Zum Inhalt der Seite

Brothers

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen, ihr Lieben!

Neuer Sonntag, neues Kapitel.
:)

Solange ich noch welche vorgeschrieben habe, werde ich versuchen, das so beizubehalten. Versprechen kann ich allerdings nichts, also lasst euch überraschen.

Heute gibt's mal wieder ein bisschen Seto für euch. Ich hoffe, ihr werdet es mögen - soweit das beim derzeitigen Thema möglich ist.

Wie üblich für Aschra, einfach weil.
:D

Viel Spaß beim Lesen!

Karma
Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Monday, Monday

Pünktlich um sechs Uhr piepste auch an diesem Montagmorgen Setos Wecker. Dieses Mal jedoch fiel es ihm, anders als üblich, ungemein schwer, seine Augen zu öffnen. Er fühlte sich komplett gerädert. Und als alles, was am Vortag geschehen war, wieder über ihn hereinbrach, kaum dass er halbwegs wach war, konnte er sich nur mit Mühe ein Ächzen verkneifen. Wie mag es Ryuuji wohl gehen?, war sein erster, wirklich zusammenhängender Gedanke, doch diesen schob er schnell wieder beiseite. Es brachte ja nichts, sich jetzt gleich wieder Sorgen zu machen. Ob es ihnen gefiel oder nicht, sie würden wohl oder übel abwarten müssen, bis Ryuuji sich meldete und ihnen mitteilte, wann er wieder nach Hause kommen würde.
 

"Mach doch mal endlich diesen infernalischen Lärm aus", nuschelte es von der anderen Seite des Bettes und Mokuba, den Setos Höllengerät von einem Wecker ebenfalls aus dem Schlaf gerissen hatte, warf sich die Bettdecke so weit über den Kopf, dass nur noch ein paar schwarze Strähnen hervorlugten. Seto kam der Aufforderung seines Bruders nach, zog diesem aber trotz seines Murrens die Bettdecke weg, ohne sich an dem bösen Blick zu stören, den er dafür erntete.
 

"Schule", wurde Mokuba der brutale Entzug seiner Wärmequelle erklärt, aber noch ehe er sich darüber beschweren konnte, fiel auch ihm wieder ein, warum er die vergangene Nacht im Bett seines großen Bruders verbracht hatte. Schlagartig war er ein bisschen zu wach und schoss förmlich in eine aufrechte Position. Aus großen Augen starrte er seinen großen Bruder an. In seinem Hals saß ein dicker Kloß fest, den er erst nach mehrmaligem Räuspern wieder herunterschlucken konnte. "Meinst du, es geht Ryuuji gut?", kleidete er seine Sorge in Worte und zog eine Grimasse, als er einfach nur ein Kopfschütteln zur Antwort bekam.
 

"Das glaube ich ehrlich gesagt nicht, otouto", gab Seto zu, seufzte und strich seinem Bruder kurz durch die Haare, ehe er seine Beine aus dem Bett schwang. Ganz egal, wie groß ihre Sorgen auch sein mochten, sie hatten ihre eigenen Pflichten, die es zu erfüllen galt. Und, sinnierte Seto, wenn Ryuuji erst einmal wieder da war, dann würde er definitiv die Hausaufgaben und auch sämtliche anderen Unterlagen, die sie während seines Fehlens bekommen würden, brauchen. Also stand für ihn absolut außer Frage, dass er zur Schule gehen und diese Unterlagen für seinen Stiefbruder organisieren würde. Das war das Mindeste, was er für Ryuuji tun konnte. Es war zwar bei weitem nicht das, was er wirklich tun wollte, aber da das ohnehin nicht zur Debatte stand, verbot Seto sich jeden weiteren Gedanken daran.
 

"Du hast ja Recht, Nii-san." Mokuba seufzte ebenfalls abgrundtief, ehe er auch aus dem gemütlichen Bett seines Bruders aufstand. "Wir sehen uns gleich beim Frühstück", murmelte er, wartete noch kurz Setos Nicken ab und machte sich dann auf den Weg in sein eigenes Zimmer, um zu duschen und sich seine Schuluniform anzuziehen. Sich vor dem Tag drücken zu wollen brachte ja doch nichts.
 

Seto tat es ihm gleich, verschwand in seinem Badezimmer und erschien gute zwanzig Minuten später fix und fertig angezogen im Esszimmer, wo ihn zu seiner Überraschung sein Vater und seine Stiefmutter bereits erwarteten. Gut, mit Yukikos Anwesenheit hatte er fast schon gerechnet, aber dass sein Vater noch da war, hatte an einem Montagmorgen eigentlich Seltenheitswert. Aber nach gestern ist das vielleicht auch verständlich, dachte Seto bei sich, begrüßte die beiden knapp und setzte sich auf seinen Platz. Mokuba erschien nur wenige Minuten später, wagte ein schwaches Lächeln in Yukikos Richtung und setzte sich dann ebenfalls.
 

Das Frühstück verlief schweigend. Alle Vier hingen ihren eigenen Gedanken nach. Selbst Mokuba, der sonst, wenn er erst mal wach war, eigentlich meistens fröhlich vor sich hin plapperte, stand an diesem Morgen ganz und gar nicht der Sinn nach Konversation. Er hätte auch, wenn er ehrlich war, gar nicht gewusst, was er sagen sollte. So war er regelrecht erleichtert, als Isono auftauchte und somit klar war, dass es höchste Zeit war, zur Schule zu fahren.
 

"Ich werde diese Woche ab nachmittags von zu Hause aus arbeiten", überraschte Gozaburo seine beiden Söhne, als diese sich gerade gemeinsam mit Isono auf den Schulweg machen wollten. Mokuba war reichlich verdattert, nickte aber nur zum Zeichen, dass er verstanden hatte, was sein Vater ihm damit sagen wollte. Offensichtlich wollte er da sein, falls einer von ihnen – Yukiko, Seto, er oder, wenn er erst mal wieder da war, auch Ryuuji – ihn brauchen sollte.
 

Auch Seto nahm die Information, die ihr Vater ihnen zukommen ließ, schweigend, aber dennoch mit einem schmalen Lächeln zur Kenntnis. "Wir sollten langsam los", murmelte er, nickte seinem Vater und Yukiko noch einmal kurz zu und machte sich dann gemeinsam mit Mokuba auf den Weg zur Limousine. Anstatt wie in der letzten Zeit zu Fuß zur Schule zu gehen, instruierte der Fünfzehnjährige Isono beim Einsteigen, ihn bei den Mutos abzusetzen. Er wollte, hatte er beschlossen, im Moment lieber noch nicht mit seinen Gedanken alleine sein. Und Seto hatte Yami doch in letzter Zeit ohnehin ständig abgeholt, also würde er das heute sicher auch tun.
 

Die Fahrt zum Haus der Familie Muto verging ebenso schweigend wie das Frühstück. Seto wusste nicht, wie er seinen kleinen Bruder aufmuntern oder von seinen Sorgen befreien sollte, also unterließ er sämtliche Versuche. Er war selbst einfach zu besorgt, zu sehr in seine eigenen Gedanken verstrickt, so dass er hoffte, Yuugi und Ryou mochten das schaffen, was ihm selbst nicht gelingen wollte, nämlich Mokuba von allem, was in den letzten Tagen auf ihn eingestürzt war, abzulenken.
 

Kaum dass Isono den Wagen zum Stehen gebracht hatte, riss Mokuba auch schon die hintere Tür der Limousine auf, ohne darauf zu warten, dass Isono das wie üblich für ihn erledigte. "Bis nachher, Seto", verabschiedete er sich von seinem Bruder, versuchte sich probehalber an einem Lächeln und merkte schnell, dass ihm das nicht gelingen würde. Allerdings nahm Seto ihm das offenbar keinesfalls übel. "Bis nachher, otouto", erwiderte er einfach nur leise die Verabschiedung und beobachtete, wie Mokuba auf Yuugi, der gerade gemeinsam mit seinem eigenen Bruder das Haus verließ, zutrat. Einen kurzen Wortwechsel mit Yami später machten sich die beiden Fünfzehnjährigen auf den Weg, um den Dritten in ihrem Bunde abzuholen, während Yami seinerseits mit einem sehr breiten Grinsen in die wartende Limousine kletterte.
 

"Guten Morgen, Seto." Yami konnte einfach nichts gegen seine gute Laune tun. Yuugi war heute schon eine gute Stunde vor ihrer eigentlichen Frühstückszeit förmlich aus seinem Bett geschossen und hatte ihn geweckt, so dass sie beide genug Zeit gehabt hatten, erst einmal ihre Mutter mit Frühstück zu überraschen, ehe sie sich ganz in Ruhe fertig gemacht hatten für den vor ihnen liegenden Tag. Yami wusste nur zu genau, warum sein kleiner Bruder so hibbelig war, aber er hatte sich tatsächlich an seinen Vorsatz vom letzten Abend gehalten und Yuugi nicht damit aufgezogen. Leicht war das nicht gewesen, aber irgendwie hatte er es doch geschafft.
 

"Läuft Otogi heute auch wieder zur Schule?" Die Frage seines besten Freundes entlockte Seto ein Kopfschütteln, das Yami mit einem fragenden Blick quittierte. Und als er die Begründung dafür hörte, warum Setos Stiefbruder auch heute nicht mit ihnen in der Limousine saß, obwohl sogar Mokuba mitgefahren war, erhielt seine gute Stimmung einen ordentlichen Dämpfer. "Otogi ist im Moment in den Staaten. Er hat gestern erfahren, dass sein Vater verstorben ist. Heute im Laufe des Tages ist irgendwann die Beisetzung", ließ Seto ihn wissen und Yami starrte ihn aus großen Augen an.
 

"Oh scheiße!", war das Erste, was er über die Lippen brachte. Und obwohl Seto solche Ausdrücke eigentlich ganz und gar nicht schätzte, wies er seinen besten Freund dieses Mal nicht für seine Wortwahl zurecht, sondern nickte einfach nur. "Das kannst du laut sagen", stimmte er ihm sogar zu und schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln. Erst dann blickte er Yami wieder an. "Vater hat ihn mit der Privatmaschine nach San Francisco fliegen lassen. Wenn du ihn gestern gesehen hättest, Yami …" Allein die Erinnerung an das Entsetzen in den faszinierenden grünen Katzenaugen seines Stiefbruders schnürte Seto die Kehle zu. "Er ist jetzt ganz alleine", murmelte er leise und blinzelte im nächsten Moment überrascht, denn Yami beugte sich etwas nach vorn und legte beide Hände auf seine Knie, um ihn besser ansehen zu können.
 

"Das hat sicher viele Erinnerungen geweckt", vermutete er leise und sanft. Seto nickte und erlaubte sich ein Seufzen. "Auch, ja", gab er zu. Aber das war bei weitem nicht sein Hauptproblem. Sicher, er hatte am vergangen Tag auch immer wieder an seine Mutter denken müssen, aber dieses Mal hatte nicht der Schmerz über ihren Verlust im Vordergrund gestanden, sondern seine Sorgen um seinen Stiefbruder. Zu wissen, dass Ryuuji jetzt gerade ganz alleine war, dass niemand bei ihm war, der ihm zur Seite stand, beschäftigte Seto weit mehr als seine Erinnerungen an seinen eigenen Verlust.
 

"Aber das ist es nicht, Yami. Ich …", fing Seto an, brach jedoch ab, als sein bester Freund einfach nur nickte. "Du machst dir Sorgen um Otogi", sprach er das aus, was Seto beschäftigte, und dieser nickte langsam. "Er ist ganz alleine", wiederholte er, was es war, was ihn so beschäftigte, und wieder nickte Yami verstehend. Eine Weile schwiegen beide, dann seufzte Seto erneut. "Ich habe ihm gestern versprechen müssen, dass ich Jounouchi heute darüber informiere, was passiert ist", teilte er Yami mit und dieser strich ihm kurz tröstend übers Knie, ehe er sich wieder zurücklehnte.
 

"Dann solltest du das besser direkt hinter dich bringen, wenn wir da sind", erwiderte er und verkniff sich ein eigenes Seufzen. "Jounouchi wird nicht sehr begeistert darüber sein, wenn er das ausgerechnet von dir erfährt", vermutete er sicher nicht zu Unrecht. Höchstwahrscheinlich würde der temperamentvolle Blondschopf komplett ausrasten. Immerhin war Otogi Jounouchis bester Freund und Seto … nun, mit Seto hatte er sich noch nie verstanden. Die beiden rasselten schon seit dem Beginn ihrer gemeinsamen Schulzeit mehr oder weniger regelmäßig aneinander und schaukelten sich oftmals wegen Kleinigkeiten unnötig weit hoch. Yami selbst hatte schon mehrmals schlichtend eingreifen müssen um zu verhindern, dass die Streitigkeiten zwischen den beiden eskalierten. Das kann ja heiter werden!
 

"Vermutlich", gab Seto seinem besten Freund Recht und wandte seinen Blick aus dem Fenster. Egal, wie groß seine eigene Abneigung gegen die blonde Pest auch war, er hatte Ryuuji sein Wort gegeben und er würde es auch unter allen Umständen halten. Darüber, wie Jounouchi wohl reagieren würde, wenn er diese Botschaft ausgerechnet von ihm bekam, wollte Seto im Augenblick jedoch nicht nachdenken. Er würde, nahm er sich fest vor, sich zusammenreißen und zumindest versuchen, wenigstens dieses eine Mal nicht mit dem Köter zu streiten. Ob sein Vorsatz allerdings die leibhaftige Begegnung mit Jounouchi überleben würde, blieb abzuwarten.
 

oOo
 

"Mir ist gestern was total Irres passiert!" Yuugi zog Mokuba, kaum dass dieser aus der kaibaschen Limousine gestiegen war und seinen großen Bruder kurz begrüßt hatte, auch schon mit sich. Eigentlich hatte er ja warten wollen, bis sie auch Ryou abgeholt hatten, aber er schaffte es einfach nicht, das Geschehene noch länger für sich zu behalten. Stattdessen platzten die Worte noch auf dem Weg zu dem Haus, in dem ihr weißhaariger Freund wohnte, förmlich aus ihm heraus. "Ich war gestern bei meinem Opa, weil Yami ins Museum wollte, aber Opa brauchte seine Medikamente, also bin ich alleine zu ihm gegangen und da … Mokuba, hörst du mir überhaupt zu?"
 

"Hm?", blinzelte der Angesprochene und schüttelte dann seufzend den Kopf auf die Frage seines Freundes. "Nicht wirklich. Sorry, Yuugi", entschuldigte er sich und zog eine Grimasse. "Es ist bloß … Ryuuji ist gestern zurückgeflogen, weil … weil sein Vater gestorben ist. Heute ist die Beerdigung", rang er sich dann mühsam eine Erklärung ab und Yuugi, der eigentlich gerade bei Ryou, vor dessen Haus sie inzwischen angekommen waren, hatte klingeln wollen, fuhr augenblicklich wieder zu seinem schwarzhaarigen Freund herum. "Was?!", fragte er, seine Stimme ungewohnt hoch und piepsig vor Schock. "A-Aber …"
 

Weiter kam Yuugi nicht, da sich Ryou genau diesen Moment aussuchte, um die Tür zu öffnen und beinahe in den wie erstarrt vor der Tür stehenden Bunthaarigen hineinzulaufen. "Entschuldige, Yuugi", nuschelte er leise, doch der Angesprochene ging gar nicht darauf ein. Stattdessen packte er Ryou einfach nur am Ärmel seiner Schuluniformjacke und zog ihn kommentarlos in eine Umarmung für Mokuba, die dieser mit einem zittrigen Seufzen und geschlossenen Augen über sich ergehen ließ. Auf keinen Fall wollte er jetzt schon wieder heulen, aber sich auch wirklich an diesen Vorsatz zu halten war gar nicht so einfach.
 

"Yuugi, was …?", fragte Ryou verwirrt, aber es dauerte fast eine Minute, bis er eine Antwort bekam. "Ryuujis Vater ist tot", schockte Yuugi seinen weißhaarigen Freund ebenso, wie Mokuba es vorher bei ihm getan hatte. Zeitgleich festigte sich sein Griff um Mokuba und auch Ryou drückte den Schwarzhaarigen noch ein bisschen fester, als er begriff, was Yuugi da gesagt hatte. "Das ist ja furchtbar!", murmelte er und Mokuba schluckte hart, ehe er seine Augen doch wieder öffnete.
 

"Er hat es gestern Morgen beim Frühstück erfahren und ist direkt wieder in die Staaten geflogen. Und jetzt ist er ganz alleine da drüben und wir haben keine Ahnung, wie es ihm geht. Er wollte nicht mal, dass seine Mutter mitfliegt. Er meinte, sie würde hier gebraucht", erzählte er leise und wischte sich hektisch über die Augen. Nicht heulen. Nicht schon wieder, ermahnte er sich selbst, aber das auch wirklich nicht zu tun wurde mit jeder verstreichenden Sekunde schwerer und schwerer.
 

Ryou, der ganz genau wusste, wie sensibel Mokuba sein konnte, wenn ihm etwas nahe ging, musste mehrmals blinzeln, um seine eigene Sicht wieder zu klären. "Das tut mir so leid für Ryuuji, Mokuba", sagte er dann leise und strich dem Schwarzhaarigen sanft über die Wange, zog seine Finger aber gleich wieder zurück, als Mokuba ihn dafür kläglich anlächelte. "Danke, Ryou", murmelte er und Ryou spürte, wie seine Wangen heiß wurden, aber er schob sämtliche Gedanken an das, was er selbst Mokuba am Freitag gestanden hatte, erst mal beiseite.
 

Es war ja wohl vollkommen logisch, dass Mokuba im Moment ganz und gar nicht in der Stimmung dafür war, darüber nachzudenken, was dieses Geständnis für sie beide bedeutete, wenn er erst am Vortag so etwas erfahren hatte. Aber, ermahnte Ryou sich selbst, er konnte warten. Er war schon immer ein äußerst geduldiger Mensch gewesen. Jetzt würde er sich erst mal gemeinsam mit Yuugi um Mokuba kümmern. Darüber, wie es nach seinem Geständnis mit ihnen beiden weitergehen würde, konnten sie immer noch in Ruhe sprechen, wenn Ryuuji erst mal wieder zu Hause war und Mokuba sich seinetwegen keine Sorgen mehr machen musste.
 

"Wir sollten zur Schule gehen", bemühte Ryou sich um Ablenkung und wieder seufzte Mokuba, ehe er sich aus der ungemein tröstenden Umarmung seiner beiden Freunde löste. "Du hast Recht." Davon, dass sie hier auf der Straße herumstanden, würde es Ryuuji auch nicht besser gehen. Sie konnten, wie Seto ja schon so richtig festgestellt hatte, nur abwarten, bis er wieder zurück nach Hause kam, und sich dann gemeinsam als Familie um ihn kümmern. Ganz sicher würde er das brauchen, wenn er erst mal wieder da war.
 

Schweigend traten die drei Fünfzehnjährigen ihren Schulweg an. Innerlich schalt Mokuba sich dafür, dass er sich nicht besser im Griff gehabt hatte. Eigentlich hatte er seinen beiden besten Freunden ganz sicher nicht so die Stimmung verhageln wollen, aber das hatte er ja wohl doch geschafft. Ich bin doch so ein dämlicher Blödmann!, grummelte Mokuba innerlich und verkniff sich mit etwas Mühe ein Seufzen. Die besorgten Blicke, die ihm von beiden Seiten – Ryou und Yuugi hatten ihn in ihre Mitte genommen – zugeworfen wurden, machten es irgendwie auch nicht besser.
 

"Wolltest du mir nicht vorhin irgendwas erzählen, Yuugi?", wandte Mokuba sich schließlich nach mehreren Minuten des Schweigens an den kleineren seiner beiden Freunde und sah ihn fragend an. "Irgendwas mit deinem Opa, oder?" So viel hatte er dann doch noch mitbekommen, auch wenn außer der Erwähnung von Yuugis Großvater nicht wirklich etwas von dem, was Yuugi gesagt hatte, hängen geblieben war. Allerdings schien es wichtig gewesen zu sein, denn Yuugi war reichlich aufgedreht gewesen, das wusste Mokuba noch.
 

Yuugi zog eine Grimasse. "Ja, wollte ich. Eigentlich wollte ich euch beiden was erzählen", beantwortete er die Frage und zupfte nachdenklich an einer seiner blonden Ponysträhnen. "Aber jetzt … Ich weiß nicht, ob das wirklich angebracht ist", murmelte er zweifelnd, doch Mokuba schüttelte den Kopf. "Doch, ist es. Wenn's dir wichtig ist, dann ist es das auch für uns. Ich meine … Für Ryuuji können wir im Moment eh nichts tun. Nicht, solange wir nicht wissen, wann er wieder nach Hause kommt."
 

Sobald sein Stiefbruder wieder da war, würde er alles in seiner Macht stehende tun, um ihn zu trösten, das stand für Mokuba unumstößlich fest. Aber fürs Erste hatte er wirklich genug geheult. Wenn es etwas gab, was Yuugi beschäftigte, dann wollte er als einer von Yuugis besten Freunden natürlich davon wissen. Und wenn er ihn irgendwie unterstützen konnte, dann, das nahm Mokuba sich fest vor, würde er es auch tun.
 

Ryou, der seinem schwarzhaarigen Freund seine Gedankengänge praktisch an der Stirn ablesen konnte, lächelte ganz leicht. Genau das war einer der Gründe – einer von vielen, vielen Gründen –, warum er sich in Mokuba verliebt hatte. Mokuba war einfach ein toller Mensch, der für diejenigen, die ihm wichtig waren, alles tun würde. Wie hätte er sich da nicht in Mokuba verlieben können? Allerdings waren diese Gedanken im Moment ganz und gar nicht hilfreich, also schüttelte Ryou sie schnell wieder ab.
 

"O-Okay", stammelte Yuugi und versuchte, seine plötzlich wieder aufflammende Nervosität mit mehreren tiefen Atemzügen zu beruhigen, aber das wollte ihm einfach nicht gelingen. Aber das war jetzt auch egal, also Augen zu und durch. "Also, ich war gestern bei meinem Opa, weil er seine Medikamente brauchte. Eigentlich wollte ich ja mit Yami ins Museum", warum, das ließ Yuugi für den Moment unter den Tisch fallen; Maliks und Yamis ›Streitereien‹, wenn man diese Kabbeleien denn überhaupt so nennen konnte, gehörten hier nicht her, "aber die Medikamente waren wichtig. Yami ist also alleine ins Museum gegangen", und hatte, zumindest laut seiner eigenen Aussage, einen tollen Tag dort gehabt, "und ich war dann bei Opa. Und Opa hatte Besuch von Hopkins-san und R-Rebecca." Yuugi stolperte ein wenig über den Namen und konnte förmlich fühlen, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Oh nein!, dachte er bei sich und versuchte, sich mit dem Weitersprechen zu beeilen. Er wollte jetzt definitiv keine Fragen zu seiner schicken neuen Gesichtsfarbe beantworten.
 

"Rebecca?", kam Mokubas interessierte Frage Yuugis Plan, einfach weiterzureden, jedoch zuvor. Yuugi hatte Ryou und ihm früher schon öfter mal von der Enkelin eines ehemaligen Arbeitskollegen seines Großvaters erzählt. Und Fotos hatte er ihnen auch gezeigt, aber die waren alle schon ziemlich alt gewesen. Wenn er sich recht erinnerte, dann müsste Rebecca jetzt ungefähr in ihrem Alter sein. "J-Ja", bestätigte Yuugi leise und der seltsam zögerliche Tonfall in Verbindung mit Yuugis knallrotem Gesicht war so eindeutig, dass Mokuba Mühe hatte, nicht breit zu grinsen. "Und, wie war's, sie nach so langer Zeit wiederzusehen?", erkundigte er sich stattdessen und während Yuugi verlegen auf seine Schuhspitzen starrte und nach einer Antwort suchte, stieß Mokuba Ryou den Ellbogen in die Seite und zwinkerte ihm zu.
 

Ryous Herz stolperte ein wenig, aber er zwinkerte dennoch zurück. Auch für ihn war nicht zu übersehen, dass Yuugi sich offensichtlich Hals über Kopf in seine Kindheitsfreundin verknallt hatte, als er sie nach so vielen Jahren so plötzlich wiedergetroffen hatte. Aber er würde, beschloss er, schön brav den Mund halten. Yuugi schien auch so schon hibbelig genug zu sein; zusätzliches Triezen konnte er sicher nicht gebrauchen. Außerdem wusste Ryou ja aus eigener Erfahrung nur zu gut, wie es sich anfühlte, verliebt zu sein und nicht zu wissen, wie es weitergehen würde. Aber das war definitiv kein Thema, das er jetzt erörtern wollte, also schwieg er einfach nur und wartete darauf, dass Yuugi genug Mut zum Weitersprechen fand.
 

"E-Es war … nett." Gut, eigentlich war es sehr viel mehr als nur nett gewesen – wunderschön, aufregend, verwirrend und noch tausend Dinge mehr –, aber das, beschloss Yuugi, würde er lieber für sich behalten. Der kurze Blickwechsel seiner beiden Freunde war ihm nämlich keinesfalls entgangen und er wollte ganz sicher nicht noch Öl in das Feuer ihrer Spekulationen gießen. Er war ja schon froh gewesen, dass sein großer Bruder ihn weder am Vorabend noch heute in irgendeiner Form mit dieser ganzen Sache aufgezogen hatte. Inzwischen hatte Yuugi nämlich zumindest eine ungefähre Ahnung, was genau mit ihm los war. Aber das zu ahnen und es von jemand anderem aufs Butterbrot geschmiert zu bekommen waren zwei Paar Schuhe.
 

"Wir waren in der Arkade und haben ein bisschen gespielt. Sie ist ziemlich gut, aber ich hab trotzdem gewonnen." Was, so im Nachhinein betrachtet, vielleicht doch nicht so gut gewesen war. Hätte er sie eventuell auch mal gewinnen lassen sollen? Danach hatte Yuugi seinen Bruder eigentlich noch fragen wollen, aber über seine Nervosität und die Frühstücksvorbereitungen hatte er es völlig vergessen. Und da er sich direkt nach der Schule mit Rebecca verabredet hatte, würde er sich wohl erst am Abend Yamis Rat holen können. So ein Mist aber auch!
 

"Und sie meinte, dass sie auch mal gewinnen möchte, also ha-haben wir uns für heute Nachmittag wieder verabredet und ich h-hab ihr versprochen, dass ich ihr ein paar von Yamis Tricks beibringe", brachte Yuugi etwas atemlos auch noch den Rest dessen, was am Vortag passiert war, hervor. Noch immer war sein Gesicht glühend rot und er wagte nicht so recht, seine beiden besten Freunde anzusehen. Er war sich ziemlich sicher, dass sie wussten, was mit ihm los war, aber er wollte die Bestätigung für seine Vermutung lieber nicht in ihren Gesichtern sehen. Das alles war auch so schon nervenaufreibend genug.
 

"Ein Mädchen, das Arcade Games mag?", erkundigte Mokuba sich verwundert, aber das Amüsement konnte er nicht so ganz aus seiner Stimme verbannen. Aber es war auch einfach zu putzig, wie Yuugi alles Mögliche versuchte, um Ryous und seinen Blicken auszuweichen. Spätestens jetzt war eindeutig klar, was mit Yuugi los war. Er war definitiv, absolut und hundertprozentig verknallt. Bis über beide Ohren.
 

"Vielleicht sollten wir mal alle zusammen in die Arkade gehen. Also Ryou, du, Rebecca und ich", schlug Mokuba vor und nun war er es, der von Ryou einen Rippenstoß kassierte. "Aber nicht unbedingt heute", mischte sich der Weißhaarige ein, nachdem er Mokuba einen strafenden Blick zugeworfen hatte. "Vielleicht irgendwann im Laufe der Woche, wenn sie Lust hat und noch so lange da ist. Oh, wie lange bleibt sie eigentlich?", erkundigte er sich dann in dem Bemühen, Yuugi ein bisschen von seiner Nervosität zu nehmen.
 

"Ihr Opa und sie bleiben zwei Wochen bei meinem Opa", ging Yuugi voller Erleichterung auf die Ablenkung ein. "Und ich kann sie ja nachher mal fragen, ob es sie stört, wenn wir mal zu viert was unternehmen." Was, dachte Yuugi mit wild klopfendem Herzen, ja fast so etwas wie ein Doppel-Date wäre. Vielleicht gar keine so schlechte Idee. Wenn er sich dann einfach bloß darauf konzentrierte, Ryou und Mokuba auf die Sprünge zu helfen – natürlich subtil, damit weder die beiden noch Rebecca etwas davon merkten; immerhin wusste er ja nicht, was sie davon halten würde, wenn er versuchte, zwei seiner Freunde miteinander zu verkuppeln –, dann wäre er sicher nicht mehr so schrecklich nervös wegen Rebecca. Doch, das klang eindeutig wie ein guter Plan.
 

Auch Mokuba war die Ablenkung mehr als nur recht, deshalb nickte er gleich voller Enthusiasmus. "Mach das. Frag sie und dann sag uns morgen Bescheid, okay?", schlug er vor und hakte sich bei seinen beiden Freunden ein, nachdem Yuugi genickt hatte. Und jetzt, wo sie etwas anderes zu besprechen hatten als das, was er selbst am Vortag erfahren hatte, stürzte Mokuba sich Hals über Kopf in die Ablenkung, die ihm so geboten wurde. Ganz sicher würde er sich nicht jeden Tag mit Ryou, Yuugi und seiner Rebecca treffen, aber hin und wieder ein bisschen rauskommen würde ihm bestimmt gut tun. Und wenn seine eigene Stimmung gefestigt wäre, könnte er sicher auch besser für Ryuuji da sein, wenn der erst mal wieder zu Hause war.
 

Ryou kicherte leise über den Enthusiasmus, den Mokuba und auch Yuugi an den Tag legten, ließ sich aber dennoch davon anstecken. Ihm war klar, dass gerade Mokuba sich eigentlich nur ablenken wollte, aber das war ihm egal. Und wenn er dabei behilflich sein konnte, dann würde er das selbstverständlich auch tun. Er würde beiden, Yuugi und Mokuba, unter die Arme greifen, so weit es in seiner Macht stand. Dafür waren Freunde doch schließlich da, nicht wahr?
 

oOo
 

Das Halten der Limousine riss Seto wieder aus seinen Gedanken, mit denen sein bester Freund ihn dankenswerterweise den Rest der Fahrt allein gelassen hatte. Während der letzten Minuten hatte er permanent darüber nachgegrübelt, wie genau er Jounouchi wohl erklären sollte, was vorgefallen war, ohne dass der Blondschopf – wieder einmal – vollkommen ausrastete, aber bisher war er zu keinem vernünftigen Ergebnis gekommen. Am besten wird wohl sein, wenn ich es einfach nur irgendwie hinter mich bringe, sinnierte Seto mit einem innerlichen Seufzen und stieg gemeinsam mit Yami aus der Limousine, sobald Isono die Tür für sie beide geöffnet hatte.
 

Isonos Verabschiedung erwiderte Seto nur ausgesprochen knapp, denn kaum dass er ausgestiegen war, hatte er auch schon den unordentlichen blonden Schopf seines persönlichen Albtraums auf dem Schulhof erblickt. "Auf in den Kampf", kommentierte er das vor ihm liegende Gespräch und obwohl es in der Situation eigentlich ganz und gar nicht angebracht war, schmunzelte Yami bei diesen Worten trotzdem leicht. "Ist das bei euch beiden nicht irgendwie immer ein Kampf, wenn ihr miteinander zu tun habt?", fragte er mit deutlich hörbarem Amüsement zurück und Seto zog eine Grimasse, die nur sehr entfernt Ähnlichkeit mit einem freudlosen Grinsen hatte.
 

"Bleibt nur zu hoffen, dass er nicht wirklich meint, handgreiflich werden zu müssen." Zuzutrauen wäre es Jonouchi ohne Zweifel. Der Blondschopf war nicht unbedingt dafür bekannt, ruhig und besonnen zu sein. Und er hatte, wie Seto sehr wohl wusste, gerade zu Beginn ihrer Schulzeit des Öfteren seine Probleme mit den Fäusten zu lösen versucht. Nur mit ihm selbst, sinnierte Seto, hatte der Köter sich bisher nie geprügelt – und das, obwohl er oft genug ausgesehen hatte, als würde er das nur zu gerne tun. Allerdings schien er wohl zumindest einen winzigen Funken gesunden Menschenverstand zu besitzen, der ihn davor gewarnt hatte, dass er sich da möglicherweise übernehmen könnte. Ja, sicher, rein in Bezug auf seine Erfahrung war der Blonde ihm, Seto, weit voraus, aber das bedeutete ja nicht, dass er sich nicht zur Wehr zu setzen wusste. Darauf hatte sein Vater immerhin Wert gelegt; sowohl Mokuba als auch er selbst waren von Kindheit an darin unterrichtet worden, wie sie sich selbst verteidigen konnten. Man konnte schließlich nicht vorsichtig genug sein.
 

Unwillig diese Gedankengänge abschüttelnd machte Seto sich gemeinsam mit seinem besten Freund, der ihm scheinbar Rückendeckung geben wollte, auf den Weg zu der Bank, wo Jounouchi und Kinoshita bereits gemeinsam saßen. Der Weißhaarige bemerkte die Ankommenden zuerst und Seto sah überdeutlich, wie die dunklen Augen sich erst kurz vor Überraschung weiteten, ehe sie schmal wurden. Kinoshitas ganze Mimik drückte überdeutlich Misstrauen aus – immerhin hatten sie eigentlich nichts miteinander zu tun –, aber darauf ging Seto nicht ein. Er war nicht hier, um mit Kinoshita zu sprechen, sondern weil er Ryuuji versprochen hatte, Jounouchi über die Geschehnisse des Vortages in Kenntnis zu setzen. Und genau das würde er auch tun, nicht mehr und nicht weniger.
 

Ein Ellbogen, der ihm in die Seite gerammt wurde, brachte Katsuya dazu, aufzusehen. Als er sich jedoch statt mit seinem besten Freund ausgerechnet mit dem Eisklotz Kaiba und dessen Anhängsel Muto konfrontiert sah, kniff auch er skeptisch die Augen zusammen. "Was verschafft uns denn diese unverhoffte Ehre?", spottete er, aber zu seiner Überraschung ging sein brünetter Klassenkamerad nicht wie sonst auf diese Provokation ein.
 

Okay, irgendwas stimmt hier nicht. Wenn Kaiba nicht hergekommen war, um sich mit ihm zu streiten, was machte er dann hier? Und wo in aller Welt steckte eigentlich Ryuuji? Ob er wieder gelaufen war, um nicht mit Kaiba gemeinsam in der Bonzenkarre fahren zu müssen? Aber selbst wenn dem so war, dann hätte der Schwarzhaarige trotzdem längst da sein müssen. Irgendwas war hier definitiv faul, das war absolut offensichtlich.
 

Ehe der Blondschopf jedoch dazu kam, eine in diese Richtung gehende Frage zu stellen, bekam er auch schon die Antwort für diese Seltsamkeit geliefert, die hier passierte. "Otogi bat mich gestern, dir etwas auszurichten", begann der wandelnde Eisberg mit seiner Erklärung und Katsuya warf ihm einen skeptischen Blick zu. Nach allem, was Ryuuji ihm von seinen Gefühlen für den arroganten Saftsack erzählt hatte, konnte er sich nicht vorstellen, dass das die Wahrheit sein sollte. Warum sollte Ryuuji ausgerechnet Kaiba bitten, ihm irgendwelche Botschaften zu übermitteln? Das war ja wohl vollkommen lachhaft!
 

"Und das wäre? Spuck's schon aus, Kaiba!", verlangte der Blondschopf und Seto biss für einen Moment seine Zähne ganz fest zusammen. Der Drang, den Köter einfach hier sitzen zu lassen, war beinahe übermächtig, aber er hatte nun mal sein Wort gegeben. Und dieses Wort würde er halten – ganz egal, wie sehr es ihm persönlich auch gegen den Strich gehen mochte, sich mit der blonden Pest abgeben zu müssen. Die Erinnerung daran, was Ryuuji ihm erst am Donnerstagabend während ihres Streits über Jounouchi und sich selbst verraten hatte, machte es auch nicht unbedingt leichter. Seto konnte deutlich fühlen, wie seine Eifersucht in ihm hochkochte, aber er kämpfte sie entschlossen nieder. Es ging jetzt nicht um ihn und seine Gefühle, sondern einzig und allein um den Gefallen, um den Ryuuji ihn gebeten hatte.
 

Sich das minimale, dankbare Lächeln, das sein Versprechen zur Folge gehabt hatte, in Erinnerung zu rufen war ungemein hilfreich dabei, sich wieder auf seine eigentliche Aufgabe zu konzentrieren. "Otogi ist gestern wieder zurück in die Staaten geflogen. Sein Vater wird heute beigesetzt und er hat mich gebeten, dir auszurichten, dass er einige Tage lang nicht hier sein wird", fasste er also äußerst knapp zusammen, worum sein Stiefbruder ihn gebeten hatte.
 

Den ungläubigen Blick, den Jounouchi ihm zuwarf, hatte er beinahe schon erwartet. "Wenn das ein Scherz sein soll …", setzte der Blondschopf an, verstummte jedoch, als Seto einfach nur den Kopf schüttelte. Dabei fiel es ihm verdammt schwer, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Erwartete der Köter etwa wirklich, dass er mit so einer Nachricht Witze machte? Das war ja wohl die Höhe! Einzig Yamis Hand auf seinem Arm hielt Seto davon ab, dem Kläffer geharnischt seine Meinung zu sagen.
 

"Ist seine Mutter bei ihm?", erkundigte Katsuya sich, nachdem er die Aussage des Brünetten erst mal einigermaßen verdaut hatte. Er wusste ganz genau, wie sehr Ryuuji an seinem Vater gehangen hatte – trotz all der Streitereien und Meinungsverschiedenheiten, die die beiden in den letzten zwei, drei Jahren immer wieder mal gehabt hatten. Trotzdem musste es verdammt hart für Ryuuji sein, dass sein Dad jetzt nicht mehr am Leben war. Katsuya verbot sich jeglichen Gedanken an seine Mutter und seine kleine Schwester, die beide ebenfalls viel zu früh hatten sterben müssen. Er konnte sich mehr als lebhaft vorstellen, wie sein bester Freund sich jetzt fühlen musste: ganz so, als hätte er einen Teil von sich selbst verloren. Hoffentlich konnte seine Mutter ihn wenigstens trösten.
 

"Nein, er ist alleine zurückgeflogen." Kaum dass er diese Worte ausgesprochen hatte, wäre Seto auch schon um ein Haar zurückgestolpert, denn Jounouchi sprang so schnell von der Bank auf, dass er für einen Moment tatsächlich erschrak – eine Reaktion, über die er sich gleich darauf auch schon ärgerte. Aber noch ehe er etwas tun konnte, hatte der Blondschopf ihn auch schon an seiner Schuluniformjacke gepackt und riss ihn daran förmlich zu sich. "Seid ihr eigentlich bescheuert? Ihr könnt ihn doch nicht alleine lassen!", schrie er den Brünetten an und hätte diesen sicherlich ordentlich durchgeschüttelt, wenn Bakura nicht eingegriffen und von dem Anderen weggezogen hätte, ehe er wirklich Schaden anrichten konnte.
 

Katsuya ballte seine Hände zu Fäusten und wehrte sich nach Kräften, aber gegen den schraubstockartigen Griff, mit dem Bakura ihn festhielt, kam er einfach nicht an – was sicher auch besser war, denn sonst hätte er seinen brünetten Klassenkameraden ganz bestimmt geschlagen. Er bebte vor Wut und seine Augen sprühten förmlich Funken. In was für eine kranke Familie hatte Ryuujis Mutter da bloß eingeheiratet, wenn sie ihn in so einer Situation einfach sich selbst überließen? Und warum, verdammt noch mal, hatte Ryuuji ihm nicht Bescheid gesagt? Egal wie, er hätte schon irgendwie die Kohle zusammengekratzt, um mitzufliegen. Scheiß auf die Schule! Wenn sein bester Freund ihn brauchte, dann konnte ihn die Schule mal ganz gepflegt kreuzweise!
 

"Es war sein eigener Wunsch, dass seine Mutter ihn nicht begleiten sollte." Was er selbst von dieser Entscheidung seines Stiefbruders hielt, ließ Seto sich mit keiner Regung anmerken. Es ging den Köter – der eindeutig einen Maulkorb brauchte, wenn man nach seinem aktuellen Verhalten ging – immerhin nicht das Geringste an, dass er selbst sich deswegen auch bereits Vorwürfe machte. Allerdings wäre er selbst wohl der letzte Mensch, den Ryuuji im Augenblick um sich würde haben wollen. Auch wenn ich ganz genau weiß, was er derzeit durchmacht. Aber das gehörte erst recht nicht hierher. Das waren Dinge, die Jounouchi überhaupt nicht zu interessieren hatten.
 

Katsuya kochte vor Zorn. "Ist mir doch scheißegal!", knurrte er Kaiba förmlich an. Hätte Bakura ihn nicht immer noch festgehalten, hätte er sich doch noch auf den Brünetten gestürzt und ihm das Gesicht neu dekoriert. "Ihr könnt doch nicht ernsthaft glauben, dass es gut ist, wenn er jetzt ganz alleine ist! Wie krank seid ihr eigentlich? Ihr habt wohl echt überhaupt keine Gefühle. Eine ganze Familie voller Eisklötze; einer schlimmer als der andere!", tobte er und nun wurde es Seto zu bunt.
 

"Pass auf, was du über meine Familie sagst, Köter!", zischte er gefährlich leise, aber bevor einer der beiden Streitenden noch weiter gehen konnte, klingelte es zum Unterricht. "Komm, Seto, wir sollten reingehen", bemühte Yami sich, seinen besten Freund in das Gebäude hinein zu bugsieren, doch das war alles andere als einfach. Unhörbar seufzend fuhr Yami sich durch die Haare, ehe er sich zwischen Jounouchi und seinen besten Freund schob, dem Blondschopf dabei den Rücken zudrehend. Ein knapper Blick zu Kinoshita hatte ihm klargemacht, dass dieser den Blonden auch weiterhin festhalten würde, auch wenn er noch so sehr tobte, also war er wohl zumindest halbwegs sicher.
 

"Denk daran, dass du für Otogi die Unterlagen sammeln wolltest", erinnerte Yami seinen besten Freund und atmete erleichtert auf, als sich dessen starre Haltung minimal wieder lockerte. Er wusste, mit der Bemerkung über Setos Familie war Jounouchi deutlich unter die Gürtellinie gegangen, aber er selbst konnte dem Blondschopf diese Bemerkung nicht verdenken. Es war offensichtlich, dass er sich wahnsinnige Sorgen um seinen besten Freund machte. Er konnte ja nicht wissen, dass es Seto ganz genauso ging. Und da Seto nicht wollte, dass irgendjemand etwas davon erfuhr, verlor Yami auch kein Wort darüber, sondern fasste seinen besten Freund einfach nur am Arm und zog den widerstrebenden Brünetten mit sich.
 

Yami und Seto hatten die Tür zum Gebäude schon beinahe erreicht, als Kinoshitas Stimme sie beide noch einmal einholte. "Sagt Bescheid, wenn ihr wisst, wann er wieder zurückkommt", verlangte er und als Yami sich kurz zu dem Weißhaarigen umwandte, musste er beinahe gegen seinen Willen grinsen, denn Kinoshita hatte dem noch immer deutlich geladenen Jounouchi eine Hand auf den Mund gelegt, wohl um ihn daran zu hindern, noch mehr Beleidigungen von sich zu geben.
 

Auch Seto drehte sich noch mal kurz um, aber in seiner augenblicklichen Stimmung stand ihm ganz und gar nicht der Sinn danach, einen Kommentar zu Jounouchis momentaner Lage abzugeben, obwohl er sich das unter normalen Umständen ganz sicher nicht hätte verkneifen können. Jetzt jedoch nickte er nur auf die Aufforderung des Weißhaarigen, schwieg aber ansonsten sicherheitshalber lieber. Wenn er jetzt noch etwas sagte, dann würde es unter Garantie ein Unglück geben. Jounouchis Worte hatten ihn tiefer getroffen, als er es auch nur vor sich selbst zugeben wollte, denn die Gewissheit, dass Ryuuji jetzt wirklich ganz alleine mit allem fertigwerden musste, nagte an ihm. Und die Tatsache, dass er selbst wohl kaum eine Hilfe für den Schwarzhaarigen sein konnte, auch wenn er es noch so sehr wollte, machte es auch nicht besser. Ganz im Gegenteil.
 

Bakura wartete erst noch ab, bis Kaiba und Muto das Schulgebäude doch endlich gemeinsam betreten hatten. Erst dann ließ er Katsuya wieder los und sofort fuhr dieser mit noch immer geballten Fäusten zu ihm herum. "Warum hast du mich aufgehalten?", wollte er aufgebracht wissen und knurrte, als Bakura ihn bloß mit einem langen Blick bedachte. "Wie viel Hilfe bist du ihm wohl, wenn du Kaiba jetzt verprügelst? Gar keine. Das hilft ja nicht mal dir selbst." Ja, kurzzeitig mochte es Katsuya vielleicht von dem Frust und der Hilflosigkeit ablenken, die er jetzt gerade fühlte, aber das würde nicht lange vorhalten. Und was dann?
 

Er selbst, sinnierte Bakura, konnte zumindest annähernd nachvollziehen, warum Ryuuji im Augenblick niemanden bei sich haben wollte. Zwar hätte er selbst wohl eher gefeiert, wenn sein Alter ins Gras gebissen hätte, aber das war ja auch etwas vollkommen anderes. Immerhin hatte er seinen Vater noch nie wirklich leiden können, was bei Ryuuji und seinem Vater ja wohl anders war. Aber manche Dinge, das wusste Bakura aus eigener Erfahrung, musste man nun mal erst mit sich selbst ausmachen, bevor man sich mit Anderen auseinandersetzen konnte. Ryuuji würde, wenn er wieder da war, schon früher oder später mit Katsuya darüber reden, wenn er soweit war. Aber jetzt, wo das Ganze noch viel zu frisch war, brauchte er wahrscheinlich erst mal etwas Zeit, um mit sich selbst ins Reine zu kommen und sich mit der Situation abzufinden.
 

"Du kannst immer noch für ihn da sein, wenn er zurückkommt." Bakuras Worte entlockten Katsuya ein weiteres Knurren. "Was weißt du schon?", giftete er, wandte sich ab und wischte sich hektisch über die Augen. Im Gegensatz zu Bakura wusste er ganz genau, wie es sich anfühlte, jemanden zu verlieren, an dem man mit seinem ganzen Herzen gehangen hatte. Er wusste also auch ganz genau, was Ryuuji jetzt gerade durchmachte. Und der Gedanke daran, dass er selbst ihm nicht helfen konnte, weil sie eine halbe Welt voneinander trennte, machte es nur noch schlimmer.
 

Bakura war das Aufblitzen von Tränen in Katsuyas Augen nicht entgangen. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie immer noch mitten auf dem – inzwischen bis auf sie beide vollkommen leeren – Schulhof standen, packte er den Blondschopf daher, drehte ihn wieder zu sich um und zog ihn dann einfach kommentarlos in seine Arme. Er ertrug es einfach nicht, Katsuya heulen zu sehen. Und auch wenn dieser ihm erst ein paar Mal recht fest und schmerzhaft in die Seite boxte, ehe er sich schließlich in seiner Schuluniformjacke festkrallte und seinen Erinnerungen und den damit verbundenen Tränen freien Lauf ließ, ließ Bakura ihn nicht los. Wenn Katsuya ihn brauchte, dann würde er für ihn da sein und fertig. Und wenn Ryuuji zurück war, würden sie beide sich notfalls gemeinsam um ihn kümmern, bis er wieder auf die Beine kam. Immerhin hatte der Schwarzhaarige bei ihm noch einiges gut für das, was er am Samstag für Ryou getan hatte. Das war etwas, was er, Bakura, ihm definitiv nicht vergessen würde.
 

Yami, der inzwischen gemeinsam mit seinem besten Freund den Klassenraum betreten hatte, nahm schon einmal Platz, während Seto ihren Klassenlehrer knapp darüber in Kenntnis setzte, dass sein Stiefbruder aufgrund ›dringender familiärerer Verpflichtungen‹, wie er es nannte, für einige Tage nicht am Unterricht teilnehmen konnte. Danach durchquerte er die Klasse, setzte sich auf seinen eigenen Platz und wandte seine Aufmerksamkeit dem Unterricht zu. Ihm entging keineswegs, dass Jounouchi und Kinoshita während der gesamten ersten Stunde nicht auftauchten. Die beiden erschienen erst zur zweiten Stunde, lieferten jedoch wie üblich keine Erklärung für ihre Verspätung.
 

Die blauen Augen waren wie aus Eis, als Setos Blick den Köter streifte, doch dieser schien sich inzwischen eines Besseren besonnen zu haben und es nicht auf eine weitere Konfrontation anzulegen. Er sah ihn jedenfalls gar nicht erst an, sondern rutschte einfach nur kommentarlos auf seinen eigenen Platz und wurde im nächsten Moment auch schon von Kinoshita, der sich wie üblich neben ihn setzte, Setos Blicken entzogen. Im Gegensatz zu dem Köter schien Kinoshita jedoch keinerlei Probleme damit haben, den Blickkontakt mit ihm zumindest eine Zeitlang zu halten, ehe er sich abwandte und in Richtung Tafel sah.
 

Seto entging nicht, dass die Finger des Weißhaarigen kurz Jounouchis Hand streiften. Die Berührung war nur minimal und eigentlich kaum überhaupt als solche zu erkennen, wenn man nicht ganz genau darauf achtete. Aber die Reaktion des Blonden darauf – ein seltsam mattes, aber dennoch dankbares Lächeln, das eigentlich gar nicht zu dem sonst immer so lauten und ständig mit unqualifizierten Kommentaren um sich werfenden Blondschopf passen wollte – war, wenn man genau hinsah, auch nicht zu übersehen.
 

Und erst jetzt begann Seto zu begreifen, wie genau sein bester Freund bemerkt hatte, dass zwischen Kinoshita und Jounouchi eindeutig Dinge passierten, die ganz sicher nichts Brüderliches an sich hatten. Yami war, was die Stimmungen seiner Mitmenschen anging, schon immer sehr empfänglich gewesen. Kein Wunder, dass er sofort gesehen hatte, dass der Weißhaarige, in den er sich, seinen eigenen Worten zufolge, verliebt hatte, keinerlei Interesse an ihm haben würde, weil es da schon jemanden in seinem Leben gab.
 

Wie, fragte Seto sich unwillkürlich, mochte Ryuuji sich wohl mit diesem Wissen fühlen, wenn seine eigenen Gefühle für den Blondschopf doch auch jetzt immer noch so weit über einfache Freundschaft hinausgingen? Wie schaffte er es, trotzdem Zeit mit Jounouchi und auch mit Kinoshita zu verbringen? War ihm das Glück seines Freundes wirklich so viel wichtiger als sein eigenes? Unwillig versuchte Seto, diese Gedanken abzuschütteln, aber sie blieben hartnäckig am Rande seines Bewusstseins und vermischten sich dort mit seiner Sorge um seinen Stiefbruder und den Fragen, wann Ryuuji sich wohl das nächste Mal bei ihnen melden und wann er endlich nach Hause kommen würde.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja, wann mag das wohl sein? Ich weiß es, aber ich verrat's euch (noch) nicht.
;)

Würde mich freuen, wenn ihr mir am Ausgang wieder was dalasst.

Man liest sich!

Karma
Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Soichiro
2020-01-22T18:23:04+00:00 22.01.2020 19:23
Ein sehr schönes Kapitel! Auch wenn es einen wieder total mitnimmt!

Ich bin gerade so froh, dass Katsuya Bakura hat!
Also das soll nun nicht heißen, dass ich es ok finde, was er zu Seto über dessen Familie gesagt hatte. Ganz im Gegenteil!
Aber dennoch kann man eben verstehen, warum er so reagiert ><
Er muss sich ja auch total hilflos fühlen!
Allerdings bin ich sehr froh, dass es zwischen ihm und Seto nicht zu einer Schlägerei kam. Das wäre sicherlich das Letzte, was Ryuuji nun gebrauchen könnte.

Aber nun zu dem heiteren Teil :D
Ich könnte Yuugi immer noch knuddeln!
Er ist einfach sooooo süß xD
Und es ist schön, dass die Sache Mokuba etwas ablenkt!
Außerdem ist es auch eine Erleichterung zu lesen, dass Mokuba und Ryou nun nicht total verkrampft miteinander umgehen. Klar ist zwischen den Beiden nicht alles geklärt, aber es ist ein Hoffnungsschimmer :)
Antwort von: Karma
22.01.2020 21:18
Hi!

Freut mich, dass du auch deinen Spaß beim Lesen hattest.
:)
Ich hatte ihn beim Schreiben definitiv auch.

Uh, ja, Katsuya ... Das sollte eigentlich etwas anders ablaufen, aber meine Jungs machen ja immer, was sie wollen, also musste ich's halt doch so schreiben, wie sie das wollten. Aber irgendwie ist es auch glaubwürdiger, wenn Katsuya ausflippt - auch wenn er sicherlich nicht besonders taktvoll war. Aber wie du ja schon gesagt hast, es ist durchaus verständlich, dass er so reagiert. Freut mich, dass du's glaubwürdig fandest.
:)

Hach ja, Yuugi ... Ich hab den Kleinen so lieb. Und es ist auch süß, Ryou und Mokuba zu schreiben. Hach, eigentlich hab ich alle meine Jungs lieb, auch wenn ich sie leiden lass. Und die Mädels hab ich auch lieb.
<3

Bis zum nächsten Mal!

Karma
Von:  night-blue-dragon
2020-01-19T15:31:30+00:00 19.01.2020 16:31
Huhu^^

ein auf und nieder der Gefühle. Sehr mitreißend.
Ich bin echt gespannt wie es wird, wenn Ryuuji wieder nach Hause kommt. Ebenso freue ich mich auf das Doppeldate, wird bestimmt noch lustig, was aber auch nötig ist, bei dem ganzen Drama.

Bis zum nächsten Kapitel

night-blue-dragon
Antwort von: Karma
19.01.2020 16:37
Hi!

Ja, die Achterbahn geht in den nächsten Looping. Und es kommen noch einige, fürchte ich. Die Fahrt ist noch nicht vorbei.
:D

Freut mich, dass du deinen Spaß hattest. Wie's weitergeht, verrate ich natürlich noch nicht.
;)

Bis zum nächsten Mal, bei dir oder bei mir.
^___^

Karma


Zurück