Himmel und Erde von matvo (Schatten und Licht, Interlude 1) ================================================================================ Kapitel 2: Fang mich! --------------------- Als Zofe verkleidet schritt Siri seelenruhig durch die engen Gänge der Wäscherei mit einem Bündel Kleidung in ihren Händen. Praktischerweise befand sich diese genau über dem abgeschlossenen Bereich der Palastwache und in deren Waffenkammer lag wiederum ihr Schwert, welches sie letzte Nacht auf einen Guymelef geworfen hatte, um ihn zum Absturz zu bringen. Es war von den Soldaten gefunden worden und es stand außer Frage, dass sie es zurückholen musste. Dabei zählte nicht nur, dass es ein Schwert von außergewöhnlicher Qualität war, wie man sie auf Gaia nicht finden konnte. Der Diamant auf der Spitze barg außerdem auch Hinweise auf dessen Herkunft, welche ein Mensch von Gaia natürlich nicht deuten konnte. Auch wenn die Chance außerordentlich gering war, dass je ein Erdbewohner das Schwert zu Gesicht bekäme und darüber hinaus noch mit der mikroskopisch kleinen Seriennummer, die im Diamanten eingraviert war, etwas anfangen könnte, wollte ihr Meister dieses Risiko nicht eingehen. Dank der Karten, die sie auswendig gelernt hatte, konnte sich Siri zielbewusst im Palast bewegen und erweckte somit kein Aufsehen. Dass niemand sie kannte, war bei der ungeheuren Masse an Personal ebenfalls kein Hindernis. Dass niemand sie erkannte, verdankte sie einer blonden Perücke. Schließlich betrat sie einen Lagerraum, der dicht an dicht gestellte Regale beherbergte, die mit reich verzierten Laken voll gestopft waren. Einen Moment lang rümpfte Siri über die Verschwendungssucht im Palast die Nase, konzentrierte sich dann aber wieder auf ihre Aufgabe. Den Angaben der Informanten ihres Meisters nach zu urteilen befand sich ihr Schwert ein Stockwerk tiefer in einer Waffenkammer unter dem Lagerraum. Da sie Allen direkt unter sich spüren konnte, waren die Angaben wohl korrekt. Schnell überzeugte sie sich, dass sie wirklich alleine und die Tür zum Gang geschlossen war, dann schlüpfte sie aus ihrer Verkleidung in ihren schwarzen Kampfanzug, der in dem Bündel Wäsche versteckt war. Um Gewicht zu sparen, welches das Bündel nur verdächtig gemacht hätte, hatte Siri statt Stiefel nur robuste Strümpfe eingepackt und sich in punkto Waffen auf einen Dolch beschränkt, der bequem an ihrer Hüfte befestigte war. Am schwierigsten zu kaschieren war das Volumen der biegsamen Maske gewesen, bei der es sich um eine Miniversion von dem Sauerstoffversorgungssystem der Zaibacher Guymelefs handelte. Nachdem sie den korrekten Sitz ihre Ausrüstung überprüft hatte, schickte sie Ryu per Gedanken das Startsignal für seinen Teil des Plans. Sie wartete gar nicht erst auf seine Bestätigung, sondern rückte so schnell und so leise sie konnte ein Regal von der Wand weg. Sie wusste, dass hinter dem frei geräumten Mauerstück ein senkrechter Schacht entlang lief, durch den der Russ und der Kohlendioxid aus der Heizanlage der Kaserne abgeleitet wurde, welche zwei Stockwerke tiefer lag. Mit dem Dolch löste sie einen Ziegel nach dem anderen heraus. Schon nach dem ersten stieß ihr ein schwarze Wolke entgegen. Die Heizanlage war im vollen Gange. Kein Wunder, dachte Siri, gleich geht die Sonne unter. Verbissen arbeitete sie weiter. Der Sichtschutz ihrer Maske verdunkelte sich zusehends und bald konnte sich sie sich an den Ziegeln nur noch entlang tasten. Schließlich war die Öffnung groß genug, dass sie durchschlüpfen konnte. Der Schacht war für einen ausgewachsenen Mann viel zu schmal, doch für sie reichte es gerade so. Dank ihres Anzugs und ihrer Atemmaske konnte sie es ein paar Minuten im Schacht aushalten, keinesfalls länger. Selbst eine Gezeichnete hatte seine Grenzen, wie sie immer wieder feststellen musste. Schweiß brach aus, als sie sanft mit dem Rücken und den Gliedmaßen Druck auf die Schachtwände ausübte um nicht abzustürzen. Schnell und konzentriert schob sie sich hinunter bis mit Allen und den anderen Auren dieser Palastebene auf eine Höhe war. Selbstverständlich gab es auch auf dieser Ebene keinen Zugang. Sie musste sich wohl oder übel einen schaffen, dieses Mal jedoch bedeutend schneller als im Wäschelager. In der Hoffnung, dass die Wand zum Waffenlager schwächer als zum Übungsraum war, der sich hinter ihr befand, erhöhte sie den Druck auf die gegenüberliegenden Schachtwände um ein Vielfaches. Mittels der Kraft ihrer Gedanken leisteten ihre Muskeln noch einiges mehr, als es für eine Gezeichnete üblich war. Nach zehn Sekunden stetiger Bemühung gab der Mörtel nach und die Ziegel schossen explosionsartig in die Waffenkammer. Plötzlich rutsche Siri tiefer, doch sie konnte sich gerade noch am Rand des von ihr geschaffenen Loches klammern. Sie war noch immer blind dank ihrer Maske und da der Ruß nun auch in diesem Zimmer sich verbreitete, ließ sie diese lieber an und verließ sich auf ihre Sinne für die Auren von Lebewesen. Wie sie schon zuvor festgestellt hatte, war Allen ganz allein in dem Raum. Überrascht war Siri dennoch, denn dank dem kurzen Training, welches sie heute bei ihrem Meister absolvieren musste, konnte sie anhand der Aura nicht nur die Position des Wesens ausmachen, sondern auch dessen Haltung. Und Allens Haltung ließ vermuten, dass er vor den Ziegeln in Deckung gegangen war. Hatte er sie im Schacht gehört? Widerwillig vergeudete sie eine Sekunde um den Ruß von ihrem Visier zu wischen. „Ich nehme an, du bist deswegen hier.“, sagte er mit stoischer Ruhe und hielt ihr Schwert vor sich. Siri konnte das Schwert nicht genau erkennen, doch sie spürte den kleinen Energiestein, der unsichtbar für den Betrachter im innern des Griffs eingebaut war. „Ihr wusstet also, dass ich komme.“, schlussfolgerte sie. „Wieso ist das Schwert dann noch hier?“ „Ich wollte nicht noch mehr Menschen in die Sache hineinziehen.“, erklärte Allen. „Seid ihr deshalb allein?“, fragte Siri und löste den Dolch von ihrer Hüfte. „Ihr könnt auch euch Schmerzen ersparen, wenn ihr mir das Schwert überlasst.“ „Ich will nur mit dir reden.“, sagte er, woraufhin ihr Herze sich schmerzhaft verkrampfte. „Der Raum ist bald völlig von Rauch eingehüllt. Ein denkbar schlechter Ort um zu reden.“, widersprach sie betont gleichgültig. „Wir können uns später unterhalten, aber dafür müsst ihr mich erst finden.“ Mit diesen Worten sprang sie auf ihn zu. Allen attackierte sie mit ihrem eigenen Schwert, doch Siri wehrte den Streich auf ihre Schulter mit ihrem Dolch ab. Der Spann ihres linken Fußes rammte daraufhin seine rechte Kieferhälfte. Nach einer viertel Drehung ihrer Hüfte stand sie mit dem Rücken zu ihm, ohne mit dem linken Bein aufzusetzen. Mit diesem trat sie in seine Magengrube. Stöhnend sackte er zusammen und blieb bewusstlos liegen. Schweren Herzens nahm sie ihr Schwert an sich und wollte gerade durch das Loch in der Wand fliehen, als ihr nochmals der eindringende Rauch auffiel. Entschlossen, Allen hier nicht seinem Schicksal zu überlassen, trat sie kräftig gegen die massive Eisentür, die den Eingang versperrte. Krachend flog diese auf und die Verwirrung, die sich durch den ganzen Palast zog, verstärkte sich. So schnell sie nur konnte verschwand Siri durch den Schacht nach oben. Genauso schmerzhaft, wie Allen sein Bewusstsein verloren hatte, fand er es wieder. Das einfallende Licht der hoch stehenden Sonne brannte sich gleißend in seine Augen. Plötzlich schob sich das Gesicht einer jungen Frau, umhüllt von einem goldrosa gefärbten Schimmer, vor das Tageslicht. Einen Moment lang fragte er sich, ob er im Himmel und das liebreizende Geschöpf vor ihm ein Engel war, von denen Hitomi ihn schon soviel erzählt hatte. Dann jedoch viel ihm ein, dass Engel keine Katzenohren haben. „Merle? Was…wo bin ich?“, fragte er verwirrt. „Im Krankenhaus natürlich. Dort, wo alle Männer landen, die meinen, sie müssten alles alleine durchziehen.“, antwortete sie keck. „Und wie lange liege ich schon hier?“ „Seit fast zwei Tagen. Du bist mit einer leichten Rauchvergiftung und einem angeschlagenen Kiefer hier eingeliefert worden. Nichts, was einen so langen Schlaf rechtfertigt, wenn du mich fragst.“ „Ich frag dich aber nicht.“, gab er genervt zurück. „Ach ja, in den nächsten zwei Wochen sollst du weder reden noch feste Nahrung zu dir nehmen.“, sagte Merle vergnügt. Allen stöhnte, hörte dann aber sein Kiefer knacken. Druckschmerz breitete sich in seiner unteren Gesichtshälfte aus. „Ich hab dich gewarnt.“, sagte sie und sank in den Stuhl zurück, auf dem sie hockte. „Und? Wie geht es jetzt weiter, großer Meister?“ „Wir suchen weiter nach Siri.“, antwortete Allen verwirrt. „Dann muss ich ja meine Sachen packen.“ „Wie kommst du darauf?“ „Während du blau gemacht hast, war ich in den Lokalen und Kneipen unterwegs und hab mich ein bisschen umgehört.“, erzählte Merle. „Dabei stieß ich auf einen Mann, der zum Zeitpunkt von Siris Überfall Wachdienst im Hof des Palastes hatte. Ihm war ein Junge aufgefallen, der alle Pferde aus dem Stall führte und sie draußen anband. Als der Mann ihn fragte, was er da mache, antwortete der Junge ihm, das der Hofstaat ein Jagdausflug unternehme wolle. Die Wache machte eine Rückfrage und kam mit dem Entschluss, dem Jungen die Ohren lang zu ziehen, zum Stall zurück, doch da stand das Heu schon in Flammen und der Brandstifter war weg.“ „Ryu!“ „Als die Wache Ryu allein gelassen hatte, hatte er dem Mann hinterher gerufen, dass dieser sich beeilen müsse. Ryu würde nämlich schon bald bei einem bestimmten Gasthof außerhalb von Palas anfangen.“ „Wie lautet der Name des Gasthofes?“, erkundigte sich Allen. „Weiß nicht, aber wenn ich das Namensschild sehe, erinnere ich mich bestimmt daran.“, antwortete Merle unschuldig. Am liebsten wäre er an die Decke gesprungen. „Weißt du wenigsten, in welcher Richtung der Gasthof liegt?“, fragte Allen mit mühsam kontrollierter Stimme. Auf einmal verdunkelte sich Merle Gesichtsausdruck. „Er liegt auf dem Weg nach Farnelia.“, sagte sie besorgt. „Keine Sorge.“, beruhigte er sie und richtete sich auf. „Wir werden die beiden einholen, bevor sie dort ankommen.“ „Willst du dich etwa davonschleichen, Allen Shezar?“, fragte Milerna streng, während sie eintrat. Der Ritter schluckte, woraufhin sein Kiefer wieder knackte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)