Himmel und Erde von matvo (Schatten und Licht, Interlude 1) ================================================================================ Kapitel 19: Mit Handschlag besiegelt ------------------------------------ Ein Schleier aus Finsternis legte sich über die Nacht. Mit einem Stich des Bedauerns beobachtete Siri, wie eine Wand aus pechschwarzen Wolken sich vor dem Mond schob. Sogar ihre Augen, die sich schnell an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnten und jeden Fetzen an Streulicht auffingen, konnten der Dunkelheit ihr Gewicht nicht nehmen. Die Kälte, die in den vergangen Nächten ihren Kopf klar gehalten hatte, wich einem Gefühl fehlender Wärme. Zusehends hatte die müffelnde Decke um Siris Schultern ihren Reiz verloren und glitt nun auf den Boden. Zwischen großen Kisten eingeklemmt, saß das Mädchen in einer engen Seitengasse, ihren Blick auf die Öffnung zwischen den beiden angrenzenden Häusern gerichtet. Hinter den Kisten schlief Ryu auf einem provisorischen Lager. Wie jede Nacht wälzte er sich dabei unruhig hin und her. Siri widerstand den Drang in seine Träume zu schauen und versuchte sich stattdessen wieder auf die Straße zu konzentrieren. Seitdem Allen Shezar sie abgewiesen und dieses Wagnis überlebt hatte, hat sie einige Male ein persönliches Gespräch mit Ryu angefangen, doch er war nie darauf eingegangen, sondern schwieg beharrlich. Wenn sie aber einen Bericht verlangte, antwortete er stets ohne zu zögern. Es schien ihr fast so, als hätte er sein Ich verloren. Als existiere er nur noch um ihr zu dienen. War er tot? Hatte sie ihn getötet? Wahrscheinlich, beantwortete Siri ihre Frage selbst und ein dumpfer Schmerz breitete sich ausgehend vom Herzen in ihrem Oberkörper aus. Seine Gedanken wollte sie nicht einsehen, um ihre Vermutung zu bestätigen. Allens Moralpredigt, so naiv sie auch gewesen war, hatte Wirkung gezeigt und Siri den Schwur abgerungen, die Privatsphäre eines Menschen nicht zu verletzen, außer ihr Auftrag zwang sie dazu. Und im Moment sollte sie nur in Farnelia in Bereitschaft bleiben. Zu dem Vorfall in der Tropfsteinhöhle hatte sich ihr Meister noch nicht geäußert. Ob das nun gut oder schlecht war, würde sie noch früh genug erfahren. Plötzlich wurde es in der Gasse noch etwas dunkler und Siri bemerkte eine vermummte Gestalt, die lautlos die Kiste passierte, hinter der sie sich versteckte. Blitzschnell stand sie auf und stellte sich der Person in den Weg. „Das ist mein Schlafplatz!“, behauptete sie mit kratziger Stimme. Sie vermisste das beruhigende Gefühl eines Schwertes an ihrer Seite, erinnerte sich dann aber an die beiden Dolche, die an ihren Unterarmen ruhten. „Auf der Liste stand doch auch ein Kontakt in Farnelia.“, antwortete der Mann verwundert. „Wie kommt es, dass du hier draußen schläfst und nicht in der Herberge.“ „Meister!“, flüsterte Siri entsetzt und wich ein paar Schritt zurück. Auf einmal bemerkte sie die Barriere, die die Gasse von der Außenwelt abschirmte. „Ich hab mir so viel Mühe gegeben, ungesehen an Merles Wachhunden vorbei zu kommen. Wie dankst du es mir?“, fragte Trias gekränkt und schob seinen Hut ein Stück zurück. „Freust du dich nicht einmal mich zu sehen?“ „Nein…ich meine, doch! Natürlich freue ich mich.“, sagte Siri mit sich hadernd. Als Ryu sich drohend in das Blickfeld des Neuankömmlings bewegte, hielt sie ihn zurück. Stirn runzelnd nahm ihr Schüler die Hand von dem Griff seiner Waffe, doch seinen stechenden Blick bewahrte er. „Wo ist dein Schwert?“, erkundigte sich Trias. „Ich hab es Allen gegeben.“, erwiderte sie, obwohl sie genau wusste, dass er die Antwort bereits aus ihren Gedanken kannte. „Warum?“ „Weil sie mich darum gebeten hat.“ „Sie? Hat sie dich kontaktiert oder umgekehrt?“ „Sie mich.“ „Wann das erste Mal?“ „In der Sekunde, als Allen meiner Klinge ausgeliefert war.“, erinnerte sich Siri aufgewühlt. „Hat sie dich daran gehindert, diese Gelegenheit zu nutzen?“, hakte ihr Meister weiter nach. „Ja.“ „Wie hat sie dich überzeugt?“ „Sie sagte mir, dass ich all meine Ideale aufgeben würde, wenn ich ihn töte, und dann ganz in eurer Hand wäre. Sie bat mich, ihn …und sie…ziehen zu lassen.“, erzählte sie und hielt ihre Tränen zurück. Auf keinen Fall würde jetzt vor Trias heulen „Ich konnte ihn nicht töten.“ „Ist der Gedanke, mir dein Leben anzuvertrauen, so abstoßend für dich?“ Angesichts ihrer widersprüchlichen Gefühle brachte Siri kein Wort heraus. „Du widersetzt dich mir.“, stellte Trias amüsiert fest. „Nein, ganz ehrlich nicht!“, platzte es aus ihr heraus. „Keine Sorge. Ich werde dich nicht töten.“, beruhigte er sie und lächelte ihr ermunternd zu. „Genau genommen ist alles so gekommen, wie ich es geplant habe. Dass es sogar noch besser hätte laufen können, sei dahin gestellt.“ „Was passiert jetzt?“ „Du wirst vom Außendienst in meine Leibwache versetzt.“ „Aber…Was ist mit Allen?“ „Du hast bereits bewiesen, dass du nicht in der Lage bist ihn zu töten. Außerdem kannst du es sicher nachvollziehen, dass ich dich im Auge behalten will.“ „Das könnt ihr doch auch aus der Ferne.“, wunderte sich Siri. „Auch meine Macht hat ihre Grenzen. Lass uns gehen. Ich erzähl dir später mehr.“, versicherte Trias. Als Ryu ebenfalls seine Tasche über seinen Rücken warf, winkte ihn Trias zurück. „Dein Schüler bleibt hier. Er muss für mich noch einen Botengang erledigen.“ Im Schneidersitz hockend vertiefte sich Siri in ihre Meditation. Sie befand sich in einer kleinen Koje in einem getarnten Luftschiff, das weit über den Dächern Farnelias kreiste. So gut wie sie es nur konnte, ignorierte sie die Tatsache, dass ihr Meister ihr gegenüber saß und sie beobachtete. Ihre Augen waren fest verschlossen, während sie sich in Gedanken durch eine dichte Menschenmasse schlängelte. Vor sich hörte sie das Klirren stumpfer Schwerter, die aufeinander krachten. Schließlich konnte sie aus einem günstigen Blickwinkel zwei Kämpfer ausmachen, die ihre Klingen kreuzten. Der größere der Kontrahenten drückte mit roher Gewalt die Waffe seines Gegners aus dem Weg und nutzte die Chance für einen Schlag auf den nur noch von dickem Leder geschützten Oberkörper. Von der Menge am Boden und den Zuschauern auf den Bänken kam ein Raunen, gefolgt von einem lauten Ruf des Ringrichters, der den Kampf beendete. Ohne die übliche Bekundung des gegenseitigen Respekts und offenbar unverletzt verließen die Kämpfer die Arena. Anfänger, dachte Siri angewidert und beobachtete dann hoch konzentriert wie zwei neue Krieger den Ring betraten. Einer formellen Verbeugung folgte der Ruf des Richters und beide gingen in Kampfstellung. Das Publikum indes staunte nicht schlecht, denn unterschiedlicher konnten Kontrahenten kaum sein. In der einen Ecke wog ein Riese seine Klinge und ging langsam auf das Mädchen mit ihrem schmalen Schwert zu, das so frech war zu glauben, sie hätte eine Chance. Selbstsicher setzte er zu einem diagonalen Streich von oben an. Ihm blieb kaum Zeit sich zu wundern, warum sie nicht zurückwich, da sie schon einen Augenblick später vorpreschte. Ungeachtet dessen führte er seinen Hieb aus, unter den sich das Mädchen knapp weg duckte, um dann weiter nach vorn zu stürmen und ihre Klinge oberhalb des Beckens in die Seite des Kriegers zu rammen. Was vorher ein Raunen war, war nun ein Keuchen, das quer durch die Zuschauer ging. Für einen Augenblick herrschte angespannte Stille, bis schließlich der Ringrichter den Sieg des Mädchens bestätigte. Anerkennend merkte Siri an, dass es die Handschrift ihrer ehemaligen Meisterin war, die sie in dem spektakulären Ausweichmanöver der Prinzessin wieder erkannte. Ein deutliches Jetzt durchbrach ihre Gedanken. Sogleich gab sie das Signal an den Besitzer der Augen weiter, die sie sich gerade lieh, und fand sich plötzlich über den Köpfen der Menschen wieder. Wie ein Adler stürzte sich ihr Schüler auf das noch ahnungslose Mädchen, das verwundert seinen Kopf hob und mit aufgerissen Mund einen Satz zurück machte. Während sie sich verängstigt aufrappelte, spürte Siri, wie Ryu langsam, fast theatralisch sein Schwert zog. Bevor die überraschten Wachen der Prinzessin zu Hilfe eilen konnten, stieß er blitzschnell auf sie zu und schlug ihr die Klinge aus den verkrampften Fingern. Mühelos hob er sie am Kragen ihrer Rüstung hoch und hielt sie wie eine Trophäe in der Luft, ehe er sie näher zu sich heranzog, bis seine Lippen fast ihr Ohr berührte. So leise, dass nur sie es hören konnte, flüsterte er ihr etwas zu und schleuderte sie dann einer heranstürmenden Wache entgegen. Ehe deren Kameraden bei ihm waren, war er mit einem Satz auf einer der Tribünen. Verschwommen zogen die Gesichter der panischen Zuschauer an ihr vorbei, bevor Siri plötzlich den Kontakt verlor. Keuchend schlug sie Augen auf und lehnte sich erschöpft zurück. „Anstrengend, nicht war?“, fragte Trias schmunzelnd, worauf Siri nur mit einem Nicken antworten konnte. „Mit der Zeit wird es leichter, dich mit deinem Untergegeben zu verschmelzen, doch einfach wird es nie.“ „Wie haltet ihr das aus?“, erkundigte sich Siri atemlos. „Ihr habt doch gewiss dutzende Diener.“ „Ich könnte dir jetzt etwas von meiner ungeheuren Macht erzählen, doch die Wahrheit ist, dass ich nicht alle zu jeder Zeit überwachen kann. Den meisten meiner Untergebenen dürfte es schon aufgefallen sein, doch können sie unmöglich wissen, wann ich lausche und wann nicht. Es ist die Angst und die Unterwürfigkeit meiner Diener, die sie gefügig macht. Bei jedem anderen funktioniert diese Methode auch prächtig, nur bei dir nicht.“ „Warum gebt ihr euch dann mit mir ab? Warum tötet ihr mich nicht einfach?“ „Hast du es so eilig zu sterben?“, konterte Trias. Es dauerte eine Weile, ehe Siri mit ihrem Kopf schüttelte. „Dennoch willst du frei sein.“ Wieder nickte sie stumm. „Dann mach ich dir ein Angebot. Solange Allen Shezar lebt, wirst du nicht von meiner Seite weichen und alles lernen, was ich dir beibringe.“ Siri schluckte. „Und wenn er tot ist?“ „Dann gebe ich dir die Freiheit.“ „Warum ich?“, fragte sie unsicher. „Weil du die einzige bist, die die Stärke aufbringt mir zu widerstehen und dabei sogar große Schmerzen in Kauf nimmt. Weil du die einzige bist, die mich an die Person erinnert, die ich eins war.“, antwortete Trias eindringlich. „Ich verstehe nicht. Was bezweckt ihr mit dem Abkommen?“ „Wie ich schon sagte, ist die Überwachung meiner Untergeben nicht perfekt. Zum Beispiel entzieht sich die Handlung der Diener meiner Diener zusehends meiner Kontrolle, je weiter die Kette reicht. Und viele könnten mit der Kraft, die ich ihnen gegeben habe und die sie wiederum weitergeben, mir durchaus gefährlich werden. Ich lebe nun schon lange genug um zu wissen, dass dieses System eines Tages versagen wird und ich nicht mit dem Leben davonkommen werde. Andererseits war es nie darauf ausgelegt ewig zu bestehen. Sollte ich jedoch sterben ohne mein Ziel zu erreichen, brauche ich jemanden, der mein Werk fortführt.“ „Was ist euer Ziel?“ „Sieh durch meine Augen und du wirst es sehen! Verinnerliche die Lektionen, die ich gelernt habe, und du wirst es verstehen! Alles, was ich verlange, ist, dass du von mir lernst.“, flehte Trias. „Aber zu welchem Preis!“, widersprach Siri verzweifelt. „Der Verlust einer geliebten Person ist die wichtigste Lehre des Lebens. Im Gegensatz zu dieser sind alle anderen geradezu trivial. Sie wird dir zeigen, dass nicht nur ein langes Leben schmerzhaft ist, sondern das Leben an sich.“ „Ich kann nicht versprechen, dass ich euch eines Tages zustimmen werde.“, sagte Siri nach langer Pause. „Aber wenn ihr euer Versprechen einhaltet, schwöre ich, dass ich euch zuhören werde.“ „Dann haben wir also einen Handel.“, äußerte sich Trias zufrieden und streckte ihr sein Hand entgegen. Zögernd tat sie das gleiche. Als er ihre Hand schüttelte, durchfuhr Siri ein Schauer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)