie nicht aufräumen, sondern lediglich Karteikarten in die Regale stellen, auf welchem Tisch die Bücher zu finden waren, sollte sie jemand suchen, was sie sich kaum vorstellen konnte. Das Aufräumen lohnte sich nicht, da Catherine gleich am nächsten Tag weiter machen wollte. Es musste doch gehen! Sie war doch nicht beschränkt. Oder doch. Zweifelnd zog sie eine Grimasse und knipste dann die Tischlampe, die sie schon früh am Nachmittag benötigt hatte, aus. Sie gähnte unterdrückt, schaute auf die Uhr – halb drei – und verließ die Bibliothek, nachdem sie das Licht gelöscht hatte, in die dunkle Halle hinaus. Kaum hatte sie sich umgezogen und lag in ihrem Bett, holte sie noch einmal die Blätter mit den Abzeichnungen hervor und studierte sie. War sie schon immer so verbissen gewesen? In einer anderen Weise bestimmt. Als sie noch für die Bruderschaft tätig gewesen war, hatte sie ihren Körper mit Training bis über die Erschöpfung hinaus getrieben, heute trieb sie ihren Geist bis zum Rande des Wahnsinns. Oder auch darüber hinaus? Catherine wusste es nicht, doch es schien ihr zumindest so. Sie zwang sich, die Blätter beiseite zu legen, und löschte das Licht. Morgen war auch noch ein Tag und in diesem morgigen Tag würde sie wieder einige Stunden Zeit finden, sich mit diesen Runen zu beschäftigen. Die Situation, in der sie steckte, die Situation, in der sich nichts vorwärts und rückwärts bewegte, vermittelte ihr zumindest einen positiven Aspekt: Sie stand nicht unter dem Problem von Zeitdruck. Die Pläne der Hexen kannte sie ungefähr und die Bruderschaft verhielt sich ruhig. Catherines Müdigkeit schob den Gedanken, ob die Societas sich vielleicht zu ruhig verhielt, energisch beiseite und überwältigte sie. Elizabeth und Elatha schlichen langsam durch den dunklen Gang und betraten dann die Bibliothek. „Ich sagte doch, dass sie aufgegeben hat.“ meinte Elatha zu ihrer Mutter, doch Elizabeth schüttelte den Kopf. „Sie wird morgen weiter machen. Sie hat die Bücher nicht in die Regale eingeräumt.“ erklärte sie und wies auf den Tisch, an dem Catherine gearbeitet hatte. „Meinst du, sie könnte etwas finden?“ „Wenn ich selbst wüsste, was es damit auf sich hat, könnte ich dir das wahrscheinlich beantworten. Die Übersetzung der Runen muss wichtig sein, denn sie stammen aus Crossbost… Wieso sollte jemand an diesem heiligen Ort etwas Unwichtiges hinterlassen?“ Elatha nickte. „Lasair…“ meinte sie nachdenklich. „Ich gebe es nicht gern zu, aber es ist schief gegangen. Ich kann mir nicht erklären, warum das so ist, aber…“ Elizabeth brach ab und setzte sich halb auf einen der Tische. Elatha betrachtete sie. „Das Namensritual wurde unterbrochen. Deshalb haben wir an Imbolc keinen Namen erhalten, aber nun nennt sie sich Lasair… Und das ist nicht der Name, den wir erwartet hatten.“ fuhr Elizabeth fort und blickte Elatha an. „Ja, wir haben beide in unseren Visionen einen anderen gehört. Einen anderen, aber nicht Lasair.“ überlegte Elatha laut, worauf Elizabeth nickte. „Könnten wir uns getäuscht haben? Könnte Catherine überhaupt nicht diejenige sein, die wir gesucht haben?“ „Nein, das ist unmöglich, Elatha. Sie ist es. Da bin ich mir sicher. Ich weiß nur nicht, was wir falsch gemacht haben. Catherine beherbergt Morairs Seele. Zu diesem Schluss ist auch Salieri gekommen. Es muss also stimmen.“ „Wieso?“ „Elatha, weil er Catherine kennt. Er hat sie trainiert und war ihr Mentor. Sie hat ihm in ihrer Kindheit jeden einzelnen Traum anvertraut, an den sie sich nun nicht mehr erinnert. Salieri hat sie in Trancezustände versetzt und die Ergebnisse waren eindeutig.“ „Gut, aber dann könnten wir Salieri hier ganz gut gebrauchen, oder nicht? Wo ist er?“ Elizabeth schwieg eine Weile und versank in ihren Gedanken, dann hob sie den Blick und fixierte ihre Tochter. „Er wusste zu viel.“ Elatha hob sie Hand an den Mund. „Du hast…“ Sie brach ab. „Er musste verschwinden. Er wusste zu viel und hätte uns noch aufhalten können.“ rechtfertigte sich Elizabeth und nickte noch einmal zur Bekräftigung. „Wann?“ fragte Elatha und blickte ihre Mutter an. „Er ist niemals nach New Orleans aufgebrochen. Zumindest nicht lebend.“ „Und nicht mit der Familienchronik. Wo ist die dann?“ „Er hat sie vorher vernichtet. Sie ist verbrannt. Er muss etwas geahnt haben.“ meinte Elizabeth und erhob sich dann wieder von der Tischplatte. „Es war nötig, Elatha.“ meinte sie nur noch, als sie dem widerstrebenden Blick ihrer Tochter begegnete. „Was ist mit Morair, wenn sie nicht in Catherine ist? Lasair scheint nach allem, was geschehen ist, ja tatsächlich der richtige Name ihrer Hexenpersönlichkeit zu sein.“ wollte Elatha wissen, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. Elizabeth nickte langsam. „Ich hatte gehofft, dass wir Lasair kontrollieren und so sie die Aufgaben von Morair übernehmen könnte, aber das scheint mir sehr unwahrscheinlich.“ „Lasair oder Catherine… ganz wie du willst… lassen sich beide nicht kontrollieren. Interessant wäre nur: wer war es, der Lucien angegriffen hat? Catherine? Wohl kaum. Lasair? Weshalb sollte sie? Da stimmt etwas immer noch nicht in unserer Annahme, Saerlaith. Das fühle ich.“ „Fühlst du sonst noch etwas?“ fragte Elizabeth, worauf Elatha den Kopf schüttelte und ihre Mutter allein ließ, als diese sie darum bat. Catherine machte sich am nächsten Morgen gleich wieder an die Arbeit. Im Bad hatte sie sich beeilt und ein Frühstück hatte sie sich ebenfalls nicht gegönnt. Lea wollte auf sie zukommen, wenn sie die Zeit für passend erachtete. Sie mussten sich Zeit lassen, da es seltsam war, wenn Catherine jetzt auf einmal, wo sie doch Arbeit hatte, nach Edinburgh wollte. Und es würde einige Zeit dauern, bis Lea das ‚herausfinden’ konnte. Wieder saß Catherine auf ihrem Platz in der Bibliothek und blätterte in den Büchern, doch suchte bereits wieder sein Stunden nach etwas, das ihr weiterhalf. Plötzlich verschwammen die Runen von ihren Augen und, so sehr sie auch blinzelte, blieben unscharf. Catherine fühlte sich eigenartig und als sie sich umblickte, saß sie in einem Raum mit Steinmauern und einem großen Kamin, vor dem zwei Personen in mit Leder bezogenen Sesseln saßen. Sie selbst saß mit zwei Hunden auf einem dicken Fell und strich ihnen gedankenverloren über das weiche Fell. Catherine blickte hinunter auf ihre Hand und stellte fest, dass es nicht ihre war. Sie blickte an sich hinunter und stellte fest, dass sie andere Kleidung trug. Das war nicht ihr Körper, sondern der Körper eines Jungen! Eines siebenjährigen Jungen! Catherine schrie, und doch kam kein Laut über die Lippen des Jungen. Unbeirrt streichelte er weiter die Hunde, die bei ihm lagen und genoss ihre Wärme. Die Personen am Kamin unterhielten sich mit gedämpften Stimmen und Catherine konnte nicht mehr sehen, als das rotbraune Haar der Frau. Rotbraunes Haar! Konnte sie nicht irgendwie diesen Jungen dazu bringen, sich zu bewegen? War das vielleicht… eine Vorfahrin von ihr? Catherine sammelte ihre Kräfte und versuchte es, doch sie scheiterte. Der Junge begann zu summen und schließlich murmelte er ein kurzes Lied vor sich hin. Catherine schenkte den Worten keine Beachtung, doch der Mann vor dem Kamin drehte sich um, erhob sich und kniete sich zu dem Jungen hinunter. „Na, was singst du, George?“ Der Junge und auch Catherine schreckten zurück, als sie die winzigen Fangzähne des Mannes erblickten. „Halte dich fern von meinem Sohn. Er hat nichts damit zu tun!“ drohte die Frau und nahm das Kind zu sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)