Kurzgeschichten von Medihra (24-Stunden-Schreibaufgabe) ================================================================================ Kapitel 8: Zwischen den Welten ------------------------------ Zwischen den Welten Die Sonne neigte sich dem Horizont, sodass sich der Himmel rot verfärbte. Die Vögel flogen in Schwärmen zu ihren Schlafplätzen in die Bäume und fingen an sich leise in den Schlaf zu zwitschern. Nur das metallene Geräusch von Klingen, die sich kreuzten, übertönte die Tiere. Die Wucht des letzten Schlages ließ Andalglarien taumeln, sodass sie ihr Gleichgewicht verlor. Unsanft fiel sie ins Gras und blieb keuchend liegen. »Habe ich dich verletzt?«, fragte ihr Vater Katlian besorgt. »Nein«, antwortete sie kopfschüttelnd, »ich bin lediglich außer Atem. Wir üben bereits seit dem frühen Nachmittag und ich bin der Meinung, wir sollten es für heute beenden, Vater.« Katlian lächelte seine 14-jährige Tochter an und setzte sich zu ihr ins Gras. Sein Schwert legte er neben sich. »Du hast dich verbessert, Andalglarien.« »Ich bin eben ein Naturtalent«, antwortete sie frech. »Ich würde eher sagen, dass es auch mit an dem Schwertmeister liegt, mit dem du übst«, lachte ihr Vater und schüttelte seinen Kopf. »Aber Talent vermag ich in dir zu erkennen. Eines Tages wirst du eine große Schwertkämpferin sein.« »Mutter ist da anderer Meinung. Sie sieht mich als Wassermagierin durch Ethera ziehen und neue Welten erkunden. Oder vielleicht doch als ihre Nachfolgerin des Ladens?«, verzweifelt blickte sie ihren Vater an und strich eine Strähne ihres blonden Haares hinter ihre Ohren, die oben spitz zuliefen. Er zwinkerte ihr zu. »Tári hat ihren eigenen Willen. Sie war schon immer so und einen Teil von diesem Willen hat sie auch an dich weitergegeben.« Andalglarien setzte sich auf, sah ihren Vater an und gähnte herzhaft. »Ich werde zu Bett gehen, Vater. Morgen Nachmittag muss ich wieder zur Schule und da möchte ich gern ausgeschlafen sein.« Sie drückte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange und stand dann schwankend auf. »Ich bring dir gleich noch einen Tee hoch, damit du besser schlafen kannst und entspannt aufwachst.« Ein Lächeln erschien auf Andalglariens Lippen, dann machte einen leichten Knicks. Mit schweren Schritten ging sie auf dem Steinplattenweg zur Hintertür, die direkt in die Küche des Hauses führte. Diese war ungewöhnlich leer, da ihre Mutter zusammen mit ihrem Bruder Cëargan ihre Großeltern in O’rye besuchten. Auch wenn sie sich oft mit ihrer Mutter stritt, vermisste sie gerade aus vollem Herzen. Gerne hätte Andalglarien sie begleitet, doch die Schule hatte Vorrang. Sie verließ die Küche und erreichte den Flur, in dem die Treppe zum oberen Stockwerk führte, in welchem sich die Schlafräume ihrer Familie befanden. Andalglarien öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und schloss sie leise hinter sich. Die ersten Tränen liefen über ihre Wangen, als sie zu ihrer Waschschüssel ging. Schluchzend zog sie ihr Leinenhemd und ihre Hose aus und tauchte ihre Hände in das kalte Wasser. Sie spritzte es in ihr Gesicht, um so ihren Schweiß und ihre Tränen wegzuspülen. Das überschüssige Wasser wischte sie mit ihrem abgelegten Hemd ab. Mit großen Schritten ging sie zu ihrem Bett, auf dem ihr Schlafhemd aus weißem Leinen lag. Sie zog es sich über ihrem Kopf und gerade als sie unter ihre Decke schlüpfte, kam ihr Vater mit einem dampfenden Becher hinein. Katlian kam zu ihr und setzte sich auf ihre mit Stroh gefüllte Matratze. Er überreichte ihr den Becher. »Auch wenn du heute besser als sonst warst, du warst mit den Gedanken nicht ganz da. Was war los mit dir?« »Ich vermisse Mutter«, seufzte Andalglarien. »Warum musste sie gerade dann verreisen, wenn ich noch Schule habe?« »Du weißt, dass Tári dies nicht mit Absicht gemacht hat. Aber Cëargan ist ins Mannesalter gekommen und dies feiern deine Großeltern groß und dort sind nur die Söhne und Mütter zugelassen.« Sie verzog ihren Mund. »Ich wünschte, ich wäre als Junge geboren worden! Dann dürfte ich Männerkleidung tragen und Mutter hinge mir nicht in den Ohren, ich solle doch ein Kleid abnziehen! Ich hasse es ein Mädchen zu sein!« Ihr Vater atmete schwer. »Ich bitte dich! Rede nicht so über dich und deine Mutter! Hier, trink diesen Tee und leg dich schlafen und wage es ja nicht vor der Mittagsstunde aus deinem Zimmer zu kommen!« Er stand auf und verließ rasch das Zimmer. »Vater ...« Traurig senkte sie ihren Kopf und betrachtete den Tee in dem Becher. Von ihm ging ein wunderbarer Geruch aus; ein Gemisch aus Rose, Kirsche, Erdbeere, Kamille und einem Aroma, das sie nicht identifizieren konnte. Nachdem sie lange ihre Spiegelung betrachtet hatte, führte sie den Tee zu ihren Lippen und nippte vorsichtig dran. Ein wohlig-warmes Gefühl breitete sich in ihr aus, während sie den Tee trank. Langsam wurde sie müde. Als der Becher leer war, stellte sie ihn auf den Boden, selbst legte Andalglarien ihren Kopf in ihr Kopfkissen. Bevor sie ihre Augen schloss, gähnte sie ein leises »Mutter ...«. »Andalglarien Itabah, wach auf.« Die sanfte Stimme ließ ihre Augen öffnen. Sie spürte, dass sie im warmen Gras lag und konnte den Duft der Wiesenblumen riechen. »Sei gegrüßt, Tochter von Tári und Katlian Itabah.« Andalglarien blickte in ein gütig-dreinblickendes, weibliches Gesicht, erschrak und setzte sich auf. »Wer ... Wer seid ihr?« Die Frau ihr gegenüber lächelte. »Ich bin die Herrin der Träume und des Schlafes.« »Göttin Faranda?« »Ja.« Ungläubig sah Andalglarien sie an. »Aber wie ist das möglich? Das ist alles ein Traum ...« Die Göttin lachte leise. »So ist es.« Die 14-Jährige betrachtete sie lange. Zwei Strähnen hatte die Göttin zu Zöpfen gebunden. Das Gesicht war kindlich gehalten, die Nase war kurz und stupsig, die Lippen voll und ihre Augen groß wie Kinderaugen. Gekleidet war Faranda in einem wunderschön verzierten Seidenkleid. Es war nachtblau, mit feinen Goldfäden waren Sterne aufgestickt. »Wenn dies alles ein Traum ist, wo bin ich? Das Traumreich habe ich mir anders vorgestellt.« »Du bist dort, wo du sein möchtest.« »O’rye«, hauchte Andalglarien. Schnell stand sie auf und wandte sich um. Sie stand auf einem leichten Hügel und blickte auf eine kleine Stadt hinunter, in welchem das Fest zur Mannwerdung stattfand. Sie wandte sich um und lächelte die Göttin an. »Vielen Dank!« Die Götten nickte ihr zu und verschwand. Andalglarien lief den Hügel hinab, stolperte und rollte bis zum Fuße. Sie blieb im Dreck liegen, doch der Schmerz war schnell vergessen, als sie unter den Elfen vor ihr, ihre Mutter ausmachte. »Mutter! Mu-!« Sie verstummte. Was würde ihre Mutter dazu sagen, wenn sie ihre Tochter hier sah? Tári hatte sie nicht mitgenommen, gerade weil Töchter auf diesem Fest verboten waren. Auf allen Vieren kroch sie hinter einen Busch und ließen ihren Tränen freien Lauf. »Was ist das nur für ein Traum, in dem ich nicht mal meine Mutter sehen darf?« »Das ist dein Traum, Andalglarien, in deinen Träumen darfst du alles«, hallte Farandas Stimme den Hügeln hinunter. »Steh auf und geh zu deiner Mutter. Sie wird sich freuen, dich zu sehen.« Andalglarien wischte sich ihre Tränen aus dem Gesicht und stand auf. Mit festen Schritten trat sie aus dem Gebüsch hervor. Sie ging mit entschlossener Mimik auf ihre Mutter zu, die auf einer Bank abseits der tanzenden Elfen saß. Sie räusperte sich leise und tippte zurückhaltend auf die Schulter ihrer Mutter. Erschrocken blickte Tári über ihre Schulter. Ein Lächeln breitete sich aus und sie stand auf. Glücklich zog sie ihre Tochter in ihre Arme. »Schön, dass du hier bist, Andalglarien.« Sie genoss die Umarmung und Wärme ihrer Mutter. Sie liebte es ihren Herzschlag zu hören. Sie liebte es den Geruch ihrer Mutter zu riechen. »Komm mit. Eigentlich dürftest du nicht hier sein. Wenn sie dich sehen, wirst du zu deiner Volljährigkeitsfeier ausgeschlossen sein, weil du die Regeln missachtet hast.« Tári und ihre Tochter verließen den Festplatz und lenkten ihre Schritte aus der Stadt hinaus. Zusammen gingen sie in den angrenzenden Wald, schwiegen jedoch dabei. Erst als sie sich auf einen Baumstamm niederließen, fragte Andalglarien zaghaft: »Mutter, wann wirst du zurückreisen? Vater und ich vermissen dich und natürlich vermissen wir auch Cëargan.« »Das Fest dauert noch zwei Tage. Ich habe meinen Eltern versprochen, noch eine Woche zu bleiben.« »Oh, verstehe. Dann seid ihr mit der Rückreise noch etwa einen Monat fort.« Tári nickte und sah, dass ihre Tochter wieder weinte. »Weine nicht, wir kommen ja wieder.« »Ich vermisse dich, Mutter. Ich vermisse dich so sehr.« »Ich weiß. Eine Mutter versteht den Kummer ihrer Kinder.« Tári beugte sich vor. Zaghaft pflückte sie eine Blume mit purpurner Blüte. »Verzeih mir, Göttin der Blüten, aber ich möchte sie meiner Tochter schenken.« Als Antwort ging ein Wind durch die Baumwipfel. Lächelnd gab Tári die Blume ihre Tochter. »Behalt sie solang, bis ich wieder zurückkehre. Die Blüte selbst ist von der Göttin gesegnet und wird erst verblühen, wenn ich wieder bei euch bin. Doch nun«, sie stockte kurz, »muss ich zurück, sonst vermisst man mich noch.« Andalglarien nickte traurig. »Verständlich. Ich hätte gar nicht hier sein dürfen.« »Wach auf, meine Tochter, du warst nun lang genug zwischen den Welten. Vergiss diesen Traum nicht.« Tári hob ihre Hand zum Gruß. »Ich liebe dich, Mutter!« »Wach auf, du Schlafmütze. Die Sonne steht schon hoch am Himmel.« Die Stimme gehörte zu ihrem Vater. »Du musst noch deine Sachen für die Schule packen.« Langsam öffnete Andalglarien ihre Augen und beobachtete ihren Vater dabei, wie er Sachen vom Boden aufhob. »Du bist seit drei Tagen hier und schon sieht es aus, als ob eine Horde von Dunkelelfen durch dein Zimmer gezogen wäre.« »Oh Vater, diese Worte sagst du mir jedes Mal.« »Ich hoffe, du lernst irgendwann auch mal, Ordnung zu halten.« Ihr Vater kam zu ihrem Bett und hob den Becher auf. »Dann müsstest du ... Wo hast du diese Blume her?« Andalglarien hob die Blume auf, die neben ihrem Kissen lag. Sie hatte eine purpurne Blüte. »So eine habe ich hier noch nie gesehen.« »Du wirst es mir eh nicht glauben, woher ich sie habe.« Katlian zog seine Stirn kraus. »Nun ja... So, aber nun warst du lang genug im Bett. Auf, du musst bald los.« Sie küsste die Blüte. Langsam stand sie auf und ging zum Bücherregal, das an der Wand gegenüber stand. Sie zog ein Buch heraus, das sie mit in die Schule nehmen wollte, schlug es auf und legte die Blume hinein. »Bis bald, Mutter. Es war schön, dich sehen zu dürfen.« Sie schloss vorsichtig das Buch. »Hab Dank, Göttin Faranda, dass du mir ermöglich hast, sie sehen zu dürfen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)