Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 37: Willkommene Ablenkung --------------------------------- Willkommene Ablenkung Durchdringend zerriss der Alarm eines Rettungsbootes die üblichen nächtlichen Geräusche der schlafenden Lagunenstadt. Marius schritt stumm neben Lestat her und vergrub die Hände in seinen Taschen. Das Wasser des Canale Grande wog die Gondeln, die für die Nacht befestigt worden waren, sanft auf seinen kleinen Wellen. Unvermittelt blieb Lestat stehen und blickte auf die Wasseroberfläche. ‚Lestat.’ Er strich sich das Haar zurück und legte den Kopf in den Nacken. Catherine. Er spürte Marius Blick und wandte sich um. „Hast du ein schlechtes Gewissen?“ fragte Marius und schritt zur Brüstung der schmalen Brücke. Lestat drehte sich zu ihm um und schüttelte den Kopf. „Ich habe kein Gewissen.“ entgegnete er. Marius blickte ihn an und legte Lestat seine Hand auf seinen rechten Unterarm. „Du denkst, ich hätte es ihr sagen sollen, nicht wahr?“ Marius lächelte und nickte leicht. „Es wäre nur schwerer geworden zu gehen.“ „Für wen?“ fragte Marius und legte ihm seinen Arm um die Schultern. Lestat schüttelte nur still den Kopf und umfing seine Taille mit seinem Arm. Schweigend verschwanden sie in der Nacht. Catherine saß gegen die kalte Wand gelehnt und blickte mit leerem Blick geradeaus. Ihre Finger drehten langsam mehrere Haarsträhnen herum und strichen durch sie hindurch. Sie waren weg. Anscheinend war es ihr Schicksal, dass sie von allen verlassen wurde, denen sie Vertrauen geschenkt hatte. Catherine lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Selbstmitleid! Das brachte sie im Moment am wenigsten weiter, das wusste sie. Vielleicht war sie einfach zu schnell, wenn sie ihr Vertrauen vergab. Vielleicht lag es an ihr… Unsinn! Es war normal, dass sie Salieri vertraut hatte, denn immerhin hatte er sie mit sieben Jahren im Orden gelehrt. Immerhin war er derjenige, der sie betreut hatte, bis sie mit vierzehn ihren ersten Auftrag bekommen hatte. Und er war auch danach noch regelmäßig an ihrem Wohl interessiert gewesen. Wie oft war sie mit ihm durch die Gärten spaziert und hatte mit ihm über das, was sie bewegte, gesprochen? Er hatte ihr zugehört, da ihre Eltern keine Zeit gehabt hatten. Und nun? Nun schmerzte es, wenn sie daran dachte, wie sehr sie ihm vertraut hatte. Lucien, Salieri, Elizabeth und den anderen. Lestat und den anderen. Lestat. Catherine öffnete die Augen wieder und schüttelte bei sich den Kopf. Sie konnte ihm keinen Vorwurf machen, dass er gegangen war. Er hatte nichts mit ihr zu tun. Warum sollte er also bleiben? Sie erinnerte sich ja, dass er von Anfang an eher skeptisch gewesen war. Warum also? Catherine setzte ihr Kinn auf den herangezogenen Knien ab. Selbstsüchtiger Kerl! Unzuverlässiger… Idiot. Hätte er ihr nicht wenigstens sagen können, dass er gehen würde? Nicht einmal diesen Anstand besaß er. Feige war er noch dazu. Catherine presste sich die Handflächen gegen die pochenden Schläfen. Ihr Herz verkrampfte sich vor Kummer, wenn sie so dachte. Und immer diese schwache Stimme in ihr, die ihr zuflüsterte, dass Lestat nicht so war. „Lestat, das war das Schlimmste, was du tun konntest.“ flüsterte Catherine leise und zog die Knie an ihren Körper. Ihre Kehle schmerzte und zog sich zusammen, wenn sie nur an ihn dachte. Müde legte sie den Kopf auf ihre Knie und formte mit ihren Lippen noch einmal stumm seinen Namen. Tränen standen ihr immer noch in den Augen, doch es waren nicht mehr genug, um ihre Wangen hinunter zu rinnen. Catherine wusste nicht, wie spät es war, als sie sich endlich vom Boden erhob. Sie fror und zitterte, doch sie wusste, dass sie nicht wegen der Kälte zitterte. Langsam streckte sie ihre Glieder aus und blickte sich noch einmal um. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Lippen, doch eigentlich war ihr wieder nach Weinen zumute. Sie biss sich auf die Lippen und atmete tief durch. Sie musste Lestat aus ihrem Gedächtnis verbannen, das wusste sie. Nur so konnte sie tun, was sie tun musste. Sie musste die Stärke finden, gegen Elizabeth und Elatha - und wer sonst noch mit ihren unter einer Decke steckte – zu handeln, ohne das sie es gleich zu deutlich bemerkten. Sie musste sie in Sicherheit wiegen und dann dem Hinweis ihres Großvaters nachgehen. Catherine nickte bei sich und wischte sich das verwischte Make-up unter den Augen so gut es eben ging mit den Fingern weg. Zögernd öffnete die Tür und ging hinaus. In der Tür drehte sie sich noch einmal um und blickte einen Augenblick in den Raum. „Vielleicht ist es gut so. Vielleicht.“ murmelte sie, tastete dann nach dem Lichtschalter und schloss leise die Tür hinter sich. Nachdem sie in ihrem eingerichteten Trainingsraum nach dem Rechten gesehen hatte und ihre Sai-Gabeln und die übrigen Waffen an sich genommen hatte, fiel ihr Blick auf die Kerbe in der Holztür, die die auf Lestat geschleuderte Sai-Gabel verursacht hatte. Catherines Finger fuhren darüber und schüttelte den Kopf, wenn sie an ihre anfänglichen Probleme mit Lestat dachte. Das Leben hielt auch für sie – oder gerade für sie – immer noch Überraschungen bereit. Sie presste die Lippen aufeinander und trat wieder in den Gang hinaus. Lea kam ihr entgegen und erschrak, als sie Catherine sah. „Was machst du denn hier?“ fragte sie fast entsetzt. „Ich habe… ein paar meiner Sachen geholt.“ erklärte Catherine und sah, dass Lea schon die Hand nach der Tür zum Raum, in dem die Vampire untergebracht gewesen waren, ausgestreckt hatte. „Du weißt es aber, oder?“ „Dass sie gegangen sind? Ja. Das weiß ich.“ antwortete Lea und nickte bedrückt. „Wann haben sie es dir gesagt?“ „Überhaupt nicht. Ich musste es selbst herausfinden. Na, was soll’s? Was machst du hier, wenn du wusstest, dass sie weg sind?“ „Ähm. Ich… Catherine, kannst du…“ stammelte Lea und fuchtelte mit den Händen vor sich herum. „Ja? Soll ich dir etwas helfen?“ fragte Catherine und blickte sie aufmerksam an. „Wolltest du mir nicht vorhin etwas sagen?“ Lea nickte und meinte: „Ich habe gehört, dass du bei der Polizei warst.“ Catherine nickte. „Das stimmt. Es lief alles glatt, wenn man das so sagen kann. Die Ermittlungen werden abgeschlossen – zumindest kann ich tun, was ich will. Ich denke, die Entführer meiner Eltern werden noch eine Weile gesucht und dann der Fall zu den Akten gelegt.“ „Du hast gesagt, dass sie entführt wurden?“ „Ich wusste nicht, wie ich sonst drei fremde Männer und fremde Autos in solch einer Nacht erklären sollte. Und den Mord an meinen Eltern.“ gab Catherine zurück und wollte an Lea vorbeigehen. „Warte! Ich muss dir etwas zeigen.“ meinte Lea, öffnete die Tür und ging in den Raum hinein. Catherine folgte ihr. Lea ging zu der Mauer auf ihrer rechten Seite und blickte zu Catherine. Es schien, als ob sie auf ein Zeichen der Zustimmung wartete, also nickte Catherine. Lea nickte ebenfalls und drückte dann gegen die Wand. Plötzlich hörte Catherine ein metallisches Geräusch aus dem alten Gemäuer, das sich zu einem leisen, monotonen Knarren wandelte und schließlich verklang. Catherine konnte noch ein dünnes, schwaches Klicken hören, bevor die Wand sich gemächlich zu bewegen begann. „Was?!… Lea!“ begann Catherine und brach dann ab. Ungläubig starrte sie auf das, was sich vor ihren Augen tat: ein Teil der Wand schob sich nach hinten und zur Seite und gab den Blick auf einen dunklen Gang frei. Lea reichte Catherine eine Taschenlampe. „Der Gang führt nach draußen. Sollen wir?“ fragte Lea. Catherine trat näher, nickte und leuchtete mit ihrer Taschenlampe in den dunklen Tunnel. „Ich gehe voran.“ fügte Lea hinzu und schlüpfte mit eingezogenem Kopf durch den Eingang. Vorsichtig folgte Catherine ihr. Ihre Schritte hallten auf den ersten Metern auf dem Steinboden, dann wurde der Boden weicher und das Geräusch wurde dumpfer. Catherine hielt inne und leuchtete den Boden ab. Überall lagen Steine und Reste von Balken. „Bist du sicher, dass der Gang nicht einstürzt?“ fragte Catherine. Lea lachte leise: „Er hat Jahrhunderte gehalten. Warum sollte er jetzt einstürzen?“ Catherine nickte nur, was Lea natürlich nicht sah. „Ich habe trotzdem nichts umgeräumt.“ fügte Lea hinzu und kletterte über einen querliegenden Balken, der mit Sicherheit einmal einen Teil der Decke gestützt hatte. „Seit wann weißt du von dem Gang?“ fragte Catherine und kletterte ebenfalls über den Balken. „Das ist ganz seltsam. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe ihn vor ein paar Wochen wieder entdeckt.“ „Wieder entdeckt?“ Lea gab nur ein zustimmendes Geräusch von sich. „Ich habe mich, als ich ihn vor ein paar Wochen entdeckt habe, erinnert, dass ich schon einmal von ihm wusste. Ich kannte den Weg und wusste, wo der Gang wieder an die Oberfläche tritt. Ich weiß auch nicht, wie ich das vergessen konnte!“ erklärte sie und blieb stehen. Catherine trat näher zu ihr und blickte auf sie herunter. War es möglich, dass Lea etwas vergessen hatte, weil jemand wollte, dass sie es vergaß? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)