Auch ein blindes Huhn... von LeS ================================================================================ Die Große Halle war wie ausgestorben. Kein Wunder, es war ja auch noch verdammt früh am Morgen. Draußen war es schon hell und die Vögelchen zwitscherten. Sirius grinste und rieb sich die Hände. „Das wird der größte Coup seit... ach, was weiß ich!“ „Also, ich weiß ja nicht“, sagte Remus unvermittelt. Er hatte die ganze Zeit die Klappe gehalten, aber natürlich jetzt, wo es ernst wurde, musste er mal wieder den Spielverderber mimen. Sirius stöhnte genervt und drehte sich zu ihm um. Remus hatte die Arme verschränkt. „Jetzt komm schon, Moony! Ist ja nicht so, als ob wir irgendwie, na ja, was böses tun würden.“ Klar, sein liebliches Lächeln konnte ja nur mit einer Schnute erwidert werden. Was auch sonst. „Moony, du warst einverstanden!“ „Einverstanden?“, presste er zwischen seinen schmalen Lippen hindurch. „Ich hab gar nichts gesagt.“ Sirius zuckte die Achseln. „Keine Antwort ist auch eine Antwort. Und nu’ komm, sonst ist es zu spät.“ „Ja, meinetwegen.“ Remus verdrehte die Augen und ging durch die große Tür, die aus der Halle führte und sah sich um. „Luft ist rein“, sagte er. Gott, klang das wieder gelangweilt. Als hätte ihm irgendjemand einen Kaugummi ins Hirn gezaubert. Sirius zog seinen Zauberstab hervor und betrachtete ihn grinsend. Oh, das war ein verflucht guter Plan. „Also dann...“ Er schwang den Stab, sprach den Spruch, und... „Ich hab es ja geahnt.“ Remus kniete neben ihm. Seine Wangen brannten. Hatte Moony ihn etwa gerade wachgeohrfeigt?! Er setzte sich auf. Irgendein Männchen hinter seiner Schädeldecke erlaubte sich einen schlechten Scherz, indem es dagegen hämmerte. Sirius jaulte und ließ sich von Remus aufhelfen. „Was war denn überhaupt los? Was hast du geahnt?“ Er sah sich um. Mist, die Halle hatte sich überhaupt nicht verändert. Das Essen fürs Frühstück stand inzwischen auf den Tischen und wartete nur darauf, von den ganzen verschlafenen Schülern aufgegessen zu werden. Sein Magen grummelte bei dem Gedanken an eins der frischen Brötchen im Mund. Er zog den Sabber zurück in den Mund. „Hat nicht geklappt.“ „Nein, hat es nicht“, sagte Remus. Er lehnte sich an die Wand. Seine Fingernägel schienen ihn auf einmal unglaublich zu interessieren. Ob das von seinem Werwolfdasein herrührte? Krallenfetisch? „Der Spruch ist auf dich zurückgeprallt. Du siehst jetzt sehr hübsch aus.“ „Häh?“, fragte Sirius. Sein Kopf schepperte noch immer unerträglich. Remus ließ sich an der Wand zum Boden niedersinken. Dort streckte er die Beine von sich. Sirius wich einen Schritt zurück. Beinahe wäre er drübergefallen. Heute war kein guter Morgen. „Häh sagt man nicht. Na ja, schau doch mal in nen Spiegel. Oder nen Teller. Dürfte auch reichen.“ Er riss den Mund auf und gähnte; er hielt sich noch nicht mal eine Hand vor den Mund. Klar, war ja nur Padfoot, da konnte man schon mal die Manieren gehen lassen. Er schnappte sich wütend vor sich hermurmelnd einen Teller und betrachtete sein Gesicht. „Du liebe Güte!“ Remus hatte den Nerv zu kichern wie eins der unerträglichen Mädchen, das ihm hinterherlief. Zusätzlich hielt er sich auch noch beide Hände vor den Mund. „Wieso habe ich solche Augen, hm!?“ Remus hustete. Wohl um sein Lachen runterzuschlucken. „Weiß nicht. Solange du noch mit ihnen sehen kannst, ist doch alles in bester Ordnung.“ „Isses nicht!“, fauchte Sirius. Er hielt sich den Teller nochmals vors Gesicht. Kein Unterschied zu fünf Sekunden vorher. Seine Augen waren weiß, komplett weiß, nicht mal Äderchen vom zu lange aufbleiben waren mehr zu sehen. Weitere fünf Sekunden später krachte der Teller gegen die Wand und die Scherben verpufften. Hauselfen waren verdammt schnell. Oder hatte er doch mehr von seiner Sehkraft eingebüßt als zunächst gedacht? Er sah Remus an, der inzwischen aufgestanden war und sich den Staub vom Mantel klopfte. Alles an ihm war aufs kleinste Haar zu erkennen. Der schlanke Hals, die Narben im Gesicht, die traurigen braunen Augen, die auch bei der Verwandlung zum Werwolf nie verschwanden... Unwillkürlich musste er husten. Den zweitbesten Freund so anzustarren war vielleicht nicht die beste Art und Weise die Augen durchzuchecken. Dummerweise bemerkte Remus erst dadurch, dass er überhaupt angestarrt worden war und verschränkte – mal wieder, wahrscheinlich wollte er das als sein Markenzeichen einbürgern – die Arme. „Hab ich jetzt auch was im Gesicht, oder wie?“ Er trat näher. Sirius wich zurück. Und fiel beinahe über dem Tisch hinter ihm. Ein Glück war Remus nicht angepisst genug, um ihn fallen zu lassen, sondern packte ihn am Arm und zog ihn zurück, weit weg von dem lebensgefährlichen Tisch. „Nee“, sagte er leise. „Ich wollte nur wissen, ob meine Augen auch ganz wirklich richtig richtig funktionieren!“ „Richtig richtig? Schon klar.“ Remus klaute sich ein Brötchen aus einem der Körbe und nagte daran. „Deine Augen funktionieren?“ „Ja“, sagte Sirius noch ein wenig kleinlauter. „Sogar ziemlich gut!“ Remus nickte. „Hmm.“ „Mehr fällt dir dazu jetzt nicht ein?!“ „Es scheint nur was Optisches zu sein. Dann ist doch alles okay.“ Sirius nahm ihm das Brötchen aus der Hand und warf es auf den Boden. Puff, schon war es wieder weg. Wenn er das nächste Mal heimlich in die Küche kam, würde er die Elfen solange vernehmen, bis einer von ihnen sang! „Alles okay? Ja, klar, ich bin entstellt, aber sonst ist alles in Butter!“ „Wahre Schönheit entstellt nichts.“ Als ob er den Satz damit betonen wollte, griff er sich ein neues Brötchen. Er ging auf Sicherheitsabstand. Jetzt müsste Sirius erst einen gewaltigen Satz machen, um an dem Brötchen seine Wut auszulassen. Aber eigentlich standen ja auch so genug Sachen rum, die man werfen konnte. Er merkte, wie er bei dem Gedanken daran, die ganze Halle per Hand zu demolieren, ruhiger wurde. „Begleitest du mich wenigstens zum Krankenflügel, hm?“ Remus legte eine Hand an die Lippen und klopfte mit dem Finger darauf. Sirius Blick fiel auf die dunkle Haut, die so leicht unter dem Druck nachgab. Er schüttelte den Kopf. Pfui, bah! „Klaro“, sagte Remus schließlich. Na, wenigstens etwas. Er hatte schon gedacht, er hätte seinen Freund jetzt ganz an irgendeinen Scherzkeks verloren, der sich mal eben dessen Körper ausgeliehen hatte. Also zogen sie los. Langsam erwachte das Schloss zum Leben. Man hörte das Lachen und Gebrülle von Schülern und einigen Lehrern, die die Schüler wieder zum Schweigen bringen wollten. Umso mehr Stockwerke sie hochstiegen, desto lauter wurde es. Sie wichen den Fluren aus, die die Schüler benutzen würden, um in die Große Halle zu strömen und kamen nach aufreibenden zehn Minuten im Krankenflügel an. „Wir haben hier ein Problem“, verkündete Remus. „Meinst du mich, oder was?“ Sirius knuffte ihn in die Seite. Hoffentlich war das mal hart genug, dachte er. „Du könntest etwas netter zu mir sein. Immerhin bin ich entstellt. Ey, halt mal. Ich hab vergessen, dass du das total lustig findest.“ Remus warf ihm einen bösen Blick zu und schüttelte den Kopf. Die Krankenschwester schob die beiden auseinander. „Lass mich mal sehen.“ Sie beugte sich zu ihm herunter. Es wurde schon lange gemunkelt, dass sie in der Verwandtschaft Riesen hatte. Aber jetzt war ein relativ schlechter Zeitpunkt, um sie damit aufzuziehen, fand Sirius und ließ sich von ihr begutachten. Er verlagerte das Gesicht von einem Bein aufs andere. Die Schwester nickte. „Ja, das ist übel.“ Sirius Herz sank ihm in die Kniekehlen. „Werde ich für immer so entstellt sein!?“ „Aber nein!“ Sie lachte und wedelte mit ihrer riesigen Hand vor seinem Gesicht herum. Wurde das jetzt Volkssport!? „Es ist nur so – es wird nur von alleine weggehen. Und ehrlich gesagt, da du dir das selber angetan hast...“ „Woher wissen Sie das!?“ „... ist das eine gerechte Strafe.“ Sie wuschelte ihm durchs Haar. Toll. Jetzt sah er bestimmt noch wunderprächtiger aus. „Setz dich erst mal hin. Es kann sein, dass du Schmerzen hast, wenn die Wirkung nachlässt. Um den Effekt etwas zu mildern, werde ich dir lieber Medizin geben.“ Remus setzte sich auf eins der Betten und schlug die Beine übereinander. Sirius gesellte sich zu ihm. „Das ist alles deine Schuld!“ „Meine Schuld?“, plapperte Remus ihm nach. „Wieso das denn wieder? Ich hab dir doch gleich gesagt, dass ich das für keine gute Idee halte, aber du wolltest nicht auf mich hören. Selbst schuld.“ „Du hättest mich eben richtig aufhalten sollen, nicht so möchtegernmäßig! Du weißt doch, wie ich bin. Wenn man mich nicht KO schlägt, hör ich nicht auf.“ Remus verdrehte die Augen. „Na und? Dann hättest du versucht, es alleine durchzuziehen. Ich könnte wetten, irgendein Schutzzauber liegt auf der Großen Halle. Deswegen hat es nicht geklappt.“ „Quatsch! Das wäre doch viel zu gefährlich. Abgesehen davon haben sich dort schon öfter welche gezankt und da ist nie was passiert. Nicht in der Art.“ „Anderer Spruch, andere Rückwirkung?“ Sirius zuckte die Achseln. „Ist doch jetzt auch egal!“ Ob es jetzt an ihm selbst gelegen hatte oder an der Großen Halle, oder weil sich Gott einen Scherz erlaubt hatte, das änderte ja ohnehin nichts mehr daran, dass seine Augen aussahen wie zwei Golfbälle. Ohne die ganzen Einkerbungen und Grasflecken. Es waren halt frische Golfbälle, noch komplett unberührt. Die Schwester kam aus ihrem Zimmer gewuselt und hielt eine Flasche mit einer blubbernd blauen Flüssigkeit in der Hand. Sie schwenkte sie ein paar Mal zwischen ihren Händen hin und her und reichte sie dann an Sirius weiter. Er betrachtete die schäumende Masse argwöhnisch. Das sah nicht wirklich gesund aus, aber wenn er tatsächlich starke Schmerzen bekommen würde? Gut, das wäre ein Grund zum Schwänzen, aber was konnte man schon mit starken Schmerzen besseres tun als langweilig in der Gegend rumliegen und zu jaulen, man stürbe gleich? Richtig, nichts. Er zog den Stöpsel aus der Flasche und schnüffelte hinein. Es roch süß, nach Beeren. „Alles austrinken. Auf ex. Eins, zwei...“ „Ja doch! Nur nicht hetzen!“ Sirius hob beschwichtigend die Hände. Er holte tief Luft. Wenn das auch nur ein bisschen so schmeckte, wie es roch, war ja alles okay. Aber irgendwie hatte er die ungute Ahnung, dass das nicht der Fall sein würde. „Okay. Okay!“, sagte er, als ob das eine beruhigende Wirkung auf ihn hätte. Er wurde nur noch nervöser. Sirius sah zu Remus hinüber. Der betrachtete ihn mit dem gleichen Interesse, das er gestern den Alraunen entgegengebracht hatte. Remus war mal wieder der einzige in der Klasse gewesen, der die Stunde ohne Ohrenpfeifen überstanden hatte. „Jetzt mach schon! Umso schneller es vorbei ist, desto weniger wirst du davon merken.“ Obwohl er es nett fand, dass sein Freund ihm helfen wollte, war er doch enttäuscht, dass das so gar keine Wirkung auf ihn hatte. Er sah Remus mit verzogenem Gesicht an. „Muss ich wirklich, Remus?“ Bei seinem richtigen Namen hob Remus beide Brauen. Dann lächelte er. „Wenn du Schmerzen hast, werde ich bestimmt der letzte sein, der sich darüber beschwert – aber du willst doch keine haben?“ „Natürlich nicht.“ Sirius wandte den Blick ab, hinein in den Flaschenhals des scheußlichen Gebräus. Es hatte sich inzwischen wieder etwas beruhigt und schäumte nicht so sehr. Er schluckte. Dann also los. Wenn nicht jetzt, dann nie! Er setzte die Flasche an, öffnete den Mund weit und presste die Zunge nach unten. So schnell er konnte schluckte er alles herunter. Es schmeckte nicht halb so furchtbar, wie er es sich vorgestellt hatte. Sondern doppelt. Remus und die Schwester schlugen ihm so gut wie zeitgleich die Hände auf den Mund und drückten ihn aufs Bett, damit er nicht gleich alles wieder ausspuckte. Gott, ihm war zum Kotzen. Sobald der Saft seine Zunge berührt hatte, war er zu einem klebrig, eklig süßen festen Brei geworden. Er schluckte die letzten paar Brocken nur widerwillig herunter. Ausspucken ging ja nicht, da ihm der Mund noch immer zugehalten wurde. Vor Anstrengung liefen ihm Tränen über die Wangen. Er schwitzte. Sein Umhang zog sich immer fester an seinen Rücken. Der Schweiß war eiskalt. Ein Zittern durchfuhr seinen Körper, als alles auf dem Weg in seinen Magen war. Langsam hoben Remus und die Schwester ihre Hände von seinem Mund. Er blieb reglos liegen, hob nur einen Arm und putzte sich die Tränen und den Schweiß vom Gesicht. Er ließ den Arm so liegen. Es musste ja nicht sein, dass man ihn weinen sah. Aber das Engegefühl in seiner Brust war furchtbar und breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Als ob er langsam aber stetig mit Watte ausgestopft würde wie ein Tier. Jemand legte eine Hand auf seinen Arm. Sie war klein, mit dünnen Fingern. „Die Schwester ist weg“, sagte Remus. „Na komm, hab dich nicht so. Zeig mal dein Gesicht.“ „Red nicht mit mir wie mit einem Vierjährigen, verdammt!“ Sirius drückte den Arm mehr aufs Gesicht. Nicht dass er erwartete, Remus würde daran ziehen. Oh nein, Remus wusste, dass ein wahrer Gewinn nur darin lag, den anderen zum Kapitulieren zu bringen. Das hatte vor allem er, Sirius, schon oft genug zu spüren bekommen. „Tut mir Leid“, sagte Remus. Leise, aber er hatte ihn trotzdem verstanden. Kein Wunder, es war ja auch totenstill im ganzen Krankenflügel. Wahrscheinlich hatte die Schwester pietätvoll, wie sie war, die Tür zu ihrem Zimmer geschlossen. Oder eher falls er doch noch Schmerzen kriegen und rumbrüllen würde. Sirius kaute auf seiner Unterlippe. „Schon in Ordnung.“ Er hob den Arm vom Gesicht, nicht ohne dabei die neuesten Tränen wegzuwischen. Hoffentlich kamen nicht noch welche nach. „War ja wohl nicht so gemeint, ne?“ Remus setzte sich auf die Bettkante. „Richtig.“ Sein Gesicht war ganz blass. Die Narben schienen dunkelrot angelaufen zu sein, wo sie sonst nur babypink waren. „Es geht dir gut, ja?“ „Und dir? Du siehst aus wie n Gespenst, mein Lieber!“ Er setzte sich auf. Im Liegen kam er sich verletzlich vor wie das Häschen in der Grube. Einer der Gründe, warum er lieber mit James auf dem Sprung war, statt wie Remus dazusitzen und zu lesen, oder sich wie Pettigrew gleich auf den Boden zu werfen, sobald Gefahr in Verzug war. Remus zog eine Schnute. „Gar nicht wahr. Das macht das Licht.“ Die Sonne fiel in kräftigen Gelbtönen durch die hohen Glasfenster. „Ja, klar. Aber natürlich.“ Sirius seufzte. „Du solltest frühstücken gehen. Ich komm hier schon klar.“ „Bist du dir da auch ganz sicher?“ „Du kommst doch wieder?“ „Ich komme wieder.“ Remus lächelte, lehnte sich vor und umarmte ihn. Er umarmte ihn! Sirius rührte sich nicht, nur seinen Kopf ließ er auf die Schultern des anderen sacken. „Gut, dann werde ich das schon überstehen. Hab ja jetzt was, auf das ich mich freuen kann.“ Remus löste die Umarmung und schüttelte den Kopf – er schien ein Grinsen verbergen zu wollen. „Dummkopf. Wir sehen uns dann später. Ärger die Schwester nicht allzu sehr. Du weißt, sie hat es nicht leicht. Und falls andere Patienten kommen: Die ärgerst du auch nicht!“ „Du traust mir ja echt gar nicht!“ Er lachte, hob die eine Hand und legte die andere auf sein Herz. „Ich schwöre, im Namen des Vollmonds.“ Remus’ Gesichtszüge härteten sich merklich. „Tu das lieber nicht.“ Als Remus gegangen war, schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. So hatte er das bestimmt nicht gemeint! Wenn Remus nicht immer so empfindlich darauf reagieren würde. Vor allem bei ihm. Bei James schien ihm das nichts auszumachen. Pettigrew hatte sowieso zu viel Schiss, um so etwas überhaupt zu sagen. Sirius klaute sich ein Kissen vom Nachbarbett, knüllte es zusammen und stopfte es hinter seinen Rücken. Auf dem Nachttisch lag ein Klatschblatt. Der mit großen Lettern beworbene Artikel auf der Titelseite verhieß schon mal nichts gutes. „Hexe heiratet ihren Besen!“ Wohl eine Frauenzeitschrift. Dass die Schwester hier so etwas rumliegen ließ? Wenn von den Erstklässlern jemand das sah! Na ja, die meisten, die herkamen, waren sowieso nicht in der Lage, etwas zu lesen, oder zu beschäftigt, rumzunölen, wie schrecklich es ihnen doch ginge. Das hätte Sirius eigentlich auch gemacht. Nur war niemand da, der ihm dabei hätte zugucken können, und ohne Zuschauer war so eine Vorstellung nicht besonders komisch. Die ängstlichen Gesichter, aus denen man lesen konnte „Oh mein Gott! Er hat doch nicht wohl was ansteckendes!?“ fehlten total. Er schlug das Heft auf und blätterte zu den Kreuzworträtseln. Mit einem Zauberstabschlenker erschien ein Kugelschreiber in der Luft. Wenigstens war jetzt sicher, dass sein Stab noch richtig funktionierte. Er blies die Backen auf und rollte mit der Zunge durch den Mund, während er das Rätsel ausfüllte. Es waren keine schweren Fragen. Außer die nach diversen Berühmtheiten, auf die auch nur Frauen flogen, und von denen nur Frauen wussten, oder die Männer, die sich um ihre Gefährtinnen Sorgen machten. Davon gab es auch nicht gerade wenig, aber er gehörte nicht dazu., und hatte auch nicht vor, je dazuzugehören. Es gab viele Mädchen, die sich gerne an seiner Seite gesehen hätten, aber nur wenige, das wusste er, die es dort auch ausgehalten hätten. Früher oder später hatte es bisher noch jeden genervt, dass er ständig in Bewegung war, ständig irgendetwas anstellte. Bis auf seine drei Freunde. Na ja. Remus versuchte noch ihn zur Vernunft zu bringen, aber wenigstens haute er nicht einfach ab. Sirius starrte den Lösungssatz an. Das war ja einfach gewesen. Sobald man ein paar der Buchstaben hatte, konnte man problemlos erkennen, dass es ein Sprichwort war: „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.“ Sirius lachte. Das passte ja ganz hervorragend. Zwar war er weder ein Huhn noch wirklich blind, aber er sah wohl ein wenig danach aus. Gerupftes Huhn mit bleichen Augen. Als Huhn hätte er nur sicherlich keine Medizin bekommen. Beziehungsweise, dachte er, wäre mir das als Huhn erst gar nicht passiert. Der Artikel mit der Hexe und der Heirat ihres Besens stellte sich als Werbung für eine Erotikausstellung heraus. Auch die anderen Artikel strotzten nur so vor mal mehr und mal weniger gut versteckter Werbung. Wie man sich die Nägel einheitlich und ohne Flecken einfärbt, sodass es auch länger hält, selbst wenn man oft zaubern musste. Nichts für ihn. Erst gegen Ende des Hefts kam wieder etwas interessantes. Tipps, wie man anbandeln konnte. Für Frauen, Männer, und alles dazwischen – er wollte lieber nicht wissen, was mit dazwischen alles gemeint war. Der Artikel war in „Verknallt“ und „Große Liebe“ unterteilt. Sein Blick wanderte zu letzterem. Vielleicht würde er das nachher gleich mal bei Remus ausprobieren. „Du bist ganz rot.“ Die Schwester stand plötzlich vor seinem Bett. Sie schnappte sich das Heft und knallte es auf den Nachttisch. „Hast du Fieber?“ „Nein!“, sagte er und schüttelte vorsichtig den Kopf. Sein Nacken fühlte sich steif an. Sie betrachtete ihn eingehend. So musste es sich anfühlen, wenn man mit den Augen ausgezogen wurde. Er rutschte herunter. „Ich glaube, ich werde ein wenig schlafen.“ Sein lieblichstes Lächeln... und die Frau zeigte keine Reaktion. Ihr strenges Gesicht blieb streng, aber sie wandte sich netterweise von ihm ab. „Gut, ich schaue dann ab und an mal nach dir. Du weißt ja, wo ich bin, wenn du mich brauchen solltest. Und stell nichts an.“ „Man hat hier echt viel Vertrauen in mich“, murmelte er in seine zwei Kissen, als die Schwester wieder die Tür hinter sich geschlossen hatte. Seine Lider waren schwer. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, ein Nickerchen zu machen. Er war ja schließlich heute sehr früh aufgestanden. Sein Mund öffnete sich zu einem Gähnen. Noch bevor er den Mund bewusst wieder zugemacht hatte, war er weggedöst. Irgendetwas stupfte ihm in die Seite. Er grummelte; so einen schönen Traum hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Das Gefühl eines Orgasmus klang noch in ihm nach, als er die Augen aufschlug, und in Remus’ Augen sah. „Scheiße!“ Hatte er etwa doch nicht geträumt? Aber das konnte doch nicht sein. Remus war zu ihm gekommen, gleich nachdem er gegähnt hatte, hatte sich ausgezogen und Sirius hatte ihn zu sich gezogen und ihn geküsst und... er sah sich Remus genauer an, der einen Schritt Abstand genommen hatte. Remus war voll bekleidet und kein bisschen verschwitzt. „Oh, gut, doch nicht...“ Remus legte ihm eine Hand auf die Stirn. „Fieber hast du keins. Hattest du einen Albtraum?“ Bei der Berührung wurde Sirius ganz anders. Er zog die Beine an. „Nicht so richtig.“ „Ah, und warum dann das ‚scheiße’?“ Sirius zuckte die Achseln. „Ach, ich bin einfach erschrocken. Ist das nicht mehr erlaubt? Schließlich hast du mich mitten aus der Tiefschlafphase gerissen.“ „Ich hatte ja keine Ahnung.“ „Häh?“ Sirius massierte seinen Nacken. Er war schon weniger steif. „Dass du überhaupt weißt, dass es eine Tiefschlafphase gibt. Geschweige denn, was das bedeutet.“ Er streckte die Zunge heraus. „Du bist heute wieder sehr nett zu mir.“ „Und sonst? Deine Augen haben schon wieder richtig Farbe bekommen. Noch etwas blass, aber du siehst nicht mehr aus, als hätte dich ein Dementor überrumpelt.“ „Sonst ist alles paletti.“ Er schwang die Beine übers Bett und stand auf, ließ seine Schultern kreisen, dass die Gelenke knackten. „Fühl mich wie neugeboren!“ „Schön.“ Remus lächelte. Dann klopfte er auf seine Tasche. „Ich hab Notizen gemacht. Keine Widerrede. Wir werden wenigstens den wichtigen Stoff von heute nachholen.“ „Hab ja gar nichts gesagt“, murrte Sirius. Aber beinahe hätte er es, wenn Remus ihm nicht zuvorgekommen wäre. Als ob so kurz vor den Ferien noch irgendetwas wichtiges im Unterricht gekommen wäre. Lachhaft, die Lehrer waren in Gedanken ja selber schon alle am Strand oder in den Bergen, oder wohin auch immer Lehrer so reisten, wenn sie frei hatten. „Gehen wir.“ Es war ziemlich warm draußen. Sirius zog den Mantel aus und legte ihn auf einen Stein. Sie saßen am Ufer des Sees. Remus war dabei, alles „wichtige“ aus seiner Tasche herauszukramen und möglichst so hinzulegen, dass keine Ameisen zwischen die Seiten krabbeln konnten. Dafür, dass er so gerne draußen las, war er ganz schön panisch, wenn es um Insekten in seinen heißgeliebten Büchern ging. Sirius lehnte sich gegen den Stein und kaute weiter auf der Süßigkeit, die er sich aus der Küche geklaut hatte. Es erinnerte ihn entfernt an das Zeug, das ihm als Medizin verkauft worden war, nur dass er es nicht schlucken musste. Außerdem schmeckte es nicht süß wie der Tod, eher nach Pfefferminz und Kirsche. Remus Hände verkrampften sich um eins seiner Schulhefter. „Mach den Mund zu, wenn du schon rumschmatzen musst!“ Sirius schloss den Mund. „Ja, wie auch immer. Bist du bald fertig?“ „Hetz mich nicht. Hättest du das heute morgen nicht versucht, dann müssten wir hier jetzt nicht sitzen!“ „Ich hab’s ja verstanden. So schwer von Begriff bin ich nu’ auch nicht. Ich war ein böser Junge. Aber ich hab dafür genug gebüßt!“ Er zeigte auf seine Augäpfel. „Findest du nicht auch!?“ Remus sah ihm direkt in die Augen. „Wenn ich mir sicher wäre, dass du so was nie wieder probieren wirst, dann würde ich dir da zustimmen.“ Er wandte sich wieder der wichtigen Aufgabe zu, die Bücher hervorzuholen. Sirius stöhnte genervt. Er sah auf den See hinaus. Das Wasser war still. Klar, es war ja auch sonst windstill. Wäre es das nicht gewesen, wäre es wohl auch etwas kühler gewesen. Oder anders gesagt, erträglicher. Er rollte die Ärmel seines Hemds auf. „Das wäre alles. Mit was willst du anfangen?“ Mindestens zwölf Bücher, drei Hefte und ein Notizblock lagen vor ihm auf den Boden. „Wenn ich nichts sage, schlägst du mich dann?“ „Ja.“ „Dann such du was aus.“ Remus nickte. „Wir haben heute etwas sehr wichtiges über die Geschichte der Gründerväter von Hogwarts gelernt. Damit sollten wir anfangen.“ Also doch, er hatte Recht behalten. Gegen Anfang der Ferien gab es einfach nichts interessantes mehr im Unterricht. Er beschwerte sich aber nicht bei Remus, als dieser anfing, wohl genau das runterzuleiern, was auch der Lehrer gesagt hatte. Darin war er echt spitze. Anfangs hatte Sirius noch versucht ihn damit zu piesacken – als sie noch keine Freunde geworden waren – dass er bestimmt später mal Lehrer werden würde. Remus Augen hatten angefangen zu strahlen. „Meinst du, ja?“, hatte er ihn gefragt und dabei ganz verträumt aus der Wäsche geguckt. Ich glaube, dachte Sirius, das war wohl der erste Tag unserer aufkeimenden Freundschaft. Er warf Remus einen kurzen Blick zu und blieb dann unwillentlich an dessen Lippen hängen. Die Erinnerung an seinen (doch recht feuchten) Traum kam wieder zurück. Remus sprach immer langsamer und gedehnter, bis er schließlich den Mund schloss. „Sirius, alles okay?“ Er hob eine Braue. „Du guckst schon wieder so, als hättest du dein Hirn auf dem Schwarzmarkt abgegeben.“ Sirius schüttelte sich. „Nee, alles noch da.“ Er klopfte sich auf den Schädel. Ganz schlechte Idee. Wie das dröhnte! Das Hammermännchen war zurückgekehrt. Wenn er den Zwerg irgendwann mal zwischen die Finger bekam! Gleich mit den ganzen Hauselfen in einen Topf! Umso kleiner, desto bissiger. „Aber ich hab zugegebenermaßen nicht aufgepasst.“ Er sah so schuldbewusst drein, wie es ihm möglich war, ohne dass es geschauspielert wirkte. Die Mädels fanden das ja ganz süß, Remus bekam davon aber höchstens Wutanfälle. Und das auch nur, wenn er gut drauf war. Sonst wurde man damit gestraft, für den Rest des Tages, oder auch der Woche, von ihm ignoriert zu werden. Remus seufzte und rieb sich die Stirn. Als er die Hand endlich wieder wegnahm, daher auch nicht mehr dem Zaubertränkelehrer gruselig ähnlich sah, hob er den Kopf und lächelte. Sirius befürchtete schon das schlimmste: Eine Kopfnuss? Oder doch ein Tritt? Oder am allerschlimmsten: Petzen!? „Deine Augen sind jetzt wieder ganz klar.“ Sirius runzelte die Stirn. Dann fiel es ihm wieder ein. „Ach so!“ Da er keine Probleme mit dem Sehen gehabt hatte, war es schwer gewesen, sich daran zu erinnern, dass die Augen mit Pseudo-Golfbällen vertauscht worden waren. Wenn das jetzt nicht mehr der Fall war, dann musste er das ja aber auch gar nicht mehr. Er rieb sich die Augen. „Ganz klar?“ „Total glasklar.“ Remus klappte das Buch zu und stopfte es wieder zurück in die Tasche. „Das mit den Gründervätern vergessen wir am besten gleich wieder. Du kannst es dir ja sowieso nicht merken. Selbst wenn, du würdest es wieder vergessen, und wenn es dann in einem Test vorkommt...“ „... komme ich wieder angekrochen und du schreibst mir Zettelchen.“ Remus seufzte. „So ungefähr, ja.“ „Ach komm, du würdest mich doch nie durchfallen lassen!“, sagte Sirius mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Egal wie oft Remus versuchte, ihn auf den Pfad des Lichts zurückzuführen, selbst wenn er sich noch so fies verhielt, sein Kumpel hielt zu ihm. Da hatte er vollstes Vertrauen. „Bist du dir da auch ganz sicher? Ich meine, zu hundert Prozent?“ „Das würdest du doch nicht?“ Er griff sich den Notizblock und flog über die schwungvolle Schrift. So sauber schrieben sonst nur die Mädchen, wobei einige von denen zu faul waren und sich bestimmte Stifte gekauft haben, die gerade modern waren. Sirius glaubte nicht an deren längeren Erfolg. Sie waren zu leicht zu manipulieren. Remus reagierte erst nicht. Allerdings war er gütig genug, um das mit dem Ignorieren sein zu lassen. Hatte er vielleicht doch ein klein wenig Mitleid? „Na schön“, sagte Remus, „du hast Recht, ich würde dich nicht einfach mit deinen Lernproblemen allein lassen.“ Während er das Wort „Lernprobleme“ gesagt hatte, hatte er die Augen verdreht. Sirius schmollte ein wenig in den Notizblock hinein. Das schien Remus wenig zu interessieren. Der hatte sich einen Stein genommen und übte, diesen in eine andere Form zu bringen. „Mach mir einfach nach“, sagte Remus nach einer Weile. Sein Stein war inzwischen angeschwollen und sah entfernt aus wie eine Katze. „Ist nicht schwer, dauert nur lang.“ „Wozu soll das gut sein?“ „Wenn du zuviel Magie auf einen Schlag verwendest, wird es ein, wenn auch schwaches, magisches Artefakt. Da das aber in der Regel nicht der Sinn der Sache ist, musst du es langsamer angehen. Also: Sculptus!“ Er ließ den Zauberstab um den verkrüppelten Stein kreisen. Der schien sich in die Höhe zu ziehen. Der Katzenschwanz spaltete sich kaum sichtbar ab. Sirius griff sich einen kleineren Stein. Zu Übertreibungen neigte er nur, wenn es um seine Schönheit ging, nicht aber um Zauberkünste. „Sculptus!“, sagte er gelangweilt. Der Stein zog sich auseinander. Er wiederholte den Spruch ein paar Mal. „Was soll denn das sein?“, fragte Remus. „Eine Blindschleiche.“ Remus Blick sprach Bände. „Sieht aus wie ne Schlange, ist aber keine“, murmelte Sirius und stupste die amateurhafte Skulptur mit der Zauberstabspitze an. Remus’ Katze sah schon ganz ansehnlich aus. Sogar die Schnurrhaare konnte man langsam erkennen. Drei Stück, in perfekter Symmetrie gegenübergestellt. „Wie du auch meinst du?“ Sirius nickte. Da gab es nichts weiter zu sagen. Er nahm die Blindschleichenskulptur und zerbrach sie. Das war nicht schwer. Durch das Strecken war der Stein dünn geworden. Er spürte Remus Hand auf seinem Rücken, dann seinen Kopf an seiner Schulter. „Du bist keine Blindschleiche, Padfoot. Du bist ein Hund.“ Sirius wandte den Kopf. Ein ungewolltes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, ohne dass er es hätte verhindern können. „Selber.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)