Methadon von Tattoo (Kyo x Kaoru x Ryo) ================================================================================ Kapitel 11: ------------ Ähm... hi!^^' Ich hoffe, ihr wisst noch einigermaßen, worum es im letzten Kapitel ging, ansonsten lieber nochmal kurz nachschauen... Aber ich glaub, um alle Anspielungen in diesem Kapitel zu bemerken müsste man glatt nochmal die ganze FF lesen~ ~11~ Als Kyo die Wohnung betrat, war seine erste Reaktion, die Nase zu rümpfen, und seine zweite, ins Wohnzimmer zu stapfen und das Fenster bis zum Anschlag aufzureißen. Der Sänger konnte förmlich dabei zusehen, wie dicke Rauchschwaden an ihm vorbei ins Freie zogen, und kopfschüttelnd drehte er sich zu dem Verursacher dieser Luftverpestung um. Kaoru saß am PC, hatte eine seiner Gitarren auf dem Schoß und – wer hätte es gedacht – eine fast heruntergebrannte Zigarette im Mundwinkel. "Hi." nuschelte er um den Glimmstengel herum und verfolgte anschließend mehr oder weniger interessiert, wie Kyo auf ihn zukam, neben ihm stehen blieb und seinen Blick zwischen Kaoru und dem überquellenden Aschenbecher auf dem Schreibtisch hin- und herwandern ließ. Als der Jüngere die Wohnung vor knapp drei Stunden verlassen hatte, war er noch leer gewesen. "Selber hi, du wandelnder Schornstein." grüßte er schließlich zurück und nahm Kaoru dabei die Kippe aus dem Mund. Doch noch bevor der Gitarrist sich in irgend einer Form darüber beschweren konnte, hatte er auch schon Kyo's Lippen auf seinen eigenen und sah durchaus ein, dass eine Zigarette jetzt tatsächlich eher störend gewesen wäre. Und er hatte ja auch noch mehr. Also schloss er die Augen und genoss einfach den Kuss, bis Kyo sich wieder von ihm löste und den Zigarettenstummel mit einigen Schwierigkeiten auf dem bedrohlich schwankenden Kippenberg ausdrückte. Dann sah er den Älteren tadelnd an. "Weißt du, mich stört's ja nicht, dass du rauchst, ich tu's ja auch, aber in letzter Zeit übertreibst du's echt ein bisschen. Ich hab dich gerade erst wieder, da will ich dich nicht gleich an Lungenkrebs verlieren." Kaoru, der gerade nach der Zigarettenschachtel hatte greifen wollen, überlegte es sich bei diesen Worten noch schnell anders, lehnte sich stattdessen auf seinem Stuhl zurück und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. "Ach, das war doch jetzt nur, weil ich beim Komponieren nicht richtig vorwärts gekommen bin." "Von wegen, du qualmst schon seit Tagen pausenlos vor dich hin." widersprach Kyo ihm da sofort und verschränkte die Arme vor der Brust, warf dann aber einen kurzen Blick auf den Monitor und das geöffnete Composer-Programm. Viel hatte Kaoru in den drei Stunden wirklich nicht geschafft. "Naja, aber besonders gut scheint's ja echt nicht gelaufen zu sein. Woran liegt's denn? Keine Inspiration?" Kaoru zuckte mit den Schultern und stellte die Gitarre beiseite, was Kyo sofort (und ganz richtig) als Einladung auffasste und sich breitbeinig auf dem nun freien Schoß niederließ. "Nein, Ideen hab ich eigentlich mehr als genug, ich kann mich bloß irgendwie nicht richtig konzentrieren." erklärte der Gitarrist und man sah ihm deutlich an, wie sehr ihn das frustrierte, wo er doch sonst kaum Probleme mit dem Songwriting hatte und eigentlich immer recht schnell damit fertig wurde. Und auch noch sehr viel brauchbares dabei herauskam. Kyo beschloss daher (nicht ganz uneigennützig), die Sorgenfalten seines Freundes wieder zu glätten, und drückte sich ein weniger näher an ihn heran, was auch den gewünschten Effekt hatte, denn Kaoru hob schmunzelnd eine Augenbraue und hatte plötzlich dieses Funkeln in den Augen, das Kyo nur allzu gut kannte. Der Sänger grinste. "Na dann solltest du dich jetzt erst mal entspannen, wenn's mit dem Schreiben im Moment eh nichts wird. Und ich kenne da einen erheblich gesünderen und... befriedigerenden Weg als Kettenrauchen." Damit rutschte er von Kaoru's Schoß wieder herunter, warf ihm noch einen vielsagenden Blick zu und schlenderte dann in Richtung Schlafzimmer davon, wobei er schon mal sein Shirt auszog und achtlos auf den Boden fallen ließ, ehe er um die Ecke verschwand. Kaoru grinste nun ebenfalls, schloss das Composer-Programm und beantwortete die Frage, ob er den Datenstand speichern wollte, nach kurzem Zögern mit Nein. Dann folgte er Kyo - und sollte erst in einer Stunde wieder das Bedürfnis nach einer Zigarette verspüren. Nach dieser besagten Stunde lag Kaoru allein im Bett, Glimmstengel zwischen den Lippen, und lauschte dem einlullenden Geräusch von fließendem Wasser aus dem Bad. Kyo duschte noch, und das schon zum zweiten Mal. Beim ersten Mal, vor etwa einer halben Stunde, hatten sie zusammen geduscht, was natürlich damit geendet hatte, dass sie gleich wieder übereinander hergefallen waren, dann ging es im Schlafzimmer weiter, und danach waren beide zu erschöpft für eine nächste Runde gewesen, weshalb sie vorsichtshalber einzeln duschen gegangen waren. Und jetzt brauchten beide erst mal ein paar Stunden Schlaf, denn ihre Nächte waren seit diesem verhängnisvollen Tourtag vor drei Wochen immer recht kurz und... aktiv, und man war ja auch nicht mehr der Jüngste. Aber das hätte Kaoru natürlich nie laut ausgesprochen, und schon gar nicht in Gegenwart von Kyo, der wenige Minuten später in nichts weiter als Shorts aus dem Badezimmer trat und sich die Haare mit einem Handtuch trockenrubbelte. Anschließend durfte sich das nun feuchte Handtuch zu den Klamotten gesellen, die kreuz und quer auf dem Boden verstreut lagen, und Kyo machte es sich auf seiner Seite des Bettes bequem. Schweigend teilten sie sich den Rest von Kaoru's Zigarette, die der Sänger jetzt ebenfalls nötig hatte, dann gab es für den Gitarristen noch einen langen Kuss und im nächsten Moment sah er von seinem Freund nur noch den Rücken. Diesen starrte er eine Weile nachdenklich an und fragte sich, ob es Sinn machte, heute einen neuen Versuch zu starten. Bisher hatte Kyo sich immer dagegen gewehrt, meist mit Worten, aber manchmal auch mit Händen und Füßen, und Kaoru war ziemlich sicher, dass er jetzt auch keine Ausnahme machen würde. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt, und Kyo war müde, vielleicht schlief er sogar schon... Kurzentschlossen rückte Kaoru langsam und vorsichtig Zentimeter für Zentimeter näher an sein 'Opfer' heran, bis er direkt hinter ihm lag, wartete noch einen Augenblick, zögerte, gab sich schließlich den entscheidenden Ruck und legte einen Arm um Kyo's Taille, womit er den Jüngeren behutsam an sich zog. Kyo, der schon die ganze Zeit geahnt hatte, was ihm gleich blühen würde, ließ seinen Freund genau fünf Sekunden lang das Gefühl genießen, dann grummelte er leise aber hörbar "Kao..." ins Kopfkissen und stieß den Gitarristen, als er sich nach dieser Warnung nicht von selbst zurückzog, mit der Schulter weg. Der Stoß war nur leicht, machte Kaoru aber unmissverständlich klar, dass er keine Chance auf Erfolg hatte, und so drehte er sich murrend von dem Jüngeren weg, sodass sie nun Rücken an Rücken lagen, kuschelte sich statt an Kyo in seine Bettdecke und schmollte. Obwohl nein, eigentlich schmollte er nicht, und enttäuscht war Kaoru auch nicht wirklich, da er sich von Anfang an keine großen Erfolgschancen ausgerechnet hatte. Denn Kyo kuschelte nicht, Kyo hatte Sex. Und dann schlief er. Oder er hatte noch mehr Sex. Und das war schon immer so und für Kaoru bisher auch vollkommen in Ordnung gewesen. Doch nun, nach drei Wochen der Euphorie darüber, wieder mit Kyo zusammen zu sein, merkte er langsam, dass ihm etwas fehlte. Als er noch mit Ryo zusammen gewesen war, hatte dieser vom Kuscheln gar nicht genug bekommen können, egal wann und (fast) egal wo. Daran hatte der Gitarrist sich zwar auch erst mal gewöhnen müssen, weil er das von Kyo so rein gar nicht kannte, aber es war ihm deutlich leichter gefallen, sich ans Kuscheln zu gewöhnen und das Schöne darin zu erkennen, als nun wieder gänzlich darauf verzichten zu müssen. Früher hatte es ihn keineswegs gestört, dass er manchmal stundenlang nicht aus dem Schlafzimmer kam, weil Kyo mal wieder zum Sexmonster mutiert war (Denn mal ehrlich, welchen Kerl würde das schon stören?!), doch inzwischen wusste er auch durchaus die Attacken eines Knuddelmonsters zu schätzen, weshalb er immer öfter, besonders in Momenten wie diesem, an Ryo denken musste und merkte, dass er ihn vermisste. Denn mit diesem Knuddelmonster hatte er das Schlafzimmer ja auch oft stundenlang nicht verlassen, nur eben nicht aus den selben Gründen wie mit Kyo. Meistens jedenfalls... 'Ach was soll's. Die Hauptsache ist, dass Kyo und ich wieder zusammen sind, alles andere ist nicht so wichtig.' redete Kaoru sich schließlich ein, bevor er vom vielen Grübeln noch Kopfschmerzen bekam, zog die Bettdecke ein Stückchen höher und schloss die Augen. Doch obwohl er hundemüde war, fand er lange Zeit keinen Schlaf und wälzte sich unruhig hin und her. Was ihn aber nicht sonderlich überraschte, denn so ging es ihm schon seit fast zwei Wochen. **** "Kyo, auskäsen!! Wir kommen zu spät!!" Ungeduldig fummelte Kaoru an seinem Schlüsselbund herum, damit seine Finger etwas zu tun hatten, und wartete darauf, dass Kyo endlich fertig wurde. Dieser verstand jedoch überhaupt nicht, was die ganze Hetzerei sollte, und war dementsprechend ähnlich genervt wie der Gitarrist. "Ja doch, reg dich ab, bin ja gleich soweit! Ist doch eh egal, ob wir nun ein paar Minuten eher oder später im Klub sind, und außerdem sind die anderen auch nie pünktlich!" plärrte es aus dem Schlafzimmer zurück und Kaoru, schon fix und fertig angezogen und abmarschbereit, hoffte inständig, dass sein Freund sich doch endlich mal für ein T-Shirt entscheiden würde. Dass Kyo's Argumente nicht ganz ungerechtfertigt waren, interessierte ihn kaum; er wollte nur endlich raus aus dieser Wohnung und mal wieder unter Menschen, am besten mit lauter Musik und jeder Menge Alkohol drum herum. Und ihre beiden Abschlusskonzerte, auf die das ja eigentlich alles zutraf, waren immerhin schon über eine Woche her. Deshalb hatte er gestern Toshiya, Die und Shinya angerufen und sie mehr oder weniger dazu verpflichtet, heute mit ihm und Kyo in ihren Stammklub zu gehen – wobei Die und Toshiya natürlich sofort Feuer und Flamme gewesen waren. Shinya dagegen hatte sich am Anfang noch gesträubt, aber nachdem Kaoru viel Zeit in Überredungskünste, Gegenargumente und Drohungen investiert hatte, war dem Drummer am Ende nichts anderes übrig geblieben, als zuzustimmen. Dass Kyo anstandslos mitkommen würde, war Kaoru von Anfang an klar gewesen, doch dass der Sänger jetzt so ein Trara um sein Outfit machte und sich nicht darum kümmerte, dass Kaoru wie auf heißen Kohlen an der Tür stand und endlich los wollte, ging dem Älteren gehörig gegen den Strich. Er war sogar schon drauf und dran, ohne Kyo abzuziehen, als dieser aber doch noch auf der Bildfläche erschien und nach seiner Jacke griff. Kaoru nahm nur ganz am Rande wahr, dass sein Freund in den Klamotten, die er letztendlich ausgesucht hatte, unglaublich gut aussah, und er verlor – sehr zu Kyo's Ärger - auch kein Wort darüber. Kurz darauf waren die Mitglieder von Dir en grey wieder vereint und taten das, was sie neben Musik machen am besten konnten: Sie betranken sich (außer Shinya, wie immer). Und Kaoru war, zur Überraschung seiner Kollegen, zur Abwechslung mal der Anführer dieses Saufkommandos. Er ließ kein einziges Trinkspiel aus, unterbot sogar Die's Zwei-Bierflaschen-auf-Zeit-Rekord von sechs Sekunden (weshalb der andere Gitarrist fast in Tränen ausbrach) und rannte, sobald ihr Vorrat aufgebraucht war, immer gleich persönlich zur Bar, um Nachschub zu besorgen, weil ihm die Bedienungen heute allesamt viel zu langsam waren. Und so war es auch jetzt wieder: Er wippte ungeduldig mit dem Fuß, ließ Toshiya dabei keinen Moment aus den Augen und machte sich, sobald der Bassist die letzte Bierflasche geleert hatte, schnurstracks auf den Weg zur Bar. Von dem ruhigen und beherrschten Leader war wirklich nicht mehr viel übrig geblieben, und das war den anderen auch keineswegs entgangen, Alkoholpegel hin oder her. "Sag mal, was ist denn heute mit Kao los?" fragte Die den Sänger zu seiner Rechten, während sie alle Kaoru hinterhersahen, und Kyo zog ein langes Gesicht und schüttelte langsam den Kopf. "Nicht erst seit heute, der ist schon seit Tagen so komisch drauf, und ich mach mir langsam auch echt Sorgen. Er benimmt sich total daneben, und egal was ich mache, er ist immer entweder gereizt und unzufrieden oder so aufgekratzt wie jetzt. Er hat auch überhaupt keine Geduld mehr und kann sich auf nichts lange konzentrieren, und dann rennt er wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Wohnung und macht mich damit halb wahnsinnig. Ich glaube, er schläft auch schlecht. Keine Ahnung, was er hat, aber es gefällt mir ganz und gar nicht. Würden wir zur Zeit Aufnahmen machen oder auf Tour sein, hätten wir echt ein Problem." "Und dass er sich eine Kippe nach der anderen reinpfeift ist auch neu, oder ist mir das nur nie aufgefallen?" meinte Toshiya verstört und Kyo seufzte. "Stimmt, damit fing das alles überhaupt erst an. Ich mach die Fenster inzwischen schon gar nicht mehr wieder zu." Die Gesichter der anderen drei Musiker waren nun ebenfalls ernst und besorgt, und jeder von ihnen versuchte, sich einen Reim auf Kaoru's merkwürdiges Verhalten zu machen. Toshiya hatte als erster einen bösen Verdacht. "Naja, vielleicht... nimmt er ja Drogen. Klingt irgendwie danach, finde ich. Also jetzt nicht nur mal 'nen Joint oder die eine oder andere Pille, sondern härteres Zeug." Und obwohl Kyo, Die und Shinya ihn völlig entsetzt anstarrten, konnte keiner von ihnen leugnen, dass diese Idee gar nicht so abwegig war, wenn man die Sache realistisch betrachtete. "Hast du ihn denn irgendwas nehmen sehen? Oder hast du das Gefühl, dass er etwas vor dir versteckt oder verheimlicht?" hakte Shinya bei Kyo nach und dieser überlegte einen langen Moment. "Nein, mir ist jedenfalls nichts aufgefallen. Er schließt sich auch nicht im Bad ein oder sowas. Aber ich werde von jetzt an darauf achten." Seine Kollegen nickten und Toshiya meinte noch kleinlaut "Ich hoffe, dass ich mich irre.", dann mussten sie abbrechen und wieder so tun, als wäre alles in bester Ordnung und als würden sie sich keine Sorgen um Kaoru machen. Denn der war wieder an ihrem Tisch aufgetaucht, breit grinsend und mit reichlich Bier bewaffnet. **** Einige Tage später konnte Kyo den anderen zumindest teilweise Entwarnung geben. Kaoru rauchte zwar noch immer wie ein Schlot und wirkte oft unzufrieden und unkonzentriert, war dafür aber deutlich ruhiger und nicht mehr so ein aufgekratztes, schizophrenes Nervenbündel wie an dem Abend im Klub und den Tagen davor. Und Kyo hatte auch nicht den kleinsten Hinweis auf Drogen entdeckt, was sie alle ungemein erleichterte, auch wenn die Möglichkeit noch immer nicht ausgeschlossen, sondern nur unwahrscheinlicher war. Und um sicher zu gehen, dass der Gitarrist sich nicht doch heimlich irgendwo Stoff besorgte, wich Kyo ihm kaum noch von der Seite und begleitete Kaoru fast immer, wenn dieser in die Stadt fuhr, unter dem Vorwand, dass ihm eh langweilig sei und er sich die Beine vertreten müsse. Das erste Mal waren sie dann in Shibuya shoppen gewesen, was sie früher auch oft getan hatten, und beim nächsten Mal hatte es sie nach Shinjuku verschlagen. Heute allerdings hatte Kaoru Kyo damit überrascht, dass er nach einem Abstecher zur Takeshita-dōri noch durch den Yoyogi Park spazieren wollte. Kaoru? In einem Park? Spazieren? Das hatte Kyo sogar noch mehr verblüfft als die selbstmörderische Absicht, nach Harajuku und besonders zur Takeshita-dōri zu fahren, immerhin war dort die Gefahr, erkannt und anschließend von keifenden Jrock-Fans zerfleischt zu werden, am größten in ganz Tokyo. Und wenn man dann auch noch im Doppelpack dort aufkreuzte, wurde die ganze Angelegenheit gleich noch gefährlicher. Man konnte letztendlich nur darauf hoffen, mit Hut und Sonnenbrille nicht weiter aufzufallen, und das hatte Kyo auch die ganze Zeit über verzweifelt getan, während er sich neben Kaoru durch die bunte Menschenmenge geschoben hatte. Und nun, nachdem sie diesen Trip tatsächlich lebend überstanden hatten, schlenderten sie durch den Yoyogi Park, mit seinen schreienden Kindern, Rentnern und verirrten Touristen. Kyo konnte nicht behaupten, dass er sich sonderlich wohl fühlte, aber was tat er nicht alles für seinen Freund. Und vielleicht hatte er ja Glück und die dunklen Wolken, die am Horizont aufzogen, brachten ihnen Regen, denn ohne Schirm würde Kaoru hundertprozentig umkehren und heimfahren wollen. Eine ganze Weile lang geschah jedoch nichts dergleichen und Kyo musste wohl oder übel weiter neben dem im Moment wenig gesprächigen Gitarristen hertrotten, doch schließlich erbarmte sich der Wettergott und befahl seinen Wolken, langsam aber sicher ihre Schleusen zu öffnen. Kyo musste, als er die ersten Tropfen auf dem Boden sah, ein zufriedenes Grinsen unterdrücken. "Mist, es fängt an zu regnen." maulte er stattdessen gespielt genervt und blieb stehen. "Los, lass uns zurückgehen, oder hast du irgendwo 'nen Schirm versteckt?" Kaoru richtete bei diesen Worten das Gesicht zum Himmel und wischte sich eine Sekunde später einen Regentropfen von der Nase. "Na ganz toll..." knurrte er und verzog das Gesicht, und zu Kyo's Freude machte der Ältere ohne großartig weiter zu überlegen kehrt und stiefelte zurück. Denn Kaoru konnte es auf den Tod nicht ausstehen, nass zu werden, wenn es nicht gerade unter der Dusche oder bei einem Konzert war. Und so gingen die beiden deutlich schnelleren Schrittes in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und hatten schon fast die letzte Biegung vor dem Ausgang erreicht, als Kaoru etwas hörte, sich umsah und dann abrupt stehen blieb. Seine Aufmerksamkeit galt nun nicht mehr dem immer stärker werdenden Regen, sondern einem kleinen Jungen, vielleicht drei oder vier Jahre alt, der einige Meter von ihnen entfernt ganz allein auf der Wiese stand und sich die Augen aus dem Kopf heulte, während er lautstark nach seiner Mutter schrie. Es war aber anscheinend nicht laut genug, denn von einer potentiellen Mutter war weit und breit nichts zu sehen. "Kao, komm schon, es gießt gleich wie aus Kübeln." mahnte Kyo, der das schreiende Kind nicht weiter beachtete und das selbe auch von Kaoru erwartete, und traute daher seinen Augen kaum, als der Gitarrist nach kurzem Zögern nicht wie erhofft zum Ausgang, sondern auf den fremden Jungen zuging. "Kao! Was machst du denn?" rief Kyo ihm noch hinterher, doch Kaoru winkte nur mit einer Hand ab und marschierte unbeirrt weiter, bis er bei dem verlassenen Knirps angekommen war. Und nachdem er sich vor ihn hingehockt und kurz mit ihm gesprochen hatte, was Kyo aus der Entfernung allerdings nicht hören konnte, hob er das Kind doch tatsächlich auf einen Arm und kam mit ihm zu Kyo zurück, der auf dem Weg stand und seinen Freund ungläubig anstarrte. "Wir müssen seine Mutter suchen. Shoji, weißt du noch, wo du die Mama zuletzt gesehen hast?" "Da..." schniefte der kleine Junge und zeigte mit einer Hand in die Richtung, aus der er gekommen war (oder es zumindest glaubte), mit der anderen wischte er sich die letzten Tränen aus den Augen. Inzwischen regnete es immer stärker und schon bald würde ihnen allen die Kleidung auf der Haut kleben, doch das schien Kaoru diesmal überhaupt nicht zu stören. Er nickte nur und ging in die Richtung, die Shoji ihm gezeigt hatte, dass Kyo ihnen allerdings nicht folgte, merkte Kaoru erst, als der Sänger aus einiger Entfernung seinen Namen rief. Erstaunt drehte er sich um und sah den Jüngeren fragend an. "Was ist denn, komm endlich!" rief er zurück, doch Kyo schüttelte nur den Kopf, ließ Kaoru noch schnell wissen, dass er am Bahnhof von Harajuku auf ihn warten würde, und eilte dann zum Parkausgang. Ihm war heute ganz eindeutig nicht nach weiteren Samariter-Aktionen, schon gar nicht im strömenden Regen. Und so machte Kaoru sich ohne Kyo auf die Suche nach Shoji's Mutter, die er eine Viertelstunde später auch tatsächlich fand. Nachdem sich die vollkommen aufgelöste Frau mehrmals überschwenglich bei ihm bedankt und ihr Kind dabei fast erdrückt hatte, machte auch Kaoru sich endlich auf den Weg und kam schließlich bis auf die Knochen durchweicht am Bahnhof an. Kyo, durch das Dach vor dem Regen geschützt, hielt ihm eine Flasche heißen Tee hin, die er aus einem der vielen Getränkeautomaten gezogen hatte, und Kaoru nahm sie wortlos an. Dann gingen sie zum Gleis und fuhren nach Hause. **** Drei Stunden später war Kaoru dank Dusche, frischer Klamotten und einem weiteren Tee wieder aufgewärmt und saß erneut mit seiner Gitarre auf dem Schoß am PC. Doch es hatte, wie schon von ihm befürchtet, auch heute keinen Zweck, das Komponieren wollte ihm einfach nicht mehr so locker von der Hand gehen wie früher. Missmutig starrte er den Monitor an und überlegte, ob er aufgeben oder weitermachen sollte, und während in seinem Inneren ein erbitterter Kampf zwischen Stolz und Vernunft vor sich ging, klingelte das Telefon. Kyo, der gerade ins Wohnzimmer gekommen war, um sich seinen Wohnungsschlüssel vom Couchtisch zu schnappen, ging ran, da Kaoru offensichtlich beschäftigt war. "Hallo? Hi Totchi... Was? Ja, ich glaub ich erinnere mich an sie... Ach Gottchen... Jetzt flenn hier nicht so rum... Du, ich hab jetzt ehrlich keine Zeit, ruf doch Die an und heul dich bei ihm aus... Kao? Nee, der kann jetzt auch nicht..." Dabei sah Kyo zu dem Gitarristen hinüber und ihre Blicke trafen sich. Kaoru hob fragend eine Augenbraue, Kyo verdrehte aber nur die Augen und winkte ab. "Ja ja, das wird schon wieder, wir gehen bald wieder zusammen einen trinken, dann reißt du dir einfach 'ne neue auf... Nein, ich muss jetzt echt los... Okay, mach's gut." Und damit legte der Sänger wieder auf und wollte sich schon aus dem Staub machen, um nicht zu spät zu Merry's Konzert zu kommen, doch Kaoru war neugierig, was er gerade verpasst hatte. "Ach, nichts weiter, Totchi wurde bloß von seiner letzten Eroberung abserviert und badet jetzt in Selbstmitleid." beantwortete Kyo die Frage des Älteren und wollte ihm zum Abschied noch schnell einen Kuss geben, doch Kaoru lehnte sich zurück, hielt Kyo mit einer Hand auf Abstand und blinzelte ihn erstaunt an. "Totchi geht's dreckig und du tust das einfach so ab? Wie würdest du es denn finden, wenn deine Freunde dich einfach mit deinen Problemen allein lassen würden?" "Kao, mal ehrlich, du kennst doch unseren Casanova. Der hat jede Woche 'ne andere Schnecke, und mal lässt er sie sitzen und mal ist es eben umgekehrt, so wie jetzt. Und dann macht er ein riesiges Drama daraus und hat ein paar Tage später schon wieder ihren Namen vergessen. Wenn ich mir da jedes Mal von ihm ein Ohr abkauen lassen würde, hätte ich für nichts anderes mehr Zeit und wäre wahrscheinlich schon längst in der Irrenanstalt oder wegen Mordes im Knast." Bei diesen Worten grinste der Sänger, Kaoru fand das aber ganz und gar nicht komisch und runzelte die Stirn. "Und was ist, wenn du dich irrst und Totchi es diesmal ernst meinte? Wenn er wirklich jemanden zum reden braucht und all seine Freunde ihn abweisen? Ist dir das völlig egal? Kurze Info, der Junge hat auch Gefühle, die man verletzen kann, und das ist dir gerade prima gelungen, Glückwunsch!" Kaoru war mit jedem Satz lauter und wütender geworden, und Kyo sah absolut nicht ein, sich vollkommen grundlos von ihm anschnauzen zu lassen. "Jetzt mach mal halblang, ja?! Totchi geht es spätestens in zwei Tagen wieder blendend, da gehe ich jede Wette ein, und du brauchst dich hier gar nicht so aufzuplustern und mich als schlechten Menschen hinzustellen!" Dass er seine Energie nämlich lieber darauf konzentrierte, sich um Kaoru statt um den sprunghaften Bassisten zu kümmern, verschwieg er dabei lieber, allerdings hätte ihn dieser Satz höchstwahrscheinlich vor Kaoru's nächstem Vorwurf bewahrt. "Und was sollte dann das heute mit dem Kleinen?! Du hast ihn echt einfach ignoriert und bist weitergegangen, dir war es scheißegal, ob er seine Mutter wiederfindet oder noch stundenlang weinend durch den Park irrt!" Nun wurde es dem Sänger aber wirklich zu bunt und er konnte sich nicht mehr beherrschen, weshalb er schließlich all den angestauten Frust der letzten Wochen auf Kaoru losließ. "Ja verdammt, und du weißt genauso gut wie ich, dass ich mich vor einer Woche, einem Monat oder einem Jahr nicht anders verhalten hätte, nur jetzt stört's dich plötzlich! Kao, ich bin so, wie ich schon immer war, der einzige, der sich verändert hat, bist du! Und ich war ehrlich gesagt noch nie scharf darauf, mit Doktor Jekyll, Mister Hyde oder Mutter Teresa zusammen zu sein!" "Na immer noch lieber Mutter Teresa als so ein herzloser Giftzwerg wie du!" fauchte der Gitarrist, der inzwischen aufgestanden war, da ohne nachzudenken zurück, und bei diesen Worten riss Kyo zuerst die Augen weit auf, nur um sie gleich darauf zu schmalen Schlitzen zu verengen und die Lippen fest aufeinander zu pressen. Sein ganzer Körper bebte vor Wut und Enttäuschung, und er strafte seinen Gegenüber mit einem tödlichen Blick. "Das war meilenweit unter der Gürtellinie, Kaoru. Meilenweit." erwiderte er mit leiser Stimme, und hätte der Ältere bis dahin noch nicht gemerkt, dass er seinen Freund gerade zutiefst verletzt hatte, so wäre es ihm spätestens bei diesem Satz bewusst geworden, da Kyo ihn nur Kaoru nannte, wenn er wirklich, wirklich sauer auf ihn war. Doch er hatte es gemerkt, hatte es schon gewusst noch bevor die Worte überhaupt verklungen waren, und es tat ihm auch ehrlich leid, Kyo so unfair behandelt zu haben. Doch ihm war auch klar, dass eine Entschuldigung jetzt nichts bringen, sondern nur auf taube Ohren stoßen würde, und der Gitarrist bezweifelte, dass er im Moment überhaupt zu einer Entschuldigung in der Lage war. Denn auch er war wütend, nur wusste er im Gegensatz zu Kyo nicht genau, auf wen. Daher hielt er den Jüngeren auch nicht auf, als dieser schließlich wortlos auf dem Absatz kehrt machte und aus ihrer Wohnung verschwand, sondern ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken und atmete tief durch. Und sobald er sich wieder einigermaßen gefasst hatte, rief er Toshiya zurück und hörte sich dessen Liebeskummer an, anstatt sich um seine eigenen Beziehungsprobleme zu kümmern. Anm.: Oh krass, ich hab es tatsächlich geschafft. Ö_Ö Ich war schon fest davon überzeugt, das Kapitel nicht rechtzeitig fertig zu bekommen, aber dann ging es plötzlich doch wieder mit dem Schreiben! *freu* Und es ist auch nicht so schlecht geworden, wie ich befürchtet hatte~ Heute (18.11.) kommt nämlich die neue Single von kannivalism (Ryo's Band) raus, die nach einer ziemlich langen Pause endlich wieder zurück sind, und aus diesem Anlass wollte ich das neue Kapitel heute hochladen. Und das letzte Kapitel ist ja auch schon fast genau 1 Jahr her... *schäm* Sorry, Leute!! Ach ja, und wer die Takeshita-dōri nicht kennt: http://en.wikipedia.org/wiki/Takeshita_Street (die ist voll toll ^_^ ... und voll eng >_>) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)