Der rote Faden von Leira ================================================================================ Kapitel 12: Endspiel -------------------- Mesdames, Messieurs, der Rote Faden geht in die letzte Runde. Nun- ich sag an dieser Stelle mal nichts mehr, ich wünsch euch viel Vergnügen beim Lesen… Mit freundlichen Grüßen, eure Leira :) *sichsetzt* _________________________________________________________________________________ Shinichis Zustand besserte sich nur langsam. Allgemeines Aufatmen war erst am Abend des nächsten Tages angesagt, als endlich feststand, dass er über dem Berg war. Aufwachen würde er erst am darauffolgenden Tag und das auch nur, weil Kogorô, als er das Zimmer betrat, die Tür so heftig aufstieß, dass sie gegen die Wand krachte. Shinichi fuhr hoch und war zunächst völlig desorientiert. Als er herausgefunden hatte, wo er steckte, strich er sich müde mit einer Hand durchs Gesicht, versuchte, die Erschöpfung ein wenig zu vertreiben. Er fühlte sich wie zerschlagen, wollte am liebsten gleich wieder einschlafen. Daraus wurde allerdings nichts. „Du bist wach!“, bemerkte Kogorô erfreut und eilte näher. „Ach nee.“, hüstelte der Oberschüler ironisch und warf ihm einen prüfenden Blick zu. Was suchte Kogorô bei ihm im Krankenzimmer? Der Mann hingegen schaute ihn besorgt an. „Na, du warst immerhin gute zwei Tage bewusstlos, und bis vorgestern konnte keiner sagen, ob du durchkommst oder nicht…“ Shinichi blinzelte ihn fassungslos an. „So schlimm…?“, murmelte er mehr zu sich selbst als zu seinem Besucher. Kogorô nickte trotzdem. „Ja. Du… du hast es doch mitgekriegt oder?“ Shinichi schaute ihn fragend an. „Was mitgekriegt?“ Der Mann blickte ihn an, öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, schloss ihn dann wieder, ohne einen Laut von sich gegeben zu haben und knetete nervös seine Hände. Dann räusperte er sich. „Sag mal… was muss man eigentlich machen, um sich so tief in du-weißt-schon-was reinzureiten? Du sahst richtig übel aus. Tust du immer noch, nebebei bemerkt…“ Shinichi schluckte, runzelte die Augenbrauen skeptisch. Er weicht mir aus… er weicht meinen Fragen aus. Warum...? „Ist doch jetzt nicht mehr wichtig...”, krächzte er dann heiser und ließ sich wieder in die Kissen sinken. Was viel wichtiger ist- welcher Tag ist heute eigentlich? Wo bin ich…? Offensichtlich im Krankenhaus, aber wie bin ich hierher gekommen? Wo sind alle? Wo ist… Ran? Ran… ich muss mich doch noch bei ihr entschuldigen… „Wie bin ich hierher gelangt? Und welcher Tag ist heute eigentlich? Und was- was ist überhaupt passiert…?“, fragte er dann, in der Hoffnung, Kogorô würde nun endlich ein paar seiner Wissenslücken füllen. „Ach, eigentlich nichts, worüber wir uns jetzt noch den Kopf zerbrechen müssten. Du sagst ja selber, ist nicht mehr wichtig.“ Kogorô lachte gekünstelt, vergrub seine Hände auffällig lässig in seinen Jackentaschen, vermied Blickkontakt. Schon wieder weicht er mir aus… „Kogorô…“ Shinichi richtete sich leise stöhnend auf. „Was zur Hölle ist passiert? Wie komme ich hierher? Wo sind die anderen?“ Der Meisterdetektiv seufzte geschlagen. „Du hörst nicht auf, oder? Du wirst nicht aufhören, mir diese Fragen zu stellen, bevor du eine Antwort hast…“ „Nein.“ Kogorô verdrehte die Augen, fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. Dann- „Also schön. Wie weit reichen denn deine Erinnerungen?“ Der Oberschüler überlegte kurz. „Bis…“ Shinichi holte scharf Luft und schüttelte unwillkürlich den Kopf, als sich die Erinnerung an diesen schrecklichen Tag mit voller Wucht zurückmeldete. Angefangen damit, dass er mit Ran Schluss gemacht hatte, dann seine Entführung, die Zeit in Gefangenschaft, das Verhör vom Boss und schließlich... schließlich... Kaum zu glauben, dass dies alles in doch recht kurzer Zeit geschehen war. Er biss sich auf die Lippen, suchte nach Worten, ehe er seinen Satz vollendete. „Bis mir in dieser dämlichen Kiste schwarz vor Augen wurde. Ich weiß auch nicht- es war nicht das erste Mal, dass mir schwarz vor Augen wurde- aber diesmal… das hatte so was Endgültiges…“ Er blinzelte die weiße Decke an. Langsam dämmerte ihm, was da wirklich passiert war. Ihm wurde kalt, irgendwie… flau in der Magengegend, und jetzt - jetzt wollte er eigentlich gar nicht mehr wissen, was passiert war, denn wenn das, was er vermutete, wirklich passiert war, wenn dieser Gedanke tatsächlich wahr war, Realität… dann… „Du warst tot als wir dich fanden.“ Shinichi schloss die Augen, kniff sie zusammen, atmete tief ein- dann wieder aus. Er öffnete die Augen wieder, wagte aber nicht, Kogorô ins Gesicht zu sehen. Ihm war schlecht, irgendwie. Er war gestorben, tatsächlich nicht mehr am Leben gewesen… und wenn man ihn nicht rechtzeitig gefunden hätte, läge er wohl jetzt nicht in den weißen Kissen des Krankenhausbettes sondern in den weißen Kissen eine Sarges, irgendwo unter der Erde. Er würgte, hustete, griff nach dem Wasserglas auf dem Beistelltisch, das irgendjemand hingestellt hatte, und leerte es mit einem Zug. Kogorô starrte ihn an. „Geht’s?“ Shinichi nickte nur und wusste doch, dass er ihnen beiden etwas vormachte. Er fühlte sich furchtbar. Allein der Gedanke daran, die Erinnerung ans… Sterben… jagte ihm jetzt noch Angst ein. Er griff sich unwillkürlich an die Brust, wie als ob er sich vergewissern müsste, dass es tatsächlich noch schlug. Er fühlte, wie es gegen seinen Brustkorb hämmerte – dann ließ er die Hand langsam wieder sinken. Irgendwie war ihm sein Verhalten peinlich. „Und wie kommt’s…?“, begann er dann, brach aber ab, als er merkte, dass er nicht Herr seiner Stimme zu war. „Wir fanden dich rechtzeitig, wie du dir wohl denken kannst. Gerade noch. Du konntest wieder belebt werden…“ Shinichi wandte nun doch den Kopf. Die Frage brannte ihm auf der Zunge- er war sich nicht sicher, ob er sie beantwortet haben wollte oder nicht, aber sie so unausgesprochen im Raum stehen zu lassen… Als er dann aber in Kogorôs Gesicht sah, musste er sie nicht mehr stellen, um die Antwort zu wissen. Etwas in den Augen des Mannes sagte es ihm. Er wusste noch, wie er ihn früher anzusehen pflegte… verächtlich, genervt, verärgert, bestenfalls gleichgültig. Ihm war nicht Recht gewesen, dass er sich mit Ran abgab, und hatte nie einen Hehl draus gemacht. Er hatte vor Ran schlecht über ihn geredet, hatte ihn als verzogenen Schwerreichensohn gesehen, war ihm neidisch auf seinen Erfolg gewesen. Bei Conan hatte sich die Sache ein wenig verändert. Es war zwar immer noch unbestreitbar, dass der Junge ihn genervt hatte, er nur das für ihn war, was er rein äußerlich dargestellt hatte- ein Kind. Ein Kind. Ein unmündiger Bürger dieser Gesellschaft, ein lästiges Anhängsel, um das man sich kümmern musste, das ihm, Kogorô, aufgedrängt wurde, ohne dass er danach gefragt hatte. Aber trotzdem; als er krank war, als er verletzt war, hatte Kogorô auf seine Art und Weise Sorge gezeigt, sich um ihn gekümmert, wenn Ran gerade nicht da war. Und jetzt- es war schwer zu beschreiben. Sorge… und etwas anderes lag in den Augen von Rans Vater, etwas, dass er dort noch nie gesehen hatte. Er drehte beschämt den Kopf weg. Er fühlte sich unbehaglich, irgendwie… seltsam. „Sie waren es…?“ Kogorô sagte nichts. Er nickte nur. Shinichi nahm es aus den Augenwinkeln wahr. „Ich verdanke Ihnen mein Leben…?“ Er war mit Kogorô nie gut ausgekommen, nicht als Shinichi. Bei Conan war die Sachlage etwas anders gewesen, aber er war jetzt nicht Conan. Und auch im Frachtschiff war er nicht Conan gewesen. Sondern Shinichi. Und nun- nun stand eben dieser Mann an seinem Krankenbett, der ihn verabscheut hatte, mit offensichtlich besorgter Miene. Und als ob das noch nicht reichen würde, er war es sogar gewesen, der ihm das Leben gerettet hatte. Diese Welt war schon verrückt… „Danke…“ Kogorô schaute ihn mit schief gelegtem Kopf an. „Nichts zu danken.“ „Doch.“, murmelte der junge Mann leise. „Ich wäre sonst tot jetzt. Danke.“ Eine Weile sagte keiner der Beiden etwas. Shinichi starrte an die Decke. Dachte nach, wollte etwas Sinnvolles sagen, das Schweigen überbrücken… Dann… „Wie geht’s Ran?“ „Oh, gut. Sie war gar nicht von deiner Seite zu kriegen, bis vor 'ner Stunde, da haben sie Kazuha und Sonoko einfach mit in die Krankenhaus-Cafeteria geschleppt.“ Der Mann seufzte schwer. Und dann kam die Frage, die einfach kommen musste. „Also… du liebst meine Tochter?“ Shinichi drehte ihm wieder den Kopf zu, setzte sich jetzt endgültig aufrecht hin. Lange schaute er Kogorô einfach nur ins Gesicht, versuchte abzulesen, wie er aufgelegt war, wie er auf seine Antwort reagieren könnte. Fragte sich, wie er es formulieren sollte, um den Mann, dem er immerhin sein Leben verdankte, nicht zu provozieren. Allerdings wollte er ihn auch nicht anlügen- er wusste, er würde ihm das ohnehin nicht abnehmen. Nicht, nach all dem, was passiert war. Außerdem wollte er aufhören damit – keine Lügen mehr. Er hatte es satt. „Ja.“, antwortete er warheitsgetreu. „Das tue ich tatsächlich.“ Ein schuldbewusster Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, er starrte auf seine Hände, fühlte sich sichtlich unwohl. „Wollen Sie mir jetzt nicht den Hals umdrehen?“, fragte er dann, schaute Rans Vater abwartend ins Gesicht. „Würde das was dran ändern? Meine Tochter liebt dich auch, sie würde mir im Gegenzug dafür meinen Hals umdrehen… oder schlimmeres. Du kennst sie ja.“, seufzte Kogorô und zog sich einen Stuhl ans Bett. Schwerfällig ließ er sich darauf fallen. „Nein, das würde nichts bringen. So wie’s aussieht ist das wohl der Stand der Dinge. Und mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich dir nicht ab und an etwas… Unrecht getan hab.“ Der Mann wandte sich ab. Shinichi starrte ihn an, wie vom Donner gerührt. Eine weitere Pause entstand. Shinichi schaute aus dem Fenster, dachte nach... Und endlich war er es, der das Wort ergriff. „Hören Sie, es tut mir wirklich schrecklich Leid, was ich… was ich ihr und Ihnen angetan habe. Die ganzen Lügen, die Sache mit- mit Conan… Ich weiß, eigentlich ist es unentschuldbar, aber ich… ich sah keinen anderen Weg. Ich hatte Mist gebaut, und ich wollte Ran da raushalten. Wer weiß was sonst passiert wäre… Aber ich könnte verstehen, wenn Sie mich jetzt hassen- warum… warum tun Sie’s nicht?“ Kogorô vergrub die Hände in den Taschen seiner Jacke und schaute den jungen Detektiv ernst an. „Weil ich weiß, warum du gelogen hast. Ai hat uns die Sachlage geschildert. Wir wissen warum du es getan hast, und wir verstehen es. Ran hat dir verziehen, und wenn sie das kann, kann ich das auch.“ Shinichi hob überrascht den Kopf. „Aber warum? Ihre Karriere…“ „… als Meisterdetektiv ist hiermit wohl beendet, ja. Und jetzt hör auf damit. Niemand hasst dich. Ich auch nicht. Höchstens ein bisschen. Mein schöner Ruf als schlafender Kogorô… dahin, dahin…“ Kogorô fuhr sich durch die Haare, Bedauern spiegelte sich auf seinem Gesicht. Dann kam ihm eine Frage in den Sinn. „Sag mal hat dich mein Verhalten nicht oft ziemlich genervt?“ "Hä?" "Na, mein arrogantes Getue, dass ich mich mit deinen Lorbeeren geschmückt habe, all das eben... hat dich das nicht geärgert?" „Auf diese Frage will ich lieber keine Antwort geben…“, murmelte Shinichi und verzog das Gesicht. „Ich hänge nämlich an meinem Leben.“ Er grinste schief, allerdings nicht lange. „Und… was werden Sie jetzt machen?“, fragte er vorsichtig. Kogorô grinste nun seinerseits. „Ich fange wieder bei der Polizei an. Mit Meguré ist schon alles geregelt.“ Er verschränkte zufrieden die Hände vor der Brust. „Dann darf ich Ihnen dazu gratulieren?“, fragte Shinichi erleichtert. „Ja…doch, schon eigentlich!“, meinte Kogorô, kratzte sich verlegen am Hinterkopf und lachte dann. In dem Moment hastete Eri ins Zimmer. Sie sah sich suchend um, erblickte Shinichi und ihren Mann und fragte außer Atem: „Ist sie nicht hier?“ „Wer?“, fragte Kogoro. „Ran!“ Shinichi schaute Eri fragend an. „Hast du nicht gesagt, sie wäre in der Cafeteria?“ Er äugte zu Kogorô. „Ja!“ Kogorô nickte bestätigend. "Kazuha und Sonoko haben sie doch..." „Aber da ist sie nicht!“, fiel ihm seine Frau ins Wort. Eri war kreidebleich im Gesicht. „Was soll das heißen, 'da ist sie nicht'?!“ Ran saß im Wagen, starr vor Angst. Neben ihr saß ein Mann, sie schätzte ihn um die Fünfzig, mit einem Gesicht kalt und scharf geschnitten, wie aus Stein gemeißelt. Sein Haar war kurz geschmitten, seine Schläfen leicht ergraut. Er trug einen teuer aussehen, perfekt sitzenden Anzug, nachtschwarz, genauso schwarz wie die Uniform des Fahrers, des Beifahrers, des ganzen Autos- alles, alles hier war schwarz. Nur sie bildete mit ihrem roten Pullover und ihrer weißen Hose einen auffallenden Kontrast dazu. Sie zitterte am ganzen Körper - fühlte ihre Fingerspitzen nicht mehr, so kalt war ihr. Kalt vor Angst. Seit der Drohung, der man ihr ins Ohr gezischt hatte, dass sie, wenn sie nicht brav sein sollte, Schuld am Tod von vielen Menschen, die ihr wichtig waren, sein würde, war nicht ein Wort mehr gefallen. Man hatte sie vor der Damentoilette im Krankenhaus abgefangen, ihr den Lauf einer Pistole zwischen die Rippen gedrückt und sie mitgenommen. Entführt. Ran, die auf keinen Fall irgendein Leben- erst Recht nicht sein Leben- riskieren wollte, war mitgegangen, ohne auch nur einen Mucks zu machen. Sie wusste nicht, wie lange sie schon im Auto saßen. Irgendwann hielt es an, und jemand zerrte sie grob aus dem Wagen. Sie schaute sich um. Sie waren am Hafen. Warum…? „Was wollen Sie von mir?“, schrie sie schließlich, versuchte sich gegen den Mann zu wehren, der sie festhielt, sich loszureißen, um sich zu treten- bis sie eine Stimme hörte, die ihr Innerstes zu Eis werden ließ. „Du wirst uns helfen, deinen vorwitzigen Freund zu bestrafen, Süße.“ Der Mann, zu dem diese Stimme gehörte, war vor sie getreten, hatte ihr Kinn in eine Hand genommen, schaute sie milde lächelnd an. Es war der gleiche Mann, der schon die ganze Zeit über schweigend neben ihr gesessen hatte. „Bedank dich bei ihm, schönes Kind...“ Er grinste, wobei er ihr seine makellosen Zähne zeigte. „Oder beschwer dich bei ihm, ganz wie du willst. Wir senden ihn dir nach, versprochen. Sobald sie die Wachen vor seinem Zimmer abgezogen haben, man nicht mehr so gut auf ihn aufpasst, wie’s gegenwärtig der Fall ist. Aber wir kriegen ihn noch.“ Ran starrte ihn mit vor Angst geweiteten Augen an, sie wagte es nicht, sich noch weiter zu wehren. Ihr war schlecht. Shinichi…? „Dein lieber Freund hatte sowieso mehr Glück als Verstand, dass er das überlebt hat.“ Dann drehte er sich um, winkte den beiden Männern, die sie festhielten, zu. „Rein mit ihr. Ihr wisst wohin.“ Shinichi fühlte sich plötzlich schlecht. Cognacs Worte kamen ihm plötzlich wieder in den Sinn. Aber keine Sorge, wir sorgen selbstverständlich dafür, dass sie baldmöglichst nachkommt… „Sonoko und Kazuha haben gemeint, dass sie ihnen erzählt hat, sie müsse noch mal für kleine Mädchen und komme gleich wieder. Als sie nach einer halben Stunde noch nicht von der Toilette zurück war, haben sie sie gesucht, aber nicht gefunden und mich angerufen. Und nun suche ich sie auch. Sag mal, was zum Teufel machst du da?!” Eri starrte Shinichi an, der während ihrer Streiterei mit Kogorô aus dem Bett geglitten war und sich die Nadel des Infusionsschlauchs aus der Ellenbeuge zog. „Ich geh sie auch suchen. Oder besser gesagt, ich finde sie…“ Damit zog er sich das Hemd des Krankenhauspyjamas aus und einen Pullover, den er im Schrank fand, über den Kopf. Mit seiner Hose wankte er ins Bad, um sie zu wechseln. „Auf was wartet ihr?“ Er erschien wieder auf der Bildfläche und schlüpfte umständlich in seine Schuhe. Die beiden standen da wie zu Salzsäuren erstarrt und schauten ihn halb verwirrt, halb verägert, an. „Du bleibst hier!“, brachte Kogorô schließlich über die Lippen. „Du wärst fast gestorben. Du warst tagelang bewusstlos. Du bist in keiner Verfassung mitzugehen, Ran bringt mich um, wenn dir was passiert. Du bleibst hier.“ Shinichi funkelte ihn an. „Das könnt ihr getrost vergessen. Also entweder ihr kommt jetzt mit mir mit oder ich gehe alleine.“ Damit öffnete er die Tür und trat auf den Gang hinaus. Hinter ihm eilten Eri und Kogorô her. „Jetzt sag bloß, du weißt, wo sie ist!“ „Ich weiß es nicht, aber ich habe eine Ahnung. Ich nehme mal an, dass der Polizei noch nicht alle Mitglieder der Organisation in die Hände gefallen sind?“ Eri nickte betrübt. „Da liegst du leider richtig. Man hat zwar das Hauptquartier gestürmt und alle festgenommen, die sich darin befanden, und dank deinen Beweisen auch dingfest machen können, aber die, die sich zum Zeitpunkt der Erstürmung des Gebäudes außerhalb befanden, haben sie noch nicht.“, bestätigte Kogorô. „Einer von euch beiden sollte die Polizei anrufen und ihr sagen, dass wir uns mit Meguré vor dem alten, gelben Fabrikgebäude am Hafen treffen wollen. Das Gebäude direkt am Kai, das dritte Haus von Links, von der Straße her gesehen. Sie sollen bewaffnet kommen, es befinden sich höchstwahrscheinlich Mitglieder der Organisation im Inneren.“ Eri zückte ihr Handy, worauf sie sich einen bösen Blick einer vorbeieilenden Assistenzärztin einfing. Sie winkte sie unwirsch ab, und telefonierte. Dann wandte sie sich wieder Shinichi zu. „Du solltest dich wirklich…“ „Hinlegen? Und tatenlos abwarten, was passiert? Ja, sicher.“ Shinichis Stimme triefte vor Sarkasmus. „Aber du bist verletzt… und woher weißt du überhaupt, wo sie sie hingebracht haben?“, warf Kogorô ein. „Ersteres tut jetzt nichts zur Sache und letzteres… ich war selbst da drin, darum vermute ich stark, dass sie sie auch dahin gebracht haben. Er hat so seltsame Andeutungen gemacht… er wird sich rächen wollen, weil er weiß…“ …was er mir damit antut… „Wer ‚er’?“, wollte Kogorô wissen, allerdings zog nun jemand anderes alle Aufmerksamkeit auf sich. „Hey!!!“ Sonoko und Kazuha rannten ihnen nach. Das blonde Mädchen starrte Shinichi an. „Was zur HÖLLE tust du da? Was glaubst du, was du da tust? Du bist verletzt…“ Shinichi sah sie an. „Nein. Echt jetzt? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ Sonoko schnaubte. „Du legst dich jetzt sofort wieder in dein Bett! Was meinst du was Ran mit uns macht, wenn dir was zustößt…“ „Sie wird nie wieder etwas mit euch machen, wenn wir sie nicht rechtzeitig finden.“ Sonoko und Kazuha sowie Eri und Kogorô starrten ihn an. Die Angst in seiner Stimme war unüberhörbar gewesen. Und sie spiegelte sich allzu deutlich in seinem Gesicht wieder. „Dann haben sie sie?“ „Ich befürchte es, ja.“ Kazuha schluckte. Der Kies knirschte, als Eris blauer Mini scharf vor dem Fabrikgebäude bremste. Ein Streifenwagen und Satos roter Sportflitzer standen bereits vor der Halle. Shinichi fiel mehr aus dem Auto als er stieg und musste sich kurz an der Wagentür festhalten, als ihn Schwindelgefühl zu übermannen drohte. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und in seiner Seite pochte der Schmerz. Kogorô hatte Recht gehabt, er war in keiner Verfassung, um auf Verbrecherjagd zu gehen. Aber hier ging es um Ran. Kogorô blickte ihn stirnrunzelnd an, aber der junge Detektiv wedelte nur ungeduldig mit den Händen und näherte sich wankenden Schrittes der Lagerhalle. Draußen standen Takagi und Sato zusammen mit einigen anderen Beamten und waren gerade dabei, irgendeinen Mann in Schwarz, den Shinichi nicht kannte, und Vodka, beide mit Handschellen gefesselt und von jeweils zwei Polizisten festgehalten, in die Streifenwagen zu sperren. „Wir konnten diese Beiden festnehmen, als sie hier draußen Wache schoben, aber…“, keuchte Takagi. „Einer ist noch drin, es ist anzunehmen, dass er…“ Shinichi starrte ihn an. Takagi musste seinen Satz nicht beenden. „Ist jemand von uns drin?“ „Ja, Meguré versucht zu verhandeln. Er, Shiratori und Heiji. Die Halle ist umzingelt, er kommt nicht weg.“ „Sehr schön.“ Shinichis Stimme war leise, aber bestimmt. Dann zog er dem verblüfften Takagi die Dienstwaffe aus dem Halfter und ging, stieß die Tür auf und verschwand im Inneren des Gebäudes. „Hey!“ Kogorô schrie auf, rannte ihm hinterher. Die Halle war in unwirkliches Zwielicht getaucht. Shinichi blinzelte, wartete, dass sich seine Augen an das Halbdunkel gewohnt hatten. Dann sah er sie- Shiratori und Meguré. Neben ihnen stand Heiji. Der junge Mann aus Osaka, der auf der Polizeiwache seine Aussage gemacht hatte, als sie die Polizei alarmiert hatten war selbstredend sofort zu Hilfe geeilt. Und ihnen gegenüber stand er. Cognac. Von Ran war weit und breit nichts zu sehen. Shinichi atmete innerlich auf. Also war er nicht dazu gekommen, sie als Geisel und menschliches Schutzschild vor sich zu halten. „Wo ist sie?!“ Meguré klang verärgert und nervös. „Mein lieber Kommissar, denken Sie ernsthaft, ich verrate euch, wo sie ist? Lasst mich gehen, und lasst meine Männer frei, dann können wir darüber reden, ob ich euch vielleicht den Aufenthaltsort der Kleinen verrate…“ Er grinste hämisch, seine kalte Stimme triefte vor Spott. „Ich verhandele nicht.“ Meguré war blass geworden. "Ich auch nicht. Ergeben Sie sich und sagen Sie uns, wo das Mädchen ist, oder..." „Oder was?" Cognac klang gelangweilt. "Wenn Ihnen nichts Besseres einfällt, dann erschießen Sie mich doch. Bis Sie das Mädchen gefunden haben, ist sie längst verhungert.“ Heiji biss sich auf die Lippen. Er hatte Recht. Sie mussten sich entscheiden, was ihnen als sinnvoller erschien. Welches Leben sie retten wollten. Ließen sie ihn laufen, ihn und seine Männer, bekamen sie vielleicht Rans Aufenthaltsort- und unterschrieben damit Kudôs Todesurteil. Diese Leute würden ihn jagen, bis sie ihn gefunden, in die Ecke gedrängt und erledigt hatten. Nahmen sie ihn fest, dann war Ran tot. „Also. Gehen Sie auf meine Bedingungen ein?“ Cognac lächelte siegessicher. In seiner Rechten hielt er seine Waffe, allerdings ließ er den Arm achtlos an seiner Seite herabhängen. Er fühlte sich sicher. Überlegen. Unbesiegbar. „Das hätten Sie wohl gern.“ Seine Stimme hallte vernichtend durch den Raum. Cognacs Kopf fuhr herum, erkannte Shinichi, der langsam neben Kommissar Meguré trat. Dann grinste er böse. „Du wirst auch nicht schlauer, was?“ „Ich denke, ich bin schlau genug.“ Shinichi starrte ihn feindselig an. „Immer noch eine große Klappe, was? Dir ist klar, dass deine Freundin stirbt, wenn ihr mich umbringt oder festnehmt? Glaubst du, ich werde euch einen Ton verraten? Nun, vielleicht ja- aber frühestens in einer Woche… ihr werdet mich nicht festnehmen, und ihr werdet mich auch nicht erschießen. Ihr seid alle zu viel zu weich, viel zu rührselig, als dass ihr das Leben eines unschuldigen Mädchens riskieren würdet. Ihr seid auf mich angewiesen. Ihr werdet tun, was ich euch sage...“ Shinichi schüttelte bedauernd den Kopf. „Glauben Sie ernsthaft, ich brauche Ihre Hilfe, um Ran zu finden? Ich denke, Sie halten sich für schlauer, als Sie sind…“ Cognac zuckte mit den Schultern. „Nun- selbst wenn du irgendwoher weißt, wo sie ist… ich denke nicht, dass du in der körperlichen Verfassung sein wirst, um sie zu suchen, Klugscheißer.“ Er hob seine Waffe, zielte- und dann fielen zwei Schüsse. Zwei. Die nächsten Momente schienen in Zeitlupe abzulaufen. Ein Schmerzensschrei gellte durch die Halle, das dumpfe, splitternde Geräusch von Metall, das auf Beton prallt, war zu hören, entsetzte Rufe wurden laut. Im nächsten Moment griff sich Cognac an den Arm, ließ seine Waffe fallen. Über Shinichi rieselte der Putz aus der Decke, in die die Kugel geschossen war, hüllte ihn in eine Staubwolke. Er drückte Kogorô, der völlig konfus neben ihm stand, den Revolver in die Hand, ging langsam auf den Boss der Organisation zu, der gerade von zwei Beamten, die wegen der Schüsse in das Lager gestürmt waren, festgenommen wurde. Vor ihm blieb er stehen. Er warf Cognac einen vernichtenden Blick zu, sagte nichts. „Du kleiner Bastard, das wirst du…“, begann der Boss. „Hm?“ Der junge Detektiv, vergrub die Hände in seinen Hosentaschen und schaute auf den Boden. Dann blickte er auf, fixierte sein Gegenüber mit starrem Blick. Sein Gesicht verriet nichts. Es war ruhig, ausgeglichen- ein Pokerface, wie es im Buche stand. Aber seine Augen- -in seinen Augen spiegelte sich Entschlossenheit, Überlegenheit- und nicht eine Spur von Angst. Gerade eben, in diesem Augenblick, starrten sie voll Verachtung auf den Boss der Organisation, die Person, die ihm soviel Leid zugefügt hatte. Heiji nickte zufrieden. Er kannte diesen Blick in den Augen seines Freundes, und es tat gut zu sehen, dass eben dieser endlich wieder der Alte war, im wahrsten Sinne des Wortes. Mach ihn fertig, Kudô… Shinichi räusperte sich. „Bitte, was? Was werde ich? Sprechen Sie sich ruhig aus, tun Sie sich keinen Zwang an. Aber Sie sollten wissen, dass alles, was Sie von sich geben, vor Gericht gegen Sie verwendet werden kann. Allerdings dürfte das wohl auch nichts mehr zur Sache tun, wissen Sie… ich denke, so fair sollte ich Ihnen gegenüber sein, Ihnen zu sagen, dass egal ob Sie jetzt singen oder nicht, Sie auf alle Fälle bis ans Ende Ihrer Tage im Knast verfaulen werden.“ Er grinste triumphierend. „Die Polizei hatte in den letzten Tagen eine hochspannende und sehr interessante Lektüre über ein paar der schönsten Verbrechen, die ihr geplant und begangen habt. Die Versuche mit APTX und noch ein paar schöne Dinge, die auf eurem Mist gewachsen sind...“ Cognac wurde bleich. „Woher…?“ „Bevor ich und Vermouth flüchten wollten, haben wir Ihrem Salon noch einen kleinen Besuch abgestattet. Ich habe mir erlaubt, ein paar Ihrer Alben etwas zu…“ Weiter kam er nicht, weil der Boss der Organisation sich auf ihn stürzen wollte; er konnte gerade noch zurückgehalten werden. „Dafür wirst du bezahlen!“, zischte er wütend. Er war kreideweiß, sein Gesicht zu einer hasserfüllten Fratze erstarrt. Von seiner kalten Abgeklärtheit, seiner Aura der Überlegenheit, Unbesiegbarkeit, war nichts mehr übrig. Shinichi hatte gegen den Putz getreten- und nun fing die Fassade an zu bröckeln, gab frei, was die ganze Zeit hinter ihr gesteckt hatte. Ein Mörder… der mit einer Niederlage nicht umzugehen wusste. Shinichi warf ihm einen kühlen Blick zu. „Bezahlen?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich denke, ich bin Ihnen nichts mehr schuldig.“ Seine Worte waren kaum lauter als ein Wispern gewesen, doch brachte er damit den Boss der Organisation endgültig zum Verstummen. In seinen Augen spiegelte sich blanker Hass, doch nicht ein Wort mehr kam über seine Lippen, als er abgeführt wurde. Shinichi drehte er sich um und ging durch die Halle, bog nach rechts, wand sich seinen Weg durch Regalreihen und Kartonstapel und schob ächzend eine große Kiste beiseite, die an der einen Seite der Halle stand. Darunter war die Falltür. Ran... Sie musste einfach dort sein. Sie musste einfach. Die anderen, die ihm gefolgt waren, beeilten sich, ihm dabei zu helfen, die schwere, aus Holzplanken gezimmerte Tür hochzustemmen. Mit einer Staubwolke fiel sie auf den Boden und Shinichi ließ sich vorsichtig nach unten gleiten, die Zähne fest zusammengebissen, um den Schmerzensschrei zu unterdrücken, der ihm auf den Lippen lag. Er hing einen Moment in der Luft, dann ließ er los und landete auf dem dreckigen Betonboden. Er stöhnte auf, als sich beim Aufprall seine Seite bemerkbar machte. Es dauerte nicht lange, bis sich seine Augen an das dämmrige Licht gewohnt hatten, und- Da saß sie. Kauerte in der Ecke, zitternd, hielt sich verkrampft die Ohren zu, machte sich so klein wie möglich und summte leise vor sich hin. Ran hatte Angst… das war offensichtlich. Sie stand unter Schock. Sie wollte, dass das alles endlich aufhörte – sie hatte so gehofft, dass alles vorbei war; Shinichi war doch gefunden worden, der Arzt hatte gesagt, er würde wieder in Ordnung kommen, und dann hatten diese Leute sie entführt… Die Welt schien endlich wieder in Ordnung zu kommen, und jetzt- jetzt... Ein erstickter Schluchzer entfuhr ihr. Ran sehnte sich danach, dass es vorbei war. Dass es endlich vorbei war. Wollte, dass Shinichi kam, um sie hier raus zu holen. Aber sie glaubte nicht daran; er lag bewusstlos im Krankenhaus. Er konnte nicht kommen... Ran bekam nicht mit, wie der, den sie sich herbeiwünschte, vor ihr in die Knie ging, sanft ihr Gesicht berührte. Er schluckte, wusste nicht, was er sagen sollte, um sie zu beruhigen. „Ran?" Er seufzte, schaute sie besorgt an. "Ich bin’s, hörst du mich? Es ist alles in Ordnung... du brauchst keine Angst mehr zu haben.” Seine Stimme war sanft, tief und sein Atem streifte sacht über ihre Haut. Sie sah auf. Eine einzelne Träne rollte ihre Wange herunter. Zuerst blinzelte sie, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen- dann erst erkannte sie ihn. „Shinichi?“, flüsterte sie, leise, kaum hörbar. Es schien fast so, als würde sie aus einem bösen Traum erwachen. „Ja.“, nickte er. „Wer sonst? Na, komm schon. Steh auf. Lass uns nach Hause gehen.“ Er stand schwerfällig auf, reichte ihr seine Hand. Sie ergriff sie, hielt sich fest und ließ sich hochziehen. Da stand er vor ihr- und sie konnte sehen, obwohl es so dunkel war, dass er noch blasser war als sonst. Dann fiel es ihr plötzlich wieder ein… „Guter Gott… du solltest im Krankenhaus sein!“, entfuhr es ihr entsetzt. „Ran…!“ Er verdrehte die Augen. „Nein, nichts da!“ Tränen rollten wieder über ihr Gesicht, sie konnte sie nicht aufhalten. Sie hatte so große Angst gehabt, in den letzten Tagen... Angst, dass sie ihn verloren hatte, dass er tot war… Und sie wusste, dass er einiges mitgemacht hatte, dass er viel gelitten hatte, Schmerzen, Qualen ertragen hatte, die ihn fast umgebracht hatten und… in dieser Zeit zwischen Hoffen und Bangen war ihr nur allzu deutlich klar geworden, was ihr fehlen würde, wenn er nicht mehr da war. Nicht einfach nur verschwunden, sondern tot war. Sie liebte ihn. „Hör mal…“, begann sie leise, „du gehst jetzt sofort wieder ins Krankenhaus. Nein.“ Sie hielt ihm den Mund zu, als er ihn in Protest öffnen wollte. „Ich… ich liebe dich, du Vollidiot, weißt du eigentlich, was ich in den letzten Tagen für eine Angst gehabt habe? Es war die Hölle für mich, nicht zu wissen, ob du lebst oder schon tot bist… als ich dich gesehen habe, wie du mir gezeigt hast, wo du bist… wir dich gefunden haben und du nicht mehr geatmet hast? Weißt du, wie ich mich fühlen würde, wenn du tot wärst? Ich weiß es! Shinichi! Ich weiß es…“ Die letzten Worte flüsterte sie nur noch. Er schaute sie betroffen an. Immer mehr Tränen strömten über ihr Gesicht. „Ran…“, murmelte er schwach. „Wenn du schon nicht selber auf dich Rücksicht nehmen willst, dann tu’s wegen mir! Bitte, wenn dir auch nur das Geringste an mir liegt, dann pass’ ein wenig besser auf dich auf! Du…“ Zu mehr kam sie nicht mehr, denn Shinichi hatte sich nach vorn gebeugt, seine rechte Hand unter ihr Kinn geschoben und küsste sie. Ran merkte, wie ihre Knie weich wurden sie sich auf einmal seltsam fühlte. Sie spürte seine Lippen auf ihren, seinen Atem auf ihrem Gesicht, merkte gleichzeitig, wie ihr der Atem wegblieb… Sie schloss die Augen, hielt sich an seinem Hemd fest und genoss dieses Gefühl… fing an, seinen Kuss zu erwidern, sich zu wünschen, dass es nie aufhören würde… „Ich liebe dich.“, wisperte er schließlich. „Und es tut mir entsetzlich Leid, was ich dir angetan hab, in den letzten drei Jahren. Wirklich. Ich... ich hab dich nur angelogen, weil du mir wichtig bist. Du bedeutest alles für mich. Kannst du verstehen, wie ich mich fühlen würde, wenn dir wegen mir, meinen Dummheiten was passiert? Du musst mir schon erlauben, die Suppe wieder auszulöffeln, die ich für dich eingebrockt habe. Aber wenn dir soviel dran liegt, dann gehen wir halt jetzt wieder ins Krankenhaus.“ Sie lächelte, dann vergrub sie ihre Hand in seinen Haaren und zog ihn wieder zu sich herunter, fühlte seine Lippen erneut auf ihren, sanft, zärtlich zuerst, dann wurde er langsam fordernder, leidenschaftlicher. Sie schmiegte sich an ihn, merkte, wie er einen Arm um ihren Körper legte, sie an sich drückte, seine andere Hand in ihren Haaren vergrub… es fühlte sich so gut an… Bis… „Oi! Nimmst du deine Hände weg von meiner Tochter, oder ich lass dich da unten!“ Kogorô hatte seinen Kopf durch die Öffnung gestreckt. „Hey, Alterchen.“, Heiji packte ihn am Kragen und zog ihn zurück. „Bei so was stört man nicht. Aber könntet ihr mal hinnemachen da unten, ich würd' heut noch gern mal wieder raus aus dieser muffigen Halle…“ Dann hörte man ihn mit Kogorô weiterstreiten. Shinichi löste sich von Ran, ließ seine Stirn auf ihre Schulter sinken und lachte leise. Ran lächelte, streichelte ihm über Kopf und Rücken, fühlte Verbandsmaterial unter dem Stoff des Pullovers. „Gehen wir.“ Kaum hatte ihn eine brodelnde Oberschwester unter lautem Gekeife über seine bodenlose Gedankenlosigkeit ins Bett verfrachtet, war er wieder eingeschlafen. Ran hatte sich neben ihm gesetzt und schaute ihn an. Sie lächelte. Endlich, endlich, endlich. Endlich war alles so, wie es sein sollte. Nun, fast. Perfekt würde die Welt sein, wenn sie ihn wieder mit nach Hause nehmen konnte. Aber das war der momentan bestmöglichste Zustand. Sie beugte sich nach vorn und küsste seine Stirn. Dann warf sie einen Blick in die Ecke neben dem Schrank. Die Tüte, die sie schon vor zwei Tagen hier deponiert hatte, war noch da. Gut. Sie merkte, wie hinter ihr die Tür aufging und wandte sich um. Herein kamen Yukiko Kudô, der Tränen über die Wangen liefen und Yusaku Kudô, der einen Arm um seine Frau gelegt hatte und sehr, sehr blass im Gesicht war, der Professor, eine junge, blonde Frau, wohl Shiho, Heiji, Kazuha, Sonoko und die Detective Boys. Ran legte ihren Finger an ihre Lippen, um zu signalisieren, dass sie leise sein sollten. Sie waren es auch. Dann schlug der Wind, der durch das Fenster blies, die Tür zu. Shinichi fuhr hoch, zum zweiten Mal an diesem Tag, und ließ sich mit leisem Stöhnen wieder zurücksinken. „Wie oft denn noch?“, murmelte er. „Guten Tag, Sohnemann.“ Shinichi drehte den Kopf. Er schluckte, als er erkannte, dass das ganze Zimmer voller Leute war. Dann blieb sein Blick auf seinem Vater haften. „Oh. Hallo.“ Er machte sich innerlich auf die Strafpredigt gefasst, die im Anzug war. Das Donnerwetter musste einfach kommen. „Könntest du fairerweise noch ein paar Tage warten, bevor du mich zur Sau machst, nur damit ich zur Verteidigung in der entsprechenden Lautstärke zurückbrüllen kann, ja?“, meinte er erschöpft. Rans Rettungsaktion hatte ihn sehr angestrengt- mehr, als er sich selber eingestehen wollte. Yusaku seufzte, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Der Anblick seines Sohnes machte ihn fertig. „Ich hatte nicht vor, dich zur „Sau“ zu machen, wie du’s so nett ausdrückst. Ich wollte dir nur eines sagen.“ Shinichi drehte erstaunt den Kopf. „Mach so was nie, nie wieder. Nein-“ Er hob die Hand, als Shinichi den Mund geöffnet hatte, um etwas zu seiner Verteidigung hervorzubringen. „Nein, hör mir zu. Du hast keine Ahnung, keine Ahnung, was deine Mutter und ich und Ran und wahrscheinlich alle hier Anwesenden durchgemacht haben, einschließlich deiner kleinen Freunde hier.“ Er deutete auf die Detective Boys. Shinichi schluckte. „Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass du fast gestorben wärst. Hörst du. Gestorben! Tot!“ Seine Stimme brach. Shinichi blinzelte. Er hatte seinen Vater noch nie so erlebt. „Das Telefonat mit Hiroshi, die Stunden, die wir im Flieger saßen, in denen wir nicht wussten, wo du warst, ob du noch lebst- und dann Gang vor dem OP warteten und nicht wussten, ob du es schaffen würdest… sie waren die längsten in meinem Leben und dem deiner Mutter. Mach so was nie wieder. Das war das Schlimmste, was uns je widerfahren ist. Wenn du auch nur einen Funken Verstand hast, tust du uns das nie wieder an. Nie wieder.“ Er lehnte sich zurück und fuhr sich müde übers Gesicht. „Ich weiß, wir waren nicht immer für dich da. Glaub mir, keiner macht mir größere Vorwürfe als ich mir selber, und deiner Mutter geht es genauso. Es tut uns Leid.“ Er schluckte, bevor er fort fuhr. „Und ich weiß auch, dass ich auf Granit beiße, wenn ich von dir verlange, mit dem Detektivkram aufzuhören. Du bist gut, wahnsinnig gut und das weißt du, das ist das Problem.“ Shinichis Kinnlade fiel nach unten. Yusaku seufzte. „Nun, es ist so. Ich weiß, ich hab’s immer abgestritten vor dir.“ Dann seufzte er erneut. „Du warst unglaublich tapfer. Nicht jeder hätte das allein geschafft… ich muss dir wohl nicht sagen, wie knapp es diesmal war…“ „Du irrst dich.“ Yusaku starrte ihn an. Shinichis Augen suchten Ran, dann schaute er wieder in das Gesicht seines Vaters. „Ich hab das nicht allein geschafft. Ich hab vielleicht diese Organisation geschlagen, aber… ohne die Polizei, Heiji, Kogoro, ohne euch…“, er nickte den Detective Boys anerkennend zu, „und ohne dich“, er blickte zu Ran und schluckte schwer, „… wäre ich tot. Ich wäre draufgegangen dabei, man muss mir nicht sagen, wie dumm ich gewesen bin. Ich hätte es alleine nicht geschafft, diesmal. Und das weiß ich auch. Und du hast Recht, man muss mir auch nicht sagen wie eng es diesmal war, auch das ist mir bewusst.“ Er schwieg kurz, bevor er fort fuhr. „Es tut mir Leid. Wirklich. Es tut mir Leid. Ich schwöre, ich werde so was nicht mehr machen. Ich renne bestimmt nicht mehr im Alleingang irgendwelchen Kriminellen hinterher. Ich verspreche, ich pass besser auf mich auf. Und es tut mir Leid-“ Shinichis Blick wanderte zu den Detective Boys. „Es tut mir Leid, euch was vorgemacht zu haben, wirklich. Ich- wir, ich denke, ich spreche für uns beide“, er schaute kurz zu Shiho, die bestätigend nickte, „wenn ich sage, dass es uns Leid tut. Wir wollten euch da nicht mit reinziehen, das ist alles. Wir wussten ja, mit wem wir es zu tun hatten und ihr…“ „Seid Kinder.“, vollendete Mitsuhiko seinen Satz. „Tja. Is wohl eine Tatsache.“ Shinichi zog die Augenbrauen hoch. „Und?“ „Wären wir hier, wenn wir nicht noch mal ein Auge zugedrückt hätten?“, seufzte Genta gönnerhaft. Heiji warf ihm einen schrägen Blick zu und versetzte ihm eine Kopfnuss. „Wie war das? Wir gehen nicht heim, bevor wir ihn gefunden haben! Oder: Conan ist unser Freund, egal ob zehn oder zwanzig Jahre alt! und nicht zu vergessen: Wir waren mit dem besten Detektiv Japans befreundet!“ Der junge Mann aus Osaka grinste säuerlich. Genta, seufzte. „Jaja. Schon gut.“ Ayumi griff nach Shihos Hand und lächelte zu ihr hinauf. Yusaku nickte uns schaute seinen Sohn an. „Schön. Dann sind wir beide uns ja zur Abwechslung mal einig.“ Dann lächelte er und winkte Yukiko und dem Professor zu, die Tüten mit Kuchen und Limonade in den Händen hielte. Shinichi zog die Augenbrauen hoch. „Euch ist schon klar, dass ich so zuckersüße Sachen eigentlich noch nicht essen darf? Ich krieg doch eigentlich nur Krankenhausfraß...“ Ran lachte. „Die vom Krankenhaus müssen's ja nicht wissen. Aber du hattest Geburtstag und zwar gewissermaßen doppelt, und deswegen verdienst du verdammt noch mal eine Feier mit Kuchen, man wird nicht jeden Tag zehn…“, sie grinste, „oder zwanzig. Und…“ Sie sprang vom Bett, holte die Tüte und zog ein Geschenk hervor. Sie setzte sich, machte es sich bequem und hielt es ihm hin. Das Geschenk, dessen Karte er schon gelesen hatte. Er nahm es und lächelte versonnen. Lang schaute er es einfach nur an. Zog die Karte heraus, die er schon kannte… Wickelte es aus, während die anderen laut schwatzend Kuchen verteilten, wohl wissend, dass Ran ihm zusah. Es war… ein Buch. Aber kein gekauftes. Es war ein Album. Ein Photoalbum. Mit Photos von ihm und ihr, vor seiner Zeit, als er Conan wurde. Fotos von ihren Ausflügen, von den Klassenfahrten, dem Theaterstück. Und am Schluss Fotos, von ihr und Conan. „Das letzte Kapitel ist aber neu, nicht wahr?“, flüsterte er, warf ihr einen kurzen Blick zu. „Ich hatte ja noch ein paar Tage Zeit… und es war noch Platz…“, murmelte sie. Sie war sehr, sehr rot geworden, während er die Seiten durchgeblättert hatte. Sie musste Wochen dran gesessen haben. Allein die ganzen Photos aufzutreiben, nachmachen zu lassen, die Seiten zu bemalen, zu verschönern… Liebevoll zu gestalten, umrahmen, beschreiben… Dann war er mit dem Durchblättern auf der letzten Seite angekommen. Sie war leer. Er starrte sie an. „Was kommt auf die letzte Seite?“ „Wer weiß?“ sie lächelte. „Ich hoffe, es gefällt dir…die Alternative hast du ja schon… gewissermaßen…“ Er zog sie in die Arme und küsste sie. Sanft, innig. Dann ließ er sie los, lehnte seine Stirn an ihre. „Danke Ran. Ich liebe es. Ich liebe dich.“ Sie lächelte, fischte sich ein Stück Kuchen vom Teller, lehnte sich zufrieden seufzend gegen ihn und gab ihm die Hälfte ab. Gedankenverloren starrte er auf seinen rechten kleinen Finger. Dann legte er seinen Arm um Ran, griff nach ihrer rechten Hand und inspizierte ihren kleinen Finger mit leicht gerunzelter Stirn. Eigentlich war es schon verrückt. Verdammt unglaubwürdig... Aber angesichts der ganzen Dinge, die passiert waren, Dinge, die sich nicht erklären ließen... konnte es da nicht vielleicht doch sein...? Er seufzte nachdenklich. Ran drehte den Kopf, soweit, dass sie in seine Augen sehen konnte. „Glaubst du daran?“ Er hob die Augenbrauen. „Woran? An rote Fäden?“ Shinichi machte ein skeptisches Gesicht, dann verhakte er seinen kleinen Finger mit ihrem. „Wer weiß?“, murmelte er, bevor er sich das Stück Kuchen, das Ran ihm gerade gereicht hatte, in den Mund schob. „Wer weiß…“, nuschelte er. Ran lächelte sanft, ließ sich wieder gegen ihn sinken und betrachtete zufrieden ihre ineinander verschlungenen Finger. Shiho stand mit dem Professor und den Detective Boys ein wenig abseits. Sie beobachtete Shinichi. Er lachte. Er sah glücklich aus. Und sie freute sich. Sie hätte das nicht erwartet. Eigentlich hatte sie gedacht, sie würde vor Eifersucht platzen, als Shinichi Ran geküsst hatte. Stattdessen… freute sie sich. Der Professor schaute sie mit einem Augenzwinkern an. „Und, was denkst du, meine Liebe?“ Shiho lächelte. Steckte ihre Hand in ihre Jackentasche und umschloss kurz mit ihren Fingern die Ringe… die Eheringe ihrer Eltern. Dann angelte sie sich ein Stück Kuchen vom Teller. „Ich finde, sie passen bestens zusammen. Ich bin so froh, dass das alles noch ein gutes Ende genommen hat. Wirklich. Er hat’s verdient, nach alldem, was er durchmachen musste. Und ich meine nicht nur die letzten Tage. Wie schön, ihn mal endlich wieder glücklich zu sehen.“ Damit biss sie genüsslich in ihren Kuchen, drückte Ayumis kleine Hand. Doch ja- sie hatten es sich verdient, endlich glücklich zu sein. _________________________________________________________________________________ So- nun also fällt der letzte Vorhang. Das war das letzte Kap- herzlichen Glückwunsch, ihr seid durch! Rans Geschenk war vielleicht ein wenig zu süß, aber wer will noch was sagen, nach selbstgemachter Valentinstagsschokolade in Herzform? Sooo- danke für's Lesen! Ich hoffe, ihr hattet euer Vergnügen. :) Ein besonders herzliches Dankeschön geht hier an dieser Stelle wie immer, an meine Kommentarschreiber (DANKE!!!): Anime-Wolf Black_Taipan catgirl222 Conan-kun Diracdet Eri_Kisaki foxgirl Itako_no_Anna Kamikaze_Socke_Ushi Kazuha92 KilmaMora Kokomiko Littleangelheart Martini meer moonmaster Shelling__Ford Shinco ShinichiKudo_017 Shi_Ran-chan sonoko Starlett Sumsi SunniNiko Vertschl Zinha Ich danke euch allen, dass ihr euch die Zeit genommen habt, etwas zu schreiben. Und danke auch an alle, die sich in Zukunft noch die paar Minuten nehmen werden, um hierzu ihren Senf abzugeben! *verbeug* Danke auch an alle, die diese Fic in ihre Favoritenlisten eingetragen haben! So- jetzt noch eine Info in eigener Sache- ich weiß auch gar nicht, inwiefern euch das noch interessiert; an dieser Stelle muss ich sagen, dass die nächste Fanfic, die ich schreibe, um Ostern herum, frühestens Ende Februar/ Anfang März online geht. Es wird sich um die Fortsetzung zu „Weihnachtswünsche“ handeln, um die ja manche gebeten haben. Die Geschichte wird mit Sicherheit kein Oneshot werden- dafür gibt das Thema zu viel her. Lasst euch überraschen. Wer Wert darauf legt, benachrichtig zu werden, wenn die neue Fic beginnt, soll es mir entweder im Kommentar oder per ENS mitteilen. In diesem Sinne- *verbeug* MfG, eure Leira :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)