Divine Justice von MajinMina (Göttliche Gerechtigkeit) ================================================================================ Kapitel 18: Kapitel 18 - Am Rande des Abgrunds ---------------------------------------------- Kein "wahrer" Freund ist mehr da, der das Eis, was sich um Kenshins Herz gebildet hat, so leicht brechen könnte. Kenshins Widerstände sind gebrochen - die Kälte des Hitokiris scheint zu triumphieren... Divine Justice Kapitel 18 - Am Rande des Abgrunds Kenshin saß in seinem Zimmer und zog den Haori fröstelnd enger um sich. Er war allein, wie jeden Tag, seit Yoshida ihn verlassen hatte. Der Wind rüttelte heftig an den geschlossenen Fensterläden, denn draußen tobte immer noch der Schneesturm, der Kyoto bereits seit drei Tagen heimsuchte. Normalerweise waren in der geschützt liegenden Stadt solche Kälteeinbrüche selten. Niemand hatte um diese Zeit des Jahres mit so starken Schneefällen gerechnet. Doch seit drei Tagen lagen nun buchstäblich alle Pläne auf Eis. Die Strassen waren kaum passierbar und zwischen Patrioten und Shogun-Anhängern war ein unausgesprochener Waffenstillstand eingetreten. Beide Seiten warteten in der Wärme ihrer Paläste, Häuser und Verstecke auf das Schmelzen. Nur eine kurze Pause - dann würde der Bürgerkrieg weitergehen. Selbst Hitokiri Battousai würde heute Nacht schlafen. Natürlich nicht im herkömmlichen Wort-Sinn. Kenshin starrte mit trüben Augen in das schwache Licht der Lampe, um deren Flammen zwei Motten kreisten. Schlaf war schon seit seiner Ankunft in Kyoto zunehmend ein Fremdwort für ihn geworden. Zwei Wochen waren es erst her, das Yoshida nach Choshuu aufgebrochen war, und doch kamen ihm diese zwei Wochen endlos lange vor. Er hatte seit dem keine Nacht geschlafen, jede Nacht mindestens einen, wenn nicht noch mehr Aufträge ausgeführt – und selbst am Tag, als er sich, ohne von irgend jemandem der Männer Notiz zu nehmen, völlig erschöpft in sein Zimmer geschleift hatte, wollte ein erholsamer Schlaf nicht kommen. Das mindeste, worauf er hoffen konnte, war ein leichter Schlummer. Ein leichtes Gefühl der Entspannung, wenn der harte Griff des Hitokiri ihn wieder loslies. Und mehr wollte sich Kenshin auch nicht erlauben. Niemandem war zu trauen, das wusste er jetzt. Daisuke, Buntaro und Yoshida hatten es ihm beigebracht. Es gab keine „Guten“ und „Bösen“ in diesem Krieg. Es gab ehrbare Männer wie Katsura-san, mit ehrbaren Zielen. Aber genauso gab es Männer, die nur scheinbar für diese Ziele kämpften und in Wahrheit ganz andere Interessen verfolgten. Männer, die keine Ehre besaßen – wie Daisuke. Und Männer, die nicht weit genug gehen konnten, um ihre ehrbaren Ziele zu erreichen – wie Yoshida. Die Geschichte mit dem Verrat aus den innersten Reihen hatte nicht nur ihn misstrauisch gemacht. Auch die anderen Ishin Shishi waren nun voreinander auf der Hut. Jeder passte auf, mit wem er welches Wort wann und wo wechselte. Neuankömmlinge wurden doppelt und dreifach begutachtet, bevor ihnen der Zutritt in den inneren Zirkel gewährt wurde. Kenshin stand frei vom Verdacht des Verrates. Die Männer waren alle der festen Überzeugung, er persönlich hätte die drei Verräter beseitigt – obwohl sie seine Freunde gewesen waren. Ein noch größeres Zeichen uneingeschränkter Loyalität hätte Kenshin nicht geben können. Das Yoshida gar nicht tot sondern nur nach Choshuu abgereist war, schien viele dabei nicht weiter zu interessieren. Was die Männer seit dieser Sache jedoch nicht in Ruhe ließ, war die Bedingungslosigkeit und Kaltblütigkeit, die Kenshin dabei bewiesen hatte – dieser rothaarige Hitokiri schien keine menschlichen Gefühle zu haben. „Shura,“ wisperten sie, wenn er mit starrem Blick an ihnen vorbei lief. „Ein Dämon der Rache.“ Kenshin hatte natürlich gespürt, wie die Männer um ihn herum zunehmend misstrauischer und ängstlicher auf ihn reagierten. Wie konnte man als Hitokiri mit solchen Menschen um sich herum also mehr als ein Auge zutun?! Kenshin blies die Lampe aus und setzte sich mit dem Rücken gegen die Truhe, in der er seine wenigen Habseligkeiten aufbewahrte. Sonst war das Zimmer fast leer, Yoshidas Sachen waren verschwunden. Das Schwert lehnte er gegen seine Schulter. Links neben ihm lag griffbereit sein Wakizashi. Beide Waffen hatte er in den letzten drei arbeitsfreien Tagen bis zum Zustand kaum übertreffbarer Sauberkeit gereinigt, mangels einer anderen – gegenteiligeren – Beschäftigung. Und um sich abzulenken. Denn wenn er nichts tun konnte, außer da zu sitzen, war er fast noch angespannter, wie wenn er Nachts auf Dächern verharrte und wartete, die göttliche Gerechtigkeit zu überbringen. Wenn er nicht tun konnte, wofür er alles geopfert hatte, dann würden wieder die Gedanken kommen. Zweifel. Einsamkeit. Die Gedanken daran, dass er jetzt ganz auf sich allein gestellt war. Niemanden mehr hatte außer zwei erwachsenen Männern – und alles, was die von ihm fordern würden, war der Einsatz seines Schwertes. Wenn auch Katsura sich Mühe gab, ab und zu wenigstens einige Höflichkeitsfloskeln mit ihm auszutauschen und ihm sogar persönlich wichtige Aufträge zu überreichen. Immerhin – es war nicht üblich für einen Anführer der Ishin Shishi, vertraute Worte mit einem Hitokiri zu wechseln. Kenshin schloss die Augen. Es war nicht schlimm, alleine zu sein. So konnte er mit sich selbst im Reinen bleiben. Sich voll und ganz auf seine Aufgabe konzentrieren. Nichts würde ihn jetzt mehr ablenken. Nichts würde ihn trennen von der Ausführung des Tenchuu. Niemand würde ihn aufhalten, wenn er sich selbst den Grausamkeiten des Hitokiri hingab. Die blutigen Bilder der letzten zwei Wochen strömten in sein Bewusstsein zurück, als er versuchte, sich zu entspannen. Immer wieder sah er all die Menschen, die er seit Yoshidas Abschied getötet hatte. Vor seinem inneren Auge verschmolzen sie mehr und mehr zu einer einzigen, undefinierbaren Masse des Grauens. Sein persönlicher Dämon, der ihn jede Nacht heimsuchte – besser gesagt, jeden Tag, denn das war der häufigste Zeitpunkt, an dem er für ein paar Stunden die Augen schließen konnte. Zum Abendessen und manchmal auch mittags verließ Kenshin gewöhnlich das Refugium seines einsamen Zimmers. Sein Gesicht wurde zu Stein, sobald er den Essenssaal betreten hatte. Die Männer gaben sich Mühe, ihn wie vorher auch zu ignorieren, doch anstelle von Arroganz glich dieses Verhalten zunehmend einem krampfhafte Abstand-Halten. Kenshin spürte, ja hörte sogar oftmals die Männer hinter seinem Rücken tuscheln. „Ja, jede Nacht ist er unterwegs und immer fließt Blut.“ „Als Katsura uns eingeweiht hat, hab ich noch gelacht. Aber jetzt? Ich glaube, wir hatten noch nie so einen erfolgreichen Hitokiri wie ihn.“ Wie immer schwang in den Reden über ihn Furcht und Faszination in gleichen Teilen mit. Doch Kenshin versuchte, einfach alles auszublenden. Er schaute niemanden direkt an, und wenn, dann so, dass ihn auch ja niemand ansprach. Er vermied Kontakt mit anderen Menschen, erduldete ihn nur während des Essens oder während Vollversammlungen, nie eine Sekunde länger als nötig. Während die anderen Samurai sich noch von ihren Sitzen aufrappelten, war er schon längst wieder in sein Zimmer verschwunden. Seit Yoshidas Abschied hatte er außer mit Izuka und Katsura noch mit keinem Menschen ein Wort gesprochen. Nicht einmal Okami hatte ihn zu Gesicht bekommen, weil er es nicht wollte. Den mitleidigen Blick ihrer Augen könnte er jetzt nicht ertragen. Das hatte er inzwischen gelernt – Leuten aus dem Weg zu gehen. An dem Morgen nach dem Schneesturm ging Kenshin ausnahmsweise zum Frühstück. Es taute bereits wieder. „Was bedeutet,“ schlussfolgerte er kalt, „dass es bald neue Aufträge für mich gibt.“ Ob das nun ein Grund zum Freuen war, wusste er nicht. Etwas befremdlich registrierte er ein Kribbeln in seiner rechten Hand. War es Erregung? War es Abscheu? Was spielte das für eine Rolle? Immerhin würde er dann nicht so schnell noch einmal so eine Nacht voller hässlicher Gedanken durchleben müssen. „Sake,“ erinnerte sich Kenshin, während er alleine an einem Tisch saß und abwesend etwas Essen in sich hineinschob. Das alkoholische Getränk hatte ihm geholfen, seinen Kopf von lästigen Gedanken zu befreien. Vielleicht sollte er öfters etwas trinken gehen, nach seinen Aufträgen... Doch Sake erinnerte ihn auch an Daisuke, Buntaro und Yoshida... und an seinen Shishou. „Schon so früh auf?“ unterbrach eine fröhliche Stimme Kenshins Nachgrübeln. Der rothaarige Junge sah nicht auf. Wer sonst könnte ihn diesertage ansprechen, geschweige denn, sich zu ihm setzen. „Was willst du, Izuka?“ Seine Stimme war leise, und trotzdem hörte sie jeder, denn alle Gespräche waren, sobald er zu sprechen begonnen hatte, verstummt. „Naaa, nichts so freundlich,“ lachte Izuka und ließ sich neben Kenshin auf ein Kissen plumpsen. Die Gespräche um sie herum setzten langsam wieder ein. „Ist schon erstaunlich...“ Iuzka musterte gelassen die anderen Samurai. „Du sprichst kaum ein Wort, und wenn, dann so leise, dass man es kaum versteht. Und trotzdem sind alle ruhig, wenn du das Reden anfängst. Sollte mir mal passieren, wenn ich Befehle zu verteilen habe. Ständig muss ich schreien und alles drei Mal erklären.“ Er blinzelte Kenshin amüsiert zu und nahm seine Essstäbchen zur Hand. Er erwartete nicht, irgend ein Zeichen von menschlicher Regung in Kenshins Gesicht vorzufinden und wurde so auch nicht enttäuscht. „Immerhin,“ mampfte er zwischen zwei Bissen, „wenn du die Befehle verteilen würdest, wären bestimmt alle ruhig. Und du müsstest dich nicht ständig wiederholen – bei dir würden alle genau zuhören, aus Angst, sie müssten etwas nachfragen.“ Izuka lachte in sein Schälchen. Kenshin stellte geräuschvoll das Seine aufs Tablett zurück und seine Augen verengten sich. „Ist das alles, was du mir sagen wolltest?“ fragte er kalt und fixierte dabei Izuka. Dieser verschluckte sich prompt und hustete einige Male. „Mann, Himura. Genau den Blick mein ich! Wenn ich so schauen könnte, dann hätt’ ich’s echt leichter.“ Mit einer flüssigen Bewegung stand Kenshin auf. Sofort verstummten abermals die Gespräche der anderen Männer. „Schon fertig?“ Izuka sah ehrlich enttäuscht aus. „Schade, ich hätte gern noch ein bisschen mit dir geplaudert. Du bist ein guter Zuhörer, auch wenn du selbst nicht viel sagst. Naja, wir sehn uns ja bei der Besprechung vor dem Mittagessen.“ Der schnurrbärtige Mann wandte sich ganz gelassen wieder seinem Essschälchen zu. „Hai,“ nuschelte Kenshin kaum hörbar und verließ ohne einen weiteren Blick auf Izuka das Zimmer. Als er verschwunden war, trat einer der Ishin Shishi, Uchida, zu Izuka an den Tisch. Er hatte begonnen, den Jungen seit der Geschichte mit Yoshida und den Verrätern genauer zu beobachten. „Ist er immer so unterkühlt?“ fragte er mit Blick auf die Tür. „Mh,“ antwortete Izuka mit vollem Mund. „Meischtensch.“ „Ich weiß nicht...“ Uchida legte die Stirn in Falten. „Die anderen meinen, Himura ist seltsam, richtig unheimlich. Sie meinen, er ist deshalb so abweisend, weil ihn nichts anderes beschäftigt als seine Aufgabe als Hitokiri. Das ihm das Töten sogar Spaß macht, weil er sich für nichts anderes zu interessieren scheint.“ Izuka sah zu dem braunhaarigen Mann nach oben. „Du denkst anders?“ Uchida nickte. „Ich glaube nicht, dass er so kaltblütig ist, wie alle behaupten. Ich habe andere Hitokiri vor ihm gesehen. Entweder die haben sich mit ihren Taten gebrüstet, waren echte Killer mit Spaß an der Sache, oder sie haben sich verkrochen und sind irgendwann durchgedreht.“ Izuka kicherte. „Ja, das ist vielen passiert. Das war immer eine Sauerei...“ Angewidert blickte Uchida nach unten. „Ich finde es bedenklich, wenn jemand mit Himuras Können diesen zweiten Weg einschlägt. Immerhin hat er sich doch mit diesem Yoshida ganz gut verstanden. Sie waren auch im gleichen Alter. Jetzt ist er der Jüngste. Er hat niemanden als Ansprechpartner, der in seinem Alter wäre.“ „Er hat mich,“ stellte Izuka gelassen fest. „Und Katsura. Wir beobachten ihn schon.“ Uchida sah auf den schnurrbärtigen Mann hinab. „Stimmt. Immerhin ist er Katsura-sans persönlicher Hitokiri. Er scheint großes Vertrauen in ihn zu haben.“ „Das haben wir alle. Er ist schließlich bedingungslos auf unserer Seite.“ „So?“ Uchida zog eine Augenbraue nach oben. „Ich finde nicht, dass ihr ihn wirklich unter Kontrolle habt. Ihr wisst nicht, was in ihm vorgeht. Ich wette, hinter seinem ausdruckslosen Gesicht brodelt es. Für mich wirkt der Junge so, als ob er nicht wirklich mit dem, was er tut, klar kommt. Und sich deswegen so von allen anderen Menschen distanziert. Wahrscheinlich auch von sich selbst.“ Etwas Kaltes kroch in Izukas dunkelbraune Augen. „Wenn du Menschen bei einem deiner Aufträge töten musst, distanzierst du dich dann nicht auch?“ Von der Frage überrascht getroffen, zuckte Uchida zurück. „Ich...nicht...“ stammelte er, bevor er sich wieder fing. „Wenn wir schon ehrlich miteinander reden, Izuka-san,“ sagte er, seine Stimme nun ebenfalls frostig, „dann lass mich dir einen Rat geben: Je schärfer eine Waffe ist, desto besser muss man sie pflegen. Sonst wird man sich irgendwann selbst daran verletzen.“ Izuka erhob sich und war nun auf Augenhöhe mit Uchida. „Uchida-san, ich schlage vor, ihr beschäftigt euch nicht mit Angelegenheiten, von denen ihr keine Ahnung habt.“ Beide Männer fixierten sich. Der Rest des Raumes sah schweigend zu und tat nicht einmal mehr so, als würde er mit etwas Anderem beschäftigt sein. „Wenn ihr den Jungen noch mehr abkapselt, dann ist er nicht nur eine Gefahr für unsere Feinde, sondern irgendwann auch für uns selbst, Izuka-SAN!“ Die Spannung im Raum war fast fühlbar. Die Männer waren sich sicher, dass in den nächsten Sekunden die Schwerter gezogen werden würden. Dann jedoch drehte sich Izuka wider aller Erwarten plötzlich weg und zuckte mit den Schultern. „Pfff, was regt ihr euch so auf?“ grinste er schief. „Er ist doch nur ein Hitokiri. Ein paar Monate vielleicht noch, früher oder später erwischt es sie doch alle!“ Dann verließ er den Frühstücksraum. Uchida sah ihm bebend hinterher. Seine zu Fäusten geballten Hände zitterten. Einer seiner Freunde trat schließlich von hinten an ihn heran. „Lass dich doch von dem nicht provozieren,“ murmelte er beschwichtigend. „Baka,“ zischte Uchida. „Glaub mir, je mehr wir den Jungen ausgrenzen, desto mehr machen wir ihn uns selber zur Gefahr. Er misstraut uns doch schon jetzt.“ „Kein Wunder, alle reden über ihn. Ich meine, was er auf den Strassen...“ „Misstrauen ist doch keine Basis für ein Zusammenarbeiten, Muhura!“ unterbrach ihn Uchida. Muhura lachte. „Wer will denn auch mit Hitokiri Battousai zusammenarbeiten?! Spinnst du langsam? Wach auf: Er ist ein Mörder. Ein Killer. Izuka hatte schon recht – misch dich in solche Sachen lieber nicht ein. Dafür bist du nicht abgebrüht genug.“ Wütend stieß Uchida Muhura zur Seite und verließ den Frühstücksraum. „Macht euch nur über mich lustig,“ murmelte er in sich hinein, während er durch den Flur stapfte, „aber ich sage euch: Ein Schwert ohne Scheide ist auch für seinen Träger gefährlich. Ich jedenfalls werde den Jungen im Auge behalten...“ -- Als der Schnee geschmolzen war, hatte Kenshin sofort neue Aufträge bekommen. Die grausige Routine war nach nur drei Tagen Unterbrechung schwungvoller den je wieder angelaufen. Tage und Wochen vergingen, in denen Kenshin kaum einen zusammenhängenden Satz mit jemandem sprach - außer seinen Opfern. Er war blass und seine Augen dunkel und schwer und doch waren sie, wenn ihn jemand direkt ansah, plötzlich voll von gefährlicher Intensität, so dass derjenige sofort zurückzuckte. Kenshin war sich dessen nicht einmal mehr bewusst. Er hatte nur festgestellt, dass es sich so für ihn einfacher Leben ließ. Er konnte seine Aufträge konzentrierter ausführen. Am Tag konnte er seine Kräfte sammeln. Er konnte vorausplanen, war nicht länger auf halsbrecherische Manöver angewiesen. Er ging jetzt taktischer vor, teilte sich seine Zeit ein, tötete schneller, akkurater, mechanischer. -- „Himura-san?“ Überrascht sah Kenshin nach oben. Neben ihm stand ein braunhaariger Mann, den er vom Sehen kannte. „Uchida-san,“ erinnerte er sich. Seine Stimme hörte sich rau an. Er hatte seit zwei Tagen mit niemandem ein Wort gesprochen. Uchida scharrte nervös mit den Füßen. „Darf ich mich setzten?“ fragte er schließlich. Zu verblüfft, um abweisend zu sein, nickte Kenshin wie von selbst. Was wollte der Mann von ihm? Nur mit ihm Mittagessen? Das konnte nicht sein. Sofort nahmen seine Augen ein gefährlich bernsteinfarbenes Glitzern an, das Uchida jedoch zum Glück nicht bemerkte. Schweigen aßen die Beiden einige Minuten zusammen. Kenshin spürte, wie die anderen Männer sie neugierig beobachteten. Es war ja auch ungewöhnlich: niemand außer Izuka kam auf die Idee, mit Hitokiri Battousai Mittag zu essen. Was in aller Welt konnte Uchida vorhaben? Wollte er Selbstmord begehen? Oder fröhlich mit einem kaltblütigen Mörder plaudern? Uchida wartete, bis er spürte, dass das Interesse der anderen Männer an ihnen etwas nachgelassen hatte. Dann versuchte er irgendwie ein Gespräch mit dem seltsamen, rothaarigen Jungen anzufangen, der ihm die letzten Wochen nicht mehr aus dem Kopf gegangen war. Jetzt endlich wollte er sich sein eigenes Urteil bilden um seine Vermutungen zu bestätigen. „Es wird schon Frühling,“ begann Uchida lahm. Ihm war nichts besseres eingefallen, als das Gespräch mit dem neutralen Thema Wetter beginnen zu lassen. Neben ihm aß Kenshin schweigend weiter, als ob er nichts gehört hätte. Uchida schluckte. „Ein harter Brocken,“ überlegte er. „Aber was anderes hab ich auch nicht erwartet.“ Er nahm einen Bissen Reis. „Schön, wenn es bald wieder wärmer wird,“ sagte er, nachdem er ihn hinuntergeschluckt hatte. „Findest du nicht auch, Himura-san?“ Langsam sah ihn Himura mit seinen eisblauen Augen an. Der Blick war abweisend, aber nicht, und das überraschte ihn, kalt. Eher abweisend im Sinne von vorsichtig. Abwartend. „Der Junge ist nicht blöd. Sicherlich findet er es mehr als seltsam, dass ich plötzlich mit ihm Rede, obwohl ich ihn kaum kenne,“ schlussfolgerte Uchida. „Bald werden die ersten Bäume blühen,“ plapperte er unbeholfen weiter. Schlimmer konnte es ja nicht mehr werden. Bestimmt hielt ihn Himura jetzt für einen Trottel. Erst das Wetter und jetzt auch noch Blumen. Einfach weiterreden. „Ich komme von einem Landgut in der Nähe von Hagi. Es wäre schön, im Frühling dort zu sein. Einfach Kyoto zu verlassen und mir dort die Kirschblüte anzuschauen. Ich sitze gern unter Bäumen und schaue in die Natur. Dort kann ich am besten Nachdenken.“ Uchida bemerkte, wie Himura wieder den Kopf wegdrehte und sein Gesicht hinter seinem roten Haarvorhang verbarg. „Das war’s dann,“ dachte Uchida und legte die Stäbchen zurück aufs Tablett. „Immerhin ein Versuch...“ Eine sanfte Stimme neben ihm sprach plötzlich. „Es muss sehr schön sein, dort, wo ihr herkommt, Uchida-san.“ Überrascht sah Uchida zu Himura herüber. „Oh ja,“ freute er sich. Hatte er die harte Schale gebrochen? Oder zumindest angeknackt? „Auch wenn es dort nicht viel gibt, außer ein paar Dörfern und Reisfeldern. Es ist sehr ruhig.“ Kenshin sah schweigend in sein Schälchen. Uchida beobachtete ihn von der Seite und gab ihm Zeit. Es war mehr als offensichtlich, dass der Junge es nicht gewohnt war, längere Gespräche zu führen. „Dort, wo ich herkomme“ sprach Himura nach einer Weile langsam, „war es auch sehr ruhig. Es gab auch nur Felder.“ Seine Stimme verlor sich. Uchida wartete gebannt, dass er weiterredete. Er hatte ihn noch nie so viele Wörter auf einmal sagen hören. Auf einmal sah der Rotschopf ihn an, und doch schien er irgendwie durch ihn hindurch zu sehen. „Ich weiß nicht mehr, wie dort die Kirschblüte ausgesehen hat. Ich kann mich nur noch an ihren Duft erinnern...“ Plötzlich wurden Kenshins Augen wieder klar, und er schien zu bemerken, dass tatsächlich jemand gegenüber saß und ihm zugehört hatte. Uchida meinte, so etwas wie einen rötlichen Schimmer in seinem Gesicht zu bemerken. Schämte der Junge sich etwa? „Ich weiß was du meinst,“ beeilte sich der ältere Samurai zu sagen. „Auch ich kann nicht den Geruch vergessen, der von den blühenden Feldern ausgeströmt war. Manchmal finde ich den Geruch in Kyoto fast unerträglich. Es stinkt nach Krieg und Blutvergießen-“ Kenshin zuckte kaum merklich zusammen. Uchida biss sich auf die Zunge und verfluchte sich selbst. Wie hatte ihm nur dieses Wort über die Lippen rutschen können? Neben sich spürte er Kenshin, der gerade eben etwas aufgetaut zu sein schien, wieder gefrieren. Der junge Mann stand steif auf, steckte seine beiden Schwerter in den Obi und wandte sich zum Gehen. „Dieses Mal war’s das dann wohl wirklich.“ Uchida hatte nicht erwartet, dass Himura noch etwas sagen würde. „Danke für das Gespräch.“ Die sanfte Stimme hallte noch in seinen Ohren nach, als Himura den Raum schon längst verlassen hatte. Im Augenwinkel sah er Muhura, der zu ihm herüber sah und sich an die Stirn tippte. Uchida rollte nur mit den Augen. Dann sah er wieder in sein leeres Reisschälchen, die Stirn tief in Falten. Das Gespräch gerade eben hatte ihn nicht wirklich schlauer gemacht, was diesen Jungen betraf. Aber es hatte ihn schlauer gemacht, was sich selbst betraf. Uchida wusste jetzt, dass er keine Angst vor Hitokiri Battousai haben musste – solange dieser sich noch an den Duft von blühenden Kirchbäumen erinnern konnte. Doch wie lange mochte das noch so bleiben? Der Duft von Blut war stärker als der von Blüten. -- Ein Auftrag an einem Schrein außerhalb der Stadt. Nachmittags. Fünf Männer. Ein langer Weg. Aufbruch im Morgengrauen. Gedanken, die störten. Doch dann spürte er ihre Anwesenheit. Er trat aus dem Schatten der noch kahlen Bäume. Bernsteinfarbene Augen glitzerten in der Nachmittagssonne. „Tsubasa Miyoma, heute bekommt ihr die Gerechtigkeit, die ihr verdient habt.“ Noch während sich die Männer erschrocken nach der weichen und doch so kalten Stimme hinter sich umdrehten, spritze Blut in den Nachmittagshimmel. Kenshin verließ zügig den Schrein, als er seine Arbeit erledigt hatte. Niemand hatte ihn gesehen. Der Einzige, der ihm hinterher starrte, war Tsubasa, mit seinem eigenen Wakizashi an einen Baum gespießt, mit leeren, toten Augen. -- Ein Auftrag bei Jemandem daheim. Eine Villa. Wachen. Mindestens zehn Männer. Alte Erinnerungen erwachten. Gefühle... Bernsteinfarbenen Augen verdrängten sie alle. Ein offener Kampf. Viel Blut. „Jetzt geht es wieder los“, flüsterte ihm die innere Stimme und er spürte die inzwischen schon vertraute Kälte in sich hochsteigen, denn er wusste, dass gleich der Wahnsinn aufs neue beginnen würde – widerstandslos ließ er sich in diesen Zustand eiskalter Ruhe fallen. Alles war schnell vorbei. Die Leere einer unendlich langen Zeit kam immer dann, wenn er sich wusch. Viel Blut. Während das rötliche Wasser vor ihm über die Steine floss, sah er noch die Wachen, wie sie im Morgengrauen tot im Fischteich schwammen. -- Ein Auftrag. Eine Brücke. Drei Männer. Herausforderung und Antwort. Drei Körper plumpsten dumpf in die Fluten. Verfolger stellten sich ihm von hinten in den Weg. Eine Falle? Wie lächerlich. Er zog sein Wakizashi, schlug sich durch die Menge. Die Schreie halten in seinen Ohren aber er fühlte nichts. Das Blut lief warm sein Gesicht und seinen Oberkörper hinab, aber er fühlte nichts. Die Blicke der Sterbenden trafen ihn wie vergiftete Pfeile aber er fühlte nichts. Kenshin wusste, dass er zunehmend empfindungsloser wurde und ließ es geschehen. Er wurde langsam taub für alles. Nur die Finger um den Griff seines Schwertes spürte er, den harten Griff. Und den Druck von Stahl gegen Fleisch. „Battousai“ flüsterte man jetzt seinen Namen überall und meinte damit einen gesichtslosen Schatten, der den sicheren Tod brachte. Selbst seine Mitstreiter nannten ihn jetzt schon öffentlich so, doch Kenshin protestierte nicht. Er wusste, dass er dank diesem Namen weitermachen konnte. Er konnte sich hinter diesem Namen verstecken und weiterhin der Überbringer der göttlichen Gerechtigkeit sein. Niemand gab sich wirklich Mühe, hinter diesen Namen zu schauen. Und das war auch gut so. Er wusste ja selber nicht mehr, was er hinter der Maske noch an Resten von sich selber finden würde. Wenn überhaupt noch etwas. Während er sich selbst in die Luft empor katapultierte und die Brücke unter ihm zusammenstürzte, während er am sicheren Ufer landete und sah, wie das Wasser seine Opfer zusammen mit den Holzbalken hinwegspülte, fühlte er deutlich, wie sehr auch etwas in ihm schon vom vielen Blut weggespült worden war. Er wusste, dass es seine Menschlichkeit war, die mit jedem Leben, das er vernichtete, mitvernichtet wurde. Doch es war ihm gleich - was war schon der Preis seiner Menschlichkeit, seines Lebens, wenn er dadurch vielen anderen Menschen helfen konnte?! Plötzlich bekam er Angst. Was, wenn auch das ihm irgendwann egal sein würde? -- Ein Auftrag auf offener Strasse. Nichts ungewöhnliches. Wie ein Schatten würde Hitokiri Battousai auch dieses Mal wieder zuschlagen. Er wartete im Verborgenen. Hörte, wie die Gruppe von drei Männern an ihm vorbeilief. Sie waren in ein Gespräch vertieft und bemerkten ihn nicht. „Kiyosato, wie man hört, heiratest du nächsten Monat?“ „Ja Shigekura-san, es ist eine Freundin aus Kindertagen. Wir sind schon lange verlobt. Ich freue mich schon auf meine Rückkehr nach Edo.“ Kenshin schloss die Augen. Er wollte nichts mehr von dem Gespräch hören. Je mehr er hörte, desto weniger konnte er sich konzentrieren und dann war seine Arbeit schlampig. „Bald kannst du nach Hause,“ sprach Shigekura jetzt, „diese lächerliche Revolution wird bald vorbei sein. Aber die Strassen sind noch zu unsicher. Trotz der Shinsengumi gibt es viele Attentäter.“ „Wie der sogenannte Hitokiri Battousai?“ fragte der andere Leibwächter mit tiefer Stimme. „Es heißt, dass sogar die Shinsengumi schon auf der Jagd nach ihm sind.“ Im Schatten spitzte Kenshin die Ohren. Diese Informationen waren nicht störend sondern nützlich für ihn. „Ich habe gehört, Battousai hätte fast eine ganze Einheit der Mimiwarigumi getötet. Der Kommandant soll daraufhin Rache geschworen haben und nun mit den Shinsengumi zusammenarbeiten.“ „Gerüchte. Niemand weiß, ob dieser Battousai wirklich existiert,“ redete wieder Shigekura. „Vermutlich eine Lüge der Patrioten, um uns zu verunsichern. Ein Dämon, der heraufbeschworen wird, um uns Angst zu machen.“ Bernsteinfarbenen Augen sprangen in der Dunkelheit auf. Zeit, diese Reden zu beenden. Kalter und vertrauter Instinkt wusch all Gefühle und Gedanken hinweg. Es gab jetzt kein Zurückhalten mehr, keine zweite Überlegung. Zeit, an der Klinge eines Schwertes gemessen, ließ wenig Möglichkeit offen für den Luxus langen Nachdenkens. „Jubei Shigekura von den Kyoto Shoshidai,“ verkündete Hitokiri Battousai mehr als dass er fragte, während er aus seinem Versteck auf die Strasse trat. Erschrocken wandten sich alle drei um. Der größere Leibwächter sprang geistesgegenwärtig sofort vor und packte seinen Schwertgriff. „Wer bist du?“ rief er mit tiefer Stimme. „Irgendein Junge mit einem Groll gegen die Regierung vermutlich,“ stellte der alte Mann hinter ihm, Jubei Shigekura, müde fest. Er schien solche Angriffe gewohnt zu sein, nicht umsonst war er immer mit zwei Bodyguards unterwegs. „Junge,“ polterte der große Leibwächter wütend und trat einen Schritt vor, „wer bist du?!“ Kenshin rührte sich nicht von der Stelle. „Choshuu Ishin Shishi,“ flüsterte er kaum hörbar. Sofort zogen beide Leibwächter und auch Jubei ihre Schwerter. „Hitokiri Battousai also,“ spuckte der große Leibwächter aus. „Glaubst du, du kannst das Land mit deinem Schwert allein verändern?!“ Mit einem Schrei stürzte auf ihn zu, entschlossen, ihn zu töten. Kenshin sah, wie hinter ihm der alte Mann den jungen Leibwächter – Kyosato war sein Name, warum nur erinnerte er sich jetzt daran? – zur Seite schob. Anscheinend wollte er lieber selber kämpfen, als sich beschützen zu lassen. Das sprach natürlich Bände über das Können dieses jungen Leibwächters. Ohne ein Wimpernzucken hob Kenshin schwungvoll sein eingestecktes Schwert und blockierte mit dem Stichblatt den sehr kräftigen Abwärtsschlag des Bodyguards. Er blickte kurz mit kalten Augen durch das vor Anstrengung verzerrte Gesicht des Mannes, bevor er zur Seite auswich und das stumpfe Ende seines geschützten Schwertes dem Mann ins Auge rammte. Der Leibwächter taumelte vor Schmerz ein paar Schritte zurück, genug Raum für Kenshin, um sein Schwert zu ziehen und, mit etwas Nachdruck von der linken Hand, durch den Körper des Mannes zu schneiden. Blut spritze an die Wand, gegen die der Halbierte fiel, doch Kenshin sah nicht hin. Innerhalb von Sekunden, während noch Jubei Shigekura seinen zweiten Leibwächter zur Seite gestoßen hatte, war Kenshin schon vorgestürmt und hatte sich in die Luft erhoben. Verblüfft hieb der grauhaarige Mann mit seinem Schwert ins Leere. Mit einem Angriff von oben aus der Luft rechnete er nicht. Rechnete niemand. „Ryu Tsui Sen!“ rief Kenshin und sein Schwert durchteilte den Kopf Shigekuras. Der Bodyguard neben ihm schrie voller Entsetzen. Zeit, dem ein Ende zu machen. Kenshin riss das Schwert aus Shigekuras Gesicht und hieb mit einem kräftigen Streich auf den jungen Mann ein, doch irgendwie schaffte dieser es, seinen tödlichen Schlag zu blockieren und unter ihm hinwegzutauchen. Kenshin hörte ihn in seinem Rücken keuchen und zittern. Langsam drehte er sich um und hielt die blanke Klinge vor sein Gesicht. Warmes Blut rann über den kalt im Mondlicht glänzenden Stahl. „Gib auf,“ sagte er kalt. Je länger sich dieser dumme Leibwächter gegen sein Schicksal wehren würde, desto schmerzhafter würde es für ihn werden. Er hatte nicht den Hauch einer Chance. Konnte er das nicht einsehen? Er brachte das Tenchuu, die göttliche Gerechtigkeit. Ihm konnte keiner entrinnen. Konnte das dieser Mann nicht akzeptieren und sich in sein Schicksal fügen? „Niemals!“ rief sein Gegenüber als Antwort und machte sich zum Angriff bereit. Kenshin wehrte mühelos ab. Eine offene Stelle in der Abwehr. Sein Schwert schnellte nach vorne und verletze den Bauch des Mannes. Kiyosato taumelte zurück, griff erneut an, empfing eine weitere tiefe Wunde am Rücken. „Ich will nicht sterben,“ hörte Kenshin ihn murmeln. „Ich will nicht. Ich kann nicht...“ Kiyosato rappelte sich zu einem letzten Angriff auf. Er stieß sein Schwert senkrecht nach vorne. Kenshin holte in weitem Bogen aus. Sein Auftrag war erledigt. Beide Männer glitten aneinander vorbei. Blut spritze. Hinter sich hörte Kenshin das vertraute und erwartete Geräusch eines zu Boden fallenden Körpers. Doch etwas passte nicht. Was war das? Ein Gefühl. Er spürte etwas. Ein Brennen! Ein schmerzhaftes Brennen. Langsam befühlte er mit der Hand seine linke Wange. Blut an seinen Fingern. Das Schwert dieses Leibwächters hatte ihn erreicht? Noch dazu im Gesicht?! Geschockt starrte er einen Moment lang auf seine blutigen Finger. Dann hörte er das Wimmern hinter sich. Der Mann war noch am Leben. Immer noch nicht tot. Was für ein Lebenswille. Langsam trat Kenshin auf ihn zu, Schwert erhoben. Kiyosato streckte gerade seine zitternde Hand aus, griff nach etwas Unsichtbarem, was nur er sehen konnte. Murmelte etwas, was Kenshin nicht verstand. Etwas wie ein Name. Er erlöste den Mann mit einem Stich ins Genick. Sofort war er tot. Nun war es eigenartig still. Langsam zog Kenshin sein Schwert aus dem Körper und wischte es an der Kleidung des Toten sauber, gerade, als Izuka mit seinen Handlangern Umino und Hatomo um die Ecke bog. „Himura,“ rief Izuka aufgebracht, „bist du verletzt?“ Neugierig blickten ihn jetzt auch die anderen zwei Männer ein. „Nur ein Kratzer,“ sagte Kenshin mit tonloser Stimme. In seinen Gedanken war er immer noch bei dem Toten. Izuka schüttelte ungläubig den Kopf. „Der Mann hat dich im Gesicht getroffen! Er muss gut gewesen sein!“ „Nein,“ meinte Kenshin ruhig und stand auf. Langsam ließ er sein Schwert zurück in die Scheide gleiten. „Er hatte nur einen unglaublichen Lebenswillen.“ Dann drehte er sich um und kehrte den Männern den Rücken zu. Er ging einen Schritt nach vorne, blieb dann jedoch kurz stehen. „Hoffentlich findest du dein Glück im nächsten Leben,“ flüsterte er in Richtung des toten, jungen Mannes. „Hast du was gesagt?“ fragte Izuka, der schon damit beschäftigt war, die Zettel mit dem Zeichen des Tenchuu auf den Leichen zu drappieren. „Nein.“ Ohne einen Blick zurück ging Kenshin davon. „Nichts.“ Hatomo und Umino stießen zu Izuka und alle drei sahen ihm hinterher. „Lebenswille, huh?“ fragte Hatomo. „Ein erstklassiger Schwertkämpfer ist wohl imstande, so was nach einem Kampf zu beurteilen.“ Umino schüttelte den Kopf. „Wie sehr er sich verändert hat in den paar Monaten, seit er in Kyoto ist. Am Anfang konnte er den Blick kaum von seinen Opfern lösen. Und jetzt?“ „Jetzt,“ ergänzte Izuka, „tötet er sie alle ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.“ „Er istwirklich ein Hitokiri.“ -- Zwei Eimer eiskalten Wasser durchnässten seine ohnehin schon blutgetränkte Kleidung. Seit Wochen hatte er es schon geschafft, sich beim Töten nicht mehr schmutzig zu machen. Doch heute Nacht... „Warum konnte dieser Mann nicht einfach sterben?“, überlegte er bitter, während er zusah, wie ihm das Wasser von den Haarspitzen tropfte. Es war nicht wirklich eine Frage, denn er kannte die Antwort bereits. Dieser Mann... er hatte einen Namen gehabt. Kiyosato. Er hatte ein Leben gehabt. Er hatte nächsten Monat heiraten wollen. Er hatte nicht sterben wollen. Er hatte Leben wollen, vielleicht sogar eine Familie... Plötzlich traf es Kenshin wie einen Schlag und er erwachte aus der Taub- und Gefühllosigkeit, die ihn die letzten Wochen in einen immer dichteren, roten Nebel gehüllt hatten. Er hatte gerade eben mit seinem Schwert einen unschuldigen Mann getötet. Er hatte einer Frau ihren Bräutigam genommen. Einer Familie ihren Sohn. Was er hier in Kyoto machte – mit Hilfe des Hiten-Mitsurugi für eine bessere Welt kämpfen – war eine Lüge. Er hatte das erste Prinzip seines Schwertstils schon längst verraten. „„Erstes Prinzip des Hiten Mitsurugi Ryu,“ flüsterte er in die Nachtluft, die Hand auf seiner blutenden Wange; „Das Schwert soll für die Menschen dieser Welt geschwungen werden. Für den Schutz der Schwachen.“ Wie hohl diese Worte inzwischen in seinen Ohren klangen. Die Schuld brannte wie tausend Feuer in dem Schnitt auf seiner linken Wange. Er würde die Wunde nicht nähen lassen. Er wollte nicht, dass sie heilte. Er wollte sich für immer an den Schmerz erinnern. Ein Schmerz, der ihm zeigte, dass auch er sterblich und verletzbar war. Das auch er nur ein Mensch war und kein Dämon. Der Schmerz, der ihm zustand, weil er seine Ideale verraten hatte. Auf einmal hörte er ganz deutlich seine eigene Stimme, mit die letzten Worte, die er damals mit seinem Meister gewechselt hatte, bevor er gegangen war. „Ich will mit meinen eigenen Händen die Menschen beschützen. Viele Menschen, zahllose Leben will ich verteidigen. Ich will ihr Beschützer, ihr Retter sein!“ Seine eigenen Stimme klang fremd in seinen Ohren, wie die von jemand anderem. Menschen retten... Wenn er gekonnt hätte, dann hätte Kenshin laut und höhnisch gelacht. Oder geschrieen. Oder geweint. Doch er konnte nichts. Nur stumm dastehen und sich fragen, was eigentlich Menschen retten bedeutet. Doch während sein eigenes Blut warm seinen Hals hinablief und er den metallischen Geruch einatmete, wollte einfach keine Antwort kommen. Einer Hälfte von ihm, dass wusste er, war es bereits egal. Bevor ihn die Verzweiflung packen konnte, übergab er willig dieser Hälfte wieder die Kontrolle. Er wusch sich, trocknete sich ab, zog frische Sachen an, ging auf sein Zimmer, setzte sich, packte sein Schwert, schloss die Augen, wartete auf Schlaf, der nicht kommen würde. Mechanisch. Er funktionierte. Gerne hätte er auch den Schnitt quer über seine Wange vergessen... wenn da nicht das Blut gewesen wäre, das langsam aber stetig in kleinen Tröpfchen aus der Wunde quoll und von seinem Kinn aus zu Boden zu Boden tropfte. -- Düster, düster... der arme Kenshin... Nach jahrhunderter-langer Überlegungsphase habe ich das Kapitel endlich zu Papier gebracht, jetzt, wo ich eigentlich ÜBERHAUPT keine Zeit habe und viel wichtigere Dinge erledigen müsste....*SweatdropdeLuxe* ^_^ Nur Für Euch Meine Lieben Leser ^_^x Ach ja: Nächstes Kapitel kommt endlich die Person, auf die schon viele von euch warten. Und auch die Shinsengumi bekommen endlich mal einen Auftritt. Es gibt also Action und: Ein Licht der Hoffnung! Übringens: mehr als 20 Kapitel sind nicht geplant (Epilog mal nicht gezählt) Bis Bald! Wörter: Haori – Wintermantel Tenchu – göttliche Gerechtigkeit Shura – Rachedämon Baka – Idiot Hagi – Hauptstadt der Provinz Choshuu Kyoto Shoshidai - Meines Wissens Mitglieder des Kaiserlichen Gerichtshofes in Kyoto. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)