Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Begegnung im Schneesturm ----------------------------------- Begegnung im Schneesturm Jacques und Clarisse waren Mitglieder des Hohen Rates der Bruderschaft und somit mussten sie bei allen wichtigen Entscheidungen anwesend sein und durften kein Wort über diese verlieren. Catherine wusste nur, dass ihre Eltern in Rom waren – irgendwo in den Katakomben und geheimen Räumen unterhalb des Vatikans – und mit all den anderen zusammen saßen, denen Catherine kein Gesicht geben konnte. Und Lucien konnte es auch nicht. Inzwischen war es unwahrscheinlich, dass sie noch in dieser Nacht zurückkehrten, da draußen einfach nur Chaos herrschte. Lucien trat ins Zimmer seiner geliebten Schwester und sah sie am Fenster stehen. „Ich dachte, du wolltest dich hinlegen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann doch nicht einschlafen.“ „Sie kommen bestimmt nicht mehr heute Nacht.“ „Ja, das habe ich mir auch schon überlegt.“ Lucien trat zu ihr und blickte ebenfalls hinaus. „Ist etwas?“ Sie schüttelte den Kopf. Er schien nervös zu sein, doch vielleicht bildete sie sich das ein. „Was ist da passiert?“ fragte er und deutete auf die Wasserlache auf dem Boden.“ „Nichts. Das Fenster war offen.“ „Das Fenster war offen? Ist dir sonst etwas aufgefallen? Fehlt etwas?“ „Nein. Es ist alles in Ordnung. Wahrscheinlich habe ich es nicht richtig geschlossen. Das ist alles.“ Lucien nickte und blickte sie prüfend an. „Musst du morgen in die Universität?“ Sie schüttelte stumm den Kopf und blickte ununterbrochen in den Garten hinunter. Die schwarzen Schatten der Bäume zeichneten sich deutlich vom weißen Schnee ab. Lucien verließ den Raum und sie drehte den Kopf zur Tür, bis auch seine Schritte auf dem Flur verhallt waren. Das Schneetreiben hatte noch nicht nachgelassen. Nicht, wie sie angenommen hatte. Der Sturm wütete draußen noch so stark wie den ganzen Abend. Sie blickte sich in ihrem Zimmer um und verschwand dann vom Fenster, um das Wasser aufzuwischen. Dann legte sie sich auf die Tagesdecke ihres Bettes. Gelangweilt und wach trommelte sie mit ihren Fingerkuppen neben sich auf das Bett und starrte zur Decke nach oben… Langeweile kannte sie sonst nicht – zumindest in den Nächten nicht, da sie da meistens draußen war. Frische Luft! Sie brauchte auch jetzt frische Luft! Catherine richtete sich auf, erhob sich vom Bett, warf ihr Haar über die Schultern zurück, schlüpfte in ihren Mantel und nahm zwei Dolche an sich. So leise wie möglich schlich Catherine die Treppe hinunter und leise aus der Tür hinaus. Sie rannte durch den Vorgarten, um nicht an den Fenstern zum Salon vorbei zu müssen und trat auf die leere Straße hinaus. Lucien hätte sie nie gehen lassen, das wusste sie. Er machte sich schon immer große Sorgen um sie, obwohl beide Dinge gesehen hatten und in Situationen geraten waren, die nach menschlichem Verstand nicht möglich waren. Und obwohl sie genau dafür ausgebildet waren. Sie stiefelte durch den Schnee, der sich in den letzten Stunden aufgetürmt hatte. Die Räumfahrzeuge hatten schon lange kapituliert. Catherine wusste nicht, wie es im Inneren von Paris aussah, doch hier, außerhalb, versank alles im Schnee. Der Wind zerrte an ihr, doch sie störte sich nicht daran. Die Schneeflocken durchnässten ihr Haar und ihren Mantel, doch noch fror sie nicht und zu Hause konnte sie eh nur herumsitzen, da sie ja auch nicht schlafen konnte. Und herumzusitzen war für sie unvorstellbar und äußerst verhasst. Plötzlich tauchte aus dem Schneegestöber vor ihr eine Gestalt auf und kam auf sie zu. Catherine blieb nicht stehen, doch sie verlangsamte ihren Schritt. „Sie sollten vielleicht nicht allein unterwegs sein.“ meinte der Mann und blieb in einigem Abstand stehen. „Schon möglich.“ „Sie sollten vorsichtig sein.“ „Haben Sie sonst noch ein paar gute Ratschläge für mich?“ Er sah nicht ungewöhnlich aus. Er trug dunkle Kleidung, hatte kurzes Haar, aber er war nicht ungewöhnlich. „Te cognosco, Catherine. Sum unus ex viribus societatis sanctae. Te cognosco.“ „Das ist schön für Sie. Lassen Sie mich meine Arbeit machen.“ „Quoque autem tu sodalis huius societatis es!“ „Itaque facio, quod expectatum est!“ entgegnete sie und ließ ihn stehen. Sie bahnte sich ihren Weg durch den hohen Schnee und stiefelte über den Friedhof zurück zur Villa ihrer Eltern. Er war ihr nicht gefolgt, das hätte sie bemerkt. Trotzdem erwartete er sie mit ihrem Bruder im Salon der Villa. „Was…?“ Catherine sprach nicht weiter, als sie das Notizbuch ihres Vaters auf dem Tisch liegen sah. „Catherine, das ist Signore Daniele, ein Gesandter der Bruderschaft.“ meinte Lucien. „Was ist mit unseren Eltern?“ „Sie sind wohlauf. Verschiedene Gründe halten sie in Rom auf, doch unsere Gegner ruhen nicht. Ihr Vater gab mir sein Notizbuch, da er wichtige Informationen gesammelt hat, die Sie mit Sicherheit nötig haben werden.“ Catherine nickte, doch sie glaubte ihm nicht. Unschlüssig blickte sie zu Lucien, der ebenfalls etwas skeptisch in seinem Sessel saß. „Gibt es einen neuen Auftrag?“ „Ja. Wir haben Informationen, dass beim Fest Imbolc eine alte Macht entfesselt werden soll. Das müssen Sie verhindern. Sie müssen die Hexen unschädlich machen und den Altar zerstören.“ „Imbolc ist meines Wissend nach ein friedliches Fest.“ widersprach Catherine und wartete auf eine Antwort, doch er ging darauf nicht ein. „Sie haben Ihren Auftrag. Nehmen Sie ihn an und führen Sie ihn aus. Wie Sie sagten: Sie gehen ihrer Arbeit nach, weil es von Ihnen erwartet wird.“ Lucien blickte Catherine fragend an, worauf sie nickte. „Ich verabschiede mich.“ Der unangekündigte Besuch verschwand zu Fuß, während Catherine ihm von der Haustür nachsah. Das alles gefiel ihr nicht. Als er aus ihrer Sicht verschwunden war, kehrte sie in den Salon zurück. „Was denkst du?“ fragte sie. „Dass unser Vater sein Notizbuch nie jemandem anvertrauen würde.“ Catherine nickte. „Wieso warst du draußen?“ „Ich brauchte frische Luft. Ich war nicht weit weg.“ „Dein Haar ist ganz nass.“ „Das macht nichts.“ entgegnete Catherine und setzte sich an den Kamin. Lucien hielt das schwarze, kleine Buch in der Hand und wendete es von einer auf die andere Seite. „Ist es wirklich seines?“ fragte Catherine, die immer noch zweifelte. „Ja, es ist seine Schrift. Es ist eindeutig seines.“ meinte er, ohne es noch einmal aufzuschlagen. Das hatte er schon gemacht, bevor Catherine zurückgekommen war. „Ich vertraue ihm nicht. Imbolc ist ein friedliches Lichterfest, mehr nicht.“ Lucien nickte. „Was sollen wir jetzt tun?“ „Vielleicht finden wir doch irgendetwas hier drin.“ meinte er und schlug das Buch nun noch einmal auf. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Solche Informationen hat Papa noch nie in sein Notizbuch geschrieben. Das wäre viel zu gefährlich.“ Lucien nickte und meinte nach einer Weile blättern: „Nein, hier stehen wirklich nur Termine mit seinen hiesigen Geschäftspartnern.“ Catherine blickte ihn an. „Er war nicht von der Bruderschaft.“ „Wie kommst du darauf?“ „Erstens passt seine Geschichte nicht zusammen und zweitens… habe ich ein ungutes Gefühl bei der Sache.“ „Wir können und nicht auf dein Gefühl verlassen.“ Catherine nickte. „Richtig. Ich denke trotzdem, dass wir ihm nicht trauen sollten.“ „Wir… Er kannte und schon vorher. Er kennt uns…“ „Mich hat er gerade auch auf der Straße angesprochen. Er weiß, wer wir sind… Das spricht eher für ihn, ich weiß, aber…“ „Wir haben keine Wahl, als seine Geschichte für wahr zu halten. Wenn er nicht vertrauenswürdig wäre, warum sollte er dann von uns wissen?“ Catherine schüttelte energisch den Kopf. „Wir können ihm nicht trauen.“ beharrte sie murmelnd und nachdenklich, während Lucien sie beobachtete. Er schüttlte den Kopf. „Ich denke nicht, dass wir eine Wahl haben. Wir haben außer deinem unguten Gefühl nicht, das gegen ihn spricht. Und dein Gefühl ist mir in dieser Sache nicht genug.“ Catherine sah ihn sprachlos an. Wir oft hatte er sich schon auf ihr Gefühl verlassen? Wie oft hatte er sie um Rat gebeten und um ihre ehrliche Meinung? „Wir sollten schlafen gehen.“ meinte er. „Sobald es morgen möglich ist, sollten wir versuchen, Papa in Rom zu erreichen. Heute bekommen wir eh keinen Strom mehr.“ fuhr er fort, da sie ihm vehement widersprechen wollte. Catherine nickte leicht und schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Ja, das wir das Beste sein.“ schloss sie sich ihm dann an. Insgeheim fragte sie sich schon lange, ob Daniele – oder wie er auch hieß – draußen vor dem Haus herumgeschlichen war, und sie sich doch nicht getäuscht hatte. Catherine sah Lucien zu, wie er das Feuer im Kamin löschte und begegnete dann seinem Blick. „Kommst du?“ Catherine nickte, erhob sich und folgte ihm hinaus, die Treppe hinauf und verschwand in ihrem Zimmer. Luciens Zimmer lag am anderen Ende des Korridors. Sie hörte noch seine Schritte, dann verstummten auch die. Catherine zog die Vorhänge zu und ging in das Badezimmer über den Flur. Als sie zurückkam, kroch sie unter die Decke und löschte die Lampe, doch an Schlaf war nicht zu denken. Sie lag bis zum Morgengrauen wach. Catherine wurde das Gefühl nicht los, das sie seit ihrem Spaziergang durch den Schnee schon begleitete. Ein Gefühl in der Magengegend – ziehend, mulmig, tief drinnen – unerklärlich. Und nun war sie sich nicht mehr sicher, ob mit ihren Eltern wirklich alles in Ordnung war, wie Daniele gesagt hatte. Sie war sich nicht sicher, ob alles gut gehen würde, wie sie gesagt hatte. Unruhig warf sie sich auf die andere Seite und starrte an die durch die Nacht gräuliche Wand, an der sich die Schatten ihres Bettes noch schwarz abzeichneten. Draußen heulte immer noch der Sturm und stieß ab und zu die Klappläden gegen die Hauswand, was Catherine ab und zu zusammenzucken ließ. Catherine liebte das alte Anwesen, in dem sie aufgewachsen war. Es lag außerhalb von Paris und hatte früher zu den schönsten Landvillen gezählt, zu denen Mitglieder des Königshauses – Der König selbst hatte natürlich immer seine Schlösser an der Loire bevorzugt – in den Sommern gereist waren, um dem Gestank der Hauptstadt zu entgehen. Inzwischen führte zwar eine Straße am Anwesen vorbei, doch die Familie konnte in den Park ausweichen, in dem hohe Bäume und Hecken, Sträucher und Blumenbeete gepflanzt waren. Catherine schloss die Augen und seufzte. Wenn doch nur endlich der Schnee aufhören würde, die Erde zu bedecken. Seit Anfang November war alles unter einer weißen Schneedecke verschwunden und nun konnte sie ihn einfach nicht mehr sehen. Dabei war es erst Ende Dezember und wärmer sollte es nicht so schnell werden. Als der Sturm endlich nachließ und das Morgengrau langsam die Schatten aus ihrem Zimmer vertrieb, fiel sie in einen leichten Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)