Ayashi - Der Weg zur Wahrheit von abgemeldet ((überarbeitet)) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Mitten in der Nacht wachte Ayashi von dem Geräusch lauter Stimmen auf. Sie brauchte einige Zeit, um sich zu orientieren. Ach ja, sie befand sich in ihrem Zimmer in Kyoto. Die Umzugskisten stapelten sich noch an einer Wand des Zimmers. Die eine Stimme gehörte Ayashis Mutter Koyuki, die andere erkannte sie nicht sofort. Sie überlegte eine Weile und dann schlug ihr Herz wie verrückt. Sie kannte diese Stimme! Sie wusste es, doch sie wusste nicht, woher sie diese Stimme kannte. Neugierig stand sie auf und tapste in den Flur hinaus. Nun war sie sich sicher. Sie schlich leise die Treppe hinunter und presste sich gegen die Wand. „Nun schreit euch nicht so an, oder wollt ihr, dass Ayashi euch hört?“ Das war die Stimme ihres Stiefvaters Nobutada. „Du verdirbst Ayashi nur, wenn du hier bleibst!“ fuhr Koyuki fort und achtete nicht auf ihren Mann. „Ich verderbe sie? Ich würde sie wenigstens nicht in dem Glauben lassen, ein normales Mädchen zu sein! Nehmt ihr nicht ihr wahres Wesen, denn daran ginge sie zugrunde!“ „Schluss! Ich will nichts mehr davon hören! Sie wurde in unsere Obhut übergeben und hier bleibt sie! Geh! Und komm’ nicht wieder zurück!“ meinte nun Nobutada. „Sie wird eines Tages die Frage stellen. Und dann seid ihr nicht vorbereitet! Der Tag wird kommen, an dem ihr Ayashi die Wahrheit sagen und sie ihren Weg gehen lassen müsst.“ Dann hörte sie Schritte. Erschrocken presste sie sich noch dichter an die Wand. Sie sah das dunkle Gewand einer jungen Frau, die schnell das Haus in die Nacht hinaus verließ. Ayashi verstand nichts mehr. Ihre Eltern unterhielten sich in der Küche weiter. „Es war doch richtig, Nobutada?“ „Sicher. Ayashi ist bei uns am besten aufgehoben. Wir geben ihr eine Familie und ein normales Leben.“ „Wir sind ihre Familie, ja.“ Dann schwiegen sie und Ayashi hörte wieder Schritte. Schnell und lautlos eilte sie die Treppe nach oben in ihr Zimmer und kauerte sich in ihrem Bett zusammen. Kurz darauf wurde leise ihre Türe geöffnet und Licht fiel herein. „Siehst du, sie schläft wie ein Murmeltier. Denk’ nicht mehr an Kodachi.“ meinte Nobutada leise zu Koyuki und schloss die Tür wieder. Kodachi . . . Kodachi. . . Wer war Kodachi? Am nächsten Morgen wachte Ayashi schon früh auf und setzte sich in ihrem Bett auf. Fröhlich blickte sie zum Fenster hinaus und sah zwei Vögeln zu, die sich auf einem Ast vor ihrem Fenster gegenseitig das Gefieder putzten. Dann stand sie auf, ging ins Bad, zog sich schnell an und wusch sich. Dabei fiel ihr Blick in den Spiegel und sie erinnerte sich an die vergangene Nacht. Sie erinnerte sich an die Worte der Frau: „Ich würde sie wenigstens nicht in dem Glauben lassen, ein normales Mädchen zu sein!“ War sie wirklich kein normales Mädchen? Sie überprüfte, was sie da im Spiegel sah: Sie hatte schwarzes hüftlanges Haar und ein ebenmäßiges Gesicht, das allerdings keinerlei japanische Züge aufwies. Auch keine europäischen. Es war ein seltsames und eigenartiges Gesicht, wie sie fand. Der Mund war von normaler Größe und die Lippen blutrot. Ihr Nase war ebenfalls normal, doch ihre Augen besaßen dichte lange Wimpern und was Ayashi als das Schlimmste empfand: Ihre Augenfarbe glich dem dunklen Grün eines Smaragds. Ayashi streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus, und sah ihre weißen, geraden Zähne hervorblitzen. Sie öffnete den Mund und betrachtete ihre Schneidezähne, dann die Eckzähne und empfand sie als zu spitz. „Was treibst du denn so lange im Bad?“ „Nichts! Ich bin schon fertig!“ „Dann komm’ herunter! Es gibt Frühstück!“ Ayashi verließ das Badezimmer und hüpfte mit ihrem Schulranzen die Treppe hinunter. „Da hat aber jemand gute Laune heute!“ lachte Koyuki und küsste Ayashi auf die Stirn. Ayashi setzte sich an den Tisch und begann zu essen. „Ist Papa schon weg?“ „Ja. Er hat heute viel in der Firma zu tun.“ „Wer war die Frau gestern Abend?“ „Welche Frau?“ „Es war doch eine Frau hier. Ihr habt euch mit ihr gestritten.“ Koyuki drehte sich zur Spülmaschine und meinte: „Du musst geträumt haben. Hier war niemand außer uns.“ „Aber...“ „Hier war niemand. Und jetzt iss, sonst kommst du zu spät zur Schule!“ Ayashi tat, wie man sie geheißen hatte, aß ihren Teller leer und zog sich dann ihre Schuhe an. „Und sei vorsichtig im Straßenverkehr!“ „Bin ich immer, Mama.“ erwiderte Ayashi und verließ das Haus. Als sie am Mittag von der Schule nach Hause kam, traf sie auf den Priester ihrer Mutter. „Ist deine Mama nicht zu Hause? Wir waren verabredet, aber sie öffnet nicht.“ meinte er und erhob sich von den Eingangsstufen. „Doch. Sie müsste da sein.“ entgegnete Ayashi, holte ihren Schlüssel heraus und schloss die Wohnungstür auf. „Bleib’ hier, Ayashi!“ sagte der Priester, als er das Chaos in der Wohnung sah, und ging an ihr vorbei. Er durchquerte den Flur und ging in Küche und Wohnzimmer, dann in das Schlafzimmer der Eltern und schließlich in den oberen Stock, wo sich das Bad und Ayashis Zimmer befanden. Ayashi trat in die Wohnung, als er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, und stellte fest, dass alles aus den Schränken und Regalen auf den Boden geworfen worden war. „Ayashi, kannst du denn nie tun, was man dir sagt?“ fragte der Priester und ergriff die Hand des kleinen Mädchens. „Mama.“ meinte sie einsilbig und ging auf eine Stelle im Wohnzimmer zu, die mit Blut betropft war. Etwas weiter weg sah der Priester hinter dem Sofa eine Frauenhand hervorragen und zog Ayashi aus dem Wohnzimmer, bevor sie sie sehen konnte. „Komm!“ sagte er bestimmt, nahm das Telefon mit nach draußen und setzte sich mit Ayashi wieder auf die Stufen. Dann wählte er die Nummer der Polizei und wenige Minuten später wimmelte es in der Wohnung von Polizeibeamten und Sanitätern. Doch für ihre Mutter kam jede Hilfe zu spät. „Ich gehe davon aus, dass Frau Sanada schon seit vier Stunden tot ist. Genaueres sowie die Todesursache kann ich erst nach der Obduktion sagen.“ hörte Ayashi den Gerichtsmediziner zum Kommissar sagen. Dann verließ er die Wohnung. „Mein Gott, kümmert euch doch endlich einmal um das Kind!“ rief der Kommissar dann und ging weiter seiner Arbeit nach. Ayashi wurde wieder nach draußen gebracht und von einer Polizeipsychologin beaufsichtigt. Ayashi sagte nichts, und antwortete auch nicht auf Fragen. Erst als der Priester sich wieder zu ihnen setzte, da die Aufnahme seiner Personalien erledigt war, setzte sie sich zu ihm auf den Schoß und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. Beruhigend streichelte er ihren Kopf und wiegte sie sanft hin und her. Nobutada Sanada kam so schnell es ihm im Stadtverkehr möglich gewesen war. Er eilte an Ayashi, die er mit keinem Blick zur Kenntnis nahm, in das Haus. „Nun, ich weiß ja nicht, was das sonst für eine Familie ist, aber das empfinde ich doch als sehr seltsam.“ äußerte sich die Psychologin. „Es ist eine sehr gläubige Familie, Frau...“ „Kasuta.“ „Frau Kasuta.“ Kreidebleich stand Herr Sanada am Eingang und sah dem Sarg nach, der seine Frau in sich trug. Dann fiel sein Blick auf Ayashi, die ihn aus ihren grünen Augen ansah und meinte: „Das ist deine Schuld.“ „Herr Sanada!“ entgegnete der Priester entsetzt. „Ich will sie nicht mehr sehen! Sie soll gehen!“ Ayashi erhob sich und ging. „Wie können sie gerade jetzt so grausam sein? Sie ist ihre Tochter!“ „Sie war nie meine Tochter! Nehmen sie sie mit! Ich will sie nie wieder sehen!“ schrie Nobutada. Ayashi drehte sich nicht mehr um, sondern ging weiter. Eine seltsame Gleichgültigkeit hatte sie erfasst. Sie verstand sie nicht, doch sie tat ihr gut. Sie ließ Nobutada Sanada für lange Zeit hinter sich. Kapitel 2: ----------- Mitten in der Nacht schreckte Ayashi aus ihrem Schlaf hoch. Warum war sie wach geworden? Hatte sie etwas gehört? Sie sah sich in ihrem Zimmer um. Die Umzugskisten stapelten sich wieder in ihrem Zimmer, dieses Mal aber in Tokyo. Schmerzlich erinnerte sie sich an die Nacht vor zehn Jahren, in der eine Frau mit dem Namen Kodachi ihre Eltern aufgesucht hatte. Was war seit damals alles passiert! Ihre Mutter war getötet worden, vom Vater war sie verjagt worden, doch der Priester Kitaro hatte sie in einer neuen Familie untergebracht und sich auch selbst rührend um sie gekümmert. Sie hatte es erst wieder lernen müssen, zu einer Vaterfigur Vertrauen zu fassen, aber es war ihr nach zwei Jahren gelungen. Ihr neuer Vater Yoko Kanno und ihre neue Mutter Taka Kanno hatten sich sofort auf sie eingestellt, da sie sich immer eine Tochter gewünscht hatten und nie selbst Kinder hätten bekommen können. Ayashi erinnerte sich noch gut daran, wie sie beim ersten Treffen verschüchtert kaum ein Wort hatte sagen können. Der Umzug nach Tokyo letzte Woche hing mit Yokos Versetzung zusammen. Langsam stand die nun achtzehnjährige junge Frau aus ihrem Bett auf und trat an das geöffnete Fenster. Der Straßenlärm drang kaum von der weiter unten liegenden Straße herauf. Die Sichel des Mondes hing in tiefem Orange über den Häusern der Stadt und über dem Dach des benachbarten Tempels, der in Ayashi ein Gefühl von Sehnsucht wach rief. Stumm blickte sie in den Mond und überlegte noch einmal, warum sie aufgewacht war, doch sie kam zu keinem Ergebnis. Ein vorbeihuschender Schatten lenkte ihre Aufmerksamkeit vom Mond auf eine Katze, die über den Dachfirst des Tempels rannte, in seiner Mitte wie versteinert stehen blieb und Ayashi anstarrte. Ayashi wandte schaudernd den Blick ab und als sie wieder aufblickte, war von dem Tier weit und breit nichts mehr zu entdecken. Morgen wollte sie mit Taka ihre neuen Nachbarn begrüßen gehen. Ayashi hatte nicht das geringste Bedürfnis, die Nachbarn kennen zu lernen, aber sie wollte den Tempel sehen, also begleitete sie ihre Stiefmutter gern. Nachdem sie noch einige Zeit in die Dunkelheit hinausgestarrt hatte, kroch sie wieder unter die Decke und fiel erneut in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen wurde sie von ihrem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Müde stand sie auf, ging ins Bad und machte sich fertig. Ihr Spiegelbild hatte sich kaum verändert. Taka hatte vor kurzem zu ihr gesagt, ihre Augen hätten an Tiefe gewonnen und an Schmerz verloren. Sie betrachtete ihre Augen. Sie wusste nicht, ob man ihr in ihren Augen ansehen konnte, was sie erlebt hatte, doch sie gab ihrer Stiefmutter Recht: Sie waren, nicht nur wegen der außergewöhnlichen Farbe, auffällig und äußerst tief, doch ihre Augen hatten schon lange nicht mehr ausgelassen und unbeschwert gelächelt. Sie waren undurchdringbar und es war gut, dass man nicht ohne weiteres in ihre Seele blickte konnte, doch Kitaro hatte einmal gesagt, sie besäße große Weisheit, das könne er an ihren Augen sehen. Ayashi wusste nicht recht, was sie von diesen Sätzen halten sollte, denn Weisheit spürte sie am allerwenigsten in sich. Eigentlich fühlte sie sich jetzt wieder als normales Mädchen. Sollte sie es dennoch nicht sein? Wie viel Eindruck diese eine Nacht auf das kleine Mädchen von damals doch gemacht hatte! Sie verließ kopfschüttelnd das Bad, zog sich in ihrem Zimmer eine Jeans und ein enges T-Shirt an und schlüpfte in ihre Haussandalen. „Guten Morgen.“ „Guten Morgen, Ayashi. Hast du gut geschlafen?“ „Ja. Sehr gut sogar.“ „Das ist gut.“ Ayashi setzte sich an den Tisch und frühstückte. „Wir gehen doch heute zum Tempel, nicht wahr?“ „Eher zu den Nachbarn. Du kannst ja fragen, ob du ihnen im Tempel helfen kannst.“ „Wieso?“ „Nun, soweit ich weiß, sind unsere Nachbarn ein alter Mann mit einer Tochter und deren Kinder. Vielleicht fehlt ihnen eine helfende Hand und dann hätte ich hier meine Ruhe.“ Taka lächelte, als Ayashi entgegnete: „Oh, tut mir leid, ich wusste nicht, dass ich dir auf die Nerven gehe! Aber wenn das so ist, verbringe ich meine Zeit natürlich lieber im Gebet!“ Ayashi lachte leise und trank ihren Kaffee leer. „Natürlich gehst du mir nicht auf die Nerven! Ich dachte nur, es täte dir ganz gut, wenn du wieder selbst zur Ruhe kommst. Du scheinst mir in letzter Zeit etwas durch den Wind zu sein.“ „Möglich.“ „Aber das liegt sicher auch an unserem Umzug hierher.“ „Möglich.“ „Und es regnet in Strömen draußen.“ „Möglich.“ „Na, du hörst mir ja wieder mal sehr genau zu.“ „Entschuldige! Was hast du gesagt?“ Taka winkte ab. „Nicht wichtig. Ich wollte eigentlich jetzt dann gehen. Beeilst du dich?“ „Ja.“ Ayashi aß fertig, räumte den Tisch ab und zog sich dann andere Schuhe an. Zusammen mit Taka machte sie sich auf den kurzen Weg zum benachbarten Grundstück. Als sie das große Tor durchschritten, befiel Ayashi ein seltsames Gefühl, doch sie ließ sich nichts anmerken. Sie ließ ihren Blick über den Hof schweifen. Es war niemand zu sehen. Ein gutes Stück weg vom Tempel stand ein modernes Einfamilienhaus und noch ein kleineres altes Gebäude, das aus der Zeit des Tempels stammen musste. „Willkommen. Kann ich Ihnen helfen?“ Erschrocken fuhr Ayashi herum und erblickte ihre Stiefmutter, die sich schon zu dem alten Mann herumgedreht hatte. „Verzeihen Sie, dass wir hier einfach so eindringen. Wir wollten uns vorstellen. Wir sind in das Nachbarhaus eingezogen.“ „Ah, Sie sind also unsere neuen Nachbarn. Es freut mich, Sie kennen zu lernen. Der Tempel steht jederzeit offen.“ erwiderte der alte Mann. „Ich bin Taka Kanno und das ist Ayashi Sanada, unsere Stieftochter.“ Ayashi legte die Hände mit einer sanften Bewegung auf ihre Oberschenkel und verneigte sich leicht. „Mein Mann Yoko ist heute schon früh zur Arbeit gegangen. Wenn Sie nichts dagegen haben, stellt er sich heute Abend kurz vor.“ „Natürlich habe ich nichts dagegen. Ich bin Hito Higurashi. Kommen Sie doch mit hinein. Dort können Sie meine Tochter und Enkelkinder kennen lernen, sofern sie da sind.“ Der alte Mann wandte erst jetzt den Blick von der außergewöhnlichen jungen Frau ab, die ihn so traditionell gegrüßt hatte, und ging voraus. Ayashi und Taka folgten Hito über den Hof an einem großen Baum vorbei. Ayashi blieb vor ihm stehen und blickte am Stamm nach oben. Hito bemerkte, dass sie stehen geblieben war und kam zu ihr. „Das ist der Heilige Baum. Der Legende nach . . .“ „Wurde ein Dämon an den Baum gefesselt und von seinem Körper stammen die Abdrücke in der Rinde des Baumes.“ „Woher wissen Sie das?“ „Ich nehme an, ich habe es gelesen. Der Baum ist sehr alt, nicht wahr? Ungefähr 1000 Jahre.“ „Er dürfte sogar etwas älter sein, aber so genau weiß das wohl niemand.“ „Richtig.“ Ayashi schloss ihre Augen, sog die frische Luft in sich ein und hörte das Rauschen des Windes in den Blättern. „Er besitzt eine beruhigende Aura. Sie ist fast tröstlich.“ Sie fühlte, dass Hito sie ansah und meinte entschuldigend: „Ich habe mich schon immer für Legenden interessiert. Entschuldigen Sie.“ Sie gingen weiter. Ayashi sah noch einmal zurück zu dem großen Baum und ihr war, als habe sie ihn nicht zum ersten Mal gesehen. Hito stellte seiner Schwiegertochter Rumiko die neuen Nachbarn vor. Taka und Rumiko verstanden sich sofort. Der Enkelsohn Souta spielte gerade mit dem hauseigenen Kater Bujo und unterbrach sein Spiel nur sehr widerwillig. „Wo ist denn Kagome?“ fragte Hito seine Tochter, die darauf antwortete: „Bei ihren Freunden.“ „Ah, Kagome ist selten Zuhause. Sie ist immer irgendwo und mit irgendjemandem unterwegs. Dabei hätte sie so viel für die Schule zu tun. Ihre Zwischenprüfungen sind nämlich in zwei Wochen, aber sie denkt einfach nicht ans Lernen.“ „Dann muss sie fünfzehn Jahre alt sein.“ meinte Ayashi. „Genau.“ „Ayashi hat in ein paar Tagen die Aufnahmeprüfung für die Takami-Oberschule vor sich, und dann muss sie nur noch ein Jahr die Schulbank drücken.“ informierte Taka die Nachbarn. „Dann gehen wir bald auf dieselbe Schule!“ rief der junge Souta und kam nun doch aus dem Wohnzimmer. „Es sieht ganz danach aus.“ „Nun. Wir haben Sie nun lange genug aufgehalten. Wir sollten nun gehen.“ „Sie halten uns nicht auf. Schauen Sie ruhig jederzeit wieder herein. Wir freuen uns immer über Besuch, nicht wahr Rumiko?“ „Gewiss.“ „Vielen Dank. Das ist sehr freundlich.“ Kapitel 3: ----------- Ayashi und Taka verließen den Tempelbezirk wieder und machten sich auf den Nachhauseweg. „Langsam wirst du mir unheimlich, Ayashi. Woher wusstest du das mit dem Baum?“ „Ich weiß es nicht.“ gab sie zu und blickte noch einmal zurück zum Tempel, ehe sie Taka ins Haus folgte. Sie wusste, dass sie vorsichtiger sein sollte, aber im entscheidenden Moment hielt sie sich dann doch nicht zurück. Was war los mit ihr? „Kitaro hat zwar gesagt, du seist kein normales Kind, und verzeih’ mir, aber das sieht man auch, doch dass du solche beängstigende Fähigkeiten besitzt, konnte doch niemand ahnen.“ „Ich mache dir Angst? Tut mir leid, das wollte ich nicht.“ „Nun, es berührt mich seltsam, wenn ich dich mit dieser großen Weisheit einer Miko reden höre, und wenn du Dinge weißt, die dem Rest der Menschheit verschlossen zu sein scheinen.“ „Jetzt übertreibst du aber!“ „Vielleicht. Ich habe einfach Angst um dich. Ich habe Angst, dass du dich in diesem Loch verlieren könntest.“ „In welchem Loch? Meinst du, ich gerate in irgendetwas hinein, von dem ich selbst noch nichts weiß?“ „Ich habe keine Ahnung. Sei einfach vorsichtig. Tokyo ist nicht Kyoto.“ „Ich verstehe zwar nicht ganz, aber ich werde vorsichtig sein. Ich verspreche es.“ Ayashi verstand sich ab diesem Moment immer schlechter mit Taka, doch so sehr sie auch überlegte, sie verstand nicht, warum. Sie bemühte sich, das Verhältnis wieder zu verbessern, doch ihre Bemühungen blieben ohne Erfolg. Es war wie verhext. Innerhalb der nächsten Tage bekam sie ihre Schuluniform und musste zur Schule gehen. Die Aufnahmeprüfungen hatte sie ohne größere Probleme bestanden, aber sie fühlte sich in ihrer neuen Schule nicht sonderlich wohl und war jeden Nachmittag froh, wenn sie aus dem Schulgebäude auf die Straße hinaustrat, um sich auf den Heimweg zu machen. Man hatte sie in ihrer neuen Klasse zwar aufgenommen und sie hatte auch schon ein paar nette Mädchen kennen gelernt, die sofort mit ihr gesprochen hatten, aber sie wusste nicht genau, ob sich aus dieser Bekanntschaft überhaupt Freundschaft entwickeln würde. Und sie war vorsichtig. Eines Tages schritt sie durch die überfüllten Straßen zurück nach Hause, als sie plötzlich von einem Mann angerempelt wurde. Ayashi blickte auf und wollte sich für ihre Unachtsamkeit entschuldigen, doch das Wort blieb ihr im Hals stecken: vor ihr stand Nobutada Sanada. „Ich kenne dich!“ meinte er verwirrt. „Ja.“ „Ayashi.“ flüsterte er. „Wie sehr du dich verändert hast!“ „Ich habe mich nicht verändert.“ „Du gleichst deinesgleichen sehr.“ „Meinesgleichen? Wie meinst du das?“ „Du bist nicht von dieser Welt. Du bist nicht normal. Kein Mensch, nein, kein Mensch.“ „Was?“ Nobutada sagte nichts. „Du bist verwirrt. Bist du krank? Kann ich dir helfen? Brauchst du einen Arzt?“ Nobutada lachte. „Ich habe seit der Zeit, in der ich dich so schändlich verraten habe, meinen Seelenfrieden verloren. Sie haben sich für diese Respektlosigkeit gerächt. Sie sind grausam. Sie sind grausam ergeben ihren Höchsten gegenüber.“ „Ich verstehe nicht.“ Ayashi verstand wirklich nicht, und ihr kam der Gedanke, dass sie ihn einfach stehen lassen sollte, da er sowieso log, doch aus irgendeinem Grund konnte sie es nicht. „Lass’ uns gehen. Komm’ mit mir!“ sagte sie deshalb und ergriff ihn am Oberarm. „Du darfst so einen Unwürdigen wie mich nicht berühren! Du brauchst dich nicht um mich zu kümmern!“ „Du brauchst Hilfe, Nobutada. Ich werde sie dir geben, ob du nun willst oder nicht!“ Nobutada stockte und folgte seiner Stieftochter zu ihrem neuen Zuhause. Zum Glück waren weder Taka noch Yoko da, also konnten sie sich in die Küche setzen. Als Ayashi den Tee zubereitete, beobachtete sie Nobutada. Er spielte mit seinen Händen, wirkte ausgelaugt und müde. „Hier, bitte.“ sagte Ayashi leise, als sie ihm eine Teeschale hinschob. „Trinke mit mir.“ Ayashi nahm sich selbst eine Schale und setzte sich zu ihm an den Tisch. Sie tranken beide einen Schluck, dann setzte Ayashi ihre Schale ab und fragte: „Geht es dir besser?“ Nobutada erwiderte nichts, sondern trank nur. Ayashi schwieg nun ebenfalls. Einige Minuten vergingen. Doch plötzlich sprach Nobutada wieder: „Ich wollte dich nie wieder sehen, Ayashi.“ Ayashi nickte. „Das hast du gesagt, ja.“ entgegnete sie. „Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich.“ „Ich sehe Koyuki nicht ähnlich.“ widersprach Ayashi und sah ihren Stiefvater an. „Ich meine auch nicht Koyuki. Ich meine deine richtige Mutter.“ „Meine richtige Mutter? Wen meinst du?“ „Ihr Name war Midoriko und sie lebte als Miko vor über neunhundert Jahren in einem kleinen Dorf in den Bergen im Mikuni-Gebirge. Das ist nicht weit vom heutigen Tokyo, wie du wahrscheinlich weißt.“ Ayashi unterbrach ihn nicht, obwohl ihr das alles mehr als nur seltsam vorkam. „Sie war eine überaus mächtige Frau, die in den schlimmsten Zeiten lebte, die es für Menschen bis dahin je gegeben hatte. Sie lebte während großer Kriege und Hungersnöte. Weißt du, was diese Kriege und Hungersnöte zur Folge hatten?“ Ayashi schüttelte stumm den Kopf. „Viele Menschen starben und Dämonen, Drachen und Menschenfresser vermehrten sich sehr stark, da sie die Leichen, die Kinder und die Schwachen fraßen. Sie wurden immer stärker, bis man diesen Wesen Mönche und Priesterinnen entgegensandte. Deine Mutter war eine von ihnen. Und sie war die mächtigste von ihnen, weshalb sie sehr gefürchtet und gehasst wurde. Sie besaß die Fähigkeit, die Seelen der Dämonen zu ergreifen und sie aus ihnen herauszutreiben. Auf diese Art machte sie sie unschädlich. Aus Furcht vor diesen enormen spirituellen Fähigkeiten und aus Hass auf deine Mutter schlossen sich schließlich viele Dämonen zu einem Dämon zusammen, der riesige Kräfte besaß. Sie hofften, so Midoriko übertreffen zu können.“ Nobutada machte eine kleine Pause, doch als Ayashi nichts sagte, fuhr er fort: „Der Kampf dauerte lange und zehrte an Midorikos Kräften. Midoriko sammelte in ihrem Todeskampf ein letztes Mal all ihre Kräfte und ergriff die Seele der Dämonen, die sie schließlich mit ihrer eigenen austrieb.“ „Sie starb im Kampf.“ Nobutada nickte. „In gewisser Weise. Sie erstarrte mit den tausenden Dämonen zu einem Monument. Ihre Seele kämpft noch immer gegen die Seele der Dämonen.“ „Also ist der Kampf bis heute nicht entschieden?“ fragte Ayashi, doch erwartete keine Antwort. Nobutada nickte. „Hast du bis jetzt alles verstanden?“ Ayashi nickte langsam. Sie hatte es nicht nur verstanden, sie glaubte es auch… Nein, sie wusste, dass es der Wahrheit entsprach. „Wie ist es möglich, dass eine einzelne Frau solche Kräfte entwickelt?“ „Sie war die Tochter eines mächtigen Wesens, die sich dazu entschieden hatte, auf der Erde zu leben. Sie besaß daher große Weisheit und das Erbe ihres Vaters, welche sie nutzte, um Gutes zu tun.“ „Die Tochter eines Gottes?“ Nobutada schüttelte leicht den Kopf. „Heiwa-Sen.“ Ayashi lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. „Diesen Namen kenne ich nicht.“ „Manche nennen ihn auch den Wächter, da er über Gut und Böse, also das Gleichgewicht wacht. Er hält das Gleichgewicht. Das ist seine Aufgabe. Im Shinto wird er nicht als Gott verehrt.“ Ayashi nickte. „Es ist schwer zu sagen, wer Heiwa-Sen eigentlich genau ist. Eine Energie, die Zeit… Die Meinungen gehen sehr auseinander. Doch seine Macht kann wohl am ehesten mit der eines Gottes verglichen werden.“ „Midoriko war also eine Halbgöttin oder zumindest so in etwa.“ stellte Ayashi fest. Nobutada nickte. „Und dennoch war sie sterblich und mehr Mensch als du.“ „Mehr Mensch als ich? Wie ist das nun wieder zu verstehen?“ Kapitel 4: ----------- „Midoriko ist deine Mutter. Sie entschied sich für das Leben eines Menschen, weshalb sie Sterblichkeit erlangte. Obwohl sie gegen Dämonen kämpfte, tötete sie nicht alle. Sie trat nur gegen einen Dämon an, wenn dieser versuchte, Menschen zu schaden oder seine Seele durchweg verdorben war und er deshalb eine Gefahr darstellte. Ihre Unterstützung im Kampf war ein Katzendämon namens Neko.“ „Ein Dämon, doch kein Youkai.“ fügte Ayashi hinzu. „Ja, Neko war an die Katzengestalt gebunden. Youkai sind…“ „Youkai haben die Möglichkeit, eine menschenartige Gestalt anzunehmen, was sie auch tun. Nur im Kampf… wählen sie manchmal ihre Tiergestalt.“ „Woher weißt du das?“ „Mein Vater war Youkai.“ sagte Ayashi mit einer unglaublichen Gewissheit, sodass Nobutada sich erstaunt zurücklehnte. „Sein Name war Kataga und er führte das Volk der Wolfsyoukai im Westen. Er war angesehen und Mitglied im Rat von Kyoto. Stimmt das?“ Nobutada zuckte die Schultern. „Über deinen Vater weiß ich kaum etwas. Heiwa-Sen war nicht begeistert, dass seine Tochter ausgerechnet mit einem Youkai ein Kind hatte und zusammenleben wollte… Wie auch immer: Die Wahrheit ist als eine innere Stimme in dir. Hör’ ihr gut zu. Sie wird dich durch die Gefahren leiten, die dir drohen.“ „Gefahren?“ „Dein Leben wird sich verändern, Ayashi. Du hattest doch die ganze Zeit so ein Gefühl. Dein Inneres bricht aus dir heraus. Du kannst dein Schicksal nicht abwenden.“ „Ich bestimme mein Schicksal selbst.“ widersprach Ayashi und schüttelte vehement den Kopf. „Nein, wir gehen alle auf den Wegen, die sie uns vor die Füße gelegt haben. Dein Weg stand schon fest, bevor du geboren wurdest. Dein Name bedeutet Großes.“ „Ayashi?“ Nobutada schüttelte den Kopf. „Hoffnungsblüte. Sie erwarten viel von dir. Sie wollten, dass du bis hierhin die Wahrheit von mir erfährst. Eine Art Strafe vielleicht. Ich war mir nicht sicher, ob ich mit dir sprechen könnte, wenn ich dich erst gefunden habe. Sie wollten mich wohl mit deinem Hass konfrontieren. Denn du musst wirklich großen Hass gegen mich empfinden.“ Nobutada erhob sich und Ayashi folgte ihm mit den Augen. „Ich sehe, du willst gehen. Ich halte dich nicht auf, doch du sollst wissen, dass ich dich nicht hasse.“ Ayashi erhob sich und stützte sich auf dem Tisch ab. „Ich hasse dich nicht. Ich wünsche, dass dein Seelenfrieden zu dir zurückkehrt, Nobutada.“ „Ich verdiene deine Vergebung nicht.“ „Vergebung muss nicht verdient werden, Nobutada. Doch vermutlich hast du Recht: du musst dir erst selbst verzeihen, bevor zu meine Vergebung akzeptieren kannst.“ „Vor zehn Jahren war ich zu schwach für deinen unschuldigen Blick. Ich wusste, dass du nichts mit Koyukis Tod zu tun hattest. Heute bin ich zu schwach für deine Gnade. Ich…“ „Lass’ dein Leben nicht mehr von dieser Schuld bestimmt sein, Nobutada. Du hast dich genug bestraft.“ „Ich habe dir zu viel angetan.“ Das waren die letzten Worte, die sie von ihrem Stiefvater hörte, denn er verschwand schnell aus dem Haus und sie sah ihn nie wieder. Ayashi blieb allein in der Küche stehen und bemerkte, dass ihr winzige Tränen in die Augen traten. Nach Jahren der Zweifel über die Frage, ob sie denn nun normal war oder nicht, wusste sie jetzt die Antwort: Sie war eine Halbyoukai mit einem Viertel göttlichem Blut und einem Viertel Menschlichem Blut und kam ursprünglich – wie auch immer das funktioniert haben konnte – aus der Vergangenheit. Wer sprach da von Abnormalität? Ayashi musste unter ihren Tränen lächeln und wusste, dass es Tränen der Erleichterung waren, da sie endlich begann, die Wahrheit kennen zu lernen. „Wir sind wieder da!“ rief Taka, die eben in den Hausflur trat. Ayashi wischte sich schnell die Augen trocken. „Hallo.“ Taka trat in die Küche und legte ihre Einkäufe auf die Küchenzeile. Hinter ihr trat Yoko ein und ließ seinen Blick über die zwei Teeschalen streifen. „Hattest du Besuch?“ „Ja. Eine Freundin – zumindest denke ich, dass es eine werden wird – von der Schule war kurz hier.“ „Schön. Es freut mich, dass du Kontakte knüpfst.“ meinte Yoko und suchte in einer Schublade im Wohnzimmer nach geschäftlichen Unterlagen. „Wir müssen schnell noch einmal weg. Es gibt Ungereimtheiten in der Bank. Warte nicht mit dem Essen auf uns, es wird wahrscheinlich länger dauern. Danach gehen wir noch auf dieses Geschäftsessen von Yoko. Ich habe dir davon erzählt, erinnerst du dich?“ Ayashi nickte und räumte die Teeschalen in die Spülmaschine. „Es wird spät werden. Im Kühlschrank ist eine Pizza. Die kannst du dir machen.“ meinte Taka und trat aus der Küche. Ayashi nickte und ging nach oben, als ihre Stiefeltern weg waren. Ayashi blickte sich in ihrem Zimmer um und setzte sich dann auf ihr Bett. Sie war sich ein wenig unschlüssig, was sie nun tun sollte. Hausaufgaben hatte sie keine, lernen musste sie auch nicht und selbst wenn, dann hätte sie sich ohnehin nicht konzentrieren können. Es war schon unglaublich, was Nobutada ihr erzählt hatte, doch sie fühlte, dass es wahr war. Doch noch immer verstand sie nicht, wie das alles möglich war. Wenn ihre Mutter vor über neunhundert Jahren gelebt hatte, warum war sie dann hier und nicht in der Vergangenheit? War sie vielleicht sogar unsterblich? Die Tatsache, dass sie nur ein Viertel der Gene eines Menschen besitzen konnte, ließ ihr diese Möglichkeit durchaus vorstellbar erscheinen. Doch wie sollte sie es testen? Am besten gar nicht. Sie wusste es einfach nicht und ihr Schicksal wollte sie dann doch nicht so herausfordern. Sie erhob sich wieder von ihrem Bett und trat wie in jener Nacht an das Fenster. Der Tempel war in abendliches Licht getaucht und strömte eine majestätische Atmosphäre aus. Der Tempel mit dem alten Baum, der vielleicht schon existiert hatte, als ihre Mutter noch gelebt hat. Hatte sie selbst Erinnerung an diese Zeit? Kam er ihr deshalb bekannt und vertraut vor? Inwiefern konnte ein Baum jemandem vertraut sein? Und in jener Nacht hatte sie eine Katze gesehen. Die Katze auf dem First, doch die hatte ihr ein Schaudern zugefügt. Hatte sie tatsächlich eine unerklärliche Angst verspürt, oder war es ihre Seele gewesen, die der ihrer Mutter so unglaublich ähnlich zu sein schien, die sich bei dem Anblick dieses Tiers zurück an etwas erinnert hatte? Oder hatte sie gar einen Katzendämon gesehen? Hier, über den nächtlichen Dächern des modernen Tokyo? Das schien Ayashi allerdings etwas weit hergeholt und sie verwarf den Gedanken. Dennoch ließ die Vorstellung sie nicht mehr los. Ihre Fragen häuften sich und türmten sich vor ihr auf wie ein unüberwindbarer Berg. Wer war noch, der ihr die Wahrheit sagen konnte? Wie konnte sie sie herausfinden? Kapitel 5: ----------- Es war schnell dunkel geworden und Ayashi hatte sich an den Computer ihres Vaters gesetzt und suchte nach Informationen über den so genannten ‚Heiwa-Sen’, doch sie fand nur Schutz vor Viren und ähnlichen Systemfehlern. Konnte das denn überhaupt sein? Sie selbst hatte noch nie von ihm gehört und auch im Shinto schien er keine Bedeutung zu haben, dass er beinahe nicht zu existieren schien. Unbefriedigt stand sie auf und ging in die Küche. Obwohl sie keinen großen Hunger hatte, aß sie ein Brot und ging dann wieder nach oben in ihr Zimmer. An diesem Tag würde sie ihre Neugier wohl nicht mehr stillen können. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihr aus. Ihr Herz begann heftig zu schlagen und plötzlich verspürte sie großes Verlangen, den Tempel aufzusuchen. Schnell verließ sie das Haus und eilte auf das benachbarte Grundstück, das fast in völliger Dunkelheit lag. Nur wenige Laternen erhellten den Weg zum Haus der Familie Higurashi, doch dahin wollte Ayashi nicht. Sicher schritt sie auf den Heiligen Baum zu und blickte an ihm nach oben. Der Wind raschelte in den Blättern und wehte die geweihten Bänder hin und her. Ihre Papierblättchen schabten leise und sanft am Stamm entlang und drehten sich wieder im Wind. Wieder war Ayashi, als ob sie den Baum kennen würde, doch wie konnte sie einen Baum kennen? Sie streckte ihre Hand nach dem Stamm aus und berührte ihn. Ihre Finger fuhren über die Rinde und plötzlich sah sie es: Ein Dämon in einem roten Gewand mit langem weißem Haar und spitzen kleinen Hundeohren war einst an diesem Baum durch den Pfeil einer Miko für fünfzig Jahre gebannt worden. Ein Hundedämon, der allerdings Halb-Youkai war, mit dem Namen Inuyasha. Ayashi zog ihre Hand zurück und sah zu Boden. Hatte ihr der Baum das erzählt? Oder war dieses Wissen durch die Berührung des Baumes in ihr wieder an die Oberfläche gebrochen? Besaß sie dieses Wissen vielleicht, da sie in der Vergangenheit schon einmal gelebt hatte? Führte sie jetzt ihr zweites Leben? Oder war es ihre Mutter, die Priesterin Midoriko, gewesen, die zu ihr gesprochen hatte? „Ich war es nicht, mein Kind. Ich kenne keinen Halbdämonen namens Inuyasha.“ Ayashi hörte die leise Stimme im Wind, die sich an sie richtete. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich, doch sie schwieg und gab weiter nichts preis. So sehr sich Ayashi auch anstrengte, um sie herum blieb alles still. Doch plötzlich kam ein heftiger Windstoß auf, der Ayashi für kurze Augenblicke zwang, ihre Augen zu schließen. Dann ertönte erneut die Stimme von vorhin, und sagte: „Es droht Gefahr und Heiwa-Sen ersehnt deine Ankunft für Japan. Deine Reise beginnt bald. Sei bereit.“ Ayashi öffnete die Augen und erblickte vor ihr auf dem Boden ein in rotes Tuch gehülltes Bündel, das mit einer schwarzen Kordel verschnürt war. Ayashi hob es vorsichtig auf und wog es in der Hand. Der Form nach war es ein Schwert, doch da war noch etwas anderes. Sie ging nach Hause und legte das Bündel auf ihr Bett. Bei Licht betrachtet sah sie nun die Ornamente in dem feinen Stoff. Sie ließ ihre Finger über das Bündel gleiten und öffnete mit zitternden Fingern den lockeren Knoten. Sie schlug den Stoff zurück und ihr Blick fiel zuerst auf ein Samurai-Schwert, das in einer schwarzen Scheide steckte. Der Griff war mit einem roten und schwarzen Stoffband gebunden, das Plättchen war golden. Langsam ergriff sie die Waffe und zog sie aus der Scheide. Das Metall glänzte im elektrischen Licht ihrer Zimmerlampen und teilte geschmeidig, schnell und beinahe lautlos die Luft. Und auf einmal war ihr, als habe sie in ihrem ganzen Leben nichts anderes getan, als dieses Schwert geführt. Es lag locker und gleichzeitig sicher in ihrer Hand und hatte kaum Gewicht. Plötzlich spürte sie einen Puls, der am Anfang nicht mit ihrem eigenen Herzschlag übereinstimmte, sich dann aber anpasste. „Hab’ keine Angst. Es ist dein Schwert. Es lebt. Sein Name ist Tenkaichi.“ kam ihr wieder die Stimme in den Kopf, die ihre ungestellten Fragen beantwortete, als stünde eine Frau neben ihr und sie hätte tatsächlich gefragt. „Tenkaichi.“ murmelte Ayashi leise und der Puls des Schwertes stimmte völlig mit ihrem überein. Dann legte sie es beiseite und sah sich die anderen Sachen an. Als nächstes fand sie die traditionelle Tracht einer Miko, die zum einem aus roten, weiten, hosenähnlichen Beinkleidern und zum anderen aus einem weißen Oberteil mit weiten Ärmeln, das über der Brust übereinander gelegt wurde und durch das Unterteil weit oben zusammengehalten wurde, bestand. „Die gehörte wohl meiner Mutter.“ überlegte sie laut und legte sie beiseite, nachdem sie auch die Kleidung ausgiebig betrachtet hatte. Und auf einmal sah sie sie vor sich: Ihre Mutter, eine junge, schlanke Frau, die über der Tracht eine Rüstung trug, die ihren Leib, ihre Schultern und ihre Oberarme schützte, mit offenem langen, schwarzen Haar, blauen Augen, die geduldig wirkten, und ebenmäßigem Gesicht, dessen Züge Ayashi nur ein bisschen an ihre eigenen erinnerten. In der rechten Hand hielt sie ein zweischneidiges Schwert. Tenkaichi gehörte also wirklich nicht Midoriko, sondern ihr allein. Ihre Mutter – wie gerne hätte sie sie kennen gelernt! Doch Ayashi wusste: sie war gestorben, als sie gerade erst Mutter geworden war. Ayashi war noch lange mit ihren Gedanken beschäftigt und durchsuchte die Sachen. Sie fand gleich darauf eine dünne silberne Kette mit einem kleinen Anhänger, dessen Symbol sie noch nie gesehen hatte. Sie schloss trotzdem, dass es ein Amulett sein musste. Auf der Vorderseite des runden Plättchens erkannte Ayashi einen zunehmenden Mond, in dessen Krümmung sich ein Drache wand. Auf der Rückseite erkannte sie drei ineinander übergehende Kreise, die je einen kleinen Stein in ihrer Mitte trugen. Einer war weiß, einer war blau, einer war schwarz. Noch nie in ihrem Leben hatte Ayashi ein so hingebungsvoll und liebevoll angefertigtes Schmuckstück gesehen und doch kam es ihr wieder so vertraut vor. Gegen was dieses Amulett wohl schützen sollte? Sie strich ihr Haar in den Nacken und band es locker zusammen. Dann nahm sie die Kette und legte sie sich um den Hals. Sie war lang und der Anhänger lag nur etwas oberhalb ihres Busens. Zweifelnd blickte sie in den Spiegel im Bad und starrte auf das Amulett. Plötzlich bewegte sich ihr Spiegelbild und änderte sich in das Gesicht ihrer Mutter. „Hab’ keine Angst, Ayashi.“ „Midoriko? Wie kann ich mehr erfahren? Ich weiß noch nicht genug über mich.“ „Immer mit der Ruhe. Das Schwert Tenkaichi gehört in deinen Besitz, die Kleidung, die du erhalten hast, gehört ebenfalls dir und nicht mir und das Amulett wurde dir ebenfalls gegeben.“ „Von wem?“ „Seine Bedeutung wirst du bald ergründen können, dessen sei versichert. Versprich’ mir nur, dass du es nicht mehr ablegst, denn so kann dir nichts passieren.“ „Ich verspreche es.“ „Du willst mehr erfahren, und das ist verständlich. Warte noch eine kleine Weile ab, Ayashi, denn dein Leben wird sich sehr verändern. Lass’ den Dingen Zeit und überstürze nichts, sonst wirst du bald unter der Last zusammenbrechen, aber bereite dich vor. Sei bereit, denn du wirst bald dein jetziges Zuhause verlassen müssen, wenn du zu uns zurückkehrst.“ „Wenn ich zu euch zurückkehre?“ „Zu den Göttern, Ayashi, und zu Heiwa-Sen.“ erklärte das Spiegelbild und Ayashi nickte. „Ich bin bereit.“ „Sage so etwas nicht leichtfertig, Ayashi. Es wird viel auf dich zukommen.“ Ayashi nickte. „Es müsste mir mehr ausmachen, denkst du?“ Das Spiegelbild schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Deine Aufgabe trägst du seit deiner Geburt in dir und du hast die bereits angenommen, obwohl du noch nicht weißt, in was sie besteht. Und mit dieser Aufgabe und dem Wissen um sie, trägst du auch die Gewissheit, dass du zurückkehren wirst. Bewahre sie dir, denn…“ „Ayashi! Wir sind wieder da! Wieso schläfst du denn noch nicht?“ Ayashi wandte erschreckt den Blick zur Tür, um zu sehen, ob Taka oder Yoko die Treppe hinaufkamen, doch sie sah niemanden. Erleichtert drehte sie sich wieder um. „Ich muss gehen, Midoriko.“ meinte sie leise, doch vor sich sah sie nur noch ihr eigenes Spiegelbild. Schnell trat sie aus dem Bad und steckte die Kette unter ihr Oberteil, eilte dann in ihr Zimmer und verstaute die Kleidung und das Schwert vorerst unter ihrem Bett. „Ich hatte noch Hausaufgaben!“ rief sie ihren Stiefeltern als Antwort zu, die sich damit zufrieden gaben. Ayashi ging noch einmal ins Bad zurück, um sich fürs Schlafen fertig zu machen, und ging dann hinunter, um Yoko und Taka eine gute Nacht zu wünschen. Kapitel 6: ----------- In dieser Nacht träumte Ayashi von ihrer Mutter, wie sie als junge Frau in einem Kampf schwer verletzt worden war und wohl gestorben wäre, wenn ein Wolfsyoukai sie nicht mit in sein Schloss genommen hätte. Sie war gesund geworden und hatte sich in den Youkai mit dem Namen Kataga verliebt und wenige Monate später war dann Ayashi geboren. Im nächsten Moment hatte Ayashi einen älteren, strengen Mann gesehen, der sich sehr mit Midoriko gestritten hatte, und ihr war bewusst, dass es sich bei diesem Mann um Heiwa-Sen handelt musste. Heiwa-Sen, der das Gleichgewicht bewahrte und für Ordnung sorgte. Er brach mit seiner eigenen Tochter, da sie einen Dämon liebte und ihm ein Kind geboren hatte. Midoriko hatte nie wieder etwas von ihrem Vater gehört oder gesehen und war schließlich, nur drei Jahre später, durch einen Riesendämonen ums Leben gekommen, ohne sich mit ihm versöhnt zu haben. Unter Tränen wachte Ayashi aus ihrem Traum auf. So war es gewesen, da war sie sich sicher. Hatte Midoriko damit gerechnet, dass sie die Wahrheit in ihrem Träumen finden würde? Wahrscheinlich… oder vielleicht auch nicht, denn hätte sie Ayashi einfach so unvorbereitet diese Szenen in all ihrer Grausamkeit sehen lassen? Ayashi drehte sich auf die andere Seite und versuchte, wieder ein wenig Schlaf zu finden, doch sie lag bis zum Morgengrauen wach. Erst dann fiel sie erneut in einen leichten Schlaf. „Ayashi, stehst du heute nicht auf? Geht es dir nicht gut? Bist du krank? Möchtest du daheim bleiben?“ fragte Taka, die in Ayashis Zimmer gekommen war, da diese noch nicht aufgestanden war. „Was? Doch, doch. Ich habe nur verschlafen! Mist!“ schreckte Ayashi hoch, stolperte aus dem Bett und eilte ins Bad. „Immer langsam! Es bringt nichts, wenn du dir die Knochen brichst!“ rief Taka ihr nach und ging wieder nach unten. „Ich habe Mathe in der ersten und dieser Giftzwerg von Lehrer ist sowieso immer schon so fies!“ gab Ayashi nur zurück und hörte dann, dass Taka leise lachte und die Treppe hinunterging. Sie wusste, dass Ayashi Mathe und alles, was dazugehörte, hasste. Schnell putzte Ayashi sich die Zähne, wusch sich und schminkte sich, dann zog sie sich schnell an, griff nach ihrer Schultasche und rannte die Treppe nach unten. „Iss wenigstens eine Kleinigkeit!“ „Ich habe keine Zeit. Ich bin eh schon viel zu spät dran! Ich hole mir in der Mittagspause etwas zu essen. Tschüß!“ Ohne ein weiteres Wort hatte Ayashi das Haus verlassen und eilte nun die Straße entlang. Sie stieß fast mit einem anderen Mädchen zusammen, das ebenfalls überstürzt in die Schule zu eilen schien. „Entschuldige!“ „Das macht nichts! Es war ja auch meine Schuld.“ sagte das Mädchen. „Ich bin Ayashi. Kann es sein, dass du Kagome Higurashi bist?“ „Ja, weshalb?“ „Nur so. Das dachte ich mir. Wir sind Nachbarn.“ erklärte Ayashi und wies auf das Haus, in dem sie seit einigen Tagen lebte. „Ah so. Wolltest du etwa nicht in die Schule?“ „Doch, du etwa nicht?“ „Ich….“ Weiter kam Kagome nicht, denn hinter ihr tauchte ein andersartig aussehender Junge auf. Er trug japanische Kleidung und hatte langes silberweißes Haar. Ayashis Blick ruhte auf Kagome, die nach einer Erklärung rang. ‚Der Hanyou!’ schoss es Ayashi durch den Kopf, doch sie besann sich. „Du brauchst mir nichts zu erklären.“ meinte sie und fügte hinzu: „Ich muss gehen. Mach’s gut.“ Gleich darauf machte sie sich auf den Schulweg. Der Junge sah ihr nach und Kagome fragte: „Was ist?“ „Ich habe das Gefühl, sie zu kennen. Hast du ihre Augen gesehen? Sie mag menschlich wirken, und vielleicht sogar Priesterin sein, aber ich denke, sie ist mehr.“ „Was genau denkst du?“ „Ich denke, sie kommt aus der gleichen Zeit wie ich. Vielleicht sogar aus einer ferneren Zeit, doch sie ist nicht von dieser Welt.“ „Ich hatte das Gefühl, sie kenne dich. Seltsam.“ „Ja, überaus seltsam. Ich weiß nicht, wo ich ihr Gesicht schon einmal gesehen habe.“ „Vielleicht fällt es dir wieder ein.“ „Vielleicht… Jetzt sollten wir aber los. Die anderen warten schon.“ Kagome nickte und folgte Inuyasha zu dem Knochenfressenden Brunnen auf dem Tempelgrundstück, der die heutige Zeit mit Inuyashas Welt und Zeit verband. Ayashi beeilte sich nicht auf ihrem Weg, denn die erste Stunde hatte sie nun sowieso verpasst. Auf dem Weg wälzte sie die Gedanken im Kopf hin und her und kam schließlich in der Schule an. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren und sie merkte gar nicht, wie schnell die Zeit verging. Ihre Gedanken kreisten immer noch um den Jungen, der – wie ihr in Gedanken gekommen war – Inuyasha hieß. Sie konnte ihre Gedanken einfach auf nichts anderes mehr lenken. Der Halbyoukai, der Hanyou, der an den Baum gebannt war. Der kleine Inuyasha, den sie damals so lieb gewonnen hatte… Ayashi schüttelte bei sich den Kopf. Schon das allein machte ihr Angst, aber da war noch jemand. Jemand anderes, der von seiner Art unglaublich viel mit Inuyasha gemein hatte… oder, nein, einfach jemand, der mit Inuyasha zu tun hatte, doch mehr wusste sie nicht mehr. Am Nachmittag kehrte Ayashi nach Hause zurück und ging sofort in ihr Zimmer, da niemand zu Hause war außer ihr. In ihrem Zimmer stand ein großer Spiegel, den Ayashi noch nie gesehen hatte. An ihm klebte ein kleiner Zettel, auf dem stand: ‚ein kleines Einzugsgeschenk.’ Es war Takas Schrift. Ayashi legte ihre Tasche auf ihr Bett und nahm die Sachen unter dem Bett hervor. Nachdenklich betrachtete sie zuerst noch einmal diese, dann blickte sie in den Spiegel und erblickte ihre schlanke Gestalt, die in der Schuluniform noch zerbrechlicher wirkte als sowieso schon. Sie war in den letzten Jahren zu unglaublicher Schönheit erblüht. Das Kindergesicht war dem edlen und anmutigen Gesicht einer selbstbewussten jungen Frau gewichen und ihre Glieder waren zarter und feiner geworden. Trotz allem besaß sie Kräfte, die man ihr nie zutrauen würde. Ihre Augen besaßen dieses Funkeln, weshalb sie schon drei Verehrer in der neuen Schule hatte, doch die waren alle nur unreife Jungs. Plötzlich zerfloss die Oberfläche des Spiegels und silberne Flüssigkeit rann den Spiegel hinunter. Ayashi berührte sie und bemerkte keinen Widerstand. Was war das nur schon wieder? Gab es nicht einmal keine Überraschung, bei der sie stutzig werden musste? Sie musste hindurch gehen, auch das wusste sie. Es drängte in ihr. Sie musste einfach! Unsicher trat sie vom Spiegel zurück und biss sich auf die Lippen. Sie wandte ihm den Rücken zu und zog das Miko-Gewand an, nahm sich das Schwert und versicherte sich, dass sie die Kette immer noch trug. Warum sollte sie die Kette nicht mehr tragen? Sie hatte sie doch nicht abgenommen. Trotzdem waren Ayashis Finger beruhigt, als sie das Metall umschlossen, und zogen sich langsam wieder davon zurück. Ayashis Atem war schnell und ihr Herz schlug wie verrückt, doch irgendetwas in ihr sagte, dass es das Richtige war. Und so nahm Ayashi allen Mut zusammen und ging mit zwei langen Schritten durch den Spiegel. Kapitel 7: ----------- Plötzlich fand sie sich in einem von Nebel durchzogenen Raum wieder, der einen vornehmen Eindruck auf sie machte. Sofort eilten mehrere Dienerinnen auf sie zu und begannen, sie mit Fragen nach ihrem Wohl zu überhäufen. „Es geht mir gut.“ erwiderte Ayashi schlicht und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. „Wo bin ich hier?“ „Im Reich des Heiwa-Sen, Hime-Sama. Das Reich in den Wolken, in dem die Zeit entsteht.“ „Ich bin keine Hime.“ meinte Ayashi und ließ die anderen Informationen unkommentiert. „Heiwa-Sen ist Euer Großvater und er ist unser Herrscher und Ihr seid seine Nachfolgerin.“ meinte eine von ihnen. „Heiwa-Sen kann doch nicht sterben. Wofür braucht er eine Nachfolgerin?“ Ayashi war das alles unangenehm. Die Dienerinnen schauten bestürzt und schüttelten traurig den Kopf. „Ihr tragt sein Blut, Hime-Sama.“ Ayashi nickte. „Ist er ein Gott?“ „Heiwa-Sen-Sama? Nein, nicht im eigentlichen Sinn.“ entgegnete die Dienerin schlicht und eine andere meinte: „Ihr wurdet endlich aus der kalten und furchtbaren Welt der Menschen zurückgeholt. In dieser grausamen Welt musstet ihr die Frau verlieren, die euch aufgezogen hat. Hier seid Ihr zu Hause und in Sicherheit, Hime-Sama.“ „Was willst du damit sagen?“ „Euer Großvater hat eine Aufgabe für Euch, Hime-Sama. Er sagte, wir sollten Euch zu ihm bringen, wenn ihr Eure Garderobe gewechselt habt.“ schaltete sich die andere Dienerin wieder ein. „Was ist mit meiner Kleidung nicht in Ordnung?“ „Nun, Ihr seid keine Priesterin…“ „Midoriko war meine Mutter und sie war Priesterin. Ihr Blut fließt in mir.“ „Ihr seid hier nicht die Tochter Eurer verstorbenen Mutter, sondern die Enkelin von Heiwa-Sen-Sama. Er möchte, dass ihr die Kleidung einer Göttin tragt, Ayashi-Hime.“ Ayashi nickte zögerlich und kleidete sich dann um. Sie schlüpfte in das weiße, lange Gewand mit weitem Ausschnitt und weiten Ärmeln. Ein silbernes Band hielt den Stoff um die Taille zusammen. Die Dienerinnen machten sich schließlich daran, Ayashis Haar bin auf ein paar Strähnen kunstvoll hochzustecken und mit weißen Perlen zu verzieren. Zum Abschluss steckte eine Dienerin ihr noch zwei weiße Kirschblüten in das rechte Schläfenhaar. Gleich darauf entfernten sie sich und zwei andere Frauen traten in den Raum. Ayashi erkannte sie als Göttinnen. „Hime-Sama, wir geleiten Euch zu Heiwa-Sen-Sama. Ich bin Amaterasu.“ „Ich bin Tsuki-yomi, Göttin des Mondes.“ „Ist seine Macht so groß, dass selbst Götter sich ihm unterordnen?“ „Ja.“ antwortete Amaterasu und Tsuki-yomi nickte. Ayashi neigte den Kopf ein wenig und dankte den Göttinnen, ehe sie sich zu ihrem Großvater bringen ließ. Aufregung machte sich in ihr breit, als sie vor dem großen Tor stand, das nun das einzige war, das sie noch von ihm trennte. Aufregung und ein ungutes Gefühl. Langsam schwang das Tor auf und Ayashi trat hindurch. Sie stand allein in einem Raum, der keine Möbel enthielt und so völlig leer war. Erst nachdem das Tor wieder verschlossen war, erschien vor ihr die Gestalt eines alten Mannes. „Willkommen in meinem Reich.“ ergriff er das Wort und kam näher. „Ich zeige mich nicht mehr vor anderen, wenn es nicht sein muss.“ meinte er und kam weiter auf Ayashi zu. „Seid Ihr Heiwa-Sen?“ „Sicher, wer denn sonst?“ Ayashi blickte ihn prüfend an, dann meinte sie: „Ihr seid nicht mein Großvater. Ihr seht nicht aus wie er.“ „Du hast mich doch noch nie gesehen!“ „Ich hatte einen Traum und in diesem sah ich meinen Großvater.“ Der Mann entgegnete nichts, sondern packte Ayashi am Hals. „Schade für dich, dass du dich nicht daran erinnerst, welche Kräfte du besitzt.“ flüsterte er dich an ihr Ohr und zerrte sie mit sich. „Was habt Ihr vor?“ fragte Ayashi und stemmte sich gegen ihn. „Ich schicke dich dahin zurück, woher du gekommen bist! Nur dadurch, dass du nicht an deinem Platz bist, in die gesamte Weltordnung durcheinander geraten!“ „Ob die Welt in Ordnung ist, entscheidet Heiwa-Sen.“ entgegnete Ayashi, nachdem sie ihre Gedanken geordnet hatte. „Ich sollte seinen Platz einnehmen! Ich! Und dann kamst du!“ „Was? Wieso?“ „Ich habe immer unter deinem Großvater gelitten, aber dann hat er mir auch noch verwehrt, was mir zustand!“ „Was? Was war das?“ fragte Ayashi und schaffte es schließlich, sich von ihm zu lösen. „Er hatte seine Tochter nicht unter Kontrolle! Wie konnte er denn zulassen, dass sie einem dreckigen Dämon ein Kind schenkt? Wie konnte er das zulassen?“ Ayashi blieb stehen. „Ihr habt ihn dazu gebracht, mit seiner Tochter zu brechen? Ihr wart das?“ „Nein, dazu hätte ich ihn nie bringen können. Ich habe geredet und versucht, ihn zu überzeugen, doch er hat einfach nie zugehört. Und ich wusste, dass ich handeln musste. Handeln, Kleine, nicht reden!“ Ayashi schüttelte den Kopf. Sie verstand das alles nicht. „Ich habe ihn überwältigt und ihr ein Ultimatum gestellt. Sie ist genauso stur gewesen wie ihr Vater… Sie hat es nicht anders verdient.“ „Irgendetwas ist doch nicht nach Plan gelaufen, nicht wahr?“ Der Mann lachte und blickte sie wieder an. „Ja, ich habe viel Kraft verloren, nachdem ich Heiwa-Sen überwältigt hatte, und trotzdem wird sie nun reichen, dich zu vernichten.“ „Alleine hättet Ihr das nie geschafft. Ihr musstet Eure Seele einem Dämon überlassen. Ich spüre die Verdorbenheit in Euch.“ „Midoriko sollte nicht sterben… Er sollte es sein, doch sie ist gegangen.“ Ayashi überlegte. Meinte er den Kampf mit dem Riesendämon? „Ihr wolltet Midoriko für Euch haben. Heiwa-Sen hat Euch übergangen und Midoriko einem Youkai überlassen. Das war es, was Euch gestört hat. Euer falscher Stolz wurde verletzt.“ „Es war schlimmer…“ murmelte er, doch dann fuhr er fort: „Nachdem sie tot war, solltest auch du sterben, doch die Liebe deines Vaters hat dich vor mir verborgen. Er konnte dich schützen. Es war ihm möglich, die Grenzen der Zeit zu überwinden und dich in Sicherheit zu bringen.“ „Kataga hat mich in die Zukunft geschickt?“ „Ja, und dafür verfluche ich ihn heute noch!“ Er lachte. „Aber es hat ihm alles nichts gebracht. Und dir auch nicht. Nun gehörst du mir.“ „Was habt Ihr mit mir vor? Werdet ihr einfach Eurem wahnsinnigen Hirn nachgeben und mich töten? Ist es das?“ fragte Ayashi und wartete auf eine Antwort, doch er meinte nur: „Ich hätte dich damals gebraucht. Dein Blut hätte ihren Körper wieder zu neuem Leben erweckt. Nun bist du wertlos. Ihr Körper ist vernichtet.“ „Also? Was nun?“ fragte Ayashi noch einmal. Er ging einige Schritte zurück und griff sich an die Stirn. „Geh’! Geh’ von hier fort. Du hast hier keine Zukunft.“ meinte Ayashi, als er stumm blieb. Wütend funkelte er sie an. „Du hast mir nichts zu sagen, du schwaches Weib! Und rede nicht wie deine Mutter! Ich könnte dich mit einem Schlag…“ Er wollte Ayashi ergreifen, doch das Amulett schützte sie gegen seine Berührung und stieß ihn weit von sich zurück. Trotzdem durchzogen wilde Schmerzen Ayashis Körper, weshalb sie laut aufschrie und in sich zusammensank. Schallendes Gelächter durchdrang das gesamte Gebäude und Amaterasu und Tsuki-yomi eilten durch die Gänge auf den Raum zu. „Wenn ich dich nicht töten kann, dann kann ich dir weitaus Schlimmeres antun!“ rief der Mann und Ayashi hob den Blick. Urplötzlich wurde es schwarz vor ihren Augen und sie spürte seine Hände auf sich. Bilder überfluteten nun ihr inneres Auge und Stimmen drangen durch. Licht. „Geh’ nach Hause, Ayashi. Nach Hause nach Fukuoka. Und lebe dein verdammtes Leben noch einmal… Du bist deinem Schicksal entkommen. Glaub’ mir: dein Tod durch meine Hand wäre eine Gnade für dich gegenüber dem Schicksal gewesen, das dich ansonsten erwartet hätte!“ Sie schrie erneut entsetzlich auf. Ihr Innerstes drohte zu bersten. Ayashis Körper gehorchte ihr nicht mehr, doch sie spürte Hände an sich. Frauenhände und dann sah sie die besorgten Blickte der beiden Göttinnen über sich. „Er ist nicht Heiwa-Sen.“ flüsterte Ayashi. Amaterasu bettete ihren Kopf in ihrem Schoss. „Ruhig, Hime-Sama. Ruhig.“ Ayashi schüttelte leicht den Kopf. „Es ist alles gut. Ruhig.“ Tsuki-yomi strich Ayashi ihre gelösten Haarsträhnen aus der Stirn. „Was geschieht mit Euch?“ „Er war nicht mein Großvater.“ „Ja, doch was geschieht mit Euch?“ wiederholte Tsuki-yomi und blickte Amaterasu an. „Ich kehre zurück nach Hause.“ „Ihr seid hier zu Hause.“ „Nein…“ Ayashi brach ab. „Fukuoka.“ hauchte sie noch, dann sank ihr Kopf zur Seite und ihr Körper löste sich auf und wurde zu silberglänzendem Licht. Amaterasu und Tsuki-yomi starrten auf die Stelle, wo gerade noch Ayashi gelegen hatte. „Und was machen wir jetzt?“ fragte Tsuki-yomi und schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wir können nichts tun.“ Kapitel 8: ----------- Es war ein kalter Wintertag, als Kataga und Midoriko Eltern wurden. Überglücklich nannten sie in dieser hoffnungslosen Zeit ihre erstgeborene Tochter Ayashi und gaben ihr den Beinamen Kibonohana, was Hoffnungsblüte bedeutete, denn das war sie für beide geworden: Ayashi würde davon zeugen, dass Verständnis und Verbindungen zwischen Youkai und Menschen möglich waren. Midoriko nahm ihre schlafende Tochter liebevoll auf den Arm und betrachtete sie. „Wie unschuldig sie ist! Sieh’ nur, wie klein und verletzlich sie ist… Ich habe Angst um sie.“ Kataga trat zu seiner Frau und legte ihr den Arm um die Schultern. „Ich werde auf euch beide aufpassen. Weder dir noch ihr wird etwas geschehen, das verspreche ich dir.“ Midoriko lächelte und reichte ihre Tochter an Kataga weiter, der sie ihr vorsichtig abnahm. „Sie wird es in unserer Welt nicht leicht haben. Noch drohen uns Krieg und Tod.“ meinte Kataga und legte Ayashi behutsam in ihr Bettchen zurück, ehe er sich wieder seiner Frau zuwandte. Sie nickte und meinte dann: „Die Dämonen, die mich vor ihrer Geburt gejagt haben, werden mich auch heute noch jagen. Aber ich bin stark, Kataga. Sehr stark und du bist unter anderem der Grund dafür.“ „Ich bin der Grund für deine Stärke?“ „Sicher, weißt du das denn nicht? Du hast mich gesund gepflegt und mir nicht nur damals neue Kraft zum Leben gegeben.“ „Du bist nun Mutter, Midoriko. Deshalb wirst du dich so glücklich fühlen. Und wegen dieses Glücks fühlst du dich stark.“ meinte Kataga, kniete sich zu Midoriko und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie schüttelte schwach und lächelnd den Kopf. „Es ist meine Liebe zu euch beiden, die mir Hoffnung gibt.“ Kataga erwiderte nichts und Midoriko fuhr fort: „Doch du scheinst bedrückt. Ist etwas geschehen?“ Kataga überlegte kurz, ob er seine Frau beunruhigen sollte, und schüttelte dann den Kopf. „Du brauchst noch Ruhe, Midoriko. Du bist sehr erschöpft. Schlafe! Es wird dir gut tun.“ „Ich fühle mich gut.“ widersprach Midoriko und wurde sich aufrichten. Kataga schüttelte den Kopf und betrachtete sie. „Bitte. Schone dich noch.“ Midoriko nickte und legte sich zurück. Kataga stand von ihrem Lager auf und verließ den Raum. Als er sich noch einmal kurz umdrehte sah er, dass Midoriko schon wieder eingeschlafen war. Er ging durch seinen Palast. Man hatte ihm gesagt, dass sein bester Freund Inu-no-taishou, ein mächtiger Hundeyoukai aus dem Westen, bereits seit mehreren Stunden auf ihn wartete, doch seine volle Aufmerksamkeit hatte bis jetzt seiner Frau gegolten. Inu-no-taishou würde das verstehen. Kataga atmete tief durch und trat in den Saal, in den man auch Inu-no-taishou gebracht hatte. „Wie geht es deiner Frau? Man wollte mir nicht sagen, was los ist. Ist sie krank?“ fragte Inu-no-taishou und ging auf seinen Freund zu, um ihn mit einer Umarmung zu begrüßen. „Es geht ihr gut. Es geht ihnen beiden gut.“ „Sie hat geboren? Es war doch noch nicht an der Zeit!“ Kataga nickte. „Ja, es ist drei Wochen zu früh.“ stimmte Kataga zu. Inu-no-taishou nickte und Kataga blickte an ihm vorbei. „Du hast deinen Sohn mitgebracht?“ „Ja. Sesshoumaru wollte mich unbedingt begleiten. Er ist zwar noch jung, aber ich dachte, es schade nicht, wenn er seine späteren Aufgaben schon einmal kennen lernt.“ „Er ist kein Kind mehr, Inu-no-taishou. Willkommen, Sesshoumaru!“ Hinter Inu-no-taishou trat schmaler Jüngling hervor, dessen langes silbernes Haar offen seinen Rücken hinabfiel. Seine bernsteinfarbenen Augen ruhten auf Kataga, während er sich leicht verbeugte. Auf seiner Stirn erkannte Kataga die Form eines dunklen Mondes, der schon fast zum Neumond geworden war. Es war dasselbe Zeichen wie auf seines Vaters Stirn. Kataga betrachtete ihn weiter. Sesshoumaru strahlte auch in seinen jungen Jahren - er war gerade vierhundert Jahre alt – ehrfurchtsgebietende und ruhige Züge aus und Kataga wusste nicht, ob er sich auf seine zukünftige Herrschaft freuen oder sie fürchten sollte. Würde auch Sesshoumaru Kataga seine Herrschaft zugestehen, wie es nun Inu-no-taishou in Freundschaft tat? Oder sollte er seine zukünftige Herrschaft fürchten? „Ich komme wegen meiner Grenzen. Du weißt, dass sie schon seit längerer Zeit von Katzenyoukai nicht mehr respektiert werden.“ begann Inu-no-taishou und musterte seinen Freund, dessen Blick immer noch auf Sesshoumaru ruhte. „Ich traf mich mit ihrem Anführer und erfuhr, dass sie aus ihrem Gebiet vertrieben wurden. Sie sagten, sie hätten keine Wahl, als ihre Gebiete jenseits der Berge hinter sich zu lassen und sich eine neue Heimat zu suchen.“ „Wer vertrieb sie?“ „Das konnten sie nicht sagen.“ „Seltsam. Hast du jemanden geschickt, der sich der Sache annimmt?“ fragte Kataga, der trotzdem ganz bei der Sache gewesen war und auch seine Augen nun von Sesshoumaru abwandte und Inu-no-taishous Blick suchte. „Ja, doch wen ich schickte, kehrte nicht zurück. Nun sind mir die Hände gebunen, da ich sie nicht mehr vertreiben kann.“ „Was hast du getan?“ „Vor meiner ersten Gesandtschaft in ihr ehemaliges Gebiet gab ich ihnen das Gebiet am Fuß der Berge bis zum Fluss. Wir sind darüber übereingekommen, dass sie bleiben können, wenn sich als richtig herausstellt, was sie berichteten, und wenn sie meine Autorität nicht in Frage stellen.“ „Glaubst du, das war klug? Katzenyoukai haben sich nie mit Hundeyoukai verstanden.“ „Ich weiß, dass es zu einem Krieg gekommen wäre, wenn ich nicht eingelenkt hätte. Und ich darf dich daran erinnern, dass ich mir wegen der ständigen Unruhen der Menschen keine weiteren Auseinandersetzungen leisten kann?“ „Weißt du, wie viele Opfer diese Menschenkriege gekostet haben?“ „Tausende, nehme ich an, und es ist noch nicht vorbei.“ „Es wird Zeit, dass sich endlich einer von ihnen durchsetzt und dem Schlachten ein Ende setzt.“ „Ist es schlimm, wenn die Menschen sich gegenseitig töten?“ fragte Sesshoumaru, der aufmerksam zugehört hatte, und sah seinen Vater an. „Es können sich zu viele niedere Dämonen an den Leichen, Alten und Kranken stärken und das sollte dir widerstreben, wenn nicht schon die Vorstellung, dass sich Menschen gegenseitig und grundlos töten, Unbehagen in dir auslöst.“ „Unser Problem sind die Dämonen, die stärker werden, und nicht die Menschen, die sich in ihrem Unverstand selbst vernichten.“ entgegnete Sesshoumaru schlussfolgernd und gleichgültig. Inu-no-taishou nickte zaghaft. „Ja, Sesshoumaru, wir müssen unseren Anspruch verteidigen.“ meinte Kataga und nickte. Inu-no-taishou wandte sich von seinem Sohn wieder Kataga zu. Die beiden berieten sich noch eine Weile und kamen darin überein, dass sie abwarten wollten, wie sich die Sache mit den Katzenyoukai entwickeln würde. Dann siegte aber doch Inu-no-taishous Neugier. Er schickte Sesshoumaru zu seinem Diener Yaken nach draußen, er solle sich ruhig hier umsehen, doch niemanden stören. Als Sesshoumaru sich widerwillig entfernt hatte, fragte Inu-no-taishou endlich, was er die ganze Zeit wissen wollte: „Wie stellst du dir die Zukunft deines Kindes vor? Das Blut deiner Frau ist doch zur Hälfte Gottesblut, die andere Hälfte ist menschlich. Alles in allem ist Midoriko also sterblich, oder?“ „Ja, leider. Ich weiß nicht weiter, Inu-no-taishou. Vielleicht haben wir uns das alles viel zu einfach vorgestellt. Midorikos Vater Heiwa-Sen war vor wenigen Wochen hier und hat von seiner Tochter verlangt, ihn zu begleiten. Allerdings hat sie sich geweigert. Die beiden haben sich furchtbar gestritten und Heiwa-Sen verließ sie ohne ein weiteres Wort. Seit da haben wir nichts mehr von ihm gehört. Midoriko macht sich Vorwürfe, ich mache mir Vorwürfe und alles ist auf einmal so kompliziert.“ „Schafft Midoriko es nicht, mit ihrem Vater in Verbindung zu treten?“ „Versucht hat sie es, doch sie meinte, sie könne die Barriere nicht überwinden, die unsere Welt von seiner trennt. Sie fühlt sich bestimmt sehr allein, Inu-no-taishou.“ Er nickte nur und die beiden gingen einige Schritte. „Meinst du, sie bereut es, dass sie nicht mit ihrem Vater gegangen ist? Euer Kind hätte dort sicher ein anderes Schicksal als hier. Vielleicht ein sicheres.“ „Sie spricht nicht darüber. Sie spricht überhaupt nicht mehr von der Vergangenheit und ihrer Familie, sondern nur noch von der Zukunft, mit mir und unserer Tochter.“ „Eine Tochter? Wie ist ihr Name?“ „Ayashi, wir nannten sie Ayashi Kibonohana.“ „Ein schöner Name.“ Kataga nickte und sah über den schneebedeckten Garten hinweg zu Sesshoumaru hinüber, der sich mit dem Diener, einem Krötendämon, gerade den Teich von dessen Brücke aus ansah. Kapitel 9: ----------- „Erinnerst du dich, was der alte Izami uns erzählt hat?“ fragte Kataga und sah seinen Freund von der Seite an. „Dass Youkai, die dasselbe Zeichen wie ihre Vorfahren tragen, großes Leid erfahren werden? Ja, entweder das oder dass sie eine Gefahr für ihre Vorfahren sind.“ Kataga nickte und wartete darauf, dass Inu-no-taishou weitersprach. „Sesshoumaru ist eigensinnig und macht sich nicht viel aus Menschen, aber er ist nicht grausam, Kataga. Und glaubst du nicht, dass man durch Erziehung viel verhindern kann?“ „Inu-no-taishou, wenn er eine Gefahr für deine Herrschaft ist, solltest du nicht so sprechen….“ „Mein Sohn ist keine Gefahr für mich. Ich halte ihn von Menschen fern, so dürfte es nie Grund geben, dass er einen Hass gegen sie entwickelt.“ „Ich hoffe, du hast Recht.“ „Der alte Izami kann sich auch getäuscht haben. Er glaubte an Vorsehung und unabwendbares Schicksal.“ „Das tue ich auch. Wir alle sind zu etwas bestimmt und bekommen in unserem Leben eine bestimmte Aufgabe.“ „Hast du das von Midoriko? Früher hast du nicht so gesprochen.“ Kataga schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht, dass du dich von einer Priesterin unterrichten lassen solltest…“ „Ihre Worte sind so klar, Inu-no-taishou.“ „Und das reicht dir? Kataga, wir leben schon so lange. Sie nicht.“ Kataga winkte ab. „Ich mache mir im Moment mehr Sorgen um ihr Leben.“ „Kannst du sie nicht davon abhalten, wieder in die Schlacht zu ziehen?“ „Wie du schon sagtest: sie ist Priesterin und das ist ihre Aufgabe.“ „Und Ayashi? Hast du vor, sie als Priesterin erziehen zu lassen?“ „Ich werde hoffentlich verhindern können, dass sie es wird, doch teilweise vererbt sich diese Spiritualität auch. Gegen Midorikos Erbe in Ayashi bin ich machtlos.“ „Vielleicht ist Ayashi diejenige, die Frieden zwischen Youkai und Menschen bringt, immerhin ist sie Halbyoukai.“ „Ich habe nicht vor, sie als Hanyou zu erziehen. Midoriko ist ihre Mutter, natürlich. Ich wusste das immer. Sie ist meine Tochter und als diese wird sie erzogen. Sie ist meine Erbin.“ „Meinst du nicht, dass du auch einen Sohn…“ „Ayashi ist die Erstgeborene. Sie wird lernen, was sie braucht, damit sie von jedem als meine Nachfolgerin akzeptiert wird.“ „Ein hartes Stück Arbeit hast du da vor dir, Kataga! Einen Hanyou zu einem Youkai zu machen! Nicht einfach! Sie muss so vieles lernen: Kalligraphie, Politik, Literatur… und nicht zuletzt auch die Kampfkunst. Und dann nebenbei noch ihre Aufgaben als Frau. Ich nehme an, du wirst ihr auch die Tugenden und Erziehung einer Hime zukommen lassen? Nähen, Sticken, Musik, Tanz und Gesang und Malerei…“ Kataga hob beschwichtigend die Hand und schüttelte den Kopf. „Sie hat Zeit, Inu-no-taishou. Sie hat so viel Zeit!“ „Was sagt Midoriko dazu, dass sie nicht als Mensch erzogen werden soll?“ „Sie wird einverstanden sein. Darüber haben wir noch nicht endgültig gesprochen.“ „Hoffentlich hast du Recht. Ich wünsche es dir wirklich.“ Kataga nickte und erachtete das Thema als erledigt. „Bleibt ihr zum Essen, dein Sohn und du?“ „Gern.“ Kataga nickte und sah noch einmal zu Sesshoumaru hinüber, der stumm auf die Eisfläche des Teiches blickte ohne sich zu rühren, bevor er mit Inu-no-taishou wieder nach Drinnen verschwand. Nachdem drei Winter ins Land gekommen waren, erschütterten wieder Übergriffe von Dämonen das Land. Midoriko wurde vom Shogun Odo Nobunaga zurück in die Schlacht gerufen und war gerade dabei, ihre Waffen zusammen zu richten, als Kataga zu ihr in das Gemach trat. „Du hast nun eine Tochter, Midoriko.“ „Das weiß ich. Ich komme zurück.“ „Glaubst du das wirklich?“ „Es ist nicht mein Glaube, der mir hilft, sondern meine Hoffnung.“ erwiderte sie angespannt. „Du bist sehr stark, Midoriko, aber ich habe gesehen, gegen wen du kämpfen musst. Selbst ich würde ihm unterliegen.“ „Du bist Youkai. Meinst du nicht, eine Priesterin kämpft effektiver gegen ein böses Wesen?“ Kataga entgegnete nichts. Darüber hatten sie in der letzten Zeit häufiger gestritten. Midoriko fuhr fort: „Wenn ich nicht gehe, verrate ich meine Herkunft und meine Aufgabe. Als ich meine Aufgabe angenommen habe, wusste ich, was sie bedeutete, obwohl ich noch sehr jung war. Ich kann nicht hier bleiben und so tun, als ginge mich das Elend der Menschen nichts an.“ „Und ich kann dich nicht zurückhalten.“ bemerkte er und setzte sich. Sie schüttelte nur stumm den Kopf. In ihrem Inneren wusste sie, dass sie ihn und ihre Tochter nie wieder sehen würde. „Ich hatte eine entsetzliche Vision, Kataga.“ „Eine Vision?“ „Ja. Ich sah darin Ayashi, die große Schmerzen leiden wird. Ich kann dir nichts Genaues sagen, aber aus dem Zusammenhang erkannte ich, dass es das Verschulden eines Youkai sein wird.“ „Wessen?“ „Des Sohnes Inu-no-taishous.“ „Sesshoumarus?“ fragte Kataga ungläubig und schüttelte den Kopf. „Ja.“ meinte Midoriko nicktend und wandte sich wieder ihren Waffen zu. Kataga erwiderte nichts. „Er wird ihr schreckliche Schmerzen zufügen. Und er wird sie töten.“ Kataga konnte das immer noch nicht recht glauben, doch irgendwas tief in ihm regte sich, das ihm bedeutete, dass es wahr werden konnte. Ayashi. Nein, Ayashi wollte er nicht auch noch verlieren. „Lass’ nicht zu, dass sie sich jemals begegnen.“ Kataga entgegnete immer noch nichts. Natürlich war Sesshoumaru auch ihm nicht ganz geheuer, aber deshalb…. „Versprich es mir, Kataga.“ „Midoriko, er ist der Sohn meines engsten Freundes. Ich kann dir nicht garantieren, dass sie sich nie treffen.“ „Ich hörte, er kommt nicht mehr mit seinem Vater mit, wenn er hierher kommt. Das ist doch gut. Er hat sie nie gesehen, sie wachsen nicht zusammen auf und sie werden sich nicht kennen.“ „Aber wer garantiert dir, dass sie sich niemals treffen?“ „Wenn du unserer Tochter auch nur ein bisschen gut bist, dann wirst du dafür sorgen. Sie wird sterben, wenn sie ihn trifft.“ Kataga war sprachlos und suchte nach Worten. Sollte er alles verlieren? Seine geliebte Frau und sein geliebtes Kind? Schließlich nickte er zaghaft. Er schenkte ihrer Vision Glauben und gab ihr das Versprechen. Midoriko nickte zufrieden. Wenig später ritt sie durch das Palasttor. Neko schritt hinter ihr her und auch sie würde nie wieder zum Palast zurückkehren, wenn ihre Herrin fiel. Kataga hatte Ayashi auf den Arm genommen und sah ihr nach. Midoriko hatte ihr gerade eben den letzten Kuss auf die Stirn gegeben, bevor sie aufgestiegen war und nun ohne einen Blick zurück davonritt. Ayashis Augen folgten ihrer Mutter und ihrer besten Freundin Neko, bis sie aus der Sichtweite verschwunden waren. „Sie kommt nicht zurück.“ murmelte Ayashi leise, und blickte ihren Vater an. Kataga sagte nichts, sondern ließ sie von seinem Arm und nickte nur. Sie hatte Recht. Der Gegner war zu stark. Kapitel 10: ------------ Fast einhundert Jahre vergingen und Ayashi wuchs zu einer blühenden Frau heran, die wegen ihrer Schönheit von allen anderen weiblichen Youkai beneidet und von allen männlichen Youkai am Hof begehrt wurde. Ihr Haar war lang und nachtschwarz, ihr Körper bezaubernd und anmutig und ihre Augen leuchteten in diesem dunklen Grün eines seltenen Edelsteins, der klarer und dunkler war als chinesische Jade. Ayashi schritt oft durch die Gärten und hing ihren Gedanken nach, wenn sie sich eine Pause von den philosophischen und historischen Schriften, von den Aufzeichnungen der herrschenden Gesetze, von ihrem Unterricht sowohl in Sprachen und Kalligraphie als auch in Musik, Tanz und Malerei, von ihren handarbeitlichen Beschäftigungen gönnte und auch ihr Schwert ruhte. In diesen Momenten dachte sie oft an ihre Mutter, die sie bis auf die Augen, denn die hatte sie von ihrem Vater, so ähnlich sah. Oder kam es ihr nur so vor? Und sagten das alle um sie herum nur, da sie dachte, Ayashi wollte genau dies hören? Sie wusste es nicht. Doch sie wusste, dass Kataga große Sorgen hatte. Das spürte sie, doch er sprach darüber nicht mit ihr, sondern nur mit seinen engsten Vertrauten. Inu-no-taishou war des Öfteren im Palast gewesen, und nachdem er sein Wohlwollen gegenüber Ayashi ausgedrückt hatte, waren er und ihr Vater meistens stundenlang verschwunden und erst spät in der Nacht wieder zurückgekehrt. Die Sorge ihres Vaters übertrug sich auch auf Ayashi, die hin und her überlegte, was ihn so beschäftigte. Eines Abends brachte Kataga von einer langen Reise wieder Inu-no-taishou mit und ließ Ayashi holen. Als sie den Raum betrat, bemerkte sie, dass die beiden Männer verstummten. „Was ist geschehen?“ fragte Ayashi. „Komm’ zu uns!“ Ayashi näherte sich noch weiter. „Inu-no-taishou und ich müssen in den Kampf ziehen. Ich möchte, dass du hier bleibst und dich während meiner Abwesenheit um alles kümmerst.“ „In den Kampf? Gegen wen?“ „Mehrere niedere Dämonen. Es gibt keinen Grund zur Aufregung, glaub’ mir. Es wird nicht lange dauern, das verspreche ich dir.“ „Kann ich euch nicht begleiten?“ „Nein, Ayashi. Du kannst zwar hervorragend kämpfen, aber es ziemt sich nicht für eine Prinzessin. Dein Platz ist hier.“ bestimmte er und Ayashi nickte. „Wie du meinst, Vater.“ Ayashi hatte diese Diskussion schon öfter mit ihrem Vater geführt und jedes Mal hatte sie feststellen müssen, dass er nicht von seinem Standpunkt abwich. „Der Rat von Kyoto versammelt sich am morgigen Tag hier. Ich möchte vor allem deshalb, dass du im Schloss bist. Du wirst mich vertreten.“ erklärte er, als er in das verschlossene Gesicht seiner einzigen Tochter blickte. Er wusste, dass sie enttäuscht war. „Wie bitte?“ fragte sie verwundert. „Ich weiß, dass mich bisher immer Kantan vertreten hat, doch du bist alt genug. Es wird Zeit, dass du dich in deine Position als meine einzige Tochter und somit Erbin einfügst.“ Ayashi nickte. Ihr Vater vertraute ihr. Sie würde ihn nicht enttäuschen. „Es kommen nur einige Mitglieder des Rates, keine Sorge. Die meisten von ihnen zählte ich zu meinen Verbündeten... Die anderen, die nicht offen meine Verbündeten sind, sind loyal und werden sich dir schon beugen.“ Kataga lächelte, als Ayashi eine Augenbraue hochzog und stumm blieb. „Sie kommen, um meine Antwort zum Krieg gegen die Katzenyoukai zu hören.“ „Und was soll ich ihnen als Antwort übermitteln?“ „Wenn Verbündete angegriffen werden, werde ich ebenfalls in den Krieg ziehen und sie nach meinem besten Vermögen unterstützen. Vorher allerdings werde ich keine Kampfhandlungen durchführen.“ Ayashi nickte und musterte ihren Vater. Er sah müde aus. „Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.“ meinte er und wandte sich dann wieder Inu-no-taishou zu. Noch in derselben Nacht verließen Inu-no-taishou und Kataga das Schloss in Richtung Norden. Ayashi hatte ihnen nachgesehen – wie sie damals auch ihrer Mutter nachgesehen hatte. Allerdings wusste sie, dass beide zurückkehren würden. Früher oder später. In dieser Nacht fand sie keinen Schlaf mehr und ging deshalb in den Gärten spazieren und lauschte den Geräuschen der Nacht. „Seid gegrüßt, Ayashi-Hime.“ „Yaken?“ „Ja, ich bin es. Verzeiht bitte, dass ich mich so angeschlichen habe.“ „Möchtest du mich ein Stück begleiten?“ „Gern.“ Inu-no-taishous Diener ging mit kleinen Schritten neben Ayashi her. „Es ist eine wunderschöne Nacht, nicht wahr?“ „Ja, durchaus.“ „Was machst du hier, Yaken. Wieso begleitest du nicht Inu-no-taishou?“ „Ich bin schon lange nicht mehr in Diensten des ehrwürdigen Herrn.“ „Nicht? Wem dienst du dann?“ „Dem jungen Herrn.“ „Welcher junge Herr?“ „Inu-no-taishous Sohn, Sesshoumaru-Sama.“ „Er hat einen Sohn?“ „Ihr wisst das nicht?“ Ayashi schüttelte den Kopf. „Das ist äußerst seltsam.“ Ayashi stimmte ihm zu und blieb stehen. „Ich muss meinen Vater nach ihm fragen, wenn er zurück ist.“ murmelte sie und ging weiter den Weg entlang. Sie kannte Inu-no-taishou gut, aber sie hatte immer angenommen, dass er weder Frau noch Sohn habe. Sie hatte angenommen, er hatte überhaupt keine Familie. „Seid Ihr glücklich, Ayashi-Hime?“ fragte Yaken plötzlich, was Ayashi verwunderte. Sie betrachtete nachdenklich den kleinen Dämon vor sich und schüttelte dann leicht den Kopf. „Ich lebe, Yaken, und ich habe alles, was man sich wünschen kann, doch glücklich bin ich eigentlich nicht.“ meinte sie, nachdem sie kurze Zeit überlegt hatte. „Ich vermutete so etwas. Ich habe Euch gesehen, wie ihr oft nachts in die Gärten hinaus geht und Euch auf die Steinbank setzt.“ „Dort ist der Schrein meiner Mutter.“ erklärte sie, worauf Yaken nickte. „Ich vermisse sie sehr.“ fügte sie ehrlich hinzu. „Erinnert Ihr Euch denn an sie?“ „Ja, doch meine Erinnerung an sie ist nicht sehr deutlich.“ „Ihr wart noch sehr jung. Es überrascht mich, zu hören, dass ihr euch überhaupt an sie entsinnen könnt. Ihr Tod ist schon so lange Jahre vergangen…“ Yaken verfiel in Schweigen, als er Ayashis Blick sah. Ihre Augen schienen trüb, doch vielleicht täuschte er sich. „Verzeiht mir, Ayashi-Hime. Es war nicht meine Absicht, Euch zu verletzen oder Euch traurig zu machen.“ Ayashi nickte. „Du hast mich gerade auf eine Idee gebracht.“ „Ich, Ayashi-Hime?“ „Ja, du. Ich bin zwar schon etwas in der Welt herumgekommen, aber ich habe nie den Ort aufgesucht, an dem meine Mutter starb.“ „Ayashi-Hime, bedenkt, dass eine Reise kein Spaziergang ist. Überall lauern Gefahren und für eine Prinzessin… Ohne Begleitung schon überhaupt nicht. Ich denke, Euer Vater unterstützt diesen Wunsch nicht.“ „Das ist möglich, aber er wird mir nachgeben.“ Yaken erwiderte nichts, sondern nickte nur. „Er kann mich doch nicht mein ganzes Leben lang vor allem beschützen, nur weil ich eine Frau bin.“ sagte sie leise und ging hinein. Yaken blieb zurück und sah ihr nach. Ihr Haar umspielte ihren Oberkörper bis zu ihrer Taille und wiegte sacht bei jedem ihrer Schritte hin und her. Selbst in ihrem Nachtgewand, einem dünnen, seidenen Kimono ohne jeglichen Schmuck, sah sie edel und ehrenwert aus. Vielleicht würde einmal der Kaiser der Youkai.... „War sie das?“ unterbrach eine Stimme seine Gedanken. Nur einen Augenblick später tauchte ein Schatten neben ihm auf und Yaken erkannte seinen Herrn. „Sesshoumaru-Sama, was macht Ihr hier? Ihr wolltet doch Euren verehrten Vater im Tal treffen!“ „Yaken!“ „Verzeiht mir! Ja, das war sie. Die einzige Tochter Kataga-Samas.“ Sesshoumaru blickte noch etwas länger in die Richtung, in der Ayashi verschwunden war. Noch immer hing ein leichter Duft von Jasmin - und Kirschblüten in der Luft, obwohl diese Sträucher nicht im Garten wuchsen. Das war sie. „Ayashi, also.“ „Ihr kennt sie?“ „Ich habe vor langer Zeit ihren Namen gehört.“ „Äußerst seltsam, dass Ihr ihr nie begegnet seid, Sesshoumaru-Sama.“ „Darauf lege ich keinen Wert. Ich bin jetzt auch nur hier, weil ich hoffte, meinen Vater noch hier anzutreffen.“ „Er ist schon aufgebrochen.“ „Offensichtlich.“ Yaken erwiderte nichts und Sesshoumaru wusste genau, dass man Ayashi von ihm ferngehalten hatte, um das Schlimmste – was auch immer das sein sollte – zu verhindern. Und er spürte, dass sie alle Recht gehabt hatten, denn seit er sie gesehen und gerochen hatte, ihren Duft nach Jasmin- und Kirschblüten, änderte sich etwas tief in ihm und brach ans Licht, und obwohl er versuchte, dieses Gefühl für immer in sich zu tilgen, gelang es ihm nicht. Kapitel 11: ------------ Am nächsten Morgen wurde Ayashi von ihren Dienerinnen frisiert, geschminkt und angekleidet. Sie unterhielt ein gutes Verhältnis zu ihren, das sie beinahe als Freundschaft bezeichnen konnte, wenn Freundschaft zwischen Dienern und Herren nicht unüblich wäre. So begnügte sich Ayashi damit, ihnen mehr zuzugestehen und verlangte ab und zu ihre ehrliche Antwort, doch mehr nicht. „Warum musstet Ihr nur die ganze Nacht wach bleiben? Ihr seht furchtbar aus, Ayashi-Hime!“ Ayashi blickte in den Spiegel und betrachtete sich prüfend. Sie fand sich alles andere als furchtbar, doch entgegnete nichts und ließ Zhu-Lien und Zhang, die beiden chinesischen Youkai, weiter ihrer Arbeit nachgehen. Nach einer langen Weile zog Zhu-Lien ein letztes Mal Ayashis Haarsträhnen zurecht, während Zhang den letzten Lidstrich noch verfeinerte, ehe Ayashi sich ganz im Spiegel betrachtete. Sie trug einen edlen Kimono aus dunkelblauer Seide, der am Kragen und den Ärmeln mit kleinen, weißen Kirschblüten verziert war, die sich über den Stoff in Ranken verzweigten und verwoben. Das lange Haar war kunstvoll nach oben gesteckt und mit einer reichbesetzten Klammer in Form einer Blüte und winzigen Perlen geschmückt. Ayashis Gesicht war hell gepudert, ihre Lippen rot und ihre langen, dichten Wimpern schwarz gefärbt und mit dem Lidstrich optisch länger und schräg nach oben gezogen. „Nun seid ihr wieder eine Hime, Ayashi-Sama.“ meinte Zhang und begann, die Schminkutensilien zu ordnen und die vielen kleinen Pinselchen, Döschen und Flacons wieder an ihren Platz auf der Kommode zu stellen. Zhu-Lien nickte zufrieden und betrachtete die Prinzessin vor ihr. Ayashi nickte. Sie war zur Porzellan-Puppe geworden, doch ihr Herz rebellierte nicht. Sie war eine Hime. Sie war Katagas Erbin und sie würde ihn nicht enttäuschen. „Gibt es Nachricht von meinem Vater oder Inu-no-taishou?“ fragte sie und wandte den Blick von ihrem Spiegelbild. „Ich bedaure. Nein.“ erwiderte Zhu-Lien und verließ dann mit Zhang den Raum. Ayashi erhob sich und ging mit kleinen Schritten auf und ab. Bald würden die Verbündeten eintreffen, doch sie würde sich erst zeigen dürfen, wenn sie alle versammelt waren. Diener kümmerten sich bereits um einige wenige, die bereits angekommen waren. Ayashi lauschte dem Geräusch der meterlangen Stoffstücke ihres Kimonos, die gegeneinander rieben, sobald sie sich bewegte, und wartete geduldig und etwas nervös auf den Augenblick, an dem sie ihre Gemächer verlassen konnte. Erst am späten Vormittag waren alle Verbündeten, die erwartet wurden, versammelt und Ayashis Anwesenheit gefordert. Zhu-Lien und Zhang traten noch einmal in die Gemächer ihrer Herrin, brachten ihr einen Fächer und zupften noch einmal an ihr herum, ehe sie Ayashi hinaus geleiteten und durch die Gänge und über den Hof bis zur Empfanghalle begleiteten, in der die Youkai bereits bei Speise und Trank warteten. Es fehlte ihnen an nichts und die meisten hatten die Gelegenheit genutzt, noch einmal rasch über die eigene Haltung zum Krieg zu sprechen, doch zu mehr war kaum Zeit gewesen. Ayashis Herz schlug schneller. Noch nie zuvor hatte sie das Wort an so viele Youkai ihres Standes oder nur wenig unter ihr richten müssen. Noch nie war es so sehr auf ihre Worte angekommen als jetzt. Ayashi wählte ihre Worte immer mit Bedacht und sprach nur, wenn sie etwas zu sagen hatte, wie man es sie gelehrt hatte, doch diese Youkai waren gekommen, die Meinung ihres Vaters durch ihren Mund zu hören – und allein deshalb durfte sie keinen von ihnen verärgern oder anderweitig vor den Kopf stoßen. Zu viel hing davon ab. Ayashi nickte den Wächtern vor der breiten Tür zu, die daraufhin öffneten und ihre Prinzessin eintreten ließen. Die Youkai erhoben sich von ihren Plätzen, als sie die edle Frau bemerkten, und ließen sich vor ihr auf ihre Knie nieder, um ihr Ehre und Respekt zu erweisen. Ayashi trat noch einige Schritte leichtfüßig in den Raum hinein, blieb dann stehen und berührte mit ihren Fingerspitzen leicht ihre Oberschenkel und beugte den Oberkörper anmutig, um ihre Gäste zu grüßen. Dann richtete sie sich wieder ruhig auf und trat noch weiter vor, um sich dann mit einer geschmeidigen Bewegung auf ihre Knie niederzulassen und sich noch einmal leicht zu verneigen. Einen Moment saß sie mit aufrechtem Oberkörper auf ihren Fersen und ließ ihre Hände nobel auf ihren Oberschenkeln aufliegen. Ihr Blick streifte die Youkai, die noch immer den Kopf geneigt hielten, da das das Anstand von ihnen forderte. „Seid willkommen!“ sprach Ayashi mit klarer und leiser Stimme, worauf die Männer ebenfalls auf ihre Fersen zurücksanken, den Blick hoben und ihre Hände wie Ayashi auf ihren Oberschenkeln ruhen ließen, wobei ihre Ellenbogen etwas weiter nach außen vorstoßen durften, da ihre Körper in ihrer militärischen Kraft und männlicher Stärke mehr Raum einnehmen durfte als der schmale und schwächere Körper einer Dame. Ayashi erinnerte sich an den Unterricht, den sie in höfischem Verhalten genossen hatte. Sie hatte das Niedersinken in diese Verneigung und das Erheben aus ihr so lernen müssen, dass es kinderleicht aussah und sie gänzlich ohne Hände auskam. „Verzeiht, Hime-Sama, doch wir erwarteten Euren Vater.“ ergriff nun einer der vorderen Youkai vorsichtig das Wort. Sie blickte zu ihm und sah neben ihm ihren Onkel Katsumoto, den Herrn über die Wolfsyoukai der südlichen Berge, der kaum sichtbar lächelte und sie so ermuntern wollte. Ayashi nickte. „Das ist mir bewusst. Er sah sich gezwungen, am gestrigen Abend mit Inu-no-taishou-Sama aufzubrechen, und ist deshalb nicht im Schloss.“ „Wir benötigen eine Antwort. Seine Antwort.“ erwiderte derselbe Youkai. Ayashi erinnerte sich nun an ihn: Sie hatte ihn vor Jahren einmal gesehen und ihr Vater hatte ihr erzählt, er vertrete den letzten verbliebenen Fürsten der Fledermausyoukai, die sich in etlichen Klankriegen beinahe selbst vernichtet hatten. Nun lebten nur noch wenige unter einem einzigen Fürsten – dem stärksten Krieger, der aus den Kämpfen hervorgegangen war – in einem Gebiet, das den Namen Shiono trug. In seiner Stimme lag ein kleiner Hauch von Wut und Unverständnis. „Er bat mich, seine Antwort an seiner statt zu verkünden. Das werde ich tun, falls Ihr es mir gestattet, Geikijo-Sama.“ „Natürlich, Hime-Sama.“ gab Geikijo klein bei und verneigte sich noch einmal, um sich für dein Verhalten zu entschuldigen. Ayashi nickte und ließ ihren Blick noch einmal über die Reihen streifen. Sie kannte bei Weitem nicht alle Anwesenden, doch wenige von ihnen: Akami, den Abgesandten der Hundeyoukai von der Noto-Halbinsel, Risuga, den Abgesandten der Vogelyoukai der Oki-Inseln, Hukudashi, den Abgesandten der Hundeyoukai der Shimokita-Halbinsel und Kenko, den Abgesandten der Wolfsyoukai aus dem Chugokugebirge. Und eben Geikijo von den Fledermausyoukai. Doch sonst entdeckte sie kein bekanntes Gesicht, doch sie sah, dass noch zwei Fuchsyoukai, drei andere Vogelyoukai und zwei Bärenyoukai. Schließlich begann sie, die Antwort ihres geliebten Vaters zu übermitteln: „Ich möchte versichern, dass sich mein ehrwürdiger Vater Kataga-Sama der bedrohlichen Lage bewusst ist und erst nach gründlichen Überlegungen seinen Entschluss gefasst hat. Ihr kennt Kataga-Sama und wisst, dass er stets nach Möglichkeiten sucht, kriegerische Handlungen zu vermeiden, wenn sie vermeidbar sind, aber nicht zögert, sich den unvermeidbaren entgegenzustellen. Deshalb wird er auch in diesen Tagen weiterhin versuchen, den Frieden mit den Katzenyoukai zu wahren…“ Ein leises Raunen ging durch die Reihen, doch Ayashi ließ sich nicht beirren. Keiner von den Youkai würde es wagen, sie zu unterbrechen, sollte er auch anderer Meinung oder enttäuscht von Katagas Antwort sein. „Er wünscht keinen Krieg und wird sein Schwert und seine Waffen ruhen lassen und keinen Angriff führen. Doch sollte ein Verbündeter angegriffen werden, wird er nicht zögern und diesem nach bestem Vermögen zur Seite stehen. Dies ist seine Antwort.“ Ayashi blickte in die Runde und hielt ihren Blick bei Katsumoto an. Ayashi sah, dass sein Gesicht angespannt war, aber er hatte eine solche Antwort erwartet, auch das sah sie. Er kannte seinen Bruder schon lange genug. Die versammelten Youkai blieben stumm, da es keine Veranlassung zu einer Diskussion gab: Kataga hatte seine Antwort gegeben und war selbst nicht anwesend, um sie verteidigen zu müssen. Ayashi verneigte sich nun noch einmal von den Youkai, erhob sich dann langsam und verließ die Empfangshalle. Kapitel 12: ------------ Katsumoto wollte nach der Versammlung noch allein und ungestört mit seiner Nichte sprechen, weshalb er den anderen Youkai dabei zusah, wie sie sich langsam erhoben und dann die Halle verließen. Er hatte Ayashi schon lange Zeit nicht mehr gesehen und hatte feststellen müssen, dass sie selbst für eine Youkai unglaublich schön geworden war, doch er sah nicht viel von ihrer Mutter in ihr. Unwillkürlich musste er lächeln. Sie konnte bestimmt ganz wie ihr Vater mit unbändigem Wesen und starkem Willen über die Westlichen Länder herrschen, sollte Kataga irgendwann sterben. Als nur noch wenige Abgesandte im Saal waren, erhob er sich ebenfalls und ordente die Falten seines Gewandes. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Geikijo an der Türschwelle noch einmal kehrt machte und zu ihm herüber kam. „Katsumoto-Sama…“ Geikijo neigte den Kopf und sprach dann weiter: „Eure Nichte Ayashi-Hime… Das klingt nun bestimmt forsch, doch ich habe mich gefragt, ob Eure Nichte bereits jemandem als Braut versprochen ist.“ Katsumoto hatte beinahe mit einer solchen Frage gerechnet, doch behielt das für sich. „Meinem Wissen nach ist sie niemandem versprochen, allerdings bin ich mir nicht sicher. Ihr solltet Euch mit Eurem Vater in Verbindung setzen, doch vielleicht auch eine bessere Zeit abwarten. Krieg steht uns bevor und Ayashi ist seine Erbin. Abgesehen davon, dass mein Bruder seine Tochter über alles liebt und nur schwer wegen eines Ehegatten aus den eigenen Händen geben wird, kann sie schon allein deshalb diese Länder nicht verlassen.“ Geikijo nickte. „Ich danke Euch für Eure Offenheit, Katsumoto-Sama.“ Er neigte noch einmal den Kopf und auch Katsumoto verneigte sich, ehe Geikijo den Saal verließ. Kopfschüttelnd kehrte Katsumoto der Empfangshalle den Rücken und trat hinaus in die privaten Gärten, wo Ayashi bereits auf ihn wartete. Ayashi und ihr Onkel spazierten einige Zeit durch den kunstvoll angelegten Park und setzten sich dann an einen Teich. „Du bist wirklich sehr hübsch geworden, aber du siehst traurig aus.“ bemerkte er, worauf sie den Kopf schüttelte. „Es wird Krieg geben… Das ist doch Grund genug, nicht zu lachen, zu tanzen und fröhlich zu sein, oder nicht?“ entgegnete sie. „Und sonst bedrückt dich nichts?“ fragte er nach. „Nein. Es ist wirklich alles in Ordnung.“ versicherte Ayashi und blickte über die Wasseroberfläche. „Ich hatte erwartet, dass Sesshoumaru-Sama ebenfalls zur Versammlung kommt… Hat Kataga etwas über ihn gesagt?“ wechselte Katsumoto nun das Thema. „Nein. Mein Vater spricht nicht über Sesshoumaru-Sama, obwohl er Inu-no-taishous Sohn ist. Er spricht nie über ihn.“ Katsumoto lachte leise. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Sesshoumaru wird einmal einer der stärksten Youkai-Fürsten sein… Er ist heute schon unglaublich stark und gewandt. Inu-no-taishou kann sehr stolz auf ihn sein.“ Ayashi blickte ihren Onkel fragend an. „Erzähl’ mir von ihm!“ bat sie ihn leise. „Nun… Interessiert er dich?“ „Ich kenne ihn nicht, Katsumoto. Das macht mich neugierig, das gebe ich zu.“ entgegnete sie und er nickte. „Es gibt nicht sehr viel über Sesshoumaru zu sagen. Er ist groß gewachsen und hat das lange, silberweiße Haar, das so typisch ist für seinen Klan. Seine Augen sind hell und gleichem einem funkelnden Bernstein… So wie deine einem Smaragd oder Malachit gleichen, Ayashi. Sesshoumaru ist sehr tüchtig und ehrgeizig. Das Schwert führt er mit vollendeter Perfektion und großem Talent, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass sein Vater ihm wichtige Aufgaben zukommen lässt und ihn zu einem der bedeutsamsten Anführer des gesamten Youkai-Heeres ernannt hat… Ich langweile dich.“ „Nein, das tust du nicht.“ versicherte Ayashi, doch Katsumoto sprach nicht weiter über Sesshoumaru. Ayashi nickte bei sich und meinte: „Wenn Sesshoumaru-Sama so unverzichtbar für Inu-no-taishou ist, wird er bereits mit den Kriegsvorbereitungen beschäftigt sein. Du nimmst doch auch an, dass ein Krieg nicht mehr zu verhindern ist?“ „Ja. Es sieht alles danach aus.“ gab Katsumoto seiner Nichte Recht. „Bleibst du über Nacht? Soll ich dir Gemächer richten lassen?“ fragte sie und wollte sich erheben, doch er hielt sie zurück. „Nein. Das ist leider nicht möglich. Ich muss zurück und ebenfalls noch Vorbereitungen treffen.“ Ayashi nickte. „Wenn Krieg ausbricht, Katsumoto… Kann ich euch dann zur Seite stehen. Ich kann kämpfen, das weißt du, und ich bin mir sicher, dass ich besser kämpfe als manch männlicher Youkai…“ „Ayashi.“ unterbrach er sie und schüttelte den Kopf. „Dein Platz ist hier, Ayashi. Hier oder an einem anderen Ort, an dem du in Sicherheit und fernab von Kampf leben kannst.“ „Fernab vom Leben leben…“ murmelte sie und schüttelte den Kopf. Katsumoto betrachtete sie. Das war also der Grund für ihre traurigen Augen und ihren leeren Blick. „Warum willst du fort von hier?“ Sie zögerte einen Augenblick, dann meinte sie: „Ich habe das Gefühl, dass ich nicht frei bin. Vater meint es gut, das weiß ich, aber er sperrt mich ein. Er engt mich ein, Katsumoto, und ich bin Wolfyoukai und liebe die Freiheit. Vater erwartet von mir, dass ich mit meiner guten Erziehung meinen Platz in einer ruhigen Welt finde, doch die Welt um mich herum ist nicht ruhig. Ruhig ist es nur innerhalb des Käfigs, der inzwischen um mich errichtet ist. Ich bin unsterblich und mein Leben ist endlos, wenn ich nicht getötet werde, und ich kann die Ewigkeit nicht mit Nichtstun verbringen. Das ist widernatürlich.“ Katsumoto lachte. „Das ist nicht komisch. Es ist mir ernst.“ erklärte Ayashi, doch sie wusste, dass sie sein Lachen nicht amüsiert deuten musste. „Ich weiß, dass es dir ernst ist.“ „Wieso lachst du dann?“ „Ich dachte soeben, ich sähe meine Mutter vor mir – deine Großmutter. Ich erinnere mich noch gut daran, dass es sie oft nach draußen gezogen hat. Sie hat immer gesagt, Wolfsyoukai sollten in Höhlen leben…“ Katsumotos Blick glitt in die Ferne. „So kannte sie es. Sie stammte von einem wandernden Stamm ab, der erst nach den Großen Kriegen sesshaft wurde. Und sie heiratete meinen Vater und lebte in einer Burg und schlief nicht mehr auf Stroh, sondern auf feinen Matten und Decken. Ich denke nicht, dass sie jemals glücklicher war, als in den Momenten, in denen sie barfuß über die Felder und durch die Wälder zog.“ „Vater erzählte, dass sie Großvater mehr als einmal verlassen wollte. Stimmt das?“ fragte sie. „Ja, das ist richtig.“ „Wieso ist sie geblieben? Wieso hat sie nicht ihre Freiheit zurückgefordert?“ „Ayashi, Hoshi-no-odori liebt Okami-no-dansei und fühlt sich stärker an ihn gebunden, als der Ruf der Wildnis je an ihrem Herzen zerren könnte. Sie hat immer gesagt, sie würde gehen, doch sie hätte mehr verloren, wenn sie es tatsächlich getan hätte.“ Ayashi nickte. „Freiheit, die man alleine erlebt, wird als Einsamkeit empfunden.“ meinte sie leise. Sie hatte verstanden, was er sagen wollte. „Da ist aber noch etwas.“ rückte sie nach einer Weile mit der Sprache heraus. „Was denn?“ fragte Katsumoto und blickte sie an. „Ich war noch nie an dem Ort, an dem meine Mutter starb.“ „Was willst du dort? Was denkst du, was du dort findest?“ Ayashi zuckte die Schultern. „Ich habe keine genaue Vorstellung davon. Vater hat mich als Youkai erzogen und als Youkai empfinde ich mich auch, aber ich weiß kaum etwas über meine andere Seite… das Erbe meiner Mutter in mir. Ich fühle mich unvollständig. Und ich habe nie Abschied von ihr nehmen können.“ „Ich bezweifle, dass dir das jemals gelingt.“ Ayashi schüttelte den Kopf. „Doch. Ich habe noch immer das Gefühl, dass sie lebt. Das muss endlich aufhören, da ich so nicht weiterleben kann. Es würde mir gut tun, da bin ich mir sicher.“ Katsumoto sah seine Nichte bestürzt an. „Du… Ayashi, du bist deiner Mutter bestimmt sehr ähnlich… Daher wird das Gefühl kommen.“ meinte er, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Du kanntest sie doch kaum, Katsumoto.“ widersprach sie. Er nickte. „Dein Entschluss steht also fest.“ bemerkte er. „Ja. Kannst du nicht mit Vater sprechen?“ „Dass er dich gehen lässt?“ Ayashi nickte. „Ayashi, es gibt im Augenblick andere Dinge…“ „Ich habe auch nicht von sofort gesprochen. Irgendwann. Nach den Unruhen. Nach dem Krieg. Ich kann noch warten.“ erklärte sie, worauf er nickte. „Ich muss nun aufbrechen.“ „Schon?“ Katsumoto nickte und verabschiedete sich von seiner Nichte, um in die Berge zurückzukehren. Kapitel 13: ------------ Innerhalb der nächsten vier Tage kam es zu kleineren Auseinandersetzungen, doch ein Krieg brach nicht aus. Kataga hielt sein Wort und führte seine Truppen seinen Verbündeten zur Hilfe in die Schlachten, aus denen sie siegreich hervorgingen und Kataga mit Inu-no-taishou nur leicht verwundet ins Schloss zurückkehrte. Ayashi war froh, dass beide nicht ernsthaft verletzt waren, da sie sich so selbst um die Wunden kümmern konnte und gleich aus erster Hand über die neusten Ereignisse unterrichtet wurde. Die Sache schien ausgestanden zu sein, ehe sie richtig begonnen hatte, was Ayashi mit großer Erleichterung aufnahm. Inu-no-taishou kehrte noch am Abend in seinen eigenen Palast zurück und schlug das angebotene Nachtmahl aus. „Was hatte er?“ fragte Ayashi ihren Vater, als er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. „Wie meinst du das, Ayashi?“ „Er kam mir verändert vor.“ erklärte sie und blickte zu ihrem Vater nach oben, der immer noch mit unveränderter Miene seinem engsten Freund hinterher sah, obwohl auch er ihn nicht mehr sehen konnte. Nach einer Weile des Schweigens meinte er: „Es ist nichts. Glaub’ mir!“ Ayashi nickte, doch sie glaubte ihm nicht. Wenige Tage später war Ayashi das Warten leid und sah nicht länger ein, warum erst Katsumoto mit ihrem Vater sprechen sollte und dann sie selbst. Sie wünschte diese Reise und, um ihrem Wunsch den nötigen Ausdruck zu verleihen, entschied sie sich, ihn selbst auszusprechen. Kataga saß über seinen Unterlagen und über großen Plänen, die den gesamten Raum auf dem Boden vor ihm in Anspruch nahmen. „Vater?“ fragte Ayashi und blieb in einiger Entfernung stehen. „Komm’ nur, Ayashi!“ meinte er, ohne von den Papieren aufzusehen. Ayashi trat näher und warf seitlich einen kurzen Blick auf die Pläne, die sich als Landkarten der westlichen Küste etwas weiter nördlich von Fukuoka entpuppten. „Bist du sehr beschäftigt oder hast du Zeit für mich?“ fragte sie vorsichtig und fragte sich, was er mit den Landkarten machte. Sie war der Meinung, der Krieg sei mit diesen kleineren Schlachten abgewendet worden. „Ayashi, für dich habe ich immer Zeit. Das weißt du doch!“ gab Kataga zurück und blickte nun auf. Das Gesicht seiner Tochter war ruhig, doch ihre Augen flackerten aufgeregt. „Was hast du auf dem Herzen?“ Ayashi schwieg eine Weile und meinte dann: „Ich möchte eine Reise antreten.“ Auf Katagas Gesicht erschien ein Hauch von Verwunderung, doch der war so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. „Wohin möchtest du reisen? Zu Katsumoto?“ „Durch die Welt, vor allem aber in die Berge… an den Ort, an dem Mutter starb.“ „Das halte ich nicht für ungefährlich.“ „Ich kann mich verteidigen, wenn es nötig ist, glaubst du nicht?“ „Es gehört sich nicht für eine Hime…“ „Vater, es ist sehr wichtig für mich. Ich liebe dich, aber ich werde auch gehen, solltest du es nicht gestatten.“ versicherte Ayashi und wusste im nächsten Moment nicht, warum sie derartig darauf bestand. Sie hatte bisher noch nie gegen den Willen ihres Vaters handeln müssen, da sie bisher noch nie so unterschiedlicher Meinung gewesen waren. „Es ist wichtig für meine Entwicklung, und wenn ich dein Erbe antreten muss, … daran möchte ich überhaupt nicht denken… sollte ich die Welt dort draußen kennen, um richtig handeln zu können. Das muss doch in deinem Sinne sein.“ „Es wäre mir lieber, wenn du dich begleiten lassen würdest.“ „Von wem? Ban oder Yoru? Oder beiden? Ich frage mich, ob es sich ziehmt, wenn eine Hime mit zwei Männern allein unterwegs ist.“ warf Ayashi ein, worauf Kataga nickte. Sie hatte Recht: es gab keine weibliche Youkai, die diese Aufgabe hätte übernehmen können. Kataga seufzte und nickte schließlich zögernd. „In Ordnung, aber eine Bitte habe ich noch.“ erklärte er sich einverstanden. „Welche?“ „Ich möchte, dass du auf deiner Reise Inu-no-taishou aufsuchst. Du wirst dort erfahren, warum.“ Ayashi nickte und umarmte ihren Vater dankbar. Dann verließ sie den Raum und ging in ihre eigenen Gemächer zurück, um schon einmal mit den Vorbereitungen für die Reise zu beginnen. Ayashi tat ihrem Vater den Gefallen und reiste über die Hügel und durch die Täler zuerst zu Inu-no-taishou. Als sie dort ankam, brach die Sonne durch die dichten Regenwolken der letzten Tage, die ihr die bisherige Reise nicht sehr angenehm gemacht hatten. Inu-no-taishou selbst kam zu ihrer Begrüßung. „Es ist schön, dass du hier bist.“ „Es ist schön, wieder hier zu sein.“ erwiderte Ayashi nickend und neigte den Oberkörper. „Komm, Ayashi, lass’ uns ein Stück gehen.“ Ayashi folgte ihm willig und schritt neben ihm in die Gärten hinaus. „Wie geht es dir?“ fragte sie, als er kein Gespräch begann. „Ich bin wieder genesen. Du weißt ja, das dauert bei uns Youkai nie sonderlich lange.“ Sie nickte. Seine Verletzungen waren auch nicht schwerwiegend gewesen. Inu-no-taishou sah ihr in die Augen, die sie jedoch abwandte. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. „Vater hat mir erlaubt, die Welt kennen zu lernen.“ meinte sie, um irgendetwas zu sagen. „Ja, das dachte ich mir.“ „Trotzdem spüre ich, dass er es eigentlich nicht will… Kannst du dir das erklären?“ Inu-no-taishou lächelte. „Du bist sein einziges Kind. Er hat Angst um dich.“ Ayashi lachte leise. „Er hat mich in der Kampfkunst ausbilden lassen. Was sollte mir geschehen?“ „Du bist jung und unerfahren, Ayashi. Dort draußen gibt es Dinge, gegen die jedes Schwert und jeder Pfeil machtlos sind. Er möchte nicht, dass du dem Verderben begegnest, da er dich liebt. Das verstehst du doch, oder?“ Ayashi nickte. „Ja, das verstehe ich.“ „Ich denke, dein Vater weiß, dass die Zeit gekommen ist, dich gehen zu lassen, doch es dauert vielleicht noch eine Weile, bis sein Herz das hinnimmt. Er hat Angst, dich zu verlieren, wie er Midoriko verloren hat. Gib’ ihm Zeit, Ayashi.“ „Er wird mich nie verlieren.“ versicherte Ayashi und ergriff Inu-no-taishous Hand. „So einfach ist das nicht.“ murmelte Inu-no-taishou und schüttelte den Kopf. Ayashi ging nicht auf seine Worte ein, sondern folgte mit ihren Augen seinem Blick, der hinab in das Tal führte, durch das sich ein kleiner Bach schlängelte. „Midoriko hatte eine Vision, die Kataga sehr fürchtet.“ begann Inu-no-taishou zu erzählen. „Eine Vision? Wann?“ „Bevor sie euch verlassen hat.“ „Was hat sie gesehen?“ fragte Ayashi. Sie war hellhörig geworden. Ihr Herz schlug heftig, obwohl sie noch niemals in ihrem Leben erfahren hatte, dass Visionen oder Vorahnungen wahr geworden waren, also eher nicht an solche Dinge glaubte. Inu-no-taishou und Kataga allerdings schienen die Wahrheit, die folgen würde, nicht im Geringsten anzuzweifeln. „Sie sah darin dich, Ayashi.“ „Und?“ „Sie sah meinen Sohn. Sesshoumaru.“ Ayashi nickte. Das war das erste Mal, dass jemand seinen Namen wissentlich in ihrer Gegenwart aussprach. Sie war sich sicher, dass Yaken sich nur verplappert hatte. Sesshoumaru. Sesshoumaru. „Was war mit ihm?“ fragte Ayashi mit belegter Stimme. Inu-no-taishou schüttelte den Kopf und sammelte sich. „Sie sah, dass du durch seine Hand sterben wirst.“ meinte er schließlich leise und so behutsam, wie er eine solche Neuigkeit aussprechen konnte. Ayashi schüttelte ungläubig den Kopf und blickte suchend in Inu-no-taishous Augen, doch sie fand nichts, das dies als Lüge oder Irrtum herausgestellt hätte. Kapitel 14: ------------ In seinen Augen war wirklich nichts. Ayashi schüttelte den Kopf. „Wieso sollte ich durch die Hand deines Sohnes sterben?“ fragte sie und Inu-no-taishou zuckte die Schultern. „Ich habe nicht mit deiner Mutter gesprochen…“ „Ich kenne ihn doch überhaupt nicht! Warum sollte er mich töten?“ „Du kennst ihn nicht, weil deine Mutter das so wollte. Ihr solltet euch nie begegnen.“ erklärte er. „Und wenn das nun der Fehler war?“ fragte sie. „Der Fehler?“ „Ja, wenn die Vision sich bereits auf die Zukunft bezog, in der ich nie auf Sesshoumaru-Sama stoßen sollte… Was dann?“ Inu-no-taishou schüttelte den Kopf. „Deine Mutter wusste, was sie sah. Du solltest dir darüber sicher sein und dir keine Sorgen machen.“ widersprach er und blickte Ayashi aufmerksam an. Sie war unruhig und blickte in den Himmel, über den mehrere Schleierwolken zogen. „Dein Vater musste ihr versprechen, dass du niemals auf Sesshoumaru treffen würdest.“ „Deshalb… ist es ihm nicht wohl dabei, mich gehen zu lassen.“ murmelte sie und war kurz davor, umzukehren und ihm zu sagen, dass sie bleiben würde. Inu-no-taishou nickte. „Du verstehst ihn, oder?“ „Ja.“ meinte sie, doch schüttelte dabei ihren Kopf. „Ich verstehe nur immer noch nicht, warum er ihr das Versprechen gegeben hat… und du hast es ihm gegeben, nicht wahr?“ Inu-no-taishou zögerte, dann nickte er. „Wir sind Verbündete, Ayashi, aber keiner weiß, was die Zukunft bringen wird. Wir wollten alles Mögliche tun, um die Erfüllung der Vision zu verhindern.“ Ayashi nickte, blickte ihn an und ließ ihren Blick dann in die Ferne schweifen. „Dort kommt jemand.“ meinte sie nach einer Weile und kniff die Augen zusammen. Der Wind stand ungünstig, sodass sie auf ihre Sehkraft angewiesen war. Inu-no-taihosu folgte ihrer Hand, die über die sanften Hügel wies, mit dem Blick und erkannte Sesshoumaru. „Komm!“ forderte er sie auf und Ayashi folgte ihm zurück zum Palast und zu einem alten Mann, der mit verschränkten Beinen auf dem Boden saß. „Ayashi, das ist Totosai. Er ist Waffenschmied. Ich möchte, dass du dich mit ihm unterhältst, damit er dir ein Schwert schmieden kann, welches zu deinem Wesen passt.“ Totosai bedeutete Ayashi, sich ihm gegenüber zu setzen. „Ich habe kein Geld bei mir, Inu-no-taishou…“ „Ah, Geld! Ayashi, du bist doch so etwas wie meine eigene Tochter! Sieh’ es als Geschenk.“ Ayashi nickte dankbar und Inu-no-taishou verschwand, sodass sie mit dem Alten alleine zurückblieb. Mit geschmeidigen Bewegungen ließ Ayashi sich auf den Boden nieder und hielt seinem Blick stand. Sie bemerkte, dass er sie mit einer Mischung aus Ehrfurcht, Verwunderung und Neugier betrachtete, und gestattete es ihm, indem sie schwieg. Schließlich meinte er: „Ihr seid von hoher Geburt.“ Ayashi nickte und legte die Hände auf ihre Knie. „Inu-no-taishou-Sama sagte es mir, doch wenn ich Euch so betrachte, hätte er es mir nicht vorher sagen müssen.“ Der Alte lächelte verschmitzt und ließ seinen Blick ohne Scheu über Ayashis Gesicht wandern. Sie nickte wieder nur, da sie nicht wusste, was sie sagen sollte. „Erzählt mir etwas über Euch, Hime-Sama, damit ich Euch ein Schwert schmieden kann, welches mit Eurer Seele und Eurem Wesen im Einklang steht.“ Ayashi zögerte einen Augenblick, dann entgegnete sie: „Kataga-Sama, der große Wolfsyoukai aus dem Osten, ist mein Vater. Er schätzt mich sehr und möchte, dass ich in meinem Leben glücklich werde. Und ich liebe ihn. Er ist mein Vater und ich weiß, dass er bisher mein Leben gut und sicher geleitet hat.“ Ayashi machte eine kurze Pause, dann fuhr sie fort: „Doch nun ist meine Zeit gekommen. Ich werde in Zukunft selbst über mein Leben entscheiden und für meine Entscheidungen einstehen. Ich bin Youkai. Ich bin eine Hime. Ich werde innerhalb der Gesetze und Traditionen der Youkai leben, doch ich werde endlich selbst mein Leben bestimmen.“ „Glaubt Ihr denn, dass das möglich ist? Ihr seid eine Hime. Und es wird mit Sicherheit immer wieder Augenblicke geben, in denen etwas von Euch verlangt wird, das Ihr nicht von Herzen tun wollt.“ „Ich vergesse die Verpflichtung gegenüber meinem Volk nicht. So bin ich nicht geschaffen und erzogen worden.“ erwiderte Ayashi sicher und nickte noch einmal zur Bekräftigung. „Und Eure Mutter?“ fragte der Schmied. Ayashi zuckte leicht zusammen, als er sie erwähnte. Er musste doch über sie Bescheid wissen, oder nicht? „Meine Mutter ist vor vielen Jahren gestorben. Sie war eine sterbliche Priesterin. Ihr Name war Midoriko.“ erklärte sie und schloss für einen Moment die Augen. Totosai blieb stumm. „Ich erinnere mich kaum an sie. Sie starb in meinem dritten Lebensjahr im Kampf gegen mehrere niedere Dämonen.“ Der Schmied nickte und ließ Ayashi mehr über sich selbst erzählen. „Ich erlerne seit ungefähr einhundert Jahren bei meinem ehrwürdigen Onkel Katsumoto-Sama und meinem Vater die Kampfkunst, doch ich habe noch keine Erfahrung in der Schlacht gesammelt.“ „Ich bete, dass Euch das erspart bleibt, Hime-Sama.“ warf Totosai ein, worauf Ayashi gezwungen lächelte. „Es heißt, mein Schicksal sei es, durch Sesshoumaru-Samas Hand zu sterben, aber das glaube ich nicht. Ich kenne ihn nicht einmal und habe ihn auch noch niemals gesehen.“ „Wollt Ihr Euer Schicksal herausfordern?“ „Nein, aber ich werde mich nicht in ein derartiges Schicksal fügen und der Angst und Vorsicht die Bestimmung über mein Leben einräumen.“ antwortete Ayashi ruhig. „Wer hat Euch diese Prophezeiung mitgeteilt.“ „Inu-no-taishou-Sama. Er erklärte mir, dass mein Vater deshalb solche Angst um mich hat.“ „Euer Vater wusste also ebenfalls Bescheid?“ „Natürlich. Diese Prophezeiung basiert auf einer Vision meiner Mutter.“ teilte Ayashi dem Schmied mit und sah, dass er einen Moment zögerte. „Und Eurer Mutter glaubt Ihr nicht?“ wollte er schließlich wissen. Ayashi schüttelte den Kopf. „Das hat nichts damit zu tun, ob ich ihr glaube oder nicht. Nein. Ich vertraue ihr, obwohl ich sie nicht mehr kennen lernen konnte, aber… Wie ich vorhin schon sagte, will ich von einer Vision nicht mein Leben bestimmen lassen. Schicksal ist das, was wir unter anderem selbst daraus machen. Und ich möchte meine Macht über mein Leben nicht von vornherein unterschätzen.“ „Gibt es sonst noch etwas, was Ihr mir erzählen möchtet?“ Ayashi überlegte lange und entgegnete dann: „Meine Mutter… Ich vermisse sie. Für mich ist es nicht wichtig, dass sie kein Youkai war, und ich habe es akzeptiert, dennoch beschränkt sich mein Wissen auf das Wissen und die Lebensweise eines Youkai. Ihr Wissen konnte ich nie teilen. Ich denke, sie hätte mir ebenfalls vieles beibringen können. So wie es nun ist, fühle ich mich nicht vollständig.“ Totosai nickte. „Es ist sehr interessant, dass Ihr darüber sprechen könnt. Den meisten anderen Youkai wäre das sehr unangenehm.“ meinte er. „Ich habe niemals Benachteiligungen aufgrund meiner Herkunft erfahren. Mein Vater gab sich sehr große Mühe, dass ich ohne diese Art von Belastungen aufwachsen kann. Auch mir fällt es nicht leicht, darüber zu sprechen, denn ich gebe in den Augen und Denkweise eines Youkai eine angeborene Schwäche zu.“ Ayashi schwieg einen Moment und fuhr dann fort: „Trotzdem schien es mir besser, wenn mein Schwert auf dem Fundament der Wahrheit und Ehrlichkeit entsteht.“ „Wie meint Ihr das?“ fragte Totosai nach. „Ihr sagtet, Ihr wollt ein Schwert schmieden, das zu meinem Wesen passt, dessen Herz im Gleichklang zu meinem schlägt, das mich ergänzt und mein vorhandenes Potential steigert… Da habe ich Euch doch richtig verstanden?“ Der Schmied nickte und ließ Ayashi fortfahren: „Ich bin der Meinung, das könnt Ihr nur, wenn Ihr mich kennt.“ Totosai sah seinen graziösen Gast lange und schweigend an, bevor er sagte: „Ich war nicht begeistert davon, auch Euch ein Schwert zu schmieden, doch Ihr habt mich überzeugt.“ „Ich ging die gesamte Zeit davon aus, dass das selbstverständlich sei.“ gab Ayashi zu, doch der Schmied schüttelte den Kopf. „Ich hätte mich weigern können. Inu-no-taishou-Sama lässt mich gewähren, da er meine Kunst schätzt. Er hat verstanden, dass sich ein beseeltes Schwert nicht unter Zwang schmieden lässt. Ayashi-Sama, Ihr seid ein weises Wesen und sollt Euer Schwert bekommen.“ Ayashi neigte den Kopf, um sich zu bedanken. Er war mindestens genauso weise, auch wenn seine äußere Erscheinung das nicht ahnen ließ, da er ziemlich kauzig wirkte. Totosai nickte ihr zu. „Wie viele Schwerter habt ihr bereits geschmiedet?“ fragte Ayashi und hoffte, dass er sie nicht für neugierig hielt. „Viele, Hime-Sama, doch sie unterscheiden sich. Es gibt zweierlei Arten Metall, um ein Schwert zu falten.“ Ayashi war begierig, dass ihr dieses Wissen erklärt wurde, das konnte er in ihren Augen sehen. „Ich kann Euch nur so viel sagen: Man kann Metall falten, es schleifen und hält dann eine wunderschöne, scharfe und durchdringende Klinge in den Händen. Solche Schwerter stelle ich oft her, doch die beiden Schwerter, die ich einst für Inu-no-taishou-Sama geschmiedet habe, besitzen eine Seele.“ „Tessaiga und Tenseiga.“ „Genau. Beide besitzen große Macht, doch wollen auch mit Wissen und Vernunft geführt werden.“ „Um Tessaiga zu berühren, muss man reinen Herzens sein und Menschenleben retten wollen, soweit ich weiß.“ „Das ist richtig. Inu-no-taishou-Sama spricht anscheinend offen mit Euch über diese Dinge, das gefällt mir.“ „Er spricht mit mir allerdings nicht über Tenseigas Macht. Ich habe auch noch nie gesehen, dass er es jemals gezogen hätte.“ überlegte Ayashi laut, doch der Schmied schüttelte den Kopf. „Dann schweige auch ich bezüglich Tenseiga.“ Ayashi schaute etwas enttäuscht, deshalb fügte er hinzu: „Nur eines kann ich Euch sagen: Tenseigas Macht ist gewaltiger als Tessaigas.“ „Noch gewaltiger?“ fragte Ayashi ungläubig. Sie hatte gesehen, was Inu-no-taishou mit Tessaiga zu bewerkstelligen vermochte: Ein einziger Schlag konnte einhundert Feinde ins Jenseits befördern. Der Schmied nickte nur zustimmend und kramte in seinen Sachen herum. Er musste zugeben, dass er niemals geahnt hätte, dass sie Hanyou, ein Halb-Youkai, war. Ihre gesamte Ausstrahlung war die einer ehrbaren jungen Youkai-Hime. Ihr Schwert würde er mit besonders viel Hingabe schaffen und ihm zu seiner Stärke als kunstvolle Waffe die Macht geben, die Wahrheit in ihrer eigenen Seele zu erkennen. Das schien ihm angebracht, für die Youkai-Hime auf der Suche nach Wahrheit und Selbsterkenntnis. Kapitel 15: ------------ Es war beinahe schon Abend, als sie den Schmied verließ und draußen im Innenhof wieder auf Inu-no-taishou traf. „Ihr scheint euch ganz gut zu verstehen!“ meinte er leise lachend und Ayashi nickte. „Wer war der Besucher?“ Inu-no-taishou zögerte und Ayashi nickte wieder. „Sesshoumaru.“ bemerkte sie. „Ja, aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Er ist bereits wieder aufgebrochen.“ Ayashi lachte unfroh und schüttelte den Kopf. „Ich mache mir keine Sorgen, ich habe auch keine Angst.“ erklärte sie. „Ayashi, nur weil du das Schicksal nicht fürchtest, heißt das nicht, dass es dich nicht einholt.“ begann er geduldig und legte ihren Arm um seinen Unterarm, damit sie ihm hinein folgte. Ayashi ging ruhig neben ihm her und schwieg. „Dein Vater lässt dich gehen, obwohl er sicher ist, dass deine Mutter sich nicht getäuscht hat. Und ich kann mir das auch nicht recht vorstellen.“ erhob er wieder das Wort, wofür er von Ayashis Seite einen verwunderten Blick erntete. „Du glaubst ihr, die du nach deiner eigenen und oft wiederholten Aussage kaum gekannt hast, und traust deinem Sohn den Mord an mir zu?“ „Niemand spricht von Mord, Ayashi. Niemand kann beurteilen, was für Umstände die Zukunft schaffen wird, in denen sein Verstand vielleicht ausgeschaltet ist.“ „Ganz recht: Niemand. Auch meine Mutter nicht.“ beharrte Ayashi und löste ihren Arm von seinem. Inu-no-taishou seufzte leise und entgegnete nichts. Ayashi schwieg ebenfalls, blickte sich in der Halle um, in der das Nachtmahl bereits aufgetischt war, und biss sich überlegend auf die Lippen. „Wie ist Sesshoumaru?“ brach sie schließlich das Schweigen und begegnete seinem prüfenden Blick. „Das ist keine leichte Frage. Wir haben uns nicht immer gut verstanden, doch er war immer respektvoll und meistens ehrlich, wenn auch sehr in sich gekehrt.“ „Weshalb?“ „Der Abschied von seiner Mutter war ihm sehr schwer gefallen. Er war noch sehr jung, als sie uns verlassen hat, um in den Norden zu ihrer Familie zurückzukehren.“ „Ich finde es verständlich, dass er sich im Stich gelassen fühlte.“ entgegnete Ayashi und Inu-no-taishou nickte. „Ja, das war es wohl, doch im Laufe der Zeit hat er verstanden, dass nicht er die Schuld dafür trug. Ich denke, danach schob er sie eine Weile mit zu.“ „Und nun?“ „Nun spricht er nicht mehr davon. Vielleicht hat er mit seiner Mutter abgeschlossen, vielleicht bereitet es ihm zu große Schmerzen an sie zu denken. Ich weiß es nicht.“ antwortete Inu-no-taishou gedämpft und schien einen Augenblick in seinen Erinnerungen zu versinken, ehe er mit heiterer Stimme fragte: „Du bleibst doch noch zum Essen?“ Ayashi nickte und sah ihm nach, wie er auf den Tisch und die Sitzkissen zuging und die Hand nach ihr ausstreckte. Sie folgte seiner Bitte, zu ihm zu kommen, und ließ sich auf den Kissen nieder. „Abgesehen davon, dass er nicht mit dir über seine Mutter spricht…“ begann Ayashi wieder und Inu-no-taishou entgegnete ihr: „Ich kann mich auf ihn verlassen. Er wird ein würdiger Nachfolger werden, wenn ich nicht mehr bin. Da bin ich mir sicher.“ Ayashi schaute ihn nickend an, dann meinte sie beiläufig: „Nun fällt es mir noch schwerer, mein vorhergesehenes Schicksal nicht als völlig abwegig zu erklären.“ „Ich hoffe, du bist trotzdem vorsichtig.“ erwiderte er und fügte hinzu: „Und ich hoffe, dass ich nicht die Neugier in dir geweckt habe!“ Ayashi schüttelte den Kopf und meinte beruhigend: „Keine Sorge, im Grunde bin ich nicht neugierig.“ Sie nickte noch einmal zur Bekräftigung und lächelte ihn an. Doch ihr Inneres rief ihr zu, dass sie ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Nein, sie war nicht neugierig, doch Interesse war auch nicht Neugier. Ayashi leistete Inu-no-taishou bei einem leichten Abendessen noch Gesellschaft, da er sie darum gebeten hatte. „Dein Vater bat mich, dir noch eine Sache beizubringen.“ ergriff er wieder das Wort, nachdem er zu essen aufgehört hatte. „Bevor du mich in die weite Welt entlässt?“ fragte Ayashi und lächelte nachsichtig. „Er macht sich Sorgen… Ich weiß nicht, wie oft ich dir das schon gesagt habe.“ „Sehr oft, aber das ist in Ordnung. Ich weiß es doch.“ versicherte Ayashi und lehnte ihren Oberkörper ein Stück zurück. „Was ist das für eine Sache, die ich noch lernen muss?“ „Wenn du durch die Welt ziehst, wirst du nicht immer Situationen antreffen, in denen du nicht zeigen kannst, wer du wirklich bist.“ begann Inu-no-taishou seine Unterweisung. Ayashi zog unmerklich eine Augenbraue hoch. Sie war Youkai und sie war stark. Noch dazu von adligem Blut und hohem Stand, was… Inu-no-taishous Miene verfinsterte sich, obwohl sie keinen von ihren Gedanken ausgesprochen hatte. „Du bist eine Hime, eine Youkai-Hime, das ist richtig. Dein Vater hat keine nennenswerten Feinde, die danach trachten, ihm und somit dir Schaden zuzufügen.“ „Ich könnte mich verteidigen, meinst du nicht?“ versuchte Ayashi ihrer Einstellung Ausdruck zu verleihen, doch Inu-no-taishou hob die Hand, um ihr zu bedeuten, dass sie einfach nur zuhören solle. „Um mögliche Auseinandersetzungen zu vermeiden, musst du noch in ein uraltes Geheimnis eingeweiht werden. Nur die edlen und großen Youkai kennen es, also hast auch du das Recht, dieses zu erfahren.“ Ayashi hörte gespannt zu, da es ihr wirklich wichtig erschien. Und immerhin wollte ihr Vater, dass sie dieses Geheimnis durch Inu-no-taishou erfuhr… Wieso hatte er selbst das nicht übernommen? „Du wirst in dieser Nacht noch lernen, deine Aura völlig der Aura eines Menschen anzupassen.“ Ayashi legte den Kopf etwas schief und zog die Augenbrauen zusammen. Sie hatte bereits gelernt, das Aussehen eines Menschen anzunehmen. Dass auch ihre Aura ‚menschlich’ werden konnte, wusste sie nicht. Bisher hatte sie es allerdings auch nicht für nötig erachtet. „Dein Vater und ich möchten, dass du auf alles vorbereitet bist. Die meisten Menschen kannst du natürlich weiterhin nur durch dein menschliches Aussehen blenden und überzeugen, dass du eine sterbliche Frau bist. Solltest du allerdings in die Situation kommen, dass andere Wesen dich als Mensch betrachten sollen, reicht das nicht aus.“ „Ich verstehe. Ich hatte bisher zwar die Fähigkeit, menschliches Aussehen anzunehmen und Menschen zu täuschen, allerdings würde jeder Dämon und jeder Youkai mein Spiel leicht durchschauen, was eventuell gefährlich für mich werden könnte. Darum geht es doch, oder?“ „Richtig.“ pflichtete Inu-no-taishou ihr bei und erhob sich. „Komm. Das Training werden wir im Park abhalten.“ meinte er noch und ging hinaus. Ayashi fragte sich immer noch, wer ihr etwas antun wollte, und ob sie dieses Wissen je brauchen würde, doch sie erhob sich ebenfalls und folgte Inu-no-taishou willig in den Park hinaus. Inu-no-taishou saß bereits mitten auf einer Rasenfläche und hatte die Beine untergeschlagen. Ayashi musterte ihn verwundert und wartete auf ein Zeichen, das er ihr vorerst aber nicht gab. Was machte er da? Es war ein wenig befremdlich für sie, den großen Fürsten mit geschlossenen Augen im Gras sitzen zu sehen, doch kurz darauf winkte er sie zu sich und sie schüttelte jeden Zweifel ab. Er musste wissen, was er tat. Und auch Kataga musste es wissen. Inu-no-taishou berührte den Rasen vor sich und bedeutete Ayashi, sich ihm gegenüber zu setzen. Training sah in ihren Augen anders aus. „Ich will nur eines von dir, Ayashi: Konzentration.“ brach Inu-no-taishou das Schweigen und öffnete seine Augen wieder. „Von deinem Vater habe ich erfahren, dass du selbst für ihn ein schwer zu bändigendes Kind warst, deshalb hat er mich gebeten, dich diese Kunst zu lehren.“ „Was muss ich tun? Ich meine, ich habe schließlich schon gelernt, meine Aura unter Kontrolle zu halten, damit ich niemanden beleidige oder keine feindselige Gefühle übermittle, aber wie soll meine Aura menschlich werden?“ „Konzentration, Ayashi. Die Vorgänge sind dieselben. Geh’ tief in dich und konzentriere dich… Ich weiß, es ist anstrengend, aber du musst dein Inneres davon überzeugen, Mensch zu sein.“ „Und das funktioniert?“ fragte Ayashi ungläubig, erntete dafür einen strengen Blick und schloss die Augen. „Wir trainieren, bis du es kannst. Und vorher wirst du deine Reise nicht antreten.“ meinte Inu-no-taishou und ließ Ayashi dann mit dem mentalen Training beginnen. Kapitel 16: ------------ Inu-no-taishou war ein geduldiger, doch eiserner Lehrer, der seine Schülerin in den richtigen Momenten ermutigte und in anderen zu Disziplin und Konzentration anhielt. Die Kontrolle ihrer eigenen Natur verlangte das von Ayashi – immerhin würde sie bald jegliche Youkai-Eigenschaft tief in sich begraben und lediglich ihre menschlichen Seiten zeigen. Sie musste lernen, beide Seiten voneinander zu trennen. Und sie musste lernen, das schwächere Erbe ihrer Mutter über das stärkere ihres Vaters zu stellen, was viel Zeit in Anspruch nahm. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es mir jemals gelingt.“ meinte Ayashi immer wieder. Inu-no-taishou hatte für diese Haltung jedoch kein Verständnis übrig, sondern ließ sie weiterhin an der Beherrschung ihres Wesens arbeiten. Eines Abends kam Inu-no-taishou zu Ayashi, die bisher allein im Garten gesessen hatte, und unterbrach ihr Training. „Ich denke, du bist bereit.“ meinte er lediglich und setzte sich ihr gegenüber. „Einfach so?“ fragte sie skeptisch. „Ich habe nicht das Gefühl, mich verändert zu haben.“ „Das habe ich auch nicht von dir verlangt.“ erinnerte er sie und betrachtete sie aufmerksam. Ayashi nickte zögernd und erwiderte seinen Blick. Lange Zeit sprach niemand von ihnen, dann zog Inu-no-taishou einen kleinen Beutel aus einer Falte seines Gewandes. „Darin sind Kräuter, die du vielleicht brauchen kannst.“ meinte er und reichte ihr den Beutel hinüber. „Was bewirken sie?“ fragte Ayashi und blickte ihn unsicher an. „Sie versiegen eine blutende Wunde sehr schnell.“ „Wie muss ich sie anwenden?“ „Du musst sie mahlen und in wenig Wasser zu einer Paste verrühren. Dann trägst du sie auf die Wunde auf.“ erklärte er und sie nickte. „Danke. Ich bin mir sicher, dass ich sie verwenden kann.“ „Verwende sie nicht für einen Menschen. Sie sind für dich gedacht.“ „Meinst du, ich…“ „Du solltest vorbereitet sein – nur für alle Fälle.“ unterbrach er sie und fuhr fort: „Zeig’ mir, was du bei mir gelernt hast.“ Ayashi schloss die Augen, schob den Beutel währenddessen in ihre Gewänder, und konzentrierte sich, damit sie die dämonischen Bestandteile ihres Wesend gänzlich unter Kontrolle bekam. Dann öffnete sie ihre Augen wieder und Inu-no-taishou nickte anerkennend. „Ich habe mich nicht getäuscht. Du bist bereit. Und ich bin stolz auf dich, dass du so eine fähige Schülerin warst. Nun darfst du deinen gewählten Weg gehen. Ich halte dich nicht mehr zurück.“ teilte er ihr mit, verabschiedete sich von ihr und ging dann hinein, nachdem sie ihm für seine Unterstützung gedankt hatte. Von diesem Zeitpunkt an wanderte Ayashi durch die bekannte Welt. Sie hatte darauf verzichtet, ihre Youkai-Gestalt wieder anzunehmen, und hatte die Tracht einer Miko angelegt. Bald stellte sie fest, dass es gut gewesen war, dass Inu-no-taishou sie in dieses uralte Geheimnis eingeweiht hatte. Sie musste keinem Menschen aus dem Weg gehen und wegen keines Dorfes einen längeren Umweg in Kauf nehmen. Sie konnte bei Familien ruhen, die sie als willkommenen Gast aufnahmen. Sie konnte ungehindert die Nacht im Schutz eines Dorfes verbringen und ausgeruht am nächsten Morgen weiterreisen. Niemand begegnete ihr mit Argwohn und Misstrauen. Für die Menschen war sie eine Miko auf Reisen. Ayashis Weg führte sie über Berge und Felder, durch Täler und Flüsse, durch Dörfer und kleinere Städtchen und schließlich in das Dorf in den Bergen, in dem ihre Mutter Midoriko geboren war. Es war spät in der Nacht und ein furchtbarer Sturm tobte, als sie an das befestigte Tor aus Holz klopfte. Die Gebirgsbäche waren zu reißenden Strömen geworden, die Wipfel der Bäume bogen sich bedrohlich tief und lange Zeit war kein menschlicher Laut aus dem Inneren des Schutzwalls zu hören. Ayashi schlug noch einmal heftig gegen das Holz und drängte sich etwas dichter gegen das Tor, um etwas Deckung vor dem Wetter zu erlangen. Ein Knarren ertönte und zwei bewaffnete Männer traten durch das Tor, das einen Spalt weit geöffnet worden war. „Verzeiht mein Begehren zu so später Stunde, gute Männer. Ich bin eine Priesterin auf Wanderschaft und wurde vom Unwetter überrascht. Bitte gewährt mir eine Unterkunft.“ bat Ayashi ohne die Worte der Männer abzuwarten. „Kommt, Miko-Sama. Seid uns willkommen.“ erwiderte der eine der beiden sofort und ließ sie eintreten. „Wir bringen Euch zu unserem Dorfältesten. Bei ihm könnt Ihr die Nacht sicher verbringen.“ fügte der zweite Mann hinzu. „Danke. Ihr seid zu gütig.“ meinte sie und folgte den Männern über den matschigen Boden durch das Dorf. Der Älteste ließ seine älteste Tochter sofort trockene Kleidung bringen und wies sie an, Ayashi aus ihren nassen Sachen zu helfen, ehe er mit ihr sprechen wollte. Wenig später saß Ayashi in trockener Kleidung, geordnetem, locker zusammengebundenem Haar und gehüllt in eine Wolldecke mit dem Ältesten, seiner Frau und seiner Tochter, deren Name Azusa war, um das Feuer in der Hütte und hielt eine Schale heißen Tee in den kalten Händen. „Wie ist Euer Name, Miko-Sama?“ fragte er schließlich über das Feuer hinweg, nachdem sie sich etwas an ihrem Tee gewärmt hatte und das wohlige Gefühl wenigstens wieder etwas Farbe auf ihre blassen Wangen gezaubert hatte. „Kibo.“ entgegnete sie und nickte ihm dankbar zu. „Ich bin Akihito. Dies sind meine Frau Kasumi und meine Tochter Azusa.“ „Ich danke Euch sehr für Eure Gastfreundschaft.“ „Trinkt, Kibo-Sama. Ihr seid sicher noch halberfroren durch die kalte Nässe.“ meinte die Frau des Hauses und füllte Ayashis Schale wieder auf. „Danke.“ „Wie alt seid Ihr, Kibo-Sama?“ „Zweiundzwanzig, Akihito-Sama.“ antwortete Ayashi und nippte wieder an ihrem Tee. „Zweiundzwanzig… Woher kommt Ihr?“ fragte der Dorfälteste wieder, doch seine Frau unterbrach ihn mit einer leichten Geste. „Ihr seid sicher erschöpft, Kibo-Sama. Das hat doch Zeit bis morgen, Akihito.“ Ayashi blickte von einem Ehepartner zum anderen, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Verzeiht, doch ich möchte morgen bereits wieder weiterreisen, sofern das Unwetter vorbei ist.“ warf sie ein und meinte: „Ich komme aus dem Südwesten. Meine Heimat ist die Insel Kyushu.“ „Wohin wollt Ihr? Habt Ihr ein bestimmtes Ziel?“ „Nein, ich helfe in den Dörfern, in denen gerade meine Hilfe gebraucht wird.“ antwortete Ayashi schlicht. „Es ist lange her, dass unser Dorf auf die Hilfe einer Miko zurückgreifen konnte. Die letzte Priesterin war Midoriko, aber das liegt schon beinahe einhundert Jahre zurück.“ erzählte Akihito und lehnte sich etwas auf seinen Knien nach vorne. Sein Blick glitt in das lodernde Feuer und wies tiefe Schatten auf, als er weitersprach: „Wie sind Dämonenjäger und können unsere körperlichen Wunden meist selbst versorgen, doch das ändert nichts daran, dass auch wir andere Verletzungen erleiden können. Seelische, Kibo-Sama. Ich kann nicht für das ganze Dorf sprechen, doch für meine Seite und für die meisten Bewohner unserer kleinen Gemeinschaft. Ich möchte Euch anbieten, in unserem Dorf zu bleiben und bei uns zu leben. Nein, ich biete es euch nicht an, ich bitte Euch darum. Unterstützt uns als unsere Miko!“ Ayashi schwieg eine Weile, setzte dann leise ihre Schale mit Tee vor sich ab und neigte den Oberkörper in seine Richtung. „Ich werde Eurer Bitte mit Freuden nachkommen, wenn sich das Dorf Eurer Meinung anschließt, Akihito-Sama.“ erklärte sie und konnte das warme Gefühl in sich nicht bekämpfen, das sich in ihr ausbreitete: Sie würde die Nachfolge ihrer Mutter antreten. Das war mehr, als sie zu hoffen gewagt hatte. Kapitel 17: ------------ Ayashi folgte Azusa in deren Zimmer, da dort ein Lager für sie gerichtet worden war. Obwohl sie nun schon lange Zeit als Sterbliche durch die Welt zog, war sie Youkai und deshalb nicht müde. Also schloss sie nur die Augen und dachte in Ruhe nach. Sie dachte an ihren Vater, an Inu-no-taishou und aus irgendeinem – für sie unerklärlichen Grund – auch an Sesshoumaru-Sama, den sie doch noch nie gesehen hatte. Wie mochte er aussehen? Wie mochte er wohl wirklich sein? Konnte sie sich auf Inu-no-taishous Aussagen verlassen oder waren diese verzerrt, da er ihn mit den Augen eines Vaters betrachtete? Betrachtete er ihn überhaupt mit den Augen eines Vaters oder nur mit den Augen eines Herrschers und Anführers, dem man Gehorsam und Respekt entgegenbrachte? Der Blick eines Vaters gegenüber dem Sohn mochte oft wohlwollender und verständnisvoller sein als der Blick eines Herrschers gegenüber seinem einzigen Nachfolger, dem er alles vermachen würde, was er durch Schweiß und Blut und mit der Stärke seines Schwertes erkämpft hatte. Ayashi biss sich auf die Lippen und umschloss einen Teil ihrer Decke fest mit ihrer linken Faust. Sie wusste, dass Inu-no-taishou Recht gehabt hatte: ihre Neugier war geweckt. „Schlaft Ihr noch nicht?“ fragte Azusa in die Dunkelheit und riss Ayashi aus ihren Gedanken. „Woher weißt du das?“ entgegnete Ayashi verwirrt und drehte sich auf die Seite. „Euer Atem ist zu schnell für jemanden, der schläft. Ihr wirkt angespannt.“ „Das ist mir nicht aufgefallen.“ gab Ayashi zu. „Eure Finger haben sich in die Decke gegraben. Ist alles in Ordnung, Kibo-Sama?“ „Ja, gewiss.“ versicherte Ayashi und löste ihre Faust. „Du bist außergewöhnlich aufmerksam. Woran liegt das?“ „Unser Dorf ist ein Dorf von Dämonenjägern, wie mein Vater Euch sagte. Wir vertrauen auf unsere Sinne, sonst sind wir im Kampf verloren.“ erklärte Azusa. „Du bist auch eine Dämonenjägerin?“ entgegnete Ayashi ehrlich erstaunt. „Eine der wenigen, ja.“ „Das ist ungewöhnlich.“ „Ich bin das einzige Kind des Ältesten. Es ist meine Pflicht – zumindest denken das die Leute hier.“ erklärte Azusa scheinbar gleichgültig. „Diejenigen, die nicht in den Kampf ziehen, fertigen unsere Waffen und Rüstungen, wobei wir das auch oft selbst machen müssen.“ „Die persönliche Waffe sollte vom Krieger selbst herstellt sein, sofern das möglich ist, da stimme ich dir zu.“ meinte Ayashi nachdenklich und zurückhaltend. „Ihr verurteilt diese Lebensweise wohl.“ mutmaßte Azusa, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Nein, Azusa. Ich hüte mich grundsätzlich davor, ein Urteil auszusprechen. Schon gar nicht möchte ich über etwas urteilen, das ich noch nicht kenne.“ „Nun, Ihr werdet hier bleiben, also werdet Ihr es bald kennen lernen.“ erwiderte Azusa. „Die meisten im Dorf sind Dämonenjäger oder Handwerker, stimmt das? Ich frage mich, wie das Dorf seine Existenz sichert, wenn sich niemand um den Ackerbau oder die Viehzucht kümmert.“ „Wir fertigen Waffen, Rüstungen, Keramik und Holzwaren, die wir in den umliegenden Dörfern gegen Nahrungsmittel und Stoffe tauschen können. Manchmal können wir auch Waffen und Rüstungen verkaufen, doch das ist eher selten.“ „An wen verkauft ihr diese dann?“ „Shogune, einzelne Krieger und einfache Menschen, die einen Krieg vorbereiten oder in den Krieg ziehen müssen.“ „Ich bin froh, dass diese Kunden eher selten sind.“ gab Ayashi zu und drehte sich wieder auf den Rücken. „Die Welt ist nun einmal kein friedlicher Ort.“ „Das ist wahr, doch es ist traurig, dass oft genug auch Menschen selbst der Grund dafür sind.“ murmelte Ayashi und schloss die Augen. „Schuld sind die abscheulichen Dämonen oder auch nur diese unreine dämonische Energie! Wir tun alles, damit sie nicht Oberhand gewinnen, doch diese widerwärtigen Kreaturen…“ entgegnete Azusa heftig. „Azusa, Zorn und Hass und Verachtung sind die Wurzel allen Übels und verunreinigen die Seele eines jeden Menschen. Setz’ dich dieser Gefahr nicht aus.“ „Ich stehe auf der richtigen Seite.“ beharrte Azusa und richtete sich auf, worauf Ayashi seufzte. „Du solltest jetzt schlafen.“ entgegnete sie mit matter Stimme. „Aber…“ „Du wirst morgen sicher kämpfen, oder nicht? Dafür solltest du ausgeruht und konzentrationsfähig sein.“ unterbrach Ayashi sie und drehte sich von Azusa weg. Sie hörte, wie Azusa sich ebenfalls bewegte und sich wieder niederlegte. Ihr Atem war noch aufgeregt, doch bald bemerkte Ayashi, wie die Tochter ihres Gastgebers in den Schlaf hinüber glitt. Ayashis Gedanken kehrten ohne weitere Umschweife zu Sesshoumaru zurück und plötzlich wurde ihr klar, dass ihr Geist nicht ruhen würde, ehe sie ihn nicht einmal mit eigenen Augen gesehen hatte. Am späteren Nachmittag des nächsten Tages begann Ayashi ihre Aufgabe, denn die Bewohner des Dorfes hatten sie als ihre Priesterin akzeptiert und ihr eine eigene Hütte zugewiesen, deren frühere Besitzerin vor längerer Zeit verstorben war. Nachdem die Leute des Dorfes Ayashi eine Matratze, mehrere Decken, sowie Feuerholz und etwas Kochgeschirr gebracht hatten, besorgte sie sich im Dorf und der Umgebung, was sie noch benötigte. Ayashi organisierte sich Verbände und Nadeln und ging dann zu einem Waffenhersteller. „Miko-Sama, was kann ich für Euch tun?“ fragte er und legte seine Arbeit zur Seite, als er die junge Frau sah. „Guten Tag, ich brauche einen Bogen und Pfeile.“ „Bei allem Respekt, Miko-Sama, aber Ihr seid hier in einem Dorf voller Krieger. Wieso konzentriert Ihr Euch nicht auf…“ „Worauf soll ich mich konzentrieren? Auf die Zubereitung von Salben, Pasten, Elixieren, Säften, Kompressen und Umschlägen?“ entgegnete Ayashi Der Handwerker senkte den Blick und murmelte eine Entschuldigung. „In zwei Wochen wird der Bogen fertig sein, Miko-Sama. Ich habe noch einen sehr guten, bereits angefangenen hinten im Lager.“ „Ich danke dir.“ meinte Ayashi mit ruhiger Stimme, bezahlte den Mann und ging dann durch das Dorf, um sich weiter umzusehen. Die Kinder spielten zwischen den Holzhäusern mit Steinen und Stöcken und stellten mit lautem Geschrei und vergnügtem Lachen ein hitziges Gefecht nach. Sie hatten noch viel zu lernen, doch sie waren bereits erschreckend gut in dem, was sie taten, stellte Ayashi fest. Ayashi ging langsam weiter und blickte in den Himmel. Die Wolken hingen noch tief, doch sie brachten keinen Regen mehr und der Wind hatte sich völlig gelegt. Trotzdem fühlte sich Ayashi durch irgendetwas in ihrer Sicherheit und Ruhe bedroht. Vielleicht war es die eher ablehnende Haltung der männlichen Dorfbewohner, die eine Priesterin eigentlich für überflüssig hielten, da sie selbst mit Dämonen fertig wurden. Ihre Frauen waren es schließlich gewesen, die darauf bestanden hatten, dass Ayashi zumindest einige Zeit im Dorf bleiben sollte, da Ayashi sie bei so vielen Dingen anleiten und unterstützen konnte. Der Waffenhersteller hatte etwas Wahres gesagt: sie benötigten keinen Schutz, da das Dorf zusätzlich zu den fähigen Kriegern auch noch durch einen großen Wall, Wachtürme und einen Palisadenzaun geschützt wurde und sich außerdem an einer strategisch günstigen Lage befand: verteidigt werden musste im Angriffsfall nur die eine Seite, die sich zum Tal hinab öffnete. Während Ayashi überlegte, verließ sie das Dorf und kletterte einen Hang hinauf, um dort Heilkräuter und Gräser, sowie Beeren, Pilze und bestimmte Wurzeln zu sammeln. Die Erde war noch nass und durchströmte sie mit ihrem frischen Duft. Wie oft hatte ihre Mutter Midoriko wohl hier nach den passenden Zutaten für Tränke und Salben gesucht? Ayashi atmete die Luft ein und schloss für einen Moment ihre Augen. Sie musste dieselben Erfahrungen wie ihre Mutter machen, das spürte sie. Es ließ ihr keine Ruhe. Ayashi lachte leise, als sie sich bewusst wurde, dass ihr in letzter Zeit recht viele Dinge keine Ruhe ließen. Midoriko hatte die Bevölkerung des Dorfes versorgt – und genau so würde sie, Ayashi, es nun tun. Nun war sie es, zu der die Leute kommen konnten, wenn sie verletzt waren. Und das in jeder Hinsicht. Kapitel 18: ------------ Die Monate vergingen, in denen Ayashi darum gekämpft hatte, von jedem einzelnen Bewohner im Dorf als die Person anerkannt zu werden, die sie war – oder zumindest vorgab zu sein. Doch nun wollte sich Ayashi endlich zu der Höhle aufmachen, in der ihre Mutter vor einhundert Jahren den Tod gefunden hatte. „Eine Höhle?“ fragte Kasumi und schüttete einen Behälter mit Wasser auf den Boden vor dem Haus. „Ja, sie muss irgendwo im Wald liegen.“ meinte Ayashi scheinbar beiläufig und musterte Kasumi. „Es gibt eine Höhle, doch dorthin sollen die Leute des Dorfes nicht gehen.“ „Wieso nicht? Stimmt etwas nicht in der Gegend, in der die Höhle liegt?“ „Es ist nicht die Gegend. Es ist die Höhle selbst.“ entgegnete Kasumi und schauderte. „Eine starke Aura geht von ihr aus, heißt es, doch ich spüre nichts. Es kommt mir so vor, als habe die Angst vor dieser Höhle sich über Generationen vererbt. Niemand weiß mehr, was wirklich zu fürchten ist.“ Ayashi nickte langsam, dann meinte sie: „Ich möchte dorthin. Kannst du mir den Weg beschreiben?“ „Verlass’ das Dorf und steige über die steile Anhöhe, bis du zu einem schmalen Pfad kommst, dem du eine gute halbe Stunde nach Westen folgen musst. An der zweiten Gabelung gehst du nach links, dann verlässt du den Weg direkt nach Norden. Du kannst die Höhle kaum verfehlen.“ Ayashi dankte der Frau des Ältesten, folgte dann der Wegbeschreibung und verließ das Dorf. Langsam entfernte sie sich über die Anhöhe vom Dorf und ließ es unter sich liegen, wählte dann den Weg, an dem sich ein kleiner Bach vorbeischlängelte, und folgte ihm dann tief in den Wald hinein. Die Sonne ging bereits unter, als Ayashi an die Abzweigung gelangte und den linken Weg nahm. Ihr Herz klopfte. Sie spürte den Schmerz über den Verlust ihrer Mutter tief in sich – viel deutlicher als jemals zuvor – und kämpfte mit den Tränen. Sie war verletzlicher geworden, seit sie unter Menschen lebte. Sie hatte es nun schon öfters bemerkt, als Dämonen das Dorf angegriffen hatten, und sie lediglich die Kräfte einer Miko hatte nutzen können. Einige Male war sie nur knapp einer schlimmeren Verletzung entgangen, doch inzwischen beherrschte sie ihre Möglichkeiten und kannte ihre Grenzen gut. Plötzlich stieg Ayashi der Geruch von Blut in die feine Nase und schlug mit eiserner Gewalt gegen ihre Sinne. Sie trat hinaus auf eine Lichtung und von dort erblickte sie die Höhle auf der gegenüber liegenden Seite, doch auch eine sitzende Gruppe von Reisenden, die sich bei genauerem Hinsehen als Youkai herausstellten. Katzenyoukai. Ayashi wusste, dass sie ihre Aura und ihre Gestalt der Art einer Sterblichen angepasst hatte – in den letzten Monaten war sie nicht mehr als Youkai aufgetreten, da das niemals möglich oder nötig gewesen war. Die Youkai-Gruppe hatte sie ebenfalls entdeckt, wobei jeder einzelne von ihnen Ayashis Nähe gewittert haben musste, und erhob sich beinahe gleichzeitig vom Boden. „Das ist kein Ort für eine Miko.“ rief einer von ihnen zu ihr herüber und kam auf sie zu. „Es gibt keinen Ort, an dem ich jetzt eher sein sollte.“ gab Ayashi zurück und blickte zum Eingang der Höhle. „Dann kennst du deinen Platz in der Welt noch nicht.“ „Ich denke nicht, dass Ihr mir meinen Platz in der Welt bestimmen könnt, Youkai-Sama. Und im Moment ist er genau dort, wo ich stehe.“ entgegnete Ayashi sicher. „Das werden wir sehen, Miko! Ich sage, dein Platz ist im Jenseits bei deinen Ahnen!“ rief er, stürmte auf sie zu und versuchte, sie mit seinen Klauen aufzuschlitzen. Ayashi zog blitzschnell ein Schwert und wehrte seinen Angriff ab. Etwas verwundert startete der Youkai seinen zweiten Angriff, doch nun eilten zwei seiner Gefährten herbei. Ayashi parierte die Schläge und Angriffe ihrer Gegner, doch sie spürte, dass sie allein mit ihrer menschlichen Stärke nicht lange bestehen konnte. Da sie ihre Mutter Midoriko nicht lange gekannt hatte, reichte auch ihre spirituelle Macht nicht aus, um ein paar Youkai in die Flucht zu schlagen. Ayashi wehrte zwei weitere Angriffe vehement ab und brachte dann einen kleinen Abstand zwischen sich und die Katzenyoukai. „Dieses Gebiet gehört zum Dorf Shizukesa. Ihr habt keine Erlaubnis, Euch hier aufzuhalten.“ meinte Ayashi ruhig, doch blieb bereit für einen weiteren Schlag gegen sie. „Wir sind Youkai!“ warf eine Frau mit silbernem, gewelltem Haar ein und stützte sich leicht auf ihren kunstvoll geschmiedeten Speer. „Wir brauchen keine Erlaubnis.“ fuhr sie fort und Ayashi nickte. „Ich sehe, dass Ihr Youkai seid. Ich möchte Euch trotzdem bitten, zu gehen.“ entgegnete sie ruhig und suchte wieder den Blick des Youkai, der als einziger ruhig stehen geblieben war. Ayashi vermutete, dass dieser der Anführer der Gruppe war, und wartete so auf seine Reaktion. „Wer bist du?“ fragte er schließlich und lockerte seine angespannte Haltung. „Ich bin Kibo, Miko des Dorfes Shizukesa. Ich versuche lediglich, den Frieden in diesem Gebiet zu wahren. Ich bitte Euch, geht.“ „Man nennt mich Gaidan. Wir befinden uns auf dem Rückweg aus einer Schlacht, Miko.“ erklärte er mit ruhiger Stimme. „Zieht weiter, Gaidan-Sama, sobald es euch möglich ist, dann wird kein Blut vergossen werden.“ versicherte Ayashi bestimmt. „Das ich nicht lache! Sollten wir uns Sorgen machen, wenn eine niedere Miko uns droht? Wer glaubt sie, wer sie ist?!“ rief der Youkai, der Ayashi als erster angegriffen hatte. Ayashi wandte den Blick vom Anführer zu dem kampfeslustigen Youkai und heftete ihn vernichtend auf ihn. Sie beherrschte einige Augenblicke später die Wut in ihren Augen und bezwang das Feuer in sich, welches das Verlangen in ihr schürte, ihn in ihrer wahren Aura zu baden, um ihn Respekt zu lehren. Das war der falsche Weg. Und womöglich würde sie so ihrem Vater und Inu-no-taishou in ihrem ohnehin schon leicht angespannten Verhältnis zu den Katzenyoukai in den Rücken fallen. Sie beruhigte ihre verletzten Gefühle und blickte ihn ruhig an, bis er unwillkürlich einige Schritte zurückwich. „Wir gehen, Jisan.“ bestimmte der Anführer und gab ein Zeichen. Der kampfbereite, riesige Youkai mit den roten, stechenden Augen hieß also Jisan. Die Frau mit dem Speer nickte dem Anführer zu und kehrte Ayashi den Rücken. „Toran, wie kannst du nur… Sie beleidigt uns!“ rief Jisan ihr hinterher. „Jisan!“ zischte der Anführer und warf seinem Waffenbruder einen scharfen Blick zu. „Ich sagte, ihr sollt gehen.“ meinte Ayashi, die wieder angespannter war, seit scheinbar Uneinigkeit in der Gruppe herrschte. „Ich werde mich nicht noch einmal wiederholen.“ machte sie ihre Position klar und erhob ihr Schwert etwas. Ayashi wartete ab. Die Zeit schien stillzustehen und auch die Geräusche des Waldes schienen verstummt zu sein. Ayashi kontrollierte ihren Herzschlag und ließ ihren Blick fest auf der Gruppe, Jisan und dem Anführer ruhen. Der Anführer nickte. „Es wurde genug Blut vergossen, Miko. Unschuldiges Blut. Unnötiges Blut.“ gab er zu und warf einen Blick auf seine Leute, die sich langsam in Bewegung setzten. Ayashi atmete kaum merklich auf, als sie aus ihrem Blickfeld verschwunden waren und der Geruch nach Blut stetig schwächer wurde. Seit sie Miko war, musste sie nicht nur gegen niedere Dämonen vorgehen, sondern war für die Vernichtung von allem Bösen verantwortlich. Eigentlich war es ein kleiner Teil, was die Dämonenjäger selbst leisteten, da sie töteten, nicht aber reinigten. Konnte Ayashi ihnen nicht ein anderes Vorgehen begreiflich machen? Ein Vorgehen, das die Seelen der niederen Dämonen besänftigte? Ein Vorgehen, das nicht auf Tod und Vernichtung der Gegner, sondern lediglich auf Schutz der Menschen angelegt war? Ayashi steckte ihr Schwert zurück in die hölzerne Scheide, behielt ihre Hand jedoch locker auf dem Griff, als sie die Wiese durchschritt und auf den Eingang der Höhle zuging. Wie war ihre Mutter mit diesem Druck umgegangen? Hatte ihre Mutter nicht zwischen den Dämonen unterschieden? Hatte sie Youkai nicht nur dann bekämpft, wenn sie eine Gefahr gewesen waren? Waren die Youkai, die Ayashi aus dem Gebiet gewiesen hatte, überhaupt eine Gefahr gewesen? Sie kamen aus einer Schlacht, hatte ihr Anführer Gaidan ihr mitgeteilt. Es handelte sich bestimmt um eine Schlacht, an der ihr Vater Kataga nicht beteiligt gewesen war, denn sonst hätte er sie informiert, wenn sie auch niemals in die Kampfhandlungen hätte eingreifen dürfen. Das ziemte sich nicht für eine Youkai-Hime ihres Standes. Wie oft hatte Kataga schon versucht, ihr das deutlich und verständlich zu machen, doch Ayashis Herz begriff es immer noch nicht, sondern fühlte nur den Schmerz der Missachtung und Unterschätzung, der tief in sie hineinbohrte. Kapitel 19: ------------ „Kibo-Sama! Kibo-Sama!“ Ayashi erkannte Azusas Stimme und blieb kurz vor der Höhle stehen. Als sie die Tochter des Ältesten am Rand der Lichtung erblickte, wirkte sie verstört und aufgeregt. „Geht nicht hinein!“ rief sie außer Atem und stützte die Arme in die Seiten. „Geht nicht zu Midoriko!“ Midoriko. Die Tatsache, dass Azusa den Namen ihrer Mutter kannte und auch nannte, sandte einen Schauer über Ayashis Rücken. „Warum nicht?“ fragte sie und bemühte sich um innere Ruhe. „Unheil kommt von dort. Es bringt Unglück, wenn eine Miko diesen Ort aufsucht.“ entgegnete Azusa und näherte sich weiter. „Wer sagt das? Und weshalb?“ „Das ganze Dorf sagt das, nur meine Mutter glaubt daran nicht. Sie sagt, es sei Schicksal gewesen, dass Midoriko gerade in dieser Höhle starb. Es sei ihr Schicksal gewesen, aber es beeinflusse nicht das gesamte Dorf.“ „Sie hat Recht, Azusa.“ meinte Ayashi und drehte sich wieder zur Höhle um. „Nein, Kibo-Sama! Bitte nicht!“ rief Azusa und packte sie am Arm. „Was mein Vater Euch sagt, stimmte so nicht. Ihr seid nicht die erste Miko nach Midoriko, die in unserem Dorf weilte. Es gab eine, die nach ihr kam. Sie suchte die Höhle auf und kehrte besessen wieder zurück. Niemand konnte ihr helfen. Sie tötete sich selbst.“ Ayashi schwieg betroffen und blinzelte nachdenklich gegen die letzten Strahlen der Sonne. Schließlich meinte sie: „Midoriko hat das Leben der Menschen verteidigt. Dafür hat sie bereitwillig ihr Leben gegeben und alles hinter sich gelassen, was sie geliebt hat. Sie hatte eine Familie, wusstest du das Azusa? Sie hatte einen Mann, der sie liebte, und eine kleine Tochter, die sie brauchte, aber dennoch waren Pflichtgefühl und Verantwortung in Midoriko so groß, dass sie alles aufgegeben hat, was ihr etwas bedeutet hat. Sie hätte ignorieren können, was in der Welt geschah und noch einige Jahre leben können, doch dafür hat sie sich nicht entschieden. Sie mag sich geopfert haben, Azusa, doch ich bin mir sicher, dass es ihr selbst niemals so vorkam. Sie tat das Richtige. Midoriko ist die aufrichtigste und reinste aller Mikos. Darin lag wohl ihre überaus große Macht. Von ihr geht keine Gefahr aus, glaub’ mir.“ Azusa zuckte die Schultern und blickte zu Boden. „Der Dämon, den Midoriko besiegt haben soll, soll immer noch dort drinnen sein. Es soll noch leben und seine Macht soll jene erfassen, die die Höhle betreten.“ flüsterte sie ängstlich und streifte den Eingang der Höhle mit einem furchtsamen Blick. „Azusa! Du bist Dämonenjägerin und glaubst solche Ammenmärchen?“ rief Ayashi, doch konnte Azusa nicht davon überzeugen, dass es keinen Grund zur Sorge gab. „Bitte, geht nicht hinein, Kibo-Sama!“ flehte Azusa erneut und festigte den Griff um Ayashis Unterarm. Ayashi atmete tief durch und schloss die Augen. Sollte sie ihr sagen, dass Midoriko ihre Mutter gewesen war? Sollte sie ihr sagen, dass sie über einhundert Jahre und überhaupt keine Sterbliche war? Sollte sie ihr sagen, dass sie endlich sehen musste, wie ihre Mutter ums Leben gekommen war? Sollte sie ihr sagen, dass sie die Überreste ihrer Mutter, sollten welche da sein, entweder nach Hause bringen wollte oder zumindest hier respektvoll begraben wollte? Nein. Das konnte sie nicht. Sie war ein Mensch wie Midoriko es in ihren Augen gewesen war. Ayashi nickte also und folgte Azusa zurück ins Dorf, wo alle Dorfbewohner erleichtert schienen. Ayashi senkte den Blick und sah dann noch einmal zurück zum Tor. Sie würde ihre Mutter sehen – egal, was es sie kostete. Noch einmal würde sie sich nicht zurückhalten lassen. Mehrere Tage vergingen, ohne dass Ayashi einen erneuten Versuch unternahm, die Höhle aufzusuchen, denn dazu waren Azusas Blicke zu prüfend und ihre Gesellschaft zu aufdringlich. Eines Nachts jedoch löschte Ayashi die Feuerstelle in ihrer Hütte, nahm sich ihre Waffe und einen Umhang und schlich nach draußen. Sie huschte im Schatten an den Hauswänden entlang und verließ das Dorf unbemerkt, da die Wächter nicht aufmerksam waren und schliefen. Ayashi nahm wieder den Weg in den Wald hinein und kam an die Stelle, an der sie vor wenigen Tagen die Katzenyoukai gesehen hatte. Zögernd blieb sie stehen und blickte hinauf zum Mond, der gerade so viel Licht spendete, dass sie ihre Umgebung mit ihren begrenzten menschlichen Fähigkeiten sehen konnte. Ein Rascheln lenkte ihren Blick auf das Unterholz, wo taumelnd eine kleine Gestalt auftauchte, die plötzlich der Länge nach niederfiel und reglos liegen blieb. Ayashi ging vorsichtig und langsam auf das Wesen zu und erkannte in ihm Yaken, den ehemaligen Diener Inu-no-taishous. Ihr Herz schlug unregelmäßig und heftig. Inu-no-taishous ehemaliger Diener. Schnell kniete sie sich hinunter zu ihm und drehte ihn auf den Rücken. Sie musste ihm helfen. „Was tut Ihr da, Miko?“ fragte eine kühle Stimme hinter ihr. Ayashi hatte bemerkt, dass ein Mann – ein Youkai – hinter sie getreten war, also erschrak sie nicht, sondern erhob sich nur. „Ich versuche zu helfen.“ „Darum hat Euch niemand gebeten.“ entgegnete er. „Ist er Euer Diener?“ fragte Ayashi und vermied es, ihn anzusehen. Sie war sich sicher, dass er Sesshoumaru war, da Yaken gesagt hatte, er diene nun dem jungen Herrn, und sie erinnerte sich daran, dass sie sich immer gefragt hatte, wie er wohl aussehen und sein mochte, doch nun war sie nicht darauf vorbereitet, ihm zu begegnen. „Ja, das ist er.“ erwiderte er. „Nun, könnte Euer Diener noch sprechen, hätte er mich sicher um Hilfe gebeten.“ „Das bezweifle ich.“ widersprach er gleichgültig. „Zweifeln bedeutet nicht Wissen.“ gab Ayashi zurück und biss sich auf die Lippen. Sie sollte vorsichtiger sein, denn für ihn war sie lediglich ein lästiger Mensch – noch dazu eine Frau, die Dinge von sich gab, die ihr nicht zustanden. „Es ist Euer Diener, Herr.“ ergriff sie wieder das Wort. „Ein Diener…“ begann er, doch sie ließ ihn nicht ausreden. „Ein Diener ist ebenfalls ein lebendiges Wesen! Ihr als Youkai tragt die Verantwortung für die Gesundheit und das Leben derer, die Euch dienen. Dass Ihr Euren Gefolgsleuten mit Wohlwollen und Gerechtigkeit begegnet, Eure Verbündeten in der Schlacht schützt, Eure Familie gegen Feinde verteidigt oder auch nur Eure Diener gesund pflegen lasst, ist Euch eine grundlegende Pflicht.“ entgegnete Ayashi aufgebracht und wandte sich nun um. Sie beruhigte sich und lenkte sich durch Yakens Untersuchung von dem Gefühlschaos ab, das tief in ihr wie ein heftiger Orkan tobte. Sesshoumaru. Inu-no-taishous Sohn und Erbe. Der Youkai, der sie töten sollte. In Yakens Körper rauschte ein starkes Gift. Ayashi schloss für einen Moment die Augen und festigte ihre menschliche Aura. Es war leichter, die Vision der eigenen Mutter von der Hand zu weisen, wenn der potentielle Mörder weit weg und nicht in den Gedanken war. Jetzt, wo er hinter ihr stand und seine Augen in ihren Rücken bohrten, war das etwas anderes. Noch immer glaubte sie nicht Recht daran, doch was wenn… Energisch schüttelte Ayashi den Kopf und biss sich wieder auf die Lippen. „In der Nähe gibt es Kräuter, die ihm helfen werden, das Gift in sich zu besiegen. Wenn Ihr warten wollt, werde ich sie ihm besorgen.“ bot sie an und blickte flüchtig auf. Sie sah sein langes weißes Haar wehen und seine edle, aufrechte Gestalt. „Warum?“ fragte er schlicht und blickte aufmerksam zwischen die Bäume, als hätte er dort etwas erspäht. „Es ist meine Aufgabe, demjenigen zu helfen, der meine Hilfe benötigt.“ antwortete sie, erhob sie und sah ihm nun direkt in sein Gesicht. Seine Züge waren ebenmäßig und edel und erinnerten sie etwas an seinen Vater Inu-no-taishou, doch sie waren ruhiger und kühler. Das lange Haar, das sie vorhin bereits aus dem Augenwinkel gesehen hatte, glänzte im Licht des beinahe vollen Mondes. Seine Stirn zierte die Sichel eines abnehmenden, blauen Mondes. Und seine Augen… Ayashi schluckte und sah schnell zu Boden. Seine Augen funkelten wie zwei reine Bernsteine, in denen sie versank und sich verlor, sobald sie so unachtsam war und ihre Augen und ihre Sinne ihrer fesselnden Gefahr aussetzte. „Ich muss mich beeilen, sonst kann ich Eurem Diener nicht mehr helfen.“ meinte sie eher zu sich als zu ihm und ließ ihn stehen. Sie bewegte sich geschickt durch die Dunkelheit. Nach wenigen Augenblicken verschwand sie im Unterholz und eilte im Dickicht zu einer Stelle, von der sie wusste, dass sie dort die Heilkräuter finden würde. Sesshoumarus Gesicht folgten ihr in ihren Gedanken und ließen sie nicht mehr los. Sein Blick bohrte tief in ihre Seele, verankerte sich unendlich fest in ihrem Wesen, sodass ihr beinahe schwindlig wurde. Sesshoumaru. Sein Haar. Seine Gestalt. Sein Gesicht. Seine Haltung. Seine Augen… Ayashi presste die Lippen aufeinander, als ihr der Gedanke an seinen Duft in den Sinn kam, den sie in ihrer Gestalt kaum hatte wahrnehmen können. Der Geruch von Kampf und Tod hatte zwar schwach an ihm geklebt, doch darunter entfaltete sich ein wunderbarer, leichter und dunkler Duft, der ihr die Sinne vernebelte. Niemals zuvor hatte sie so etwas wahrgenommen. Sie wollte ihn einmal unverfälscht einatmen – gesäubert von anderen Düften und Gerüchen, nicht vermischt mit dem leichten Duft von Leder und Leinen, das er auf seinem Körper trug. Ayashi erschrak und schüttelte wieder heftig den Kopf, um diese Gedanken endlich zu beenden. Was dachte sie sich nur dabei? Es war gänzlich unmöglich! Kapitel 20: ------------ Als sie mit den Kräutern zu der Stelle zurückkam, an der sie Yaken zurückgelassen hatte, wartete Sesshoumaru noch. Ayashi ging schnell an ihm vorbei und kümmerte sich wieder um Yaken, auf den sie ihre gesamte Aufmerksamkeit richtete. „Wie ist Euer Name, Miko?“ fragte er und störte damit ihre eiserne Konzentration, die sie vor Gedanken an ihn schützte. „Ist das nicht unwichtig?“ entgegnete sie nur. Da er längere Zeit nichts erwiderte, meinte sie: „Die Dorfbewohner nennen mich Kibo.“ „Hoffnung.“ murmelte er und nickte leicht. Ayashi versorgte den kleinen Krötendämon und erhob sich, als sie damit fertig war. „Er braucht Ruhe, damit sich das Gift nicht noch mehr verteilt.“ erklärte sie und wischte den Rest der Kräuterpaste, die sie Yaken auf die Zunge gestrichen hatte, an ihrem Umhang ab. „Ich muss weiter ziehen.“ entgegnete er und schüttelte den Kopf. „Das würde er wahrscheinlich nicht überleben. Sein Zustand ist immer noch nicht stabil.“ sagte Ayashi, begegnete aber nicht seinem Blick. Sie spürte, dass Sesshoumarus Augen auf ihr ruhten. Eine Weile sprach niemand von ihnen und nur Yakens flache Atemzüge ergänzten die nächtlichen Geräusche des Waldes. „Was wolltet Ihr hier mitten in der Nacht, Miko-Sama?“ fragte er und verwendete dabei das erste Mal eine höfliche Anrede für die Frau, die ruhig vor ihm stand. „Das ist meine Sache. Ich werde nun gehen und Euch das Leben Eures Dieners überlassen. Das ist alles, was ich tun kann.“ entgegnete sie und ging schnellen Schrittes an ihm vorbei. Sesshoumaru sah ihr nach und betrachtete ihr wehendes Gewand, das trotz ihrer Eile nur langsam aus seiner Sicht verschwand. Aufgewühlt eilte Ayashi den Weg durch den Wald entlang und kam schließlich an der Höhle an. Der Eingang erhob sich drohend vor ihr. Langsam schritt sie durch den dunklen Spalt und ging immer weiter in die Dunkelheit hinein, da ein schwaches Licht sie vorwärts lockte. Bald stand sie im tiefsten Inneren der Höhle und sah nun, dass das Licht des Mondes durch einen schmalen Spalt in der Höhlendecke fiel und die Höhle erhellte. Dunkle Formen erhoben sich aus dem unebenen Boden der Höhle und waren wie tausende Schlangen miteinander verwunden. Es waren Überreste von niederen Dämonen und in ihrer Mitte gefangen eine menschliche Gestalt. „Mutter.“ murmelte Ayashi und trat weiter auf die Mitte der Höhle zu. Sie stieg über riesige Knochen und kletterte daran nach oben, sodass sie bald auf gleicher Höhe mit dem Gesicht ihrer Mutter war. Ihre Mutter, die zwischen den Fangzähnen eines riesigen Dämons ihren Tod gefunden hatte und mit diesem und unzähligen anderen zu Stein erstarrt war. Ihre Mutter war nur noch ein Teil eines Monuments, und doch war es Ayashi, als stünde sie lebendig neben ihr. Midorikos Haupt war leicht geneigt und ihre Gesichtszüge wirkten, als habe sie Frieden mit der Welt geschlossen. Auf ihrer Stirn befand sind ein Symbol, an das sich Ayashi kaum noch erinnerte: ein gleichmäßiges, kreuzähnliches Zeichen in der Mitte der Stirn, direkt unter dem Haaransatz, dessen Treffpunkt zwischen vertikaler und horizontaler Linie ausgespart war. Midorikos Augen waren geschlossen, doch Ayashi wusste, dass sie dunkelbraun gewesen waren. Tränen traten ihr in die Augen, als sie ihre Mutter so betrachtete, und sie begann zu sprechen: „Du bist so schön Mutter – immer noch. Ich verstehe, dass Vater die Erinnerung an dich noch immer pflegt wie etwas Heiliges. Es geht gar nicht anders. Du wirkst so friedlich, obwohl du im schwersten deiner Kämpfe gefallen bist, Mutter. Hast du gewusst, was dich erwarten würde? Hast du gewusst, dass du nie wieder zu uns zurückkehren würdest. Bestimmt. Ich habe es damals ebenfalls geahnt, sagt Vater. Ich scheine etwas gesagt zu haben. ‚Sie kommt nicht zurück.’ Das habe ich gesagt. Weißt du, dass ich als Miko in das Dorf gekommen bin, in dem du geboren und gelebt hast, bevor du Vater getroffen hast? Ich wollte wissen, wie du gelebt hast, auch wenn ich natürlich weiß, dass ich niemals wie du sein könnte. Ich eigne mich nicht für die Aufgaben einer Miko, das habe ich in den vergangenen Monaten herausgefunden. Ich empfinde zu leidenschaftlich. Ich denke, ich bin mir auch selbst zu wichtig. Und mir fehlt der Mut. Es ist unvorstellbar für mich, meiner Familie wegen einer Pflicht oder einer Bestimmung zu entsagen und den sicheren Tod zu wählen.“ Ayashi blickte nach oben durch den Spalt in der Decke. Die letzten Wolken schienen sich verzogen zu haben, denn das Mondlicht strahlte silberner als zuvor in die Höhle und auf Ayashi und ihre Mutter. „Siehst du mich von dort aus, wo du jetzt bist? Kannst du mich hören oder fühlen, wenn ich an dich denke? Hat deine Seele Frieden gefunden oder irrt sie in der Dunkelheit, weil du nicht bestattet wurdest?“ Wieder betrachtete sie die Statue ihrer Mutter und es fiel Ayashi schwer, sich vorzustellen, dass dies einst der Leichnam ihrer Mutter gewesen war. Die Statue wirkte wie ein genaues Abbild der Frau, die Midoriko einst gewesen war. Vielleicht fiel es ihr deshalb so leicht, mit ihr zu sprechen, weil sie dachte, sie würde ihr bei der nächsten Gelegenheit antworten. „Ich hatte so viele Fragen, die ich dir nie stellen konnte. Wie hast du meinen Vater kennen gelernt? Wann wusstest du, dass du ihn liebst? Würdest du ihn immer noch lieben, wenn du noch am Leben wärst? Wie viele Jahre hätten wir gemeinsam erleben können? Was hast du in deiner Vision gesehen? Wieso hast du etwas gesehen, das ich mir nicht vorstellen kann? Sesshoumaru… ist kein Mörder, Mutter. Wieso sahst du etwas anderes? Bist du böse auf mich, wenn ich nun meinen eigenen Weg gehe und mein Leben nicht von dieser Vision bestimmen lasse – so, wie ich es wollte, seit ich von der Vision erfahren habe? Würdest du mir sagen, ich bin unvernünftig und dickköpfig? Würdest du mir sagen, dass ich leichtsinnig und verrückt bin, wenn ich zugebe, dass mein Herz schneller schlägt, sobald ich an ihn denke, und mir der Gedanke und dieses Gefühl endlich wieder versichert, dass ich überhaupt am Leben bin? Würdest du dieses Gefühl auf meine Unerfahrenheit zurückführen? Würdest du mir sagen, ich soll es vorbeiziehen lassen? Jetzt stelle ich die Fragen und du kannst mir keine Antwort mehr geben. Schicksal? Ungerechtigkeit in meinen Augen, doch das ist wohl meistens so.“ Tränen hinderten Ayashi am Weitersprechen. Sie schluckte sie hinunter und presste ihre Hand gegen ihre salzige Kehle. Es waren Fragen, die sie mit niemandem besprechen konnte. Ihr Vater würde ihr keinen Rat geben können, der ihr eine Mutter hätte geben können. Das wusste sie und diese Tatsache tat weh. Ihr Blick war durch die Tränen verschwommen und brannte. Ayashi zitterte. Sie hatte erwartet, dass es sie schmerzen würde, ihre verstorbene Mutter zu sehen, doch sie hatte nicht erwartet, dass es sie so berühren würde. Sie hatte nicht erwartet, ein Abbild ihrer Mutter zu sehen. Sie hatte mit einer leeren Höhle gerechnet, die vielleicht einige Knochen enthielt. „Bist du stolz auf mich?“ flüsterte Ayashi tonlos und wischte sich die Tränen ab. „Bist du stolz auf mich? Ich vermisse dich, Mutter, und ich liebe dich, aber ist das genug, um stolz auf mich zu sein? Was muss ich tun, um dich stolz zu machen?“ Ein gleißendes Licht erfüllte plötzlich die Höhle und ein feuriger Schmerz stach in Ayashis Augen, die sich an die dämmrige Dunkelheit gewöhnt hatten. Ayashi riss die Arme zum Schutz vor ihre Augen und wich etwas zurück. Kapitel 21: ------------ „Mein Kind.“ hauchte eine Stimme, die Ayashi erkannte, als würde sie zu ihr aus einem längst vergessenen Traum klingen. Vorsichtig öffnete Ayashi ihre Augen wieder. Das schillernde Licht war verschwunden, doch vor ihren Augen flackerte das blasse Bild einer Frau, deren Augen ruhig und lächelnd auf Ayashi ruhten. „Mutter.“ brach sie heraus und presste sich ihre Hand auf den Mund, als könnte sie durch ihre Worte die Erscheinung vertreiben. „Es ist schön, dich zu sehen, Ayashi Kibonohana.“ „Wie ist das möglich, Mutter? Wie kannst du hier sein und mit mir sprechen… Ist das ein Trick meiner Erinnerung?“ „Nein, mein Kind. Ich kann in diesem Moment mit dir sprechen, weil ich noch nicht aus dieser Welt gegangen bin, und du mich gerufen hast.“ „Ich habe dich gerufen?“ fragte Ayashi, da sie sich beim besten Willen nicht entsinnen konnte, ihre Mutter herbeigerufen zu haben. „Deine Fragen habe ich gehört, Kibonohana, doch du hast mich zuletzt gefragt, was du tun musst.“ erklärte Midoriko, doch Ayashi schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich kann mit dir sprechen, da es etwas gibt, das du tun musst.“ „Wie kann ich dir helfen?“ fragte Ayashi, doch Midoriko hob abwehrend ihre Hand. „Was du tun musst, hat nicht nur mit mir zu tun. Lass’ mich dir erzählen, was geschehen ist, als ich starb.“ bat die Erscheinung ihrer Mutter und wartete auf ein leichtes Kopfnicken von Ayashi, ehe sie fortfuhr: „Ich kämpfte sehr lange Zeit und konnte mich gegen die vielen einzelnen Dämonen behaupten, Kibonohana, doch schließlich schlossen sich die Dämonen zu einem einzigen, riesigen Gegner zusammen, der mich überwältigen konnte. Die Dämonen, die du dort siehst…“ Midoriko wies auf die weiter entfernten Bereiche in der Höhle, wo viele kleinere Dämonenskelette lagen. „… hatten sich noch nicht mit dem riesigen Dämon zusammengeschlossen, doch waren gerade dabei. Sie eilten herbei, um ihn zu unterstützen, um gemeinsam über mich zu siegen und ihren Hass gegen mich endlich erfolgreich auszuleben. Meine Kräfte schwanden schnell, da ihre negative Energie überall um mich herumströmte, und schließlich konnte mich der erstarkte Dämon mit seinen Fangzähnen ergreifen und versetzte mir das tödliche Unheil seines giftigen Bisses. Ich spürte, dass ich sterben würde. Das Gift breitete sich in mir aus und lähmte langsam meine Sinne. Sein Miasma flutete in mich und nagte an meiner Seele, die in diesem Moment so rein wie niemals zuvor war. Ich dachte an deinen Vater und an dich und die Liebe zu euch durchströmte mich und bewahrte mich noch einen Augenblick länger vor meinem Ende. Die Liebe zu euch schützte mich, stärkte meine Seele und machte möglich, dass ich die Seelen aller Dämonen in dieser Höhle ergriff und in meinen Körper aufnahm, wo sie durch die Kraft meiner reinen, liebenden Seele gereinigt werden sollten. Es war nicht das Miasma des Dämons, das mir letzten Endes die Kraft nahm, die Läuterung zu vollenden, sondern die Verletzungen meines geschwächten und überanstrengten Körpers. Ich wusste, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb, und so trieb ich mit letzter Kraft meine Seele und die Seele der Dämonen aus meinem Körper und starb.“ „Was wurde aus deiner Seele, Mutter?“ „Ich hatte gehofft, dass die Seelen sich neutralisieren, nachdem sie meinen Körper verlassen hatten, doch sie existierten weiter. Noch immer kämpft meine Seele gegen die Seele der Dämonen und noch immer gibt es keinen Sieger, denn das Juwel der vier Seelen - das Shikon no Tama - entstand und befindet sich noch immer in dieser Welt.“ „Das Juwel ist aus der Verschmelzung von deiner Seele mit der Seele der Dämonen entstanden?“ fragte Ayashi und Midoriko nickte. „In der Seele eines Lebewesens sind vier Seelen beheimatet. Aramitama steht für den Mut. Nikimitama steht für die Freundschaft. Kushimitama steht für die Weisheit. Sakimitama steht für die Liebe. Erst wenn diese vier Seelen mit dem Geist in Einklang gebracht wurden, nennt man das Naobi, da sich die vier Seelen zu der einen Seele verbinden, die im Herzen beheimatet ist und den Menschen, der sie in sich trägt, mit Güte erfüllt. Meine Seele war im Naobi, als ich sie ausstieß, und ist deshalb heute noch in der Lage, der Seele der Dämonen standzuhalten. Gelangt das Juwel allerdings in die falschen Hände, so kann es zu einer Katastrophe kommen. Schwache Menschen können durch das Juwel dazu verleitet werden, Böses zu tun. Gelangt das Juwel in die Hände eines Dämons, so stärkt er die unreine Energie und kann durch die Kräfte im Juwel selbst um vieles stärker werden.“ „Was kann ich tun?“ fragte Ayashi, da der Gedanke ihr nicht gefiel. „Kibonohana, alles ist Schicksal. Gehe deinen Weg und du wirst sehen, was du tun musst. Einige Dinge allerdings solltest du noch wissen, bevor du mich nun verlässt.“ „Mutter, ich will nicht…“ begann Ayashi, doch verstummte wieder. Midoriko schüttelte traurig den Kopf – eine Geste, die etwas Endgültiges hatte. „Du musst gehen, Kibonohana. Lebe dein Leben, wie du es für richtig hältst. Was das Juwel angeht, so muss ich dir sagen, dass niemand weiß, wo es sich gerade befindet. Solltest du es finden, so handle voraussehend und klug. Es muss geschützt und gehütet werden, denn zerstört werden kann es nicht.“ „Wie kann ich wissen, was voraussehend und klug ist?“ fragte Ayashi unsicher. „Du wirst es fühlen.“ versicherte Midoriko und lächelte, als Ayashi immer noch zögerlich nickte. „Ich habe dir noch etwas zu sagen, Kibonohana, und höre mir genau zu!“ „Ja, Mutter.“ versprach Ayashi und wartete. „Ich sagte dir, du sollst deinen Weg gehen. Ich bleibe dabei. Ich akzeptiere jede deiner Entscheidungen, da ich darauf vertraue, dass Kataga dich fehlerlos erzogen hat. Doch wisse, dass dir ein Schicksal bestimmt ist. Darum halte dich von Sesshoumaru fern und lebe, Kibonohana.“ sagte Midoriko mit fester Stimme und löste sich schließlich auf. Ayashi blieb allein in der Dunkelheit zurück. Die Tränen rannen ihr die Wangen hinunter und in ihrem Herzen klaffte eine Tiefe Wunde, deren Herkunft sie nicht bestimmen konnte. Sesshoumaru. Ihre Mutter vertraute ihrer Vision. „Ayashi…“ hauchte ein Windstoß durch die ruhige Höhle. „Du erfüllst mich mit Stolz, meine Tochter.“ Dann war es völlig still. Ayashi senkte den Blick und ließ die Tränen auf den Boden fallen. Ihre Schultern bebten, doch allmählich wurde sie ruhiger. Erschüttert kletterte sie hinab, entfernte sich zum Eingang des tiefsten Inneren der Höhle und warf einen letzten Blick zur Ruhestätte ihrer Mutter, ehe sie ihr den Rücken kehrte und über den Tunnel die Höhle verließ und in die laue, klare Nacht hinaustrat. Der Morgen graute bereits, als Ayashi nach einem langen Spaziergang durch die Gegend in das kleine Dorf in den Bergen zurückkehrte. Die Dorfbewohner waren versammelt und starrten sie ungläubig an. Azusa lehnte gegen ihre Mutter und schien sie zurückzuhalten. Ayashi vermutete, dass allen klar war, wo sie gewesen war, und Kasumi sie unterstützen wollte. Der Dorfälteste trat aus der Menschenansammlung hervor und Ayashi hob die Hand, ehe er etwas sagen konnte. „Ich werde gehen.“ meinte sie und wandte sich ab. Akihito sah ihr nach, doch dann nickte er. Er war sich sicher, dass es das Beste für alle war, auch wenn er die junge Miko sicher vermissen würde. Ayashi packte die wenigen Sachen, die sie besaß, in ein Bündel und nahm den Bogen und die Pfeile ebenfalls an sich. Dann schritt sie den Stufen vor ihrer Hütte hinab und verließ das Dorf in Richtung Osten – dem Palast ihres Vaters in Fukuoka entgegen. Kapitel 22: ------------ Ihre Reise war lang und erst jetzt bemerkte Ayashi, wie sehr die letzten Monate an ihren Kräften gezehrt hatten. Die menschliche Gestalt und die menschliche Aura waren bestimmt nur eine Komponente, die sie sich miserabel fühlen ließen. Trotzdem hatte sie sich dazu entschieden, erst kurz vor ihrem Zuhause wieder ihre Youkai-Energie zuzulassen. Das schien ihr sicherer und außerdem hatte sie so einen Grund, langsam zu gehen und ihre Gedanken zu ordnen, bevor sie ihrem Vater wieder gegenübertrat. Sie hatte auf ihrer Reise erreicht, was sie gesucht hatte: sie hatte sich besser kennen gelernt, indem sie an ihre Grenzen gegangen war – die Grenzen, die sie von der Seite ihrer Mutter erhalten hatte. Und sie hatte ihre Mutter kennen gelernt, die ihr Leben lassen musste, weil sie eine Pflicht erfüllte. Sollte Ayashi nun dasselbe Schicksal auf sich nehmen? Midoriko hatte nur davon gesprochen, dass sie klug handeln musste, doch nichts darüber, dass Ayashi in Gefahr war. Dennoch fürchtete sie das Juwel, da ihr der Gedanke an ein Objekt dieser Macht nicht behagte. Sie würde versuchen, den Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen – den Wunsch, der das Juwel betraf. Wer wusste schon, wann es auftauchte? Sie würde Augen und Ohren offen halten, aber sie hatte keine Ahnung, wie lange es dauerte, bis sie etwas tun konnte. Midoriko hatte etwas über Schicksal gesagt. War es ihr Schicksal gewesen, das Juwel zu erschaffe. Und war es nun Ayashis Schicksal, das Juwel – die Seele ihrer Mutter – zu schützen? So hatte sie es noch niemals zuvor betrachtet. War es von diesem Blickwinkel aus nicht sogar ihre töchterliche Pflicht, der Seele ihrer Mutter beizustehen? Ayashi erreichte die Insel Kyushu nach sieben Tagen Wanderung und hielt in einem Dorf, um sich etwas zu stärken. Sie setzte sich in den Schatten eines Baumes und schloss die Augen. Der Wind rauschte in den Blättern über ihr und ihre Gedanken kehrten zurück zu Sesshoumaru. ‚Halte dich von Sesshoumaru fern und lebe!’ Die Worte ihrer Mutter hallten noch immer in ihrer Erinnerung und bedrohten wie dunkle, eisige Schatten die Wärme, die sie empfunden hatte, als sie ihm so unvermittelt begegnet war. Und seine Augen… ließen ihr Herz so schnell und unregelmäßig schlagen wie Regentropfen auf hölzerne Dächer herabprasselten. „Kataga-Samas Gefährtin erwartet ein Kind.“ meinte einer der Bauern, die auf dem Feld neben ihr arbeiteten. Ayashi blickte verwirrt auf. Kataga – ihr Vater – hatte keine Gefährtin. Nicht, soweit sie wusste! „Wir werden schon sehen, dass sich nichts ändert. Kataga-Sama hat immer für unser Wohlergehen gesorgt und wird auch nun nicht zulassen, dass sich etwas ändert.“ entgegnete ein anderer. „Du hast wahrscheinlich Recht. Uns könnte es schlimmer treffen. Wer weiß, ob das überhaupt stimmt.“ warf ein dritter ein und hackte auf den Boden ein. „Die Leute…“ sagte der erste Mann wieder. „Die Leute reden immer, das weißt du doch!“ fuhr ihm wieder ein anderer über den Mund. „Ich würde mir eher Sorgen wegen Ajisai-Samas Tod machen. Dieser wird Konsequenzen haben, sobald er nicht natürlich war.“ fügte er hinzu und Ayashi war völlig perplex. Ihr Vater sollte eine neue Lebensgefährtin haben, die bereits schwanger war. Ajisai-Sama, Inu-no-taishous Gemahlin, die allerdings in den Norden zu ihrer Familie zurückgekehrt war, sollte gestorben sein. Wo? Wie? Wann? War das alles überhaupt möglich? Wieso wusste sie nichts davon, während diese Bauern sich über diese Angelegenheiten Gedanken machten oder auch nur dummes Zeug redeten? Ayashi erhob sich und eilte weiter. Es gefiel ihr nicht, dass sie durch Bauern eventuell über Neuigkeiten unterrichtet worden war, die so viele Änderungen mit sich bringen konnten. Das ärgerte sie, aber in ihr brodelte auch ein Gefühl, dass sie überhaupt nicht mochte: Eifersucht. Eifersucht war ein Gefühl, welches von jedem Youkai verabscheut und verachtet wurde. In ihren Augen gab es nichts Ehrloseres, als ein eifersüchtiges Herz zu besitzen. Ayashi atmete tief durch und beruhigte sich langsam wieder. In menschlicher Gestalt war es schwieriger, diese Gefühle zu kontrollieren, doch noch immer redete sich Ayashi ein, es seien alles nur Gerüchte. Wenig erfolglos, wie sie feststellte, denn eine schreckliche Gewissheit drängte sich immer erbarmungsloser in ihr Herz: die Bauern würden Recht behalten. Am Abend des fünften Tages ihrer Reise erblickte sie das Schloss ihres Vater auf der Anhöhe liegen. In Ayashi regte sich ein Gefühl von Freude, doch immer noch war sie sehr beunruhigt. Sie hatte vor einiger Zeit ihre Youkai-Energie wieder zugelassen, doch war trotzdem langsam gegangen, da sie ihren Körper mit der neuen Kraft, die ihn nun wieder mächtig durchströmte, nicht überfordern wollte. Allmählich kehrte das ausgeglichene Gefühl in ihren Körper zurück und sie atmete tief durch: sie war wieder Youkai-Hime mit Körper und Seele. Die Umgebung war um so vieles eindringlicher. Die Vögel zwitscherten, der Wind strich durch das hohe Gras und erfasste ihre Kleidung. Sie konnte das Meer in der Luft und nasse Erde wieder riechen. Die Farben des frühen Herbstes leuchteten und ihre Sicht war um vieles schärfer und genauer. Ihr Instinkt meldete sich zurück und versicherte ihr, dass sie sich nicht in Gefahr befand. Eine Gruppe von Rehen streifte durch den nahe gelegenenen Wald. Zwei Menschen hackten in der Nähe Holz für den Winter. Langsam ging Ayashi weiter und näherte sich auf direktem Weg dem Schloss. Die Wachen rührten sich nicht, da sie ihre Hime bereits von weitem erkannt hatten, nickten ihr nur zu und ließen sie ungehindert in den Hof des Schlosses eintreten. Ayashi trat vom Hof in die privaten Bereiche des Schlossen und dann sah sie es: das Gerücht, dass Kataga-Sama eine neue Gefährtin gefunden hatte, war wahr. Entsetzt blieb sie stehen und heftete den Blick auf ihren Vater, der mit einer Wolfsyoukai unter dem Vordach saß und ruhig mit dieser sprach. Bei der Wolfsyoukai konnte Ayashi ohne Probleme sehen, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug. Sie vermutete, dass sie im sechsten Monat war, und wieder lähmte sie dieses vernichtende Gefühl. Wieso hatte ihr niemand Bescheid gegeben? Hielt nicht einmal ihr Vater es für nötig, sie über solche Veränderungen zu unterrichten? Kataga begegnete dem Blick seiner Tochter und wollte sicher erheben, um auf sie zuzugeben, doch Ayashi hob geistesabwesend die Hand und näherte sich ihm und seiner Gefährtin. Ihr Herz raste und rebellierte gegen ihre Vernunft, während sie bemüht war, ihr Gesicht zu entspannen und der Frau möglichst unvoreingenommen zu begegnen. Ihr Vater beging keinen Treuebruch an ihrer Mutter. Nur für Ayashi war sie vor kurzer Zeit lebendig gewesen – für ihn war sie über einhundert Jahre tot und aus dieser Welt verschieden. Es war nur schmerzlich, dass sie die Gefühle ihres Vaters ihrer Mutter versichert hatte, obwohl ihr das nicht zugestanden hatte, doch sie hatte nicht wissen können… Wie es sich gehörte, trat Ayashi die wenigen Stufen unter das Vordach hinauf und kniete sich vor der Gefährtin und ihrem Vater auf den Boden. Nachdem sie ihre leicht zitternden Hände auf den Boden gelegt hatte und den Oberkörper tief geneigt hatte, richtete sie sich erhaben wieder auf, nahm die Hände der Frau in ihre und küsste sie ehrerbietend. Dann entließ sie die Hände und fühlte die Hand ihres Vaters wohlwollend auf ihrem Haupt. Ayashi versuchte, ein Lächeln auf ihre Lippen zu zwingen, doch es gelang ihr nicht. Ihr Blick ruhte harmonisch und edel auf der Gefährtin, dann wandte sie sich ihrem Vater zu und begrüßte ihn noch einmal separat durch ein Neigen des Kopfes. Kataga wunderte sich über ihren gänzlich beherrschten Ausdruck, der sich auch in ihren Augen widerspiegelte, die normalerweise immer verrieten, was sie dachte und was ihr nicht gefiel, und war stolz auf seine erwachsene Tochter. Sie war seine geachtete Tochter und er hatte vermocht, dass niemand ihre ehrbare Herkunft in Zweifel zog – am allerwenigsten sie selbst. Sie war eine wahre Youkai-Hime, die seine Nachfolgerin werden würde, sollte ihm von seiner neuen Gefährtin auch ein Sohn geboren werden, er liebte und schätzte Ayashi zu sehr, als dass er sie übergehen konnte. „Ayashi, es ist schön, dass du wieder da bist.“ sagte Kataga und nickte ihr zu. „Ich freue mich, wieder hier zu sein, Vater.“ entgegnete Ayashi und wartete darauf, dass ihr Vater seine Gefährtin vorstellte. „Karasu, die Mutter meines zweiten Kindes.“ meinte er schlicht, was Ayashi hellhörig werden ließ. Stellte er sie nicht als Gefährtin oder zukünftige Gemahlin vor? Was hielt er nun wieder vor Ayashi zurück? Ohne sich ihre Verwunderung anmerken zu lassen, nickte Ayashi Karasu zu und wusste, dass sie warten musste, bis Karasu etwas zu ihr sagte. „Ich bin erfreut, Ayashi, dich kennen zu lernen.“ meinte sie, doch Ayashi glaubte ihr nicht. „Ich bin froh, dass mein Vater wieder glücklich ist.“ zwang Ayashi über ihre Lippen. Kataga wollte etwas sagen, doch er kam nicht dazu, da sich ein Diener näherte und ihn nach einem Handzeichen davon unterrichtete, dass Inu-no-taishou-Sama sich dem Schloss näherte. „Er wird gehört haben, dass du wieder zu Hause in Fukuoka bist.“ meinte er zu Ayashi und zog sich zurück, um seinen Freund und Verbündeten zu begrüßen. Kapitel 23: ------------ „Du bist nun also Ayashi, von der ich schon so viel gehört habe.“ dachte Karasu scheinbar laut nach. Ayashi nickte und betrachtete die Frau genauer. Sie war von hoher Geburt, aber ihre Züge strahlten eine gewisse Rohheit aus – eine Rohheit, die Ayashi eine gewisse Bereitschaft zu einem Konkurrenzkampf vermittelten. Was hatte Karasu vor? Glaubte sie im Ernst, dass Ayashi eine Gefahr für ihre Stellung im Schloss ihres Vaters war? Oder hatte Karasu, wenn sie schon so viel über Ayashi gehört hatte, vielleicht schon verstanden, dass Ayashi nach dem Tod ihrer Mutter die wichtigste Frau im Leben ihres Vaters war und auch bleiben würde? „Wie alt bist du nun?“ fragte Karasu und riss Ayashi mit dieser ungeziemenden Frage aus ihren Gedanken. „Ich lebe nun seit einhundert Jahren.“ gab sie Auskunft und ließ ihren Blick über den Hof streifen. „Da hast du ja noch Zeit, dir über den geeigneten Gemahl Gedanken zu machen, wobei ich annehme, dass das letzte Wort dein Vater haben wird. Ich habe einen Neffen, einen sehr eifrigen und achtsamen Neffen.“ fuhr Karasu fort und schürte in Ayashi das Unbehagen. „Ich denke, ich habe noch Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, wie du sagtest, Karasu. Allerdings denke ich, dass mein Vater meine Wünsche respektieren wird, und mich nicht in eine Heirat mit einem Mann geben wird, der nicht meinen Vorstellungen entspricht.“ entgegnete Ayashi und hoffte, damit das Thema zu beenden. „Hast du denn Vorstellungen? Hast du vielleicht sogar schon einen Kandidaten im Auge? Mein Neffe…“ „Karasu, ich danke dir, doch erwartest du allen Ernstes, dass ich deinen Neffen in Betracht ziehe, wenn ich nichts über dich und deine Familie weiß?“ „Ich dachte nur, dass du vielleicht…“ „Wenn du mich entschuldigen willst… Ich möchte ebenfalls Inu-no-taishou-Sama begrüßen.“ fuhr Ayashi ihr mit aufsteigendem Ärger über den Mund. „Er ist bestimmt in einer Angelegenheit hier, die nur Männer etwas angehen.“ warf Karasu ein. Ayashi achtete nicht auf ihre Worte, erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung und ging mit leichtfüßigen, kleinen Schritten über den Hof. Selbst wenn es geschäftliche Gespräche waren, würden beide diese gern unterbrechen, wenn Ayashi Inu-no-taishou begrüßen wollte. Karasu sah ihr missbilligend nach. Ayashi war tausendmal schöner und edler als sie selbst es war, das hatte sie leider bemerken müssen. Wie erst musste ihre Mutter ausgesehen haben, wenn sie diese Schönheit nur zu einem Teil ihrer Tochter weitervererbt hatte? Karasu wandte den Blick auf den Boden, als Ayashi den Gang in einen kleineren Hof betreten hatte. Konnte sie jemals Katagas Wünsche erfüllen und erhalten, was sie begehrte? Ayashi ging nicht direkt zu ihrem Vater und Inu-no-taishou, da sie erst noch Karasus Unverschämtheiten aus ihren Gedanken verbannen wollte. Sie wollte ihrem Vater nicht begegnen, wo gerade seine neue Gefährtin so unverfroren mit ihr gesprochen hatte. Außerdem wollte sie sich umziehen, das Miko-Gewand störte sie und hatte wahrscheinlich auch ihren Vater nicht erfreut. Ayashi suchte schnell ihre Gemächer auf, in denen bereits ihre beiden Dienerinnen Zhu-Lien und Zhang auf sie warteten. „Ayashi-Hime, willkommen zu Hause.“ begrüßten sie ihre Herrin und geleitete Ayashi in ihren Ankleideraum, um ihr beim Wechseln ihrer Gewänder zu helfen.“ „Ich danke Euch. Wie ist es Euch in meiner Abwesenheit ergangen?“ „Ihr habt uns gefehlt, Hime-Sama.“ gestand Zhu-Lien. „Wir waren Karasu-Sama zu Diensten, Hime-Sama.“ meinte Zhang und legte das Miko-Gewand über einen Stuhl, während Zhu-Lien die ersten Untergewänder eines Kimonos bereitlegte. „Seit wann ist sie im Schloss meines Vaters? Es kann nicht viel Zeit nach meiner Abreise vergangen sein.“ „Sie kam vor acht Monaten, Ayashi-Sama. Ihr wart gerade zwanzig Tage unterwegs.“ gab Zhang Auskunft und Zhu-Lien fügte hinzu: „Kataga-Sama wünschte nicht, dass Ihr unterrichtet werdet. Er sagte, Ihr solltet Eure Reise nicht unterbrechen müssen.“ Ayashi nickte und ließ sich die letzten Schlaufen ihres Kimonos binden, ehe ihre Dienerinnen sich an ihre Haare machen wollten. „Nein, danke. Das ist nicht nötig. Ich möchte sie nur locker zusammenbinden.“ wehrte Ayashi, als Zhu-Lien sie kunstvoll hochstecken wollte. „Wie Ihr wünscht, Ayashi-Hime.“ meinte sie und ordnete dann das Haar, um es mit einem blauen Band locker zu binden. Ayashi wechselte noch einige wohlwollende Worte mit ihren Dienerinnen, ehe sie hinaus in den Garten ging und langsam über die verwundenen Wege schlenderte. Die Kieselsteine knisterten unter ihren Schritten und ihr Bewusstsein fasste allmählich, dass sie zu Hause war – egal, ob Karasu unverschämt war oder nicht. Was daraus werden würde, konnte nur die Zeit beantworten. Die wenigen Youkai, die ihr begegneten, begrüßten sie angemessen und höflich zurückhaltend und hießen sie ebenfalls willkommen. Einige von ihnen schienen erleichtert zu sein. Vielleicht waren sie nicht glücklich über Karasu-Samas Aufenthalt im Schloss, doch das würde niemand von ihnen wagen auszusprechen. Ayashis Weg führte sie schließlich zu dem künstlich angelegten See und über die schmale Brücke, in deren Nähe ein Schrein für ihre verstorbene Mutter errichtet worden war. Nachdenklich setzte sie sich auf die Steinbank und griff mit der linken Hand nach einer abgefallenen, verwelkten Blüte. Sie dachte zurück an den verletzten Yaken und ihre Gedanken kehrten unwillkürlich zu Sesshoumaru-Sama zurück, den sie so gerne wiedersehen würde. Ein kühler Luftzug riss sie aus ihren Gedanken und ließ sie aufblicken. Die Bäume um sie herum verloren bereits einige Blätter und waren in den Tagen ihrer Reise auch anderswo schnell kahl geworden. Der Winter schien es in diesem Jahr eilig zu haben. Winter. Ayashi war im Winter geboren, das wusste sie, und jedes Mal, wenn der Winter anbrach und der erste Schnee fiel, sah sie ihren Vater, der mit einer befremdenden Schwere den Schrein ihrer Mutter aufsuchte. Sie wusste nicht genau, was er am Schrein tat, da sie ihn noch niemals begleitet hatte. Wahrscheinlich dachte er nach oder sprach mit Midoriko, sie konnte es nicht sagen. Danach allerdings, war er noch immer zu Ayashi gekommen, hatte sie ihn den Arm genommen und sie auf die Stirn geküsst. Dann hatte er ihr gesagt, dass er sie liebte. Würde er auch in diesem Jahr an dieser Tradition festhalten? Er hatte eine neue Frau an seiner Seite, die sein Kind unter dem Herzen trug. Hatte er deshalb aber ihre Mutter Midoriko in seinem Herzen endgültig sterben lassen? Hatte er sie gehen lassen und mit der Vergangenheit, deren Erinnerung er bisher gepflegt hatte, abgeschlossen? Plötzlich hörte sie, wie der Kies erneut knisterte und sich Schritte näherten, und blickte sich um. Kataga trat neben sie und setzte sich nun zu ihr. „Ist Inu-no-taishou bereits wieder aufgebrochen?“ fragte Ayashi, ohne ihren Vater anzublicken. „Ja, aber er kommt bald wieder. Du brauchst also nicht traurig zu sein, dass du ihn verpasst hast.“ entgegnete Kataga und folgte Ayashis Blick, der auf den Schrein gerichtet war. „Was ist sonst geschehen, während ich unterwegs war?“ fragte sie nach längerem Schweigen. „Komyos Gemahlin hat vor einigen Monaten einen gesunden Sohn geboren. Sein Name ist Higen.“ Komyo war ein angesehener Wolfsyoukai aus dem Ougebirge und sein erster Sohn Kouga war sein direkter Nachfolger. Der vierzehnjährige Kouga hatte also einen Bruder bekommen. Als Kataga bemerkte, dass Ayashi nickte, atmete er tief durch und sah seine Tochter lange an, bevor er leise weitersprach: „Ajisai-Sama ist verstorben.“ Ayashi schloss ihre Augen und schluckte schwer. Dann nickte sie wieder. „Dann sind die Gerüchte also wahr.“ flüsterte sie und blickte ihren Vater an. „Du hast davon gehört?“ fragte er verwundert. „Ich befand mich bereits auf dem Weg hierher, als ich Bauern über Ajisai-Samas Tod spekulieren hörte.“ erklärte Ayashi und sah wieder zum Schrein. Beide Gerüchte hatten sich als wahr erwiesen, doch dass Ajisai-Sama gestorben war, schmerzte sie mehr als die Tatsache, dass Karasu das Kind ihres Vaters erwartete. Wie mochte sich Sesshoumaru-Sama fühlen? Wusste er es überhaupt schon? „Wie ist Ajisai-Sama gestorben? War es… Es war doch kein Verbrechen?“ fragte Ayashi, doch Kataga nickte traurig. Kapitel 24: ------------ „Ayashi, Ajisai-Sama wurde getötet. Sesshoumaru-Sama ist in den Palast seines Vaters zurückgekehrt, als er es erfahren hat. Seine Trauer scheint sehr groß zu sein, doch Inu-no-taishou sagte auch, dass die Wut seinen Sohn ergriffen hat und Sesshoumaru-Sama Vorbereitung für einen Vergeltungsschlag trifft.“ „Sie war seine Mutter.“ entgegnete Ayashi, doch empfand Rache als den falschen Weg, mit dem Verlust umzugehen. „Sie hätte niemals zugelassen, dass das politische Gleichgewicht leichtfertig gefährdet wird.“ „Leichtfertig? Sollte der Mörder einer solchen Youkai-Fürstin nicht die gerechte Strafe erlangen?“ fragte Ayashi und sah ihren Vater prüfend an. „Es waren Menschen, Ayashi.“ sagte Kataga gepresst. „Wie bitte? Wie können Menschen… Weshalb? Und… Ist das sicher?“ stammelte Ayashi, da sie sich das nicht erklären konnte. Ajisai-Sama war keineswegs ungeübt im Umgang mit Waffen gewesen, wenn sie es auch vorgezogen hatte, keine zu benutzen. Ayashi konnte sich nicht vorstellen, dass Menschen die Kraft aufbringen konnten, Ajisai-Sama zu überwältigen. „Es ist sicher, Ayashi, doch die Umstände scheinen etwas komplexer zu sein, als Sesshoumaru-Sama es sehen will. Ajisai-Sama muss durch mehrere Youkai verletzt worden sein. Wer immer es war… er wusste, wer Ajisai-Sama war und welches Verbrechen er beging. Er hat sie nicht getötet, doch schwer verletzt, sodass sie ihre Heimat und ihre Familie im Norden nicht mehr erreicht hat. Sie muss zu geschwächt gewesen sein, um sich in Sicherheit zu bringen. Menschen haben sie gefunden und getötet.“ „Das ist furchtbar.“ flüsterte Ayashi tonlos und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. „Sie war wehrlos und sie… bedeutete keine Gefahr.“ fuhr sie fort und kämpfte mit den Tränen. „Es ist ein großer Verlust für unsere Welt. Sie war eine wunderbare Frau und eine große Herrscherin.“ „Weshalb hat sie Inu-no-taishou damals verlassen?“ fragte Ayashi nach einer Weile. „Das ist lange her, Ayashi. Du weißt ja, dass Ajisai-Samas Familie seit Generationen das Nordland, die Insel Hokkaido, beherrscht. Inu-no-taishou einigte viele kleinere Hundeyoukai-Stämme der Westlichen Länder und dehnte so seinen Herrschaftsbereich von der Insel Kyushu bis über das Hidagebirge zum Dorf Edo aus. Ajisai-Samas Familie sah in Inu-no-taishou den fähigen Verbündeten und Herrscher, der er war, und boten ihm die älteste Tochter als Gemahlin an. Ajisai-Sama fügte sich ihrem Vater und Inu-no-taishou konnte nicht ablehnen, ohne die ehrenwerte Familie zu beleidigen, also heirateten sie und Sesshoumaru kam zur Welt. Kurz darauf plante allerdings Yari, der Gemahl von Ajisai-Samas jüngerer Schwester Yume-Sama, einen Umsturz, der allerdings fehlschlug. Yari wurde gejagt und hat Japan wohl verlassen. Niemand hat ihn je wieder gesehen. Die unschuldige Yume-Sama blieb allein zurück, kümmerte sich aufopferungsvoll um den tödlich verletzten Vater Naminokaze, der schließlich, als sein Ende nahte, nach seiner ältesten Tochter riefen ließ und sie als seine Nachfolgerin einsetzte. Damals warst du noch nicht geboren und selbst Sesshoumaru war noch ein kleiner Junge. Ajisai-Sama folgte dem Ruf, trennte sich von Inu-no-taishou, der sie natürlich gehen ließ, und regierte seitdem das Nordland.“ „Sie erfüllte ihre heilige Pflicht und ließ Gemahl und Sohn hinter sich.“ „Inu-no-taishou und Ajisai-Sama waren aus politischem Kalkül eine Verbindung eingegangen, die beiden kaum etwas bedeutet hatte. Sie brachen sie und gingen getrennte Wege. Ihr Sohn… Nun, wie du sagtest: auch ihn ließ sie hinter sich, was nicht bedeutet, dass sie ihn nicht geliebt hat. Sie hatte keinen Anspruch auf ihn. Du weißt, dass in unserer Gesellschaft die Kinder dem Vater zugesprochen werden – vor allem, wenn es sich um die Nachfolger eines Fürsten handelt. Ajisai-Sama wusste es.“ „Hat sie Sesshoumaru-Sama noch einmal gesehen?“ fragte Ayashi und blickte ihren Vater an. „Das weiß ich nicht, Kind.“ gab Kataga zu und strich seiner Tochter über die Wange. „Ich frage mich, wie es war, die Mutter zu verlieren, obwohl diese noch am Leben war… Und wie es nun ist, da alles endgültig ist.“ murmelte Ayashi. Um zu verhindern, dass ihr Vater ihre aufsteigenden Tränen sah, schloss sie die Augen und lehnte die Stirn gegen seine Schulter. „Was wird er nun tun? Meinst du, seine Wut kommt aus der Liebe zu seiner Mutter, die ihn verlassen hat? Ich kann sie mir nicht anders erklären. Wird er seiner Wut nachgeben und die Menschen suchen, die seiner Mutter das Leben genommen haben? Vater, wird er vielleicht die Youkai suchen, die seine Mutter verwundet haben? Wird er den Ort finden, an dem Ajisai-Samas Blut vergossen wurde, und kann er dadurch ihre Attentäter finden? Weiß er vielleicht bereits, wen er töten will, Vater?“ „Du fragst viel nach Inu-no-taishous Sohn, Ayashi. Ist etwas geschehen?“ Ayashi schüttelte den Kopf und meinte: „Nein, gar nichts.“ antwortete sie, doch sie konnte unmöglich sagen, ob ihr Vater ihr glaubte oder nicht. „Ich mache mir nur Gedanken, weil du vorhin etwas über das politische Gleichgewicht sagtest. Weißt du, wer für Ajisai-Samas Tod verantwortlich ist?“ „Nein, wir sind uns nicht sicher. Deshalb wollen wir auch nichts überstürzten.“ „Wir? Ich nehme an, du sprichst von Inu-no-taishou und dir.“ erwiderte Ayashi und ihr Vater nickte. „Ihr seid euch nicht sicher, doch was ist mit Sesshoumaru?“ Kataga blickte seine Tochter aufmerksam an und bewunderte ihren wachen Verstand. Sie lag richtig, wenn sie bei dieser Sache die Ansichten des Vaters und den Sohnes getrennt betrachtete. Sein Blick ruhte schweigend auf Ayashi und bemerkte noch etwas anderes außer ihrer Unruhe über die Konsequenzen möglicher Handlungen. Sie hatte ihm zwar versichert, dass nichts vorgefallen war, und ihr Interesse lediglich den politischen Entwicklungen galt, doch die Art, mit der sie Sesshoumaru-Samas Namen aussprach, gefiel ihm nicht und weckte ein ungutes Gefühl in ihm. „Sesshoumaru-Sama verdächtigt einige Katzenyoukai, doch das sind alles nur Vermutungen. Inu-no-taishou wird seinen Sohn zurückhalten, bis die anfängliche rasende Wut dem ersten betäubenden Schmerz der Trauer gewichen ist, und die Klarsicht in seinem Herzen einzieht. Dann wird er zuhören und vernünftig handeln können.“ Katzenyoukai. Ayashi schloss die Augen. Sie war einigen Katzenyoukai begegnet, doch die hatten von einer Schlacht gesprochen. Konnten sie… Und konnte Sesshoumaru Recht haben? War er ihnen vor ein paar Tagen schon auf den Fersen gewesen und hatte er es deshalb so eilig gehabt? „Keine Sorge. Es wird zu keinem Krieg kommen – wahrscheinlich nicht einmal zu einer Auseinandersetzung.“ meinte Kataga, doch Ayashi hörte ihm nicht zu. Sie war mit ihren Gedanken bei Ajisai-Sama und der Tatsache, dass sie eine große Herrscherin gewesen war, die die Nachfolge ihres Vaters angetreten hatte, da es ihre Pflicht gewesen war. Ayashi war sich sicher, dass sie auch an Inu-no-taishous Seite als große Herrscherin und weise Frau geachtet und berühmt worden wäre. „Kannst du dir Karasu als eine gute Herrin vorstellen?“ fragte Ayashi unvermittelt und blickte ihren Vater offen an. „Magst du sie?“ antwortete er mit einer Gegenfrage, die Ayashi bei der Beantwortung ihrer Frage nicht im Geringsten weiterhalf. „Das ist nicht gerecht.“ beschwerte sie sich und meinte dann: „Sie schmiedet bereits Hochzeitspläne für mich – zumindest kam es mir so vor.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen. Karasu scheint mir sehr diskret und korrekt zu sein, Ayashi.“ „Sie hat mir von ihrem Neffen vorgeschwärmt, Vater. Ich möchte nicht, dass sie sich in mein Leben einmischt. Dieses Recht hast nur du, verstehst du?“ „Ayashi…“ begann er, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Ich möchte das nicht, Vater. Sie ist nicht meine Mutter und ich werde sie niemals als Mutter betrachten. Sie kann sie nicht ersetzen und inzwischen bin ich alt genug und brauche keine Mutter mehr.“ unterbrach sie ihn. Ihre Worte hatten Kataga verletzt. Kummer stand ihm ins Gesicht geschrieben und seine Augen wanderten in die Ferne. „Es tut mir leid, Vater. Ich erwarte doch nicht, dass du alleine bleibst. Ich wünsche mir doch, dass du glücklich bist.“ ergriff Ayashi wieder das Wort und suchte den Blick ihres Vaters, der schließlich nickte. „Niemand wird deine Mutter jemals ersetzen können – auch in meinem Herzen besitzt sie ihren Platz, den ich niemals einer anderen Frau schenken werde.“ gestand Kataga und legte Ayashi einen Arm um die schmalen Schultern. Ayashi hielt die Tränen zurück und presste ihren Kopf gegen seine Schulter. „Ich bin froh, dass du so offen mit mir bist, Vater.“ „Du bist das Wichtigste in meinem Leben, Ayashi. Die Monate, in denen du nicht hier warst, waren sehr einsam für mich.“ „Ich habe dich auch vermisst, Vater.“ entgegnete Ayashi und lächelte. Dann schwiegen sie und sahen sich gemeinsam die schnell hereinbrechende Dämmerung an. Kapitel 25: ------------ Karasu, die sich bis zu ihrer Niederkunft bemüht hatte, in Ayashi eine Gesellschafterin zu finden, brachte nach drei Monaten ein gesundes Mädchen zur Welt, welches Ayame genannt wurde. Kataga war glücklich über die Geburt seiner zweiten Tochter, doch Karasu sehr verstimmt darüber, dass sie keinen Sohn geboren hatte. Dabei hatte sie doch Kataga darum bitten wollen, ihren gemeinsamen Sohn als Erben einzusetzen und Ayashi mit einem der Fürstensöhne zu verheiraten, die eh alle ein Auge auf die ältere Schwester geworfen hatten. „Es bleibt bei meinem Entschluss, Karasu. Ayashi bleibt meine Erbin und wird meinen Platz einnehmen, sobald ich aus dieser Welt scheide. Ayame, die ich nicht weniger liebe, aber nun einmal die Zweitgeborene ist, wird in ein paar Jahren zu Katsumoto geschickt, um dort erzogen zu werden. Mein Bruder hat weder eine Gemahlin noch einen Nachfolger. Er hat bereits freudig zugesagt, sie als seine Erbin aufzunehmen und zu erziehen.“ „Und wenn ich dir einen Sohn geboren hätte?“ fragte Karasu. „Wenn ich dir noch einen Sohn gebäre?“ „So müssten wir uns Gedanken um einen anderen Namen machen, doch an meiner Entscheidung änderte sich nichts.“ „Du bist undankbar!“ rief Karasu aufgebracht, doch noch geschwächt von der Geburt. „Ich verzeihe dir deinen Ton, Karasu. Der Zustand nach einer Geburt mag sicher nicht einfach sein. Du sollest dich noch schonen, doch rede nie wieder auf diese Art und Weise mit mir!“ herrschte Kataga sie an und verließ ihre Gemächer. Karasu blieb mit der kleinen Ayame allein zurück, die bald begann zu weinen, ohne dass es ihre Mutter kümmerte. Sie ließ sie schreien und kreiste nur um ihre eigene Enttäuschung. Karasu wies ab jenem Tag ihre eigene Tochter vehement von sich, sodass Ayashi noch am selben Abend ihren Vater aufsuchte. „Die Dienerinnen haben mich davon unterrichtet, dass Karasu Ayame von sich weist. Ich habe versucht, mit ihr zu sprechen, doch ohne Erfolg.“ meinte sie und trat um den Schreibtisch herum, an dem Kataga einige Unterlagen durchsah. „Was tut sie?“ fragte Kataga und sah erschrocken auf. „Sie weigert sich Ayame zu stillen oder auch nur auf den Arm zu nehmen, wenn sie weint. Die Dienerinnen kümmern sich dann um die Kleine. Ich fürchte fast, dass Karasu Ayame in ihrer Sturheit sogar verhungern lassen könnte.“ antwortete Ayashi mit bebender Stimme. Kataga schlug mit der Hand auf den Tisch, dass die Teeschale klirrte und einige Schreibutensilien von ihrem Platz rutschten, und eilte aus dem Raum. „Das darf doch nicht wahr sein!“ hörte Ayashi ihren Vater noch schimpfen, als er zu Karasus Gemächern eilte. Wenig später ertönte Katagas laute und verärgerte Stimme, die mit scharfen Worten auf Karasu einprasselte. Ayashi fiel auf, dass ihr Vater niemals mit ihr geschimpft hatte. Kurze Zeit später hörte sie einen Säugling weinen und eilte ihrem Vater in das Zimmer hinterher. Ayame musste das nicht hautnah miterleben, wie sie fand. „Wer glaubst du, wer du bist? Es war von Anfang an klar, dass du niemals den Platz meiner Frau einnehmen würdest! Ich habe dich nicht geheiratet, wie du wohl bemerkt hast! Jetzt biete ich deinem Kind mehr als ihm eigentlich zusteht – die sichere Nachfolge über die Südlichen Berge – und es ist dir nicht genug!“ tobte Kataga und packte Karasu, die inzwischen in einem Stuhl saß, an den Schultern. Ayame brüllte aus vollen Kräften, sodass Ayashi sofort zur Wiege eilte, als sie das Zimmer lautlos betrat. Sie sah die Diener draußen vorbeihuschen und angsterfüllte Blicke durch die aufgeschobene Tür werfen. Ihr Vater wurde respektiert und auch gefürchtet, aber niemals hatte er dazu seine Stimme erheben müssen. Seine Autorität begründete sich in seiner Ausstrahlung und seiner ruhigen Kraft, seiner Besonnenheit und der Gerechtigkeit, mit der er allen begegnete. Nun lieferte er ihnen ein Bild, das sie nicht von ihm kannten. „Vater…“ begann Ayashi sanft und hatte damit sofort die Aufmerksamkeit ihres Vaters erlangt, der verstummte und zu ihr blickte. „Ich nehme Ayame mit mir nach draußen.“ fuhr sie fort, wickelte die kleine Ayame in eine weiche Decke und nahm sie auf den Arm, um das Zimmer zum Garten hin zu verlassen. Sie schob die Türe auf und blickte beim Schließen der Tür noch einmal zu ihrem Vater, der ihren versteckten Hinweis verstanden hatte, denn gleich danach hörte sie nur noch seine ruhige und sachliche Stimme, die deshalb aber nicht weniger erbost war. Ayashi machte sich mit Ayame auf den Weg in der Garten, wiegte sie sachte auf ihrem Arm und hielt die Neugeborenene nahe an ihren Körper, um sie zusätzlich zu der Decke noch zu wärmen. Nach einer kurzen Weile hatte sich die Kleine wieder beruhigt und von ihrem Schreck erholt. Sie schlief nun wieder friedlich auf Ayashis Armen und atmete ruhig und regelmäßig. Ayashi fragte sich, was ihr Vater nun zu Karasu sagen würde, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass es angenehm für sie war. Was war das für ein Verhältnis, das er zu dieser Frau unterhielt? War es überhaupt eines? Ayashi zweifelte daran. Ihr Blick fiel auf ihre kleine Halbschwester und ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie war wirklich zu niedlich, wenn sie schlief! Wie konnte eine Mutter nur ihr Kind behandeln als sei es ihr völlig gleichgültig? Hatte sie vielleicht versucht, mit Hilfe dieses Kindes ihre Position bei Kataga zu stärken? Ging es ihr um Macht? Ayashi schüttelte den Kopf und sog die kühle Nachtluft in sich ein. Die arme kleine Ayame würde es wohl schwer haben mit so einer Mutter, vermutete Ayashi. „Ayashi-Hime?“ Ayashi wandte sich um und erblickte Yaken, der ihr scheinbar in den Garten gefolgt war. „Was machst du hier, Yaken? Inu-no-taishou war schon längere Zeit nicht mehr hier.“ entgegnete Ayashi und blickte zum Rand des Gartens, ob sie irgendwo Sesshoumaru erblickte. „Sesshoumaru-Sama, mein erhabener Herr, hat mich beteten, eine Audienz bei Eurem ehrenwerten Vater, Kataga-Sama zu erbitten.“ meinte er Krötendämon, der wieder völlig gesund zu sein schien. „Das ist im Moment eher schlecht, Yaken.“ gab Ayashi Auskunft und setzte ihren Weg langsam fort, damit er ihr folgen konnte. „Ich muss sagen, es hat Nachteile, mit Sesshoumaru-Sama immer auf Reisen zu sein.“ „Ja?“ fragte Ayashi und blickte Yaken wieder an, der sie ungläubig anstarrte. „Was ist denn?“ fragte sie ihn und schüttelte verständnislos den Kopf. „Ihr habt ein Kind auf dem Arm, Ayashi-Hime.“ brachte der Krötendämon heraus und machte sich bereits auf eine Maßregelung gefasst, dass ihn das nichts anginge. Stattdessen lächelte die Prinzessin vor ihm und beugte sich zu ihm hinunter, dass er das Kind sehen konnte. „Ist sie nicht bezaubernd?“ fragte sie und strich ihrer kleinen Schwester über das kleine Köpfchen. „Ja, wirklich bezaubernd.“ stimmte Yaken zu und betrachtete das kleine Kind, das im Schlaf an seinem Daumen nuckelte. „Äußerst liebreizend.“ fügte er hinzu. Ayashi nickte und richtete sich wieder auf. „Was sind die Nachteile, von denen du gesprochen hast, Yaken? Behandelt dich Sesshoumaru-Sama schlecht?“ wollte Ayashi wissen, da sie sich an diesen einen Abend vor einigen Monaten nur allzu gut erinnerte. „Oh, nein, Hime-Sama! Das würde ich mir niemals erlauben zu sagen. Es ist nur… Wenn ich mit Sesshoumaru-Sama, meinem guten Herrn, unterwegs bin, erfahre ich so selten die wirklich wichtigen Neuigkeiten.“ erklärte er. Ayashi nickte und blickte zurück auf die erleuchteten Türen, hinter denen sich Karasus Gemächer befanden. „Yaken, wie geht es ihm?“ „Wem, Hime-Sama?“ „Sesshoumaru-Sama.“ hauchte Ayashi seinen Namen. Sie hatte ihn so lange nicht mehr ausgesprochen – an jenem Tag im Herbst zum letzten Mal. Wie ihr Vater versprochen hatte, war es zu keinen Auseinandersetzungen gekommen. Sesshoumaru hatte nichts unternehmen können, da sein Vater Inu-no-taishou ihm mit einem gestärkten Vertrag mit den Katzenyoukai zuvorgekommen war. War Sesshoumaru so um seine gerechte Rache gebracht worden? Wusste Inu-no-taishou selbst von der Schuld der Katzenyoukai und meinte nur, es sei klüger, ein direktes Kräftemessen zu vermeiden? „Ich hörte mit Bedauern, dass Ajisai-Sama verstorben ist.“ fügte Ayashi hinzu und Yaken seufzte. „Ja, das ist wahr… Die gute Herrin Ajisai-Sama. Sesshoumaru-Sama lässt sich seinen Schmerz nicht mehr anmerken, doch ich bemerke natürlich, dass seine Trauer sehr groß ist und sehr tief sitzt.“ „Natürlich.“ „Verzeiht, Hime-Sama, doch ich muss nun den Auftrag meines Herrn erfüllen und Kataga-Sama um eine Audienz ersuchen. Es ist sehr wichtig.“ Ayashi nickte. Sie konnte sich denken, dass es wichtig war, wenn Sesshoumaru sich an ihren Vater wandte. Vielleicht wusste nicht einmal Inu-no-taishou davon, denn sonst hätte er wohl ein mögliches Zusammentreffen zwischen seinem Sohn und Ayashi bereits verhindert. „Wie gesagt: es ist nicht der beste Moment, doch lasse dich zu ihm bringen. Ich bin mir sicher, er gewährt dir eine kurze Unterredung.“ entgegnete Ayashi, als sie Zhu-Lien und Zhang unter dem Vordach erblickte, die scheinbar auf sie warteten. Kapitel 26: ------------ Nach einem kurzen Abschied ging Ayashi mit Ayame, die langsam wieder aufwachte, auf dem Arm ihren Dienerinnen entgegen und betrat mit ihnen ihre Gemächer. „Euer Vater bittet Euch, Euch in der nächsten Zeit um Ayame-Hime zu kümmern, bis er eine andere Lösung gefunden hat, Ayashi-Hime.“ „Das ist selbstverständlich. Lasst ihre Sachen und ihre Wiege in mein Schlafgemach bringen und beauftragt den Koch, ihr noch einmal Milch zu erwärmen.“ „Ich wusste, dass Ihr das Herz Eurer Mutter habt.“ meinte Zhu-Lien, die ältere ihrer beiden Dienerinnen, die Midoriko noch gekannt hatte, und verließ dann mit Zhang das Gemach, um die Wünsche ihrer Herrin zu erfüllen. Ayashi wiegte Ayame solange auf ihren Armen und ging in ihrem Zimmer auf und ab. „Ich kümmere um dich, meine Kleine.“ flüsterte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Diener traten lautlos in das Gemach und brachten die Sachen, die Ayashi geordert hatte. Zhu-Lien brachte warme Milch und überließ es Ayashi, ihre Schwester zu versorgen, da sie es so wünschte. Sachte wiege Ayashi den Säugling und gab ihm die warme Milch, die Ayame gierig hinuntertrank. Als sie ausgetrunken hatte, stellte Ayashi das Fläschchen weg und richtete Ayame zum Schlafen, ehe sie sie vorsichtig in die Wiege legte, liebevoll zudeckte und behutsam in den Schlaf wiegte. „Ich werde mein Bestes tun, Ayame Hinomaho. Das verspreche ich dir.“ flüsterte Ayashi und küsste das kleine Händchen ihrer Schwester, Ayame Hinomaho, wobei Hinomaho ‚Feuerzauber’ bedeutete. Innerhalb der nächsten Tage verließ Karasu ohne ein Wort den Palast und Kataga suchte das Gespräch mit seiner ältesten Tochter. Er fand sie in ihren Gemächern bei Ayames Wiege sitzen und an einem Tuch sticken, das sie schon lange begonnen, aber niemals beendet hatte. „Es ist seltsam, dich so zu sehen, aber ich muss gestehen, dass es mir gefällt.“ meinte Kataga und küsste Ayashi auf die Stirn. „Es ist die einzige Arbeit, die ich tun kann, ohne sie aufzuwecken.“ lächelte Ayashi und wob den Faden wieder in das Tuch. „Du solltest dich nicht an diesen Anblick gewöhnen.“ fügte sie hinzu, als sich ihr Vater gegenüber von ihr setzte und sie musterte. „Ich bin stolz auf dich, mein Kind.“ „Weshalb?“ fragte Ayashi verwundert, da sie sich keiner besonderen Tat bewusst war. „Du musst nichts Besonderes tun, um mich mit Stolz zu erfüllen, Ayashi. Du brauchst nur hier zu sitzen und auf Ayame zu achten – das genügt bereits.“ entgegnete Kataga, selbst etwas verwundert. „Was wird nun aus ihr? Ich hörte, Karasu ist gegangen.“ fragte Ayashi und blickte in Ayames Wiege. „Ich habe Karasu fortgeschickt. Sie wird nicht wagen, Ayame für sich zu beanspruchen. Wenn ich sie richtig verstanden habe, will sie das auch nicht.“ „Wenn es dir recht ist, werde ich mich um sie kümmern. Immerhin ist sie meine Schwester.“ „Sie ist deine Halbschwester.“ „Nun gut, aber sie ist deine Tochter und, wenn mir das nicht genug wäre, dann muss ich zugeben, dass ich sie bereits ins Herz geschlossen habe.“ meinte Ayashi und Kataga lächelte. „Du hast vorhin gesagt, du seist stolz auf mich. Du wirst sehen, dass du eines Tages auch stolz auch Ayame sein wirst.“ Kataga blickte in Ayames Wiege und strich ihr mit zwei Fingern die Wange entlang. „Da bin ich mir sicher, Ayashi.“ sagte er, nahm Ayame zärtlich auf den Arm und küsste sie dann auf die Stirn, ehe er sie wieder zurück in ihre Wiege legte. Die Kleine war nicht einmal aufgewacht, sondern steckte einfach nur den Daumen in den Mund. Kataga schüttelte liebevoll den Kopf, küsste dann seine Älteste auf die Stirn und wandte sich um. „Wohin gehst du?“ fragte Ayashi und sah ihm nach. „Ich besuche deine Mutter.“ entgegnete er und verließ sie. Ayashi sah nach draußen, als er die Tür aufschob, und bemerkte, dass der erste Schnee vom Himmel fiel und den Garten schon unter eine leichte, weiße Decke gelegt hatte. Es war endlich Winter geworden und Ayashi war froh, dass sich nichts geändert hatte. Ayame war bald zu einem übermütigen Youkai-Mädchen herangewachsen und nötigte Ayashi nun immer öfter, mit ihr durch die Wälder und Täler zu streifen, die den Palast des Vaters umgaben. Ayashi brachte ihr bei, was sie wusste, und auch Katsumoto war in dieser Zeit wieder öfters bei seinem Bruder zu Gast, damit Ayame ihn schon einmal kennen lernen konnte. Ayashi gefiel der Gedanke nun nicht mehr, dass sie ihre Schwester bald gehen lassen musste, doch sie würde in den Bergen bei Katsumoto sicher genauso ausgelassen durch die Wildnis streifen können – vielleicht noch ausgiebiger als sie es hier auf Kyushu konnte. Ayashi allerdings hatte mit Ayame nach langer Zeit wieder das Gefühl, richtig frei zu sein und sah dem Mädchen gern zu, wie es seine ersten Übungen im Schwertkampf unter Katsumotos Anleitung unternahm. Kataga beobachtete seine Töchter mit Wohlwollen – die vergangenen Unannehmlichkeiten mit Ayames Mutter wurde durch Ayames Wesen gänzlich überspielt. Ayame war fröhlich und ein kleiner Wirbelwind. Sie hatte das rotbraune Haar ihrer Mutter, doch seine grünen Augen. Heute wollte er mit Katsumoto sprechen, damit er sie bald mit sich nahm. Obwohl ihm und ihr, und - wie es wusste - auch Ayashi der Abschied schwer fallen würde, wusste er, dass es an der Zeit war, dass sie ihr zukünftiges Herrschaftsgebiet als ihre Heimat kennen lernte. Am Abend saß die Familie bei einem leichten Nachtmahl zusammen und Kataga lenkte das Gespräch in die Richtung von Ayames Aufbruch zu Katsumoto. „Ich denke, Ayame ist bereit. Was meint ihr?“ fragte Kataga und blickte erst zu seinem jüngeren Bruder Katsumoto, dann zu Ayashi. „Sie ist auf jeden Fall alt genug.“ antwortete Katsumoto und Ayashi nickte. „Ja, sie ist alt genug. Ich sehe auch keinen Grund, warum sie nicht mit Katsumoto gehen sollte.“ meinte Ayashi und nickte. Kataga musterte seine älteste Tochter ausgiebig, dann wanderte sein Blick zu Ayame, die dem Gespräch aufmerksam folgte. Sie wusste, was besprochen wurde, und hatte noch niemals geäußert, dass es ihn nicht gefiel, Fukuoka zu verlassen. „Ayame, möchtest du immer noch mit Katsumoto mitgehen, um bei ihm zu leben?“ fragte Ayashi, die sicher gehen wollte. „Ja, das wird sicher lustig.“ meinte Ayame und grinste bis über beide Ohren. „Katsumoto hat mir von vielen jungen Youkai erzählt, die dort leben.“ Ayashi nickte und blickte zu Katsumoto. Um Katsumoto herum lebten tatsächlich einige Youkai mit Kindern oder auch Waisen, die dort bei Familien untergekommen waren. Ayame würde mit Gleichaltrigen aufwachsen und lernen. „Das ist wahr, Ayame. Darauf freust du dich bestimmt sehr.“ ergriff Ayashi wieder das Wort und sah zu ihrem Vater und zu ihrem Onkel, die die Schwestern betrachteten. „Es fällt mir schwer, sie gehen zu lassen, aber du brichst morgen wieder auf, Katsumoto. Würde es dir Umstände bereiten, Ayame schon morgen zu dir zu nehmen?“ „Natürlich nicht.“ „Morgen schon?“ fragte Ayashi und schüttelte den Kopf. „Warum nicht, Ayashi?“ fragte Ayame und blickte ihre große Schwester verwundert an. „Geht dir das nicht zu schnell?“ „Nein, wieso denn? Ich freue mich auf die Reise.“ meinte Ayame ehrlich. „Gut… Wie du willst.“ entgegnete Ayashi und nickte. Es gefiel ihr nicht. Es gefiel ihr gar nicht. Ayashi zwang sich zu einem Lächeln und nickte wieder. „Ayashi, warum begleitest du uns nicht? Du könntest in Kochi bleiben, bis Ayame sich eingelebt hat.“ schlug Katsumoto vor und warf seinen Bruder einen auffordernden Blick zu. „Ja, wieso nicht? Möchtest du, Ayashi? Ich kann mir vorstellen, dass du Ayame nicht so einfach gehen lassen möchtest, nachdem du sie die letzten vier Jahre um sie gekümmert hast.“ schloss sich Kataga an und Ayashi nickte. „Natürlich. Das würde ich sehr gern.“ stimmte Ayashi zu und umarmte ihre kleine Schwester. „Sollen wir gleich sehen, dass wir unsere Sachen packen?“ Ayame sprang auf und rannte zur Tür. „Komm’ endlich!“ rief sie ihrer Schwester zu und verschwand im Gang. Ayashi schüttelte den Kopf und erhob sich, um ihr in ihre Gemächer zu folgen. Kapitel 27: ------------ Nach einem kurzen Abschied ging Ayashi mit Ayame, die langsam wieder aufwachte, auf dem Arm ihren Dienerinnen entgegen und betrat mit ihnen ihre Gemächer. „Euer Vater bittet Euch, Euch in der nächsten Zeit um Ayame-Hime zu kümmern, bis er eine andere Lösung gefunden hat, Ayashi-Hime.“ „Das ist selbstverständlich. Lasst ihre Sachen und ihre Wiege in mein Schlafgemach bringen und beauftragt den Koch, ihr noch einmal Milch zu erwärmen.“ „Ich wusste, dass Ihr das Herz Eurer Mutter habt.“ meinte Zhu-Lien, die ältere ihrer beiden Dienerinnen, die Midoriko noch gekannt hatte, und verließ dann mit Zhang das Gemach, um die Wünsche ihrer Herrin zu erfüllen. Ayashi wiegte Ayame solange auf ihren Armen und ging in ihrem Zimmer auf und ab. „Ich kümmere um dich, meine Kleine.“ flüsterte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Diener traten lautlos in das Gemach und brachten die Sachen, die Ayashi geordert hatte. Zhu-Lien brachte warme Milch und überließ es Ayashi, ihre Schwester zu versorgen, da sie es so wünschte. Sachte wiege Ayashi den Säugling und gab ihm die warme Milch, die Ayame gierig hinuntertrank. Als sie ausgetrunken hatte, stellte Ayashi das Fläschchen weg und richtete Ayame zum Schlafen, ehe sie sie vorsichtig in die Wiege legte, liebevoll zudeckte und behutsam in den Schlaf wiegte. „Ich werde mein Bestes tun, Ayame Hinomaho. Das verspreche ich dir.“ flüsterte Ayashi und küsste das kleine Händchen ihrer Schwester, Ayame Hinomaho, wobei Hinomaho ‚Feuerzauber’ bedeutete. Innerhalb der nächsten Tage verließ Karasu ohne ein Wort den Palast und Kataga suchte das Gespräch mit seiner ältesten Tochter. Er fand sie in ihren Gemächern bei Ayames Wiege sitzen und an einem Tuch sticken, das sie schon lange begonnen, aber niemals beendet hatte. „Es ist seltsam, dich so zu sehen, aber ich muss gestehen, dass es mir gefällt.“ meinte Kataga und küsste Ayashi auf die Stirn. „Es ist die einzige Arbeit, die ich tun kann, ohne sie aufzuwecken.“ lächelte Ayashi und wob den Faden wieder in das Tuch. „Du solltest dich nicht an diesen Anblick gewöhnen.“ fügte sie hinzu, als sich ihr Vater gegenüber von ihr setzte und sie musterte. „Ich bin stolz auf dich, mein Kind.“ „Weshalb?“ fragte Ayashi verwundert, da sie sich keiner besonderen Tat bewusst war. „Du musst nichts Besonderes tun, um mich mit Stolz zu erfüllen, Ayashi. Du brauchst nur hier zu sitzen und auf Ayame zu achten – das genügt bereits.“ entgegnete Kataga, selbst etwas verwundert. „Was wird nun aus ihr? Ich hörte, Karasu ist gegangen.“ fragte Ayashi und blickte in Ayames Wiege. „Ich habe Karasu fortgeschickt. Sie wird nicht wagen, Ayame für sich zu beanspruchen. Wenn ich sie richtig verstanden habe, will sie das auch nicht.“ „Wenn es dir recht ist, werde ich mich um sie kümmern. Immerhin ist sie meine Schwester.“ „Sie ist deine Halbschwester.“ „Nun gut, aber sie ist deine Tochter und, wenn mir das nicht genug wäre, dann muss ich zugeben, dass ich sie bereits ins Herz geschlossen habe.“ meinte Ayashi und Kataga lächelte. „Du hast vorhin gesagt, du seist stolz auf mich. Du wirst sehen, dass du eines Tages auch stolz auch Ayame sein wirst.“ Kataga blickte in Ayames Wiege und strich ihr mit zwei Fingern die Wange entlang. „Da bin ich mir sicher, Ayashi.“ sagte er, nahm Ayame zärtlich auf den Arm und küsste sie dann auf die Stirn, ehe er sie wieder zurück in ihre Wiege legte. Die Kleine war nicht einmal aufgewacht, sondern steckte einfach nur den Daumen in den Mund. Kataga schüttelte liebevoll den Kopf, küsste dann seine Älteste auf die Stirn und wandte sich um. „Wohin gehst du?“ fragte Ayashi und sah ihm nach. „Ich besuche deine Mutter.“ entgegnete er und verließ sie. Ayashi sah nach draußen, als er die Tür aufschob, und bemerkte, dass der erste Schnee vom Himmel fiel und den Garten schon unter eine leichte, weiße Decke gelegt hatte. Es war endlich Winter geworden und Ayashi war froh, dass sich nichts geändert hatte. Ayame war bald zu einem übermütigen Youkai-Mädchen herangewachsen und nötigte Ayashi nun immer öfter, mit ihr durch die Wälder und Täler zu streifen, die den Palast des Vaters umgaben. Ayashi brachte ihr bei, was sie wusste, und auch Katsumoto war in dieser Zeit wieder öfters bei seinem Bruder zu Gast, damit Ayame ihn schon einmal kennen lernen konnte. Ayashi gefiel der Gedanke nun nicht mehr, dass sie ihre Schwester bald gehen lassen musste, doch sie würde in den Bergen bei Katsumoto sicher genauso ausgelassen durch die Wildnis streifen können – vielleicht noch ausgiebiger als sie es hier auf Kyushu konnte. Ayashi allerdings hatte mit Ayame nach langer Zeit wieder das Gefühl, richtig frei zu sein und sah dem Mädchen gern zu, wie es seine ersten Übungen im Schwertkampf unter Katsumotos Anleitung unternahm. Kataga beobachtete seine Töchter mit Wohlwollen – die vergangenen Unannehmlichkeiten mit Ayames Mutter wurde durch Ayames Wesen gänzlich überspielt. Ayame war fröhlich und ein kleiner Wirbelwind. Sie hatte das rotbraune Haar ihrer Mutter, doch seine grünen Augen. Heute wollte er mit Katsumoto sprechen, damit er sie bald mit sich nahm. Obwohl ihm und ihr, und - wie es wusste - auch Ayashi der Abschied schwer fallen würde, wusste er, dass es an der Zeit war, dass sie ihr zukünftiges Herrschaftsgebiet als ihre Heimat kennen lernte. Am Abend saß die Familie bei einem leichten Nachtmahl zusammen und Kataga lenkte das Gespräch in die Richtung von Ayames Aufbruch zu Katsumoto. „Ich denke, Ayame ist bereit. Was meint ihr?“ fragte Kataga und blickte erst zu seinem jüngeren Bruder Katsumoto, dann zu Ayashi. „Sie ist auf jeden Fall alt genug.“ antwortete Katsumoto und Ayashi nickte. „Ja, sie ist alt genug. Ich sehe auch keinen Grund, warum sie nicht mit Katsumoto gehen sollte.“ meinte Ayashi und nickte. Kataga musterte seine älteste Tochter ausgiebig, dann wanderte sein Blick zu Ayame, die dem Gespräch aufmerksam folgte. Sie wusste, was besprochen wurde, und hatte noch niemals geäußert, dass es ihn nicht gefiel, Fukuoka zu verlassen. „Ayame, möchtest du immer noch mit Katsumoto mitgehen, um bei ihm zu leben?“ fragte Ayashi, die sicher gehen wollte. „Ja, das wird sicher lustig.“ meinte Ayame und grinste bis über beide Ohren. „Katsumoto hat mir von vielen jungen Youkai erzählt, die dort leben.“ Ayashi nickte und blickte zu Katsumoto. Um Katsumoto herum lebten tatsächlich einige Youkai mit Kindern oder auch Waisen, die dort bei Familien untergekommen waren. Ayame würde mit Gleichaltrigen aufwachsen und lernen. „Das ist wahr, Ayame. Darauf freust du dich bestimmt sehr.“ ergriff Ayashi wieder das Wort und sah zu ihrem Vater und zu ihrem Onkel, die die Schwestern betrachteten. „Es fällt mir schwer, sie gehen zu lassen, aber du brichst morgen wieder auf, Katsumoto. Würde es dir Umstände bereiten, Ayame schon morgen zu dir zu nehmen?“ „Natürlich nicht.“ „Morgen schon?“ fragte Ayashi und schüttelte den Kopf. „Warum nicht, Ayashi?“ fragte Ayame und blickte ihre große Schwester verwundert an. „Geht dir das nicht zu schnell?“ „Nein, wieso denn? Ich freue mich auf die Reise.“ meinte Ayame ehrlich. „Gut… Wie du willst.“ entgegnete Ayashi und nickte. Es gefiel ihr nicht. Es gefiel ihr gar nicht. Ayashi zwang sich zu einem Lächeln und nickte wieder. „Ayashi, warum begleitest du uns nicht? Du könntest in Kochi bleiben, bis Ayame sich eingelebt hat.“ schlug Katsumoto vor und warf seinen Bruder einen auffordernden Blick zu. „Ja, wieso nicht? Möchtest du, Ayashi? Ich kann mir vorstellen, dass du Ayame nicht so einfach gehen lassen möchtest, nachdem du sie die letzten vier Jahre um sie gekümmert hast.“ schloss sich Kataga an und Ayashi nickte. „Natürlich. Das würde ich sehr gern.“ stimmte Ayashi zu und umarmte ihre kleine Schwester. „Sollen wir gleich sehen, dass wir unsere Sachen packen?“ Ayame sprang auf und rannte zur Tür. „Komm’ endlich!“ rief sie ihrer Schwester zu und verschwand im Gang. Ayashi schüttelte den Kopf und erhob sich, um ihr in ihre Gemächer zu folgen. Kapitel 28: ------------ Die Dienerinnen waren schnell über die baldige Abreise informiert und taten in der Eile ihr Bestes. Ayashi brachte Ayame gleich ins Bett, damit sie sich wenigstens noch etwas schlief, bevor die Reise begann. Ihre Sachen konnten die Dienerinnen auch alleine richten. Dann kehrte Ayashi in ihre eigenen Gemächer zurück und gesellte sich zu ihren Dienerinnen. „Kaum seid Ihr wieder da, reist Ihr auch schon wieder ab, Ayashi-Sama.“ meinte Zhu-Lien, als Zhang kurz den Raum verlassen hatte. „Ich war vier Jahre zu Hause, Zhu-Lien!“ lachte Ayashi und entschied, das meiste ihrer Sachen in Fukuoka zu lassen. Ayashi hatte ihre Dienerinnen – vor allem Zhu-Lien – nie mit großer Strenge behandelt, um zu erreichen, was sie von ihnen wollte. Das ein oder andere freie Wort ließ sie sich gefallen. Wenn es nach ihrem Vater ging, ließ sie ihren chinesischen Dienerinnen eindeutig zu viel durchgehen, doch sie konnte nicht anders. Zhu-Lien und Zhang waren so bewundernswerte Persönlichkeiten und sie wollte nicht vergessen, dass auch sie Youkai waren, die aus angesehenen Familie stammten und es als Ehre ansahen, ihr, Ayashi, dienen zu dürfen. „Nun, es ist für eine Hime wie Ihr eine seid, doch schon recht ungewöhnlich, dass Ihr Euch überhaupt auf Reisen begebt und scheinbar das Abenteuer sucht.“ „Ich frage mich, was ich denn sonst den ganzen Tag machen sollte. Womit sollte ich mir die Zeit vertreiben? Handarbeiten und Spaziergänge im Garten? Das reicht mir einfach nicht.“ „Ganz offensichtlich schlagt Ihr auch ein wenig nach Eurer verehrten Mutter.“ Ayashi dachte nach und nickte schließlich zaghaft, auch wenn sie den Freiheitsdrang eher auf ihre Wolfsyoukai-Natur zurückführte. Sie hatte noch nie sonderlich darauf geachtet, aber die Youkai, die am Hof oder in der Umgebung wohnten, oder der Familie nahe standen, akzeptierten, dass ihre Mutter eine Sterbliche gewesen war. Viele von ihnen betrachtete sie gar nicht als Menschen, sondern einfach als die verstorbene Frau des Youkai-Fürsten. Während Ayashi ihre restlichen Sachen in ein Bündel packe, fiel ihr Blick in den Spiegel. Ihr schwarzes, langes Haar, ihre geschmeidigen Bewegungen und ihr anmutiger Körper – sie konnte keinen Makel erkennen. Sie hatte zwar keine Zeichen im Gesicht, wie zum Beispiel Inu-no-taishous Sohn Sesshoumaru-Sama das Zeichen einer Mondsichel auf der Stirn trug, doch sie sah aus wie eine Youkai. „Vielleicht solltet Ihr Euch noch etwas ausruhen, Ayashi-Hime.“ riss Zhu-Lien sie aus ihren Gedanken. Ayashi schloss die Augen und nickte leicht. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie so bald aufbrechen würde und konnte etwas Schlaf sicher gut vertragen. „Ich werde mich etwas niederlegen.“ meinte sie. Zhu-Lien nickte und verließ den Raum, um auch Zhang davon zu unterrichten, dass nichts mehr zu tun sei. Sesshoumaru saß über einigen Unterlagen, die sein Vater ihm zum Überprüfen gegeben hatte, und zog immer wieder eine Augenbraue hoch, wenn er über etwas stolperte, das ihm nicht gefiel. Sein Vater war eindeutig zu nachsichtig mit den Bauern und zu verständnisvoll, was ihre Probleme anging. Wieso musste er auch dauernd seine Großzügigkeit an diesen Bauern ausleben? „Sesshoumaru-Sama! Sesshoumaru-Sama!“ „Brüll’ nicht so, Yaken.“ entgegnete Sesshoumaru und blickte nur flüchtig von seinem Schreibtisch auf, als sein Diener durch die offene Tür gehetzt kam. „Verzeiht mir, Sesshoumaru-Sama. Verzeiht mir.“ „Was willst du?“ „Ein Bote brachte eine eilige Nachricht von Kataga-Sama.“ entgegnete Yaken. Sesshoumaru blickte auf und streckte ungeduldig seine Hand aus. Yaken eilte heran und reichte seinem Herrn das zusammengerollte Stück Papier und Sesshoumaru begann zu lesen. Nach einer Weile fragte Yaken: „Sesshoumaru-Sama, sind es unerfreuliche Nachrichten?“ „Kataga-Sama wünscht, noch einmal mit mir zu sprechen.“ beantwortete Sesshoumaru die überaus neugierige Frage. „Er schlägt den morgigen Nachmittag vor. Gib’ dem Boten Bescheid, dass ich einverstanden bin. Sag’ ihm, dass ich allein komme. Du wirst mich nicht begleiten, Yaken.“ „Wie Ihr wünscht, Sesshoumaru-Sama.“ meinte der Krötendämon, verneigte sich und eilte wieder aus dem Raum. Sesshoumaru legte das Schriftstück beiseite und erhob sich von seiner Schreibtafel und den Papieren, die vor ihm lagen. Mit sicheren Schritten machte er sich auf den Weg zu seinem Vater, den er im Empfangssaal antraf. Sesshoumaru blieb etwas entfernt stehen, da sich sein Vater gerade im Gespräch mit einigen seiner Verbündeten befand. Tsukiyomaru, Sesshoumarus engster Freunde, nickte ihm kurz zu, als er ihn sah, konzentrierte sich dann aber wieder gänzlich auf das Gespräch. Sesshoumaru hörte, dass es um eine Bedrohung durch die Drachen ging, die in verschiedene Gebiete an der nordwestlichen Küste eingefallen waren, und sowohl Youkai als auch Menschensiedlungen angriffen und dem Erdboden gleichmachten. Viele seien schon gefallen, erzählte einer der älteren Youkai-Führer, und bat nun Inu-no-taishou um seinen Rat und seine Unterstützung. Sesshoumaru mischte sich nicht in das Gespräch ein, denn noch war er nicht der Herr über die Gebiete der Westlichen Länder und noch würde sein Vater ihn ausdrücklich darum bitten, wenn er seine Meinung zu irgendeiner Angelegenheit hören wollte. Nach wenigen Augenblicken schien alles besprochen und geregelt zu sein und Tsukiyomaru trat zu seinem Freund. „Ich hatte eigentlich erwartet, dass du an der Besprechung teilnimmst, Sesshoumaru.“ gab er zu, nachdem sie sich begrüßt hatten. „Ich war anderweitig beschäftigt. Entschuldige mich einen Moment, aber ich muss mich dringend mit meinem Vater besprechen. Ich komme nach draußen, sobald ich kann.“ entgegnete Sesshoumaru und verschwieg, dass es überhaupt nichts von einer Zusammenkunft gewusst hatte. Tsukiyomaru nickte und verließ den Empfangssaal ebenso wie die anderen, um im Hof auf Sesshoumaru zu warten. Sesshoumaru trat zu seinem Vater und verneigte sich ein wenig. „Vater, ich werde morgen bei Kataga-Sama erwartet. Ich erhielt soeben die Nachricht.“ „Weißt du, was er mit dir besprechen möchte?“ fragte Inu-no-taishou und blickte seinen Sohn prüfend an. „Nein, doch ich kann mir vorstellen, dass er überprüfen möchte, ob ich meinen Zorn auf die Katzenyoukai in den letzten vier Jahren überwunden habe.“ „Ich bin mir sicher, dass er dich deshalb nicht zu sich bestellen würde.“ „Er bestellt mich nicht zu sich, Vater.“ „Gut, er bittet dich, zu kommen.“ verbesserte Inu-no-taishou sich und gab seinem Sohn damit keinen Anlass mehr, seinen Stolz verletzt zu sehen. „Er ist vorsichtig, was politische Dinge angeht, und ist sich bewusst, dass du mein Nachfolger bist. Ich vermute, er will dich nach und nach besser kennen lernen, damit er weiß, was er zu erwarten hat, sobald du die Nachfolge antrittst.“ Sesshoumaru schwieg und nickte. Er wusste, dass er vieles anders regeln wollte, wenn er erst Herr über die Westlichen Länder war, doch im Moment entschied sein Vater und es stand ihm nicht zu, seine grundsätzlichen Entscheidungen zu kritisieren. Inu-no-taishou duldete das menschliche Gerede über den Herrn, sah ihnen vieles nach und unterstützte und half ihnen, sollten Missernten und Hungersnöte oder auch nur eine Horde von wilden Tieren oder Söldnern ihre Dörfer heimsuchen. Sie standen unter seinem Schutz, obwohl sie keinerlei Abgaben oder sonstige Gegenleistungen erbrachten – dass er damit das Vermögen und die Mittel seines Landes schmälerte, schien ihm gleichgültig zu sein. Sesshoumaru würde das ändern. „Interessiert dich, was wir besprochen haben?“ fragte Inu-no-taishou, der Sesshoumarus nachdenklichen Gesichtsausdruck falsch deutete. „Sicher interessieren mich dir Belange unserer Verbündeten. Wenn du es für richtig hältst, wirst du es mir sagen. Deshalb fragte ich nicht.“ erklärte Sesshoumaru und kehrte aus seinen Überlegungen zurück. „Die Drachen sind dabei, eine Armee aufzustellen. Zurzeit greifen sie in kleineren Gruppen, die sie als wild gewordene Söldner tarnen, die Gebiete der nordwestlichen Küste an, und dementieren jegliche Kriegsabsicht. Unsere Verbündeten können diese Söldner allein schlagen, doch eine größere Auseinandersetzung ist nicht mehr zu verhindern.“ „So sollte ich mich möglichst bald bereit machen, nehme ich an.“ erwiderte Sesshoumaru. „Das wäre mir sehr recht, Sesshoumaru.“ stimmte Inu-no-taishou seinem Sohn zu und ließ ihn sich zurückziehen. Sesshoumaru verließ den Raum mit großen Schritten, doch er schien sich kaum Sorgen über die bevorstehende Auseinandersetzung zu machen. Inu-no-taishou blickte ihm nach und war wieder einmal froh, Sesshoumaru zum Sohn zu haben. Er konnte sich auf ihn verlassen. Er war stolz auf ihn. Kapitel 29: ------------ Tsukiyomaru und Sesshoumaru spazierten durch die Gärten und tauschten Neuigkeiten aus, die sie in der letzten Zeit gehört hatten. Irgendwann kam das Gespräch auf Kataga und seine kurze Verbindung mit Karasu. „Sie soll gleich nach der Geburt den Palast verlassen haben.“ meinte Tsukiyomaru. „Wie lange ist das nun her?“ „Ich denke, vier Jahre. Ich bin mir nicht sicher.“ entgegnete Sesshoumaru, worauf Tsukiyomaru den Kopf schüttelte. „Wieso weißt du das nicht? Kataga-Sama ist der Herr im angrenzenden Gebiet.“ „Ich verkehrte mich Kataga-Sama niemals privat, sondern nur auf politischer und geschäftlicher Ebene – und auch das eher selten. Mein Vater könnte dir über die Familie sicherlich mehr Auskunft geben.“ erklärte sich Sesshoumaru und fügte hinzu: „Mein Diener war vor vier Jahren ungefähr im Palast und sah Ayashi-Hime mit einem Säugling auf dem Arm. Zuerst dachte er, das kleine Mädchen sei ihr Kind, doch sie muss wohl ihre Halbschwester gewesen sein.“ „Wirklich? Was du nicht sagst! Dabei müsste doch selbst deinem Diener klar sein, dass jemand wie Ayashi-Hime nicht unbemerkt heiraten kann und auch niemals ein außereheliches Kind zur Welt bringen würde.“ „Wie meinst du das?“ „Sie ist eine Hime – eine der wenigen, die es in unserer Gesellschaft gibt. Ihre Heirat ist Politik. Ihr Vater würde bestimmt auch unter anderen Umständen darauf achten, dass sie standesgemäß und möglichst klug vermählt wird, doch vor allem auch darauf, dass alle Welt von dieser Verbindung erfährt.“ Sesshoumaru nickte und dachte an den Abend, als er sie in den Gärten ihres Vaters gesehen hatte. Er hatte ihr Gesicht nicht gesehen, nur einen kurzen Augenblick ihr Profil, doch er bezweifelte, dass er sie nur an ihrem Aussehen erkennen konnte, sollte er ihr irgendwann begegnen. Ihr Haar war ihm in Erinnerung, ihr langes, schwarzes und seidiges Haar, das bei jeder ihrer Bewegungen eine neue glänzende Welle geschlagen hatte. Ihr Duft nach Jasmin- und Kirschblüten berauschte bei dem bloßen Gedanken an sie erneut seine Sinne. „Hast du sie schon einmal gesehen?“ fragte Sesshoumaru mit trockener Kehle. „Nein, doch Geikijo behauptet, er habe sie einmal gesehen, als sie ihren Vater bei einem Treffen des Rates vertrat.“ „Wie bitte?“ „Ja, das war vor einigen Jahren. Ihr Vater musste kurzfristig weg, die Verbündeten waren allerdings schon bestellt und erwarteten seine Antwort. Geikijo muss sich etwas unglücklich darüber geäußert haben, doch Ayashi-Hime scheint ihn recht geschickt in seine Grenzen gewiesen zu haben.“ „Kataga-Sama scheint sie als seine Nachfolgerin zu sehen.“ „Er hat keinen Sohn. Er hat keine andere Wahl, wenn er sich nicht darauf verlassen will, dass er Ayashi-Samas zukünftigen Ehemann sein Land anvertrauen kann, muss sie ihre Möglichkeiten kennen.“ „Ich nehme an, er kann sich den Verlobten seiner Tochter aus einer großen Menge Verehrer aussuchen.“ vermutete Sesshoumaru und blickte in den Sonnenuntergang. „Ja, wenn selbst Geikijo einen Antrag vorbringen wollte… Ich denke, Kataga-Sama kann nicht darüber klagen, dass er eine begrenzte Auswahl hat, allerdings scheint er keine Anstalten zu machen, ihr einen Ehemann zu suchen. Geikijo hat zumindest nichts mehr von seinen Plänen gesagt.“ entgegnete Tsukiyomaru leicht amüsiert. „Weshalb warst du eigentlich nicht bei dieser Versammlung? Du bist doch der Nachfolger deines Vater Shiono-Sama.“ „Ich war anderweitig beschäftigt.“ wiederholte Tsukiyomaru Sesshoumarus Worte und verfiel dann in viel sagendes Schweigen. Früh am nächsten Morgen brachen Ayashi und Ayame mit Katsumoto und seinen Begleitern nach Osten auf, um zuerst zur Küste und dann über das Meer zur Insel Shikoku der Südlichen Berge zu gelangen. Sie reisten schnell, denn so etwas wie Müdigkeit überfiel die Youkai nur selten und Ayame drängte vorwärts, da sie es kaum aushalten konnte, ihre neue Heimat zu erreichen. Bereits am ersten Abend befahl Katsumoto, ein kleines Lager für die Nacht zu erreichten. Bald darauf saß Ayashi am Feuer und starrte in die Flammen, als sich ihr Onkel zu ihr setzte und sie fragend anblickte. Sie schüttelte nur stumm den Kopf und deckte Ayame zu, die mit dem Kopf auf Ayashis Oberschenkeln eingeschlafen war. Niemand im Lager sprach ein Wort. Jeder wusste, dass es überflüssig war, da jeder seinen eigenen Gedanken nachhing, die er nicht unbedingt teilen wollte. Ayashi dachte an ihren Vater und an die anderen Wolfsyoukai, die in einer herrschenden Position waren, und rief sich ihre Namen erneut ins Gedächtnis. Ayashis Großvater Okami-no-dansei hatte bereits vor seinem Tod an seine drei Söhne Teile seines Gebiets gegeben. Kataga fiel das Westland zu, die Insel Kyushu. Katsumoto verwaltete das Gebiet der Südlichen Berge, die Insel Shikoku, während Kenko, den Ayashi kaum sah, über das Chugoku-Gebirge wachte. Okami-no-dansei hatte das Gebiet von der Wakasa-Bucht bis hin über das Hida-Gebirge behalten. Im Norden daran war das Gebiet unbesetzt. Seit Ayashi denken konnte, lebten dort vereinzelte Youkai-Stämme. Die meisten von ihren waren Katzenyoukai-Klans, denen Inu-no-taishou dieses Gebiet zu Verfügung gestellt hatte. Sobald sich noch weiter nördlich allerdings das Ougebirge erhob, begann das Gebiet von Komyo-Sama, das sich bis hin zur Meerstraße Tsugaru zwischen der großen Insel Honshu und Hokkaido erstreckte. Hokkaido - oder wie es von den Wolfsyoukai genannt wurde: die Nördlichen Berge – wurde von Soba-Sama, einer Verbündeten von Kataga, beherrscht. Es gab also drei selbstständige Wolfsyoukai-Klans, jedoch sechs einzelne Herrschaftsgebiete. Die Zeit hatte es mit sich gebracht, dass das gesamte Land gleichzeitig unter Wolfsyoukai und Hundeyoukai aufgeteilt worden war. So hatte Ajisai-Sama über das Nordland, ebenfalls Hokkaido, geherrscht, erinnerte sich Ayashi schmerzlich und schloss die Augen. Inzwischen versuchte ihre Schwester, die erhabene und gutmütige Yume-Sama, ihre Leute zu führen. Das Land im Osten, das von der Tsugaru-Straße im Norden bis zu der gedachten Linie zwischen den Flüssen Shinano und Naka im Süden reichte, nannte ein Hundeyoukai-Fürst namens Kuro sein Eigen. Direkt an dessen Gebiet schloss sich Inu-no-taishous Einflussbereich an, die Westlichen Länder, die sich über das Hida-Gebirge, über das Chugoku-Gebirge und die Südlichen Berge ausdehnte. Lediglich Kyushu stand nur unter dem Einfluss eines Wolfsyoukai-Fürsten, ihres Vaters Kataga. Ayashi erinnerte sich, dass sie als Kind oftmals die beiden Begriffe verwechselt hatte: das Westland war die Insel Kyushu, die Westlichen Länder hingegen Inu-no-taishous Gebiet, das Kyushu nicht einschloss. Ayashi griff nach einem dünnen Stock und drehte ihn zwischen ihren Fingern hin und her. Schließlich begann sie, Zeichen auf den Boden zu malen und wieder zu zerstören. „Soba-Sama hat ihre Töchter zu mir geschickt.“ eröffnete Katsumoto das Gespräch und schreckte Ayashi aus ihren Malereien. „Tatsächlich? Sind sie schon eingetroffen?“ fragte sie und legte den Stock weg. „Sie dürften vor uns ankommen.“ meinte Katsumoto und blickte seine ältere Nichte an. „Wieso bist du so erschrocken?“ „Ich habe gerade an Soba gedacht – vor wenigen Augenblicken.“ erklärte Ayashi und lächelte. „Ein seltsamer Zufall, nehme ich an.“ fügte sie hinzu. Katsumoto nickte und blickte in die Flammen. „Wie heißen Soba-Samas Töchter? Wie alt sind sie? Kennst du sie bereits?“ fragte Ayashi und strich Ayame über das rotbraune Haar. „Die ältere dürfte etwa in deinem Alter sein und heißt Satori. Der Name der Jüngeren ist Ninshiki.“ gab Katsumoto Auskunft. Ayashi nickte und ließ sich die Namen durch den Kopf gehen. Satori bedeutete Erleuchtung. Ninshiki bedeutete Einsicht. Hatten die Töchter auch nur einen kleinen Teil der mütterlichen Ausstrahlung, so passten die Namen vorzüglich, fand Ayashi, als sie sich Sobas Bild vor die Augen rief. „Warum sollen sie Zeit bei dir verbringen?“ „Sie sollen die Kampfkunst bei mir lernen und mein Gebiet kennen lernen.“ „Hat sich Soba-Sama so ausgedrückt?“ fragte Ayashi, die das nicht recht glauben konnte. „Nein, sie sagte, ihre Töchter sollen ein anderes Gebiet kennen lernen als ihr eigenes. Und ich denke, etwas Ahnung vom Umgang mit Waffen zu haben, hat dir auch nicht geschadet.“ entgegnete ihr Onkel. „Bis du sicher? Ich denke, Vater wäre es manchmal lieber, ich hätte nicht darauf bestanden.“ lachte Ayashi leise, doch Katsumoto schüttelte den Kopf. Kapitel 30: ------------ „Du bist, wie du sein solltest, Ayashi. Und dein Vater hat dir die beste Ausbildung zukommen lassen, da er weiß, dass sie unerlässlich ist.“ „Dann bist du also der Beste.“ meinte Ayashi, da sie sich erinnerte, dass Katsumoto ihr zum großen Teil den Umgang mit Waffen beigebracht hatte. „Nein, nein, Ayashi. Der beste Kämpfer unter den Wolfsyoukai ist dein Vater.“ widersprach Katsumoto und nickte noch einmal zur Bekräftigung. „Er hat niemals viel Zeit…“ „Ayashi, es ist nicht die Zeit, die dein Vater in deine Ausbildung investiert hat, sondern die Intensität, die seinen Unterricht sehr, sehr gut machen.“ „Vater hatte schon lange keinen Schüler mehr.“ erinnerte sich Ayashi nachdenklich. „Weshalb kommen Ninshiki und Satori nicht nach Fukuoka, sondern nach Kochi? Es scheint mir, dass alle bei dir lernen.“ „Im Großen und Ganzen habe ich einfach die Zeit dazu. Er nicht. Er ist der einzige Wolfsyoukai-Fürst, der Inu-no-taishou wirklich gleichgestellt ist, wobei Inu-no-taishou auch uns gegenüber mit tadellosem Respekt begegnet. Das Westland ist wirklich unabhängig und Inu-no-taishou ein wirklicher Freund für Kataga. Deshalb hat er oft andere Verpflichtungen und kann sich nicht noch mit einem Schüler belasten.“ „War das Westland schon immer unabhängig? Warum gehört es eigentlich nicht auch zu Inu-no-taishous Gebiet?“ fragte Ayashi, da sie das wirklich nicht wusste. „Kataga konnte die Unabhängigkeit wahren, da er Freundschaft mit Inu-no-taishou schloss. Ich dachte zu Anfang, diese Freundschaft diente seinen politischen Zielen, und erkannte meinen eigenen Bruder nicht mehr wieder, doch es war wohl nicht so, wie ich gedacht habe. Die Kämpfe und Unstimmigkeiten sind vorbei und die Freundschaft besteht immer noch.“ „Wann war das?“ wollte Ayashi wissen, doch Katsumoto winkte ab. „Das ist schon sehr lange her. Du weißt ja, dass unser Vater Okami-no-dansei uns sehr früh Teile seines Gebietes zugesprochen hat. Unter anderem deshalb, da er allein diese Gebiete nicht mehr verteidigen konnte.“ „Gegen Inu-no-taishou?“ fragte Ayashi entsetzt, da sie niemals für möglich hielt, dass es andere Zeiten – kriegerische – zwischen Wolfsyoukai und Hundeyoukai gegeben hatte. „Inu-no-taishou musste sich gegen einen entfernten Vetter durchsetzen, der die Herrschaft für sich beanspruchte. Inu-no-taishou war wie wir Brüder noch sehr jung – kaum zweihundert Jahre alt, und bat verschiedene Fürsten um Unterstützung. Lass’ mich überlegen… Es dürfte nun etwa sechshundertfünfzig Jahre her sein.“ „So lange?“ fragte Ayashi. Sie hatte ihren Vater nie nach seinem Alter gefragt – es war unwichtig für Youkai. Sie wusste, dass er nun bereits zu den Älteren und Erfahrenen zählte, doch er war noch kein Greis. Umso mehr wunderte sie sich nun darüber, dass Ayame und sie seine einzigen Kinder waren. „Ja, so lange ist das nun schon her. Inu-no-taishou bat also um Unterstützung, die ihm Okami-no-dansei nicht gewähren wollte, da Hundeyoukai-Angelegenheiten nicht Wolfsyoukai-Angelegenheiten seien. Kenko und ich… Ich gebe es ungern zu, aber es war so… richteten uns damals noch nach den Ansichten unseres Vaters. Kataga allerdings nicht. Er schlug sich auf Inu-no-taishous Seite, da er sah, dass Inu-no-taishou der wahre Erbe seines Landes war. Das war der erste Kampf, den sie gemeinsam gegen eine übermächtige Streitmacht führten. Und dieser erste Kampf war der Beginn einer starken Freundschaft, die immer noch anhält.“ Ayashi hatte den Worten ihres Onkels gelauscht und sah nun wieder in die Flammen. Es klang wunderbar, was zwischen den beiden existierte. Deshalb also war Kyushu ein eigenständiges Gebiet. Inu-no-taishou vertraute Kataga, der nicht gezögert hatte, wie einem Bruder. Wie entsetzt musste ihr Vater gewesen sein, als er von Midorikos Vision erfahren hatte? War er überhaupt entsetzt gewesen oder hatte er nie richtig glauben können, was seine Frau für so sicher ansah? „Katsumoto?“ fragte Ayashi nun wieder leise und wartete auf seine Aufforderung zu sprechen. „Warum bin ich das älteste Kind meines Vaters? Hatte er vor Midoriko keine Frau?“ Katsumoto schwieg eine Weile und sah sie aus ruhigen und prüfenden Augen an, ehe er antwortete: „Doch, er war schon einmal vorher vermählt, doch seine Frau starb, als sie das gemeinsame Kind in sich trug.“ Ayashi schluckte. Sie meinte, dass sie nun auf einmal ihren Vater verstand. War er auch wegen des Verlustes von erster Frau und erstem Kind übermäßig vorsichtig, wenn es um Ayashis Reisen ging? Traurig senkte sie den Blick und fragte: „Wie war ihr Name?“ „Kodachi.“ flüsterte Katsumoto und blickte ebenfalls wieder in die rotgelben Flammen. Noch vor Tagesanbruch brachen Ayashi und ihre Reisebegleiter wieder auf und erreichten bald die gegenüberliegende Küste. Ayashi hatte Ayame an der Hand, als sie als letzte aus dem Boot stiegen, welches sie über das Meer gebracht hatte. Katsumoto sah zurück und zum ersten Mal erinnerte Ayashi ihn an seine eigene Mutter. Ihre edlen Züge und die ruhige Geduld, die in ihrem Blick lag, aber dennoch nichts an Nachdruck einbüßte. „Ganz wie Hoshi-no-odori.“ meinte er leise und gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass es ihr auch bald ähnlich wie seiner Mutter gehen würde und sie sich vor Anträgen und Gunstbezeugungen kaum noch zu retten wissen würde. Noch am selben Abend erreichten sie das Heim Katsumotos tief in den Bergen. Ayashi sah sich neugierig um, obwohl sie feststellte, dass sich nichts verändert hatte. Der Palast und die umliegenden Häuser waren in ihre Umgebung angepasst, doch keineswegs weniger luxuriös als der heimatliche Palast in Fukuoka. Die Holzbalken waren prächtig verziert und der vorhandene Platz auf der begrenzten ebenen Fläche optimal genutzt. Ayame hielt noch immer Ayashis Hand und ließ ihren Blick über die Hügel streifen, die sich nach Südosten anschlossen und plötzlich abrupt endeten. „Was ist da hinten?“ fragte die Kleine und wies mit ihrer Hand zum Ende der Hügel. „Dort hinten liegt die Steilküste, Ayame. Das Meer liegt dort.“ gab Ayashi Auskunft und lächelte ihre Schwester an. Katsumoto führte seine beiden Nichten durch das Tor in den ersten Innenhof des Palastes und meinte: „Willkommen in deinem neuen Zuhause, Ayame.“ Dann gab er den Dienern, die sofort heraneilten, einige Anweisungen und ergriff Ayames andere Hand, um sie vor den Anwesenden deutlich als zu ihm gehörig auszuweisen. Ayashi ließ im Gegenzug die Hand ihrer Schwester los. „Das ist Ayame-Sama. Tochter von Kataga-Sama, Herrn des Westlandes, Hime der Südlichen Berge.“ stellte er sie vor. Die Diener verneigten sich tief, einige der anderen Youkai weniger tief, doch trotzdem noch respektvoll. Ayashi stellte es sich schwer vor, vor einer Vierjährigen den Kopf zu neigen, doch so war es nun einmal. Katsumoto nickte Ayashi zu und sie nahm Ayame wieder zu sich, um dann zwei Dienern zu folgen, die ihnen ihre Zimmer zeigten. Ayashi kannte das Zimmer, in dem sie immer untergebracht war, doch dorthin führte man sie nicht. Sie bekam ein größeres Zimmer, von dessen Türöffnungen der Blick direkt über die Hügel zum Meer glitt, zugewiesen. Ayames Zimmer lag nur einige Türen von ihrem entfernt und Ayashi erklärte sich das neue Zimmer damit. Kurze Zeit später kam Ayame in das Zimmer ihrer großen Schwester gewirbelt und rief: „Ich finde es toll hier!“ Ayashi lachte und sah, dass Ayame ihren Kimono bereits gegen einen kürzeren Yukata ausgetauscht und ihr Haar zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden hatte. Ayame drückte ihr ebenfalls so ein Kleidungsstück in die Hand und blickte sie erwartungsvoll an. „Weißt du, Ayame…“ begann Ayashi, doch verwarf ihre Bedenken. Kapitel 31: ------------ Katsumoto stellte Ayashi die anderen beiden Youkai-Damen vor, während sie sich gegenseitig aufmerksam musterten. „Willkommen, Satori-Sama. Willkommen, Ninshiki-Sama. Ich freue mich, Eure Bekanntschaft im Hause meines geliebten Onkels Katsumoto-Sama zu machen.“ meinte sie und verneigte sich schließlich höflich. Die fremden Prinzessinnen nickten ihr dankend zu und verneigten sich ebenfalls leicht. Ayashi wusste, dass sie nicht gerade einen repräsentablen Eindruck machte, obwohl ihr Onkel das bestritten hatte. Ninshiki, die jüngere der beiden, hatte braunes Haar, welches sie zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, damit es sie nicht störte. Ihre pechschwarzen Augen ruhten neugierig auf Ayashi und sorgten für einen offenen und aufgeschlossenen Gesichtsausdruck. Ihr Körper war schmal und schlank wie der ihrer Schwester Satori, die nur ein Jahr jünger war als Ayashi selbst. Satori trug ihr braunes Haar offen und hatte nur die vorderen Strähnen locker am Hinterkopf befestigt. Ihre gesamte Haltung strahlte etwas Erhabenes aus, doch Ayashi vermittelte ihr Gesichtsausdruck ein Gefühl von Überheblichkeit, das ihr überhaupt nicht gefiel. Eine Hime lernte derartige Gefühle zu verstecken, dachte Ayashi, um sich selbst ruhig zuzusprechen und in Satori keine Rivalin zu sehen. Die beiden Schwestern trugen einen brauen Hakama und einen beigen Haori, unter dem der Kragen eines dünneren, purpurfarbenen Haori hervorblickte. „Ayashi, ich möchte dass du unseren Gästen alles zeigst, damit sie sich hier zurecht finden. Schicke außerdem Ayame zu mir, sobald du sie siehst. Ich möchte, dass unsere Gäste meine Erbin kennen lernen.“ bat Katsumoto und verschwand nach einer knappen Verneigung den Raum und Ayashis einverstandenem Nicken. Ayashi folgte ihrem Onkel mit dem Blick und wandte sich dann wieder Satori und Ninshiki zu. Satoris Augen waren immer noch auf die Tür gerichtet, durch die Katsumoto gerade verschwunden war und verrieten Ayashi, dass Satori nichts von einer Erbin der Südlichen Berge gewusst hatte. „Ayame-Sama ist meine kleine Schwester.“ erklärte Ayashi, obwohl sie weder sich noch ihren Onkel erklären musste. Ninshiki nickte, doch Satori starrte immer noch wie gebannt zur gegenüberliegenden Wand. Katsumoto hatte die Tür nicht hinter sich zugeschoben, doch nun eilte ein Diener heran, und schob die Tür an ihren Platz. „Dann möchte ich nun den Wunsch meines Onkels befolgen. Folgt mir, bitte.“ meinte Ayashi und ging bereits ein Stück voraus. Ninshiki folgte ihr mit geschmeidigen Schritten, doch Satori stand immer noch in der Mitte des Raumes. Ayashi zog unmerklich die Augenbrauen hoch und wusste nicht, welche Einladung die fremde Hime noch brauchte, um sich als anständiger Gast den Wünschen des Gastgebers zu beugen. „Onee-San?“ fragte Ninshiki, die das Verhalten ihrer älteren Schwester nicht verstand. „Kommst du?“ fügte sie hinzu, als Satori immer noch nicht reagierte. „Nein, verzeiht mir, Ayashi-Sama… Ich verzichte.“ lehnte Satori ab, verneigte sich kurz und verließ eilend den Raum. Ayashi blickte ihr nach und wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Sie zuckte die Schultern und ging weiter, wobei Ninshiki ihr sofort wieder folgte. „Verzeiht ihr, Ayashi-Sama. Meine Schwester ist kein ungehobelter Mensch…“ begann Ninshiki und neigte den Kopf ein wenig, während die beiden einen Gang entlang schritten. „Es ist nicht die Aufgabe der jüngeren Schwester, die ältere zu entschuldigen oder in Schutz zu nehmen.“ wies Ayashi auf eine Tatsache hin und begegnete Ninshikis gequältem Blick. „Oder wurde das bereits zur Gewohnheit?“ fügte sie hinzu. „Nein, gewiss nicht, Ayashi-Sama.“ „Nun, wenn es dir recht ist, so werde ich dich Ninshiki nennen, wenn du mich nur mit Ayashi anredest.“ schlug Ayashi vor, da die jüngere Schwester ihr sehr liebenswürdig erschien. Ninshiki nickte lächelnd und Ayashi lächelte ebenfalls. Damit stand einer Freundschaft nichts mehr im Wege. Am Abend saß Ayashi noch nach dem Nachtmahl zusammen mit Katsumoto auf der äußeren Engawa und blickte in den Garten hinaus. „Du wirkst erleichtert, Katsumoto.“ bemerkte Ayashi, da ihr Onkel ruhig neben ihr saß und auch beim Abendessen entspannt das Gespräch geleitet hatte. Ayashi hatte sich nicht über Satori beschwert, obwohl ihr das zustand, denn Ayame war noch zu jung, um die Funktionen einer Gastgeberin zu übernehmen. Das war immer noch Ayashis Aufgabe, wenn sie sich bei ihrem Onkel aufhielt. „Es kam zu einer glücklichen Übereinkunft mit den Drachen.“ entgegnete Katsumoto schlicht und betrachtete seine Nichte. „Gab es Probleme?“ fragte Ayashi erstaunt, da ihr Vater nichts gesagt hatte. „Kleinere Trupps von Drachen haben die nordwestliche Küste terrorisiert.“ „Wieso weiß ich davon nichts? Sollte ich es nicht wissen? Ich meine, es geht mich auch etwas an, oder nicht?“ gab Ayashi enttäuscht zurück. „Ich wäre doch niemals aus Fukuoka aufgebrochen, wenn ich das gewusst hätte!“ „Und genau das wusste dein Vater nur zu gut. Ayashi, es ist doch überhaupt nichts geschehen und du wirst früh genug die Verantwortung für dein Land übernehmen müssen.“ „Und wie soll ich der Aufgabe gewachsen sein, wenn ich es niemals lerne?“ argumentierte Ayashi zu gut. Katsumoto seufzte und zuckte nur die Schultern. Dann meinte er: „Es war die Entscheidung deines Vaters.“ „Hm.“ brummte Ayashi mürrisch und schüttelte verständnislos den Kopf. Katsumoto schwieg und Ayashi verdrehte die Augen. Musste sie ihm selbst jetzt noch jedes Wort aus der Nase ziehen? Konnte er ihr nicht wenigstens jetzt – immerhin war die Gefahr gebannt – erzählen, worum es bei den Kämpfen gegangen war und wie sie beendet worden waren, bevor sie richtig begonnen hatten? „Wie wurden die Unstimmigkeiten beigelegt?“ fragte Ayashi schließlich, als sie das Schweigen ihres Onkels nicht mehr ertrug. „Kuro-Sama, der Hundeyoukai-Fürst des Landes im Osten, dessen Gebiet am meisten unter den Angriffen zu leiden hatte, lenkte in den Streitereien um eine private Angelegenheit ein und besänftigte die Drachenführer.“ „Was ist mit Komyo-Sama und seiner Familie? Sie leben im gleichen Gebiet. Hatten sie auch Verluste zu melden?“ „Nein, die Angriffe konzentrierten sich auf Siedlungen von Menschen in der Küstenregion. Dort schienen die Verluste ziemlich hoch zu sein, doch nicht hoch genug, dass der Rat von Kyoto sich zu einem Krieg gegen die Drachen entschieden hat. Kuro-Sama bereinigte die Angelegenheit unter beiderseitiger Ehrbewahrung.“ „Er scheint ein überaus fähiger Politiker zu sein, wenn er verärgerte Drachen besänftigen kann.“ meinte Ayashi und erinnerte sich an das, was sie über Drachen wusste. Wollte man genau sein, musste man sie Drachen-Youkai nennen, denn das waren sie. Das Volk der Drachen-Youkai stammte aus Korea und herrschte dort bereits seit dem Ursprung der Welt. Sie waren wilde Krieger, die ihr Gebiet nicht nur in Korea, sondern in der gesamten Welt sahen, und sehr leicht reizbar. Ihr Augenmerk richteten sie jedoch größtenteils auf das Reich der Mitte, die Steppen im Norden und die Wüsten im Westen, da es ihnen schon einige Male nicht geglückt war, Japan zu erobern. Soweit Ayashi wusste, waren sie auf ihren Eroberungszügen oft monatelang in ihrer Drachengestalt geblieben, weshalb ihnen nach mehreren Generationen die Verwandlung in die menschenähnliche Youkaigestalt immer schwerer fiel. Inzwischen war sie nur noch den stärksten Kriegern überhaupt möglich, doch auch dann trugen diese noch Linien, Zeichen und Ornamente von geschuppter Haut über den gesamten Körper. Deshalb wurde vernachlässigt, dass sie einst Youkai gewesen waren. „Wie hat er sie nur besänftigt?“ fragte Ayashi skeptisch. „Er hat sie mit Vernunft und guten Argumenten überzeugt, es sei sinnlos gegen gleichgültige japanische Youkai einen Krieg zu führen, wo in ihrem Rücken noch Stämme auf den Fall der Drachen hinarbeiteten.“ „Die Stämme des Himalaja?“ fragte Ayashi. „Sowohl die Stämme des Himalaja als auch die Stämme in China. Die Drachen haben an Macht und Stärke eingebüßt. Überall in China gibt es Unruhen um neue Youkai-Führer, die schnell Anhänger finden und bereit sind, den Drachen den Krieg zu erklären. Ich weiß nicht, was die Drachen überhaupt dazu getrieben hat, Japan anzugreifen – noch dazu an einem strategisch ungünstigen Punkt.“ Ayashi nickte. Sie wusste, was er meinte. Der strategisch günstigste Punkt, den die koreanischen Drachen wählen konnten, um in Japan durch einen schnellen Angriff Fuß zu fassen, was Kyushu – oder direkt Fukuoka, denn das Westland lag am dichtesten an Korea. „Ihre Basis war von Anfang an schlecht und das wundert mich.“ fügte Katsumoto hinzu und Ayashi nickte wieder. „Zum Glück ist es wieder ruhig geworden. Das ist es doch, Katsumoto?“ „Ja, es ist alles geregelt. Kuro gab zwei seiner Töchter zwei großen Drachen-Fürsten zu Gemahlinnen. Die Drachen waren zufrieden, als sie abzogen.“ versicherte er seiner Nichte. „Kuro-Samas Töchter tun mir leid.“ entgegnete Ayashi bestürzt über das Schicksal der Prinzessinnen. „Die Heirat einer Prinzessin ist Politik, Ayashi, und immer die Entscheidung des Vaters.“ erklärte Katsumoto und Ayashi sah ihn zweifelnd an, doch Katsumoto sagte nichts mehr. Ayashi wusste, dass er Recht hatte, auch wenn ihr das nicht gefiel. Sie wusste, dass sie über das Westland herrschen würde, sollte ihr Vater nicht mehr sein, doch sie wusste auch, dass er ihr einen Mann seiner Wahl an die Seite stellen würde: einen ehrbaren Wolfsyoukai ohne eigene Herrscherverpflichtungen, der Ayashi als gleichgestellt betrachtete und gemeinsam mit ihr Entscheidungen zum Wohle des Landes fällte. Kapitel 32: ------------ Innerhalb der nächsten beiden Jahre entwickelte sich eine Freundschaft zwischen Ayashi und Ninshiki, und auch deren Schwester Satori hatte sich bei Katsumoto gut eingelebt und sich bei Ayashi für ihr seltsames Verhalten am ersten Tag entschuldigt, sodass Ayashi den Vorfall gern vergaß. Während Satori allerdings nur so wenig Zeit wie nötig im Freien und in Gesellschaft verbrachte, schlossen sich Ayashi und Ninshiki bald der Gruppe um Ishiki und Taido an. Taido übernahm gern den Unterricht für Ninshiki, die noch niemals zuvor eine Waffe geführt hatte, und behandelte sie mit Sanftheit und Vorsicht, obwohl er ihr durchaus auch etwas beibrachte. „Ich lerne diese Drehung nie!“ rief Ninshiki eines Tages und schüttelte wild den Kopf. Ayashi und Ishiki saßen auf dem Boden und machten gerade eine Pause, um Taido und Ninshiki zu beobachten, während die anderen Kämpfer etwas weiter weg trainierten. Ayashi lächelte, als sie Ninshiki sah, die erneut das Gleichgewicht verlor und sich mit zwei langen Schritten vor einem Sturz bewahren musste. „Das ist nicht so einfach, wie es bei ihm aussieht!“ beschwerte sich Ninshiki, als sie Ayashis amüsiertes Gesicht entdeckte, und wies auf Taido, der ihr die Drehung mit einem nachfolgenden Angriff in den Rücken des Gegners immer wieder vormachte. Ayashi blickte zu Ishiki, der seinen Bruder mit wachsamen Augen verfolgte. Sein Gesicht schien angespannt, doch er schien auch nachdenklich. „Stimmt etwas nicht?“ fragte Ayashi vorsichtig. „Ich vermute, Taido würde ihr die Drehung gerne mit einer anderen Übung zeigen, aber will ihr auch nicht zu nahe treten. Ich überlege, ob es eine andere Übung gibt, die nicht so… engen Körperkontakt mit Ninshiki erfordert.“ erklärte Ishiki und vermied es, Ayashi anzusehen. Ayashi nickte und betrachtete ihn. Ishiki und sein Bruder Taido waren in den letzten Monaten ebenfalls zu guten Freunden für sie geworden. Die meiste Zeit hatte sie mit ihnen und ihren Gefährten verbracht, wenn Ayame den Unterricht bei Katsumoto oder anderen erfahrenen Kriegern genossen hatte. Ishiki hatte Ayashi bereits mit einigen jüngeren Wolfsyoukai aus angesehenen Familien der Gegend bekannt gemacht. So hatte sie Ogawa, Hanashiai, Eda, Take, Shonin, Meishin und Sesshoku kennen gelernt. Als sie Sesshokus Namen das erste Mal gehört hatte, hatte ihr Herz gestockt – nur anhand des ähnlichen Klangs. Ayashi vertraute Ishiki und seinem Verstand, denn er hatte wieder einmal Recht: obwohl Ninshiki das Kämpfen lernte, musste unnötig viel Körperkontakt, der sich nun einmal nicht für eine Hime ziemte, vermieden werden. „Ich finde nicht, dass das ein unnötiger Körperkontakt wäre.“ meinte Ayashi und blickte wieder zu Taido und Ninshiki. Ishiki lachte leise und schaute Ayashi von der Seite an. Sie begegnete ihm mit einem fragenden Blick, den sie allerdings nicht lange hielt, da sie Taidos Versuche, Ninshiki diese Technik ohne Körperkontakt beizubringen, zu sehr fesselten. „Du bist außergewöhnlich, Ayashi.“ murmelte Ishiki. Ehe Ayashi etwas erwidern konnte, erhob er sich schnell und geschmeidig, um seinem Bruder zuzureden, Ninshiki um Erlaubnis zu bitten, eine andere Übung mit ihr zu versuchen. Ayashi war froh, denn sie hatte auch keine Ahnung, was sie hätte erwidern sollen. Taido sprach mit Ishiki, während Ninshiki skeptisch zuhörte und schließlich zaghaft nickte. Ayashi lächelte, doch dann winkte Ninshiki sie zu sich und rief: „Ayashi, du musst mir beistehen!“ „Wobei?“ fragte Ayashi, obwohl sie schon auf dem Weg zu der kleinen Gruppe war. „Bei dieser Übung. Kannst du sie mit Ishiki vormachen? Ich will lieber wissen, was mich erwartet.“ entgegnete Ninshiki und trat einige Schritte zurück. „Ich weiß nicht. Ich…“ begann Ayashi und ließ den restlichen Satz unausgesprochen. Ihr Blick begegnete Ishikis Augen und plötzlich fühlte sie sich unwohl in ihrer Haut. Er streckte seine Hand aus, die sie nur zögerlich ergriff. Sie hatte sich so gut mit ihm verstanden. Sie hatte oft stundenlang mit ihm geredet oder trainiert. Und nun hatte er ihr ein Kompliment gemacht und sie fühlte sich nicht mehr wohl… „Bist du bereit? Ich will dich nicht verletzen, weil du unaufmerksam bist.“ meinte Ishiki, doch Ayashi nickte. War sie denn eigentlich noch zu retten? Sie reagierte eindeutig übertrieben. Wer wusste schon, ob es überhaupt als Kompliment zu verstehen war, wenn man als ‚außergewöhnlich’ betitelt wurde? Sie fühlte Ishikis Arme um ihren Oberkörper herum und seinen Oberkörper, der leicht gegen ihren Rücken presste. Doch wenn es ein Kompliment gewesen war, dann konnte Ayashi daran auch nichts Schlimmes finden. Ishiki war ein ehrenhafter Youkai, ihr Freund und vielleicht tatsächlich eine förderliche Partie nach Wunsch ihres Vaters. Sein Atem streifte leicht an ihrer Wange vorbei, als er Ninshiki erklärte, wie Ayashi nun ihr Gewicht verlagern würde. Ayashi handelte aus Gewohnheit – sie kannte die Technik schon längere Zeit und beherrschte sie. „Siehst du, mehr ist es nicht.“ meinte Ishiki und brachte wieder mehr Abstand zwischen sich und Ayashi. Ayashi blickte auf und erschrak leicht, da sie allen Ernstes erwartet hatte, bernsteinfarbene Augen zu sehen. Während der Übung war sie so überzeugt gewesen, dass es Sesshoumarus Körper war, den sie spürte, Sesshouamrus Stimme, die sie hörte, und Sesshoumarus Atem, der ihre Haut streichelte. Was war los mit ihr? Sie wandte den Blick ab und sah, dass Ninshiki und Taido die Übung begannen. „Entschuldige mich bitte, ich habe Ayame versprochen, sie heute nicht warten zu lassen.“ sagte Ayashi zu Ishiki, lächelte und verließ dann die Ebene, um nach Ayame zu suchen. Ayame wartete nicht auf sie, doch Ayashi musste gehen. Sie musste einfach nur weg und wieder klar im Kopf werden, doch Sesshoumaru ließ sich nicht so leicht aus ihren Gedanken vertreiben. Ayames Unterricht war noch nicht beendet, weshalb Ayashi sich entschloss, allein in den Wald zu gehen und dann über die steilen Wege zu den Höhlen und weiter zu den Wasserfällen zu klettern. Ayashi konzentrierte sich auf den Gesang der Vögel und auf das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln, um sich von ihren Gedanken abzulenken, doch es gelang ihr nicht recht. „Ayashi?“ rief es hinter ihr und Ayashi wandte sich zu Satori, deren Stimme sie erkannt hatte, um. „Was tust du hier?“ fragte Ayashi und ging langsam weiter, als Satori aufgeholt hatte. „Du ziehst doch sonst die freie Natur nicht vor.“ Ayashi biss sich auf die Lippen, da sie nicht unhöflich hatte sein wollen, doch Satori nickte. Sie schwieg und wartete darauf, dass Satori weitersprach, denn immerhin hatte sie Ayashi gerufen. „Ich wollte mit dir sprechen.“ begann Satori. „Worüber?“ fragte Ayashi und sprang über einen Spalt zwischen zwei Steinen. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass du mich lieber nicht in deiner Nähe hättest.“ „Du hast Recht: ich wollte eigentlich hierher kommen und alleine sein, aber…“ „Nein, ich meine nicht jetzt, sondern generell. In den letzten zwei Jahren hatten wir nicht viel miteinander zu tun.“ Ayashi drehte sich um und wartete, bis Satori auf Augenhöhe war. „Deine Interessen liegen eben anders als meine. Katsumoto ist mein Onkel und ich fühle mich hier beinahe wie Zuhause, was bedeutet, dass ich mich hier frei bewege und nicht einschränke. Ich bin es gewohnt, mich draußen aufzuhalten, wenn ich hier bin. Ich habe trainiert und habe deiner Schwester bei ihrem Unterricht Gesellschaft geleistet, dass sie nicht allein mit Taido oder Ishiki ist...“ erklärte Ayashi und ging wieder weiter. „Ich habe das Gefühl, du hast mir noch nicht verziehen.“ gab Satori zurück, doch Ayashi hob die Hand. „Ich bitte dich! Wir hatten einen etwas schwierigen Start, aber ich hatte das wirklich vergessen.“ entgegnete Ayashi. „Worum geht es dir wirklich?“ erkundigte sich Ayashi. Satori blieb stumm und folgte Ayashi über die steilen Wege und vorbei an den Höhlen, bevor sie sich am Rand eines Wasserfalls niederließen. Was immer Satori wollte, Ayashi wäre es lieber, sie würde es gleich sagen und ihr nicht noch mehr von ihrer Einsamkeit stehlen, nach der es sie so verlangte. „Ich werde bald nach Fukuoka zurückkehrten.“ brach Ayashi das Schweigen und blickte über die unruhige Wasseroberfläche. „Warum? Ich meine, warum jetzt schon?“ fragte Satori beinahe entsetzt. „Ich sollte Ayame begleiten und bleiben, bis sie sich eingewöhnt hat. Sie fühlt sich sehr wohl hier und ich kann gehen.“ „Willst du denn gehen? Du könntest doch auch noch bleiben.“ warf Satori ein, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Ich vermisse mein Zuhause, Satori.“ gab Ayashi zu. „Deinen Vater wohl vor allem, nicht wahr?“ „Ja, vor allem meinen Vater, aber auch sonst vieles.“ „Hast du einen Verlobten?“ fragte Satori so unvermittelt, dass Ayashi für einen Moment nicht reagierte. „Nein, ich habe keinen Verlobten. Ich bin auch niemandem versprochen.“ „Vielleicht weißt du nur nicht, dass du bereits versprochen bist.“ gab Satori zu bedenken, was Ayashi überhaupt nicht gefiel. Kapitel 33: ------------ „Ich habe mich schon oft gefragt, wie das ist.“ fuhr Satori fort. „Gegen den eigenen Willen versprochen zu sein? Danke, ich verzichte auf diese Erfahrung.“ „Nein, ich frage mich, wie es wohl ist, wenn man zu jemandem gehört. Ich habe einmal gehört, dass sich Youkai nur finden und zusammen bleiben, wenn ihre Herzen im Gleichklang schlagen. Meine Mutter sagt allerdings, dass Verbindungen zwischen Youkai nur noch dem Zweck der Nachfolge dienen, da sehr viele Youkai jegliche Gefühle in sich unterdrücken.“ „Ich kann dir dazu nichts sagen.“ „Meinst du, wir finden jemanden, mit dem wir unser Leben teilen werden?“ „So oder so.“ antwortete Ayashi und meinte damit ‚mit oder ohne Liebe’. Ihre Augen streiften über die Bäume, die sich jenseits des Wasserfalles erhoben und sie erinnerte sich an eine heiße Quelle, die sie vor Jahren dort entdeckt hatte. Dort wäre sie nun gerne, doch Satoris Gesellschaft hielt sie wenigstens von ihren wirren Gedanken ab. Satori – bisher war Ayashi noch nicht schlau aus ihr geworden. Sie rief sich den ersten Abend ins Gedächtnis zurück, und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Satori hatte Katsumoto nachgesehen, als er den Versammlungsraum verlassen hatte. Satori hatte beim Nachtmahl an seinen Lippen geklebt. Satori zog das Innere des Palastes vor, da dort die Wahrscheinlichkeit höher war, Katsumoto zwischen seinen Besprechungen zu sehen. Satori lenkte das Gespräch auf Liebe und Partnerschaft. „Hast du vielleicht jemanden im Auge?“ fragte Ayashi schließlich und betrachtete sie prüfend. „Meinen Onkel zum Beispiel?“ „Er ist mein Lehrer, Ayashi!“ „Und er ist ein überaus ansehnlicher Youkai.“ fügte Ayashi ihren Worten hinzu und beobachtete Satoris Reaktion. „Das hat alles doch sowieso keinen Sinn.“ meinte sie und Ayashi wusste, dass sie aus Anstand nicht weiterfragen durfte. Satori hatte das Thema beendet und erhob sich, um den Abstieg zu beginnen. Ayashi folgte ihr, da sie mit Katsumoto ihre nahende Abreise besprechen wollte. Am späten Abend verließ Ayashi noch einmal den Palast und suchte die kleine, verborgene Quelle auf, um wieder einmal seit langer Zeit mitten in der freien Natur zu baden und allein zu sein. Sie streifte ihre Kleidung ab und glitt vorsichtig in das wohltuende Wasser. Kein Geräusch durchbrach die Stille der Dämmerung. Nicht einmal ein zarter Lufthauch bewegte die Blätter der Bäume, die Sträucher und die Grashalme. Die Vögel waren schon verstummt und hatten sich in ihre Nester zurückgezogen. Ayashi lehnte sich zurück gegen einen Felsen und schloss die Augen. Sie hatte das Nachtmahl gemeinsam mit ihrer Familie, Ninshiki und Satori eingenommen, doch später waren noch mehrere ältere Youkai hinzugekommen und hatten es unmöglich gemacht, den Wunsch ihrer Abreise vorzutragen. Ayashi hatte befürchtet, Ishiki und Taido wie üblich beim Essen zu treffen, doch sie waren nicht erschienen. Katsumoto hatte sie auf einen Streifzug durch die nördlichen Gebiete geschickt, weshalb sie nicht vor dem morgigen Nachmittag zurückerwartet wurden. Ayashi wollte nicht so einfach gehen – sie wollte nicht vor Ishikis eventuellen Gefühlen flüchten, da ihr das lächerlich erschien. Sie hatte ihm vielleicht durch ihr Verhalten Anlass zu Hoffnung gegeben, doch mit Sicherheit war das nicht ihre Absicht gewesen. Sie hatte sich verhalten wie sie es immer tat. Sie hatte keine unnötigen Worte an ihn gerichtet. Ihre Worte waren stets eindeutig und unzweifelhaft gewesen, stellte sie fest. Niemals hatte sie mit Ishiki über ein Thema gesprochen, das ihn verleiten konnte, in einer anderen Weise als mit freundschaftlichen Gefühlen von ihr zu denken. Ayashi biss sich auf die Lippen. Sie schätzte Ishiki sehr, doch bei seinen Berührungen war Sesshoumaru in ihren Gedanken und in ihrem Herzen gewesen, obwohl sie ihn nicht einmal richtig kannte. In einer einzigen Nacht hatte sie ihn gesehen und knappe Worte über Yaken mit ihm gewechselt. Er wusste zwar ihren Namen – nur einen Teil ihres Beinamens, doch verschwendete gewiss keinen Gedanken mehr an die Miko aus den Bergen, die ihn aufgehalten und ihm Vorhaltungen gemacht hatte. Ayashi ließ das Wasser über ihre gespreizten Finger rinnen und öffnete die Augen wieder. „Wann verstehst du endlich, dass diese Gedanken zu nichts führen?“ fragte sie sich murmelnd selbst und legte den Kopf gegen den Felsen, an dem sie lehnte. Das Problem war, dass es egal war, ob sie es verstand. Sie verstand es. Es führte wirklich zu nichts, doch ihr Verstand war in diesem Falle nicht stärker als ihr Herz und das Gefühl, das bei dem bloßen Gedanken an Sesshoumaru wie sturmgepeitschte Wellen oder eine aufsteigende Feuersbrunst durch ihren Körper drängte, war einfach zu besitzergreifend, um sich längere Zeit dagegen zu wehren. Wenn der Sesshoumaru aus ihren nächtlichen Erinnerungen wieder einen Weg in ihre Gedanken fand, half keine Vernunft, sondern nur Ablenkung. Ayashi lenkte ihre Gedanken mit eisernem Willen in eine andere Richtung. Nach dem Nachtmahl hatte sie ihren Onkel um ein wenig Zeit gebeten und ihn über ihre Pläne in Kenntnis gesetzt. Katsumoto hatte es bedauert, dass sie bereits gehen wollte, doch er hatte gleich alles Nötige in die Wege geleitet. Bald würde alles bereit sein und Ayashi konnte gehen, wenn sie sich von ihrer Schwester Ayame verabschiedet hatte. Ihr musste sie erst einmal sagen, dass sie schon vorhatte, wieder nach Fukuoka aufzubrechen. Ayashi vermutete, dass es Ayame nicht schwer fallen würde, ihre große Schwester gehen zu lassen. Sie hatte hier gleichaltrige Freunde und immerhin noch einen Onkel. Außerdem würde Ayashi öfters in Kochi vorbeisehen, jetzt da Ayame auch hier lebte. Sesshoumaru stand dort und verharrte in reglosem Stillstand. Er kannte diese Gegend nicht sehr gut. Er wusste nicht, warum er auf dem Weg von Fukuoka nach Nagoya, dem Hauptort des Wolfsyoukai-Gebietes unter Okami-no-dansei, durch diesen Teil des Gebirges gegangen war, als er auf einmal das Geräusch von plätscherndem Wasser vernommen hatte. Er wusste nicht, warum er dem Geräusch gefolgt war als gäbe es bei seinem Ursprung etwas zu entdecken. Der Wind des vergangenen Tages hatte sich am Abend gänzlich gelegt, sodass sich nicht einmal eine lange Strähne ihres schwarzen Haares bewegte. Er wusste, dass ihn durch die Windstille sein Geruch nicht verraten konnte, doch er wusste, dass er gehen sollte. Seine Vernunft schrie ihm zu, eiligst zu verschwinden, doch er konnte seine Augen nicht von der Schönheit abwenden, die in der heißen Quelle badete. Noch niemals in seinem Leben hatte er eine solche vollendete Pracht gesehen. Ihre nasse Haut glitzerte im schnell aufsteigenden Mondlicht silbern und schimmerte wie Seide. Er sah, wie sie langsam und in Gedanken versunken ihre Arme an der Oberfläche des Wasserspiegeln hin und her bewegte und ein leises Glucksen die Stille der Nacht durchbrach. Vereinzelte Strähnen ihres glänzenden Haares wiegten sanft auf den winzigen Wellen, die sie selbst verursachte, hin und her, während das restliche Haar unter der Wasseroberfläche ihren Oberkörper umspielte. Ihr Haar und ihre schmale Gestalt, die er unter der Wasseroberfläche nur erahnen konnte, erinnerten ihn an Ayashi, die Tochter Katagas, doch er verwarf den Gedanken gleich wieder. Er hatte noch nie eine Youkai von solch atemberaubender Schönheit gesehen. Die meiste Zeit hielt die Unbekannte ihre Augen geschlossen, doch Sesshoumaru hatte sehen können, dass sie grün waren – viel dunkler und glänzender als Jade, sodass sie beinahe unendlich tief wie ein Gebirgssee zu sein schienen. Ihre Gesichtszüge waren ebenmäßig und ruhig. Die Linie ihres Kinns und Kiefers war anmutig gezeichnet, ihre Lippen leicht geschwungen und immer wieder zwischen geraden, weißen Zähnen gefangen, da die wundervolle Dame beim Bade über etwas nachzudenken und gänzlich in ihr Problem versunken schien. Sesshoumaru wartete ab, obwohl er nicht wusste, was er hoffte. Er wollte einfach dort stehen, wo er stand, und sie betrachten. Je länger er sie betrachtete, desto makelloser schien sie ihm. Ihre schlanken Hände und ihre zarten Finger spielten immer noch mit dem klaren Wasser der Quelle. An der Linie ihres Halses perlten Tropfen und rannen hinab über ihr Schlüsselbein, ehe sie sich wieder mit dem Wasser vermengten. Sesshoumaru begann an seinen Sinneswahrnehmungen zu zweifeln und war sich nicht sicher, ob er wirklich sah, was er glaubte zu sehen. Es erschien ihm immer unwahrscheinlicher. Sie war keine Youkai – erst recht kein Mensch. Und sie konnte nicht Ayashi sein, denn eine Hime, die nachts alleine - das hieß in ihrem Falle ohne weibliche Begleitung und ohne männlichen Schutz, der in einiger Entfernung und außer Sichtweite wartete - eine heiße Quelle aufsuchte, war einfach undenkbar. Kapitel 34: ------------ Sesshoumaru schloss die Augen und beruhigte das Chaos in sich, als ihm ein hauchdünner, kaum wahrnehmbarer Duft von Jasmin– und Kirschblüten in die Nase stieg und begann, seine Sinne zu benebeln. Er musste sie träumen! Das war gänzlich unmöglich! Die herrliche Frau im Wasser wandte den Kopf zu der Stelle, an der sie ihre Kleidung hatte liegen lassen und spähte in die Dunkelheit. Sesshoumaru folgte ihrem Blick erst zu ihrer Kleidung, einem dünnen, hellblauen Yukata, dann hörte auch er ein Geräusch, doch sie war schneller. Blitzschnell stieß sie sich am Felsen ab und erreichte das Ufer mit ihrem Yukata, den ein kleines Mädchen in einem schwarzen Yukata in den Händen hielt. „Hinomaho, du hast mich erschreckt!“ gab sie lachend zu und nahm der Kleinen den Yukata aus der Hand, stieg aber nicht aus dem Wasser. Sesshoumaru fühlte etwas in sich, das er nicht kannte. Ihre Stimme klang so rein und angenehm in seinen Ohren, dass er sich beinahe prügeln musste, um sich von der Quelle zu entfernen. Er wusste, dass jetzt der richtige Moment war – jetzt war diese göttliche, liebreizende Frau abgelenkt. Niemand würde ihn entdecken. „Kibonohana, du warst auf einmal weg. Und dann habe ich erfahren, dass du nach Hause zurückgehst… Ich hatte Angst, dass ich dich nie wieder sehe, Onee-chan.“ gab die Kleine zu. „Ich werde nicht gehen, ohne mich von dir zu verabschieden.“ versprach die ältere Schwester. Sesshoumaru setzte sich langsam und vorsichtig in Bewegung setzte, um kein Geräusch zu verursachen. Hinomaho. Kibonohana. Das waren seltsame und ungewöhnliche Namen für Youkai. Feuerzauber. Hoffnungsblüte. Die Namen schienen ihm unwichtig, doch Sesshoumaru wusste, dass sich das Gesicht und die wohlklingende Stimme der Fremden in sein Gedächtnis gebrannt hatten. Sesshoumaru verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln: jetzt zerrissen schon zwei Frauen, die eine hatte er nur einen Augenblick gesehen, die andere war sicherlich nicht von dieser Welt, sein Herz und sorgten dafür, dass er sich selbst nicht wieder erkannte. Ayashi und die schöne Göttin aus der Quelle. Sesshoumaru schüttelte energisch den Kopf und atmete einige Male tief durch, als er sich ungesehen weit genug entfernt hatte. Er brauchte einen klaren Kopf, da er sich gleich mit seinem Diener Yaken treffen würde und sich nicht das Geringste anmerken lassen durfte, wenn er nervigen Fragen aus dem Weg gehen wollte. Am Tag ihrer Abreise übergab Ayashi ihre kleine Schwester in Anzus Obhut und suchte dann ihren Onkel in seinem Arbeitszimmer auf. Er saß am Schreibpult und legte den Pinsel weg, als sie sich ihm gegenüber auf den Boden kniete. „Nun willst du also aufbrechen.“ meinte er und betrachtete seine Nichte, die er am liebsten bei sich behalten hätte. „Ja, es wird Zeit.“ entgegnete Ayashi lächelnd. „Das ist Schade. Es hat mir sehr gefallen, dich hier zu haben.“ „Ich werde mit Sicherheit bald und häufig zurückkehren und nach Ayame sehen.“ „Und hoffentlich auch nach mir, deinem Onkel.“ „Natürlich.“ lachte Ayashi und nickte. „Du hast sehr große Fortschritte in der Kampfkunst gemacht. Vor allem Ishiki ist sehr von deinem Können überzeugt.“ fuhr Katsumoto fort. Ayashi bedankte sich für das Kompliment und erinnerte sich an ihre letzten Zusammentreffen mit Ishiki, bei denen er getan hatte, als habe sie sich niemals seltsam verhalten. Er hatte auch kein weiteres Kompliment gemacht und hatte sich wie üblich froh und gut gelaunt gezeigt. Bei ihrem Abschied hatte er ihr eine gute Reise gewünscht und unbefangen darum gebeten, dass nicht hundert Jahre vergingen, ehe sie wieder nach Kochi kam. Ayashi hatte keinen Grund, an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln, was ihr einen Stein vom Herzen fallen ließ. Ishiki war immer noch ihr guter Freund, auf den sie sich verlassen konnte. „Ich frage mich, wann du dein Schwert bekommst, von dem du mir erzählt hast. Inu-no-taishou muss es doch bereits in Auftrag gegeben haben.“ „Ja, doch ich soll es als Erbstück erhalten. Insofern bin ich nicht begierig darauf, es endlich in den Händen zu halten.“ antwortete Ayashi. „Das ist verständlich. Wenn Inu-no-taishou uns verlässt, wird das ein sehr großer Verlust sein. Ich bin mir nicht sicher, ob sein Sohn die Westlichen Länder zusammen halten könnte.“ „Inu-no-taishou wird uns noch lange erhalten bleiben.“ meinte Ayashi sicher und wechselte das Thema: „Ich habe Ayame in Anzus Obhut übergeben. Sie erschien mir in den letzten zwei Jahren sehr vertrauenswürdig und mag Ayame. Ich habe sie allerdings dazu angehalten, Ayame zu zügeln, wenn sie über die Strenge schlägt. Ansonsten meine ich, dass auch Ayame ein gutes Verhältnis zu Anzu hat und eine vertraute Person hat, wenn ich nicht mehr hier bin.“ „Ich danke dir. Natürlich werde ich mich selbst auch um Ayame kümmern.“ „Du bist keine Frau, Onkel.“ „Nein, wirklich nicht.“ stimmte Katsumoto lachend hinzu. „Ich meinte damit auch nur, dass Ayame eine weibliche Vertraute braucht. Sie wird dir bei Weitem nicht alles erzählen, was in ihr vorgeht. Anzu kann sie andere Dinge anvertrauen und Anzu kann ihr auf andere Weise zur Seite stehen. Ich erzähle manche Dinge auch nur Zhu-Lien und nicht meinem Vater.“ „Ich verstehe. Ich werde darauf achten, dass Anzu ihre Aufgabe ausführt. Sollte es nötig sein, werde ich sie noch einmal auf ihre Pflicht hinweisen.“ Ayashi nickte und sah ihrem Onkel lange ins Gesicht, bis dieser schließlich fragte, was sie sonst noch auf dem Herzen habe. Sie hatte im Sinn, ihn auf Satori anzusprechen, doch dann erinnerte sie sich, dass sie überhaupt nichts Genaues wusste, und winkte ab. „Nichts. Das ist nicht wichtig.“ wehrte sie ab und meinte: „Ich habe mich von den Kriegern, mit denen ich trainiert habe, von den Beamten, mit denen ich zu tun hatte, von den Dienern, die mir gedient haben, von Satori, Ninshiki und Ayame verabschiedet. Habe ich jemanden vergessen?“ „Deinen Onkel.“ meinte Katsumoto nach einer Weile schmunzelnd. Ayashi schüttelte den Kopf und blickte dann ihren Onkel an. Sie legte ihre Hände auf den Boden vor sich und neigte den Oberkörper leicht nach vorne. „Ich danke dir für deine Gastfreundschaft und werde meinem Vater deine guten Wünsche überbringen. Leb’ wohl, Katsumoto. Ich hoffe, unsere Wege werden sich bald wieder kreuzen.“ sagte sie und richtete sich wieder auf. Katsumoto neigte den Kopf und entgegnete: „Komm’ bald wieder, Ayashi. Dein Zuhause sind auch die Südlichen Berge.“ Ayashi und Katsumoto erhoben sich und Katsumoto geleitete seine Nichte die Gänge entlang, um sie nach draußen zu bringen. Ayame, Ishiki, Taido und Ninshiki warteten im ersten Hof, um sie noch einmal zu verabschieden. „Du siehst, es gibt mehr Youkai, die dich nicht gehen lassen wollen.“ raunte er ihr zu, als sie die Stufen in den Hof hinab schritten. „Ich kann nur wiederkommen, wenn ich gehe, Katsumoto.“ flüsterte Ayashi und erblickte am Rand des Hofes zwei ältere und erfahrene Youkai näher kommen, die Ayashi auf ihrem Heimwegs begleiten sollten. „Wie wahr, Ayashi. Chikai und Meiyo besitzen mein volles Vertrauen. Bei ihnen wird dir nichts geschehen.“ Ayashi verdrehte in Gedanken die Augen – auch alleine befände sie sich nicht unbedingt in Gefahr, doch sie sagte nichts. Ayame rannte zu ihr und Ayashi nahm sie auf den Arm. Ihre Arme legten sich um ihren Hals und Ayashi strich ihr mit der einen Hand über den Rücken. „Ich komme wieder, Ayame. Ich verspreche es dir.“ „Ich weiß.“ wisperte Ayame gegen Ayashis Hals, hob dann den Kopf und drückte ihr einen Kuss auf ihre Wange. „Du bist ein großes Mädchen. Ich bin stolz auf dich, das weißt du auch, nicht wahr?“ Ayame nickte und lächelte leicht. Die beiden Schwestern hatten in den letzten Tagen lange miteinander gesprochen und viel Zeit miteinander verbracht. Ayame hatte sofort verstanden, dass Ayashi nach Hause wollte und auch wieder nach Kochi kommen würde, doch nun fiel es ihr doch schwer, die große Schwester gehen zu lassen. Ayashi behielt ihre kleine Schwester auf dem Arm, als sie Ninshiki noch einmal umarmte und ihr alles Gute für ihre Zukunft wünschte. „Ich freue mich schon darauf, wenn wir uns wieder sehen.“ meinte Ayashi. „Ja, ich mich auch. Ich bin bestimmt noch hier, wenn du das nächste Mal nach Kochi kommst.“ „Wie das?“ „Ich möchte noch so vieles lernen und das kann ich hier am besten.“ entgegnete Ninshiki lächelnd. „Das ist wahr. Die besten Lehrer findest du in Kochi bei Katsumoto.“ stimmte Ayashi ihr zu und wandte sich Taido und Ishiki zu. „Vielen Dank für eure Unterstützung und die Ehre eurer Freundschaft.“ „Die Ehre ist auf unserer Seite, Ayashi-Sama.“ entgegnete Ishiki schmunzelnd, da er wusste, dass Ayashi die ehrenvolle Anrede aus seinem oder seines Bruders Mund nicht hören wollte. Taido versetzte seinem älteren Bruder einen leichten Schlag gegen den Oberarm, doch lachte leise. Zweifellos musste auch er sich erinnern, dass Ayashi Ishiki und ihn nicht nur einmal über die Ebene gehetzt und versucht hatte, sie überlegen im Schwertkampf zu schlagen, da sie in diese förmliche Anrede zurückverfallen waren, was Ayashi nur sehr schwer bis überhaupt nicht akzeptieren konnte. Ayashi schüttelte belustigt den Kopf. „Kindsköpfe.“ murmelte Katsumoto, doch griff sonst nicht ein, weshalb die Brüder sich auch nicht gerügt fühlten. „Das Training mit dir war sehr… erfrischend. Ich hoffe, du kommst bald wieder.“ meinte Taido und Ayashi nickte. „Bestimmt.“ entgegnete sie und ließ Ayame von ihren Armen, um sich leicht vor den Brüdern zu verneigen. Dann beugte sie sich zu ihrer Schwester hinab, strich ihr über die Wange und küsste sie auf die Stirn. „Bis bald, Ayame.“ „Bis bald, Onee-chan. Komm’ bald wieder.“ bat die Kleine und Ayashi nickte, ehe sie noch einmal Katsumoto zunickte und mit Chikai und Meiyo den Heimweg antrat. Kapitel 35: ------------ Ayashi bestimmte die Geschwindigkeit der Reise und Chikai und Meiyo folgten ihr oder gingen kurze Strecken durch unwegsameres Gelände voraus. Einige Male konnte sie sich erfolgreich dagegen wehren, über schmale Pfade, Steine und Spalten im Boden getragen zu werden. Das Meer hatten sie bereits vor langer Zeit hinter sich gelassen und Chikai hatte angekündigt, dass sie bald in Fukuoka wären. Er sollte Recht behalten, denn im Morgengrauen des dritten Reisetages erblickte sie das väterliche Schloss, wie es vom Dunst umspielt über der Umgebung thronte. Ayashi blieb stehen und betrachtete das Bild ihrer Heimat. Ihr Herz machte mehrere Sprünge und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Meiyo und Chikai sahen es, doch sie gingen nach einer kurzen Pause ohne ein Wort weiter und ließen Ayashi ihre stille Freude. Immerhin war sie zwei Jahre fort gewesen. Wieder einmal kehrte sie nach einer langen Reise nach Hause zurück und dieses Mal würde sie feststellen, dass sich überhaupt nichts verändert hatte. Keine Wolfsyoukai würde sie mit einem dicken Bauch neben ihrem Vater empfangen – welch Erleichterung! Ayashi versuchte, sich vorzustellen, was aus Karasu geworden war. Ihr Vater hatte ihr einmal gesagt, dass eine Wolfsyoukai, die ihr Kind verließ, bei allen Stämmen mit Verachtung gestraft wurde. Auch wenn die Frauen unter den Youkai eigentlich keinen Anspruch auf ihre Kinder hatten, hätte eine richtige Wolfsyoukai zumindest versucht, ihren Anspruch geltend zu machen. Eine gute Mutter hätte versucht, die Differenzen mit dem Vater aus der Welt zu schaffen, kleinbei gegeben oder was auch immer nötig gewesen wäre getan, um das Kind nicht zu verlieren. Karasu hatte nichts dergleichen unternommen und Ayashis Vater hatte Karasu fortgeschickt, obwohl er die Konsequenzen für sie kannte – ohne Mitleid. Ayashi schüttelte den Kopf und schüttelte ihr Mitleid für diese Person ab. Karasu war für ihr Schicksal zum großen Teil selbst verantwortlich, redete Ayashi sich ein, doch sie spürte, dass etwas Mitleid und ein schuldbewusstes Gefühl an ihr haften blieb – immerhin hatte sie nichts unternommen und nicht für Karasu gesprochen. Ihre Schritte hallten dumpf auf dem Waldboden und plötzlich drängte die Begegnung mit Sesshoumaru wieder in ihre Gedanken. Ayame würde ebenfalls mutterlos aufwachsen, doch vielleicht hatte das alles im Nachhinein etwas Gutes. Ayashi hatte nichts Gutes in der Verbindung zwischen ihrem Vater und Karasu entdeckt und nun gab es Ayame, die ihr Leben bereicherte. Ayame würde durch ihre übrige Familie gehalten und unterstützt werden. Sie würde zu einem förderlichen Mitglied der Gesellschaft werden. Sesshoumaru schien Ayashi ja ebenfalls vernünftig und zuverlässig zu sein, denn er hatte keinen durch Rache bestimmten Angriff auf die eventuellen Attentäter seiner Mutter durchgeführt. Ayashi ballte ihre Hände kurz zu Fäusten und blickte zum Schloss, das immer näher kam. Sie brauchte wieder einmal Ablenkung von den Gedanken an Sesshoumaru. Konzentriert atmete sie tief durch und beschleunigte ihren Schritt, doch sein Gesicht begleitete sie bis zum Tor, wo ihr Vater sie bereits mit den wichtigsten Beamten und Kriegern erwartete. Der Empfang und die Begrüßungsworte waren genug, um Ayashi abzulenken und langsam begann Sesshoumarus Gesicht aus ihren Gedanken zu verschwinden. Wenig später saß sie mit ihrem Vater in den privaten Gemächern der Familie und hatte eine heiße Teeschale vor sich auf dem kleinen Tisch stehen. Meiyo und Chikai hatten es vorgezogen, gleich wieder den Rückweg anzutreten, um bald wieder im Schloss ihres Herren Katsumoto zu sein. „Ayame hat sich sehr gut eingelebt, Vater. Sie war übrigens den gesamten Weg so begeistert wie an dem Abend, an dem sie vom Aufbruch erfahren hat. Sie konnte es kaum abwarten. Ich denke, sie fühlt sich sehr wohl.“ „Das ist schön. Ich freue mich für Ayame. Warst du bei ihrem Unterricht zugegen?“ wollte Kataga wissen. „Zu Beginn sah ich ihr zu, doch dann nahm ich selbst wieder mein Training auf.“ „Wer hat dich unterrichtet?“ fragte ihr Vater und nippte an seinem Tee. „Es war kein Unterricht, Vater. Ich schloss mich einer Gruppe von jüngeren Kämpfern an, die selbst trainiert haben.“ erklärte Ayashi. Kataga zog die Augenbrauen hoch und musterte seine Tochter. Dann stellte er mit einem strengen Blick seine Schale auf den Tisch und schüttelte den Kopf. „Ninshiki, die jüngere Tochter von Soba-Sama schloss sich vor ein paar Monaten ebenfalls dieser Gruppe an. Die meiste Zeit trainierten wir aber mit den Brüdern Ishiki und Taido in der Mitte der Ebene, den neugierigen Blicken von jedem Youkai ausgesetzt, damit jeder feststellen konnte, dass lediglich der Kampf im Mittelpunkt unserer Treffen stand.“ entgegnete Ayashi der Skepsis ihres Vaters und unterdrückte ein Lächeln. „Du bist nun einmal eine Hime.“ seufzte Kataga, dem der ironische Unterton seiner Tochter nicht entgangen war. „Ich bin deine Erbin, Vater. Wenn ich – ich hoffe, es wird niemals soweit kommen - dein Land einmal leiten soll, will ich sicher sein, es in deinem Sinne zu tun. Dann muss ich mich und meine Leute verteidigen können. Dann muss ich wissen, welche Befehle ich den Kriegern gebe und welche Handlungen wann angebracht sind. Ich will lernen, dass ich es richtig mache, Vater. Das verstehst du doch?“ „Natürlich. Es ist nur etwas schmerzlich, zu begreifen, dass du erwachsen wirst.“ Sie war der Meinung, sie sei schon erwachsen, doch Ayashi entgegnete eine Weile nichts, sondern tat so, als denke sie über seine Worte nach. „Ich wünschte, ich müsste darüber mit dir noch nicht sprechen, doch es scheint mir der passende Augenblick zu sein.“ fuhr Kataga fort und musterte das Gesicht seiner Tochter. Ayashi saß ruhig da und blickte ihn offen an. Er konnte alles mit ihr besprechen und sie konnte sich nicht vorstellen, dass es so unangenehm werden würde. „Du hast mit Männern trainiert und gesellschaftlichen Umgang mit ihnen gepflegt…“ „Das Leben bei Katsumoto ist anders, Vater. Dort muss keine weibliche Bezugsperson anwesend sein, wenn ich mich mit einem Youkai unterhalte. Und ich schwöre, dass nicht einmal ein zweideutiges Gespräch aufkam, wenn es das ist, was du befürchtest.“ unterbrach Ayashi ihren Vater. „Ayashi, es wäre hilfreich, wenn du mich ausreden ließest.“ ermahnte ihr Vater sie ruhig und lächelnd, wartete auf Ayashis zustimmendes Nicken und fuhr dann fort: „Hast du jemanden kennen gelernt?“ Natürlich hatte sie jemanden kennen gelernt. Ninshiki, Satori, Taido, Ishiki, Hanashiai, Anzu, Eda, Take, Shonin, Meishin, Ogawa, Sesshoku, doch sie wusste, dass ihr Vater das nicht meinte, also schüttelte sie den Kopf. „Nein, niemanden.“ sprach sie es noch aus, um es ganz deutlich zu machen, und senkte den Blick, um ihre Teeschale wieder aufzunehmen. Kataga betrachtete sie und beobachtete, wie sie ihre Teeschale nahm und sie an ihre Lippen führte, sie leicht an sie ansetzte und einen winzigen Schluck Tee zu sich nahm. Viele Youkai waren bereits zu ihm gekommen und hatten um Ayashis Hand gebeten, ohne dass sie davon etwas wusste. Selbst Youkai anderer Völker ersuchten ihn um die Erlaubnis, Ayashis Gunst zu erwerben zu suchen, doch davon wollte Kataga nichts wissen. Ayashi würde Herrin über das Westland sein – mit einem Wolfsyoukai an ihrer Seite. Ayashi gefiel das lange Schweigen ihres Vaters überhaupt nicht. Ihr Inneres tobte vor Unsicherheit und Nervosität. War diese Frage nicht alles gewesen, was er von ihr wissen wollte? Hatte er bereits… Pläne für sie? Kapitel 36: ------------ „Meinst du, es wird langsam Zeit, dass ich den Bund mit einem Youkai eingehe?“ fragte sie unsicher und blickte mit flackerndem Blick auf. Kataga schüttelte langsam den Kopf, als ihm der Gedanke in den Sinn kam, dass der erstbeste Youkai Ayashi nicht als Gemahlin bekommen sollte. „Katsumoto sagt, die Heirat einer Hime sei Politik.“ fügte Ayashi hinzu, als ihr Vater immer noch nachdenklich in ihr Gesicht blickte. „Ich will die Entscheidung nicht über deinen Kopf hinweg treffen.“ meinte er, doch Ayashi wurde daraus nicht schlauer. „Du willst es nicht, doch du wirst es tun. Willst du mir das sagen?“ fragte Ayashi und bemühte sich um einen ruhigen Ton. Sie durfte nicht die Nerven verlieren. Dazu war noch genügend Zeit, wenn es soweit war, fand sie. „Ich werde das letzte Wort haben, Ayashi, wenn du einen Youkai findest, den du für würdig hältst. Ich bin älter und erfahrener und kenne diese Welt besser als du. Ich sehe, welcher Youkai geeignet für dich ist. Er muss dich in deiner Aufgabe selbstlos unterstützen können. Er muss dich als diejenige respektieren, die du bist.“ „Und muss er mich auch lieben? Muss ich ihn lieben?“ „Wenn er ein guter Mann ist, wirst du ihn lieben lernen.“ „Ich fasse es nicht, dass du das sagst.“ flüsterte Ayashi tonlos und schüttelte erschüttert den Kopf. Gerade von ihrem Vater, der ihre Mutter so geliebt hatte, hatte sie diese Worte am wenigsten erwartet. „Liebe ist wünschenswert, doch nicht unbedingt erforderlich für eine funktionierende Verbindung. Sie zerstört oft mehr, als sie erschafft.“ erklärte Kataga seiner bestürzten Tochter. Ayashi blieb stumm und setzte die Teeschale mit zitternden Händen auf den Tisch. Worauf musste sie eigentlich achten, wenn sie einen Mann suchte? Sie wusste, dass sie bei der Wahl ihres Ehemanns große Verantwortung ihrem Vater, dem Reich, den Untertanen - sowohl den dämonischen als auch den menschlichen – gegenüber trug, doch sie trug sie doch auch gegenüber sich selbst. Sie wusste, dass sie nicht einfach aus politischen Gründen einen bestimmten Youkai erwählen konnte, ihr Gefährte und der Vater ihrer Kinder zu sein. Was waren die Eigenschaften, die ihr Vater sich von ihm wünschte? Was waren die Eigenschaften, die sie sich von ihm erhoffte? Ayashi seufzte unbewusst und Kataga meinte: „Du hast noch Zeit, Ayashi. Du bist noch jung. Niemand erwartet von dir, dass du dich nun schon bindest.“ Ayashi nickte leicht. Ihr Vater hatte Recht: es war nicht unüblich, in ihrem Alter noch nicht gebunden zu sein. Die Zeit verstrich anders für Youkai – schneller, und doch war die gelebte Zeit für Youkai um einiges intensiver. Sesshoumaru nistete sich wieder in ihren Gedanken ein, obwohl sie ihn dort im Moment am wenigsten brauchen konnte. „Wie muss er sein? Was für Eigenschaften und Qualitäten sollte er mitbringen?“ „Weshalb willst du das wissen, Ayashi. Hast du mir nicht zugehört? Du hast noch Zeit.“ erwiderte Kataga. „Ich habe ganz genau zugehört, also bitte antworte mir. Ich möchte mich ungern in jemanden verlieben, der dann nicht deinen Vorstellungen entspricht.“ antwortete Ayashi und biss den bitteren Ton, den ihre Zunge nur zu gerne anzuschlagen bereit war, zurück. „Du wirst Herrin des Westlandes sein, deshalb sollte dich dein Gemahl selbstlos und ohne Vorbehalte unterstützen, obwohl ihm natürlich alle Privilegien und Macht eines Herrn zukommen werden. Er sollte erkennen, dass du eine fähige Regentin bist, und dich deshalb unterstützen, nicht aber versuchen zu bevormunden. Er sollte so viel Stärke zeigen, dich bei seinen Entscheidungen einzubeziehen, und deinen Rat anzunehmen, wenn er selbst falsch gelegen hat. Er muss dir in Geist, Verstand und Scharfsinn mindestens gleichgestellt sein und darf dir in manchen Dingen auch voraus sein, wenn er in der Lage ist, diese zu deinem und zum Vorteil des Landes einzusetzen. Er sollte großmütig sein und unbeirrbares Ehrgefühl besitzen. Pflichtbewusstsein sollte ihn an deine Seite binden und ihn dazu veranlassen, für dein Wohl und das Wohl des Landes seine eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, sollte es nötig sein. Um die militärischen Aufgaben zu übernehmen, muss er Charisma und Führungsqualitäten mitbringen. Dem Rat von Kyoto wirst allerdings nur du beitreten, sollte dein zukünftiger Mann nicht ohnehin Mitglied sein, da du mein Blut in den Adern trägst.“ Im Rat von Kyoto wurde über Krieg und Frieden und sonst alles Wichtige, was die Youkai anging, entschieden. Der Rat setzte sich aus den Youkai-Fürsten und ihren Nachfolgern sowie aus höchstens zwei Mitgliedern aus jeder anderen angesehenen Familie zusammen, wie Ayashi wusste. Das Recht einen Vertreter zu senden, war allein den Fürsten vorbehalten, wenn diese verhindert waren. Die Abwesenheit eines anderen Mitglieds bei einer Versammlung hatte zur Folge, dass besagtes Mitglied für eventuell durchgeführte Abstimmungen in dieser Sitzung das Stimmrecht verlor, doch ansonsten zog es keinerlei Konsequenzen nach sich. Deshalb hatte Ayashi ihren Vater damals vertreten können. „Du vermisst deine Mutter sicherlich sehr. Sie hätte dir sagen können, was bei einem zukünftigen Mann für dich wichtig sein sollte.“ fuhr Kataga fort, als Ayashi nichts entgegnete. „Das ist nicht nötig. Ich weiß nun, worauf es dir ankommt.“ erwiderte Ayashi. Sie nahm nicht an, dass die Gründe ihrer Mutter sich mit den Gründen ihres Vaters, des Fürsten, decken konnten. Ayashi glaubte außerdem nicht, dass ihr Kopf noch mehr Voraussetzungen für den geeigneten Ehemann ertragen konnte. Noch mehr bezweifelte Ayashi, dass die Vorstellungen ihrer Mutter ihren eigenen gleichkommen würden, da der eindeutige Ratschlag ihrer Mutter… Halte dich von Sesshoumaru fern und lebe! ... ganz und gar nicht dem Wunsch ihres Herzens entsprach. Und immer noch wusste sie nicht, warum sie so empfand. Sie kannte ihn ja nicht. Sie wusste nicht einmal, ob dieses Gefühl real war, doch es war da. Stark und brennend und hoffnungsvoll, da Sesshoumaru den Vorstellungen ihres Vaters durchaus entsprechen konnte. Das Atmen fiel Ayashi plötzlich schwer. Schwindel verwirrte ihre Sinne. Das war Wahnsinn. Sie musste hinaus aus diesem Raum und an die frische Luft! „Darf ich mich entfernen, Vater?“ bat Ayashi und blickte ihren Vater an. „Bitte.“ gestattete Kataga und sah seiner Tochter nach, als sie schnell und mit kleinen Schritten den Raum verließ. Jahre vergingen, die wenig Neues brachten. Kataga sprach nicht noch einmal über einen zukünftigen Mann, was Ayashi sehr froh war. So konnte sie zumindest so tun, als hätte das Gespräch niemals stattgefunden. Sie bemerkte, dass sie sehr gut sein konnte, wenn sie etwas verdrängen wollte. Sesshoumaru wollte sie allerdings überhaupt nicht aus ihren Gedanken drängen - sie zweifelte, dass sie es konnte. Was Ayashi lange Zeit beschäftigt hatte, war die Kündigung ihrer Dienerinnen Zhu-Lien und Zhang. Sie wollten nach China zurückkehren, um ein eigenes Leben zu beginnen, wobei sie versichert hatten, dass sie sich immer sehr wohl im Dienste der Hime gefühlt hatten. Kataga hatte ihren Wunsch zwar ungern, aber selbstverständlich erfüllt. Für Ayashi war es einfach zu plötzlich gekommen, um nicht etwas verletzt zu sein. Sie hatte nichts Ungewöhnliches an ihrem Verhalten festgestellt, sodass es sie sehr unvorbereitet getroffen hatte. Im Moment hatte sie keine persönlichen Dienerinnen, doch eine andere Youkai aus dem Schloss ging ihr von nun an zur Hand, wenn Ayashi in Fukuoka war. Ayashi reiste oft zu Katsumoto und somit zu Ayashi, die damals – wenige Monate nach Ayashis Abreise - plötzlich verschwunden gewesen war und zufällig von Kouga zurück nach Kochi gebracht worden war. Sie hatte sich nachts auf dem Weg zu der heißen Quelle verirrt, da sie so fasziniert von dem Mondregenbogen in dieser Nacht gewesen war. Inzwischen verirrte sie sich nicht einmal mehr nachts in Katsumotos Gebiet, da sie viel mit älteren Youkai unterwegs gewesen war und Katsumoto auch immer Ishiki oder Taido sich in ihrer Nähe aufhalten ließ. Ayame fand das, wie Ayashi öfter zu hören bekam, völlig übertrieben und überflüssig fand, und Ayashi musste ihr Recht geben: sie kannte das Gebiet inzwischen in - und auswendig. Ayame war zu einer unabhängigen Youkai geworden, die ihre meiste Zeit in der Wildnis verbrachte und fröhlich und neugierig durch die Wälder streifte, mit ihren Freunden scherzte und weiterhin begierig von Katsumoto lernte. Ayashi wurde immer, wenn sie ihre kleine Schwester sah, von ein bisschen Stolz erfüllt. Sie hatte zwar nicht viel zu ihrer Erziehung beigetragen, doch immerhin hatte sie Ayame die ersten fünf Jahre versorgt. Ayame war in Kochi glücklich geworden und sie wollte nicht mehr irgendwo anders leben, das hatte sie Ayashi häufig versichert, doch Ayashi konnte es auch deutlich sehen. Ayashi fühlte etwas Wehmut, wenn sie daran dachte, dass Ayame ihr Leben frei, unabhängig und ohne die Zwänge leben konnte, unter denen Ayashi lebte, doch sie gönnte es ihr natürlich. Ayashi war zwar zur Unabhängigkeit erzogen worden, doch ihr Vater Kataga hielt durch Kleinigkeiten an ihr fest. Ayashi schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Es war ungerecht, so zu denken, denn ihr Vater schuf ihr ein Zuhause, das sie immer auffangen würde. Das schätzte sie und um nichts in der Welt würde sie darauf verzichten wollen. Kapitel 37: ------------ Während Ayashi so an ihre Schwester dachte, trat ihr Vater hinter sie und setzte sich zu ihr. „Es gibt schlechte Nachrichten.“ begann er ohne Umschweife und sie nickte. „Das dachte ich mir schon.“ gestand Ayashi. „Weshalb?“ „Die Stimmung war sehr gedrückt in den letzten Tagen und du wolltest nicht sagen, was geschehen ist.“ erklärte Ayashi und sah ihren Vater an. Kataga nickte und war froh, dass seine Tochter nur über einen wachen Verstand, nicht aber über die Gabe der Voraussicht verfügte. „Du erinnerst dich doch daran, dass Zhu-Lien und Zhang um ihre Entlassung gebeten haben.“ „Natürlich, ich bedaure das immer noch sehr.“ „Ich fürchte, wir haben durchaus mehr Grund, das zu bedauern.“ meinte Kataga gedrückt. „Ich kann dir nicht folgen. Was ist geschehen?“ wollte Ayashi wissen und blickte ihren Vater eindringlich an. „Im ganzen Land haben chinesische Youkai im Dienste japanischer Youkai um ihre Entlassung gebeten – immer vereinzelt, damit es nicht auffallend ist, doch inzwischen befindet sich kein chinesischer Youkai mehr in Japan. Sie haben alle das Land verlassen.“ Ayashi hörte ihrem Vater gebannt zu, der nun wieder weitersprach: „Sie greifen uns an.“ „Wer? Die chinesischen Youkai?“ fragte Ayashi überrascht. „Eine große Anzahl von Youkai vom Kontinent. Die meisten von ihnen sind wohl aus China. Der Anführer der feindlichen Armee heißt Hyouga, seinen Sohn nennt man Menoumaru.“ „Ich kenne die Namen nicht.“ „Ich hoffe, dass du die Youkai, die diese Namen tragen, nie kennen lernen musst, Ayashi.“ gestand Kataga und sprach weiter: „Ich werde mit einem Großteil der kampffähigen Youkai in den Krieg ziehen, Ayashi.“ „Ich kann kämpfen.“ erinnerte Ayashi ihren Vater, doch er schüttelte den Kopf. „Ja, das kannst du, doch du wirst hier gebraucht. Wir wissen, dass Hyouga an der gesamten Länge der Westküste angreifen wird, weshalb ich annehme, dass Kyushu erst einmal nicht wichtig für die Invasoren sein wird. Du wirst in Fukuoka bleiben und das Schloss verteidigen, sollten wir die chinesischen Youkai nicht an der Küste aufhalten können.“ Ayashi wusste, dass ihr Vater den ungefährlicheren Ort für sie gewählt hatte und sie deshalb nicht mit ihm ziehen sollte, doch sie wusste auch, dass er Recht hatte: sie konnten nicht alle das Schloss verlassen und es ungeschützt zurücklassen. Die Frauen und Kinder der Beamten waren noch hier und konnten nirgendwo anders Schutz suchen. Jemand musste sie verteidigen, wenn es sein musste. „Ayashi, hörst du mir zu?“ unterbrach Kataga ihre Gedanken. „Ja, Vater.“ entgegnete sie und Kataga fuhr fort: „Wenn du auch hier bleibst und nicht direkt an den Hauptkampfhandlungen beteiligt sein wirst, erwarte ich sehr viel von dir. Unser Gebiet ist vom Meer umschlossen und unser Schloss liegt sehr nahe an den wahrscheinlichen Kampfplätzen. Es reicht nicht, wenn du reagierst, sobald du Feinde siehst. Du musst immer wachsam sein, Ayashi. Ich lasse eine stabile Verteidigung aufstellen, die dir unterstehen wird. Hankan wird dir mit Rat und Tat beiseite stehen können. Ich möchte, dass du die grundlegenden Vorgehensweisen mit ihm absprichst. Du kannst auf seine Erfahrung vertrauen, Ayashi.“ Jetzt war es Ayashi völlig klar: Ihr Vater rechnete fest mit einem Angriff auf sein Schloss und deshalb bliebt sie hier. Hatte er seine Meinung so grundlegend geändert? Hatte sie nun die Chance, die sie immer hatte erhalten wollen? Ein heißer Schauer überfiel Ayashi, als sie sich das Ausmaß ihres eventuellen Versagens vor Augen führte. „Ban und Yoru möchte ich dir ebenfalls lassen, damit sie die Youkai, die hier bleiben werden, sicherlich in deinem Sinne führen werden. Sie sind dir treu ergeben.“ Ayashi nickte geistesabwesend, doch verstand jedes Wort. Hankan, der erfahrene General, sowie die Zwillingsbrüder Ban und Yoru gehörten zu Katagas besten Männern, doch Ayashi vermutete, dass er ihr dann nur noch wenige Youkai-Krieger zur Seite stellte. Eine Verteidigung von drei begnadeten Kämpfern, einer einigermaßen ausgebildeten Hime ohne wirkliche Kampferfahrung und höchstens sechs weiteren Kriegern musste also genügen, um Fukuoka zu verteidigen. „Komyo und seine Gemahlin Kaori werden beide in die Schlacht ziehen. Komyo hat im Moment nicht die Nerven, sich gegen ihre Sturheit zu behaupten, und lässt ihr ihren Willen. Inu-no-taishou und ich sind uns einig, dass Kaori unsere Reihen durchaus verstärken kann. Komyo schickt seine beiden Söhne Kouga und Higen zu dir und überlässt sie deiner Obhut. Komyo vertraut dir, Ayashi.“ „Ich werde sein Vertrauen nicht enttäuschen und seine Söhne schützen.“ versprach Ayashi, doch sie wusste, wie leer dieses Versprechen eventuell sein konnte, wenn Dinge geschahen, die keiner von ihnen jemals für möglich erachtet hatte. „Vater?“ fragte sie mit zitternder Stimme. Kataga blickte sie verstört an, denn Schwäche kannte er von ihr nicht, und wartete auf ihre Frage. „Wenn ein Angriff auf das Schloss so wahrscheinlich ist, warum bleibst du dann nicht?“ „Ayashi, ich muss meinen Verbündeten zur Seite stehen und nicht mein Eigentum verteidigen. Ich werde alles tun, um Angreifer vom Schloss fernzuhalten, doch das werde ich von der Küste aus tun. Ich habe vor, mit möglichst vielen Youkai den Feind direkt anzugreifen.“ Ayashi nickte. „Hast du Angst?“ fragte er sie. „Ich weiß es nicht.“ gab sie zu und blickte ihren Vater offen an. „Ich fürchte nicht den Kampf. Ich fürchte nicht den Tod. Ich werde die Leben, die mir anvertraut werden, mit meinem Leben bewahren, wenn es sein muss, doch ich fürchte, dass ich versagen könnte.“ erklärte sie die Gefühle, die in ihr erwacht waren. „Du brauchst keine Angst haben, Ayashi. Die Auseinandersetzung wird zwar heftig werden, doch nicht in einen Stellungskrieg ausarten.“ Ayashi konnte ihm nicht recht glauben, doch sie nickte. Wie konnte er sich so sicher sein? „Wie ist das möglich, dass sich die chinesischen Youkai formiert haben? Die Drachen… Haben die Drachen etwa ihre Macht über China verloren?“ „Es sieht danach aus, dass die Drachen ihr Interesse in China verloren haben und sich weiter nach Westen orientieren, doch mit den genauen Zusammenhängen können wir uns jetzt nicht beschäftigen, Ayashi. Dafür fehlt uns die Zeit.“ klärte ihr Vater sie auf und fuhr fort: „Komm’ nun mit mir, Ayashi. Ich möchte, dass du bei meiner letzten Besprechung mit Hankan und den anderen Youkai, die zur Verteidigung hier bleiben, anwesend bist.“ Kataga erhob sich und Ayashi tat es ihm gleich. Gemeinsam gingen sie mit schnellen und festen Schritten von den privaten Gemächern über den Hof und trafen die Krieger im Empfangsraum des Schlosses. Kataga regelte die letzten Angelegenheiten und übergab die Befehlsgewalt im Schloss dann seiner Tochter, die ihm versprach Hankans Ratschlägen immer mit klugem Verstand und offenem Herzen zu begegnen. Außer Hankan, Ban und Yoru blieben noch Kogeki, ein sehr starker Gegner im Nahkampf, sowie Kaiso und Reigi, zwei fähige Schwertkämpferinnen zurück. Sieben Youkai – sie rechnete sich selbst mit ein - waren nicht viel, um ein Schloss und ein Gebiet zu verteidigen, doch Ayashi sah ein, dass es bereits mehr waren, als ihr Vater eigentlich entbehren konnte. Ayashi bemerkte, dass ihr Vater ihr die einzigen beiden Youkai-Kriegerinnen seiner Untergebenen überlassen hatte, und vermutete den Grund: er wollte seine einzige Tochter nicht allein unter Männern wissen. Hankan, Ban, Yoru, Kogeki, Kaiso und Reigi hatten Ayashi den Treueid geleistet, den sie auch bereits beim Antritt ihres Dienstes Kataga geleistet hatten, und in Ayashi verfestigte sich das Gefühl, dass sie es schaffen konnten. Sie konnten siegreich aus dem Krieg hervorgehen, doch Ayashi war nicht so sehr davon überzeugt, dass es schnell gehen würde, wie ihr Vater es war. Kataga stellte seiner Tochter zudem seinen erfahrenen Beamten Kantan zur Seite, der weiterhin seiner Aufgabe – der Organisation der gesamten Hofangestellten – nachgehen sollte, um Ayashi in dieser Hinsicht gänzlich zu entlasten. Dann zogen sich Kataga und Ayashi zurück, damit Kataga die letzten persönlichen Vorbereitungen treffen konnte. Nachdem er sich in einen schwarzen Hakama gekleidet hatte, ließ er sich von Ayashi in einen dünnen, gelblichen Haori und einen dickeren schwarzen Haori helfen und sie binden. Er betrachtete seine Tochter, die die Schlaufen schweigend und mit geschickten Fingern band und ihm schließlich den Harnisch, seine Beinschienen, seine Schultern- und Oberarmpanzer, seine Unterarmpanzer, die bis über den Handrücken reichten, anlegte. Seine gesamte Rüstung bestand aus bearbeiteten Leder und eingearbeiteten, härteren Metallblättchen. Er war gut geschützt. Ayashi blickte ihren Vater kurz an, um zu sehen, warum er sie beobachtete, und griff nach dem roten, breiten Obi, ehe sie ihn ihrem Vater fest um die Hüfte band. Er würde das Schwert halten. Ayashi wandte sich von ihrem Vater ab und reichte ihm das Schwert, das in einer Halterung vor derjenigen der Rüstung lag. Kataga nahm das Schwert bedächtig zu sich und gürtete es fest. „Ich begleite dich nach draußen, Vater.“ meinte sie und suchte seine Augen mit ihrem prüfenden Blick. „Es wird nicht lange dauern. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ versicherte er ihr noch einmal, doch Ayashi schüttelte den Kopf und blieb stumm. Kataga legte ihr die Hand an die Wange und küsste ihre Stirn, ehe er mit ihr seine privaten Gemächer verließ und den Weg in den Hof ging. Kapitel 38: ------------ Er stieß zu seinen Kriegern, die dort warteten, und wurde offiziell verabschiedet. Ayashi neigte vor ihrem Vater nur noch einmal den Kopf. Sie hatten sich in seinen Gemächern verabschiedet. Er verabschiedete sich von ihr noch einmal durch seinen Stirnkuss. Sie hatte sich von ihm dadurch verabschiedet, dass sie das Anlegen der Rüstung übernommen hatte. „Kouga und Higen werden heute oder morgen hier eintreffen. Kouga wird nicht kämpfen, Ayashi. Halte ihn davon ab - zur Not lässt du ihn einsperren.“ sagte Kataga. „Ich werde dafür sorgen.“ entgegnete Ayashi und richtete sich wieder ganz auf. Kataga nickte, ließ seinen Blick noch einmal über die Krieger streifen, die er zurückließ, als bitte er sie im Stillen, für die Sicherheit seiner geliebten Hime zu sorgen, dann eilte er mit seinen Kriegern nach Norden, wo er mit Inu-no-taishou zusammentreffen und dann Stellung an der Wakasa-Bucht beziehen wollte. Ayashi sah ihm nach und vermutete, dass auch Sesshoumaru bei diesem Treffen anwesend sein würde, doch konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Der Himmel verdunkelte sich, stellte Ayashi fest, und sah nach oben. Es war kein Omen – weder ein gutes noch ein schlechtes, redete sie sich ein und wünschte ihnen allen – und auch den Kriegern, die bei ihr geblieben waren – die Kraft, die Lage zu beherrschen. „Ayashi-Sama? Es beginnt zu regnen, Ihr solltet nach drinnen gehen.“ bemerkte Hankan, doch Ayashi schüttelte den Kopf. Sie wurde zur Verteidigung des Schlosses zurückgelassen, dann benötigte sie auch keinen Schutz vor ein bisschen Regen. Der Geruch von fremden, jungen Wolfsyoukai lag kaum wahrnehmbar in der feuchten Luft. Ayashi kannte nur einen und wandte sich an zwei ihrer Krieger. „Kogeki, Ban, bitte geht Kouga und Higen entgegen und geleitet sie zum Schloss.“ wies sie die beiden an. Dann nickte sie in die Runde der versammelten Krieger und ging in ihre privaten Gemächer, um mithilfe einer Dienerin namens Iruka ebenfalls kampftaugliche Kleidung anzulegen. Iruka reichte ihr einen dunkelblauen Hakama, einen dünnen, weißen Haori und darüber einen dickeren schwarzen und feste Stiefel aus Leder. Ayashi band ihr langes Haar zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen und betrachtete sich im Spiegel. Das war nun also sie, dachte Ayashi, und schüttelte den Kopf, als Iruka ihr ihre Rüstung reichen wollte. „Das hat noch Zeit.“ erklärte sie und entließ Iruka, da sie selbst im Hof auf Kouga und seinen jüngeren Bruder warten wollte. Ayashi verließ das Innere ihrer Gemächer wieder und schritt draußen über die Engawa bis zum Hof, auf den die Regentropfen nun stetig und heftig prasselten. Nachdenklich blickte sie in den Himmel und bemerkte, dass Yoru neben sie trat. „Ihr seid bereit, wie ich sehe, Ayashi-Sama.“ meinte er und neigte den Kopf. „Wir müssen vorbereitet sein, Yoru.“ entgegnete sie und erblickte Ban, Kogeki, Kouga und dessen Bruder, der sich neugierig im Schlosshof umsah. Ban und Kogeki zögerten, als sie Ayashi auf der Engawa erblickten und blieben wie angewurzelt stehen. Ayashi schüttelte den Kopf, trat hinaus in den Regen und eilte hinüber, wo sie Kouga und Higen schnell begrüßte und hinein in die Empfangshalle bat. Yoru war ihr gefolgt, da ihm der Anblick seiner anmutigen Hime im strömenden Regen ganz und gar nicht gefiel – abgesehen davon fand er ihre Kleidung befremdlich. „Ich danke Euch, dass Ihr uns Gesandte entgegen geschickt habt, Ayashi-Sama.“ ergriff Kouga das Wort, nachdem Ayashi ihn und seinen Bruder richtig begrüßt hatte, und strich sich über das nasse, zurückgebundene Haar. „Kouga, ich halte es für einfacher, wenn du mich Ayashi nennst…“ begann Ayashi, was Yoru und Ban einen Augenblick aus der Fassung brachte. „Wir haben uns bei Katsumoto-Sama unter weitaus ungezwungeneren Umständen kennen gelernt. Nun sind du und dein Bruder hier und ich halte das für angebracht.“ „Sehr gern, Ayashi. Ich hoffe, ich kann dich hier unterstützen. Ich brenne darauf, diese chinesischen Bastar…“ „Kouga, dein Vater übermittelte meinem Vater die Bitte, dass du nicht kämpfen sollst. Ich habe vor, dieses Vertrauen nicht zu missbrauchen.“ entgegnete Ayashi mit bestimmter Stimme. Kouga öffnete den Mund für eine sofortige Beschwerde, doch Yoru und Ban reagierten schneller und bestanden darauf, ihn und seinen Bruder in ihre Gemächer zu bringen, sodass Ayashi eine wichtige Besprechung mit Hankan abhalten konnte, die überhaupt nicht existierte. Ayashi konnte ihnen nur hinterher sehen und musste - trotz der insgesamt eher angespannten Lage - lächeln. Sie war auch in dieser Kleidung immer noch die Hime, von der man alle Unannehmlichkeiten fernzuhalten versuchte. Ayashi war froh, dass sie ihrem Vater nicht geglaubt hatte und nicht damit gerechnet hatte, dass die Auseinandersetzungen schnell beendet wären, denn inzwischen waren fünfundzwanzig Jahre vergangen und der Krieg tobte noch immer genauso heftig wie am ersten Tag. Bereits im ersten Jahr nach Ausbruch des Krieges hatte Ayashi bemerken müssen, dass sich die Kämpfe wirklich nicht auf die Schlachtfelder weiter nördlich von Kyushu beschränkten, sondern immer wieder vereinzelte Trupps versuchten, Fukuoka zu erobern. Bisher war es ihnen mit vereinten Kräften möglich gewesen, die Feinde zurückzudrängen, und Ayashi hatte erfolgreich Kouga vom Schlachtfeld ferngehalten, doch sie zweifelte, dass sie das noch allzu lange vermochte. Ayashi saß mit Ban und Yoru, die ihr selbst im Schloss kaum von der Seite wichen, auf der Engawa und blickte in den Hof hinunter, wo Kouga Higen in der Schwertkunst unterrichtete. Die Brüder hatten sich gut in Fukuoka eingelebt - so gut es eben möglich war, wenn immer mit einem Angriff auf das Schloss gerechnet werden musste – und Ayashi konnte sich kaum mehr vorstellen, wie das Leben ohne sie war. Der Krieg schweißte sie alle zusammen, doch zu den Brüdern hatte sie ein besonderes Verhältnis, da sie allein besonders für ihr Leben und ihre Gesundheit verantwortlich war. „Kouga hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, Ayashi-Sama.“ meinte Yoru beiläufig. Ayashi blickte ihn an. Sie hatte es schon lange aufgegeben, auch bei den Kriegern im Schloss darauf zu bestehen, dass sie sie nur mit ‚Ayashi’ ansprachen. „Ihr unterrichtet ihn weiterhin, stellte ich fest.“ entgegnete sie mit etwas Unmut in der Stimme. „Kouga ist begierig zu lernen. Ich sehe darin keine Vernachlässigung meiner sonstigen Verpflichtungen, Ayashi-Sama.“ erwiderte er und blickte zu seinem Bruder, der ihm kaum merklich zunickte. „Es ist wirklich schön, dass Ihr Euch mit Eurem Bruder einig seid.“ sagte Ayashi und blickte wieder hinunter in den Hof. „Ihr solltet ihn nicht noch zusätzlich ermutigen. Sein Vater wird mir niemals verzeihen, wenn ihm in einer kriegerischen Auseinandersetzung, von der ich ihn hätte fernhalten können, etwas zustößt. Und ich würde mir das auch niemals verzeihen.“ „Er ist bereit, Ayashi-Sama. Er brennt darauf, seinen Beitrag zu leisten.“ meinte nun Ban, worauf Ayashi ihm einen wütenden Blick zuwarf. „Und genau deshalb wird er im Inneren der Palastmauern bleiben. Er ist zu unbedacht und zu unruhig. Ich weiß, dass wir eine weitere Hand, die in der Lage ist, ein Schwert zu halten, gut gebrauchen könnten. Glaubt nicht, dass mir entgeht, wie bedrohlich unsere Lage ist. Ich werde aber nicht zulassen, dass Kouga mit seinem jugendlichen Geist und seinem rasenden Herz ein Risiko für sein Leben eingeht – oder gar für unsere eines darstellt.“ gab Ayashi zurück und sprach dabei fester und befehlerisch, was ihr überhaupt nicht gefiel, doch seine Wirkung nicht verfehlte. Ban und Yoru nickten und schwiegen, während in Ayashi die Gedanken wild durch den Kopf und auch das Herz jagten. Schließlich erhob sie sich und wandte sich noch einmal zu den Brüdern um, die ihr eine große und wichtige Unterstützung in den letzten Jahren gewesen waren. Sie alle – alle Krieger im Schloss - waren aufeinander angewiesen. Sie alle würden ihr Leben füreinander und für die Sache geben, das wusste Ayashi. „Ich weiß, dass Ihr Kouga weiter unterrichten werdet, Yoru. Ich nehme an, dass Ihr Euren Bruder dabei unterstützen werdet, Ban.“ begann sie und holte tief Luft. „Ich möchte diese Treffen nicht unterbinden, weil sie eine gewisse Normalität bringen, die für uns alle sehr wichtig ist. Wenn die Krieger sich treffen, kann ich Kouga nicht davon ausschließen, ohne ihn in seiner Ehre zu verletzen. Ich möchte, dass Ihr ihn deshalb weiterhin unterrichtet, seien Fähigkeiten ausbaut und ihn Ruhe und Besonnenheit im Kampfe lehrt. Wenn mir die Zeit und Kouga reif erscheint, werde ich noch einmal über seine Rolle in unseren Reihen nachdenken, doch versprechen werde ich weder ihm noch Euch etwas.“ „Ich danke Euch, Ayashi-Sama.“ entgegnete Yoru und neigte den Kopf. Ayashi nickte und überquerte mit schnellen Schritten den Hof, um wie an jedem Abend zur Dienst habenden Wache auf die Mauer zu steigen und sich zu erkundigen, ob es Neuigkeiten aus der Schlacht gab, die ihr noch nicht zu Ohren gekommen waren. Kapitel 39: ------------ An diesem Abend stand Hankan selbst oben auf der Mauer und ließ seinen Blick über die Umgebung streifen. Er nickte seiner Hime kurz zu und ließ sie dann ebenfalls über das Land schauen. Sie kam auch oft hierher, um einen Augenblick Ruhe zu suchen, das wusste er. Ayashi stützte ihre Arme auf die steinerne Brüstung, die den Wehrgang auf der Mauer notdürftig vor Angriffen schützte, und sah in die Ferne. Die Hügel lagen ruhig und friedlich da, als gäbe es keinen Krieg im Norden. Leise hörte sie das Meer in der Ferne rauschen. Der Wind trug seinen salzigen Duft deutlich bis zum Schloss. Ayashi schloss für einen Moment die Augen und atmete die warme und schwere Abendluft ein. Es war Sommer, doch zwischen all den Kämpfen und Angriffen fiel es ihr schwer, sich an die häufigen Wechsel der Jahreszeiten zu erinnern. Sommer. Herbst. Winter. Frühling. Es war ihr einerlei – meistens. Der Winter machte sie traurig, da sie ihren Vater nicht beobachten konnte, wie er den Schrein ihrer Mutter aufsuchte. Der Frühling machte sie nachdenklich, weil die Schönheit der Kirschblüten nicht einmal für einen kurzen Augenblick das Bewusstsein des Krieges zurückdrängen konnte. Der Sommer entsetzte sie, da es umso deutlicher wurde, dass das Schloss beinahe völlig verlassen war. Nur der Herbst schien in Ayashis Leben zu passen, doch auch hier störten die farbenfrohen Blätter und das ausgelassene Spiel des Windes das insgesamt düstere Bild der Zukunft. Ayashi schüttelte den Kopf und seufzte, dann wandte sie sich an Hankan: „Gibt es etwas Neues aus der Schlacht oder von den Verbündeten?“ „Nein, Ayashi-Sama.“ „Ich gewöhne mich langsam daran.“ meinte sie und blickte wieder in die Ferne. Hankan betrachtete seine Hime und nickte langsam. Sie erledigte ihre Aufgabe gut und mit klarem Verstand. Er hatte nicht erwartet, dass er ihr so leicht folgen konnte, doch ihre Entscheidungen waren von Anfang an richtig und sogar klug gewesen. Ayashi ließ sich nichts anmerken, doch er bemerkte den Druck, der auf ihr lastete. „Ayashi-Sama, wenn Ihr etwas braucht…“ „Nein, danke. Es ist alles in Ordnung.“ wehrte Ayashi ab und blickte den erfahrenen General an. „Ich hoffe jedes Mal, wenn ich frage, keine schlechten Neuigkeiten zu erhalten. So kann ich mir sicher sein, dass mein Vater, Katsumoto, Inu-no-taishou, Sesshou… unsere anderen Verbündeten noch am Leben sind. Und ich kann mir sicher sein, dass auch Ayame in Kochi ausreichend geschützt ist.“ „Ayame ist sicherer, als Ihr es seid, Ayashi-Sama. Sie ist in Kochi. Die chinesischen Youkai müssten zwei Gebirge überqueren, um dorthin zu gelangen.“ „Ja, das ist wahr. Shikoku liegt außerdem nicht in ihrem Interesse.“ stimmte Ayashi dem General mit dumpfer Stimme zu und zog ihre Hand von der Brüstung zurück. „Gebt die Hoffnung nicht auf, Ayashi-Sama. Wenn Euer Vater in der Schlacht genauso verbissen kämpft, wie Ihr uns hier leitet, kann der Krieg nicht mehr allzu lange dauern.“ Ayashi nickte und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich habe aufgehört, an derartige Voraussagen zu glauben, Hankan-Sama, doch ich danke Euch.“ entgegnete sie und blickte wieder in die Ferne. „Ich werde mich etwas ausruhen.“ „In Ordnung, Ayashi-Sama.“ meinte der General und sah seiner Hime nach, wie sie über die engen und schmalen Stufen wieder hinunter in den leeren Hof stieg und diesen Überschritt. Niemand kam ihr entgegen. Niemand öffnete ihr die Türen, als sie sich über die Empfangshalle in den privaten Bereich des Schlosses zurückzog und aus Hankans Sicht verschwand. Es war still geworden, da fast alle Diener ins Landesinnere gezogen waren, um den Übergriffen nicht völlig ausgesetzt zu sein. Viele der Kinder waren von Verwandten ebenfalls in geschützte Mauern geholt worden. Hankan hatte es genau wie Ayashi nicht gut geheißen, doch hatte sie ziehen lassen. Er wusste, dass die Mauern von Fukuoka dank ihm, seiner Krieger und seiner kämpferischen Hime zu den stärksten des Landes zählten. Ayashi schritt langsam durch die dunklen Gänge und hörte nur ihre Schritte auf dem Holzböden hallen. Schon lange hatte sie keine Sandalen mehr getragen, da sie immer bereit für den Kampf sein musste. Sie trug einen Hakama und zwei Haoris, Stiefel und das Haar zurückgebunden, sodass Ayashi sich beinahe nicht mehr vorstellen konnte, einen Kimono aus Seide zu tragen. Nachdenklich betrachtete sie ihre Hände, an denen sich allmählich durch raue Haut an den Handballen und unterhalb der Finger in der Handfläche ansehen ließ, dass sie fast täglich das Schwert führte. Ayashi stellte sich ihr Spiegelbild vor und lachte bitter. Sie konnte sich wirklich nicht mehr als Hime bezeichnen. Stetig ging sie weiter durch den Palast. Ruhe brauchte sie zwar, doch sie stellte sich einfach nicht mehr ein. Sobald sie sich niederlegte, kamen ihr die schlimmsten Gedanken in den Sinn und ihre nach außen hin gefasste Haltung begann wie eine alte und baufällige Fassade zu zerbröckeln. Ayashis Ruhe bestand nun darin, durch den ruhigen Palast zu spazieren, und in dieses und jenes Zimmer zu sehen, nur um festzustellen, dass es natürlich verlassen war und niemand mehr darin lebte, arbeitete oder beisammen saß. Der Mond schleppte sich langsam auf seinem Weg über den klaren Himmel, als Ayashi in die Gärten hinaustrat, um die sich schon längere Zeit niemand mehr gekümmert hatte. Das Gras stand hoch, der Kies war unsauber und unebenmäßig, das Wasser der Teiche trüb, die Steine der Witterung überlassen, die Büsche und Sträucher nicht geschnitten, verwelkte Blüten aus den Blumenstauden nicht entfernt. Sogar das Laub des letzten Herbstes sammelte sich in den Ecken des Weges und auf den Stufen der Brücken oder des kleinen Schreines. Ein Bild des Jammers bot sich ihr bei Tage und Ayashi kannte ihn zu genüge. Sie war froh, dass die Dunkelheit die größten Missstände von ihren Augen fernhielt. Im Moment gab es einfach wichtigere Dinge zu erledigen und die wenigen Bediensteten im Schloss zur Gartenarbeit anzuhalten, schien ihr nicht angebracht. Eine Windböe trug plötzlich den Geruch von fremdem Blut gegen Ayashis Sinne. Blitzschnell tastete sie nach ihrem Schwert und legte ihre Hand kampfbereit an den Griff, während sie durch den Garten und über den angrenzenden Hof die Mauer hinaufeilte. „Was ist geschehen?“ fragte Hankan verwundert. Ayashi blickte ihn verwirrt an, dann witterte sie in der Luft nach dem Geruch und musste feststellen, dass der Wind zu ungünstig stand. Ihre Augen durchkämmten die dunkle, leicht in silbernes Mondlicht getauchte Landschaft, doch der Geruch erreichte nicht noch einmal ihre Sinne. Es hatte ähnlich gerochen wie Inu-no-taishous Blut, doch er war es nicht gewesen, da war sich Ayashi sicher. „Der Geruch von Blut… In den Gärten habe ich ihn deutlich wahrgenommen.“ erklärte Ayashi kurz dem General und suchte weiter mit zusammen gekniffenen Augen die Gegend ab. Ihr Blick streifte weiter nach Norden und beobachtete den Waldrand, von dem der Geruch gekommen sein konnte. Hankan lief auf der Mauer entlang und spähte in die andere Richtung, doch Ayashi wusste, dass er dort nicht fündig werden würde. Fieberhaft blinzelte sie einige Male und fixierte weiter die Dunkelheit, bis sie endlich in weiter Ferne nicht weit entfernt vom Waldrand eine Gestalt erkannte, die reglos auf dem Boden lag. „Hankan-Sama! Am Waldrand! Im Norden!“ rief sie und wies mit ihrer Hand in die Richtung, die sie meinte. Hankan folgte mit seinem Blick ihrer Hand und nickte. „Ich lasse Kaiso und Kogeki rufen. Sie sollen nachsehen!“ rief er ihr zu, doch Ayashi befand sich schon auf dem Weg in den Kopf und schüttelte den Kopf, als sie nach oben zu ihm sah. „Das dauert zu lange! Ruft dir Krieger und kommt mir nach!“ wies sie ihn an, stemmte das Tor auf und rannte auf direktem Weg auf den Waldrand zu. Kapitel 40: ------------ Hankan blieb eine Sekunde perplex zurück – so hatte er sich das nicht gedacht – und sah seiner Prinzessin nach, die sich demjenigen näherte, der dort auf der Erde lag, ohne dass sie wusste, wer er war. Hankan schlug das Signal, damit alle übrigen Youkai-Krieger sofort kampfbereit zu ihm eilten. Ayashi hörte das Signal ertönen und schluckte ihre Zweifel hinunter. Ihre Schritte kamen ihr so langsam vor, dass sie das Gefühl hatte, sich überhaupt nicht von der Stelle zu bewegen, dabei hörte sie den Wind gegen ihre Ohren und spürte ihn gegen ihre Haut. Die Geräusche des Schlosses verklangen, doch Ayashi wusste, dass die Krieger versammelt waren und Hankan Befehle gab. Hankan starrte zu Ayashi und wartete immer noch auf die Krieger. Beinahe hatte die Hime die unbekannte Gestalt erreicht und er hatte keine Möglichkeit, ihr nachzugehen, denn er musste die anderen informieren, was geschehen war. Würde er gehen, entstünde ein Chaos. Das musste auch Ayashi wissen. Er sah, wie sie sich neben der Gestalt auf den Boden niederließ und bemerkte, dass Ban, Yoru und Kouga, der eigentlich kein Krieger war, aber dennoch dem Signal gefolgt war, endlich bereit waren, seine Befehle zu empfangen. Ayashi traute ihren Augen nicht, als sie erkannte, wer vor ihr lag. Wegen seines langen, silbernen Haares hatte sie ihn erst für Inu-no-taishou gehalten, obwohl sie schon beim Geruch des Blutes sicher gewesen war, dass er es nicht war. Nun sah sie klar und deutlich, dass es Sesshoumaru war, der verwundet und leblos vor ihr lag. „Ein Unbekannter liegt verletzt am Waldrand. Ayashi-Sama ist nun ebenfalls draußen, um ihm zu helfen. Sie könnte in Gefahr sein, wenn es sich um eine Falle handelt!“ rief Hankan den Kriegern im Hof zu. Ban und Yoru verloren keine Zeit, einen direkten Befehl abzuwarten, sondern stürmten durch das Tor, um Ayashi zur Hilfe zu eilen, sollte es nötig sein. Kouga folgte ihnen ebenfalls, doch Hankan verschwendete keinen Gedanken daran, da er sich mit Kaiso, Reigi und Kogeki auf einen möglichen Angriff vorbereitete. Ayashi versuchte verzweifelt, Sesshoumaru wieder zu Bewusstsein zu bringen, doch er blieb nicht ansprechbar. „Sesshoumaru-Sama!“ redete sie wieder eindringlich auf ihn ein, hob seinen Kopf mit einer Hand etwas nach oben und presste ihre andere Hand auf die stark blutende Wunde, die über den unteren Teil seines Brustkorbs verlief. „Sesshoumaru! Sesshoumaru…“ Wie lange mochte er schon hier gelegen haben? Wie lange lag er hilflos in seinem eigenen Blut und war nicht bei Bewusstsein? Vorhin schon, als sie bei Hankan auf der Mauer gewesen war? Wieso musste der Wind nur so ungünstig stehen? War es inzwischen zu spät? Ayashi schloss die Augen und drückte fester auf die Wunde, als könne sie verhindern, dass noch mehr Blut seinen Körper verließ. Ban und Yoru tauchten in ihrer Nähe auf und zogen ungestüm ihre Schwerter, bevor sie sehen konnten, dass Ayashi versuchte, dem Unbekannten zu helfen. Ayashi nahm schnell ihre Hand von Sesshoumarus Nacken und machte eine abwehrende Handbewegung. „Nicht! Es ist Sesshoumaru-Sama!“ hielt Ayashi sie energisch zurück und wandte sich wieder Sesshoumaru zu. Sie musste ihn in Sicherheit hinter die Mauern des Schlosses bringen lassen, das wusste Ayashi. Die Finger ihrer freien Hand nestelten an ihrem Obi und lösten ihn schließlich, sodass ihr Schwert zu Boden glitt. Ban und Kouga behielten die Gegend fest im Blick. Wer auch immer Sesshoumaru-Sama verletzt hatte, konnte noch in der Nähe sein. Geschickt und mit Yorus Hilfe gelang es Ayashi, den Obi fest um die tiefe Wunde zu schlingen, während sie inständig und in Gedanken flehte, Sesshoumaru möge die Augen endlich aufschlagen, und immer wieder seinen Namen aussprach. Durch Sesshoumarus Kehle presste sich ein Laut des Schmerzes, der Ayashi beinahe die Tränen in die Augen trieb, als Yoru den Obi festzog. Sein geschundener Körper zitterte und seine geschlossenen Augenlider flatterten. „Ins Schloss. Bringt ihn ins Schloss!“ befahl Ayashi und sie folgten ihrer Anweisung. Sesshoumaru wurde vorsichtig und schnell von Kouga und Yoru aufgehoben und auf das Schloss zugetragen. Ayashi nahm sein und ihr Schwert vom Boden auf und folgte mit Ban, der jede Bewegung in der Gegend weiterhin beobachtete. Die Krieger erreichten mit dem verletzten Sesshoumaru den ersten Schlosshof, wo Hankan und die übrigen Krieger warteten. „Das war überaus gefährlich, Ayashi-Sama!“ rief Hankan aufgebracht, doch Ayashi achtete nicht auf ihn. Es war auch gefährlich gewesen, Kouga einfach so nach draußen zu lassen. Ayashi hörte, wie das Tor wieder geschlossen wurde und eilte weiter über den Hof, um Yoru und Kouga die verschiedenen Türen zu öffnen. „Wohin sollen wir ihn bringen?“ fragte Yoru und drehte sich leicht zu seiner Hime um, als sie an ihr vorbei durch die Tür in den privaten Teil des Schlosses gingen. „Das Zimmer meines Vaters. Es ist das einzige Zimmer, das noch gerichtet ist.“ meinte sie schnell. Yoru nickte und trug Sesshoumaru mit Kouga die Gänge entlang und betten ihn schließlich auf das Lager des Schlossherrn. „Ban, rufe Iruka und sage ihr, dass ich sie im Zimmer meines Vaters brauche. Sie soll saubere Tücher, sauberes Wasser, Nadel und Faden und die Heilmittel aus meinen Gemächern mitbringen.“ wandte sich Ayashi mit leiser Stimme an Ban und er entfernte sich. Ayashi kniete sich neben Sesshoumaru, legte die beiden Schwerter beiseite und fuhr ihm mit den Fingern vorsichtig über die Stirn. Er glühte vor Fieber. Kouga betrachtete ihn besorgt. Yoru beäugte die Handlungen seiner Hime mit verschlossener Miene und sah, dass Sesshoumaru die Lippen bewegte. „Schöne Göttin… heiße Quelle.“ hauchte er kaum hörbar, doch Ayashi zog verwirrt ihre Hand zurück. „Ihr habt Fieber, Sesshoumaru-Sama.“ flüsterte Ayashi beruhigend und wandte den Blick zur Tür, durch die Iruka und Ban hereineilten. Iruka trug Tücher und die Heilmittel, ließ sich geschwind gegenüber von Ayashi auf den Boden nieder, sodass Sesshoumarus Körper zwischen ihnen lag und nickte ihr zu. Ban stellte zwei Schalen mit sauberem Wasser neben die beiden Frauen und wartete auf weitere Anweisungen. „Geht nun und ruht euch aus. Ein Angriff von Seiten der chinesischen Youkai ist immer noch möglich.“ forderte Ayashi die Krieger auf. Ban und Kouga zogen sich sofort zurück, doch Yoru zögerte, obwohl sich seine Hime schon wieder Sesshoumaru, der wieder bewusstlos war, zugewandt hatte und ihm keine Beachtung mehr schenkte. „Ich bitte Euch, Yoru-Sama. Wir werden für Sesshoumaru-Sama tun, was wir können.“ meinte Iruka und deutete mit einer Hand auf die Tür. Ayashi hob kurz den Blick und sah ihre Dienerin an. Mit eisernem Blick fixierte sie den Krieger und beharrte auf ihrer Position, bis Yoru sich zögerlich in Bewegung setzte und Ayashi hörte, wie er die Tür hinter sich schloss. „Die Wunde am Oberkörper ist sehr tief. Sie blutete stark, als ich ihn fand. Ich nehme an, sie muss genäht werden.“ sagte Ayashi und begann, die Schlaufen seines Haori unter dem Obi zu lösen. „Ich kann nicht nähen, Hime-Sama.“ meinte Iruka entsetzt, doch Ayashi schüttelte beruhigend den Kopf. „Ich übernehme das. Ich hoffe, der Obi hat die Blutung etwas gestillt.“ entgegnete sie und wies Iruka an, in einer Schale ihre Hände zu waschen und anschließend ein Tuch griffbereit zu halten, falls sie es auf die Wunde pressen musste. Ayashi schob Sesshoumarus Kleidung über den Oberkörper soweit zur Seite, dass sie später nur noch den Obi lösen musste, wusch in derselben Schale ihre Hände und bereitete die Nadel vor, indem sie den Faden hindurchzog. Schließlich tauchte sie ein sauberes Tuch in das noch unbenutzte Wasser und bat Iruka, den Obi langsam und vorsichtig zu lösen. Irukas Finger zitterten, doch sie löste den Obi und schob die zerrissene Kleidung so behutsam zur Seite, dass ein gewaltiger Blutfluss ausblieb. Ayashi atmete erleichtert aus, doch wusste auch, dass damit nicht alles gut war. Konzentriert beugte sich Ayashi etwas näher über den verwundeten Körper und begann, Stoffreste aus der Wunde zu entfernen, während Iruka langsam rinnendes Blut außerhalb der Wunde abfing, sodass es nicht auf das Laken floss. Ayashi ließ sie gewähren, denn im Moment gab es für sie nichts anderes zu tun, als darauf zu warten, dass Ayashi, nachdem sie die Wunde von allen Stoffresten befreit hatte, die Wunde mit wenig Wasser reinigte und schließlich das Nähen begann. Kapitel 41: ------------ „Es ist zum Glück ein glatter Schnitt. Innere Organe scheinen nicht verletzt zu sein. Das meiste haben die Rippen abgefangen.“ sagte Ayashi zu sich selbst und beendete den letzten Nadelstich. Iruka blickte ihre Hime bewundernd an und nahm ihr Nadel und Faden ab, sodass Ayashi ein Tuch nehmen konnte und die Ränder der Wunde sorgsam abtupfte. „Wir müssen ihm die Kleidung ausziehen, Iruka. Er könnte noch andere Verletzungen haben.“ erklärte Ayashi und legte das Tuch weg. Iruka sah ihre Herrin einen Augenblick lang zweifelnd an, dann nickte sie. Gemeinsam befreiten sie Sesshoumaru von den blutverschmierten und beschädigten Haoris und zogen ihm auch seine Stiefel und den Hakama aus, sodass er nur noch im dünneren Untergewand seiner Beinkleider, das ihm bis zu den Schienbeinen reichte, auf seinem Lager gebettet war. Ayashi kontrollierte die genähte Wunde und war zufrieden, da die Nähte hielten. Sesshoumarus andere Verletzungen waren weniger Besorgnis erregend und mussten nur gründlich gereinigt werden. „Hime-Sama, soll ich es übernehmen, ihn zu waschen?“ bot Iruka an, da sie fand, dass ihre Hime genug für den fremden Youkai getan hatte und sich weitere Dienste nicht für sie ziemten. „Nein, Iruka. Geh’ und hole Handtücher, ein frisches Laken und bequeme Kleidung aus dem Ankleidezimmer meines Vaters. Ich werde beginnen, ihn zu waschen.“ entgegnete Ayashi und Iruka erhob sich, um das Zimmer zu verlassen. Ayashi betrachtete Sesshoumaru, für dessen Leben sie getan hatte, was in ihrer Macht stand. Sie hoffte inständig, dass es genug war, doch er hatte viel Blut verloren und sie konnte nicht sicher sein, dass er überleben würde. Er war schwach, auch wenn er nun etwas aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte. Sesshoumarus Augenlider flatterten wieder, als sie mit einem wassergetränkten Tuch das verkrustete und mit Staub vermischte Blut und andere Schmutzspuren vorsichtig von seinem Oberkörper wusch. Sie ließ das Tuch über seine Bauchmuskeln bis zum Bund seiner Beinkleider wandern und reinigte die seitlichen Partien seines Oberkörpers. Ayashi wandte sich etwas ab, um das Tuch auszuwaschen und dann mit ihrer Arbeit fortzufahren. Zärtlich fuhr sie mit dem Tuch über die schönen Linien seiner muskulösen Brust, als er plötzlich die Lider aufschlug und sie aus seinen bernsteinfarbenen Augen anblickte. Ayashi schreckte kurz zusammen, wusch das Tuch noch einmal aus und reinigte dann seine Schultern, seinen Hals und seinen rechten Arm. „Bin… ich… tot?“ fragte er mit brüchiger Stimme und sah von Ayashi in den Raum, den er nicht einordnen konnte. „Ich muss… es sein.“ fügte er hinzu. Ayashi schüttelte den Kopf und legte ihm leicht ihre Fingerspitzen auf die Lippen. Er durfte die Kraft, die er noch hatte, nicht mit Reden vergeuden. Seine Augenlider wurden wieder schwerer und er fühlte sich wieder, als schwebte er in einem leeren Raum. „Göttin… Schöne Göttin…“ hauchte er noch einmal, ehe sein Kopf zur Seite sank. Ayashi verstand nicht, doch sie ließ sich nicht von seinen Worten beirren, In einem weit entfernten Teil ihres Verstandes hatte sich zwar schon vor einiger Zeit die Frage aufgetan, wo Iruka blieb, doch eigentlich war Ayashi froh, dass sie allein mit Sesshoumaru sein konnte. Sie war auf ihre Hilfe im Moment nicht angewiesen und viel wichtiger war, dass Sesshoumaru leben musste. Sie konnte und wollte ihn nicht verlieren. „Bitte, Sesshoumaru.“ flüsterte sie und wusch das Tuch ein letztes Mal in der Schale aus. „Bitte, lebe.“ Ihre Hände zitterten, als sie begann, Sesshoumarus Gesicht zu waschen. Sie fuhr über seine Stirn, seine Nase, seine Wangen, seine geschlossenen Augenlieder, seinen Mund, sein Kinn und seinen Kiefer. Seine Lippen waren so furchtbar blass. Ayashis Finger ließen das Tuch in die Schale sinken, da sie fertig war, und fuhren zärtlich die Linie seiner Unterlippe nach, als sie hörte, wie die Tür wieder geöffnet wurde. Schnell zog sie ihre Hand zurück und wartete, bis Iruka sich wieder gesetzt hatte und ihr ein Handtuch reichte. Gemeinsam trockneten Ayashi und die Dienerin seine Haut, sodass Ayashi die Heilsalbe auftragen konnte. Während Ayashi das tat, sammelte Iruka die schmutzigen Kleidungsstücke, die Tücher und die Handtücher ein und sah immer wieder hinüber zu Ayashi. „Hime-Sama? Ihr tragt die Salbe nur auf die tiefe Wunde auf?“ fragte sie, nachdem sie ihre Hime eine Zeit lang beobachtet hatte. „Ja. Wir haben kaum noch von der Salbe, da wir unsere Verletzungen in der letzten Zeit nicht von selbst heilen lassen konnten, auch wenn das bei uns Youkai nur wenige Tage dauert.“ „Ich verstehe. Ihr musstet immer bereit und bei ganzen Kräften sein. Ich verstehe.“ versicherte Iruka, worauf Ayashi nickte. „Die ungefährlicheren Verletzungen überlasse ich ihm. Sie werden von selbst heilen, wenn es in seinem schlechten Zustand auch länger dauern mag. Diese Wunde allerdings…“ meinte Ayashi und deutete in einer vagen Geste auf die tiefe Wunde über den Oberkörper. „Die Salbe wird ihren Teil leisten und seinen Körper bei der Heilung unterstützen.“ Iruka nickte und sah Ayashi zu, wie sie gewissenhaft und vorsichtig die Salbe verteilte und schließlich die Verletzung verband. Ayashi ließ ihre Finger noch einmal über den Übergang zwischen Verband und Haut streichen und wandte sich dann ihrer Dienerin zu: „Ich bitte dich, ihm seine kurzen Beinkleider zu wechseln und auch das Laken zu wechseln. Dann kleide ihn in die Sachen meines Vaters, aber sei sehr vorsichtig.“ Iruka nickte und Ayashi erhob sich von Sesshoumarus Seite. Der Anstand verbot ihr nun tatsächlich jegliche weitere Tätigkeit an Sesshoumarus Körper, doch es fiel ihr schwer, sich von Sesshoumaru zu entfernen. Iruka begann ihre Arbeit, sobald ihre Hime den Raum verlassen hatte. Ayashi wanderte draußen vor der Tür langsam auf und ab und hatte ihre Arme um ihren Oberkörper geschlungen. Ban kam auf sie zu und erkundigte sich nach dem Befinden von Inu-no-taishou-Samas Sohn. „Sein Zustand macht mir Sorgen. Wir können nur warten.“ antwortete Ayashi und Ban nickte. „Es ist alles ruhig. Soll ich die Nachtwache bei ihm übernehmen?“ „Nein, wir brauchen alle Ruhe. Iruka wird das übernehmen.“ wehrte Ayashi ab und fügte hinzu: „Ich will auch nur noch einmal nach ihm sehen, bevor ich mich auch zur Ruhe lege. Geht ruhig.“ Ban nickte und verließ Ayashi wieder. Sie blickte ihm nach, wie er in den Hof hinab schritt und schließlich um eine Ecke verschwand. Wenig später hörte sie, wie Iruka die Tür zu den Gärten öffnete und zu ihr trat. „Er ist angekleidet und das Lager frisch bezogen.“ berichtete Iruka. „Iruka, ich möchte, dass du die Nacht über in den Gemächern meines Vaters bleibst und Sesshoumarus Zustand überwachst.“ meinte Ayashi, trat in die Gemächer und schloss die Tür. Zögernd näherte sich dem Lager, auf dem er ruhte, und betrachtete ihn. In den reinen Kleidern eines Schlossherrn und in einem frisch bezogenen Bett sah er fast so aus, als würde er nur schlafen. Ayashi ließ sich vorsichtig rechts neben dem niederen Bett auf die Knie nieder. Iruka hatte die Schalen ausgeleert und eine von ihnen mit frischem Wasser gefüllt. Er sah so anders aus als in der Nacht, in der sie ihn in den Bergen gesehen hatte. Sie zitterte leicht und fröstelte bei dem Gedanken, dass er noch nicht außer Lebensgefahr war. Seine Brust hob und senkte sich unter langen Atemzügen, was ein gutes Zeichen war. Plötzlich durchfuhr ein jähes Zucken Sesshoumarus Körper und er begann zu heftig röcheln. Ayashi war sofort zur Stelle, legte ihren linken Arm unter seine Achseln und half ihm, sich aufzurichten. Ihre andere Hand tastete nach der leeren Schale, da es sich so anhörte, als würde er bald Blut husten. Ayashi lehnte Sesshoumarus Oberkörper gegen ihren, nahm die Schale in die andere Hand und presste ihre linke Hand auf die Wunde, damit sie bei seinem Husten nicht aufbrach. Sein Körper bebte unter einem starken Hustenanfall. Fassungslos starrte Ayashi in die Schale, als sie Recht behalten hatte. Sesshoumarus Blick ruhte auf ihr und er musterte ihr Profil. „Ich dachte, wenn man… tot ist, hätte man… keine… Schmer… Schmerzen mehr.“ flüsterte er und sank noch mehr gegen sie. Ayashi stellte die Schale wieder weg und umfing seinen Oberkörper mit ihren Armen, um ihn langsam wieder zurück auf das Bett sinken zu lassen. Die Nähte seiner Wunde waren nicht gerissen. Er blickte sie an, doch sie blieb noch eine Weile stumm, doch schließlich musste sie etwas sagen. „Ihr seid nicht tot, Sesshoumaru-Sama. Ihr seid nicht tot.“ meinte sie und strich ihm das Haar aus dem Gesicht. Ihre Hand legte sich sanft auf seine Stirn, die natürlich immer noch glühend heiß war, sodass sie ein frisches Tuch in Wasser tränkte und ihm damit Kühlung verschaffte. „Es steht schlecht um Euch, Sesshoumaru-Sama.“ gab sie zu und blickte ihn an. „Ich bin tot, schöne Göttin...“ murmelte er und schloss die Augen wieder. Es tat so weh, diese Worte aus seinem Mund zu hören. Ihr Körper verkrampfte sich etwas und ihr Inneres schien zu bluten. Ayashi legte beide Hände an seine Wangen und beugte sich über ihn. Sie schüttelte ihn leicht und zwang ihn, die Augen wieder zu öffnen und sie anzusehen. „Nein, Sesshoumaru-Sama. Das werde ich nicht zulassen. Hört Ihr? Ihr werdet leben! Versteht Ihr? Leben! Ich habe für Euch getan, was ich tun konnte, aber nun müsst Ihr mir helfen.“ redete sie auf ihn ein und blickte ihn eindringlich an. „Bitte, helft mir, dass ich Euch helfen kann.“ flüsterte sie und senkte den Blick, da seine Augen zu brennend in ihren waren. „Wie?“ fragte er heiser und Ayashi hob den Blick wieder. „Schlaft nun, Sesshoumaru-Sama, und denkt nicht mehr an den Tod. Ihr seid am Leben und in Sicherheit.“ Ayashi sah ihn mit flehendem Blick an und schließlich nickte er leicht. Ihre Hand fuhr nochmals über seine Stirn und er musste zugeben, dass diese geringe Berührung ihn sehr beruhigte. „Wieso… bin ich bei den Göttern?“ fragte er. „Das seid Ihr nicht. Ich bin keine Göttin, Sesshoumaru-Sama.“ erklärte Ayashi, doch sie vermutete, dass es nicht in seinem fiebrigen Verstand ankam. „Bleibt Ihr bei mir?“ fragte er, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Seid unbesorgt, Sesshoumaru-Sama. Ich werde jemanden über Euren Schlaf wachen lassen. Ihr werdet nicht alleine sein, wenn Ihr erwacht.“ versprach Ayashi, ergriff kurz seine Hand und erhob sich dann von seinem Lager. Kapitel 42: ------------ Ayashi kehrte schnell in ihre Gemächer zurück und vertraute darauf, dass Iruka bald an Sesshoumarus Seite wachen würde. Sie wäre gern an seinem Bett geblieben und hätte über ihn gewacht – die Zeiten, in denen sie ruhig in ihrem Bett lag und schlief, waren eh schon lang vorbei, und Sesshoumaru so nahe sein zu können, erfüllte ihr Herz einerseits mit warmer Zuneigung, andererseits mit kalter Angst um sein Leben. Die Stunden der Nacht zogen sich beinahe endlos, obwohl sie schon fortgeschritten gewesen war, als sie Sesshoumaru ins Schloss gefunden hatte. Ayashi saß die meiste Zeit in ihrem Zimmer, ging ab und zu in den Hof und auf der Engawa zur Gartenseite auf und ab, ehe sie wieder in ihrem Zimmer verschwand, sich auf ihr Lager niederlegte, doch nie lange dort verharren konnte. Die ersten Sonnenstrahlen, die durch das ankündigende Grau des morgendlichen Himmels hindurch brachen, empfand Ayashi als wahre Erlösung. Sie erhob sich vom Boden, auf dem sie in stillem Warten, gekniet hatte, streifte ihre Stiefel, ihren Hakama und die beiden Haoris ab und wusch sich ausgiebig mit dem Wasser, dass eine Dienerin in ihre Gemächer gebracht hatte, bevor Ayashi selbst zurückgekehrt war. Sie trocknete sich ab und hüllte sich in ein langes Tuch, ehe sie ihre Kleider auswählte. Ihre Finger fuhren über einige ihrer aufgehängten Kimonos und ihre zusammengefalteten Yukatas, doch sie entschied sich wieder für einen Hakama und zwei passende Haoris, schlüpfte in weiße Socken und zog auch wieder ihre kniehohen Stiefel, deren Schaft unter ihrem Hakama lag, an. Ayashi betrachtete ihre Hände. Sie waren sauber, doch etwas rau, also rieb sie sie mit einem leicht duftenden Öl ein, um ihre Haut geschmeidiger und weicher zu machen. Ayashi kämmte noch ihr Haar, band es locker nach hinten und trat dann hinaus auf die Engawa. Yoru hielt sich mit Kouga und Ban im Hof auf und nickte ihr kurz zu, ohne seinen Unterricht mit Kouga zu unterbrechen. Ayashi grüßte zurück und winkte Ban zu sich, der wenig später vor seiner Hime stand und das Haupt leicht neigte. „Wir müssen Nachricht in Inu-no-taishous Lager senden, dass Sesshoumaru-Sama in Fukuoka ist.“ meinte sie, doch Ban schüttelte den Kopf. „Verzeiht, Ayashi-Sama, doch wir können keinen Krieger entbehren.“ entgegnete Ban. „Inu-no-taishou muss über den Verbleib seines Sohnes unterrichtet werden.“ beharrte Ayashi auf ihrem Standpunkt, doch Ban meinte wieder: „Ayashi-Sama, es ist noch nicht einmal sicher, ob er sich erholen wird.“ „Sagt so etwas nicht, Ban!“ unterbrach Ayashi ihn heftig und ließ ihn dann fortfahren. „Ich werde mit Hankan über die Möglichkeiten sprechen, die wir haben. Vielleicht können Reigi und Yoru zum ersten Lager der Verbündeten aufbrechen, um diese zu informieren und sie zu bitten, die Nachricht weiterzuleiten. Trotzdem sollten wir warten, bis wir Sicheres berichten können, Ayashi-Sama.“ Ayashi nickte, da er Recht hatte. Sie konnten es sich nicht leisten, zweimal einen Krieger mit einer Nachricht zu schicken, weshalb sie warten mussten, bis sich abzeichnete, ob Sesshoumaru leben würde oder nicht. Er hatte Blut gehustet und war schwach, doch er war doch auch Youkai! Er durfte nicht sterben. Ein Kloß bildete sich in Ayashis Hals und sie nickte nur noch einmal, bevor sie davoneilte. Die Dienerin Kazari verneigte sich tief, als Ayashi ihren Weg kreuzte und vor ihr stehen blieb. Kazari und Iruka verstanden sich recht gut und Ayashi wusste, dass jeder Verbliebene im Schloss über Sesshoumarus Aufenthalt Bescheid wusste. „Gibt es Neuigkeiten von Sesshoumaru-Samas Zustand, Kazari?“ fragte sie schnell, da sie es gleich wissen musste. „Iruka sagt, er habe noch zweimal husten müssen, habe aber ansonsten ruhig geschlafen, Herrin. Sie legte ihm kalte Umschläge gegen das Fieber an und wechselte sie häufig.“ gab die Dienerin Auskunft. „Ist er bei Bewusstsein?“ „Er verliert das Bewusstsein immer wieder. Ich komme gerade aus den Gemächern Eures Vaters, um Euch in Irukas Auftrag zu suchen.“ „Weshalb?“ „Sesshoumaru-Sama wünscht in seinen wachen Momenten immer wieder, die schöne Göttin zu sehen. Was sollen wir tun?“ fragte Kazari und blickte Ayashi kurz und scheu an. „Sagt ihm, dass es hier keine Göttin gibt. Er hat hohes Fieber und fantasiert. Sagt ihm, dass er in Fukuoka und in Sicherheit ist.“ antwortete Ayashi und Kazari nickte. „Wollt Ihr ihn heute Morgen sehen?“ fragte Kazari vorsichtig, als Ayashi sich langsam umwandte. „Nein, ich werde später nach ihm sehen.“ „Dann werden wir ihn nun noch einmal waschen und ihm weiterhin kalte Umschläge gegen das Fieber machen.“ „Ja, ich möchte, dass eine von euch immer bei ihm ist, falls sich sein Zustand verschlechtert oder er etwas braucht. Wechselt euch bei der Wache ab, sodass ihr euch immer wieder ausruhen könnt.“ wies Ayashi die Dienerin an. „Sehrwohl, Herrin.“ erklärte sie sich einverstanden und verneigte sich noch einmal, bis Ayashi sich aus der näheren Umgebung zurückgezogen hatte. Ayashi eilte durch die Gänge, doch eigentlich hatte sie kein Ziel. Düstere Gedanken über Sesshoumarus Gesundheitszustand verwirrten ihren Geist und zermürbten mit einengender Kraft ihre Nerven. Sie fühlte sich machtlos und nichts schien dieser Situation ein Ende setzen zu können. Sie wünschte, Sesshoumaru würde es besser gehen. Sie wünschte es für ihn – und auch für sich selbst, wie sie mit schlechtem Gewissen feststellte. Er war nicht in der gestrigen Nacht unter ihren Händen verstorben, doch sie würde sich die Schuld geben, sollte er seinen Verletzungen doch noch erliegen. Ayashi fürchtete dieses beklemmende Schuldgefühlt, doch sie spürte auch, dass das nicht alles war. Sie konnte den Gedanken daran nicht ertragen, dass sie ihn verlieren konnte, obwohl sie doch überhaupt keinen Anspruch auf ihn erheben konnte und sie sich sicher war, dass er nicht dasselbe für sie empfand, da er sie nicht einmal kannte. Sesshoumaru schlief die nächsten Tage durch, was Ayashi Hoffnung gab. Er hustete nicht mehr und seine weniger schlimmen Verletzungen begannen zu heilen. Das Fieber war etwas gesunken, doch trotzdem noch hoch. Ayashi sah immer nur kurz nach ihm, da sich Kazari und Iruka gewissenhaft die Wachen teilten und sich immer übergangslos ablösten, und Ayashi selbst auch andere Verpflichtungen hatten. Sie hatte sich mit den Kriegern geeinigt, dass Yoru und Reigi versuchen sollten, sich in das nächstliegende Lager der Verbündeten – in ihrem Falle Kenkos Lager bei Matsue - durchzuschlagen und die Nachricht von Sesshoumarus stabilem, wenn auch noch leicht kritischem Zustand mitzuteilen. Ayashi war guter Dinge, dass es ihnen gelingen konnte, da es in den letzten Tagen keine Angriffe auf Fukuoka oder Kyushu gegeben hatte. Kazari hatte ihrer Hime angeboten, einen Yukata bereit zu legen, doch Ayashi lehnte es ab. Sie war sich sicher, dass ein erneuter Angriff kommen würde, und stellte mit Entsetzen fest, dass sie nicht einmal mehr die Hoffnung hegte, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen beendet sein könnten, und die Krieger in Fukuoka das nur noch nicht wussten. Ayashi stieg in der Dunkelheit über die schmalen Treppenstufen auf die Mauer und traf Yoru und Kouga an. Sie grüßten sich mit verhaltenem Nicken und Ayashi blickte in die Ferne. „Ayashi-Sama, alles ist ruhig.“ meinte Yoru und Ayashi nickte. „Ich hoffe, dieser Anschein trügt nicht.“ entgegnete sie und wandte den Blick. „Wir sind wachsam, Ayashi. Geh’ ruhig und nimm’ dir wieder etwas Zeit für dich.“ meinte Kouga und streckte die Hand nach ihrer Kleidung aus. „Du musst das doch verabscheuen.“ meinte er und zupfte an dem störrischen Stoff ihres oberen Haori. Yoru sog scharf die Luft und starrte Kouga für diese Unverschämtheit entsetzt an, doch Ayashi reagierte nicht herrisch, sondern lächelte zustimmend und freundschaftlich. Yoru betrachtete seine Hime und stellte fest, dass er Kouga um seinen zwanglosen und vertrauten Umgang mit ihr beneidete. Seine Augen wanderten von ihr zu ihm und wieder zurück, doch Ayashi erklärte Kouga nur mit wenigen Worten und in natürlicher Art und Weise, dass sie vorbereitet sein wollte, falls die chinesischen Youkai wieder angriffen und sie ihnen schlecht im Yukata begegnen konnte. „Ayashi, du bist eine Hime, aber du siehst nicht mehr so aus. An deiner Stelle wollte ich sicher gehen, dass du irgendwo unter dieser Kleidung noch du selbst bist.“ gab Kouga scherzend zurück, worauf Ayashi ihm einen leichten Schlag gegen den Hinterkopf versetzte. „Werde bloß nicht frech, Kouga, sonst lernst du mich kennen!“ lachte sie und blickte über die Hügel zum Waldrand, wo Sesshoumaru gelegen hatte. „Ich zittere vor Angst.“ ging Kouga darauf ein, doch Yoru antwortete schneller, als Ayashi es konnte. „Das solltest du vielleicht.“ meinte er schlicht und wandte sich nach Osten, um die Gegend dort im Auge zu behalten. Ayashi schüttelte hinter seinem Rücken den Kopf und zwinkerte Kouga zu, der sich daraufhin nur schwer ein Lachen verkneifen konnte. „Ich denke, ich sehe nun nach Sesshoumaru-Sama.“ sagte Ayashi beiläufig und Yoru fuhr herum. „Allein, Ayashi-Sama?“ „Ja, Yoru.“ entgegnete sie nur und stieg die Stufen wieder hinunter. Kapitel 43: ------------ Während sie über den Hof eilte und dann die Engawa entlang ging, fragte sie sich, wann sie das letzte Mal gelächelt oder gelacht hatte, und stellte fest, dass es zu lange her war. Ayashi blickte an sich hinunter und stimmte Kouga zu: sie wollte selbst aus diesen Sachen hinaus und konnte sie nicht mehr an sich sehen. Sie nahm erst den direkten Weg in ihre Gemächer, streifte die Kleidung ab und wusch sich mit dem Wasser aus der großen Schale, die Kazari oder Iruka immer auffüllte, trocknete ihren Körper, kämmte ausgiebig ihr Haar, das sie am Morgen gewaschen hatte, und band es dann zu einem Knoten zusammen, damit sie ihre Haut mit einem dünnen Öl einreiben konnte, ohne einzelne Strähnen mit dem Öl in Berührung zu bringen. Schließlich hüllte sie sich in ein weiches Tuch und suchte sich einen Yukata aus, während das Öl von ihrer Haut aufgenommen wurde. Ayashi konnte kaum glauben, was diese kurze Pflege mit ihr machte: sie fühlte sich wieder gänzlich wohl. Sie wusste es nicht, ob es nicht auch an den kurzen, unbekümmerten Momenten mit Kouga lag, doch sie fühlte sich besser. Ihre Finger zogen einen hellblauen Yukata mit spärlich verteilten, feinen, rosafarbenen Blütenornamenten aus dem Stapel ihrer Kleidung und fuhren noch einmal über den weichen Stoff, ehe sie ihn schnell anlegte und den Obi auf dem Rücken band. Ayashi öffnete ihr Haar wieder und ließ es offen über ihren Rücken fallen, ehe sie ihre Gemächer verließ und die Gemächer ihres Vaters aufsuchte. Sesshoumaru lag still und schlafend in seinem Bett, während Kazari neben ihm saß und ebenfalls eingeschlafen war. Ayashi berührte die Dienerin sanft am Arm, doch Kazari schreckte trotzdem hoch. Sie schien noch mehr erschrocken, da sie ihre Hime endlich nicht mehr in ihrer für die letzten Jahre so üblichen Kleidung sah, doch ein schwaches Lächeln huschte über ihre Mundwinkel, ehe sie den Kopf senkte. „Verzeiht, Hime-Sama, ich werde nun wach bleiben. Verzeiht.“ meinte sie, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Geh’ nur und sage auch Iruka, sie braucht in dieser Nacht nicht Wache halten. Ich werde selbst an seiner Seite bleiben.“ entgegnete Ayashi und sah in Kazaris erstauntes Gesicht. „Ihr selbst? Wie Ihr… Wie Ihr wünscht, Hime-Sama.“ fügte sie sich und verließ schnell das Zimmer. Ayashi blickte hinunter auf Sesshoumaru und nahm vorsichtig Kazaris Platz ein. Sein Zustand hatte sich wirklich gebessert, doch nun beunruhigte es Ayashi, dass er schon so lange schlief. Die Wunden an seinen Unterarmen schlossen sich langsam und bald würde nichts mehr von ihnen zu sehen sein. Ayashi vermutete, dass es so bei all seinen Wunden war, nur nicht bei der tiefen Wunde, die sie hatte nähen müssen. Die Nähte machten ihm ebenfalls keine Probleme und in drei oder vier Tagen wollte sie diese wieder entfernen. Ayashi betrachtete sein Gesicht und stellte fest, dass seine Züge hart und verschlossen waren. Das Geräusch von schweren Schritten hinter ihr verleitete Ayashi, sich schnell umzuwenden. „Verzeiht, Ayashi-Sama, ich wollte nur sehen, ob Ihr etwas braucht.“ erklärte Yoru und Ayashi schüttelte den Kopf. „Nein, ich brauche nichts. Danke.“ „Ich sprach soeben mit Hankan. In drei Tagen werden wir es wagen, zu Kenko-Samas Lager aufzubrechen, wenn es bis dahin ruhig blieb.“ „Das ist gut zu hören.“ meinte Ayashi und blickte wieder zu Sesshoumaru. Sein Gesicht war beinahe ausdruckslos und starr wie bei einem Toten. Die Haut um seine Augen war fahl und seine Lippen sehr blass. „Er sieht noch so schlecht aus, Yoru.“ flüsterte Ayashi. „Das liegt am hohen Blutverlust, Ayashi-Sama.“ beruhigte er sie, doch er wusste nicht, warum ihm der Ausdruck ihrer Stimme nicht gefiel, und fuhr fort: „Ihr habt getan, was Ihr konntet. Glaubt mir, seine Chancen stehen gut.“ „Ich hoffe es.“ gab Ayashi zurück und blickte wieder zu Yoru. „War das alles, was Ihr mir sagen wolltet?“ „Nein, Ayashi-Sama.“ gestand Yoru und zögerte, ehe er weitersprach: „Ich hörte von den Dienerinnen, dass Sesshoumaru-Sama des Öfteren von einer schönen Göttin spricht.“ „Er befand sich im Fieberwahn, Yoru.“ „Kann es sein, dass er Euch meinte?“ „Natürlich nicht, Yoru! Er wird mich verwechseln oder seine Sicht ist getrübt.“ „Ihr solltet ihn fragen.“ meinte Yoru, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Wenn er erwacht, ist es wichtiger, dass er versteht, wo er ist und was geschehen ist. Ich werde ihn in seinem Zustand nicht mit Fragen löchern. Es ist gut möglich, dass er sich nicht einmal an seine Worte erinnert. Und mir sind sie gleichgültig.“ entgegnete Ayashi und bat ihn, bevor er etwas sagen konnte, sie nun allein zu lassen. Yoru befolgte die Anweisung seiner Hime und verließ das Zimmer. Ayashi wandte sich wieder Sesshoumaru zu, als sie hörte, wie er die Tür hinter sich schloss. Seine Augäpfel unter den geschlossenen Lidern bewegten sich leicht und schnell. Sie beobachtete lange seine regelmäßigen Atemzüge und seinen starken Puls an der Halsschlagader, bevor sie die Hand nach ihm ausstreckte und zärtlich auf die Stirn legte, um seine Temperatur zu fühlen. Sesshoumaru zuckte und im nächsten Moment öffnete er die Augen ein wenig und blickte sie neugierig an. „Es ist alles in Ordnung, Sesshoumaru-Sama.“ sprach Ayashi und zog ihre Hand von seiner erhitzten Stirn zurück. Schwach schüttelte er den Kopf und betrachtete ihr Gesicht, das sich plötzlich erhellte, als würde er sie erkennen. „Ich habe von Euch geträumt.“ flüsterte er und Ayashi legte ihm ein kühles Tuch auf die Stirn. „Ihr habt noch Fieber, Sesshoumaru-Sama.“ „Nein.“ „Doch.“ entgegnete Ayashi und wusste, dass sie mehr sagen musste, um ihn ruhig zu halten. „Schont Eure Kräfte. Ihr wurdet im Kampf verletzt und seid nun in Katagas Schloss. Erinnert Ihr Euch?“ „Nein, mein Kopf ist so leer, dass mir jeder Gedanke schwer fällt.“ erwiderte er leise. Ayashi wusste nicht genau, warum sie es tat, doch sie streichelte ihm über die Wange und er schloss die Augen. „Dann schlaft, Sesshoumaru-Sama.“ gab Ayashi leise zurück und er nickte ergeben und müde. „Ich will nur… hier liegen… warten, wie die Zeit… vergeht. Und… Licht… sehen. Oder… Euch.“ murmelte er und schlief wieder ein. Ayashi schloss die Augen und ließ seine Worte auf sich wirken. Obwohl sie wusste, dass sie nichts bedeuteten und auch keinen richtigen Sinn ergaben, da eher das Fieber in ihm sprach als sein Verstand, fühlten sie sich so unglaublich gut an. „Sesshoumaru.“ hauchte sie seinen Namen und öffnete wieder ihre Augen, um in dieser Nacht über seinen Schlaf zu wachen. Ayashi blieb die gesamte Nacht wach, wechselte die kühlen Umschläge und wandte den Blick nicht von Sesshoumaru. Erst als sie hörte, dass jemand leise die Tür öffnete, blickte sie sich um und sah Iruka, die ihre Hime ablösen wollte. „Sein Fieber ist gesunken.“ teilte Ayashi ihr mit und erhob sich. „Er sieht auch besser aus, Ayashi-Sama.“ bemerkte Iruka und nahm Ayashis Platz neben Sesshoumarus Lager ein. „Er war kurze Zeit wach und sprach mit mir. Erkläre ihm, wo er ist, wenn er wieder erwacht und in der Verfassung ist, es aufzunehmen.“ „Ja, Ayashi-Sama.“ entgegnete Iruka und Ayashi ging zur Tür, wo sie sich noch einmal umwandte. „Ich werde heute Nacht wieder die Wache übernehmen.“ erklärte Ayashi und ließ keinen Widerspruch zu, den sie von Iruka ohnehin nicht erwartet hatte. Sie begegnete niemandem, als sie sich auf den Weg in ihre Gemächer machte, und schließlich ihre Zimmer erreichte. Ayashi öffnete die Türen zum Garten und setzte sich auf die Engawa, um auf den hereinbrechenden Abend zu warten. Ihr Blick fiel über die Gärten und sie stellte fest, dass jemand das Gras geschnitten und das Wasser in den Teichen gesäubert hatte. Wahrscheinlich hatte Kantan, der hohe Beamte, der stets auf das Ansehen des Schlosses und seiner Familie bedacht war, die wenigen verbleibenden Diener dazu angehalten, da sich nun ein Gast innerhalb der Mauern aufhielt – auch wenn der noch auf sein Lager gebannt war. Ayashi verbrachte den Tag mit Warten, einer kurzen Besprechung mit Hankan und den Krieger, sowie einem Gespräch mit Kantan, der sie davon in Kenntnis setzte, dass er den Garten richten ließ, wenn es ihr recht sei. Dann traf sie sich mit Kouga und bat ihn, in der Nacht wieder mit dem Dienst habenden Krieger auf der Mauer zu sein, da sie in Erwägung zog, ihn in die Reihen der Krieger aufzunehmen, sollte er das immer noch wollen und Yoru davon überzeugen, dass er sein Temperament zügeln konnte. Ayashi ließ ihren Entschluss Yoru durch den General mitteilen, nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte, dass auch Hankan ihre Entscheidung gut hieß. Kapitel 44: ------------ Als Ayashi am Abend auf die Mauer kletterte, wechselte sie die übrigen Worte mit Kogeki, der Wachdienst hatte, und nickte Kouga kurz zu, dann verschwand sie wieder, um zu Sesshoumaru zu kommen. Kazari erschrak, als Sesshoumaru zu sprechen begann, da er die Augen nicht aufgeschlagen hatte. „Licht am Ende… nicht ewig weiter gehen… Ende…,“ murmelte er und Kazari beugte sich schnell über ihn. „Herr…,“ begann sie, doch Sesshoumaru drängte sie im Schlaf von sich weg und schlug um sich. „Nein…,“ murmelte er weiter und warf den Kopf hin und her. Kazari versuchte noch einmal, ihn zu beruhigen, doch sie scheiterte, und eilte aus dem Raum, um Iruka zur Hilfe zu holen. „Ayashi-Sama! Ayashi-Sama!“ rief sie, als sie sah, dass ihre Herrin näher als Iruka war, und winkte sie eilig herbei. „Was ist geschehen?“ entgegnete Ayashi und eilte auf die Dienerin zu. „Sesshoumaru-Sama…,“ brachte Kazari stammelnd heraus. Ayashi rannte an ihr vorbei ins Zimmer, rief ihr noch zu, Ban oder einen anderen Krieger zu holen, und ließ sich dann neben Sesshoumaru auf die Knie fallen. Sie hörte, wie sich Kazari schnell entfernte, und fasste Sesshoumarus Schultern, um in ruhig auf seinem Lager zu halten. Er war zu stark und wehrte sich gegen ihren Griff. „Sesshoumaru, beruhige dich! Sesshoumaru…,“ sprach Ayashi auf ihn ein. „Göttin… Quelle.“ stammelte er und versuchte, sich wieder loszumachen. „Komm’ zu dir! Sesshoumaru!“ rief Ayashi und drückte ihr Gewicht stärker gegen ihn und hielt seinen Kopf zwischen ihren zitternden Händen. Ayashi verdrehte die Augen und biss sich auf die Lippen. Sie hasste sich für die letzte Möglichkeit, die ihr noch offen stand. Sie lehnte sich etwas zurück und schlug Sesshoumaru mit der flachen Hand ins Gesicht. Sesshoumarus Körper wurde still und er schlug verwirrt die Augen auf. „Es tut mir leid, Sesshoumaru-Sama.“ flüsterte sie leise. Sesshoumaru sagte nichts und Ayashi wollte sich noch weiter zurücklehnen, um ihm mehr Raum zu verschaffen, doch seine Hände legten sich an ihre Taille und hielten sie nahe bei ihm. „Es war alles dunkel.“ meinte er ruhig und hielt ihren Blick mit seinen bernsteinfarbenen Augen. „Es war ein Traum.“ entgegnete Ayashi und zwang sich, beim Blick in seine Augen ruhig zu bleiben und ihren Herzschlag zu kontrollieren. „Es war alles dunkel, doch dann… hat ein einzelner Stern die Nacht besiegt.“ erwiderte Sesshoumaru und schloss für einen Augenblick seine Augen, als Ayashi ihm über die Stirn strich. „Das Fieber ist weiter gesunken, Sesshoumaru-Sama.“ sagte Ayashi, doch Sesshoumaru schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein. Ihr seid nicht wirklich hier… Kenne ich Euch?“ meinte er verwirrt und blickte sie wieder an. „Ja, ich sah euch schon einmal vor längerer Zeit.“ beantwortete er selbst seine Frage. „Ich war vor wenigen Tagen an Eurem Lager, Sesshoumaru-Sama.“ „Nein, das ist viel länger her, schöne… Göttin.“ widersprach er mit schwacher Stimme, doch hielt ihren Blick. „Ich bin keine Göttin, Sesshoumaru-Sama. Ich bin Ayashi.“ flüsterte sie und hörte, dass sich Schritte auf der Engawa näherten. „Natürlich… Ayashi…“ wisperte er, bevor er wieder einschlief. Ayashi löste seine Hände von ihrer Taille und legte ihm fürsorglich ein frisches, kühles Tuch auf die Stirn. Die Tür wurde aufgeschoben und Ban eilte mit den zwei Dienerinnen herein. „Danke, dass Ihr gekommen seid, Ban, doch es ist alles in Ordnung. Er hat sich beruhigt und schläft wieder.“ meinte Ayashi mit ruhiger Stimme und blickte den Krieger an, der flüchtig nickte und den Raum wieder verließ. „Ihr konntet ihn beruhigen, Ayashi-Sama?“ fragte Kazari und beäugte Sesshoumaru etwas ängstlich. „Ja, er hatte nur einen Traum, der ihm vermutlich den Angriff auf sein Leben noch einmal vor Augen geführt hat.“ antwortete Ayashi und nickte, während ihr Blick auf Sesshoumarus Gesicht ruhte. „Ich könnte die Wache übernehmen, Ayashi-Sama.“ bot Iruka an, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Ich habe das Gefühl…,“ begann sie, doch brach ab, als sie in die Gesichter ihrer Dienerinnen schaute. „Ich nehme an, dass meine Gegenwart ihn beruhigt.“ „Ihr solltet nicht so viel Zeit mit ihm verbringen.“ mahnte Iruka und Ayashi verstand, dass sie lediglich um das Ansehen ihrer Hime besorgt war. „Ich weiß und ich danke euch für eure Besorgtheit, doch ich werde zumindest nachts die Wache übernehmen, solange er sich noch in diesem Zustand befindet.“ „Wie Ihr wünscht, Ayashi-Sama.“ entgegneten die Dienerinnen beinahe gleichzeitig und zogen sich nach einer Verneigung aus dem Zimmer zurück. Ayashi verbrachte die folgenden Nächte in den Gemächern ihres Vaters und schlich früh morgens vor Sonnenaufgang zu Irukas und Kazaris Kammern, damit sie wussten, dass sie ihre Hime ablösen konnten. Niemand bemerkte etwas davon, doch Ayashi wusste, dass sie sich in absehbarer Zeit von Sesshoumaru fernhalten musste, da nun das Fieber weit gesunken war und sein Körper genas. Yoru und Reigi hatten die Nachricht von Sesshoumarus Rettung und fortschreitender Genesung in Kenkos Lager gebracht und waren ohne Schwierigkeiten wieder nach Fukuoka zurückgekehrt. Allerdings brachten sie weniger erfreuliche Nachrichten mit, denn sie hatten auf beiden Wegen ein feindliches Lager umgehen müssen, das nicht weit von Inu-no-taishous westlichster Residenz Shimonoseki – am Meer und genau gegenüber von Kyushus Küste – errichtet worden war. „Nun wissen wir wenigstens, woher die Angriffe kamen.“ meinte Hankan, doch Ayashi sah nicht sehr erfreut aus. „Das nützt uns nichts. Wir befinden uns kaum in einer besseren Lage. Wir sind zu wenige, um das feindliche Lager anzugreifen, also müssen wir abwarten, bis sie sich wieder rühren – wann auch immer das sein mag. Die Tatsache, dass sie es geschafft haben, sich so dicht an Shimonoseki, das mit Sicherheit ebenso verteidigt wird wie Fukuoka, festzusetzen, lässt mich Schlimmes ahnen.“ „Unsere Verteidigung wird halten, Ayashi-Sama.“ versicherte Yoru, doch Ayashi ging nicht darauf ein. „Bringt ihr auch Nachricht über die Schlacht?“ fragte sie ihn und blickte in die Runde. „Kataga-Sama hält die Stellung bei der Wakasa-Bucht. Soweit wir wissen, ist es den chinesischen Youkai dort nicht gelungen, Fuß zu fassen. Inu-no-taishou-Sama hält sich ganz in der Nähe auf und verteidigt nördlich der Wakasa-Bucht seine Hauptresidenz Nanao. Dort scheint der Krieg am heftigsten zu toben, denn Komyo-Sama und Kaori-Sama haben ihre Krieger ebenfalls dort stationiert. Kenko-Sama verteidigt sein Land, während er einen Teil seiner Krieger zu Kataga-Sama geschickt hat…“ berichtete Yoru ausführlich, da Ayashi das erwartete. Nachdem er geendet hatte, nickte sie langsam. Sie war erleichtert, dass ihre Familie noch am Leben war. Katsumoto hatte Stellung zwischen Matsue und der Wakasa-Bucht bezogen, doch unterstützte er auch oft Kataga oder Inu-no-taishou. Ishiki und Taido und so viele aus seinem Volk machte sich gerade dort nützlich, wo sie gerade gebraucht wurden, und entschieden durch ihr Auftauchen oft in der letzten Sekunde das Ende einer Schlacht. „Konnte Kenko etwas über Sesshoumaru-Samas Schicksal sagen?“ fragte Ayashi beiläufig, da sie sich nun, da sie wusste, dass Inu-no-taishou weit nördlich stand, noch mehr wundern musste, warum Sesshoumaru auf Kyushu zusammengebrochen war. „Nein, Ayashi-Sama. Kenko vermutete, dass Sesshoumaru seine Angreifer lange verfolgt hat, doch gesehen hat er ihn in den letzten Jahren nicht.“ gab Yoru Auskunft und Ayashi nickte. „Danke. Geht zurück auf eure Posten! Hoffen wir, dass es auch diese Nacht ruhig bleibt.“ erwiderte sie und beendete das Treffen. Kapitel 45: ------------ Sesshoumaru erwachte aus einem traumlosen Schlaf und blickte sich um. Im spärlichen Licht weniger Lampen konnte er eine wunderschöne Frau an seinem Lager sitzen sehen. Mühsam richtete er seinen Oberkörper auf und sah sich noch einmal im Zimmer um, doch er erkannte nichts wieder. Das Gesicht der Frau kannte er, doch deshalb wusste er sofort, dass er nicht wach sein konnte. Es war nur einer der vielen Träume, die er in der letzten Zeit gehabt hatte. Seine Hand tastete nach seiner Brust und fühlte nach seiner Verletzung. Ein scharfer Atemzug entwich vor Schmerzen seiner Kehle und die Frau hob ruckartig den Kopf. Nein, es war kein Traum. Sie blickte ihn an. Ayashi konnte kaum fassen, dass sie tatsächlich leicht eingenickt war und sich seit langer Zeit wieder ausgeschlafen fühlte. „Eure Wunde ist noch nicht verheilt, Sesshoumaru-Sama.“ meinte sie leise, griff nach seiner Hand und entfernte sie vom Verband über seiner Brust. „Das erklärt einiges.“ murmelte er und blickte sie an. „Erinnert Ihr Euch, wo Ihr seid? Oder an das, was geschehen ist?“ „Ich… erinnere mich nicht einmal deutlich an Euch… Wie sollte ich mich da an etwas anderes erinnern?“ fragte er und Ayashi zog schnell ihre Hand zurück. Seine Worte waren so kühn und sie war überrascht, da bisher niemand so mit ihr gesprochen hatte. Sie fühlte, wie sich Wärme über ihre Wangen ausbreitete und ihr Herz schneller schlug. Unsicher senkte sie den Blick. Sesshoumaru betrachtete sie. So liebreizend konnte er sie sich nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vorstellen. Er musste wach sein. „Ich muss gehen…,“ „Nein, schickt nicht wieder jemanden. Bleibt!“ entgegnete er schnell. Ayashi sah auf und blickte in sein Gesicht. Das war ein Fehler gewesen, denn sie spürte, wie ihr Widerstand in ihr zu bröckeln begann. „Seid Ihr wirklich hier?“ fragte er noch immer ungläubig. Ayashi nickte stumm, doch er schüttelte den Kopf. „Ich habe bestimmt noch Fieber. Meint Ihr nicht?“ Zaghaft hob Ayashi ihre Hand an seine Stirn und schüttelte nach einer Weile den Kopf, ehe sie die Hand zurückzog. „Ihr seid in Fukuoka, Sesshoumaru-Sama. Erinnert Ihr Euch denn überhaupt nicht?“ fragte sie nach einer Weile. Er schien zu überlegen, dann nickte er plötzlich und betrachtete sie ausgiebig. Ayashi fühlte heiße Schauer über ihren Körper hereinbrechen und fuhr, um sich von seinem intensiven Blick abzulenken, fort: „Ihr hattet hohes Fieber und habt mit Sicherheit einige Tatsachen mit Fantasien vermischt.“ „Ich faselte von einer Göttin, nicht wahr?“ „Ja, Sesshoumaru-Sama.“ stimmte Ayashi ihm zu und wunderte sich über seine heiteren Augen. „Euch habe ich nicht erfunden. Das beruhigt mich sehr.“ entgegnete er und spürte, wie die Kraft langsam in ihn zurückkehrte. Sie war die Frau, die er in der Quelle gesehen hatte, doch das würde er ihr niemals sagen. Und sie war diejenige, die er vor so vielen Jahren in den Gärten ihres Vaters einen winzigen Augenblick gesehen hatte. Sie, Katagas älteste Tochter, der er noch niemals bewusst begegnet war. Sie war diejenige, die die Nacht um ihn herum mit Licht geflutet hatte, ohne dass sie es wusste. Ihr langes, offenes und nachtschwarzes Haar hing ihr über eine Schulter herab und ihre grünen, funkelnden Augen ruhten auf ihm. „Ich danke Euch, Ayashi-Sama.“ „Ich bin froh, dass es Euch besser geht, Sesshoumaru-Sama.“ entgegnete sie, wobei ihr das schöne Gefühl nicht entging, dass in ihr erwachte, als ihr Name über seine Lippen drang. „Es ist seltsam, dass wir uns niemals zuvor begegnet sind.“ meinte er und Ayashi nickte zaghaft, da sie ihm kaum von der Vision ihrer Mutter erzählen konnte. „Es scheint sich nicht ergeben zu haben.“ antwortete sie. Sesshoumaru erinnerte sich an die Audienzen, die Kataga ihm gestattet hatte – niemals war Ayashi auch nur in der Nähe des Palastes gewesen, und er wusste, dass das nicht an mangelnden Gelegenheiten, sondern an klarem und überlegtem Vorgehen von Seiten ihres Vaters lag. „Wie lange bin ich schon in Fukuoka?“ fragte er leise, doch Ayashi verstand. „Dies ist die achte Nacht.“ „So lange schon?“ wollte er sicher gehen, doch als Ayashi leicht nickte, meinte er: „Ich kann mich an kaum etwas erinnern.“ „Das Fieber, Sesshoumaru-Sama.“ erinnerte Ayashi schlicht und sah ihm zu, wie er sich langsam zurück auf das Laken gleiten ließ. Immer noch betrachtete er die Hime, die an seinem Lager saß, obwohl das wohl kaum ihre Aufgabe war. Sie war außergewöhnlich, doch sie schien es selbst nicht so zu empfinden. Sein Verstand meldete sich und verlangte danach, alles über diese Frau vor ihm zu erfahren, doch Sesshoumaru bemerkte gleichzeitig das überwältigende Gefühl, das sich in ihm regte und ihm zu verstehen geben wollte, dass er sie bereits kannte. „Weshalb seid Ihr nicht in Kochi, wo es sicherer für Euch ist?“ fragte er. „Fukuoka muss verteidigt werden, Sesshoumaru-Sama. Ein feindliches Lager befindet sich nahe Shimonoseki, doch das wisst Ihr sicherlich.“ entgegnete sie und er nickte. „Ihr verteidigt das Schloss schon seit Anfang des Krieges?“ fragte er weiter, worauf sie nickte. „Euer Vater wird bestimmt sehr stolz auf Euch sein, Ayashi-Sama.“ fügte er hinzu, doch Ayashi zuckte die Schultern. „Wir sendeten Nachricht zu Kenko, der Euren Vater davon unterrichten wird, dass Ihr am Leben seid.“ „Das verdanke ich Euch.“ wiederholte er und sie senkte den Blick. Er richtete sich wieder auf. Seine Hand legte sich vorsichtig an ihr Kinn und hob ihren Kopf leicht an, dass sie ihn ansehen musste. „Sesshoumaru…“ begann sie und wollte sich ihm entziehen. „Ich weiß, dass ich das nicht tun dürfte, Ayashi. Sieh mir diese Schwäche nach.“ bat er und blickte weiter in ihre Augen. Ayashi bewegte sich nicht mehr und versuchte auch nicht, sich ihm zu entziehen. Sie konnte nicht. Sie wollte nicht. Der Klang ihres Namens, der ihm so vertraut über die Lippen kam, ließ sie innerlich erzittern. Jegliche Grenze, die zwischen ihnen aufgrund von steifen Traditionen und überzogenen Bedenken existieren musste, schien einfach zu schwinden und nichts anderes zurückzulassen als ein beruhigendes und gleichzeitig brennendes Gefühl. Ihr Verstand konnte kaum fassen, was gerade mit ihr geschah, doch ihr Herz badete in diesem Gefühl, das seine leichte Berührung in ihr auslöste. Seine Augen ruhten auf ihr und betrachteten sie gelassen. Sie spürte, wie sich seine Fingerspitzen bewegten und er schließlich seine Hand zärtlich gegen ihre Wange legte. „Glaubst du an das Schicksal, Ayashi?“ fragte er und strich sanft über ihre Schläfe und ihre Wange. „Nein.“ hauchte sie flach und schloss die Augen. „Wie könnte ich?“ flüsterte sie und legte ihre Hand auf seine, die wieder an ihrer Wange lag. Ihre Finger verwoben sich in Sesshoumarus und er rückte noch näher zu ihr. „Ich kann nicht glauben, dass es kein Schicksal gibt.“ entgegnete er ruhig und verleitete sie dadurch dazu, eine Augenbraue hochzuziehen. „Weshalb?“ fragte sie und hielt seinem Blick stand. „Was hat mich sonst endlich zu dir geführt, Ayashi, wenn es nicht das Schicksal war?“ Ayashis Herz schien überzulaufen, schlug schnell und heftig gegen ihre Brust und wollte sich überhaupt nicht mehr zu beruhigen. Konnte das denn alles wahr sein? „Ich weiß es nicht.“ gab sie zu, doch sie wusste selbst nicht, ob sie seine oder ihre Frage damit beantwortete. Die Hand, deren Finger nicht ihre zierliche Hand hielten, tastete nach ihrer Kieferlinie und wanderte weiter nach vorne zu ihrem Kinn, um Ayashi sanft in seine Richtung zu dirigieren. Sein Daumen strich über ihre halb geöffneten, samtweichen und erwartungsvollen Lippen, während er noch immer den Blick ihrer tiefen, dunkelgrünen Augen genießen durfte. Ayashi schob ihre freie Hand langsam und vorsichtig über seine Brust und ließ sie über seinem Herz ruhen. Sesshoumarus Herz schlug schnell, das konnte Ayashi durch den dünnen, weißen Stoff des väterlichen Haori fühlten. Sie schloss ihre Lider mit einem wohligen Atemhauch, der ein aufbrausendes Prickeln über Sesshoumarus gesamten Körper sandte. Sesshoumaru neigte den Kopf zu ihr und hielt kurz vor ihren Lippen noch einmal inne, als zögerte er, etwas so Wertvolles und so Vollkommenes zu berühren. Sein warmer Atem strich über Ayashis Haut, als bestünde er aus tausenden, kleinen Fingerspitzen, die liebend ihre Lippen streichelten. Dann senkte er seine Lippen auf ihre bebenden und küsste sie so behutsam, dass Ayashi die Zärtlichkeit beinahe als süßen Schmerz empfand. Kapitel 46: ------------ Ayashi schreckte zusammen, als sie schnelle Schritte auf der Engawa hörte, und unterbrach den Kuss, was ihr beinahe das Herz brach. Widerwillig brachte sie etwas Abstand zwischen Sesshoumaru und sich, da sie beide unter keinen Umständen so gesehen werden durften. „Ich muss gehen.“ flüsterte sie, doch sie schüttelte den Kopf über ihre eigenen Worte. Sesshoumaru nahm eine ihrer Haarsträhnen zwischen seine Finger und blickte sie an. Ihr Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals. Ayashi blickte durch die Türen zur Gartenseite und sah, dass bereits Tageslicht durch die schmalen Spalten fiel und sich zwei Gestalten als unscharfe Schatten abzeichneten. „Ich weiß.“ entgegnete er ebenso leise, ließ ihr Haar aus seinen Fingern gleiten und sank zurück auf sein Lager. Stimmen drangen nun durch die Türen und verleiteten auch Sesshoumaru dazu, den Kopf zu drehen. Zwei Frauen schienen sich über irgendetwas zu beraten, doch Sesshoumaru war es einerlei. Er wandte den Blick zurück zu Ayashi und hätte sie am liebsten an seinen Körper gepresst, obwohl er das nicht durfte. Sie sah ihn aus ihren grünen Augen nachdenklich an. Die Tür wurde mit einem leisen Geräusch geöffnet und Ayashis Augen wandten sich zu den beiden Frauen. „Ayashi-Sama, dürfen wir…,“ begann Iruka, doch dann schienen ihr die Worte zu fehlen, als sie sah, dass Sesshoumaru erwacht war. Kazari und Iruka verneigten sich tief und blieben stumm. „Sesshoumaru-Sama, solltet Ihr nach etwas begehren, lasst es meine Dienerinnen wissen. Sie werden Euch zu Diensten sein.“ meinte Ayashi schließlich mit ruhiger und zurückhaltender Stimme, ohne ihn anzublicken. „Ich danke Euch, Ayashi-Sama.“ entgegnete Sesshoumaru. „Ein Bad wäre mir sehr willkommen.“ „Natürlich.“ antwortete Ayashi und wandte sich mit einer Handbewegung an die Dienerinnen, die gehorsam nickten, doch darauf warteten, dass Ayashi sich erhob, um mit ihnen den Raum zu verlassen. „Ich werde Euch nun verlassen, Sesshoumaru-Sama.“ fuhr Ayashi fort, blickte zu ihren Dienerinnen, die sich langsam umdrehten, und erhob sich. Sie wollte ihn nicht hier zurücklassen. Sie wollte nicht von seiner Seite weichen, doch genau das musste sie, wenn sie ihn und sich nicht entehren wollte. Ayashi blickte noch einmal in Sesshoumarus Augen und fühlte Wärme in ihrem Herzen. Sie verstand nicht, warum sie sich so mit Sesshoumaru verbunden fühlte. Vielleicht würde sie es nie verstehen und vielleicht war nicht wichtig, dass sie es verstand. Sie wusste nur, dass sie nicht stark genug war, dieses Band zu ignorieren, das zwischen ihnen existierte und ihre Leben scheinbar unwiderruflich miteinander verknüpfte. „Es mag Schicksal sein.“ flüsterte sie ihm zu und lächelte, ehe sie mit anmutigen Schritten den Dienerinnen aus dem Raum folgte. Am Abend des fünften Tages glaubte Ayashi, alles habe sich gegen sie verschworen. Iruka und Kazari wichen ihr kaum von der Seite, und wenn sie einmal anderen Verpflichtungen nachgingen, für die Ayashi absichtlich sorgte, um sich von ihren Betreuerinnen zu befreien, tauchte entweder Ban, Yoru oder Kouga auf oder wollten Hankan oder Kantan etwas mit ihr besprechen. Plötzlich schien es, als wollten alle etwas mit ihr besprechen oder ihre Meinung hören, dabei kümmerte es Ayashi überhaupt nicht, ob der Garten nun gerichtet wurde und wo damit begonnen wurde und wer die Arbeit übernahm. Ihr ging soundso nur Sesshoumaru durch den Kopf, doch langsam begann sie daran zu zweifeln, dass er überhaupt in den Gemächern ihres Vaters lag und es überhaupt diesen Kuss zwischen ihnen gegeben hatte, der ihr so viel bedeutet hatte. Schaffte sie es dann, einige Minuten für sich zu sein und wollte sie dann schnell zu Sesshoumaru eilen, wurde sie von irgendeinem Diener beiläufig davon unterrichtet, dass der edle Herr sich im Bade befinde oder anderweitig unpässlich sei. Ayashi schlenderte langsam durch die Gänge. Noch immer verhielten sich die chinesischen Youkai ruhig, doch auch das begann Ayashi zu missfallen. Widerwillig schob sie die Tür zu ihren Gemächern auf und schob den Gedanken kopfschüttelnd weit von sich weg, dass sie sich lieber mit der Verteidigung des Schlosses ablenken würde, da sie sich doch glücklich über die Ruhe schätzen konnte. „Ayashi-Sama, seid Ihr… Ist alles in Ordnung?“ fragte Iruka, da sie ihre Hime schon längere Zeit nicht mehr verstimmt gesehen hatte. „Sicher, Iruka.“ entgegnete Ayashi nachdenklich und trat in ihre Gemächer. „Wir haben Euch ein Bad bereitet.“ entgegnete Kazari, die aus dem Vorraum des Ankleideraums kam, und verneigte sich. „Schon wieder?“ fragte Ayashi unüberlegt und aus einem ersten Impuls heraus, da sie erst am gestrigen Abend ausgiebig gebadet hatte, doch erklärte sich dann einverstanden. Sie konnte ja doch nichts anderes tun und so hatte sie vielleicht sogar das Glück, dass Kazari und Iruka etwas über Sesshoumaru sagten, das ihr verdeutlichte, dass sie einen neuen Versuch unternehmen konnte. Ayashi ließ sich den Obi ihres Yukata öffnen und ließ dann das Kleidungsstück von ihren Schultern hinab gleiten, ehe sie es Iruka reichte, damit sie es über einen Stuhl legte. Langsam glitt sie in das heiße Wasser hinein, lehnte sich gegen die Wanne und schloss die Augen. Sesshoumaru füllte ihr inneres Auge und unwillkürlich musste sie lächeln. „Ist das Wasser angenehm?“ fragte Iruka, worauf Ayashi nickte. Es war sehr angenehm, im heißen Wasser zu liegen und an Sesshoumaru zu denken, aber noch angenehmer war es, ihre Dienerinnen in dem Glauben zu lassen, dass es am wohltuenden Wasser lag. „Legt mir bitte für später meinen dunkelblauen Yukata mit den weißen Verzierungen heraus.“ meinte sie leise, ohne die Augen zu öffnen. „Sicher, Ayashi-Sama.“ entgegnete Kazari und Iruka begann, Ayashis Rücken zu waschen. „Ich bin sehr froh, dass es in den letzten Tagen ruhig um das Schloss war, Ayashi-Sama. Verzeiht mir, doch ich mache mir Sorgen um Euch.“ sagte Iruka. Ayashi öffnete die Augen und blickte die Dienerin fragend an, sodass sie weitersprach: „Ihr habt kaum noch Zeit für Euch, Euch selbst etwas Gutes zu tun.“ „Ich habe immer noch die Verantwortung.“ murmelte Ayashi, ließ sie aber fortfahren. „Ihr solltet nicht vergessen, dass Ihr eine Hime seid.“ „Das werde ich niemals vergessen können.“ versicherte Ayashi und schloss die Augen wieder. „Ich bin auch froh, dass es ruhig ist. Allerdings werde ich wieder das Schwert ergreifen, wenn es nötig ist. Kouga ist in seinen jungen Jahren kein Ersatz für mich bei der Verteidigung des Schlosses und unserer Leben. Er wird zweifellos ein Gewinn für uns sein, doch ich möchte ihn dennoch im Hintergrund halten, wenn ich ihn nun schon nicht mehr gänzlich zügeln kann.“ „Ja, Ayashi-Sama, doch bedenkt, dass wir einen Gast haben.“ warf Iruka ein, als ob sie Ayashi an Sesshoumarus Anwesenheit erinnern musste. „Dessen bin ich mir bewusst.“ „Vielleicht solltet Ihr Euch dann… gänzlich wie eine Hime verhalten.“ „Sesshoumaru-Sama weiß, dass mein Vater mir die Verteidigung des Schlosses übertragen hat. Das muss ich nicht vor ihm verbergen.“ „Euer Ruf…“ begann Iruka, doch Ayashi schüttelte den Kopf „Es ist genug, Iruka. Ich bringe meinen Ruf nicht in Gefahr, wenn ich die Wünsche und Befehle meines Vaters erfülle.“ gab Ayashi zurück und Iruka schwieg. Kapitel 47: ------------ Nach dem Bad kleidete sich Ayashi so schnell es ihr möglich war in ihren dunkelblauen Yukata und teilte ihren Dienerinnen mit, dass sie in die Gärten ging. Iruka und Kazari ließen sie ohne Einwände gehen und Ayashi machte sich auf ziemlich umständlichen Umwegen zu den Gemächern ihres Vaters auf. Ayashi konnte es kaum glauben, als sie ohne jemandem zu begegnen, endlich leise die Tür aufschob und in die Gemächer trat. Sesshoumaru lag nicht auf seinem Lager, doch sie hörte, dass er sich im Ankleideraum aufhielt. Ayashis Herz schlug schneller und sie schloss die Augen. Es hatte zu lang gedauert, bis es ihr endlich gelungen war, ihm so nahe zu sein. Sie atmete tief durch und bemerkte, dass warmer Dampf in der Luft lag. Lächelnd wandte sich Ayashi wieder zur Tür und schob sie langsam zu. „Endlich.“ murmelte er leise und Ayashi fuhr so schnell herum, dass sie beinahe gegen ihn prallte, da er so dicht hinter sie getreten war. Ihr Blick musterte ihn. Er trug frische Kleidung ihres Vaters und roch so unglaublich gut, nun da er beinahe völlig gesund und wieder erstarkt war. Er wirkte lebendig und kraftvoll. Ayashi schloss die Augen und atmete seinen Geruch hingebungsvoll ein. Sesshoumaru nahm ihren Kopf zärtlich zwischen seine zwei Hände und bedeckte ihre Lippen mit einem federleichten Kuss. „Ich konnte nicht früher kommen.“ flüsterte sie, als sich ihre Lippen trennten, und öffnete ihre Augen wieder. „Das dachte ich mir.“ gab er zu und betrachtete sie mit einem innigen Blick. „Wie fühlst du dich?“ fragte Ayashi und streichelte seine Wange. „Ich bin glücklich.“ gestand er, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Ich bezog mich auf deine Verletzungen.“ erklärte sie, als er sie fragend ansah. „Die kleineren Verletzungen sind verheilt.“ meinte er und ging einige langsame Schritte in den Raum hinein. „Und die über deiner Brust?“ wollte sie wissen und folgte ihm. „Beinahe. Ich habe in den letzten fünf Tagen noch viel geschlafen. Die übrige Zeit habe ich mir nur eine Frage gestellt.“ „Welche?“ fragte sie und blickte ihn lächelnd an. „Wo du bleibst, Ayashi. Dich so lange nicht zu sehen, hat mich beinahe wahnsinnig gemacht. Wäre ich nicht im Schloss deines Vaters, hätte ich sogar daran gezweifelt, dass du mir jemals so nah warst. Es mag Schicksal sein, hast du gesagt. Du glaubst nicht, wie ich mich mit diesen Worten beruhigt habe, wenn in der Nacht die Gedanken kamen, dass du mir überhaupt nicht so nahe sein wolltest.“ Ayashi entgegnete nichts, sondern näherte sich ihm schweigend. Ihre Hände legten sich an seine Unterarme und fuhren an ihnen hinauf zu seinen Schultern und ruhten schließlich in seinem Nacken. Ihr Blick begegnete seinem und langsam schüttelte sie den Kopf. „Ich will dir nie wieder fern sein, Sesshoumaru.“ erwiderte sie und stellte sich auf die Zehenspitzen, um nicht ganz so sehr zu ihm aufsehen zu müssen. „Ich verstehe nicht, dass ich ebenso fühle, Ayashi.“ „Ich auch nicht.“ gab sie zu. „Dein Vater…“ meinte er und Ayashi legte ihm zärtlich und kopfschüttelnd drei ihrer Fingerspitzen auf die Lippen. „Sprich’ nicht von meinem Vater, Sesshoumaru. Ich bitte dich.“ flüsterte sie und löste ihre Finger durch ihre warmen Lippen ab, um ihn an jeden weiteren Wort zu hindern. Sesshoumarus Arme umfingen sie stark, doch er achtete darauf, dass er sie nicht zu heftig gegen seine verletzte Brust presste. Ein leidenschaftliches Gefühl entbrannte in ihm und durchfuhr in tobend. Er konnte nicht anders, als nur noch sie zu sehen und nur noch sie zu begehren, obwohl es ihnen beiden verboten war, da ihr Vater es nicht wusste und niemals gestatten würde, da Sesshoumaru kein Wolfsyoukai war. Ihr Duft umnebelte ihn, während sich ihre Lippen weich und viel versprechend gegen seine anfühlten und sich ihr schlanker Körper so perfekt an ihn schmiegte. Sie war einfach wunderschön. Er konnte kaum fassen, dass er sie wirklich in seinen Armen hielt und sie ihm wirklich schenkte, was er niemals für möglich gehalten hätte – ihre Aufmerksamkeit, ihre Zuneigung… ihre Liebe. Sesshoumaru verdrängte den Gedanken, dass er diese Gefühle von ihr nicht annehmen durfte. Sie wollte ihm nahe sein. Und er wollte ebenfalls nichts anderes. Ayashi drängte sich vorsichtig weiter gegen ihn und spürte die Wärme seines Körpers gegen ihre eigene Hitze schlagen. Sie wollte ihn nicht schmerzhaft an seiner Wunde berühren, doch das Bewusstsein schien weit weg in irgendeiner dunklen Ecke ihres Verstandes begraben, sodass sie sich kaum noch erinnerte, wo sie waren und was Sesshoumaru in das Schloss ihres Vaters geführt hatte. Es war ihr gleichgültig. Er war hier – das war alles, das noch zählte. Ihre Instinkte riefen ihr nicht angsterfüllt zu, dass sie vorsichtig sein sollte, dass es unmöglich war, dass es gefährlich war, sich ihm auf diese Weise hinzugeben. Sie fühlte sich geschützt, begehrt, lebendig und geliebt in seinen Armen und zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie wirklich glaubhaft behaupten, dass sie vollständig glücklich war, sie selbst zu sein. Sie war die Seinige mit Herz, Seele und Körper, denn wenn sie lauschte, hörte sie dass ihr Herz im Gleichklang mit seinem schlug. Sesshoumaru schwankte leicht. Ayashi löste sich etwas von ihm und blickte ihn an. „Du solltest dich niederlegen, Sesshoumaru.“ meinte sie, doch er schüttelte eisern den Kopf. „Mir fehlt nichts.“ versicherte er. „Sesshoumaru, ich habe die Wunde gesehen und ich weiß, dass es nicht nur ein Kratzer war. Bitte, hör’ auf mich und sei vernünftig.“ entgegnete sie und versuchte, sich aus seinen Armen zu lösen. Sesshoumaru ergriff ihre Handgelenke und entließ sie nicht. Wieder schüttelte er den Kopf, doch Ayashi näherte sich ihm wieder, legte seinen Arm um ihre Schultern und führte ihn langsam hinüber zu seinem Lager. „Ich hasse es, dass du mich so siehst.“ knirschte Sesshoumaru zwischen den Zähnen hindurch. „Ich habe dich schon in weitaus schlimmerer Verfassung gesehen, Sesshoumaru.“ erwiderte sie und half ihm, sich möglichst ohne Schmerzen niederzulegen. „Davon habe ich aber nichts mitbekommen.“ erklärte er den Unterschied, ließ aber zu, dass Ayashi ihn mit einem dünnen Leinentuch bis zu den Hüften zudeckte. „Darf ich mir die Verletzung ansehen?“ fragte sie, wartete aber nicht auf ein zustimmendes Nicken. Sie kam an seine Seite und öffnete die Schlaufen des dünnen Haori mit geschickten Fingern, schob das Kleidungsstück auseinander und löste den Verband, den Iruka oder Kazari in den letzten Tagen gewechselt hatten. Obwohl Ayashi vorsichtig war, zuckte Sesshoumaru zusammen, doch er beschwerte sich nicht. Sie betrachtete und untersuchte die Wunde und stellte fest, dass sie tatsächlich beinahe verheilt war. Als Ayashi aufblickte, sah sie, dass Sesshoumaru die Augen geschlossen hatte und sie einfach machen ließ. Achtsam strich sie über die äußeren Ränder der Wunde und unverletzte Haut. Seine Bauchmuskeln zuckten leicht und Sesshoumaru knurrte leise. „Es tut mir leid.“ entschuldigte sich Ayashi, doch Sesshoumaru schüttelte den Kopf. „Entschuldige dich nicht für etwas, was deine Hände verursachen, Ayashi.“ gab er zurück. Sesshoumaru tastete nach ihrer Hand und führte sie bedächtig zu seinem Mund, als er sie fand. Er öffnete seine Augen und suchte ihren Blick. Dann küsste er Ayashis Handfläche. „Jede deiner Berührungen setzt mich in versengende Flammen, doch ich verehre sie und möchte sie nicht entbehren. Ich genieße deine Hände auf meinem Körper. Nein, es sind wirklich keine Schmerzen. Schmerzen von deinen Händen kenne ich nicht.“ fuhr er fort und behielt Ayashis Hand in seiner Hand. Ayashi beugte sich hinunter zu Sesshoumaru und küsste sanft seine Lippen, seine Wangen und seine Stirn. „Es war nie meine Absicht, doch nun kann ich nicht anders, Sesshoumaru.“ flüsterte sie und er nickte, als wisse er, was sie sagen wollte. „Ich weiß, dass niemand davon erfahren darf, Ayashi. Ich bin bereit, die Welt um uns zu täuschen und die Augenblicke mit dir zu stehlen, da sie mir nicht zustehen.“ entgegnete er ehrlich, worauf Ayashi nickte. „Ich liebe dich, Sesshoumaru.“ gestand sie und lächelte, als er ihr eine Haarsträhne aus der Stirn strich und nickte. Ayashi erwartete kein anderes Geständnis von seiner Seite. Sie wusste, dass es ihm ebenfalls so ging. Er musste nichts sagen. Langsam entzog sie ihm ihre Hand und rutschte zurück, um den Verband wieder anzulegen und die Schlaufen seines Haori wieder zu binden. Sesshoumarus Blick ruhte immer noch auf ihr, als sie aufblickte, und wirkte nachdenklich. „Ich denke, es wird nur noch einige Tage dauern, bis ich wieder völlig bei Kräften sein und wieder in die Schlacht ziehen werde.“ meinte er schließlich, doch ließ Ayashi nicht zu Wort kommen. „Ich möchte so viel Zeit mit dir verbringen, wie es nur möglich ist, Ayashi.“ bekannte er. „Ich kann nicht versprechen, dass ich meinen Dienerinnen noch einmal entkomme.“ gab Ayashi zu bedenken. „Bleibst du heute Nacht bei mir, Ayashi?“ fragte er und streckte den Arm nach ihr aus. „So lange wie es möglich ist.“ versprach Ayashi und lächelte. Vorsichtig legte sie sich in seine Arme und bettete ihren Kopf an seine Schulter. Kapitel 48: ------------ Sie lagen schweigend nebeneinander und genossen die Stille, die sich scheinbar wohlwollend über das Schloss gelegt hatte. Ihre Finger verwoben sich mit seinen. Immer wieder strich sie über seinen Handrücken, ließ ihre Handfläche von seinen Fingern streicheln und bewegen. Ayashi schloss die Augen, doch schlafen wollte sie nicht. Sesshoumarus Herzschlag tönte dumpf und regelmäßig an ihr Ohr, bis er schließlich doch das Schweigen brach. „Du weißt gar nicht, wie lange ich dir schon nahe sein will, Ayashi.“ „Wie meinst du das?“ fragte sie und spielte weiter mit seinen Fingern. „Ich habe dich vor langer Zeit in den Gärten deines Vaters gesehen.“ erzählte er und Ayashi blickte flüchtig zu ihm auf, sodass er fortfuhr: „Ich habe dein Gesicht nicht gesehen, sondern nur dein Haar und deine Gestalt. Du hast mit Yaken gesprochen.“ „Das ist schon sehr lange her.“ murmelte sie und fühlte, dass er nickte. „Ich habe dich noch einmal gesehen, Ayashi.“ sagte Sesshoumaru ruhig. „Wann?“ wollte Ayashi wissen. „Du wirst mit Sicherheit nicht erfreut darüber sein, doch… ich denke, du solltest es wissen.“ entgegnete er und küsste sie kurz auf ihr Haar, ehe er von der unvermuteten Begebenheit an der heißen Quelle berichtete. Ayashi spürte, dass ihr im ersten Moment heiß wurde, als er ihr erzählte, dass er sie beim Baden gesehen hatte, und griff sich beruhigend an die Stirn. Sesshoumaru fühlte, dass ihr Körper und vor allem ihr Kopf glühten, also versicherte er ihr, dass er sie lediglich bis zum Brustansatz gesehen hatte. Ayashi richtete sich etwas auf, sah in sein schuldbewusstes Gesicht und schüttelte den Kopf. Er war der Mann, den sie liebte, und deshalb spielte es keine Rolle für Ayashi, ob er schon mehr von ihrem Körper gesehen hatte oder nicht. „Was denkst du?“ fragte er, als sie stumm blieb und ihn nur betrachtete. „Ich denke, du hättest schon damals dem Schicksal etwas auf die Sprünge helfen können.“ antwortete sie und lächelte. „Du wusstest nicht, wer ich war!“ meinte er entsetzt. „Ja, das denkst du.“ entgegnete sie leise lachend und schüttelte den Kopf über sein unverständiges Gesicht. „Nun bin ich also an der Reihe?“ „Womit?“ „Geständnisse.“ flüsterte sie und küsste ihn flüchtig, ehe sie ihn wieder ansah und fortfuhr: „Wir sind uns schon einmal begegnet. Es war in den Bergen.“ Sesshoumaru schüttelte den Kopf, als wolle er sagen, dass er sich daran erinnerte, sollte das wahr sein. „Ich war in menschlicher Gestalt unterwegs und sah mir folglich nicht gleich. Du bist jemandem begegnet – einer Miko…“ „Das warst du?“ fragte Sesshoumaru und richtete sich schnell auf seine Ellenbogen auf. Er betrachtete Ayashi und sah, dass sie nickte. Seine Augen verengten sich und er versuchte, sich das Bild der sterblichen Frau zurück in seine Erinnerung zu rufen, doch es blieb trüb und verschwommen. Nur ihre Worte konnte er zurück in sein Gedächtnis rufen, und als er sie erneut vernahm, wurde ihm bewusst, dass eine Sterbliche niemals gewagt hätte, so mit ihm zu sprechen. Immer noch etwas ungläubig schüttelte er den Kopf. „Wieso hast du mich erkannt?“ fragte er, weil er das immer noch nicht verstand. „Du hattest Yaken bei dir und ich wusste, dass er dem jungen Herrn dient. Das hat er mir erzählt.“ „Yaken redet wirklich zu viel.“ murmelte er „Ich weiß nicht. Ich war froh, dass ich dich endlich mit eigenen Augen gesehen habe. Ich habe auch durch Yaken überhaupt erst erfahren, dass Inu-no-taishou einen Sohn hat.“ Sesshoumaru nickte nachdenklich und streichelte Ayashis Haar. „Was hast du in menschlicher Gestalt in den Bergen gemacht?“ fragte er schließlich. „Ich wollte eine Zeit lang so leben wie…“ Ayashi stockte. „Ich wollte meine Grenzen kennen lernen.“ erklärte sie, doch Sesshoumaru schüttelte den Kopf. „Du wolltest das Leben von Midoriko kennen lernen.“ murmelte er, doch es war eher eine Frage als eine Feststellung. Ayashi seufzte und schloss die Augen. Er musste über ihre Mutter Bescheid wissen, denn immerhin war er Inu-no-taishous Sohn. Sie war es einfach nicht gewohnt, dass man sie mit einer sterblichen Mutter in Verbindung brachte, und legte auch keinen Wert darauf, dies zu betonen. Es war nun einmal so, doch sie war als Youkai erzogen worden. Sie war eine Youkai-Hime. Als sie die Augen wieder öffnete, begegnete sie Sesshoumarus warmem und fragendem Blick. „Ja, du hast Recht. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich selbst nicht kenne, und dachte, dass ich einige Monate dieselben Erfahrungen machen muss. Leider kam ich fast genauso klug nach Fukuoka zurück wie ich es vor Monaten verlassen hatte.“ Die Vision ihrer Mutter und Midorikos letzte Worte - Halte dich von Sesshoumaru fern und lebe! – würde sie vor Sesshoumaru verbergen, solange sie es vermochte. Ayashi spürte, dass sie mehr Unheil anrichten konnte, wenn sie es ihm sagte, als es bringen würde, wenn er nichts davon wusste. „Ich verstehe. Vielleicht kannst du irgendwann doch von deiner Reise profitieren. Das kannst du heute noch nicht wissen.“ „Ich habe dich gesehen. Das war das Ganze eigentlich schon wert.“ „Eigentlich?“ fragte Sesshoumaru und zog eine Augenbraue hoch. „Nein, es war das Ganze mit Sicherheit wert.“ korrigierte sich Ayashi und küsste ihn zärtlich. Sesshoumaru legte sich wieder zurück und Ayashi schmiegte sich wieder an seine Schulter. „Ich glaube, das waren nun alle Geständnisse.“ murmelte Ayashi gegen seine Brust und schloss die Augen. „Nein.“ widersprach Sesshoumaru und Ayashi öffnete ihre Augen wieder. „Nein? Wieso denn?“ entgegnete sie und versuchte, ihn anzusehen, was ihr nur teilweise glückte. Sie sah seinen Kiefer und hob den Blick weiter, um sein Gesicht zumindest von der Seite zu sehen. Seine Augen waren gerade zur Decke gerichtet und er schien angespannt. Ayashi hörte seinen Atem flach und unregelmäßig über seine Lippen hauchen. Schließlich drehte er den Kopf und blickte sie lächelnd an. „Ich liebe dich, Ayashi. Ich gehöre dir.“ gestand er und versiegelte ihre Lippen mit einem leidenschaftlichen Kuss. Ayashi schlich sich spät von Sesshoumarus Seite, eilte ungesehen zurück in ihre Gemächer, wusch seinen Geruch von sich und legte sich dann in ihr Bett, um sich in ihre Decken zu hüllen. Sie bezweifelte zwar, dass es im Schloss jemandem auffallen würde, wenn sie nach Sesshoumaru duftete, da sein Geruch inzwischen auch beinahe überall aufzuspüren war, doch sie wollte sicher gehen. „Ayashi-Sama?“ fragte eine flüsternde Stimme aus der Dunkelheit und Ayashi richtete sich auf. „Iruka?“ „Ja, verzeiht, Ayashi-Sama. Wir hörten Euch lange nicht zurückkehren und suchten Euch daraufhin in den Gärten.“ „Ich war spazieren. Wir müssen uns verpasst haben.“ erfand Ayashi eine Ausrede, auf die Iruka nichts mehr erwiderte. Schweigend verließ sie das Zimmer, um ihre Hime nicht weiter zu belästigen. Ayashi ließ sich zurück in die Kissen fallen und schloss die Augen. Sesshoumaru liebte sie. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen und ihr Herz sprang einige Male wie verrückt. Es war unglaublich, was diese Worte in ihr auslösten. Niemals hatte sie erwartet, zu einem derartigen Gefühl fähig zu sein. Es war noch nicht lange her, da hatte sie mit Satori über den zukünftigen möglichen Gefährten gesprochen, doch niemals hätte sie für möglich gehalten, dass sie Sesshoumaru auf diese Art und Weise kennen lernen würde. Ayashi biss sich auf die Lippen, da ihr klar war, dass Sesshoumaru niemals ihr Gefährte werden konnte. Es musste unter allen Umständen geheim bleiben, was sie füreinander empfanden, das war ihr bewusst, doch irgendwo in ihrem Herzen regte sich der Gedanke, dass es vielleicht nur vorübergehen sein konnte. Sie und auch sonst niemand konnte sagen, was die Zeit mit sich brachte. Ihre Zukunft war ungewiss. Zum ersten Mal seit langer Zeit bemerkte Ayashi, dass dieser Gedanke nicht Wut und Furcht in ihr wachrief, sondern Hoffnung und Zuversicht säte. In weiter Ferne war es eben doch möglich, dass für sie eine gemeinsame Zukunft mit Sesshoumaru an ihrer Seite existierte. Ihre Liebe schien plötzlich alles möglich zu machen, doch bis dahin mussten Ayashi und Sesshoumaru ihre Gefühle vor anderen verbergen. Kapitel 49: ------------ Am nächsten Morgen rief Ayashi Ban zu sich und holte ihn damit von Yorus Unterricht mit Kouga weg. Sie saß auf der Engawa, als er sie aufsuchte und sie höflich grüßte. „Was kann ich für Euch tun, Ayashi-Sama?“ fragte er schließlich. Ayashi legte ihre Hand auf den Boden und bedeutete ihm, sich zu setzen. Ban folgte ihrer Bitte und setzte sich ihr entspannt gegenüber. Das war genau der Grund, weshalb Ayashi mit Ban sprechen wollte. Ban würde – nicht wie sein Bruder Yoru – nicht misstrauisch werden und sie forschend ansehen, wenn sie über Sesshoumaru sprechen wollte. „Es geht um Sesshoumaru-Sama.“ sagte Ayashi direkt. „Ich hörte, es geht ihm besser.“ „Dasselbe hörte auch ich, Ban, und das ist sehr erfreulich, doch mir scheint, unsere Pflege lässt zu wünschen übrig.“ „Inwiefern, Ayashi-Sama?“ „Nun, er verbringt seine Zeit in den Gemächern meines Vaters und erholt sich sicher noch von seiner schweren Verletzung. Diener bringen ihm, was er benötigt. Ich hörte, er badet bereits wieder, weshalb ich annehme, dass seine Wunde wirklich gut zu heilen scheint.“ „Ja, Ayashi-Sama. Das ist anzunehmen.“ stimmte Ban seiner Hime zu. „Es scheint mir, es ist nicht genug, ihn mit frischer Kleidung, Nahrung und duftendem Badewasser zu versorgen, daher möchte ich Euch bitten, dass Ihr nach ihm seht.“ „Verzeiht, doch wie soll ich ihm helfen, Ayashi-Sama?“ „Ich denke, dass frische Luft zusätzlich zu der Ruhe, die er genießt, helfen könnte, ihn erneut zu beleben und neue Kräfte in ihm zu wecken. Er wird so schnell es möglich ist zurück in das Lager seines Vaters wollen, um ihm im Krieg beizustehen. Wir sollten ihn dabei unterstützen.“ „Ihr habt natürlich Recht, Ayashi-Sama.“ „Ich bin froh, dass Ihr Euch meiner Meinung anschließt, Ban. Ich habe ausdrücklich Euch darum gebeten, da Ihr der höflichste Krieger seid, den ich kenne. Ich schätze Euch sehr und nehme an, dass vielleicht auch Sesshoumaru es vorziehen wird, mit einem vornehmen und bedachten Youkai zu sprechen, der ihn nicht direkt nach der Schlacht und den Gefallenen fragt.“ „Wie Ihr meint, Ayashi-Sama.“ entgegnete Ban und neigte den Kopf. „Ich sah, dass die Gärten zum großen Teil wieder zufrieden stellend gerichtet sind.“ „Dann werde ich Sesshoumaru-Sama sofort fragen, ob er mich in die Gärten begleiten wird.“ „Ich danke Euch, Ban.“ entgegnete Ayashi und entließ Ban. Die nächsten beiden Tage saß Ayashi lange Zeit auf der Engawa und wartete. Sie hoffte, Sesshoumaru wenigstens von weitem zu sehen, wenn er mit Ban durch die Garten schlenderte, doch sie musste feststellen, dass es immer Abend oder gar Nacht wurde, bis sie ihn endlich sehen konnte. Sein Geruch hatte sich noch mehr im Schloss verteilt, sodass sie mit geschlossenen Augen dasitzen und sich vorstellen konnte, er sei ganz dicht neben ihr. Auch an diesem Tag wartete Ayashi auf jemanden, der etwas mit ihr besprechen wollte, doch als bis zum Abend noch niemand auf sie zugekommen war, unternahm sie ihren täglichen Gang auf die Mauer, wo Kogeki und Reigi standen. Nachdem sie mit ihnen die nötigen Worte gewechselt hatte, blickte sie noch einmal über die Umgebung und verabschiedete sich wieder, bevor sie schnell die Stufen hinab stieg. Sie ging über die Engawa in ihre Gemächer zurück und erklärte Iruka und Kazari, dass sie wieder in die Gärten wollte. „Verzeiht, Ayashi-Sama. Sesshoumaru-Sama ist noch mit Ban in den Gärten.“ warf Iruka ein und Ayashi nickte. „Danke, ihr könnt gehen.“ entgegnete sie und die Dienerinnen verließen den Raum. Ayashi zog sich um und spazierte durch die Gänge, sah bei Kantan vorbei und ließ sich darüber in Kenntnis setzen, dass Kaiso in dieser Nacht mit Yoru, Ban und Kouga das Gebiet um das Schloss durchstreifen wollten, um zu sehen, ob in der Nähe des Schlosses irgendwelche neue Hinweise auf feindliche Truppen zu finden waren. „Könnten sie sich deshalb so ruhig verhalten? Suchen sie einen neuen Punkt, von dem sie angreifen können?“ „Nein, das denke ich nicht, Ayashi-Sama. Wir haben bisher auch gesamt Kyushu beobachtet und haben von keinem Ort auf Kyushu Berichte erhalten, dass etwas vorgeht.“ beruhigte Kantan seine Hime. „Das bedeutet, es sind nur Hankan, Reigi und Kogeki als Krieger im Schloss.“ bemerkte Ayashi ohne Aufregung. Drei Krieger waren genug, um das Schloss so lange zu halten, bis die anderen zurückwaren, sollte es nötig sein. „Hankan und Reigi werden das Gebiet direkt um das Schloss im Auge behalten, sodass mit Sicherheit nichts geschieht und auch ich werde mich einbringen. Ich werde auf der Mauer Position beziehen und hoffen, dass es genauso ruhig bleibt wie in den letzten Tagen.“ erklärte der Beamte und Ayashi wusste, dass er kämpfen konnte, wenn er musste. „Es wird Zeit, dass der Krieg vorüber ist.“ gab Ayashi zu und Kantan nickte. Er hatte sich mit den Kriegern abgesprochen, dass sie Ayashi aus möglichst vielem heraushalten wollten, da sich Sesshoumaru-Sama im Schloss aufhielt. Abgesehen davon, dass er immer noch etwas entsetzt war, dass ihr Vater ihr die gesamte Verteidigung des Schlosses überlassen hatte, und er eingestehen musste, dass sie diese Aufgabe bisher gut erfüllt hatte, fand er, dass sie sich eine kurze Zeit der Ruhe wirklich verdient hatte. Da er wusste, dass Ayashi selbst sich mit Händen und Füßen gegen diese Abmachung gewehrt hätte und überhaupt nichts davon hören wollte, dass sie Ruhe brauchte, hatte er darauf bestanden, ihr nichts zu sagen. „Ich hoffe, Ihr hattet bereits Gelegenheit, die neu gerichteten Teile der Gärten zu bewundern, Ayashi-Sama.“ meinte er, damit er sie nicht zu lange anschwieg und sie auf den Gedanken kommen konnte, er habe etwas zu verbergen. „Ja, Kantan-Sama. Ich war schon einige Male in den Gärten.“ „Ich hörte, Sesshoumaru-Sama besuchte sie ebenfalls.“ „Ich bat Ban darum, ihn etwas an die frische Luft zu bringen.“ erklärte Ayashi beiläufig und lächelte ihn an. „Das war sicher eine gute Idee, Ayashi-Sama.“ stimmte Kantan ihr zu. Ayashi nickte und blickte ihn direkt an. „Kann ich noch etwas für Euch tun, Ayashi-Sama?“ fragte er und sie nickte. „Ich habe mich gefragt, ob ihr nicht eine Aufgabe für Iruka und Kazari habt. Sie könnten sich doch sicherlich ebenfalls nützlich machen.“ „Gewiss, doch sie sind Eure Dienerinnen.“ „Ich weiß, doch sie umgeben mich ständig und ich fühle mich dadurch seltsam unruhig. Ich möchte wieder einmal absolute Stille um mich herum haben.“ flunkerte Ayashi und blickte Kantan Hilfe suchend an. „Ich werde sehen, was ich tun kann. Ich finde bestimmt eine Aufgabe für sie.“ „Danke, Kantan-Sama.“ „Habe ich auch die restlichen Diener für andere Dinge zur Verfügung? Wir bräuchten frische Nahrungsmittel und könnten so die Möglichkeit nutzen, erneut verstärkten Kontakt mit anderen Youkai-Siedlungen auf Kyushu und Shikoku aufzunehmen.“ Kantan der Beamte! Ayashi musste sich ein zufriedenes Lächeln verkneifen, denn sie wusste, wie sehr es ihn belastete, nur noch über sehr knappe Nachrichten über die Geschehnisse bei anderen Youkai unterrichtet zu sein. „Ich kann gänzlich auf ihre Dienste verzichten. Verfahrt, wie es Euch richtig erscheint. Ich vertraue Euch und Eurer Urteilskraft gänzlich, Kantan-Sama.“ „Ich werde Euch nicht enttäuschen, Ayashi-Sama.“ versprach er. Ayashi nickte, verabschiedete sich und machte sich dann in ihre eignen Gemächer auf, um zu warten, bis Ruhe im gesamten Schloss einkehrte. Kapitel 50: ------------ Sesshoumaru wartete bereits, wandte sich aber nicht um, als Ayashi eintrat. Ihr Duft stieg ihm betörend in die Nase und ihre Schritte drangen leise an sein Ohr. Er war so froh, dass sie es geschafft hatte, auch in dieser Nacht zu ihm zu kommen. „Wie war dein Spaziergang mit Ban?“ fragte Ayashi und schmiegte sich an seinen Rücken. „Ich hätte ihn lieber mit dir unternommen.“ gab er zu und Ayashi lächelte. Sie legte ihre Stirn zwischen seine Schulterblätter und umfasste seinen Oberkörper vorsichtig mit ihren Armen. Seine Hand legte sich auf ihre, die leicht auf seiner Brust lag, und drückte sie fest an sich. Seine Wunde war verheilt und sie brauchte keine Rücksicht mehr auf ihn nehmen. Er hätte es in diesem Moment sogar vorgezogen, seine Wunde würde ihm noch brennende Schmerzen bereiten. „Ich habe Kantan unter einem Vorwand darum gebeten, meine Dienerinnen zu beschäftigen.“ flüsterte sie und fühlte, dass er nickte. Sesshoumaru blieb stumm und sagte nichts, sondern behielt nur seine Hand auf ihrer. Ayashi schloss die Augen und lauschte seinem Herzschlag. Sie hatte Recht gehabt, als sie angenommen hatte, dass die frische Luft ihm gut tun konnte, und sie wusste, dass die Tage verstrichen, die sie miteinander im Geheimen verbringen konnten. „Sesshoumaru?“ fragte sie leise und öffnete ihre Augen wieder. „Ja?“ „Wann wirst du gehen?“ fragte sie, da sie Gewissheit brauchte. Er sog scharf den Atem ein und zögerte. Langsam drehte er sich um und betrachtete sie aus seinen bernsteinfarbenen Augen. „Bald.“ entgegnete er und strich ihr über die Wange. „Wann?“ wiederholte sie hartnäckig. Sesshoumaru seufzte und schüttelte den Kopf. „Zu bald.“ flüsterte er und berührte ihre Lippen zärtlich mit seinen. Ayashi erwiderte den Kuss, da sie nicht die Stärke finden konnte, sich dieser Liebkosung nicht hinzugeben. Sie wollte ihn und sie wusste, dass er gehen musste. In ihren Augen war dieser Zeitpunkt – wann auch immer er kommen würde – immer zu bald und zu früh und einfach nur unerträglich, wenn sie darüber nachdachte. Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals und halfen ihrem Körper, sich noch dichter an Sesshoumarus eigenen Körper zu pressen. Hitze durchzog ihre Glieder und weckte tief in ihr ein Verlangen, das sie noch niemals zuvor verspürt hatte. Lediglich ihr Instinkt sagte ihr, dass sie sich nicht vor diesem Gefühl fürchten musste. Sesshoumaru löste sich etwas von ihr, obwohl Ayashi ein unwilliges Geräusch von sich gab, und sah sie wieder nur an. „Ayashi, glaub’ mir, dass ich nicht gehen will.“ „Ich glaube dir.“ hauchte sie. Sie versuchte wieder, ihn zu küssen, doch er erlaubte ihr nicht, sich auf die Zehenspitzen zu stellen, um seinen Mund mit ihren Lippen zu erreichen, sondern drückte ihre Schultern mit seinen starken Händen hinunter. „Sesshoumaru…“ begann sie ungläubig, doch er schüttelte den Kopf. „Ich werde morgen gehen. Ich werde morgen Abend gehen…“ entgegnete er mit ruhiger Stimme. „Morgen schon.“ murmelte Ayashi und blickte ihn an. Seine Augen waren ruhig und sein Atem war ruhig. Er war ruhig. Ayashi nickte wie betäubt. Wie lange hatte er diesen Entschluss bereits gefasst und ihr nichts gesagt? Sie spürte, wie ein neues Gefühl in ihr wuchs – Verzweiflung. Langsam ließ sie ihre Hände von seinem Nacken hinab gleiten und ging zwei Schritte rückwärts. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, als ihr wieder und wieder seine Worte durch den Kopf hallten. Nichts anderes schien in ihren Gedanken noch Platz zu finden. Nichts anderes schien dieser Leere, die diesen Worten folgte, etwas entgegenzusetzen haben. Und diese Leere höhlte sie mit schmerzhafter Gründlichkeit aus, bis nichts mehr von irgendeiner Hoffnung übrig zu bleiben schien. „Es tut mir leid, dass ich es dir nun erst sage, doch ich… ich war mir noch nicht sicher, ob meine Wunde wieder verheilt sein würde und ob ich wirklich schon gehen könnte.“ erklärte er und wollte sich ihr nähern, doch sie wandte sich ab und ging einige Schritte in den Raum hinein. Ayashi nickte und senkte den Blick. Sie wusste, dass sie ihm keine Vorwürfe machen durfte. Sie wollte ihm keine Vorwürfe machen, denn er tat doch nur, was als Sohn und zukünftiger Erbe von ihm erwartet wurde. Er verhielt sich ehrenhaft – ganz im Gegensatz zu ihr, da sie ihn nicht durch Angst zurückhalten oder belasten durfte. „Verzeih’ mir, Sesshoumaru.“ flüsterte sie kaum hörbar und presste sich ihre Finger gegen die Schläfen. „Verzeih’ mir, dass ich mich nicht unter Kontrolle habe.“ fuhr sie fort und schloss die Augen. Sie hörte, dass er sich ihr näherte und knapp vor ihr stehen blieb. Sie konnte sich so gut vorstellen, wie er sie nun ansah – ratlos, aber trotzdem verständnisvoll. Ein schwerer Atemzug hob ihre Brust und sie schluckte die salzigen Tränen hinter, die ungestüm in ihr aufstiegen. Seine warmen Hände nahmen ihre Finger von ihren Schläfen, führten sie nach unten und strichen dann zärtlich über ihre Stirn und ihre Wangen. Er trat noch einen Schritt näher, bettete ihren Kopf gegen seine Brust und umfing sie mit seinen beschützenden Armen. Ayashi biss sich auf die Lippen, um eine erneute Welle verräterischer Tränen zu bekämpfen, und fühlte dann, wie Ruhe sich wieder in ihr ausbreitete. Sesshoumaru küsste ihr Haar und atmete ihren Duft bewusst sein, ehe er sein Kinn federleicht auf ihren Kopf legte. Ayashi spürte seinen Atem warm und streichelnd an ihrer Schläfe und hörte sein Herz an ihrem Ohr schlagen. Sie schlang ihre Arme um seinen Rücken und hielt sich an Sesshoumaru fest. „Es ist auch für mich nicht einfach, Ayashi. Es ist wirklich nicht einfach, dich zu verlassen.“ meinte er schließlich und Ayashi öffnete die Augen wieder. Sie konnte unmöglich sagen, wie viel Zeit verstrichen war, in der er sie nur an sich gepresst hatte. Vielleicht war es bereits Morgen und sie wussten es beide nicht. Vielleicht stand die Zeit aber auch still und sie mussten überhaupt nichts mehr über die vergehende, schrumpfende Zeit ihrer gemeinsamen Stunden und Minuten und Augenblicke wissen, da es einfach überflüssig geworden war. Ayashi schüttelte über ihre Gedanken leicht den Kopf und drückte ihre Stirn gegen seine Brust. „Lass’ mich nicht so zurück.“ hörte sie sich flüstern, doch sie wusste, dass er es hörte. „Es geht nicht anders, Ayashi.“ begann er, doch Ayashi schüttelte wieder den Kopf, und er brach ab. „Nein, Sesshoumaru. Ich weiß, dass du gehen musst, aber lass’ mich nicht so zurück.“ „Wie meinst du das?“ fragte Sesshoumaru und Ayashi löste sich etwas von ihm, um ihn anzusehen. „Ich liebe dich, Sesshoumaru.“ entgegnete Ayashi und stellte sich wieder auf die Zehenspitzen. Er hinderte sie nicht daran, sondern behielt nur seine Hände an ihrer Taille, und sah sie fragend an. Sie wusste, dass er sie liebte. Sie wollte sicher nicht, dass er dieses Bekenntnis wiederholte. Ihr Blick wanderte über sein Gesicht, blieb etwas länger auf seinen Lippen haften und traf dann direkt auf seinen. „Ich liebe dich, Sesshoumaru, und ich will dir gehören – nur dir und gänzlich dir.“ sagte sie leise, aber mit klarer Stimme. Kapitel 51: ------------ Sesshoumaru fühlte sämtliche Gefühle über seinen Körper hereinbrechen und so tosend durch ihn hindurch wallen, dass er sie für einen Augenblick nur sprachlos ansehen konnte. Ein scheues Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, doch ihre Augen hielten den Kontakt mit seinen und zeigten ihm, dass sie es wirklich ernst meinte. Ayashi presste ihre Lippen kurz zusammen, um das Lächeln zu unterdrücken, und küsste dann Sesshoumarus linken Mundwinkel, wanderte mit zärtlichen Küssen an seinem Kieferknochen entlang zu seinem Ohrläppchen und biss leicht hinein. Er zuckte zusammen und brummte kehlig, worauf Ayashi gedämpft lachte. Sesshoumaru schloss die Augen und genoss ihren Atem, der über die Haut seines Halses streichelte. Schon die Berührung ihres Atems allein genügte, um ihn völlig willig zu machen. „Sesshoumaru, soll ich gehen?“ fragte Ayashi mit sanfter Stimme. In ihrem Kopf konnte sich der Gedanke, sich von ihm zu entfernen, nicht einmal bilden, denn Sesshoumaru schob sie selbst ein Stück weg, hob ihr Kinn mit zwei Fingern und verwickelte sie in einen leidenschaftlichen Kuss, der Ayashis Gleichgewichtssinn ins Wanken brachte. Ayashi sank gegen ihn, ließ sich von ihm halten und hielt sich selbst nur schwach durch die Arme in seinem Nacken. Seine Hände drückten sie heftig und fiebrig gegen sich. Ayashi wurde klar, dass ihn das Erstaunen und die Verwunderung über ihre Worte hatten erstarren lassen, keineswegs jedoch Abneigung. Vielleicht hatte er ihr nicht gleich geglaubt, dass sie es ernst meinte, und vermutet, sie sagte diese Worte nur um seinetwillen, doch nun waren diese Zweifel völlig verschwunden und alles, was zurückblieb, war pure Leidenschaft. Er hörte ihren Herzschlag laut und fühlte ihn sogar durch die Stoffe ihrer und seiner Kleidung. Langsam ließ er seine Zunge über ihre Unterlippe gleiten und Ayashi öffnete ihm ihren Mund unter einem dumpfen Geräusch, das ihrer Kehle entwich. Ihr Körper begann in Sesshoumarus Armen zu zittern, als er genüsslich das Innere ihres warmen Mundes erkundete und ein verführerisches Spiel zwischen seiner und ihrer Zunge entstand. Sesshoumarus rechte Hand fuhr über Ayashis Nacken in ihr offenes, seidiges Haar und hielt sie bei ihm, während er sie gemächlich rückwärts zu seinem Lager drängte, ohne ihre Küsse zu unterbrechen. Er wusste, dass sie sein erigiertes Glied spüren musste, da es zwischen ihren Körpern dicht gegen ihren Bauch gedrückt war, aber Ayashi stieß ihn auch nun nicht von sich, sondern ließ ihre Hände sicher und selbstbewusst etwas weiter nach unten wandern und grub ihre Finger in seine starken Schultern. Ayashi wusste, dass sie sich fürchten sollte, da etwas Unbekanntes vor ihr lag. Sie hatte schon so viel darüber gehört und die wenigsten der Worte, die sie niemals hätte hören dürfen, waren erfreulich oder in irgendeiner Weise beruhigend, doch Ayashi konnte sich auch nun nicht fürchten. Sesshoumaru war bei ihr. Sie fühlte ihn und jegliche Angst verbrannte mit den Berührungen und Küssen, bevor sie überhaupt richtig in ihr entstehen und sich festsetzen konnte. Er war der Mann, den sie liebte. Sie vertraute ihm. Er fühlte sich so gut an! Verlangen rauschte durch ihren Körper, als sie sich noch einmal in seiner Umarmung wand und sich einen Augenblick lang fester gegen sein Glied drückte. Sesshoumaru keuchte ungehalten auf und drängte seine Hüften näher gegen Ayashi. Sie nahm eine ihrer Hände von seinen Schultern und begann, ihren am Rücken gebundenen Obi zu lösen. Sesshoumaru unterbrach den Kuss und legte seine Hand auf ihre. Seine bernsteinfarbenen Augen ruhten auf ihr, als er sie dort an ihrem Rücken bestimmt in seiner warmen Hand behielt, um sie am Entkleiden zu hindern. Worte waren nicht nötig. Ayashi nickte kaum merklich und zog ihre Hand zurück, um ihm die Möglichkeit zu geben, das zu erledigen. Sesshoumarus Finger schoben sich unter den Obi und lösten bedächtig das breite Band, das sich um Ayashis schmale Taille wand und bis dahin ihren Yukata zusammen gehalten hatte. Sie fühlte, wie ihre Kleidung sich lockerte, und hörte, dass Sesshoumaru wenig später den Obi zu Boden fallen ließ. Ayashi blickte in sein Gesicht und stellte fest, dass er sich auf die Lippen biss, als sie ihre Hände an den Bund des Hakama legte, den er trug. Seine Brust hob und senkte sich unter seinen kontrollierten Atemzügen. Ayashi streckte sich nach oben und küsste ihn leicht auf die Lippen, während sie das Band seines Hakama lockerte, jedoch nicht ganz löste. Sesshoumaru umfasste ihren Oberkörper mit einem Arm und hob sie so dicht an seinen Körper, dass sie ihr eigenes Gewicht beinahe überhaupt nicht mehr tragen musste, damit er sich mit ihr langsam auf das Lager niederlassen konnte. Ayashi rutschte etwas zur Seite, dass er ihr ganz auf das Lager folgen konnte, und stützte dann die Arme durchgestreckt hinter sich auf. Sie streifte ihn mit einem kurzen, doch einnehmenden Blick, und blickte dann an sich hinunter. Ihr Yukata war verrutscht, da er nicht mehr durch den Obi, sondern nur noch durch zwei Schlaufen in ihrer Taillengegend zusammen gehalten wurde, und gab den Blick auf ihren Brustansatz und eines ihrer Beine frei, das sie leicht angewinkelt aufgestellt hatte. Sesshoumaru folgte ihrem Blick mit seinen Augen und Ayashi war es, als konnte sie seinen intensiven Blick auf ihrer erhitzen Haut spüren, die sich so nach seinen Berührungen sehnte. Ungeduldig streckte sie eine Hand nach ihm aus und wollte ihn näher zu sich ziehen, doch er vertröstete sie nur mit einem flüchtigen Kuss. Ayashi sah ihm zu, wie er von ihrer Seite verschwand, mit der Hand ihr entblößtes Bein vom Knie bis zum Knöchel hinabstreichelte und schließlich nacheinander beide ihrer Füße leicht anhob, sodass er ihr die Tabi abstreifen konnte. Sesshoumaru blickte sie an und sah, dass sie lächelnd auf das wartete, was er als nächstes tun würde. Als er sich aber noch weiter von ihr entfernte, sah er nur noch Unverständnis und Unwillen in ihren Augen, weshalb er ein leises Lachen vernehmen ließ und amüsiert den Kopf schüttelte. Seine Finger glitten über die zarte Haut ihres Fußrückens und ihres Fesselgelenks und nach einem letzten Blick zu ihr, senkte er den Kopf und küsste die Innenseite ihres Knöchels. Ayashi sog die Luft ein und schloss die Augen, als Sesshoumarus Lippen ihre Haut berührten, als ob sie diese verehrten. Langsam setzte er sich zwischen ihre Beine, um von dort aus mit seinem Spiel fortzufahren. Genüsslich küsste er eine annähernd gerade Linie seitlich zwischen ihrem Wadenmuskel und dem Schienbein ihres entblößten Beines, streichelte immer wieder mit den Fingerkuppen über ihren Unterschenkel, bedeckte ihr Knie mit zarten Küssen und hauchte seinen Atem über ihre samtweiche Haut. Ayashi spürte, wie ihr Herz schneller schlug und lehnte sich zurück auf die Ellenbogen. Hitze breitete sich in ihr aus, als sie seine Lippen gegen die Innenseite ihres Oberschenkels fühlte, und sie stöhnte leise auf. Sein heißer Atem streichelte über ihre eh schon in Flammen stehende Haut und bewegte sich quälend langsam weiter nach oben, bis er in der Mitte ihres Oberschenkels innehielt. Ayashi zitterte leicht unter dem überwältigenden Gefühl, das sich in ihrem gesamten Körper heiß und lodernd ausbreitete. Eine erneute Berührung von Sesshoumarus Lippen an der Innenseite ihres Oberschenkels veranlasste Ayashi, ihr Bein etwas mehr zu spreizen und ihr Becken nach vorne zu schieben. Sie brannte innerlich und verzehrte sich nach ihm. Sesshoumaru zog sich von ihrem Oberschenkel zurück und rutschte zwischen ihren Beinen so eng nach oben, dass sie seinen männlichen Körper durch den Stoff der Kleidung gegen die Innenseiten ihrer Oberschenkel und ihre Mitte spüren konnte. Ayashi drängte sich ihm entgegen, doch Sesshoumaru ließ sie keine ihrer Hände an seine Kleidung legen, sondern führte Ayashis Oberkörper bestimmend zurück auf das Lager, sodass ihr zierlicher und graziöser Körper ergeben unter ihm lag. Zärtlich strich er ihre Wange hinunter und sah in ihre Augen, die wie dunkle, klare Edelsteine glitzerten. Vorsichtig stützte er sich neben ihr ab und senkte den Kopf zu ihr hinunter, um wieder ihre warmen Lippen mit seinen zu verlangen. Ayashi empfing ihn mit bebenden Lippen und ließ sich nur allzu gerne von ihm noch stärker auf das Lager drücken und in einen innigen Kuss verwickeln, doch Sesshoumaru ließ sich halb neben sie gleiten, sodass nicht sein gesamtes Gewicht auf ihr lastete und er sich nicht auf beide seiner Arme stützen musste. Ayashi kommentierte sein Entweichen mit einem widerwilligen Geräusch, bewegte unter dem Kuss ihr Becken gegen seinen Oberschenkel, der zwischen ihren Beinen lag, und wand sich dichter gegen ihn, sodass ihr eigener Oberschenkel gegen sein Glied presste. Sesshoumaru stöhnte gegen ihren Mund und öffnete überrascht die Augen, da Ayashi scheinbar aus Instinkt tat, was ihn um den Verstand brachte. Er biss ihr leicht in die Unterlippe, doch durchbrach die Haut nicht mit seinen Zähnen. Ayashi keuchte auf und ihr heißer Atem rauschte in Sesshoumarus Mund. Ihr Duft strömte durch ihn hindurch und ließ beinahe seine Kontrolle zusammenbrechen, doch im Bewusstsein, dass es noch zu früh war, erlangte er die Herrschaft über sich selbst zurück, und küsste sie wieder zärtlicher und langsamer. Er musste sanft mit ihr umgehen, wenn er Ayashi ihre erste Verbindung mit einem männlichen Youkai so schmerzlos wie möglich gestalten wollte. Ayashi drängte ihren Oberkörper gegen ihn und tastete mit einer Hand nach dem Bund von Sesshoumarus Hakama, um das Band mit einer ungeduldigen Bewegung zu lösen, als ob es ihr nicht schnell genug ginge. Sesshoumaru wusste, dass Ayashi, obwohl sie selbst das wohl anders empfand, noch nicht soweit war, unterbrach den Kuss ihrer Lippen, strich ihr sanft mit den Fingern noch einmal über ihre Unterlippe und wanderte dann mit seinem Mund zu ihrem Ohrläppchen, wie sie es zuvor bei ihm getan hatte. Jedoch biss er sie nicht, sondern küsste sie nur zärtlich, wanderte dann mit seinen Lippen weiter, um der Stelle hinter ihrem Ohr seine liebevolle Aufmerksamkeit zu schenken. Ein weiteres Zittern durchzog Ayashis Körper, als er sich weiter nach unten schob und seitlich ihren Hals hinabküsste und langsam in ihrer Halsbeuge ankam, während seine Finger die einzige außen gebundene Schlaufe ihres Yukatas öffneten. Sesshoumaru hielt inne und blickte sie kurz an, ehe er seine warme Hand behutsam in ihr Gewand gleiten ließ, um dort die innere Schlaufe zu öffnen. Ayashi griff nach Sesshoumaru, als seine Hand direkt auf der warmen Haut ihrer Taille zu liegen kam, und zog ihn ein Stück zu sich, dass sie ihn wieder küssen konnte. Er ließ sich gerne in einen weiteren, leidenschaftlichen Kuss verwickeln, während er ihren Yukata auseinander schob und ihren Oberkörper entblößte. Ayashi befreite sich in einer eher hektischen Bewegung von den Ärmeln und wollte Sesshoumaru an sich pressen, doch er entzog sich nach einem flüchtigen Kuss ihren Lippen, ließ ihren geöffneten Yukata halb über ihrem Becken und ihrem Schambereich liegen und küsste ihr Schlüsselbein. Seine Hände streichelten sanft über ihren flachen Bauch und ihre wohlgeformten Brüste, was Ayashi ein leises Stöhnen entlockte. Ihre linke Hand grub sich in Sesshoumarus Gewand, während die rechte mit dem Laken vorlieb nehmen musste. Sesshoumaru sah und spürte, dass sich ihre Brustwarzen schon aufgerichtet hatten, doch strich trotzdem noch einmal zärtlich über sie, ehe er mit seiner Zunge und seinen Lippen begann, Ayashis Oberkörper zu erkunden. Er küsste seinen Weg über ihr Schlüsselbein zu einer ihrer Brüste, umkreiste die Brustwarze mit seiner Zunge und begann eingehend und anschmiegsam ein neckisches Spiel mit ihr, während er seine Hand liebevoll immer wieder über die andere Brust und Ayashis Bauch, Taille und Seite streifen ließ. Ayashis Atemzüge wurden schneller und flacher, doch Sesshoumaru beendete sein ergreifendes Spiel nicht. Immer wieder fuhr er mit der Zunge über und um die harte Brustwarze und wandte sich schließlich mit derselben Hingabe Ayashis anderer Brust zu. Sie stöhnte, als sie seinen Körper etwas dichter und etwas mehr über sie gebeugt spürte und erblickte, schloss die Augen wieder und gab sich genießend seinen verführerischen Künsten hin. Ihre Fingerspitzen bohrten sich stärker in den Stoff, den sie fassen konnten, und ihr Oberkörper begann, sich ihm immer wieder leicht entgegen zu strecken. Ihr Unterleib erbebte zitternd, heiß und feucht und verlangte begehrend nach Sesshoumarus Aufmerksamkeit. Sesshoumaru spürte, wie sie sich unter ihm wand und nahm die unwillkürlichen Bewegungen ihres Beckens gegen seinen Oberschenkel und sein Glied wahr. Beharrlich konzentrierte er sich auf das, was er tat, doch es fiel ihm zunehmend schwer, seine eigene Lust zu zügeln. Langsam ließ er seine Zunge noch einmal über die Brustwarze gleiten, während er mit seiner Hand streichelnd nach dem Beginn ihres gelösten Yukatas tastete. Ayashi sog den Atem ein und zog unter einem kribbelnden Gefühl den Bauch ein, als er langsam über ihre Haut strich und sich ihrer Mitte näherte. Schließlich erreichte Sesshoumaru das Kleidungsstück knapp oberhalb ihres Beckens, fuhr behutsam darunter und befreite Ayashi davon. Ein dumpfes Stöhnen entwich Ayashis Kehle, als plötzlich kühle Luft betörend über ihren heißen Leib strömte. Sie streckte ihr Becken Sesshoumarus Hand entgegen, doch er legte seine Hand nur über ihren Schambereich und verwickelte sie in einen erneuten, glühenden Kuss. Ihr Körper bog sich ihm entgegen und Ayashi keuchte gegen seinen Mund, als er endlich einen Finger zwischen ihre Schamlippen in die feuchte Spalte gleiten ließ, und spreizte ihre Beine weiter. Das Atmen fiel ihr schwer. Ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren und auch Sesshoumaru hörte ihn. Seine Lippen, die ihre in einen berauschten Kuss verwickelten, hinderten sie daran, laut zu stöhnen, als er langsam und weiter anregend die Spalte nach oben fuhr und einen sanften Druck auf ihren Kitzler ausübte, doch ihr schneller und unregelmäßiger Atem machte es unmöglich, den Kuss weiter zu erhalten. Sesshoumaru spürte Ayashis Beckenbewegung gegen seine Hand und küsste sie noch einmal auf ihre heißen und bebenden Lippen, ehe er noch einmal diese Bewegung machte. Ayashi stöhnte und presste ihren Körper gegen seine Hand, wobei er zwei Finger vorsichtig in sie sinken ließ. Ayashi biss sich aus Schmerz kräftig auf die Lippen, krallte sich in seine Kleidung und das Laken und blickte ihn aufgewühlt an, als dieser Schmerz beinahe sofort wieder verschwand. Sesshoumaru küsste beruhigend ihren Haaransatz und ihre Schläfe, dann wieder ihre weichen Lippen, und blickte sie prüfend an, als er seine Finger aus ihr zurückzog und mit einem dritten wieder etwas in sie senkte. Ayashi zuckte leicht zusammen, doch ihre Hände lösten sich vom Laken und legten sich an seine Kleidung, als wolle sie sagen, er habe eindeutig zu viel an. Sesshoumaru zögerte, doch Ayashi begann, mit ihren Fingern ungeduldig an seiner Kleidung zu zerren, sodass er sie noch einmal küsste, seine Finger aus ihr zog und selbst seine Kleidung fieberhaft ablegte. Sowohl der Hakama als auch der dünne Haori, den Sesshoumaru im Hakama getragen hatte, fielen zur Seite und Ayashis Blick wanderte bewundernd über seinen gesamten männlichen Körper. Sesshoumaru kniete vor ihr und gab ihr Zeit, ihn zu betrachten, doch weder Zweifel noch Furcht lag in ihren Augen, sondern nur Liebe und Lust. Langsam richtete sie sich ebenfalls auf ihre Knie auf und streckte ihre Hände nach ihm aus, um sie zärtlich über seine geraden Schultern, seine muskulösen Oberarme und Unterarme gleiten zu lassen. Sesshoumaru schloss für einen Moment die Augen, ehe er sie wieder ansah und sie nur machen ließ. Ihre Finger legten sich sanft auf seinen Oberkörper und zeichneten die Linien seiner makellosen Brust nach und fuhren dann hinunter zu seinen Bauchmuskeln, die unter seiner Haut leicht zuckten. Ayashi sah, dass sich ebenfalls sein Becken scheinbar selbständig etwas vorschob und sein Glied vollständig aufgerichtet war. Vorsichtig umfasste sie sein Glied und streichelte den Schaft bis zur Eichel, ehe sie ihn wieder aus ihrer Hand freigab. Sesshoumaru biss sich auf die Lippen und Ayashi näherte sich ihm weiter, legte ihre Hand in seinen Nacken und zog ihn in einen erneuten erhitzten Kuss. Ihre nackten Oberkörper aneinander zu spüren, entflammte Ayashi noch mehr, wobei sie das nicht für möglich gehalten hatte. Sie spürte sein Glied gegen ihren Bauch pressen und wusste, dass sie ihn in sich spüren musste. Begierig stöhnte sie auf, bewegte ihr Becken gegen seines und zog ihn dann langsam mit sich zurück auf das Lager. Sesshoumaru folgte ihr nur allzu willig. Seine Selbstbeherrschung bröckelte bei jeder Berührung, mit der sich ihr geschmeidiger Körper gegen seinen bewegte. Ayashi spreizte die Beine und verwickelte ihn wieder in einen Kuss. Sie wollte, dass er wusste, dass sie sich so unendlich sicher war, wenn er bei ihr war. Er spürte ihre feuchte und heiße Mitte gegen sein Glied und küsste Ayashi wild und ungestüm, als sie seinem Glied mit einer einladenden Bewegung ihres Beckens entgegen kam. Ihre Arme umschlangen seinen Oberkörper und ihr Blick suchte seinen. Liebevoll strich er ihr über das Haar, kam dann weiter zu ihr nach unten, da er sich auf einem Ellenbogen abstützte, und nahm sich dann selbst in die Hand. Vorsichtig führte er sein Glied ein Stück in sie ein und sank dann mit einem regelmäßigen Stoß seines Beckens in sie. Er fühlte an seinem Ohr ihren heißen Atem über ihre Lippen strömen und hörte ein ersticktes Geräusch aus ihrer Kehle. Sesshoumaru glaubte, er explodiere gleich, als er Ayashi feucht und sämig um sich spürte, und küsste ihren Hals und ihre Schultern, um sich einigermaßen unter Kontrolle zu halten und Ayashi Gelegenheit zu geben, sich an das Gefühl von ihm in ihrem Körper zu gewöhnen. Ihre Hände fuhren über seinen Rücken und erreichten schließlich seinen Nacken und sein Gesicht, sodass sie ihn fiebrig zitternd zu ihren Lippen dirigieren konnte. Als sich ihre Lippen wieder trennten und Sesshoumaru die Augen öffnete, sah er eine Träne an ihrem rechten Augenwinkel glitzern. Stumm schüttelte sie auf seinen fragenden und besorgten Blick den Kopf und bewegte leicht ihr Becken und beugte ihren Oberkörper etwas in seine Richtung. Sesshoumaru küsste sie noch einmal und kam dann ihrem Wunsch nach, indem er sich mit den Armen neben ihren Schultern abstützte, sich immer wieder vorsichtig aus ihr zurückzog und immer wieder in sie sank. Sesshoumaru bewegte sich zunächst langsam in Ayashi, doch schließlich wusste er, dass sie sich genauso sehr nach Erlösung sehnte wie er, und stieß kräftig und fiebrig und ab und zu verzögert und in kreisenden Bewegungen in sie. Ihre Hände krallten sich in seine Hüften und sie ließ ihn ihre Beine noch weiter spreizen, um noch tiefer in sie einzudringen, was sie nur mit einem starken Keuchen kommentieren konnte. Ayashis schmaler und geschmeidiger Körper wand sich unter der Lust, die Sesshoumaru ihm bereitete, und verlangte ungehaltener nach ihm und seiner Stärke. Sie brannte innerlich und fühlte gleichzeitig, wie sich in ihr mit jedem seiner Stöße, jeder seiner Berührungen und jedem einzelnen Innehalten, das er nutzte, um sie feurig zu küssen, scheinbar Welle auf Welle dieses bis dahin unbekannten, doch wunderschönen, berauschenden Gefühls stapelte und eine unglaubliche Kraft in ihr entstand, die ihren gesamten Körper beanspruchte und besetzte. Ayashi konnte nicht denken und nicht atmen. Sie konnte in diesem Rausch nur fühlen und wissen, dass Sesshoumaru bei ihr war und es ihm mindestens genauso ging. Sie hörte ihn über sich stöhnen. Hitze breitete sich aufbrausend und noch weiter in ihr aus und plötzlich fühlte sie, dass die Wellen über sie hereinbrachen und ihr Körper sich zufrieden und erschöpft wieder entspannte. Sesshoumaru hielt einen Moment inne, küsste sie und drang dann wieder mit regelmäßigen und kräftigen Stößen in sie. Ayashi konnte sich nur an ihm festhalten und hoffen, dass er sie durch diese Erfahrung purer Lust führte. Noch einmal baute sich in ihr diese riesige Kraft auf, die ihre Glieder zusammenzupressen schien. Und wieder folgte kurze Zeit Erlösung von dieser Anspannung, und Ayashi wünschte, es würde niemals aufhören. Sesshoumaru schenkte ihr, was sie niemals für möglich gehalten hatte. Dann fühlte sie warme Flüssigkeit in sie strömen und Sesshoumaru ließ die Wellen seiner Lust zitternd, bebend und stöhnend über sich hereinbrechen, ehe er erneut begann, verlangend in sie zu stoßen, da er noch nicht alle seine Kraft verbraucht hatte. Sein Atem verließ laut und keuchend seine Kehle, während Ayashi ihn ganz in sich aufnahm und hoffte, dass sie ihm schenken konnte, was er ihr schenkte. Seine Hände pressten sie an sich und spreizten ihre Beine noch weiter, um ihn auf der Suche nach Befriedigung zu unterstützen. Ayashi warf den Kopf zurück und stöhnte, als ihre eigene Lust einen erneuten, rasenden Höhepunkt erreichte. Sesshoumaru wollte an ihrem dargebotenen Hals knabbern, die zarte Haut mit seinen Zähnen, seinen Lippen, seiner Zunge fühlen, doch er fürchtete, dabei zum Äußersten zu gehen und sie blutig zu beißen, also konzentrierte er sich auf seine Bewegungen zwischen ihren Beinen, bis er sich erneut in ihr ergoss und dann ausgelaugt auf ihren Körper niedersank. Er atmete schwer. Sie fühlte seinen unregelmäßigen Atem an ihrem Hals und ihrer Schulter, schlang die Arme um ihn und konnte nicht anders, als sich an ihn zu drücken. Ayashi hatte das Gefühl, dieses Erlebnis würde sonst schwinden, als habe es niemals stattgefunden, und das wollte sie nicht. Sie wollte es nicht missen. Niemals. Eine Träne rann ihre Wange hinunter und musste Sesshoumaru benetzen, da er sich entkräftet aufrichtete und das schmale, salzige Rinnsal von ihrer überhitzten Haut streichelte. Ihre Hand wanderte liebkosend über seinen Rücken und Ayashi schloss noch einmal die Augen, ehe sie ihn wieder ansah und ein Lächeln ihre Mundwinkel umspielte. Ihr Herzschlag pochte immer noch wild gegen ihren Brustkorb, doch sie hob ihre Lippen zu seinen und küsste ihn sanft. Sesshoumaru verließ langsam und befriedigt Ayashis Körper und griff nach der Decke, die am Fußende lag. Sein Atem war immer noch flach, doch normalisierte sich wieder, während er sie beide zudeckte. Müde sank er neben sie und blickte sie an, küsste sie noch einmal und öffnete dann seine Arme, in welche sich Ayashi nur allzu gerne kuschelte. Zärtlich küsste er ihre Stirn, zog sie dichter zu sich und hörte, wie ein zufriedenes Seufzen ihren Lippen entwich. Gedankenverloren spielte er mit einer ihrer nachtschwarzen Haarsträhnen, während Ayashis Hand langsam seine Brust streichelte, und schlief nach kurzer Zeit zufrieden ein. Kapitel 52: ------------ Am nächsten Morgen wachte Sesshoumaru noch in der anbrechenden Dämmerung auf und blieb ruhig liegen, um Ayashi nicht zu wecken. Ihr Gesicht lag dicht an seinem und er konnte ihren leichten Atem spüren, der sanft über seine Haut streichelte. Sesshoumaru wusste, dass auch sie unbewusst seinen spüren konnte, und betrachtete sie nur stumm. Sie war so wunderschön, so unglaublich bezaubernd, so begehrenswert, dass es ihn beinahe schmerzte, sie nur anzusehen. Nur zu gerne hätte er wiederholt, was sie beide in der gestrigen Nacht erfahren hatten, doch gleichzeitig wollte er sie nicht wecken, da sie sonst gehen würde. Der letzte Tag, den sie gemeinsam hatten, und doch nicht zusammen verbringen durften, war gnadenlos angebrochen. Sesshoumaru schloss für einen kurzen Moment die Augen, ehe er sich eines Besseren besann und Ayashi so lange anblicken wollte, wie er nur konnte. Sollte sich dieses brennende Gefühl doch unbarmherzig tief in ihn hineinbohren! Er würde es ehren, da es ihn an Ayashi erinnerte. Er hatte viel Erfahrung mit anderen Youkai gesammelt, doch niemals hatte er so empfunden. Es war unnötig gewesen, auf diese Gefühle zu warten und sich größere Gedanken um die Zukunft zu machen, da er stets gewusst hatte, dass er sich erst für längere Zeit mit einer Youkai verbinden würde, wenn er einen Erben brauchte. Und er hatte stets gewusst, dass er – wenn er entscheiden durfte, und diese Wahl nicht auch teilweise sein Vater übernahm – dann viele vornehme Youkai aus hervorragenden Häusern zur Wahl hatte, die ihm gern seinen Erben gebären würden und ihrer Familie dadurch Ehre bereiten konnten. Niemals hatte er für möglich gehalten, dass er jemanden wie Ayashi finden konnte, und obwohl ihre Liebe unter keinem guten Stern stand, wusste er nun, dass er niemals wieder eine von den anderen Youkai haben wollte. Ayashi besaß ihn und er wollte ihr gehören. Bei dem Gedanken, Ayashi zu seiner Gefährtin zu machen und nicht nur seinen Samen, sondern auch sein Blut, das für Youkai nötig war, um ein Kind von einem anderen Youkai zu empfangen, in sie fließen zu lassen, schlug Sesshoumarus Herz wild und unregelmäßig gegen seine Brust. Zärtlich ließ er seine Fingerspitzen über die Linie ihrer rechten Augenbraue gleiten und schwor sich, alles zu geben, um möglichst bald zu Ayashi zurückzukehren. Ayashi räkelte sich im Schlaf und drückte sich näher an Sesshoumaru. Ihre Augen unter ihren Lidern bewegten sich schon leicht und Sesshoumaru wusste, dass sie bald aufwachen würde. Es war nur noch eine Frage der Zeit – wie alles andere scheinbar auch, das Ayashi und ihn betraf. Obwohl die Zeit verrann und er nur ein wenig das Gefühl hatte, sie stünde still, wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass er wieder in Ayashis Augen blicken konnte. Er, er, er. Und was war mit ihr? Hatte er denn überhaupt nicht an sie gedacht, als er in dieser Sache zwischen ihnen nicht der Stärkere gewesen war? War er schon immer so egoistisch gewesen? Hatte er überhaupt eine Ahnung, was es für sie bedeutete, wenn jemand von ihrer Beziehung zu ihm wusste? Hatte sie diese Ahnung überhaupt? Sesshoumaru schüttelte leicht den Kopf und biss sich auf die Lippen. Nun war es zu spät für solche Bedenken und er musste sich eingestehen, dass diese Verzagtheit auch weder in seinem Verstand noch in seinem Herzen richtig ankam. „Verzeih’ mir, Ayashi.“ flüsterte er dennoch und sie schlug langsam und etwas verwirrt die Augen auf. „Hast du etwas gesagt?“ fragte sie ihn leise. „Nein.“ schwindelte er und strich ihr sanft über den Rücken. „Dann habe ich noch geträumt.“ murmelte sie und schloss noch einmal die Augen. „Wie viel Zeit man doch mit Schlafen vergeudet.“ „Wie fühlst du dich?“ fragte er und sie öffnete die Augen wieder. Anstatt zu antworten, schob sie sich ganz nahe an ihn und küsste ihn sanft auf die Lippen. Sie fühlte, wie seine Arme sie fest umschlossen, und drängte sich dicht gegen ihn. Ihre nackten Körper berührten sich warm und diese Berührung entfachte in beiden wieder die Lust der vergangenen Nacht. „Ich muss gehen.“ murmelte sie zwischen zwei Küssen, doch machte keine ernsthaften Anstalten, sich zu erheben. Sesshoumaru nickte nur, küsste sie weiter und küsste ihren Hals. „Wirklich.“ wiederholte sie und er nickte wieder. „Sesshoumaru…“ „Ich weiß, dass du gehen musst.“ meinte er und entließ sie etwas aus seiner Umarmung. Ayashi legte den Kopf gegen seine Brust und nickte leicht. Sie mussten sich hier und jetzt voneinander verabschieden und dann darauf warten, sich noch einmal am Abend kurz zu sehen, ohne sich berühren zu dürfen, ohne miteinander andere Worte zu wechseln als die angebrachten Abschiedsworte zweier einander beinahe unbekannten Personen. Ayashi schloss die Augen, schluckte schwer und biss sich kräftig auf die Lippen, um die Tränen zurückzuhalten. Sesshoumaru sollte sie nicht so in Erinnerung behalten, fand sie. „Sesshoumaru, ich werde dich heute Abend verabschieden, bevor du gehst.“ meinte sie leise und fühlte, wie er nickte. „Und ein Teil von mir wird mit dir gehen.“ flüsterte sie. Seine Arme umschlossen sie wieder stärker und sie hörte seinen Herzschlag. Sesshoumarus Stimme zitterte, als er das Wort ergriff: „Ein Teil von dir wird mit mir gehen. Ein Teil von mir wird bei dir bleiben.“ Ayashi nickte, da sie unfähig war, etwas zu sagen, küsste ihn noch einmal und entzog sich ihm dann, um sich anzukleiden. Sesshoumaru legte ebenfalls seine Kleidung an und sah, dass Ayashi ihn betrachtete, als sie ihren Yukata schon angezogen hatte. Sie näherte sich ihm sicher und half ihm bei den letzten Handgriffen. „Ich wünschte, ich könnte dir später deine Rüstung anlegen, Sesshoumaru.“ gab sie zu und senkte den Blick, um seinen Obi zu binden. „Ich weiß.“ entgegnete er mit rauer Stimme und streichelte zärtlich ihr Haar, bis sie fertig war. Ayashi ließ ihre Hände an seinen Hüften liegen, als sie den Obi gebunden hatte, und blickte zu ihm nach oben. Seine Augen ruhten auf ihr, doch sie konnte ahnen, dass sein Inneres genauso aufgewühlt war wie ihres. Sie würde ihn schrecklich vermissen und sie fürchtete um ihn. Es war gut möglich, dass sie ihn niemals wieder sah. So viele tapfere Krieger waren in diesem Krieg schon gefallen. Ayashi schüttelte leicht und sich selbst zur Ruhe ermahnend den Kopf und fühlte, wie er sie langsam in seine Arme zog. „Ich werde zurückkommen, Ayashi.“ versprach er und hielt sie ein Stück von sich weg, damit er ihr in das Gesicht sehen konnte. Ayashi nickte leicht, doch versicherte ihm nicht, dass sie ihm glaubte. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Wie konnte er so sicher sein, dass sie sich jemals wieder sahen? „Kennst du das Gedicht, das von der Sonne und dem Mond handelt?“ fragte Ayashi nach einer Weile und senkte den Blick. „Du bist die Sonne. Ich bin der Mond. Ohne dich kann ich nicht leuchten, aber mit dir kann ich nicht sein.“ antwortete Sesshoumaru und Ayashi nickte. „Du bist die Sonne. Ich bin der Mond. Ohne dich kann ich nicht leuchten, aber mit dir kann ich nicht sein.“ wiederholte sie flüsternd und sah ihn an. „Ayashi…“ begann er, doch sie legte ihm sanft ihre Fingerspitzen auf seine Lippen, und er verstummte. „Ich werde auf dich warten, Sesshoumaru. Und ich warte auf die nächste Sonnenfinsternis.“ versprach sie und sie küssten sich ein letztes Mal, bevor Ayashi die Gemächer verließ und Sesshoumaru die letzten Vorbereitungen für seinen Aufbruch traf. Sesshoumaru wartete so lange wie möglich, ehe er seine Sachen nahm und draußen im Hof auf die Krieger traf, die er flüchtig kennen gelernt hatte. Ban wartete in ihrer Mitte und nickte ihm kurz zu. „Lebt wohl, Sesshoumaru-Sama.“ meinte er und neigte den Kopf. Sesshoumaru erwiderte die Höflichkeit, hörte dann aber, wie sich Ayashi mit geschmeidigen Schritten näherte, und wandte sich um. Sie hatte gebadet und seinen Geruch von sich gewaschen, doch nun nahm er ihren reinen Duft noch stärker wahr. „Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft und Pflege, Ayashi-Sama. Ich verdanke Euch viel.“ richtete er das Wort an sie, als sie ihn erreicht hatte. „Ihr wart im Schloss meines Vaters willkommen und werdet es immer sein, Sesshoumaru-Sama.“ entgegnete sie und neigte den Kopf. Sesshoumaru neigte ebenfalls den Kopf, da er sich bewusst war, dass mehrere Augenpaare sie beobachteten. „Berichtet meinem Vater, dass in Fukuoka alle wohlauf sind.“ „Gewiss, Ayashi-Sama.“ versprach Sesshoumaru, verneigte sich noch etwas tiefer und wandte sich dann um, um sich schnell noch von den anderen Kriegern zu verabschieden. Ayashi sah ihm nach. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als steche jemand langsam mit einem Dolch in es, als drehe er ihn genüsslich langsam in ihm immer wieder um die eigene Achse und lächle Ayashi dabei hämisch an, sowie der Schmerz ihr allmählich die Luft abschnürte. Sesshoumaru erreichte das Tor, das zum angrenzenden Innenhof führte, wandte sich um, da sie es nicht mehr aushielt, und eilte mit schnellen, doch beherrschten Schritten in die Gärten. Sie musste nun einfach mit ihrem Schmerz allein sein und konnte niemanden um sich herum ertragen. Kapitel 53: ------------ Sesshoumaru kam schnell wieder im Lager von Inu-no-taishou und Kataga an und bemerkte die fassungslosen Blicke, die ihm bis zum Zelt seines Vaters begleiteten. Er spürte sie förmlich, wie sie ihm folgten, und hatte auch noch im Zelt das Gefühl, dass sie ihm im Nacken saßen. „Sesshoumaru, mein Sohn!“ rief Inu-no-taishou erhob sich aus der Runde der versammelten Anführer, eilte auf ihn zu und schloss ihn in eine feste Umarmung, ehe er ihn wieder entließ. „Vater.“ meinte er schlicht, neigte das Haupt und blickte dann an seinem Vater vorbei in die Runde der Anführer, um zu sehen, ob es viele Verluste in diesen Reihen gegeben hatte. „Sesshoumaru. Wir hatten die Hoffnung schon aufgegeben!“ Sesshoumaru nickte und bemerkte, dass alle Anwesenden ebenfalls nicht damit gerechnet hatten, ihn lebendig wieder zu sehen. „Ich wurde gesund gepflegt, doch meine Gastgeber haben Nachricht zu Kenko nach Matsue geschickt. Offenbar kam die Neuigkeit nicht bis hierher durch.“ „Offenbar nicht, nein. Wir sind seit Tagen ohne Nachricht von Kenko. Und erreichen weder schlechte noch gute Berichte.“ meinte Kataga nun und blickte von Sesshoumaru zu Inu-no-taishou. Inu-no-taishou hatte seine Hand immer noch auf die Schulter seines Sohnes gelegt, blickte erfreut und bedrückt gleichzeitig und bedeutete ihm schließlich, im Kreis der versammelten Youkai Platz zu nehmen. „Ich habe Neuigkeiten.“ begann Sesshoumaru, um nicht unnötig Zeit zu verlieren, und fuhr nach einem Nicken seines Vaters fort: „Wie ihr wahrscheinlich wisst, wurde ich in verletztem Zustand von den Feinden gefangen genommen. In ihrem Lager sollte ich hingerichtet werden, um die Moral der feindlichen Truppen zu heben. Dort hörte ich mehrere Krieger darüber sprechen, dass ihr Anführer Hyouga seine Kraft auch aus unserer Energie schöpft. Er kann sich, sobald wir mit unseren Kräften, unseren Bällen, Blitzen und Strahlen von Energie zuschlagen, sich ohne große Anstrengung mit dieser Energie selbst wieder regenerieren. Darüber hinaus verwendet er unsere Energie auch in seinen Angriffen gegen uns. Das bedeutet, dass wir seit Jahren selbst immer wieder dafür sorgen, dass Hyouga nicht vernichtet wird. Nachdem ich das gehört hatte, entschloss ich mich zur Flucht, um euch diese Neuigkeiten mitzuteilen, und ich entschloss mich somit dafür, wie ein elender Feigling dem Tod durch die Hand meines Feindes zu entfliehen.“ „Du hast der gemeinsamen Sache einen sehr großen Dienst erwiesen. Daran ist nichts Ehrenloses.“ meinte Inu-no-taishou schnell, doch Sesshoumaru schüttelte den Kopf. „Darum soll es mir nun nicht vorrangig gehen. Ich werde in der Schlacht meine Ehre wieder herstellen.“ meinte er und blickte mit einem ernsten Ausdruck jeden einzelnen Youkai im Zelt an. „Was schlägst du vor, Sesshoumaru? Welche Taktik würdest du nun wählen, um Hyouga zu schlagen?“ fragte sein Vater, dem diese Entscheidung eigentlich zustand. „Wir vertrauen zu sehr auf unsere Youkai-Kräfte, um Hyouga zu bekämpfen, und gewinnen dadurch absolut nichts. Nein, wir werden noch zusätzlich durch unsere eigenen Waffen verletzt. Mein Vorschlag ist, dass wir uns lediglich auf unsere Speere, Pfeile und Bogen, Schwerter und die Kraft in unseren Armen verlassen – lediglich diese Mittel anwenden.“ erwiderte Sesshoumaru und sah, wie sich die Mienen der Anwesenden verdunkelten. „Das ist sehr riskant. Wir wären nicht viel stärker als Menschen.“ meinte einer von ihnen, doch Sesshoumaru schüttelte den Kopf. „Wir sind stärker als Menschen. Wir sind Youkai. Wir sind stark. Wir haben einen Grund, hier zu stehen und gegen Hyouga zu kämpfen. Es geht um unser Land, um unser Leben, um unsere Freiheit und um das Leben unserer Familien. Eure Gefährtinnen, Söhne und Töchter verlassen sich auf die Kraft eurer Arme. Sie verlassen sich darauf, dass ihr nicht aufgeben werdet und ihr sie, die Freiheit und die Ehre verteidigen werdet, wenn euch der Schweiß über die Stirn rinnt, wenn die Luft, die durch schnelle Züge in eure Zungen dringt, diese beinahe zum Bersten bringt, wenn euer Hals vor Anstrengung und Erschöpfung trocken ist, wenn eure Glieder und Muskeln brennen und Blut euch die Sicht verschwimmen lässt. Sie verlassen sich auf euch! Und wir werden kämpfen – bis zum letzten Atemzug, bis kein Blut mehr in unseren Adern pulsiert, bis unser Herz stillsteht und unser Blick trüb wird! Und wenn wir sterben, dann ehrenhaft im Kampf und mit frohem Mut, darüber dass wir taten, was wir konnten, und nicht feige waren, in unseren Herzen, der uns leicht machen wird, sodass wir durchbohrt von Klingen und Spitzen ohne Schmerzen eilend den freien Platz bei unseren Vorvätern im Jenseits einnehmen können!“ erinnerte Sesshoumaru mit fester und eindringlicher Stimme, sodass jeder der Anwesenden glaubte, dem größten Herrscher der zukünftigen Zeit gelauscht zu haben. Das Schweigen im Zelt war lauter als jeder Schlachtenlärm, doch Sesshoumaru erkannte daran, dass jeder die Worte verstanden hatte und verinnerlichte. Ja, ihre Situation war beinahe ausweglos, doch noch atmeten sie und noch waren sie in der Lage, eine Waffe in ihren Händen zu halten und einzusetzen. Sesshoumaru glaubte daran – daran dass es eine Chance gab, die sie nur nutzen mussten. Er wusste, dass alles möglich war. Er musste Ayashi wieder sehen. Ayashi gab ihm Kraft. Ayashi war bei ihm mit jedem einzelnen seiner Atemzüge und in jedem einzelnen Schlag seines Herzens. Er würde sie nicht so verlieren, das hatte er sich geschworen. Sie war seine… Gefährtin, auch wenn das niemand wissen durfte. „Wir werden uns also auf unsere Waffen beschränken. Es wird uns zwar schwächen, aber ihn auch – hoffentlich.“ meinte Inu-no-taishou, um das Schweigen zu brechen. Er gab noch letzte Anweisungen, entließ die Fürsten aus der Versammlung und ließ die Soldaten von den Plänen unterrichten. Sesshoumaru erhob sich ebenfalls und wollte gehen, doch Kataga und Inu-no-taishou hielten ihn zurück. „Sesshoumaru, bleib’ noch.“ meinte sein Vater und Sesshoumaru setzte sich wieder. „Wie hast du überlebt?“ fragte er schließlich, da er seine Neugier nicht länger zurückhalten konnte. Sesshoumaru stockte einen Augenblick, dann meinte er zögernd: „Das Lager, in das ich gebracht wurde, liegt ziemlich nahe an Eurem Gebiet, Kataga-Sama. Ich gelangte nach meiner Flucht wohl nahe an Euer Schloss, wurde von Euren Kriegern gefunden und von Euren Dienerinnen gepflegt.“ „Wie geht es meiner Tochter?“ fragte Kataga, da er davon ausgehen konnte, dass Sesshoumaru sie gesehen hatte. Der Anstand allein verlangte, dass ein Mitglied der Familie einen Gast begrüßte und verabschiedete, und da im Augenblick nur Ayashi dort war, war er sich sicher, dass sie dieser Pflicht nachgekommen war. „Ich sah sie nur zweimal, Kataga-Sama, doch es schien ihr gut zu gehen.“ antwortete Sesshoumaru. „Sie war nicht verletzt, oder?“ „Verzeiht, genau weiß ich das nicht, doch ich vermute, sie war wohlauf.“ Kataga atmete erleichtert auf und fuhr fort: „Hat sie etwas über die Verteidigung des Schlosses gesagt? Über die Lage?“ „Nein, doch bisher waren die Krieger erfolgreich. Die Situation ist unter Kontrolle, teilte mir Ban mit.“ „Das ist gut. Ich danke Euch, Sesshoumaru.“ Der Entschluss der Versammlung, nur mit Schwert und Speeren gegen Hyouga zu kämpfen, brachte nur langsam eine Verschiebung der Kräfte und musste mit schweren Verlusten bezahlt werden, doch das Wichtigste war, dass Hyouga schwächer wurde – langsam, stetig, schleppend und zermürbend. Sesshoumaru hatte nur einen Gedanken, der seinen Geist am Leben hielt und den Willen zu leben in ihm aufrechterhielt: er würde nicht zulassen, Ayashi nie wieder zu sehen. Er würde nicht zulassen, dass sie ihn verlor – er sie im Stich ließ. Er würde nicht zulassen, dass sie heimlich um ihn trauern musste. Kapitel 54: ------------ Neunundzwanzig Jahre sollten vergehen, ehe die Armee der Verteidiger Japans nach Hyougas Tod die Armee der Eindringlinge besiegen und zerschlagen konnte und ihre Krieger geschwächt, gedemütigt und ohne Hoffnung auf eine erneute Formierung in alle Himmelsrichtungen verstreut werden konnten. Inu-no-taishou, Kataga und Sesshoumaru bestritten den letzten Kampf gegen den rasenden Meroumaru, den Sohn des bereits getöteten Anführers, und gewannen nach tagelangem Ringen endlich die Oberhand, sodass sie ihn töten und seinen Geist für immer und ewig ins Erdreich eingeschlossen werden konnte. Nun war der Sieger endlich festgestellt. Die freudige Nachricht verbreitete sich rasch im gesamten Land und die Krieger kehrten ohne noch mehr Zeit zu verlieren in ihre heimatliche Gebiete zu ihren Familie zurück, und auch Kataga sah seine Tochter wieder. Ayashi empfing ihn lächelnd, doch sie hatte noch keine Zeit gefunden, sich in kostbare Gewänder zu hüllen, also empfing sie ihn, wie sie all die Jahre gekämpft hatte – in Kampfkleidung, bewaffnet und mit ihren langen Haaren zu einem Zopf gebunden. Kataga sah, dass sie müde war, und schloss sie fest in seine Arme. „Ayashi, meine Tochter. Ich bin froh, dich endlich wieder zu haben.“ flüsterte er und drückte sie etwas fester. „Ich bin froh, dass du wohlauf bist, Vater.“ entgegnete sie, vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und ließ die Tränen lautlos in seine Gewänder rinnen. „Es ist vorbei.“ meinte er tonlos, streichelte ihr über den Kopf und fühlte, dass sie nickte. „Wir haben Frieden.“ erwiderte sie und löste sich etwas von ihm, um ihn anzusehen. „Frieden.“ wiederholte er und musterte sie. Es war ihm, als habe sie sich verändert, doch er konnte nicht genau sagen, woran er das lag. „Du bist erschöpft, Vater.“ „Ich sollte mich ausruhen, meinst du?“ fragte Kataga, führte Ayashi mit sich über den Hof und sah aus dem Augenwinkel, dass sie nickte. „Ich werde mich erst noch um meine Angelegenheiten kümmern, Ayashi. Du solltest dich ausruhen. Nimm’ ein Bad und wasche den Schmutz und Staub der letzten Jahre ab.“ „So schmutzig bin ich nicht. Oder findest du?“ entgegnete Ayashi leicht lächelnd und schüttelte den Kopf. „Und deine Angelegenheiten können auch noch einige Stunden warten, die Akten und Unterlagen deinen prüfenden Blick noch etwas entbehren und trotzdem wird hier alles seinen gewöhnten Gang gehen, Vater. Du hast Zeit.“ „Ich finde dich verändert, Ayashi. Du bist ruhiger und gelassener. Irre ich mich? Nein, ich denke nicht.“ „Der Krieg verändert uns, doch das ist natürlich. Vielleicht sehe ich einige Dinge nun etwas anders, doch im Grunde bin ich noch ich selbst.“ Kataga nickte nachdenklich und nahm seinen Arm von Ayashis Schultern. „Wie geht es Inu-no-taishou und Se… seinem Sohn?“ fragte sie und blickte ihren Vater lächelnd an. „Sie sind wohlauf. Inu-no-taishou hat in der letzten Schlacht kleinere Verletzungen davongetragen, doch die werden schnell vergangen sein. Sesshoumaru hat nun vor, die Gebiete seines Vaters zu durchkämmen und die letzten Überbleibsel des Krieges beseitigen zu lassen. Danach will er einige Zeit durch die Welt wandern, doch was er dann genau tut, entzieht sich meiner Kenntnis.“ Ayashi nickte und blickte über den Hof. Das war seine Aufforderung an sie, ihn zu suchen. Sie war sich sicher, dass er sich sehr, sehr leicht finden lassen würde, und hielt es kaum noch hinter den Mauern des väterlichen Schlosses aus. Ayashi verließ das Schloss ihres Vaters, sobald es ihr möglich war und ihr Verschwinden kaum auffallen würde. Mit schnellen Schritten wandte sie sich zuerst nach Osten, kam ungesehen zum Waldrand und blieb dort im Schutz der ersten Bäume stehen, damit sie nicht doch von jemandem entdeckt wurde. Die Zweige über ihr bogen sich leicht im Wind und wippten sanft. Ayashi betrachtete ihre Umgebung ausgiebig, bis ihr ganz entfernt sein Geruch in die Nase stieg. Mit klopfendem Herzen blieb sie noch einen Moment stehen, vergewisserte sich, dass ihr ihre Sinne keinen Streich spielten, und folgte dann seiner Spur, die sie tiefer in den Wald hinein führte. Schließlich sah sie ihn an ihrer Lieblingsstelle im Wald, einem kleinen Wasserfall, der munter über mehrere Felsen sprudelte und dabei feine Tropfen in die Luft wirbelte. Ayashi blieb lautlos stehen und betrachtete ihn. Er saß mit dem Rücken zu ihr im hohen Gras und blickte über die bewegte Wasseroberfläche des kleinen Baches, in den sich der Wasserfall ergoss. „Ayashi.“ sprach er leise ihren Namen aus und Ayashi trat näher zu ihm. Sesshoumaru erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung und blickte auf sie hinunter. In seinem Blick lag Unsicherheit und Verlangen, doch Ayashi war unfähig, irgendetwas zu sagen, obwohl sie ihm so viel hatte sagen wollen. Ihre Hände legten sich an seine Brust, als wollte sie sicher gehen, dass er wirklich hier war, dann wanderten sie zu seinem Nacken und Ayashi drängte sich sanft an ihn. Sie liebte ihn. Seine bloße Anwesenheit machte sie sprachlos, doch diese Gnade, seinen Körper wieder gegen ihren zu fühlen, seinen Atem ganz nah bei sich zu hören, seinen Herzschlag gegen die eigene Brust zu spüren… Sesshoumarus Arme umschlossen sie sofort und pressten sie ganz nah an seinen Körper. Ein leichtes Zittern durchzog ihren Körper, weshalb Sesshoumaru sie ein Stück von sich hielt und mit zwei Fingern ihr Kinn anhob. In ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen, die sich langsam auf ihren Weg über Ayashis Wange begaben. „Nicht. Dafür gibt es keinen Grund.“ versicherte er leise und strich die Tränen sanft von ihrer Haut. „Ich kann nur kaum glauben, dass du vor mir stehst. Ich dachte, ich sehe dich nie wieder.“ brach Ayashi ihr Schweigen und presste ihr Gesicht in die Hand, die noch immer an ihrer Wange lag. „Ich bin da, Ayashi.“ entgegnete er. „Ich weiß.“ erwiderte sie und schlang wieder ihre Arme um ihn. „Ich weiß.“ murmelte sie gegen seine Schulter und lauschte seinem unregelmäßigen Herzschlag. „Ich werde dich nie wieder verlassen, Ayashi. Nie wieder. Das verspreche ich dir.“ meinte er und spürte, dass Ayashi nickte, sich jedoch wieder ein wenig von ihm entfernte. Sie lächelte und streichelte seine Wange, ehe sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn sanft auf die Lippen küsste. Sesshoumaru hielt sie bei sich, ließ sie nicht zurückweichen und verwickelte ihre Lippen in einen leidenschaftlichen Kuss, der sie beide atemlos werden ließ. „Ich werde dich nie wieder gehen lassen… Was hältst du davon?“ „Noch besser.“ murmelte er und begann wieder, sie zu küssen, sodass sie nicht sprechen konnten. Ayashi spürte seine Hände fest an ihrer Taille, die sie gegen seinen Körper drückten und die Bewegungen seiner Lippen auf ihren, die sie beinahe um den Verstand brachten. Langsam fuhr seine Zunge über ihre Unterlippe und sie gewährte ihr Einlass in ihren Mund. „Ich habe mich so sehr nach dir gesehnt.“ meinte er, als sie ihr Spiel für einen Augenblick unterbrachen, und begegnete dem offenen und herausfordernden Blick ihrer grünen Augen. Ayashi näherte sich ihm weiter, streckte sich zu ihm nach oben und küsste seine Schläfe, die Stelle vor seinem Ohr und seinen Hals. „Dann mach’ aus deiner Sehnsucht Wirklichkeit, Sesshoumaru.“ flüsterte sie ihm ins Ohr und hörte freudig das kehlige Geräusch, das ihm entwich. Kapitel 55: ------------ Sesshoumaru drängte Ayashi ungestüm gegen einen nahen Baumstamm und presste seinen Körper in ihren, während er ihre Lippen, ihren Kiefer und ihren Hals küsste und mit fiebrigen Fingern ihre Kleidung löste. Ayashi erwiderte seine Küsse und legte ihre Arme locker um seine Schultern, da sie sich einfach nur ihm hingeben wollte. Sie konzentrierte sich auf seine Lippen, die immer wieder fordernd ihre fanden, und auf seinen Körper, der stark und verlangend vor ihr stand und ihren berührte. Sie fühlte diese wunderschöne Hitze, die sich in ihrem Körper ausbreitete, und legte den Kopf zurück, als Sesshoumaru sich etwas niedersinken ließ. Ayashi stöhnte auf, als ihre Kleidung seinen Händen Platz machte und erst Sesshoumarus Hände, dann sein Mund ihre Brüste zu liebkosen begann. Sie hatte nicht bemerkt, wie er ihren Obi und die Schlaufen ihres Gewandes gelöst hatte, doch das war ihr in diesem Moment gleichgültig. Die kreisenden Bewegungen seiner Zunge gegen ihre Brustwarzen ließen sie alles andere ohnehin vergessen. Es zählte nur Sesshoumaru und was er mit ihr tat. Ayashis Inneres brannte schon, als er langsam vor ihr auf die Knie sank und mit seinen Lippen und seiner Zunge den Weg weiter nach unten suchte, an ihrem Bauchnabel ankam und die sinnliche Reise fortsetzte. Sesshoumaru blickte prüfend zu Ayashi nach oben, deren Kopf zurückgelegt war und deren Lippen leicht geöffnet waren, und berührte sie mit seinen Fingern an ihrem feuchten Kern, was sie dazu veranlasste, ihren Körper lustvoll zu winden. Ihr Atem verließ ihre Lippen in einem überraschten und starken Keuchen. Er lächelte zufrieden, ergriff ihr Bein in der Kniekehle und legte es sich über die Schulter, sodass sie seinem hungrigen Blick ausgesetzt war, ehe er seine Lippen gegen ihre Scham presste. Ayashi stöhnte erneut laut auf, grub ihre Finger in den Baumstamm und blickte neugierig zu Sesshoumaru hinab, der ihrer empfindlichsten Stelle die Aufmerksamkeit seiner Lippen und Zunge schenkte und sie rasch zu einem heftigen Höhepunkt brachte, aus dem er sie nicht entlassen wollte. Ayashi hatte Mühe, sich einigermaßen stehend zu halten, und wand sich stöhnend vor Lust unter seinen Berührungen. Ihr ganzer Körper zitterte und ihre Beine – weder das über seiner Schulter noch das auf dem Boden – wollten ihr Gewicht nicht mehr tragen, weshalb Sesshoumaru ihr Becken mit seinen Händen stützte und Ayashi aufrecht hielt, damit er ihr einen weiteren Höhepunkt schenken konnte. Schwer atmend registrierte sie, dass er ihr Bein wieder auf den Boden stellte und allmählich seinen Griff um ihr Becken schwächte, während er langsam an ihrem Körper wieder nach oben kam. Sesshoumaru leckte sich die Lippen und blickte sie mit glänzenden Augen an, zog sie in einen intensiven Kuss und hob sie hoch, damit er sie vorsichtig in das weiche Gras geleiten konnte. Ayashi half ihm schnell aus seiner Kleidung und befreite sich auch von ihrer, die noch gelöst über ihren Schultern hing. Ihr Blick glitt über seinen gesunden Körper und über die Stelle, an der einst seine Wunde gewesen war, die sie zusammengeführt hatte. Sein Blick folgte ihrem und er legte seine Hand über diese Stelle, blickte sie an und küsste sie erneut mit einer Dinglichkeit, die Ayashi vergessen ließ, dass er sie vor einigen Augenblicken befriedigt hatte. Ihre Hand glitt zwischen ihre Körper und strich über sein erregtes Glied, was er mit einem Stöhnen gegen ihren Mund kommentierte. Sie streichelte ihn von der Wurzel bis zur Spitze, umfing seine Hoden mit ihren Fingern, streichelte ihn hingebungsvoll, während sie sich seinen Küssen hingab, bis sie bemerkte, dass ein Tropfen ihre Hand befeuchtete, und er in ihrer Hand leicht zuckte. Ayashi lehnte sich zurück und spreizte ihre Beine, sodass er ihr folgen konnte. Seine Hände strichen ihre Oberschenkel hinauf, stützten sich dann neben ihr ab, als Sesshoumaru Ayashi freie Hand ließ, damit sie ihn in sich führen konnte. Sesshoumaru schloss die Augen und genoss das Gefühl, das ihr Körper seinem bereitete, als er langsam in sie sank. Er stöhnte, da sie ihr Becken in einem kleinen Kreis bewegte. Allein das war schon beinahe zu viel für ihn, weshalb er sich neben Ayashis Kopf mit den Ellenbogen abstützte, sich in einem kontrollierten Kuss beruhigte und sie ruhig und ausgiebig ansah. Ihre grünen Augen ruhten auf seinem Gesicht, doch es entging ihm nicht, dass sie oft zu seinen Lippen wanderten. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, ihr Atem hob und senkte ihre Brust ganz sacht. Ihre Wangen waren gerötet von der Anstrengung und ihr Haar breitete sich über das Gras wie flüssiges, schwarzes Wasser aus. Es erschien ihm unmöglich, dass er ihres Anblicks jemals müde werden konnte. „Ich liebe dich.“ flüsterte er und ein Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus. Ihre Hand legte sich an seinen Kiefer und führte seine Lippen auf ihre, wo sie mehrere Augenblicke blieben, ehe er begann, sein Becken gegen ihres zu bewegen. Sesshoumarus Sinne waren gänzlich auf Ayashi fixiert. Ihre Brüste rieben an seinem Oberkörper. Ihr flacher Bauch berührte seinen, wenn sie den Rücken durchstreckte und das Becken kippte. Ihre Hände hielten sich an seinen Hüften, um zu verhindern, dass ihr Körper von seinen Stößen zu sehr geschoben wurde. Ihr Becken begegnete seinem, wenn sie ihn immer wieder gänzlich in sich aufnahm und er ihr Inneres streichelte, wenn er sich aus ihr zurückzog und in sie drang. Ayashi spürte, wie Sesshoumaru sich schneller bewegte, als sich auch für sie ein erneuter Höhepunkt anbahnte. Sein unregelmäßiger Atem strich heiß über ihre Schulter, als er wenige Zeit später laut stöhnte und sich in ihr ergoss. Sein Glied zuckte in ihr, als Sesshoumaru den Orgasmus über sich kommen ließ und sich fest gegen Ayashi presste, deren Körper sich vom Höhepunkt ihrer Lust überwältigt unter Sesshoumarus entspannte. Sesshoumaru war noch hart und groß in ihr, weshalb sie seine Oberarme packte und ihn bei sich hielt, als er sich zurückziehen wollte. Sie konnte nur den Kopf schütteln und ihr Becken bewegen, dass er wusste, was sie wollte, doch er verstand sie. Er stöhnte, als sie weiter ihr Becken bewegte, und blickte sie prüfend an. Gerade als er den Mund öffnen wollte, ob sie sich sicher war, schlang sie ihre Beine um eine Hüften und machte ihre Position deutlich. Sesshoumaru verlagerte sein Gewicht und sank wieder mit regelmäßigen Stößen und Bewegungen in sie, wobei er langsam das Tempo anzog, bis sie kaum noch feststellen konnte, ob er sich aus ihr zurückzog oder bereits wieder in sie stieß. Ayashi hielt sich an ihm fest, biss sich auf die Lippen, stöhnte und bemerkte, dass auch Sesshoumaru langsam das fand, was er noch suchte, ehe er schwitzend und müde auf sie niedersank. Ayashi wünschte, sie könnte die Zeit anhalten und einfach in Sesshoumarus Armen liegen bleiben, doch sie wusste, dass sie sich einem großen Risiko aussetzte, wenn sie zu lange vom Schloss entfernt blieb. Fragen würden gestellt werden, die sie nicht überzeugend genug beantworten konnte, doch sie konnte nicht anders, als bei ihm zu bleiben. Seine Finger strichen langsam und zärtlich über ihren Oberarm, der über seiner Brust lag, während sie seinem ruhigen Atem lauschte. Er schlief nicht, das wusste sie, doch es war kaum nötig, dass sie miteinander sprachen. Beide hatten tief in ihrem Inneren befürchtet, dass ihre Zuneigung aus der Gefahr des Krieges, der Ungewissheit der Zukunft, der Dankbarkeit für die Rettung oder der Verantwortung der Pflege entsprungen war, doch es war nicht so. Ihre Gefühle gingen tiefer. Zwischen ihnen hatte sich nichts verändert und diese Gefühle waren für die Ewigkeit bestimmt, da war sich Ayashi inzwischen so sicher wie in nichts anderem. Sesshoumaru wandte den Kopf zu ihr und sah sie lächelnd an, als er in ihr nachdenkliches Gesicht blickte. „Sagst du mir, woran du denkst?“ fragte er und hauchte ihr einen leichten Kuss auf ihre Schläfe. „Ich denke an dich. Und an mich.“ entgegnete sie und richtete sich etwas auf, sodass das Fell, das er um sie geschlungen hatte, herunterrutschte. Seine Finger fuhren an ihren beiden Oberarmen hinauf und zogen sie dichter zu sich herunter, damit er sie auf den Mund küssten konnte. Ayashi schloss die Augen und genoss seine Zärtlichkeit, die sie immer wieder überraschte, da er doch auch so ungestüm sein konnte. Sie sollte gehen, doch sie konnte nicht. Sie konnte ihn nun nicht verlassen. Sie konnte nicht auf seine Berührungen, auf seine Küsse, auf die Wärme und Stärke seines Körpers und auf den Klang seiner Stimme verzichten. Ayashi ließ sich zur Seite gleiten und zog Sesshoumaru mit sich, sodass er über sie gebeugt war und sie fragend anblickte. „Ich sollte gehen.“ flüsterte sie, doch legte ihre Hände in seinen Nacken, sodass er ihre Worte gewiss nicht als Aufforderung verstand, sie aufstehen zu lassen. „Ich will nicht gehen.“ meinte sie und zog ihn zu sich herunter, um ihn zu einem leidenschaftlichen Spiel ihrer Lippen und Zungen zu verführen. „Ich will dich auch nicht gehen lassen.“ murmelte er nach einer Weile, als sich ihre Lippen wieder trennten. „Ich komme von nun an jeden Abend hierher, Sesshoumaru. Ich versuche es zumindest.“ versprach sie und sah ihm ernst in die Augen. „Und ich warte hier auf dich. Abend für Abend.“ entgegnete er und küsste sie noch einmal lange und leidenschaftlich. Dann ließ er Ayashi aufstehen, damit sie sich in dem kleinen Bach waschen konnte. Er betrachtete ihren Körper, der im Mondlicht anmutig und glänzend schimmerte, und zwang sich dazu, sie nicht wieder zu berühren, als sie ihre Haut trocknen ließ und schließlich ihre Gewänder wieder anzog, indem er selbst wieder in seine Kleidung schlüpfte. Lediglich bei ihrem Obi half er ihr, da er auf dem Rücken gebunden werden musste und sie das allein kaum bewerkstelligen konnte. Sesshoumaru ließ seine Hände etwas länger an ihrer Taille liegen, als er noch hinter ihr stand, und Ayashi wandte nur den Kopf halb zu ihm um und lehnte sich mit dem Rücken gegen seine Brust. „Was wirst du sagen, wenn dich jemand sieht?“ fragte er und Ayashi schloss die Augen, als seine Brust unter seinen Worten bebte. „Ich war spazieren.“ entgegnete Ayashi und drehte sich zu ihm um, sodass sie sah, dass er nickte. „Bis morgen.“ flüsterte sie und legte ihre Hand an seine Wange. „Ich warte die ganze Nacht auf dich.“ versprach er, zog sie doch noch einmal zu sich, um sie zu küssen, und ließ sie dann schweren Herzens in den dunklen Wald verschwinden. Kapitel 56: ------------ Nach dem Sieg über Hyouga brach eine neue Zeit an, in der Kataga und Inu-no-taishou die mächtigsten Herrscher des Westens genannt wurden. Ayashi wusste, dass viele Youkai gefallen waren, die nicht nur Katagas Verbündete, sondern auch seine Freunde gewesen waren, doch er sprach selten darüber. Nur da Ayashi die meisten seiner Verbündeten nicht kannte, hatte sie keinen persönlichen Verlust zu beklagen, sondern genoss das Glück, dass ihre Verwandten und Geliebten am Leben waren. Es war eine Zeit, in der die Menschen, die sich auch schon vorher äußerst respektvoll gegenüber Wolfs- und Hundeyoukai verhalten hatten, ehrfürchtig und ehrerbietend von diesen sprachen, da die beiden Fürsten und ihre Verbündeten alles ihnen Mögliche unternommen hatten, Menschen aus den Auseinandersetzungen der Youkai herauszuhalten und ihr Elend zu mildern, was ihnen beinahe überall gelungen war. Ayashi wagte sogar zu bezweifeln, dass die Menschen allzu viel von diesem großen Krieg mitbekommen hatten, doch letztendlich hatten sie alle ihr Leben und ihre Freiheit den Youkai zu verdanken. Doch wie es so üblich war, hielt der Dank der einfachen Leute länger als der Dank des Adels und nach neunzig Jahren was in Adelskreise bereits vergessen, was damals geschehen war. Ayashi hatte ihr Leben geführt, wie sie es zuvor getan hatte: Sie hatte ihre Kampfübungen gemacht. Sie hatte sich wie eine Hime verhalten und sich mit Kunst beschäftigt. Sie hatte sich im Großen und Ganzen still und zurückhaltend gezeigt. Ab und zu war sie ihrem Vater zur Hand gegangen, der sie nun mehr in politische Dinge einbezog als vor dem Krieg gegen Hyouga, was offenbar daran lag, dass sie sich in der Verteidigung des Schlosses bewährt hatte und kein Youkai ihren Führungsstil herabgesetzt hatte. Nur eine Sache war anders: Sie hatte eine Lüge gelebt, denn Nacht für Nacht traf sie sich mit Sesshoumaru, dem sie sich mit Körper, Seele, Herz und Geist hingab, der sie liebte, ohne den sie sich eine Zukunft nicht vorstellen konnte und wollte. Niemals hatte es Ayashi für möglich gehalten, ihre Liebe für Sesshoumaru so lange vor ihrem Vater geheimhalten zu können, doch Kataga ahnte auch jetzt nichts vom ungebührlichen Verhalten seiner Tochter, das Ayashi in der Zwischenzeit ein schlechtes Gewissen bereitete, dem sie aber nicht ihre Liebe unterstellen wollte. Nein, sie liebte Sesshoumaru. Und sie hatte getan, was sie getan hatte. Es gab keinen Weg zurück, auf dem er ihr nicht versuchen würde zu folgen – ganz wie sie es tun würde, wenn er sich von ihr zurückzog. Sie gehörten zusammen. Sie waren eins in zwei Körpern. Eines Abends im Winter saß Ayashi an ihrem Schreibpult und vertrieb sich die Zeit bis zur tiefen Nacht mit Kalligraphie, als Kataga zu ihr trat und sich ihr gegenüber auf den Boden setzte. „Vater.“ begrüßte sie ihn und konzentrierte sich ganz auf das Schriftzeichen, das sie gerade auf das Papier übertrug: Ehre. Kataga betrachtete seine Tochter und lächelte still, da es ihm gefiel, mit welcher Anmut, welcher Haltung und Gelassenheit sie mit klarem Verstand dem Pinsel, dem Papier und den Linien der Tinte ihre Aufmerksamkeit schenkte. Der Ärmel ihres Kimonos war unter ihrer Handhaltung etwas zurückgerutscht und gewährte den Blick auf ihr entblößtes Handgelenk, dessen Anblick jedem anderen männlichen Wesen verwehrt bleiben würde und nur ihrem zukünftigen Gefährten zustand. Natürlich wusste Kataga, dass Ayashi Umgang mit männlichen Youkai pflegte – allein ihr Training erforderte das, doch er war fest entschlossen, dass er dafür sorgen würde, dass der Youkai, dem sie als Braut zugeführt werden würde, sie erst nach der Schließung des Bundes sehen würde. Ayashi legte den Pinsel mit einer anmutigen Bewegung beiseite und blieb noch einen Augenblick still sitzen, ehe sie den Blick ihres Vaters bemerkte und die Augen auf ihn richtete. „Es gibt Neuigkeiten von Katsumoto, Ayashi.“ begann Kataga und betrachtete das sauber geschriebene Zeichen auf dem Papier. Wieso hatte sie wohl gerade dieses gewählt? „Welcher Art sind diese Neuigkeiten?“ fragte sie und wartete darauf, dass auch die Tinte des letzten Striches trocknete, sodass sie das Papier zusammenrollen konnte. „Sein Bote übermittelte die Nachricht, dass er eine Gefährtin gefunden habe. Im Sommer will er den Bund eingehen.“ „Tatsächlich?“ fragte Ayashi überrascht und fuhr dann fort: „Wer ist sie? Kenne ich sie?“ „Ich vermute es, doch er schweigt über ihre Identität. In seinem ganzen Brief gibt er nicht einen Hinweis.“ lächelte Kataga und schüttelte belustigt den Kopf, als er Ayashis enttäuschtes Gesicht sah. „Er bittet dich, dass du möglichst bald nach Kochi kommst.“ „Dann breche ich morgen auf, wenn ich darf.“ entgegnete Ayashi. „So bald schon? Willst du nicht noch warten?“ „Worauf? Ich möchte Katsumoto nicht warten lassen, wenn er schreibt, ich solle sobald als möglich nach Kochi kommen. Er weiß außerdem ebenfalls, dass ich hier keine Verpflichtungen habe, die meine Anwesenheit dringend erfordern.“ Sesshoumaru hielt sie hier, das wusste Ayashi, doch die anderen nicht, weshalb es verdächtig war, wenn sie nicht sofort auf den Brief ihres Onkels reagierte. „Vermutlich rechnet er damit, dass ich in wenigen Tagen in Kochi bin.“ gab sie zu bedenken und sah, dass ihr Vater langsam einsehend nickte. „Ich kann es außerdem kaum erwarten, Ayame endlich wieder zu sehen. Mein letzter Besuch war so kurz und wir hatten kaum Zeit miteinander.“ fügte Ayashi hinzu und hatte damit die einseitige Diskussion gewonnen. „Gut, aber Yoru und Ban begleiten dich.“ bestand Kataga auf eine gewisse Tradition, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Meinst du nicht, dass ich den Weg inzwischen alleine gehen kann? Ich möchte meine Freiheit genießen - und verteidigen kann ich mich auch.“ widersprach Ayashi und hielt den Blick ihres Vaters. „Du bist eine Hime.“ seufzte er und fügte hinzu, als ihre Augen nicht von seinen wichen: „Das gehört sich eigentlich nicht.“ „Eigentlich? Heißt das, du gibst nach?“ fragte sie zwar freudig, aber noch vorsichtig. Kataga atmete seufzend aus und nickte schließlich. Er sollte nun vielleicht wirklich aufhören, seine Tochter wie ein Kind zu behandeln, denn das war sie nicht mehr. Sie hatte das Schloss jahrelang erfolgreich verteidigt und gezeigt, dass sie fähig war. Und dass sie ihre Freiheit liebte, respektierte er – er hatte sie immerhin selbst so erzogen. Kataga nickte noch einmal und damit war es entschieden: Ayashi würde am nächsten Tag abreisen. Im Schutz der Nacht verließ Ayashi das Schloss, um zu ihrem geheimen Treffpunkt mit Sesshoumaru zu schleichen. Sie hatte bereits alles für ihre Abreise vorbereitet und vorbereiten lassen, wobei sie bemerkt hatte, dass ihre Dienerinnen überhaupt nicht mehr versuchten, auf sie Einfluss zu nehmen. Wenn Ayashi alleine reisen wollte, so ließen sie ihre Hime eben und schwiegen dazu. Das war Ayashi sehr recht: sie würde ja doch tun, was sie wollte. Ayashi bemerkte, dass Sesshoumaru nicht wie sonst bereits auf sie wartete, was ein ungutes Gefühl in ihr aufsteigen ließ. Unsicher blickte sie sich um, doch sie entdeckte nichts Ungewöhnliches und zwang sich zur Ruhe. Er hatte sich wahrscheinlich nur verspätet und es war nichts Besonderes, auch wenn es noch nie vorgekommen war, dass sie ihren Treffpunkt als erste erreichte. Sesshoumaru würde aber auf alle Fälle kommen, und wenn nicht, so wusste Ayashi, dass er einen sehr guten Grund dafür hatte. Die Nacht war klar. Ayashi setzte sich auf einen Stein und blickte durch die kahlen Baumwipfel in den Himmel, um die Sterne zu betrachten, doch schnell kroch die Kälte an ihr hoch und umarmte sie so fest, dass sie beinahe meinte, Sesshoumarus Arme würden sie umgeben, wenn es nicht so kalt gewesen wäre. Langsam erhob sie sich wieder und begann, im schneebedeckten Gras auf und ab zu gehen, damit sie nicht ganz so sehr fror. Ihr Atem dampfte, als er mit der winterlichen Luft in Berührung kam, und wehte als kleine, weiße Wolke von ihr weg. Plötzlich fühlte sie ein warmes, weiches Fell um ihre Schultern, zwei starke Arme, die sie von hinten fest umfingen, und zärtliche Lippen, die sich sanft an die linke Seite ihres Halses senkten und sie küssten. Ayashi lächelte und lehnte den Kopf zurück gegen seine Schulter. „Du hättest dir etwas Wärmeres anziehen sollen.“ bemerkte Sesshoumaru leise und immer noch dicht an ihrem Hals, sodass sie seinen heißen Atem über ihre Haut streichen spürte, was eine Welle der Hitze durch ihren Körper schießen ließ. „Ich wusste, dass du mich wärmen wirst.“ entgegnete sie leise und drehte sich um, um ihn mit einem Kuss auf die Lippen zu begrüßen. Kapitel 57: ------------ Sesshoumaru ließ sich auf ihre Leidenschaft ein, verwickelte sie in ein intensives Spiel ihrer Lippen, doch zog sich von ihr zurück, bevor ihn seine Lust völlig übermannte und er das Bedürfnis, mit seiner Zunge ihren Mund zu erkunden, nicht mehr zurückhalten konnte. „Ich konnte nicht früher kommen.“ meinte er, als er ein bisschen Abstand zwischen sich und sie gebracht hatte, obwohl kein Vorwurf in ihren Augen lag. „Ich wusste, dass du kommen würdest.“ versicherte sie und blickte zu ihm nach oben. „Warst du dir da so sicher?“ fragte er nach. „Sag’ mir nur nicht, dass du es eine Nacht ohne mich ausgehalten hättest.“ gab sie zurück, während sie herausfordernd lächelte und ein paar Schritte von ihm zurücktrat. Sesshoumaru schüttelte den Kopf als Antwort auf ihre Frage. Er liebte sie zu sehr, dass er es nicht versucht hätte, selbst noch im Morgengrauen zum Treffpunkt zu kommen – auch wenn er gehofft hätte, dass sie selbst nicht so lange in der Kälte auf ihn gewartet hätte, sondern gegangen war. Er war zu schwach, um dem Klang ihrer Stimme nicht nachzugeben, der ihn den gesamten Tag in seinen Gedanken begleitete, zu schwach, um die jeweilige Erinnerung an die vergangene Nacht nicht lebendig zu spüren, da sein Körper das Gefühl von ihrer warmen, zarten und sanften Haut gegen seine nicht vergessen konnte. Er folgte ihr mit seinem gelassenen Blick, als sie langsam rückwärts ging und sich etwas von ihm entfernte, wobei sie sich flink die Schuhe und Tabi abstreifte, die sie gerade liegen ließ, wo sie sie ausgezogen hatte. Gemächlich ließ Ayashi das Fell von ihren Schultern fallen und bedachte es nur mit einem flüchtigen Blick, als sei es egal, dass es nun auf dem Boden lag und sie nicht mehr wärmte, während sie noch zwei kleine Schritte zurücktrat und barfuß auf dem Fell stehen blieb. Kurze Unsicherheit ließ Ayashi innehalten und sich fragen, was sie da eigentlich tat, doch sie schob die Frage schnell beiseite, weil sie tief in ihrem Inneren genau wusste, was sie tat. Ayashi hob ihre Augen wieder zu seinen und beobachtete die Veränderungen in seinem Gesicht, als sie mit aller Ruhe der Welt begann, ihren Obi und die Schlaufen ihrer Kleidung zu lösen, sodass ihr Gewand leicht auseinander fiel. „Es ist kalt.“ erinnerte er sie mit rauer Stimme, konnte den Blick aber nicht von ihren Augen und ihrem Körper abwenden. Sein Blick flackerte, als sie ihre Hand in ihrem Kimono verschwinden ließ, um auch die letzte Schlaufe an der Innenseite zu lösen. Ayashis Blick heftete sich prüfend und herausfordernd auf ihn, bevor sie die Schlaufe zog und wartete. Sesshoumaru wusste, dass seine Lippen leicht geöffnet waren, sein Atem seinen Mund in weißem Dampf verließ und er seine Ayashi gebannt anstarrte, doch er konnte nicht anders. Sein Körper reagierte auf sie. Seine Haut prickelte, sein Atem ging schneller und sein Glied drängte steif gegen seine eigene Kleidung und verlangte, freigelassen zu werden, wenn Ayashi ihn doch so eindringlich rief. Ihr Kimono fiel nun in der Mitte ganz auseinander und gestattete ihm den Blick auf einen schmalen Streifen Haut von ihrer Brust bis hinunter zu ihren Zehen, die sich in das weiße Fell gruben. Ayashi bemerkte Sesshoumarus überraschten Blick und die Leidenschaft und das Verlangen, das ebenfalls in seinen Augen lag. Sie lächelte ihn an und befeuchtete ihre Lippen mit ihrer Zungenspitze, während sie ihre Hände an den Kragen des Gewandes legten, den Kimono über die Schultern schoben und langsam bis zu ihrer Hüfte hinabgleiten ließen. Sesshoumaru folgte dem Kleidungsstück mit den Augen, als Ayashi es gänzlich zu Boden fallen ließ und betrachtete dann Ayashis nackten Körper mit begierigen Augen. „Es ist kalt, Ayashi… Du wirst frieren.“ meinte er noch einmal, da er nicht fähig war, etwas anderes zu sagen. Sesshoumaru bemerkte, dass er auch nicht fähig war, sich zu bewegen, wenn sie so wunderschön und beinahe unnahbar dort im weißen Mondlicht stand. Er konnte sie nur ansehen, obwohl er wusste, dass sie frieren musste. Ihm war heiß. Ihre Brustwarzen waren von der kalten Luft, die Ayashi umgab, aufgerichtet und hart. Langsam streckte ihren rechten Arm nach ihm aus und suchte seinen Blick. „Sesshoumaru.“ brauchte sie nur mit ihrer leisen, reinen Stimme zu sagen, um ihn in die Wirklichkeit zurückzuholen, in der seine geliebte Ayashi in vollendeter Schönheit vor ihm stand und nach ihm rief. Schnell legte er bereits im Gehen seine Waffen ab und streifte sich die Stiefel von den Füßen, während er versuchte, seine Hände aneinander warm zu reiben, ehe er zu ihr auf das Fell trat. „Lass mich dich wärmen, Ayashi.“ bat er sie lächelnd und zog sie in seine Arme und in einen innigen, erhitzten Kuss, unter dem sie beide auf das Fell niedersanken und sich ihrer gegenseitigen Leidenschaft hingaben. Ihre Küsse, Liebkosungen und Zärtlichkeiten verbrannten die eisige Kälte um sie herum und bald spürten sie die winterliche Luft nicht mehr. Sesshoumaru hatte sich unglaublich schnell ebenfalls von seiner Kleidung befreit, doch er ließ sich Zeit dabei, Ayashis Körper für sein Eindringen vorzubereiten. Seine Lippen verwickelten ihre in anreizende Küsse, die allein schon ausreichten, Ayashis Körper zittern zu lassen. Sie stöhnte gegen seinen Mund, als er seine Zunge zärtlich über den Rand ihrer Unterlippe in ihren Mund gleiten ließ, und grub ihre Finger tiefer in seinen starken Rücken. Sesshoumaru schlang die Arme um sie und hob sie dichter gegen seinen Körper, sodass sie deutlich seine erregte Männlichkeit gegen ihren Oberschenkel spüren konnte, was sie dazu verleitete, sich etwas zu drehen, sodass er zwischen ihre Beine sank. Er nahm es mit einem wohlwollenden, kehligen Geräusch zur Kenntnis, kam ihrem Wunsch aber noch nicht nach, sondern küsste sie langsamer und noch intensiver, ehe er sich langsam an ihrem Körper nach unten schob, um ihren Hals und dann ihre Brüste zu verwöhnen. Ayashi spürte, wie er sein Gewicht etwas verlagerte, und keuchte, als er seine Finger unvermittelt an ihrer feuchten und heißen Spalte entlang gleiten ließ. Er hob den Blick ein wenig, ohne von ihren Brustwarzen abzulassen und tat dasselbe noch einmal, um zu sehen, wie sich die feinen Muskeln ihres Halses spannten, da sie den Kopf genussvoll nach hinten legte. Sesshoumaru leckte und saugte weiter ihre Brustwarzen, wechselte die Seite ab, und streichelte Ayashi zwischen ihren Beinen zu einem Höhepunkt, der sie wenig später kraftvoll erfasste und sie sich wild und stöhnend unter ihm winden ließ. Ihr Herz klopfte laut, als eine matte Ruhe in ihren Körper zurückkehrte und sie ihn nach oben zog, um seine Lippen feurig zu küssen. Sesshoumaru hielt sie in seinen Armen und streichelte ihre Schulter, ihren Rücken und ihre Seite, während Ayashi seinen Kopf in ihren Händen hielt und ihre Zunge mit seiner spielen ließ. Sie veränderte ihre Position, sodass sie leicht auf der Seite lag, und drängte mit ihren Oberschenkel gegen seinen, sodass er sich von ihr auf den Rücken drehen ließ und Ayashi sich über ihn beugte, ohne den Kuss zu unterbrechen. Sesshoumarus Hände strichen ihr Haar zurück, wanderten über ihren Nacken und ihren Rücken, wo seine eine Hand liegen blieb, während die andere noch weiter zu ihrer Hüfte streichelte. Ayashi richtete sich etwas auf, strich mit ihren Fingerspitzen über Sesshoumarus leicht geöffnete Lippen, die ihre Finger schnell in sich aufnahmen. Ayashi lachte leise und ließ ihn ihre Fingerspitzen küssen und in seinem Mund behalten, ehe sie sie zurückzog und ihre Lippen wieder seinem Gesicht näherte. Sie küsste seine Wangen, seine Stirn und seine Augenlider, wanderte dann zu seinem Kiefer, seinem Ohrläppchen, das sie liebevoll küsste und sanft daran knabberte, sodass ein Zittern durch seinen Körper ging, er leise stöhnte und die Augen genießerisch schloss. Ayashi blieb noch eine kurze Zeit an dieser empfindlichen Stelle, wanderte dann weiter zu seinem Hals, um in der Halsbeuge wieder etwas länger zu verharren, und dann zu seiner Brust. Sie streichelte seinen Oberkörper mit ihren Lippen, ohne ihn zu küssen, fuhr dann die Linien seiner Muskulatur mit ihrer Zungenspitze nach und umfing seine Brustwarzen mit ihren Lippen, ihrer Zunge und ganz leicht und vorsichtig mit ihren Zähnen. Sesshoumaru stöhnte ungehaltener, als sie das Spiel eine Weile aufrecht hielt und ihre Hände unterstützend über seine Brust, seine Oberarme und seinen oberen Bauch streichen ließ, ehe sie ihre eine Hand weiter nach unten streichen ließ, über seine Hüften, die unwillkürlich nach oben zuckten, als Ayashi sie berührte, und auf seine Oberschenkel. Sie strich einige Male auf und ab, ohne sein erigiertes Glied zu beachten, ehe sie ihre Aufmerksamkeit gänzlich auf seinen Unterleib lenkte. Ayashi rutschte weiter nach unten und küsste ihren Weg dicht an seinen Penis heran, ohne ihn jedoch jemals zu berühren. Sesshoumaru keuchte, als sie einige Male nahe kam, aber dann ihren Weg abbrach. Schließlich erbarmte sie sich und nahm sein Glied vorsichtig in die Hand, begann langsam, den Schaft entlang zu streicheln, ehe sie ihre Finger um ihn schloss und ihn gleichmäßig rieb. Sesshoumarus Becken zuckte, seine Brust bebte, als Ayashi vorsichtig und ganz zärtlich ihre Finger über seine Eichel streichen ließ und schließlich mit dem Mund gegen seine empfindlichste Stelle sank. Ihre Lippen umgaben den heißen Kopf, ihre Zunge fuhr langsam um ihn, während ihre Finger über Sesshoumarus Hoden strichen und sie verwöhnten. Stöhnend streckte er ihr sein Becken entgegen, doch Ayashi hielt ihn, wo er war, und setzte ihr Spiel noch etwas weiter fort, bis ihn mehrere Tropfen verließen und er zitterte. Ein letztes Mal ließ sie ihren Lippen und ihre Zunge über Sesshoumarus Lippen gleiten, ehe sie ein Bein auf Sesshoumarus andere Seite brachte und ihre Beine so über ihm spreizte. Sesshoumaru sah zu ihr auf, als sie sich zu ihm herunterbeuge und ihn lange, innig und zärtlich küsste, was er nur allzu gern erwiderte. Ayashi richtete sich wieder über ihm auf, nahm ihn in ihre Hand und führte ihn langsam in sich ein. Beide stöhnten auf, als ihre Körper sich in dieser Art vereinigten – Sesshoumaru, weil sich Ayashi so eng und heiß um ihn wand; Ayashi, weil Sesshoumaru sie völlig ausfüllte und weit dehnte. Ayashi stützte sich auf seiner Brust ab und bewegte ihr Becken, um ihm zu zeigen, dass sie bereit war. Sesshoumaru zog sie zu sich, um sie zu küssen, ließ sie dann wieder nach oben, ergriff ihre Hüften und bewegte sich in ihr, bis sie beide Erfüllung gefunden hatten. Kapitel 58: ------------ Ayashi sank müde neben Sesshoumaru und legte sich in seine Arme, sodass er das Fell um sie beide schlingen konnte. Sie genossen ihre Zweisamkeit und Sesshoumaru strich ihr zärtlich über das schwarze Haar. „Ich werde morgen zu meinem Onkel Katsumoto aufbrechen.“ sagte sie nach einigen Momenten der Stille und richtete sich ein wenig auf, um ihm ins Gesicht blicken zu können. „Heißt das, wir werden uns eine ganze Weile nicht sehen?“ fragte er bemüht beherrscht und richtete sich auf die Ellenbogen auf, sodass ihre nackten Oberkörper sich wieder berührten. Er spürte die Wärme ihrer zarten Haut und fuhr ihr mit einer Hand über den Rücken, was in ihren Gliedern einen kleinen, wohligen Schauer auslöste. Lächelnd schüttelte sie den Kopf und meinte: „Niemand wird mich begleiten. Ich werde ganz allein unterwegs sein.“ „Dein Vater lässt dich alleine gehen?“ fragte er ungläubig, worauf Ayashi nickte. „Warum nicht?“ „Das ist viel zu gefährlich!“ meinte er. „Sesshoumaru!“ lachte Ayashi und küsste ihn auf die Stirn. „Ich bin nicht hilflos. Sollte es nötig sein, kann ich mich verteidigen.“ „Ich will nur nicht, dass dir etwas passiert.“ entgegnete er und strich ihr über das Haar. „Ich weiß.“ „Ist es ein einfacher Familienbesuch?“ „Ja, Katsumoto hat eine Gefährtin gefunden. Er hat mich gebeten, so bald wie möglich nach Kochi zu kommen, obwohl die Verbindung erst im Sommer gefeiert wird.“ „Ich hörte davon, aber bisher nur durch Gerüchte.“ „Ich nehme an, dein Vater und du werden im Sommer auch nach Kochi kommen, oder?“ „Sicher.“ stimmte Sesshoumaru zu, da er wusste, dass eine solche Verbindung immer eine offizielle Sache war. „Es wird schwierig für uns werden, uns dort zu sehen und wieder nicht nahe sein zu dürfen.“ „Wir werden es schaffen, Ayashi. Im Moment ist es schwieriger für mich, dich allein gehen zu lassen.“ gab er zu und Ayashi schüttelte den Kopf. „Ich wollte dich fragen, ob du mich auf meinem Weg zu Katsumoto begleitest.“ „Willst du das denn? „Ja, ich meine, nur wenn du…“ Ayashi kam überhaupt nicht zum Weitersprechen, da Sesshoumaru sie küsste. „Nur wenn ich… was?“ fragte er, als er den Kuss wieder unterbrach. „Unwichtig.“ antwortete Ayashi, zog ihn erneut in einen Kuss und ließ sich in das weiche Fell zurücksinken. Kurze Zeit später musste sich Ayashi von ihm verabschieden, damit ihr Verschwinden nicht bemerkt würde, sie in aller Ruhe noch ein Bad nehmen konnte und ein wenig ausruhen konnte, bevor sie am nächsten Tag die lange Reise antrat. Sesshoumaru würde sie irgendwo auf dem Weg treffen, sobald es sicher und ihm möglich war, da er sich noch einmal mit seinem Vater in einer politischen Sache auseinandersetzen musste. Er hatte Ayashi nicht gesagt, worum es dabei ging, und sie vermutete, dass er sich deshalb auch verspätet hatte, doch er hatte gemeint, dass er unmöglich einschätzen konnte, wie lange diese Sache ihn aufhalten würde, er sie aber auf jeden Fall auf ihrem Weg finden würde. Ayashi kontrollierte nach ihrem Bad die Sachen, die sie gepackt hatte, und stellte sicher, dass sie an alles gedacht hatte. Viel brauchte sie nicht – das meiste würde eh bei Katsumoto für sie bereitgestellt werden. Sie freute sich auf die Reise, doch Ayashi bemerkte auch, dass sie neugierig war, da sie keine Ahnung hatte, wen Katsumoto zu seiner Gefährtin bestimmt hatte. Sie hatte überhaupt nicht gewusst, dass sich in seiner näheren Umgebung eine Youkai befunden hatte, die er in Betracht zog. Ayashi seufzte und schüttelte den Kopf. Geduld war in letzter Zeit kaum eine ihrer Stärken, was sie etwas verwunderte, wo sie doch auch jeden einzelnen Tag auf die Nacht wartete, in der sie in Sesshoumarus Nähe sein konnte. Sie ruhte bis zum Morgengrauen wach auf ihrem Bett, ehe sie die Schritte ihres Vaters auf dem Gang hörte. Sie öffnete ihm die Tür und ließ ihn eintreten. „Hast du dich ausgeruht?“ „Ja, Vater.“ „Ist alles für deine Reise vorbereitet?“ „Gewiss, Vater.“ entgegnete sie, nickte noch einmal zur Bekräftigung und bemerkte, dass ihr Vater sie musterte. „Was hast du?“ fragte sie deshalb, doch er schüttelte den Kopf und wechselte das Thema. „Ich werde zu Inu-no-taishou aufbrechen, während du nicht da bist.“ „Weshalb?“ fragte Ayashi, da es ihr etwas seltsam vorkam, dass er das so betonte. „Ich wollte, dass du es weißt. Du bist meine Tochter.“ „Ja, das meine ich nicht… Weshalb brichst du zu Inu-no-taishou auf? Ist etwas geschehen?“ fragte sie, worauf Kataga kurz zögerte. „Es ist doch nichts geschehen?“ „Inu-no-taishou hat Sorgen.“ „Weshalb?“ „Er hat sich sehr mit seinem Sohn zerstritten.“ „Wie bitte?“ fragte Ayashi überrascht, da Sesshoumaru überhaupt nichts erwähnt hatte, biss sich aber auf die Lippen, um ihrem Vater keinen Grund für einen Verdacht zu geben. „Inu-no-taishou bittet mich um meine Hilfe.“ „Du sollst vermitteln?“ „Es geht in diese Richtung, ja. Leider gibt es Punkte in Sesshoumarus Argumentation, die durchaus nicht von der Hand zu weisen sind.“ „Worum geht es bei diesem Streit?“ wollte Ayashi wissen. „Inu-no-taishou… hat jemanden kennen gelernt.“ erklärte Kataga und fuhr fort, als er Ayashis unverständigen Blick sah: „Sie ist eine Sterbliche. Ein Mensch.“ Ayashi nickte langsam und legte den Kopf schief. Sesshoumaru war also dagegen… hatte er ihr nicht einmal versichert, dass es für ihn keine Rolle spielte, dass ihre Mutter Midoriko gewesen war. „Sesshoumaru hält es für… riskant.“ „Du hast doch auch Midoriko zu deiner Gefährtin gemacht.“ „Diese Verbindung war gebilligt, da deine Mutter anders war. Sie war zwar sterblich, dennoch nicht nur ein Mensch. Izayoi ist… eine schutzlose Frau.“ „Izayoi… Ist das nicht der Name der jüngsten Tochter des Shoguns Okinawa?“ „Und das macht es noch einmal schwieriger. Inu-no-taishou muss trotz seiner Stellung diplomatisch mit dieser Familie umgehen.“ „Diese Izayoi ist ja beinahe noch ein Kind!“ „Sie ist siebzehn.“ widersprach Kataga, doch Ayashi zog nur eine Augenbraue hoch, da sie das als Bestätigung und nicht als Widerspruch auffasste. In den Augen eines Youkai, der bereits seit mehreren hundert Jahren lebte, war das ein Kind. Ayashi brach erst am frühen Nachmittag auf und sie war sehr froh, das Schloss wieder für eine Weile hinter sich zu lassen. Es lag nicht an ihrem Vater oder an den Kriegern, mit denen sie kaum etwas zu tun hatte, dass sie sich nach zu langer Zeit im Schloss unwohl fühlte, und es war auch nicht so, dass sie es bemerkte, wenn sie dort war, doch sobald der Wind ihr Haar erfasste, an ihrer Kleidung zerrte und den Duft von weiten Fernen gegen ihre Nase trieb, fühlte sie sich frei und stark, was ihr sehr gut tat. Vielleicht lag das in ihrer Natur als Wolfsyoukai, denn immerhin gab es solche, die frei und unbeschränkt in der Wildnis lebten – wobei das für sie auf längere Zeit hin betrachtet auch nichts war, das wusste Ayashi. „Du solltest dich nicht so sehr deinen Gedanken hingeben, sondern die Umgebung im Auge behalten.“ meinte Sesshoumaru, der unbemerkt hinter Ayashi getreten war. Ayashi erschrak, legte ihre Hand an ihr Schwert und wollte einige Schritte zwischen sich und ihren plötzlichen Weggefährten bringen, da die Bekanntheit seiner Stimme noch nicht in ihrem Verstand angekommen war, doch er legte schnell die Arme um sie, sodass sie nicht zurückweichen konnte. Sesshoumaru lachte leise und drückte sie gegen seine Brust. „Woran hast du gedacht?“ fragte er, als sie sich wieder gefasst hatte. „Ich denke nur so vor mich hin.“ „Du denkst nur so vor dich hin… Aha.“ entgegnete er, drehte sie um und senkte seine Lippen auf ihre. Ayashi blickte zu ihm, als sich ihre Lippen voneinander lösten, und suchte in seinem Gesicht nach Anspannung, Wut, Ratlosigkeit oder einfach Müdigkeit, die mit dem Streit mit seinem Vater zu tun haben könnten, doch er begegnete ihrem Blick genauso entspannt und gelassen wie immer. Konnte es sein, dass Sesshoumaru dem Streit selbst nicht so viel Bedeutung beimaß? Sie musste es einfach wissen, also wandte sie sich ab, streckte die Hand nach ihm aus, die er ergriff, und ging mit ihm an ihrer Seite weiter. Kapitel 59: ------------ Der Schnee knisterte unter ihren leichten Schritten. Spuren hinterließen sie kaum, da Youkai das vermeiden konnten, doch Ayashi blickte zurück und lächelte: Es war schön, die Spuren ihrer Schritte nebeneinander zu sehen, und zu wissen, dass sie dort bleiben würden, bis der Schnee im Frühjahr schmolz, und die Möglichkeit bestand, dass sie jemand sah. Sesshoumaru sah, dass Ayashi lächelte, blickte ebenfalls zurück und zog sie dichter zu sich. „Ich finde es schön, dass du bei mir bist.“ bemerkte Ayashi und lachte leise, als Sesshoumaru stumm ihre Hand zu seinen Lippen führte und küsste, während er ihr in die Augen sah. „Ich habe auch an deinen Vater gedacht.“ fuhr sie fort, da sie wissen wollte, was geschehen war, und sich für dieses Gespräch wohl kaum eine perfekte Gelegenheit ergab. Sesshoumaru ließ ihre Hand sinken, blickte sie ernst an und schwieg einen Moment. „Woher weißt du davon?“ seufzte er, da er bereits wusste, worauf sie hinauswollte. „Mein Vater sagte, er wolle zu Inu-no-taishou, und ein Wort gab das andere. Ihr hattet Streit.“ „So kann man es nennen, ja.“ gab Sesshoumaru zurück und schwieg wieder. „Sesshoumaru, sag’ mir, wenn du nicht darüber reden willst, aber sei nicht einfach nur so schweigsam!“ bat Ayashi energisch und wollte ihm ihre Hand entziehen. „Nicht, Ayashi.“ meinte er und hielt sie fest. „Ich will dich damit nicht belasten.“ „Es belastet dich. Meinst du nicht, dann habe ich auch ein Recht darauf, es zu wissen… anders gesagt: Meinst du nicht, ich habe ein Recht, an deinem Leben teilzuhaben?“ „Natürlich, Ayashi. Wenn es um mein Leben geht, hast du jedes Recht.“ versicherte Sesshoumaru und sammelte sich, ehe er erzählte: „Ich weiß seit einigen Tagen, dass er offenbar Gefallen an einer Sterblichen gefunden hat, doch bisher dachte ich mir nicht viel dabei. Es ist nicht… ungewöhnlich, dass Youkai sich eine Sterbliche als… Gespielin nehmen. Nun, zumindest gibt es das ab und zu und es ist nicht gänzlich unbekannt.“ Sesshoumaru wartete einen Moment, bis Ayashi nickte, und sprach dann weiter: „Was auch immer ihn an diesem Mädchen interessiert, scheint leider nicht so flüchtig zu sein, wie ich zuerst gedacht habe. Er zieht ernsthaft in Erwägung, bei ihrer Familie vorzusprechen.“ „Hat er das gesagt?“ „Ja, deshalb hatten wir auch den Streit. Da wurde mir klar, dass es ernster ist, als ich dachte. Es gefällt mir nicht. Sie… dieses Mädchen ist eine Gefahr für seine Herrschaft, aber das sieht er nicht! Und gerade jetzt, wo die Lage so angespannt ist, muss er seine Vorliebe für Menschenfrauen entdecken und auch noch ausleben!“ Ayashi sog scharf die Luft ein und blickte ihn erschrocken an. Es herrschte eine angespannte politische Situation? Sesshoumaru sah ihren beunruhigten Blick, schüttelte den Kopf und strich ihr sanft über die Wange. „Die Katzenyoukai machen immer wieder Ärger. Das ist nichts Besonderes.“ versuchte er, sie zu beruhigen, doch es gelang ihm nicht. „Es ist etwas Besonderes, sonst würdest du nicht versuchen, deinen Vater vor diesem riesigen Fehler zu bewahren.“ widersprach sie, vermied es aber, ihn zu lange anzusehen. Sesshoumaru atmete hörbar aus, doch sagte nicht gleich etwas. Im Grunde hatte Ayashi Recht, das wusste er. In letzter Zeit war es sehr ruhig mit den Katzenyoukai gewesen – keine kleinen Auseinandersetzungen an den Grenzen, keine unerfüllten Forderungen, keine Raubzüge auf menschliche Dörfer, die von den Katzenyoukai immer wieder begangen wurden, doch seit einigen Tagen hörte man wieder verstärkt davon und sah die Auswirkungen: verletzte Hundeyoukai, leere Vorratskammern und zerstörte Dörfer. „Ja, du hast Recht. Die Verbindung mit dieser Sterblichen gefährdet das Ansehen und die Autorität meines Vaters. Seine Feinde und Rivalen verlieren den Respekt. Deshalb habe ich versucht, meinem Vater nahe zu legen, sich nicht mit ihr einzulassen. Ein Herrscher wie er kann sich das nicht leisten – nicht im Moment. Es ist einfach nur leichtsinnig.“ „Er hat deine Worte nicht beachtet.“ vermutete Ayashi. „Nein, er wollte sie nicht einmal hören und warf mir sogar vor, aus Eigennutz und Habgier zu handeln. Ich wolle an sein Erbe… Ach, ich weiß auch nicht.“ „Sesshoumaru, du tust das Richtige.“ versicherte Ayashi ihm, worauf er nickte. „Ich weiß, aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe, ihn zu überzeugen. Er ist fest entschlossen, um diese Frau zu kämpfen. Damit wird er sein Schicksal besiegeln – und auch unseres, Ayashi.“ Ayashi hielt an und umarmte Sesshoumaru fest, der sofort seine Arme beschützend um sie schlang. Sie wollte seinen beängstigenden Worten keinen Glauben schenken, doch sie wusste, dass er Recht hatte. Inu-no-taishou gefährdete nicht nur sich und diese Frau, sondern auch seine Familie und alle, die ihm nahe standen. Am späten Abend erreichten sie die Küste von Kyushu und entschlossen sich dazu, in einem Wald eine Pause zu machen, da es eh schon dunkel war. Sesshoumaru breitete das Fell auf dem Boden aus, suchte schnell Feuerholz, sodass sie etwas Licht und Wärme hatten, und setzte sich neben Ayashi auf das Fell. Seit ihrem Gespräch war er etwas einsilbig geworden und Ayashi ließ ihn seinen Gedanken nachhängen, doch war versucht, ihm zu sagen, dass er sie nicht begleiten musste, wenn er bei seinem Vater sein wollte. Ebenfalls nachdenklich schloss sie die Augen und überlegte sich, ob er gehen würde, wenn sie es ihm sagte. Sesshoumaru musste nicht sprechen, dass sie sich wohl mit ihm fühlte, aber sie wollte auf keinen Fall, dass er sich später Vorwürfe machte. Plötzlich fühlte sie seinen Arm um ihre Schultern und hörte, dass er einige Male tief einatmete. „Es ist auch wegen meiner Mutter.“ sprach er schließlich leise. Ayashi blickte auf und sah ihn an. Sein Blick in den Augen hatte sich verändert und veranlasste Ayashi dazu, ihre Hand an seine Wange zu legen. Sesshoumaru zog sie dicht zu sich und hielt sie gegen seine Brust. „Sie hat immer gesagt, dass Youkai Menschen schützen sollten… oder zumindest in Ruhe lassen sollten, doch dann wurde ihr die Hilfe so verwehrt, die sie so gebraucht hätte. Sie haben sie nicht nur abgewiesen, sondern ihrem Leben auch noch ein Ende gesetzt. Sie haben sie kaltblütig ermordet.“ meinte Sesshoumaru und Ayashi nickte. „Wie kann mein Vater nun eine von ihnen an ihre Stelle setzen? Verachtet er damit nicht alles, wofür sie stand? Natürlich hatte sie ihn verlassen und war zu ihrer Familie zurückgekehrt, doch sie war seine Gefährtin und meine Mutter.“ „Sesshoumaru, es tut mir so leid.“ versicherte Ayashi und fühlte, wie er sie stärker an sich drückte. „Ich weiß, Ayashi.“ entgegnete Sesshoumaru und hob ihr Kinn mit zwei Fingern, dass er sie küssen konnte. „Ruh’ dich aus, Ayashi. Ich passe auf dich auf.“ sagte er und Ayashi lehnte sich gegen seine Brust, um etwas zu ruhen, obwohl sie nicht sonderlich müde war, doch sie wollte Sesshoumaru ermöglichen, weiter über seinen Vater und die ganze Sache nachzudenken. Ayashi und Sesshoumaru ließen sich Zeit auf ihrer Reise, auf der ihnen niemand begegnete, da sie Leuten weiträumig auswichen. Sesshoumaru genoss die Zeit, die er mit Ayashi verbringen konnte, denn obwohl er viel über seinen Vater und Izayoi nachdachte, fühlte er in ihrer Nähe immer eine gewisse Ruhe, die ihm gut tat. Er schätzte ihren Rat, da sie ihm nicht nur das sagte, was er hören wollte, doch am ersten Abend war er froh gewesen, dass sie seiner Bitte gefolgt war und sich zur Ruhe gelegt hatte. Er wusste nicht, was in dieser Nacht in ihn gefahren war, doch er hatte gespürt, dass weitere Worte über seine Mutter Tränen hätten hervorbrechen lassen. Es war undenkbar, in Ayashis Gegenwart Tränen zu vergießen! Was sollte sie von ihm denken? Seiner Meinung nach stand das nur ihr zu, damit er sie in seine Arme schließen konnte, doch etwas in ihm sagte ihm, dass sie ihn nicht verurteilen würde, sollte er diese Schwäche zeigen. Ayashi war in mancher Hinsicht so widersprüchlich, dass er sich nicht einmal sicher war, dass sie es nicht als Stärke ansehen würde, wenn er diese Schwäche zuließ. „Ich kann nicht weiter mit dir gehen.“ meinte Sesshoumaru gedämpft, als sie an einem Abend das Hügelland erreichten, in dem auch Katsumotos Schloss lag. „Ja, ich weiß.“ erwiderte Ayashi und blieb stehen, wobei sie sich prüfend umsah. Katsumotos Schloss lag in der Ebene hinter der Hügelkette, die in der Ferne vor ihnen lag. Das Abendrot zog langsam auf und tauchte den Schnee in rosafarbenen Schimmer. Ayashi war sehr schweigsam geworden, je näher sie sich Katsumotos Gebiet gekommen waren, und Sesshoumaru vermutete, dass das an der bevorstehenden Trennung lag. Er wollte sie ja auch nicht gehen lassen, doch etwas anderes ging gerade noch in ihrem Kopf herum. „Worauf wartest du, Ayashi?“ fragte er sanft und zog sie in seine Arme. „Ich möchte noch nicht gehen.“ flüsterte sie und schlang ihre Arme um seinen Oberkörper. „Weißt du, Sesshoumaru… Es gibt hier ganz in der Nähe eine heiße Quelle.“ fuhr sie leise und lächelnd fort. Sesshoumaru lachte leise und hob sie ein Stück von sich weg, damit er sie ansehen konnte. „Ich könnte sie dir zeigen. Du kennst sie ja mit Sicherheit noch nicht.“ fügte Ayashi ironisch hinzu und ergriff seine Hand, um ihn durch den Wald nach Süden zu der Quelle zu führen. „Was nun?“ flüsterte er ganz dicht an ihrem Ohr, als sie das dampfende Wasser vor sich sahen, wobei er sie von hinten umarmte. Ayashi drehte sich zu ihm um, führte seine Lippen zu ihren herab und verwickelte ihn in einen Kuss, der ahnen ließ, wonach ihr der Sinn stand. Sesshoumaru fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als Ayashi sich von ihm entfernte und kurz entschlossen ihre Kleider ablegte und in das warme Wasser stieg. „Wie ist das Wasser?“ fragte er scheinbar beiläufig, ohne die Augen von ihr abzuwenden, während er sich auszog. „Angenehm warm. Herrlich… um nicht zu sagen ‚göttlich’.“ grinste sie und umfing ihn mit ihren Armen, sobald er ebenfalls im Wasser war. Kapitel 60: ------------ Ayashi stand regungslos am Waldrand und blickte über die Landschaft. Das Hügelland konnte sie von hier aus nicht sehen, doch die glutrote Sonne zog sich gerade über den Rand des Horizonts und zog Ayashi in ihren Bann. Hinter ihr konnte sie ganz leise noch das Plätschern der Quelle hören und Schritte, die sich ihn langsam näherten. Sesshoumaru umfing sie kurz darauf mit seinen Armen und Ayashi lehnte sich mit dem Rücken gegen seine Brust, wobei er bemerkte, dass sie leicht zitterte. „Wir hätten uns doch schon gestern Abend verabschieden sollen.“ meinte er besorgt und streichelte ihre Wange, die sie in seine Hand legte, nachdem sie den Kopf geschüttelte hatte. „Ist dir nicht kalt?“ „Nein, ich zittere nicht vor Kälte.“ „Schade.“ gab Sesshoumaru zu und sah, dass Ayashi eine Augenbraue hochzog, weshalb er erklärte: „Dann kann ich dich überhaupt nicht wärmen.“ Ayashi nickte und schloss für einen Moment die Augen. „Sesshoumaru… Wir können uns nun so lange nicht sehen. Ich weiß nicht, wie ich das überstehen soll.“ gab sie zu und fühlte, sie er sie fester an sich drückte. „Ich weiß es auch nicht, Ayashi, aber es ist tatsächlich zu gefährlich, wenn wir uns hier weiterhin treffen.“ „Ich werde kaum allein gelassen, wenn ich hier bin. Ayame weicht kaum von meiner Seite. Katsumoto wird einige Aufgaben für mich haben. Und es wird auffallen, sollte ich darüber hinaus auch noch mein Training mit Ishiki und Taido nicht wieder aufnehmen.“ erklärte sie ihm und sich selbst. „Ich weiß.“ versicherte er und küsste ihren Nacken. Ayashi drehte sich zu ihm um und schlang ihre Arme um ihn, um sich einfach nur an ihm festzuhalten. „Es sind nur wenige Monate…. Die sind schnell vorbei.“ murmelte sie, während sie genau wusste, dass sie diese Worte eher sagte, um sich selbst zu beruhigen. „Der Sommer kommt rasch, Ayashi.“ stimmte er ihr zu und fühlte, dass sie gegen seine Schulter nickte. Langsam schlenderten sie durch den Wald und zurück zu der Stelle, an dem sie am gestrigen Abend entschlossen hatten, sich noch nicht zu trennen, sondern die heiße Quelle aufzusuchen. Ayashi blickte über die schneebedeckten Hügel und wandte dann den Blick zu Sesshoumaru, der immer noch den Arm um ihre Taille gelegt hatte. Ayashi legte ihre Hände in seine Nacken und sie küssten sich ein letztes Mal, ehe Ayashi sich von ihm verabschiedete und schließlich in das Hügelland hinausschritt. Sesshoumaru wusste, dass sie sich nicht umdrehen würde, aber er wusste auch, dass sie es nur nicht tat, weil sie dann nicht mehr sicher war, ob sie es schaffte, ihren Weg weiterzugehen. Er blickte ihr nach und wandte sich erst ab, als ihre zierliche Gestalt nicht mehr zu sehen war, da sie über die Hügel gewandert war. „Bis zum Sommer, Geliebte.“ murmelte er leise. Konzentriert sog er die kalte Winterluft in sich ein, doch die Luft trug wegen der Kälte ihren Duft nicht mehr zu ihm. An seiner Kleidung haftete ebenfalls zu wenig von ihr, dass er ihren Duft erkennen konnte. Was ihm diesen letzten Genuss verwehrte, würde sie vor Fragen schützen, denn auch an ihr war sein Geruch zu nicht zu entdecken. Katsumoto traute kaum seinen Augen, als er eine Gestalt in der Ferne erkannte. War es denn tatsächlich möglich, dass sie dieses Mal völlig allein zu ihm gekommen war und ihr Kataga nicht einmal einen älteren Beamten als Begleiter aufgezwungen hatte? Angestrengt blickte der Fürst in die Richtung, aus der sich die zierliche Gestalt näherte und deutlich gegen den weißen Schnee zu erkennen war. Doch, sie war es tatsächlich. Ayashi. Sie musste sofort aufgebrochen sein, als sein Brief Kataga erreicht hatte. Was Katsumoto noch kaum glauben konnte, war die Aufregung, die er plötzlich verspürte, als er sich sicher war, dass sich seine Nichte näherte. Sie war wirklich eine wunderschöne Youkai, deren Schönheit ihn mit jedem neuen Blick mehr faszinierte. Sie war edel, gütig, anmutig… Jeder Fürst würde sich nach solch einer Gefährtin sehnen. Umso mehr überraschte es ihn, dass Kataga scheinbar noch keine Absichten hatte, die Ayashis Verlobung betrafen. Wollte er etwa ihr selbst die Wahl überlassen? Ayashi erreichte ihn und lächelte, ehe sie sich nach der Tradition vor ihm verneigte und sie auf seine Worte der Begrüßung wartete. „Willkommen, Ayashi. Es ist schön, dass du wohlbehalten wieder in Kochi angekommen bist.“ fand er schließlich die passenden Worte. „Danke, Onkel.“ entgegnete sie und richtete sich auf. Der Blick aus ihren grünen Augen traf ihn kraftvoll und machten ihm deutlich, dass er es hier nicht länger mit seiner jungen Nichte zu tun hatte, sondern sie unglaublich gereift war – vielleicht durch das Vertrauen, dass ihr Vater ihr im Krieg gegen Hyouga geschenkt hatte, vielleicht auch nur durch die Zeit, die in der Zwischenzeit vergangen war. Ayashi wunderte sich etwas über die zurückhaltende Begrüßung ihres Onkels, denn sonst hatte er sie immer umarmt, doch sie machte ihrerseits auch keinen Versuch, ihn zu umarmen. Er hatte sicher seine Gründe, die sie respektieren wollte, auch wenn sie ihr unbekannt waren. „Komm’ mit mir, Ayashi. Wir haben viel zu besprechen.“ meinte er und führte sie in die privaten Gemächer seines Schlosses. „Wie geht es dir, Katsumoto? Und Ayame?“ fragte Ayashi, während er schweigsam neben ihr durch den Gang schritt. „Gut, gut, Ayashi. Uns geht es allen gut.“ versicherte er, nutzte aber die gesprochenen Worte nicht dazu, das Gespräch weiterzuführen, sondern fiel wieder in Schweigen zurück, bis Ayashi vor ihm in sein Arbeitszimmer trat und er die Tür hinter ihnen schloss. Katsumoto folgte ihr in den Raum und setzte sich mit ihr auf bequeme Matten, in deren Mitte ein niedriger Tisch stand. Ein Diener, den Ayashi bisher nicht bemerkt hatte, kam geeilt und brachte den Tee, den Katsumoto selbst zubereitete, während Ayashi geduldig wartete. „Ich bitte dich, mein Verhalten zu entschuldigen, doch ich möchte so vieles mit dir besprechen, bevor du deine Gemächer beziehst.“ meinte Katsumoto, worauf Ayashi verständnisvoll nickte, wie es von ihr erwartet wurde. Ayashi betrachtete ihren Onkel, der mit gleichmäßigen Bewegungen den Tee zubereitete, schließlich ruhig die Flüssigkeit in die Schalen goss und eine an Ayashi weiterreichte. „Ich habe lange nach meinem Gegenstück gesucht und ich denke, ich habe es nun endlich gefunden.“ erzählte er und blickte Ayashi an, die nickte. „Ich möchte mich bei dir bedanken.“ „Wofür?“ fragte sie und sah ihn etwas ratlos an, während sie gleichzeitig mit ihm ebenfalls ihre Schale hob, um aus ihr zu trinken. „Ich möchte mich bei dir bedanken, weil es in gewisser Weise du warst, die mir gezeigt hat, für wen mein Herz schlägt.“ „Ich?“ fragte Ayashi nach, da sie sich dessen überhaupt nicht bewusst war. „Ich weiß nicht einmal, wen du zu deiner Gefährtin machen willst. „Kannst du es dir denn nicht denken?“ fragte Katsumoto lächelnd und betrachtete Ayashi, die nachdenklich den Kopf schüttelte. „Nein.“ gab sie zu, worauf er leise lachte. „Sie sagte, ihr habt vor langer Zeit schon einmal über mich gesprochen, als ihr spazieren wart. Sie sagte, du seiest einverstanden.“ Ayashi überlegte eine Weile und immer noch etwas verstört, ehe sie meinte: „Satori? Satori soll deine Gefährtin werden?“ „Ja, Satori ist es.“ Ayashi nickte und überlegte sich, wann sie lange mit Satori über dieses Thema gesprochen hatte, und weshalb es wichtig war, dass sie einverstanden war, doch Katsumoto sprach bereits weiter. „Ich kam aus dem Krieg zurück und sie war noch in Kochi. Ihre Schwester Ninshiki war auf das Bitten ihrer Mutter Soba nach Hause zurückgekehrt, doch nicht Satori. Sie hat auf mich gewartet… Ich habe Satori auserwählt. Ich denke, ich kann sie glücklich machen.“ erzählte er und Ayashi lächelte. „Ich freue mich für dich. Ich freue mich für euch beide.“ teilte sie mit und trank einen Schluck ihres Tees. „Ich möchte dich darum bitten, dass du Satori unterstützt. Sie hat es nicht leicht und… nun, um ehrlich zu sein, kämpft sie auch ein bisschen gegen das Bild an, das du bei den Kriegern und Höflingen hinterlassen hast. Ich denke, sie wünschen sich vielleicht eine Herrin, die mehr wie du ist, doch ich habe mich für Satori entschieden. Hilf’ ihr ein bisschen, ihre steife Distanz zu verlieren, und ich bin mir sicher, dass sie von meinen Leuten sehr geachtet und verehrt wird.“ „Darum geht es also.“ murmelte Ayashi, erklärte sich aber sofort einverstanden, ihren Onkel und somit auch Satori zu unterstützen. Kapitel 61: ------------ Ayashi suchte ihre gewohnten Gemächer auf, nachdem sie sich mit Katsumoto noch eine Weile unterhalten hatte, und fand alles so vor, wie sie es nach ihrem letzten Besuch hinterlassen hatte. Es war schon lange her, dass sie hier gewesen war. Es war nicht nötig gewesen und Ayame war ab und zu nach Fukuoka gekommen oder sie hatten sich bei anderen Verwandten gesehen. Ayashi trat über die Dielen des Holzbodens, warf einen Blick auf ihr Bettlager, das mit feinen Stoffen und Decken bereitet war, und goss sich Wasser in eine Schale, mit dem sie ihr Gesicht wusch, um klare Gedanken zu fassen. Satori würde also die Herrin an Katsumotos Seite werden. Satori. Satori… Plötzlich hörte Ayashi, dass jemand schnell draußen auf der Engawa entlanglief und die Tür ohne Vorwarnung aufzog. „Ich hatte Recht!“ rief eine ausgelassene, junge Frau zu ihren Begleitern, die noch weiter weg im Hof stehen blieben und nickten. „Ayame!“ lachte Ayashi und breitete gerade noch rechtzeitig ihre Arme aus, ehe Ayame sie stürmisch umarmte. Ayashi blickte über Ayames Schulter in den Hof hinaus und erkannte kaum einen einzigen ihrer jungen Begleiter – doch, Taido war bei ihnen. Ayame löste sich von ihrer älteren Schwester und löcherte sie mit Fragen. „Seit wann bist du hier? Wieso hat Katsumoto mir heute Morgen nicht gesagt, dass du kommst? Wieso hat er mich nicht holen lassen? Ist etwas passiert? Geht es dir gut? Und wie geht es Vater? Sag, Ayashi, was gibt es Neues?“ Ayashi blinzelte, versuchte sich die vielen Fragen in ihrer gestellten Reihenfolge in Erinnerung zu rufen und meinte dann: „Noch nicht lange. Er wusste es selbst nicht genau. Das hätte er mit Sicherheit noch getan. Nein, es ist alles in Ordnung. Ja, mir geht es gut. Vater ist wohlauf. Die Welt dreht sich, Ayame, aber das heißt nicht, dass es etwas Neues gibt.“ Ayame lachte, nickte und drehte sich zur Tür, durch die nun ein junger, attraktiver Youkai in das Zimmer getreten war und in angemessenem Abstand wartete. „Taido.“ lächelte Ayashi und neigte leicht den Kopf. „Ihr erinnert Euch, Ayashi-Hime? Das ehrt mich.“ entgegnete er und verneigt sich. „Natürlich erinnere ich mich! Wie könnte ich dich vergessen? Standen wir uns nicht so nahe, dass ich dich bat auf die ehrbare Anrede zu verzichten?“ Taido grinste, nickte und fuhr sich mit der Hand über das schwarze Haar. „Natürlich, Ayashi.“ erwiderte er und trat etwas näher zu Ayashi, die ihn als Freund umarmte. „Ich werde euch nun wieder alleine lassen. Ihr habt euch sicher viel zu erzählen.“ sagte Taido rücksichtsvoll und verließ kurz darauf den Raum. Ayame setzte sich auf Ayashis Lager und zog eine Grimasse, obwohl Ayashi überhaupt nichts gesagt hatte. „Ist es seltsam, wieder hier zu sein?“ fragte sie schließlich und sah Ayashi zu, wie sie in den Truhen nach geeigneter Kleidung suchte. „Nein, wieso?“ fragte Ayashi und blickte sie kurz an. „Nun, du warst schon so lange nicht mehr hier… Man könnte meinen, du meidest Kochi… oder mich.“ „Ayame!“ rief sie entsetzt, ließ die Kleidung in ihren Händen sinken und setzte sich zu Ayame auf das Lager. „Ich werde dich niemals meiden, Ayame. Du bist meine geliebte Schwester.“ „Halbschwester.“ erinnerte Ayame und senkte den Blick. „Das spielt für mich keine Rolle. Du bist die Tochter meines Vaters, der meine gesamte Liebe besitzt, da ich meine Mutter kaum kannte.“ Ayame nickte leicht, doch sie schien nicht beruhigt oder versöhnt, doch schwieg mit gesenktem Kopf. Ayashi suchte nach Worten und versuchte zu verstehen, was in Ayame vorging. „Es tut mir leid, Ayame.“ brach sie schließlich das Schweigen. „Es war mir nicht bewusst, dass du mich als Schwester brauchst und nicht nur als Freundin, mit der du Spaß haben und kämpfen kannst.“ Ayashi seufzte und hielt einen Moment inne, ehe sie fort fuhr: „Ich war in der letzten Zeit nicht gerade aufmerksam im Hinblick auf deine Bedürfnisse, oder?“ Ayame schüttelte den Kopf und blickte auf. Ayashi hatte sich verändert, das konnte sie spüren, doch sie konnte nicht genau sagen, was sich verändert hatte. Sie war immer noch ruhig und gelassen, lieb und sensibel… einfühlsam, wenn es darum ging, die Gefühle anderer wahrzunehmen, doch in ihren Augen lag ein Ausdruck von traurigem Ernst. „Es geht dir nicht gut.“ stellte Ayame flüsternd fest und musterte sie erschrocken. „Bist du vielleicht krank oder… etwas Schlimmeres?“ „Nein, es ist alles gut, Ayame.“ versicherte Ayashi und behielt die Wahrheit über die angespannte Situation in ihren Gedanken verborgen. „Möchtest du nach Hause kommen?“ „Kochi ist mein Zuhause, Ayashi.“ „Bist du dir sicher? Ich weiß, dass Vater deinem Wunsch entsprechen würde. Wenn du nach Fukuoka zurückkehren möchtest, wird er es dir gestatten.“ „Ich weiß, Ayashi, doch ich weiß auch, dass Vater für mein Wohl entschieden hat, als er mich nach Kochi geschickt hat. Es stimmt schon: Ich wäre seine Tochter gewesen und später, wenn du das Erbe angetreten hättest, wäre ich deine Schwester gewesen. Ich habe von Vater die Chance auf ein eigenständiges Leben bekommen, indem ich zu Katsumotos Erbin wurde. Ich hoffe nur, dass sich an meinem Stand nichts ändern wird, denn sonst verliere ich alles. Kochi, die Freiheit und die Selbstbestimmung sind die einzigen Dinge, die ich zu besitzen glaube.“ erklärte Ayame, doch hörte sich dabei nicht traurig an. „Es ist nicht gesagt, dass Satori und Katsumoto überhaupt eigene Kinder haben werden. Ich denke, du musst dir aber auch dann keine Sorgen machen.“ erwiderte Ayashi und drängte den Gedanken zurück, der ihr in den Sinn kam, nämlich dass wieder einmal die gesamte Zukunft ungewiss war, da niemand wissen konnte wie die Sache mit Izayoi weitergehen.. oder schlimmer noch ausgehen würde. „Ja, Katsumoto hat auch so etwas gesagt.“ meinte Ayame nickend und erhob sich vom Lager, um Ayashi die Auswahl von geeigneter Kleidung abzunehmen. Ayashi trat neben sie, als sie ihr einen blauen Hakama und zwei weiße Haoris reichte, und verschwand hinter eine dünne Trennwand aus gespanntem, bemaltem Seidenpapier, um sich umzuziehen. „Wirst du Katsumotos Bitte erfüllen?“ fragte Ayame nach einer Weile und nahm Ayashis Reisekleidung, die sie über die Trennwand gehängt hatte, ab, um sie einigermaßen zu falten und in einen Korb zu legen, damit sie gewaschen wurde. „Ich werde versuchen, Satori zu unterstützen, ja.“ „Viel Glück.“ murmelte Ayame, was Ayashi lächeln ließ. „Höre ich da ein bisschen Zweifel aus deiner Stimme?“ fragte sie immer noch hinter der Wand. „Durchaus, aber nicht nur ein bisschen und auch nicht ganz unbegründet.“ gab Ayame zu und schwieg wieder. „Wieso?“ „Nun… Ich will nicht schlecht über sie reden, aber sie behandelt die Dienerinnen und Diener von oben herab und die würdigsten Krieger wie Söldner ohne Ehre.“ „Tatsächlich?“ „Ja, das macht sie nicht gerade beliebt, wie du dir denken kannst. Ich flüchte früh morgens schon meistens in die Berge, um meine Ruhe zu haben, aber wer das nicht kann, dem stehen schlimme Stunden bevor.“ „Du übertreibst.“ hoffte Ayashi und trat fertig angezogen hinter dem Schirm hervor. „Ich wünschte, es wäre so, aber am besten ist es, du machst dir beim Abendessen selbst dein Bild.“ „Beim Abendessen erst? Ich dachte, ich suche sie gleich auf…“ „Nein, das würde ich dir wirklich nicht raten. Erstens ist sie unter Tag sehr beschäftigt und zweitens hättest du dann andere Kleidung wählen müssen. Sie legt den allergrößten Wert auf korrekte Kleidung, Erscheinung und Umgangformen.“ erklärte Ayame und verdrehte die Augen. „Wie hältst du das nur aus?“ fragte Ayashi lächelnd und scherzhaft, worauf Ayame ihr einen ernsten und leidvollen Blick zuwarf. „Wie gesagt: Ich flüchte. Allerdings denke ich auch, sie hat beinahe schon aufgegeben, bei mir irgendetwas ändern zu wollen.“ Ayame lachte leise und fügte beinahe schuldbewusst hinzu: „Ich bin hartnäckig und wahrscheinlich auch sehr, sehr stur.“ „Ja, das trifft mit Sicherheit auf dich zu.“ meinte sie und schlüpfte in gefütterte, lederne Stiefel. „Das ist mein Glück. Und jetzt komm’ mit nach Draußen!“ bat Ayame ihre ältere Schwester und zog sie ohne größeren Widerstand mit sich hinaus. Kapitel 62: ------------ Am Abend klopfte Ayame an Ayashis Tür und wartete, bis sie hereingebeten wurde. Ayashi band sich gerade die Haare zusammen und blickte nur kurz zu ihrer Schwester hinüber. „Du trägst einen Kimono.“ bemerkte sie etwas erstaunt, worauf Ayame missmutig nickte. „Katsumoto hat mich darum gebeten.“ meinte sie und zupfte sich mehrere Haarsträhnen aus ihrer perfekten Frisur, was Ayashi mit einem Lächeln beobachtete. „Wo sind die Dienerinnen?“ fragte sie dabei und Ayashi wies mit einem leichten Kopfnicken auf die Engawa hinaus. „Ich habe sie weggeschickt, da ich ihre Hilfe nicht mehr benötigt habe.“ erklärte Ayashi und ließ die Hände sinken, um den Stoff ihres eigenen Kimonos noch einmal glatt zu streichen. „Ich weiß nicht, aber bei dir sieht ein Kimono nicht so lächerlich aus wie bei mir… Woran liegt das?“ „Das ist eine Sache der Gewohnheit.“ meinte Ayashi und wandte sich ganz zu Ayame um. „Und du siehst nicht lächerlich aus.“ versicherte sie und trat auf ihre Schwester zu, die nur ein leises Geräusch von sich gab, ehe sie die Tür wieder aufschob und mit Ayashi die Gänge entlang ging. „Ich hoffe, du bist nicht zu sehr enttäuscht.“ murmelte Ayame, worauf Ayashi eine Augenbraue hochzog. „Erwarte am besten nichts, Ayashi.“ fügte sie hinzu und begegnete dem Blick ihrer Schwester. „Von Satori?“ „Ja, von Satori. Du wirst es sehen und bemerken, aber ich fürchte, du wirst sie nicht mehr verstehen.“ „Ich habe sie noch niemals besonders gut verstanden – abgesehen davon, dass ich sie nicht zu meinen engeren Bekannten rechne.“ „Nun, immerhin hast du sie ermutigt.“ „In Bezug auf Katsumoto?“ fragte Ayashi und wartete, bis Ayame nickte, ehe sie weiter sprach: „Erzählt sie das?“ Wieder nickte Ayame, was Ayashi ein Seufzen über die Lippen gleiten ließ. „Das stimmt so nicht. Wir haben an jenem Tag vielleicht fünf Sätze miteinander gewechselt und irgendwann auch auf das Thema ‚Zukunft, Liebe, Partnerschaft’ gekommen, aber ermutigt habe ich sie eher nicht. Nein, ich denke nicht.“ „Und wenn schon! Es ist jetzt eben so und nicht mehr zu ändern.“ „Du sprichst von ihr, als sei sie eine Krankheit, der man nicht entfliehen konnte.“ entgegnete Ayashi beinahe belustigt. Ayame zuckte die Schultern. „Das ist sie auch. Eine Krankheit. Und sie heißt ‚Es-gibt-Regeln-für-alles’ oder auch ‚Einer-Youkai-Wert-wird-an-ihrer-Tugend-ersichtlich’... Ayashi, das ist für mich nichts und ich habe Katsumoto schon gesagt, dass ich ausziehe, wenn sie sich in meine Sachen einmischt.“ meinte Ayame ernst. „Das wird er nicht riskieren, habe ich Recht?“ lachte Ayashi leise, doch verstand sehr gut, was Ayame an Satoris Verhalten störte: eine mögliche Einschränkung ihrer so geschätzten Freiheit. „Natürlich lässt er das nicht zu. Du kennst ihn. Wir sind ihm wichtig. Vielleicht sogar wichtiger als die Harmonie mit seiner zukünftigen Gefährtin, was jetzt nicht heißen soll, dass ich das ausnutzen werde, weil mir Satori nicht passt.“ „Ich weiß. Ich verstehe dich. Vielleicht könntest du etwas mehr Vertrauen in Katsumoto haben. Er hat sich das gut überlegt und in seinen Augen wird Satori eine geeignete Gefährtin sein. Sie wird sich schon eingewöhnen.“ „Hoffentlich.“ murmelte Ayame und schüttelte ihre Arme kurz aus, um ein wenig ihrer Anspannung abzubauen, ehe sie um die letzte Ecke auf den Saal zutraten. Ein Diener öffnete ihnen die Tür zum Speiseraum und ließ sie nacheinander eintreten. Katsumoto stand bereits in der Nähe des niedrigen Tisches und blickte ihnen mit einem Lächeln entgegen. Neben ihm stand eine hochgewachsene weibliche Youkai in prächtigem Kimono und kunstvoller Hochsteckfrisur, deren Gesichtszüge Ayashis und Ayames Eintreten ohne Regung zur Kenntnis nahmen. Katsumoto blickte zwischen seinen Nichten und seiner zukünftigen Gefährtin hin und her, ehe er einige Schritte auf Ayashi und Ayame zuging, die leicht den Kopf neigten und ihn so begrüßten. „Sie ist nervös. Seht es ihr nach.“ flüsterte er, doch Satoris Ohren entging das nicht. Ayashi und Ayame nickten, doch keine von ihnen verstand, warum Satori nervös sein sollte. Sie waren einander doch nicht völlig fremd. Kaum trat Katsumoto zur Seite, verneigte sich Satori höflich, was Ayashi und Ayame erwiderten, und sich auch erst wieder aufrichteten, als Satori ihre Verneigung löste. Ayashi lächelte sie an, als sich ihre Blicke begegneten, doch in Satoris Gesicht lag keine Wiedersehensfreude – Ayashi konnte überhaupt keine Freude, keine Zuneigung oder zumindest ein Zeichen dafür sehen, dass Satori sie erkannte. Unmerklich schüttelte Ayashi den Kopf und ließ ihr Lächeln verschwinden. Katsumoto wies mit einer vagen Handbewegung auf die Sitzkissen um den niedrigen Tisch, ließ seine weibliche Gesellschaft zuerst Platz nehmen und setzte sich dann ebenfalls, wobei er die Diener mit den verschiedenen Speiseplatten herbeiwinkte, damit er ihm mit gedämpfter Stimme die letzten Anweisungen geben konnte. Ayashi warf Ayame einen kurzen Blick zu, doch ihr schien Satoris Verhalten nicht mehr seltsam vorzukommen. Das war beinahe schon traurig, aber offenbar wahr, denn Ayame unterdrückte ein Lächeln und zog für einen winzigen Moment ihre Augenbraue hoch, was jedoch nicht Satoris Aufmerksamkeit entging. „Ist etwas nicht zu deiner Zufriedenheit?“ fragte sie mit künstlich nachsichtiger Stimme, die trotz allem einen scharfen Unterton nicht verbergen konnte. „Im Gegenteil, meine Liebste.“ entgegnete Ayame in beinahe demselben Tonfall, was Ayashi sehr überraschte. „Was sollte das dann?“ fragte Satori, wobei sie sicher war, dass Ayame die Frage – und auf was sie sich bezog – verstehen würde. „Um ehrlich zu sein, fühle ich mich so wohl, dass ich einen Augenblick vergaß, nicht draußen zu sein, wo ich mich bekanntlich am wohlsten fühle.“ antwortete Ayame und hielt Satoris bohrendem, kalten Blick stand. „Und?“ drängte diese weiter, was Ayashi dazu veranlasste, ihren Blick zu Katsumoto wandern zu lassen, der zwar immer noch mit dem Diener sprach, die Worte bei Tisch aber mit Sicherheit mithören konnte. „Ich habe trainiert.“ erklärte Ayame mit ernster Stimme. „Trainiert?“ „Ja, meine Gesichtsmuskulatur. Ich habe gehört, dass ein Kämpfer keine einzige Muskelgruppe bei seinem Training vernachlässigen darf.“ erklärte Ayame mit einer Überzeugung, dass Ayashi nicht wusste, was sie denken oder empfinden sollte. Unverständnis für Satoris Verhalten? Bewunderung für Ayames Beherrschung? Sollte sie peinlich berührt sein, da sie Zeugin dieser kleine Streiterei war? Sollte sie stolz sein, da Ayame Satori die Stirn bot? Sollte sie Mitleid mit ihrem Onkel haben, der seine Entscheidung vielleicht noch einmal überdenken sollte? Ayashi hörte, wie Katsumoto mit einer samtweichen Stimme Ayames Namen aussprach, und sah aus den Augenwinkeln, dass ihre jüngere Schwester nickte, jedoch nicht zurechtgewiesen den Kopf senkte. Ayame war zu stolz für so etwas und sie wusste, dass sie es sich leisten konnte. Ayashi musste innerlich lächeln: Ayame war vielleicht etwas aggressiver als Ayashi selbst, doch sie waren unverkennbar Katagas Töchter. Ayashi hörte dem Gespräch vor allem zu, anstatt aktiv daran teilzunehmen. Thema war natürlich die bevorstehende Verbindung zwischen Katsumoto und Satori, vielmehr die Liste der Gäste, die man einladen wollte – und sollte. „Ich meinte nur, dass die Fledermausyoukai auf jeden Fall eine Einladung erhalten müssen.“ meinte Katsumoto, doch Satori schüttelte den Kopf. „Das ist eigentlich nicht einzusehen, da wir nichts mit ihnen zu tun haben… Und hatten wir nicht entschieden, dass es genügt, die Wolfsyoukai und die Hundeyoukai einzuladen?“ entgegnete Satori und in Ayashi machte sich das Gefühl breit, dass nicht beide das entschieden hatten, sondern wohl eher Satori alleine. „Nun, Geikijo ist ein wichtiger Verbündeter von Kataga und…“ „Vergib’ mir, Katsumoto, doch das ist unsere Feier und nicht die Feier Katagas. Wenn wir Geikijo hinzubitten würden, müssten wir auch Tsukiyomaru einladen und noch so viele andere!“ unterbrach Satori ihren zukünftigen Partner, worauf Katsumoto zu Ayashi blickte, als erwarte er Unterstützung von seiner um so viele Jahre jüngeren Nichte. „Was meinst du dazu, Ayashi?“ fragte er tatsächlich und Ayashi erwiderte: „Wir können froh sein, dass wir so viele Verbündete haben. Ihre Loyalität und ihr Vertrauen sollten nicht leichtfertig oder gar absichtlich verletzt werden. Ich halte das für eine Frage des Respekts.“ Satori warf Ayashi einen finsteren Blick zu, der ihr deutlich machte, dass sie damit jegliche Chance auf eine freundschaftliche Annäherung verdorben hatte, doch das erfüllte Ayashi nur mit Gleichgültigkeit. Satori musste doch einsehen, dass es eben nicht nur ihre Feier war, sondern der neue Bund auch dafür sorgte, dass zusätzliche Verbündete gewonnen wurden – und langjährige Freundschaften gepflegt werden musste. Das war gerade in diesen Zeiten sehr wichtig. Kapitel 63: ------------ In den folgenden zwei Monaten versuchte Ayashi, zweimal mit Satori zu sprechen, doch sie kam nicht weit. Satori war sehr stur und hochmütig, wie Ayame es in gewisser Weise vorausgesehen hatte. Es hatte keinen Wert, insgeheim wusste das Ayashi, doch es widerstrebte ihr, sich das einzugestehen und sich Satoris Willen auch nur in irgendeiner Weise zu beugen. Sie wusste nicht, was mit ihr geschehen war, dass sie so unterkühlt dachte und handelte, doch Ayashi wusste, dass es ihr nicht gefiel. Sie beobachtete, wie Satori sich den anderen gegenüber verhielt, und stellte fest, dass Ayame auch in dieser Hinsicht nicht übertrieben hatte: Diener und Dienerinnen behandelte sie von oben herab, blickte sie niemals an und sprach sehr forsch mit ihren. Sie mussten sich beinahe schon bei ihrer großzügigen Herrin bedanken, dass sie dieselbe Luft atmen durften. Krieger waren tatsächlich nicht mehr als Söldner für sie, die von nun an die ehrenvolle Aufgabe hatten, ihre Herrin mit allen Mitteln zu schützen und im Fall des Falles ihr Leben für sie zu geben. Satori selbst nahm überhaupt keine Waffe mehr in die Hand, da dies in ihren Augen nun mehr denn je als unehrenhaft gelten sollte. Und Katsumoto? Nun, Ayashi fiel auf, dass Satori Katsumotos Zuneigung geweckt hatte, dass er versuchte, ihr ihre Wünsche zu erfüllen, doch sie stellte auch fest, dass es durchaus Dinge gab, die Katsumoto auch gegen den ausdrücklichen Willen seiner zukünftigen Gefährtin durchsetzte. Ayashi war sehr froh, denn nun waren alle Verbündeten zur Feier im Sommer eingeladen und es würde für keinen von ihren einen Grund geben, im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung – die dank Inu-no-taishous Interesse an einer Sterblichen immer noch überaus stark drohte – den Vertrag zu brechen und nur im eigenen Interesse zu handeln. Ayashi verbrachte die meiste Zeit mit ihrer Schwester Ayame, mit Taido und Ishiki, die den beiden Frauen in respektvoller Zuneigung zugetan wurden, sie weiterhin bei ihren Kampfübungen unterstützten und sie in die Wälder der Umgebung begleiteten. Ayashi hatte gehofft, auch ihre anderen Freunde wieder zu treffen, doch viele von ihnen waren in Diensten anderer Fürsten oder auf Wanderschaft, weshalb sie erst zur Feier im Sommer zurück nach Kochi kommen würden. Der Schnee schmolz langsam in diesem Jahr, doch auch er musste in all seiner Beharrlichkeit schließlich der Kraft der Sonne weichen. Ayashi bemerkte das sprießende Grün, das ertönende Singen der Vögel und die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht, als sie an einem Frühlingsmorgen auf Ayame wartete, und genoss es. Sie atmete tief durch und spürte, dass sie lächelte. Der Sommer kam. „Es tut mir leid, dass es länger gedauert hat!“ rief Ayame schon von weitem und eilte auf die Engawa zu, auf die Ayashi sich gesetzt hatte. „Das ist schon in Ordnung. Was wollte Katsumoto?“ fragte Ayashi und erhob sich. „Ach, dies und das. Vor allem ging es darum, dass Satori sich nicht wohl fühlt… Nein, frag’ mich nicht, was sie nun schon wieder hat!“ antwortete ihre jüngere Schwester und blickte zu den bewaldeten Hügeln, die im Sonnenlicht ihr gesamtes lebendiges Grün entfalteten. „Gut, ich frage nicht.“ stimmte Ayashi zu und folgte ihrem Blick mit den Augen. „Dorthin willst du?“ „Ja, zu der kleinen Lichtung, die wir in der letzten Zeit so oft mit Ishiki und Taido besucht haben. Lass’ uns einfach genießen, dass es ein schöner Frühlingstag ist – mit Sonne, einer kühlen Brise und Ruhe.“ meinte Ayame und ging voran. Die Schwestern schritten über den Hof, dann hinaus in die Ebene, wo sie in einen schnellen Lauf fielen und durch die Wälder die Hügel und Berge hinauf sich immer weiter vom Schloss in Kochi selbst entfernten. Ayashi ließ Ayame, die vergnügt lachte und immer schneller wurde, vor ihr laufen, folgte ihr aber ohne großen Abstand, sodass sie beinahe gemeinsam mit Ayame auf die Lichtung hinaustrat. Ayame lachte, breitete die Arme aus und drehte sich ausgelassen im Kreis, wirbelte in die Mitte der Lichtung und ließ sich etwas außer Atem und glücklich in das hohe Gras fallen. Ayashi trat lächelnd näher und setzte sich neben sie. So fröhlich hatte sie ihre kleine Schwester schon länger nicht mehr gesehen und sie fragte sich, ob die Frühlingssonne der einzige Grund für ihre Heiterkeit war. Ayame lag mit geschlossenen Augen im Gras und genoss die Sonne, die sie an der Nase kitzelte und den Wind, der ihr warm über die Haut strich. Ayashi lehnte sich auf ihre Ellenbogen zurück und blickte in den blauen Himmel. Nur wenige kleine Wolken zogen dahin und Ayashi bemerkte, dass sie bald wieder leichtere Kleidung anziehen konnten. „Weißt du, manchmal beneide ich dich.“ gestand Ayame nach einer Weile plötzlich, worauf Ayashi sie überrascht anblickte. „Wieso das?“ fragte sie „Du bist dir so sicher in allem.“ meinte sie, worauf Ayashi den Kopf schüttelte. „Nein, das bin ich nicht. Ich habe nur gelernt, meine Unsicherheit gut zu verbergen.“ „Tatsächlich?“ murmelte Ayame und fügte hinzu: „Ja, dann gelingt dir das wirklich gut.“ „Hast du etwas auf dem Herzen, Ayame?“ fragte Ayashi, doch nun schüttelte Ayame den Kopf. „Nein, nichts.“ entgegnete sie noch, ehe sie wieder schwieg. Ayashi betrachtete weiterhin die wenigen Wolken, die vom Wind über den Himmel getrieben wurden. Hoch oben schwebten Scharen von Vögeln, landeten schließlich auf den Bäumen im Wald und stoben wieder aufgeschreckt davon, ohne dass Ayashi den Grund dafür wahrnahm. Sie waren immer in Bewegung. „Ich habe einige Youkai über dich reden hören, Ayashi. Sie bewundern dich.“ „Ist das so?“ „Ja, und du weißt es. Du bist sehr angesehen. Man achtet dich und man verehrt dich beinahe, seit du unseren Vater so sehr unterstützt hast.“ „Ich habe Fukuoka verteidigt, weil es meine Pflicht war – meine Aufgabe.“ „Wen kümmert es, warum du deine Aufgabe erfüllt hast? Es ist eine Tatsache, dass Vater stolz auf dich sein kann. Und du kannst stolz auf dich sein.“ meinte Ayame und Ayashi fragte sich ein wenig, worauf ihre kleine Schwester hinaus wollte. „Wirst du dir bald einen Gefährten erwählen?“ fragte Ayame und Ayashi biss sich auf die Lippen, was Ayame zum Glück nicht sehen konnte. Einen Gefährten? Wenn sie ihr Herz befragte, hatte sie schon längst einen Gefährten in ihrem Leben erwählt, doch das durfte niemand wissen. Sesshoumaru. Sesshoumaru war ihre Wahl, doch sie wusste, dass ihr Vater diese Wahl niemals unterstützen würde. Sie ahnte sogar, dass ihr Vater bereits andere Pläne für sie hatte. Sie erinnerte sich gut an das Gespräch, das sie einmal mit ihm geführt hatte. „Ayashi?“ fragte Ayame, als ihre Schwester nicht antwortete, schlug die Augen auf und richtete sich etwas auf, sodass sie ihr in das Gesicht blicken konnte. „Diese Entscheidung werde ich nicht treffen, Ayame, sondern Vater.“ „Und das macht dich nicht wütend?“ „Doch, natürlich macht mich das wütend. Ich finde es nicht toll, aber… Wie soll ich das sagen? Ich bin seine Tochter. Ich bin seine Erbin. Ich werde einmal genauso für Kyushu verantwortlich sein wie er es nun ist. Wenn er einen Youkai findet, von dem er denkt, dass er mich gut bei meiner Aufgabe unterstützen kann, so will ich ihm in der Hinsicht vertrauen.“ entgegnete Ayashi und bemühte sich sehr, ruhig und gelassen zu bleiben. „Glaubst du, dass er bald an dich herantreten wird, weil er dir jemanden vorstellen möchte?“ „Ich weiß es nicht. Bisher… Nun, bisher hatte ich nicht das Gefühl, dass er jemanden sucht – oder auch nur, dass er sich Anträgen gegenüber offen gibt, aber ich kann es nicht wissen.“ „Nun, ich denke, er ignoriert die Bittsteller noch. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass du es nicht bemerkt hättest, wenn…“ meinte Ayame und blickte zum Waldrand. „Wieso beschäftigt dich diese Frage so sehr?“ fragte Ayashi schließlich, als Ayame lange Zeit nicht den Blick vom Waldrand abwandte. „Zum einen interessiert mich das, weil Katsumoto nun Satori zu seiner Gefährtin machen wird. Ich wollte wissen, ob ich mich auf noch eine andere familiäre Situation einstellen muss… wie zum Beispiel einen Schwager.“ Ayashi nickte und verschwieg, dass Ayame ja eigentlich inoffiziell sogar schon einen Schwager hatte. „Und warum noch?“ hakte sie nach, um sich von den Gedanken an Sesshoumaru möglichst schnell wieder abzulenken. „Nun, zum anderen… denke ich, dass ich mich verliebt habe.“ rückte Ayame mit der Sprache heraus. „Wer ist er?“ fragte Ayashi aus einem seltsamen Grund kaum überrascht. Das erklärte Ayames Lebensfreude, Heiterkeit und Frohsinn wirklich restlos. „Kouga, Komyos Sohn.“ meinte Ayame, worauf Ayashi nickte. Kapitel 64: ------------ Kouga also, dachte Ayashi und lächelte, als sie sich an sein wildes Wesen erinnerte, wobei sie sofort der Meinung war, dass es sie nicht überraschen durfte, wenn Ayame sich zu ihm hingezogen fühlte. „Ich kenne ihn.“ brach Ayashi ihr Schweigen, als sie Ayames Blick ängstlich auf ihr ruhen sah. „Kouga wurde von seinem Vater im letzten großen Krieg nach Fukuoka geschickt.“ „Ja, das hat er erzählt.“ lächelte Ayame und senkte den Blick. „Wie habt ihr euch kennen gelernt? Und wann?“ „Es ist schon… lange her. Sei nicht böse, dass ich dir so lange nichts erzählt habe, aber ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte.“ bat ayame, bevor sie wirklich zu erzählen begann. „Ich bitte dich! Du bist mir keine Rechenschaft schuldig, warum du es jetzt erst erzählst!“ versicherte Ayashi und hoffte, damit auf ein wenig ihr Gewissen zu beruhigen, denn was verschwieg sie denn Ayame? „Ich war noch klein, als Katsumoto mich zu unserem alten Großvater geschickt hat. Er lebt ja abgeschottet und ganz allein in der Wildnis. Es war eine Aufgabe, die ich allein bestehen musste. Ich sollte beweisen, dass ich mich auskenne und den Weg finde. Ich gelangte zu Großvater, aber…“ Ayame machte eine kleine Pause, als würde sie sich an das Ereignis genau zurück erinnern wollen, dann fuhr sie fort: „Es regnete sehr stark und ich habe mir auf dem Rückweg den Fuß verletzt, da ich unglücklich gerutscht und in einer Wurzel hängen geblieben bin. Ich weiß gar nicht mehr, was genau passiert ist, da alles so schnell ging, aber das Ergebnis war, dass ich nicht mehr auftreten konnte. Ich war schon zu weit von Großvater weg und noch zu weit von Kochi entfernt, doch ich entschied mich, eher den Weg nach Kochi zu nehmen, als noch einmal zurückzugehen. Nach einigen Meilen wurde der Regen noch stärker, der Nebel noch dichter und mein Fuß schmerzte unentwegt. Dann wurde es auch noch dunkel, weshalb ich mich schließlich setzte und… ja, ich muss zugeben, dass ich weinte. Ich war ja noch jung.“ Ayashi nickte und wunderte sich immer mehr darüber, dass sie von all dem nichts wusste. Immerhin hätte Katsumoto ihr sagen können, dass Ayame sich verirrt hatte… „Dann kam er.“ „Kouga?“ „Ja, Kouga. Er hat mich gefunden, weil ich geweint habe. Er hat mich gehört. Er fragte, wohin ich wollte, und meinte, er würde mich überall hinbringen, aber weinen dürfte ich nicht mehr. Ich sagte ihm, dass ich nach Kochi wollte, worauf er nach meinem Namen fragte. Als ich ihm sagte, wer ich war, erzählte er, dass er dich kennt, dass ich keine Angst haben bräuchte und dass er mich zurück nach Hause bringen wird.“ Ayame machte eine kleine Pause und lächelte versonnen, während Ayashi sie die Erinnerung genießen ließ. „Er nahm mich schließlich auf den Rücken und wanderte langsam mit mir durch die Nacht. Es gab einen Mondregenbogen, weißt du. Es war der erste, den ich gesehen habe, und in gewisser Weise hat Kouga ihn mir gezeigt.“ „Ein Mondregenbogen. Ja, sie sind sehr selten.“ meinte Ayashi und erinnerte sich an die beiden Nächte, in denen sie einen gesehen hatte. Den ersten hatte ihr Kataga gezeigt, den zweiten hatte sie mit Sesshoumaru genossen. „Kouga redete die gesamte Zeit hindurch und versuchte mir, meine Angst zu nehmen, die ich jedoch nicht mehr hatte. Wahrscheinlich dachte er, ich hätte Angst, weil ich so still war, doch ich wollte seine Stimme hören – und seien wir ehrlich: wenn Kouga einmal spricht, unterbricht man ihn nicht sehr leicht wieder.“ „Da hast du Recht.“ stimmte Ayashi ihr zu und lachte leise. „Er sagte, ich dürfe nie wieder Angst haben. Nun, und dann sagte er noch, dass er mich zu seiner Gefährtin machen würde, wenn ich erwachsen sei.“ „Willst du das denn?“ „Ich bin in ihn verliebt, denke ich… und ja, im Moment ist die Erinnerung an ihn schon so stark, dass ich es möchte, aber ich weiß ja nicht, wie es ist, wenn ich ihn wieder sehe. Glaubst du, er hat seine Worte ernst gemeint?“ „Ich… Ayame, ich denke, dass du dir nur anhand dieser Worte nicht allzu viele Hoffnungen machen solltest. Es sind viele Jahre seither vergangen und Kouga hat es vielleicht nur gesagt, um dich aufzuheitern. Du sagtest selbst, dass du noch sehr jung warst.“ „Ja, es ist beinahe blödsinnig, wirklich viel hinter seinen Worten zu vermuten. Es wäre doch schon seltsam, wenn er sie gegenüber einem Kind ernst gemeint hätte.“ meinte sie sofort und winkte ab. „Ayame.“ erwiderte Ayashi und betrachtete ihre Schwester prüfend, ehe sie weiter sprach: „Vergangene Jahre können auch Neues hervorbringen. Du weißt nicht, wie ihr euch kennen lernen werdet, wenn ihr euch wieder begegnet. Und nun seid ihr beide erwachsen… Also: wer weiß?“ Ayame lächelte und streckte sich wieder auf dem Boden aus, schloss die Augen und lachte leise. „Ich hoffe es, dass er mich mit anderen Augen sieht, wenn er im Sommer zur Feier kommt.“ gab sie zu, und Ayashi nickte. Sie hoffte es auch – für ihre Schwester. Eines Morgens bat Katsumoto seine älteste Nichte zu sich in sein Arbeitszimmer, was Ayashi nicht so recht war, da sie Ishiki einen Übungskampf zugesagt hatte, zu dem sie nun zu spät kommen würde, doch daran war nun nichts zu ändern. Ayashi schickte Ayame schon voraus und bat sie, Ishiki und Taido Bescheid zu geben, ihnen jedoch auch auszurichten, dass sie unmöglich sagen konnte, wie lange sie die Unterredung mit ihrem geschätzten Onkel aufhalten würde. „Ich bin gespannt, was er von dir will.“ meinte Ayame noch, ehe Ayashi sie endgültig aus dem Zimmer schob, da sie immer wieder ein Gespräch angefangen hatte, und noch nicht gegangen war. Ayashi schüttelte den Kopf und blickte ihr nach, ehe sie zurück in ihr Zimmer ging, sich frage, ob sie sich umziehen sollte, denn sie trug schon ihre Kampfkleidung, entschied sich jedoch dagegen. Katsumoto konnte ruhig sehen, dass sie noch etwas vorhatte und sie würde ihn auch darauf hinweisen, dass sie erwartet wurde. Irgendetwas in ihr sträubte sich gegen dieses Gespräch, in dem es wahrscheinlich wieder um Satori gehen würde – wie so oft in der letzten Zeit. Sie atmete noch einmal tief durch, beruhigte sich und schob ihren Unwillen beiseite, ehe sie ihre Haare zu einem hohen Pferdeschwanz nach hinten nahm, alles an sich nahm, was sie später brauchen würde, und sich dann durch die Gänge auf den Weg zu ihrem bereits wartenden Onkel machte. „Guten Morgen, Ayashi.“ begrüßte er sie schon, als sie eintrat und bevor sie dazu kam, selbst etwas zu sagen. Katsumoto musste im Raum auf und ab gegangen sein, denn er drehte sich zu ihr um, lächelte flüchtig und ging wieder einige Schritte in die andere Richtung. „Guten Morgen… Du wolltest mich sprechen?“ fragte Ayashi und versuchte, die scheinbare Nervosität ihres Onkels zu ignorieren, was ihr sehr schwer fiel, denn sie war so ungewöhnlich für ihn. „Ja.“ entgegnete er, blieb jedoch stumm, weshalb sie fragte: „Was kann ich für dich tun?“ „Ich weiß, dass du dein Möglichstes getan hast, mit Satori zu sprechen… Nein, keine Sorge! Ich bitte dich nicht noch einmal darum, ihr – in übertragener Weise – einen Schubs in die richtige Richtung zu geben.“ Ayashi nickte erleichtert und hoffte, dass er nicht bemerkte, wie erleichtert sie war. Einen Schubs in die richtige Richtung… vielleicht war bisher das Problem gewesen, dass es eben nur in übertragener Weise ein Schubs gewesen war… vielleicht war ein echter Schubs besser geeignet, um Satori zu Vernunft zu bringen… Wunschgedanken! Was auch immer es war, worüber Katsumoto sprechen wollte: Er tat sich sichtlich schwer damit und Ayashi stellte sich darauf ein, dass es noch etwas dauern konnte, bis er die richtigen Worte für sein Gespräch finden würde. Kapitel 65: ------------ „Ayashi, ich muss dich direkt fragen, da ich denke, dass dein Vater und somit mein Bruder das genauso tun würde.“ begann Katsumoto nach einer Weile wieder. Ayashi spürte, wie ihre Anspannung wuchs. Wusste er etwa von Sesshoumaru und…? Nein, woher sollte er es denn wissen, beantwortete sich Ayashi ihre ungestellte Frage selbst. „Du kennst ihn nun schon eine längere Zeit und ich sehe, dass ihr sehr gut miteinander auskommt.“ „Wen?“ fragte Ayashi dazwischen, da sie noch zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt war, und ihm nicht ganz folgen konnte. „Ishiki?“ fragte sie nach einer Weile, in der Katsumoto nicht erklärt hatte, von wem er sprach. „Ishiki.“ stimmte er ihr zu und sprach unter einem prüfenden Blick in Ayashis Richtung weiter: „Ishiki ist in der Tat ein angesehener Youkai, Ayashi, doch ich fürchte, dass dein Vater deiner Wahl nicht zustimmen wird. Er ist…“ „Einen Moment! Bitte…. Versuchst du, mir gerade zu sagen… Denkst du, ich…“ unterbrach Ayashi ihn und schüttelte verwirrt den Kopf. „Nein. Noch einmal von vorne. Du denkst, dass ich Gefühle für Ishiki entwickelt haben könnte?“ „Ihr verbringt viel Zeit miteinander.“ „Nun, ja. Wir verbringen viel Zeit miteinander, wenn wir bewaffnet sind und miteinander beziehungsweise gegeneinander kämpfen. Ich will nicht abstreiten, dass man sich dabei auch über die Grenzen der Freundschaft hinaus kennen lernen kann, aber bei uns ist das nicht so. Glaub’ mir.“ Katsumotos Miene schien sich zu erhellen und Ayashi glaubte, den Grund dafür zu kennen: Er musste seinem Bruder nicht erklären, warum sich Ayashi unter seiner Obhut in jemanden verliebt hatte, den sie nicht so einfach zum Gefährten nehmen konnte. Doch gleichzeitig stellte sie fest, dass ihm immer noch die Sorgen in die Stirn geschrieben standen. „Was ist mit dir, Katsumoto?“ fragte sie deshalb. „Ich dachte, diese Antwort würde dich beruhigen.“ „Einerseits tut sie das, Ayashi, aber andererseits... beunruhigt es mich auch ein bisschen, dass du noch niemals Interesse an einem Youkai bekundet hast.“ „Ich…“ Ayashi rollte innerlich die Augen, weil sie nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte. Sie konnte wirklich schlecht sagen, wie es wirklich war: Dass sie kein Interesse an einem Youkai hatte, der eben nicht Sesshoumaru war. „Ich denke nicht, dass du beunruhigt sein musst. Vater ist es auch nicht.“ meinte sie schnell und ließ Katsumoto nicht mehr zu Wort kommen, sondern verabschiedete sich schnell unter dem wahren Vorwand, dass Ayame, Taido und Ishiki auf sie warteten. Ayashi beobachtete die Wandlung der Natur um sich herum und erfreute sich jeden Tag an der Sonne, dem warmen Wind, den Vögeln und den Schmetterlingen, denn sie berichteten ihr, dass nun endlich der Sommer gekommen war. Sie verbrachte immer noch ihre Zeit mit Ayame – weit weg vom Schloss in der freien Natur, obwohl Inu-no-taishou und Sesshoumaru noch an diesem Tag erwartet wurden, doch Satori ging beiden auf die Nerven, weil sie sich nun doch Hilfe bei den Vorbereitungen der Festlichkeiten gewünscht hatte. „Vielleicht sollten wir es noch einmal versuchen und ihre Bitte erfüllen.“ hatte Ayashi anfänglich noch gesagt, doch Ayame hatte widerwillig den Kopf geschüttelt. „Niemals… Du kannst ja gerne ihren Befehl ausführen, aber ich werde das mit Sicherheit nicht machen.“ hatte Ayame gemeint, worauf Ayashi es einmal mit Satori versucht hatte, jedoch schnell wieder aufgegeben hatte. Nun lagen sie im hohen Gras, hatten die Augen geschlossen und lauschten in die Stille, die nur das leise Rauschen des Windes durchbrach. „Ninshiki tut mir richtig leid.“ bemerkte Ayame plötzlich in die Stille, da Satoris Schwester im Schloss bleiben musste, um Satori zu helfen. „Ja, mir auch.“ antwortete Ayashi und blinzelte in die Sonne. „Die meisten Gäste sind schon angekommen. Wer fehlt eigentlich noch?“ „Vater.“ entgegnete Ayashi und Ayame lachte: „Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Ich meinte außer ihm, Inu-no-taishou und dessen Sohn.“ „Hm… soweit ich weiß, fehlt sonst niemand mehr. Soba kam ja gestern mit ihren Leuten und war schon die ziemlich spät. Damit dürften aber alle außer den drei da sein.“ „Ich bin froh, dass heute Abend erst dieses erste offizielle Treffen ist… Gut, du musstest schon öfter die Nichte spielen, die man vorzeigen kann, aber für mich war es bisher recht entspannt.“ „Es war nicht so schlimm.“ „Du bist diese Art von Unterhaltungen auch gewöhnt… Höflichkeit. Zurückhaltung. Tugendhaftigkeit.“ „Ich habe zwei Gesichter, Ayame.“ rutschte es Ayashi heraus, worauf Ayame sich schnell aufrichtete, damit sie ihre Schwester prüfend anblicken konnte. „Wie meinst du das?“ fragte sie entsetzt und Ayashi lächelte. „Du kennst mich. Ich gehe auch gerne nach draußen. Ich laufe mit dir um die Wette. Ich lache. Ich kämpfe. In der Hinsicht sind wir uns ähnlich, Schwester. Ich genieße die Zeit sehr, die ich hier verbringen kann.“ Ayashi dachte an ihren Vater und an ihr Leben in Fukuoka. „Ab und zu… nun, ab und zu ist es für mich eine große Überwindung, meiner Rolle als Katagas Tochter gerecht zu werden. Es musste seit meiner Kindheit sein, weshalb ich gelernt habe, zu tun, was von mir erwartet wurde. Der Unterschied zwischen uns ist vielleicht nur, dass meine ruhige, zurückhaltende und vernünftige Maske ausgeprägter ist. Ich möchte mich nicht beklagen, versteh’ mich nicht falsch…“ „Nein, mach’ dir keine Sorgen. Ich verstehe dich schon.“ „Vater lässt mir andere Freiheiten… Und nun sollten wir ins Schloss zurückkehren.“ meinte Ayashi und erhob sich schnell. Ayame folgte ihr und langsam traten sie den Rückweg zum Schloss an. Sie durchquerten den Wald, ließen ihre Finger durch das hohe Farn streichen, an Baumstämmen entlang gleiten. Das Sonnenlicht stand schon schräg und beleuchtete das Moos und die Felsen, den Waldboden und die beiden Youkai. Es war später Nachmittag, als sie den Wald verließen. Kataga würde bald ankommen und Inu-no-taishou und auch… Sesshoumaru. Wie es wohl war, ihn jetzt wieder zu sehen? Immerhin waren sie beinahe niemals allein – und durften es auch nicht sein, weil sich das nicht gehörte. Noch dazu mussten sie so tun, sich nicht zu kennen, obwohl sie ihn ja gesund gepflegt hatte, doch das hieß nicht, dass sie sich kennen durften. Ayashi blickte zum Schloss, sobald es in Sicht kam, und erblickte Sesshoumaru mit seinem Vater, der gerade Katsumoto begrüßte. Sesshoumaru blickte sich unauffällig um, während er Katsumoto mit einer höflichen Verbeugung begrüßte, die Katsumoto erwiderte, nachdem er auch den älteren Inu-no-taishou begrüßt hatte. „Willkommen. Tretet ein!“ meinte Katsumoto und wies mit einem Arm in Richtung des ersten Hofes. Inu-no-taishou trat neben Katsumoto in den Hof und Sesshoumaru nutzte die Gelegenheit, sich zu den Hügeln umzudrehen. Endlich – nach langen Monaten – konnte er beinahe wieder in ihrer Nähe sein. Dann erblickte er sie. Sie rannte mit einer anderen Youkai, die rotbraunes Haar hatte und zweifellos Ayame sein musste, durch das Gras und blieb schließlich an einem Vorsprung stehen, da sie ihn erblickt hatte. Ayame bemerkte erst etwas später, dass Ayashi stehen geblieben war, drehte um und rannte zurück, worauf sie etwas sagte. Ayashi nickte, strich ihr Haar zurück und folgte dann ihrer Schwester, ohne den Blick von Sesshoumaru zu wenden, bis sie wieder hinter einer Erhöhung verschwanden. „Hast du etwas gesehen?“ fragte Inu-no-taishou, der sich zu seinem Sohn umgewandt hatte. „Nein.“ entgegnete Sesshoumaru wahrheitsgetreu und folgte dann den zwei Youkai in den Hof, wo Diener seinem Vater und ihm selbst die Gemächer zeigten, die ihnen zugewiesen waren. Er hatte nicht etwas gesehen, sondern jemanden. Und er konnte es nicht erwarten, sie wieder zu sehen, ihre Stimme zu hören, ihr Haar zu riechen, ihre Haut zu schmecken und ihren Körper an seinen zu pressen. Kapitel 66: ------------ Ayashi folgte Ayame nach einer Weile hinab zum Schloss und suchte ihre Gemächer auf. Sie wusste, dass ihr Vater demnächst ankommen würde, doch sie wusste auch, dass am Abend ein Empfang stattfinden würde, weshalb sie schon sehr spät dran war, wenn sie sich noch rechtzeitig zurecht machen wollte. Wie in Trance sah sie den Dienerinnen zu, die ihr das Bad einließen, entkleidete sich und legte sich schließlich in die Wanne, aus der sie sich nach einiger Zeit wieder erhob, um sich abzutrocknen und anzuziehen. „Ayashi-Sama? Sollen wir Euer Haar…“ begann eine Dienerin, als sich Ayashi eine Zeit lang selbst das Haar kämmte, während sie vor einem Spiegel auf einem Hocker saß. Ayashi legte die Bürste nieder und winkte die Dienerinnen heran, um ihnen zu zeigen, dass sie machen sollten, was sie wollten. Ihre Gedanken waren bei Sesshoumaru. Alles andere war nebensächlich und unwichtig. Die Dienerinnen kämmten ihr Haar und steckten es kunstvoll nach oben, ehe sie Ayashi wieder allein ließen. Sie waren schon lange Zeit gegangen, als es an die Tür klopfte, und Ayashi den Kopf wandte, als jemand die Tür aufschob. „Ich hatte gehofft, du würdest mich draußen empfangen.“ meinte Kataga, worauf Ayashi langsam nickte. „Ich wusste nicht genau, wann du kommst, und wollte auf keinen Fall versäumen, zu spät zum offiziellen Empfang zu kommen.“ rechtfertigte sie sich matt und erhob sich, um ihren Vater zu begrüßen. „Was ist mit dir?“ fragte er besorgt, als er Ayashi betrachtete, während sie sich verbeugte. Ayashi richtete sich wieder auf und schüttelte den Kopf, um ihm zu sagen, dass nichts Besonderes war, sah jedoch, dass er ihr das nicht abnahm, weshalb sie sich schnell etwas überlegte. „Ich mache mir Sorgen um Inu-no-taishou.“ meinte sie schließlich. „Warum das?“ fragte Kataga und ließ sich auf Ayashis Bett nieder, was sie etwas befremdlich fand. „Ich mache mir Sorgen um ihn und seine Zukunft…“ „Das musst du nicht.“ versicherte er schnell. „Nicht?“ fragte Ayashi nach und blickte ihn prüfend an. „Die ehrenwerte Izayoi…“ „Wie du das sagst! Ehrenwerte Izayoi! Als würdest du von einer angesehenen Youkai sprechen!“ entgegnete Ayashi heftig, was Kataga überhaupt nicht gefiel. „Ayashi, ich habe dich nicht so erzogen, dass du ein Wesen nach seiner Herkunft beurteilt… beziehungsweise verurteilst.“ „Nein, natürlich nicht.“ „Was hast du gegen Izayoi? Du kennst sie nicht. Wer hat dich gegen sie aufgebracht?“ „Das musste niemand tun. Die Situation selbst hat ihren Beitrag geleistet. Vater, Inu-no-taishou begibt sich wegen dieser Frau in Gefahr… Er riskiert alles, für dessen Erhaltung er in den letzten Jahrhunderten gekämpft hat!“ „Das kannst du nicht wissen. Es ist durchaus möglich, dass sich aller Unmut auflöst, wenn Inu-no-taishou sie zu seiner rechtmäßigen Gefährtin nimmt.“ „Will er sein Schicksal herausfordern?“ fragte Ayashi, obwohl sie wusste, dass das ein schlechtes Argument war. „Ich dachte, du glaubst nicht an Schicksal?“ antwortete er mit einer Gegenfrage, worauf Ayashi unwillig schnaufte. „Ayashi, Kind, genieße dein Leben…“ „Ich bin kein Kind mehr.“ unterbrach Ayashi ihren Vater und schüttelte wütend den Kopf. „Gut, du bist kein Kind mehr. Trotzdem solltest du dir nicht Inu-no-taishous Kopf zerbrechen.“ „Irgendjemand muss es tun, wenn er oder seine treuen Verbündeten es schon selbst nicht tun.“ murmelte Ayashi. „Glaubst du im Ernst, dass Inu-no-taishou nicht weiß, was er tut?“ fragte Kataga ungeduldig. „Ja. Er ist blind. Er sieht nur noch diese Frau!“ „Ayashi, es reicht!“ rief Kataga und ergriff Ayashi am Arm. „Es ist seine Entscheidung!“ Ayashi machte sich von ihrem Vater los und ordnete ihre Gedanken. Sie war wütend, doch ihr Vater war der falsche, um ihre Wut auszuleben. Wenn sie ehrlich war, war sie nicht nur wütend, sondern auch verwirrt – von was sie verwirrt war, wusste sie nicht so genau. „Er wird diese Entscheidung nicht nur für sich alleine treffen.“ brach Ayashi schließlich das unangenehme Schweigen, das sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte. „Es geht auch um seine Familie und um seine Verbündeten, die trotz all dem zu ihm halten wollen.“ „Wir können uns wehren, Ayashi. Deshalb brauchst du dir keine Sorgen machen.“ „Ich hoffe, dass du Recht hast. Ich hoffe es.“ entgegnete Ayashi, da sie einsah, dass jede weitere Diskussion sinnlos war. „Ayashi, ich habe Recht.“ meinte Kataga und erhob sich. Ayashi blickte ihm nach, wie er sich zum Gehen wandte, sich aber noch einmal zu ihr umdrehte und sie bat: „Halte dich in Zukunft aus Dingen heraus, von denen du nichts verstehst.“ Ayashi erwiderte nichts, sondern senkte den Blick. Sie hörte, wie er ihr Gemach verließ, und kämpfte ihren Zorn zurück. Zorn brachte sie nicht weiter. Sie wusste, dass sie die drohende Gefahr sehr gut verstand. Sesshoumaru wusste es auch. Sie musste unbedingt mit ihm sprechen… Sesshoumaru hatte sich für das Fest ebenfalls umgezogen. Er trug nun einen schwarzen Hakama, einen weißen, dünnen Haori und darüber noch einen schwarzen Haori. Seine Waffen legte er nicht an, da es üblich war, bei einem solchen Anlass – einem friedlichen Fest – keine Waffen bei sich zu tragen. Gemeinsam mit seinem Vater betrat er den Raum, in dem sich schon fast alle anderen versammelt hatten. Unauffällig suchte er nach Ayashi, doch fand sie nicht unter den Gästen, während er die Verbündeten seines Vaters begrüßte. Inu-no-taishou legte Kataga seine Hand auf die Schulter und beteuerte ihm, dass er sich sehr freute, ihn unter diesen freudigen Umständen zu sehen, was Kataga erwiderte. Sesshoumaru verneigte sich höflich vor ihm und folgte dem Gespräch der beiden Youkai aufmerksam. „Wo sind deine beiden Töchter?“ fragte Inu-no-taishou und Kataga winkte ab. „Sie kommen wahrscheinlich wieder so knapp wie möglich.“ entgegnete er und sah zu Sesshoumaru, was ihn sich fragen ließ, ob er etwas ahnte, den Gedanken jedoch schnell wieder beiseite schob. „Entschuldigt mich bitte, dort drüben ist jemand, den ich begrüßen möchte.“ sagte Sesshoumaru und entfernte sich von seinem Vater und Kataga, um Ban und Yoru zu begrüßen. Inu-no-taishou sah ihm nach und wandte dann wieder den Blick zu Kataga, der Sesshoumaru ebenfalls musterte. „Sesshoumaru ist immer noch nicht einverstanden?“ fragte Kataga, worauf Inu-no-taishou den Kopf schüttelte. „Er wird sich mit meiner Entscheidung abfinden müssen.“ fügte er hinzu und Kataga nickte. „Er hält sich gut.“ bemerkte Kataga und fuhr fort: „Es ist schwierig, euch beiden euren Zwist anzusehen. Ich bin davon überzeugt, dass das so bleiben muss. Wenn unsere Feinde von eurem Zerwürfnis erfahren…“ „Früher oder später werden sie von unserer Uneinigkeit erfahren, Kataga.“ „Was glaubst du, was dann geschieht?“ „Ich weiß es nicht. Das wird die Zeit lehren. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass sie versuchen werden, Sesshoumaru für sich zu gewinnen.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dich verraten würde.“ widersprach Kataga, doch Inu-no-taishou nickte. „Ja, es fällt mir auch schwer, doch ich muss diese Möglichkeit immer bedenken. Er könnte sich als mein Feind gegen mich und Izayoi wenden.“ „Du vertraust ihm nicht mehr… Bemerkt er das?“ „Natürlich bemerkt er es. Sesshoumaru ist nicht dumm.“ entgegnete Inu-no-taishou und betrachtete seinen Sohn aus der Entfernung. Sollte Sesshoumaru sich von ihm abwenden und mit seinen Feinden kooperieren, würde er einen wichtigen und starken Partner verlieren, was durchaus schmerzhaft für ihn selbst werden würde, doch er war nicht bereit, Izayoi aufzugeben – nicht einmal für das Wohl seines Sohnes. Kapitel 67: ------------ Ayashi und Ayame schritten gemeinsam die Gänge entlang, auf denen ihnen andere Gäste begegneten, sodass sie wusste, dass sie noch nicht zu spät waren. „Ich habe keine Lust.“ beklagte sich Ayame und führte ihr Problem weiter aus: „Ich habe keine Lust auf diese steife, offizielle Atmosphäre, die oberflächlichen Gespräche und das zurückhaltende Benehmen.“ „Ich verstehe dich.“ versicherte Ayashi, wusste jedoch, dass sie Ayame gar nicht s genau verstehen konnte: erstens war sie selbst zu Zurückhaltung in der Öffentlichkeit erzogen worden, sodass sie ihre Maske mit Gewohnheit und Können trug. Zweitens brannte sie darauf, Sesshoumaru zu sehen, wofür sie alles, aber auch wirklich alles, auf sich genommen hätte. „Das bezweifle ich.“ murmelte Ayame und hängte sich bei ihrer Schwester ein, als sie durch die Tür in den Saal traten. Mehrere Gäste drehten die Köpfe in ihre Richtung, als sie eintraten, blieben jedoch still stehen und kamen nicht herüber zu ihnen. Katsumoto war beschäftigt und begrüßte Verbündete von Soba, während Kataga bei Inu-no-taishou stand und seine Töchter entdeckte. Ayashi sah, wie er sich bei Inu-no-taishou entschuldigte, und zu ihnen kam, um sie zu begrüßen. Inu-no-taishou blickte ihm nach und wartete ab, bis der Vater die Töchter begrüßt hatte und einigen seiner Verbündeten vorstellte, die Wolfsyoukai waren, ehe er sich ihnen näherte und seinem Sohn zu verstehen gab, dass er Ayashi und Ayame seine Aufwartung machen sollte. Ayashi beobachtete aus den Augenwinkeln, wie er seinem Gesprächspartner die Hand auf den Unterarm legte, sich entschuldigte und von ihm entfernte, um dem Wunsch seines Vaters nachzukommen. Sie sah, wie er mit geschmeidigen Schritten den Raum durchquerte, und bemerkte, dass er sie unmerklich ebenfalls mit seinem Blick gefangen hielt. Inu-no-taishou sagte Worte der Begrüßung, die Ayashi nicht hörte, weshalb sie die gewöhnliche Floskel entgegnete, und sich wie in Trance von ihm auf die Stirn küssen ließ. Er durfte das – im Gegensatz zu seinem Sohn, dem der Sinn mit Sicherheit nach einem anderen Kuss stand. Ayashi lächelte Inu-no-taishou an und schob ihre kleine Schwester vor ihn. „Ayame, es ist schon lange her, dass ich dich sah. Ich denke, du erinnerst dich nicht mehr, oder?“ fragte Inu-no-taishou, während Ayashi einen Blick zu Sesshoumaru warf, der abwartete, bis er sprechen durfte. „Nein, ich erinnere mich tatsächlich nicht. Es ist mir eine Ehre, Inu-no-taishou-Sama.“ erwiderte Ayame und verneigte sich höflich. „Du hast wunderbare Töchter, Kataga… Ich kann mich nur wiederholen.“ meinte Sesshoumarus Vater und lächelte, während er sich zu seinem Sohn wandte und ihn somit endlich in den Kreis einbezog. „Sesshoumaru.“ sagte er und Sesshoumaru verneigte sich vor den beiden weiblichen Youkai, was sie erwiderten. „Es erfüllt mich mit Freude, Euch wieder zu sehen, Hime-Sama, und Eure Schwester kennen zu lernen.“ „Die Freude ist auf unserer Seite.“ versicherte Ayashi ruhig und lächelte ein wenig. „Es ist eine Ehre, Sesshoumaru-Sama.“ entgegnete Ayame und warf ihrer Schwester einen prüfenden Blick zu. Sie wusste, dass sich die beiden im letzten Krieg kennen gelernt hatten, doch sie wusste nicht, dass sie sich dennoch so fern standen. Ayame seufzte innerlich. Es war unglaublich, mit wie viel Distanz sie sich einander begegneten, obwohl Ayashi Sesshoumarus Leben gerettet hatte, doch so hatten es wohl beide gelernt. Sie verstand die Welt und ihre strengen, einschränkenden Regeln wirklich nicht. Was war so schlimm daran, seine Freude darüber, jemanden zu sehen, auch zu zeigen und nicht nur durch Worte zu beteuern? Ayashi beantwortete gerade eine Frage von Inu-no-taishou, als Katsumoto zu der kleinen Gruppe stieß und Kataga, Inu-no-taishou und Ayame bat, Kougas Vater zu begrüßen. Ayashis Vater bewegte sich etwas unwillig von der Seite seiner Tochter weg, doch Ayashi hatte Kougas Vater bereits begrüßt, weshalb er sich zum Gehen wandte. Sesshoumaru blickte ihnen nach und bemerkte, dass Ayashi auf Distanz blieb und ihn immer nur ganz kurz anblickte. „Wie geht es dir?“ fragte sie leise, während sie den Blick über die verschiedenen Gäste streifen ließ. „Dich nicht zu sehen und von dir getrennt zu sein, war schlimm. Ich dachte, wenn ich dich wieder sehe, würden meine Qualen ein Ende haben, allerdings ist es die grausamste Folter, dich zu sehen und dir trotzdem nicht nah sein zu dürfen.“ entgegnete er leise und ballte seine Finger zu Fäusten, um dem Verlangen zu widerstehen, sie hier vor aller Augen an sich zu ziehen und zu berühren. „Ich weiß, dass du stark bist, Sesshoumaru.“ lächelte Ayashi gezwungen ruhig und drehte sich etwas, sodass sie unbemerkt mit ihren Fingern über den unteren Saum seines Ärmels streichen konnte. „Ayashi, versuche mich nicht.“ raunte er ihr zu und richtete seinen Blick auf einen entfernten Punkt an der gegenüberliegenden Wand. „Verzeih’ mir.“ hauchte sie ehrlich, musste jedoch beinahe lächeln, und nahm ihre Hand zurück. „Der Youkai dort hinten schaut dich an.“ bemerkte Sesshoumaru mit gepresster Stimme. Ayashi blickte in seine Richtung und erkannte Ishiki, der sich mit seinen Gefährten und seinem Bruder unterhielt, jedoch klar in ihre Richtung schaute. „Das ist Ishiki.“ erklärte Ayashi, doch Sesshoumaru nickte nur und meinte: „Ich weiß, wer er ist.“ „Ich habe dir von ihm erzählt, oder nicht? Er hilft mir bei meinen Kampfübungen und verbringt auch sonst Zeit mit mir.“ „Er verbringt Zeit mit dir?“ fragte Sesshoumaru nach und Ayashi entging nicht der verletzt Tonfall, weshalb sie annahm, dass er eifersüchtig war. „Sesshoumaru…“ begann sie, doch Kataga näherte sich ihnen, weshalb Ayashi nicht weitersprechen konnte. Der Empfang und das Fest zogen sich in die Länge und kamen Ayashi und Ayame beinahe unerträglich vor. Ayame vermisste Kouga unter den Gästen, war aber dennoch auch froh, dass er nicht anwesend war, was sie enorm verwirrte, da sie ihre Gedanken nicht nachvollziehen konnte und ihre Gefühle nicht verstand. Ayashi litt darunter, dass Sesshoumaru schräg gegenüber von ihr Platz genommen hatte, sie sich aber dennoch nicht unterhalten konnten – nicht einmal über Belangloses, denn darüber redete man nicht mit einer Hime. Es folgten Reden und Segenswünsche für das Paar, dann löste sich die Gesellschaft endlich allmählich auf, doch Ayashi und Ayame mussten aus Höflichkeit bleiben, und sich schließlich auch mit den wenigen Gästen, die zu den engen Freunde zählten, nach draußen unter den freien Himmel setzen, wo die Stimmung zwar nicht mehr so steif, doch trotzdem nicht ausgelassen war. Sie hörte den anderen zu, die sich über bevorstehende Ereignisse austauschten, und auch den jüngeren unter ihnen Dinge erzählten, die sie wegen ihres jungen Alters nicht wissen konnten. Ayashi fühlte sich in ihre Kindheit zurückversetzt. Sie hatte oft bei ihrem Vater oder Onkel gesessen und ihren Geschichten, den Legenden, Sagen und Mythen über die Stammväter der Wolfsyoukai gelauscht, und sich dabei sehr wohl gefühlt, da sie in diesen beinahe magischen Momenten ihre Vergangenheit und die Vergangenheit ihres Volkes lebendig gespürt hatte. Wie in jenen Nächten waren prasselnde Feuer entfacht worden, die über die gesamte Ebene verteilt waren und leuchtende, tanzende Punkte in der Dunkelheit bildeten. Ihre Entsprechungen hoch oben schienen die Sterne am klaren Himmel zu sein. Ayashi bemerkte, wie sie in ihren eigenen Gedanken versank, und sich vorstellte, alleine mit Sesshoumaru an diesem Ort zu sein. Kapitel 68: ------------ Der Morgen graute bereits, als sich die letzten Youkai aus den kleinen Gruppen erhoben und in ihre Schlafgemächer zurückzogen. Ayashi blickte sich noch einmal schnell nach Sesshoumaru um, während sie mit Ayame nach drinnen ging, und begegnete seinem Blick. Kataga, Katsumoto und Inu-no-taishou gingen in eine andere Richtung davon, weshalb Ayashi Ayame bat, schon voraus zu gehen, und selbst im dürftigen Schutz eines Wandvorsprungs auf Sesshoumaru wartete. „Das ist gefährlich, Ayashi.“ murmelte er, als er sich ihr sehr langsam näherte. „Geh’ heute nach Osten, wenn du es schaffst. Geh’ bis zur Küste. Ich werde heute so viel Zeit wie möglich dort verbringen.“ bat sie und sah, dass er nickte. „Ich werde es versuchen.“ versprach er und streifte mit seiner Hand ihre, doch blieb nicht stehen, ehe er nach drinnen verschwand. Ayashi lehnte sich gegen die Wand und atmete tief durch. Eine ihrer Hände zog eine Haarklammer aus ihrer Frisur und umklammerte sie zitternd, während sie ihre Finger über die Stelle streichen ließ, die er berührt hatte. Es war, als ginge eine Welle von Wärme von ihr aus. Es war furchtbar, getrennt von ihm zu sein, doch es ging nicht anders. Es musste sein – für beide von ihnen war es sicherer und noch dazu konnte ein solcher Skandal beide Familien in enorme Schwierigkeiten bringen. Langsam ging Ayashi den Gang entlang und bemerkte, dass Ayame vor ihrem Zimmer auf sie wartete und ihr prüfend entgegen blickte. „Was gibt es, Ayame? Ich dachte, du wolltest gleich schlafen gehen.“ meinte Ayashi ruhig und öffnete die Tür zu ihrem Gemach, in das sie Ayame vor sich selbst eintreten ließ. „Was hast du gemacht?“ fragte Ayame. „Ich habe bemerkt, dass mir eine Haarklammer heruntergefallen ist. Ich wollte sie noch suchen.“ „Hast du sie gefunden?“ „Ja, hier ist sie.“ meinte Ayashi und zeigte ihr die Haarklammer in ihrer Hand. „Was kann ich für dich tun, Ayame?“ „Ich… muss dir etwas sagen, glaube ich.“ begann Ayame zögerlich und setzte sich auf Ayashis Bett, während Ayashi begann, ihren Kimono und ihr Haar zu lösen. „Du scheinst in letzter Zeit so abwesend…“ „Ich denke in letzter Zeit sehr viel über schwierige Dinge nach. Es kann sein, dass du das meinst.“ „Worüber denkst du nach?“ „Inu-no-taishou und seine Familie. Und diese Frau.“ „Izayoi.“ flüsterte Ayame und Ayashi nickte, während sie ihren Haarschmuck zur Seite legte. „Ayame…“ „Ja, ich weiß, ich sollte dir endlich sagen, warum ich hier bin!“ entgegnete Ayame schnell, atmete tief durch und erzählte schließlich: „Das Problem mit Izayoi – es ist ein Problem, nicht wahr? – scheint in aller Munde zu sein.“ „Ja, es ist gefährlich, was Inu-no-taishou macht.“ „Soba und Satori haben sich gestern lange und hinter verschlossener Tür darüber unterhalten.“ „Hast du zugehört?“ fragte Ayashi, da Ayame den Blick senkte. „Ich wollte mit Sicherheit nicht lauschen, aber als ich gehört habe, um was es ging, konnte ich nicht anders. Sie haben nichts bemerkt.“ „Was haben sie gesagt?“ fragte Ayashi scheinbar beiläufig und streifte sich ihren oberen Kimono ab. „Ich habe gehört, dass Soba diese Sterbliche hasst und Satori hat auch keine gute Meinung von ihr.“ „Das überrascht mich nicht.“ gab Ayashi zu, als sie darüber nachdachte, dass Soba schon immer sehr großen Wert auf die Herkunft eines Herren oder einer Herrin gelegt hatte. „Sie haben gesagt, dass sie es nicht dulden würden, wenn Inu-no-taishou Izayoi zu seiner neuen Gefährtin macht… Ich meine, Ayashi, ist sie wirklich so schlimm? Was war so besonders an Ajisai, Inu-no-taishous früherer Gefährtin?“ „Nun, Ajisai… Ajisai war vielleicht nicht anders als andere weibliche Youkai, doch sie war eben Youkai. Es ist kompliziert.“ wich Ayashi aus und versuchte, trotz dieser Neuigkeiten ruhig zu bleiben. „Dann versuche wenigstens, es zu erklären. Ich kenne Ajisai nicht.“ bat Ayame und Ayashi nickte. „Ja, sie starb vor deiner Geburt.“ erinnerte sich Ayashi und dachte an den Moment zurück, in dem sie alles über den Tod Ajisais erfahren hatte. „Während Inu-no-taishou vor hunderten von Jahren noch die kleineren Hundeyoukai-Stämme der Westlichen Länder einigte, hatte Ajisais Familie schon lange über das Nordland in Hokkaido geherrscht. Naminokaze, Ajisais Vater, sah damals in Inu-no-taishou einen guten Verbündeten, und bot ihm seine älteste Tochter als Gefährtin an, um das Bündnis zu stärken. Beide willigten ein.“ „Einfach so? Ohne sich gesehen zu haben?“ fragte Ayame dazwischen. „Es waren unsichere Zeiten damals – und beide hatte keine andere Wahl. Inu-no-taishou konnte nicht ablehnen, da er Naminokaze und dessen Familie sonst unsagbar beleidigt und vor den Kopf gestoßen hätte. Ajisai willigte aus Pflichtgefühl gegenüber ihrem Vater ein, doch soweit ich weiß, was das nicht die schlechteste Entscheidung, die beide getroffen hatten. Das Bündnis war stark und ihre Beziehung basierte auf Respekt und Vertrauen. Dann kam ihr Sohn zur Welt.“ „Sesshoumaru.“ meinte Ayame und Ayashi nickte, ehe sie fortfuhr: „Sesshoumaru, ja. Leider verging nicht viel Zeit, ehe es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kam. Yari, der Gefährte von Ajisais Schwester Yume, versuchte einen Umsturz, der allerdings fehlschlug. Er wurde aus Japan vertrieben und wurde nie wieder gesehen. Yume, die von all seinen Plänen nichts gewusst hatte, kümmerte sich um den tödlich verletzten Vater Naminokaze, der schließlich, da er seinen Tod nahen sah, nach Ajisai rief, damit sie an seiner Stelle die Herrschaft übernehmen konnte und kein Krieg unter den höchsten Youkai um die Herrschaft ausbrechen würde.“ „Und das konnte sie so einfach? Die Nachfolge ihres Vaters antreten, meine ich. Immerhin hatte sie Verpflichtungen in den Westlichen Ländern.“ unterbrach Ayame. „Sicher, doch sie bat Inu-no-taishou darum, den Willen ihres Vaters erfüllen zu können, damit sie sich im Einverständnis trennen konnten. Er ließ sie gehen. Ajisai wurde als rechtmäßige Nachfolgerin eingesetzt und eine weitere kriegerische Auseinandersetzung verhindert.“ „Sie hat also ihre Pflicht über alles andere gestellt.“ „Ja, und damit hat sie einen Krieg verhindert.“ „Sie hat ihren Sohn und ihren Gefährten verlassen.“ „Was hättest du getan?“ „Ich weiß es nicht. Weißt du es?“ „Ob ich weiß, was ich getan hätte?“ fragte Ayashi und Ayame nickte. „Ich weiß es auch nicht. Ich weiß nur, dass es Dinge gibt, die Opfer und kühle Vernunft erfordern.“ „Inu-no-taishou… Izayoi. Izayoi als Nachfolgerin einer solchen Youkai.“ überlegte Ayame laut und schüttelte den Kopf. „Ich denke, ich weiß jetzt, warum Soba und Satori so aufgebracht sind.“ „Ajisai hätte niemals zugelassen, dass das politische Gleichgewicht leichtfertig gefährdet wird.“ murmelte Ayashi und erklärte Ayame, dass Kataga diesen Satz einmal zu ihr gesagt hatte. „Ayashi, denkst du, es wird zum Krieg kommen?“ fragte Ayame und Ayashi zuckte die Schultern. „Soba hat etwas gesagt, das mir Angst macht…“ „Was denn?“ „Sie hat gesagt, dass Satori Einfluss auf Katsumoto nehmen muss. Es sei sehr, sehr wichtig. Glaubst du… Würde sich Katsumoto von Satori beeinflussen lassen?“ „Wie ich unseren Onkel kenne, ist er nicht leicht zu beeinflussen.“ versicherte Ayashi, doch so sicher war sie sich selbst nicht. Ayame schwieg, erhob sich und verließ nach einem kurzen Nicken Ayashis Zimmer. Ayashi blieb allein zurück. Sie würde ebenso wie Kataga gegenüber Inu-no-taishou loyal bleiben, auch wenn sie anders über Izayoi dachte, als ihr Vater. Soba und Satori waren dazu bereit, Inu-no-taishou zu verraten. Katsumoto würde vielleicht in diesen Verrat hineingezogen werden, was sie nicht hoffte. Wenn Katsumoto zum Verräter wurde… Ayashi schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Es graute ihr vor dem Moment, in dem sie Sesshoumaru vor ihrer eigenen Familie warnen musste. Kapitel 69: ------------ Ayashi machte sich so schnell wie möglich zur Küste auf, um dort den gesamten Tag auf Sesshoumaru zu warten. Sie hatte ein Bad genommen, sich umgezogen und ungesehen das Schloss verlassen, da die meisten Gäste schliefen oder sich ausruhten und die Diener alle Hände voll zu tun hatten. Schnell eilte sie durch das hohe Gras, durchstreifte die Wälder und erreichte die steilen Klippen, die tief hinab ins tosende Meer fielen. Der Wind spielte mit ihren Haaren, als sie plötzlich seine Anwesenheit wahrnahm, sich umdrehte und ihn auf sie zukommen sah. Ihr Herz schlug heftig gegen ihre Brust, in ihrem Kopf drehte sich alles und ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie hatte so lange auf diesen Moment gewartet – zu lange. „Ayashi.“ flüsterte er, als er vor ihr stehen blieb. Nun war er da. Bei ihr. Sie konnte nichts anderes erwidern, als ihn fest zu umarmen, sich an ihn zu drücken und ihre Tränen zu bekämpfen, was ihr auch gelang. Sesshoumarus Arme umfingen sie stark und gaben ihr das Gefühl, dass nur sie es waren, die sie überhaupt noch zusammen hielten, denn ihr Inneres fühlte sich aufgewühlt, zerrissen und zersplittert an. Seine Anwesenheit heilte sie. „Sesshoumaru.“ brachte sie schließlich über die Lippen, entließ ihn aus ihrem Griff und streckte sich zitternd zu seinen Lippen nach oben. Sie küssten sich lange und leidenschaftlich. Immer wieder verweigerte es Sesshoumaru ihr, sich zurückzuziehen, und verwickelte sie in erneute Zärtlichkeiten, küsste ihren Kiefer, ihren Hals, ihre Wangen, fuhr mit seinen Händen über ihren Rücken, ihren Nacken und in ihr offenes Haar, während Ayashi seinen erwachenden Körper an ihrem spürte, was sie beinahe um den Verstand brachte. Ihre Hände lösten sich von ihm und tasteten nach seinen, die sich in ihre Taille vergruben hatten, ehe sie sich bebend und widerstrebend von ihm löste. Sie blickte ihn an und lächelte, als sein Blick sich begierig auf sie richtete und ihr nur eines bedeutete, nämlich dass er sie wollte. „Komm’ mit mir!“ bat sie und strich ihm sanft über die Lippen. „Überall hin.“ gab er zurück, verhalf sich noch einmal zu einem intensiven Kuss, durch den Ayashi beinahe vergaß, wohin sie mit ihm wollte, und ließ dann von ihr ab. Ayashi führte ihn zu einer Stelle an der Klippe ein wenig weiter weg, ließ sich auf den Boden nieder und brachte ihre Beine über den Rand der Klippe. „Ayashi…“ „Keine Sorge, Sesshoumaru. Ich kenne den Weg.“ beruhigte Ayashi und begann zu klettern. Als sie nur noch ihre Oberarme auf den Boden oberhalb des Abgrunds legen konnte, warf sie ihm noch einen Blick zu, dann kletterte sie weiter mit Hilfe von großen Felsvorsprüngen hinab, wandte sich schließlich nach rechts und bahnte sich ihren Weg am steilen Abgrund entlang, während sie immer wieder Blicke zu Sesshoumaru warf, der ihr auf ihrem Weg folgte. „Siehst du das dort vorne?“ fragte sie nach kurzer Zeit und wies mit einer Hand auf eine große, zerklüftete Stelle schräg unter sich. „Ja, was ist das?“ fragte Sesshoumaru, als er der Richtung ihrer Hand mit den Augen folgte. „Unser Ziel.“ flüsterte sie und blickte ihn an. Seine Augen glitzerten aufmerksam, wanderten hinab zu ihren Lippen, ehe er ihnen seine Lippen folgen ließ. Ayashi festigte ihren Halt und unterbrach den Kuss, indem sie sich von ihm zurückzog. „Geduld.“ flüsterte sie und warf einen Blick hinab in die Tiefe. „Ich würde gerne lebend ankommen.“ „Ich würde dich niemals abstürzen lassen.“ grinste er und Ayashi nickte. „Du würdest mich tragen, wenn ich das zulassen würde, aber…“ begann Ayashi und kletterte weiter. „… ich bin froh, dass ich das alleine kann.“ Sesshoumaru blickte Ayashi hinterher und Stolz und Bewunderung erfüllte ihn. Es war nicht so sehr die Tatsache, dass sie als Hime Steilhänge hinabkletterte und somit Gefahren und Risiken auf sich nahm, um mit ihm allein zu sein – wobei sie beide, da sie Youkai waren, mit ihren gesteigerten Fähigkeiten keine Schwierigkeiten damit hatten, zu klettern und das Gleichgewicht zu halten. Es war die Tatsache, dass sie ihn erwählt hatte. Ihn, Sesshoumaru. Und es war die Tatsache, dass seine Liebe von ihr genauso stark erwidert wie sie von ihm entgegen gebracht wurde. Kurze Zeit später erreichte Ayashi die zerklüftete Stelle und kletterte hinab, wo ihre Füße in weichem Gras versanken. Sesshoumaru folgte ihr und blickte sich um. Was von oben so unscheinbar ausgesehen hatte, entpuppte sich als riesiges Loch in der Felswand, dessen Boden gerade und mit Gras bedeckt war. Die Felswand hoch über ihnen bildete zwar ein Dach, doch trotzdem beleuchteten Sonnenstrahlen das Gras. Unter ihnen hörten sie das Meer gegen die Felsen schlagen. Direkt vor ihnen breitete sich der weite Ozean aus, über den Schwärme von Seevögeln ihre Kreise auf Beutefang nach kleinen Fischen zogen. „Ayashi…“ begann er, doch verstummte, als er sie in die Ferne blicken sah. Der Wind hatte einige ihrer schwarzen, langen Haarsträhnen erfasst, sodass sie Sesshoumaru streichelten. Er nahm sie zwischen seine Finger und führte sie zu seinem Gesicht, sodass er ihren Duft einatmen konnte. „Ich war schon lange nicht mehr hier.“ bemerkte sie leise, ohne den Blick vom Horizont abzuwenden. „Niemand weiß von diesem Ort.“ fügte sie hinzu, sah zu ihm und bemerkte, dass er leicht lächelte. „Und niemand kann uns sehen.“ entgegnete er, worauf Ayashi nickte, Sesshoumaru zu sich zog und mit ihm in einen leidenschaftlichen Kuss versank. Sesshoumaru umfasste sie mit seinen starken Armen, schob sie ein gutes Stück vom Rand ihres kleinen Zufluchtsortes zurück, an dem sie ganz ungestört sein konnten, und ließ sich mit ihr auf den weichen Boden nieder. Ayashi zog ihn mit sich, als sie sich zurücklehnte, gab sich seinen fiebrigen Küssen und Zärtlichkeiten hin, erwiderte sie, bis sie sich vor Lust bebend leicht von ihm löste und sich mit ungeduldigen Fingern an seiner Kleidung zu schaffen machte. Sie befreite ihn von seinen beiden Haoris und ließ ihren Blick über seinen muskulösen Oberkörper streifen, streichelte seine Haut und beobachtete, wie seine Muskeln unter ihrer Hand leicht zuckten. Ayashi lächelte und blickte ihm ins Gesicht. Er biss sich auf die Unterlippe und hielt ihren Blick, als sie ihn langsam auf den Boden drängte, damit sie sich über ihn beugen konnte. Sesshoumaru schloss die Augen, als er ihr leichtes Gewicht auf sich spürte und sich ihre Lippen auf seine senkten, seinen Kiefer küssten und seinen Hals, während ihre Hände über seine Brust, seinen Bauch und seine Oberarme streichelten. Die Wärme ihres Körpers drang durch ihre Kleidung gegen seinen Körper und plötzlich hatte sie viel zu viel an. Ayashi sank mit den Lippen gegen seine Brustwarzen und spielte mit kreisenden, neckischen Bewegungen mit ihnen, was Sesshoumaru mit einem genießerischen, kehligem Geräusch und einer zuckenden Beckenbewegung beantwortete. Ohne ihr Spiel zu unterbrechen, löste Ayashi den Obi ihres einfachen Kimonos, und sank schließlich tiefer hinab, küsste Sesshoumarus Bauchmuskeln bis hinab zum Bund seines Hakamas, den sie währenddessen aufband. Sesshoumaru hatte es bisher alle Selbstbeherrschung gekostet, Ayashis Liebkosungen zu genießen, und sie nicht gleich zu nehmen, doch nun zog er sie zu sich nach oben, fuhr in ihr gelöstes Gewand und riss es ihr beinahe von den Schultern. Ayashi stöhnte auf, als seine warmen Hände schneller als erwartet ihre erhitzte Haut berührten und über ihre Brustwarzen streichelten, während er sie auf den Rücken drehte. Seine Lippen und Zunge, die ihren Oberkörper mit verführerischen Künsten in Besitz nahmen, ließen sie innerhalb von kurzer in seinen Armen wie Wachs zergehen, doch er dachte noch nicht daran, ihre süßen Qualen zu beenden. Er wollte genießen, dass sie bei ihm war, auch wenn seine eigene Lust und Bereitschaft inzwischen alles andere als noch mehr angereizt werden musste. Sesshoumaru küsste ihren Halsansatz, ihre Brustwarzen und wanderte mit seiner Hand hinab, wo er zwei Finger in Ayashis feuchte Mitte sinken ließ. Sie stöhnte und spreizte ihre Beine, sobald er sie berührte, zitterte, als er sich für einen kurzen Moment zurückzog, ihre Lippen küsste und sich gleichzeitig von seiner restlichen Kleidung befreite. Sein Blick glitt über ihren schönen, wohlgeformten Körper und blieb an ihren dunkelgrünen Augen hängen. Langsam brachte er seine Hand wieder zu ihrem Zentrum zurück und beobachtete das genießende Lächeln auf ihren Zügen, als er sie erneut streichelte, sah, wie sie ihre Unterlippe mit ihren Zähnen umklammerte und schwer atmend ihr Becken bewegte, als er zwei Finger immer wieder vorsichtig in sie hineingleiten ließ. Ihre Hände krallten sich in seine Oberarme, als er sie zu einem heftigen Höhepunkt brachte, und ließen ihn auch nicht los, als die letzte Welle der Entzückung ihre Glieder für kurze Zeit befriedigt ermatten ließ, ehe ihre Lust sie erneut einnahm. „Sesshoumaru…“ stöhnte sie, als er seine Lippen zu ihren senkte, seine Hand aber nicht von ihrem Lustzentrum zurückzog. Ayashi ließ sich in einen sinnlichen Kuss verwickeln, spürte, wie er sein Gewicht verlagerte, seine Hand wegnahm und sich mit einem Ellenbogen neben ihr abstützte. Er hielt einen Moment inne, als sie ihm ihre Schenkel noch weiter öffnete, ihre Arme um ihn schlang und zu ihm nach oben blickte, ehe er sich selbst in die Hand nahm, zu ihrer Öffnung führte und mit einer vorsichtigen Bewegung in sie sank. Sesshoumaru stöhnte und legte den Kopf in den Nacken, als er fühlte, wie Ayashis Körper sich warm um ihn schloss, und sammelte sich einen kurzen Augenblick, ehe er begann, sich in ihr lustvoll zu bewegen und sich mit ihr sinnlich und leidenschaftlich in Liebe zu vereinigen. Kapitel 70: ------------ Ayashi verabschiedete sich am späten Nachmittag von Sesshoumaru und suchte die heiße Quelle auf, in der sie sich waschen würde, obwohl Sesshoumarus Geruch natürlich auch an ihrer Kleidung zu finden war. Sie wusste, dass das nicht weiter auffallen würde, da Sesshoumaru sich im Schloss aufhielt und es so selbstverständlich war, dass auch sein Geruch zu finden war – irgendwo unter den zahlreichen anderen. Sesshoumaru hatte gesagt, dass er im Meer schwimmen würde, dann aber ebenfalls ins Schloss zurückkehren würde, da mit der Dämmerung des Abends Katsumotos und Satoris Verbindung ein weiteres Mal gefeiert würde. Ayashi war versucht gewesen, mit ihm schwimmen zu gehen, doch das hätte beide keinen Schritt weitergebracht, da beiden klar gewesen war, was denn geschehen würde: Sie hatten nun einmal noch nicht genug voneinander. Als Ayashi später am Nachmittag zurück ins Schloss kam, hatte keiner ihre Abwesenheit bemerkt, weshalb sie ohne Umwege zurück in ihr Zimmer ging, ihren Kimono auszog und sich in einen seidenen Mantel hüllte, ehe sie die Dienerinnen davon in Kenntnis setzte, dass sie ein Bad nehmen wollte. Wenig später saß sie wieder in einer Wanne mit schön warmem Wasser und dachte mit geschlossenen Augen an Sesshoumaru. „Ayashi?“ drang plötzlich die Stimme ihres Vaters durch die Tür zu ihrem Zimmer, was sie schlagartig aus ihren Gedanken riss. „Ja?“ antwortete sie und ließ ihn damit eintreten, da die Wanne sich eh hinter einem blickdichten Wandschirm befand. Sie hörte, wie er die Tür aufschob, und stieg aus dem Wasser, hüllte sich in ein großes Tuch und strich sich das Haar über eine Seite nach vorne. „Entschuldige. Ich wusste nicht, dass du ein Bad nimmst…“ bemerkte er und ging einige Schritte in Ayashis Zimmer hinein. „Ich bin bereits fertig.“ versicherte Ayashi und fragte: „Was kann ich für dich tun?“ „Ich nahm an, dass du mir noch böse bist.“ meinte er ohne Umschweife und Ayashi schloss die Augen. Sie hatte den Streit mit ihrem Vater völlig vergessen und auch nun keine sonderlich große Lust, genau dort den Streit wieder aufzunehmen, wo er geendet hatte. „Ich bin anderer Meinung als du, aber deshalb bin ich dir noch lange nicht böse.“ entgegnete sie vorsichtig und bemerkte, dass sie auch etwas diplomatischer hätte sein können. „Ich verstehe deine Meinung, doch ich teile sie nicht.“ erwiderte Kataga und Ayashi trat hinter dem Wandschirm hervor in ihr Zimmer „Ich weiß.“ sagte sie und sah ihren Vater an, der sie überrascht anblickte. Seine Tochter kam ihm verändert vor. Ohne Schmuck und Schminke, mit offenem, nassem Haar und ohne Kimono, der ihre Formen kaschierte, da er aus zu viel Stoff bestand, sah sie aus atemberaubend schön aus. Ein glänzender Schimmer lag noch immer auf ihrer zarten Haut. Ihr Duft war mit Sicherheit für jeden Youkai, der nicht ihr Vater oder anderweitig mit ihr verwandt war, überaus betörend. Ayashi wandte sich ab und wollte sich einen ihrer Kimonos aussuchen, doch Kataga meinte: „Ich habe ein Geschenk für dich.“ „Ein Geschenk?“ fragte Ayashi und drehte sich wieder um. Kataga wies auf ein großes Bündel, das er zuvor auf ihren Stuhl gelegt haben musste, und trat einen Schritt zurück, sodass Ayashi es an sich nehmen konnte. „Was ist es?“ wollte sie wissen, doch er schüttelte den Kopf und meinte, sie müsse es schon auspacken. Ayashi raffte das Tuch, das sie um sich geschlungen hatte, nahm das Bündel an sich und setzte sich damit auf ihr Bett, um es auszupacken. Ihre Finger fühlten, dass es etwas Weiches war, und sie vermutete schon, was es war, doch als das Innere zum Vorschein kam, verschlug es ihr dennoch die Sprache. Vorsichtig fuhr sie mit den Händen über den feinen Stoff aus dunkelroter Seide, der an den manchen Stellen wie am Kragen und an den unteren Abschnitten der Ärmel mit Gold gewirkten Ornamenten von zarten Ranken, Blattmustern und Blüten verziert war. Langsam löste sie das Geschenk von seiner äußeren Hülle und breitete den Kimono immer noch sprachlos auf ihrem Bett aus, sodass sie ihn ganz betrachten konnte. Der Stoff des oberen, dunkelroten Kimonos floss sanft und geschmeidig wie Wasser über das Bett, ebenso weich und zart war der schwarze Obi, der an beiden Rändern ebenfalls mit goldenen Ornamenten bestickt war, und der schwarze, untere Kimono, der ebenso weich und zart war wie das Blatt einer Blüte. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Vater. Ein einfaches Dankeschön reicht wohl kaum aus. Der Kimono ist wunderschön!“ fand Ayashi schließlich ihre Sprache wieder und Kataga lächelte. „Ich bin froh, dass er dir gefällt.“ meinte er nur und betrachtete weiter seine Tochter, die wieder in Schweigen verfallen war und sich offenbar nicht an seinem Geschenk satt sehen konnte. „Ich möchte, dass du ihn heute Abend trägst.“ „Natürlich.“ versicherte sie und nickte. Kataga strich seiner Tochter lächelnd über den Kopf und fuhr hinab zu ihrer Schulter, wo er seine Hand liegen ließ. „Entschuldige mich bitte, Ayashi. Ich habe Katsumoto um eine Unterredung gebeten.“ sagte er schließlich und verließ nach einem kurzen Nicken das Zimmer seiner ältesten Tochter. Ayashi blieb allein zurück und betrachtete den Kimono, der langsam ein bestimmtes Gefühl in ihr weckte, das sie nicht richtig einordnen konnte. Unsicherheit. Zweifel. Angst. Eine Mischung daraus. Hatte es einen besonderen Grund, dass ihr Vater ihr dieses Geschenk zu diesem Zeitpunkt brachte? Nötig war es nicht gewesen, denn sie besaß andere, kostbare Gewänder, die für diesen Abend geeignet waren. Verfolgte er vielleicht ein Ziel mit seinem Geschenk? Wollte er sie freundlich stimmen? Wollte er das Ende ihres Streits bekräftigen? Sie wusste es nicht und würde wohl noch eine Weile warten müssen, ehe sie es erfuhr. Am Abend versammelten sich die Youkai im Empfangsraum und warteten darauf, dass Katsumoto eintrat und ihnen die zukünftige Herrin der Südlichen Berge vorstellte. Überall hatten sich kleine Gruppen gebildet, die sich miteinander unterhielten, bis der helle Klang eines Gongs ertönte. Sofort wandten die Youkai den Blick nach vorne und sahen wenig später Katsumoto in einem dunklen Kimono eintreten. Er war mit zwei japanischen Schwertern bewaffnet, die an der linken Hüfte steckten, und trug einen Dolch im Obi seines Kimonos. Um die Schultern lag ein langer, dunkler Umhang, der durch ein silbernes Medaillon, an der Brust geschlossen wurde. Sicher stellte er sich vor die versammelten Youkai, grüßte seine beiden Brüder, die mit festen Schritten auf ihn zutraten. Kataga trat als erster vor den jüngeren Bruder und blickte ihm ins Gesicht, legte ihm dann die rechte Hand auf die linke Schulter und sprach: Katsumoto legte seinem älteren Bruder ebenfalls seine rechte Hand auf die linke Schulter und bedankte sich für dessen Worte: „Ich bin dein Bruder. Ich bin Katsumoto, Herr der Südlichen Berge. Du bist mein Bruder. Du bist Kataga, Herr des Westlands. Ich bin aus deiner Familie und herrsche rechtmäßig über die Südlichen Berge. Ich handle rechtschaffen, ehrenvoll und tugendhaft, um Vertrauen, Herkunft und Ansehen zu erhalten und zu vermehren.“ Katsumoto neigte den Kopf, was Kataga erwiderte. Dann trat Kataga einige Schritte zur Seite und ließ Kenko vor den gemeinsamen Bruder treten. Auch er legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach: „„Du bist mein Bruder. Du bist Katsumoto, Herr der Südlichen Berge. Ich bin dein Bruder. Ich bin Kenko, Herr des Nördlichen Hochlands. Ich erkenne deine Abstammung aus meiner Familie an und bezeuge deine rechtmäßige Herrschaft über die Südlichen Berge. Ich bürge für deine Rechtschaffenheit, deine Ehre und deine Tugend.“ Katsumoto bedanke sich noch einmal und versicherte auch seinem anderen Bruder, das er weiterhin seine Pflichten nach den Erwartungen erfüllen würde. Anschließend bezogen Kataga und Kenko als Zeugen in einigem Abstand rechts und links von ihm Stellung, als ein weiterer Gongschlag ertönte und Satori eintrat. Sie trug den traditionellen, edlen Kimono aus weißer Seide mit dunkelrotem Obi und dunkelroten Zierbändern und trat zu Katsumoto, vor dem sie sich ergeben verneigte. Katsumoto verneigte sich ebenfalls leicht vor ihr, richtete sich aber vor ihr wieder auf und berührte sie sanft am Oberarm, während er mit der anderen Hand ihr Kinn hob, damit sie ihn ansah, ehe sie beide die Worte sprachen, die das Protokoll verlangte. „Du bist Satori, Tochter der Herrin des Nordlandes. Dich habe ich erwählt und umworben.“ sagte Katsumoto. „Ich bin Satori, Tochter der Herrin des Nordlandes. Du hast mich erwählt und um mich geworben. Ich bin geehrt und nehme deine Gunst entgegen.“ erwiderte sie. Ayashi wusste, dass in den ältesten Zeiten Gefährte und Gefährtin sich nun mit einem heiligen Dolch gegenseitig in die Innenseite ihrer Handfläche geschnitten hatten und das Blut, das auch für das Blut stand, das sie in der Nacht teilen würden, um ein Kind zu empfangen, in einen Kelch tropfen ließen. Das Blut wurde mit Wasser verdünnt und der Kelch schließlich von Gefährte und Gefährtin getrunken. Inzwischen war man von dieser Tradition abgekommen, weshalb nun ein Diener Kataga einen Kelch mit Traubensirup, der das Blut symbolisierte, reichte, und Kenko eine flache Schale übergab. Kataga hob den Kelch für alle sichtbar nach oben und goss dann einen Teil der Flüssigkeit in die Schale, sodass alle den Inhalt sehen konnten. Dann reichte er den Becher an Katsumoto, der einen Schluck aus ihm trank, ehe er ihn an Satori reichte, die ebenfalls einen Schluck nahm. Sie würden ihr Blut fernab der Öffentlichkeit in der ersten Nacht der Vereinigung teilen. Kapitel 71: ------------ Satori und Katsumoto nahmen gemeinsam die Glück- und Segenswünsche ihrer Gäste entgegen und bedankten sich bei ihnen. Ayashi und Ayame waren froh, dass sie es hinter sich hatten, denn Satori hatte sie angeblickt wie eine Heuschrecke – wer von ihnen die Heuschrecke war, entzog sich Ayashis Kenntnis, aber sie wollte es auch gar nicht wissen. „Dein Kimono ist wirklich einzigartig.“ bemerkte Ayame zum dritten Mal, was sonst nicht ihre Art war, da Kleidung ihr recht wenig bedeutete. „Ein Geschenk von Vater hast du gesagt?“ „Ja, er hat ihn mir am frühen Abend gebracht.“ meinte Ayashi geistesabwesend und betrachtete Sesshoumaru und Inu-no-taishou, die gerade bei Katsumoto standen. „Ishiki kann seine Augen überhaupt nicht von dir abwenden. Und er ist nicht der einzige.“ meinte Ayame und blickte von den Youkai zurück zu ihrer Schwester. „Verständlich.“ fügte sie hinzu und verfiel wieder in Schweigen. Gemeinsam mit Ayashi schlenderte sie durch den Saal, begrüßte diesen und jenen und unterhielt sich ein wenig mit Taido und mit Ninshiki, während Ayashi darauf hoffte, dass die Zeit einfach nur verging, was sie nur sehr langsam tat. „Wie lange wirst du in Kochi bleiben?“ fragte Ninshiki Ayashi. „Ich bin im Winter schon hierher gereist. Vermutlich werde ich recht schnell nach der Feier aufbrechen … am übernächsten Tag vielleicht schon.“ „Das ist schade. Ich werde mit meiner Mutter noch länger hier sein, bis sich Satori eingewöhnt hat.“ „Ich dachte, sie hätte sich schon längst eingewöhnt.“ meinte Ayame und musste dabei beinahe lachen, da Satori sich schon lange Zeit vorher als Herrin empfunden hatte und sich auch so verhielt. Die Freundinnen unterhielten sich noch eine Weile, ehe Ayashi sich entschuldige, bis Kataga Ayashi zu sich bat, da sie den restlichen Abend mit wichtigen Männern und deren Gefährtinnen sprechen sollte, und somit ihre Aufgabe als zukünftige Herrin über das Westland erfüllen sollte. Ayashi unterhielt sich in Begleitung ihres Vaters verstärkt mit Verbündeten, doch sprach natürlich nicht über die Angelegenheiten um Inu-no-taishou, da diese nicht hierher gehörten. Sie wollte aber dennoch sehen, ob sie treu waren oder ob sie durch ihr Verhalten, die Beziehung zu Katagas Familie und somit auch Inu-no-taishou stärken konnte. Kataga nickte zufrieden, als sie ihm nach einer Weile mitteilte, dass sie mit einem Verbündeten sprechen wollte, von dem sie wusste, dass er sich ernsthaft Gedanken darüber machte, ob er das Bündnis brechen sollte. Ayashi folgte ihrem Vater, der daraufhin zu seinem Verbündeten ging. „Satiga-Sama, ich möchte, dass Ihr meine Tochter kennen lernt.“ meinte er, nachdem er ihn begrüßt hatte, und der schlanke Wolfsyoukai verneigte sich vor Ayashi. „Ich freue mich außerordentlich, Eure Bekanntschaft zu machen, Hime-Sama.“ bemerkte er mit klarer Stimme. Ayashi verneigte sich ebenfalls vor ihm, richtete sich wieder auf und hielt den Kopf leicht geneigt, als sie sagte: „Es ist mir eine Ehre, einen treuen Verbündeten meines geliebten Vaters kennen zu lernen, Satiga-Sama.“ Satiga, der Führer eines Wolfsyoukai-Stammes, der im nordwestlichen Bezirk Yamagata beheimatet und keinem Fürsten Untertan war, blickte unsicher zu Kataga, dann wieder zu Ayashi, die sich nicht anmerken ließ, dass sie bereits sehr viele Verbündete gesprochen hatte, und dass Satiga die ungestellte Frage – warum Kataga ihm seine Tochter offiziell vorstellte – in Gesicht geschrieben stand. „Ich habe schon viel von Euch gehört, Satiga-Sama, wie ihr Euren Mut und Eure Ehrenhaftigkeit im Kampf unter Beweis gestellt habt.“ ergriff Ayashi das Wort und blickte ihn offen an. „Ich danke Euch, Hime-Sama…“ begann er, doch wurde von Katsumoto unterbrochen, der Kataga sprechen wollte. Ayashi nickte und Kataga entfernte sich von seiner Tochter und ließ sie inmitten des Raumes und umgeben von allen möglichen anderen allein mit Satiga. „Ich habe gehört, dass auch Ihr Euch im Kampf um Fukuoka bewiesen habt, Hime-Sama.“ „Ihr schmeichelt mir, Satiga-Sama.“ wehrte Ayashi ab und lächelte, während sie sich fragte, wie lange es noch dauern würde, bis er das Gespräch übernahm oder sich wenigstens in die Richtung lenken ließ, wo sie ihn haben wollte. „Nun, verzeiht mir, Hime-Sama, doch die Wahrheit schmeichelt Euch, nicht ich.“ beharrte er, worauf Ayashi nachgab. „Dennoch sollten diese beiden Situationen nicht miteinander verglichen werden.“ „Wie meint Ihr das?“ „Natürlich habe ich meines Vater Schloss mit der Hilfe und Stärke der Krieger, die er zurückgelassen hat, verteidigt, doch Ihr wart ein Teil des Schutzwalles gegen die Eroberer. Euer Schwert hat alle Youkai in Japan geschützt. Mein Schwert hingegen nur Gemäuer und wenige Youkai.“ „Stolz und Ehre habt Ihr Euch trotzdem verdient, Hime-Sama. Und Ihr habt bewiesen, dass Ihr eine würdige Nachfolgerin für einen großen Youkai-Fürsten wie Euren Vater seid, da Ihr gezeigt habt, dass Ihr Krieger mit Weitsicht und Erfolg führen könnt.“ „Das ist sehr freundlich von Euch, doch ich habe noch viel zu lernen, wenn ich meinem Vater folgen werde…“ „Ich bin mir sicher, dass Ihr ohne Schwierigkeiten Eure Aufgabe als Herrin über das Land und Führerin der Krieger erfüllen werdet, Hime-Sama.“ „Eure Zuversicht beruhigt mich, Satiga-Sama… Ich kann mir jedoch nur eine Sache vorstellen, die schwieriger ist, als jemanden anzuführen.“ entgegnete Ayashi und machte eine kleine Pause. „Welche, Hime-Sama?“ „Es mag allerhand Eigenschaften erfordern, jemanden gut anzuführen, doch meiner Meinung nach, ist noch viel mehr Mut, Stärke und Festigkeit notwendig, um jemandem ehrenhaft und loyal zu folgen.“ erklärte Ayashi und blickte Satiga unbemerkt prüfend an, ehe Kataga zurückkehrte und den Verbündeten bat, Ayashi fortführen zu dürfen. „Ich muss schon sagen, dass du deine Aufgabe sehr gut erfüllst.“ sagte Kataga leise, als er mit Ayashi zur Festtafel schritt. „Hast du etwas anderes erwartet?“ fragte Ayashi, wusste aber nicht genau, warum sie die Möglichkeit, dass er etwas anderes erwartet haben könnte, etwas verärgerte. „Nein, natürlich nicht.“ meinte ihr Vater schnell und fuhr fort: „Ich habe mich etwas im Saal umgehört. Die Youkai sprechen von dir in den besten Tönen. Sie loben deine Schönheit, deine Eleganz und deinen Liebreiz.“ „Der Kimono steht mir gut. Das sagtest du selbst.“ erinnerte Ayashi, da sie nun endlich verstand, warum er ihr das Geschenk gemacht hatte. „Nicht nur deshalb. Das ist aber das, was du bisher für sie warst: eine wunderschöne Hime, die fernab vom öffentlichen und politischen Leben gelebt hat.“ „Es war dein Wunsch.“ „Ja, doch nun sehen sie dich anders.“ „Wie?“ fragte Ayashi, weil sie es wissen musste. „Eine wunderschöne Hime, die den Platz ihres Vaters dank ihrer Klugheit, ihres wachen Verstandes und ihrer erlernten Fähigkeiten leicht einnehmen kann, wenn es soweit ist. Sie wird den Vater nach dessen Tod ersetzen und vielleicht sogar übertreffen…“ „Sag’ nicht so etwas, Vater.“ „Das sagen sie. Das glauben sie. Und das ist gut so.“ entgegnete Kataga und lächelte Ayashi an. „Es ist gut, weil sie wissen, dass unsere Familie stark bleiben wird, auch wenn der jetzige Fürst ums Leben kommen wird.“ „Ja, es ist deutlich geworden, dass du meine unangefochtene Nachfolge bist, indem ich dich so vielen Verbündeten vorgestellt habe. Die Gefahr eines Umsturzes nach meinem Tod ist geringer geworden, denn sie können deinen Anspruch nicht ignorieren, da sie dir vorgestellt wurden, und es wird ihnen auch nicht in den Sinn kommen, da sie nun wissen, dass du bereit und willens bist, meine Nachfolge anzutreten, sollte es so weit sein.“ „Du sorgst vor.“ bemerkte Ayashi und Kataga entging nicht, dass sie damit nicht meinte, dass er für einen fernen Zeitpunkt vorsorgte, sondern für einen Zeitpunkt, der näher rückte… vielleicht bald schon Gegenwart war, obwohl er doch angeblich keine Gefahr in der Verbindung zwischen Inu-no-taishou und Izayoi sah. Kapitel 72: ------------ Nach dem Essen und einigen Reden zogen sich Satori und Katsumoto schließlich in seine Gemächer zurück, während das Fest noch eine Weile ohne sie weiterging, doch dann auch langsam zu Ende ging, was Ayashi sehr recht war. Sie hatte viele Verbündete kennen gelernt, mit ihnen gesprochen und sich bemüht, bei der Sache zu sein, doch ihre Gedanken waren bis zu einem gewissen Maße stets bei Sesshoumaru gewesen und ihr Blick hatte immer wieder unbemerkt nach ihm Ausschau gehalten – und entdecken müssen, dass er sich mit anderen Youkai unterhielt und auch mit Youkai, die ihn offenbar näher standen, vielleicht sogar Freunde waren. Ayashi fühlte Eifersucht in sich aufsteigen, obwohl diese völlig unbegründet war, denn seine Bekannten waren männliche Youkai. Sie schob es auf die Tatsache, dass sie mit ihm sprechen konnten und sie eben nicht. Auch jetzt noch – einige Zeit später – lag sie in ihrem Bett und dachte an Sesshoumaru, seine Bewegungen, seine Blicke, die er ihr zugeworfen hatte, seine Stimme, die sie nur von der Ferne und nur ab und zu gehört hatte... Es dauerte nicht lange, ehe ihr Geist zu ihrer Zeit am Nachmittag zurückfand, und sie in Gedanken erneut durchlebte, was sie mit ihm gehabt hatte, und es schließlich nicht mehr in ihrem Bett aushielt. Sie verzehrte sich zu sehr nach ihm. Schnell warf sie sich einen dünnen Mantel über ihr seidenes Nachtgewand und verließ barfuß ihr Zimmer, worauf sie vorsichtig den Flur entlang schlich. Ayashi wusste, dass sie sich unter keinen Umständen erwischen lassen durfte. Die Folgen waren undenkbar… und sie wollte auch gar nicht daran denken, was dann geschehen würde. Eine Hime, die nachts allein und kaum gebührend gekleidet in den Gängen eines Schlosses herumspazierte, in dem gerade viele männliche Gäste weilten… Nein, da brauchte man sie nicht einmal mit Sesshoumaru in Verbindung bringen, um einen Skandal aus der Sache zu machen. Im Großen und Ganzen war es still im Schloss, doch sie musste dem einen oder anderen Gast, der ebenfalls noch so spät unterwegs war, ausweichen und versteckte sich in dunklen Nischen und nahm Umwege in Kauf, um ihnen zu entkommen. Ayashi bemühte sich, in ihrem Versteck ruhig zu atmen, und wartete, bis auch die letzten Schritte verhallt waren, ehe sie sich wieder regte und ihren Weg fortsetzen wollte. Dann stand er plötzlich vor ihr, weshalb sie beinahe erschreckt aufgeschrieen hätte, doch sie war zu erschreckt, um überhaupt einen Laut von sich zu geben. „Was machst du hier?“ fragte er und blickte an ihr herunter, wobei ihr das Funkeln in seinen Augen nicht entging. Sie antwortete nicht, sondern zog ihn zu sich ins Dunkle, als sie erneut Schritte hörte, hielt ihn bei sich und fühlte seinen Atem gegen ihr Gesicht und seine Nähe, die sie beinahe vergessen ließ, dass sie sich nicht verraten durften. Sesshoumarus Hand fuhr in ihr offenes Haar und führte lautlos eine Strähne zu seinem Gesicht, um ihren Duft einzuatmen, der ohnehin überall im Schloss anzutreffen war, doch hier war sie tatsächlich ganz dicht bei ihm und gehörte ihm ohne jeglichen Vorbehalt von alter Tradition und steifen Regeln. Die Schritte verklangen und Sesshoumaru konnte nicht widerstehen, drückte sie gegen die Wand und küsste sie stürmisch, was Ayashi nur allzu gern erwiderte. Es schien ihr, als sei der Nachmittag so weit entfernt wie ihr Abschied bei den heißen Quellen vor wenigen Monaten. Sie konnte nicht genug von ihm bekommen. Sie wollte ihn. Er wollte sie… „Nicht hier.“ hauchte sie, als er ihren Hals küsste und sie in seine Arme hob, doch er wollte sie nicht hören, weshalb sie noch einmal mit mehr Nachdruck meinte: „Nicht hier, Sesshoumaru… oder ich gehe…“ Sesshoumaru ließ von ihr ab und blickte sie prüfend an, wobei er ihr mit dem Daumen über die heißen Lippen strich. „Könntest du jetzt gehen?“ flüsterte er und Ayashi war sich sicher, dass ihm ihr Beben nicht entging. „Nein… aber ich brauchte auch nur deine Aufmerksamkeit.“ gab sie leise zurück und schluckte, als er lächelte, seine Hand ihren Kragen hinab und zwischen ihren Brüsten hindurch bis zu ihrem Bauch gleiten ließ. „Das dachte ich mir.“ gab er zurück und löste sich etwas von ihr, weshalb Ayashi einen Schritt auf ihn zumachte, weil sie den Abstand nicht ertragen konnte. Sesshoumaru ergriff ihre Hand und führte sie mit sich ungesehen durch die dunklen Gänge in seine Gemächer, deren Türen er verschloss, ehe er sich wieder ihr zuwandte. „Wohin wolltest du?“ fragte Ayashi und Sesshoumaru blickte sie einen Moment verwirrt an, ehe er leise lachte. „Wohin ich wollte? Hm, lass’ mich überlegen… Wohin wollte ich in einem Schloss, das nicht mir oder meinem Vater gehört, in dem es nichts für mich gibt außer dem Gemach, das man mir zugewiesen hat und… die Person, die mir den Schlaf raubt, nach der ich mich mit jedem Atemzug sehne, die meine Gedanken völlig in ihren Besitz genommen hat… Ich weiß nicht, wohin ich wollte… Soll sie’s mir sagen, diese Person, wohin ich wollte, meinst du nicht?“ „Das war sehr unvorsichtig.“ bemerkte Ayashi, doch kein Tadel lag in ihrer Stimme. „Du bist ebenfalls unterwegs…“ „Ich könnte es erklären… Nun, zumindest so, dass ich…“ begann Ayashi, doch sprach nicht zu Ende, da er näher kam und sie mit einem durchdringenden Blick betrachtete. Seine Hände legten sich an ihre Hüften und zogen sie so dicht zu sich, dass sie spüren konnte, wonach ihm der Sinn stand – und sie spürte, dass sie ihn ganz dicht bei sich und in sich spüren musste. Seine Lippen suchten ihre und verwickelten sie in einen zärtlichen und fordernden Kuss, der sie vergessen ließ, dass es gefährlich war, und alles andere außer ihrer Liebe, ihrer Leidenschaft und ihrer Lust aus ihren Gedanken und Gefühlen verbannte. Ayashi hörte Sesshoumarus Herz laut und regelmäßig schlagen, als sie ihren Kopf müde auf seine nackte Brust bettete. Sie hatten sich geliebt – mehr als einmal – und lagen nun zufrieden und eng ineinander geschlungen in seinem Bett. Schlafen wollten sie nicht. Der Morgen würde sowieso bald anbrechen und Ayashi würde noch vor der Morgendämmerung gehen müssen. Nachdenklich streichelte sie seinen Bauch mit den Fingerspitzen, während er mit ihrem Haar spielte, ihren Rücken und ihren Oberarm streichelte und seine Hand in ihre wob. Ayashi war glücklich und sie genoss die Zeit, die sie gemeinsam hatten – vor allem, da es sich nicht anfühlte, als ob sie die Zeit stehlen, da sie keine Angst hatte, entdeckt zu werden, und da alles so unendlich weit weg erschien, dass es schon beinahe unrealistisch wurde. Ayashi konzentrierte sich auf die Kreise, die sie auf Sesshoumarus Bauch zwischen seinen Muskeln zog und beobachtete, wie sie zitterten, wenn sie ihn aus Versehen leicht kitzelte. Sie lächelte und blickte entschuldigend nach oben, doch er lächelte auch und wenn seine Augen nicht ein betrübter Schatten verdunkelt hätte, so hätte sie geglaubt, dass er glücklich war. „Sesshoumaru, was hast du?“ fragte sie und drehte sich ganz auf die Seite, sodass sie ihn besser ansehen konnte. „Mein Vater hat sich mit der Familie dieser Frau getroffen.“ sagte er ohne Umschweife und blickte kurze Zeit zur Decke nach oben, ehe er fort fuhr: „Er wollte nach den Traditionen handeln und bat bei ihrer Familie um ihre Hand.“ „Unglaublich! Was ist geschehen?“ fragte Ayashi und fragte sich gleichzeitig, ob sie das jetzt wirklich hören wollte. „Ihre Familie war nicht begeistert. Trotzdem hat sie ihm seinen Wunsch aus Angst um das eigene Leben erfüllt. Man stellt sich eben nicht gegen die Bitte eines mächtigen Daiyoukai.“ erzählte er und schnaubte verächtlich, ehe er weitersprach: „Das Schlimmste ist, dass diese Izayoi sich auch noch tatsächlich in ihn verliebt haben muss. Er wird für sie ihr Gemahl werden und sie zu seiner Gefährtin machen.“ Ayashi entgegnete nicht sofort etwas, sondern streichelte seine Wange, während sie darüber nachdachte, was sie gerade erfahren hatte. Sesshoumaru konnte sich nicht mehr gegen die Entscheidung des Vaters stellen und auch seinen Unmut über die Verbindung, die ihm zweifellos noch innewohnte, musste er unterdrücken, wenn er seinem Vater nun nicht weiter schaden wollte. Er konnte ihm nun nur noch zu Seite stehen. Sesshoumaru nickte, während er ihre Gedanken anscheinend an ihrem Blick erahnt hatte, und meinte: „Ich werde ihm helfen, sollte es zum Krieg kommen.“ „Ich weiß, dass es schwer für dich sein muss, aber er ist dein Vater. Und dein Vater wird er auch immer bleiben – ganz gleich, welche Frau an seiner Seite ist.“ „Sie kann nicht an seiner Seite stehen. Sie muss beschützt werden.“ korrigierte Sesshoumaru, meinte aber gleich darauf: „Ich weiß, was du meinst.“ Ayashi nickte und richtete sich ein Stück weiter auf. Es war mehr als seltsam, über eine Verbindung zu sprechen, die nicht sein sollte und Schwierigkeiten brachte, wenn man sich selbst in solch einer Verbindung befand. Sie wusste nicht, ob sie Mitleid mit Inu-no-taishou haben sollte, oder ob sie sein Verhalten verurteilen sollte. Sie wusste es nicht mehr. „Was denkt sich dein Vater nur dabei?“ flüsterte sie nach einer Weile, doch Sesshoumaru schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich kann mir nur vorstellen, dass er immer noch denkt, niemand könne ihm etwas anhaben.“ „Warum verschließt er sich nur vor der Wahrheit? Ich meine, er konnte noch auch gegen Hyouga nicht ohne weiteres den Sieg erringen…“ „Er überschätzt sich. Und schätzt die anderen um sich herum falsch ein.“ „Hat er viele Feinde?“ fragte Ayashi und bemerkte, dass Sesshoumaru etwas zögerte. „Unser Clan hat schon immer Feinde gehabt – vor allem die Katzenyoukai. Als noch vor der Zeit meines Vaters entschieden wurde, dass das Land von den Hundeyoukai regiert werden sollte, wurden sie übergangen… Abgesehen von den Katzenyoukai, die sich diese Gelegenheit zur Rache nicht entgehen lassen würden, kommen noch andere Youkai hinzu, die ihn nicht mehr als Herrscher akzeptieren werden, sobald er eine Sterbliche an seine Seite nimmt.“ Ayashi blickte in seine bernsteinfarbenen Augen und nickte. Die Lage war ernst, das wusste sie, doch trotzdem schweiften ihre Gedanken ab. Wie hatte es ihr eigener Vater geschafft, seine Macht zu behalten? Kapitel 73: ------------ „Denkst du an deinen Vater?“ fragte Sesshoumaru und streichelte Ayashis Wange, als er ihren erschrockenen Blick sah. „Ich weiß von deiner Mutter, aber bei ihr ist das etwas anderes.“ fügte er hinzu. „Sie war ebenfalls sterblich.“ meine Ayashi kopfschüttelnd und senkte den Blick, da sie nicht wusste, wie sie mit diesem Gespräch umgehen sollte. Niemals hatte sie für möglich gehalten, dass außerhalb des Schlosses darüber geredet wurde oder Sesshoumaru darüber nachgedacht hatte… Sah er sie als Hanyou oder Youkai? „Deine Mutter war nur zur Hälfte ein Mensch, Ayashi. Youkai verehren manchmal auch Götter. Insofern war deine Mutter schon deshalb geachtet, da sie zur Hälfte göttliches Blut in sich trug. In unseren Augen überwiegt das göttliche Blut und deshalb auch ihre göttliche Herkunft.“ „Trotzdem war sie eine Sterbliche.“ erwiderte Ayashi leise. „Sie hatte ihren Platz in unserer Gesellschaft und sie hätte ihn auch noch lange Zeit behalten, glaube ich.“ gab er zurück und streichelte ihren Rücken. „Sieht man mir an, dass ich eine Hanyou bin?“ fragte Ayashi, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatte. Sesshoumaru sog scharf die Luft in sich ein und meinte dann: „Du bist nicht im eigentlichen Sinne Hanyou, das weißt du…“ „Ja, ich weiß.“ gab Ayashi zu und nickte. Er hatte Recht. Sie war kein Hanyou, der von seinem Youkaierbe zu einem willenlosen, schwachen, aufbrausenden Ding gemacht wurde, sondern eine Hime mit Youkaiblut. Ihr menschliches Blut wurde durch das göttliche Erbe gestärkt und das führte dazu, dass niemals der niedere Dämon in ihr Oberhand gewann. Sie war als Youkai erzogen worden und das war sie auch. „Du bist Youkai – und ich wäre niemals darauf gekommen, dass deine Mutter es nicht war, wenn ich es nicht gewusst hätte. Beruhigt dich das?“ „Ja, sehr.“ gestand sie und ließ sich von ihm küssen. Es war so leicht, alle Sorgen zu vergessen, wenn sie bei ihm war, und sie war sich sicher, dass es ihm ähnlich ging. Trotzdem gab es Dinge, die größer waren als sie selbst und das machte ihr zum ersten Mal in ihrem Leben Angst. Niemals hatte sie das Schicksal gefürchtet – dass sie hier mit ihm war, war der Beweis, doch es lag Ungewissheit vor ihnen, an der sie nichts ändern konnten… und plötzlich schien das Unglück so nahe. Der Stein rollte, was alle sahen, doch niemand konnte ihn mehr aufhalten. Die Zeit verging langsam, doch sie verging. Ayashi musste ungesehen wieder zurück in ihre Gemächer. Sesshoumaru betrachtete sie, als sie ihren wunderschönen, nackten Körper mit dem Nachgewand bedeckte und sich in den seidenen Mantel hüllte. Sie fühlte sich hilflos und von dunklen Vorahnungen verfolgt. So viel Tod. Unruhe machte sich in ihr breit, die ihr bedeutete, dass sie nicht gehen wollte. Bei ihm war sie sicher. Bei ihm machten Dinge Sinn, die keinen Sinn haben konnten. Verwirrt griff Ayashi sich an die Stirn und suchte nach dem Gürtel ihres Mantels, als Sesshoumaru plötzlich vor ihr stand und sie zu sich zog. „Ayashi.“ murmelte er und drückte sie an sich. Sie schlang die Arme um ihn und atmete den Duft seiner Haut ein. Wenn der Krieg kommen würde, würde er wieder in ihm kämpfen… Würde er zurückkehren? Würde er fallen? Sie mochte nicht daran denken. Ihre Hände gruben sich in seinen Rücken und sie spürte, wie er die Umarmung um sie festigte. „Ich bin da, Ayashi.“ flüsterte er und sie nickte. Lange sagte sie nichts, sondern fühlte nur, wie die Tränen in ihr aufstiegen. Sie benetzten seine Haut und seine Hände, doch es machte ihm nichts. Er hielt sie einfach nur. Lange. Bis sie meinte: „Ich muss gehen, Sesshoumaru.“ Vorsichtig entließ er sie aus seiner Umarmung und wischte ihr die Tränen aus den Augen. Es machte ihm nichts, dass sie weinte, doch ihr schien es nicht gerade angenehm zu sein, dass sie vor ihm weinte. Sie wollte ihm den Rücken zukehren, doch er ließ sie nicht. „Ayashi, nicht. Lass’ mich dich ansehen.“ bat er und betrachtete sie, beugte sich schließlich zu ihr herunter und küsste ihre Tränen von den Wangen und von ihren Lippen. Sie hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig, als er sie wieder ansah. Seine Finger streichelten ihr Haar und ihre Kieferlinie, ihren Hals und ihre Schultern. „Ich werde noch heute Morgen nach Fukuoka zurückkehren. Ich möchte nicht mehr länger hier bleiben.“ „Ich breche heute Abend auf.“ entgegnete Sesshoumaru und blickte sie an. „Du wirst mich einholen. Ich habe es nicht eilig.“ erwiderte sie und lächelte flüchtig, ehe sie sich noch einmal auf die Zehenspitzen stellte und ihn küsste. Doch dann musste sie gehen. Sie hatte noch viel zu erledigen und mit ihrem Vater zu sprechen und sich von ihrer Familie und ihren engeren Freunden – Ishiki und Taido… Inu-no-taishou – verabschieden. Sesshoumaru gehörte nicht zu ihnen. Ihn würde sie erst wieder auf dem Weg sehen. Ayashi bat aus Höflichkeitsgründen erst Katsumoto um die Erlaubnis, nach Hause zu gehen, was ihn sehr bestürzte. „So früh schon? Fühlst du dich hier mehr wohl?“ fragte er, worauf Ayashi den Kopf schüttelte. „Nein, das ist es nicht. Sicher nicht. Ich möchte einfach nach Hause… und ich denke nicht, dass ich mein Vater noch von meiner Anwesenheit profitieren kann, so wie er es gestern getan hat.“ „Ja, da magst du Recht haben. Sprichst du selbst mit ihm oder soll ich das übernehmen?“ „Ich mache das schon.“ versicherte sie und meinte dann, dass sie am frühen Mittag aufzubrechen gedachte, als er sie genau danach fragte. Dann suchte sie ihren Vater auf, der auch überrascht war, dass sie nach Hause gehen wollte. „Du möchtest nach Hause, ich verstehe.“ murmelte er und wandte sich wieder den Unterlagen zu, die ihm Katsumoto gegeben hatte, da er seine Meinung zu ihnen hören wollte. „Wenn du nichts dagegen hast, würde ich heute noch aufbrechen.“ „Es kommt überraschend und geht ziemlich schnell… Ich hoffe, es ist nichts vorgefallen, das dich zu diesem Entschluss bringt.“ entgegnete er und blickte noch einmal auf. „Nein, nichts.“ „Ich möchte offen mit dir sprechen, Ayashi.“ eröffnete er ihr und bat sie mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. „Ich bitte darum, Vater.“ antwortete sie und setzte sich ihm gegenüber. „Du hast gestern sehr geholfen. Ich habe mich heute Morgen bereits mit einigen Verbündeten unterhalten, die das Gespräch mit mir gesucht haben, um ihre Treue zu meiner Familie zu bekunden. Ganz gleich, wen ich unterstützen werden, sie werden an meiner Seite stehen.“ „Das sind gute Nachrichten.“ pflichtete Ayashi ihm bei, wollte jedoch aber nicht glauben, dass das nur ihr Verdienst war, denn was hatte sie schon groß getan? „Ich mache mir Sorgen um dich, Ayashi.“ ergriff Kataga nach einer Weile wieder das Wort, da diese guten Nachrichten nicht das waren, worüber er mit ihr sprechen wollte. „Ich verstehe nicht…“ entgegnete sie etwas verwirrt. „Sesshoumaru.“ „Ich verstehe immer noch nicht, Vater? Was ist mit Sesshoumaru-Sama?“ fragte Ayashi und hielt Katagas Blick stand. Er konnte es nicht wissen. Nein, er konnte es nicht wissen. Und wenn er es wusste, so war es sowieso besser, es zuerst einmal zu leugnen. „Wie kommst du damit zurecht, dass du ihm nun wieder täglich begegnest. Ich habe dich mit der Angst vor der Vision deiner Mutter zu Vorsicht erzogen. Als er verletzt war, war es eine Sache, mit ihm im selben Schloss zu sein, aber jetzt ist es etwas anderes.“ erklärte Kataga, worauf Ayashi den Kopf schüttelte. „Ich denke nicht oft an die Vision meiner Mutter. Inzwischen glaube ich sogar, dass ich damals Sesshoumaru-Sama helfen sollte, damit die Vision keine Macht mehr über unsere Leben hat.“ „Wie meinst du das?“ „Du siehst es doch: Es konnte nicht verhindert werden, dass ich jemals auf Sesshoumaru-Sama treffe. Abgesehen von seiner Verletzung und der Selbstverständlichkeit, ihm dann zu helfen, hätte ich ihn jetzt eh gesehen. Er ist der Sohn eines Verbündeten. Und irgendwann werden wir selbst Verbündete sein. Ein solches Verhältnis sollte nicht durch irgendeine Vision getrübt werden.“ „Du sprichst sehr weise, Ayashi. Das gefällt mir.“ „Bin ich nicht deine Tochter?“ „Das bist du. Ich bin sehr stolz auf dich.“ „Ich tue, was ich kann, Vater. Ich denke an die Zukunft und ich gebe zu, dass ich Angst habe, da wir nicht wissen können, was sie bringen wird. Ich weiß nur eines: wir werden das Beste daraus machen, nicht wahr?“ „Ja, das ist wahr. Wir werden siegen.“ entgegnete Kataga zuversichtlich und Ayashi lächelte, obwohl ihr innerlich nicht danach war. Kapitel 74: ------------ Ayame verstand allerdings nicht, dass Ayashi schon gehen wollte. Sie war traurig, doch Ayashi versprach ihr, in nicht allzu ferner Zeit wieder nach Kochi zu kommen, und erinnerte sie daran, dass nun auch Ninshiki in Kochi war und noch eine Weile bleiben würde. Sie wäre also nicht einsam, sondern hätte eine gute Freundin, mit der sie sich austauschen konnte. „Vater wird auch noch eine Weile hier sein.“ fügte sie ihren Worten hinzu und Ayame zog eine Grimasse. „Er wird die meiste Zeit mit seinen Verbündeten und Inu-no-taishou reden.“ entgegnete Ayame und Ayashi nickte. „Und das ist sehr gut so. Vergiss’ nicht, was du Soba und Satori hast sagen hören. Satori soll Einfluss auf Katsumoto nehmen… Wenn das geschieht und wenn es im falschen Zusammenhang passiert, wäre das schrecklich.“ „Ich weiß.“ versicherte Ayame ihrer älteren Schwester und fragte: „Solltest du nicht hier sein, wenn es um politische Themen geht?“ „Nein, das ist in Ordnung. Ich habe meinen Teil erfüllt und einen anderen Teil, der mehr von mir erwarten würde, habe ich noch nicht übernommen. Unser Vater wird keinen Schaden nehmen, wenn ich nicht dabei bin.“ meinte Ayashi und überlegte, ob Sesshoumaru dann so einfach Kochi verlassen konnte. Musste er nicht hier bleiben und demonstrieren, dass er sich mit seinem Vater einig war, auf einer Seite stand und zu ihm hielt? Sie wusste es nicht genau, doch sie hoffte, dass er wusste, was er tat. „Ich habe gehört, dass Vater auch Satori näher kennen lernen möchte.“ „Sie ist die Gefährtin seines Bruders. Das halte ich für normal.“ erwiderte Ayashi, worauf Ayame den Kopf schüttelte. „Hast du ihm nichts von dem gesagt, was ich gehört habe?“ „Nein, ich habe nichts gesagt.“ „Wolltest du mich schützen? Immerhin ist es nicht schicklich zu lauschen.“ „Nein, ich habe nichts gesagt, da es mir noch nicht nötig erschien.“ widersprach Ayashi und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Wenn ich etwas sage, werde ich dich außerdem aus der ganzen Sache heraushalten.“ „Wie ein kleines Mädchen.“ flüsterte Ayame, worauf Ayashi die Hand sinken ließ. „Nein, nicht wie ein kleines Mädchen. Wie meine jüngere Schwester, die ich über alles liebe und deshalb beschützen will… vielleicht ein wenig zu sehr, aber sieh’s mir nach!“ stellte Ayashi richtig, worauf Ayame lachen musste. „Du drehst dir die Tatsachen, wie du sie haben möchtest.“ „Nein, ich bin ehrlich zu dir.“ versicherte Ayashi und Ayame gab sich damit zufrieden. „Wann wirst du gehen?“ fragte sie und Ayashi überlegte kurz, ehe sie meinte: „Ich werde mich noch von Ninshiki, Taido und Ishiki und den anderen verabschieden… Zu Satori und Soba muss ich auch noch. Inu-no-taishou werde ich auch kurz noch sehen.“ „Dann hast du noch viel vor dir.“ „Ja, aber das geht schnell. Ich werde wahrscheinlich noch vor dem Nachmittag aufbrechen können.“ vermutete Ayashi und machte sich dann gemeinsam mit Ayame auf die Suche nach ihren Freunden, um sich von ihnen zu verabschieden. Die Nachmittagssonne wärmte Ayashis Haut, als sie über die Hügel wanderte, doch der Wind kühlte sie und wehte angenehm um sie herum, zerrte verspielt an den Bändern und am Stoff ihres dünnen Yukatas und zupfte Strähnen aus ihren Haaren, die sie locker im Nacken zusammengebunden hatte. Sie überlegte, wann Sesshoumaru sie einholen würde, ob sein Vater ihn überhaupt gehen lassen würde, und mit wie viel Verspätung er von Kochi aufbrechen konnte, wenn er nur ansatzweise so aufgehalten würde wie Ayashi, die erst nach dem höchsten Stand der Sonne das Schloss hinter sich gelassen hatte. Ayashi schätzte, dass sie ihm am späten Abend begegnen würde. Er würde wahrscheinlich versuchen, sie vor der Dunkelheit der Nacht zu erreichen. Sie seufzte. Es war schwer vorstellbar, dass sie nur noch wenige Stunden von ihm trennten, da sie wusste, dass er im Moment noch nicht einmal von dort aufbrach. Und sie entfernte sich auch noch von ihm! Unwillig zwang sie sich dazu, an etwas anderes zu denken als Sesshoumaru, fand das aber sehr schwierig, da ihre Gedanken mit Sesshoumaru immer irgendetwas zu tun hatten. Sie betrachtete die Vögel, das im Wind bewegte Gras, die Baumwipfel und die Wolken, die vereinzelt und wie winzige Schleier über den dunkelblauen Himmel zogen. Die Luft duftete nach feuchter Erde und Holz. Sesshoumaru. Ayashi lächelte und schüttelte den Kopf. Sie war glücklich, obwohl sie traurig hätte sein sollen. Ihre Verbindung zu Sesshoumaru hatte genauso wenig eine Zukunft wie die Verbindung zwischen Inu-no-taishou zu Izayoi. Handelten sie so viel anders? Natürlich hielten sie ihre Liebe geheim. Natürlich versuchten sie, niemandem zu schaden, doch würde alles nicht viel schlimmer sein, wenn es irgendwann bekannt würde? Ja, wahrscheinlich. Ja, sicherlich. Es war unverständlich für Ayashi, wie Inu-no-taishou annehmen konnte, dass seine Zuneigung für Izayoi akzeptiert werden konnte, denn selbst wenn man außer Acht ließe, dass Ayashi und Sesshoumaru beide einmal die Nachfolge ihrer Väter antreten würden und allein aus diesem Grund keinen Bund eingehen konnten, war da immer noch die Tatsache, dass er Hundeyoukai und sie Wolfsyoukai war. Selbst das wurde nicht gern gesehen, da diese Verbindungen meist kinderlos blieben. Das Blut, das bei der Zeugung des Kindes vermischt wurde, passte nur in Ausnahmefällen so gut zueinander, dass ein Kind daraus wachsen konnte. Ayashi schüttelte den Kopf, da sich bei diesen Gedanken unwillkürlich das Bild eines gemeinsamen Kindes mit Sesshoumaru aufdrängte. Wäre es ein Mädchen oder ein Junge? Ayashi wusste nicht, was ihr lieber wäre, und kam schließlich zu dem Schluss, dass ihr das gleichgültig war, solange Sesshoumaru der Vater war. Hätte es wohl seine Augen? Und vielleicht ihr Haar? Wie würde Sesshoumaru mit seinem Kind umgehen? Wie würden sie es erziehen? Wo würden sie leben? Was konnten sie ihrem Kind mit auf den Weg geben? Ayashi blickte in den Himmel, an dem die Sonne ein gutes Stück gesunken war und beinahe die bewaldeten Hügel berührte. Nachdenklich beobachtete sie im Gehen, wie sich der Himmel mit dem Sinken der Sonne erst rötlich, dann rosafarben und schließlich graublau färbte. Dann – endlich – hörte sie Schritte, die nicht ihre waren und sich schnell näherten, weshalb sie anhielt und zurückblickte. Er war es, da war sie sich sicher, als er nahe genug war, dass sie seine Gegenwart spüren konnte. Sie erblickte ihn nur wenig später, sah seine Gestalt näher kommen und spürte das prickelnde Gefühl auf ihrer Haut, die sich nach seinen Berührungen und seiner Nähe sehnte. Ihr Herz klopfte. Sesshoumaru kam mit großen, kraftvollen Schritten näher und blieb vor ihr stehen. „Du warst schnell.“ bemerkte er lächelnd, worauf sie den Kopf schüttelte. „Ich habe mir so viel Zeit gelassen wie möglich.“ widersprach sie. Die Dunkelheit hatte sich inzwischen ausgebreitet und sich schützend um sie gelegt. Ayashi blickte zu ihm auf und lächelte ihn an. Sie waren allein und ungestört und für einen Augenblick war es, als seien alle Probleme und Sorgen über die Zukunft verschwunden. „Es schien mir eine Ewigkeit, Liebste.“ flüsterte er und blickte sie ehrlich an. Zärtlich streichelte er ihre Wange und beugte sich zu ihr herunter, um ihr einen liebevollen Kuss zu geben. Ihre Lippen waren so süß, dass er sie lange liebkoste, ehe er sich von ihr löste und sie nur ansah. „Möchtest du rasten?“ fragte er und Ayashi nickte, obwohl sie nicht müde oder erschöpft war. „Ich kenne einen wunderschönen Ort.“ flüsterte er und ergriff ihre Hand, um sie mit sich fortzuführen. Ayashi wusste, dass sie ihm überallhin folgen würde. Sie fühlte sich sicher. Sie fühlte sich vollständig. Sie fühlte sich zu Hause angekommen, obwohl sie irgendwo waren. Sie lächelte und genoss das zärtliche Schweigen, das zwischen ihren herrschte, spürte, wie Sesshoumaru seine Finger sacht immer wieder über ihren Handrücken streichen ließ, während er sie durch die Nacht führte, die ihre volle Schönheit entfaltet hatte. Der leichte Wind hatte sich gelegt und angenehm warme Luft umgab sie. Die Geräusche der Tiere durchbrachen immer wieder die Stille, das Zirpen der Grillen wurde zum ständigen Begleiter. Die Sterne glitzerten hell. Sesshoumaru blickte Ayashi öfter von der Seite an und schien einfach nur froh zu sein, dass sie bei ihm war. Er führte sie einen Hügel hinauf und blieb stehen, sodass sie die Aussicht genießen konnte. Sie konnte nicht gleich etwas sagen, als sie sah, wohin er sie geführt hatte. Der Mond stand hoch und tauchte das weite Land, das sich vor ihr ausbreitete, die Hügel, Wälder, Berge und Seen in silbernes Licht. „Das ist wunderschön.“ flüsterte Ayashi tonlos und blickte nach oben zum Mond, der groß am Himmel leuchtete. Sesshoumaru nickte und lachte leise, was Ayashi bemerkte und sich zu ihm umdrehte, um ihn fragend anzusehen. Er schüttelte nur den Kopf, tastete nach ihrem Haarband und löste es, damit ihr Haar über ihre Schultern und ihren Rücken floss. „Der Mond ist wunderschön. Er erhellt die Dunkelheit. Er verleiht der Nacht ihren Glanz und ihre Erhabenheit. Ja, wunderschön, aber bei deinem Anblick sollte selbst er vor Neid vergehen.“ flüsterte er und Ayashi schüttelte den Kopf, umarmte ihn und versank mit ihm in einen leidenschaftlichen Kuss. Kapitel 75: ------------ Ayashi und Sesshoumaru saßen schon eine Weile in angenehmem Schweigen in der Dunkelheit und lauschten den Geräuschen der Nacht, während sie ihren eigenen Gedanken nachhingen. Ein Feuer hatten sie nicht entfacht, denn das war nicht nötig und würde nur unnötig auffallen. Ayashi hatte den Kopf auf Sesshoumarus Schulter gebettet, der an einem Baum lehnte, und blickte auf ihre linke Hand, die in Sesshoumarus Hand beinahe gänzlich verschwand und sie einige Male von seinen Fingern fest umklammert fühlte. Woran auch immer er genau dachte, war nicht angenehm und weckte Unruhe und Unbehagen in ihm. „Mein Vater vertraut mir nicht.“ meinte er plötzlich in die Stille, was Ayashi zusammenzucken ließ. Überrascht hob sie den Kopf und blickte Sesshoumaru in sein Gesicht, doch sie konnte nichts anderes tun, als den Kopf zu schütteln. „Wie kommst du darauf? Wieso glaubst du das?“ brachte sie schließlich heraus, doch nun schüttelte er den Kopf. „Ich glaube es nicht, ich weiß es. Ich fühle es. Es ist sein Blick und seine Art, manche Treffen mit Verbündeten zu organisieren.“ „Du meinst… Nein, er hat doch nur dich, der ihm sicher und bedingungslos zur Seite stehen kann!“ „Ich denke, diese Sichtweise hat er von mir nicht mehr. Ich war zu lange misstrauisch und gegen diese Verbindung.“ vermutete Sesshoumaru und schwieg kurz, ehe er fort fuhr: „Ich kann es ihm nicht einmal verübeln, dass er mir nicht vertraut. Ich würde es wahrscheinlich selbst nicht tun.“ „Ich aber. Ich würde dir vertrauen, Sesshoumaru, weil ich dich kenne. Und dein Vater sollte dich ebenfalls kennen, meinst du nicht?“ Sesshoumaru entgegnete nicht sofort etwas und senkte den Kopf ein wenig, was Ayashi zeigte, dass er anderer Meinung als sie war. Langsam hob sie die Hand an sein Kinn und brachte ihn dazu, sie mit seinem zweifelnden Blick zu betrachten. „Ich vertraue dir.“ sagte sie und schüttelte den Kopf, als er etwas sagen wollte. „Und dein Vater… wird bemerken, welches Glück er hat, dass du ihm die Treue hältst.“ „Ich bin nicht so edel, wie du vielleicht denkst, Ayashi.“ flüsterte er und suchte ihre Augen mit seinem Blick. „Wie meinst du das?“ „Er hat Recht. Die Versuchung ist sehr groß. Ich könnte mich seinen Gegnern anschließen. Ich könnte ihn vernichten… Die Kraft dazu habe ich vermutlich. Ich könnte selbst der Herr des Westens werden.“ „Nein, ich glaube dir nicht, dass du das ernst meinst.“ entgegnete Ayashi und blickte ihn eindringlich und kopfschüttelnd an. „In den letzten Monaten habe ich einiges gelernt, Ayashi… Die Welt ist nicht schwarz und weiß und ich habe umso mehr erfahren, dass sie nicht gerecht ist.“ „Die Welt war niemals gerecht und sie wird es niemals sein, Sesshoumaru.“ gab sie flüsternd zurück, wandte aber nicht den Blick ab, obwohl ihr nicht gefiel, wohin das Gespräch seine Wendung genommen hatte. „Die Treue halte ich meinem Vater zu einem großen Teil nur wegen dir, Ayashi.“ „Wegen mir?“ „Ja, denn du glaubst noch an die Gerechtigkeit. Und ich sehe in deinen Augen, dass du die Hoffnung noch nicht aufgegeben hast, dass sich alles zum Guten wenden wird.“ „Ich muss daran glauben, Sesshoumaru.“ flüsterte sie und strich ihm mit zwei Fingern über die Lippen. „Ich kann es nur so aushalten, wenn ich die Hoffnung nicht aufgebe.“ „Das ist Stärke.“ „Nein, das ist Schwäche. Stärke wäre es, dem Verderben ins Auge zu blicken und dennoch das Schwert griffbereit in der Hand zu halten. Stärke wäre es, für einen Freund in den sicheren Tod zu gehen. Stärke wäre es, wenn ….“ widersprach Ayashi, doch beendete ihre Worte nicht, weshalb Sesshoumaru fragte: „Was, Ayashi?“ „Es ist zu verabscheuenswürdig.“ meinte sie kopfschüttelnd, doch Sesshoumaru ließ nicht locker und bat sie immer wieder, ihm zu sagen, was ihr auf dem Herzen lag. „Ich bin schwach, Sesshoumaru. Stärke wäre es, wenn ich… wenn ich nicht daran denken würde, wie schön es wäre, dies alles gemeinsam mit dir hinter mir zu lassen.“ gestand sie und schüttelte leicht den Kopf, da das doch niemals sein könnte. Sesshoumaru zog Ayashi zu sich und berührte ihre Lippen stürmisch mit seinen. Seine Hände umfingen sie stark und hielten sie auch noch ganz nahe bei sich, als sie ihren Kuss unterbrochen hatten. „Ich weiß, dass das niemals sein kann, Sesshoumaru. Wir könnten doch nicht leben und glücklich sein, wenn wir uns in diesem Maße schuldig gemacht hätten. Es würde uns verfolgen und es wäre gleichgültig, wie weit weg wir fliehen würden. Es würde uns doch immer wieder einholen. Und schließlich unsere Leben zerstören.“ meinte Ayashi leise und fügte hinzu: „Mein Verstand weiß es, aber mein Herz ist… manchmal anderer Meinung. Das ist gefährlich, Sesshoumaru. Ich will nicht schwach sein.“ „Was kann ich tun, Ayashi?“ fragte Sesshoumaru dicht an ihrem Ohr, sodass sie seinen Atem gegen ihre Haut spüren konnte. „Unsere Welt steht in Flammen und… wir werden vielleicht in ihr untergehen. Ich brauche deine Stärke, Sesshoumaru. Ich habe sie selbst nicht und weiß nicht, warum ich sie nicht habe.“ entgegnete Ayashi und hielt einen Moment inne, ehe sie weitersprach: „Gib’ mir einen Grund, an dieser Sache festzuhalten, indem du selbst an ihr festhältst. Halte zu deinem Vater, aber nicht wegen mir, sondern weil es das Richtige ist, das du als Sohn tun kannst… und musst.“ „Ich verspreche es, Ayashi. Ich verspreche es.“ gab er ehrlich zurück und presste sie an sich. Ayashi schlang ihre Arme fester um ihn und lauschte seinem Herzschlag. Seine Nähe war tröstend und linderte die Schmerzen, die Zweifel und Unsicherheit in ihr verursacht hatten, ohne dass sie es überhaupt richtig bemerkt hatte. Das Geräusch seines Herzschlags beruhigte sie, obwohl sie nicht bemerkt hatte, dass sie unruhig war, und irgendwann passte sich ihr Herzschlag wieder seinem an. „Darf ich dich um etwas bitten, Ayashi?“ fragte er nach einer Weile und sie nickte gegen seine Schulter. „Natürlich. Alles, was du willst.“ fügte sie leise hinzu, da sie nicht sicher war, ob er ihre Bewegung als Nicken oder Kopfschütteln verstanden hatte, als er eine Weile stumm blieb. „Die Hoffnung, die du hast… bewahre sie dir, Ayashi. Sie ist keine Schwäche. Sie ist Leben.“ „Sesshoumaru…“ wollte sie widersprechen. „Nein, Ayashi. Du brauchst sie. Und ich brauche sie auch. Solange du lebst, sollst du Hoffnung haben. Und so lange du lebst, werde auch ich Hoffnung haben. Du bist meine Hoffnung, meine Blüte der Hoffnung. Du allein. Und du bist nicht schwach, Kibonohana.“ Ayashi löste sich etwas von ihm und blickte ihn prüfend an, doch er sagte das nicht nur, damit sie sich besser fühlte. Er meinte es ernst. Er war ehrlich zu ihr. Hatte sie tatsächlich erwartet, dass das nicht der Fall war? Nein, natürlich nicht, doch sie fühlte sich ihm in diesen Augenblicken so nah, dass es ihr schon unwirklich vorkam. Sesshoumarus Blick ruhte liebevoll auf ihr, als sie sich vor ihn setzte und ihre Hand auf sein aufgestelltes Knie legte. „Kibonohana…“ wiederholte sie ihren zweiten Namen flüsternd, worauf er nickte. „Deine Eltern gaben dir den Beinamen nicht ohne Grund. Ein Name ist Teil des Charakters und hat einen großen Einfluss auf die Entwicklung unseres Wesens und somit auch unseres gesamten Lebens.“ „Ein Name kann also kein Zufall sein, meinst du?“ fragte sie, doch wusste, dass er Recht hatte. „Nun, vielleicht… Doch erinnere dich, wie du dich mir vorgestellt hast.“ bat er sie, was sie etwas überraschte. „Ich sagte: Ich bin keine Göttin, Sesshoumaru. Ich bin Ayashi.“ antwortete sie, doch er schüttelte den Kopf. „Nein, das meinte ich nicht. Lange Zeit davor, als du mir deinen Namen als Miko genannt hast. Du sagtest… Die Dorfbewohner nennen mich Kibo.“ „Du weißt das noch?“ fragte Ayashi, obwohl das zweitrangig war. „Ich weiß es noch, ja. Kibo. Du sagtest, du wirst ‚Hoffnung’ genannt. Hoffnung… Worauf ich hinaus will: In dieser Zeit hast du deinen Namen selbst wählen können. Du hättest dir jeden beliebigen Namen aussuchen können, doch du hast ‚Kibo’ gewählt.“ „Ja, du hast Recht. Er war allerdings auch der erste, der mir in den Sinn kam und einigermaßen gepasst hat…“ begann Ayashi und wurde durch Sesshoumarus leises Lachen unterbrochen. „Was ich eigentlich nur sagen will: Kibonohana… Kibo… Es passt einfach zu dir. Und das bist du für mich. Hoffnung.“ Ayashi nickte und lächelte ihn an. Wenn er es so sagte, fühlte sie sich nicht mehr schwach, sondern geliebt und verstanden. Stark. Sesshoumaru streichelte Ayashi über die Wange und betrachtete sie lächelnd, ehe er sich zu ihr vorlehnte und küsste, während er sie dicht an sich heran zog. Langsam lehnte er sich zurück gegen den Baum, brachte sie aber dazu, ihm zu folgen, sodass sie auf ihm lag, und seinen warmen Körper unter sich spürte. „Eine Frage hätte ich allerdings noch...“ meinte sie gegen seine Lippen, worauf er nur ein unwilliges Geräusch von sich gab, ehe er sie freigab und fragend anblickte. „Warum kannst du dich so genau an diese Worte erinnern?“ fragte sie und er lachte wieder leise. „Ich muss zugeben, diese Miko hat mich etwas fasziniert… eigentlich sehr, denn sie verhielt sich nicht wie ein Mensch… und auch wie keine Miko, die ich bisher getroffen hatte.“ „Weshalb?“ „Ich wüsste keine Miko, die einem Dämon geholfen hätte. Du hast nicht gezögert, einem Krötendämon das Leben zu retten, Ayashi. Ich war überrascht und am Anfang nicht sicher, ob du ihm wirklich helfen willst.“ antwortete er und Ayashi nickte nachdenklich. „Und dann noch deine wütenden Worte… Ja, ich muss zugeben, dass sie sich eingebrannt haben.“ fügte er hinzu und begann, ihre Wange zu küssen, ehe er mit seinen Lippen ihren Hals berührte. Kapitel 76: ------------ Die Zeit verging sehr schnell und Ayashi bemerkte kaum, wie die Wochen nur so verflogen, in denen sie wieder in Fukuoka war und die Zeit mit nichts anderem zubrachte als auf irgendetwas und irgendjemanden zu warten. Sie wartete Nacht für Nacht auf Sesshoumaru, doch er konnte nicht immer zu ihrem geheimen Treffpunkt kommen, da er zu beschäftigt war, was Ayashi verstand, doch trotzdem bedauerte. Sie wartete auf Nachrichten, die Gutes oder Schlechtes bringen würden, doch glaubte nicht recht daran, dass eine gute Nachricht wahrscheinlich war. Langsam schritt sie über den Hof und erinnerte sich an jene Nacht, in der sie Sesshoumaru versprochen hatte, die Hoffnung nicht aufzugeben. Es war leichter, wenn sie sich einredete, dass er auf ihre Hoffnung und sie selbst angewiesen war, denn dann konnte sie jene Stärke in sich wiederentdecken, die sie nur so durchströmte, wenn Sesshoumaru bei ihr war. In diesen Stunden wartete sie wieder einmal auf Kataga, der zu Inu-no-taishou aufgebrochen war, da dieser ihn dringend hatte sprechen müssen. Ayashi wusste nicht genau, worum es ging, doch es hatte bestimmt mit Izayoi zu tun, die Inu-no-taishou vor wenigen Wochen in sein Schloss geholt hatte und damit seine Entscheidung unmissverständlich klar gemacht hatte. Sie lebte nun als seine Gefährtin, doch war es offiziell nicht, da sie mit ihm nicht das Ritual vollzogen hatte. Inu-no-taishou begnügte sich mit der Hochzeitszeremonie, wie sie die Menschen feierten, und wollte später ein Fest nachholen, bei dem die Youkai anwesend sein sollen. Ayashi schüttelte leicht den Kopf und stieg die Treppen zur Engawa nach oben. Sie wollte nicht zu diesem Fest kommen. Sie wollte diese Frau nicht sehen… Niemals. „Ayashi-Sama, Euer Vater wird in Kürze eintreffen.“ meinte Ban unter einer Verbeugung. Ayashi dankte ihm für die Nachricht und neigte leicht den Kopf, ehe sie ihn stehen ließ und in den Empfangsraum ging, durch den ihr Vater kommen würde, wenn er in seine Gemächer wollte. Wenig später schritt er durch die Tür und Ayashi eilte auf ihn zu, da er allein war. „Was ist geschehen?“ fragte sie und ging schnell neben ihm her, da er nicht stehen blieb, um ihr zu antworten. Kataga schüttelte den Kopf, legte allerdings seine Hand auf ihren Rücken und führte sie in sein Arbeitszimmer, wo er seine Waffen ablegte und sie noch eine Weile stehen ließ. „Was ist geschehen?“ fragte Ayashi noch einmal und mit eindringlicher Stimme. Kataga ging zu seinem Schreibtisch und blätterte eilig in einigen Unterlagen, doch antwortete immer noch nicht, bis Ayashi die Geduld verlor. „Vater, sag’ mir endlich, was ist geschehen ist!“ rief sie und presste die Unterlagen mit ihrer Hand auf die Platte des Tisches, sodass er sie nicht mehr lesen konnte. „Kind…“ begann er, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Ich will wissen, warum du bei Inu-no-taishou warst. Befinden wir uns ab jetzt im Krieg mit seinen Gegnern?“ „Nein, Ayashi… Izayoi erwartet ein Kind.“ antwortete Kataga und ließ sich vor seinem Schreibtisch nieder, während er Ayashis Hand von den Unterlagen löste. „Das ist schrecklich! Das ist… Was…“ begann Ayashi, doch konnte keinen klaren Gedanken fassen und musste erst einmal in Ruhe nachdenken. Izayoi war schwanger. Izayoi war tatsächlich schwanger. Das war ein Grund für all die Youkai, die bisher über diese Verbindung nur abfällig gedacht hatten, endlich zu handeln und sich mit denen zusammenzurotten, die seit Wochen auf Krieg spekulierten. Ein Daiyoukai hatte keinen Hanyou als Sohn, den er anerkennen würde. Es war gegen die Traditionen und gegen jegliche moralischen Werte, auf die sich die Gesellschaft der Youkai seit tausenden von Jahren begründete. „Er wird das Kind natürlich als seines anerkennen, nicht wahr?“ fragte Ayashi, obwohl sie die Antwort schon kannte. „Ja, natürlich.“ „Und wenn er einen zweiten Sohn bekommt, wird er ihm alle Ehrungen zukommen lassen, die diesem als Youkai gebühren würden.“ „Ja, das ist richtig. Wir können nur hoffen, dass Izayoi einem Mädchen das Leben schenken wird.“ „Ja, dann ließe sich der Schaden noch begrenzen.“ murmelte Ayashi, doch Kataga nickte nicht, sondern meinte: „Ich verstehe das nicht! Ich habe ihm gesagt, dass ein Kind das letzte ist, was er in seiner Situation brauchen kann!“ „Vater, es war nur eine Frage der Zeit, bis Izayoi ein Kind erwartet… Menschen… Nun ja, es ist eben keine Verbindung des Blutes nötig, damit eine sterbliche Frau von einem Youkai ein Kind empfängt.“ „Das ist mir bekannt, Ayashi.“ „Sicher, aber was hast du erwartet? Dachtest du, dass er sich enthält?“ fragte Ayashi, da sie absolut keine Lust mehr hatte, um die Dinge in komplizierten Worten herumzureden. Kataga blickte seine Tochter einen Augenblick verwirrt an, schüttelte dann aber den Kopf und zuckte die Schultern. „Wir werden sehen, in welche Situation uns dieses Kind noch bringen wird.“ gab er zurück, worauf Ayashi nickte und den Raum verließ. Ayashi wartete nervös auf den Abend und auf die hereinbrechende Nacht, in der sie sich wieder ungesehen zum geheimen Treffpunkt im Wald schlich. Sesshoumaru traf kurz nach ihr ein und schloss sie schweigend in die Arme, bis sie sich von ihm löste. „Wie schlimm ist die Situation?“ fragte sie, woraus er erkennen konnte, dass sie über Izayois Schwangerschaft Bescheid wusste. „Schlimm. Ich hatte einige der abtrünnigen Verbündeten wieder soweit, dass sie sich besannen, aber nach dieser Nachricht… Sie sind für unsere Sache verloren.“ gestand er und Ayashi biss sich auf die Lippen. „Wie viele sind es?“ fragte sie weiter, da sie es wissen musste. Sie alle mussten vorbereitet sein, wenn es sonst nichts mehr für sie zu tun gab, dann mussten sie gegen sie Krieg führen. Sie mussten kämpfen… und siegen. „Es gibt einige, die keine Stellung mehr beziehen möchten und sich weder meinem Vater noch dem Führer der Gegner anschließen wollen.“ gab Sesshoumaru Auskunft und machte eine kleine Pause. Ayashi dachte über seine Worte nach und bemerkte dann eine Kleinigkeit, die sich verändert hatte: er sprach von einem Führer der Feinde, was er vorher noch niemals getan hatte, da einfach nicht bekannt war, wer gegen Inu-no-taishou mobil machte. „Wer führt sie an?“ fragte Ayashi und Sesshoumaru blickte sie einen Augenblick unglücklich an. „Soba.“ meinte er schließlich, worauf Ayashi kurze Zeit nichts erwidern konnte. „Soba... eine Wolfsyoukai. Und die anderen? Was ist mit Ninshiki und Satori?“ wollte sie schließlich wissen und vermied es, die Frage nach ihrem eigenen Onkel zu stellen. „Ninshiki hat mit ihrer Mutter gebrochen und unterstützt deinen Onkel Katsumoto in Kochi.“ Ayashi atmete erleichtert auf, da der Verrat nicht in ihre eigene Familie übergegriffen hatte. Sobas Verrat galt nicht als ihrer… Das war gut – in gewisser Hinsicht, denn trotzdem waren sie als Feinde stark. „Katsumoto hat Satori in Kochi in Gewahrsam nehmen lassen, doch ihr Verrat… Nun, er wird Folgen haben, wenn wir gewinnen sollten.“ meinte Sesshoumaru, obwohl Ayashi wusste, dass Verrat mit dem Tod bestraft wurde. „Ich bin mir sicher, dass er das weiß.“ versicherte Ayashi, doch bezweifelte, dass Katsumoto nicht doch auf eine andere Lösung spekulierte, indem er Satori einsperrte und versuchte, sie aus den direkten Kriegshandlungen fernzuhalten. „Ich hoffe, du hast Recht.“ Ayashi nickte und wollte sich am liebsten selbst davon überzeugen, doch sie fand nicht die Kraft dazu, weshalb sie diese Gedanken weit von sich schob. Es gab im Augenblick Dinge, die wichtiger waren. „Ich möchte, dass du deinem Vater von nun an sehr, sehr gut zuhörst, da dein Überleben davon abhängen könnte…“ meinte Sesshoumaru schließlich und strich zärtlich über ihr Haar. „Aber ich…“ begann Ayashi, doch Sesshoumaru hinderte sie am Sprechen, da er ihr den Zeigefinger auf die Lippen legte. „Ich weiß nicht, wann es soweit sein wird, Ayashi, aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Kämpfe ausbrechen werden. Und ich weiß mit Sicherheit, dass ich nicht da sein werde, um dein Leben zu verteidigen.“ fuhr er fort und schüttelte den Kopf, als sie wieder ansetzte, ihm zu widersprechen. „Du bist ebenfalls in großer Gefahr, Liebste. Ich bitte dich nur, dass du vorsichtig bist.“ Ayashi nickte nur, da sie nichts sagen konnte, und schlang ihre Arme fest um ihn. Sie wollte vergessen, in welcher Lage sie sich befanden. Sie wollte, dass sie Zeit still stand, doch ihr Wunsch wurde nicht erfüllt. Kapitel 77: ------------ Sesshoumaru sollte Recht behalten, denn Kämpfe brachen in den nächsten Tagen aus, in denen sich die Nachricht von Izayois Schwangerschaft verbreitet hatte, jedoch konnte man noch nicht von offenem Krieg sprechen. Die Gruppen der Gegner waren gut organisiert und schlugen oft aus dem Hinterhalt zu, was die Lage nur noch schwieriger gestaltete, da es nicht möglich war, die Gegner genau zu identifizieren. Kataga und Inu-no-taishou bemühten sich nach Kräften, die Situation auch weiterhin zu entschärfen und ihre Verbündeten auf ihrer Seite zu halten, doch sie konnten nur mäßigen Erfolg verzeichnen. Sesshoumaru hatte ebenfalls kaum gute Nachrichten, wenn er es – was in letzter Zeit selten vorkam – zum Treffpunkt schaffte. Sie konnten nicht wissen, wer ihnen übel mitspielte, wenn er sich ihnen nicht wie Soba offen zu erkennen gab. Ayashi fragte sich, was ihr Vater von ihr wollte, als er sie an einem Abend noch zu sich bat, an dem das Schloss schon in Stille gefallen war, und sie hoffte, dass sie selbst dazu käme, Sesshoumaru zu sehen, als sie in die Empfangshalle trat. Sie bemerkte sofort, dass Kataga nicht allein war, und trat nur zögerlich näher. „Ayashi, komm’ zu uns!“ bat er und sie folgte seiner Bitte. Inu-no-taishou stand neben ihm und sah nicht weniger müde aus als ihr Vater, doch neben ihm stand eine jüngere Frau, die unsicher auf den Boden blickte und ein Bündel in den Armen hielt. „Das sind Izayoi und mein Sohn Inuyasha.“ erklärte Inu-no-taishou und ließ seinen Blick auf Ayashi ruhen, die einige Augenblicke brauchte, um diese Nachricht einzuordnen. Sie hatte keine Ahnung davon gehabt, dass Izayoi ihr Kind schon geboren hatte wie sie auch nicht gewusst hatte, wie weit die Schwangerschaft fortgeschritten war, als sie von ihr erfahren hatte. Fragend und enttäuscht blickte sie zu ihrem Vater. Hatte er es nicht für nötig gehalten, sie darüber zu informieren? Und Sesshoumaru… Er hatte ihr auch nichts gesagt, doch sie hatten sich auch schon längere Zeit gesehen. „Ayashi?“ fragte Kataga und sie rief sich in Gedanken zu Aufmerksamkeit und blickte die jüngere Frau an. Sie war blass und in sehr vornehme Kleidung gehüllt. Wahrscheinlich war sie tatsächlich hübsch, doch sie schien matt, und Ayashi gefiel nicht, dass Izayoi ihren Blick auf den Boden gerichtet hielt, als ob sie auf ein Urteil wartete, welches nur Ayashi aussprechen konnte. Ayashi betrachtete das Bündel, das Izayoi fest in den Armen hielt und bemerke, dass der darin eingewickelte Säugling wohl nicht mehr als einige Tage alt war. Ayashi nickte und Inu-no-taishou sprach weiter: „Wir sind hierher gekommen, da mein Schloss nicht mehr sicher ist. Ich möchte dich um einen großen Gefallen bitten.“ Ayashi sah ihren Vater an und wartete auf eine Erklärung, die sie nicht bekam. Kataga nickte Inu-no-taishou zu, damit er fortfuhr: „Ich möchte dich bitten, Izayoi und unseren Sohn in deine Obhut zu nehmen. Sie brauchen deinen Schutz.“ „Das bedeutet, dass die große Schlacht bevorsteht.“ bemerkte Ayashi und Kataga nickte. „Gibt es keine andere Möglichkeit?“ „Nein.“ entgegnete Kataga und Ayashi nickte. „Vater, ich kann in diesem Krieg kämpfen. Lass’ mich kämpfen, Vater!“ erinnerte ihn Ayashi. Sie wollte lieber kämpfen und in der Schlacht sein, als in Fukuoka die Frau und das Kind verteidigen. Und sie wusste, dass sie kämpfen konnte. „Nein, ich möchte dass du Inu-no-taishous Bitte erfüllst.“ erwiderte Kataga bestimmt. „Ich bin einverstanden.“ antwortete Ayashi, doch bedeutete ihrem Vater mit einem hitzigen Blick, dass sie absolut anderer Meinung war. „Dein Platz ist hier, Ayashi.“ sagte Kataga leise. Ayashi nickte trotzig, da sie wusste, dass er nicht noch einmal mit sich reden lassen würde. Sie gab ihm nach, doch kämpfte innerlich mit sich, da sie am liebsten nach ihren Waffen gegriffen hätte, um an Sesshoumarus Seite zu stehen. Wenigstens konnten sie dann gemeinsam sterben. Die nächsten Tage verbrachte Ayashi damit, Izayoi mit ihren kleinen Sohn Inuyasha aus der Ferne zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Ban trat des Öfteren zu ihr und unterrichtete sie von den Verläufen einzelner Auseinandersetzungen, doch die genauen Geschehnisse blieben ihr verschlossen. Soba schien Niederlage nach Niederlage zu erleiden, während Katsumoto in den Bergen für Sicherheit und Stabilität kämpfte und seine Verbündeten an sich band. Dennoch schien sie stark zu bleiben, da sie nun auch die Katzenyoukai unter sich versammelt hatte, denen ihr Hass gegen Inu-no-taishou wichtiger war, als ihr Stolz. Ayashi wusste nicht, wie lange sie noch auf die Frau und ihr Kind achten sollte, und überlegte, ob sie nicht einfach ihre Waffen nehmen und aus dem Schloss fortgehen sollte, als Ban wieder zu ihr trat und ihr ein Schriftstück überbrachte. „Was ist das?“ fragte Ayashi, als sie es entgegen nahm. „Eine Nachricht eines Boten von Inu-no-taishou.“ informierte er sie und Ayashi öffnete sie hastig. ‚Ich erwarte dich.’ stand da in feiner Schrift, doch Ayashi musste nicht zweimal raten, ehe sie wusste, wer ihr diese Nachricht geschickt hatte. Sesshoumaru. Es musste dringend sein, wenn er dieses Risiko einging. „Ist alles in Ordnung, Ayashi-Sama?“ fragte Ban und Ayashi ließ das Schriftstück sinken. „Ban, achtet auf die Frau und ihr Kind.“ bat Ayashi und erhob sich von ihrem Platz auf der Engawa. „Ayashi-Sama… Hime-Sama. Bitte nicht!“ rief Ban ihr zwar leise, aber energisch hinterher. „Ban, ich vertraue Euch, beide vor jeglichem Schaden zu bewahren. Ich muss… gehen.“ „Hime-Sama…“ „Bitte, fragt nicht weiter, Ban.“ entgegnete Ayashi nur noch und eilte in ihre Gemächer, wo sie ungestört war. Ayashi eilte ungesehen in den Wald und war vorsichtig genug, einen Umweg in Kauf zu nehmen. Sesshoumaru erhob sich von dem Baumstamm, auf dem er sich niedergelassen hatte, sobald er sie hörte. „Was ist geschehen?“ fragte sie, noch ehe sie ihn erreicht hatte. „Es geht zu Ende.“ antwortete er ihr ohne Umschweife. „Sprich’ nicht so, Sesshoumaru!“ bat sie ihn, doch er nahm seine Worte nicht zurück, und erklärte, was geschehen war: „Yari, der ehemalige Gefährte meiner Tante Yume-Sama, ist wieder aufgetaucht und hat die Drachen aus Korea in den Krieg geführt.“ „Was sagst du da? Die Drachen? Vor Jahrhunderten hat der erhabene Herrscher der Youkai verhindert, dass es zum Krieg zwischen Drachen und Youkai kam. Kann er nun nichts tun?“ „Der erhabene Herrscher, der Kaiser aller asiatischer Youkai hält sich seit Jahrhunderten aus allen politischen und weltlichen Geschehnissen heraus, Ayashi. Damals, als er diese furchtbare Schlacht verhindert hat, schwor er, nie wieder Ambitionen zu entwickeln, die diese Dinge betreffen.“ „Er lebt abgeschieden im Himalaja, doch er wird doch noch immer von den Youkai verehrt…“ „Tatsächlich? Nein, in Japan hat sein Ansehen spätestens seit dem Zeitpunkt gelitten, als er sich gegen Hyouga nicht eingemischt hat. Und nun wird er sich ebenfalls nicht einmischen. Er ist alt.“ Ayashi nickte leicht und betrachtete Sesshoumaru. Er sah müde aus. „Die Drachen lebten seither sehr zurückgezogen und nur in kleinen Gruppen… Ich dachte, sie würden nie einen Youkai-Führer über sich anerkennen oder sich neu formieren.“ murmelte Ayashi entsetzt und sah, dass Sesshoumaru nickte. „Yari lebte seit seiner Flucht aus Japan bei ihnen im tiefsten Bergland von Korea. Sie haben ihn angenommen und mit ihrem Blut genährt, sodass er nun eher einer von ihnen ist. Stell’ dir lieber nicht vor, wie er nun aussieht – oder spricht. Er ist wild und ungestüm. Ein gefährlicher und starker Gegner.“ Ayashi nickte, schlang verzweifelt ihre Arme um ihn und presste das Gesicht gegen seine Brust. Sein Herz schlug regelmäßig und laut, als sie aufblickte. „Wie lange kannst du bleiben?“ wollte sie wissen, obwohl sie ebenfalls wusste, dass sie selbst nicht lange vom Schloss fortbleiben konnte. „Nicht lange.“ entgegnete er und Ayashi nickte. „Ayashi, ich liebe dich. Ich möchte, dass du das weißt und niemals vergisst.“ „Sesshoumaru…“ begann Ayashi, doch sie kam nicht weiter. Sesshoumaru zog sie zu sich und berührte ihre Lippen mit seinen, um sie in einen innigen Kuss zu verwickeln. Sie würde seine Worte nie vergessen, sie wusste es. „Sesshoumaru.“ murmelte sie, als sich ihre Lippen wieder voneinander trennten, und er wusste, was sie sagen wollte. „Ich bin vorsichtig, Ayashi. Ich verspreche es dir. Ich werde alles dafür tun, zu dir zurückzukommen, aber ich kann dir nichts versprechen.“ Ayashi nickte und hielt Sesshoumaru fest. Er war müde und hatte doch die Hoffnung verloren, das konnte sie an seiner Stimme hören. Als ob er ihre Gedanken ahnen konnte, schüttelte er den Kopf und strich ihr beruhigend über das Haar. „Es geht mir gut.“ flüsterte er und presste sie noch einmal fest an sich, ehe er sie zurücklassen musste. Kapitel 78: ------------ Ayashi kehrte zurück ins Schloss und nahm einem immer noch verwunderten Ban seine Aufgabe wieder ab, da sie nun wieder selbst zur Stelle war. Der Gesichtsausdruck seiner Hime gefiel ihm nicht. Außerdem wirkte sie leicht verstört, doch er wagte nicht, sie nach dem Grund für ihr Verhalten zu fragen. Ayashi setzte sich wieder auf die Engawa und blickte zu Izayoi und Inuyasha hinüber. „Ist etwas vorgefallen?“ fragte sie, als Ban sich nicht zurückzog, und nickte in die Richtung der beiden. „Izayoi-Sama bat mich, mit Euch sprechen zu dürfen.“ entgegnete Ban, worauf Ayashi überrascht aufblickte. „Sagte sie, worüber sie mit mir sprechen möchte?“ wollte sie wissen, doch Ban schüttelte den Kopf. „Nein, ich bedaure, Ayashi-Sama. Sie sagte, es sei ihr ein Bedürfnis.“ erwiderte er, was Ayashi zu einem Kopfschütteln verleitete. „Und wir tun natürlich alles, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen.“ murmelte sie leise, doch Ban hörte sie. „Vergebt mir meine Offenheit, Hime-Sama, aber… empfangt sie nicht, wenn Ihr nicht wollt.“ „Es geht schon lange nicht mehr darum, was ich will, Ban-Sama. Sagt ihr, dass ich sie heute Abend noch aufsuchen werde. Dann kann sie mit mir sprechen.“ entgegnete Ayashi und erhob sie von ihrem Platz. Sie konnte jetzt nicht mit ihr sprechen. Jetzt nicht. Sie brauchte einen Augenblick für sich, um mit den Nachrichten umzugehen, die Sesshoumaru ihr überbracht hatte, wenn man das überhaupt ordentlich konnte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Neuigkeiten auch die anderen im Schloss erreichen würden, doch bis dahin war sie die einzige, die Bescheid wusste. Ayashi wusste, dass sie ihr Wissen für sich behalten musste, denn sie konnte es nicht erklären. Es war ein schreckliches Wissen, denn es vernichtete jegliche Hoffnung, die es in ihr noch gegeben hatte. Wenn sie sich nur vorstellte, welchem Gegner Sesshoumaru, sein Vater und ihr Vater gegenüber standen, so wurde ihr schwindelig und ließ nur noch einen Wunsch in ihr laut rufen: Sie wollte weg von hier. Sie wollte keine Verpflichtungen mehr erfüllen müssen. Sie wollte ein Leben fernab von Macht und Krieg mit Sesshoumaru. Ayashi wusste, dass sie nicht mehr wollte, doch dass schon das allein zu viel verlangt war. Sie war gefangen in einem Käfig von widrigen Umständen, aus dem sie nicht entkommen konnte. Am Abend überwand sich Ayashi und trat zu Izayoi, die den gesamten Tag schon ihr Kind in ihren Armen hielt und es nicht losließ. Sie wusste, dass sie das Gespräch beginnen sollte, also fragte sie: „Izayoi-Sama, ich hörte, Ihr erbatet ein Gespräch. Worüber wollt Ihr mit mir sprechen?“ „Ayashi-Sama, es ist mir… Ich freue mich sehr, dass Ihr meiner Bitte nachkommt.“ erwiderte Izayoi und wies mit einer flüchtigen Handbewegung auf das leere Sitzkissen, worauf Ayashi Platz nahm. „Ich habe bemerkt, dass Ihr heute Nachmittag das Schloss verlassen habt.“ meinte Izayoi zurückhaltend und Ayashi nickte. „Ich schwor, Euch zu schützen, und gedenke diesen Schwur nicht zu brechen. Ihr habt nichts zu befürchten. Die Krieger werden ihre Aufgabe auch ohne mich ausführen können.“ „Ich zweifelte nicht an Eurer Zuverlässigkeit, Ayashi-Sama. Vergebt mir.“ Ayashi blieb stumm und blickte Inu-no-taishous Frau an, die den Blick gesenkt hielt. Sie würde niemals eine große Herrscherin werden, wie man es von der Gefährtin eines Daiyoukai erwartete. Niemals. „Verzeiht mir, Ayashi-Sama, doch ich muss Euch etwas fragen.“ begann Izayoi wieder, worauf Ayashi sie geduldig und abwartend anblickte und leicht nickte. „War Eure Mutter eine Youkai?“ fragte sie ohne Umschweife und Ayashi konnte sich denken, worauf diese Frage führen sollte. „Sie starb, als ich noch sehr klein war. Ich erinnere mich kaum an sie. Mein Vater spricht nicht oft von ihr. Und ja, sie war eine Youkai.“ antwortete Ayashi. Sie wollte sich weitere Fragen ersparen. Sie wollte nicht Izayoi fragen hören, warum Ayashis Geburt keinen Krieg heraufbeschworen hatte. Sie wollte Izayoi nicht wissen lassen, dass sie und ihre eigene Mutter etwas gemeinsam hatten, denn das hatten sie in Ayashis Augen überhaupt nicht. „Ich verstehe so viele Dinge nicht, Hime-Sama. Mein Leben war sehr beschaulich, doch als ich Inu-no-taishou kennen lernte… Es hat sich verändert, aber ich kann auch nicht sagen, dass ich es bereue.“ „Natürlich nicht.“ gab Ayashi zurück und blickte in den dämmrigen Himmel. „Ihr bereut es nicht, Inu-no-taishou kennen gelernt zu haben, und dennoch sehnt Ihr Euch das beschauliche Leben zurück.“ „So ist es, Ayashi-Sama.“ „Ihr solltet Euch schnell daran gewöhnen, dass Euer Leben nie wieder beschaulich sein wird. Das Leben mit einem Daiyoukai zu teilen, ist für einen Menschen nicht, doch da Ihr Euch dafür entschieden habt, müsst Ihr jetzt auch mit den Konsequenzen leben.“ „Ich bin in Sorge um ihn.“ flüsterte Izayoi und Ayashi nickte. „Ihr seid nicht die einzige, die um ihn fürchtet. Inu-no-taishou liegt sehr vielen Youkai am Herzen. Sein Verlust… Seine Gesundheit ist sehr wichtig für sie.“ Izayoi schwieg eine Weile und nickte nachdenklich, doch Ayashi wurde das Gefühl nicht los, dass Izayoi noch etwas sagen wollte, weshalb sie noch sitzen blieb. „Ich danke Euch, Ayashi-Sama. Ihr seid sehr gütig.“ „Ich habe versprochen, Euch zu schützen, Izayoi. Das tat ich für Inu-no-taishou.“ „Ich verstehe.“ murmelte Izayoi und betrachtete das Kind in ihren Armen. „Trotzdem habt Ihr mir erneut Hoffnung gemacht.“ Ayashi musste ein leises Lachen unterdrücken. Hoffnung. Im Moment war Izayoi eine der wenigen, die Hoffnung hatte, obwohl diese nicht begründet war. „Inuyasha hat einen älteren Bruder, doch er ist seit der Geburt seines Halbbruders nicht mehr so oft im Schloss seines Vaters. Er hasst mich. Und er hasst den kleinen Inuyasha.“ „Izayoi-Sama, das ist nicht wahr. Er hasst nicht Euch oder Inuyasha. Er fürchtet nur um seinen Vater. Und er war nicht mehr im Schloss, weil er dafür sorgen musste, dass die Verbündeten seines Vaters weiterhin ihre Treue halten.“ „Ihr versteht nicht, Ayashi-Sama. Es geht mir nicht um mich. Es geht mir um meinen kleinen Sohn und um meinen Mann, der sich meinetwegen mit seinem erstgeborenen Sohn entzweit hat.“ „Izayoi-Sama!“ entgegnete Ayashi heftig, da die Frau vor ihr überhaupt nichts begriffen hatte. „Sesshoumaru-Sama steht auf der Seite seines Vaters. Er kämpft für ihn. Er stirbt für ihn. Wenn er sich mit seinem Vater gestritten hat, dann nicht wegen Eurer Person, sondern weil sein Vater wegen Euch alles riskiert hat, was auch meiner Meinung nach…“ Ayashi brach ab und schüttelte den Kopf, als sie Izayois erschrockenes Gesicht sah. „Was denkt Ihr, warum wir uns gerade im Krieg befinden? Gut, vielleicht war uns Youkai in unserer wilden Art einmal wieder danach, uns gegenseitig umzubringen. Wenn das ist, was Ihr denkt, habt Ihr wirklich nichts verstanden, Izayoi-Sama. Das Gleichgewicht unserer Welt, der Welt der Youkai, ist nun zerbrechlich und nicht mehr stabil, da Inu-no-taishou Euch gewählt hat. Es ist diese Entscheidung, die ihm das Vertrauen und die Achtung der anderen Youkai nehmen, da man eine starke Herrin an seiner Seite erwartet hatte. Indem er Inuyasha noch als Sohn anerkennt, macht er damit Sesshoumaru das Erbe streitig, und das ist vielleicht sogar das größte Problem von allen anderen.“ „Ich verstehe nicht.“ gab Izayoi kleinlaut zu und Ayashi erklärte: „Stellt Euch die Frage, wem die ehrwürdigen Youkai folgen sollen, wenn sowohl Inu-no-taishou als auch Sesshoumaru den Tod finden! Inuyasha? Ein Hanyou, der von seiner sterblichen Mutter kaum ausreichend auf diese Aufgabe vorbereitet werden konnte, wäre der rechtmäßige Erbe. Sollen sie ihm folgen? Sollen sie ihm vertrauen? Sollen sie ihm ihre Treue schwören, dass er sie schützt? Kann das funktionieren, Izayoi-Sama?“ Izayoi schüttelte nur stumm den Kopf und blickte auf ihren Sohn hinab, der an seinem Daumen lutschte. „In unserer Welt gibt es niemals nur ein Paar, das Wünsche hat, oder eine Familie, die Pläne hat. Es betrifft uns immer alle. Deshalb steht mein Vater nun Seite an Seite mit Inu-no-taishou … und noch so viele andere. Das Gleichgewicht muss gewahrt bleiben. Die Sicherheit muss erhalten bleiben. Und dafür muss gerade die Erbfolge eines so wichtigen Reiches wie Inu-no-taishous gesichert und anerkannt sein.“ „Aber wenn…“ begann Izayoi und stockte, ehe sie fortfahren konnte: „Wenn Inu-no-taishou und Sesshoumaru sterben würden… und niemand von ihrer Familie die Herrschaft übernehmen könnte… Wäre das nicht genauso schlimm, wie wenn nur mein Sohn…?“ „Nein. Nein, durchaus nicht. Inuyasha ist zu diesem Zeitpunkt der zweite Erbe nach Sesshoumaru, doch niemand würde ihm folgen. Kämpfe um die Herrschaft würden mehr als bald ausbrechen. Der stärkste würde daraufhin herrschen.“ „Inu-no-taishou ist der Stärkste. Deshalb herrscht er doch.“ „Izayoi, Ihr versteht nicht! Das Land wurde Inu-no-taishou vom Kaiser, der in unseren Tagen nicht mehr in Japan weilt, zugesprochen, da er in den Kämpfen gesiegt hatte. Ja, Inu-no-taishou war der stärkste Krieger, doch das heißt nicht, dass er es auch heute noch ist.“ entgegnete Ayashi und nickte. Sie konnte nicht glauben, über was sie sich mit Izayoi unterhielt – und dass sie schon über die Zeit nach Sesshoumarus Tod nachdachte. Tränen stiegen ihr in die Augen. Tränen des Kummers. Tränen der Verzweiflung. Langsam wandte sie den Blick ab und kämpfte die verräterischen Tropfen tapfer nieder. Nein, sie würde niemals Schwäche zeigen. Nicht vor Izayoi. Kapitel 79: ------------ Die Nachricht von Yaris Verrat und seinem Kriegseintritt hatte das Schloss in Fukuoka am nächsten Morgen erreicht. Die Krieger und Beamten waren schockiert, doch bewahrten ihre Haltung, als Ayashi mit ihnen das weitere Vorgehen besprach. „Wir haben einen Vorteil darin, dass Izayoi und Inuyasha hier sind und die Feinde das nicht wissen. Es dürfte schwer für sie sein, ihre Witterung aufzunehmen, da sie weder Izayoi noch Inuyasha kennen.“ meinte Hankan und Ayashi nickte. „Wo kämpft Inu-no-taishou? Und wo hält sich mein Vater auf?“ fragte Ayashi, da es klar war, dass beide nicht am selben Ort sein konnten. „Inu-no-taishou ist in der Nähe von Edo und Euer Vater, Ayashi-Sama, ist in Nanao.“ gab Ban Auskunft, worauf Ayashi wieder nickte. „Sollten die Feinde herausfinden, dass Izayoi sich hier aufhält, werden wir ihnen nichts entgegen setzten können.“ meinte Yoru und die anderen stimmten ihm zu. „Das ist richtig.“ entgegnete Ayashi und fuhr fort: „Inu-no-taishou wird versuchen, diese Kämpfe so schnell wie möglich zu beenden. Er wird sich auf Yari und die Drachen konzentrieren. Gibt es Neuigkeiten von Sesshoumaru?“ „Nein, aber er scheint Japan verlassen zu haben.“ erwiderte Hankan, was Ayashi etwas unvorbereitet traf. „Wieso?“ „Das entzieht sich unserer Kenntnis.“ gestand Ban und Ayashi schüttelte den Kopf, nickte aber gleich darauf. Sesshoumaru hatte Japan verlassen? Wieso? Hatte er überhaupt vor, wieder nach Japan, nach Shimonoseki, nach Nanao und gar zu ihr, Ayashi, zurückzukehren? Tausende Gedanken stürzten auf Ayashi ein, als sie versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren. Nein, Sesshoumaru hatte seine Gründe. Sesshoumaru war nicht desertiert. Sesshoumaru würde innerhalb kürzester Zeit zurückkehren. Doch was war, wenn es dann zu spät war? Die nächsten Tage blieben ruhig und keine neuen Nachrichten fanden ihren Weg nach Fukuoka. Das Warten machte Ayashi wahnsinnig und die Unruhe, die sie empfand, lenkte sie leider auch nicht von ihren düsteren Gedanken ab. Es musste schon ein Wunder geschehen, wenn dieser Krieg ein gutes Ende nehmen sollte. Ein Wunder, auf das sie wohl vergebens warten würden. Ayashi konzentrierte sich immer häufiger darauf, Sesshoumarus Aura wahrzunehmen, doch sie spürte nur, dass er weit weg war, doch wenigstens am Leben. Was tat er nur? Sie wollte nicht glauben, dass er seinem Vater doch den Rücken gekehrt hatte. Sie konnte es nicht glauben, auch wenn sie versuchte, sachlich zu bleiben und all ihre Gefühle, die sie für ihn hatte, bei ihren logischen Überlegungen unberücksichtigt zu lassen. Es war nicht möglich, dass sie sich in Sesshoumaru getäuscht hatte. Es war nicht möglich, dass er floh oder gar auf die Seite der Gegner wechselte. Es war einfach nicht möglich. „Hime-Sama! Hime-Sama!“ hörte Ayashi Ban schon von weitem rufen, als er auf der Engawa entlang zu ihren Gemächern eilte, in die sie sich vor wenigen Stunden zurückgezogen hatte. Sie erhob sich schnell und schob die Tür zu ihrem Zimmer selbst auf, damit sie Bans Neuigkeiten hören konnte. „Hime-Sama… Der Krieg ist vorbei.“ sagte er, was Ayashi im ersten Moment kaum fassen konnte. Sie sagte nichts. Sie konnte nichts erwidern. Sie stand nur da und blickte Ban an. Vorbei. Der Krieg war vorbei. Immer wieder hallten seine Worte in ihrem Gedächtnis, ehe sie tief einatmete und nickte. „Der Krieg ist vorbei.“ murmelte sie und blickte an Ban vorbei in den Garten. „Und mein Vater? Katsumoto? Wie geht es Ayame und Ninshiki? Inu-no-taishou? Wurden Yari und die Drachen getötet? Und Soba? Was geschieht nun mit Satori? Und … ist Sesshoumaru zurück?“ „Euer Vater, Hime-Sama, wird noch heute ins Schloss zurückkehren. In Kochi scheint sich der Schaden in Grenzen zu halten. Katsumoto-Sama, Ayame und Ninshiki sind wohlauf. Die Drachen sind getötet oder geflüchtet. Über Soba und Yari und auch über Satori wird im Rat von Kyoto entschieden werden.“ „Ich erinnere mich nicht, dass der Rat… völlig auf Seiten Inu-no-taishous gestanden hätte.“ entgegnete Ayashi etwas verwirrt. „Der Rat wird entscheiden.“ wiederholte Ban nur noch einmal und bat dann, sich zu entfernen, was Ayashi gewährte. Der Krieg war vorbei und Ayashi konnte aufatmen, doch es war ihr nicht entgangen, dass Ban nicht auf ihre Fragen bezüglich Inu-no-taishou und Sesshoumaru geantwortet hatte. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Am späten Nachmittag kehrte Kataga nach Fukuoka zurück. Ayashi erwartete ihn im ersten Innenhof und sah, dass er von wenigen seiner Krieger, Sesshoumaru und zwei ihr unbekannten Youkai begleitet wurde. Ein stechender Schmerz bohrte in ihr Herz, da sie sofort verstand. Der Krieg war zu Ende und Inu-no-taishou war gefallen. Ayashi ging langsam und wie in Trance auf ihn zu und umarmte ihren Vater, obwohl das nicht irgendwelchen Regeln oder Etiketten entsprach. Es war ihr gleichgültig. Sie spürte, dass seine Arme sie gegen ihn pressten und blickte über seine Schulter Sesshoumaru an, der ihr unmerklich zunickte. Sie schloss die Augen und bemerkte, wie ihr Vater sie umdrehte, dass er mit ihr im Arm weitergehen konnte. Wenig später saß sie mit ihrem Vater in dessen Arbeitszimmer und wartete ab. Sie bekam nicht richtig mit, wie er Anweisungen gab und seinen Gästen ein Quartier richten und für Verpflegung sorgen ließ. Sie wartete einfach nur – vielleicht darauf, dass er sagte, dass es Inu-no-taishou gut ging und er ebenfalls bald eintreffen würde. „Inu-no-taishou hat tapfer gekämpft und ist ehrenvoll gestorben.“ brach Kataga leise, doch mit ruhiger Stimme, die ihm aber alles abverlangte, das Schweigen zwischen ihnen. „Ich kann es mir vorstellen.“ entgegnete Ayashi kaum hörbar und schluckte die Tränen hinunter, wusste jedoch auch, dass sie es nicht mehr lange schaffen würde. „Bist du verletzt?“ fragte sie nach einer Weile. Kataga winkte ab, doch Ayashi ließ sich nicht täuschen, erhob sich und holte saubere Tücher und frisches Wasser. Ohne ein Wort löste sie den Haori ihres Vaters und begann, seine Wunden am Rücken und der Brust zu waschen. Er sagte ebenfalls nichts, sondern betrachtete sie nur immer wieder, bis sie ihm schließlich die Verbände anlegte. „Sesshoumaru ist ein ehrenhafter Youkai, Ayashi. Ich weiß nicht, was deine Mutter damals gesehen hat.“ Ayashi ließ sich nicht beirren und befestigte den letzten Verband um Katagas Oberarm. Sie waren beide verwirrt und in Trauer und sie wusste, dass sie nun sehr genau über ihre Worte nachdenken musste, um sich nicht zu verraten. „Ich hörte, er hatte Japan verlassen.“ meinte sie deshalb nur, da sie das nicht in Schwierigkeiten bringen konnte. „Ja, das ist wahr. Er hat Hilfe geholt, als niemand von uns noch daran glaubte, dass irgendjemand helfen könnte.“ „Wo war er? Wer hat schließlich geholfen?“ „Er war in Nepal, Ayashi, und er hat die Söhne des Kaisers für uns gewinnen können.“ flüsterte Kataga und es klang so, als sei das eine unmögliche Sache, an deren Wahrheit er jetzt noch nicht glauben wollte. „Die Söhne des Kaisers? Du meinst... die Youkai, die dich hierher begleitet haben, nicht wahr?“ fragte Ayashi und blickte ihren Vater an. „Ich habe ihnen ein Quartier angeboten, bevor sie zu ihrem Vater zurückkehren. Sie sind große Kämpfer. Ich habe so eine Vollendung der Technik noch niemals gesehen.“ „Sie haben also die Wende in diesem Krieg gebracht.“ murmelte Ayashi und musste sich eingestehen, dass sie noch nicht einmal gewusst hatte, dass der Kaiser Söhne hatte. „Sie haben zum Sieg beigetragen.“ stimmte Kataga zu und blickte seine Tochter liebevoll an, als sie nickte und die übrigen Verbände zur Seite legte. „Inu-no-taishous Verlust wird dennoch schwer zu ertragen sein, ich weiß.“ fügte er hinzu, weil er glaubte, dass Ayashi das dachte. „Izayoi muss es erfahren.“ entgegnete Ayashi nur. „Ich werde sie von seinem Tod unterrichten.“ meinte Kataga nickend, erhob sich und ging in sein Ankleidezimmer, um Izayoi in sauberer Kleidung zu begegnen, während Ayashi die Gemächer ihres Vaters verließ und in die Gärten ging. Kapitel 80: ------------ Izayoi wartete auf Kataga, da sie davon unterrichtet worden war, dass er in kurzer Zeit in ihre Gemächer kommen würde. Niemand hatte ihr Näheres gesagt, was sie nervös machte. Der Krieg war zu Ende, das hatte man ihr berichtet. Doch warum war Inu-no-taishou dann nicht in Fukuoka? Das konnte nichts Gutes bedeuten und so sehr sie sich auch gegen diese Vorstellungen wehrte, sie fanden doch immer wieder Platz in ihren Gedanken, während sie wartete. Inuyasha lag in seiner Wiege und wusste von all dem nichts. „Izayoi-Sama, erlaubt Ihr, dass ich eintrete?“ drang Katagas Stimme durch die Tür. „Ja, Kataga-Sama.“ entgegnete sie gerade so laut, dass er sie hören konnte. Ein Diener öffnete von außen die Tür und Kataga trat langsam ein, setzte sich Izayoi gegenüber und meinte: „Es tut mir seid leid, Euch diese schlechten Nachrichten überbringen zu müssen, Izayoi-Sama, doch Euer Gemahl Inu-no-taishou wurde in der Schlacht tödlich verwundet und erlag noch auf dem Schlachtfeld seinen Verletzungen.“ Izayoi entgegnete nichts, sondern senkte nur den Blick. Sie hatte es gewusst, denn welchen Grund hätte es sonst geben können, aus dem Inu-no-taishou nach dem Ende des Krieges nicht sofort zu ihr geeilt war? Dennoch war die Wahrheit, die ihre Gedanken durch Katagas Worte erfuhren, nicht zu ertragen. Kataga wusste nicht recht, was er tun sollte. Er hätte doch Ayashi bitten sollen, dieses Gespräch zu führen, doch sie war selbst so verstört gewesen. Und Izayoi war sein Gast und die Gemahlin seines engsten Freundes. „Inu-no-taishous Tod ist für uns alle ein harter Schlag, doch für keinen von uns so sehr wie für Euch, da Ihr ihn aufrichtig und treu liebt, doch Ihr dürft nicht vergessen, dass er für Euch und seinen Sohn Inuyasha gekämpft und sein Leben gelassen hat.“ „Er sollte zu uns zurückkehren.“ flüsterte Izayoi, da sie kaum sprechen konnte, und hielt ihre Tränen nicht mehr zurück. „Er sollte zurückkehren. Er hat es …“ begann sie, doch wurde durch ihr Schluchzen unterbrochen. „Izayoi-Sama, Ihr müsst nun sehr stark sein.“ entgegnete Kataga und blickte zur Wiege hinüber, da Inuyasha unruhig wurde. „Euer Sohn, Izayoi-Sama…“ „Ich weiß nicht, wie ich ohne Inu-no-taishou leben soll. Ich weiß nicht, wie ich Inuyasha ohne seinen Schutz aufziehen soll. Kataga-Sama… Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.“ weinte sie und presste ihre Hände auf ihr Herz, das sich schmerzhaft zusammenzog, sodass sie am ganzen Leib zitterte. Inuyasha fing an zu weinen und Kataga erhob sich, als Izayoi keine Anstalten machte, zu ihm zu gehen. Sie konnte nicht. Vorsichtig nahm er den Säugling aus der Wiege und schaukelte ihn, um ihn zu beruhigen, doch Inuyasha hörte nicht auf zu weinen und verlangte nach der Aufmerksamkeit seiner Mutter. Kataga überlegte sich, ob er Ayashi rufen lassen sollten, damit sie Inuyasha für eine Weile zu sich nahm, in der Izayoi sich sammeln konnte, und entschied sich schließlich dafür, als Izayoi ihre Arme nicht nach ihrem Sohn ausstreckte. Mit dem weinenden Kind auf den Arm trat er auf die Engawa hinaus und winkte einen Diener zu sich, um nach Ayashi zu schicken. Kataga trat zurück in Izayois Gemach und versuchte, Inuyasha zu beruhigen, während Izayoi apathisch auf dem Boden saß und weinte. Kataga wusste nicht, ob Inuyasha Hunger hatte, und war froh, als Ayashi auf der Engawa erschien. „Du hast mich rufen lassen, Vater?“ sagte sie und blickte Kataga und Inuyasha fragend an. Kataga betrachtete seine Tochter, die ihre Kleidung durch einen unverzierten, dunklen Kimono ausgetauscht hatte, und bemerkte, dass auch sie geweint hatte. Ihre Augen waren leicht gerötet und schimmerten noch glasig. „Ich möchte dich bitten, Inuyasha zu nehmen.“ meinte Kataga. Ayashi trat in das Gemach, ließ ihren Blick über Izayoi streifen, die nicht aufblickte, und nahm eine dicke Decke aus Inuyashas Bettchen, bevor sie sich wieder zu ihrem Vater umwandte und sich den Säugling überreichen ließ. Sie stützte den Kopf des Kindes, bettete Inuyasha bequem in ihre Arme und wickelte ihn in die Decke ein, damit er nicht fror. Kataga beobachtete seine Tochter und stellte fest, dass Inuyasha sie mit großen Augen anblickte und seine kleinen Finger bewegte. Er konnte nicht glauben, dass sie ihn nur dadurch beruhigt hatte, dass sie ihn in den Armen hatte. „Wann hatte er seine letzte Mahlzeit?“ fragte Ayashi und blickte Izayoi an, die jedoch nicht reagierte. „Izayoi-Sama?“ fragte Ayashi noch einmal, doch wieder entgegnete sie nichts, weshalb Ayashi zu ihrem Vater blickte, der die Schultern zuckte. „Ich weiß es nicht.“ sagte er, worauf Ayashi nickte. „Ich werde mir etwas Milch warm machen lassen und schauen, ob er sie nimmt.“ meinte sie und verließ das Gemach über die Engawa. Kataga sah ihr nach. Er wusste, dass er viel von seiner Tochter verlangte, wenn er sie bat, in diesen schweren Zeiten Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, doch es gab im Moment keine andere Youkai, der er Inuyasha eher anvertrauen würde. „Warum seid Ihr so freundlich?“ flüsterte Izayoi und Kataga wandte sich zu ihr um. „Warum sollte ich es nicht sein?“ fragte er und setzte sich wieder zu ihr. „Ihr musstet schwere Verluste hinnehmen – wegen mir.“ „Izayoi-Sama, was geschehen ist, ist geschehen. Niemand kann die Dinge nun noch ändern.“ „Das ist furchtbar. Ihr habt sicher auch versucht, Inu-no-taishou von der Heirat abzubringen.“ „Ich habe meine Bedenken geäußert…“ „Leider ohne Erfolg.“ murmelte Izayoi, doch Kataga schüttelte den Kopf. „Izayoi-Sama, solche Gedanken und Worte helfen nun niemandem. Inu-no-taishou starb für Euch und seinen Sohn, weil er euch beide geliebt hat und für euch ein Leben in Sicherheit garantieren wollte.“ „Er hätte von Anfang an auf Euch und seinen Sohn Sesshoumaru hören sollen. Er hätte die Gefahr sehen müssen – und sie so beurteilen sollen, wie Ihr und Sesshoumaru-Sama.“ „Er hat sich für Euch entschieden, Izayoi-Sama.“ „Er könnte noch leben, wenn er… Ich bin schuld. Es ist meine Schuld, dass es Krieg gab, und es ist meine Schuld, dass er sterben musste.“ unterbracht Izayoi Kataga, worauf er nicht sofort etwas erwidern konnte. „Es geht nicht um Schuld oder Unschuld, Izayoi-Sama. Inu-no-taishou hat getan, was er für richtig hielt. Es ist wichtig, dass Ihr das wisst und niemals vergesst.“ meinte er schließlich und erhob sich von seinem Platz, da er Izayoi in ihrer Trauer nicht länger bedrängen wollte. Ayashi ging mit Inuyasha auf den Armen zurück in ihre eigenen Gemächer, wo sie ihre Dienerinnen Iruka und Kazari antraf, die sie überrascht anblickten, als sie das Kind sahen. „Ich werde mich solange um Inuyasha kümmern, bis seine Mutter mit der Nachricht von Inu-no-taishou-Samas Tod gefasst umgehen kann.“ erklärte Ayashi und bemerkte, wie sich ihre Kehle zuschnürte. Iruka und Kazari nickten, senkten den Blick und wartete auf weitere Anweisungen ihrer Hime. Ayashi hatte im Moment nur einen Wunsch, doch sie wusste, dass sie sich nicht zu Sesshoumaru flüchten konnte. Es schmerzte sie, dass sie nicht wusste, wie es ihm ging, und dass sie wusste, dass sie ihm nicht helfen konnte. Brauchte er sie? Verlangte es ihn danach, sie zu sehen, mit ihr zu sprechen oder ihre tröstende Nähe zu spüren? „Kazari, besorge ein Bett, weitere Decken und Kleidung für Inuyasha. Iruka, bitte in der Küche um warme Milch und lass’ sie dir warm gestellt geben. Außerdem brauche ich noch eines der kleinen Porzellanfläschchen.“ meinte Ayashi. „Ja, gewiss, Hime-Sama.“ entgegneten die Dienerinnen und wollten schon aus dem Gemach eilen, als Ayashi hinzufügte: „Ich werde mit ihm in die Gärten gehen. Er scheint noch nicht trinken zu wollen. Ich werde zurückkommen, wenn er Hunger hat. Dann soll alles vorbereitet sein.“ Die Dienerinnen nickten, verneigten sich und verschwanden dann schnell aus dem Gemach ihrer Hime. Ayashi blieb allein zurück und betrachtete den kleinen Inuyasha, der friedlich in ihren Armen lag und sie aufmerksam anblickte. Langsam ging sie wieder auf die Engawa hinaus und schlenderte in die Gärten. Sie sprach leise und ruhig mit Inuyasha und ließ ihn die Blätter der Bäume betrachten, die sich im Wind bewegten und raschelten. Gemütlich spazierte Ayashi mit Inuyasha auf den Armen die verschlungenen Wege entlang, bis sie sich auf eine steinerne Bank am Ufer des kleinen Sees setzte. Nachdenklich blickte sie auf die Wasseroberfläche, während sie Inuyasha sanft in den Schlaf wiegte, und beobachtete die kleinen Wellen, die sich um die schwimmenden Schwäne und Enten ausbreiteten. Wieder war sie in den Gärten und kümmerte sich um ein Kind, welches nicht ihres war. Erst Ayame, ihre kleine Schwester, und nun Inuyasha, der Sohn eines verstorbenen Freundes. Schritte näherten sich knirschend auf dem Kiesweg, der zur Bank führte, worauf Ayashi den Blick wandte und Sesshoumaru erkannte, der direkt auf sie zukam. Ayashis Herz krampfte sich zusammen, als sie die Trauer und den Schmerz in seinen Augen sah. Sie blickte hinter ihn, um festzustellen, ob er allein war und sie niemand sehen konnte, ehe sie eine Hand nach ihm ausstreckte, die er ergriff, ehe er sich neben sie auf die Bank setzte und sie so nahe zu sich zog wie es mit Inuyasha auf den Armen möglich war. Kapitel 81: ------------ Ayashi atmete Sesshoumarus angenehmen Duft ein und schloss die Augen für einen Moment, um nicht wieder zu weinen zu beginnen. „Es tut mir so leid.“ flüsterte sie und fühlte, dass er nickte. „Ich danke dir.“ gab er leise zurück und behielt sie noch eine kurze Weile in seinen Armen, ehe er sie wieder aus ihnen entließ. Ayashi legte ihre freie Hand an seine Wange und streichelte sie, während sie ihm in die Augen blickte. Sie wusste nicht genau, was sie ihm sagen sollte, doch konnte man das wirklich von ihr erwarten? Sie selbst hatte noch keinen vergleichbaren Verlust erlebt und Inu-no-taishous Tod machte auch ihr sehr zu schaffen. „Gibt es etwas, das ich für dich tun kann?“ fragte sie leise, doch er schüttelte den Kopf, worauf sie nickte. „Du bist verletzt, nicht wahr?“ fragte sie weiter und ließ ihre Hand zu seiner Schulter sinken. Sie konnte den Verband durch seine Kleidung spüren. „Das ist nicht weiter schlimm.“ versicherte er, ergriff ihre Hand und hauchte ihr einen zarten Kuss auf die Fingerknöchel, ehe er seinen Blick zu Inuyasha gleiten ließ. „Mein Vater bat mich, ihn Izayoi für eine kleine Weile abzunehmen. Sie erfuhr gerade eben erst vom Tod deines Vaters.“ beantwortete Ayashi seine ungestellte Frage. Sesshoumaru nickte, ließ seinen Blick über seinen kleinen Halbbruder wandern und dann wieder zurück zu Ayashi, die den Säugling nahe und liebevoll bei sich hielt. Er schlief fest und friedlich in ihren Armen und Sesshoumaru bemerkte den Sinn der Worte, die sich ihm auf die Zunge legten, zu spät, um sie zurückzuhalten. „Ich wünschte, er wäre unser Sohn.“ flüsterte er leise, worauf Ayashi ihn überrascht anblickte. „Nein, das ist nicht ganz richtig so.“ meinte er und schüttelte den Kopf. „Was meintest du dann?“ fragte Ayashi, obwohl sie es wusste, doch sie musste es von ihm hören. „Ich würde dich gern zu meiner Gefährtin machen, Ayashi. Ich würde dich in die große Residenz von Nanao bringen, damit alle sehen, dass du diejenige bist, die ich in jeder Hinsicht an meiner Seite wünsche… als meine Gefährtin, die mich durch mein restliches Leben begleitet, als meine Partnerin, die mich in meiner Herrschaft stärkt, und als die Mutter meiner Kinder... Wir würden sie aufwachsen sehen und für immer beisammen sein.“ „Diese Gedanken… Sesshoumaru, du musst wissen, dass ich keinen Augenblick zögern würde. Ich folge dir…“ „Nein, Ayashi.“ entgegnete er, worauf sie den Kopf schüttelte. „Natürlich nicht. Diese Zukunft werden wir niemals haben.“ gab sie traurig zurück. „Ayashi, ich denke immer mehr, dass wir zu lange gezögert haben. Hätten wir unsere Väter nicht vor vollendete Tatsachen stellen können? Hätten wir nicht unseren Kopf durchsetzen können?“ „Ich weiß es nicht.“ gestand Ayashi leise und blickte auf den Teich hinaus. „Vielleicht.“ fügte sie ebenso leise hinzu und wandte wieder den Blick zu Sesshoumaru. Der Ausdruck auf seinem Gesicht gab ihr zu denken. Er wirkte angespannter als er ihr vorher erschienen war, doch sie sprach ihn nicht darauf an. Sie wartete, bis er wieder das Wort ergriff, was eine Weile dauerte. Die Vögel kreisten über dem Wasser. Der Wind spielte mit den Wipfeln der Bäume und rauschte sanft über die hohen Gräser. „Sieh’ uns nur an, Ayashi.“ brach Sesshoumaru das Schweigen und suchte ihren Blick. „Wir sitzen hier mit einem Kind, welches nicht unseres ist, in einem Garten, der nicht uns gehört, und verbringen Zeit, die wir uns nicht nehmen dürften.“ Ayashi nickte und bemerkte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Nahm er Abschied von ihr? Ihr Herz blutete fürchterlich und flehte um Gnade. Erbarmen. Es konnte nicht mehr ertragen. Die letzten Monate in Ungewissheit, in der sie ihr Leben so sehr nach äußeren Umständen hatte gestalten müssen, der Krieg und der Verrat, Hass und die Verzweiflung um sich herum. Inu-no-taishous Tod. Sie konnte nicht noch ertragen, dass sie Sesshoumaru verlieren würde. „Ich habe meinem Vater versprechen müssen, dass ich sein zersplittertes Reich erneut eine. Ich bin sein Nachfolger und es ist meine Pflicht.“ „Wann wirst du aufbrechen?“ fragte Ayashi tonlos. Es war ein Abschied, bemerkte sie. „Schon bald.“ erwiderte er und sie senkte den Blick. Ayashi bemerkte, dass sie am ganzen Leib zitterte. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, doch sie rannen lautlos ihre Wangen hinab. Sie schluchzte nicht. Sie konnte nicht, da sie nicht die Kraft dazu hatte. Sie konnte nicht mehr. Und sie konnte Sesshoumaru nicht verstehen. „Wir waren einer gemeinsamen Zukunft niemals so fern wie jetzt, Ayashi.“ sprach er wieder. „Wir haben immer nur für andere gekämpft – nie für uns selbst. Wir haben andere über unser Glück gestellt… Ich wünschte, wir hätten niemals die richtigen Entscheidungen getroffen, denn sie waren für unsere gemeinsame Zukunft die falschen.“ gab sie zurück und hob den Blick wieder zu seinem. „So ist der Lauf der Dinge – alles hat seinen Preis. Jede Entscheidung hat ihre Konsequenzen.“ entgegnete er bedrückt und hielt Ayashis Blick stand. Sie sah die Hoffnungslosigkeit und die Mutlosigkeit in ihnen, sodass ihr bewusst wurde: er verließ sie nicht, weil er sie nicht mehr liebte, sondern weil er es für das Beste hielt, was er nun noch tun konnte. „Sesshoumaru…“ sagte sie und legte ihre Hand an seine Schulter. „Werde ich irgendwann verstehen, warum du mich verlässt?“ fragte sie mit zitternder Stimme. „Sag’, liebst du mich, Ayashi?“ fragte er und antwortete ihr damit nicht auf ihre Frage. „Ja.“ erwiderte sie und er nickte. „Dann vergiss’ nicht, dass ich dich ebenso liebe. Und vergib’ mir, dass ich nicht kommen sah, wie sich die Dinge entwickeln würden.“ sagte er und strich ihr über die Wange, ehe er sich schnell erhob und sich von der Bank entfernte. Ayashi wischte sich die Tränen aus den Augen, als Inuyasha unruhig wurde. Sie wiegte ihn, erhob sich und ging in einem eigenartigen Zustand von Trance in ihre Gemächer. Sie nahm Kazari ohne ein Wort das Fläschchen mit der warmen Milch ab, überprüfte die Temperatur an der Innenseite ihres Handgelenks und setzte sich dann mit Inuyasha auf die Tatami in der Nähe ihres Schminktischs, der etwas abseits hinter einer dünnen Trennwand stand, um ihm seine Milch zu geben. „Hime-Sama? Können wir etwas für Euch tun?“ fragte Iruka vorsichtig, doch Ayashi schickte sie nur hinaus, da sie allein sein wollte. Sie beobachtete, wie Inuyasha in schnellen Zügen trank, setzte das Fläschchen immer wieder ab und ließ ihn dann weitertrinken. Ihre Gedanken waren bei Sesshoumaru. Sesshoumaru. Inuyasha. Sein Kind. Ihr Kind. Sie würde… alles dafür geben, um bei Sesshoumaru zu sein, doch er hatte sie verlassen. „Warum nur, Sesshoumaru?“ flüsterte Ayashi und schüttelte den Kopf. Er hatte doch gesagt, dass er sie liebte. Und er wusste, dass sie ihn liebte. War es einfach die Zeit, die sich ihnen nun wieder in den Weg stellte? War es die Aufgabe, die vor ihm lag, weswegen er gegangen war, ohne dass er an Rückkehr zu ihr dachte… Nein, sie konnte nicht verstehen, was ihn zum diesem Schritt bewegt hatte. „Ayashi?“ drang Katagas Stimme durch die Tür, da er sie sprechen wollte. „Komm’ herein, Vater.“ brachte sie mühevoll hervor und wischte mit dem Handrücken noch einmal ihre Tränen weg. Sie hörte, wie die Tür aufgeschoben wurde und er mit schweren Schritten ins Zimmer trat. Er blickte sich mit Sicherheit um, da er sie nicht erblickte. „Ich bin hier, Vater.“ meinte sie mit beherrschter Stimme und Kataga kam um die Trennwand herum. „Er trinkt. Das ist gut.“ bemerkte er, worauf sie nur nickte. „War er bisher ruhig?“ wollte er noch wissen, was Ayashi wieder mit einem Nicken bestätigte. „Wie geht es Izayoi-Sama?“ fragte sie schließlich, da der Anstand es ihr gebot, sich nach der Frau zu erkundigen, da sie immerhin gerade ihren geliebten Mann verloren hatte – wie sie selbst. „Sie ist am Boden zerstört und ringt um Fassung.“ berichtete Kataga und setzte sich Ayashi gegenüber auf den Boden. „Sie hat sich allerdings dazu entschieden, Inuyasha mit sich zu nehmen, wenn sie zu ihrer Familie zurückkehrt.“ fügte er hinzu, was Ayashi für eine schlechte Idee hielt. „Er wird sehr einsam sein, wenn er unter Menschen aufwächst.“ meinte sie und blickte das Kind in ihren Armen an. „Ja, das sehe ich auch so, doch ich kann mich nicht einmischen.“ entgegnete Kataga und musterte Ayashi, die ihm in ihrer tiefen Traurigkeit so zerbrechlich vorkam. „Ich sprach mit Sesshoumaru-Sama und er versicherte mir, er würde ein Auge auf seinen Halbbruder haben, wenn es ihm möglich sei.“ „Das ist gut.“ flüsterte Ayashi, doch sie hob nicht den Blick. Kataga nickte und erhob sich wieder, um seine Tochter in ihrer Trauer um Inu-no-taishou allein zu lassen. Welche Qual sie sonst noch in sich trug, konnte er nicht wissen. Kapitel 82: ------------ Ayashi wurde am nächsten Morgen früh zu ihrem Vater gebeten und von ihren Dienerinnen davon unterrichtet, dass sie gebührlich gekleidet erscheinen sollte, da er sie den beiden Söhnen des Kaisers vorstellen wollte. Kazari und Iruka nahmen das Nicken ihrer Hime hin und machten sich daran, sie zu waschen und anzukleiden, ihr Haar zu frisieren und ihr Gesicht zu schminken. Sie erkannte sich kaum wieder, als sie in den Spiegel blickte, doch das war kein Wunder, denn sie sah sich nicht mehr gleich. Ihr Gesicht war strahlend weiß, ihre Augen und Augenbrauen mit schwarzer Kohle betont und ihre Lippen leuchtend rot. Sie mochte das nicht. Überhaupt nicht. Noch weniger wollte sie den Söhnen des Kaisers vorgestellt werden. Sie wollte niemanden sehen. Sie trauerte. Um Inu-no-taishou. Um Sesshoumaru. Ihre Dienerinnen geleiteten sie zum Empfangssaal, in dem Kataga auf seine Tochter wartete und schoben die Tür auf, sodass Ayashi hindurch schreiten konnte. Kataga blickte ihr entgegen und Ayashi bemerkte, dass die beiden Söhne des Kaisers schon anwesend waren. Sie blickten ihr entgegen, weshalb Ayashi kurz nach der Tür stehen blieb und sich leicht verneigte, um die männlichen Youkai zu begrüßen. „Ayashi, tritt näher!“ bat Kataga leise, doch sie hörte ihn gut. Ayashi erwiderte nichts, sondern richtete sich wieder auf und ging mit anmutigen, kleinen Schritten weiter in den Raum hinein. Sie würde nicht sprechen, ehe sie dazu aufgefordert wurde. So war es üblich. So wurde es von ihr erwartet. Und zum ersten Mal war es ihr auch lieber und recht so. Sie verspürte kein Bedürfnis und Verlangen zu sprechen und sich mitzuteilen. Ihre Zunge sollte Schweigen – wie sie auch ihr Herz zum Schweigen verdonnerte. „Meine Tochter Ayashi.“ stellte Kataga Ayashi den beiden Gästen vor und Ayashi verneigte sich noch einmal, ohne die Söhne des Kaisers direkt anzublicken. Kataga berührte sie leicht am Arm und sie richtete sich wieder auf. Die Söhne des Kaisers blickten sie aufmerksam an und blieben still. „Die Gerüchte Eurer Schönheit erweisen sich als wahr, Hime-Sama.“ meinte einer von ihnen, der offensichtlich der ältere war. Er hatte langes, dunkelbraunes Haar, welches er offen trug, und strahlend blaue Augen – genau wie sein Bruder, doch auf seinem Gesicht lag etwas mehr Ernst und Erfahrung. Die Weisheit seiner zahlreichen Lebensjahre vielleicht, sie wusste es nicht. Der jüngere hielt sich, wie es von ihm erwartet wurde, hinter dem älteren Bruder zurück und blickte Ayashi nur an, als wolle er ihm in allen Punkten zustimmen. „Ich danke Euch, Oji-Dono. Ihr seid sehr freundlich.“ entgegnete Ayashi mit leiser und ruhiger Stimme. „Mein Bruder Hayato und ich, Takumi…“ begann er und wies mit einer kleinen Geste auf seinen Bruder. „…sind sehr glücklich, endlich Eure Bekanntschaft zu machen.“ „Die Freude ist auch auf meiner Seite.“ erwiderte Ayashi und fragte sich, wann sie gehen konnte. Kataga blickte Ayashi an und sie gefiel ihm nicht. Sie war blass und zurückhaltender als es für sie üblich war. Sie litt wohl doch sehr unter Inu-no-taishous Verlust, nahm er an. Da war es sicher gut, wenn er ihr Neuigkeiten mitzuteilen hatte. „Danke, Ayashi. Du kannst dich zurückziehen.“ meinte er und Ayashi verneigte sich, bevor sie sich mit schnellen Schritten aus dem Saal entfernte. Kataga blieb mit den Söhnen des Kaisers zurück und setzte sich an einen niedrigen Tisch, um mit ihnen Tee zu trinken. Sie erwiesen sich als vollkommene Gäste und Kataga versicherte erneut, wie geehrt er sei, sie auf seinem Schloss in Fukuoka zu beherbergen. „Kataga-Sama, erlaubt Ihr mir, frei über ein Anliegen zu sprechen, das mir sehr am Herzen liegt?“ fragte Takumi und Kataga stellte seine Teeschale ab. „Gewiss, Takumi-Sama.“ erklärte er sich einverstanden und Takumi neigte den Kopf. „Ihr wisst, wie sehr mein Vater Euch und Inu-no-taishou immer geschätzt hat. Es war ihm ein Bedürfnis, dass ich seine Verbundenheit zu Euch erneut zum Ausdruck bringe.“ „Euer Vater, der ehrenwürdige Kaiser Tadashi, ehrt mich mit seiner Zuneigung und seinem Wohlwollen.“ „Ich werde ihn von Eurer Dankbarkeit unterrichten.“ versicherte Takumi und blickte zu seinem Bruder, der bisher geschwiegen hatte. „Der Einfluss meines Vaters in Japan gehört in die vergangene Zeit und er möchte dies auch nicht ändern. Er liebt die Gegend des Himalaja zu sehr, um sie aufzugeben.“ „Das ist verständlich, Takumi-Sama.“ „Dennoch möchte er nicht den Eindruck erwecken, dass Japan und die Youkai, die hier leben, und ihre Belange ihm gleichgültig sind, wie es in den letzten Jahrhunderten gewirkt haben mag.“ „Die Entscheidung des großen Kaisers wurde niemals angezweifelt.“ entgegnete Kataga und Takumi nickte. „Sesshoumaru-Samas Besuch und Ersuch um Hilfe hat ihm gezeigt, dass ihn seine alten Verbündeten vergessen haben.“ begann Takumi und Kataga wollte etwas erwidern, doch er hob die Hand und sprach weiter: „Es war Sesshoumaru-Sama, der seine Hilfe ersuchte – nicht Inu-no-taishou und nicht Ihr. Es war die nächste Generation von Herrschern, die um seine Unterstützung bat. Das zeigte ihm, dass er ein neues Bündnis mit der nächsten Generation anstreben muss. Sesshoumaru-Samas Erscheinen an seinem Hof machte ihm dies deutlich.“ Kataga nickte und neigte leicht den Kopf, um zu zeigen, dass er das auch so sah, doch er konnte auch kaum widersprechen. Sesshoumaru hatte die Initiative ergriffen und für seinen Vater im letzten Augenblick den Ausgang des Krieges entscheiden können, wenn auch nicht den Ausgang der Schlacht, in der Inu-no-taishou gefallen war. Sesshoumaru war der neue Herrscher der Hundeyoukai des Westens. Sesshoumaru. Und Ayashi würde über die westlichen Länder herrschen, wenn er nicht mehr war. „Mein Vater der Kaiser strebt eine neue Verbindung an, die über ein übliches Abgekommen zwischen Verbündeten hinausgeht. Eine Verbindung, die stärker als ein bloßer Vertrag sein wird, da ihr Blut sie zusammenhält.“ „Was schwebt Euch vor, Takumi-Sama?“ „Ich bin der erstgeborene Sohn meines Vaters und folglich ist mein Platz an seiner Seite, bis ich irgendwann seinen Platz einnehmen werde, doch mein Bruder würde sich überaus glücklich schätzen, Eure Tochter, die ehrenwerte und liebreizende Ayashi, als seine Gefährtin an seiner Seite zu wissen.“ Kataga blickte Takumi einen Augenblick beherrscht an, ehe er den Blick zu Hayato wandte, der ihn offen anblickte. Seine Haltung wirkte entspannt und sein Gesichtsausdruck strahlte Ruhe und Güte aus, doch entdeckte Kataga auch die energischen Züge eines Anführers, der genau wusste, was er wollte. Zweifellos stand er etwas im Schatten seines älteren Bruders und hatte deshalb mit dieser Seite immer zurückhalten müssen. „Wir beide, meine geliebte Tochter und ich, sind durch diesen Antrag sehr geehrt.“ versicherte Kataga und neigte den Kopf. Hayato stammte aus einer mächtigen, angesehenen Herrscherfamilie und hatte dennoch keine näheren Verpflichtungen, die ihn an seinen Vater banden. Nur die Pflichten eines Sohnes, doch nicht die eines Nachfolgers. Er konnte nach Japan zurückkehren und sich eine Gefährtin nehmen, die selbst in der direkten Nachfolge stand. Er konnte der Youkai sein, der Ayashi bei ihrer Aufgabe unterstützte. Er konnte Ayashi Sicherheit und Schutz bieten, wenn sie ihn brauchte, doch auch Verständnis und Respekt und ihr auch mit Rat und Tat beiseite stehen. Und er konnte durch Ayashi eine Verbindung des Kaisers zu Japan herstellen, die sich auf Freundschaft und Verbundenheit ausrichtete, bei der aber nicht zu befürchten war, dass der Kaiser andere Ambitionen hatte, die zu einer Beherrschung Japans führen könnten. „Es ist beinahe zu viel der Ehre, das versichere ich Euch, Takumi-Sama. Hayato-Sama, ich bin einverstanden, doch versteht bitte, dass ich meine Tochter erst um ihre Einwilligung fragen werde, ehe Ihr eine endgültige Antwort erhaltet.“ „Gewiss, Kataga-Sama, doch ich zweifle nicht daran, dass Eure Tochter genauso verantwortungsbewusst, pflichtbewusst und bedacht wie Ihr Vater ist.“ entgegnete Takumi und neigte den Kopf. Kataga nickte und wusste, was er damit meinte. Ayashi würde einwilligen, wenn sie vom Kaiser und seinen Söhnen nach all dem Gerede, das sie gehört hatten, richtig eingeschätzt wurde. Und sie hatten Recht: Die Verbindung zu Hayato war eine Verbindung, die niemand ablehnen konnte. Kapitel 83: ------------ Am Abend hatte Kataga alle Möglichkeiten in seinen Gedanken hin- und hergeschoben, wie er Ayashi am besten vom Antrag des Kaisersohns erzählen sollte, doch er entschied sich schließlich dafür, ihr noch etwas Zeit zu geben, denn es gab noch etwas anderes, das er ihr mitteilen wollte. Ayashi blickte auf, als ihr Vater zu ihr trat, und nickte ihm zu. Sie brachte kein Wort heraus. „Izayoi-Sama wird bald aufbrechen.“ meinte er, nachdem er sie begrüßt hatte. „Ich lasse ihr Geleit geben.“ „Ich weiß, Vater.“ entgegnete Ayashi ruhig. „Inu-no-taishou hat Totosai angewiesen, dir dein Schwert nach seinem Tod zukommen zu lassen. Er wollte, dass du es als eine Art Erbstück erhältst, weil du ihm sehr viel bedeutet hast.“ sprach Kataga weiter und Ayashi nickte. Ihr Schwert. Sie hatte es beinahe vergessen, dass sie es noch nicht hatte, doch sie hatte mit so vielen anderen gekämpft, die ihr gut in der Hand gelegen hatten, dass der Wunsch nach ihrem eigenen, eigens für sie geschmiedeten Schwert nicht so drängend in ihr war. „Du kannst es also abholen, wenn du willst.“ fügte er hinzu und Ayashi nickte. „Wo?“ fragte sie mit brüchiger Stimme und blickte auf. „In Shimonoseki.“ gab Kataga Auskunft und Ayashi nickte wieder. „Ich denke, es wird mir gut tun, wenn ich eine Weile etwas anderes sehe als die Gärten und das Schloss in Fukuoka.“ meinte sie leise und Kataga setzte sich zu ihr. „Ayashi, du darfst nicht vergessen, wer du bist. Ich verstehe deine Trauer und glaub’ mir, dass auch meine Trauer tief und aufrichtig mein Herz erschwert, doch wir müssen stark sein.“ „Wir sind stark, Vater. Wir sind Youkai.“ entgegnete Ayashi halbherzig, da sie sich nicht stark fühlte. Sie fühlte sich verlassen und alleine. Schwach und zerbrechlich und… nicht mehr lebendig. Es fühlte sich an, als habe sie mit Sesshoumaru alles verloren, das ihr jemals etwas bedeutet hatte. Die Liebe. Das Leben. Den Verstand, denn sie konnte nicht begreifen, warum er sie verlassen hatte – zumal er gesagt hatte, dass er sie wirklich liebte, und sie ihm das glauben musste. Sie wusste, dass es wahr war. „Verstehe ich dich richtig? Möchtest du so bald wie möglich nach Shimonoseki aufbrechen?“ fragte Kataga. „Ich sehe keinen Grund, es nicht zu tun.“ gab Ayashi zurück und Kataga nickte leicht. „Ich möchte, dass du auch so bald wie möglich zurückkommst, Ayashi. Es gibt Dinge zu bereden, die nur bedingt aufgeschoben werden können.“ „Ja, Vater.“ meinte Ayashi und neigte den Kopf. Was auch immer es war – es konnte warten. Sie wollte hinaus. Sie wollte frische Luft atmen, denn die Luft im Schloss kam ihr so seltsam staubig und trocken vor. Sie wollte Freiheit und Ruhe… Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Am nächsten Morgen brach Ayashi auf und reiste schnell. Sie vermutete, dass Totosai schon in Shimonoseki war, und wollte ihn nicht unnötig warten lassen. Sie genoss die kühle Luft, die den kommenden Winter ankündigte. Vogelschwärme hoben sich in den Himmel und zogen unter den Wolken vorbei. Der Abend dämmerte bereits, als sie das Schlosstor erreichte und von den Wächtern, die sie erkannten, ohne eine Erklärung eingelassen wurde. Ein höherer Beamter hieß sie willkommen. „Ayashi-Sama, es ist eine Ehre, dass Ihr hier seid.“ meinte er und verneigte sich tief. „Ich danke Euch.“ entgegnete Ayashi und neigte leicht den Kopf. „Wir wurden von Eurer baldigen Ankunft unterrichtet, doch leider muss ich Euch mitteilen, dass Totosai noch nicht in Shimonoseki angekommen ist.“ „Ist es mir gestattet, auf ihn zu warten?“ fragte Ayashi höflich und der Beamte nickte eifrig. „Gewiss, Ayashi-Sama, gewiss. Der junge Herr…. Fürst Sesshoumaru-Sama trug mir auf, Euch mitzuteilen, dass Ihr in Shimonoseki jederzeit und in allen Situationen willkommen seid.“ entgegnete der Beamte und Ayashi schluckte. „Das ist sehr zuvorkommend.“ meinte sie schließlich und der Beamte winkte mehrere Diener zu sich, die Ayashi in die Gemächer führten, die sie stets bezogen hatten, wenn sie Inu-no-taishou besucht hatte. Alles erinnerte sie an den verstorbenen Youkai, der ihrem Vater so ein guter Freund gewesen war, doch sie bemerkte die seltsame, trauernde Stille, die wie ein undurchsichtiges Tuch über allem lag, als sei das Leben insgesamt aus diesem Ort gewichen. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie allein in ihren Gemächern war. Sie hatte inständig gehofft, dass sie Sesshoumaru in Shimonoseki antreffen würde, doch er war nicht im Schloss, da er mit Yaken unterwegs war und sein Reich einte. Ayashi wurde unwohl, als sie sich vorstellte, wie er Kämpfe und Schlachten bestritt und sich täglich in Gefahr und vielleicht nur einen Schritt von der Schwelle des Todes entfernt befand. Wie schnell würde sie erfahren, wenn auch Sesshoumaru etwas zugestoßen war? Erschöpft und traurig streifte Ayashi ihre Kleidung ab und legte ein Nachtgewand an. Langsam ließ sie sich auf das Nachtlager nieder, das man ihr gerichtet hatte. Sesshoumaru war in ihren Gedanken, als sie ihr Gesicht in das Laken drückte. Sie sehnte sich nach Sesshoumarus Stimme. Sie sehnte sich nach seiner Wärme und seinen starken Armen, die sie beschützend und liebend umfingen. Sie hatte das Gefühl, dass sie innerlich zerspringen musste, wenn sie an ihn dachte. Sie hatte das Gefühl, als sei Sesshoumarus Umarmung, seine Stärke und die Gewissheit seiner Liebe die ganze Zeit hindurch das einzige gewesen, das sie daran gehindert hatte, zusammen zu brechen und aufzugeben. Nun… konnte sie nicht verleugnen, dass er und seine Liebe ihr fehlte, obwohl er sie ihr versichert hatte. Ayashi erwachte am nächsten Morgen, nachdem sie beinahe die gesamte Nacht geweint hatte, und erhob sich matt von ihrem Lager. Sie wusch ihr Gesicht mit eiskaltem Wasser und vertrieb so ihre geröteten Augen, ehe sie sich ordentlich ankleidete und ihr langes Haar kämmte. Sie öffnete die Tür, die auf die Engawa hinausführte, und augenblicklich trat ein Diener zu ihr. „Verzeiht, Hime-Sama, doch Totosai ist eingetroffen.“ sprach er sie vorsichtig an und blieb verneigt vor ihr stehen. „Danke. Wo finde ich ihn?“ „Er erwartet Euch in der großen Halle, Hime-Sama.“ gab er Auskunft und Ayashi dankte ihm noch einmal, bevor sie durch den Palast in die große Halle eilte, in der Inu-no-taishou früher seine Verbündeten empfangen hatte. Totosai saß auf dem Boden vor dem Podium, auf dem Inu-no-taishous Rüstung aufgestellt worden war, und hatte den Blick gesenkt. Ayashi trat leise näher und schluckte die Tränen, die sich in ihre Augen drängten, hinunter, als sie Inu-no-taishous Rüstung sah. „Ayashi-Sama, Ihr seid hier.“ meinte Totosai mit ruhiger Stimme und Ayashi nickte nur. Der alte Mann drehte sich leicht zu ihr um und warf ihr einen kurzen Blick zu, mit dem er sie nur streifte, ehe er sich wieder der Rüstung zuwandte. „Könnt Ihr mir erklären, was es mit diesem Brauch auf sich hat, Ayashi-Sama?“ „Die Rüstung Inu-no-taishous ist … ein Zeichen dafür, dass Sesshoumaru-Sama selbst die Herrschaft noch nicht rechtmäßig übernommen hat. Natürlich ist er der neue Herr, der neue Fürst des Westens, doch Shimonoseki wird durch die Rüstung symbolisch als Inu-no-taishous Eigentum gekennzeichnet, bis Sesshoumaru den letzten Willen seines Vaters erfüllt hat und sich somit endgültig für die Herrschaft qualifiziert hat.“ „Die Einigung des Reiches.“ flüsterte der Schmied und Ayashi nickte, während sie überlegte, warum seine Rüstung hier war und nicht in Nanao, wo das größere und bedeutendere Machtzentrum Inu-no-taishous gelegen hatte. Der Schmied erhob sich schwerfällig und griff nach einem Bündel, ehe er auf Ayashi zuging und sich vor ihr verneigte, da er das vorher nicht getan hatte. Langsam ließen sich beide auf den Boden nieder und Totosai blickte die Hime vor sich an. „Ihr seid sehr blass, Ayashi-Sama.“ bemerkte er, denn obwohl er sie schon lange nicht mehr gesehen hatte, erinnerte er sich daran, dass sie besser aufgesehen hatte. „Es geht mir nicht gut.“ erwiderte sie ehrlich und der Schmied nickte. „Inu-no-taishou bat mich, Euch Euer Schwert als Erbstück erst nach seinem Tod zu übergeben, obwohl es schon seit geraumer Zeit fertig gestellt war.“ meinte Totosai und schlug das Tuch von der Waffe zurück. Kapitel 84: ------------ Ayashis Augen ruhten auf dem dunklen, lackierten Holz der Scheide und ihren dunkelroten Verzierungen. Die Griffwicklung bestand aus schwarzen einem schwarzen Lederband, unter dem dunkelrote Dekorelemente hervorblickten. Dasselbe Band lief auch noch um den oberen Teil der Schwertscheide. Das Stichblatt war silbern. Totosai deute auf das Schwert, nachdem Ayashi es betrachtet hatte, und meinte: „Nehmt es nur, Ayashi-Sama.“ Ayashi nahm die Waffe mit beiden Händen vom Boden und ließ dann ihre rechte Hand zum Griff wandern, den sie locker ergriff. Bedacht zog sie die Waffe heraus und sah, wie der polierte Stahl glänzte. Totosai betrachtete sie und kniff leicht die Augen zusammen, sodass Ayashi ansetzte, ihn zu fragen, ob etwas nicht stimmte. Plötzlich pulsierte das Schwert in ihren Händen und sie zuckte zusammen. „Ein Meisterwerk…“ flüsterte Totosai und neigte den Kopf, als würde er sich vor seinem Schwert, das er für Ayashi gefertigt hatte, verneigen. „Was ist das?“ fragte Ayashi, als sie bemerkte, dass der Puls des Schwertes mit ihrem eigenen übereinstimmte. „Euer Schwert ist wahrlich Euer Schwert, Ayashi-Sama. Es ist nicht nur eine Waffe, ein Stück Metall. Nein, ein Schwert und ein Krieger müssen eines werden. Durch Eure Berührung erwachte es zum Leben und es ist einverstanden.“ „Es ist einverstanden damit, dass ich es führe.“ sagte Ayashi, da sie verstand, und Totosai nickte zufrieden. Sie hatte oft gehört, dass Schwert und Krieger eines sein mussten, dass ein Krieger in seinem Schwert die Verlängerung seines eigenen Armes sehen musste, um siegreich zu sein. Die Technik hatte sie beherrscht, doch nun besaß sie ein Schwert, das eigens für sie geschmiedet war. Ein Schwert, das ihr Wesen widerspiegelte. „Tenkaichi.“ murmelte sie, als sie ihren Blick über die scharfe Klinge streifen ließ. „Was sagtet Ihr gerade, Ayashi-Sama?“ fragte Totosai ehrfürchtig und lehnte sich etwas vor, sodass er das Wort hörte, mit dem sie ihr Schwert benannt hatte. „Tenkaichi.“ wiederholte sie und blickte ihn an. „Tenkaichi… Vereinigung von Himmel und Erde… So soll es sein. Das soll der Name des Schwertes sein.“ „Gern.“ entgegnete Ayashi und gab dem Schmied sein Werk zurück. Totosai nahm sein Werkzeug und gravierte den Namen des Schwertes auf die eine Seite der Klinge, während er auf die andere Seite einen ausführlicheren Schriftzug gravierte, und Ayashi das Schwert zurückgab. „Ich bin das Schwert, das Himmel und Erde vereint.“ las sie leise vor und nickte. „Ich verstehe es nicht vollkommen.“ gab sie zu und Totosai nickte. „Ihr werdet es erfahren, sobald es soweit ist.“ meinte er und Ayashi nickte, da sie sich auf das Urteil des alten Mannes verlassen wollte. Ayashi dankte dem Schmied und verabschiedete sich bald darauf für unbestimmte Zeit von ihm. Ayashi kehrte bald in das Schloss ihres Vaters mit und zeigte ihm auf seinen Wunsch hin das Schwert, das Totosai in Inu-no-taishous Auftrag für sie geschmiedet hatte, während sie mit ihren Gedanken noch ganz woanders war. Hätte sie vielleicht auf Sesshoumaru warten sollen? Wäre er innerhalb der nächsten Tage nach Shimonoseki gekommen? Hätten sie reden können? Was war nur… vorgefallen, dass er sie verließ? „Es ist eine wunderbare Waffe.“ bemerkte Kataga und reichte seiner Tochter das Katana, doch sie schüttelte den Kopf. „Es ist weitaus mehr als eine Waffe.“ meinte sie und nahm ihrem Vater das Schwert ab. „Was meinst du?“ fragte er und blickte sie aufmerksam an. „Es ist natürlich eine Waffe, doch es ist auch ein Erinnerungsstück, da Inu-no-taishou es mir geschenkt und nun nach seinem Tod hinterlassen hat. Es wurde für mich gefertigt und kann mich somit immer an meine Verbindung zu Inu-no-taishou erinnern. Es ist ein Teil der Vergangenheit, die so voller Kriege und Leid war, doch gleichzeitig ist es für mich ein Symbol für die Gegenwart und die Zukunft, die hoffentlich nicht dazu führen wird, dass ich es allzu oft in kriegerischen Auseinandersetzungen gebrauchen werde.“ erklärte Ayashi ruhig und blickte dabei auf ihr Schwert nieder. „Es ist mein Schwert. Es ist ein Teil meiner Seele.“ fügte sie hinzu und blickte dann auf, da sie sich sicher war, dass ihr Vater sie nicht verstehen würde, doch er blickte sie nickend an. „Wir alle leiden sehr unter Inu-no-taishous Verlust…“ begann er, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Es ist nicht nur sein Tod, der so furchtbar und schmerzvoll ist. Es ist vor allem das Bewusstsein, dass nun…. eine bestimmte Zeit vorbei ist. Seine Zeit. Die Zeit seiner Herrschaft, die doch in großen Teilen friedlich und ruhig gewesen ist und Wohlstand und Kultur gefördert hat. Was nach ihm kommt, wissen wir nicht. Sesshoumaru ist der neue Fürst des Westens, doch auch er… trauert noch. Die Rüstung seines Vaters steht in Shimonoseki, um zu verdeutlichen, dass er sich noch nicht als Herrscher sieht.“ „Das ist ein sehr… achtbarer Schritt und eine sehr würdevolle Handlung.“ stimmte Kataga zu und neigte leicht den Kopf. „Er wird den Platz seines Vaters einnehmen, denke ich. Und er wird ein großer Herrscher sein, doch … hören wir auf, uns etwas vorzumachen! Ohne Inu-no-taishou wird nichts mehr so sein, wie es einst war. Das ist vielleicht das Schlimmste.“ entgegnete Ayashi und blickte ihren Vater an, während sie mit ihren Fingern gedankenverloren über den Griff des Katana strich. „Du erinnerst mich sehr an deine Mutter, Ayashi, auch wenn sie niemals über diese Dinge… die Angelegenheiten der Youkai und ihre Politik gesprochen hat, doch dein Ernst und deine Einsicht kommen ihrem Charakter sehr nahe.“ „Ihre Gedanken wurden bestimmt von anderen, ebenfalls schwerwiegenden Themen eingenommen. Die Dämonen, die Hungersnöte, das Elend der großen Kriege…“ meinte Ayashi und ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf: die Vision! Die Vision ihrer Mutter. Die Vision, die ihre Mutter kurz vor ihrem Tod gehabt hatte. Die Vision, nach der Sesshoumaru Ayashi töten sollte. Ayashi schüttelte leicht den Kopf und bemerkte, dass sie diese Vision völlig vergessen hatte. Sie war nicht wichtig gewesen, da sie sie immer für unmöglich gehalten hatte. Es war nicht ihr Schicksal, durch Sesshoumarus Hand zu sterben. Dessen war sie sich so sicher gewesen, als sie ihn noch nicht gekannt hatte – und als sie sich geliebt hatten. Doch nun? Was war, wenn…. das nun anders war. Wenn es diese Situation war, in der das Unheil seinen Lauf nahm, und es doch kein Entrinnen vor diesem Schicksal gab, das ihre Mutter in einer Vision gesehen hatte? Kataga blickte Ayashi eine Weile an und atmete dann tief durch, was sie jedoch nicht bemerkte. Er wusste, dass er seine Gäste nicht mehr länger auf eine endgültige Antwort warten lassen konnte. Deshalb musste er jetzt mit ihr über den Antrag sprechen. „Ayashi, ich habe noch über ein anderes Thema mit dir zu sprechen.“ begann er und Ayashi schreckte aus ihren Gedanken hoch, blickte ihn jedoch gleich aufmerksam an. „Worum geht es?“ fragte sie, als er zögerte. „Sesshoumaru hat wohl den Krieg für Inu-no-taishou entschieden. Ja, Sesshoumaru hat uns alle gerettet.“ erwiderte er und Ayashi kniff leicht die Augen zusammen. „Ja, das hat er wohl.“ entgegnete sie, während sie die Gedanken an die Vision beiseite schob. „Er ging zum Kaiser und hat die Hilfe bekommen, die er erbeten hat, Ayashi. Keiner von uns hat diesen Schritt gewagt und keiner von uns hätte ihn wohl jemals getan. Sesshoumaru hat die richtige Entscheidung getroffen und hatte auch den Mut, seine Entscheidung auszuführen.“ „Er ist ein… ehrenvoller Youkai.“ sagte Ayashi und bemerkte, wie ihre Stimme beinahe aus Schmerz versagte. „Kaiser Tadashi möchte das alte Bündnis erneuern, da ihm bewusst wurde, dass es nötig ist. Wir Youkai sollen uns auch in Zukunft auf ihn verlassen können, sollten wir in Bedrängnis geraten…“ „So eine Situation wird wohl nicht noch einmal entstehen.“ unterbrach Ayashi ihn, doch Kataga blickte sie nur kopfschüttelnd an, ehe er meinte: „Das kannst du nicht wissen, Ayashi. Das Bündnis würde viel Sicherheit schaffen, die wir auf jeden Fall gebrauchen könnten.“ Ayashi nickte, da ihr Vater Recht hatte. Sicherheit war niemals verkehrt. Die Unterstützung eines mächtigen Youkai war niemals verkehrt. Trotzdem fürchtete Ayashi die Einmischung des Kaisers und seiner Familie in japanische Angelegenheiten. „Das Bündnis soll zwischen der neuen Generation geschlossen werden, Ayashi.“ „Inwiefern?“ fragte sie alarmiert nach, da ihr der Gesichtsausdruck ihres Vaters ganz und gar nicht gefiel. „Der jüngste Sohn des Kaisers bittet um deine Hand.“ teilte Kataga ihr mit. Ayashi konnte nur den Kopf schütteln. Immer und immer wieder, bevor sie endlich wieder ihre Sprache fand. „Nein.“ sagte sie und schüttelte den Kopf. „Nein!“ „Ayashi, du hast beide gesehen. Es sind ehrenvolle Youkai. Hayato…“ „Nein.“ hauchte Ayashi, doch bestritt damit nicht, dass die Kaisersöhne ehrenvoll waren, sondern sträubte sich gegen die Verbindung. „Ayashi!“ rief ihr Vater und Ayashi schreckte zusammen. Sie wusste, es war soweit. Sie wusste, er würde ihr nicht nur nahe legen, sich diese Möglichkeit durch den Kopf gehen zu lassen, sondern erwartete, dass sie einwilligte. Sie wusste es. Und sie wusste, dass sie nicht ablehnen sollte. Diese Verbindung war… vorteilhaft und ehrenvoll. Sie wusste, dass sie das niemals bei Sesshoumaru finden konnte – nicht unter diesen Umständen. Sie wusste es, doch dennoch kümmerte es sie nicht mehr. Es kümmerte sie nicht, was vernünftig war. Es interessierte sie nicht, welche Vorteile eine solche Verbindung bringen konnte oder welche Nachteile eine Ablehnung nach sich ziehen würden. Sie hatte lange genug immer nur auf andere Rücksicht genommen – und sich dadurch vermutlich immer und immer wieder selbst verraten. Es war genug. Sie wollte das nicht mehr. „Nein.“ wiederholte Ayashi fest, doch Kataga schüttelte den Kopf. „Ich liebe ihn nicht.“ „Du bist meine Tochter und du wirst mir gehorchen, Ayashi. Ich frage nicht um dein Einverständnis. Deine Gefühle sind hier zweitrangig. Ich wünschte, sie wären es nicht, aber du wirst unsere Familie nicht entehren.“ meinte er fest, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Das liegt an dir. Es ist deine Entscheidung.“ meinte sie ruhig, doch innerlich zitterte sie, als sie Katagas streng fragendem Blick begegnete. „Ich werde diese Verbindung nicht eingehen. Du musst ablehnen.“ „Wieso… sollte ich? Du wirst den Bund eingehen. Ende der Diskussion!“ „Nein, Vater. Du hast keine Wahl. Entweder du lehnst diese Verbindung ab und versuchst es auf deine diplomatische Weise, die ich all die Jahre so geschätzt habe, oder ich tue es - allerdings weitaus undiplomatischer.“ „Ayashi…“ „Nein! Ich sagte, ich liebe ihn nicht. Damit meinte ich, dass ich einen anderen liebe. Und diesem Youkai habe ich mich auch hingegeben.“ gab Ayashi zu und fühlte, wie die Last dieses Geheimnisses plötzlich von ihrer Seele und scheinbar auch von ihren Schultern genommen wurde. Kapitel 85: ------------ Ayashi wartete auf eine Reaktion ihres Vaters, der sie entsetzt anblickte. Sie fühlte sich leicht – und wusste, sie sollte es nicht. Sie sollte sich schlecht fühlen oder ihr sollte zumindest übel sein. Sie hatte gerade alles preisgegeben, was sie in den letzten Jahren geheim gehalten hatte. Sie hatte zugegeben, dass sie und ihr Verhalten in den Augen der anderen ehrlos waren. Es sollte sich furchtbar anfühlen – und doch konnte sie es nicht bereuen. In diesem Moment wusste sie, dass sie es hatte sagen müssen, denn es war die einzige Chance, die sie hatte, diese Verbindung mit Hayato abzuwenden, ohne ihren Vater bloßzustellen… so verrückt das auch klingen mochte. Ihr Vater konnte nun entscheiden, wie er weiter verfahren wollte. Lehnte er das Angebot ab, weil er Ayashi angeblich noch Zeit geben wollte, und schlug ein Bündnis ohne eine Verbindung vor? Ja, das war seine einzige Möglichkeit, denn wenn er von der Unkeuschheit seiner Tochter und Nachfolgerin berichtete, um Hayato vor einem schlimmen Fehler zu bewahren, brachte er nicht nur Ayashi, sondern auch sich selbst in Verruf. Die Schande, die durch Ayashis Verhalten entstanden war, würde nicht nur sie selbst betreffen, sondern die gesamte Familie. Ayashi wusste das. Ayashi hatte mit diesen Gedanken gerechnet, denn sie kannte ihren Vater. Sie wusste, dass er umsichtig und weise war. Sie wusste nur nicht, ob vielleicht nicht doch seine Wut sein Handeln bestimmen würde, und nicht seine Vernunft. „Wie konntest du, Ayashi?“ brachte er schließlich hervor und Ayashi entgegnete nichts, sondern hielt nur seinem Blick stand. „Ist dir klar, was du damit getan hast? Ist dir klar, dass du nun wertlos bist? Ist dir klar, dass du alles riskiert hast?“ „Vater, mir ist bewusst, dass ich viel riskiert habe. Und ich weiß, was ich getan habe, aber ich bin nicht wertlos.“ widersprach Ayashi fest und blickte ihm weiter in das Gesicht, das sich schmerzvoll verzerrte. „Du bist meine Tochter, Ayashi. Ich dachte, ich hätte dich zu mehr Verantwortungsbewusstsein erzogen…. Bei allem, was dir etwas bedeutet! Wie konntest du nur?“ entgegnete Kataga mit einem Tonfall, der nicht zornig, jedoch sehr angespannt war. Ayashi wusste, dass er sich um Ruhe bemühte und bewunderte ihn dafür. Seine Welt hatte sich gerade um einiges schneller gedreht und trotzdem bewahrte er Haltung. Sie wusste, dass er seine Sichtweise über seine geliebte Tochter ändern musste. Ayashi hatte ihm vor Augen geführt, dass sie nicht diejenige war, die er glaubte, vor sich zu haben. Und sie nahm an, dass er sich in diesem Augenblick wohl so vorkam wie ein Blinder, der plötzlich durch ein Wunder sehen kann – und dem nicht gefällt, was er sieht. Und auch sie selbst schien plötzlich zu sehen, denn sie verstand Sesshoumarus Verhalten. Er hatte den Kaiser um Hilfe gebeten. Er hatte seine beiden Söhne nach Japan gebracht und Sesshoumaru hatte mit Sicherheit geahnt, dass einer von ihnen – der jüngere – eine Verbindung mit Ayashi anstreben würde, denn das war zwingend. Ob nun als Lohn für die Hilfe, als Garantie für die Freundschaft zwischen den japanischen Youkai, die für Inu-no-taishou gekämpft hatten, oder als Festigung eines offiziellen Bündnisses, war gleichgültig. Sesshoumaru hatte es gesehen und den Weg freigegeben, indem er Ayashi nicht an sich gebunden hatte. Ayashi sollte selbstständig entscheiden, ohne auf ihn Rücksicht zu nehmen, doch wie hatte er sich das vorgestellt? Glaubte er im Ernst, dass sie ihn vergessen würde, nur weil er sich ihr entzog? Dachte er wirklich, dass sie ihn in seiner Abwesenheit so schnell durch einen anderen Youkai ersetzen würde? Ayashi schüttelte leicht den Kopf und stellte sich die stumme Frage, wie er das nur für einen Moment ernsthaft annehmen konnte. Ihr Herz verstand ihn nicht, doch ihr Verstand wusste die Antwort. Sesshoumaru kannte sie. Sesshoumaru wusste, dass sie pflichtbewusst und umsichtig war. Er wusste, dass sie stets die Interessen des Großen und Gesamten über sich selbst gestellt hatte, wie es nun einmal von ihr erwartet wurde. Sie hatten ihre Beziehung geheim gehalten, da es nicht anders ging. Sie hatten sich jahrelang nicht gesehen, wenn es nicht anders ging. Sie hatten still und ausdauernd gelitten, hatten geschwiegen, hatten ertragen… Ja, dass er sie nicht für sich beanspruchen wollte, dass er es ihr nicht unnötig schwer machen wollte, wenn eine solche Entscheidung vor ihr lag, die sie nicht ablehnen durfte, konnte ihr Verstand sein Verhalten verstehen. Doch ihr Herz nicht. Es schrie. Es blutete. Es weinte. Es verstand nicht, wie er so leicht zur Seite treten konnte, wenn er sie doch liebte. Es wollte nicht sehen, dass er vernünftig war, denn es sah nur seine Resignation und seinen Verzicht, der sie so unglaublich schmerzte. Was nützte es ihr denn, dass er ihr versichert hatte, dass er sie liebte? Sie wollte es spüren – und nicht gesagt bekommen. „Wer war es, Ayashi?“ drang Katagas Stimme durch ihre Überlegungen, doch Ayashi senkte nur den Blick und schüttelte den Kopf. „Wer, Ayashi? Sag’ mir seinen Namen!“ „Nein. Es ändert nichts an der Sache, wenn du seinen Namen kennst.“ entgegnete sie, da sie wusste, dass ihr Vater ihren Liebhaber zum Kampf herausfordern konnte – und sogar musste. „Ayashi, ich kann dein Verhalten nicht dulden. Du weißt das, nicht wahr?“ meinte Kataga und Ayashi nickte. „Ich werde Fukuoka verlassen.“ eröffnete sie ihm, bevor er sie fortschicken konnte, und spürte, wie ihr Herz sich zusammen zog. „So bald wie möglich.“ stimmte er ihr zu und atmete tief durch, ehe er fortfuhr: „Ich werde den Antrag nur aufschieben, Ayashi. Ich kann ihn nicht ablehnen. Ich werde sagen, du brauchst Zeit. Du hast weder zugesagt noch abgelehnt, und möchtest nun erst auf Reisen gehen, werde ich sagen. Komm’ nicht eher zurück, bis du ihn annehmen willst, Ayashi.“ Ayashi nickte und senkte den Blick. Er ließ sie gehen. Er entließ sie. Und sie hatte keine Wahl mehr, denn sie musste gehen und konnte nicht wiederkehren. Ihr Zuhause verschloss die Türen vor ihr, doch niemand außer ihnen beiden, dem Vater und der Tochter, wusste das… würde es jemals erfahren. Ayashi blickte ein letztes Mal in das Gesicht ihres Vaters und nickte langsam, ehe ihr Blick unter aufsteigenden Tränen verschleierte. „Ich liebe dich, Vater, doch das weißt du, doch du weißt auch, dass ich mein Verhalten nicht bereuen kann. Es tut mir nur leid, dass ich dich enttäuscht habe, Vater.“ sagte sie und Kataga nickte. „Ayashi, du bist meine Tochter. Das wirst du immer sein, doch nun… geh’ und verlasse Fukuoka.“ entgegnete er mit gedämpfter Stimme. Ayashi neigte den Oberkörper und blieben einige Augenblicke in dieser Position, ehe sie ihr Schwert an sich nahm, sich erhob und mit schnellen Schritten den Raum verließ, ohne dass sie wusste, wohin sie nun gehen würde. Ayashi hatte keine Ahnung, wohin sie gehen sollte, weshalb sie sich erst einmal in den Süden aufmachte. Sie reiste langsam und meistens zu Fuß, denn sie hatte es nicht eilig und sie hatte auch kein Ziel, das sie zu einer bestimmten Zeit erreichen musste. Traurigkeit erfasste sie, als sie einen letzten Blick zurück zum Schloss ihres Vaters warf, das so lange ihre Heimat gewesen war. Sie hatte kein Ziel. Sie hatte keine Heimat. Und sie war allein. Diese Tatsachen hatten ihren Weg in ihre Gedanken gefunden und ließen sie nun nicht mehr los, doch sie wollte auch nichts an ihnen ändern. Sie hatte damit gerechnet, ihre Heimat zu verlieren, wenn sie ihrem Vater von ihrer intimen Beziehung berichtete. Sie hatte in Kauf genommen, dass sie nirgends hingehen konnte, denn auch ihre Schwester Ayame und Katsumoto, der in diesen Tagen mit anderen entscheiden musste, was aus der verräterischen Satori werden sollte, schieden aus, da sie sich nicht erklären wollte. Wie konnte sie sich auch erklären? Nachdenklich schüttelte Ayashi den Kopf und wandte sich vom Schloss ab, atmete tief durch und spürte, dass sie recht dankbar für ihre momentane Einsamkeit war. Sie fühlte, dass sie in diesen Augenblicken niemanden in ihrer Nähe brauchen konnte. Sie wusste, dass es besser so war, da ihre Gedanken sie so beschäftigten und sie sich über so viele Dinge klar werden musste. Nun, eigentlich war nur eine oder zwei Sachen wichtig, so schien es Ayashi. Sesshoumaru und sein Verhalten in dieser Sache und die Möglichkeit, ob sein Verhalten und diese ganze Sache vielleicht dazu führen konnte, dass die Vision ihrer Mutter doch noch wahr wurde. Und was sie selbst, Ayashi, tun konnte, und ob sie überhaupt etwas tun konnte, wenn es doch das Schicksal war, vor dem niemand entfliehen konnte. Sie war verwirrt und verdrängte diese Gedanken aus ihrem Kopf, doch es gelang ihr nicht lange. Sie waren zu stark und zu einnehmend. Und sie ohne Sesshoumaru, ohne Heimat und ohne Ziel war wohl zu schwach. Und diese Schwäche machte sie unglaublich wütend. Kapitel 86: ------------ Sesshoumaru kehrte innerhalb der nächsten Tage nach Shimonoseki zurück und atmete prüfend die Luft in den Räumen ein, die er durchschritt, wobei ihm ganz leicht Ayashis Duft nach Jasmin- und Kirschblüten in die Nase stieg. Sein Herz sprang einige Male heftig und die Hoffnung machte sich in ihm breit, dass sie noch immer im Schloss war, doch er wusste, dass dafür der Duft zu undeutlich war. „War Ayashi-Hime vor kurzem hier?“ fragte er einen seiner Diener, der ihn in seinen Gemächern erwartete, damit er ihm die Waffen und die getragenen Kleider abnehmen konnte. „Ja, Herr.“ entgegnete er und verneigte sich tief, als er das Schwert entgegen nahm. „Besaß Totosai genug Anstand, sie nicht warten zu lassen?“ fragte er, da er den Grund ihrer Anwesenheit auf dem Schloss seines Vaters… seinem Schloss kannte. „Er traf einen Morgen nach der Hime ein, Herr.“ antwortete der Diener und Sesshoumaru entließ ihn mit einer Handbewegung, worauf er sich sofort zurückzog. Sesshoumaru nickte bei sich und schloss für einen Moment die Augen. Ihr Duft drang gegen seine Sinne und er konnte nicht anders, als sie sich vorzustellen. Er verfluchte sich selbst, dass er sie verpasst hatte, obwohl er wusste, dass es besser so war. Er wollte sie in seine Arme schließen. Er wollte sie an sich drücken. Er wollte, dass sie wusste, dass er sie liebte – und immer lieben würde – ganz gleich, was er gesagt oder getan hatte. Langsam legte er seine Kleidung ab und trat zu dem Bad, das man ihm eingelassen hatte. Das heiße Wasser brannte etwas auf seiner Haut, doch er kümmerte sich nicht darum. Er stellte sich vor, dass es Ayashis Hände waren, die ihn mit ihren Berührungen immer verbrannt hatten. Und er liebte diese Hitze und die Wellen von leidenschaftlichem Feuer, die sie in ihm geweckt hatte. Sesshoumaru glitt ganz in das Badewasser hinein und ließ es seinen müden und erschöpften Körper umspülen. Die Kämpfe, die er in den letzten Tagen hatte führen müssen, waren hart und verbissen gewesen, doch er hatte seine Pflicht erfüllt und wichtige Youkai wieder für sich gewonnen, indem er seinen Machtanspruch, seine Herkunft und seine Stärke bewiesen hatte. Trotzdem war seine Aufgabe noch lange nicht beendet und er wusste, dass es noch lange dauern würde, bis endlich wieder die Ruhe herrschte, die sein Vater erschaffen hatte, bevor er seine Liebe zu dieser sterblichen Izayoi entdeckt hatte. Sesshoumaru schloss die Augen und schluckte den Ärger, der in ihm heftig aufstieg, eisern hinunter. Er wollte sich nicht ärgern, zumal sein Ärger nichts änderte und ihn nur dazu verleitete, sich schwach zu fühlen. Die Dinge waren gekommen, wie sie gekommen waren. Daran konnte nun niemand etwas ändern. Niemand hatte sie genau voraussehen können… Nein, auch er nicht, denn hätte er gesehen, dass Ayashi einem Sohn des Kaisers gefallen würde, hätte er sie niemals um ihre Unterstützung gebeten. Niemals. Er wäre eher gestorben, als Ayashi so zu verlieren. Sesshoumaru öffnete langsam die Augen wieder und beruhigte seinem Atem. Er wäre gestorben, ja, wenn das eine Möglichkeit gewesen wäre, doch hätte er sie wirklich dieser Gefahr ausgesetzt? Nachdenklich schüttelte er den Kopf und wusste, dass ihre Sicherheit und ihr Leben über alles gingen. Er stellte sie, ihr Leben, ihre Sicherheit und ihre Zukunft und ihren Ruf über sich und sein eigenes Wohl. Deshalb war er gegangen. Nur deshalb. Sesshoumaru trat nach dem Bad in leichter Kleidung in sein Arbeitszimmer, um zu sehen, ob er etwas erledigen musste, ehe er wieder das Schloss verließ. Auf dem niedrigen Tisch lagen einige Stapel von Papieren, doch als er sie durchsah, bemerkte er, dass die meisten davon noch warten konnten, bis er von seiner nächsten Reise zurückkommen würde. Nur die Antwort auf eine Nachricht von einem hohen Herrn des Rats von Kyoto duldete keinen Aufschub, weshalb er sich an seien Tisch setzte und seine Teilnahme an der nächsten Ratssitzung mit schnellen und klaren Worten bestätigte. Das Schicksal der Verräter würde diskutiert und entschieden werden. Der Platz seines Vaters im Rat gehörte nun ihm, weshalb seine Anwesenheit sogar unerlässlich war, obwohl er auch schon zu Lebzeiten seines Vaters an den Sitzungen teilgenommen hatte. Nun aber hatte er wirkliche Entscheidungsgewalt und teilte sich mit wenigen Fürsten, unter denen auch Kataga und Katsumoto waren, die höchste Machtposition innerhalb ganz Japans. Er wusste, dass unglaublich viel geredet würde, doch das konnte er nicht ändern. Und wenn er ehrlich war, dann schätzte er die diplomatische Haltung, die die Youkai-Fürsten seit langer Zeit und mit wenigen Unterbrechungen untereinander aufrechterhielten. Er hatte genug von den Kämpfen, die sein Vater ihm durch seine unüberlegten Handlungen vererbt hatte. Er hatte genug von Staub und Dreck, von den Reisen und den Wanderschaften, die ihm nur verdeutlichten, dass er ohne Ayashi wirklich einsam war. Früher hatte er sich frei gefühlt, wenn er monatelang durch die Gegend gezogen war, doch die Last und Verantwortung der Regierung hatte auch nicht auf seinen Schultern gelastet. Nun wusste er, dass er regieren musste – und auch seine Kämpfe und Duelle waren nur eine Pflicht, die er erfüllen musste. Und er wusste, dass er wirklich an einen bestimmten Ort gehören wollte, wobei er Ayashi an seiner Seite sah. Sesshoumaru stützte den Kopf in die Handflächen und schüttelte den Kopf. Er musste von ihr ablassen. Sie gehörte ihm nicht. Sie würde ihm niemals gehören. Wenn sie klug war, nahm sie den Antrag des Kaisersohns möglichst schnell an – ohne noch einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden. Ihre Zukunft hing von ihrer Entscheidung ab – vielleicht die Zukunft von ihnen allen, wobei sich Sesshoumaru nicht vorstellen konnte, dass der Kaiser im Falle einer Weigerung Japan mit Krieg überziehen würde. Er würde sich wahrscheinlich mit einem anderen Bündnis zufrieden geben, doch Ayashi würde schon annehmen. Sesshoumaru wusste, dass sie musste. Sesshoumaru hörte die Schritte von Yaken, bevor er ihn sah, und richtete sich auf, um mit Haltung auf sein Eintreten zu warten. Tatsächlich kam der kleine Dämon wenig später durch die Tür und verneigte sich tief. „Sesshoumaru-Sama…“ begann er zögerlich und umklammerte seinen Stab fest. „Sprich!“ entgegnete Sesshoumaru und legte die Antwort für den Rat von Kyoto zur Seite. „Der Schmied Totosai hat Euer Schwert hier gelassen, Sesshoumaru-Sama. Er ließ es an der Rüstung Eures ehrenwerten Vaters niederlegen.“ meinte Yaken und hielt sich immer noch demutsvoll geneigt. Sesshoumaru nickte und erhob sich, wobei er Yaken einfach stehen ließ. Er ging scheinbar gelassen die Gänge entlang, doch sein Herz und sein Geist fasste neue Kraft. Tessaiga. Das Schwert seines Vaters. Mit Tessaiga in seinen Händen würde der Sieg über die Feinde und die Erfüllung seiner Aufgabe, die der letzte Wille seines Vaters gewesen war, leichter zu erreichen sein. Mit Tessaiga in seinen Händen war der Sieg schon beinahe zum Greifen nah… und Ayashi und er… Unwillig schüttelte er den Kopf. Seine Gedanken sollten nicht immer zu Ayashi zurückkehren, das wusste er. Er musste einsehen, dass seine Handlungen keinen Einfluss auf Ayashis Leben hatten und haben durften. Es gab keine Zukunft mehr für sie und ihn, keine gemeinsame Zukunft zumindest, und vielleicht hatte sie es auch niemals gegeben, auch wenn sie es eine Zeit lang so gerne geglaubt hatten. Sesshoumaru trat in den Empfangssaal und blickte zur Rüstung seines Vaters, wobei ein leichter Schauer ihn erfasste. Es war, als stünde wirklich Inu-no-taishou in diesem Raum und beherrschte das Schloss und die Ländereien, da es ihm zustand. Er war der Herrscher und Sesshoumaru fühlte sich immer noch nur als sein Sohn und sein Nachfolger, der den Platz des Vaters noch nicht eingenommen hatte. Tief in seinem Inneren musste er zugeben, dass er verletzt und wütend war, dass sein Vater den Tod in dieser Weise gefunden hatte – und verzweifelt darüber war, dass er ihm letzten Endes nicht hatte helfen können und sie sich nicht mehr miteinander versöhnt hatten, sondern immer noch die heftigen Worte der letzten Monate scheinbar laut durch den Raum hallten. Sie hatten einander Unrecht getan. Unrecht, das nun nicht mehr aus der Welt geräumt werden konnte. Sesshoumaru bereute seine scharfen und unversöhnlichen Worte mehr als jemals zuvor und näherte sich langsam der väterlichen Rüstung Sein Blick fiel auf das aufgebahrte Schwert und er erkannte mit Schrecken, dass es nicht Tessaiga war, das sein Vater ihm hinterlassen hatte. Sesshoumaru konnte im ersten Augenblick keinen klaren Gedanken fassen, ehe er eine feurige Wut durch sich hindurch rauschen fühlte. Tenseiga. Warum hatte ihm sein Vater ein nutzloses Schwert hinterlassen? Ein Schwert, das nicht töten konnte? Ein Schwert, das ihn nicht bei seiner Aufgabe unterstützen konnte? Es war nutzlos! Völlig nutzlos! Hatte sein Vater seine Anschuldigungen, Sesshoumaru sei habgierig und eigennützig so ernst gemeint, dass er ihn nun auch noch verspotten wollte? Wollte er ihn nun noch lächerlich machen? Wollte er ihm zeigen, was er für ihn war? Ein nutzloses Schwert für einen nutzlosen Sohn, der nur wohl oder übel der Nachfolger war... Sesshoumaru kontrollierte seine Wut und atmete mit fest geschlossenen Augen einige Male tief durch. Unwirsch griff er nach der Waffe und beäugte sie misstrauisch. Tenseiga. Seine Gedanken verliehen diesem Namen einen verächtlichen Klang. Tenseiga. Er hasste diese Waffe. Er hatte keine Verwendung für diese Waffe. Dennoch nahm er sie an sich und zwang sich dazu, sie als das zu sehen, was sie war: Ein Erbstück, das sein Vater ihm hinterlassen hatte – aus welchen Gründen auch immer. Kapitel 87: ------------ Ayashi wusste nicht, wie lange sie schon unterwegs war. Aus Tagen waren Wochen und schließlich Monate geworden, in denen sie durch die Wildnis gestreift war, wenn sie gehen wollte, und Schutz unter Bäumen und in Höhlen gesucht hatte, wenn sie ruhen wollte, was eher selten vorgekommen war. Sie mied andere Reisende – Menschen wie Youkai, denn beide waren ihr gleichgültig. Ayashi begnügte sich damit, die Natur um sich herum zu beobachten und ihren Wandel zu bemerken. Oft verhielt sie sich ganz still, damit die scheuen Tiere sich ihr näherten oder sie Ayashi neugierig auf ihrem Weg durch den Wald in einigem Abstand begleiteten. Ihre Schritte knirschten, wenn sie auf Pfoten und Hufen durch das Unterholz huschten, und Ayashi bereiteten sie Freude. Allerdings schaute sie auch den Wolken zu, die vom Wind schnell oder langsam über den Himmel getrieben wurden. Sie beobachtete die wechselnde Herrschaft von Sonne und Mond über den Himmel. Sie sah den Nebel und den Regen, der das Land im Herbst in Besitz nahm, und beobachtete schließlich, wie der Schnee lautlos auf die Erde fiel und alles bedeckte, bis auch er seinem Schicksal durch die Begegnung mit der mörderischen und warmen Frühjahrssonne nicht mehr entgehen konnte und taute. Ayashi wusste, dass sie vollkommen allein war, doch das machte ihr nichts mehr. Es schien ihr, als ob sich ihre Gefühle ganz tief in ihr vergraben hatten, dass nicht einmal mehr sie selbst sie empfinden konnte. Sie genoss die Taubheit und die Ruhe, die aus ihr hervorging, denn wenn sie nicht fühlte, so fühlte sie auch keinen Schmerz, kein Heimweh, keinen Kummer, keine Traurigkeit, kein Bedauern, keine Wut, keinen Zorn und keine Enttäuschung. Ja, sie fühlte nichts mehr. Und das war gut so, denn sie wollte sich den Luxus von Gefühlen nicht mehr gönnen, wo sie doch genau wusste, dass sie alles verloren hatte, das ihr das gesamte Leben lang etwas bedeutet hatte. Ihr Zuhause mit ihrem geliebten Vater, zu dem sie erst zurückkehren konnte, wenn sie gewillt war, den Antrag des Kaisersohnes anzunehmen. Ihre Familie, die in diesem Fall natürlich zu Kataga halten musste, wobei Ayashi vermutete, dass sie die wahren Gründe ihrer Abwesenheit nicht einmal wusste. Es gab für sie keine Rückkehr zu ihrem Vater, das wusste Ayashi, denn sie würde den Antrag niemals annehmen. Sie konnte es nicht, denn es war falsch. Es war falsch, denn wenn sie es tat, verlor sie sich und verleugnete die Gefühle, die sie jemals für Sesshoumaru gehabt hatte. Ayashi schloss für einen Moment die Augen, als sein Name durch ihre Gedanken zog. Wenn er ihre Gedanken besetzte, dann kamen die Gefühle zurück und sie hasste es, denn dann fühlte sie sich verwundbar und schwach. Dann schmerzte alles in ihr – die Erinnerung an die Vergangenheit, die Einsamkeit der Gegenwart und die Aussicht auf die Zukunft. Sesshoumaru kämpfte tapfer und ehrenvoll, ließ sich durch nichts und niemanden von seinem Ziel abbringen und verfolgte die Ausführung von Inu-no-taishous letztem Willen. Immer wieder waren in den letzten Monaten Neuigkeiten zu Ayashi gedrungen, obwohl sie Orte gemieden hatte, an denen sie Neuigkeiten hatte erfahren können. Ayashi wünschte sich, dass sie ihn endlich vergessen konnte. Ihm war es offenbar schon gelungen. Sesshoumaru kehrte wieder einmal nach Shimonoseki zurück. Mehrere Monate waren seit seinem letzten Aufenthalt in diesem Schloss vergangen, doch nun wollte er die Gelegenheit nutzen, dass Kataga ihn um ein Treffen gebeten hatte, und die Nacht in seinen Gemächern in Shimonoseki verbringen. Seine Diener hatten sie inzwischen reich ausgestattet und hatten aus ihnen die Gemächer eines Fürsten gemacht, der er nun war, doch Sesshoumaru sah den Reichtum und die Pracht nicht, als er sich schnell umzog und dann vor seinen Unterlagen Platz nahm. Es gab viel zu tun und in seinen Augen hatte dieser Luxus kaum Berechtigung, denn die richtige Youkai war nicht an seiner Seite und konnte sich nicht an den schönen Dingen erfreuen. Nachdenklich legte er einen Brief des Rates von Kyoto beiseite, in dem man ihn davon in Kenntnis setzte, dass das Urteil über die Verräter vollstreckt worden war und sie hingerichtet waren. Man hatte keine Gnade gewährt – auch den weiblichen Youkai nicht, denn man wollte einen erneuten Verrat unterbinden, indem man die Konsequenzen für Verrat ganz klar und in grausamer Deutlichkeit jedem vor Augen stellte. Soba war stolz und furchtlos in den Tod gegangen, das hatte er schon von anderer Seite erfahren. Sesshoumaru schüttelte den Kopf. Was war das für eine Welt, in der Youkai sich gegenseitig bekriegten und mordeten? War das wirklich die Welt, für die es sich lohnte zu kämpfen und zu sterben? War das wirklich die Welt, nach deren Ansicht er sich so lange… zu lange gerichtet hatte? Ayashi hatte er verloren, da er zu lange nach den festgesetzten Regeln gehandelt hatte, die bei genauem Hinsehen keine Rolle spielten. Der Stärkste hatte das Recht auf seiner Seite. Das war nicht immer so gewesen, doch die Entscheidungen des Rates hatten genau das bewiesen. Mit Soba war eine Fürstin hingerichtet worden – eine Fürstin, die einem anderen Fürsten das Bündnis gekündigt hatte und den Krieg erklärt hatte. Und hatte diese Fürstin nicht Gründe für ihr Handeln gehabt? Sesshoumaru nickte bei sich, da Soba Gründe gehabt hatte. Sie war zum Tode verurteilt, da mehr Anhänger von Inu-no-taishou im Rat saßen und dieser trotz seines Todes einen Sieg davongetragen hatte. Nein, in diesen Zeiten konnte eine verräterische Handlung alles sein, woran die Stärksten auch nur den kleinsten Anstoß nehmen konnten. Und das war mehr als gefährlich, das wusste Sesshoumaru. Satori hatte dennoch Glück gehabt, denn Katsumoto hatte weise gehandelt, indem er sie vor Kampfbeginn hatte einsperren lassen, sodass sie sich nicht direkt an den Kampfhandlungen hatte beteiligen können – und somit keinen Verrat hatte begehen können. Trotzdem würde sie nun in Kochi überwacht werden, bis alle sicher waren, dass sie keinen Groll und keinen Zorn hegte, den sie gegen Anhänger Inu-no-taishous wenden konnte. Ninshiki, die jüngere Tochter Sobas, hatte den Platz ihrer Mutter eingenommen, wofür Ninshiki selbst um Unterstützung durch erfahrene Beamte Inu-no-taishous gebeten hatte. Sesshoumaru hatte sich mit ihr getroffen und sie ihr gewährt. Es war besser so, denn Ninshiki war noch jung und hatte kaum Erfahrung, doch Sesshoumaru gefiel ihre ruhige und bedachte Art und machte sich keinerlei Sorgen, dass sie es nicht schaffen würde, sich in ihrer Herrschaft zu behaupten. Die Zeit würde Ninshikis Lehrmeisterin sein. Ayashi wusste nicht mehr genau, wohin sie gegangen war, welches Dorf sie im Osten oder im Westen hatte liegen lassen und auf welches Schloss sie unbewusst zusteuerte, doch plötzlich drang ein bekannter Geruch in ihre Nase, der ihre Sinne mit einem Schlag zu neuem Leben erwachen ließ. Verunsichert blieb sie stehen und blickte in die Ferne, wo sie einen größeren dunklen Fleck auf einem Hügel erkennen konnte. Von dort kam der Geruch, da war sie sich einigermaßen sicher, doch sie verstand es nicht, denn es schien ein Schloss zu sein, auf dem nur Menschen lebten und arbeiteten. Langsam ging sie weiter und hielt sich verdeckt, um nahe genug und ungesehen an die ersten Gebäude heranzukommen. Menschen. Sie sah und roch wirklich nur Menschen, doch da war noch dieser Geruch… Zwei Lastenträger gingen an ihr vorbei und schnauften unter den schweren Wasserkrügen, die sie transportierten, was sie jedoch nicht davon abhielt, sich mit stockenden Worten und heftigem Schnaufen zu unterhalten. „Soweit ich… weiß, hat sie… länger nichts… zu sich genommen.“ keuchte der eine, worauf der andere den Kopf schüttelte. „Es ist sowieso ein… Wunder, dass sie noch… lebt.“ entgegnete der zweite und rückte die Last über seinen Schultern wieder zurecht. „Ja, die arme Izayoi… Sie war immer so ein… gutes Mädchen.“ meinte der erste wieder und Ayashi konnte es kaum glauben. Es war das Schloss von Izayois Familie und der Geruch… Ayashi zog noch einmal vergewissernd die Luft in ihre Lungen ein, ehe sie nickte. Der Geruch war der Geruch eines Hanyou. „Inuyasha.“ flüsterte sie leise und schüttelte den Kopf. Ihre Füße bewegten sich unwillkürlich weiter und ehe Ayashi wusste, was sie tat, näherte sie sich dem Schlosstor, schob sich mit gesenktem Blick über den Markt vor der Mauer und stahl sich bei der ersten Gelegenheit einen langen Umhang, damit sie sich vor den Blicken schützen konnte. Vorsichtig zwängte sie sich mit anderen Menschen durch das Tor in den ersten Hof, in dem scheinbar Nahrung und Kleidung verteilt wurde, wandte sich ab und schlich sich unbemerkt in den nächsten Hof, wo sie im Schatten verharrte. Die fein gekleideten Höflinge lustwandelten über den Hof und im Park herum. Kinder spielten mit einem Ball und lachten vergnügt, ohne die Erwachsenen zu stören. Sie machten Spiele, bei denen sie im Kreis um die Gruppe rannten, Auszählverse aufsagten und sich fingen. Ayashi wollte sich gerade wieder abwenden, als ein kleiner Junge in einem roten Gewand angerannt kam und mit den anderen Ball spielen wollte. Ayashi beobachtete ihn, doch sie musste nicht genau hinsehen, um Inuyasha zu erkennen. Aus seinem langen Haar ragten verräterisch die spitzen Hundeöhrchen heraus. Sonst wies seine Erscheinung nur das Äußere eines Menschen auf. Die Jungen begannen, mit ihm zu spielen, lachten und scherzten, doch waren nicht fröhlich. Ayashi sah ihr verhöhnendes Lächeln, ihre kalten Augen. Dann kickte einer den Ball weit weg, worauf Inuyasha rannte, um ihn zu holen. Als er mit dem Ball zur Gruppe zurückkehren wollte, waren sie gegangen und Inuyasha stand allein im Hof. Kapitel 88: ------------ Ayashi wandte sich vom Hof ab, nachdem sie erfahren hatte, dass Izayoi offenbar krank vor Kummer war. Niemand verstand, dass sie um den Youkai trauerte, der ihr auch noch dieses Kind, dieses Ungeheuer, beschert hatte. Niemand. Izayoi war nur wieder in ihrem Zuhause aufgenommen worden, da es eben ihr Zuhause war, und Inuyasha wurde nur geduldet, wobei er es in der Tat nicht gut hatte. Inuyasha wurde verachtet und ignoriert, doch er war noch bei seiner Mutter. Sesshoumaru hatte es vorausgesehen, doch Izayoi hatte nicht auf ihn gehört. Sie hatte keine Ahnung gehabt, was nach Inu-no-taishous Tod auf sie zukommen würde. Wut machte sich in Ayashi breit, als sie diese Gedanken hatte, und sie wandte sich schnell zum Gehen. Sie wollte nicht mehr sehen oder hören. Es schmerzte zu sehr. Sie bemerkte, dass sie das Verlangen unterdrücken musste, Inuyasha mit sich zu nehmen. Ayashi wusste, dass sie das nicht durfte. Und sie wusste, dass sie es nicht konnte. Sie konnte nicht für seinen Bruder sorgen. Wenn sich jemand nach Izayois Tod, den Ayashi in nicht allzu ferner Zeit annahm, um Inuyasha kümmern musste, dann war das Sesshoumaru. Was auch immer die Zukunft für Inuyasha bringen würde, war nicht völlig gewiss. Ayashi wusste aber, dass die Wunden, die er in diesen frühen Jahren davon getragen hatte, niemals ganz verheilen konnten. Sesshoumaru trat am frühen Morgen in den ersten Innenhof von Katagas Schloss und wurde sofort zum Schlossherrn geführt. Es war seltsam still in den Räumen und er begegnete nur wenigen Dienern, die eilig ihren Pflichten nachgingen. Sesshoumaru schaute zwei Dienerinnen nach, die mit gesenktem Blick an ihm vorbeigingen, und plötzlich fiel ihm auf, dass er Ayashis Duft nicht deutlich wahrnehmen konnte. „Sesshoumaru-Sama, der Herr wird bald bei Euch sein.“ verkündete der Diener, zog sich mit einer tiefen Verbeugung zurück und ließ Sesshoumaru allein im Empfangssaal stehen. Sesshoumaru nickte geistesabwesend und überlegte fieberhaft, worin die Schwäche von Ayashis Duft begründet sein konnte, doch konnte sich nicht länger selbst belügen, da die Antwort so offensichtlich war, obwohl er sie überhaupt nicht mochte. Sie musste das Schloss verlassen haben. Ja, sie hatte Fukuoka verlassen. Einen Moment schloss Sesshoumaru die Augen und nahm seine Umgebung mit seinen scharfen Sinnen genauer wahr. Ayashi war tatsächlich nicht im Schloss, denn er fühlte auch ihre Aura nicht, die sie hier wohl kaum unterdrückt hätte, doch noch etwas anderes fehlte: Die Auren der Kaisersöhne waren ebenfalls nicht mehr zu spüren. „Sesshoumaru-Sama, es ist mir eine Freude, Euch wieder begrüßen zu dürfen.“ meinte Kataga, der in einem dunklen Kimono den Raum betrat. Die Kaisersöhne und Ayashi waren weg. Konnte das noch etwas anderes bedeuten als das Erkennbare? Konnte es noch etwas anderes bedeuten, außer dass Ayashi mit den Kaisersöhnen aufgebrochen war, um den Kaiser zu sehen, weil sie den Antrag angenommen hatte? Konnte es… „Sesshoumaru-Sama?“ „Die Freude ist ganz meinerseits, Kataga-Sama.“ entgegnete Sesshoumaru schnell und zwang sich, seine Aufmerksamkeit auf das bevorstehende Gespräch mit dem Fürsten Kataga zu lenken. „Ich habe gehört, dass Ninshiki ihre Aufgabe gut erledigt.“ fuhr Kataga fort und wies mit einer eleganten Handbewegung auf den niedrigen Tisch, damit sie Platz nehmen konnten. „Sie ist in der Tat eine sehr geschickte Anführerin und hat sich den Respekt und die Liebe ihrer Untertanen schon jetzt verdient. Sie wird auch in Zukunft ihrer Aufgabe gerecht werden, doch daran zweifelte ich keinen Augenblick.“ erwiderte Sesshoumaru und ließ sich vor dem Tisch nieder, sodass Kataga ihm gegenüber Platz nahm. „Habt Ihr Neuigkeiten über Satori, die Gefährtin meines Bruders?“ fragte Kataga und Sesshoumaru nickte. „Sie scheint eingesehen zu haben, dass ihr Hass gegen meinen Vater durch die Rach- und Machtsucht ihrer Mutter bestimmt war, jedoch bin ich mir nicht sicher, inwieweit sie Katsumoto-Sama nur das sagt, was er zu hören wünscht.“ „Vorsicht müssen wir auch weiterhin walten lassen, da habt Ihr Recht, Sesshoumaru-Sama.“ Sesshoumaru nickte und blickte Kataga an, der ruhig und gelassen wie immer wirkte, doch in dessen Augen er einen tiefen Schmerz erkannte. Der Abschied von seiner Tochter war ihm sicher schwer gefallen, doch sie würde schon bald mit einem Gefährten wiederkehren. Schnell verdrängte er die schmerzliche Vorstellung aus seinen Gedanken und wandte wieder seine volle Aufmerksamkeit auf Kataga. „Ich bin älter und erfahrener als Ihr, Sesshoumaru-Sama, deshalb bitte ich Euch, meine Offenheit zu entschuldigen, doch darf ich Euch einen Rat geben, Sesshoumaru-Sama?“ fragte Kataga nach einer Weile. „Gewiss, Kataga-Sama. Ich bin war immer dankbar für Euren Rat.“ entgegnete Sesshoumaru und neigte leicht den Kopf. Kataga sammelte sich und ordnete seine Gedanken. Der Augenblick war gekommen, da er Sesshoumaru prüfen konnte und musste. Nun wollte er sehen, ob Sesshoumaru das Zeug zum Herrschen hatte. Nun wollte er sehen, worum es Sesshoumaru wirklich ging. Nun wollte er sehen, ob er, Kataga, Sesshoumaru vertrauen konnte. „Ihr solltet die Herrschaft Eures Vaters nicht länger in Erinnerung an Euren Vater übernehmen. Nehmt seinen Platz richtig ein, denn das würde Euch noch mehr in Eurem Vorhaben unterstützen, das Gebiet wieder zu vereinen.“ „Ich werde die Rüstung meines Vaters in Shimonoseki erst entfernen lassen, wenn ich seinen letzten Wunsch erfüllt habe.“ widersprach Sesshoumaru und schüttelte den Kopf. „Das ist Euer gutes Recht, doch bedenkt, dass Ihr dadurch Eure eigene Herrscherperson schmälert. Ihr müsst herrschen – und nur Ihr und nicht im Andenken an Inu-no-taishou. Wer weiß, ob dieses Andenken Euch bei der Herrschaft nicht sogar im Wege steht, denn vielleicht gibt es Youkai, die Euch die Treue schwören würden, die aber zuvor mit Inu-no-taishou gebrochen haben.“ „Das bedeutet, dass ich das Andenken meines Vaters beschmutzen könnte und die Entscheidungen meines Vaters öffentlich anzweifeln könnte, und mich damit ein Stück weit selbst auf die Seite der Verräter schlage, damit diese Verräter meine Herrschaft akzeptieren.“ meinte Sesshoumaru und fuhr gleich darauf fort: „Das ist durchaus möglich und ich habe auch schon selbst daran gedacht, doch ich bin der Meinung, dass ich das nicht tun kann. Ich kann mich mit meiner Ansicht nicht so weit von der Ansicht meines Vaters anwenden, ohne meine Glaubwürdigkeit als Erbe zu verlieren. Er hat sich nun einmal für diese Sterbliche und das Kind entschieden – und mit den Konsequenzen dieser Entscheidung müssen wir nun zurechtkommen.“ Kataga nickte und verbarg seine Zufriedenheit über diese Antwort. Inu-no-taishou hatte wirklich einen würdigen Sohn, der die Herrschaft würdig als Nachfolger weiterführen konnte. Kataga war froh darüber, doch er freute sich auch, dass er nun mit Sesshoumaru verbündet war wie vorher mit dessen Vater. „Erlaubt Ihr mir nun eine Frage, Kataga-Sama?“ „Sicherlich. Stellt Eure Frage, Sesshoumaru-Sama.“ „Ich sah schon lange Eure Tochter nicht mehr. Ich hoffe doch, sie ist wohlauf.“ meinte Sesshoumaru vorsichtig und sah, wie Katagas Miene sich einen Moment verfinsterte und im nächsten Augenblick schon wieder gelassen auf ihm ruhte. „Sie ist wohlauf und wird im nächsten Monat mit Katsumoto nach Fukuoka kommen, damit sie auch dieses Gebiet endlich ausgiebig kennen lernt.“ Sesshoumaru verstand sofort, dass Kataga von seiner jüngsten Tochter sprach, und wunderte sich, dass er über seine älteste Tochter hinwegging. Was interessierte ihn, Sesshoumaru, schon Ayame, wo es doch klar war, dass er eine tiefere Bindung zu Ayashi hatte? „Ayame wird es auf Kyushu gewiss gefallen, doch ich erkundigte mich nach Eurer ältesten Tochter, die mir das Leben rettete. Ayashi.“ „Ayashi ist auf Reisen. Ich bin mir sicher, dass sie wohlauf ist, doch wo sie sich gerade befindet, kann ich nicht sagen.“ „Schade. Ich hätte sie gern einmal wieder gesehen.“ gestand Sesshoumaru, da er diese Tatsache ohne Risiko mitteilen konnte. Kataga zögerte erst, doch blieb dann stumm, worauf Sesshoumaru nickte und sich von dem Fürsten verabschiedete. Sie war auf Reisen… Wenn Kataga das so ausdrückte, sollte wohl noch niemand vom Antrag des Kaisersohnes etwas wissen. Er würde es noch als einer der ersten erfahren, das wusste Sesshoumaru. Kapitel 89: ------------ Ayashi lauschte den Geräuschen, die an diesem späten Nachmittag im Wald erklangen. Der Wind raschelte leise in den Blättern und dünnen Zweigen. Tiere huschten über den weichen Waldboden. Hoch oben über den Baumwipfeln flogen Vögel und zwitscherten vergnügt. Die Sonne hatte schon lange ihren höchsten Punkt am Himmel überschritten und senkte nun weit reichend ihre Strahlen zwischen den Baumstämmen hindurch. Sie sollte rasten, überlegte Ayashi, und setzte sich unter einen alten Baum, sodass einige der warmen Strahlen ihr Gesicht trafen. Die Wärme war angenehm und für einen Moment schloss sie die Augen. Das Gefühl für Zeit hatte sie inzwischen vollständig verloren. Wie lange war sie schon unterwegs? Viele Monate. Wie oft war der Winter inzwischen gekommen und gegangen? Viermal? Fünfmal? Sie wusste es nicht, doch was machte das schon? Niemand vermisste sie und niemand fragte nach ihr. Niemand legte Wert darauf, sie zu sehen. Nein, niemand sah in ihr etwas anderes als das, was sie war. Eine Hime. Und sobald sie als Hime ihre Pflicht nicht mehr erfüllte und verweigerte, brauchte man sie nicht mehr. Für eine widerspenstige Hime war kein Platz in der Gesellschaft, das wusste sie. Ayashi öffnete ihre Augen wieder und atmete tief durch. Sie wollte sich nicht solchen Gedanken hingeben, doch sie konnte sich offenbar nicht sehr lange von ihnen abwenden. Immer und immer wieder kehrten sie in ihren Verstand zurück – so oft, dass sie mehr als einmal daran gedacht hatte, zu ihrem Vater zurückzukehren und um Vergebung zu bitten. Doch konnte sie das wirklich? Konnte sie einfach so zurückkehren oder war sie schon zu lange weg, dass ihr Vater ihr nicht mehr vergeben würde? Konnte sie den Antrag des Kaisersohnes einfach so annehmen oder würde selbst ihre Bereitschaft das Verhältnis zu ihrem Vater nicht mehr retten können? Wieso ging sie überhaupt davon aus, dass ihre Bereitschaft, den Kaisersohn zu ihrem Gefährten zu nehmen, ein Friedensangebot war, mit dem sie auf ihren Vater zugehen konnte? Vielleicht war der Antrag zurückgenommen und längst hinfällig. Vielleicht hatte sie zu lange gezögert… Widerwillig schüttelte sie den Kopf und lehnte sich schließlich ganz an den Baumstamm an. Nein, noch immer konnte sie den Antrag nicht annehmen. Sicher, dachte sie, sie könne sich überwinden und sich verstellen, doch sie hatte Angst davor, sich selbst in dieser Lüge irgendwann zu verlieren. „Ich ziehe die Einsamkeit vor.“ flüsterte sie tonlos vor sich hin. „Einsamkeit ist in gewisser Weise nur eine andere Art von Freiheit.“ Langsam hob sie den Blick und richtete ihn in die untergehende Sonne. Sie konnte nun tun, was sie wollte. Sie konnte leben, wie sie wollte. Sie hatte mir allem gebrochen und nun… würde sie leben. Ohne Zwänge. Ohne Regeln. Irgendwie. Sie war einsam, aber auch frei. Sollte sie nicht zumindest dankbar dafür sein, auch wenn es nie geplant war, dass ihr Leben diese Wendung nehmen würde? Ayashi schloss kurz die Augen und nickte leicht, als ihre Aufmerksamkeit von einer beinahe vollständig unterdrückten Aura geweckt wurde. Schnell schärfte sie ihre Sinne, während sie ihre Hand an den Griff ihres Schwertes legte. Die Vögel waren augenblicklich verstummt, als auch Ayashi die Kraft und Kälte wahrgenommen hatte, weshalb sie wusste, dass sie sich das alles nicht einbildete. Lautlos erhob sie sich mit geschmeidigen Bewegungen und machte den Fremden nicht auf sich aufmerksam. Sie wusste nicht genau, wo er sich befand, doch das würde sie bald herausfinden. Viel wichtiger war die Tatsache, dass sie nicht genau wusste, ob er ihr feindlich oder freundlich gesinnt war. Die Kälte, die sie wahrnehmen konnte, verhieß allerdings nichts Gutes. Sie ließ ihre Sinne weit ausschweifen und versuchte, den Fremden eindeutiger zu orten, doch sie musste dabei darauf achten, dass sie nicht ihre vollen Youkai-Fähigkeiten benutzte, denn dadurch würde er auf sie aufmerksam werden und sie verlor den Vorteil des Verstecks, den sie im Moment noch besaß. Langsam nahm sie ihre Umgebung in sich auf, doch sie schloss nicht ihre Augen, damit ihr nichts entgehen konnte. Ein kühler Wind zerrte an ihren offenen Haaren und an ihrem Gewand, das sie erst im letzten Dorf gegen ihr altes ausgetauscht hatte – einen Hakama und zwei Haoris in dunklen Farben, die sie natürlich übereinander trug. Ayashi schloss ihre Finger um den Griff ihres Schwertes und entfernte sich geräuschlos von dem Baum, am dem sie gesessen hatte. Wer auch immer der Fremde war, ihre Instinkte rieten ihr zu äußerster Vorsicht, obwohl sie eine starke Kämpferin war und in den letzten Jahren noch stärker und gewandter geworden war. Dennoch fühlte sie, wie die fremde Aura ein beklemmendes Gefühl in ihr auslöste, obwohl die Aura fast gänzlich von ihrem Besitzer zurückgehalten wurde und sie sich nicht zu ihrer vollen Kraft entfaltete. Ayashi ging langsam weiter, als sie die Richtung ausgemacht hatte, aus der sie kam. Ihr Herz schlug und sie zwang sich dazu, ganz ruhig zu atmen, als sie sich dem Waldrand näherte. Sie spürte, dass die Aura in der Nähe war und schob sich Stück für Stück vorsichtig weiter nach vorne. Plötzlich erblickte sie eine Gestalt, die mit gelassenen Schritten über die weite Ebene spazierte. Sesshoumaru! Sein Haar wehte leicht im Wind und Ayashi drang sein angenehmer Duft trotz ihrer geschwächten Sinne direkt in ihr Bewusstsein. Einige winzige Augenblicke setzte ihr Herz mit seinen Schlägen aus, doch dann fasste sie sich wieder. Sesshoumaru. Es gab nichts, was daran seltsam war, dass sie ihm irgendwann über den Weg lief. Wenn sie ehrlich war, hatte sie schon viel früher damit gerechnet und in ihrem Unterbewusstsein womöglich sogar darauf gehofft. Ayashis Lippen zitterten und ihre Hand umschloss den Griff ihres Schwertes stark, obwohl sie nicht genau wusste, warum sie es tat. Sie spürte, wie die Enttäuschung und die Wut in ihr stärker wurden, die sie in den letzten Jahren verdrängt hatte. Sie hatte es so oft wie möglich vermieden, an ihn zu denken. Sie wollte sich nicht daran erinnern, wie er sie zurückgewiesen hatte… dass er es getan hatte, denn ihrem Herzen waren seine Gründe, die er vielleicht dafür gehabt hatte, reichlich gleichgültig. Sie war verletzt. Ayashi sah mit ruhigem Blick und tobendem Herzen zu Sesshoumaru hinüber, der sie noch nicht bemerkt hatte. Wachsam ließ sie etwas mehr von ihrer Aura deutlich werden und stellte fest, dass er ihre Anwesenheit sofort bemerkte, als sie es tat. Sein Kopf wandte sich beinahe im selben Augenblick in ihre Richtung und er erstarrte in seiner Bewegung. Sesshoumaru fühlte plötzlich eine Aura, die ihm bekannt vorkam, und hielt erstaunt inne. In einiger Entfernung stand eine Youkai in dunkler Kleidung und blickte zu ihm herüber, weshalb ihm klar war, dass sie sich für ihn bemerkbar machen wollte. Noch hielt sie den größten Teil ihrer Kraft zurück, doch… Sesshoumarus Augen weiteten sich, als ihm unmissverständlich klar wurde, wer dort vor ihm stand. Ayashi. Er konnte nicht glauben, was er mit seinen eigenen Augen sehen konnte. Er konnte nicht glauben, dass sie hier war, da er doch wusste, dass sie nicht hier sein konnte. Er war nur froh, dass niemand ihn begleitete – nicht einmal Yaken. Die Fragen stürmten seine Gedanken. Seit wann war sie zurück? Warum trug sie… diese Kleidung? Warum war sie allein unterwegs? Was wollte sie? Würde sie mit ihm sprechen? Hatte sie ihn zufällig bemerkt oder hatte sie ihn gesucht? Verwirrt schüttelte er leicht den Kopf und blickte ihr nur entgegen, als sie ihn allmählich ihre vollständige Aura und Kraft fühlen ließ. Natürlich hatte sie ihn nicht gesucht! Wie kam er überhaupt auf diese Idee, fragte sich Sesshoumaru, doch konnte sich nicht dagegen wehren, was Ayashis Aura mit ihm machte. Sesshoumaru schloss für einen kurzen Moment die Augen und genoss es, ihre Anwesenheit so unverfälscht und mächtig nur geschätzte dreihundert Schritte von sich entfernt zu spüren. Er badete in diesem Gefühl und bemerkte, wie sein Herz sich scheinbar weit öffnete, um wenigstens einen Teil von ihr in sich aufzunehmen, was ihm überhaupt nicht zustand, das wusste er, doch er konnte nicht leugnen, dass er sie unglaublich vermisste, obwohl ihm das noch weniger zustand. Sie war verlobt. Sie gehörte nun schon einem anderen Youkai. Daran war nichts mehr zu ändern, und wenn er ihr keine Schwierigkeiten bereiten wollte, so grüßte er sie höflich und ging dann weiter seines Weges. Sesshoumaru biss sich angespannt heftig auf die Lippen und fand schließlich die Kraft, sich ihr mit langsamen und bedachten Schritten zu nähern. Ayashi sah ihm entgegen und ließ ihn noch einige Schritte näher herankommen, bevor ihm auffiel, dass ihre Hand an ihrem Schwert lag. Ihre Blicke begegneten sich, doch Sesshoumaru konnte keine Emotionen oder Gedanken in ihrem Gesicht lesen. Sie war entspannt und ruhig – und er hatte keine Ahnung, was in ihr vorging. „Ayashi.“ meinte er leise. Er war sich sicher, dass sie ihn verstanden hatte oder zumindest gesehen hatte, dass seine Lippen sich bewegt hatten, doch sie reagierte nicht mit einem Gruß, sondern zog nur mit einer geschmeidigen Bewegung ihr Schwert, um es gegen ihn zu richten. _________ So, jetzt muss ich doch mal eine Frage loswerden, die vielleicht etwas unverschämt ist, aber: Liest diese Geschichte überhaupt noch jemand? Ich möchte es einfach nur wissen, da ich es selbst nicht einschätzen kann, da keine Kommentare mehr kommen. Seid doch so lieb und lasst mir einen Kommentar da oder hinterlasst einen Eintrag in meinem Gästebuch. Es reicht auch, wenn ihr einfach 'ja' schreibt. *g* LG. Elena/Laurea. Kapitel 90: ------------ Hallo, TinaChan, Lilian-chan und Sha_Na! Vielen Dank, dass ihr euch gemeldet habt. Es ist kein Problem, dass ihr bisher keine Kommentare geschrieben hat. Darum ging es mir auch nicht. Ich wollte einfach nur wissen, ob noch Interesse an der Geschichte besteht. Da es so ist, geht es natürlich auch weiter! Viel Spaß weiterhin! LG. Elena-Laurea. ________________________________________________ Sesshoumaru blickte Ayashi entsetzt an, doch sie senkte die Klinge ihres Schwertes nicht. In ihren Augen loderte ein kühles Feuer, das scheinbar angriffslustig aufbegehrte und ankündigte, worauf diese Situation hinausführen sollte. „Wie ist das möglich, Ayashi? Wie ist es möglich, dass du hier bist?“ fragte er beinahe tonlos und blickte Ayashi an, als würde er es noch für möglich halten, dass sie ein Trugbild war. „Wieso sollte ich nicht hier sein?“ entgegnete sie distanziert. „Ich dachte, du bist… am Kaiserhof. Dein Vater…“ „Ich habe keinen Vater mehr.“ gab sie zurück. „Und nun zieh’ deine Waffe, Sesshoumaru!“ forderte sie ihn kühl auf und hielt eisern seinen Blick. Sesshoumaru schüttelte den Kopf und ließ seine Arme an beiden Seiten seines Körpers entspannt ruhen. Er bewegte sich keinen Zentimeter von der Stelle, sondern sah sie nur an. „Keinen Vater mehr…“ murmelte er. „Ayashi, wie…?“ „Zieh’ dein Schwert, Sesshoumaru!“ sagte sie noch einmal, doch ihre Stimme war härter als beim ersten Mal. „Nein, Ayashi.“ widersprach Sesshoumaru und folgte wieder nicht ihrer Aufforderung. Ayashi trat gemächlich einige Schritte auf ihn zu, doch Sesshoumaru wich nicht zurück. Was war geschehen? Keinen Vater mehr… Was sollte das bedeuten? Was verleitete sie dazu, so zu reagieren? Er konnte nicht glauben, dass sie kämpfen wollte. Er konnte nicht glauben, dass sie wollte, dass er die Waffe gegen sie erhob. Sein Blick senkte sich von ihren Augen auf ihr Schwert und er bemerkte, dass sie eine Waffe in der Hand hielt, die Totosai geschmiedet hatte. Seine Handschrift war unverkennbar. Dieses Stück musste sein Vater ihr als Erbstück und Erinnerungsstück hinterlassen haben. Glaubte sie allen Ernstes, dass er auch nur riskieren würde, sie zu verletzen? „Kannst du mir nicht wenigstens erlauben, meine Ehre zu verteidigen? Musst du mir auch das noch nehmen?“ fragte sie ihn beschuldigend und gestikulierte mit ihrer linken Hand, während ihre rechte den Griff des Schwertes fest umschlossen hielt. „Deine Ehre… Ayashi, warum…?“ begann er, doch er kam nicht weiter, da Ayashi ihn wütend ansah. Sie war verletzt, bemerkte er, und wusste auch, das er der Grund dafür war – zumindest für einen Teil ihres Schmerzes, denn er hatte sie verlassen. Trotzdem konnte er nicht mehr erkennen, denn er wusste nicht, was in den vergangenen Jahren geschehen war. War sie nur wütend, da er sich von ihr getrennt hatte? Hatte sie nicht verstanden, warum er es getan hatte? Hatte sie nicht gesehen, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hatte? Ayashi bemühte sich, ihre Ruhe zu bewahren, während Sesshoumaru scheinbar nachdachte. Sie wusste, dass sie ruhig bleiben musste, wenn sie eine Chance gegen ihn haben wollte. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren, wenn sie sich mit ihm maß – nicht, weil er so viel stärker war als sie selbst, doch weil ihre Leidenschaft ihrer Konzentration im Weg stand. Sie wusste, dass Sesshoumaru dennoch ein starker Gegner war, der sie wahrscheinlich in der Tat besiegen konnte, doch genau dieses Wissen konnte sie nicht davon abhalten, sich mit ihm zu messen. Sie wollte es. Sie musste es. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie es sich selbst schuldig war. Sie musste wissen, ob er sie besiegen konnte. Sie musste wissen, ob er sie besiegen und dabei bis zum Äußersten gehen würde. „Ich fordere dich heraus, Sesshoumaru, also nimm’ den Kampf an!“ entgegnete sie ihm und er schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht gegen dich kämpfen, Ayashi.“ gab er zurück, worauf Ayashi wütend ausatmete. „Bist du nicht Youkai genug, um dich auf den Kampf einzulassen?“ fragte sie ihn und wusste, dass sie ihn damit nur provozieren wollte. Wenn er schon nicht freiwillig mit ihr kämpfte, so würde sie ihm so lange Feigheit und Schwäche vorwerfen, bis er seine Meinung über die kämpferische Auseinandersetzung änderte. Sie wollte kämpfen. Er hatte bei dieser Entscheidung nicht sonderlich mitzureden. Er war ihr zumindest das schuldig, nachdem er alle anderen Entscheidungen alleine und ohne ihr Einverständnis getroffen hatte. „Ayashi, wir stehen uns so nahe. Ich kann nicht gegen dich kämpfen. Ich will es nicht. Du bist meine…“ „Wir sind Gegner, Sesshoumaru. Wir standen uns vielleicht einmal nahe. Vor langer Zeit. Doch das ist nun nicht mehr so. Ich bin deine Gegnerin und sonst nichts.“ erwiderte Ayashi beherrscht und er schluckte. „Nein, Ayashi.“ widersprach er, doch sie schüttelte energisch den Kopf. „Nimm’ endlich hin, wie das alles gekommen ist – und kämpfe!“ gab Ayashi zurück Langsam und bedrohend legte sie ihre linke Hand ebenfalls an ihr Schwert und zog es in waagrechter Position neben ihr Gesicht, um ihm zu zeigen, dass sie bald angreifen würde, und es an ihm lag, sich zu verteidigen. Sesshoumaru sah, dass sie eine Angriffsposition einnahm und bemühte sich, seine Gedanken zu ordnen. Sie wollte tatsächlich kämpfen? Sie wollte tatsächlich, dass er sich verteidigte? Was würde geschehen, wenn er einfach stehen blieb und abwartete? Würde sie ihn mit ihrer Waffe durchbohren, wenn er sie einfach machen ließ oder würde sie davor zurückschrecken? Ayashi tat einen tiefen Atemzug und hielt Sesshoumarus Blick. Immer noch hatte er sein Schwert nicht gezogen, doch darauf wollte sie nun keine Rücksicht mehr nehmen. Sie hatte ihm genug Zeit gegeben. Es war genug Zeit vergangen. Nun wollte sie es einfach nur wissen, was der Kampf für ihre Zukunft bedeutete. Ayashi eilte mit erhobenem Schwert auf ihn zu und führte den ersten Angriffsschlag aus, dem er gelenkig und blitzschnell auswich, sodass er einige Schritte von ihr entfernt stehen blieb. Ayashi kniff die Augen zusammen und ärgerte sich darüber, dass er sein Schwert noch nicht gezogen hatte, sondern nur ausgewichen war. „Kämpfe!“ rief sie und griff erneut an, doch wieder wich er beweglich zurück, sodass sie ihm nacheilen musste. „Warum willst du kämpfen?“ rief er zurück, doch sie reagierte nicht. Ihre Schritte schnellten über das Gras der Ebene und klangen dumpf, als sie ab und zu auf die Erde stießen. Sie wollte nicht unnötig viel Energie damit zubringen, ihn zur Verteidigung zu animieren, doch allmählich begann sie, sein Spiel, das er mit ihr trieb, zu verachten. „Zieh’ endlich dein Schwert!“ befahl sie und holte zum nächsten Schlag aus, der ihn wieder nicht traf. „Ayashi, hör’ mir zu!“ bat er standhaft, doch wieder schien sie ihn nicht hören zu wollen. Wieder und wieder startete sie Angriffe, denen er immer nur auswich, bis Ayashi einen Augenblick innehielt und ihn vernichtend anblickte. Sie würde nicht ihre gesamte Kraft so unnütz verschwenden, doch wenn er dachte, dass sie ihm noch länger gestatten würde, den Kampf so zu gestalten, hatte er sich gewaltig in ihr getäuscht. Wut brodelte in ihr, doch sie unterdrückte sie so gut sie konnte, da sie sich ihr nicht hingeben wollte. Er sollte nicht bemerkten, mit wie viel Schmerz und Verzweiflung sie diesen Kampf begann. Sesshoumaru schüttelte leicht den Kopf über Ayashi und die gesamte Situation. Seine Gedanken spielten verrückt und ließen sich kaum mehr kontrollieren. Er konnte nicht verstehen, wie alles so weit hatte kommen können. Er konnte es einfach nicht. Warum vermied sie das Gespräch mit ihm? Warum begegnete sie ihm mit dieser Aggression, die sogar verhinderte, dass sie ihm zuhörte? Er war sich sicher, dass sie klären konnten, was es zu klären gab, doch es war beinahe so, als trieb eine unsichtbare Macht sie an, die sie auch vorher schon taub für seine Fragen gemacht hatte. Sesshoumaru rief sich zur Konzentration und schob alle Gedanken und Zweifel beiseite. Wenn er sich nicht verteidigte, musste er zumindest aufmerksam genug sein, ihr ausweichen zu können. Ayashi bewegte sich wahnsinnig schnell und er musste zugeben, dass er kaum noch eine Möglichkeit hatte, ihr wirklich rechtzeitig aus dem Weg zu gehen. Er verfluchte sich für seine Gedanken, die ihn abgelenkt hatten, als ihre Klinge den Ärmel seines Kleidungsstücks am rechten Oberarm zerschnitt. Sesshoumaru verzog das Gesicht, als er bemerkte, dass sie auch seine Haut verletzt hatte, und blickte fassungslos zu Ayashi, die ruhig und gelassen abwartete, bis sich die Botschaft in seinem Verstand gesetzt hatte. Sie wollte kämpfen und ihn besiegen. Und es war Zeit, dass er das genauso sah wie sie selbst. „Wie du willst, Ayashi.“ meinte er und begegnete ihrem feurigen Blick, aus dem so viel Hass und Wut sprach, dass er es kaum fassen konnte. „Wie du willst.“ murmelte er noch einmal und zog endlich sein Schwert, um sich zu verteidigen. Kapitel 91: ------------ Es wurde still über dem angrenzenden Wald, als habe sich ein undurchdringbarer Schleier über die Welt gelegt – oder als halte sie den Atem an, da sie nicht wusste, was als nächstes geschah. Kein einziger Vogel zwitscherte mehr, kein Geräusch drang aus dem Unterholz, kein Windhauch störte die ruhige Luft. Ayashi stand Sesshoumaru gegenüber und wartete auf seinen Angriff. Sie wusste, dass sie angreifen konnte, doch sie wollte ihm die Gelegenheit dazu geben. Konzentriert verfolgte sie jede seiner Bewegungen und studierte seinen Gesichtsausdruck, in dem sie endlich den Kämpfer erkannte, den sie immer in ihm vermutet hatte. Er hatte so viele Schlachten bestritten und in so vielen Kriegen gekämpft, dass er unglaublich gewandt im Umgang mit seinem Schwert sein musste, doch sie wollte es nicht glauben, bis sie es selbst gesehen hatte. Sie konnte es nicht glauben, bis sie es selbst gesehen hatte. Sie wollte endlich wissen, wer der Youkai, den sie von ganzem Herzen liebte, wirklich war. Und dazu gehörte, dass sie wusste, wie er kämpfte. Sesshoumaru bereitete sich innerlich auf den Angriff vor, den er bald ausführen würde. Es gefiel ihm immer noch nicht, gegen Ayashi zu kämpfen, doch wenn das ihr Wunsch war, würde er ihn erfüllen. Es war ihr Wunsch und ihr Recht, diesen Kampf auszufechten, bei dem es ihr um ihre Ehre zu gehen schien, was Sesshoumaru nicht ganz verstand. Seines Wissens nach hatte er niemals etwas getan, dass ihre Ehre gefährden oder verletzen konnte, wenn man von ihrer Beziehung absah, die sie miteinander führten… oder geführt hatten. Aufmerksam musterte er sie und stellte fest, dass sie dasselbe tat. Nein, das Problem zwischen ihnen konnte nicht darin liegen, dass Ayashi nun wusste, dass sie sich niemals auf ihn hätte einlassen dürfen. Das Problem musste woanders liegen. Sesshoumaru zog sein Schwert ruhig nach oben und signalisierte ihr damit, dass er endgültig zum Kampf bereit war, weshalb sie eine Verteidigungsposition einnahm. Kurz darauf schnellte er vor und schwang sein Schwert, doch Ayashi konnte es ohne große Mühen mit ihrem eigenen Schwert abwehren und Sesshoumaru ein wenig zurückdrängen. Ayashi fühlte das Blut durch sich hindurch rauschen. Endlich. Endlich hatte der Kampf begonnen. Sie fühlte sich leicht und unbeschwert, als sie Sesshoumarus nächsten Angriff wieder parierte, doch sie fühlte auch, dass sie immer noch wütend war. Mit gekreuzten Klingen und Blickkontakt standen sie da und Ayashi zog die Augen zusammen. „Halte dich nicht wegen mir zurück!“ meinte sie und stieß ihn von sich, sodass er einige Schritte zurückwich und in erwartender Haltung wieder festen Stand erlangte. Sesshoumaru entgegnete nichts, wehrte ihren folgenden Angriff kühl ab und führte den Kampf fort. Er wollte ihr nicht schaden, doch was verleitete sie zu der Annahme, dass er sich zurückhielt? Hatte sie so wenig Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten? Er musste zugeben, dass er nicht erwartet hatte, in Ayashi eine solch starke Gegnerin zu finden, doch er wusste gleichzeitig, dass es ihm hätte klar sein müssen. Immerhin hatte ihr Vater sie zur Verteidigung seines Schlosses mit nur wenigen Kriegern zurückgelassen. Das hätte er wohl kaum getan, wenn er Ayashis Fähigkeiten nicht hoch eingeschätzt hätte. Sie war zu Katagas Nachfolgerin erzogen worden und konnte sich daher in einem Kampf behaupten. Immer wieder parierten Ayashi und Sesshoumaru die Angriffe, Hiebe, Stiche und Schläge des jeweils anderen und drängten mit ihren Waffen gegen den Widerstand ihres Gegner, doch es war unmöglich festzustellen, wer nun im Großen und Ganzen stärker war, da sich das Machtverhältnis auf dem Kampfplatz immer wieder wandelte. Das Klirren der Klingen, der Atem und die schnellen Schritte auf dem Boden waren die einzigen Geräusche, die Ayashi und Sesshoumaru hören konnten. Es waren die einzigen Geräusche, die sie interessierten. Sie waren beide verloren in diesem Kampf, in dem es um mehr ging als Sieg und Niederlage. Es war eine mondhelle, klare Nacht, die sich schließlich über die Ebene gelegt hatte, auf der sich Ayashi und Sesshoumaru immer noch ihren verbitterten Kampf lieferten. Weder Ayashi noch Sesshoumaru dachten daran, aufzugeben, denn keiner von ihnen sah einen wirklichen Grund, so zu handeln. Ayashi wusste, dass sie niemals aufgeben würde. Nein, sie hatte sich auf diesen Weg begeben und nun wollte sie wissen, wohin er sie führte. Würde ihre Mutter Recht behalten? Würde es sie wirklich noch überraschen, wenn sie in absehbarer Zeit feststellte, dass es so war? Sie wusste, dass sie Sesshoumaru nicht grundsätzlich unterlegen war, doch er kämpfte mit kühlem Gemüt und eiserner Beherrschung, die sie zusehends in den Wahnsinn trieb. Warum konnte er sie nicht endlich als die Gegnerin sehen, die sie sein wollte? Warum konnte er nicht einsehen, dass sie bereit war, ihn zu töten? Warum führte er die meisten seiner Angriffe eher halbherzig aus? Wollte er das Ganze nicht endlich beenden und seine Ruhe haben? Sie wusste es nicht, doch sie musste etwas tun, um ihn aus der Reserve zu locken. Sesshoumaru wusste, wie er den Kampf recht schnell beenden konnte: Er konnte seine Giftklaue benutzen. Verwundert schüttelte er über seine Gedanken den Kopf, während er einen erneuten Schlag ausführte. Was dachte er sich dabei nur? Abgesehen davon, dass er seine Giftklaue niemals gegen Ayashi einsetzen würde, um sie nicht noch mehr zu gefährden, als er es ohnehin schon tat, war es unter den Youkai verpönt, derartige Waffen in einem Kampf um Ehre oder Gerechtigkeit einzusetzen. Im Krieg war das etwas anderes. Im Krieg stand man Feinden gegenüber, denen man den Tod wünschte, denn durch ihren Tod wurde der Ausgang der Schlacht bestimmt, doch im Kampf gegen Ayashi, die Tochter eines Verbündeten, sollte er verflucht sein, wenn er nur daran dachte, auf solche Mittel zurückzugreifen, denn sie waren unehrenhaft. Ayashi bemerke, dass Sesshoumaru nicht ganz bei der Sache war, und nutzte die Gelegenheit, um sich blitzschnell unter seinem Schwert zu ducken, statt es mit ihrer Klinge abzuwehren. Wendig bewegte sie sich um seine Seite herum und fügte ihm dabei mit ihrer Waffe eine tiefe Schnittwunde über dem ersten Kratzer am Oberarm zu. Sesshoumaru fluchte laut, doch Ayashi vermutete, dass das an der Überraschung lag – und nicht am Schmerz. Er blickte auf sein zerschnittenes Gewand, das sich mit dunkelrotem Blut tränkte, und hob dann den Blick, in dem ein vernichtendes Feuer loderte, das sie erfasste. Ayashi wusste, dass sie erreicht hatte, was sie wollte. Sesshoumaru hatte endlich eingesehen, dass es ihr wirklich ernst war und nicht davor zurückschreckte, ihn zu verletzen. Sesshoumaru stürzte sich auf Ayashi und griff sie mit mehreren, schnell aufeinander folgenden Hieben an, die sie mit ihrer Waffe parierte oder ihnen auswich. Ja, genau das hatte sie von ihm erwartet. Genau so hatte sie sich vorgestellt, dass er handeln und kämpfen würde - gewaltig wie ein Orkan oder das tosende Meer. Nun wusste sie, dass er sie besiegen konnte. Ayashi musste dem Drang widerstehen, ihre Youkaikräfte einzusetzen, mit denen sie ihn relativ leicht zurückstoßen konnte, doch sie schaffte es. Er benutzte seine Giftklaue nicht, die den Gegner in die Knie zwang, und sie verzichtete darauf, die unsichtbare Druckwelle auszusenden, mit denen sie mehrere Gegner auf einmal zu Fall bringen konnte. Dies war ein ehrenhafter Kampf. Bevor Sesshoumaru den ersten Impuls der Wut bezwang, gab Ayashi ihm erneut Anlass, die Fassung zu verlieren, indem sie ihm einen kleinen Kratzer am Hals zufügte, von dem sie niemals erwartet hatte, ihn ausführen zu können. Sie zuckte erschrocken zusammen und biss sich auf die Lippen, fasste sich jedoch so schnell wieder, dass Sesshoumaru nichts bemerkte. Sesshoumaru drängte Ayashi weiter zurück, griff sie an und parierte die Angriffe ihrerseits. Ayashi wartete auf den richtigen Moment, wartete auf die unbändige Wut, die ihr lange nicht entgegenschlagen wollte, bis sie plötzlich feststellte, dass es Zeit war. Als habe sich nichts verändert, kämpfte sie weiter, bis sie ihm wieder etwas Raum für einen Angriff ließ, den er sofort nutzte. Er holte aus und Ayashi sah das Schwert in Höhe ihrer Kehle direkt auf sie zuschnellen. Sie wusste, dass sie es abwehren konnte. Sie wusste, dass sie zurückweichen oder ausweichen konnte, doch sie tat es nicht. Sesshoumarus Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er in einem Bruchteil einer Sekunde feststellte, dass Ayashi sich nicht verteidigen würde. Er stoppte die Klinge wenige Millimeter, bevor sie sich in ihren Hals bohrte, und blickte Ayashi mit zusammengekniffenen Augen an, da er es nicht fassen konnte. „Ayashi, bist du noch zu retten?“ rief Sesshoumaru aufgebracht, konnte die Waffe aber noch nicht sinken lassen. Er war wie gelähmt. Das pure Entsetzen hatte sich bis tief in sein Inneres gesetzt und wollte seine Glieder nicht aus seiner Gewalt entlassen. Ayashi. Er hatte beinahe Ayashi getötet. „Jetzt tu’ doch endlich, was du tun sollst!“ entgegnete sie aufgebracht, spürte aber, wie die Tränen in ihr aufstiegen. „Ich werde dich nicht töten, Ayashi! Was auch immer der Grund ist, warum du …“ „Du wirst es tun!“ erwiderte Ayashi und konnte die Worte nicht zurückhalten, die sie ihm viel zu lange verschwiegen hatte. „Der Tod durch deine Hand ist mein Schicksal, Sesshoumaru!“ „Nein.“ flüsterte Sesshoumaru und schüttelte den Kopf. Eisern kämpfte Ayashi ihre Tränen nieder und hielt seinem Blick stand, aus dem Unverständnis und Betroffenheit sprachen, bis sie plötzlich wieder all seine Liebe und Zuneigung und Hingabe in seinen Augen entdeckte. Wie lange hatte sie sich gewünscht, diesen Blick zu sehen? Wie lange hatte sie ihn vermisst? Wann hatte sie akzeptiert, dass sie ihn nie wieder sehen würde? Wann hatte sie sich in das Schicksal gefügt, von dem sie ihr gesamtes Leben nichts gehalten hatte? Die Tränen bahnten sich schließlich unerbittlich ihren Weg und flossen zahlreich über ihre Wangen hinab. Ayashi sank weinend zu Boden und vergrub das Gesicht in den Händen. Ihr Herz schmerzte so sehr, dass sie es kaum ertragen konnte. Sesshoumaru blickte fassungslos auf sie hinab und ließ das Schwert aus seiner Hand fallen, ehe er sich zu Ayashi niedersinken ließ und sie einfach nur beschützend und tröstend in seine starken Arme schloss. Sie weinte bitterlich, doch Sesshoumaru konnte das Glücksgefühl nicht unterdrücken, als er nach einer Weile fühlte, wie sich ihre Arme um seinen Körper schlangen und sich an ihm festklammerten. Er wusste nicht genau, was mit ihr war, was vorgefallen war, was sie zu diesem Kampf verleitet hatte, doch er war sich sicher, dass sie das irgendwie klären würden. Im Moment zählte für ihn nur, dass sie endlich wieder beisammen waren. Kapitel 92: ------------ Ayashi schluchzte leise und klammerte sich an Sesshoumaru. Ihre Tränen durchweichten den Stoff seines Haoris, doch sie wollten einfach nicht versiegen. Sesshoumaru hielt sie nur fest und ließ seine Hand zärtlich immer wieder über ihren Rücken streichen, um sie zu beruhigen, doch er drängte sie nicht, ihr Schweigen zu brechen. Er sprach ab und zu ein Wort, das sie nicht richtig verstand, doch er ließ ihr Zeit. Sesshoumaru wartete ab. Er wollte nicht, dass sie sich gedrängt fühlte. Er wollte nicht, dass sie jetzt sprachen, denn er hatte ein wenig Angst davor, wie er feststellte. Er hatte Angst davor, was sie sagen würde. Er befürchtete, dass sie sich ihm sofort entziehen würde, wenn sie die Kraft dazu hatte, da lediglich die Situation dafür gesorgt hatte, dass sie seine Arme um ihren Körper duldete. Und er wollte sie nicht aus seiner Umarmung entlassen. Viel zu lange hatte er sich nach ihr gesehnt. Viel zu lange war es her, seit er ihren Körper gespürt hatte, ihren Duft eingeatmet hatte und ihren Atem leise gehört hatte. Es wusste, dass es eine schlechte Gelegenheit war, so selbstsüchtig zu sein, doch nun war sie bei ihm und er genoss es. Er konnte nicht anders. Ayashi wusste nicht genau, wie viel Zeit vergangen war, in der sie geweint und das Gefühl seiner Arme um sich herum genossen hatte, doch sie hatte bemerkt, dass sie sich seit langer Zeit in seinen Armen, in seiner Nähe endlich wieder vollständig fühlte. Es war ein mächtiges Gefühl, das beinahe alles andere unwichtig erscheinen ließ. Beinahe. Denn trotzdem kam das Bewusstsein um die Tatsache in ihren Verstand zurück, dass sich an der Ausgangssituation beinahe nichts geändert hatte. Ihr Vater wollte noch immer nicht, dass sie nach Fukuoka zurückkehrte, wenn sie nicht einwilligte. Konnte sie überhaupt noch einwilligen? Nein. Sie konnte es nicht, auch wenn das Angebot vielleicht noch bestand. Niemals konnte sie einwilligen. Eine Versöhnung mit ihrem Vater war folglich nicht in Sicht. Und noch immer hing die Vision ihrer Mutter über ihrer Beziehung zu Sesshoumaru, von der sie überhaupt nicht sicher war, dass sie noch eine Chance hatte. Sie wollte dennoch lieber durch Sesshoumarus Hand sterben, als die eines anderen Youkai als führende und schützende Hand in ihrem Leben zu akzeptieren. Ayashi schüttelte leicht den Kopf und presste die Augen fest zusammen. Sesshoumaru hielt sie fest. Sesshoumaru war da. Er liebte sie. Er musste sie lieben – wie sie auch ihn liebte. Verzweifelt. Schmerzhaft. Uneingeschränkt. Tief in ihrem Herzen wusste sie es, doch dennoch streute ihr Verstand winzige Zweifel und Hoffnungslosigkeit setzte sich in ihrem Herzen fest und lähmte sie. Konnte er sie überhaupt lieben, wo sie ihn doch zu diesem Kampf herausgefordert hatte? Konnte er sie überhaupt noch schätzen, wo sie sich ihm doch nun so erbärmlich zeigte? Konnte er überhaupt verstehen, was sie zu ihrem Handeln gebracht hatte? Wie ging es nun weiter? Was hatte sie nur getan? „Vergib’ mir, Sesshoumaru.“ flüsterte sie erstickt und spürte, wie sich sein Körper ein wenig versteifte. „Vergib’ mir.“ wiederholte sie, worauf er nur seine Umarmung um sie noch verstärkte, jedoch nichts sagte. Sesshoumaru konnte nicht glauben, dass sie ihn um Vergebung bat. Und er verstand nicht, weshalb sie um Vergebung bat. Er war zu dankbar, dass sie zuließ, dass er sie hielt. Er war zu froh darüber, denn er hatte vermutet, ihre Nähe nie wieder zu spüren. Sie war zu ihm zurückgekehrt, obwohl er alles getan hatte, das Gegenteil zu bewirken. Wenn jemand um Vergebung bitten musste, war das wohl er, wie er fand. „Es ist in Ordnung, Ayashi. Es ist alles in Ordnung.“ murmelte er leise an ihr Ohr, doch sie schüttelte den Kopf. „Nicht alles.“ erwiderte sie und löste sich ein wenig von ihm, sodass sie ihm in das Gesicht sehen konnte. Sesshoumaru ließ seine Hände sinken und Ayashi fühlte sofort eine leere Kälte an den Stellen, an denen nun seine Berührungen fehlten. Seine bernsteinfarbenen Augen ruhten fragend und aufmerksam auf ihr, doch wieder stellte sie fest, dass er sie zu nichts drängte. Wollte er überhaupt nicht wissen, was in sie gefahren war? Wusste er etwas, das er ihr nicht sagte? Nein. Sie war diejenige, die ihm von Anfang an nicht alles gesagt hatte. Sie musste jetzt mit ihm reden, obwohl sie am liebsten noch Stunden damit zugebracht hätte, in seinen Armen wieder die Geborgenheit zu finden, die sie so lange vermisst hatte. „Wir müssen reden.“ fügte Ayashi deshalb ihren Worten hinzu, worauf Sesshoumaru nickte. „Ich habe viele Fragen, Ayashi.“ gab er zu. Ayashi senkte den Kopf und nickte leicht. Das konnte sie sich vorstellen. Und sie wusste, dass er jedes Recht dazu hatte, doch sie wusste nicht, ob sie ihm seine Fragen beantworten konnte. Sie zuckte leicht zusammen, als er ihr Kinn mit seinen Fingerspitzen berührte. Langsam hob er ihr Gesicht zu seinem und zwang sie zärtlich, ihn anzusehen. „Ich werde versuchen, dir zu erklären, was…“ begann Ayashi, doch er legte ihr einen Finger auf die Lippen, weshalb sie verstummte. „Ich habe eine sehr wichtige Frage, die du mir gleich beantworten solltest.“ entgegnete er und zögerte einen Moment. „Wenn ich kann…“ murmelte Ayashi, doch er schüttelte den Kopf, was sie wieder schweigen ließ. Sesshoumaru sammelte sich und atmete tief durch, als ob es ihn Überwindung kosten würde, seine Frage zu stellen, doch schließlich ergriff er das Wort: „Ich habe dich seit vier langen Jahren nicht mehr gesehen, doch es verging kein Tag und keine Nacht, in der ich nicht an dich gedacht habe.“ Ayashi hörte ihm zu und unterbrach ihn nicht, obwohl sie feststellte, dass es keine Frage war, die er stellte. „Du warst in mir und um mich herum, Ayashi. Du warst mein Sinn und mein Verstand und mein Lebenswille. Du warst in jedem Herzschlag und in jedem Atemzug. Du warst im Sommer ein kühler Lufthauch und im Winter eine wärmende Flamme. Die Erinnerung an dich war Wasser für meine sterbende, verdörrende Seele, obwohl sie auch das war, was mich quälte. Es gab keinen Ort, an dem ich verweilen konnte, ohne dass du bei mir warst. Und auch wenn es sehr schmerzhaft war, dich nicht als Person bei mir zu haben, war es dennoch tröstlich, zumindest die Erinnerungen zu haben. Irgendwie.“ meinte er. Ayashi verstand, wie er sich gefühlt hatte. Ihr war es ähnlich gegangen. Ihre Kehle zog sich zusammen und sie fühlte erneut die Tränen in sich aufsteigen. Dieselben Gefühle, ähnliche Grenzen, doch was hätte sie anders machen können? Sie hätte ihren Stolz vergessen müssen. Sie hätte ihn vergessen müssen und hätte zu ihm eilen sollen, sobald sie sich mit ihrem Vater entzweit hatte. Das hätte sie tun sollen! „Ich werfe dir nichts vor, Ayashi. Niemals. Und in diesem Fall ist es so sinnlos, dir etwas vorzuwerfen. Ich war selbst Schuld an meinem Unglück. Ich und die Situation, aber nun muss ich etwas wissen, Ayashi.“ „Ja?“ fragte sie und konnte kaum noch sprechen, da ihre Stimme beinahe wieder voller erstickter Tränen war. „Darf ich dich noch lieben?“ fragte er und sie blickte ihn einen Moment fassungslos an. „Ich habe mit dir gekämpft, weil es dein Wunsch war. Sollte es dein Wunsch sein, werde ich nie wieder ein Wort über meine Liebe zu dir verlieren. Sollte es dein Wunsch sein, werde ich nie wieder deinen Weg kreuzen. Sollte es dein Wunsch sein, werde ich…“ Ayashi fasste sich und nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände, was ihn verstummen ließ. Sie konnte nichts sagen, da ihr nichts Passendes einfiel. Sie war zu verwirrt und zu glücklich, sodass sie ihn nur schweigend anblicken konnte, ihre Tränen wegblinzelte und ihn leicht anlächelte, ehe sie seine Lippen mit ihren berührte. Sesshoumarus Arme drückten sie fest an sich und seine Lippen streichelten zärtlich und fordernd ihre. Hätte es Ayashi für möglich gehalten, durch die Zärtlichkeit eines einzelnen Kusses zu sterben, wäre sie davon überzeugt gewesen, dass es nun so weit war. Ihr Herz hämmerte wie wild und war immer noch krampfhaft zusammengezogen, sodass es heftig schmerzte. Ayashi erwiderte seine Küsse und gab sich einige lange Augenblicke seiner Zärtlichkeit und Leidenschaft hin, obwohl sie es kaum aushielt. Sie wusste nicht, was sie fühlte. Liebe. Leidenschaft. Hoffnungslosigkeit. Hingabe. Lust. Dankbarkeit. Verzweiflung. Glück. Hoffnung. Schmerz. Doch, sie wusste, was sie fühlte. Sie verstand nur nicht, wie sie all diese Gefühle gleichzeitig empfinden konnte. Sie zitterte ein wenig und lehnte sich stärker gegen Sesshoumarus Körper, der ihr Gewicht leicht ausgleichen konnte, weshalb sie nicht auf den Boden zurücksanken. Sie liebte ihn. Sie liebte ihn so sehr. Und sie weinte schon wieder, stellte sie fest. Sesshoumaru brachte ein wenig Abstand zwischen sie und betrachtete sie besorgt. Ayashi schüttelte den Kopf und lächelte unter Tränen, ehe sie ihre Arme um seinen Nacken schlang. „Ich liebe dich, Sesshoumaru. Ich gehöre dir. Ich will nichts anderes als bei dir zu sein. Ich wollte nie etwas anderes.“ hauchte sie und fühlte, wie er sie mit seinen starken Armen an sich presste. „Dann bleib’ bei mir, Ayashi. Bleib’ bei mir und geh’ nie wieder fort.“ flüsterte er in ihr Ohr und Ayashi nickte, schloss für einen kurzen Moment die Augen und blickte dann in den Nachthimmel hinauf, an dem die Sterne funkelten. Sie wusste nicht genau, was die Zukunft für sie bereithielt, doch das wusste niemand – auch ihre Mutter Midoriko nicht, da war sich Ayashi sicher. Ihre Zukunft war an Sesshoumarus Seite. Irgendwie würden sie es schaffen, weil sie es wollten. Sie hatte das Gefühl, dass sie alles schaffen konnten, wenn sie es nur wollten, doch Ayashi wusste, dass sie ihm nichts mehr verheimlichen wollte. Sesshoumaru musste alles über die Vision und den Streit mit ihrem Vater wissen und sie, Ayashi, würde ihm alles erzählen. Kapitel 93: ------------ Ayashi ließ die Zeit einfach verstreichen. Sie wollte nicht an die Zukunft denken. Sie wollte nicht, dass Sesshoumaru sie aus seinen Armen entließ, doch schließlich konnte sie sich nicht mehr länger zurückhalten. Sie musste ihm einfach sagen, was Sache war. Langsam löste sie sich von ihm und blickte ihn an. „Du hattest viele Fragen, Sesshoumaru.“ erinnerte sie ihn und er nickte. „Ich habe das Gefühl, dass jede einzelne von ihnen warten kann.“ gab er dennoch zurück, worauf Ayashi lächeln musste. Er hatte seine wichtigste Frage gestellt. Er hatte erfahren, dass sie ihn liebte und auch weiterhin seine Liebe zu empfangen bereit war. Ein verräterischer Impuls erwachte in Ayashi, die Geschehnisse der Nacht auf sich zu beruhen zu lassen, doch sie wusste, dass es falsch war. „Nein, Ayashi… Ich gebe zu, dass ich alles wissen will.“ widersprach er sich kurze Zeit später. „Ich will wissen, wie du die letzten Jahre verbracht hast. Ich will wissen, warum du hier bist, wo ich dich doch am Kaiserhof vermutet hatte. Ich will wissen, warum dein Vater…“ Ayashi hob ihre Hand und legte ihm vorsichtig mehrere Fingerspitzen auf die Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Sesshoumaru blickte sie verwundert an, als sie den Kopf schüttelte. „Nicht mein Vater. Ich erzähle dir alles, Sesshoumaru, aber noch nicht über meinen Vater. Noch nicht. Ich kann noch nicht.“ „Ayashi.“ flüsterte er und sie senkte den Blick. Sie hatte sich niemals wirklich damit auseinandergesetzt, dass sie in den Augen ihres Vaters nicht mehr seine Tochter war. Sie hatte verdrängt, an die Konsequenzen seiner Bedingung zu denken, denn es war unwichtig gewesen. Sie hatte jede weiterführende Überlegung beiseite geschoben, denn es war undenkbar gewesen, das Angebot des Kaisersohnes anzunehmen, doch nun war es endgültig, dass es keine Wiedervereinigung mit ihrem Vater geben konnte. Wie auch? „Ich muss dir … Ich will dir sagen, was geschehen ist, aber lass’ mir Zeit. Ich weiß, dass ich jahrelang Zeit hatte, aber ich bin noch nicht dazu bereit, bestimmte Dinge…“ begann Ayashi und Sesshoumaru nickte, bevor sie geendet hatte. „Ayashi, ich werde dich nicht drängen. Erzähl’ mir, was du willst und wann du willst.“ Ayashi lehnte sich ein wenig nach vorne und berührte seine Lippen mit ihren, um ihrem Dank Ausdruck zu verleihen, für den sie einfach keine Worte fand. „Warum konnte ich es nur so lange ohne dich aushalten?“ flüsterte sie und küsste ihn noch einmal, sodass er ihr nicht antworten konnte. Er zog sie zu sich und erwiderte ihren Kuss, ehe sie sich wieder von ihm löste. Ihre Finger strichen sanft über den Stoff seines Ärmels, während sie sein Gesicht musterte. Stumm blickte sie ihm lange in die Augen, bevor sie unvermittelt zu sprechen begann. „Ich war noch recht jung, als ich das erste Mal das Schloss meines Vaters für längere Zeit verlassen und zu dem Ort reisen wollte, an dem meine Mutter den Tod gefunden hatte. Mein Vater sorgte sich sehr, doch gab mir schließlich etwas widerstrebend sein Einverständnis. Er bat mich, mich zuvor noch auf den Weg zu deinem Vater zu machen, wobei ich mir nichts dachte.“ erzählte Ayahsi und hielt einen Augenblick inne, da Sesshoumaru bei der Erwähnung seines Vaters unwillkürlich Ayashis Hand ergriffen hatte. „Ich kann deinen Schmerz über seinen Verlust sehr gut verstehen.“ meinte Ayashi leise und legte ihre Hand über seine. „Es … ist seltsam. Ich weiß nicht, ob ich Trauer oder Zorn empfinde.“ gab Sesshoumaru zu, blickte Ayashi aber nicht an, die seine Hand nur drückte, um ihm zu sagen, dass sie nicht in unverschlossenen Wunden bohren wollte. „Die Lücke, die dein Vater hinterlassen hat, wird niemand füllen können, doch ich bin mir sicher, dass er dich geliebt hat und sehr stolz auf dich ist.“ „War.“ korrigierte Sesshoumaru murmelnd. „Ist.“ beharrte Ayashi und er hob den Blick, nur um sie mit seinen bersteinfarbenen Augen nachdenklich anzublicken und etwas verwirrt den Kopf über sie zu schütteln, ehe er sie bat, weiterzuerzählen. „Ich reiste zu deinem Vater. Erst kurz zuvor hatte ich in einer Sommernacht erfahren, dass er einen Sohn hatte.“ „In der Nacht hast du mit Yaken gesprochen, nicht wahr? Von ihm hast du es erfahren.“ „Ja, du hast uns in jener Nacht gesehen.“ erinnerte sich Ayashi und nickte bei sich. „Ich hatte mir am Anfang vorgenommen, meinen Vater nach dir zu fragen, doch ich tat es nicht. Stattdessen wollte ich deinen Vater nach seinem Sohn, von dem ich bisher nichts gewusst hatte, fragen, doch dazu kam ich nicht einmal… Wusstest du eigentlich von mir?“ „Ich wusste, dass Kataga eine Tochter hat, doch weiter nichts. Wenn ich zu Kataga gebeten wurde, wusste ich, dass du nicht da sein würdest. Das warst du nie.“ „Ja, sie haben es geschickt gemacht, das muss man ihnen lassen.“ murmelte Ayashi und schloss für einen Moment die Augen. Wie viel Energie mussten ihre Väter aufgebracht haben, dass sie sich niemals begegneten? Und wie schicksalhaft war es, dass sie ihm das erste Mal gerade in der Gestalt einer Miko begegnet war und sich unsterblich in ihn verliebt hatte? Und wie bezeichnend, dass es zumindest einer ihrer Väter mit Sicherheit niemals erfahren würde, wie nahe sie sich standen? Nein, auch Kataga würde es nicht… Ayashi schüttelte ihren Kopf und atmete unbemerkt tief durch. „Ich berichtete Inu-no-taishou davon, dass ich auf Reisen gehen würde, mich aber das Gefühl aber nicht loslassen wolle, dass es meinem Vater abgesehen von seiner Sorge auch aus anderen Gründen überhaupt nicht recht war. Dein Vater schob es zunächst darauf, dass ich eben das einzige Kind bin, noch dazu eine Tochter, die trotz ihrer Kampfausbildung jung und unerfahren ist, was mir einleuchtete, doch schließlich erzählte er mir, was mein Vater fürchtete.“ berichtete Ayashi und machte eine kleine Pause, in der sie Sesshoumaru eindringlich anblickte. Er hing an ihren Lippen und wartete darauf, dass sie weitersprach. Beinahe krampfhaft hielt er ihre Hand in seiner fest, als könne er beinahe auch nicht mehr nur eine Sekunde länger warten, endlich alles gesagt zu bekommen. Sesshoumaru war bewusst, dass er sie mit seinem Blick dazu drängte weiterzusprechen, doch er konnte in der Tat nicht mehr warten. Zu lange wollte er den Grund dafür wissen, warum man Ayashi in der Vergangenheit von ihm, dem Sohn eines Verbündeten und Freundes, ferngehalten hatte. Das seltsame Gefühl beschlich ihn, dass das, was Ayashi jetzt sagen würde, auch mit ihrem Angriff und seiner erzwungenen Gegenwehr zusammenhing. „Inu-no-taishou erzählte mir von einer Vision, die meine Mutter vor ihrem letzten Kampf hatte. Ich weiß nicht, warum mein Vater mir nicht davon berichtete, oder ob es ausgemacht war, dass ich es durch deinen Vater erfahren sollte und mich mein Vater deshalb erst nach Shimonoseki geschickt hat. Ich weiß es nicht.“ „Eine Vision… Was sah sie?“ fragte Sesshoumaru und Ayashi rief ihr heftig schlagendes Herz zur Ruhe. „Sie sah offenbar, dass ich durch deine Hand sterben würde.“ entgegnete Ayashi leise und ruhig, hielt aber Sesshoumarus Blick stand. Seine Augen weiteten sich entsetzt und er ließ ihre Hand aus seiner. Wild schüttelte er den Kopf, war aber unfähig, irgendetwas zu sagen. „Ich glaubte nie daran, Sesshoumaru. Selbst dann nicht, als ich es gerade erst erfahren hatte. Ich sträubte mich mit allen Kräften dagegen, diese Zukunft zu akzeptieren, und es war mir gleichgültig, dass es meine Mutter war, die diese Vision sah.“ Sesshoumaru sagte immer noch nichts und Ayashi blickte ihn einen Moment schweigend an. „Ich könnte dich niemals…“ brach Sesshoumaru schließlich hervor. „Ich weiß, Sesshoumaru.“ versicherte sie, ohne ihn ausreden zu lassen. „Ayashi, ich würde dich mit meinem Leben schützen. Ich würde sterben für dich, ohne auch nur zu zögern. Ich…“ fuhr er fort und Ayashi legte ihre Hand an seine Wange. „Ich warne dich! Wenn du auch nur den Versuch unternimmst, dein Leben für meines zu geben…“ drohte Ayashi, da sie diese Vorstellung kaum ertragen konnte. Sesshoumaru zog sie zu sich und presste sie an sich. Ayashi fühlte seine starken Arme um sich und wusste, dass er sie nun vor allem aus einem Grund bei sich hielt. Er brauchte es. Er musste sie in seinen Armen halten. Er musste sie fühlen. „Das meintest du damit, dass ich endlich tun solle, was ich eben tun solle.“ flüsterte er, worauf sie nickte. „Ja.“ hauchte sie und biss sich auf die Lippen, was er aber nicht sehen konnte. „Oh, Ayashi, wie … konntest du es nur für möglich halten, dass es wahr werden würde, was deine Mutter sah?“ murmelte er, löste sich von ihr und strich ihr zärtlich über ihre Schläfe, ihre Wange und hinab zu ihrem Hals, wo er seine Hand liegen ließ. Kapitel 94: ------------ Sesshoumaru betrachtete sie eindringlich, doch Ayashi antwortete ihm nicht, sondern schüttelte nur den Kopf. Langsam ließ er seine Hand sinken. „Wieso… Wie hast du es nun glauben können? Warum jetzt?“ fragte er, doch seine Stimme klang so leise, dass Ayashi nicht wusste, ob er tatsächlich eine Antwort wollte, oder das Ganze einfach noch nicht glauben konnte. Sie hielt seinem Blick stand, doch bemerkte, dass er sie nicht mehr aufmerksam anblickte. Vielmehr schien er seinen eigenen Gedanken nachzuhängen und schien zu überlegen, was Ayashis Sicherheit, dass diese Zukunft nicht wahr werden konnte, so erschüttert und zum Einstürzen gebracht hatte. „Die letzten Jahre waren nicht … leicht für mich.“ begann Ayashi, da sie nicht dachte, dass er jemals die Gründe finden würde, wo sie ihr doch selbst entweder verborgen waren oder nicht einleuchteten. Sesshoumaru nickte langsam und Ayashi entschied sich, einfach weiterzusprechen: „Nach dem Tod deines Vaters hat sich viel für mich verändert. In meiner Trauer hast du mich allein gelassen, und ich…“ „Ich…“ „Nein, lass’ mich ausreden, Sesshoumaru.“ bat sie und wartete, bis er nickte, ehe sie fortfuhr: „Inu-no-taishous Tod war auch für mich entsetzlich. Ich hatte keine Kraft mehr zu kämpfen. Ich sah keinen Sinn mehr darin. Plötzlich hatte sich alles verändert und die Welt, die wir gekannt hatten, war durch seinen Tod nicht mehr dieselbe.“ Ayashi machte eine kleine Pause und Sesshoumaru schloss die Augen. Sie wusste, dass es ihn schmerzte, wenn sie so sprach, doch darauf konnte sie nun keine Rücksicht nehmen. Sie wusste auch, dass er es genauso sah, denn sein Vater fehlte ihm unsagbar. „Ich war hilflos, Sesshoumaru, auch wenn ich das verborgen haben mag. Ich hatte mir in diesen Tagen nichts sehnlicher gewünscht, als bei dir zu sein. Ich hatte mir gewünscht, dass wenigstens unsere Liebe bleiben würde.“ „Ich sagte dir, dass ich dich liebe.“ flüsterte er mit belegter Stimme, da er langsam begriff, in welchem Zustand er Ayashi verlassen hatte. Sie hatte in ihm das einzige gesehen, was ihr geblieben war. Ihre Welt war erschüttert worden, doch hatte sie gehofft, in ihm Halt und Sicherheit zu finden. Und er hatte ihr dies verwehrt. Er hatte sie allein gelassen. „Ich weiß, dass du gesagt hast, dass du mich liebst. Ich wusste und glaubte es, doch am Anfang verstand ich nicht, warum du gegangen warst. Ich dachte zuerst, es läge an der Herrschaft, die du antreten musstest, an den Kämpfen, die vor die lagen, doch das stimmte nicht.“ „Nein, das waren nicht die Gründe.“ stimmte Sesshoumaru ihr zu und wollte schon weitersprechen, als Ayashi das Wort wieder ergriff. „Nachdem du gegangen warst, stellte mein Vater mir die Kaisersöhne vor und teilte mir schließlich mit, dass Hayato einen Antrag vorgebracht hatte. Ich war entsetzt und lehnte ab. Ich zwang meinen Vater dazu, den Antrag abzulehnen.“ „Wie ist dir das gelungen?“ fragte Sesshoumaru tonlos. „Ich sagte ihm, dass ich nicht mehr unberührt sei, dass ich einen anderen Youkai liebe.“ „Wie bitte? Ayashi, was sagst du da?!“ fuhr Sesshoumaru erschreckt zusammen. „Ich nannte keinen Namen, Sesshoumaru. Niemals hätte ich deinen Namen genannt. Ich konnte dich doch nicht derartig in Schwierigkeiten bringen!“ versicherte Ayashi und Sesshoumaru schüttelte ungläubig den Kopf, denn er hatte es nicht für möglich gehalten, dass sie es ihrem Vater gesagt hatte. „Du hast… deine Ehre riskiert, um… dem Antrag zu entgehen?“ fragte er noch einmal nach, obwohl er das schon verstanden hatte. „Was hätte ich anderes tun sollen?“ fragte Ayashi, doch erwartete keine Antwort, da sie sofort hinzufügte: „Ich war mir in diesem Moment nur einer Sache sicher, nämlich dass ich keine Verbindung mit einem anderen Youkai eingehen konnte. Ich konnte meine Liebe zu dir nicht so verraten. Pflicht und Verantwortung… kümmerten mich nicht mehr. Und ich hatte verstanden, dass es auch um mich ging, wenn ich mich weigerte. Stimmte ich zu, verlor ich mich. Das wollte ich nicht.“ Sesshoumaru nickte vorsichtig, doch er konnte sie nicht ganz verstehen. Ihre Gedankengänge waren kompliziert, doch es kostete sie auch viel Überwindung, ihre Gefühle und Erinnerungen in Worte zu fassen, sodass er schon dankbar für das war, was sie mit ihm teilte. „Dann plötzlich verstand ich, warum du gegangen warst. Du hattest den Kaiser um Hilfe gebeten. Die Kaisersöhne waren auf deine Bitten nach Japan gekommen, um uns beizustehen… Es war mir auf einmal so klar, dass ich mich eine Närrin schalt, jemals einen anderen Grund angenommen zu haben. Du hattest geahnt, was passieren würde.“ „Ja, Ayashi. Ich wusste, dass es möglich war, dass der Kaiser eine bleibende Verbindung mit Japan anstreben würde, als ich an seinem Hof war, doch erst als ich nach dem Kampf bemerkte, dass die Kaisersöhne als Gäste nach Fukuoka kommen würden, wusste ich, dass der jüngere von ihnen einen Antrag vorbringen würde… dass die Verbindung darin bestand.“ gab Sesshoumaru zu und machte sich sichtbar Vorwürfe, dass er es nicht zuvor gesehen hatte. „Du hast…“ begann Ayashi, unterbrach sich aber selbst und schüttelte den Kopf. „Ich wusste, dass sie eine Gegenleistung erwarten würden, dass sie sich darum bemühen würden, ein festes Bündnis mit uns zu erlangen, doch die Sorge um meinen Vater muss mich blind gemacht haben. Im Nachhinein war es doch so deutlich, was sie wollten… wen sie wollten.“ Ayashi schluckte. Sie hatte nicht gewusst, dass Sesshoumaru mit einem Handel gerechnet hatte. Sie hatte gedacht, dass der Kaiser sich in Erinnerung an die vergangene Zeit bereit erklärt hatte, Japan beizustehen. Sie hatte… Ayashi schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu beenden. „Du konntest es nicht wissen, Sesshoumaru.“ sagte sie leise und blickte ihn kopfschüttelnd an. „Als ich es endlich wusste, wusste ich auch, was von dir erwartet würde. Ich wollte es einfacher machen, indem ich ging… Ich dachte, wenn ich aus deinem Leben verschwinde, wird es… einfacher für dich, deine Pflicht zu erfüllen.“ erklärte er und Ayashi stiegen Tränen in die Augen. „Dann hatte ich wirklich Recht.“ flüsterte sie und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, damit sie nicht ihre Wangen hinabrannen. „Natürlich hattest du Recht, Ayashi! Einen anderen Grund gab es nie… Dachtest du das? Hast du deshalb… angegriffen?“ „Ich war plötzlich so wütend, als ich dich gesehen habe. Du musst dir vorstellen, dass ich in den letzten Jahren allein mit meinen Gedanken war, die sich immer wieder geändert haben, meine Gefühle bestimmten und mich verwirrten. Ich wusste nicht, ob meine Gedanken vom vorigen Tag richtig oder falsch waren. Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. War es möglich, dass du mich doch nicht liebtest? Hatte ich mir irgendwie deine Abneigung und deinen Hass zugezogen? Ließ das alles vielleicht die Vision meiner Mutter näher rücken?“ sprach Ayashi. Sesshoumaru griff nach ihrer Hand, da er nichts sagen konnte. „Ich kannte die Antworten auf diese Fragen nicht, Sesshoumaru. Als ich dich nach Jahren wieder gesehen habe… in diesem Moment, wollte ich einfach wissen, ob die Vision sich erfüllen würde. Ich wollte Gerechtigkeit dafür, dass du mich verlassen hattest. Ich wollte kämpfen. Ich wollte meine Wut ausleben. Ich ließ mich von meinen ersten Gefühlen leiten. Ich weiß nicht, was ich mir gedacht habe… wahrscheinlich nichts, aber…“ Sesshoumaru nickte, obwohl sie noch nicht geendet hatte, sodass Ayashi nicht wusste, ob er ihr nur zustimmte, wenn sie sagte, dass sie wahrscheinlich nichts gedachte hatte. Sie nahm es ihm nicht übel, wenn er so dachte, und gab ihm in gewisser Hinsicht auch Recht. „Vergib’ mir, Sesshoumaru.“ sagte sie, obwohl er vor einiger Zeit schon einmal ihre Bitten um Vergebung nicht hatte hören wollen. „Ich kann dir nicht vergeben, wofür ich dir keine Vorwürfe mache, Ayashi.“ entgegnete er und fuhr fort: „Die Vision deiner Mutter wird sich niemals erfüllen. Wenn der Ausgang unseres Kampfes dir dafür nicht Beweis genug ist, dass vielleicht etwas anderes.“ Ayashi blickte ihn verwundert und fragend an, da sie nicht wusste, was er meinte. „Ich brauche keinen Beweis mehr dafür…“ begann Ayashi, doch Sesshoumaru schüttelte den Kopf. „Ich denke schon.“ beharrte er, da er sicher gehen wollte, dass diese Angelegenheit ein für alle Mal bereinigt und geklärt werden würde. Er griff mit seiner freien Hand nach dem Schwert, mit dem er gekämpft hatte, und zog es heran. Ayashi blickte zuerst ihn an und ließ dann ihren Blick auf das Schwert sinken. „Tenseiga!“ flüsterte sie und hob den Blick wieder zu Sesshoumaru, der ruhig auf die Klinge blickte, bis er sie schließlich wieder zur Seite legte. „Tenseiga.“ stimmte er zu und Ayashi lächelte ihn an, da beide wussten, dass das Schwert Tenseiga zum Töten nicht geeignet war. „Eher wäre ich durch dein Schwert gestorben, als mit der Gewissheit zu leben, für deinen Tod verantwortlich zu sein.“ fügte er hinzu. Sesshoumarus Augen ruhten fest auf Ayashi, die ihm mit all ihrer Liebe und Zuneigung anblickte. Sein Herz hämmerte wild in seiner Brust, denn ein Gedanke drängte sich in sein Bewusstsein: Er hatte genug von der Heimlichkeit. Es kümmerte ihn nicht mehr, dass er keine Verbindung mit Ayashi eingehen durfte. Es interessierte ihn nicht mehr, dass ihre Chancen nicht gut standen. Er wusste, dass er die Youkai vor sich hatte, mit der er sein Leben teilen wollte. Ayashi beobachtete stumm, wie Sesshoumarus Gesichtsausdruck sich veränderte und sich eine gewisse Festigkeit und Zuversicht in seinen Zügen breitmachte. Bedächtig, beinahe feierlich, streckte er seine Hand nach ihrer rechten Hand aus und nahm sie in seine, während er ihre Handfläche nach oben drehte. Ihre Blicke begegneten sich und Ayashis Herz klopfte stark, als er ihre Hand mit nach oben zeigender Handfläche zu seinem Mund führte. „Ich liebe dich, Ayashi.“ hauchte er gegen ihre Handfläche und ein wohliger Schauer durchzog Ayashis Körper. Sesshoumaru hob seinen Blick und Ayashi sah in ihm eine gewisse ruhige Entschlossenheit, während er ihre Hand weiterhin in seinen behielt. „Komm’ mit mir nach Shimonoseki, Ayashi.“ bat er, worauf sie einverstanden nickte, ohne überhaupt nur länger darüber nachzudenken. Sie wollte ihm folgen. Sie konnte nicht anders. Und sie würde mit ihm nach Shimonoseki kommen. Sesshoumaru berührte zärtlich ihre Handfläche mit seinen Lippen, als wolle er ihr Abkommen mit seinem Kuss besiegeln. Kapitel 95: ------------ Sesshoumaru lächelte leicht, nahm Ayashi in seine Arme und erhob sich mit ihr vom Boden, als könnte es ihm nicht schnell genug gehen, sie nach Shimonoseki zu bringen. Ayashi blickte ihn etwas verwundert an, ließ sich von ihm aber halten und schließlich wieder auf die Füße abstellen. Er begegnete ihrem fragenden Blick, weshalb er erklärte: „Du hast lange genug auf dem Boden gesessen.“ Ayashi zog eine Augenbraue hoch, während Sesshoumaru sie immer noch lächelnd anblickte. Sie saß öfter auf dem Boden. Immerhin war sie Wolfsyoukai und fühlte sich mit der Natur sehr verbunden. Im Stillen überlegte sie, wie oft sie in den vergangenen Jahren auf dem nackten Boden gesessen und gelegen hatte, doch sie sah ein, dass es leichter war, sich das Gegenteil zu fragen. Hatte sie jemals woanders geruht? Langsam schüttelte sie den Kopf und blickte nachdenklich an sich herunter, offenbar nur um festzustellen, dass ihr heruntergekommenes Gewand wenigstens dazu passte. Ayashi hatte bisher nicht bemerkt, wie staubig und abgetragen ihre Kleidung war, doch jetzt da Sesshoumaru in ihrer Nähe war und sie seine Schönheit beinahe blendete, wollte sie nichts sehnlicher, als den Schmutz und die Einsamkeit der Wildnis wieder hinter sich zu lassen. Sie war niemals genauso wie Ayame gewesen. Sie liebte zwar die Freiheit, doch trotzdem schätze sie den Komfort von prächtig ausgestatteten Räumlichkeiten, die es zweifellos auch in Kochi gab, und kostbarer Seide auf ihrer Haut. Sie seufzte leise und wehmütig, weshalb Sesshoumaru sie sofort alarmiert anblickte, als er sich nach ihren Schwertern bückte. „Stimmt etwas nicht?“ fragte er, als er sah, dass sie mit ihren Gedanken abgeschweift war. „Ich sehe furchtbar aus.“ teilte sie ihm mit, wobei sie es kaum für möglich hielt, dass er das noch nicht selbst festgestellt hatte. Sesshoumaru blickte sie ernst an und schüttelte den Kopf. Er strich ihr schweigend das unordentliche Haar aus dem Gesicht und zupfte mehrere Blätter von ihren Schultern. „Du wirst niemals furchtbar aussehen.“ versicherte er und sie legte den Kopf schief. „Das sagst du nur so.“ meinte sie amüsiert und nahm ihm ihr Schwert aus der Hand, das er ihr reichte. „Nun, deine Kleidung ist in der Tat ein wenig… abgenutzt.“ gab Sesshoumaru nach, doch war sichtlich bemüht, ihr nicht zu nahe zu treten, während er sein Schwert wegsteckte. „Immerhin.“ entgegnete Ayashi und nickte zufrieden, da er zumindest das zugegeben hatte. „Würdest du dich wohler fühlen, wenn du dich ausziehst?“ fragte er und ein schelmisches Funkeln blitzte in seinen Augen auf. „Das ist eine sehr gute Idee.“ schloss sich Ayashi herausfordernd an und bemerkte, dass er sie bereits in seine Arme schließen wollte, weshalb sie lachte und sich ihm entzog. Sesshoumaru blickte ihr nach, als sie wenige Schritte zur Seite wich und das Schwert zurück in die Scheide steckte. Er brummte unwillig und sie lachte noch einmal. „Ich fürchte nur, meine Kleidung ist nicht das einzige, was schmutzig ist.“ „Das macht mir nichts.“ versicherte er und näherte sich ihr wieder. „Ich meinte unter anderem auch deine Gedanken.“ „Das macht mir noch weniger aus.“ grinste Sesshoumaru. Ayashi entzog sich ihm dieses Mal nicht, sondern streckte sich zu seinen Lippen nach oben und schloss ihre Arme um seinen Nacken, als er sich zu ihr herabneigte, um sie zu küssen. „Trotzdem, Sesshoumaru…“ meinte sie, wurde jedoch von weiteren Küssen unterbrochen. „Sessh…“ versuchte sie es noch einmal, doch er dachte nicht daran, sie etwas sagen zu lassen, bis sie ihre Hand nach unten an seine Brust gleiten ließ und ihn sanft wegdrückte. „Mir steht der Sinn im Moment trotzdem am meisten nach einem Bad, Sesshoumaru.“ meinte sie vorsichtig, worauf er sie noch einmal küsste, dann aber einverstanden von ihr abließ. Gemeinsam schritten sie über die Ebene, wobei Ayashi es nicht verhindern konnte, dass sie einen Blick zu ihrem Kampfplatz zurückwarf. Sesshoumarus Hand tastete nach ihrer und drückte sie fest, weshalb sie ihn anblickte, ohne stehen zu bleiben. „Wir können noch bleiben.“ meinte er, doch sie schüttelte schnell den Kopf und zog ihn sanft mit sich. „Ich möchte nach Shimonoseki, auch wenn…“ entgegnete sie, sprach aber nicht weiter. „Ayashi, bist du dir wirklich sicher, dass du mit mir kommen möchtest?“ fragte er. „Natürlich!“ entgegnete Ayashi sofort und nickte noch einmal zur Bekräftigung. „Mein Vater darf nur nichts von uns wissen…“ „Das ist klar, aber ich muss…“ „… und Shimonoseki liegt nun einmal nicht sehr weit von Fukuoka. Wie soll das gehen?“ „Ayashi.“ meinte Sesshoumaru und fasste sie an den Oberarmen. „Ich werde deinen Vater davon unterrichten, dass du dich als Gast in Shimonoseki aufhältst.“ Ayashi blickte ihn einen Moment ungläubig an und Bilder rauschten vor ihr inneres Auge, wie Sesshoumaru ihrem Vater diese Neuigkeit mitteilte. Würde ihr Vater zornig? Würde ihr Vater von Sesshoumaru verlangen, Ayashi kein Gastrecht zu gewähren? Würde er sich vielleicht freuen, von seiner Tochter zu hören? „Wie… Du kannst nicht…“ „Ich muss es sogar tun, Ayashi. An dieses ungeschriebene Gesetz müssen wir uns auf jeden Fall halten. Du kannst nicht einfach mit mir kommen, denn du wirst Dienern begegnen und bald wird man darüber reden. Wenn ich mit deinem Vater abgeklärt habe, dass du bei mir bist und auch den Rat in Kyoto davon in Kenntnis setze, gibt es keinen Grund für Gerüchte und Gerede. Dein Ruf bleibt auf jeden Fall erhalten.“ Ayashi dachte über seine Worte nach und musste zugeben, dass es stimmte. Der Aufenthalt einer Youkai in einem anderen Schloss erforderte immer diese Maßnahme, wenn es sich nicht um Verwandte handelte. Soba und Katsumoto hatten den Rat darüber informieren müssen, dass sich Ninshiki und Satori in Kochi aufhalten würden. Es war eine seltsame und sehr alte Tradition, doch sie wurde immer noch geachtet. Wahrscheinlich hatte man zu Beginn versucht, dem Aufenthalt einer Youkai bei keinen Verwandten jeglichen Beigeschmack zu nehmen, denn eine Youkai hatte in damaligen Zeiten das Schloss ihrer Familie eben nur sehr selten verlassen. „Was sollen wir tun, wenn mein Vater sich weigert?“ flüsterte Ayashi, da sie es durchaus für möglich hielt. „Das wird er nicht tun. Du bist seine Tochter und für mich bist du in den Augen aller anderen die Tochter eines Verbündeten, sodass es nur natürlich ist, wenn du auch Zeit in Shimonoseki verbringst.“ „Wenn ich deinen Vater besuchte, war das nicht nötig.“ meinte sie, als sie darüber nachdachte, wie oft sie bei Inu-no-taishou gewesen war. „Du irrst dich. Kataga und Inu-no-taishou haben den Rat immer davon unterrichtet, wenn du längere Zeit nach Shimonoseki oder Nanao gekommen bist. Da ich nicht regelmäßig an den Ratssitzungen teilnehmen musste, habe ich das auch erst recht spät erfahren.“ „Das wusste ich nicht.“ gab Ayashi zu und Sesshoumaru nickte. „Sie werden es einfach beiläufig erledigt haben. Es ist keine große Sache.“ versicherte er und Ayashi hoffte inständig, dass er Recht hatte, denn sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn Kataga ihr es nicht gestattete, denn vor dem Rat musste er sein Wissen und Einverständnis bekunden. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Ayashi genoss es, dass er ihre Hand in seiner hielt und sein Oberarm immer wieder im gleichmäßigen Rhythmus seiner Schritte ihre Schulter streifte. Der Wind wehte nur sacht, doch recht kühl, sodass sie leicht zitterte, als eine erneute Böe sie erfasste. Sesshoumaru blickte sie von der Seite an und blickte dann wieder zum Horizont. „Ich nehme an, du willst so schnell wie möglich dein Bad nehmen?“ fragte er und sie nickte. „Ja, so schnell wie möglich.“ gab sie ihm Recht und sah, dass er den Blick in die Ferne gerichtet hatte. Sie wusste, dass Shimonoseki bei normaler Reisegeschwindigkeit mindestens fünfzehn Tage von ihnen entfernt lag, doch sie waren in der Lage, es schneller zu schaffen, wenn sie ihre Fähigkeiten nutzten. Sie konnten ihre Energie dazu nutzen, sich mit ungeheurer Schnelligkeit in die Lüfte zu erheben, sodass sie von anderen beinahe nur als Licht gesehen wurden. So konnten sie unglaublich schnell sein. Ayashi blickte Sesshoumaru zweifelnd an und er bemerkte die Unsicherheit in ihrem Blick. „Was hast du?“ fragte er und sie schüttelte den Kopf. „Du möchtest über den Himmel reisen, nicht wahr?“ fragte sie nach, was er mit einem Nicken beantwortete. „Ich habe damit kaum Erfahrung und ich… muss zugeben, dass ich nicht glaube, dass ich die große Entfernung nach Shimonoseki durchhalten kann.“ gestand sie, worauf ein wissendes und beinahe erfreutes Lächeln auf seinen Lippen entstand. „Das ist nicht witzig.“ klärte sie ihn auf, worauf er sein Lächeln unterdrückte und ernst den Kopf schüttelte. „Ich werde dich tragen.“ eröffnete er ihr, worauf Ayashi ihn einen Moment zweifelnd anblickte, bis sie feststellte, dass er es wirklich ernst meinte. Sesshoumaru trat ganz dicht zu ihr und blickte ihr tief in die Augen, ehe er sie lange und zärtlich küsste. Langsam, doch für Ayashi viel zu schnell, löste er seine Lippen wieder von ihren und hüllte sie in das weiße, weiche Fell. Sesshoumarus angenehmer Duft stieg stark in ihre Nase und sie zog ihn genüsslich ein. Sie konnte nicht anders. Mit einem Lächeln auf den Lippen zog er sie dichter heran und umfing sie mit seinen starken Armen. „Hast du Angst?“ fragte er leise an ihr Ohr, als sie nur zögerlich ihre Hände in seinen Nacken legte. „Nein.“ meinte sie, doch sie musste zumindest vor sich selbst zugeben, dass ihr etwas mulmig zumute war, obwohl sie gleichzeitig wusste, dass sie sich in Sesshoumarus Armen so sicher wie an keinem Ort fühlen konnte. Sesshoumaru lachte leise, als er Ayashis Finger in seinem Nacken klammern fühlte, und küsste ihren Hals. „Hab’ keine Angst. Ich werde dich festhalten.“ versprach er, da er sie durchschaute. Noch bevor Ayashi darauf bestehen konnte, dass sie keine Angst hatte, fühlte sie die kalte Nachtluft windig in ihrem Gesicht und ihre Füße hatten jeglichen Kontakt mit dem Erdboden verloren. Ihre Haarsträhnen wehten heftig und verschlangen sich ab und zu ineinander. Das helle Silber und das dunkle Schwarz sahen aus, als würden sie miteinander tanzen. Ayashi blickte nach oben in Sesshoumarus Gesicht und bemerkte, dass er sie musterte. Das Fell und sein Körper wärmten sie, doch trotzdem wollte sie ihm noch näher sein, weshalb sie ihr Gesicht an seiner Brust vergrub. „Weißt du, Sesshoumaru… Das Bad, auf das ich mich so freue…“ meinte sie murmelnd. „Was ist damit?“ fragte er, als sie nicht weitersprach. „Wäre es nicht sehr reizvoll, wenn ich es nicht alleine genießen müsste? Was meinst du?“ fragte sie und blickte ihn von unten an, nur um zu sehen, wie seine Augen sich mit einem intensiven Ausdruck auf sie hefteten, als wolle er ihr tausendmal Recht geben. Kapitel 96: ------------ Schon nach kurzer Zeit konnte Ayashi in weiter Ferne das Schloss von Shimonoseki liegen sehen, das sich weitläufig auf einem sanften Hügel erstreckte. Sesshoumaru sah ebenfalls zum Schloss und blickte dann sie an, ehe er sich elegant und sicher zurück auf den Boden gleiten ließ und Ayashi noch festhielt, als sie schon längst standen. „Nun sollten wir zu Fuß gehen.“ meinte er. Ayashi nickte und wollte sich von ihm lösen, obwohl sie am liebsten in seinen Armen geblieben wäre, doch er hielt sie noch kurz zurück, um ihre Lippen mit seinen zu berühren und sie in einen längeren Kuss zu verwickeln. „Ayashi.“ meinte er leise zwischen zwei Küssen. „Ich bin sehr froh, dass du mit mir gekommen bist, aber…“ „Wir müssen weiterhin sehr vorsichtig sein.“ vollendete sie seinen Satz und blickte ihn an. Sesshoumaru nickte, worauf Ayashi ihm eine Hand an die Wange legte und zuversichtlich meinte: „Wir werden vorsichtig sein. Niemand wird etwas bemerken.“ Sesshoumaru lächelte kurz und zog sie noch einmal zu sich, ehe er sie endgültig aus seinen Armen entließ. Ayashi zitterte augenblicklich vor Kälte, weshalb Sesshoumaru sein Fell abnahm und ihren Körper damit umgab. „Danke.“ entgegnete sie seiner Fürsorge, was Sesshoumaru nur mit einem Kuss auf ihre Wange beantwortete. Langsam machten sie sich auf den Weg zu Schloss, während über ihnen der Mond schien und die Sterne glitzerten, weshalb Ayashi wusste, dass diese Nacht noch lange nicht vorbei war. Sie genoss die Stille der Nacht. Sie freute sich darauf, mit Sesshoumaru ins Schloss zurückzukehren. Sie sehnte sich nach dem heißen Bad. „Ich habe viele Diener von Shimonoseki nach Nanao geschickt.“ durchbrach Sesshoumaru plötzlich das Schweigen, das sich nicht störend zwischen ihnen ausgebreitet hatte. „Wieso?“ wollte Ayashi wissen und Sesshoumaru zuckte die Schultern. „Ich komme meist nach Shimonoseki, wenn ich einmal nichts von Politik und Regierungsgeschäften hören will. Und ich mag es nicht sonderlich, wenn dauernd viele Diener um mich herum sind.“ „Das verstehe ich.“ seufzte Ayashi und Sesshoumaru lächelte leicht. „Es wird also nicht ganz so schwer sein, dir nahe zu sein, ohne dass es jemand bemerkt.“ fügte er hinzu, obwohl Ayashi darauf schon längst gekommen war. „Das klingt sehr, sehr vielversprechend.“ gab sie zurück und blickte ihn lächelnd an. „Ja, und die Vorstellung von dir… wie du ein Bad nimmst… Wie soll ich sagen?“ meinte er und schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Sie bringt mich beinahe um den Verstand.“ gab er zu und öffnete die Augen wieder. Ayashi biss sich auf die Lippen und musste zugeben, dass auch sie es kaum mehr erwarten konnte, sich Sesshoumaru wieder ganz hinzugeben. Und wenn er sagte, dass kaum Diener im Schloss waren, war das nur noch ein Punkt, der sie umso kribbeliger machte. Es war beinahe zu schön, um wahr zu sein, doch genau das war es. Wahr. Wenig später schritten Ayashi und Sesshoumaru durch das große geöffnete Tor in den ersten Innenhof und wurden von mehreren Beamten und Yaken empfangen. Sesshoumaru zog leicht die Augenbrauen zusammen, da er nicht erwartete hatte, auch Beamte aus Nanao hier anzutreffen. Das bedeutete, dass etwas geschehen war, wovon er unterrichtet werden sollte. Und das bedeutete, dass Arbeit auf ihn zukam und ihm Zeit stahl, die er mit Ayashi verbringen wollte. Die Beamten verneigten sich höflich und Sesshoumaru begrüßte sie ebenfalls etwas reserviert, ohne jedoch unhöflich zu sein. Was auch immer die Beamten hierher geführt hatte, konnte eine Weile warten – und es hatte auch sein Gutes, dass sie hier waren, denn dann konnten sie für Ayashis Aufenthalt in Shimonoseki alles Nötige bezüglich des Rates von Kyoto vorbereiten. „Sesshoumaru-Sama, welche Freude, Euch wiederzusehen. Und Ayashi-Sama… ich bin überwältigt und freudig überrascht, Euch hier zu sehen. Es ist schon viel zu lange her. Lasst mich wissen, was Euer Begehr ist, und ich werde mich sofort darum kümmern.“ ergriff der höchste Beamte in Shimonoseki, der das Schloss und alle seine wirtschaftlichen Angelegenheiten verwaltete, das Wort. Sesshoumaru nickte ihm zu, während Ayashi ebenfalls leicht den Kopf neigte und sich bedankte, worauf Sesshoumarus Aufmerksamkeit zu den anderen Beamten wanderte. „Sesshoumaru-Sama, diese ergebenen Beamten bringen Nachricht von…“ begann Yaken nun, doch Sesshoumaru hob die Hand und brachte ihn damit zum Schweigen. „Wir werden alles in Ruhe besprechen, was es zu besprechen gibt.“ versicherte er ihnen und wandte sich halb zu Ayashi um, die ein paar Schritte näher trat. „Ich möchte euch Ayashi vorstellen. Sie ist die Tochter meines Verbündeten Kataga, des Herrn über das Westland. Ich bin mir sicher, ihr habt schon von ihr gehört. Sie wird sich einige Zeit in Shimonoseki aufhalten. Ihr werdet in meinem Auftrat und nach meinem Wunsch alles Nötige dafür beim Rat von Kyoto in die Wege leiten.“ bestimmte Sesshoumaru. Ayashi blickte Sesshoumaru unauffällig an, während sie die Beamten begrüßte und er weitere schnelle Worte mit ihnen wechselte, und stellte fest, dass sie ihn noch niemals so sachlich, fest und gebieterisch hatte sprechen hören. Er regierte wirklich. Und er wusste, was von ihm erwartete wurde und was er tun musste, um zu erreichen, was er wollte. „… außerdem dafür sorgen, dass die Unterlagen und Papiere vorbereitet sind. Ich werde in absehbarer Zeit selbst zu euch stoßen.“ schloss Sesshoumaru seine Anweisungen ab. Die Beamten verneigten sich und verschwanden schnell, worauf sich Sesshoumaru wieder zu Yaken wandte. „Yaken, lass’ Ayashi-Sama Gemächer im Ostflügel richten und lass’ auch ein heißes Bad bereiten.“ „Jawohl, Herr.“ meinte Yaken und verneigte sich tief. „Sag’ Bescheid, wenn alles vorbereitet ist. Wir werden uns in der großen Halle aufhalten.“ bat Sesshoumaru und Yaken verneigte sich noch einmal, ehe er schnell davoneilte, um seine Befehle auszuführen. Ayashi blickte Sesshoumaru eine Weile an, ehe er den Blick wieder zu ihr wandte. Er legte leicht den Kopf schief, als wolle er ergründen, was sie gerade dachte, doch sie schüttelte leicht den Kopf, weshalb er mit einer einladenden Geste auf den zentralen Bau wies, in dessen Inneren sich die große Halle, die als Empfangs- und Repräsentationsraum diente, befand. Sesshoumaru ließ sie eintreten und schloss die Tür hinter ihr. Ayashi trat langsam weiter in den Raum hinein und erblickte die Rüstung Inu-no-taishous, die immer noch dort an erhöhter Stelle stand. „Ich brachte es noch nicht über mich, sie entfernen zu lassen.“ erklärte er, als er bemerkte, dass sie die Rüstung ansah. „Ich verstehe.“ gab sie leise zurück und hörte, wie er hinter sie trat. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass er überhaupt nicht tot ist, weißt du? Ich denke dann, er könne jeden Augenblick in den Raum treten.“ meinte Sesshoumaru und schlang seine Arme von hinten um Ayashi, die leicht nickte. „Und selbst, wenn es nur wäre, um mir wieder Vorhaltungen zu machen, dass ich Izayoi endlich akzeptieren sollte… Ich denke, ich würde das auf jeden Fall dem Wissen um seinen Tod vorziehen.“ fuhr er fort und Ayashi tastete nach seiner Hand. „Ist das verrückt?“ fragte er. „Nein, das ist natürlich.“ antwortete Ayashi. „Ich frage mich manchmal, ob es jemals wieder so sein wird, wie es war. Ohne meinen Vater.“ „Ich denke nicht, dass das möglich ist. Immerhin bist du nun der Herr seines Landes. Es ist nun dein Land, dein Reich. Du musst nun die Entscheidungen treffen, die er getroffen hat. Du hast die Verantwortung von ihm übernommen.“ Sesshoumaru schwieg und blickte zur Rüstung seines Vaters, während er Ayashi in seinen Armen behielt. „Du hast ganz sicher Recht.“ meinte er schließlich und fügte hinzu: „Es war schon längst Zeit, doch ich habe anscheinend nicht die Kraft gefunden.“ „Wofür?“ fragte Ayashi, die Sesshoumaru nicht mehr ganz folgen konnte. „Die Rüstung symbolisiert die Präsenz meines Vaters als Herrscher. Da ich jetzt hier bin, scheint mir das beinahe nicht mehr richtig zu sein.“ „Du solltest diese Entscheidung erst treffen, wenn du dir sicher bist.“ schlug Ayashi vor, worauf er langsam nickte. „Ayashi, darf ich dich um etwas bitten?“ fragte er vorsichtig. „Sicher. Was möchtest du, Sesshoumaru?“ „Wenn ich mich dafür entscheide, die Rüstung meines Vaters mit allen Riten und Bräuchen entfernen zu lassen…. wirst du in der Nacht davor an meiner Seite sein und an meiner Seite noch einmal in Erinnerung an sein Leben und seinen Tod wachen?“ Ayashi drehte sich langsam zu ihm um und blickte ihm direkt in die Augen. Er wollte, dass sie die Nachtwache mit ihm verbrachte, in der er für immer Abschied von seinem Vater nahm. Er wollte, dass sie ihn dabei unterstützte und diesen Stunden beiwohnte. „Ich werde bei dir sein, wenn das dein Wunsch ist.“ versicherte sie und er zog sie in einen flüchtigen Kuss, da er bereits Yakens laute Schritte hörte. „Ich werde es dich früh genug wissen lassen.“ versprach er und lächelte sie an. „Aber nun ist genug von solchen Dingen! Du bist hier. Und ich sehne mich nach dir. Ich halte es kaum aus.“ fügte er hinzu und löste sich trotzdem von ihr. Gleich darauf wurde die Tür aufgeschoben und Yaken trat mit tiefer Verbeugung und etwas keuchend ein. „Es ist alles vorbereitet, Herr.“ meinte er und Sesshoumaru nickte, ehe er sich leicht vor Ayashi verneigte. „Ich hoffe sehr, dass Ihr alles zu Eurer Zufriedenheit vorfindet und das Bad angenehm finden werdet, Ayashi.“ „Danke, ich bin mir sicher, dass ich es genießen werde.“ entgegnete Ayashi und lächelte Sesshoumaru voller Vorfreude an, was Yaken nicht sehen konnte. Dann folgte sie dem Krötendämon aus der Halle und die Gänge entlang, die schließlich zu ihren Gemächern führten. Kapitel 97: ------------ Sesshoumaru eilte auf direktem Weg in seine Gemächer. Ein Diener hatte ihm bereits eine große Schüssel mit klarem Wasser bereitet und sich wieder zurückgezogen. Sesshoumaru legte das Gewand ab, das er auf seiner Reise getragen hatte, und wusch sich gründlich, ehe er ein frisches Gewand in dunklen Farben anlegte. Er ordnete sein Haar und verließ dann wieder seine privaten Gemächer, um die Beamten in seinem Sprechzimmer aufzusuchen. Mit schnellen Schritten ging er die Gänge entlang. Je eher er das Treffen mit seinen Beamten hinter sich brachte, je eher er mit ihnen besprach, was es zu besprechen gab, konnte er bei Ayashi sein, um die alle seine Gedanken kreisten. Sesshoumaru atmete tief durch und beruhigte sich, bemerkte jedoch, dass er es noch immer nicht glauben konnte, dass sie hier in Shimonoseki war und wohl auch längere Zeit bleiben konnte. „Herr.“ begrüßten ihn die Beamten, als er in das Zimmer trat, und sahen von ihren Unterlagen auf. „Wie weit sind die Arbeiten fortgeschritten?“ fragte Sesshoumaru, nachdem er an einem niedrigen Tisch auf einem Kissen Platz genommen hatte. „Herr, die Unterlagen, die Ayashi-Samas Aufenthalt in Eurem Schloss betreffen, sind beinahe komplett, doch es ist zu überlegen, ob Ihr selbst persönlich mit Kataga-Sama sprechen wollt, bevor Ihr sie dem Rat von Kyoto vorlegt.“ meinte ein älterer Beamter und Sesshoumaru nickte. „Natürlich, das gebietet schon allein der Respekt, den ich für ihn empfinde. Ich hätte ihn gerne bereits davon in Kenntnis gesetzt, dass Ayashi-Sama sich in Shimonoseki aufhält, doch unser Zusammentreffen war… spontaner Natur.“ erklärte er und die Beamten nickten. Sesshoumaru machte eine kleine Pause und sah die Unterlagen durch, die bereits fertig gestellt waren. „Ich erwarte, dass Kataga um eine Unterredung gebeten wird. Drängt mit aller Höflichkeit auf einen baldigen Termin. Außerdem zöge ich es vor, wenn das Treffen in Fukuoka stattfände. Ich bin mir sicher, dass er einwilligen wird.“ „Gewiss, Sesshoumaru-Sama, doch denkt Ihr nicht, dass Ayashi-Sama gerne dabei wäre?“ „Ich denke nicht, dass dies nötig sein wird.“ verneinte Sesshoumaru, da er es wirklich nicht für nötig hielt. Sesshoumaru legte die Unterlagen beiseite und blickte die Beamten aus Nanao einen nach dem anderen an. „Welche Angelegenheit führt euch hierher?“ fragte er schließlich und die Beamten verfielen in zögerliches Schweigen. Ayashi blickte sich in dem Nebenraum ihrer prachtvollen Gemächer um und sog das Aroma der wohlriechenden Öle ein, die das Badewasser so angenehm machten. Eine Dienerin wartete geduldig, bis Ayashi sich anschickte, sich entkleiden zu lassen, während sie die Prinzessin zurückhaltend betrachtete. Ayashi ging einige Schritte in die eine Richtung und dann wieder in die andere, griff schließlich an ihren Obi und löste ihre Waffen von der Taille. „Es duftet wunderbar.“ meinte Ayashi, da es ihr nicht wohl dabei war, nicht mit der Dienerin zu sprechen. „Ja, Hime-Sama.“ entgegnete diese zurückhaltend. „Es duftet nach… Jasmin, aber da ist noch etwas anderes. Was ist das?“ wollte Ayashi wissen und reichte der Dienerin ihr Katana und ihr kürzeres Schwert, damit sie beide im Nebenraum auf dem Schwertständer ablegen konnte. „Das ist der Duft des chinesischen Hibiskus, Hime-Sama.“ gab die Dienerin Auskunft und verließ den Baderaum für einen kurzen Augenblick, um die Waffen aufzuräumen. „Ah… es ist wirklich sehr angenehm.“ wiederholte Ayashi „Wie ist dein Name?“ „Satsu, Hime-Sama.“ antwortete sie und kam in den Raum zurück. Ayashi ließ Sesshoumarus Fell von ihren Schultern gleiten, welches Satsu auffing, ehe es zum großen Teil den Boden berührte. „Der Winter scheint in diesem Jahr sehr früh zu kommen.“ meinte die Dienerin vorsichtig, worauf Ayashi nickte. „Sesshoumaru-Sama war so frei, mir sein Fell anzubieten, damit ich nicht fror.“ „Überaus ehrenhaft.“ stimmte Satsu zu, worauf Ayashi wieder nickte. Satsu legte das Fell zur Seite und half Ayashi dann mit geschickten und vorsichtigen Handgriffen beim Entkleiden. Ayashi ließ sie machen und legte nur ihr Untergewand selbst ab, ehe sie in die Wanne stieg und sich mit geschlossenen Augen in das sehr warme Wasser gleiten ließ. „Herrlich.“ murmelte sie und öffnete ihre Augen ein wenig, um die Dienerin zu sehen. „Ich habe alles, was ich benötige, danke, Satsu. Du kannst dich zurückziehen.“ fügte sie hinzu und die Dienerin verließ nach einer ergebenen Verneigung den Raum. Ayashi lehnte sich entspannt zurück und schloss wieder die Augen. Das warme Wasser tat unglaublich gut auf ihrer trockenen Haut, die lange keine ordentliche Pflege mehr erhalten hatte. Es umspülte sie zärtlich und Ayashi musste lächeln, als ihr Sesshoumarus Hände in den Sinn kamen, nach denen sie sich so sehnte. Sesshoumaru trat geräuschlos in den Raum, aus dem die Aromen von kostbaren Ölen schon vor der Tür in seine feine Nase gedrungen waren. Es hatte ihn beinahe verrückt gemacht, aufmerksam zu lauschen, ob Ayashi wirklich allein war, und nicht gleich hineinzustürmen, doch nun hatte er seine innere Ruhe gefunden. Genüsslich atmete er den Duft der Öle ein, der sich mit Ayashis eigenem Duft so wunderbar vermischte, und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Nein, er musste sie öffnen. Er musste Ayashi sehen. Langsam und lautlos schritt er um den Wandschirm, der als Sichtschutz diente, und stellte fest, dass Ayashi mit geschlossenen Augen in der Wanne lag und ganz ruhig atmete. Sesshoumaru lächelte und blickte sie eine Weile einfach nur an. Das Wasser umspielte ihren Körper zärtlich und aus einem Impuls heraus wünschte er sich, dass er einfach das Wasser sein konnte. Ayashi verzichtete darauf, ihre Augen zu öffnen. Sie wusste, dass Sesshoumaru sie anblickte und wahrscheinlich dachte er, dass sie sich ausruhte. In der Tat hatte sie, nachdem sie sich gewaschen hatte, festgestellt, wie müde sie eigentlich war und wie sehr das Bad ihr nach den Strapazen und Unbequemlichkeit der letzten Jahre tatsächlich gut tat. Es war so angenehm, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen konnte, jemals aus der Wanne steigen zu wollen. Sesshoumaru näherte sich ihr langsam und vorsichtig und kniete sich schließlich hinter sie, wobei er ihr sanft seine Hände auf die Schultern legte. Ayashi wurde von einem Zittern erfasst und öffnete schließlich doch die Augen. Sein Blick ruhte liebevoll auf ihr und er berührte leicht ihre Lippen mit seinen, ehe er ihr über die Schultern streichelte. „Wie ist das Wasser?“ fragte er lächelnd. „Sehr, sehr angenehm…“ murmelte sie und lächelte. „… aber du hast dich schon frisch gemacht, sehe ich.“ bemerkte sie und er nickte. „Hast du alles? Brauchst du noch etwas?“ wollte Sesshoumaru wissen und Ayashi schüttelte den Kopf, um seine zweite Frage zu beantworten. Sesshoumaru nickte und ließ seine Finger über ihre Schultern und ihre Oberarme gleiten. Gedankenverloren streichelte er ihre Haut, glitt wieder hinauf zu ihren Schultern und in ihren Nacken, streichelte ihr Haar und Ayashi seufzte leise. „Daran könnte ich mich wirklich gewöhnen.“ meinte sie leise und schloss ihre Augen genießend. „Ich auch.“ gab Sesshoumaru zurück. Er ließ seine Hände über Ayashis oberen Rücken gleiten und sank schließlich neben der Wanne auf den Boden, damit er Ayashi ins Gesicht sehen konnte. Sie tastete nach seiner Hand und er ergriff sie, nur um sie in seiner zu halten, um seine Finger über ihre zierliche Hand streichen zu lassen, um ihr nahe zu sein. „Haben dir die Beamten aus Nanao schlechte Nachrichten überbracht?“ fragte Ayashi und legte den Kopf leicht gegen den Rand der Wanne, um Sesshoumaru prüfend anzusehen. „Nein.“ meinte er kopfschüttelnd, worauf Ayashi eine Augenbraue hochzog und er einräumte: „Es waren auch keine guten Nachrichten, das gebe ich zu.“ Ayashi nickte leicht und strich ihm leicht mit ihren Fingerspitzen über die Stirn, während sie sich im Stillen fragte, wie es nun weitergehen sollte. Wann würde Sesshoumaru mit ihrem Vater sprechen? Wann würden sie die Nachtwache gemeinsam abhalten? Wie würde ihr Verhältnis zu ihrem Vater sich entwickeln? Wie lange würde sie in Shimonoseki bleiben können? „Ayashi, mach’ dir keine unnötigen Sorgen.“ meinte Sesshoumaru leise und Ayashi nickte. „Es wird sich alles so ergeben, wie wir es wollen.“ fügte er hinzu. „Ich glaube dir.“ flüsterte sie und lächelte ihn an. Wenn er das sagte, so glaubte sie ihm tatsächlich. Sie liebte ihn. Sie konnte bei ihm sein. Vielleicht war das wirklich alles, das nun zählte. Ayashi betrachtete Sesshoumaru aufmerksam und stellte fest, dass es gut war, seinem Urteilsvermögen gänzlich zu vertrauen, da es sie mit einer Ruhe erfüllte, die sie gerne hatte. „Ich liebe dich.“ meinte sie gedämpft, ehe sie sich zu ihm beugte, ihre Arme um seine Schultern schlang und ihn in einen langen und leidenschaftlichen Kuss verwickelte, während dem Sesshoumaru sie langsam aus der Wanne hob und an sich drückte. Kapitel 98: ------------ Sesshoumaru trug Ayashi in seinen Armen und gegen seinen Körper gepresst in das angrenzende Zimmer, das für die nächste Zeit ihres sein würde. Es war ihm gleichgültig, dass sie nass war und seine Kleidung schon so durchweicht war, dass er es spüren könnte, wie sie an seiner Haut klebte. Ein wohliger Schauer überzog seinen Körper und setzte sich bis tief in sein Inneres fort, als er sie leise stöhnen hörte, weil er sie leicht in die Lippe biss. Ayashi rieb sich an ihm und entließ seine Lippen nur äußerst unwillig immer wieder aus ihrem leidenschaftlichen Spiel. Zu lange hatten sie und er auf diese Zweisamkeit gewartet. Zu lange war diese Zweisamkeit durch widrige Umstände verhindert worden, doch nun, da sie beisammen waren, loderte erneut das Feuer, das Ayashi und Sesshoumaru beinahe zu verschlingen drohte. Über Bord geworfen waren alle Bedenken, die sie gehabt hatten. Sesshoumaru wusste, dass die Diener ganz am anderen Ende des Schlosses ihre Quartiere hatten, und sie mit Sicherheit nicht bemerkt werden konnten, da er des Öfteren klar gemacht hatte, dass er zu nächtlichen Stunden wünschte, dass niemand mehr durch die Gänge des Schlosses eilte. Die Diener wussten, dass der Schlossherr es vorzog, alleine zu sein und sich die Dinge, die er dann doch noch unvorhergesehen brauchte, zu dieser Zeit selbst besorgte. Bezüglich Ayashi hatte er keine anderen Anweisungen gegeben. Somit waren sie sicher, das wusste Sesshoumaru, und Ayashi vertraute ihm in dieser Hinsicht völlig, was ihn wiederum stolz auf das machte, was sie miteinander teilten. Es war in der Tat viel zu viel Zeit vergangen… Er ließ seine Finger in ihren Nacken wandern und zog sie noch dichter heran, obwohl er nicht für möglich gehalten hatte, dass das überhaupt möglich war. Er wollte sein Gesicht in ihrem langen Haar vergraben, wollte ihren Duft einatmen, während er es von ihrem Hals zur Seite schob, um dort ihre Haut erreichen zu können. Er wollte sich so viel Zeit nehmen, ihren Körper zu verwöhnen, ihm Lust zu bereiten, doch er wusste nicht, ob er dazu die Kraft hatte, behutsam vorzugehen. „Berühr’ mich…“ hauchte sie leise und ließ ihre Hände seinen Rücken hinabwandern. Ja, das wollte er selbst. Schon so lange. Seine Hände über ihren heißen Körper gleiten lassen. Den Duft ihrer Haut einatmen und mit seinen Lippen fühlen, wie ihr Blut unter ihrer sanften Haut durch ihre Venen rauschte. Und wie er das wollte! Es brachte ihn beinahe um den Verstand. Plötzlich schoss Sesshoumaru ein wahnwitziger Gedanke durch den Kopf, nämlich dass er Ayashi zu der seinen machen wollte… jetzt und hier und ganz und gar, doch das war unmöglich. Er wollte dieses uralte Ritual durchführen, nach dem es ihm zustand, ihr Blut direkt durch einen Biss zu nehmen, doch das war Wahnsinn. Es war archaisch und veraltet… nicht mehr praktiziert, und doch… sehr verlockend. Langsam zügelte er seine Leidenschaft, was sie nicht zulassen wollte, denn sie presste ihren Körper fest gegen ihn und brachte ihren Oberschenkel zwischen seine Beine, nur um festzustellen, dass er völlig erregt war. „Vorsicht, Ayashi. Ich bin sowieso schon mehr als bereit.“ murmelte er stöhnend gegen ihren Mund, doch sie lachte nur leise, bevor sie behutsam, aber dennoch fordernd ihren Körper an seinem rieb, um sein Glied zu spüren. Hitze strömte durch sie hindurch und sie fühlte, wie zwischen ihren Beinen eine feuchte Hitze ausbrach. Er stöhnte kehlig, als sie sich so bewegte, und packte sie an ihrem Hintern, um sie weiter gegen sich zu pressen. Ayashi fühlte sich einfach so gut an! Er wollte sie und obwohl er aufpassen musste, dass er nicht über sie herfiel, genoss er diese Spannung, die sich immer mehr in seinem Körper und Unterleib bildete. Langsam sank er mit seinen Lippen erneut an ihren Hals hinab und glitt weiter zu ihrer Halsbeuge, über ihre Schultern und hinab zu ihrem Brustansatz. Ayashi lehnte den Kopf zurück und biss sich auf die Lippen, als er mit seinem Kopf zwischen ihre Brüste sank, jedoch nicht so großzügig war, auch ihre Brustwarzen zu küssen oder mit seiner Zunge mit ihr zu spielen. Sie sehnte sich so sehr nach dieser Berührung, dass sie ihre Finger in seine Schultern bohrte, um dieser Anspannung gewachsen zu sein, bis er wieder zu ihr nach oben kam, seine Hände in ihr Haar verwob und seine Lippen an ihre Stirn und ihre Schläfen senkte und ihr Ohr küsste, als wolle er sicher sein, jede noch so winzige Stelle geküsst zu haben. Sanft legte er seine Lippen an die Stelle hinter ihrem Ohr und fuhr mit seiner Zunge dort entlang, sodass ein wohliges Zittern Ayashis Körper erfasste. Was tat er nur mit ihr? Ihr Körper wollte ihn. Sie wollte ihn. So sehr, dass sie beinahe nicht mehr stehen konnte, weshalb sie ihn ihr Gewicht beinahe völlig tragen ließ, indem sie ihre Arme fester um seine Schultern schlang. Sesshoumaru drängte sie nicht, doch er brachte sie langsam mit kleinen Schritten zu dem Lager, das für sie bereitet wurde, und ließ sie seine Kleidung mit zittrigen Fingern öffnen. Der Obi fiel raschelnd zu Boden. Sesshoumaru löste schnell das obere seiner Gewänder und ließ es ebenfalls zu Boden gleiten. Sofort hefteten sich Ayashis Finger an das untere Gewand und schoben auch dieses zur Seite, sodass Sesshoumaru es nur noch über die Schultern gleiten lassen musste, um es los zu sein. Sesshoumaru sank auf dem Lager auf die Knie und zog Ayashi sanft mit sich. Ayashis Blick fiel auf seine breite, muskulöse Brust und seine klar gezeichneten Bauchmuskeln. Er war so männlich! So wunderschön. Es war unglaublich, dass es sie mit so viel hitziger Freude erfüllte, ihn nun zu sehen, obwohl sie ihn nicht zum ersten Mal sah. Sie konnte sich wohl nie daran gewöhnen, wie schön er war und es würde sie immer in Erstaunen versetzen. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze unbewusst über die Lippen und lächelte, hob den Blick zu ihm und bemerkte, dass er sie aufmerksam und lustvoll anblickte. Sie streichelte mit den Fingerspitzen über seine warme Haut, küsste dann seinen Adamsapfel, seinen Halsansatz und seine Brust, während ihre Hände langsam nach unten zum Bund seines Hakamas wanderten, wobei seine Muskeln leicht zuckten und er scharf einatmete. Sesshoumaru ließ sie machen, obwohl es beinahe zu viel für ihn war, ihre Lippen und ihren warmen Atem auf seiner Haut zu spüren, und ließ seine Hände federleicht über ihre Schultern, ihr Haar und ihre Oberarme gleiten, während sein Penis erwartungsvoll gegen den Stoff seines Hakamas aufbegehrte. Er brannte innerlich. In seinem unteren Bauch zog sich alles zusammen. Seine Finger zitterten und Ayashi hielt inne, ließ ihre Hände am Bund seines Hakamas liegen drängte sich ein wenig näher an ihn, wobei ihre Oberkörper sich leicht berührten. Sesshoumaru fühlte ihre harten Brustwarzen über seine Haut streichen und zog ihre Lippen wieder zu seinen, was Ayashi nur allzu gerne zuließ. Sesshoumaru strich mit seiner Zunge über den inneren Rand ihrer Unterlippe und bat um Einlass, den Ayashi ihm nicht verwehren wollte. Sie wusste auch, dass sie gar nicht konnte. Sie wollte ihn. Ihn und alles. Sesshoumarus Hände hielten Ayashis nackten Rücken in ihrem Griff und pressten sie gegen ihn. Ayashi stöhnte auf, als ihre Zungen sich trafen und hielt sich an seinen starken Oberarmen fest, als sie in ihrem leidenschaftlichen Spiel versanken. Sesshoumarus Hüften zuckten und drückten sich gegen sie. Seine Hände glitten über ihre Schultern und verließen schließlich ihren Körper, um den Bund seines Hakamas zu lösen. Er wollte in ihr sein. In jeder möglichen Weise. Es seiner Zunge nachmachen und einfach in ihr versinken… Ayashi brachte ein wenig Abstand zwischen sie und ihn und drängte ihn lächelnd mit einer Hand sanft hinab auf das Lager, sodass er saß und kroch ein wenig auf ihn zu. Sesshoumarus Augen brannten, als er in sich aufnahm, was er sah. Kein Detail wollte er jemals vergessen. Ihre weiche Haut schimmerte im gedämpften Licht. Ihre Brüst waren wunderschön gewölbt. Er sah die zarte, senkrechte Linie in der Mitte ihres flachen Bauchs, ihre schmale Taille und die Rundungen ihrer Hüften, ihre schlanken Schenkel und die wohlgeformten Waden. „Gefällt dir, was du siehst?“ meinte sie lächelnd, da sie seinen Blick gesehen hatte, doch er konnte nur nicken, weshalb sie leise lachte. Sesshoumaru umfasste ihre Hüften und zog sie mit gespreizten Beinen auf seinen Schoß, wobei er nicht verhindern konnte, dass sein Becken nach oben zuckte und sein steifes Glied dorthin brachte, wo es hin wollte. Er umfing Ayashis Oberkörper mit seinen muskulösen Armen und presste sie an sich, dass sich ihre heiße, nackte Haut berührte. Er wollte sie spüren und verwöhnen. Sein Körper schrie nach ihr. Er fühlte ihre aufgerichteten Brustwarzen, ihre warme Haut, die winzigen Bewegungen, die sie machte, als er sie erneut in mehrere Küsse verwickelte – und es machte ihn rasend. Seine Hände glitten langsam von ihren Hüften zu ihren Brüsten nach oben und Ayashi legte den Kopf in den Nacken, als Sesshoumaru begann, ihre Brüste zu streicheln. Schließlich sank er mit seinem Mund hinab, um eine von ihren Brustwarzen mit der Zunge zu umfahren und mit seinen Lippen zu umgeben, während er die andere mit seinen Fingern verwöhnte. Spielerisch leckte und saugte er an ihr und forderte sie durch seine Zärtlichkeiten auf, sich seinem Mund noch weiter entgegen zu recken. Ayashi streckte den Rücken durch und wollte, dass er sie nahm. Sie war Wachs in seinen Händen. Flüssiges Wachs. Und es breitete sich von ihrem Kern aus und riss sie wie ein riesiger Strom mit sich. Sie hatte sich noch niemals so gefühlt. Glühend. Berauscht. Ihre Hände gruben sich in seine starken Schultern, während sie glaubte, dass sie gleich vor Lust vergehen würde. Kapitel 99: ------------ Sesshoumaru schob sich wieder zu ihren Lippen und ließ sich mit Ayashi nach hinten auf das Lager sinken. Er seufzte leise, als er ihr leichtes Gewicht auf sich spürte, verwickelte sie in weitere leidenschaftliche Küsse. Seine Hände packten ihren Hintern und drückten sie stärker gegen seinen Unterleib. Ayashi stöhnte auf, als sie erneut den steifen, großen Schaft seines Penis durch den Stoff seines Hakamas spürte und bewegte ihr Becken an ihm, als wären ihre Körper schon verbunden. Sein Atem rauschte stoßartig in ihren Mund und er glaubte, er müsse explodieren. Sein Glied pochte verlangend, und wenn er oder sie nicht ein bisschen vorsichtiger waren, konnte er nicht mehr dafür garantieren, dass er nicht gleich kam. Und er wollte in ihr kommen. Er wollte in ihr sein – so sehr wie er nichts anderes auf der Welt wollte. Doch noch nicht. Noch nicht. Vorsichtig drehte er Ayashi auf den Rücken, sank neben sie und beugte sich über sie. Er musste sich beruhigen. Er wollte nicht zu schnell sein. Er wollte Ayashi auskosten. Alles an ihr. Auch wenn er beinahe wahnsinnig wurde. Er würde sie lieben… ordentlich… richtig… langsam… leidenschaftlich… ausgiebig… genussvoll. Er würde sich an ihrer Lust ergötzen. Es ging ihm um Ayashi, auf die er so lange verzichtet hatte. Er küsste ihre Lippen und sank dann wieder zu ihren Brustwarzen hinab, die sich ihm begehrlich entgegenstreckten. Sie schmeckte so gut! Seine Hand fuhr weiter hinab über ihren flachen Bauch und über ihre Scham. Sie spreizte ihre Beine und brachte ihr Becken näher an seine Hand. Sie musste ihn jetzt einfach spüren. Sie musste. Sie brannte nach seinen Berührungen. Sesshoumaru fühlte sofort, dass sie sehr feucht war, und machte ein kehliges Geräusch, das von seiner Zustimmung zeugte. Er konnte kaum mehr warten. Sein Penis drängte begierig und pulsierend gegen seinen Hakama. Langsam ließ er seine Hand über ihre Scham gleiten, wobei Ayashis Becken automatisch zuckte, und sank dann in ihre feuchte Spalte. Ayashi stöhnte laut auf und legte den Kopf in den Nacken. Sesshoumaru biss sich auf die Lippen und kämpfte um die Beherrschung. Seine Finger tauchten zwischen die feuchten, angeschwollenen Lippen ihres Körpers und erkundeten diese exquisite Stelle, während seine Lippen Ayashis Brüste liebkosten. Ihr Atem verließ schnell und rauschartig ihre Lungen, als Sesshoumaru einen Finger in sie gleiten ließ und einen weiteren folgen ließ. Sie war so eng… so weich… und nass… so samtig, stellte er fest und streichelte sie hingebungsvoll. Ihre Hände gruben sich in das Laken und in seinen Oberarm, als die Welle der Lust sich riesig und kraftvoll in ihr auftürmte. Eine hauchdünne Schicht von Schweiß bedeckte ihren zarten Körper und schimmerte glänzend. Sie blickte Sesshoumaru an, doch sie konnte ihn nicht mehr fixieren, als er sie mit fiebrigen Fingern zu einem unglaublichen Höhepunkt brachte. Oh, dieses Geräusch… diese Hitze… dieses Verlangen. Ihre Beine spreizten sich weiter. Sie wollte mehr. Viel mehr. Sie wollte ihn in sich… ihre Becken aneinander. Ihre Körper, die sich in lustvollen Wellen gegeneinander und miteinander bewegten. Ayashi wand sich und sie schrie wild auf, als die angestaute Lust und Spannung schließlich über ihr zusammenbrach. Sesshoumaru küsste ihren Nacken und ihre Schultern mit geschlossenen Augen und atmete den Duft ihrer Haut ein und schmeckte sie, während er seine Finger weiter in ihr bewegte, bis sie noch einmal lustvoll aufstöhnte und ihr Körper für einige lange Augenblick um seine Finger erzitterte und ihre inneren Muskeln sich schnell zusammenzogen und wieder entspannten, ehe sich ihr ganzer Körper entspannte. Er war wahnsinnig, sich selbst so zu foltern, aber er konnte nicht anders. „Ayashi?“ fragte er mit rauer Stimme. „Ja?“ entgegnete sie tonlos und hob ihren Blick zu ihm. Ihre Augen schimmerten und ihr Atem ging schnell und flach. Sesshoumarus Lippen suchten ihre und er küsste sie lange, ließ seine Zunge in ihren Mund gleiten und ließ ihr ein bisschen Zeit, ehe er sich etwas von ihr zurückzog. „Ich will dich schmecken, Ayashi.“ sagte er mit rauer Stimme und sie nickte ergeben. „Nicht hier…“ meinte er und küsste sie noch einmal auf den Mund, wanderte dann hinab zu ihrem Hals, über ihr Schlüsselbein und über ihre Brust. „Nicht hier…“ wiederholte er, sodass sie seinen warmen Atem gegen ihre Haut streichen fühlte, und umkreiste ihre Brustwarzen mit seiner Zunge, schob sich dann mit Küssen weiter über ihren Bauch nach unten, versenkte seine Zunge in ihrem Bauchnabel und blickte wieder zu ihr nach oben. „Weißt du, wo?“ Ihre geweiteten Augen waren seinen Bewegungen gefolgt und sie schluckte kräftig, als sie sah, dass er die Finger, mit denen er in sie gesunken war, zu seinen Lippen führte und seine Zunge an ihnen entlanglaufen ließ. „Gott… Ja.“ hauchte sie. Sesshoumaru lächelte, sank mit seinem Körper zwischen ihre Beine und öffnete sie seinem gierigen Blick. Er atmete scharf ein, als er ihr feuchtes, glitzerndes Geschlecht sah, und ließ seine Hände an den Rück- und Innenseiten ihrer Schenkel nach oben wandern. Ihr Becken hob und senkte sich. „Darf ich?“ fragte er, während er sich schon mit der Zunge über die Lippen fuhr. Er musste es einfach hören. Ihre Stimme. Und die Erlaubnis, die sie ihm gab. Ihr Einverständnis. Ihr Vertrauen. Ihr Verlangen. „Ja.“ wiederholte sie deutlich, aber mit bebender Stimme und stöhne auf, als sie im nächsten Moment seine Lippen und seine Zunge spürte, die ihr heißes Fleisch liebkosten. Sesshoumaru leckte und saugte an ihr und trieb sie mit seiner talentierten Zunge und seinen begabten Lippen beinahe in den Wahnsinn. Seine Schultern drückten ihre Beine weiter auseinander, während seine Hände fest an ihrer Hüfte lagen und sie daran hinderten, sich in ihrer Lust allzu viel zu bewegen. Er spürte ihr Becken zucken und schmeckte sie wie Honig oder Nektar auf seinen Lippen und auf seiner Zunge, die einfach nicht genug bekommen konnte. Ayashi stöhnte und bäumte sich auf, als ihr Körper erneut von einem Höhepunkt erfasst wurde, und krallte ihre Finger in das Laken. Ihr Atem raste. Ihr Herz raste. Und alles, was sie wahrnehmen konnte, war Sesshoumaru. Sesshoumaru. Sesshoumaru. Und diese Lust. Sesshoumaru ließ seine Zunge ein letztes Mal zwischen ihren Schamlippen nach oben gleiten und blickte sie an. Ihre Hände tasteten nach ihm und er rutschte wieder zu ihr nach oben, wobei er eine Hand wieder in ihr brennendes Geschlecht legte und sich mit dem anderen Ellenbogen neben ihrem Kopf ab, als er seine Lippen auf ihre presste. Sie schmeckte sich auf seinen Lippen und stöhnte leise gegen seinen Mund. „Sesshoumaru… ich will dich… in mir spüren.“ atmete sie begierig aus und ließ ihm nicht einmal Zeit, irgendetwas zu erwidern. Ihre Hände fuhren fieberhaft hinab zum Bund seines Hakamas und schoben ihn ungeduldig so weit nach unten, wie sie es vermochte, doch sie kam nicht weit. Sie unterbrach den Kuss und schob sich selbst unter ihm etwas weiter hinab, küsste seinen Hals und seinen Adamsapfel, ließ ihre Zunge über ihn gleiten und saugte an ihm und ließ ihre Hand in seine Hose gleiten. Ihre Hand griff nach seinem harten Penis und fühlte die Tropfen, die sich schon herausgedrängt hatten. Sesshoumaru stieß unter einem lauten Stöhnen mit seinem Becken nach vorne, als sie die Tropfen auf seiner empfindlichen Haut verteilte und drückte den Rücken durch, als er den Kopf zurückwarf. Ayashi streichelte ihn vom Ansatz bis zur Eichel, doch ihre Finger konnten seinen Schaft nicht ganz umgeben. Sie liebte diese warme, unglaublich zarte Haut und Sesshoumarus Atem, der flach und stoßartig seine Lungen verließ. Ayashi spielte zärtlich mit seinen Hoden und Sesshoumaru küsste ihre rechte Schulter, um Spannung abzubauen, doch es funktionierte nicht allzu gut. Sesshoumaru biss sich auf die Lippen und atmete tief durch, doch dann schließlich hielt er es nicht mehr aus. „Ayashi…“ stöhnte er und sie ließ ihn los. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er musste sie jetzt haben… Schnell und eilig entledigte er sich seines Hakamas und sank wieder zwischen ihre Beine. „Das ist genau das, was ich will.“ gab er mit beinahe erstickter Stimme zurück und fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Ihre Hände legten sich an seinen Kiefer, um seine Lippen auf ihre zu ziehen. Ihre Lippen und ihre Zungen versanken erneut in leidenschaftlicher Zärtlichkeit und trennten sich erst voneinander, als Ayashi ihr Becken so bewegte, dass Sesshoumarus Glied gegen ihre heiße Mitte aufbegehrte. Ihre Blicke begegneten sich und Sesshoumaru strich ihr über den Haaransatz, bevor er nach unten griff, um sich selbst in die Hand zu nehmen und in Ayashi zu führen. Kapitel 100: ------------- Sesshoumaru war trotz seiner Leidenschaft vorsichtig und drang behutsam in sie ein, da er wusste, dass er sehr groß war, und er ihr auf keinen Fall Schmerzen bereiten wollte, obwohl das unwahrscheinlich war, denn es war nicht das erste Mal und sie war keineswegs unerregt. Eine zarte Schicht aus Schweiß bedeckte ihn und er biss sich auf die Lippen, als er ihren Körper spürte, der sich heiß und feucht um ihn wandte. Sie stöhnten beide laut auf, als er ganz in sie gesunken war und ihre Becken zusammengekommen waren. Er füllte sie gänzlich aus. Sein Atem hauchte über ihre Schulter und gegen ihren Hals. Sie fühlte sich so gut an. So unglaublich gut. Seine Muskeln zitterten, als sie ihre Hände über seinen Rücken bis zu seinen Lenden hinab gleiten ließ und ihr Becken leicht und einladend bewegte. Er atmete mit einem leisen Zischen ein und spürte, wie sie sich lustvoll unter ihm wand. Sein Körper fühlte nur noch sie. Die Stelle, an der ihre Körper miteinander verbunden waren und Ayashi ihn in sich hielt. Ihr Körper strahlte eine wahnsinnige Hitze aus. Und er glaubte, im nächsten Augenblick zu explodieren, als sie noch einmal ihr Becken bewegte und ihre Hüften gegen seine bewegte. Sesshoumarus Körper begann zu übernehmen und er erfüllte ihren Wunsch, der auch seiner war. Langsam zog er sich aus ihr zurück, streichelte ihr Inneres mit seinem großen, harten Schaft und sank wieder in sie. Ständig. Ausdauernd. Liebevoll. Lustvoll. Ayashi öffnete leicht ihre Lippen, als sie fühlte, wie sich ein neuer Orgasmus für sie ankündigte, und stemmte sich mit den Armen etwas über ihrem Kopf ab, um sich trotz Sesshoumarus kraftvoller und fiebriger Stöße in Position zu halten. Sein Atem wurde kürzer und er flüsterte heiser ihren Namen, als sein Tempo schneller und wilder wurde. Ayashi wurde von einer erneuten Welle der Lust erfasst und spürte, wie Sesshoumaru über ihr seine Muskeln spannte und den Kopf zurückwarf, ohne seinen Rhythmus zu unterbrechen. Sein Herz schlug heftig und wild gegen seinen Brustkorb. Ihr Atem explodierte aus ihren Lungen, als sie in Ekstase seinen Namen schrie und ihre inneren Muskeln sich um seine Männlichkeit zusammenzogen und entspannten. Ihre Hände griffen nach ihm, nach seinem starken Rücken und drückten ihre Finger tief in seine Haut, als sie die Wellen ihres Höhepunktes auslebte, und ihn mit sich riss, denn seine Erektion zuckte stürmisch und heiße, flüssige Strahlen schossen in ihr Inneres. Seine Hände verfingen sich etwas in ihrem Haar, als er sie nahm und nicht aufhören konnte, in sie zu stoßen. Er stöhnte, fühlte seine scharfen Zähne, die er zu gerne an ihren Hals gesenkt hätte, um sie mit diesem uralten und schon archaischen Ritual, das in dieser urtümlichen Form nicht mehr praktiziert wurde, zu seiner richtigen Gefährtin zu machen. Jetzt wurde das Blut symbolisch ausgetauscht, doch er wollte tatsächlich ihr Blut nehmen und er wollte, dass sie seines nahm… wie ihm dämmrig bewusst wurde, als er seinen Orgasmus gnadenlos auskostete, bis er vorüber war. Sesshoumaru hielt für einen Moment inne und blickte ihr nur in das Gesicht, wartete darauf, dass sie ihn fixierte und liebte den glasigen Schimmer ihrer Augen und die leichte Röte, die sich auf ihre Wangen gelegt hatte. Er senkte seine Lippen vorsichtig auf ihren Mund hinab, als sich ihr Atem beruhigt hatte, und küsste sie zitternd. Ayashi umschlang ihn mit ihren Armen und presste sich an ihn. Sie hatte noch nicht vor, ihn aus ihrem Körper zu entlassen, und erwiderte seinen Kuss, wobei sie ihre Beine um seine Hüften legte und ihr Becken leicht bewegte, worauf seine Erektion erneut zuckte. Sie gab ein kehliges Geräusch von sich und wandte ihre Lippen von seinen ab, sodass sie leise lachen konnte. Ein weibliches, freudiges, zufriedenes Lachen… Sesshoumaru brachte es beinahe um den Verstand. Ayashi blickte ihn an und flüsterte: „Hör’ nicht auf, Sesshoumaru… Ich spüre, dass du mich noch willst.“ Er konnte nur nicken. Und selbst das gelang ihm nicht gut, da er den Kopf gegen seine Brust senkte und sich sammelte, bevor er erneut innig und leidenschaftlich in sie drang, um sie noch einmal zu nehmen… und wieder und wieder. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er jemals genug von ihr bekommen würde. Niemals. Sie gehörte einfach zu ihm. Ayashis Hände griffen um seine Handgelenke, um sich festzuhalten, und sie beobachtete diesen Mann… ihren Mann, der sich so kraftvoll und mächtig und wunderschön über ihr bewegte, an ihrem Körper erfreute und ihrem eigenen so viel geschenkt hatte. Die Muskeln seines Bauches spannten sich immer wieder so entzückend an, seine wohlgeformte Brust hob und senkte sich mit seinen starken Atemzügen, die dann seine leicht geöffneten Lippen passierten… und schließlich ihre Haut streichelten, da Sesshoumaru sich langsam wieder weiter zu ihr hinabsenkte, sodass er ihre Schulter und ihren Hals küssen konnte. Zuerst spürte sie nur seine Lippen und dann seine Zunge und schließlich… Ayashi stöhnte auf, als sie seine Zähne spürte und krallte ihre Finger in seine Handgelenke. Ihr Körper bog sich ihm unwillkürlich entgegen. Würde er etwa… das Ritual…? Ayashi biss sich auf die Lippen. Selbst wenn? Sie wollte sogar, dass er es tat. Sie wollte ihm gehören… ganz … und vielleicht auch für alle sichtbar, aber… Sesshoumaru konzentrierte sich eisern, dass er nicht doch aus versehen ihr Haut durchbrach, doch es kostete ihn beinahe alle seine Kraft, die eh schon gelitten hatte. Er konzentrierte sich auf das Gefühl, dass sie in ihm auslöste, wenn er sich in ihr bewegte und ihr Inneres streichelte, doch seine Sinne spielten verrückt. Ihr atemberaubender Duft war nichts im Vergleich zu dem betörendsten Duft der reinsten und seltensten Blume. Er fühlte ihren Atem, der sanft über seine Schulter strich, und eine mächtige Hitze in seinem Unterleib und einen wahnsinnigen Druck in seinen Hoden, ehe sich sein Penis unter starken und heftigen Zuckungen entlud und er sich noch einmal in ihr ergoss, bis die letzte Welle seiner Lust über ihn hereingebrochen war und eine angenehme matte Zufriedenheit zurückließ. Sesshoumaru sank etwas in sich zusammen und umschlang Ayashi fest. Sie erwiderte die starke Umarmung und ließ ihre Beine ein wenig absinken. Sie wollte nicht, dass er sich aus ihr zurückzog. Sie wollte ihn nicht gehen lassen. Sesshoumaru küsste sie noch einmal auf die Schulter und drehte sich mit ihr etwas auf die Seite, sodass er sie nicht mit seinem Gewicht erdrückte. Seine Hände fuhren über ihren Rücken und ihre Oberschenkel, während er sie ruhig ansah. „Das war…“ begann Ayashi, fand aber dann nicht die richtigen Worte und brach ab. „Bist du in Ordnung?“ fragte er, als sie ihn nur lächelte. „Mehr als das.“ gab sie zurück und näherte ihre Lippen wieder seinen. Sesshoumaru ließ sich in neue Küsse verwickeln und drückte sie an sich. Er konnte nicht mehr, aber das war egal. Er ergriff ihre Unterlippe in einer leichten Umklammerung seiner Zähne und zog sich doch aus ihr zurück, obwohl er am liebsten geblieben wäre, wo er war. Langsam löste er sich von ihr, griff nach der Decke und blickte sie an. Ihr Körper lag so wunderschön, glänzend und zufrieden ermattet auf dem Lager, das er einfach nicht anders konnte, als sie einen Augenblick nur anzusehen, bis er wieder lächeln musste, als er ihrem fragenden Blick begegnete, sich zu ihr hinabsenkte und sie beide mit der Decke zudeckte. Sesshoumaru drehte sich auf den Rücken und Ayashi legte sich gegen seine Seite. Ihre erhitzte Haut war so samtig gegen seine. Liebend legte Sesshoumaru ihr seinen linken Arm unter den Kopf und zog sie näher zu sich, während seine rechte Hand nach ihrer linken Hand griff und sie sich auf die Brust legte. Gedankenverloren ließ er immer wieder einen Daumen über ihre Fingerknöchel streichen. „Ayashi?“ fragte er nach einer Weile und blickte zu Seite, wobei er hoffte, dass er sie ansehen konnte, doch es gelang ihm nicht ganz. „Hm?“ brachte sie nur heraus und kuschelte sich dichter an seine Seite. „Ich möchte deinen Vater möglichst bald sprechen… Kannst du dir… vorstellen, dass du…“ begann Sesshoumaru, sprach aber dann nicht weiter. „Was, Sesshoumaru?“ wollte Ayashi wissen und richtete sich etwas auf. „Meinst du, dein Vater hält an einer Verbindung zwischen dir und dem Sohn des Kaisers… diesem Hayato fest?“ Ayashi zögerte und ließ währenddessen ihre Fingerspitzen über seine Schultern gleiten, ehe sie ihre Lippen für einen Kuss hinabsenkte. Schließlich meinte sie leise: „Es sagte mir, dass ich nicht nach Fukuoka zurückkehren brauche, wenn ich nicht gewillt bin, diese Verbindung einzugehen.“ Sesshoumaru blickte sie aufmerksam an und strich ihr über die Wange. Sie sah plötzlich so traurig aus. „Das hat er gesagt?“ fragte er noch einmal nach, da er nicht glauben konnte, dass Kataga sich so ausgedrückt hatte. „Er sagte, er würde den Antrag gegenüber des Kaisers nur aufschieben, da er ihn nicht ablehnen könne. Er wollte sagen, dass ich noch Zeit brauche.“ meinte sie und lachte leise und freudlos. „Und dann forderte er mich auf, zu gehen und nicht eher zurückzukehren, bis ich den Antrag annehmen will.“ „Das tut mir sehr leid, Ayashi.“ teilte er ihr mit, doch es waren wohl kaum die richtigen Worte. „Ich weiß.“ seufzte Ayashi und ihr Blick wurde trüb, als sie weiter an jenen Tag zurückdachte, an dem sie Fukuoka und ihren Vater verlassen hatte. „Ich vermisse ihn sehr.“ gab sie zu und Sesshoumaru nickte. „Du wirst dich mit ihm versöhnen, Ayashi. Ich glaube wirklich, dass alles gut werden wird.“ „Ich wünschte, ich könnte das auch, aber…“ meinte Ayashi, doch kam nicht weiter, da Sesshoumaru sie zärtlich auf die Lippen küsste und damit zum Verstummen brachte. „Ich werde dafür sorgen, Ayashi. Ich verspreche es dir.“ flüsterte er und sie nickte leicht, da sie ihm glaubte, dass er das konnte. „Was wolltest du vorhin wissen? Ob ich mir was vorstellen kann?“ fragte sie und Sesshumaru lächelte. „Ich wollte dich fragen, ob du dir vorstellen kannst, als meine Gefährtin zu leben.“ erklärte er und sie blickte ihn verwundert an. „Siehst du denn dafür eine Möglichkeit?“ fragte sie, anstatt ihm eine Antwort zu geben. „Vielleicht. Nun? Wie ist deine Antwort?“ entgegnete er und Ayashi beugte sich zu ihm herab und hielt kurz vor seinen Lippen inne. „Dass du das noch fragen musst… Ich könnte beleidigt sein.“ meinte sie und schüttelte amüsiert den Kopf. „Natürlich kann ich mir das vorstellen, Sesshoumaru. Frag’ mich lieber, ob es möglich ist, dass ich mir das nicht mehr vorstelle. Ich sehe mich in meinem Leben nur noch an deiner Seite. “ antwortete sie, als er still blieb, und er umschlang ihren schmalen Körper mit seinen Armen, um sie zu küssen. Kapitel 101: ------------- Sesshoumaru erwachte noch vor dem Morgengrauen und richtete sich vorsichtig auf, damit er Ayashi nicht aufweckte. Versonnen betrachtete er sie, wie sie auf dem Bauch in den Kissen lag, und musste dem Verlangen widerstehen, die zarte, wunderschön geschwungene Linie ihrer Wirbelsäule mit den Fingern nachzuzeichnen. Er wollte sie nicht wecken. Er wollte sie einfach nur ansehen, bis er gehen musste. Sie hatten die letzten fünf Nächte miteinander verbracht. Niemand ahnte auch nur etwas, und es war perfekt und wunderschön, neben ihr aufzuwachen. Sesshoumaru lächelte in sich hinein und stellte fest, wie sehr er sich schon daran gewöhnt hatte, dass es so war. Er liebte es. Und er liebte es, dass sie an jedem Morgen danach immer wieder versuchte, ihn dazu zu bringen, noch länger bei ihr zu bleiben, doch an diesem Morgen konnte er wirklich nicht wie sonst auf ihre verführenden Bitten eingehen. An diesem Morgen musste er pünktlich einer Verabredung nachkommen, das wusste er. „Gehst du schon?“ murmelte sie verschlafen und fuhr sich mit einer Hand verschlafen über die Augen. „Ja.“ entgegnete er und beugte sich zu ihr herab, um sie auf die Schläfe zu küssen. „Wirklich?“ wollte Ayashi wissen und drehte sich auf den Rücken. Sesshoumaru betrachtete sie und nickte zögerlich, was Ayashi bemerkte, und wissend lächelte. „Wäre es sehr unverschämt, wenn ich deine Schwäche ausnutze?“ fragte sie und er nickte langsam. „Ich kann wirklich nicht bleiben.“ meinte er, küsste sie aber noch einmal, da er auch nicht gehen konnte. „Was wirst du heute tun?“ fragte er, als sich ihre Lippen voneinander trennten. „Hm… Am liebsten würde ich hier liegen bleiben… genauso wie ich jetzt bin… nackt also…“ meinte sie und streckte sich zu seinen Lippen nach oben. „Und dann?“ wollte er wissen, berührte ihre Lippen mit seinen und ließ sie antworten. „Und dann würde ich nichts anderes tun, als genau hier auf dich zu warten.“ Sesshoumaru lachte leise, zog Ayashi zu sich und küsste ihren Hals und ihren Nacken. „Bist du sicher, dass du gehen musst?“ fragte sie und er brummte etwas, das sie nicht richtig verstand. „Ayashi… Ich habe noch etwas vor.“ meinte er schließlich, hörte aber nicht auf, sie zu küssen. „Und du willst mir auch nicht sagen, wohin du gehen musst… oder wer hierher kommt?“ wollte Ayashi wissen. „Nun, hierher kommt hoffentlich niemand.“ lachte er leise. „Du weißt, was ich meine.“ ermahnte sie ihn und fühlte, dass er nickte. „Es ist nicht so, dass ich es dir nicht sagen will…“ „Aber?“ „Ich wollte dich nicht beunruhigen.“ wich er ihr aus, aber Ayashi wusste genau, was er damit sagen wollte. „Du triffst dich mit meinem Vater.“ stellte sie fest. Sie musste nicht einmal fragen, denn sie war sich ganz sicher, dass es nur ein Treffen mit ihrem Vater sein konnte. Sie würden … „Ayashi.“ … sich – endlich – über ihren Aufenthalt in Shimonoseki unterhalten. Sie würden endlich klären, was es zu klären gab. Vielleicht gab es…. „Ayashi?“ … endlich Hoffnung darauf, dass alles gut werden würde. Dass sie hier bleiben konnte, war nur ein kleiner Schritt in eine mögliche Zukunft. Was hatte Sesshoumaru vor einigen Nächten angedeutet, als er sie gefragt hatte, ob sie sich ein Leben an seiner Seite vorstellen konnte? War es keine Andeutung mehr gewesen, sondern beinahe schon ein Versprechen. Immerhin hatte er gesagt, dass er vielleicht eine Möglichkeit sah… „Ayashi?!“ drang Sesshoumarus Stimme durch ihre verworrenen Gedanken und riss sie aus ihren Überlegungen. „Ja… Entschuldige, hast du etwas gesagt?“ „Ungefähr dreimal deinen Namen… Geht es dir gut? Du bist plötzlich so blass.“ „Ja, es geht mir gut. Ich bin nur… Nein, Sesshoumaru, es ist alles in Ordnung.“ versicherte sie und blickte ihn überzeugend an. „Ich wollte es möglichst schnell erledigen. Das war doch auch in deinem Sinne, oder?“ fragte Sesshoumaru. „Natürlich.“ entgegnete sie und zog ihn zu sich. „Natürlich.“ murmelte sie und küsste ihn, bevor sie ihn nach einigen Liebkosungen gehen ließ, während sie noch eine Weile liegen blieb. Sesshoumaru brach am späten Vormittag auf und erreichte Fukuoka noch vor Anbruch des Mittags. Die Sonne stand beinahe an ihrer höchsten Stelle und warf ihr warmes, herbstliches Licht über die Hügel des Landes. In der Ferne wogte das Meer in dunklen Wellen, die Sturm und Wind ankündigten. Die Bäume im Wald verloren langsam ihre farbigen Blätter, bemerkte Sesshoumaru, als er sich in gebührender Geschwindigkeit dem Schloss näherte. Kaum hatte er das Tor erreicht, traten mehrere hohe Beamte zu ihm und begrüßten ihn demutsvoll und höflich, ehe sie ihn in den Innenhof führten, wo Kataga auf ihn wartete. Sesshoumaru trat näher auf ihn zu und verneigte sich freundlich, was Kataga erwiderte. Schließlich hob Kataga seine Hand und bedeutete Sesshoumaru, sich ihm ganz zu nähern. „Ich hoffe, Euer Befinden ist gut, Sesshoumaru-Sama.“ begrüßte er ihn und Sesshoumaru neigte leicht den Kopf, um dem zuzustimmen. Kataga hingegen sah schlecht aus. Sorgen und Kummer standen ihm in das Gesicht geschrieben und hatten ihre Spuren hinterlassen. Er wirkte müde und … alt. Sesshoumaru wusste, dass er nicht frohlocken sollte, Kataga so zu sehen, doch er schöpfte Hoffnung, dass er schneller erreichen würde, was er wollte, wenn Kataga der Verlust seiner Tochter zu schaffen machte. „Ich danke Euch, dass Ihr meiner Bitte auf ein baldiges Treffen so schnell nachgekommen seid, Kataga-Sama.“ „Es schien dringend zu sein, doch kommt, Sesshoumaru-Sama!“ meinte Kataga und wies in die Richtung, in der die repräsentativen Räume und das Arbeitszimmer Katagas lagen. „Lasst uns in meinem Schloss besprechen, was es zu besprechen gibt und scheinbar nicht bis zur nächsten Ratsversammlung warten kann.“ Sesshoumaru nickte und folgte Kataga, indem er ungefähr zwei Schritte schräg hinter ihm ging, über den Hof, schritt mit ihm auf die Engawa hinauf und durch die Gänge, und trat dann vor ihm in Katagas Arbeitszimmer, da Kataga ihn vorher eintreten ließ. Kataga wies mit seiner Hand auf die Kissen und den niedrigen Tisch, an dem er diese Gespräche mit seinen engsten Verbündeten zu führen pflegte, und bat Sesshoumaru, Platz zu nehmen. „Ich hörte bereits Gerüchte, dass die Katzenyoukai…“ begann Kataga, doch begegnete dann Sesshoumarus leicht verwirrtem Blick. „Darüber wolltet Ihr nicht mit mir sprechen.“ stellte er fest und Sesshoumaru schüttelte den Kopf. „Nein, darum sollte es mir in der Tat nicht gehen.“ stimmte er zu, da er nicht nur den Kopf schütteln konnte, wenn er mit Kataga sprach. „Ich sehe in Euch einen Verbündeten und Freund, Sesshoumaru-Sama, wie ich ihn in Eurem Vater sah. Deshalb: Sprecht offen, was ich für Euch tun kann.“ entgegnete Kataga und sah seinen Gast aufmerksam an. „Das ist sehr zuvorkommend.“ bedankte sich Sesshoumaru und machte eine kleine Pause, in der es die Zeit nutzte, sich zu sammeln, bevor er erneut zu sprechen begann: „Ich begegnete vor einigen Tagen in der Nähe des östlichen Ausläufers des Kuruma-Gebirges Eurer Tochter… Ayashi.“ Katagas Augen weiteten sich vor Erstaunen, da er erst damit gerechnet hatte, dass gleich der Name seiner Tochter Ayame fallen würde, und da er schon so lange nichts mehr von Ayashi gehört hatte. Es war, als dringe der Name aus einer fremden, fernen Welt erneut an seine Ohren, und ein stechender Schmerz machte ihn einen Moment unfähig, etwas zu erwidern, weshalb er stumm blieb. Kapitel 102: ------------- Sesshoumaru beobachtete Kataga und stellte fest, dass er nichts sagen wollte, weshalb er selbst gleich fortfuhr: „Um dem Grund meines Besuches nicht länger auszuweichen, werde ich gleich zur Sache kommen.“ Sesshoumaru blickte Kataga während seiner Worte prüfend an. Konnte er tatsächlich schon sagen, was er im Sinn hatte? Er hatte keine Wahl. Kataga erschien ihm eh, als höre er ihm nicht mehr richtig zu. Vermutlich gab es für das, was Sesshoumaru zu sagen gedachte, ohnehin keinen optimalen und idealen Zeitpunkt, dann konnte er auch jetzt schon damit herausrücken. „Ayashi hält sich im Moment in Shimonoseki auf und ich bitte hiermit um Euer Einverständnis, dass sie auch weiterhin in Shimonoseki bleiben darf, solange es ihr beliebt.“ eröffnete Sesshoumaru ihm und verneigte sich ergeben vor ihm. Sesshoumaru wusste, dass er ihm seinen oder Ayashis Willen nicht aufzwingen konnte. Er wusste, dass Kataga ihm immer noch verweigern konnte, was er wünschte, auch wenn er dafür keinen plausiblen Grund vorbringen konnte. Er musste für seine Weigerung nicht einmal einen plausiblen Grund vorbringen können, das wusste Sesshoumaru. Sein ablehnendes Wort konnte genügen, um Sesshoumarus und Ayashis Wünsche für immer zunichte zu machen. „Sie ist in Shimonoseki?“ brach Kataga endlich sein Schweigen, als könne es er nicht fassen, dass sich Ayashi nicht einmal eine Tagesreise von ihm entfernt befand. „Ja, Kataga-Sama.“ erwiderte Sesshoumaru und vermutete, dass Kataga genauere Umstände wissen wollte, womit er Recht behalten sollte. „Ist sie… wohlauf? Geht es ihr gut? Oder ist sie vielleicht sogar verletzt?“ „Nein, sie ist wohlauf.“ versicherte Sesshoumaru und Kataga nickte, wobei er seinen Gast auffordernd anblickte, sodass er fortfuhr: „Ich traf – wie gesagt – zufällig auf Eure Tochter und bot ihr meine Gastfreundschaft an.“ „Sie ist also Euer Gast?“ „Gewiss.“ stimmte Sesshoumaru zu. In Katagas Blick glaubte Sesshoumaru eine gewisse Missbilligung oder Vorsicht zu entdecken… oder bildete er sich das nur ein, da er unsicher war, da in diesem Moment alles von Katagas Wort abhing und er in dieser Situation nicht selbst die bestimmende Rolle einnahm? Sesshoumaru rief sich zur inneren Ruhe. Gerade in diesem Moment konnte er es sich nicht leisten, seinen Gedanken über eventuelle Komplikationen nachzuhängen, das wusste er. Er musste versuchen, Kataga zu überzeugen, ohne dass dieser bemerkte, dass ihn jemand überzeugen wollte, sonst konnte diese Situation schnell sehr heikel werden. „Verzeiht mir, dass ich erst nun, nachdem Ayashi sich schon einige Tage in Shimonoseki aufhält, das Gespräch mit Euch suche. Sicher hättet ihr es vorgezogen, Bescheid zu wissen, bevor ich sie nach Shimonoseki einlud und sie in mein Schloss kam, doch ich bitte Euch, mir diese Taktlosigkeit nachzusehen.“ „Sprecht weiter, Sesshoumaru-Sama.“ bat Kataga und unterstrich seine Worte mit einer knappen Geste mit der Hand. „Ich war so überrascht, Eure Tochter ganz allein in der Wildnis anzutreffen, dass ich sie mit meinem Angebot, mich nach Shimonoseki zu begleiten, wahrscheinlich überrumpelt habe.“ gab Sesshoumaru zu und fuhr gleich darauf fort: „Ja, ich denke, ich habe Eure Tochter bestimmt etwas zu sehr gedrängt, weshalb sie sich nicht vorher mit Euch besprochen hat. Ich übernehme hierfür natürlich gänzlich die Verantwortung.“ Sesshoumaru hielt einen Moment inne und neigte den Kopf. Er wusste, dass er Kataga täuschte, doch er hatte keine Wahl, denn offiziell wusste er nichts von den Streitigkeiten zwischen Ayashi und ihrem Vater, also konnte er nun eine Schuld übernehmen, die nicht seine Schuld sein konnte, und Kataga musste ihm – um vor sich selbst das Gesicht nicht zu verlieren – diese nicht vorhandene Schuld natürlich vergeben. „Ich bin mir sicher, dass Ihr nach Eurem besten Gewissen gehandelt habt.“ meinte Kataga zurückhaltend und Sesshoumaru nickte, während er sich innerlich freute, dass sein Plan aufging. „Ich fühle mich sehr geehrt, Eurer Tochter ein Quartier zu bieten, schon allein aus dem einfachen Grund, dass sie Eure Tochter ist und meinem geliebten Vater sehr nahe stand.“ Kataga nickte langsam und Sesshoumaru schwieg eine Weile, damit seine Worte in Katagas Bewusstsein dringen konnten. Kataga blieb ruhig sitzen und schien über Sesshoumarus Worte ernsthaft nachzudenken, doch er schien genauso sehr seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, die ihn weit vom eigentlichen Gespräch entfernten. Sesshoumaru blickte ihn nur schweigend an und ließ ihm Zeit, bis er wieder bereit war, das Gespräch fortzuführen. „Was versprecht Ihr Euch davon, Sesshoumaru-Sama? Was habt Ihr davon, dass sich meine Tochter in Eurem Schloss aufhält?“ fragte er schließlich. Sesshoumaru trafen diese Fragen etwas unvorbereitet, weshalb er wenige Augenblicke zögerte, ehe er sich fing. „Kataga-Sama, meine Absichten orientieren sich nicht an Vorteilen, die nur mir selbst zugute kommen.“ „Erklärt mir das, bitte.“ forderte Kataga ihn auf und Sesshoumaru nickte einverstanden. „Ich hoffe, ich habe Euch niemals Grund gegeben, an meiner hohen Meinung gegenüber Eurer Tochter zu zweifeln. Ich schätze sie in jeglicher Hinsicht, nämlich als Hime des Westlandes, dessen Eigenständigkeit von meinem Vater niemals angefochten wurde, und auch von mir niemals angerührt werden wird, und als Nachfolgerin eines wertvollen Verbündeten, der Ihr meinem Vater gewesen und nun mir seid.“ entgegnete er und wartete, bis Kataga nickte, ehe er meinte: „Ich kann mir vorstellen, dass es unserem Bündnis, Kataga-Sama, sehr zuträglich wäre, wenn Ayashi sich eine Zeit lang in Shimonoseki aufhalten würde. Ich möchte… Versteht mich nicht falsch, doch es scheint mir empfehlenswert, dass ich Eure Tochter näher kennen lerne, denn irgendwann – hoffentlich in ferner Zukunft – werden sie und ich wohl ebenso Verbündete sein, wie wir beide, Kataga-Sama, es nun sind.“ „Das ist wohl war.“ stimmte Kataga zu und fragte: „Wie wird dieses Kennenlernen aussehen, Sesshoumaru-Sama? Was genau schwebt Euch vor?“ „Nun, wenn Ihr es erlaubt, so würde ich ihr nun, da sie meine Achtung als Tochter eines Verbündeten bereits besitzt, auch die Achtung und Zuneigung schenken, die ihr als Tochter eines sehr engen Freundes gebührt.“ erwiderte Sesshoumaru und neigte noch einmal den Kopf. Er wusste, dass er Kataga bald soweit hatte, einzuwilligen, doch noch war es nicht soweit – noch musste er sich endgültig entscheiden. Kataga schwieg und antwortete lange nicht, sodass Sesshoumaru vorsichtig und höflich fragte: „Kataga-Sama, ich möchte nicht unhöflich erschienen, doch was sagt ihr nun zu meinem Vorschlag, dass Ayashi einige Zeit in Shimonoseki verbringt?“ „Welche Zeitspanne schwebt Euch vor?“ fragte Kataga und Sesshoumaru antwortete ausweichend: „Ich gewährte Eurer Tochter unbeschränktes Gastrecht. Vielleicht sollten wir diese Frage ganz ihr überlassen. Was mich betrifft, kann sie in Shimonoseki weilen, solange sie dies wünscht.“ „Das ist überaus großzügig.“ entgegnete Kataga und verfiel erneut in nachdenkliche Stille. „Was hat sie Euch erzählt?“ fragte Kataga nach einer Weile, in der beide geschwiegen hatten, und blickte Sesshoumaru forschend an. „Was meint Ihr, Kataga-Sama?“ stellte sich Sesshoumaru unwissend und legte den Kopf schief. „Weshalb sie unterwegs war… hat sie etwas gesagt? Hat sie Euch etwas über den Grund gesagt?“ „Nein, sie sagte nichts, doch ich nahm mir auch nicht heraus, sie nach ihren Gründen zu fragen. Ich nahm an, sie unternehme eine Reise, wie sie es schon zuvor tat – so hörte ich zumindest.“ „Ja, das stimmt in der Tat.“ murmelte Kataga und schwieg wieder. Sesshoumaru schwieg ebenfalls und wartete ab. Die Stille war zum Schneiden dick und plötzlich fühlte Sesshoumaru, wie ihm das Blut feurig durch den Körper rauschte und ihm heiß wurde. Hätte er vielleicht sagen sollen, was er über den Streit zwischen Vater und Tochter wusste? Hätte er deutlich machen sollen, dass dieser Streit ihn nichts anging? Hätte er die Sache ganz anders beginnen sollen? Hätte er… „Wisst Ihr, Sesshoumaru-Sama, meine Tochter und ich stritten uns an dem Tag, auf den hin sie Fukuoka verlassen hat.“ brach Kataga das Schweigen wieder. Sesshoumaru wagte nicht, etwas zu erwidern, und es war ihm, als hielte ihn eine unsichtbare, starke Hand genau so fest, wie er saß. Er durfte sich einfach nicht verraten. Er durfte nicht durchscheinen lassen, dass er im Bilde war. „Ein Streit, Kataga-Sama?“ entgegnete er zögerlich, worauf Kataga nickte. „Ja, ein ziemlich ernster Streit. Ich habe sie seit über fünf Jahren nicht gesehen und auch schon lange Zeit nichts mehr von ihr gehört.“ „Das tut mir leid zu hören.“ entgegnete Sesshoumaru, sagte aber nichts weiter, da Kataga offensichtlich weitersprechen wollte. „Ihr könnt Euch sicher vorstellen, dass ich sie gerne wieder in meine Arme schließen würde, doch unser Streit… ist nicht so leicht aus der Welt zu schaffen.“ meinte Kataga und überlegte einen kurzen Moment, ehe er fortfuhr: „Ich würde es sehr schätzen, wenn ich Ayashi in Shimonoseki in Sicherheit wüsste, Sesshoumaru-Sama. Ich gebe mein Einverständnis.“ Kapitel 103: ------------- Ayashi spürte eine große Langeweile in sich und bemühte sich mit eisernem Willen, ihren Geist und ihr Herz zur Ruhe zu zwingen. Seit dem Morgen war Sesshoumaru nun schon aus dem Schloss in Shimonoseki fort – und nun war es später Nachmittag, eher vielleicht schon Abend, denn die Sonne ging in diesen Tagen schneller unter. Sie wusste nicht genau, wie sie die langen Stunden des Tages geduldig hatte verstreichen lassen, doch sie konnte sich nicht erinnern, dass sie überhaupt etwas getan hatte. Sie hatte gewartet. Geduldig und ausharrend – und so, dass keiner bemerkte, dass sie auf Sesshoumarus Rückkehr wartete, denn am späten Vormittag hatte sie vorgegeben, dass ihr nicht ganz wohl sei, weshalb sie allein in ihren Gemächern geblieben war. Am Nachmittag teilte sie einer Dienerin mit, dass sie einen wohltuenden Spaziergang durch die ausgedehnten Gärten unternehmen wollte, der ihr helfen sollte, sich besser zu fühlen. Ayashi blickte in den Himmel. Über ihr zog ein Schwarm Vögel gleichförmig und einheitlich über den trüben Himmel und wechselte einige Male schnell und wendig die Flugrichtung. Der Winter würde nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen, wusste Ayashi und seufzte. Ein weiteres Jahr war verstrichen, und es schien ihr schneller vergangen zu sein als dieser eine Tag, der sich scheinbar endlos hinzog. Es gab nichts Schlimmeres als zu warten! Ihr Blick glitt wieder herab und streifte die niedrigen Büsche und Bäume, die sich immer wieder zu atemberaubenden Ausblicken aus das Gelände öffneten und wunderschöne Teiche mit verzierten Brücken, verschlungene Wege, filigrane Pavillons und steinerne Statuen auftauchen ließen. Ayashi erinnerte sich noch gut an die blühende Pracht der Gärten, denn sie hatte sie oft mit Inu-no-taishou beschritten, doch selbst nun, da jede Blüte verschwunden war und sich die Pracht und der Reichtum auf Schattierungen von Grün und Braun beschränkten, kam ihr der Garten herrlich vor. „Verzeiht, Ayashi-Sama… Darf ich näher treten?“ fragte Yaken, der in einiger Entfernung stehen geblieben war und sich tief verneigte. „Tritt’ näher, Yaken.“ gewährte Ayashi und er eilte mit kleinen, flinken Schritten zu ihr. Ayashi warf ihm einen auffordernden Blick zu und setzte sich auf die Bank, auf der sie an diesem Tag schon einige Male gesessen hatte, von der sie aber auch immer wieder aufgestanden war, um durch die Gärten zu spazieren. Sie wusste nicht mehr genau, wie oft sie sich auf eine Bank gesetzt hatte, nur um festzustellen, dass sie es nicht aushielt, im Sitzen auf Sesshoumaru zu warten. Sie hatte herumgehen müssen. „Die Dienerinnen sagten mir, Ihr fühlt euch nicht wohl?“ erkundigte Yaken sich vorsichtig und Ayashi wunderte sich etwas darüber, dass er erst jetzt damit zu ihr kam, denn das ließ darauf schließen, dass er es nun erst erfahren hatte. „Es geht mir schon wieder viel besser, danke.“ entgegnete Ayashi und lieferte ihm keine weiteren Erklärungen, da sie das nicht musste. „Es ist mir ein Bedürfnis, Euch zu versichern, dass Ihr stets – zu jeder Tages - und Nachtzeit - mit allen Wünschen nach meinen Diensten verlangen könnt.“ Ayashi nickte nur knapp. Yakens Anwesenheit störte sie nicht direkt, doch sie war mit ihren Gedanken eh bei Sesshoumaru. Die Abenddämmerung legte sich sacht über die Gärten und ließ die einzelnen Konturen der Gewächse und des Geländes ineinander verschwimmen. „Habt Ihr im Moment einen Wunsch, Ayashi-Sama?“ fragte Yaken und Ayashi schüttelte den Kopf. Es war Abend… bald würde es Nacht – und noch immer gab es keine Neuigkeiten oder auch nur den kleinsten Hinweis, dass Sesshoumaru zurückkommen würde oder erreicht hatte, worum er sich bei Kataga hatte ermühen wollen. Yaken nickte, verneigte sich und wollte sich zum Gehen wenden, als Ayashi plötzlich meinte: „Hast du eine Vermutung, wann Sesshoumaru-Sama von seinem Termin zurück sein wird?“ „Nein, Ayashi-Sama… Er machte keine Angaben über die Dauer seiner Abwesenheit.“ gab Yaken Auskunft und wollte neugierig wissen: „Wieso fragt Ihr, Ayashi-Sama?“ „Du musst wissen, dass ich meinen Vater seit längerer Zeit nicht gesehen habe. Es verlangt mich nun geradezu danach, von Sesshoumaru-Sama Neuigkeiten über meinem geliebten Vater und seinem Befinden zu hören, denen ich Glauben schenken kann, denn bisher war ich auf Gerüchte angewiesen.“ „Wieso habt Ihr Euren Vater so lange nicht gesehen? Warum geht Ihr nicht zu ihm? Warum habt Ihr Sesshoumaru-Sama nicht nach Fukuoka begleitet?“ „Yaken, meine Gründe entziehen sich deinem Interesse.“ gab Ayashi zwar nicht unhöflich, jedoch bestimmt zurück, denn ihre Beweggründe hatten ihn tatsächlich nicht zu interessieren, und die Distanzlosigkeit seiner Fragen ärgerte sie ein wenig. „Verzeiht mir, Ayashi-Sama!“ bat er schnell und verneigte sich so tief, dass seine spitzen Lippen beinahe den Boden berührten. „Ihr wart bestimmt lange auf Reisen und in weiter Entfernung.“ nahm er an und sie nickte leicht. Ayashi streifte Yaken mit einem kurzen Blick und wandte sich dann wieder der Dunkelheit der Gärten zu. Ihretwegen konnte sich der kleine Diener nun zurückziehen. Sie hatte ihm nichts mehr zu sagen und er hatte keine Neuigkeiten über Sesshoumaru. Das bedeutete für sie, dass ihr Warten noch nicht beendet war. „Es ist bedauerlich, dass Ihr dann wohl auch von anderen Dingen nur durch das Geschwätz Dritter erfahren habt.“ murmelte Yaken und erreichte damit wieder Ayashis volle Aufmerksamkeit. Welche anderen Dinge? War etwa etwas geschehen, das sie unbedingt wissen sollte, das Sesshoumaru ihr bisher verschwiegen hatte, das vielleicht sogar mit den ‚nicht guten Nachrichten’ zu tun hatte? Ayashi biss sich kurz und heftig auf die Lippen und fragte mit ruhiger Stimme: „Von welchen anderen Dingen sprichst du, Yaken?“ „Oh, Ayashi-Sama… Ich wollte Euch nicht verärgern… oder beunruhigen.“ „Das hast du bestimmt nicht.“ versicherte sie und forderte ihn auf: „Sprich! Welche anderen Dinge meinst du?“ „Ich weiß nicht genau, wie lange Ihr auf Reisen wart…“ begann er, Ausflüchte zu machen, und Ayashi entgegnete sofort: „Ungefähr fünf Jahre. Ich verließ Fukuoka ziemlich direkt nach Inu-no-taishou-Samas Tod.“ Yaken zuckte merklich zusammen und senkte traurig den Blick, als Ayashi seinen alten Herrn erwähnte, der ihm tatsächlich sehr zu fehlen schien. „Dann habt Ihr vielleicht gehört, dass diese Sterbliche…“ „Izayoi.“ korrigierte Ayashi automatisch und Yaken nickte. „Izayoi… schwer krank war.“ „Ja, davon hörte ich.“ gab Ayashi zu und wunderte sich etwas darüber, dass Yaken gleich als erstes von Izayoi zu sprechen begonnen hatte, da er doch wahrscheinlich die allgemeine Meinung über sie teilte. „Wie geht es Izayoi heute?“ fragte sie deshalb weiter und Yaken zögerte. „Sie ist tot.“ antwortete er schließlich und Ayashis Augen weiteten sich etwas vor Entsetzen. Tot? Ja, natürlich war das nicht ausgeschlossen gewesen, als sie die Bauern über Izayoi hatte sprechen hören. Wenn sie ehrlich war, dass hatten die beiden ja schon so gesprochen, als sei ihr Tod nur noch eine Frage der Zeit gewesen. Und natürlich war es das bei Sterblichen immer – eine Frage der Zeit und der Umstände. Und dieses Risiko, durch eine Krankheit so schnell hinweggerafft zu werden, bestand bei Sterblichen tatsächlich immer, doch was war aus Inuyasha geworden, wenn seine Mutter so früh gestorben war? „Und Inuyasha?“ wollte sie deshalb wissen, sobald sie wieder fähig war, einen klaren Gedanken zu fassen und auszudrücken. „Er befindet sich noch im Dorf.“ gab Yaken Auskunft und Ayashi schüttelte den Kopf. Wieso sollte sich Inuyasha noch in dem Dorf aufhalten, in dem er so verachtet worden war? Was hielt ihn dort? Warum hatte Inuyasha das Dorf nicht verlassen? Nein, sie wusste, dass das die falschen Fragen war, denn was würde ein junger Hanyou ganz allein in der Wildnis tun? Noch konnte er mit dem Leben nicht alleine zurecht kommen. Noch brauchte er jemanden, der ihm half. Die richtige Frage war: Warum hatte Sesshoumaru Inuyasha nun nicht zu sich geholt? Nun hatte er die Möglichkeit gehabt, denn Izayoi war verstorben. Er hatte sich doch damals so sehr über ihren Entschluss geärgert, mit Inuyasha zu ihrer Familie zurückzukehren, da er genau gewusst hatte, was dies für seinen kleinen Halbbruder bedeutet würde: Verachtung, Misstrauen und Feindseligkeit. Er hatte doch versucht, genau dies zu verhindern, bis sie wirklich in die Burg ihres Vaters zurückgekehrt war. Nein, sie konnte sich nicht vorstellen, dass Sesshoumaru ihn im Dorf gelassen hatte. Immerhin war er der einzige, noch lebende Verwandte, der sich wirklich darum sorgte, was aus Inuyasha wurde und mit ihm geschah, davon war Ayashi auch nun noch überzeugt, obwohl sie Inuyasha in Shimonoseki weit und breit nicht sah. „Lass’ mich allein, Yaken.“ bat Ayashi, worauf sich Yaken sofort zurückzog. Ayashi blickte in den bewölkten Nachthimmel, an dem durch die Wolken nur eine kleine Spitze der Mondsichel sichtbar wurde. Ein kühler Windhauch kam auf und zerrte lange Augenblicke an Ayashis Kimono. Izayoi war nun tatsächlich Inu-no-taishou in das Schattenreich gefolgt und hinterließ einen kleinen Jungen, der seinen Vater niemals kennen lernen und sich an seine Mutter vermutlich in nur sehr schwach erinnern würde. Tränen stiegen in ihr auf und rannen ihre Wange hinab, während in weiter Ferne das Heulen eines einsamen Wolfes klagend die Stille durchbrach. Kapitel 104: ------------- Sesshoumaru brach erst sehr spät von Fukuoka auf und beeilte sich sehr auf dem Rückweg nach Shimonoseki. Er konnte nicht glauben, dass die Zeit bei Kataga so schnell vergangen war, wenn ihm jede Sekunde endlos erschienen war – nicht weil es schlimm und anstrengend war, sich mit Kataga zu unterhalten, sondern weil er, Sesshoumaru, immer gefürchtet hatte, dass Kataga Verdacht schöpfen könnte. Doch er war nun sicher, dass es nicht so war. Kataga schätzte ihn als Verbündeten und Freund. Das war alles. Sesshoumaru schüttelte leicht den Kopf und blickte sich auf dem sanften Hügel noch einmal nach dem erleuchteten Schloss in Fukuoka um. Sobald die Nacht hereingebrochen war, waren in den Höfen des Schlosses rote Lampions entzündet worden, deren Schein auch aus der Entfernung einladend leuchtete. Neben den Toren brannten Fackeln, die im leichten Wind in der Dunkelheit flackerten. Diese Gegend war Ayashis Heimat und der Schlossherr war ihr geliebter Vater. Ob sie das alles hier sehr vermisste? Sesshoumaru war sich dessen sehr sicher. Die Familie war sehr wichtig, nicht nur wenn es um Fragen der Nachfolge und Politik ging. Familie sollte an oberster Stelle stehen, fand Sesshoumaru. Er hatte seinen Vater durch einen Kampf verloren, doch Ayashis Vater lebte noch. Langsam wandte er sich um und warf einen Blick in den Himmel. Die Sterne funkelten und der Mond stand bereits hoch am Himmel. Es war falsch, dass sie sich mit ihrem Vater entzweit hatte, auch wenn er wusste, dass es irgendwann dazu hatte kommen müssen. Die Heimlichkeit ihrer Beziehung und Ayashis starker Wille… Nein, es war wirklich vorauszusehen gewesen, dass Ayashi sich in diesem Punkt dem Willen ihres Vaters widersetzen würde. „Zum Glück!“ murmelte Sesshoumaru bei sich und fühlte das Gefühl der Machtlosigkeit in sich aufsteigen, als er daran dachte, was er in den Jahren empfunden hatte, als er Ayashi am Kaiserhof und in den Armen eines anderen geglaubt hatte. Die helle, silberne Sichel warf ihr Licht auf Sesshoumaru herab, als er den Entschluss fasste, Ayashi auf jeden Fall wieder mit ihrem Vater zu versöhnen und zu vereinen – koste es, was es wolle. Ayashi fühlte plötzlich, dass Sesshoumaru sich dem Schloss näherte. Sie saß schon lange in ihren Gemächern, da es draußen allmählich zu unangenehm geworden war, seit ein kühler Wind wehte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, da sie nun bald wusste, wie ihre nähere Zukunft aussehen würde. Warum hatte er seine Youkai-Energie nicht unterdrückt? Welche Nachricht würde Sesshoumaru bringen? Es brachte sie fast um, doch Ayashi wusste, dass sie ihre Gemächer nicht verlassen durfte. Sie spürte, wie Sesshoumaru immer näher und näher kam, während sie in die Stille im Schloss lauschte, die allmählich verschwand und aufgeregten, schnellen Schritten der Beamten und Diener wichen, die den Schlossherrn begrüßen wollten oder seine Gemächer noch einmal überprüften. Ayashi atmete tief durch und biss sich auf die Lippen. Sie erinnerte sich nicht daran, jemals in ihrem Leben so aufgeregt gewesen zu sein. Es schien ihr, als presste jemand ihre Kehle zu, drückte ihren Oberkörper zusammen, da ihr das Schlucken und Atem so unglaublich schwer fiel. Einen kurzen Moment lang schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf die Geräusche, die sie im Schloss höre. Schritte. Das Klirren von Geschirr. Leise und doch energische Stimmen der Dienerinnen, die sich gegenseitig Anweisungen gaben, damit auch mit Sicherheit alles vorbereitet war… Ayashi schüttelte den Kopf, da sie die Aufregung nicht verstand, denn immerhin war Sesshoumaru nur einen Tag unterwegs gewesen. Was konnte er da schon für einen Empfang erwarten? Eine kleine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sich wieder eine herrschaftliche Stille über das Schloss legte. Die Diener waren verstummt und hatten sich wieder zurückgezogen, um dem Herrn und seinen Beamten unsichtbar zu Diensten zu sein und ihn durch ihre Anwesenheit nicht zu stören. Ayashi hörte gespannt, doch sie hörte nur undeutliche Stimmen, die sie nicht zuordnen konnte, die sich aber langsam ihren Gemächern näherten. Endlich hörte sie seine Stimme! Ruhig und gelassen und durch die Tür etwas gedämpft. „Ich werde Ayashi-Sama die Neuigkeiten selbst mitteilen. Ihr könnt euch zurückziehen.“ sagte er und Ayashis Herz setzte mehrere Schläge aus. Das klang nicht gut. Seine Stimme klang wahrlich nicht gut. Irgendetwas musste schief gegangen sein. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Das durfte doch nicht wahr sein! Ayashi erhob sich aufgeregt und schritt nervös einige Schritte hin und her, während sie sich fragte, warum Sesshoumaru nicht eintrat. Gut, vielleicht musste er warten, bis sich die Beamten ein Stück entfernt hatten… vielleicht ordnete er auch seine Kleidung noch einmal, aber… Sesshoumaru sammelte sich und stützte sich mit einer Hand neben der Tür ab. Er hatte sich auf dem Rückweg beeilt, um Ayashi die gute Nachricht so schnell wie möglich überbringen zu können, doch seine Berater und Beamten hatten weniger gute Nachrichten für ihn gehabt, sobald er durch das Schlosstor getreten war. Doch damit wollte er Ayashi nun nicht behelligen. Das hatte noch Zeit, wenn es überhaupt sein musste. Langsam schüttelte er den Kopf, warf noch einmal einen Blick den Gang entlang, um sicher zu gehen, dass jeder wie er es wünschte, sich zurückgezogen hatte, und schob dann vorsichtig die Tür zu Ayashis Gemächern auf. Sie musste sowieso schon gehört haben, wie er mit den Beamten gesprochen hatte. Sie erwartete ihn bereits – natürlich. Ihr Blick heftete sich sofort auf ihn, als er hinter der Tür zum Vorschein kam und langsam in ihre Gemächer trat. Obwohl das Licht nicht sehr hell war, konnte sie sehen, dass seine Gesichtszüge ruhig und entspannt waren, doch das hieß noch lange nichts. Sie hatte inzwischen gelernt, dass er seine Emotionen und Gedanken äußerst gut verbergen konnte, wenn er das wünschte. „Sesshoumaru?“ fragte sie und bemerkte, dass ihre Stimme zittrig klang, weshalb sie schluckte und sich zusammenriss. Sesshoumaru blickte sie stumm an und zog sie schließlich in seine Arme. Ayashi hielt den Atem an und drückte ihr Gesicht in seine Brust. Es stimmte also: Ihr Vater wollte nicht, dass sie… „Ayashi, was hast du? Du zitterst.“ bemerkte Sesshoumaru und löste sich etwas von ihr, sodass er ihr in das Gesicht sehen konnte. Sie blieb ihm eine eindeutige Antwort schuldig, denn sie schüttelte nur den Kopf, und Sesshoumaru war genauso schlau wie zuvor. Ayashis Augen schimmerten feucht. „Das sind… sind das jetzt Freudentränen?“ fragte er ratlos und sie blickte ihn verständnislos an. „Wieso… sollen das… Sesshoumaru…“ meinte sie und winkte ab, da sie bemerkte, dass sie keinen vernünftigen Satz herausbrachte. „Ayashi, sprich’ mit mir! Was ist geschehen?“ bat er sie noch einmal, als sie sich von ihm abwandte. Ayashi hatte Mühe, ihre Gedanken zu ordnen. Er fragte sie, was geschehen war? Er fragte sie? Sie verstand überhaupt nichts mehr und drehte sich wieder zu ihm um. „Sesshoumaru, was für eine Antwort bringst du von meinem Vater?“ fragte sie schließlich, da sie es hören musste. „Er ist einverstanden…. Was sonst?“ entgegnete er und zog eine Augenbraue hoch, als Ayashis Augen sich weiteten. „Und warum sagst du das nicht – um Himmels Willen!“ rief sie halb lachend und schüttelte den Kopf, ehe sie ihm stürmisch um den Hals fiel und er seine staken Arme um sie schloss. „Was dachtest du denn?“ fragte er immer noch ein wenig verwirrt und Ayashi lachte leise. „Ich dachte, er hätte deiner Bitte nicht stattgegeben.“ erklärte sie schnell. „Wieso das denn?“ wollte er wissen, wobei in seiner Stimme ein unverständiger Ton mitschwang. Ayashi löste sich ein wenig von ihm und blickte ihm direkt in das Gesicht, als wolle sie überprüfen, ob er sich das wirklich nicht denken konnte. Schließlich meinte sie: „Sesshoumaru, ich habe den ganzen Tag auf eine Nachricht von dir gewartet und bin dabei beinahe wahnsinnig geworden. Dann fühle ich, dass du dich näherst und deine Kraft nicht einmal ein wenig unterdrückst. Ich höre die Geräusche im Schloss und schließlich ihr Verstummen, was mir bedeutet, dass du angekommen bist. Als nächstes höre ich, wie du mir die Nachricht alleine überbringen wirst – und das sagst du mit einer Stimme, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Dass ich dich kurz darauf sehe, nachdem du gezögert hast einzutreten, bringt mir auch nicht sonderlich viel, denn du scheinst so distanziert, als ob du schon darüber nachdenkst, wie du mir jetzt sagen sollst, dass mein Vater sich weigert, seine Erlaubnis zu geben… Und dann sagst du mir nicht, was mein Vater gesagt hat, sondern ziehst mich nur in deine Arme, als könntest du nichts sagen, sondern wolltest mich gleich trösten und mich davon überzeugen, wie sehr du bedauerst, dass du es nicht geschafft hast, meinen Vater…“ Ayashi unterbrach sich selbst, da ihr langsam die Luft ausging, und sah, dass Sesshoumaru sich sein Lächeln nicht länger verkneifen konnte. Sie atmete tief ein und blickte ihn an. „Du weißt, worauf ich hinaus will… Wie hätte ich unter den Voraussetzungen nicht zu dem Schluss kommen sollen, dass ich Shimonoseki wieder verlassen und mich von dir verabschieden muss?“ „Es tut mir leid.“ meinte er mit ernster Stimme, doch seine Augen funkelten belustigt. „Glaub’ bloß nicht, dass damit wieder alles gut ist!“ gab sie schmunzelnd zurück und blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an, um nicht in Lachen auszubrechen. „Nein, auf diesen Gedanken würde ich niemals kommen.“ ging er auf ihre Worte ein. „Also… was wirst du tun, um dein Verhalten wieder gut zu machen… und meine Vergebung zu verdienen?“ fragte sie und ließ sich von ihm näher heranziehen. „Ich denke, da fällt mir schon etwas ein.“ versprach er, streichelte zärtlich ihre Wange und senkte seine Lippen liebevoll auf ihren Mund hinab. Kapitel 105: ------------- Ayashi hatte ihren Kopf auf Sesshoumarus nackte Brust gelegt und genoss das Gefühl seiner warmen Haut und seiner sicheren Arme, die er um ihren Oberkörper geschlungen hatte. Sie hatten sich leidenschaftlich geliebt – und obwohl sie niemals ernsthaft von ihm erwartet hatte, dass er ihre Vergebung verdienen musste, hatte er sie sehr verwöhnt. Allerdings hatte sie darauf bestanden, ihn ebenfalls zu verwöhnen. Ayashi hörte sein Herz noch ein wenig beschleunigt schlagen und musste lächeln, was er spürte, denn er fragte leise: „Was amüsiert dich?“ „Nichts.“ Sesshoumaru hob leicht den Kopf und sah, dass sie in der Tat in sich hinein lächelte und meinte: „Du lächelst aber.“ „Ja.“ gab Ayashi zu und strich mit ihren Fingerspitzen über seinen Bauch, sodass seine Muskeln zitterten. „Ohne Grund?“ hakte er nach und hielt ihre Hand fest, da sie ihn ein wenig kitzelte. Ihre Finger verhakten sich ineinander und Sesshoumaru strich mit seinem Daumen über ihre Fingerknöchel. „Nein, nicht ohne Grund. Ich fühle mich einfach nur sehr wohl, wenn ich in deinen Armen liege. Ich bin sehr glücklich und könnte alles andere um mich herum vergessen.“ seufzte Ayashi und küsste ihn auf die Brust. „Du könntest es, aber du machst dir trotzdem deine Gedanken, oder?“ stellte Sesshoumaru fest und Ayashi nickte. „Worüber denkst du nach?“ wollte er wissen und Ayashi zögerte kurz, da sie nicht sicher war, ob das der geeignete Moment war, um über das zu sprechen, was ihr auf der Seele brannte. „Yaken hat mir von Izayois Tod berichtet.“ meinte sie schließlich, nachdem sie sich dafür entschieden hatte. Sesshoumaru sagte nichts, sondern stöhnte nur leise auf, als wolle er sagen, dass er jetzt überhaupt keine Lust hatte, über dieses leidige Thema zu sprechen. Ayashi biss sich auf die Lippen und schwieg, da sie der Meinung war, dass Sesshoumaru dem Thema nicht ewig ausweichen konnte, doch sie ihn auch nicht drängen wollte. „Ayashi, wie wichtig ist dir dieses Gespräch?“ fragte er nach einer Weile und sie richtete sich ein wenig auf, damit sie ihm ins Gesicht blicken konnte. „Sehr. Es ist mir sehr wichtig, Sesshoumaru.“ gab sie zu und er blickte ihr einen Moment direkt in die Augen, ehe er zögerlich nickte. Ayashi wusste, dass er jetzt über seinen Schatten springen würde, und ihr erzählen würde, was sie wissen wollte, also legte sie sich wieder nieder. „Sie war seit dem Tod meines Vaters immer wieder schwer krank Es ging ihr immer wieder besser und schlechter, habe ich gehört. Vor sieben Monaten ungefähr ist sie schließlich gestorben.“ berichtete Sesshoumaru sachlich und Ayashi nickte. „Ich habe zu Beginn meiner Reise gehört, wie sich zwei Männer über ihren Zustand unterhalten haben, aber ich hatte keine Ahnung, dass sie inzwischen gestorben ist.“ „Es war wohl schon lange damit zu rechnen, aber Genaueres weiß ich nicht. Von ihrem Tod habe ich nur durch Dritte erfahren, da ich in der letzten Zeit nicht selbst ein Auge auf Inuyasha haben konnte.“ „Du warst zu beschäftigt?“ fragte Ayashi und beherrschte sich, ihm einen Vorwurf zu machen, denn ihrer Meinung nach konnte er doch wohl die Zeit finden, ein Auge auf seinen kleinen Halbbruder zu haben. „Ja, Ayashi. Das ist der eine Grund.“ meinte Sesshoumaru, wobei er keinen Zweifel daran ließ, dass ihm nicht entgangen war, dass Ayashi das gar nicht verstand. „Und der andere?“ wollte Ayashi wissen und löste sich von ihm. Sesshoumaru wollte sie bei sich halten und war versucht, sie wieder zu sich zu ziehen, doch er bemerkte, dass sie sich neben ihn auf die Seite legte und den Kopf auf einem Arm abstützte, sodass sie ihn besser ansehen konnte. Er wandte den Kopf zu ihr und hielt ihrem Blick stand, als er antwortete: „Die Jahre bei den Menschen haben ihn geprägt, Ayashi.“ „Hast du etwa etwas anderes erwartet?“ fragte sie nach, worauf er den Kopf schüttelte und zur Decke blickte. „Nein, doch ich hätte nicht erwartet, dass mein Bruder schreiend und ängstlich vor mir davon läuft, wenn er mich sieht.“ antwortete Sesshoumaru mit gepresster Stimme. „Ist das geschehen? Wann?“ „Ja, es ist geschehen, als ich ihn nach dem Tod seiner Mutter sehen wollte.“ „Du bist zum Schloss gegangen?“ Sesshoumaru nickte langsam und Ayashi zog eine Augenbraue hoch. „Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn ich nicht alles mit Fragen aus dir herauskitzeln müsste.“ bemerkte sie und Sesshoumaru wandte den Blick zu ihr. „Ich war nach Izayois Tod im Schloss und wollte Inuyasha mit mir nehmen. Du weißt, wie die Gesetze sind, sowohl bei Youkai als auch bei Menschen: Das unmündige Kind ‚gehört’ nach dem Tod der Eltern dem nächsten Verwandten. Das bin in dem Fall ich als Bruder, aber ich bezweifle ohnehin, dass Izayois Vater überhaupt Anspruch auf seinen Enkel erhoben hätte.“ Ayashi nickte, als Sesshoumaru eine kurze Pause machte, als wolle er sich die Ereignisse des Tages noch einmal genau in Erinnerung rufen. „Ich wollte ihn mit mir nehmen, Ayashi. Natürlich wusste ich, dass es nicht einfach sein würde, da er mich kaum kennt und auch seine Legitimation als Sohn meines Vaters vor dem Rat von Kyoto schwierig ist, aber… ich war davon überzeugt, dass es schon irgendwie gehen würde. Ja, das war ich wirklich, aber da habe ich meine Rechnung ohne Inuyasha selbst gemacht… oder seine Vergangenheit, die er bisher hat.“ Sesshoumaru machte noch einmal eine Pause und wandte unruhig den Blick zur Decke und wieder zu Ayashi zurück, die stumm blieb. Sie wusste, dass er nun weiter sprechen würde, wenn er bereit dazu war. „Als Inuyasha mich an jenem Tag sah, schrie er plötzlich und war außer sich. Die Leute brachten ihn zwar zu mir, doch er ließ sich nicht beruhigen. Es war nicht so, dass er völlig aufgelöst war und er den Tod seiner Mutter noch nicht einmal in Ansätzen akzeptiert hatte, es lag an mir. Er sah mich und tobte. Ich habe selten jemanden so schreien hören und in seinen Augen lag das blanke Entsetzen. Er hatte Angst vor mir.“ Ayashi kniff die Augen zusammen, da sie versuchte, sich aus Sesshoumarus Worten zu erschließen, was der Grund für Inuyashas Verhalten gewesen war, doch sie schaffte es nicht. „Ich verstehe das nicht.“ gab sie zu und er nickte. „Er wollte sich überhaupt nicht beruhigen. Die ganze Zeit faselte er nur etwas davon, dass solche Ungeheuer wie ich Schuld am Tod seiner Mutter seien… Wie auch immer… Du kannst dir vorstellen, dass meine Anwesenheit nicht sonderlich hilfreich war. Ich konnte machen was ich wollte, aber er nahm keine Vernunft an.“ „Ja, ich kann es mir denken.“ stimmte Ayashi zu und meinte: „Warum denkt er nur so… Ich meine, du warst doch ab und zu dort und hast ihm dein Wohlwollen gezeigt, oder nicht? Daran muss er sich doch erinnern.“ „Vielleicht erinnert er sich tatsächlich nicht daran. Er war noch jünger und vielleicht geraten die Erinnerungen an die ersten Lebensjahren bei Hanyou wie bei Menschen eher in die Vergessenheit.“ „Ja, das ist möglich, aber ob er wirklich alles vergessen hat? Das kann ich mir kaum vorstellen.“ entgegnete Ayashi und Sesshoumaru zuckte die Schultern. „Ich kann nur vermuten, dass das Gerede der Leute über meinen Vater, auch in Inuyashas Bewusstsein gedrungen ist und ihn und sein Denken und Empfinden jetzt prägt. Bei Izayois Leuten war er ja immer nur das Monster, das Ungeheuer…“ erwiderte Sesshoumaru und beendete seinen Satz nicht. Ayashi nickte traurig und streichelte Sesshoumaru über die Wange, weshalb er die Augen schloss. „Jetzt verstehe ich, warum Inuyasha nicht hier ist.“ flüsterte sie und küsste Sesshoumaru auf die Stirn. „Ich dachte, du wolltest ihn nicht hier haben, als mir Yaken davon erzählt hat, dass er sich noch im Dorf des Schlosses aufhält.“ gab sie zu und Sesshoumaru öffnete seine Augen wieder. „Das dachtest du?“ fragte er noch einmal nach und Ayashi nickte etwas schuldbewusst. „Ich konnte mir nicht erklären, warum er dort geblieben ist. Weißt du, ich habe einmal gesehen, wie sie ihn behandeln. Ich konnte … Ja, ich konnte es mir einfach nicht erklären.“ Sesshoumaru nickte und strich Ayashi eine Haarsträne aus der Stirn. „Ich hätte ihn lieber hier, das kannst du mir glauben, als ihn dort zu wissen, aber ich kann ihn nicht packen und hierher schleppen.“ „Was hast du in der Hinsicht noch vor? Ich meine, ich kann es mir schlecht vorstellen, dass sich die Sache für dich damit erledigt hat.“ „Du hast Recht. Ich werde immer wieder nach ihm sehen, wie ich es auch bisher getan habe. Vielleicht fasst er irgendwann Vertrauen zu mir. Bis dahin… Hm, bis dahin kann ich nicht mehr machen, als dafür zu sorgen, dass es ihm an nichts fehlt, oder?“ „Nein, mehr kannst du wahrscheinlich tatsächlich nicht machen.“ stimmte Ayashi zu und nickte. „Wieso hast du mir nichts von Izayois Tod erzählt?“ fragte sie, weil sie auf diese Frage noch eine Antwort brauchte. „Ich dachte, du hättest schon genug durchgemacht in der letzten Zeit und außerdem wollte ich erst die Angelegenheit mit deinem Vater klären, bevor wir uns damit beschäftigen.“ „Ich verstehe.“ meinte Ayashi nachdenklich und Sesshoumaru sah ihr an, dass sie einen Gedankengang zu Ende führte, weshalb er sie nicht störte. „Was hältst du davon, wenn ich versuche, an Inuyasha heranzukommen? Ich meine natürlich nur, wenn es sich anbietet, aber ich bin nun einmal eine Frau und könnte erfolgreicher sein als du.“ schlug sie vor und Sesshoumaru blickte sie überrascht an, ehe er meinte: „Ich wäre dir sehr dankbar, meine geliebte Ayashi, wenn du das für mich tun könntest.“ Ayashi lächelte und ließ sich von Sesshoumaru in einen liebevollen Kuss ziehen, nach dem sich Sesshoumaru von Ayashi verabschiedete, er ihr jedoch versprach, spätestens am Abend wieder zu ihr zu kommen. Kapitel 106: ------------- Innerhalb der nächsten Tage musste Sesshoumaru nach Kyoto aufbrechen, um an der Ratssitzung teilzunehmen, in der unter anderem Ayashis Aufenthalt in Shimonoseki ein Thema war. Bevor er aufbrach, trat er noch einmal in Ayashis Zimmer, die ihn von ihrem Vorhaben unterrichtete, dass sie die Zeit nutzen wollte, um sich zu dem Dorf aufzumachen, in dem Inuyasha in der letzten Zeit gelebt hatte. „Ich finde nicht, dass du allein gehen solltest, Ayashi.“ sagte Sesshoumaru nach einer Weile, doch Ayashi ging nicht richtig auf seine Einwände ein. „Du hast gesagt, er habe schreckliche Angst vor dir gehabt. Es wird besser sein, wenn er uns erst einmal nicht miteinander sieht.“ meinte Ayashi und machte es sich auf ihrem Lager bequemer. Sesshoumaru setzte sich ebenfalls hin und betrachtete sie ausgiebig, ehe er meinte: „Es gefällt mir nicht, Ayashi. Ich bin für deine Sicherheit verantwortlich…“ „Sesshoumaru, für meine Sicherheit bin ich selbst verantwortlich. Ich brauche nach meinem Vater nun keinen anderen Mann, der auf mich Acht gibt. Das schaffe ich schon alleine.“ versicherte sie. „So war das auch nicht gemeint, aber…“ begann Sesshoumaru, doch Ayashi brachte ihn durch einen eindringlichen Blick zum Schweigen und er lachte leise. „Ja, ich weiß, dass du das alleine schaffst.“ gab er schließlich nach und Ayashi beugte sich zu ihm, um ihn leicht auf die Lippen zu küssen. „Es ist besser, Sesshoumaru, wenn ich alleine mit ihm rede. Ich hoffe, ihn irgendwo im Wald anzutreffen oder ein wenig außerhalb des Dorfes.“ „Ja, dann wären zumindest die Menschen nicht dabei.“ schloss sich Sesshoumaru an und Ayashi nickte. „Bist du sicher, dass ich nicht mit nach Kyoto kommen soll?“ fragte sie nach einer kurzen Zeit des Schweigens und Sesshoumaru nickte. „Ja, Ayashi. Du wirst es nicht glauben, aber ich brauche auch keine Frau, die auf mich Acht gibt.“ gab er grinsend zurück und Ayashi rollte die Augen. Sie ersparte es sich, seine Worte zu wiederholen und zu sagen, dass das nicht so gemeint war, und meinte stattdessen: „Wird das nicht nötig sein? Ich meine… immerhin geht es auch um mich.“ „Es wird trotzdem nicht nötig sein, und darüber solltest du froh sein.“ entgegnete Sesshoumaru und Ayashi blickte ihn fragend an, weshalb er erklärte: „Wenn sich dein Vater und ich nicht geeinigt hätten, hätte noch die Möglichkeit bestanden, dass du selbst deinen Wunsch äußerst und ihn vor dem Rat vertretbar machst.“ „Das wusste ich überhaupt nicht.“ gab Ayashi zu und wollte wissen: „Wusstest du das? Also, schon länger, meine ich.“ „Ich wusste, dass es diese Möglichkeit gibt, aber… sagen wir es so: Es ist eine Möglichkeit, die ich unter allen Umständen vermeiden wollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Rat hinter deinem Vater stünde und nicht hinter dir, wäre zu groß gewesen.“ „Natürlich. Warum sollten sie auch auf meine Wünsche eingehen, wenn sie meinem Vater zu einem großen Teil die Treue geschworen haben, oder ihn zumindest nicht verärgern wollen?“ erwiderte Ayashi und erwartete keine Antwort. Sesshoumaru nickte leicht und ließ seine Hand zärtlich durch ihr Haar streichen. Es gefiel ihm immer noch nicht, dass sich Ayashi alleine zur Burg von Izayois Familie aufmachte, aber er hütete sich davor, noch einmal etwas dagegen zu sagen. Sie war eben seine Ayashi – und er liebte sie auch wegen ihrer Unabhängigkeit und ihrem starken Willen. „Ayashi?“ fragte Sesshoumaru und sie blickte ihn aufmerksam an, ohne etwas zu sagen. „Ich möchte die Nachtwache für meinen Vater durchführen, wenn ich aus Kyoto zurückkomme. Wirst du sie immer noch mit mir verbringen?“ „Ja, Sesshoumaru. Ich werde in dieser Nacht an deiner Seite sein.“ versprach sie und er nickte, ehe er sie zu sich zog und in die Arme schloss. „Ich danke dir, Ayashi.“ flüsterte er gegen ihren Hals und sie schloss für einen viel zu kurzen Moment die Arme um ihn, denn er erhob sich mit ihr und löste sich dann von ihr. „Musst du schon gehen?“ „Ja, die Ratssitzung beginnt so früh am Morgen, dass ich heute Abend schon aufbrechen werde.“ „Das ist sehr schade. Weißt du, wie lange du ungefähr abwesend sein wirst?“ wollte Ayashi wissen und er zuckte die Schultern. „Ich kann es dir nicht genau sagen…“ „Ich fragte auch nach einer ungefähren Angabe.“ erinnerte sie lächelnd und er küsste sie noch einmal, ehe er antwortete: „Mindestens zwei Tage, höchstens aber fünf. Ich verspreche es.“ „Das hört sich gut an.“ meinte sie und fügte hinzu: „Dann werde ich wahrscheinlich noch vor dir wieder hier sein.“ vermutete sie und er nickte. „Ich würde mich dann über einen Empfang in deinen Gemächern sehr, sehr freuen, Ayashi.“ schmunzelte er und seine Augen funkelten. Sie lachte, schlang noch einmal ihre Arme um ihn und verwickelte ihn in einen innigen Kuss, ehe sie ihn von sich schob und den Kopf schüttelte. „Geh’ jetzt, sonst lasse ich dich heute Abend nicht mehr fort.“ mahnte sie und er lachte leise, zog sie noch einmal heran, um ihr ins Ohr zu flüstern, wie sehr er sie liebte und sie zu bitten, vorsichtig auf ihrer Reise zu sein. Ayashi konnte nichts mehr erwidern, denn Sesshoumaru war schon aus ihren Gemächern verschwunden. Am nächsten Morgen brach auch Ayashi auf, doch sie ließ sich keine Zeit, denn sie wollte auf keinen Fall mehr Zeit in Anspruch nehmen als nötig. Ihr Plan sah eine schnelle Reise vor, da sie nicht wusste, wie viel Zeit sie mit Inuyasha verbringen konnte, denn das hing zum großen Teil von ihm ab – nämlich davon, ob er sie überhaupt sehen wollte. Ganz sicher würde sie sich einem verängstigten kleinen Hanyou nicht aufzwingen, um die Situation nicht schlimmer zu machen. Wenn er nichts mit ihr zu tun haben wollte, musste sie den Rückzug antreten. Vielleicht konnte man später noch einmal versuchen, an Inuyasha heranzukommen. Vielleicht musste er ganz behutsam lernen, dass Youkai nicht von vornherein Ungeheuer waren, sondern die waren Bösewichte die Menschen waren, die ihn in den ersten Lebensjahren dermaßen verachtet hatten. Vielleicht ging das nur, indem sie immer und immer wieder zu ihm kam und sein Vertrauen immer nur Stück für Stück gewann. Sie wollte sich die Zeit auf jeden Fall nehmen, denn immerhin war er Inu-no-taishous Sohn. Ayashi spürte, dass es sie wütend machte, dass Inuyasha das Gedankengut der verblendeten, engstirnigen Menschen angenommen hatte. Und es störte sie auch unglaublich und verletzte sie in ihrem Stolz, denn sie fragte sich, was Izayoi versäumt hatte. Izayoi, für die nicht wenige Youkai ihr Leben riskiert hatten. Izayoi, die maßgeblich daran beteiligt gewesen war, dass die Welt der Youkai erneut durch einen Krieg erschüttert worden war. Izayoi, wegen der Inu-no-taishou sein Leben gegeben hatte. Ihr Herz raste bei diesen Gedanken und sie kämpfte ihre Wut nieder, doch ihre Verständnislosigkeit blieb. Hatte Izayoi Inuyasha denn nicht von seinem Vater erzählt? Hatte sie nicht dafür gesorgt, dass Inuyasha sich seine eigene Meinung bildete – oder zumindest die positive Meinung übernahm, die seine Mutter hatte? Nachdenklich biss sie sich auf die Lippen. War sie ungerecht, wenn sie Izayoi dies als Schuld ankreidete? Wahrscheinlich, denn sie war schon verzweifelt und krank gewesen, als Ayashi sie das letzte Mal gesehen hatte. Wie sich die letzten Jahre für Izayoi gestaltet hatten, entzog sich Ayashis Kenntnis. Bestimmt war es voreingenommen von ihr, irgendeine Schuld und Versäumnis bei Izayoi zu suchen. Ayashi erblickte die Burg von Izayois Familie, als die Sonne ihren Höchststand erreicht hatte. Sie verzichtete darauf, in das Dorf zu gehen und sich nach Inuyasha umzuhören und umzusehen, denn sie wollte keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Stattdessen schärfte sie ihre Sinne und hielt inne. Wenn Inuyasha hier irgendwo war, dann konnte sie ihn aufspüren. Ihre Füße trugen Ayashi am Dorf vorbei und in einen kleinen Wald, dessen Bäume schon beinahe alle Blätter verloren hatten. Im Unterholz herrschte reges Treiben, denn scheinbar hatten alle Tiere, die sich noch nicht zum Winterschlaf zurückgezogen hatten, noch unglaublich viel Futter zu suchen. Ayashi lächelte, als ein Eichhörnchen direkt vor ihr flink vorüber rannte und den nächststehenden Baumstamm hinaufkletterte. Dann fühlte sie Inuyashas Anwesenheit und machte sich bemerkbar, damit er nicht so sehr erschrak. Kapitel 107: ------------- Obwohl Ayashi sich nur ganz langsam näherte, schreckte Inuyasha herum und blickte sie ängstlich an. Die Blätter und Zweige, die er gesammelt hatte, glitten ihm vor Schreck aus den Händen. Unwillkürlich wich er einige Schritte zurück und machte sich kleiner, als er ohnehin schon war. „Hab’ keine Angst, Inuyasha.“ bat Ayashi, doch er wich immer noch vor ihr zurück. „Woher kennst du meinen Namen?“ fragte er und zitterte am ganzen Körper. „Ich habe von dir gehört. Und ich habe dich gesucht.“ sagte sie und blieb stehen. „Warum?“ fragte er wieder. Ayashi hob beschwichtigend die Hände und zeigte ihm ihre Handflächen, um ihm zu zeigen, dass sie keine Waffen trug. Wieso hatte er nur so viel Angst? Natürlich hatte sie sich dazu entschieden, ihm nicht zu verheimlichen, dass sie kein Mensch war, aber Furcht einflößend konnte sie wirklich nicht aussehen. Ihr schwarzes langes Haar konnte ihn nicht an Sesshoumarus silberne Haare erinnern, wie auch ihre dunkelgrünen Augen überhaupt nicht Sesshoumarus bernsteinfarbenen Augen glichen. „Ich habe nichts getan!“ rief Inuyasha beinahe verzweifelt und Tränen traten ihm in die Augen. Ayashi zögerte einen Moment und fragte sich, worauf sie sich da nur eingelassen hatte, und überlegte, ob sie einfach gehen sollte, doch besann sich schnell eines Besseren, denn immerhin versuchte sie für Sesshoumaru, Inuyasha davon zu überzeugen, dass sie nicht die Ungeheuer waren, die die Menschen ihn glauben machen wollten. „Ich weiß, dass du nichts getan hast. Und ich bin nicht hier, um dich zu bestrafen oder dir in irgendeiner Weise weh zu tun.“ versicherte sie und wartete eine Weile ab, bis die Worte in Inuyashas Bewusstsein sanken. Inuyasha beäugte sie zwar immer noch misstrauisch, blieb aber schließlich stehen und zog sich nicht mehr von ihr zurück. „Was willst du dann?“ wollte er schließlich wissen und Ayashi lächelte. „Ich möchte mit dir sprechen, Inuyasha.“ entgegnete sie und er schüttelte den Kopf. „Worüber?“ „Über dich. Ich möchte wissen, wie es dir geht.“ antwortete Ayashi und trat wieder einen Schritt auf Inuyasha zu, weshalb dieser gleich mehrere Schritte vor ihr davon lief. „Nein, warte! Inuyasha, warte!“ rief sie ihm hinterher und streckte die Hand nach ihm aus, obwohl sie wusste, dass sie ihn nicht fassen konnte. Inuyasha hielt tatsächlich inne, doch er stand weit von ihr entfernt. Ayashis Herz klopfte laut und sie verfluchte sich in Gedanken dafür, dass eine unbedachte Bewegung ihrerseits ihn ohne weiteres wieder zurück zur Burg treiben konnte. Was hatten die Menschen nur mit ihm gemacht? „Es ist alles in Ordnung. Sieh’ her! Ich setze mich genau hier auf den Boden, in Ordnung?“ begann Ayashi wieder und ließ sich ganz langsam und vorsichtig auf den Boden nieder, obwohl ihr der Sinn wirklich nicht danach stand, der der Waldboden war nass und kalt und schmutzig. Inuyasha betrachtete sie neugierig und blickte sie auch noch an, als sie schon eine ganze Zeit lang still auf dem Boden saß. Immer wieder zuckte er, als wolle er zu ihr herüber kommen, doch immer wieder hielt er sich selbst davon auch zurück. Ayashi konnte sehen, dass er sich sehr dafür interessierte, wer sie war, was sie von ihm wollte, doch sie sah auch, dass die Angst ihn noch in sicherer Entfernung hielt. Sie zwang sich dazu, still sitzen zu bleiben, da sie wusste, dass er zu ihr kommen musste. Also wartete sie ab und hoffte, dass Inuyashas Neugier möglichst bald über seine Angst siegen würde. Sie wusste nicht genau, wie viel Zeit verstrichen war, doch es war Nachmittag, als Inuyasha sich schließlich entschloss, wieder einige Schritte auf sie zuzugehen. Ayashi hatte mit geschlossenen Augen gewartet und seine Gegenwart einfach durch ihre Sinne wahrgenommen und verfolgt. Nun kam er langsam näher und sie öffnete vorsichtig ihre Augen wieder, damit er nicht wieder verschreckt verschwand. „Ich werde dir nichts tun, Inuyasha.“ versprach Ayashi noch einmal und er nickte leicht. „Wer bist du?“ fragte er schließlich und Ayashi lächelte. „Mein Name ist Ayashi, aber du kannst mich auch Aya nennen, wenn du möchtest.“ „Aya… Nein, ich nenne dich Ayashi. Woher kennst du mich? Wer hat von mir erzählt?“ fragte er weiter. „Du bist aber sehr neugierig, Inuyasha.“ lachte sie leise und beobachtete, wie er sich in normaler Entfernung zu ihr setzte. „In der Burg schlagen sie mich immer, wenn ich etwas wissen will. Sie sagen immer, dass mich das nichts angeht… und so… andere Dinge.“ „Das ist nicht schön, nein, wirklich nicht. Du darfst mich alles fragen, Inuyasha, aber ich habe auch ein paar Fragen. Beantwortest du mir meine Fragen auch?“ Inuyasha nickte und rückte ein Stück näher, ehe er meinte: „Aber meine Fragen zuerst.“ Ayashi lachte erneut und nickte. „Gut… Lass’ mich überlegen, was du gefragt hattest… Ah, ja, woher ich dich kenne? Und wer mir von dir erzählt hat?“ Ayashi wartete, bis Inuyasha nickte, und atmete dann tief durch, weil sie nun aufpassen musste, was sie sagte: „Als du ein ganz kleiner Junge warst, Inuyasha, ein Säugling noch, war deine Mutter mit dir auf dem Schloss meines Vaters zu Gast. Da habe ich das erste Mal gesehen und ich habe mich auch ein wenig um dich gekümmert. Du erinnerst dich bestimmt nicht, denn wie ich schon sagte, warst du noch sehr, sehr klein.“ „Nein, ich erinnere mich nicht.“ stimmte Inuyasha zu und Ayashi nickte. „Deine Mutter kehrte irgendwann wieder zu ihrer Familie in ihre heimatliche Burg zurück und wir haben nicht mehr von ihr gehört. Da ich auch sehr lange auf einer Reise war, habe ich erst vor wenigen Tagen vom Tod deiner Mutter erfahren und wollte sofort sehen, wie es dir geht. Was ich hörte, gefiel mir überhaupt nicht, Inuyasha, denn ich hörte, dass du nicht gut behandelt wirst.“ Inuyasha sagte nichts und Ayashi wartete ebenfalls noch einen Augenblick, ehe sie meinte: „Habe ich deine Frage beantwortet?“ „Ja, aber… warum kenne ich dich nicht, wenn du meine Mutter kanntest? War sie deine Freundin, wenn sie dein Zuhause besucht hat?“ „Freundinnen waren wir nicht, nein, aber ich habe sie in vielfacher Weise gemocht.“ entgegnete Ayashi vorsichtig und Inuyasha konnte damit in seinen jungen Jahren nicht sehr viel anfangen. „Wir dachten alle, dass es dir bei deiner Mutter und ihrer Familie an nichts fehlen würde, und … ja, weißt du, Inuyasha, ein Kind gehört doch immer zur Mutter, oder nicht?“ Inuyasha zuckte die Schultern und Ayashi schwieg, bis er bereit war, wieder mit ihr zu sprechen. „Ich habe meine Mama sehr lieb gehabt. Ich glaube, sie hatte mich auch gern. Ich verstehe nur nicht, warum sie mich allein gelassen hat.“ „Das darfst du nicht so sehen, Inuyasha. Ich bin mir sicher, dass deine Mutter alles gegeben hätte, um bei dir bleiben zu können, doch manchmal… ist das Schicksal mächtiger. Und manchmal ist das Leben auch nicht gerecht, aber das kannst du bestimmt schon verstehen.“ „Ich weiß nicht.“ murmelte er und Ayashi nickte. „Beantwortest du nun meine Fragen, Inuyasha?“ „Ja, warum nicht?“ „Wieso bleibst du hier?“ „Es ist mein Zuhause.“ „Inuyasha, leere Mauern sind kein Zuhause. Die Menschen hier behandeln dich schlecht. Wieso lässt du das zu? Warum gehst du nicht einfach?“ „Sie behandeln mich schlecht, weil ich es so verdient habe. Ich bin ein wertloses Wesen… nicht normal.“ „Inuyasha, das ist nicht wahr. Du bist kein wertloses Wesen…“ „Ich bin Abschaum.“ „Das sind Worte, die sie benutzen, aber du darfst ihnen nicht glauben. Du sagtest, deine Mama hätte dich sehr lieb gehabt, dann kann das doch nicht stimmen. Für sie warst du sehr viel Wert.“ meinte Ayashi. Sie überlegte sich kurz, ob sie von Inu-no-taishou erzählen sollte, doch verwarf das gleich wieder, da es dafür noch zu früh war. Die Worte der Menschen schienen sich sehr in Inuyashas Gedächtnis gebrannt zu haben. Wenn er sich selbst für Abschaum hielt – und mit derartiger Gewissheit davon sprach, konnte sie nun nicht erwarten, dass er ihr glauben würde, dass sein Vater kein Ungeheuer war. Inuyasha rutschte unruhig hin und her, blickte in den Himmel und erhob sich schnell. Ayashi warf ebenfalls einen Blick in den Himmel und stellte fest, dass es dämmerte. „Ich muss jetzt gehen. Ich bekomme Ärger, wenn ich nicht rechtzeitig komme.“ „Das möchte ich natürlich nicht.“ sagte Ayashi und erhob sich ebenfalls. „Wenn du gehen musst, musst du gehen, aber… sag’, Inuyasha, darf ich dich wieder besuchen?“ Inuyasha blickte zu ihr nach oben und lächelte das erste Mal, seitdem sie sich getroffen hatten. „Ja, du bist nett.“ „Gut, dann werde ich wieder kommen.“ „Aber ich darf keine Freunde haben. Du kannst nicht in die Burg kommen.“ meinte er traurig und Ayashi schüttelte den Kopf. „Das macht nichts. Ich werde dich besuchen, wenn du nicht in der Burg bist.“ „Aber wie willst du mich denn dann finden?“ „Ich werde dich finden, Inuyasha. Ich verspreche es dir.“ Inuyasha nickte überrascht und Ayashi strich ihm über den Kopf, ohne dass er zusammenzuckte. „Und bis dahin… bis wir uns wiedersehen, erinner’ dich daran, dass du nicht alleine bist, ja?“ bat sie ihn und er nickte feierlich, ehe er sich schnell umwandte und ihr zum Abschied noch einen Gruß zurief. Ayashi blickte ihm nach und wusste, dass sie viel erreicht hatte, obwohl sie ihn gehen ließ. Kapitel 108: ------------- Sesshoumaru lehnte sich entspannt zurück und genoss die Stille um sich herum. Bis vor wenigen Minuten hatte er in der Sitzung des Rates gesessen, hatte diskutiert und zugehört, Vorschläge gemacht, angenommen oder abgewehrt, hatte Verbündete getroffen und sich mit ihnen beraten, gestritten und zum Teil auch entzweit, was nicht weiter schlimm war, denn im Großen und Ganzen waren sie in den wichtigen Punkten dennoch überein gekommen. Es war nicht nur die politischen Aspekte, die für Sesshoumaru erfolgreich verlaufen waren. Der Rat wusste inzwischen auch von Ayashis Aufenthalt in Shimonoseki und stimmte ihm nicht nur zu, sondern befürwortete ihn sogar. Kataga und er waren nicht wenig überrascht gewesen, als der Wortführer des Rates, ein angesehener und alter Fürst aus dem hohen Norden, seiner Zustimmung dermaßen öffentlich Ausdruck verliehen hatte, indem er eifrig genickt hatte. Ayashi durfte nun also in Shimonoseki bleiben so lange sie wollte und Sesshoumaru konnte sich das Lächeln nicht verkneifen, das deshalb um seine Mundwinkel zuckte. Ein leises Klopfen ließ ihn den Kopf heben und eine Augenbraue hochziehen, da er niemanden mehr erwartete. Langsam erhob er sich und öffnete die Schiebetür ein wenig, um wenig später verwundert in Katagas Gesicht zu blicken. „Entschuldigt die späte Störung, Sesshoumaru. Habt Ihr einige Minuten Zeit?“ fragte er und Sesshoumaru nickte, obwohl er noch immer nicht recht wusste, was Kataga nun – nach stundenlangen Verhandlungen im Rat – noch von ihm wollen konnte. „Sicher.“ meinte er und trat zur Seite, sodass Kataga den Raum betreten konnte, während er sich noch ein wenig darüber wunderte, warum Kataga ihn nur mit seinem Namen ansprach. „Danke. Ich hatte schon befürchtet, Ihr seid nach der Versammlung gleich abgereist.“ „Nein, ich werde erst morgen früh aufbrechen.“ erklärte Sesshoumaru und Kataga nickte, folgte seinem Gastgeber zu den Sitzkissen und ließ sich mit ihm nieder. „Was kann ich für Euch tun? Worum geht es?“ fragte Sesshoumaru schließlich, als Kataga eine Weile stumm blieb und sich nur im Raum umblickte. „Ich hoffte, Ihr könntet mir… Ich möchte mich nach dem Befinden meiner Tochter erkundigen, Sesshoumaru.“ „Es geht ihr gut, das versichere ich Euch. Es fehlt ihr an nichts in Shimonoseki.“ „Ja, das weiß ich. Nein, ich frage nicht so sehr nach ihrem körperlichen Befinden, sondern… Wie geht es ihr, versteht Ihr?“ „Ich verstehe. Hm, um ehrlich zu sein, muss ich zugeben, dass ich Eure Tochter natürlich noch nicht so gut kenne, um…“ „Ich bitte Euch!“ unterbrach ihn Kataga und Sesshoumaru verstummte. „Sagt nicht, dass Ihr keine Vermutung habt. Ihr habt doch einen gesunden Verstand und wart in der letzten Zeit um meine Tochter… Hat sie keine Andeutungen gemacht?“ „Andeutungen… bezüglich welcher Sache?“ fragte Sesshoumaru, da er Kataga wirklich nicht folgen konnte. Kataga seufzte, wollte ansetzen, etwas zu sagen, seufzte aber nur noch einmal auf, weshalb Sesshoumaru hilfsbedürftig den Kopf schüttelte. „Wie Ihr wisst, Sesshoumaru, bedeutet mir meine Tochter sehr viel. Sie ist… mein ein und alles.“ meinte er schließlich und machte eine kleine Pause, ehe er fortfuhr: „Nun, abgesehen von den letzten Jahren, sind wir immer sehr gut miteinander ausgekommen. Ich wollte wissen, ob sie… in Betracht zöge, vielleicht… einer Versöhnung zuzustimmen?“ „Ihr wollt Euch mit Eurer Tochter versöhnen…“ „Ich möchte sie wieder in meiner Arme schließen, versteht Ihr? Ich möchte nicht, dass sie wütend ist oder verletzt. Es ist nur schon so viel Zeit vergangen und ich weiß nicht, ob sie… mich anhören würde, wenn ich sie für mein Verhalten um Vergebung bitte, zumal ich nicht sehr viel anders hätte handeln können.“ erklärte Kataga. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Euch vor den Kopf stoßen würde. Nein, wirklich nicht.“ „Glaubt Ihr, Sesshoumaru?“ „Ja, nach allem, was ich über Eure Tochter erfahren habe, hat sie ihre Prinzipien und tritt für sie ein, doch es liegt mir deshalb trotzdem sehr fern, sie als starr und unnachgiebig anzusehen. Im Gegenteil: Ich empfinde die Anwesenheit Eurer Tochter als sehr erfrischend und reizend und halte sie für eine wirklich liebenswerte, wundervolle Person.“ versicherte Sesshoumaru und bemerkte, dass er schwärmerisch von ihr sprach, weshalb er schnell hinzufügte: „Wenn Ihr es wünscht, werde ich mit ihr sprechen, und Euch dann nach Shimonoseki einladen, damit Ihr Eure Tochter treffen könnt.“ „Das wäre sehr zuvorkommend, Sesshoumaru, doch Ihr müsst nicht als Mittler auftreten. Fragt sie bitte lediglich, ob sie ihren Vater sehen möchte.“ bat Kataga und Sesshoumaru nickte. „Wie Ihr wünscht.“ fügte er hinzu und Kataga erhob sich, während Sesshoumarus vorherige Worte noch in seinen Ohren hallten. Erfrischend. Reizend. Liebenswert. Wundervoll… Konnte es sein, dass Sesshoumaru sich in seine Tochter verliebt hatte? Der sonst so beherrschte und korrekte Sesshoumaru, dem noch nie jemand eine Schwäche für eine Youkai nachsagen konnte? „Sesshoumaru, Ihr wart mir eine große Hilfe.“ meinte er, doch er war immer noch mit seinen Gedanken ganz wo anders. „Es ist nicht der Rede wert, gewiss nicht, Kataga-Sama.“ versicherte Sesshoumaru und neigte leicht den Kopf. „Einen Gefallen noch, Sesshoumaru… Ich bestehe darauf, dass Ihr die höfliche Anrede ab sofort unterlasst. Ich fühle mich Euch näher als zuvor und stelle fest, dass ich in Euch auch einen Verbündeten in privaten Dingen gefunden habe.“ „Sehr gern, Kataga. Wirklich gern.“ meinte Sesshoumaru und verabschiedete sich von Kataga, dem langsam bewusst wurde, dass er das Interesse Sesshoumarus an Ayashi nicht schlimm fand, obwohl er aus politischen Gründen erst einmal etwas dagegen haben sollte. Sesshoumaru blieb allein zurück und schloss erleichtert die Tür. Es war nicht so, dass er froh war, dass Kataga endlich verschwunden war, doch er musste ihn so nicht mehr belügen. Hatte er etwas bemerkt, als er so von Ayashi geschwärmt hatte? Sesshoumaru konnte es unmöglich sagen. Er wusste nur, dass er sich endlich ein Ende dieses Versteckspiels wünschte, doch würde es jemals dazu kommen? Sesshoumaru erreichte Shimonoseki nur wenige Stunden nach seinem Aufbruch von Kyoto. Er machte sich schnell frisch, erkundigte sich bei seinen Beamten nach eventuell ungewöhnlichen Vorkommnissen während seiner Abwesenheit, die nicht stattgefunden hatten, und fragte dann nach Ayashi, von der man ihm berichtete, dass sie sich in den Gärten aufhielt. Sofort verließ er das Schloss und ging mit scheinbar wenig eiligen Schritten in die Parkanlage. Ayashi stand am Rand eines künstlichen Teiches und blickte ruhig auf die Wasseroberfläche. „Du bist wieder da.“ bemerkte sie, als er leise hinter sie trat, und blickte sich kurz zu ihm um. „Ich wollte gestern Nacht nicht noch aufbrechen.“ entschuldigte er sich, doch sie schüttelte den Kopf. „Das ist schon in Ordnung. Es sollte kein Vorwurf sein.“ versicherte sie und ging langsam an ihm vorbei. Sesshoumaru folgte ihn und gemeinsam schlenderten sie langsam den Weg entlang. Noch immer hing das trübe Grau des Morgens im Himmel und es war auch nicht sehr wahrscheinlich, dass es sich tagsüber aufhellen würde. Der Herbst hatte das Land inzwischen in eisernem Griff. „Wie ist die Versammlung verlaufen?“ fragte Ayashi schließlich, da Sesshoumaru überhaupt nichts erzählte. „Zu meiner Zufriedenheit. Dein Aufenthalt in Shimonoseki ist… nun offiziell gebilligt.“ „Sehr schön.“ lächelte Ayashi und berührte kurz und verdeckt seine Hand, da sie einfach nicht widerstehen konnte. „Weißt du, ich kann einfach nicht aufhören, daran zu denken, wie schön es wäre, wenn wir unsere Zuneigung nicht mehr geheim teilen müssten.“ „Ich auch, Ayashi, aber im Moment…“ „Ich weiß.“ seufzte sie und zog ihre Hand zurück, ehe sie wieder etwas mehr Abstand zwischen sich und ihn brachte. „Dein Vater hat mich um einen Gefallen gebeten.“ meinte er und Ayashi fuhr herum, da sie das nicht erwartet hatte. „Nichts Schlimmes.“ beruhigte er sie und hob eine Hand. „Er möchte nur, dass ich dich frage, ob du bereit wärst, dich mit ihm zu treffen… Er möchte sich mit dir versöhnen.“ „Wirklich?“ fragte Ayashi etwas ungläubig, worauf Sesshoumaru nickte. „Endlich!“ stieß sie erleichtert aus und lachte leise, als sie Sesshoumarus Gesicht sah. „Du hast keine Ahnung, wie lange ich darauf insgeheim schon hoffe!“ fügte sie hinzu und konnte ihr Glück kaum fassen. „Dann werde ich ihm Bescheid geben. Wann möchtest du ihn sehen?“ „Von mir aus… morgen schon oder in wenigen Tagen, aber er soll kommen, wenn er es einrichten kann.“ gab sie zurück und Sesshoumaru schüttelte den Kopf, weshalb sie ihn fragend anblickte. „Ich möchte heute Abend die Nachtwache vollziehen. Es ist Zeit.“ „Dann werde ich bei dir sein.“ versprach Ayashi und nickte ihm zu. „Ich danke dir, Liebste.“ meinte er ernst und leise. „Hast du Inuyasha gefunden und mit ihm gesprochen?“ fragte Sesshoumaru nach einer Weile und Ayashi nickte etwas betrübt, ehe sie ihm von der Begegnung mit seinem kleinen Bruder erzählte. Kapitel 109: ------------- Am Nachmittag ließ Sesshoumaru alles für die bevorstehende Nachtwache vorbereiten. Geschäftiges Schweigen legte sich über das Schloss und die Diener besorgten, was alles zu besorgen war. Im Hof wurden die roten Papierlampions überprüft und mit Brennmittel aufgefüllt, falls diese zu neige gegangen waren, die Empfangshalle wurde von allem geleert außer der Rüstung Inu-no-taishous, ehe mehrere niedrige Ölbecken herein getragen wurden, die in einem großen Kreis um die Rüstung aufgestellt wurden. Sesshoumaru und Ayashi mussten sich, da sie sich beide am Ritual beteiligten, vor diesem ebenfalls vorbereiten, weshalb die Diener ihnen verschiedene Schalen mit Wasser in ihre getrennten Gemächer brachten. Sie reinigten sich schweigend, da das von ihnen erwartet wurde, denn ihre Gedanken sollten allein bei Inu-no-taishou und der bevorstehenden rituellen Handlung weilen, und ließen sich in festliche Gewänder kleiden. Ayashi wusste, dass sie Sesshoumaru erst im Saal sehen würde, doch sie hielt es kaum noch aus. Ihre Dienerinnen saßen mit ihr in ihrem Gemach, doch sie durfte nicht das Wort an sie richten, während sie darauf wartete, dass die Nacht hereinbrach und das Ritual beginnen konnte. Kaum war die Dunkelheit herabgesunken, zündeten die Diener im Hof die Lampions an und Ayashi verließ ihre Gemächer, denn das war das Zeichen, dass das Ritual begonnen war. Langsam schritt sie allein die Gänge entlang und trat schließlich in die Empfangshalle, wo Sesshoumaru bereits vor der Rüstung seines verstorbenen Vaters wartete. Alle Beamten waren versammelt und verneigten sich vor Ayashi in Demut, da sie sich entschieden hatte, Sesshoumaru in dieser Nacht beizustehen, und Ayashi erwiderte den Gruß mit einem kurzen Nicken. Dann suchte ihr Blick Sesshoumarus Augen, die bernsteinfarben leuchteten und den Schein der brennenden Ölbecken auf dem Boden widerspiegelten. Seine Arme hingen gelassen an seinem Körper herab, doch sein Gesicht war angespannt, war dieses Ritual doch eine Prüfung, die nicht leicht sein würde. Ayashi trat zu ihm in den brennenden Kreis der Ölbecken. Sie näherte sich ihm, verneigte sich vor ihm und sah, dass er dasselbe tat. Kaum hatten sie sich wieder aufgerichtet, ergriff er zärtlich ihre beiden Hände und führte sie an seine Lippen. Ayashi war sich nicht sicher, ob er das durfte, doch keiner der Beamten machte Anstalten, sich über sein Verhalten zu beschweren, weshalb sie es gelassen hinnahm. Der älteste und ranghöchste Beamte kam an den Rand des gebildeten Kreises und verneigte sich, weshalb Ayashi noch einmal zu ihm ging. Mit ausgestreckten Armen bot er ihr einen fein gearbeiteten Dolch an, der noch in seiner Scheide steckte. Sie ergriff mit einer ruhigen Bewegung die Waffe, deren Metall gegen ihre erhitzte Haut so kalt war, dass sie beinahe zusammenzuckte. Der Beamte zog sich einige Schritte vom Kreis zurück, als Ayashi sich wieder zu Sesshoumaru wandte, und die anderen folgten seinem Beispiel, sodass Ayashi und Sesshoumaru kurze Zeit später völlig allein waren. Nur das Prasseln des Feuers in den Becken war zu hören. Und ihr Atem, glaubte Ayashi, denn ihr schlagendes Herz machte es beinahe unmöglich, überhaupt zu atmen. Sesshoumaru blickte sie ruhig an und wartete ab. Sie wusste, dass er auf sie wartete, und ging wieder auf ihn zu, bis sie direkt vor ihm stand. Obwohl Ayashi wusste, dass sie nicht mit ihm sprechen durfte, und obwohl sie den Ablauf des Rituals genau kannte, war es schwierig für sie, sich auch daran zu halten. Wie gern hätte sie ihm gesagt, dass sie für ihn da war, dass sie ihn durch diese Prüfung geleiten würde, dass sie seine Seite nicht verlassen würde, doch sie durfte ihm keine versichernden Worte geben. Wie gerne hätte sie ihn in ihre Arme gezogen, um ihm ihre Nähe zu schenken, doch auch das war untersagt. Ayashi schluckte und steckten den Dolch kurz in ihren Obi, damit sie beide Hände benutzen konnte. Zitternd steckte sie ihre Arme nach ihm aus und löste seinen Obi, streifte ihm seine beiden Hakamas von den muskulösen Schultern und sah, wie sich seine wohlgeformte Brust regelmäßig hob und senkte. Unwillkürlich blickte sie nach oben und begegnete seinem konzentrierten Blick, in dem sie plötzlich auch etwas anderes sah, das sie noch niemals in seinen Augen gesehen hatte. Furcht. Entsetzt biss sie sich auf die Lippen und berührte ihn sanft an der Brust, weshalb er zuckte, doch er ergriff nicht ihre Hand, sondern ließ ihr wenigstens diese kleine Geste, die auch ihm gut tat und Zuversicht schenkte. Langsam ließen sie sich auf den Boden sinken und knieten sich so hin, dass sie einander in das Gesicht sehen konnten. Ayashi zog den Dolch hervor und reichte ihn Sesshoumaru, der ihn mit einer beherrschten Bewegung entgegennahm. Sesshoumarus Muskeln spannten sich über seiner Brust und er hielt Ayashis Blick, als wolle er ihr sagen, dass er bereit war, weshalb sie nun mit klarer Stimme ihr Schweigen brach: „Große Geister der Unterwelt, hört uns an! Seid gnädig und erlaubt unserem Geist, in euer mächtiges Reich, das das Unendliche ist, und in dem wir uns alle irgendwann befinden werden, einzutreten.“ Ayashi hielt kurz inne, doch sie wusste, dass die Anrufung noch nicht beendet war. Es kam ihr so vor, als ob die Flammen in den Becken lauter flackerten, doch sie ließ sich nicht beirren. „Wir huldigen euch, indem wir ein Opfer bringen. Durch dies erbitten wir eure Gunst.“ fuhr sie fort und Sesshoumaru neigte den Kopf, festigte seinen Griff um den Dolch und ließ die Klinge über seine Brust schnellen. Ayashi unterdrückte einen Aufschrei, als das dunkelrote Blut aus seiner Haut quoll, und sie sah, wie große Überwindung es ihn kostete, seinem Schmerz keinen Ausdruck zu verleihen. Ayashi zwang sich ebenfalls dazu, ruhig zu bleiben und mit stetiger Stimme weiterzusprechen: „Wir bitten euch, den geliebten Vater nicht länger in der Ungewissheit der schattigen Zwischenwelt wandern zu lassen. Wir bitten euch, ihn in eurem ewigen Kreis zu empfangen.“ Sesshoumaru fügte sich eine weitere Schnittwunde an seiner Brust zu und presste eisern die Kiefer aufeinander, damit kein Laut über seine Lippen kam. Ayashi folgte den blutenden Spuren auf seinem Oberkörper mit den Augen, und sah, wie der dunkelrote Lebenssaft in winzigen Rinnsalen seinen Bauch hinabfloss. „Wir nehmen nun Abschied vom geliebten Vater. Nehmt ihr, Geister der Unterwelt, das Blut des Sohnes als Opfer und erkennt ihn als rechtmäßigen Erben. Sesshoumaru holte noch einmal aus und schnitt sich in die Brust, weshalb Ayashi kurz die Augen schloss, um das nicht noch einmal sehen zu müssen. „Zeigt euch gnädig und emofangt den Verstorbenen in eurer Mitte, in der er in Ewigkeit glücklich weilen möge. Es ist Inu-no-taishou, ein großer Herrscher der Westlichen Länder.“ vollendete Ayashi und war sehr froh, dass der erste Teil des Rituals hinter Sesshoumaru – und auch ihr selbst - lag. Sesshoumaru presste den Atem vorsichtig aus den Lungen und atmete ebenso vorsichtig aus. Den ersten Teil des Rituals hatte er erfolgreich bestritten, denn er hatte keinen Laut von sich gegeben, als er sich die tiefen Wunden zugefügt hatte. Er war so froh, dass Ayashi hier war, um ihm beizustehen, doch er hatte das Gefühl, dass er sie nicht darum hätte bitten dürfen, da ihr Gesicht großen Schmerz widerspiegelte. Langsam ließ er den Dolch sinken und suchte ihren Blick. Ihr tränenverschleierter Blick klärte sich, als er mit der Hand ihre Wange berührte. Sie schloss die Augen kurz und drückte ihre Wange in seine Handfläche, ehe sie ihm den Dolch abnahm und sich mit ihm erhob. Ayashi trug die Waffe zur Rüstung Inu-no-taishous und legte sie vor ihr nieder, ehe sie zu Sesshoumaru zurückkehrte, der ihren Bewegungen mit dem Blick folgte, der in diesem Moment so sehr die Youkai sah, die an seine Seite gehörte. Er wusste, dass dieser Moment gänzlich unpassend war, doch in seinem Kopf konnte er nicht gegen die Gedanken kämpfen. Ayashi. So sehr es auch schon vorher gewusst und gefühlt hatte, dass sie zusammen gehörten, so wusste er nun, dass er Ayashi auf jeden Fall zu seiner Gefährtin machen würde. Natürlich wusste er, dass er noch keine Anstrengungen in diese Richtung unternehmen durfte, da das Gesetz der Youkai nach einem Antrag jegliche weiteren Werbungsversuche für sechzig Jahre untersagte. Nach Ablauf dieser Frist jedoch, so wusste er, war eine schuldig gebliebene Antwort gleich einem höflichen Nein, weshalb er sicher war, dass Kataga dem Kaiser und seinem Sohn seine Antwort auf diese Weise mitteilen wollte. Ayashi nahm neben ihm Platz und blickte ihn kurz fragend an, weshalb er leicht den Kopf schüttelte, und sich mit ihr gemeinsam zur Rüstung seines Vaters wandte. Gemeinsam begannen sie, die restliche Nacht in Schweigen zu verbringen, um Inu-no-taishou zu gedenken, doch Sesshoumaru konnte der Versuchung nicht widerstehen und legte seine Hand zärtlich auf Ayashis. Kapitel 110: ------------- Einige Tage später beobachtete Ayashi von ihrem Lager aus, wie Sesshoumaru sich gerade wieder seinen Haori anzog. Von den drei tiefen Schnitten konnte sie nichts mehr sehen und sie war sehr froh darum. Es war schwierig genug gewesen, dem Ritual beizuwohnen, doch ständig die Wunden auf Sesshoumarus Brust zu sehen, war beinahe noch schlimmer gewesen. „Woran denkst du?“ fragte Sesshoumaru, als er Ayashis nachdenklichen Blick sah, der auf ihm haftete. „Ich bin sehr froh, dass das Ritual hinter dir liegt.“ gab sie zu und Sesshoumaru lächelte flüchtig, ehe er verbesserte: „Uns. Dass es hinter uns liegt.“ Ayashi nickte leicht und drehte richtete sich auf ihre Ellenbogen auf, wobei sich das Laken etwas verschob, dass ihr Brustansatz zu sehen war. „Ayashi, du weißt, dass ich gehen muss.“ murmelte Sesshoumaru und Ayashi richtete schuldbewusst und lächelnd das Laken so, dass er nichts sehen konnte. „Danke.“ meinte er und legte seinen Obi an. „Was wirst du nun tun?“ wollte Ayashi nach einer Weile wissen. „Du meinst, weil ich jetzt wirklich der Herr des Westens bin?“ fragte er und Ayashi nickte. „Es wird sich nicht viel für mich ändern. Der Rat wurde schon unterrichtet, aber auch in seinem Verhalten mir gegenüber wird sich nichts ändern. Für die Mitglieder des Rates war ich seit dem Tod meines Vaters sein Nachfolger, der neue Herr.“ erklärte er und Ayashi nickte noch einmal. „Es gibt nur eine Sache, die ich nun erst wirklich verfolgen kann.“ „Und die wäre?“ fragte sie und schaute ihm zu, wie er sich umständlich den Obi band. „Die Suche nach einer geeigneten Gefährtin.“ lächelte Sesshoumaru und warf Ayashi einen kurzen Blick zu. Ayashi erhob sich grinsend, schlang das Laken um ihren Körper und ging barfuß hinüber zu Sesshoumaru. „Ich denke, die hast du auch nötig.“ erwiderte sie, schob seine Hände von seinem Obi zur Seite und half ihm. Sesshoumaru blickte auf sie hinab und küsste ihre Stirn und ihr Haar. „Das Ritual, Ayashi, hat mir eines mit ganzer Deutlichkeit gezeigt. Ich will nicht mehr ohne dich leben.“ „Das weiß ich für meinen Teil nicht erst seit wenigen Tagen.“ beschwerte sich Ayashi, doch sie vermutete, dass es Sesshoumaru nicht nur um seine aufrichtigen Gefühle für sie ging. „Ich werde offiziell um dich werben, Ayashi.“ sagte er und sie hielt in ihren Bewegungen inne. „Ich dachte, das… ginge nicht.“ flüsterte sie und Sesshoumaru zuckte die Schultern. „Ich bin nicht mehr bereit, das hinzunehmen. Ich werde einen Weg finden, auch wenn ich ihn gegen alle Konventionen gehen muss.“ verkündete Sesshoumaru, doch Ayashi blieb skeptisch. „Wie?“ fragte sie nur. Sie wollte hoffen. Sie wollte, dass es eine gemeinsame Zukunft für Sesshoumaru und sie gab. Sie wollte seine Gefährtin sein. Sie wollte auch öffentlich an seiner Seite stehen dürfen… „Dein Vater möchte sich mit dir versöhnen.“ „Ich weiß. Deshalb kommt er auch noch heute, sagtest du.“ erinnerte Ayashi, worauf er nickte. „Dein Vater… Kataga… Ich wollte dir noch nichts davon sagen, weil ich dachte, es ist zu früh, aber ich finde, du solltest es wissen.“ „Was denn?“ wollte Ayashi wissen und blickte ihn fragend an. „Er hat mir in Kyoto sehr deutlich gezeigt, dass er mich respektiert und akzeptiert. Er hat mir zu verstehen gegeben, dass er mich schätzt. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr der Sohn eines Freundes für ihn bin, sondern sein Freund. Verstehst du?“ „Ja, ich verstehe.“ lächelte Ayashi und stellte sich auf die Zehenspitzen, um Sesshoumaru leicht auf die Lippen zu küssen. „So werbe um mich, edler Fürst.“ flüsterte sie, als sie ihre Lippen von seinen wieder zurückzog, doch Sesshoumaru packte sie und verwickelte sie erneut in einen leidenschaftlichen Kuss, ehe er sich an diesem Morgen von ihr verabschiedete und erst wieder mit Kataga zu ihr stoßen wollte. Ayashi hatte nach zwei Dienerinnen rufen lassen, die sie für das Treffen mit ihrem Vater zurechtmachen sollten. Vorab hatte Ayashi einen dunkelgrünen Kimono mit silbernen ornamentalen Mustern gewählt, dessen Grün das Grün ihrer Augen widerspiegelte. Die Youkai halfen ihr mit ruhigen und sicheren Bewegungen beim Ankleiden und geleiteten die Prinzessin aus Fukuoka dann zu einem Tisch, vor dem sie ihr das Haar frisierten, sie schminkten und sie ein wenig mit duftendem Parfüm besprühten, während Ayashi ihren Gedanken nachhing. Sie war nicht nervös und aufgeregt, oder in irgendeiner Weise verstimmt, da sie in kurzer Zeit ihren Vater treffen und mit ihm sprechen sollte. Sie wollte den vergangenen Streit mit ihm am liebsten vergessen, oder zumindest aus der Welt räumen. Es war schon viel zu lange her, dass sie ihn gesehen hatte. Und nun freute sie sich auf ihn und hoffte, dass er sich genauso freute, sie zu sehen, wovon sie ausging, denn er hatte die Versöhnung eingeleitet. „Hime-Sama, Ihr seid bereit.“ meinte eine der Dienerinnen und Ayashi blickte bewusst in den Spiegel, in den sie wohl schon die ganze Zeit geblickt hatte. „Danke. Ich bin sehr zufrieden.“ entgegnete sie und die Dienerinnen verneigten sich. „Ihr könnt Euch zurückziehen.“ bat Ayashi sie nur noch und die Dienerinnen verließen den Raum. Ayashi blickte ihnen nach und fragte sich wie schon so oft, was sie wohl von ihr halten mochten. Wen mochten die Dienerinnen oder auch die Beamten im Schloss in ihr sehen? Natürlich behandelten sie alle respektvoll, wie es ihr als Hime zustand, doch redeten sie ab und zu über sie? Wunderten sie sich darüber, dass sie nun schon einige Zeit hier war? Sahen sie in ihr nur die Hime, die Tochter des großen Fürsten Katagas, oder vermuteten einige, dass sie vielleicht in absehbarer Zeit ihre Herrin sein konnte? Ayashi spürte, wie ihr Herz schneller schlug, als sie sich diese Gedanken machte. Herrin des Westens? Niemals hatte sie sich getraut, so etwas anzunehmen, und immer war sie damit zufrieden gewesen, Katagas Tochter und Erbin seines Reiches zu sein – wenn man davon absah, dass einige Konsequenzen ihrer Herkunft ihr die Zukunft mit Sesshoumaru verwehrt hatten. „Verwehrt hatten.“ murmelte Ayashi bei sich und blickte in den Spiegel, wobei ihre Augen hoffnungsvoll glänzten. Sesshoumaru hatte die Hoffnung, dass sie Gefährte und Gefährtin werden konnte. Und auch Ayashi spürte sie in sich. Diese Hoffnung, die so viel Glück in ihr auslöste, dass sie kaum noch atmen konnte. Am Nachmittag unterrichtete man Ayashi, dass ihr Vater bald eintreffen würde, weshalb sie in Begleitung einiger Diener ihre Gemächer verließ, um ihn im Hof gemeinsam mit Sesshoumaru zu empfangen. Sesshoumaru stand schon mit seinen Beamten empfangsbereit im Hof, als sie ihn betrat, hinüber ging und Sesshoumaru höflich grüßte. „Ihr seht bezaubernd aus, Ayashi-Sama.“ meinte er leise, doch so, dass die Beamten es hören konnten. „Ich danke Euch, Sesshoumaru-Sama.“ entgegnete Ayashi und lächelte ihn an. „Zieht euch bitte zurück. Wir werden Kataga-Sama allein empfangen.“ wandte er sich an seine Beamten und Ayashi blickte ihn fragend an. „Es ist besser so, glaub’ mir.“ meinte er nur, worauf sie nickte. Wenig später schritt eine hochgewachsene, edle, männliche Gestalt durch das Tor und Ayashi erkannte sie sofort als ihren Vater. Er war allein gekommen, was Ayashi nicht erwartet hatte, doch sie freute sich so sehr, ihn zu sehen, dass sie sich kaum an der Stelle halten konnte, an der sie stand. Sie wollte zu ihm laufen, sie wollte ihn umarmen und ihn um Vergebung bitten. Sesshoumaru spürte Ayashis drohenden Gefühlsausbruch und warf ihr kurz einen Blick zu. Sie standen so dicht beieinander, dass er es wagte, unbemerkt seine Hand auf ihren unteren Rücken zu legen, um ihr das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, worauf sie tief durchatmete, den Blick zu ihm hob und ihm zunickte. Kataga trat näher und Sesshoumaru und Ayashi verneigten sich vor ihm. „Willkommen in Shimonoseki, Kataga.“ begrüßte ihn Sesshoumaru und reichte nun seinem Verbündeten die Hand so, dass ihre Hände sich an den Unterarm des anderen legten, eine Geste, die nun angebracht war, weil sie sich nicht mehr mit Höflichkeitsformen ansprachen. „Vielen Dank, Sesshoumaru.“ entgegnete Kataga und ließ seinen Blick zu Ayashi wandern. Kataga ließ Sesshoumarus Arm los und blickte Ayashi eine scheinbar lange Zeit ins Gesicht, ehe er sich besann, dass er das Wort an sie richten sollte. „Ayashi.“ meinte er und sie nickte ihm freundlich zu. „Vater.“ entgegnete sie und bemerkte, wie ihre Stimme zitterte. Kataga hörte es ebenfalls und lächelte sie an, ehe er sie ohne ein weiteres Wort in seine Arme zog und an sich drückte. „Ich habe dich so sehr vermisst.“ flüsterte er und Ayashi biss sich auf die Lippen, um nicht in Tränen auszubrechen, doch sie fühlte, dass es dafür zu spät war. Auch sie hatte ihn vermisst. Sie hatte vermisst, von ihm in die Arme genommen zu werden. Sie hatte es vermisst, seinen Duft einzuatmen. Sie hatte die Sicherheit vermisst, die nur ihr Vater ihr geben konnte, und die er ihr schon als kleines Kind geboten hatte. „Vergib’ mir.“ brachte sie nur tonlos hervor und spürte, wie Kataga den Kopf schüttelte und sie fester an sich presste. „Es gibt nichts, was ich dir vergeben müsste, Ayashi.“ Ayashi drückte ihre Stirn gegen seine Brust und schluckte die Tränen hinunter, so gut sie es vermochte, doch Kataga schob sie ein wenig von sich, sodass er in ihr Gesicht sehen konnte. Er lächelte und wischte ihr mit den Daumen die Tränen von der Wange. „Kannst du mir vergeben, dass ich dir mit Unverständnis begegnete, als du Verständnis brauchtest, und dass ich dir deine Heimat genommen habe, als du Sicherheit und Geborgenheit gebraucht hast?“ fragte er sie. „Das habe ich schon längst getan, Vater.“ flüsterte sie und Kataga schloss sie wieder in seine Arme. „Ich liebe dich, meine wunderschöne Ayashi… meine Tochter.“ gab er zurück und hielt sie einfach nur bei sich, während Sesshoumaru zufrieden neben ihnen stand und sie wenig später in das Schloss geleitete, wo er sie allein ließ, damit sie ungestört miteinander reden konnten. Kapitel 111: ------------- Kataga hatte seinen Arm um Ayashis Schultern gelegt, als er langsam mit ihr in den Hof trat, um sich dort von Sesshoumaru zu verabschieden. Ayashi lächelte ihn an und nickte ihm zu. Sie hatte sich mit ihrem Vater versöhnt, und obwohl Kataga den ersten Schritt auf sie zugemacht hatte, hatte sie das Gefühl, dass Sesshoumaru ganz entscheidend zu dieser Versöhnung beigetragen hatte. „Sesshoumaru, ich danke Euch für Eure Hilfe.“ meinte Kataga und reichte Sesshoumaru seine Hand. „Es war mir ein Vergnügen.“ gab Sesshoumaru zurück und fügte hinzu: „Wobei meine Hilfe… nicht sehr von Nöten gewesen ist, wie mir scheint.“ „Wer weiß, ob ich mich mit meiner Tochter versöhnt hätte, wenn Ihr mit nicht versichert hättet, dass sie bereit dazu ist.“ beharrte Kataga und blickte Ayashi an, die ihren Blick zwischen den wichtigsten Youkai in ihrem Leben hin und herwandern ließ. Das alles schien ihr immer noch zu irreal. Träumte sie vielleicht? Nein, der Arm ihres Vaters lag noch immer um ihre Schultern und Sesshoumarus Blick jagte wohlige Schauer über ihre Haut. Das konnte kein Traum sein. „Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber… Ayashi, möchtest du nicht wieder nach Fukuoka kommen?“ fragte Kataga und Ayashi zögerte. Sie blickte zu Sesshoumaru, der leicht den Kopf senkte, aber nicht den Blick von ihr abwandte, und blickte wieder zu ihrem Vater. „Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne noch bleiben, Vater.“ gestand Ayashi und Kataga musterte sie und dann Sesshoumaru. Was war das nur für ein Blick gewesen, den Ayashi und Sesshoumaru so kurz geteilt hatten? Kataga kniff unmerklich die Augen zusammen und versuchte, sich seinen Reim darauf zu machen, doch wusste auch, dass er seiner Tochter noch eine Antwort schuldete. „Natürlich darfst du noch bleiben, Ayashi, doch… nur wenn es keine Umstände macht…“ „Gewiss nicht.“ versicherte Sesshoumaru und Ayashi lächelte. „Nun, gut. Dann werde ich alleine nach Fukuoka aufbrechen, aber du versprichst mir, dass du mich besuchen wirst, sollte es mir nicht möglich sein, hierher zu kommen? Ich bin nicht gewillt, dich noch einmal so lange Zeit zu entbehren.“ „Ich besuche dich gern, Vater.“ erklärte sich Ayashi einverstanden, verabschiedete sich von ihrem Vater und blickte ihm mit Sesshoumaru nach, wie er über den Hof ging. Kataga drehte sich noch einmal nach ihnen um, bevor er das Tor erreichte, und plötzlich dämmerte ihm, was er vorher nicht erklären konnte. Sesshoumaru und Ayashi… War das möglich? Kataga nickte bei sich und sah, dass Ayashi noch einmal kurz zu Sesshoumaru blickte, der ihrem Blick begegnete und sie anlächelte. Kataga wandte sich nun endgültig zum Gehen und lächelte, als er sich vornahm, Sesshoumaru nicht länger als möglichen Schwiegersohn auszuschließen, doch er wusste auch, dass noch Zeit verstreichen musste, ehe er überhaupt wirklich darüber nachdenken durfte. Mehrere Jahre gingen ins Land, in denen Ayashi immer wieder Shimonoseki verließ, um nach Fukuoka zu ihrem Vater zu reisen oder Inuyasha in der Nähe der Burg zu besuchen. Er hatte inzwischen soweit zu ihr Vertrauen gefasst, dass er auf sie zulief, sobald er sie erblickte und dann erzählte und erzählte, und ihr kleine Streiche spielte, bis er dafür schließlich auch schon zu alt war. Sie hatte ihm auch von ihrer wahren Natur berichtet und er hatte seine anfängliche Skepsis verloren. „Inuyasha, musst du nicht langsam in die Burg zurück? Es wird schon dunkel und die Tore werden doch geschlossen.“ meinte Ayashi an einem Abend im Frühsommer, doch Inuyasha schüttelte den Kopf. „Pah! Dann steige ich eben über die Mauer.“ meinte er und legte sich auf seine Ellenbogen zurück. Ayashi lachte leise und betrachtete ihn. Er war nun ungefähr im Alter eines älteren Teenagers und sie erkannte immer stärker die Ähnlichkeit zu Inu-no-taishou. Heute bemerkte sie die Ähnlichkeit zu seinem Vater stärker als sonst, denn Inuyasha war den ganzen Tag schon recht schweigsam und nachdenklich. „Was geht dir im Kopf herum, Inuyasha?“ fragte Ayashi und blickte ihn aufmerksam an. „Ach, ich überlege nur, ob ich nicht… nun, ja… die Burg verlassen soll.“ „Hm, möchtest du das denn?“ „Ja, irgendwie schon.“ gab er zu und Ayashi nickte. „Wohin möchtest du denn?“ „Ich weiß es noch nicht. Ich möchte die Welt kennen lernen. Es gibt doch so viele Orte, von denen du mir schon erzählt hast, Aya, die ich mir noch nicht einmal vorstellen kann. Ich möchte sie sehen.“ „Dann solltest du gehen und sie suchen.“ ermunterte sie ihn und lächelte, da er doch dazu übergegangen war, sie nur Aya zu nennen. Inuyasha zuckte die Schultern und blieb stumm. „Warum zögerst du?“ wollte sie wissen und er schwieg eine Weile, ehe er antwortete: „Ich habe Angst, dass ich dich dann nicht mehr wiedersehe.“ „Das ist Unsinn, Inuyasha!“ „Wie willst du mich finden, wenn ich nicht mehr in der Nähe der Burg bin?“ „Ich habe da meine Möglichkeiten.“ antwortete Ayashi lächelnd und Inuyasha blickte sie zweifelnd an, weshalb sie meinte: „Ich glaube, du unterschätzt die Fähigkeiten einer Youkai gewaltig.“ „Pah! Als ob du… Hä? Hast du nicht gesagt, du eine Hanyou bist?“ Ayashi nickte und blickte ihn prüfend an, ehe sie meinte: „Inuyasha, seit ich dich kenne, weiß ich, dass ich mehr von einer Youkai in mir habe.“ „Ich dachte, du verurteilst mich nicht, weil ich Hanyou bin…“ „Das tue ich nicht, Inuyasha!“ versicherte sie und suchte nach den richtigen Worten: „Weißt du, ich habe bemerkt, dass du einmal im Monat zu einem Menschen wirst.“ „Und?“ „Das kenne ich nicht von mir.“ „Nicht? Wie ist das möglich?“ „Nun, das habe ich auch meinen Vater gefragt, aber er antwortete nicht richtig. Er sagte nur, dass es vermutlich einerseits damit zusammenhängt, dass ich von Youkai erzogen worden bin, aber andererseits auch damit, dass meine Mutter… die Tochter eines Gottes war.“ „Sagtest du nicht, sie war Mensch?“ „Das dachte ich bisher auch. Meine Mutter war zwar sterblich, aber wohl doch keine richtige Menschenfrau.“ „Dann hast du Recht und du hast mehr von einer Youkai in dir. Und ich dachte, du vermeidest es nur, mich an diesen Tagen zu besuchen…“ „Nein, garantiert nicht.“ „Ich wünschte, bei mir gäbe es diese Nacht auch nicht. Es nervt. Vor allem … bist du die einzige, die weiß, wann diese Nacht ist.“ „Das muss so bleiben, Inuyasha. Von mir wird natürlich niemand etwas erfahren, aber auch du solltest mit dieser Information sehr vorsichtig umgehen. Deine Feinde…“ „Ich habe keine Feinde, mit denen ich nicht auch als Mensch fertig werden würde, Aya.“ lachte er und Ayashi schüttelte den Kopf. „Der gefährlichste Feind ist der, den man unterschätzt, Inuyasha. Und dass du noch keine gefährlichen Gegner hast, mag daran liegen, dass du bisher nicht in der Welt herumgekommen bist.“ meinte sie und er nickte. „Du rätst mir also davon ab, in die Welt hinauszuziehen?“ „Nein, das würde ich niemals tun, aber ich rate dir zur Vorsicht.“ erklärte Ayashi und Inuyasha schwieg eine Weile. „Warst du immer vorsichtig?“ fragte er schließlich und Ayashi schüttelte den Kopf, nickte dann aber darauf. „Was sollte das jetzt heißen?“ „Das sollte heißen, dass ich mich niemals leichtfertig in eine gefährliche Situation gestürzt habe. Ich habe mich immer bemüht, mein Leben nicht unnötigem Risiko auszusetzen, auch in Gedanken an diejenigen, die ich liebe.“ erklärte sie und Inuyasha blickte sie aufmerksam an. „Deine Familie?“ „Ja, meine Familie.“ „Du erzählst selten von deiner Familie. Ich meine, ich weiß, dass du einen Vater hast, der Youkai ist, und eine Mutter, die Mensch… nein, entschuldige… Halbgöttin ist, aber sonst erzählst du recht wenig.“ „Du wolltest nie über uns Youkai Bescheid wissen. Ich war ja schon sehr froh, dass du mich wiedersehen wolltest. Du hast dich als kleiner Junge sehr vor ihnen gefürchtet.“ erklärte Ayashi und Inuyasha nickte gedankenverloren. „Ich bin kein kleiner Junge mehr.“ „Was möchtest du wissen?“ fragte Ayashi deshalb und Inuyasha zuckte die Schultern. „So vieles… Wie lebt ihr? Wie kämpft ihr? Was denkt ihr? Gibt es eine Gemeinschaft, oder Familien, die zusammenhalten…“ „Genug! Genug!“ lachte Ayashi und Inuyasha verstummte. „Ich weiß nicht, ob ich die Richtige bin, dir diese Fragen zu beantworten.“ „Wer sollte es sonst tun, Aya?“ wollte er wissen und Ayashi lächelte. „Gut. Wir leben mit unseren alten Traditionen und in geregelten, vornehmen Schlössern. Wir pflegen Verbindungen zu verschiedenen Familien und Klans und kommen immer wieder zu politischen Diskussionen zusammen.“ „Das klingt nicht sehr…“ „Inuyasha, ich kann dir viel erzählen, aber du würdest es nicht verstehen. Das meinte ich vorhin. Ich bin nicht die Richtige, dir diese Fragen zu beantworten. Vielleicht solltest du auch niemanden danach fragen, sondern es einfach selbst erleben.“ „Wie das denn?“ fragte er verwundert und Ayashi meinte lächelnd: „Dein Bruder Sesshoumaru würde dich sehr gerne kennen lernen, Inuyasha. Wenn du möchtest, dann begleite mich nach Shimonoseki in sein Schloss.“ Inuyasha blickte Ayashi mehrere Augenblicke sprachlos an, blickte zu Boden und dann in die Richtung, in der das Schloss lag, ehe er einverstanden nickte und sich erhob. „Lass’ uns gehen!“ meinte er und Ayashi stand ebenfalls lächelnd auf, und machte sich mit Inuyasha auf den Weg nach Shimonoseki. Kapitel 112: ------------- Sesshoumaru konnte nicht glauben, was man ihm am Abend berichtete, nämlich dass Ayashi mit einem Hanyou zusammen zurück in das Schloss gekommen war. Obwohl er genau wusste, um wen es sich handeln musste, konnte er es nicht glauben. Inuyasha. Wie hatte sie ihn dazu gebracht, hierher zu kommen? Was hatte sie ihm erzählt? Er erinnerte sich an jene Abende zurück, an denen sie nach ihrer Rückkehr von Inuyasha von diesem berichtete, und ihm jede Kleinigkeit erzählen musste, nur damit er, Sesshoumaru, wenigstens ein bisschen das Gefühl hatte, am Leben seines Bruders teilzuhaben. Und das hatte er nun. Er fühlte sich auch ein wenig so, als kenne er Inuyasha schon, wobei das natürlich nicht so war. Die Beamten erhielten die Anweisungen, Ayashi und den Gast, den sie mitgebracht hatte, zu empfangen, und sie dann zu ihm zu bringen. Er sagte ihnen auch, um wen es sich wahrscheinlich handelte, weshalb sie große Augen machten und sich dann schnell in den Hof begaben. Sesshoumaru wartete in seinen Gemächern und versuchte, sich innerlich auf das erste Zusammentreffen mit seinem Bruder vorzubereiten. Nun, ja, das erste Treffen war es im eigentlichen Sinne nicht, aber er hoffte sehr, dass die Zeit, die verstrichen war, dafür gesorgt hatte, dass Inuyasha ihn nicht wieder als Ungeheuer betitelte und erschreckt vor ihm fortlief. Hoffentlich… Weiter kam Sesshoumaru in Gedanken nicht, denn er hörte Schritte und schließlich ein verhaltenes Klopfen, das um Einlass bat. Sofort schoben zwei Diener, die durch seinen Raum eilten, die Türen auf und knieten sich zu ihren Seiten nieder. Sesshoumaru blickte erwartungsvoll zur Tür und erblickte erst Ayashi, die sich nicht umgezogen hatte und immer noch ihren Kimono trug, den sie für die Reise zu Inuyasha angelegt hatte. Schräg hinter ihr stand ein junger Dämon, dessen Blick noch keine Ruhe gefunden hatte, sondern von all den ersten Eindrücken immer wieder abgelenkt wurde, sodass er selten längere Zeit in dieselbe Richtung blickte. Mit einer unauffälligen Handbewegung ließ Sesshoumaru die Diener abtreten und sie entfernten sich schweigend, doch Inuyasha beobachtete sie dabei trotzdem etwas misstrauisch. Ayashi warf lächelnd einen Blick zu ihm zurück und näherte sich dann Sesshoumaru, verneigte sich ganz leicht, da sie sich mit Inuyasha im Raum nicht anders begrüßen konnten, und wandte sich zu Inuyasha um, der immer noch an der Tür stand. „Inuyasha.“ rief sie ihn zu sich und die spitzen Ohren den Hanyou zuckten leicht. „Inuyasha, komm!“ bat sie und streckte ihre Hand nach ihm auf, die er misstrauisch anblickte. Sesshoumaru blieb ruhig stehen, als wagte er nicht, eine unüberlegte und vielleicht zu schnelle Bewegung zu machen, um ihn bloß nicht zu verschrecken. Er bemerkte, dass Inuyasha sich nicht wohl fühlte, dass es ihn Überwindung gekostet hatte, hierher zu kommen. „Er will offenbar nicht hier sein.“ meinte Sesshoumaru leise und blickte Ayashi an. „Das täuscht. Es war seine Idee. Lass’ ihm Zeit, Sesshoumaru. Ich nehme an, die Eindrücke überfordern ihn ein wenig. Wahrscheinlich hat er diese Pracht nicht erwartet.“ gab Ayashi leise zurück und behielt ihre Hand nach Inuyasha ausgestreckt, als sie wieder zu Inuyasha meinte: „Das ist dein Bruder, Inuyasha. Sesshoumaru. Erinnerst du dich ein bisschen an ihn?“ Nun endlich fiel Inuyashas Blick auf die schlanke und erhabene Gestalt Sesshoumarus und blieb an ihr haften. Sein Mund öffnete sich leicht in Erstaunen und sein linkes Ohr zuckte noch einmal, ehe er den Mund schloss und sich einige Schritte auf Ayashi zubewegte, die sich ohne sein Bemerken neben den fremden Youkai gestellt hatte und nun dort mit der größten Selbstverständlichkeit stand. „Ich erinnere mich an kaum etwas.“ antwortete Inuyasha ehrlich und Ayashi lächelte Sesshoumaru an, der nun meinte: „Ich bin froh, dass du hierher gekommen bist, Inuyasha.“ Inuyasha nickte unsicher und blickte sie wieder im Raum um. Ayashi versuchte gar nicht erst, die Brüder zu einer weiterführenden Unterhaltung zu drängen, da sie beinahe sehen konnte, wie sie sich gegenseitig wie Fremde erst einmal abschätzten mussten. Sie hatte gewusst, dass es Zeit brauchen würde, bis sie einen weiteren Schritt aufeinander zugehen würden, denn immerhin waren sie wie Fremde zueinander. Sesshoumaru beobachtete Inuyasha kühl und überlegt, nicht distanziert, aber mit der Gewissheit, dass er überlegen sein würde, sollte es zu einer Auseinandersetzung kommen, weshalb trotzdem nichts ihm diese Überlegenheit demonstrierte. Inuyasha hingegen beobachtete seinen älteren Bruder mit Vorsicht, jedoch ohne eine gewisse Demut, was Ayashi gefiel. „Und das Schloss gehört wirklich dir?“ stellte Inuyasha schließlich die Frage, die ihn seit ihrem Aufbruch nach Shimonoseki am meisten beschäftigt hatte, und Ayashi musste leise lachen, was das Eis zu brechen schien. „Es war das Schloss unseres Vaters Inu-no-taishou. Und nun gehört es mir, ja.“ antwortete Sesshoumaru und nickte, als Inuyasha ihn prüfend anblickte. „Es ist schön… und scheint sehr groß zu sein.“ überlegte Inuyasha und Sesshoumaru nickte. „Leben auch Menschen hier?“ fragte Inuyasha, worauf Sesshoumaru den Kopf schüttelte. „Nein, hier leben und dienen nur Youkai.“ gab Sesshoumaru Auskunft. Ayashi verließ Sesshoumarus Seite und trat zu Inuyasha, legte ihm den Arm um die Schultern und meinte: „Wolltest du nicht deinen Bruder kennen lernen? Du hast bestimmt noch viele andere Fragen für ihn, oder nicht?“ „Ja, das stimmt schon, aber…“ „Stell’ sie ihm, Inuyasha. Ich weiß, dass er sie dir beantworten wird, wenn er kann.“ ermunterte Ayashi ihn und er nickte leicht. „Ich werde euch alleine lassen.“ verkündete sie etwas lauter, weshalb sie Inuyashas entsetzten Blick erntete. „Keine Sorge, Inuyasha. Er ist dein Bruder.“ Sie warf Sesshoumaru noch einmal einen Blick zu und ließ die beiden dann allein, da sie getan hatte, was sie tun konnte, ob die Brüder miteinander zu vereinen. Der Rest lag an ihnen. Stunden später sah Ayashi, wie Sesshoumaru mit Inuyasha im Park spazieren ging. Sie gingen einträchtig nebeneinander her und Sesshoumaru erklärte gerade etwas, wobei er mit der Hand in den Himmel zeigte. Ayashi musste lächeln und legte den Kopf schräg, um zu sehen, worauf Sesshoumaru zeigte. „Aya!“ rief Inuyasha, als er sie auf der Engawa sitzen sah, und rannte zu ihr. Sesshoumaru blickte sie ebenfalls an, näherte sich ihr aber würdevoll und nicht so stürmisch wie sein kleiner Bruder, der einen schier unstillbaren Wissensdurst hatte – und ihn beinahe alle Antworten, die er jemals gehabt hatte, ausgesaugt hatte. Er war sicher, dass man ihm ansah, wie erschöpft er war, doch er war auch zufrieden und glücklich. „Sesshoumaru hat mir das ganze Schloss gezeigt.“ berichtete Inuyasha stolz und Ayashi lächelte. „Das ganze Schloss? Das hat er nicht einmal mir gezeigt.“ entgegnete sie und blickte zu Sesshoumaru nach oben. Sesshoumaru beugte sich hinab und küsste sie auf die Stirn, was sie enorm überraschte, und weshalb sie ihn erschrocken anblickte. Er schüttelte nur knapp den Kopf und Ayashi verstand: Inuyasha würde sich eh nichts bei dieser Geste denken und sonst war niemand hier. Und… „Du wirst nicht bleiben, oder?“ fragte Ayashi, doch es war eigentlich keine Frage, sondern eine Feststellung. „Nein, wie gesagt: Ich möchte die Welt sehen.“ erwiderte Inuyasha und bemerkte überhaupt nicht, dass er überhaupt nicht mehr richtig in Shimonoseki war, da er sich schon so sehr in die Orte verliebt hatte, von denen Sesshoumaru ihm hatte erzählen müssen. „Habt ihr auch über Inu-no-taishou gesprochen?“ fragte Ayashi Sesshoumaru, doch er nickte nur verhalten. „Nicht viel, aber etwas.“ fügte er nach einer Weile zu und Ayashi konnte sich vorstellen, dass Inuyasha nicht viel nach ihm gefragt hatte. Sie blickte in Sesshoumarus Gesicht und stellte fest, dass er darüber nicht glücklich zu sein schien, weshalb sie leicht seine Hand drückte, damit er sie ansah. Er nickte ihr zu und sie sagte nichts zu ihm. Inuyasha sprang auf und meinte: „Ich mache mich auf den Weg. Bevor es Nacht wird.“ „Willst du nicht wenigstens über Nacht bleiben und morgen früh aufbrechen?“ wollte Sesshoumaru wissen, doch Inuyasha schüttelte schnell den Kopf. „Nein, ich schlafe auf einem Baum, wenn ich überhaupt schlafe. Ich komm’ schon klar.“ versicherte er und Ayashi nickte, da sie das wusste. Inuyasha würde immer irgendwie zurechtkommen, doch es machte sie traurig, dass er schon aufbrach. Dennoch würde sie ihn natürlich nicht aufhalten. „Du musst unbedingt zu den Klippen der singenden Steine reisen.“ erinnerte ihn Sesshoumaru und Inuyasha nickte eifrig. „Ja, die werde ich mir ganz sicher ansehen. Singende Steine! So ein Unsinn!“ lachte Inuyasha und Ayashi lächelte leicht wegen seines Übermuts und seiner Begeisterung. Inuyasha wandte sich schon zum Gehen, als Sesshoumaru ihn noch einmal zurückhielt und ihm seine Hände auf beide Schultern legte. „Vergiss’ nicht, was du gesagt hast, kleiner Bruder.“ bat er noch und Inuyasha nickte, ehe er den Blick zu Ayashi wandte. „Und du vergiss’ nicht, was du versprochen hast!“ lachte er und Ayashi nickte lächelnd, bevor Inuyasha schnell über den Hof rannte und aus dem Schloss verschwand. Ayashi und Sesshoumaru blickten ihm nach, bis Sesshoumaru schließlich fragte: „Was hast du ihm versprochen?“ „Hm?“ meinte Ayashi, blickte ihn an und erklärte: „Ach, dass ich ihn finden würde, egal wo er ist.“ Sesshoumaru nickte und legte ihr den Arm um die Schultern. „Und was hat er dir gesagt?“ wollte sie wissen und Sesshoumaru lächelte auf sie herab. „Er sagte, er würde uns besuchen, wenn er in der Nähe ist.“ entgegnete Sesshoumaru und blickte noch einmal Inuyasha nach, der in der Ferne immer kleiner wurde. Kapitel 113: ------------- Viele Jahre flossen den Strom der Zeit hinab, in denen Kataga immer wieder seine Tochter in Shimonoseki besuchte. Jedes Mal freute er sich sehr, dass sie sich in Shimonoseki wohl fühlte, doch er war auch bei seinem Abschied immer traurig, dass sie nicht von sich aus mit dem Wunsch kam, nach Fukuoka zurückkehren zu wollen. Er sagte schon lange nicht mehr, dass sie jeder Zeit zu Hause willkommen war, denn das musste sie inzwischen wissen. Kataga schüttelte kurz den Kopf, da seine Gedanken schon wieder von seinen Geschäften abgewandert waren, über deren Unterlagen und Verträgen er seit dem Morgen mehr oder weniger konzentriert saß. Er hatte in den letzten Monaten von Beamten und Beratern, ob nach den neuen Gesetzen des Rates eine Garantie seiner Unabhängigkeit als Herr von Kyushu ausgesprochen werden konnte, und sie alle waren unabhängig voneinander zu dem Schluss gekommen, dass es ohne weiteres möglich sein sollte, sich ein solches Papier ausstellen zu lassen. Natürlich hatten seine Berater und Beamte nicht verstanden, warum Kataga sich darüber informiert hatte, denn sie rechneten doch fest damit, dass sie in der fernen Zukunft der Herrin Ayashi dienen würden, doch Kataga waren in den letzten Jahren durchaus auch andere Gedanken gekommen. Sein Eindruck, dass Ayashi und Sesshoumaru sich sehr nahe standen, hatte sich noch weiter verfestigt, und er hatte den Entschluss gefasst, auf jede Situation vorbereitet zu sein. Nun, da er die Möglichkeit hatte, Kyushus Unabhängigkeit zu garantieren, konnte Ayashi Kyushus Herrin und gleichzeitig Sesshoumarus Gefährtin werden. Kataga lehnte sich zurück und las das Papier noch einmal durch, das er heute den Abgesandten des Rates vorlegen wollte, wenn er mit Sesshoumaru in Kyoto war. Er war zufrieden mit sich und den Ergebnissen seiner Arbeit und der Arbeit seiner Beamten. „Herr, es ist Zeit für Euren Aufbruch, wenn Ihr noch mit Eurer Tochter sprechen wollt, bevor Ihr mit Sesshoumaru-Sama nach Kyoto aufbrechen müsst.“ trat ein Diener zu ihm und er nickte, richtete seine Unterlagen zusammen und machte sich für den Aufbruch bereit. Keine Stunde später erreichte Kataga dank seiner Youkai-Fähigkeiten das Schloss von Shimonoseki. Er hatte seine Kraft nicht unterdrückt, weshalb Ayashi ihr freudig im Hof empfing, auf ihn zu ging und ihren Vater in die Arme schloss. „Wenn du mich so vermisst hast, hättest du mich auch besuchen können.“ meinte er lächelnd und drückte seine Tochter an sich. „Inuyasha war bis gestern noch hier. Da wollte ich dann doch nicht gehen.“ entgegnete Ayashi und führte ihren Vater über den Hof. Die Beamten standen in einiger Entfernung und verneigten sich zur Begrüßung, hielten sich aber im Hintergrund, wie es inzwischen üblich geworden war, wenn Kataga eintraf. Er war ein häufiger und gern gesehener Gast, vermittelte dadurch, dass er sich seit geraumer Zeit ohne Höflichkeitstitel und ohne Höflichkeitsform mit Sesshoumaru unterhielt, eine unglaubliche Nähe zum jungen Herrn, dass sie ihn als ehrwürdigen, älteren Freund dessen betrachteten. Sesshoumaru und Ayashi war das nur recht, denn so wurde das Protokoll und die Etikette, die an den Youkai-Höfen sonst herrschten, etwas aufgelockert. Er selbst, Sesshoumaru, hatte die Anordnung dazu gegeben, Kataga beinahe als Mitglied dieses Haushaltes zu behandeln, was er unwissend ja eigentlich schon längst war. Das wussten wiederum aber eh nur Sesshoumaru und Ayashi. „Wie macht sich der Rabauke?“ fragte Kataga, der wusste, dass Inuyasha immer wieder einige Tage in Shimonoseki war, um seinen Bruder und wohl auch Ayashi zu besuchen. „Er ist ein richtiger Wildfang geworden. Von seiner anfänglichen Scheu und seiner Schüchternheit ist nichts mehr zu sehen! Ich kann dir sagen, dass Sesshoumaru damit manchmal seine Probleme hat, aber sie verstehen sich sehr gut.“ „Das ist schön zu hören.“ entgegnete Kataga und folgte seiner Tochter die wenigen Stufen zur Engawa hinauf. „Nicht wahr? Ich bin auch sehr froh, dass sie sich ausgesprochen haben.“ antwortete sie und geleitete ihren Vater über die Engawa in einen weiteren Hof, der dann wiederum zum Empfangssaal führte. „Das haben sie zu einem großen Teil dir zu verdanken.“ Ayashi nickte nachdenklich, als sie sich an das Gespräch mit Sesshoumaru, in dem er ihr berichtet hatte, wie es um ihn und Inuyasha stand, und an die Begegnungen mit Inuyasha. erinnerte. Es schien schon eine unendliche Zeit zurückzuliegen, dabei waren es nur knapp fünfzig Jahre, die seit Inuyashas erstem Besuch in Shimonoseki verstrichen waren. „Ich tat es nicht der Anerkennung wegen.“ erwiderte Ayashi ruhig und Kataga blickte sie an. „Ja, das weiß ich. Familie ist sehr wichtig und Brüder gehören zusammen und sollten zumindest in der Lage sein, sich an einen Tisch zu setzen und miteinander zu reden. So habe ich dich erzogen.“ „Ich bin mir sicher, dass Sesshoumaru irgendwann selbst noch einmal einen Schritt auf Inuyasha zugemacht hätte. Es belastete ihn doch sehr, dass sein kleiner Bruder eine derartig schlechte Meinung von ihm hatte, und diese sich lediglich in seiner Herkunft begründete.“ sagte Ayashi und ihr Vater schwieg eine Weile. „Sesshoumaru kann sich sehr glücklich schätzen.“ meinte er schließlich, weshalb Ayashi fragend aufblickte. „Ayashi, mein Kind, du schätzt ihn, nicht wahr?“ „Ja, ich schätze ihn sehr, Vater.“ „Und magst du ihn?“ „Findest du nicht, dass Wertschätzung und Zuneigung Hand in Hand miteinander gehen?“ fragte Ayashi und wich der Frage ein wenig aus. Sie scheute sich davor, ihre Gefühle für Sesshoumaru vor ihrem Vater einzugestehen. Was würde er tun, wenn es ihm nicht passte, was sie fühlte? Was würde sie dann tun? Auch wenn Katagas Art, sie danach zu fragen, Vertrauen in ihr weckte, und sie keinen anderen Grund für Misstrauen hatte, kam sie nicht ganz umhin, das über Jahre und Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte streng gehütete Geheimnis bewahren zu wollen. „Sicherlich verdient er deine Zuneigung, wenn du ihn aus vollem Herzen achten kannst.“ gab Kataga vorsichtig zurück, worauf Ayashi nickte. In ihre Gedanken formte sich einer immer mehr heraus, nämlich dass es Zeit war, endlich die Wahrheit zu sagen – Nun, zumindest einen kleinen Teil davon, auf den man aufbauen konnte. Der Antrag des Kaisersohnes war schon sehr lange her und würde bald nichtig werden. Sesshoumaru hatte ihr gesagt, es bestünde mehr als nur ein unsicherer Anlass zur Hoffnung, dass er um ihre Hand bitten konnte, wenn es soweit war. Musste sie nicht eine Andeutung machen, dass der liebende Vater bereit für ein solches Gespräch war, wo er bei dem ersten doch seine Tochter für so lange Zeit verloren hatte und das unter allen Umständen ein zweites Mal verhindern wollte? „Vater, ich fühle mich Sesshoumaru sehr verbunden und nahe. Ja, ich mag ihn. Er besitzt meine Achtung, meine Aufmerksamkeit, mein Vertrauen und … über die Jahre – so gebe ich zu – konnte ich nicht anders, als ihm auch mein Herz zu schenken. Es tut mir leid, Vater.“ Kataga schwieg, doch nicht weil er entsetzt oder böse war, sondern weil er genau dies erwartet hatte. Und es freute ihn. „Sesshoumaru empfindet ähnlich für dich, nehme ich an?“ fragte er und Ayashi zögerte einen kleinen Moment, während sie ihre Worte mit Bedacht wählte. „Er lässt keinen Zweifel daran, dass auch ich ihm teuer bin, doch unternahm er natürlich niemals Schritte, die seine Ehrenhaftigkeit befleckt hätten.“ „Davon gehe ich aus, Ayashi.“ entgegnete Kataga mit ruhiger Stimme und Ayashi nickte leicht, ehe sie aus den Augenwinkeln Sesshoumaru herannahen sah. Sesshoumaru näherte sich ihnen langsamer als gewöhnlich, um sicher zu gehen, dass sie ihn sehen würden, bevor er ihr Gespräch zwischen Vater und Tochter störte. „Kataga, wie geht es dir?“ fragte er seinen Verbündeten und neigte den Kopf, ehe sie sich so die Hand reichten, dass die Unterarme sich berührten. „Ich kann mich nicht beklagen. Und du bist wohlauf?“ entgegnete Kataga, während Ayashi sich immer noch an die Vertrautheit zwischen den beiden gewöhnen musste, obwohl sie doch nun schon wahrlich oft Zeugin davon geworden war. „Ja, den Umständen entsprechend. Ich habe mich vor einigen Tagen mit Tsukiyomaru getroffen. Die Situation für seinen Klan spitzt sich wegen der Übergriffe der Katzenyoukai immer weiter zu. Sie werden ihnen einfach nicht Herr.“ „Ich hatte keine Ahnung, dass die Katzenyoukai wieder so aktiv sind.“ „Der Rat - vor allem die Fürsten aus dem Norden spielen das Ganze etwas herunter. Kein Wunder, sie sind ja auch nicht betroffen. Ich befürchte allerdings, dass alles von der heutigen Ratssitzung abhängt. Erzielen wir heute keine Einigung, dass zumindest die verbündeten Fürsten der betroffenen Klans in die kriegerischen Handlungen eingreifen dürfen, sieht es sehr schlecht aus.“ „Es ist eine Zumutung, von Verbündeten zu erwarten, die Füße still zu halten.“ entgegnete Kataga und Sesshoumaru nickte. „Das ist auch meine Meinung. Ich finde außerdem, dass der Rat, der für Sicherheit und Gerechtigkeit unter allen Youkai sorgen soll, seine Funktion in dieser Frage nicht erfüllt. Es ist einfach nicht denkbar, dass Youkai Ländereien anderer Youkai zerstören können, ohne dafür eine Konsequenz erwarten zu müssen.“ „Was hast du vor?“ wollte Kataga wissen, da er wissen musste, ob er in dieser Sache mit Sesshoumaru einer Ansicht war. „Ich werde den Rat heute noch einmal in der Versammlung bitten, die Katzenyoukai zu Feinden zu erklären, damit Tsukiyomarus Klan auf die Hilfe der Verbündeten zählen kann. Sollte er nicht nach meinen Vorstellungen entscheiden, werde ich auch gegen seine Einwilligung meinem Verbündeten helfen.“ „Damit scheidest du aus dem Rat aus.“ gab Kataga zu bedenken, doch Sesshoumaru nickte. „Ich weiß. Und ich weiß auch, dass mein Gebiet damit nach dem Gesetz jedem Beliebigen zum Angriff offen steht, da ich dadurch meine Stellung als anerkannter Erbe der Westlichen Länder verliere, doch die Untätigkeit und die Unwilligkeit des Rates behindert mich in meiner Pflicht gegenüber meiner Verbündeten und bringt meine Ehre in Gefahr.“ erklärte Sesshoumaru entschlossen und ruhig. „Es ist mir eine Ehre, dich als Verbündeten und Freund zu betrachten, Sesshoumaru.“ gab Kataga ehrlich zurück und warf einen kurzen Blick auf Ayashi, die offenbar durch Sesshoumaru über die politische Situation gut unterrichtet war. „Lass’ uns aufbrechen und sehen, was wir bei den Ratsherren erreichen können.“ fügte er hinzu, verabschiedete sich von Ayashi mit einem Stirnkuss, und verließ dann mit Sesshoumaru Shimonoseki. Kapitel 114: ------------- Sesshoumaru und Kataga waren inzwischen schon zwei Tage auf der Versammlung des Rates und Ayashi wurde immer unruhiger. Sie wusste, dass das kein gutes Zeichen sein konnte. Sie wusste, dass Schlimmes bevorstand, doch warum war sie sich da so sicher? Unruhig drehte sie sich auf ihrem Lager um. Sie vermisste Sesshoumarus Wärme neben sich und konnte lange keinen Schlaf finden. Es musste weit nach Mitternacht sein, als ihr endlich die Augen zufielen. ‚Meine Tochter, höre mir zu!’ drang eine Stimme in ihren Schlaf und ließ Ayashi tatsächlich aufhorchen. ‚Erinnere dich an damals, als wir uns in der Höhle begegnet sind, Kibonohana. Damals kam ich zu dir, als du nach dem fragtest, was du tun musst.’ Ayashi wusste, dass sie schlief und vermutlich auch träumte. Sie sah nichts, sondern alles um sie herum war dunkel, doch sie hörte die Stimme ihrer Mutter Midoriko so deutlich, als stünde sie neben ihr. ‚Ich erinnere mich.“ dachte Ayashi und ihre Stimme war so klar, als habe sie die Worte wirklich gesprochen. ‚Die Zeit ist gekommen und sie drängt. Das Juwel der Vier Seelen steht kurz davor, genutzt zu werden. Seine Macht ist in den vergangenen Jahrhunderten gewachsen und wird bald nicht mehr schweigen.’ ‚So weißt du nun, wo es sich befindet?’ fragte Ayashi in die Dunkelheit. ‚Es befindet sich in der Obhut seiner Schützerin, einer jungen Priesterin mit dem Namen Kikyo aus dem Dorf Edo.’ ‚Ist das nicht gut? Eine Priesterin kann das Juwel schützen.’ ‚Sie hat über Jahre ihre Aufgabe gewissenhaft und erfolgreich gemeistert, doch nun erträgt sie ihr Los nicht mehr. Ihre Aufgabe, das Juwel zu schützen und zu hüten, erfüllt sie nun mehr mit Trauer und Schwere als mit Ehrgefühl und Verantwortung. Sie will die Macht des Juwels nutzen.’ ‚Was gedenkt sie zu tun, diese Priesterin?’ wollte Ayashi wissen und Midoriko schien zu zögern. ‚Ihre Absichten sind größtenteils gut und rein, doch sie unterschätzt die Macht des Juwels. Und sie versteht die Situation nicht, in der sie sich befindet. Denn obwohl sie die Macht für jemanden nutzen möchte, den sie aus tiefstem Herzen und aufrichtigem Geist liebt, so dient ihr Vorhaben auch ihr selbst. Zu einem solchen Zweck kann das Juwel nicht eingesetzt werden, ohne seine dämonischen Energie freizusetzen.’ erklang ihre Stimme wieder. ‚Wie kann ich ihr helfen?’ wollte Ayashi wissen. ‚Das kannst du nicht. Du kannst sie auch nicht vor dem warnen, was geschehen wird, denn sie wird dir nicht glauben.’ ‚Muss ich es nicht wenigstens versuchen? Was wird geschehen, Mutter? Ich werde mit ihr…’ ‚Nein, mein Kind, du kannst ihr ihren sehnlichsten Wunsch nicht ausreden. Ein Leben als normale Frau, das wünscht sie sich. Und du kannst sie nicht warnen, denn auch mir sind die Folgen ihres Handelns verborgen. Ich weiß nur, dass sie den Pfad ihres Schicksals bereits durch ihre bedingungslose Güte beschritten hat. Schlimmes wird mit ihr geschehen, doch sollte sie auch noch das Juwel einsetzen, Kibonohana, so wird großes Unheil über uns kommen, denn sie kann es nicht zerstören.’ ‚Kann das Juwel nicht einer anderen Priesterin anvertraut werden? Eine Priesterin, die sich … mit dieser Aufgabe abfinden wird?’ ‚Es ist ein schweres Los für eine junge Frau, das Juwel zu behüten. Kikyo war vom Schicksal ausersehen, unglücklich und streng gegen sich selbst zu sein, damit die Welt in Glück und Zufriedenheit leben konnte. Ihre Zeit mit dem Juwel neigt sich dem Ende zu, ob sie es nun nutzt oder selbst stirbt. Sie kann es nicht mehr schützen.’ ‚Wer kann es dann?’ ‚Niemand. Kein Mensch. Kein Youkai. Die Kräfte sind zu unausgeglichen und angestachelt durch die Aussicht auf Freiheit, Macht und Blut.’ ‚Wie kann das sein? Das Juwel muss behütet werden. Wer kann es?’ fragte Ayashi noch einmal, da sie das einfach nicht glauben wollte. ‚Ein junges Mädchen ist auserwählt, doch es ist noch nicht bereit für ihre Aufgabe. Es ist noch nicht einmal geboren. Generationen werden vergehen, in denen nur die Götter das Juwel vor dem Missbrauch schützen können. Sie werden seine unreine Kraft in ihr Reich dringen lassen, werden ihre heiligen Stätten den Kräften der Dämonen aussetzen. Sie werden das Unheil in ihre Mitte nehmen und bewahren, denn auch sie sind in dieser Hinsicht machtlos und können die Existenz des Juwels nicht beenden. Ich spreche zu dir als Botin der Götter, besonders des höchsten Gottes Heiwa-Sen, der das Gleichgewicht erhält.’ ‚Wie kann das Juwel in das göttliche Reich gelangen, wenn es auf Erden ist?’ ‚Höre mir nun gut zu, Kibonohana! Versuche Kikyo, wenn du möchtest, davon zu überzeugen, das Juwel nicht zu verwenden, doch ihr Leben wird nicht mehr allzu lange ihren Körper erfüllen. Rufe ihr auf jeden Fall die reinigende Kraft des Feuers in Erinnerung. Rate ihr, das Juwel bei ihrer Bestattung mit ihr zusammen den Flammen zu überantworten. Dadurch gelangt es in das Reich der Götter und kann hier von keinem Menschen oder Dämon genutzt werden.’ ‚Und ist es dann in Sicherheit?’ ‚Es ist nicht so einfach, Kind, aber die Götter sollten in der Lage sein, die Welt von seiner Macht abzuschirmen, bis die Zeit gekommen ist, da es ihr Reich wieder verlassen muss.’ ‚Die Welt wird niemals bereit für eine solche Bedrohung sein, Mutter.’ ‚Ja, das sehe ich auch so. Und glaube mir, hätte ich gewusst, dass ich dieses Juwel schaffe, hätte ich mich den Dämonen ohne Gegenwehr zum Fraß vorgeworfen.’ Ayashi schwieg und versuchte, sich über das eben Gehörte ein klares Bild zu verschaffen, als Midoriko fortfuhr: ‚Es tut mir sehr leid, meine Tochter. Es tut mir sehr leid, dass ich dir so viel Kummer und Gram zugefügt habe. Das wollte ich niemals.’ Ayashi verstand nicht. Natürlich wollte sie mit dem Juwel lieber nichts zu tun haben, doch sollte ihre Mutter nicht sagen, dass sie der Welt das alles lieber erspart hätte? Sie hatte zwar eine Aufgabe, doch die konnte sie erledigen, weil sie denkbar überschaubar war. ‚Was meinst du, Mutter?’ fragte sie deshalb, doch sie bekam keine Antwort mehr und alles blieb still. Ayashi schreckte aus ihrem Traum hoch und war schweißgebadet. Ihr Atem ging schwer und sie blickte sich in ihrem Zimmer um, als müsse sie sicher gehen, wirklich in Shimonoseki zu sein. Ja, tatsächlich. Es waren ihre Gemächer in Shimonoseki. Plötzlich war sie froh, dass Sesshoumaru noch nicht zurück war, denn es konnte ihm nicht gefallen, wenn sie ihm davon erzählte – und sie wusste auch noch überhaupt nicht, wie sie das tun sollte. Vielleicht hatte Midoriko das gemeint: Sie war untröstlich, dass sie Ayashi jetzt diese Aufgabe übertragen musste, wo Ayashi doch weitaus andere Sorgen hatte und ein neuer Krieg beziehungsweise Sesshoumarus Bruch mit dem Rat in Kyoto bevorstand. Ja, wahrscheinlich hatte sie das gemeint, versuchte Ayashi sich zu beruhigen, doch es gelang ihr nicht ganz. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Midoriko ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Kam auf Ayashi noch etwas zu, von dem ihre Mutter schon gewusst hatte, sie jedoch noch nichts ahnte? „Nein.“ murmelte Ayashi leise und schüttelte den Kopf, da sie daran nun keine Gedanken verschwenden wollte. Draußen begannen die Vögel zu zwitschern, obwohl es noch nicht einmal dämmerte. Es würde bestimmt wieder ein heißer Sommertag werden. Nach kurzem Überlegen erhob sich Ayashi und ging einige Schritte im Zimmer auf und ab, bevor sie einen Entschluss fasste, aus ihrer Kleidertruhe ihr Miko-Gewand holte, es anlegte und schnell und ungesehen das Schloss Shimonoseki verließ. Wenn sie sich beeilte und jetzt schon nach Edo aufbrach, konnte sie zurück sein, bevor Sesshoumaru nach Hause zurückkehrte, denn der hatte wahrlich andere Sorgen, als sich um Ayashis Traumbotschaft von ihrer Mutter zu kümmern, in der es um das Juwel der Vier Seelen, Götter und ungeborene, aber auserwählte Mädchen ging. Ayashi schüttelte kurz den Kopf, als sie bedachte, dass sie auf einen Traum hin alles stehen und liegen ließ, doch sie konnte nicht anders. Der Traum ihrer Mutter war nicht nur ein Traum – und es war genau das eingetreten, was sie vor so langer Zeit schon angesprochen hatte, also gab es daran keinen Zweifel. Morgenrot zog gerade am Horizont auf und tauchte die dichten Wälder in sanftes Licht, als sich Ayashi mit ihrer Youkai-Fähigkeit in die Luft erhob und schnell über den Himmel zum entlegenen Dorf Edo reiste. Kapitel 115: ------------- Ayashi erreichte Edo, noch bevor die Sonne ihren Höchststand erreicht hatte. Sie hatte sich ein wenig abseits des Dorfes zurück auf den Boden begeben, hatte ihre dämonische Energie gewissenhaft verborgen und trat nun als menschliche Miko in das kleine Dorf, dessen Bewohner sie von der Ferne zunächst ohne Vorbehalte anblickten und schon freundlich grüßen wollten. Dann bemerkten sie jedoch, dass es nicht ihre Priesterin war, die sich näherte, und hielten sich scheu und misstrauisch zurück. Einige Kinder kamen Ayashi freudig entgegen gelaufen, doch sie wurden von den Erwachsenen zurückgehalten und Ayashi hörte Sätze, die sie zur Vorsicht mahnten, da man nie wissen konnte. Nun, sie war eben eine Fremde, doch immerhin eine fremde Priesterin. Was fürchteten die Dorfbewohner für Gefahren, dass selbst das Miko-Gewand ihre Zweifel heraufbeschwor. „Ich bin die Miko Kibo aus dem Dorf Shizukesa. Ich möchte die Priesterin dieses Dorfes sprechen.“ verkündete Ayashi so laut, dass es zumindest die umstehenden Dörfler hören konnten. „Gibt es hier niemanden, der mich zu ihr führen kann? Oder gibt es keinen Ältesten, der mich nach dem heiligen Gastrecht bei sich aufnimmt, bis ich die Priesterin sprechen kann?“ fragte sie, als niemand reagierte. Noch eine kleine Weile blieb es still. Die Frauen senken den Blick und hielten die Kinder bei sich. Die Männer sprachen sich scheinbar kurz untereinander ab, ehe schließlich einer von ihnen vortrat und antwortete: „Es gibt in diesem Dorf keinen Ältesten. Die Miko Kikyo ist unsere Führerin. Und sie verließ das Dorf bereits im Morgengrauen.“ „Wo kann ich sie finden, wenn sie nicht hier ist?“ fragte Ayashi mit einem verstehenden Nicken, doch der Dorfbewohner schüttelte den Kopf. „Sie sagte nicht, wohin sie ging.“ meinte er und Ayashi nickte wieder nur, während sie sich bemühte, ruhig zu bleiben und keinen Ärger über die ganze Situation zu entwickeln. „Sie müsste jedoch bald zurück sein.“ fügte ein junges Mädchen den Worten des Mannes hinzu, löste sich aus der Menge der Kinder und eilte schnell zu Ayashi, was die Frauen mit Mahnungen zur Vorsicht kommentierten. Ayashi blickte zu dem Mädchen herab und schaute einen Moment in ihre großen, aufgeschlossenen Augen, ehe sie sich etwas hinabbeugte und lächelte. „Du bist mutiger als die anderen.“ stellte sie fest und das Mädchen zuckte die Schultern, ehe es erwiderte: „Ich bin nur neugierig.“ „Neugierig? Weshalb denn?“ wollte Ayashi wissen und richtete sich wieder auf. „Nun, ich habe noch nie eine andere Priesterin gesehen. Nur meine Schwester.“ antwortete das Mädchen ehrlich und Ayashi musste wieder lächeln. „Kikyo ist also deine ältere Schwester?“ fragte sie nach, da die Kleine scheinbar die einzige war, die sich mit ihr unterhalten wollte. „Ja.“ sagte das Mädchen nicht ohne Stolz und nickte dabei noch einmal. „Wie heißt du denn?“ „Kaede.“ „Kaede also. Du hast gehört, dass mein Name Kibo ist? Ja?“ fragte Ayashi und fuhr fort, als Kaede nickte: „Ich würde gerne auf deine Schwester warten. Meinst du, das ist möglich?“ „Sicher, kommt! Wir können uns vor das Haus in den Schatten setzen und dort warten.“ erwiderte Kaede, ergriff Ayashis Hand und führte sie zur Bleibe der Priesterin. Gemeinsam setzten sie sich auf die schmale Engawa des kleinen Hauses und schwiegen eine Weile, ehe Ayashi das kleine Mädchen nach ihren Eltern fragte, die verstorben waren, und herausfand, dass Kaede nun neun Jahre alt war, in diesem Haus mit ihrer Schwester lebte und selbst schon einiges über Kräuter und Heilpflanzen gelernt hatte, da sie irgendwann in die Fußstapfen ihrer Schwester treten würde. So verging die Zeit schnell und die Dinge im Dorf gingen ihren gewohnten Gang. Die Menschen gingen ihren alltäglichen Arbeiten nach, doch warfen immer wieder einen prüfenden Blick auf Ayashi, die sich leise und ruhig mit Kaede unterhielt. Geheuer war ihnen die Anwesenheit der fremden Priesterin wahrscheinlich immer noch nicht, weshalb sie sichtlich erleichtert waren, als sie Kikyo am Eingang des Dorfes erblickten. Kaede sah auf, als fröhliche Begrüßungen ertönten, und lachte schließlich, ehe sie rief: „Da kommt sie! Kiyko! Seht, Kibo!“ Kaede erhob sich schnell und rannte ihrer Schwester entgegen, während Ayashi aufstand und sich der fremden Priesterin nicht näherte, sondern sie so anblickte und warten wollte, bis sie auf sie zukam. Kikyo bemerkte, dass sie erwartet wurde, und Kaede hatte ihr nach ihrer überschwänglichen Begrüßung auch mit Sicherheit von der Neuigkeit erzählt, doch Kikyo beschleunigte ihren Schritt nicht, sondern ging langsam wie bisher weiter. Ayashi nutzte die Zeit, Kikyo genau zu mustern. Trauer und Schmerz lag in ihren Augen und ließen sie älter wirken, als sie in Wirklichkeit war. Sie mochte siebzehn sein oder höchstens ein Jahr älter, doch ihr Gesichtsausdruck wirkte zu ruhig, zu still, zu verantwortungsbewusst und zu fest, um zu einer lebenslustigen jungen Frau zu gehören. Ihre Mutter Midoriko hatte Recht gehabt, schoss es Ayashi durch den Kopf. Kikyo ging schon längere Zeit auf einem Pfad, auf dem sie nicht mehr umkehren konnte. Die Schützerin des Juwels hatte einen Preis gezahlt: ihre Jugend, ihre Fröhlichkeit und Unbeschwertheit. Energisch schob Ayashi diese Gedanken von sich und konzentrierte sich ganz auf Kikyos Gestalt. Die junge Priesterin trug einen kleinen Korb mit Kräutern und Wurzeln mit sich und setzte einen kleinen Schritt vor den anderen. Das lange, schwarze Haar wehte sanft im Wind und Ayashi konnte einen leichten Duft von feuchter Erde und Moos wahrnehmen, der von ihm ausströmte. Zu mehr war sie aus dieser Entfernung und unter Einschränkung ihrer Youkai-Fähigkeiten nicht in der Lage. „Seid gegrüßt, Kibo.“ begrüßte Kikyo ihren Gast und verneigte sich, was Ayashi ihr gleichtat. „Ich grüße euch, Kikyo. Verzeiht, dass ich unangekündigt in Euer Dorf komme.“ entgegnete Ayashi, doch Kikyo schüttelte den Kopf. „Ihr seid wahrlich willkommen, auch wenn ihr bei Eurer Ankunft bestimmt einen anderen Eindruck hattet. Ich entschuldige mich für die Kälte, mit der ihr nach Eurer langen Reise hier empfangen wurdet, doch die Leute haben Angst – und das aus gutem Grund, wie mit scheint.“ Ayashi wusste, dass Kikyo auf die Anwesenheit des Juwels der vier Seelen im Dorf anspielte, doch sie sagte nichts dazu, sondern meinte nur: „Ich muss Euch sprechen, Kikyo.“ „Begleitet mich bitte in mein Haus.“ bat Kikyo, gab Kaede ihren Korb und wies dann mit ihrer Hand auf das kleine Haus, vor dem Ayashi auf sie gewartet hatte. Ayashi nickte und folgte der jungen Frau ebenso wie Kaede, die mit dem Korb die Stufen hinauf sprang und sich auf der Engawa daran machte, die Kräuter zu sortieren und einerseits auf großen Blättern zum Trocknen auszubreiten, andererseits in kleinen Tongefäßen zu zerstoßen. Kikyo schürte das Feuer in der Mitte des Raums und setzte eine Kanne mit Tee auf den eisernen Untersatz. Im geschlossenen Raum nahm Ayashi nun auch andere Gerüche an Kikyo wahr, die in ihr kein Wohlbehagen auslösten. Der Geruch von Krankheit war sehr stark an ihren Kleidern, doch sie selbst war nicht krank. Hatte sie einen Kranken besucht, ehe sie ins Dorf zurückgekehrt war? Und noch etwas haftete an ihr. Ein Geruch… Duft, der Ayashi bekannt war. Inuyasha. Inuyasha?! War Kikyo ihm zufällig und einmalig begegnet? Hatte er einen Kampf mit der Priesterin herausgefordert? Hatte sie ihn angegriffen, da er kein Mensch war? Hielt er sich etwa schon längere Zeit in der Nähe des Dorfes auf? Es waren nur wenige Monate vergangen, seit Inuyasha das letzte Mal in Shimonoseki gewesen war, doch er hatte nicht erwähnt, dass er nach Edo wollte oder in Edo war. Das war alles höchst merkwürdig und Ayashi musste zugeben, dass es ihr nicht gefiel. Was, wenn Inuyasha das Juwel…? „Was führt Euch nun nach Edo?“ fragte Kikyo, weshalb Ayashi ihre Gedanken und Überlegungen unvollendet ließ, und bedeutete Ayashi, auf einem dünnen Sitzkissen Platz zu nehmen. Ayashi setzte sich mit geschmeidigen Bewegungen etwas weiter von der Feuerstelle entfernt und wartete, bis Kikyo ebenfalls Platz genommen hatte, ehe sie zu sprechen begann: „Ihr seid noch sehr jung, Kikyo. Ich hatte nicht erwartet, dass man das Juwel einer Priesterin Euren Alters anvertraut hat.“ „Seid Ihr deshalb hier? Wollt Ihr mir nahe legen, es in Eure Obhut zu übergeben?“ „Nein. Nein, gewiss nicht.“ antwortete Ayashi und Kikyo legte den Kopf leicht schief. „Ich möchte Euch nur gewisse Dinge über das Juwel erzählen. Dinge, die Ihr vielleicht wissen müsst.“ Kikyo nickte, doch Ayashi sah an ihren Augen, dass sie es eigentlich nicht hören wollte. War sie so sehr von sich und ihrer Macht überzeugt, dass sie glaubte, nichts Neues über das Juwel erfahren zu können? Oder hatte sie bereits resigniert? Sah sie das Juwel nur noch als… Hindernis für ein Leben, das sie gerne führen würde? „Ich bin Priesterin in dem Dorf, in dem das Juwel gefunden wurde. Ein kleines Dorf in den Bergen, in dem die Menschen schon sehr lange Zeit dem Kampf gegen Dämonen nachgehen. In diesem Dorf hielt sich das Wissen um eine längst verstorbene Priesterin, die das Juwel erschuf, als sie ihre Seele mit hunderten von Dämonenseelen verband und aus ihrem Körper trieb.“ „Das ist mir bekannt.“ versicherte Kikyo, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Das ist nicht, was ich Euch sagen wollte. Die Menschen in meinem Dorf wissen mehr über das Juwel, auch wenn viel davon nur Sage und Legende ist, so möchte ich doch, dass Ihr eine Sache erfahrt, damit es nicht noch mehr Schaden anrichtet.“ „In meinen Händen hat es keinen Schaden angerichtet.“ „Seid Ihr da sicher? Wie könnt Ihr die dämonische Energie kontrollieren? Wie könnt Ihr wissen, dass sie nicht längst jemanden in Eurer Umgebung derart beeinflusst, dass er Euch und dem Dorf schaden möchte? Glaubt Ihr, dass Dämonen nicht in der Lage sind, Menschen zu täuschen?“ Kikyo sagte nicht gleich etwas darauf, weshalb Ayashi fortfuhr: „Verschließt Eure Augen nicht vor der Gefahr, die Ihr in diesem Dorf beherbergt. Ihr scheint gut mit ihr zurecht zu kommen, doch haltet Euch die Angst Eurer Leute von dem Juwel immer vor Augen. Sie ist meiner Meinung nach durchaus berechtigt.“ „Das wird bald keine Rolle mehr spielen.“ „Wie meint Ihr das?“ „Ich habe eine Möglichkeit gefunden, das Juwel zu vernichten.“ „Es kann nicht vernichtet werden.“ widersprach Ayashi und Kikyo blickte sie beinahe trotzig an. „Die Macht des Juwels kann vielleicht gebrochen werden, indem man sie einsetzt, um Gutes zu tun.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Macht stärkt das Böse und das Gute, ja, doch diese Mächte heben sich nicht auf, sondern ergänzen sich im Juwel. Löst man einen Teil daraus, so entsteht Chaos.“ „Das könnt Ihr nicht mit Sicherheit wissen!“ „Ihr könnt auch nicht wissen, dass Euer Plan funktionieren wird. Ist es nicht Wahnsinn, das unter diesen Umständen einfach zu erproben? Was wollt Ihr tun, wenn Ihr nicht Recht habt, Kikyo?“ „Das Juwel wird dann weiterhin existieren.“ „Und Ihr?“ fragte Ayashi eine derart einfache Frage, dass Kikyo kurz zögerte. „Ich vielleicht nicht.“ gab sie zu, doch sie schien nicht sonderlich traurig darüber zu sein. Es war, als zöge sie den Tod dem Leben vor, das sie nun führen musste. Ein Leben ohne das Juwel war ihr sehnlichster Wunsch. Plötzlich verstand Ayashi, was ihre Mutter gemeint hatte. Vielleicht war das der richtige Weg, die Macht des Juwels zu brechen, doch Kikyo hatte die falschen Gründe. Kikyo ging es nicht nur um das Gute, das sie mit dem Juwel tun konnte, sondern um ihr eigenes Leben. Und das war… nicht uneigennützig und würde die dunklen Mächte des Juwels stärken, nicht die reinen – und deshalb würde das Juwel nicht verschwinden, sondern verunreinigt werden und somit noch mächtiger und unkontrollierbarer. Kein Mensch konnte das. Kein Mensch war gänzlich frei von dem eigenen Willen zu lachen, zu leben und zu lieben. Niemand lebte nur für die anderen. „Es scheint, ich kann Euch nicht von Eurem Vorhaben abbringen.“ meinte Ayashi leise und Kikyo nickte. „Ich habe es mir lange und genau überlegt.“ „Ich verstehe. Dann möchte ich Euch nur noch um eines bitten.“ entgegnete Ayashi und fuhr fort, als Kikyo nickte. „Eine Legende besagt, dass das Juwel die menschliche Welt verlässt, wenn es zusammen mit dem Leichnam seiner Hüterin verbrannt wird, und erst zurückkehrt, wenn eine neue Priesterin der Aufgabe, es zu schützen, gewachsen ist. Sollte Euer Plan wider Eures Erwartens scheitern, dann bitte, sorgt noch dafür, dass das Juwel in dieser Welt keinen Schaden anrichten kann.“ „Wenn mir nicht gelingt, was ich vorhabe, dann werde ich das Juwel mit mir verbrennen lassen. Ich verspreche es Euch, Kibo.“ erwiderte Kikyo und Ayashi erhob sich, wobei sie einen Blick auf die vollen, unberührten Teeschalen warf, ehe sie sich schnell von Kikyo verabschiedete und Edo verließ. Sie konnte in der Tat nicht mehr tun und sie musste nach Shimonoseki zurückkehren. Kikyo, das wusste Ayashi, unternahm in diesen Tagen die letzten Schritte auf ihrem Lebenspfad, der sie einem sicheren Tod entgegenführte, doch es lag nicht in ihrer Macht, etwas zu tun, denn Kikyo hatte ihre Entscheidung getroffen. Kapitel 116: ------------- Sesshoumaru war überrascht, dass Ayashi das Schloss während seiner Abwesenheit verlassen hatte, und dass ihm keiner sagen konnte, wohin sie gegangen war. Es machte ihn beinahe wahnsinnig, denn er hatte gehofft, sofort mit ihr über die schlechten Nachrichten sprechen zu können, die er aus Kyoto mitgebracht hatte, obwohl er überhaupt nicht wusste, wie er das tun sollte. Die Nachrichten waren dermaßen schlecht, dass es ihm sogar beinahe lieber wäre, er müsste sie damit nicht belasten, doch er wusste, dass das nicht ging. Ayashi hatte ein Recht, die Wahrheit zu erfahren – und er hatte die Pflicht, diese nicht vor ihr gemein zu halten. Sesshoumaru kleidete sich um und setzte sich an seinen Schreibtisch, obwohl er nichts an ihm arbeiten wollte. Es beunruhigte ihn sehr, dass Ayashi nicht da war, musste er sich eingestehen, und doch musste er sich zusammenreißen. Er durfte nicht die Kontrolle über sich verlieren, auch wenn Wut und Zorn und Unverständnis ihm immer mehr zusetzten, denn davon hing alles ab. Sesshoumaru atmete tief durch und stützte seine Hände auf seinen Knien ab, während er auf Ayashi wartete. Sesshoumaru wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er leise Schritte hörte, die mit Sicherheit zu Ayashi gehörten. Seine Diener waren nicht einmal in der Nähe, also verzichtete er darauf, irgendeinen Schein zu waren und erhob sich nicht, um sie gebührlich zu begrüßen. Stattdessen wandte er sich nur zu ihr um und streckte eine Hand nach ihr aus, die sie ergriff und sich bei ihm auf dem Boden niederließ. Ayashi betrachtete ihn prüfend, als er keine Anstalten machte, sie näher zu sich zu ziehen, und stellte fest, dass etwas nicht stimmte. Er blickte sie nur an, als wolle er sicher gehen, dass er sich jedes Detail einprägte. „Sesshoumaru.“ sprach sie seinen Namen leise und sein Blick flackerte ein wenig, als er ihre Stimme hörte. „Was ist geschehen?“ fragte sie und war sich nicht sicher, ob sie das wirklich wissen wollte. „Ich werde mich zu einem Duell stellen.“ meinte er ohne Umschweife, aber dennoch mit sanfter Stimme. Ayashi konnte nichts sagen. Sie verstand nicht. Sie wusste, dass sie etwas sagen sollte, doch sie konnte ihre Gedanken nicht ordnen und brachte auch keine Worte heraus. Ihr Herz beschleunigte seinen Rhythmus. Stumm starrte sie Sesshoumaru einen Augenblick in sein Gesicht, doch als sie bemerkte, dass sie seinem Blick nicht standhalten konnte, senkte sie ihn und blickte auf ihre Hand, die immer noch in seiner lag. „Der Rat von Kyoto hat sich heute als nicht vertrauenswürdig erwiesen. In zweierlei Hinsicht.“ erklärte Sesshoumaru ruhig und Ayashi blickte ihn wieder an. „Wie ich vermutet hatte, stimmte der Rat keiner kriegerischen Handlung zu, um den Übergriffen der Katzenyoukai ein Ende zu setzten. Schon das allein ist, wie du weißt, eine Vernachlässigung seiner Pflicht.“ „Ja, ich erinnere mich auch daran, was du vor dem Aufbruch zu meinem Vater gesagt hast.“ entgegnete Ayashi leise und Sesshoumaru nickte. „Ich wollte nicht gleich mit dem Rat brechen, machte allerdings bei der Versammlung klar, dass ich nicht von meiner Meinung zurückweichen würde. Daraufhin unterbreitete mir der Rat den Vorschlag der Katzenyoukai zu einem Duell, der statt eines Krieges die Sache entscheiden sollte.“ „Wieso… geht die Forderung zu einem Duell an dich? Warum nicht an… jemand anderen?“ wollte Ayashi wissen und biss sich angespannt auf die Lippen. „Ich bin der Herr der Westlichen Länder, Ayashi, und vereine viele Youkai neben mir, die meine treuen Verbündeten und teuren Freunde sind.“ erinnerte Sesshoumaru, obwohl Ayashi das wusste. „Ich willigte natürlich in die Austragung des Duells ein.“ „Das musstest du.“ flüsterte Ayashi und senkte den Blick wieder. Sie wusste, dass es stimmte, was sie sagte, obwohl es ihr nicht gefiel. Sesshoumaru würde sich zu einem Duell einfinden, würde kämpfen und durch seinen Kampf diese Auseinandersetzung entscheiden. Viel hing von diesem Duell ab. Sehr viel. „Wie hat der Rat sich als nicht vertrauenswürdig erwiesen? Dass er einer kriegerischen Handlung nicht zustimmt ist eine Sache, ja, aber sonst…“ „Nein, bis dahin ist das Verhalten des Rates scheinbar korrekt, doch eben nur scheinbar, denn der Herausforderer, der für die Katzenyoukai antritt, ist kein anderer als Yari.“ „Yari? Yari? Wie ist das möglich? Der Rat hat ihn doch zum Tode verurteilt! Ob nun für seinen Umsturzversuch und die Ermordung seines Schwiegervaters oder für den Kriegseintritt gegen die japanischen Youkai! Wie konnte er…? Wie kann er noch am Leben sein?“ wollte Ayashi entsetzt wissen. „Ich war bei der Verhandlung und bei der Urteilsverkündung anwesend, Ayashi. Ich weiß, dass Yari zum Tod verurteilt worden war, doch ich habe der Vollstreckung nicht beigewohnt.“ „Was will er?“ fragte Ayashi, doch sie ahnte es bereits. „Yari geht es nicht um die Katzenyoukai. Die sind nur Mittel zum Zweck und merken es wahrscheinlich gar nicht. Yari will Macht. Und mein Land.“ antwortete Sesshoumaru und bestätigte damit das, was Ayashi gedacht hatte. „Das bedeutet, dass viele Mitglieder des Rates auf Yaris Seite gewesen sein müssen - auch Youkai, von denen man es niemals gedacht hatte.“ „Das ist richtig. Ich kann im Rat niemandem mehr mit ganzer Sicherheit vertrauen. Deinen Vater und Tsukiyomaru nehme ich aus.“ Ayashi nickte, doch entgegnete nichts. Das war ein Alptraum. Das war ein einziger Alptraum. Nachdem die Zukunft vor wenigen Tagen noch so gut erschienen hatte, nachdem Kataga mehr oder weniger in Aussicht gestellt hatte, dass er einer Verbindung zwischen ihr und Sesshoumaru nicht mehr ganz so sehr entgegenstehen würde… Wie sollte es nun weitergehen? Wenn Sesshoumaru das Duell bestritt und – wie sie natürlich mit jeder Faser ihres Körpers hoffte – siegreich aus ihm hervorging, blieb immer noch der Betrug des Rates, der sein Urteil nicht vollstreckt hatte, einen Feind am Leben gelassen hatte und gefördert hatte, dass ein ehrenwertes Ratsmitglied auf eine solche Art und Weise zum Duell um sein Reich gefordert werden konnte. Und was war, wenn er nicht… „Ayashi, nein. Bitte, denk’ so etwas nicht.“ flüsterte Sesshoumaru und sie zuckte zusammen. „Ich…“ begann sie, doch sie brach ab, als er ihr vorsichtig Tränen von den Wangen strich. „Yari ist ein starker Gegner und er muss sich seiner Sache sehr sicher sein, wenn er sich wieder aus seinem Versteck traut.“ „Geh’ nicht allein, Sesshoumaru.“ „Natürlich nicht. Ich werde Tsukiyomaru als meinen Begleiter mitnehmen, damit er für die Einhaltung der Duellregeln sorgen kann… Und Inuyasha.“ „Inuyasha?“ „Ja, zur Sicherheit. Ich weiß nur nicht, wo er…“ „Edo. In der Nähe zumindest.“ antwortete Ayashi geistesabwesend und Sesshoumaru blickte sie überrascht an. „Warst du in Edo, oder woher weißt du das?“ „Ja, aber es nicht wichtig, warum.“ entgegnete sie und fügte hinzu: „Das meinte ich aber nicht. Ich möchte mit dir kommen.“ „Nein.“ „Nein?“ entgegnete Ayashi scharf, da sie zumindest eine längere Verweigerung erwartet hatte. „Glaubst du wirklich, dass du mich mit einem bloßen ‚Nein’ abspeisen kannst?“ fragte sie und suchte seinen Blick, der eher distanziert auf ihr ruhte. „Ich werde dich nicht in Gefahr bringen, Ayashi. Wenn dir etwas geschieht…“ „Sesshoumaru, ich gehöre an deine Seite.“ „Ich weiß und ich will es nicht mehr anders, Ayashi, aber ich…“ Ayashi legte ihm zwei Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf. „Das ist alles, was zählt, Sesshoumaru.“ sagte sie leise und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Sesshoumaru wusste, dass sie Recht hatte. Und er wusste, dass er seinen Widerstand aufgegeben hatte, als er sie ihm gesagt hatte, dass sie an seine Seite gehörte. Kapitel 117: ------------- Am nächsten Nachmittag saß Ayashi bei Sesshoumaru in dessen Gemächern und sah ihm zu, wie er für das nahende Duell seine Waffen prüfte, sie schließlich noch einmal selbst schliff, die Klinge dann mit lauwarmem Wasser säuberte und noch einmal mit Öl pflegte. Seine Bewegungen waren ruhig und er wirkte konzentriert, jedoch nicht angespannt, was Ayashi nicht von sich behaupten konnte. Während Sesshoumaru am Vormittag durch Yaken nach Inuyasha geschickt hatte, Tsukiyomaru durch einen Boten noch einmal offiziell um seine Anwesenheit bei dem Kampf gebeten hatte, obwohl dieser ja bei der Ratssitzung anwesend gewesen war und seinem Freund auch schon mündlich zugesichert hatte, dass er ihn begleiten würde, und er auch noch einmal eine Nachricht nach Fukuoka zu Kataga geschickt hatte, deren Inhalt Ayashi nicht erfragt hatte, war sie den ganzen Tag unruhig gewesen und hatte sich bemüht, es so gut wie möglich vor ihm zu verbergen. Das Letzte, was Sesshoumaru nun brauchen konnte, war ihre Nervosität. Dennoch konnte sie sie nicht abschalten. Ihr Herz klopfte wahnsinnig schnell, wenn sie nur daran dachte, dass Sesshoumaru in zwei Tagen einen Kampf auf Leben und Tod antrat, und ihre Gedanken rasten unkontrolliert durch ihren Kopf, wenn sie nur einen Moment zuließ, an einen schlimmen Ausgang des Ganzen zu denken. Sie wehrte sich dagegen, aber es gelang ihr nicht ganz, obwohl Sesshoumaru ihr versichert hatte, dass Yari zwar ein starker Gegner war, aber dennoch besiegt werden konnte – und er ja auch nicht gerade hilflos und ein schwacher Kämpfer war. Sie wusste das alles, doch das schlechte Gefühl blieb, und ihr blieb nur die große Hoffnung, dass es keine Vorahnung war – und sie sein schlimmes Ende genauso ahnte wie sie den Tod ihrer Mutter vor so vielen hundert Jahren mit kindlicher, untrügerischer Gewissheit gespürt hatte. Ayashi schloss die Augen und lauschte dem regelmäßigen Geräusch, das das mit Öl getränkte Tuch verursachte, wenn Sesshoumaru es in ruhigen Bewegungen über das Metall seiner Schwertklinge bewegte. Sesshoumaru sah, dass Ayashi die Augen geschlossen hatte, und betrachtete sie, während er weiter sein Schwert mit Nelkenöl von den letzten losen Partikeln befreite. Sie war wunderschön und wirkte ruhig, doch er wusste, dass sie das nicht war. Er konnte ihren lauten, schnellen und leicht unregelmäßigen Herzschlag immer wieder vernehmen, auch wenn er sich nicht auf ihn konzentrieren wollte. Sesshoumaru legte schließlich sein glänzendes Schwert zur Seite und wischte sich die Hände an einem anderen Tuch ab, um das Öl von den Fingern zu bekommen. Ayashi öffnete die Augen wieder, sobald das gleichmäßige Geräusch verstummt war, und begegnete Sesshoumarus Blick, der ruhig ihren suchte und hielt. Gerade als Sesshoumaru das Schweigen brechen wollte, das sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte, machte sich ein Beamter an der Tür bemerkbar, trat schließlich nach einem auffordernden Nicken Sesshoumarus ein und näherte sich vorsichtig. „Herr, ein Bote des Rates ist hier und erbittet demutsvoll eine Audienz.“ meinte er und Ayashi warf einen kurzen Blick zu Sesshoumaru, ehe sie, während sie sich erhob, sagte: „Ich werde mich zurückziehen und Euch Euren politischen Geschäften nachgehen lassen, Sesshoumaru-Sama.“ „Ich danke Euch, doch… erlaubt mir bitte, mit Euch zu Abend zu speisen?“ „Gewiss.“ entgegnete Ayashi und lächelte Sesshoumaru noch einmal an, als sie den Raum verließ. Am Abend kehrte Ayashi zurück in Sesshoumarus Gemächer und sah, dass er tatsächlich hatte auftischen lassen. Er selbst saß zwar noch an einem niedrigen Tisch über irgendwelchen Papieren, als sie eintrat, doch er hatte sich nach seinem Gespräch mit dem Boten des Rates noch einmal umgezogen und sah sofort auf, als er ihre Schritte vernahm. „Du siehst wunderschön aus.“ meinte er beinahe flüsternd und erhob sich von seinem Tisch und ließ sie Papiere endgültig ruhen. Sie hatte sich ebenfalls einen anderen Kimono anlegen lassen. Er schimmerte in dunklem Rot und umfloss ihre schmale Gestalt anmutig. Ayashi lächelte, als sie seinen durchdringenden Blick bemerkte, und warf einen kurzen Blick auf die Speisen, während sie sich überlegte, wer das alles essen sollte. „Wie verlief dein Gespräch mit dem Boten des Rates?“ fragte sie. „In der Hinsicht gibt es nichts Neues.“ meinte er, kam auf sie zu und küsste sie zärtlich zur Begrüßung auf die Lippen. „Ich werde erst nach dem Kampf mein weiteres Verhältnis zum Rat von Kyoto endgültig festlegen. Sollen sie doch fürchten, dass sich meine Wut und mein Zorn nach dem Sieg auch gegen sie richten werden! Weder ihre Furcht noch ihre geschworene Loyalität hielten sie von einem Verrat ab.“ fügte er hinzu und geleitete Ayashi zum Tisch. Ayashi nickte, während sie sich niederließ, und ließ sich seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Er hatte Recht, wenn er daran jetzt erst einmal keine Gedanken verschwenden wollte – und sie vermutete auch, dass er noch gar nicht so recht wusste, wie es weitergehen sollte. Der Rat hatte grundlegend in seiner Funktion versagt, also war seine Einrichtung wahrscheinlich eh überholt oder… der Rat einfach falsch besetzt, doch wer sollte die neuen Ratsherren einsetzen? Wer sollte in Zukunft dafür sorgen, dass alles mit rechten Dingen zuging? „Du sagtest, in dieser Hinsicht gäbe es nichts Neues. Gibt es andere Neuigkeiten?“ wollte Ayashi wissen, während sie mit ihren Stäbchen ein Stückchen gebratenen Fisch nahm. „Durchaus. Tsukiyomaru hat sein offizielles Einverständnis geben, mich zu begleiten.“ „Ich bin erleichtert, dass er es ist.“ gab Ayashi zu und Sesshoumaru nickte. Tsukiyomaru war einige Male in Shimonoseki gewesen und Ayashi hatte ihn als äußerst zuverlässig, treu und ehrenhaft empfunden. Sie mochte ihn, und auch wenn sie natürlich aufgrund der Etikette nie intensivere Gespräche geführt hatten, konnte Ayashi sagen, dass er sie auch mochte und sie sich recht nahe standen. Ayashi war froh, dass Sesshoumaru einen solchen Freund an seiner Seite hatte. „Von Inuyasha habe ich allerdings noch nichts gehört, dabei könnte Yaken schon längst zurück sein. Bist du sicher, dass du ihn in Edo wahrgenommen hast?“ „Ja, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er das Dorf verlassen hat.“ erwiderte Ayashi, doch sagte nichts weiter. „Du hast mir gar nicht erzählt, weshalb du in Edo warst.“ meinte er vorsichtig, da er nicht sicher war, warum sie ihm bisher nichts erzählt hatte. „Es gab wichtigere Dinge.“ erwiderte sie ausweichend, da sie nicht wusste, wie sie es ihm erklären sollte, dass sie auf einen Traum von ihrer Mutter auf deren Geheiß das Schloss einfach verlassen, eine wildfremde Priesterin aufgesucht und ihr einen gut gemeinten Rat erteilt hatte. „Es ging im weitesten Sinne um deine Mutter, nehme ich an. Du trugst das Gewand einer Miko, als du wiedergekommen bist.“ forschte er weiter nach und sie nickte, während ihr bewusst wurde, dass sie trotz der Situation solche Dinge nicht verheimlichen konnte – zumal er sie ja wissen wollte. „Ich hatte einen Traum und … musste eine Botschaft meiner Mutter an die Priesterin in Edo überbringen.“ antwortete Ayashi knapp. „Ich bin mir sicher, dass es meine Mutter war, Sesshoumaru. Und ich habe erledigt, was ich erledigen musste.“ fügte sie hinzu, als sie seinen etwas verständnislosen Blick sah, und erzählte ihm nun doch, was genau sie geträumt und sie der Priesterin Kikyo über das Juwel mitgeteilt hatte. Sesshoumaru schwieg eine Weile, als Ayashi geendet hatte, und fragte dann: „Das Juwel müsste also tatsächlich verschwinden, wenn es mit ihrem Körper verbrannt wird?“ Ayashi nickte und er fragte weiter: „Und wieso wird sie sterben?“ „Ich weiß es nicht genau. Es scheint nur… alles in ihrem Leben in absehbarer Zeit darauf hinauszulaufen.“ „Schicksal?“ fragte Sesshoumaru skeptisch, worauf Ayashi nur die Schultern zucken konnte. „Nun, zumindest hätte die Welt dann ein Problem weniger. Es gibt doch immer irgendwelche niederen Dämonen, die hoffen, die Kraft des Juwels nutzen zu können, um stärker zu werden, und soweit ich das beurteilen kann, ist die Macht des Juwels nicht zu unterschätzen.“ „Ich denke auch, dass das Juwel ein unnötiges Risiko darstellt. Es ist gut, wenn es verschwindet.“ stimmte sie ihm zu, sagte ihm jedoch nicht, dass es irgendwann einmal zurückkehren würde, wenn eine Priesterin geboren war, die es verteidigen und schützen konnte. Ayashi nickte noch einmal nachdenklich und begegnete Sesshoumarus skeptischem Blick, weshalb sie ihn mit einem fragenden Blick bedachte. „Du sprichst ziemlich… nüchtern über die ganze Sache.“ meinte er und sie zuckte die Schultern. „Und das wundert dich?“ wollte sie wissen, worauf er den Kopf schüttelte. „Ich wundere mich ein wenig darüber, da du doch auf einen bloßen Traum hin das Schloss verlassen hast. Natürlich ging es um eine Bitte deiner Mutter, aber…“ „Ich musste es tun. Und ich denke auch, es war das Letzte, was ich in dieser Hinsicht tun werde. Es war noch einmal nötig, aber jetzt habe ich getan, worum mich meine Mutter schon vor so vielen Jahren gebeten hatte.“ meinte sie. Sesshoumaru nickte und war froh, dass sie ihm nun doch noch erzählt hatte, was vorgefallen war. Es hatte ihn beunruhigt, es nicht zu wissen und vermutet, dass Ayashis gedrückte Stimmung mit etwas anderem als dem Duell zusammenhing. Kapitel 118: ------------- Später in dieser Nacht lag Ayashi in Sesshoumarus Armen auf dessen Lager und malte mit ihren Fingerspitzen kleine Kreise auf seine nackte Brust. Sie hatten sich geliebt und unterhielten sich nun leise, da sie beide nicht müde waren. „Sesshoumaru?“ fragte Ayashi und er neigte den Kopf ein wenig, dass er sie besser anblicken konnte. „Hm?“ machte er nur und sie lächelte leicht. „Du weißt, dass ich dich liebe, nicht wahr?“ wollte sie wissen, worauf er leise lachte. „Ja, natürlich.“ entgegnete er und zog dennoch eine Augenbraue hoch. „Auf was muss ich mich gefasst machen, wenn du mich so etwas fragst?“ wollte er skeptisch wissen und Ayashi schüttelte den Kopf. „Ich wollte nur sicher gehen, dass du es weißt.“ gab sie zu und spürte, wie Sesshoumarus Arm sie näher zu sich zog. Ayashi schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Sesshoumarus Herz klopfte gegen seine Brust und sie konnte es ganz dicht an ihrem Ohr schlagen hören. „Es würde nichts nützen, wenn ich dich bitte, dir keine Sorgen zu machen, nicht wahr?“ fragte er leise und Ayashi biss sich auf die Lippen. Sie schwieg eine Weile, doch schüttelte schließlich den Kopf. „Ich tue mein Bestes, aber ich schaffe es nicht.“ gab sie zu und richtete sich auf einen Ellenbogen auf, damit sie ihm in das Gesicht sehen konnte. Er blickte sie ruhig an, doch sie sah auch, dass er sie verstand. Oder doch nicht? „Es tut mir leid. Ich denke, es ist am besten, wenn ich mich zurückziehe und dich nicht…“ begann Ayashi, beendete aber ihren Satz nicht, da Sesshoumaru ihre Hand ergriff und zu seinem Mund führte. Seine Lippen waren warm, als sie sich in einem zärtlichen Kuss auf ihre Handfläche legten. Ayashi lächelte und ihr Wiedersehen in der Ebene, als sie sich zuvor erbittert bekämpft hatten, kam ihr in den Sinn. Dort hatte er sie schon einmal so geküsst, mit dieser Hingabe, mit dieser Ernsthaftigkeit. „Bleib’. Ich möchte nicht eine Sekunde mit dir entbehren.“ sprach er gegen ihre Hand, sodass sie seinen Atem spüren konnte. „Ich will aber nicht, dass meine Unruhe auf dich übergeht.“ widersprach sie und wollte ihm ihre Hand entziehen, doch er hielt sie fest und schüttelte den Kopf. „Dass du mich begleiten willst, beunruhigt mich mehr, Ayashi.“ gab er zu und strich mit dem Daumen über ihre Hand. Sie biss sich schuldbewusst auf die Lippen und senkte den Blick. Ayashi wollte ihn natürlich immer noch begleiten, aber was war, wenn sie ihn eher ablenkte, wenn er nur sie im Kopf hatte, sobald sie in der Nähe war? Konnte sie in dieser Situation wirklich so selbstsüchtig sein? „Möchtest du, dass ich in Shimonoseki bleibe? Möchtest du, dass ich hier auf dich warte, bis zu wiederkommst?“ fragte sie schließlich leise und blickte ihn wieder an. „Nein. Ich möchte, dass du bei mir bist, auch wenn es mich wahrscheinlich wahnsinnig machen wird. Es scheint mir auf keinen Fall richtig, dich hier warten zu lassen.“ entgegnete er und Ayashi nickte leicht. „Und ob du nun hier bist oder mich begleitest, du bist immer in jedem meiner Gedanken vorhanden.“ fügte er hinzu und lächelte leicht, wobei sein Blick jedoch in eine scheinbare Ferne glitt. Ayashi schwieg und betrachtete ihn, wie er seinen Gedanken nachhing und wartete ab, bis er sein Schweigen schließlich brach. „Sollte ich im Duell unterliegen…“ begann er, doch Ayashi schüttelte den Kopf und wollte ihn am Weitersprechen hindern. „Du musst das hören, Ayashi.“ meinte Sesshoumaru sanft und sie nickte, da sie wusste, dass er Recht hatte. „Sollte ich unterliegen, wird dein Vater meine Verbündeten in den Krieg gegen die Katzenyoukai und Yari führen. Er wird dich beschützen.“ „Ich … kann mich selbst beschützen, Sesshoumaru. Und glaub’ nur nicht, dass ich nicht kämpfen werde, wenn du… Ich werde kämpfen.“ entgegnete sie, worauf er flüchtig lächelte und nickte. „Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest, meine Ayashi.“ gestand er, worauf sie ihn fragend anblickte. „Ich liebe dich so sehr, Ayashi, und ich möchte nicht mehr auf dich verzichten. Du bist für mich schon lange meine geliebte Gefährtin. Und deshalb…“ fuhr er fort, richtete sich auf, sodass er vor ihr saß, und blickte sie eine Weile schweigend an, ehe er weitersprach: „… deshalb sollst du nun auch wirklich meine Gefährtin werden, wenn du das möchtest.“ Ayashi blickte ihn nur an und sah, dass er es ernst meinte. Natürlich wusste sie, dass er sie liebte. Natürlich wusste sie, dass er nichts sehnlicher wünschte, als sie als seine Gefährtin an seiner Seite zu haben. Natürlich wusste sie, dass sie keinen Moment zögern würde, sollte es wirklich möglich sein. Das war es. Ayashi fühlte, wie ihr Herz schneller schlug, als sie sich dessen bewusst wurde. Sie spürte, wie sie lächelte und Sesshoumaru immer noch wortlos anblickte, weil sie einfach keine Worte fand. Er hatte – sie wusste es in diesem Moment – tatsächlich mit ihrem Vater gesprochen und eine Antwort erhalten, die sie so lange nicht zu hoffen gewagt hatte. Natürlich! Ihr Vater wusste ja von ihren Gefühlen für Sesshoumaru. „Ist das… wirklich wahr?“ brachte sie schließlich heraus und Sesshoumaru streichelte ihre Wange, während er lächelnd nickte. „Wann hast du… mit meinem Vater gesprochen? Seit wann kennst du seine Antwort?“ „Ich wusste, dass er nicht abgeneigt war, als ich ihn um deine Hand bat, doch er wollte mir sein offizielles Einverständnis noch zukommen lassen.“ „Das hast du auch schon?“ fragte Ayashi und er nickte. „Sesshoumaru, wieso hast du mir nichts gesagt?“ wollte sie immer noch ein wenig perplex wissen. Es war unglaublich. Wirklich unglaublich. Nicht nur, dass Sesshoumaru um ihre Hand angehalten hatte, ohne dass er sich vorher noch einmal mit ihr abgesprochen hatte – Wozu auch? Er kannte ihre Gefühle ja. – nein, er hatte bereits alles in die Wege geleitet, und Kataga sein schriftliches, offizielles Einverständnis zur Verbindung gegeben. „Vielleicht habe ich es selbst noch nicht recht glauben können, bis ich in seiner Handschrift vor mir liegen sah, dass er mir seine einzige, geliebte und wunderschöne Tochter zu meiner rechtmäßigen Gefährtin gibt.“ erwiderte er und Ayashi nickte. „Willst du es auch sehen?“ fragte er, als sie stumm blieb, als könne sie es auch noch nicht glauben, doch sie schüttelte den Kopf. „Dann bist du mir nur noch eine Sache schuldig.“ meinte er lächelnd, worauf sie ihn verständnislos anblickte. „Deine Antwort.“ erinnerte er. Ayashi schüttelte lachend den Kopf, schlang ihre Arme um seine Hals und küsste ihn zärtlich auf die Lippen. Sie war so glücklich, dass sie beinahe weinte. „Ich dachte, du wüsstest meine Antwort schon, aber wenn du es noch einmal hören musst… Ja. Tausendmal ja, Sesshoumaru. Ich bin dein. Jetzt und in alle Ewigkeit.“ schwor sie und er zog sie zu sich, küsste sie und drängte sie sanft mit seinem Körper auf das Lager zurück. „Ich weiß aber immer noch nicht, was ich davon halten soll, dass du mir so lange nichts gesagt hast.“ beschwerte Ayashi sich spielerisch, erwiderte seine Küsse aber, und ließ ihn dann auch ihren Hals und ihre Halsbeuge küssen. „Das ganze Abendessen sagst du nichts… und auch nicht danach…“ „Hm…“ machte er und knabberte an ihrem Ohrläppchen, sodass ein wohliger Schauer ihren Körper überkam. „Sagen wir einfach, ich wollte dich überraschen…“ meinte er und küsste sie weiter, doch sie gab sich mit seiner Antwort nicht ganz zufrieden. Ayashi hielt sein Gesicht in beiden Händen und blickte ihn ernsthaft und liebevoll an, ehe sie seine Lippen wieder auf ihre zog. Seine Überraschung war ihm ja wirklich gelungen. Sesshoumaru grinste zufrieden und ließ sich von Ayashi in leidenschaftliche Küsse und Zärtlichkeiten verwickeln, doch löste sich schließlich langsam von ihr und verließ das Lager, was sie nur unter ernstem Protest hinnahm. Ayashi streckte die Arme nach ihm aus und versuchte, ihn zurückzuhalten, doch er entwischte, blickte sie lächelnd an und ging kopfschüttelnd zu seinem Schreibtisch. Ayashi legte sich resignierend zurück und betrachtete ihren… Gefährten. Es war wunderbar, dieses Wort zu denken. Sesshoumaru, ihr Gefährte. Sie lächelte und musterte seine nackte, attraktive Gestalt und sah, dass er etwas vom Schreibtisch nahm und wieder zu ihr zurückkehrte. „Was ist das?“ fragte sie neugierig, als sie das kleine gefaltete Tuch erblickte und richtete sich wieder etwas auf. „Das ist für dich, Geliebte.“ meinte er, entwickelte das Tuch und ein wunderschöner Anhänger an einer silbernen Kette kam zum Vorschein. „Das ist… unbeschreiblich schön, Sesshoumaru, aber…“ „Was? Stimmt etwas nicht?“ fragte er alarmiert, doch sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nur nichts für dich.“ gestand sie und Sesshoumaru lachte leise, schüttelte den Kopf und küsste ihre Stirn. „Das ist ja auch nicht üblich.“ beruhigte er sie, deutete auf das Schmuckstück und fuhr fort: „Ein solches Schmuckstück hat bei uns allerdings lange Tradition. Weißt du, was das ist?“ „Nein, aber es ist zauberhaft.“ wiederholte sie und fuhr mit den Fingern über das silberne Schmuckstück, während Sesshoumaru zu erklären begann: „Nun, diese Seite hier… siehst du eine Mondsichel, in deren Krümmung sich ein Drache windet. Die Mondsichel symbolisiert den Lauf des Mondes und somit den Zyklus unserer Monate. Der Drache ist Shokuin. Sein Schlaf bringt die Nacht. Sein Erwachen den Tag. Sein Einatmen den Sommer. Sein Ausatmen den Winter. Und symbolisiert damit ebenfalls den Wandel des Tages und des Jahres.“ „Sie symbolisieren also den Sonnen- als auch den Mondzyklus, also jede Art von Zeit.“ „Genau.“ stimmte Sesshoumaru ihr zu und drehte das Schmuckstück um. „Auf der anderen Seite sind drei Kreise, die ineinander geschlungen sind und in ihrer Mitte jeweils einen verschieden farbigen, kleinen, runden Stein enthalten. Die Steine stehen für zeitliche Abschnitte. Weiß steht für die Vergangenheit. Blau für die Zukunft. Schwarz für die Gegenwart. Die drei Kreise symbolisieren den Himmel, die Erde und die Unterwelt, also die großen Bereiche der Existenz, an die wir Youkai glauben.“ „Ja, unsere ungeformten Seelen stammen aus den fernen Lüften des Himmels. Wir leben auf der Erde. Und im Tod begeben wir uns zur Unterwelt hinab.“ murmelte Ayashi und Sesshoumaru nickte. „Diese Seite symbolisiert die Balance zwischen Himmel, Erde und Unterwelt sowie zwischen Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit und verdeutlicht, dass jede Entscheidung im Hinblick auf das große Ganze getroffen werden muss, denn wir sind als Herrscher dem Himmel, der Erde und der Unterwelt verpflichtet – und damit natürlich auch unseren Ahnen, unseren lebenden Verwandten und allen Nachkommen, die jemals folgen werden.“ erklärte Sesshoumaru und kam nicht umhin, Ayashis Lächeln zu bemerken. Sicherlich dachte auch sie an die gemeinsamen Kinder, die sie einmal haben würde. Und an ihre Enkel… wenn die Zukunft diese Möglichkeit für sie beide bereithielt, dachte er, doch schob den Gedanken weit von sich. Ayashi lehnte sich nach vorne und küsste Sesshoumaru, und murmelte dann gegen seine Lippen: „Ich danke dir, aber ich habe immer noch nichts für dich.“ „Nun…“ meinte Sesshoumaru und küsste sie noch einmal. „Da du meine Gefährtin und damit auch die künftige Herrin des Westens bist, gehört dieses Schmuckstück ohnehin dir. Ich übergebe dir nur das Eigentum, das dir zusteht.“ meinte er und legte ihr die Kette um den Hals, sodass der Anhänger tief in ihr Dekolleté herabhing. Er folgte dem Schmuck mit seinem Blick und Ayashi lachte leise, als sie es bemerkte, zog ihn zu sich und flüsterte: „Es sieht ganz so aus, als hätte ich doch etwas für dich.“ Sesshoumaru lachte kehlig und schlang seine Arme um sie, während er sich begierig gegen ihren Körper drängte und ihre Lippen wieder mit seinen beanspruchte. Kapitel 119: ------------- Am Tag des Duells traf Tsukiyomaru früh morgens pünktlich in Shimonoseki ein und wurde von Sesshoumaru persönlich und wie der enge Freund empfangen, der er nun einmal war, ehe er von ihm in seine Gemächer geführt wurde, da er noch einige wichtige Dinge mit ihm besprechen wollte. „Wie geht es dir?“ fragte Tsukiyomaru, als Sesshoumaru lange nicht zu sprechen begann, und blickte sich in den Gemächern seines Freundes um. Papiere stapelten sich auf den Tischen. Seine Waffen lagen ordentlich dort, wo sie hingehörten, und die Rüstung, die er anlegen würde, war ebenfalls schon bereit, da es zum Duell nur noch wenige Stunden waren. „Ich gebe zu, es ging mir schon besser.“ gestand er und warf Tsukiyomaru einen knappen Blick zu, um seine Reaktion zu sehen, doch als der Freund ihn ruhig anblickte, fuhr er fort: „Ich habe Ayashi gebeten, meine Gefährtin zu werden, und sie stimmte zu.“ „Das ist… großartig. Und wenn ich anmerken darf: Es wurde langsam Zeit.“ erwiderte Tsukiyomaru, da er von Sesshoumarus und Ayashis heimlicher Liebe schon eine Zeit lang durch Sesshoumaru selbst wusste. „Ich gratuliere.“ fügte er ehrlich und ernst hinzu. „Danke.“ entgegnete Sesshoumaru und Tsukiyomaru zog eine Augenbraue hoch. „Das ist doch aber sicher nicht der Grund, warum es dir schon einmal besser ging.“ meinte Tsukiyomaru und Sesshoumaru schüttelte den Kopf. „Ayashi wird uns begeleiten. Ich war so verrückt, es ihr zu gestatten – und nun kann ich meine Entscheidung nicht rückgängig machen. Das wäre ihr gegenüber nicht richtig, verstehst du?“ „Ja, ich verstehe. Was sagt aber ihr Vater dazu?“ wollte Tsukiyomaru wissen. „Er weiß, dass es ihr Wunsch war und er … akzeptiert ihren Wunsch, auch wenn er natürlich nicht begeistert ist. Außerdem ist es ja ihr Recht als meine zukünftige Gefährtin, an meiner Seite zu sein.“ „Nun, von allem, was ich von ihr gehört habe, ist sie eine sehr gute Kriegerin, die weiß, sich in einem Kampf zu behaupten. Sagtest du nicht, sie sei dir ebenbürtig?“ Sesshoumaru nickte langsam und erinnerte sich, dass er Tsukiyomaru vom Kampf erzählt hatte, den er sich einst mit Ayashi in der Ebene geliefert hatte – und er hatte zugegeben, dass sie eine starke Gegnerin gewesen war. „Ja, das stimmt, und ich weiß auch, dass ich mich mit Yari duellieren werde, dennoch… fürchte ich um ihre Sicherheit.“ „Das ist verständlich. Du liebst sie.“ „Deshalb möchte ich dich um einen Gefallen bitten.“ „Ja?“ „Ayashi ist noch nicht meine rechtmäßige Gefährtin, doch… uns bleibt auch keine Zeit mehr, vor dem Duell die Verbindung einzugehen. Und ich gebe zu, dass ich sie nicht in einer übereilten Zeremonie zur Herrin des Westens machen möchte. Es soll alles seinen normalen Gang sein – und nicht schnell wegen des Duells. Für mich bedeutet diese Verbindung viel mehr als ein politisches Arrangement. Verstehst du?“ „Ja, das verstehe ich gut. „Ich habe dennoch Papiere vorbereitet, die Ayashi zu meiner Nachfolgerin machen, sollte ich in diesem Duell fallen.“ „Sesshoumaru…“ „Nein, bitte. Ich muss diese Möglichkeit einkalkulieren.“ wehrte Sesshoumaru und hob die Hand, worauf Tsukiyomaru verstummte und nickte. „Ayashi kann meine Nachfolge antreten. Ich weiß, dass sie stark ist, und dass sie auch Unterstützung von ihrem Vater Kataga erhalten wird, sollte sie diese benötigen, aber ich möchte auch dich bitten, dass du ihr weiterhin ein treuer Freund bist.“ „Natürlich. Das steht außer Frage, Sesshoumaru.“ versicherte Tsukiyomaru und Sesshoumaru nickte, ehe er zur Tür blickte, da er Schritte auf dem Gang hörte. Wenig später trat Ayashi in Sesshoumarus Gemächer und begrüßte Tsukiyomaru, der ihr auch noch einmal zu ihrer Verbindung mit Sesshoumaru gratulierte, und schließlich noch einmal meinte: „Ich freue mich für euch beide – und für die Westlichen Länder, dass sie eine derart wunderschöne, mutige und stolze Herrin bekommen werden.“ „Danke, Tsukiyomaru.“ bedankte sich Ayashi, warf Sesshoumaru einen Blick zu und stellte fest, dass er angespannt schien. Er blickte sie zwar an, doch sie wusste nicht recht, was er dachte. Wahrscheinlich waren seine Gedanken schon bei dem Duell, das in wenigen Stunden stattfinden würde. Es rückte unaufhaltsam näher und sie bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Gibt es Nachricht von Inuyasha?“ wollte Ayashi wissen, worauf Sesshoumaru den Kopf schüttelte und antwortete: „Nein, weder von ihm noch von Yaken.“ Ayashi verstand das nicht. Wie konnte es so lange dauern, Inuyasha zu finden und zu kontaktieren? Sie hatte vermutet, dass er sofort nach Shimonoseki kommen würde, wenn er von der Situation seines Bruders gehört hatte. Irgendetwas stimmte nicht, dachte sie, doch sie schüttelte den Gedanken sofort wieder ab. Sie konnte sich nicht dem schlechten, mulmigen und misstrauischen Gefühl hingeben, das den gesamten Morgen schon in ihrer Brust saß. Und sie konnte sich nicht darauf einlassen, dass sie sich den ganzen Tag schon seltsam kraftlos fühlte. Es gab wichtige Dinge, auf die sie sich konzentrieren musste. „Yaken weiß, wo das Duell stattfinden wird. Vermutlich kommen sie direkt dorthin.“ meinte sie deshalb und Tsukiyomaru nutzte die kurze Pause, die zwischen den beiden entstand. „Ich warte draußen auf euch.“ meinte er, da Sesshoumaru noch seine Rüstung anlegen musste, und Ayashi ihm sicherlich dabei helfen würde. Ayashi nickte und sah Tsukiyomaru nach, wie er Sesshoumarus Gemächer verließ, ehe sie schweigend zu Sesshoumaru trat und seinen Obi löste, seine Haoris von den Schultern streifte und seinen Blick suchte. Zärtlich legte sie ihre Hand an seine Wange und er drückte sein Gesicht leicht gegen ihre Handfläche. „Das Duell wird zwischen mir und Yari stattfinden. Ich werde es allein bestreiten.“ betonte er und Ayashi nickte. Natürlich musste er als Herr des Westens ein Duell allein bestreiten. Alles andere hätte einen Verlust seiner Ehre und seines Ansehens zur Folge. „Ich werde mich nicht in deinen Kampf einmischen. Ich verspreche es dir.“ entgegnete sie und Sesshoumaru zog sie zu sich, küsste sie leicht auf sie Lippen und entließ sie dann aus seinem Griff. Ayashi wich von ihm zurück, legte seine Kleidung ab und kleidete ihn dann mit ruhigen und fließenden Bewegungen wieder in neue Kleidung ein. Sesshoumaru folgten ihren Bewegungen und ließ sie machen. Er schlüpfte in den Hakama, spürte, wie ihre Hände den ersten Haori richtig legten, dann den zweiten und schließlich den Stoff über seinen Schultern glatt strichen, damit er richtig lag. Sie band seinen Obi und richtete die Kragen mit sicheren Fingern und versunkener Konzentration, die sie wunderschön aussehen ließ. Ayashi selbst hatte sich bereits umgezogen und trug nun statt eines eher unpraktischen Kimonos einen dunklen Hakama und zwei weiße Haoris, von denen der obere an Kragen und Ärmeln mit einem dunklen Muster bestickt war, und von einem breiten, ebenfalls weißen Obi zusammengehalten wurde. Ihr schwarzes Haar hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, sodass es sie nicht behinderte. Sesshoumaru wusste, dass sie noch ihr Schwert an sich nehmen würde, doch das war ihr gutes Recht, denn auch Tsukiyomaru ging nicht unbewaffnet, obwohl er nicht kämpfen würde. Die Waffe eines Youkai gehörte zu einem Youkai. Ohne sie war er nicht vollständig angezogen – nicht für ein Duell und nicht für einen Begleiter zu einem Duell. Ayashi legte Sesshoumaru die Rüstung an und trat dann zu seinen Waffen, um ihm seine Waffen zu reichen. Gerade als sie nach Tenseiga greifen wollte, legte sich seine Hand auf ihre und hielten sie sanft fest. „Ich werde Tenseiga nicht mit mir führen.“ murmelte er leise und sie wandte sich soweit um, dass sie ihn anblicken konnte. „Es ist das Schwert deines Vaters.“ flüsterte Ayashi, da sie fand, dass er es dennoch bei sich tragen sollte. „Es wird mir nichts nützen und würde mich nur behindern.“ blieb er bei seiner Entscheidung und Ayashi nickte, nahm das andere Katana auf und übergab es ihm, ehe sie ihm auch noch das kürzere Wakizashi reichte. Sesshoumaru nahm das Schwerterpaar, das Daisho, entgegen und band beide mit den Schlaufen an die linke Seite seines Obi und versicherte sich dann, dass sie rutschfest saßen, ehe er sich noch einmal zu Ayashis Lippen hinabbeugte und sie noch einmal küsste. Kurze Zeit später trat Sesshoumaru in den ersten Hof hinaus und wartete dort mit Tsukiyomaru auf Ayashi, die sich noch bewaffnete, und wenig später zu ihnen stieß. Sesshoumaru nickte ihr kurz zu und ging dann mit seinen zwei Begleitern in den nächsten Hof, in dem sich die Beamten des Schlosses versammelt hatten, um ihren Herrn zu verabschieden. Nachdem sie verabschiedet worden waren, machten sie sich gemeinsam und schweigend auf den Weg zum Austragungsort des Duells, einer kargen Ebene fernab von jeder menschlichen Siedlung, über die der Wind strich und den Staub der trockenen Erde aufwirbelte. Kapitel 120: ------------- Die Sonne hatte ihren Höchststand noch nicht erreicht, als Ayashi, Sesshoumaru und Tsukiyomaru sich von Süden ihrem Ziel näherten und von einer kleinen Anhöhe ihren Blick über die noch ruhige Ebene streifen ließen. Das weitläufige Plateau, das als Kampfplatz dienen würde, wurde am westlichen Ende durch einen jähen Abgrund begrenzt, im Norden durch einen Fluss, der in einem Wasserfall am westlichen Ende über den Rand des Plateaus hinabstürzte, und hinter dem direkt ein dunkler Wald lag, und im Osten durch eine steil aufragende Felswand. Es schien, als wären der Herausforderer Yari und seine Begleiter noch nicht eingetroffen, doch die ausgemachte Tageszeit war auch noch nicht ganz erreicht, da sie sich treffen wollten, wenn die Bäume des Waldes keinen Schatten mehr warfen und die Sonne damit ihren höchsten Stand erreicht hatte. „Es ist zu ruhig.“ murmelte Tsukiyomaru und blickte in den Himmel. Ayashi gab ihm innerlich Recht, doch sagte nichts. Kein Vögelpfeifen war zu hören und scheinbar wartete die gesamte Natur gespannt auf das grausame Schauspiel, das sich ihr bald bieten würde. Sesshoumaru nickte ebenfalls nur und fixierte den entfernten Wald und die Schatten, die sich zwischen den Bäumen ausgebreitet hatten. Er hätte schwören können, dass sich dort etwas bewegt hatte. Dass Yari ihn warten ließ, konnte er sich gut vorstellen, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass er sich die Gelegenheit entgehen lassen würde, das Verhalten seines Gegners vor dem Kampf genau zu studieren, um eventuelle Schwachstellen zu finden oder Nervosität zu sehen. Noch einmal sah er eine Bewegung in den tiefen Schatten und meinte: „Sie sind da. Sie warten nur darauf, dass wir die Ebene betreten.“ Ayashi folgte seinem Blick und nickte, als sie auch etwas erkennen konnte. „Sie beobachten uns.“ stimmte sie zu, worauf Sesshoumaru sie kurz anblickte und sich dann an Tsukiyomaru wandte, während er sagte: „Lasst uns gehen.“ Tsukiyomaru nickte und warf einen Blick zu Ayashi, die beinahe nicht sichtbar ebenfalls nickte. Sesshoumaru befand sich in ihrer Mitte. Tsukiyomaru ging als sein offizieller Begleiter in dieses Duell zu seiner Rechten und Ayashi ging an seiner linken Seite die Anhöhe hinab, worauf aus dem Schatten der Waldbäume sofort Yari und die Katzenyoukai traten. Sesshoumaru hatte also Recht gehabt. Sie waren schon da. Wahrscheinlich waren sie schon lange vor ihnen da gewesen. Und es war umso besser, dass er sich nicht mehr direkt an Ayashi gewandt hatte, um nicht Yaris Aufmerksamkeit auf sie zu lenken und sie damit unnötiger Gefahr auszusetzen, denn sollte Yari siegen, würde er sich mit Sicherheit nach dem Duell gegen Ayashi stellen. Er wusste, dass er solche Gedanken nicht haben sollte, doch es fiel ihm schwer. Gemeinsam mit seinen beiden Begleitern ging er weiter in die Ebene hinein und blickte den herannahenden Katzenyoukai entgegen, wobei er nicht verhindern konnte, dass sich auch ein anderes Gefühl außer Sorge um Ayashi seiner bemächtigte: Hass und Abscheu gegen Yari. Ayashi musterte die Youkai, die ihnen entgegen kamen und erkannte zwei von ihnen wieder, da sie diese vor etlichen Jahren schon einmal gesehen hatte, als sie als Miko in Shikukesa gewesen war. Jisan und Toran, waren ihre Namen gewesen. Jisan hatte immer noch denselben massigen, riesigen Körper und seine roten Augen leuchteten vor Kampfeslust und Gewaltbereitschaft. Sein rotes, offenes Haar umwehte wild sein breites Gesicht. An seiner linken Seite steckte sein Schwert und in der linken Hand hielt er seinen Speer, als warte er nur darauf, zum Angriff über zu gehen. Toran hatte ihr rotes Haar streng zu einem hohen Zopf gebunden und blickte ihnen aus ihren grauen Augen ruhig entgegen. An ihrer linken Hüfte trug sie zwei gleich große Schwerter, die sie wohl in einem Kampf gleichzeitig benutzen würde. Ihre große und schlanke Gestalt wirkte entspannt und jede Bewegung auf ein Minimum an Kraft reduziert, stellte Ayashi fest und vermutete, dass Toran offensichtlich aus derselben Schicht kommen musste, wie sie selbst. Zwischen Toran und Jisan ging ein Youkai mit rauen Aussehen und grobschlächtigem Gesicht, den Ayashi nicht nur durch seine Position in der Mitte als Yari identifizieren konnte. Er war von hässlichen Narben übersäht, die von Kontakt mit Feuer kommen mussten, und strömte den unangenehmen, beißenden Geruch von Tod und Leichen aus, der auch den Drachen anhaftete. Seine muskulöse und riesige Gestalt wurde von einer Rüstung geschützt, die mit Drachenschuppen und Drachenhaut überzogen und verziert war. Sein Schwert bestand aus einem großen Griff und einer zweischneidigen, breiten Klinge. Ja, das musste Yari sein. An den äußeren beiden Enden der gegnerischen Reihe schritten zwei Katzenyoukai, ein männlicher und eine weibliche, die sich dennoch wie ein Ei dem anderen glichen, also wohl Zwillinge waren. Im Vergleich mit Yari wirkten sie beinahe schmächtig, doch auch sie waren groß und schlank. Sie hatten schwarze Augen und weißes Haar, trugen ein Schwert und zwei Dolche und führen jede ihrer Bewegung mit katzenhafter Geschmeidigkeit aus. Es gefiel ihr nicht, dass Yari schon eine Vereinbarung gebrochen hatte, denn ein ungeschriebenes Gesetz besagte, dass zu einem Duell nicht mehr als drei andere Krieger anwesend sein durften. Yari brachte vier mit sich. Ob das ein gutes Zeichen war? Sie wusste es nicht und blieb schließlich mit Tsukiyomaru stehen, denn Sesshoumaru würde in der Mitte allein auf Yari treffen und diesen begrüßen. Ayashi sah ihm nach und blickte kurz zu Tsukiyomaru, der den Blick nicht von Sesshoumaru wandte. Sie sah, dass er angespannt war. Sicherlich gefiel auch ihm nicht, dass ihnen fünf Krieger gegenüberstanden, sie selbst aber nur zu dritt waren. Sesshoumaru ging auf Yari zu, der ihm ebenfalls entgegenkam. Ein selbstgefälliges Lächeln lag auf den Lippen des Herausforderers und Sesshoumaru kostete es alle Mühe, sich nicht provozieren zu lassen, doch er war erfolgreich und blieb ruhig. „Der Herr des Westens…“ meinte Yari mit höhnischer Stimme und deutete eine mehr oder weniger flapsige Verneigung an, die Sesshoumaru gekonnt ignorierte. „Yari-Sama.“ gab er zurück und verneigte sich vor ihm mit vollendeter Eleganz, wie es sich gehörte, jedoch ohne ihn aus seinem Blick zu lassen. „Ich sehe, Ihr bringt vier Begleiter.“ „Ein großer Krieger hat viel Fußvolk.“ meinte er, als sei das eine Entschuldigung für die Missachtung eines ungeschriebenen Brauches, und Sesshoumaru entgegnete: „Ein großer Krieger repräsentiert sich durch seine eigene Stärke und sein vorbildliches Benehmen und durch seine gleichberechtigten Verbündeten, nicht durch Untergebene. Yari schnaubte erbost, fasste sich aber nach dieser Feststellung Sesshoumarus gleich wieder und stellte seine Begleiter vor, während er mit einer vagen Geste auf sie wies: „Jisan, designierter Nachfolger von Gaidan-Sama. Toran, Tochter von Gaidan-Sama. Ruran und seine Zwillingsschwester Kisan.“ Sesshoumaru nickte ihnen kurz zu und musterte jeden von ihnen schnell, ehe er sich wieder zu Yari wandte und seine Begleiter vorstellte, ohne sich von ihm abzuwenden. „Tsukiyomaru. Und Ayashi.“ meinte er, ohne auf ihre Titel einzugehen, da das nicht nötig war. „Ausgezeichnet. Die Bedingungen des Duells finden Eure Zustimmung, nehme ich an? Auf Leben und Tod. Mit den Waffen, die wir bei uns tragen.“ entgegnete Yari und Sesshoumaru nickte. „Ich bin einverstanden.“ fügte er hinzu und Yari nickte. „Meine Begleiter werden sich auf die Anhöhe zurückziehen.“ fügte er hinzu, worauf Yari meinte, seine Begleiter zögen sich hinter den Fluss zurück. Dann kehrte jeder der Kontrahenten zu seinen Begleitern zurück, um eventuell noch letzte Worte mit ihnen zu wechseln. „Die Bedingungen sind die eines herkömmlichen Duells. Niemand der Begleiter mischt sich ein. Es wird ein Kampf auf Leben und Tod mit den mitgeführten Waffen.“ meinte Sesshoumaru und Tsukiyomaru nickte. „Wer sind die Zwillinge?“ fragte Ayashi und blickte ihnen nach, wie sie gemächlich den Fluss an der Furt überquerten. „Der Mann heißt Ruran. Seine Schwester ist Kisan.“ antwortete Sesshoumaru und begleitete Ayashi und Tsukiyomaru die Anhöhe hinauf. „Inuyasha kommt wohl nicht mehr.“ bemerkte Tsukiyomaru und blickte in die Ferne, wo er eine kleine Gestalt näher kommen sah. „Ist das Yaken?“ „Es sieht so aus.“ meinte Ayashi und trat einige Schritte weiter vor. „Herr! Herr!“ rief Yaken schon aus der Ferne und beantwortete damit alle Fragen. Es war Yaken. Und Inuyasha war nicht bei ihm. Sesshoumaru ließ sich nichts anmerken, doch innerlich brodelte er. So sehr konnte er sich also auf seinen kleinen Bruder verlassen! Es wäre seine Pflicht gewesen, seinen älteren Bruder zumindest zu begleiten. „Herr! Inuyasha kann nicht kommen! Er wurde von einer Priesterin gebannt!“ rief er und traf endlich schwer atmend bei Sesshoumaru ein. „Ich glaube, er ist tot.“ Sesshoumaru schnaubte nur wütend, doch Ayashi starrte Yaken fassungslos an und beherrschte ihre Gefühle und ihre Gedanken nur schwer, damit sie nicht begann, Yaken nach seinem Wissen über die Geschehnisse in Edo auszufragen. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was zwischen Inuyasha und Kikyo geschehen war, doch sie konnte sich jetzt auch nicht darum kümmern. Sesshoumaru nickte ihnen noch einmal zu, schritt dann wieder in die Ebene hinab, um den Kampf mit Yari zu beginnen, der vom ersten Angriff in aller Heftigkeit und Verbissenheit entbrannte. Kapitel 121: ------------- Sesshoumaru wehrte einen erneuten Angriffsschlag Yaris auf seine linke Schulter ab, warf ihn kraftvoll zurück und preschte ihm dann hinterher, um seinem Gegner keine Gelegenheit dazu zu geben, sich von dem Schlag zu erholen, doch Yari war sehr schnell. Geschickt wandte er sich zur Seite, kurz bevor Sesshoumaru ihn erreichte, und sank auf ein niedrigeres Niveau herab, auf dem er wieder auf Sesshoumaru zu eilte, um dessen Kniekehlen zu seinem Angriffspunkt zu machen. Verletzte er seine Beine, büßte Sesshoumaru einiges von seiner ebenfalls tödlichen Schnelligkeit ein – und Yari war einen entscheidenden Schritt weiter, denn bisher war es keinem der Youkai gelungen, den anderen zu verletzen. Sesshoumaru wich Yaris Klinge nur knapp aus, versetzte ihm einen Stoß mit seinem Körper, worauf er leicht abgedrängt wurde, und seine Waffe ins Leere stieß. Sesshoumaru musste zugeben, dass Yari ein guter Gegner war, ein starker Kämpfer, ein Youkai, der schnell und präzise Schläge landen konnte, und er wusste auch, dass dieser Kampf auch deshalb der schwerste seines bisherigen Lebens war. Yaris Deckung war sehr gut, sodass es für Sesshoumarus Klinge kaum ein ernsthaftes Durchkommen gab. Selbst wenn es Sesshoumaru gelang, Yaris Angriffe bis jetzt erfolgreich abzuwehren und seine Taktiken zu vereiteln, so war Yari an Schnelligkeit und Reaktionsfähigkeit gleichauf mit ihm, und seine Angriffe gerade deshalb nicht zu verachten, da Yari sich blitzschnell von einer verteidigenden Position in die angreifende stürzten konnte, die Sesshoumaru, wenn er es zuließ, in eine Serie von Verteidigungsreaktionen drängte, aus denen er sich mit aller Anstrengung befreien musste. Sesshoumaru hasste es, in einem Kampf auf die Aktionen seines Gegners nur zu reagieren. Er musste agieren, und er schaffte es auch immer wieder, sich auf Yaris schnell aufeinander folgende Angriffe Luft zu verschaffen, und selbst wieder einige Angriffe nacheinander auszuführen, auf die sich Yari dann verteidigen musste, doch es war schwierig, diese angreifende Position im Kampf mit Yari lange aufrecht zu erhalten. Dabei wusste er genau: Wer in einem Kampf nur Gelegenheit fand, sich ständig zu verteidigen, hatte bereits verloren. Um zu gewinnen, musste man die eigene Verteidigung stärken, unerbittlich, schnell und präzise angreifen, den Gegner in die Enge treiben und so die Oberhand über den Kampf gewinnen. Ayashi und Tsukiyomaru beobachten von ihrer Position auf der Anhöhe schweigend und angespannt den unerbittlichen Kampf zwischen Sesshoumaru und Yari. Die Youkai bekämpften sich seit über zwei Stunden und ihr Kampf hatte nichts an Heftigkeit und Willensstärke eingebüßt. Staub und Sand wehte vom Kampf aufgewirbelt über die Ebene und machte es hin und wieder schwer, die schnellen Bewegungen der Kontrahenten genau zu erkennen. Immer wieder glaubte Ayashi, eine Schwäche in Yaris Deckung oder ein Straucheln und Schwanken zu sehen, doch sie konnte auch sehen, dass er sich nach einer vermeintlich entdeckten Schwäche beinahe sofort wieder fing, sodass sie nicht sicher war, ob Yari überhaupt eine Schwachstelle gezeigt hatte. Sie wusste, dass ihre Sicht durch Staub und Sand eingeschränkt war und ihr Wunschdenken sie täuschen konnte. Die Wahrheit war – ob sie es nun wahr haben wollte oder nicht -, dass bei diesem Kampf noch kein Ende oder gar ein gewisser Ausgang des Duells absehbar war. Immer wieder spürte Ayashi auch Tsukiyomarus Blick von der Seite, doch sie wandte sich nicht zu ihm und ignorierte ihn. Sie konnte die Augen nicht vom Kampf und Sesshoumaru abwenden, obwohl sie es gerne tun würde, da sie um Sesshoumaru fürchtete. Ayashi atmete unmerklich tief durch und kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen. „Es ist noch alles offen, Ayashi.“ meinte Tsukiyomaru und Ayashi nickte. „Ich weiß.“ gab sie zurück und hielt den Blick auf das Geschehen in der Ebene gerichtet. „Du bist blass… Geht es dir nicht gut?“ fragte Tsukiyomaru besorgt, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Es ist nichts.“ meinte sie und wusste dabei genau, dass sie log. Es lag nicht nur am Sand und Staub, dass sie die Bewegungen des Kampfes nicht so genau verfolgen konnte. Natürlich bewegten sie sich sehr schnell, doch… Ayashi wusste, dass ihre Augen ihnen eigentlich folgen können müssten. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Es waren nicht nur ihre Augen, die ihr Sorgen machten. Diese seltsame Schwäche bemächtigte sich immer mehr ihres Körpers und das schlechte, mulmige Gefühl in ihr nahm zu. Sie konnte sich das alles nicht erklären. Was war nur los mit ihr? Tsukiyomaru wandte den Blick wieder dem Kampf seines Freundes zu und sagte nichts mehr. Ayashi war blass und ihre Lippen beinahe weiß, da sie so blutleer waren. Ihr Gesicht glänzte schweißnass und ihre Augen schimmerten glasig und fiebrig. Wenn er nicht gewusst hätte, dass sie Youkai-Blut in sich trug, hätte er geglaubt, sie sei an hohem Fieber erkrankt. Doch das war unmöglich. Sie konnte nicht krank sein. Wahrscheinlich war es die Sorge und Angst um Sesshoumaru, die sie so aufregte. Obwohl Tsukiyomaru aus treuer Freundschaft davon überzeugt war, dass Sesshoumaru nicht unterliegen würde, musste er zugeben, dass die Sorgen berechtigt waren. Yari hatte mit seiner sicheren Verteidigung und seinen zielgerichteten Angriffen bisher noch nicht viel Anlass dazu gegeben, diesen Kampf als bald zu Sesshoumarus Vorteil beendet zu sehen. Allerdings hatte Sesshoumaru ebenfalls keine Schwäche gezeigt und bewies in jeder Minute dieser Auseinandersetzung, dass man ihn besser nicht herausforderte und er zu Recht Herr des Westens war. Sesshoumaru machte sich keine Illusionen mehr darüber, dass in diesem bestimmt schon stundenlangen dauernden Kampf die Oberhand leicht gewonnen werden konnte. Yari hatte ihn von Anfang an gefordert und hatte ein langsames Herantasten und Kräftemessen schnell unmöglich gemacht, wobei er noch Reserven hatte, doch ihm war klar geworden, dass er die Oberhand nur auf zermürbende und geduldige Art und Weise gewinnen konnte. Derjenige, dessen Körper und Geist schneller ermattete, würde unterliegen, das wusste er inzwischen, als er Yari einen winzigen Moment in einigem Abstand gegenüberstand und ihm direkt in die Augen blickte. Yari wirkte etwas müder als er selbst, doch er konnte sich täuschen und würde aufgrund seiner vielleicht falschen Beobachtung nicht alle Vorsicht in den Wind schreiben. Und es war richtig, denn Yari schnellte wieder hervor, doch Sesshoumaru parierte seinen Angriff, indem er ihn mit einem sofortigen Gegenangriff zurückschleuderte, wartete nicht, bis er wieder einen festen Stand erlangte, sondern setzte den nächsten Angriff nach. Unerbittlich führte er mehrere schnelle Angriffsschläge aus, ließ Yari keine andere Wahl, als sich einige Zeit nur zu verteidigen, und landete endlich den ersten ernsthaften Treffer, der Yaris linken Arm schwer verletzte. Yari brüllte vor Schmerz und Überraschung, während Sesshoumaru die Gelegenheit nutzte, auf die Knie rutschte und ihm noch einen tiefen Schnitt in den Oberschenkel verpasste, da der Weg zum Oberkörper durch Yaris Verteidigung noch blockiert war. Schwer atmend und wütend ging Yari über seine Schmerzen hinweg und verfolgte Sesshoumaru mit mehreren uneffektiven Angriffen über die Ebene, wonach er wieder zurückgetrieben wurde. Sesshoumaru fühlte förmlich, wie sich die Atmosphäre des Kampfes änderte. Solche Treffer brauchte er weiterhin, wenn er gewinnen wollte. Nun hatte er einen entscheidenden Vorteil, denn ihn hinderten noch keine Verletzung an seinen Bewegungen – und früher oder später würde Yari die Schmerzen seiner Wunden nicht mehr ignorieren können. Dann betäubten die Anstrengung und die Konzentration vielleicht noch die pulsierenden Schmerzen, doch der Blutverlust würde ihn schwächen, ob er es nun gleich spürte oder nicht. Doch Yari schien zu spüren, dass ihm Sesshoumaru nun überlegen war, wenn er auch nur ein wenig im Vorteil war. Und er wusste, dass dieser Kampf viel zu lange dauerte, weshalb er sich wieder mit erhobener Waffe Sesshoumaru näherte und versuchte, Sesshoumarus Schwert seitlich abzulenken um freien Zugang zu dessen Brust zu erlangen. Wie sehr er den Stahl seiner Klinge in diesem Körper versenken wollte! Er schnaubte und ein angestrengter Schrei entwich seiner Kehle, als er zustieß, doch Sesshoumaru drehte sich zu schnell zur Seite und wehrte Yaris Schwert und Angriff ab, sodass er Yari ins Leere an ihm vorbei laufen ließ, und anschließend gleich auf ihn einstürmte. Sesshoumaru wusste, dass er diesen Kampf bald beenden musste. Es war… genug. Und die Anstrengung zehrte inzwischen genauso sehr an seinem Körper, wie Yari verzweifelt war. Sein kühler Blick begegnete Yaris wütendem, als sich ihre Klingen kreuzten und sich schwer atmend einen kurzen Moment regungslos gegenüberstanden. Dieser Moment schien ewig zu dauern. Yaris Augen blitzten. Schweiß tropfte ihm die Schläfen hinab, doch auch Sesshoumaru schwitzte und wirkte erschöpft. Plötzlich grinste Yari und Sesshoumaru verstand zu spät, was Yari dazu veranlasste, denn im nächsten Augenblick spürte er die brennende Säure von Yaris Giftklaue in seiner Brust, die schon langsam durch seinen Körper kroch und sich begann auszubreiten. Sesshoumaru fluchte, stieß Yari von sich und griff ihn an. Kapitel 122: ------------- Ayashi stand immer noch unter Schock. Sie konnte nicht glauben, was sie gerade sah. Tsukiyomaru hielt sie fest, da sie am liebsten hinab in die Ebene geeilt war, um Sesshoumaru beizustehen, doch Tsukiyomaru war stark genug, sie zurückzuhalten. ‚Seltsam eigentlich’, schoss es Ayashi durch den Kopf, doch sie wusste, dass er Recht hatte, sie am Eingreifen in den Kampf zu hindern. Ungläubig schüttelte sie den Kopf und starrte auf die inzwischen wieder Kämpfenden. Vor wenigen Augenblicken war sie Zeuge geworden, wie sich die Youkai mit gekreuzten Klingen gegenüber gestanden hatten. Dann war Sesshoumaru plötzlich zusammengezuckt und hatte wieder angegriffen und Ayashi war sofort klar geworden, dass Yari seine Giftklaue eingesetzt hatte. Sie hatte nicht gesehen, dass er sich ihrer bedient hatte, aber das musste es sein, denn sie sah, dass Sesshoumaru von etwas anderem als dem Kampf geschwächt war. „Nein.“ brachte sie nur als verspätete verbale Reaktion auf das Geschehen heraus und schüttelte noch einmal ungläubig den Kopf. „Es ist noch nichts entschieden.“ erinnerte Tsukiyomaru und ließ Ayashi vorsichtig los, als er sich sicher war, dass sie sich wieder gefasst hatte, und nicht Sesshoumaru zur Hilfe eilen würde. Yari hatte zwar den Pakt gebrochen, nur mit den Waffen zu kämpfen, die sie bei sich trugen. Yari hatte zwar die Regeln des Duells gebrochen und damit den ehrenhaften Kampf beendet, doch eine Einmischung war immer noch eine größere Verletzung der Bestimmungen. Sesshoumaru wusste, dass er nun weder eine Wahl noch einen Anlass hatte, seine angeborenen Fähigkeiten und die Waffen eines Youkai nicht zu nutzen, denn Yari konnte er nun nicht mehr nur mit seinem Schwert besiegen, und er musste sich nicht mehr an Regeln halten, die Yari schon vor ihm gebrochen hatte. Und genau das tat er nun. Er warf sich mit Schwert und Giftklaue in den Kampf und drängte gegen Yaris Verteidigung wie nie zuvor. Er führte einen Schlag nach dem anderen aus und ignorierte den stechenden Schmerz in seiner Brust. Seine Wut ermöglichte es ihm. Seine Wut und der Willen, nicht zu verlieren. Nicht gegen Yari. Nicht heute. Nicht irgendwann. Für Ayashi. Seine Geliebte. Seine Gefährtin. Die Gebieterin seines Herzens… und die Herrin der Westlichen Länder. Sesshoumaru trieb Yari seine Giftklaue in den rechten Oberarm und verletzte ihn durch tiefe Kratzer an Hals und Kehle. Sofort drang das Gift ein und Yari röchelte, strauchelte und verlor seine Waffe aus der Hand, die er Hilfe suchend nach oben streckte, wovon Sesshoumaru sich nicht beirren ließ. Er hatte keine Gnade übrig. Ein Kampf auf Leben und Tod. Yari hatte es so gewollt. Und Yari hatte sich selbst zuzuschreiben, dass es so weit gekommen wäre. Vielleicht hätte er Gnade gezeigt und Yari sein ehrloses Leben gelassen, wenn er in einem fairen Kampf verloren hätte, doch nicht so. Nein, Gnade für Yari konnte er nicht aufbringen. Sesshoumaru holte zum tödlichen Stoß aus, doch kam nicht mehr dazu, diesen auch auszuführen, da Jisan ihn mit seinem Speer von Yari zurückdrängte und ihm durch diese Einmischung das Leben rettete, während Toran und Ruran Sesshoumaru von seitlich und Kisan von hinten angriffen. „Ihr elenden, ehrlosen Bastarde!“ rief Sesshoumaru außer sich und drängte die drei so gut wie möglich zurück, doch sie waren zu viert und er alleine und schon vom Kampf erschöpft, sodass zwei von ihnen ihn mit ihren Klingen verletzten. Ayashi und Tsukiyomaru überlegten nicht lange und rannten in die Ebene hinab. Sesshoumaru brauchte sie nun wirklich und von dem anfänglichen regelgemäßen Kampf war eh jede Spur verschwunden. Ayashi spürte, wie die Schwäche aus ihrem Körper verschwunden war. Sie wusste nur, sie musste Sesshoumaru helfen. Nur das zählte! Sie erreichten Sesshoumaru gerade rechtzeitig und schafften es, die beiden jüngeren Youkai, die Zwillinge Kisan und Ruran durch einige Angriffe von Sesshoumaru abzulenken, sodass der sich einen Moment nur noch um zwei Gegner zu kümmern hatte. Es gefiel Sesshoumaru nicht, wie sich dieses Duell entwickelte, doch daran war nun nichts mehr zu ändern. Ayashi und Tsukiyomaru im Kampf mit ihm. Tsukiyomaru… ging ja noch, aber Ayashi wollte er aus der Gefahrenzone haben, obwohl er sah, dass sie mit Kisan offenbar klar kam. Trotzdem! Seine Gedanken rasten in seinem Kopf hin und her, während er sich gegen Jisan und Toran zur Wehr setzte. Yari hatte auf ganzer Linie bewiesen, dass er ein unehrenhafter Bastard und eine Verschwendung des Platzes auf dieser Erde war. Wenn er ihn tötete, war die Sache vielleicht beendet, und sie konnten gemeinsam die Katzenyoukai in die Flucht schlagen – oder diese würden nach Yaris Tod ohnehin aufgeben, doch solange dieser unsägliche Youkai noch atmete und die Luft verpestete, würden die Katzenyoukai nicht zurückweichen, das wusste er. Doch Yari war zäh. Er rappelte sich gerade auf und betrachtete scheinbar zufrieden die Entwicklung des Kampfes. Es war von Anfang an so geplant gewesen. Sollte er nicht in der Lage sein, fair zu siegen, so würde er eben mit der Hilfe der Katzenyoukai siegen. Welchen Unterschied machte das schon? Tsukiyomaru drängte Ruran so weit ab, dass er blitzschnell zu Sesshoumaru zurückkehrte, um ihm zumindest für eine kurze Zeit Toran vom Hals zu halten, damit er vielleicht Gelegenheit hatte, Jisan endgültig unschädlich zu machen, doch er hatte seine Rechnung ohne Rurans Schnelligkeit gemacht, weshalb er zeitgleich mit ihm bei Sesshoumaru ankam und keine Wahl hatte, als beide – Toran und Ruran – von Sesshoumaru abzuziehen, wenn er ihm helfen wollte. Ayashi fügte Kisan effektiv mehrere Verletzungen zu. Ihre Gegnerin war schnell, doch sie war nicht so erfahren wie Ayashi und wohl ziemlich überrascht, dass jemand sich ähnlich flink und gezielt bewegen konnte. Kisan brach zu Boden, und obwohl Ayashi wusste, dass sie nicht tot war, tat sie es Tsukiyomaru gleich und griff Jisan an, der daraufhin von Sesshoumaru abließ. „Ayashi!“ rief Sesshoumaru ihr nach, doch sie rief nur zurück: „Yari! Er ist deine Aufgabe!“ Sesshoumaru wandte sich um und sah, dass sie Recht hatte. Yari hatte sich offenbar weitgehend erholt. Von seinem Gift? Wie konnte das sein? „Die Drachen sind weitgehend immun gegen solches Gift und können es schnell im Körper abbauen. Das habe ich von ihnen gelernt.“ entgegnete Yari nicht ohne Stolz, als er Sesshoumarus Blick sah, indem diese Fragen wohl allzu deutlich zu lesen gewesen waren. „Das wird dir auch nichts mehr nützen.“ versprach Sesshoumaru und griff Yari wieder an. Er kämpfte wie von Sinnen. Ayashi und Tsukiyomaru kämpfen mit ihren beiden Gegnern – Ayashi mit Jisan und Kisan; Tsukiyomaru mit Toran und Ruran. Ayashi hatte Recht: Er musste Yari erledigen. Erst dann konnte er ihnen zur Hilfe eilen und das machte ihn beinahe wahnsinnig. Ayashi sah, dass Sesshoumaru und Yari wieder ihren Kampf aufgenommen hatten, und tat mit Tsukiyomaru nun alles in ihrer Macht stehende, dass sie diesen ungestört fortsetzen konnten. Niemand sollte später sagen können, Sesshoumaru habe auf unehrenhafte Art und Weise dieses Duell für sich entschieden, doch für Ayashi wurde es immer schwieriger, sich gegen Jisan und Kisan zu behaupten. Ein gellender Schrei ließ sie den Kopf zu Tsukiyomaru und seinen Gegnern wenden und sie sah, dass Ruran zu Boden sank und reglos liegen blieb. Tot. Ayashi konnte nicht anders, als Erleichterung zu empfinden. Einer weniger. Nur noch vier gegen drei. Insgesamt. Kisan schrie ebenfalls auf und verließ Ayashi und griff Tsukiyomaru mit all ihrer Kraft an. Sie schleuderte in blinder Wut und rasender Trauer über ihren Zwillingsbruder ihre Energiebälle und –blitze auf ihn, sodass Toran keine andere Wahl blieb, als sich von den Attacken ihrer Verbündeten in Sicherheit zu bringen und sich von Tsukiyomaru zurückzuziehen. Ein Lächeln erschien auf Torans Lippen, als wolle sie sagen: ‚Sie wird dir schon zeigen, dass mit ihr nicht zu spaßen ist, Fledermausyoukai.’ Dann wandte sie sich Yari und Seshsoumaru zu, was Ayashi nicht zulassen konnte. Geschickt brachte Ayashi sich und Jisan so in Position, dass sie Toran trotz des Kampfes, den sie gleichzeitig bestritt, immer wieder von Yari und Sesshoumaru abschnitt, bis Toran es reichte und sie ebenfalls Ayashi angriff. Ayashi fühlte, dass es ein Fehler gewesen war, doch ignorierte es. Sie kämpfte verbissen und erlangte zeitweise wieder etwas mehr Boden gegen die beiden zurück. Sie sah aus den Augenwinkeln, dass sich Tsukiyomaru mit der rasenden Kisan immer weiter vom Kampfgeschehen entfernte, und auch Sesshoumaru und Yari in einiger Entfernung zu ihr kämpften, obwohl sie wusste, dass sie sich nicht auf jemand anderen als sich selbst und ihre Gegner konzentrieren durfte. Jisan und Toran. Wer hätte nach der ersten Begegnung gedacht, dass das Schicksal sie jemals in einem Kampf gegenüber stellte? Schicksal…? Kapitel 123: ------------- Tsukiyomaru konnte nicht fassen, wie viel Schwierigkeiten ihm diese kleine Katze Kisan bereitete. Sie war wütend. Sie war verzweifelt. Und leider immer noch konzentriert genug, Angriff nach Angriff zu starten. Ayashi hatte sie zwar schwer verletzt, doch sie schien das nicht einmal zu spüren. Der Tod ihres Zwillingsbruders musste sie diese Umstände vergessen lassen, sodass sie nur noch eines im Sinn hatte: Ihre Rache. An ihm, da er ihren Bruder getötet hatte. Er hingegen musste das Ganze schnell beenden. Ayashi musste sich allein gegen Jisan und Toran behaupten und beide waren als Gegner nicht zu verachten, während Sesshoumaru immer noch mit Yari beschäftigt war, der allerdings… hoffentlich doch schwächer wurde. Tsukiyomaru griff Kisan wieder an und fügte ihr schwere Verletzungen zu, sodass sie wimmerte und etwas in sich zusammensank, nachdem sie sich in einiger Entfernung in temporäre Sicherheit vor seinen Angriffen gebracht hatte. Tsukiyomaru ließ ihr dafür keine Zeit, sondern näherte sich ihr wieder schnell und mit kampfbereitem Schwert. Sesshoumaru gewann endgültig die Oberhand und wusste, dass er den Kampf bald beenden konnte. Bald konnte er Ayashi zu Hilfe eilen. Oder Tsukiyomaru, denn was der so weit abseits mit Kisan erlebte und auf sich nehmen musste, konnte er nicht genau sehen. Er war ihm dankbar, dass er die Energie-Attacken, die Kisan ständig auf ihn lenkte, zumindest von ihm und Ayashi ferngehalten hatte, indem er Kisan einen entfernen Kampfplatz aufgezwungen hatte. Yari landete keinen Stich mehr. Seine Angriffe hatten ihre Präzision verloren und gingen ins Leere und auch seine Deckung wies nun immer größere Lücken auf. Bald war es zu Ende mit ihm, das wusste Sesshoumaru, und wie zur Bestätigung fügte er ihm eine erneute tiefe Wunde an der rechten Schulter zu, sodass Yari kaum mehr sein Schwert erheben konnte. Er sank zusammen und ließ sein Schwert endgültig fallen. Sesshoumaru holte bereits zum tödlichen Stoß aus, als Yaris zittrige Stimme hervorbrach: „Gnade, Sesshoumaru-Sama! Bitte, habt Erbarmen!“ „Du hast es nicht verdient, Verräter, Unruhestifter und Vertragsbrecher!“ gab Sesshoumaru erbarmungslos zurück und rammte Yari sein Schwert durch die Brust in sein Herz. * * * In denselben Momenten wehrte Ayashi einen Schlag Torans ab und durchtrennte ihr mit einem sauberen, schnellen Schwertstreich die Kehle, sodass das dunkelrote Blut aus der Wunde strömte. Toran sank beinahe augenblicklich auf die Knie und starrte Ayashi aus großen Augen an, doch keinen Wimpernschlag später verspürte Ayashi einen wahnsinnigen Schmerz in ihrem Bauch und stieß einen heftigen Schrei aus. ‚Nein.’ war das einzige, das ihr durch den Kopf schoss, das einzige, das sie denken konnte. Bilder füllten ihren Kopf. Bilder aus längst vergangenen Tagen. Bilder von einer glücklichen Zeit. Bilder von ihrer Familie, ihrer Heimat. Kataga. Ayame. Katsumoto. Ihre Freunde. Ishiki. Taido. Ninshiki. Bilder ihres Lebens. Sesshoumaru. Ayashi brach blutüberströmt zu Boden. Sie konnte keinen Gedanken mehr fassen. Nichts mehr klar vor Augen sehen, doch dafür alles andere umso deutlicher. Die Schwäche und Mattheit, die sie schon vor dem Kampf gespürt hatte, war wieder da, doch sie war anders. Endgültig. Kalt. Und die Zeit verging für sie nur noch in Zeitlupe. Über ihr erschien der Youkai Jisan und zog ihr seinen Speer, mit dem er sie durchbohrt hatte, aus dem Leib, dass sie glaubte, ihr Körper müsse zerreißen, und einen schmerzerfüllten Laut von sich gab. In weiter Ferne hörte sie einen Schrei, doch es war nicht das Echo ihres eigenen. Kisan. Tsukiyomaru hatte gesiegt. ‚Beruhigend.’ dachte Ayashi und blickte in Jisans Gesicht, als der erneut dazu ausholte, den Speer in ihr zu versenken. Sie konnte dennoch nicht reagieren. Ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Dann verschwand Jisan aus ihrem Blickfeld und Sesshoumaru war plötzlich neben ihr auf seinen Knien, hob sie zu sich, umfing ihre Schultern und ihren Oberkörper mit einem Arm, bettete sie gegen sich und schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ayashi… Nein, bitte… nicht. Nein!“ bat er flehend und tastete mit seiner Hand nach ihrer Wunde und versuchte, die Blutung irgendwie zu stoppen, doch Ayashi schüttelte leicht den Kopf, nahm seine Hand in ihre und hielt sie einfach nur fest. „Es ist zu spät, Sesshoumaru.“ entgegnete sie schwach und presste seine Hand mit der Kraft, die ihr noch verblieb. „Ich fühle… die Kälte schon. Sie greift nach… mir. Es ist...“ fügte sie zitternd hinzu, doch sprach nicht zu Ende. „Bitte, Ayashi…bleib’ bei mir! Ich kann dich nicht gehen lassen. Bleib’ bei mir.“ meinte Sesshoumaru verzweifelt und unter Tränen und schüttelte den Kopf, während er ihr Haar und ihre Stirn küsste. „Ich glaube… nicht, dass du… oder ich… eine Wahl… haben. Ich…“ begann Ayashi und wurde durch ein ersticktes Husten unterbrochen, doch sie beruhigte sich schnell wieder. Sie schmeckte Blut in ihrem Mund. Ihre Lunge war also verletzt. Ihr Körper bebte. Sie fror. Sie verlor ja auch viel Blut. Und das schnell. Heiße Tränen traten ihr aus den Augen und rannen ihre Wangen hinab. Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Sie spürte es. „Es tut mir… so leid, Sesshoumaru, aber ich…“ fuhr sie fort, brach aber wieder ab, als er den Kopf schüttelte, ihre Wangen streichelte und ihre Tränen fort strich. „Hast du noch große Schmerzen?“ fragte er leise und streichelte ihre Wangen, ihre Lippen, ihre Stirn… als wolle er mit jeder Berührung sicher machen, dass er sich immer an das Gefühl ihrer Haut erinnern würde, oder dass sie noch möglichst viel seiner Zärtlichkeiten mit sich nahm. „Nein, ich spüre kaum… mehr etwas. Kälte… Taubheit. Aber keine Schmerzen mehr.“ erwiderte sie und lächelte schwach. „Und ich… habe keine Angst. Ich fürchte mich nicht. Ich glaube, sie wird… friedlich sein… und warm… schützend vielleicht, die Welt, in die ich… gehe.“ Ayashi spürte, wie sich Sesshoumarus Griff ein wenig um sie festigte, als könnte er dadurch verhindern, dass sie gehen musste… gehen würde. „Das ist alles meine Schuld, Ayashi.“ „Nein, sag’ so etwas… sag’ so etwas nicht!“ widersprach sie, doch ihre Worte enthielten nicht mehr die Dringlichkeit, die sie ihnen gerne verliehen hätte, und schüttelte den Kopf. „Letztendlich… hatte deine Mutter doch Recht. Ich wurde zu deinem Tod.“ „Nein. Du wurdest mein Leben, Sesshoumaru. Und ich… bereue das nicht. Das werde ich niemals… Niemals.“ sagte sie, legte ihre Hand sanft an seine Wange und suchte seinen Blick, ehe sie ihn kraftlos zu sich zog, dass sich ihre Lippen sanft berührten. Seine Lippen noch einmal auf ihren zu spüren…. war so unendlich zart und liebevoll. So rein und süß, doch schließlich ließ er sie zurück sinken und betrachtete sie, während er wieder ihre Hand in seine nahm. „Ayashi, du bist das einzige in meinem Leben, das immer Sinn ergeben hat. Ich kann nicht… Kannst du mir sagen, wie ich ohne dich… Ayashi, ohne dich…“ „Du wirst… ohne mich leben, Sesshoumaru. Du wirst… es können. Glaube mir. Ich… glaube, dass du… es kannst. Und du musst…“ Sesshoumaru schüttelte den Kopf, doch Ayashi nickte, entzog ihm ihre schmale Hand und zog mit unsicheren Fingern die Kette mit dem Amulett, die er ihr geschenkt hatte, aus ihrer Kleidung, um sie abzunehmen. „Was tust du?“ fragte er und hinderte sie daran. „Gib’ sie… jemandem… einer Youkai, mit der du regieren wirst… die dein Leben mit dir teilen wird, damit du nicht… allein bist.“ „Nein.“ weigerte er sich. „Nein. Du bist die einzige für mich. Immer. Ewig.“ fügte er hinzu. „Sesshoumaru…“ konnte sie nur sagen, doch sie sah, dass er sich nicht erweichen lassen würde. Stur schüttelte er den Kopf und küsste sie erneut. Ayashi schmeckte die salzigen Tränen auf seinen Lippen und auch ihre eigenen. Ihr Körper wurde kühler und kraftloser. Sesshoumaru spürte es, als er sie hielt, und es brach ihm das Herz. Sie lag gegen ihn gesunken, doch gleichzeitig wurden ihre Glieder langsam starr. Ihre Lippen reagierten kaum noch auf seine und erwiderten seinen Kuss nur noch schwach. „Mein Vater… sag’ ihm, dass ich ihn liebe. Und meine Schwester… Und…“ bat Ayashi leise, als sich ihre Lippen wieder trennten, und Sesshoumaru nickte. „Ich werde es ihnen sagen. Und Ayame. Ich werde deiner Familie… beistehen, als sei es meine eigene, wenn sie es zulässt. Ich verspreche es dir.“ versicherte er und Ayashi nickte leicht. „Lass’ mich nun gehen.“ bat sie leise, doch er schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Wenn du gehen musst, geh’, aber bitte mich nicht darum, dich aufzugeben… dich freiwillig gehen zu lassen. Das kann ich nicht.“ entgegnete er leise, doch er wusste, dass es keine Rolle mehr spielte, ob er sie gehen ließ oder nicht. „Ich liebe dich, Sesshoumaru.“ flüsterte sie kaum hörbar. „Immer. Ewig.“ fügte sie hinzu und küsste seine Handfläche, wie er es so oft bei ihr getan hatte. Ayashi sah Sesshoumaru ruhig an und ein letzter Atemzug hob ihre Brust, mit dem sie ihre letzten Worte an ihn richtete. „Ich werde… immer bei dir sein. Um dich herum… In dir… Und du immer bei mir… und in mir…“ hauchte sie schwach, bevor der letzte Lebenshauch sie endgültig verließ. Sesshoumaru schrie verzweifelt auf und presste Ayashis leblosen Körper an sich, bis er fühlte, dass sich das Gefühl ihres Körpers veränderte. Unsicher ließ er sie etwas aus seinen Armen und betrachtete sie. Ihr Gesicht wirkte so friedlich. So… als würde sie schlafen. Ein warmes Licht drang aus Ayashis Körper und umhüllte sie wie eine reine Aura, und Sesshoumaru konnte nichts tun, sondern nur fassungslos beobachten, dass das Licht Ayashi umarmte und umgab, bis sich ihr Körper darin auflöste und von Ayashi nichts weiter blieb als ein Windhauch, der für immer aus Sesshoumarus Armen entglitt. Er hatte Ayashi für immer verloren. Immer. Ewig. Und in seinem Inneren spürte er eine endlose Leere und eine tiefe Finsternis, die sein Herz mit ihren dunklen Flammen umschloss und gefangen nahm. Immer. Ewig. Kapitel 124: ------------- Um sie herum war alles dunkel und leise. Sie fühlte sich leicht. Schwebend. Schwerelos. Irgendwo inmitten eines unendlichen Nichts. Es war nicht unangenehm, doch dann plötzlich änderte es sich schlagartig. Bilder, Geräusche, Gerüche, Erinnerungen stürmten auf sie ein und verstrickten sie in ihrem festen Netz, sodass Ayashi nicht wusste, wo sie sich befand, was sie glauben sollte und einfach nur noch daraus ausbrechen wollte. Eindrücke, mit denen sie nichts anfangen konnte. Stimmen, die ihr nichts sagten. Dinge, die sie nicht verstand. Verzweifelt wühlte sie sich durch die Bilder in ihrem Kopf hindurch, kämpfte sich einen Ausweg und konnte schließlich nach langer Zeit befreit innehalten, da sie es geschafft hatte. Ihr Atem ging schnell, aber regelmäßig, während sich tief in ihrem Kopf und ganz leise die Frage aufdrängte, ob sie überhaupt noch atmete, doch sie konnte nicht darauf eingehen. Sie sah wieder klar und deutlich. Sie erinnerte sich an alles, was gewesen war. Oder an alles, das in der Zukunft sein würde… oder in der Zukunft gewesen war. Was nun? Vergangenheit oder Zukunft? Gegenwart? Nein, das alles passte doch nicht zusammen. Durch ihren Kopf rauschten geordnet die Bilder. Bilder von zwei Leben, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Leben von zwei jungen Frauen, die erst einmal nichts miteinander zu tun hatten. Und doch waren beide miteinander verknüpft. Beide gehörten ihr, Ayashi. Sie erinnerte sich an beide Leben. Sie war beide Frauen. Und sie war zu Recht verwirrt, wie sie fand. Sie sah sich als achtjähriges Mädchen in Kyoto, das das Gespräch ihrer Eltern Koyuki und Nobutada mit einer gewissen Kodachi belauscht hatte. Kodachi war auch der Name von Katagas erster Frau gewesen, ehe er Midoriko zur Gefährtin genommen hatte, schoss es Ayashi durch den Kopf. Kodachi wollte etwas von ihren Eltern, die ja nur ihre Stiefeltern sein konnten, denn Kataga und Midoriko waren ja ihre richtigen Eltern. Oder? Kodachi wollte ihr die Wahrheit über irgendetwas sagen und sie nicht in dem Glauben lassen, ein normales Mädchen zu sein, doch Nobutada und Koyuki hatten sich geweigert und Kodachi davongejagt. Das war unrecht gewesen. Unrichtig. Falsch. Ihr bisheriges Leben – das in der Vergangenheit, das gerade so gewaltsam zu Ende gegangen war – war der Beweis dafür, dass Kodachis Worte wahr gewesen waren. Und auch all das, was vor ihrer Geburt in der Vergangenheit geschehen war, bevor sie wieder zurück in die Vergangenheit geschickt wurde, war Beweis dafür, dass sie kein normaler Mensch war, denn sie hatte damals – oder in Zukunft, das kam auf die Perspektive an –, die Welt der Götter betreten, das Reich Heiwa-Sens, in dem die Zeit entstand. Doch warum wollte Kodachi sie, Ayashi, mitnehmen? Welche Verbindung bestand zwischen ihnen? Wie war das alles möglich? Wie konnte sie sich an so etwas erinnern? Wie konnte sie sich überhaupt erinnern? War sie nicht tot? War sie nicht in Sesshoumarus Armen gestorben? Wenn nicht, dann wollte sie zurück. Zurück zu ihm. Sofort! Und mit so einem brennenden Verlangen, dass ihr die Tränen der Verzweiflung die Wangen hinab rannen. Ayashi griff sich an die Stirn und presste ihre Hand gegen ihren Kopf. Sesshoumaru. Ihr Herz schrie. Ihr Verstand konnte trotz aller Erkenntnis, die ihm gerade zuteil wurde, nicht verstehen. Sie verspürte einen stechenden Schmerz, der mit den Schmerzen in ihrem Leib vergleichbar war. Steckte der Speer etwa immer noch in ihr? Nein, Jisan hatte ihn selbst aus ihr herausgerissen, erinnerte sie sich. Beruhigen war das allerdings trotzdem nicht. Eine wohlwollende Wärme legte sich auf Ayashis Glieder und beruhigte sie etwas, und sie nahm diese Wärme an, obwohl sie nicht wusste, woher sie kam und was genau sie bewirkte. Sie konnte nicht anders, als ruhig werden und tiefer in ihre Erinnerungen gleiten, da sie das Gefühl hatte, dass sie genau das nun tun musste. Sie musste verstehen. Sie musste in Gedanken zurück und … verstehen. Eines Morgens… am nächsten Morgen nach Kodachis Besuch war Koyuki tot gewesen. Ermordet, verstand sie jetzt, und Nobutada hatte sie verstoßen, allein gelassen und zurückgewiesen, da er ihr die Schuld am Tod seiner Frau gab. Damals hatte sie nicht verstanden, doch jetzt wusste sie, dass es nicht so abwegig gewesen war. Koyukis Tod konnte mit ihr zu tun haben. Sie konnte zumindest auf ganz verwirrende und umständliche Art und Weise sogar die Schuld und Verantwortung tragen. Das wusste sie jetzt. Eine neue Familie… neue Eltern hatten sich Ayashis schließlich angenommen, nachdem sie eine Zeit lang beim Priester Kitaro gelebt hatte. Er hatte sie nur widerwillig weggehen lassen, doch schließlich hatte er es getan, nachdem er überzeugt war, dass es Ayashi bei ihnen gut gehen würde. Taka und Yoko Kanno, mit denen sie dann nach Tokyo gezogen war. Und eines Nachts, als sie von einem traumlosen Schlaf aufgeschreckt war, hatte sie eine Katze auf dem Dachfirst des benachbarten Tempels gesehen – und sich gefürchtet. Nun wusste sie es. Es war Furcht gewesen. Eine düstere Vorahnung, denn ihr Tod durch einen Katzenyoukai… stand bevor oder war vorausgegangen. Wieder fragte sich Ayashi, wie das alles möglich war, und verlangte nach Antworten, doch wer sollte sie ihr schon geben? Sie war allein in dieser Trance, in dieser Dunkelheit, in dieser Stille und in diesem Schmerz. Nur die Wärme beruhigte sie, doch die sprach nicht mit ihr. Wie sollte sie auch? Sie konnte es ja nicht. Sie hatte den Tod durch den Katzenyoukai noch nicht erlebt, doch vorausgeahnt und sich gleichzeitig an ihn erinnert, da er zeitlich vor dem Sehen der Katze lag. Genauso verhielt es sich mit dem Wissen um den Heiligen Baum. Dass Inuyasha gebannt worden war, hatte sie in der Zukunft an den Abdrücken am Baum gesehen, aber gewusst hatte sie es nur, da sie sich an Yakens Worte, die er kurz vor dem Duell gesprochen hatte, erinnert hatte, obwohl sie diese noch nicht gehört hatte, sondern erst noch hören würde. War es so? Hatte sie sich in ihrem Leben in der Neuzeit an Dinge erinnert, die sie erst in der Vergangenheit hatte erleben müssen – und hatte sie sich deshalb erinnert, weil Vergangenes nun einmal vor Gegenwärtigem oder Zukünftigen lag? Hatten die Grenzen der Zeit in ihrem Kopf, in ihrer Seele und in ihrem Herzen keine so große Bedeutung? Erschloss sich ihr –ungeachtet des zeitlichen Ablaufs – der Zusammenhang der Dinge, da sie alle irgendwie in sich verband und mit ihnen verbunden war? Ayashi fühlte die Ruhe in sich zunehmen und auch die Schmerzen verschwanden langsam. Der Kopfschmerz konnte ihretwegen verschwinden. Die Schmerzen in ihrem Leib ebenso, doch in ihrem Herz… nein, ihr Herz durfte nicht heilen. Sie wollte, dass sie Schmerz empfand und konnte ihn nicht gehen lassen. Sie hatte Angst, mit ihm auch Sesshoumaru zu verlieren, und das konnte sie nicht zulassen. Sie wollte nicht. Sesshoumaru. Sie brauchte ihn, die Erinnerung an ihn, die Schmerzen aufgrund der Trennung. Das war das einzig reale für sie. Das einzige, das zählte. Das einzige, das sie wirklich bewahren musste. Sesshoumaru. Sie wusste nicht, ob sie die Augen geschlossen oder geöffnet hatte, doch von weiter Ferne näherte sich ein silbernes Licht, das sie immer deutlicher sehen konnte und sie schließlich ziemlich blendete. „Hab’ keine Angst, mein Kind.“ sprach eine liebevolle Stimme und Ayashi vertraute ihr sofort, obwohl die Stimme nicht klang wie Midorikos. Sie klang zarter und weicher, sanfter und beruhigender. Fürsorglich. Besorgt. Liebend. Sie umschmeichelte ihre Sinne mit ihrem Klang und Ayashi wollte sich nicht gegen sie wehren, und obwohl es vielleicht gut gewesen wäre, misstrauisch zu sein, konnte sie nicht die Kraft dazu finden. Nun spürte sie eine warme Hand auf ihrer Stirn, die sie zärtlich streichelte, und fühlte sich, als ob ein Wind über ihre Haut strich, hörte ein Rauschen und empfand plötzlich wieder das Gefühl ihres Körpers schwer und starr im Vergleich zu dem vorhergehenden, schwebenden Gefühl. Sie war in ihrem Körper. Und sie war… irgendwo und nicht mehr inmitten von dunklem Nichts. Ayashi schlug die Augen auf und blickte in das Gesicht einer Frau, das sie glaubte, schon einmal gesehen zu haben, da es ihr so bekannt vorkam, doch sie wusste nicht woher sie es kennen sollte. Sie sah Ähnlichkeit mit… Midoriko, aber das war nicht alles – und auch nicht das einzige, das sie verwirrte, denn sie sah auch Ähnlichkeit mit sich selbst, wenn sie ehrlich war. Und das nicht zu wenig. „Ich bin Kodachi.“ erklärte die Frau und streichelte weiter Ayashis Stirn. Ayashi sagte nichts, doch ihre Gedanken spielten verrückt und waren nun überhaupt nicht mehr zu bändigen. Kodachi? Kodachi!? Wieso hatte sie Ähnlichkeit mit Kodachi? Und Midoriko? Sie wollte sich aufrichten, doch konnte nicht die Kraft finden. Kodachi. Natürlich. Sie hatte damals nur das dunkle Gewand gesehen und… nun sah sie ein Zeichen auf ihrer Stirn, wie es manche Youkai trugen. Sesshoumaru trug die dunkle Mondsichel – wie seine Mutter – und Kodachi einen… vierzackigen, schmalen Stern. „Wie… Midoriko.“ sprach Ayashi, als ihr das erste Mal bewusst einfiel, dass auch Midoriko ein Zeichen auf der Stirn gehabt hatte, das dort eigentlich nicht hingehörte. Wie hatte sie das bis jetzt nicht bemerken oder in Frage stellen können? War es ihr bisher nicht aufgefallen? Sollte es ihr nicht auffallen? Kodachi beugte sich zu ihr hinab, nahm ihr Gesicht sanft in die Hände und hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf jede Wange und auf die Stirn, was Ayashi überraschte. Der Kuss einer Mutter! „Ich habe mich so sehr danach gesehnt, das zu tun, Ayashi.“ gestand sie und Ayashi sah Tränen in ihren Augenwinkeln glitzern. „Mutter?“ fragte Ayashi tonlos, doch Kodachi nickte tatsächlich. „Aber… ich dachte, Midoriko… Wie ist das… Wie kann das sein?“ wollte Ayashi wissen, doch sie spürte das Band zwischen ihr und Kodachi, deshalb zweifelte sie nicht daran, dass Kodachi ihre Mutter war. „Ich werde dir alles erklären. Ich werde dir die Wahrheit endlich sagen. Die ganze Wahrheit, doch du bist noch sehr geschwächt und musst ruhen.“ „Nein.“ widersprach Ayashi und richtete sich schließlich mit Kodachis Hilfe auf. „Du warst tot, Ayashi, und die Götter haben dich zu sich geholt, um dich wieder zum Leben zu erwecken. Es war schwierig und hat länger gedauert, als sie angenommen hatten. Die Bindung an dein Leben war sehr stark und Sesshoumaru wollte dich nicht gehen lassen, doch wer könnte es ihm verdenken?“ Tränen brannten in Ayashis Augen, als sie an Sesshoumaru erinnert wurde. Sie wollte zurück. Sie wollte zurück und ihn in ihre Arme nehmen, wollte ihn trösten, wollte ihm versichern, dass seine Trauer und sein Schmerz grundlos waren, aber… genau das waren sie eben nicht. Es spielte keine Rolle, ob sie lebte oder tot war. Sie waren voneinander getrennt. Ayashi fühlte die Arme ihrer Mutter, die sich tröstend um sie schlangen, und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie konnte nicht anders. Sie weinte um alles, was sie verloren hatte, und um jeden, dem sie durch ihren Tod Leid, Trauer und Schmerz verursacht hatte. Kapitel 125: ------------- Sesshoumaru wusste nicht, wie lange er in der Ebene gesessen hatte. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit Ayashi ihn an dieser Stelle, an der immer noch ihr Blut in den Boden sickerte, verlassen hatte. Er fühlte nichts mehr. Er nahm nichts mehr um sich herum war. Und es war ihm gleichgültig. Tsukiyomaru? Yaken? Beide waren irgendwo in seiner Nähe, beide überlegten wahrscheinlich, was sie nun tun sollten, was sie sagen sollten, doch was kümmerte ihn das? Ayashi war gegangen. Er hatte bleiben müssen. Ayashi war verschwunden. Sie hatte sich aufgelöst. Sie war zu einem leichten, warmen Hauch des flüchtigen Windes geworden, als hätte sie niemals wirklich existiert. Er konnte es nicht glauben. Er wollte es nicht glauben, und dennoch nützte all seine Sturheit und Beharrlichkeit nichts, denn es war nun einmal wirklich geschehen. Er hatte Ayashi nicht beschützen können. Trotz seiner Stärke, trotz seiner Fähigkeiten, trotz seiner Waffen. Er hatte versagt. Nun war er wahrlich schwach, unfähig und wehrlos diesem überwältigenden Gefühl von Schmerz, Kummer und Verzweiflung ausgeliefert. Sesshoumaru starrte auf seine Hände und seine Kleidung. Überall klebte noch Ayashis Blut und ihr Duft drang noch vermischt mit dem starken, grausamen Geruch ihres Blutes süß gegen seine Sinne. Jasmin – und Kirschblüten. Blütenduft vermischt mit Blut. Ein Duft, der langsam mit dem Wind davongetragen wurde, ihm jedoch niemals aus der Erinnerung weichen würde. Traurig hob Sesshoumaru den Blick in den Himmel. Die Wolken zogen schnell hoch über ihm vorbei. Der Wind trieb sie erbarmungslos vor sich her, riss den Duft Ayashis ebenso erbarmungslos mit sich und trug ihn mit sich fort – der ewigen Freiheit entgegen – und ließ ihn inmitten seiner Trostlosigkeit zurück. Sesshoumaru atmete tief durch und erhob sich schließlich vom Boden, um sich Tsukiyomaru zuzuwenden, der schweigend und betroffen abwartete. „Ich danke dir für deine Unterstützung.“ richtete Sesshoumaru das Wort an seinen Freund und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du hast ehrenvoll gekämpft.“ Tsukiyomaru neigte leicht den Kopf und entgegnete: „Es tut mir leid, dass es nicht genug war, das ich tun konnte. Ayashi…“ „Yari und seine Begleiter sind tot. Wie es politisch für mich mit dem Rat weitergeht, kann ich noch nicht genau sagen, doch ich werde deine Unterstützung brauchen.“ überging Sesshoumaru sein persönliches Leid, da er das Gefühl nicht ertragen konnte. „Lass’ mich deine nächsten Schritte wissen, wenn es soweit ist, und ich werde dir loyal als Freund und Verbündeter zur Seite stehen.“ versicherte Tsukiyomaru und Sesshoumaru nickte dankbar, ehe er sich abwandte. „Yaken, wir gehen.“ bestimmte er und der kleine Krötendämon nickte eifrig. „Ja, Sesshoumaru-Sama.“ entgegnete er und rannte hinter den großen Schritten seines Herrn her, wobei er einen Blick zu Tsukiyomaru zurückwarf, der ihnen nachblickte und sich schließlich auch zum Gehen wandte. Yaken trottete stumm hinter Sesshoumaru her und wagte nicht etwas zu sagen. Sein Herr ließ seinen Blick immer wieder in den Himmel gleiten, doch ging sonst seinen Weg ohne Umschweife in Richtung Shimonoseki. Es brauchte nicht viel Einfühlungsvermögen, die tiefe Traurigkeit des Herren wahrzunehmen, und er wusste ja, dass die Hime Sesshoumaru … sehr nahe gestanden hatte. Der Krötendämon seufzte leise und ließ den Kopf hängen. Ayashi-Sama war eine wunderbare Youkai gewesen und ihr Tod ein großer Verlust. Wie würde sein Herr damit umgehen? Wie sollte er, Yaken, sich in Zukunft verhalten? Sollte er… seine Anteilnahme irgendwie aussprechen? Und wenn ja, wie? War es nicht seine Pflicht? Oder stand ihm das überhaupt nicht zu? „Sesshoumaru-Sama, ich bin… zutiefst betrübt. Gibt es etwas, das ich für euch tun kann, um Ayashi-Samas Tod…“ „Schweig, Yaken. Sprich’ ihren Namen nie wieder aus, es sei denn, ich bitte dich darum.“ unterbrach ihn Sesshoumaru ruhig und leise, und ohne seine Schritte zu unterbrechen, doch seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er bis zum Äußersten gehen würde, dass Yaken der Name nicht mehr über die Lippen kam. Yaken verstummte erschreckt und nickte schnell. „Wie ihr wünscht, Sesshoumaru-Sama.“ fügte er hinzu, um jeden Zweifel auszuräumen, dass er sich vielleicht nicht an diesen Befehl halten würde. Sesshoumaru hörte die Worte seines Dieners, doch sie waren ihm egal. Ayashis Name zu hören, war kaum auszuhalten, und obwohl er ihn selbst immer wieder in Gedanken wiederholte – ihn verzweifelt lautlos schrie – und er nicht wegzudenken war, wollte er nicht, dass er laut ausgesprochen wurde – schon gar nicht in Verbindung mit der Tatsache, dass sie nun verstorben war. Es schmerzte ihn zu sehr. Es machte ihm bewusst, dass es Wirklichkeit war, was er gerade erlebte. Und es machte ihm klar, dass er einem Vater vom Verlust der Tochter berichten musste, und eine Familie mit dieser Nachricht in Trauer stürzte. Sesshoumarus Hals wurde eng und er schluckte einige Male. Er hatte keine Ahnung, wie er Kataga gegenübertreten sollte, doch er musste es bald tun, denn Kataga musste es von Sesshoumaru erfahren. Zumindest das war er ihm schuldig. Sesshoumaru kehrte nur nach Shimonoseki zurück, um sich frisch zu machen und umzuziehen, da er Kataga nicht so unter die Augen treten konnte, wie er war. Die Diener eilten herbei und erledigten still ihre Aufgaben, während Sesshoumaru sich ebenfalls schweigend wusch und waschen ließ, und dann die Kleidung anlegen ließ. Ayashis Duft, der sich in der letzten Zeit im Schloss festgesetzt hatte, raubte ihm beinahe den Verstand. Wenn er die Augen schloss und all die schrecklichen Bilder aus seinem Kopf verbannte, konnte er sich sogar selbst täuschen, und annehmen, dass sie jederzeit durch die Tür kommen, ihn umarmen, ihn anlächeln und ihn küssen würde. Die Versuchung war groß, sich in ihre Gemächer zu stehlen und einfach dort zu bleiben. Die Welt einfach hinter sich zu lassen und in Ayashis Gemächern Zuflucht vor der Wirklichkeit zu finden, und sich gleichzeitig die furchtbare Wirklichkeit, nämlich Ayashis Abwesenheit, ihren Tod, vor Augen zu führen, schien ihm gerade das, was er jetzt wollte. Er suchte den Schmerz, weil er es nicht glauben konnte. Er suchte den Schmerz, weil er es anders nicht aushielt. Sesshoumaru schüttelte kurz den Kopf, um seine Gedanken einigermaßen frei zu bekommen, rückte seine Kleidung noch einmal zurecht, ließ seine Waffen liegen, und verließ dann ohne ein Wort seine Gemächer, um nach Fukuoka aufzubrechen. Nur aufgrund seines eisernen Willens gelang es ihm, an Ayashis Gemächern vorbeizugehen und keinen Blick hineinzuwerfen, als er den schweren Weg zu ihrem Vater antrat. Er erreichte Fukuoka schnell und trat in den ersten Hof des Schlosses. Beamte und Diener eilten zu ihm und geleiteten ihn sofort in den nächsten Hof, in den Kataga gerade von der Engawa die wenigen Stufen hinabschritt, jedoch in seiner Bewegung gänzlich innehielt, als er sah, dass Sesshoumaru allein gekommen war. Sesshoumaru verneigte sich tief vor dem älteren Youkai und wäre am liebsten in dieser Position geblieben, um Kataga nicht ansehen zu müssen. Die Beamten und Diener zögerten, doch zogen sich schließlich zurück, um die beiden Youkai allein zu lassen. „Sesshoumaru…“ begrüßte Kataga seinen Gast und löste sich aus seiner Starre. „Wo ist… Wo ist meine Tochter? Wo ist Ayashi?“ fragte er ihn und Sesshoumaru schloss einen winzigen Moment die Augen. Dann suchte sein Blick den Blick Katagas und Sesshoumaru ging auf ihn zu, um wenige Schritte vor ihm stehen zu bleiben. „Es scheint mir keine angemessenen Worte zu geben, mit denen ich dir sagen kann, was geschehen ist.“ begann er und senkte den Blick, da ihm wieder die Tränen in die Augen traten. „Ayashi… Sie ist… Sie wurde vom Katzenyoukai Jisan tödlich verwundet und starb… noch am Ort des Duells.“ Stille. Scheinbar endlose Stille. Sesshoumaru konnte die Stille schreien hören. Sie war in ihm. Und um ihn herum. Und nun tobte sie auch in Kataga. „Nein.“ flüsterte Kataga und schüttelte den Kopf. „Nein…“ wiederholte er tränenerstickt, doch er wusste, dass sich nichts an Sesshoumarus Worten ändern würde. „Es tut mir leid.“ sagte Sesshoumaru, doch Kataga blieb stumm, weshalb Sesshoumaru auf die Knie sank und den Oberkörper neigte. „Könnte ich mein Leben geben, um sie dir zurückzugeben, stünde ich nun nicht vor dir, doch das liegt nicht in meiner Macht. Wenn es dein Wunsch ist, reich’ mir ein Schwert und ich werde mich selbst richten.“ fuhr er fort. Kataga sank ebenfalls auf die Knie und berührte Sesshoumaru an der Schulter, dass er aufblickte und sah, dass Kataga, so ergriffen und schmerzerfüllt er auch war, den Kopf schüttelte. „Ich habe schon meine Tochter verloren, Sesshoumaru, nimm’ mir nun nicht ihren Gefährten, der du in meinen Augen rechtmäßig bist, sondern lass’ mich dich als meinen Sohn betrachten.“ entgegnete Kataga unter Tränen und Sesshoumaru ließ den Kopf sinken. „Vergib’ mir, Kataga. Vergib’ mir, dass ich Ayashi nicht schützen konnte.“ bat er leise und weinend und fühlte, wie Kataga seine Hand erst auf seinen Kopf legte, und ihn dann stumm in seine väterliche Umarmung zog. „Ich bin mir sicher, dass du getan hast, was du konntest.“ versicherte Kataga leise und fuhr murmelnd fort: „Erzähl’ es mir, Sesshoumaru. Ich möchte wissen, was geschehen ist. Ich möchte verstehen. Ich muss es wissen und verstehen.“ Sesshoumaru nickte und berichtete dem Vater, der ihn gerade als Gefährten seiner verstorbenen Tochter anerkannt hatte, über die Ereignisse, die sich zugetragen und zu Ayashis Tod geführt hatten. Kapitel 126: ------------- Ayashi spürte, wie ihre heißen Tränen langsam versiegten. Ihre Kehle war ausgedörrt und schmerzte. Sie fühlte sich, als blute sie innerlich aus, doch stetig wurde der Wunsch in ihr stärker, endlich zu verstehen. Sie musste verstehen. Sie hatte das Gefühl, dass von diesem Begreifen alles andere abhing. Kodachi strich ihr immer noch beruhigend über den Kopf und den Rücken und hielt sie bei sich, doch auch sie bemerkte, dass Ayashi ruhiger und stiller wurde. „Ich habe also wirklich die Welt der Lebenden verlassen?“ fragte Ayashi schließlich leise, als sie ihre Stimme wiederfand, und Kodachi nickte langsam. „Du bist gestorben, doch du bist wieder zum Leben erweckt und von deiner todbringenden Verletzung geheilt worden. Du befindest dich nun im Reich der Götter.“ erklärte Kodachi und ließ zu, dass Ayashi sich etwas von ihr löste. Ayashi blickte sich um, doch sie sah nichts. Ihre Umgebung enthielt nichts. Sie befand sich einfach nur in einer Leere, einer weißen Leere, in der es nichts gab außer einem ebenso weißen Boden, auf dem sie mit Kodachi saß, und seltsamen, weißen Nebel, der sich hin und wieder verdichtete oder lichtete, um den Blick in die scheinbar endlose Weite zu gewähren. Obwohl die Wände, wenn es sie in diesem Raum überhaupt gab, so weit entfernt waren, dass Ayashi sie nicht sehen konnte, fühlte sie sich eingeengt. Nur über ihnen erhob sich der Himmel in allen Nuancen seiner blauen Farbe, und versank schließlich in tiefem Schwarz, doch es war trotzdem hell, als schiene die Sonne. Es war ein seltsamer Ort, fasste Ayashi gedanklich zusammen, doch sie erinnerte sich auch, dass sie schon einmal an einem ganz ähnlichen Ort gewesen war. „Ich erinnere mich an einen ganz ähnlichen Ort.“ meinte sie deshalb und fuhr fort: „Ich war schon einmal hier.“ „Ja, du hast die Stätten der Götter und Heiwa-Sens betreten, als du das erste Mal hier warst. Im Moment sind wir sozusagen… in der freien Natur. Ich gebe zu, dass der Vergleich hinkt, da es keine Lebewesen hier gibt, aber ich denke, du verstehst, was ich sagen will.“ Ayashi nickte langsam und ließ ihren Blick weiter umherschweifen, doch als sie nichts fand, an dem er hängen bleiben konnte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit zu Kodachi zurück. „Wieso sind wir allein? Wo sind die Götter? Und Heiwa-Sen… Sollte er nicht auch hier sein, wenn er, wie ich glaube, der Grund dafür ist, warum ich hier bin?“ wollte sie wissen. „Ich verstehe das alles nicht.“ fügte sie hinzu und schüttelte verständnislos den Kopf, worauf Kodachi nickte und beschwichtigend ihre Hand auf Ayashis Unterarm legte. „Du bist verwirrt und das ist verständlich.“ entgegnete Kodachi und erklärte: „Wir sind allein, da sie dir Zeit geben wollen, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Ich versprach dir, dass ich dir alles der Reihe nach erkläre, und ich habe Heiwa-Sen darum gebeten, dass du von mir alles erfahren wirst. Es schien mit das einzig Richtige zu sein, das ich für dich tun kann, Ayashi.“ „Das klingt nicht gut.“ murmelte Ayashi, doch Kodachi lächelte. „Wirst du mir zuhören? Wirst du mir folgen?“ fragte Kodachi und Ayashi nickte. „Ja. Ich werde dir zuhören, Kodachi.“ versprach Ayashi und fuhr fort: „Und ich werde versuchen zu verstehen, was du mir zu sagen hast.“ Kodachi nickte zufrieden, strich Ayashi liebevoll über ihre Wange, was diese geschehen ließ, und rückte ein wenig von Ayashi weg, um sie bequem auf ihre Knie zu setzen. Sie schwieg eine Weile. Ayashi setzte sich ebenfalls wie Kodachi hin und wartete ab, bis sie ihr Schweigen brach. „Jedes Schicksal hat einen Anfang, Ayashi, und der Anfang deines Schicksals liegt in grauer Vorzeit, als die Welt noch jung war. Es gab noch keine Götter, Youkai, Dämonen, Geister, Menschen und Tiere, doch es gab zwei große Mächte, die auch heute noch über allem stehen und als gottähnlich bezeichnet werden. Heiwa-Sen, der ewige Friede, hatte Okii-Konzatsu, das ewige Chaos, besiegt und begründete die Ordnung der Elemente und der Zeit, aus der das Leben auf der Erde entsprang. In Heiwa-Sen entstand seine Zwillingsschwester, - manche sagen, sie sei seine Tochter – Kyoryoku, doch als seine Tochter unterstünde sie ihm und das tut sie nicht. Kyoryoku ist das Schicksal, das alle Lebewesen als Teil eines großen Ganzen miteinander verbindet, denn jedes Wesen besitzt einen Hauch von Schicksal und damit einen Teil von Kyoryoku. Heiwa-Sen trägt sie wie alle anderen Lebewesen in sich und ohne diese Verbindung könnte weder er noch sie existieren. Kyoryoku ist eine gestaltlose Macht, die eine Hülle braucht, und diese Hülle mit Leben und Sinn füllt. Die Welten, wie wir sie kennen, entstanden. Die Unterwelt, die himmlischen Sphären und die Welt der Lebenden bildeten sich heraus. Götter und Geister erhoben sich aus der Natur. Youkai wurden geboren. Die Erde erblühte, füllte sich mit Menschen und Tieren und Dämonen, und allerlei anderen Geschöpfen. Es gab keinen Krieg, keinen Argwohn, keinen Neid, keinen Hass und keine Habgier. Das Glück war vollkommen und die ersten Lebewesen lebten in Frieden und Eintracht miteinander. Doch der Friede auf der Welt wurde immer wieder durch Okii-Konzatsu, den zerstörerischen Feind Heiwa-Sens, gefährdet. Er säte all die schlechten Eigenschaften unter die Wesen der Welt, sodass die Schöpfung Heiwa-Sens bald einer unsicheren Zukunft entgegenblickte. Kyoryoku ließ ihrem Zwillingsbruder Heiwa-Sen in dieser Zeit eine Prophezeiung zukommen. Sie sagte, die Welten und ihre gesamte Ordnung stünden auf Messers Schneide, und zu dem Zeitpunkt, in dem sich das Schicksal der Welten entscheiden sollte, könne nur die Enkelin des Heiwa-Sen mit Youkai-Blut in ihren Adern durch ihren Tod ihren Beitrag leisten, das Gleichgewicht der Welten zu erhalten.“ Kodachi machte eine kurze Pause und sah, dass Ayashi sie auffordernd anblickte, als wolle sie ihr sagen, nun nicht mit dem Erzählen aufzuhören, doch Kodachi sprach nicht weiter. „Ich möchte dich nicht überfordern. Das, was ich dir erzähle, ist göttliches Wissen, und es ist äußerst kompliziert, dem zu folgen. Lass’ dir Zeit und geh’ noch einmal in Gedanken durch, ob du alles verstanden hast.“ „Ich konnte dir folgen. Sprich’ bitte weiter, Kodachi!“ bat Ayashi und schob ein wenig zur Seite, dass sie es verwirrend fand, dass das Schicksal selbst in Heiwa-Sen eine Prophezeiung hatte verlauten lassen, wie das Ende der Welten verhindert werden konnte. „Nun gut, wie du möchtest.“ meinte Kodachi und fuhr fort: „Der gottähnliche Heiwa-Sen entschloss sich dazu, diese Prophezeiung ernst zu nehmen, da er keinen Anlass hatte, dies nicht zu tun. Prophezeiungen seiner Schwester waren immer eingetreten – und es hing zu viel davon ab. Deshalb zeugte er mit einer jungen Youkai ein Kind.“ „Um sicher zu gehen, dass er eine Enkelin haben würde, die Youkai-Blut besitzt, zeugte er eine Tochter, die ebenfalls schon teilweise Youkai ist. Verstehe ich das richtig?“ „Ja, das ist richtig. Hätte er ein göttliches Kind gezeugt, so wäre das niemals sicher gewesen.“ stimmte Kodachi zu und erklärte weiter: „Er wählte eine Youkai, die stark war und wusste, weshalb er das Kind wollte. Sie erklärte sich einverstanden, denn immerhin ging es auch um ihre Welt.“ „Wer war sie?“ wollte Ayashi wissen, da sie ihr so seltsam nahe vorkam, wobei das vielleicht nur daran lag, dass in diese Legenden und Geschichten von Göttern und gottähnlichen Wesen plötzlich eine Youkai trat. „Es ist nichts sonst über sie bekannt. Selbst ihr Name ist… nicht genau überliefert.“ „Aber hat sie nicht ihre Tochter…“ „Nein, Ayashi. Das göttliche Erbe Heiwa-Sens und das Erbe der Youkai hätten sich in dem Kind auf ewig bekämpft. Die Eltern beschlossen deshalb, dass ihr Kind zwar Youkai sein sollte, doch von Anfang an die Erziehung einer menschlichen Miko erhalten sollte, damit die Verbindung zu Heiwa-Sen und den Göttern nicht verloren ginge.“ „Das Kind war… Midoriko, oder nicht?“ fragte Ayashi, da sie das bisher fest angenommen hatte. „Aber wie ist das möglich? Midoriko war Mensch – zumindest teilweise, oder nicht?“ fragte sie verwirrt und Kodachi schüttelte den Kopf. „Nein. Sie war vom Blut eine Youkai, doch von der Erziehung und Bildung eine Miko. Hör’ mir weiter zu, dann verstehst du.“ hieß Kodachi sie an, wartete, bis Ayashi widerwillig nickte, und sprach dann weiter: „Midorikos Mutter, die Youkai, gab sie gleich nach ihrer Geburt in menschliche Obhut und zog sich von ihrer Tochter zurück. Es fiel ihr bestimmt nicht leicht, doch sie wusste, dass es sein musste.“ „Deshalb ist kaum etwas über sie bekannt.“ murmelte Ayashi leise, worauf Kodachi langsam nickte und nachdenklich meinte: „Sie hat auf ihre Tochter verzichtet, um ihre Erziehung und ihre Aufgabe nicht zu gefährden. Sie hatte sich ja darauf eingelassen. Nun erfüllte sie ihren Teil der Pflicht und ließ ihre Tochter zu einer menschlichen Miko werden.“ „Wie meinst du das? Menschliche Miko?“ fragte Ayashi dazwischen, da sie nicht verstand, wie aus einer Youkai, die Midoriko offenbar war, was ihr immer noch Schwierigkeiten machte, doch eine menschliche Miko geworden war. „Durch die priesterliche Erziehung erlangte Midoriko große Kräfte und erlangte auch die Gabe der Voraussicht, was selbst Heiwa-Sen überraschte, doch ihr Wesen als Youkai wurde zusehends schwächer. Nur eines blieb ihr und erinnerte sie an ihre Herkunft…“ „Der Stern auf ihrer Stirn.“ murmelte Ayashi plötzlich. Wieso hatte sie sich nie etwas dabei gedacht, das Zeichen bei Midoriko zu sehen? Wieso hatte sie es einfach so hingenommen? Ein Mensch mit einem Zeichen auf der Stirn! Ein solches Zeichen hatten nicht einmal alle Youkai, also warum sollte ein Mensch ein solches Zeichen besitzen? „Ja, das Zeichen des Sterns.“ stimmte Kodachi zu und zögerte einen Moment, als würde sie sich in Erinnerungen verlieren, doch bevor Ayashi fragen konnte, warum Kodachi dasselbe Zeichen trug, fuhr sie fort: „Midoriko wurde eine starke Priesterin, die viele Schlachten bestritt, doch eines Tages begegnete sie schwer verwundet einem Youkai, der sich nicht nehmen ließ, sie in seinem Schloss gesund zu pflegen.“ „Vater.“ schoss es Ayashi durch den Kopf, doch sie unterbrach Kodachis Worte nicht. „Midoriko war fasziniert von seinem Wesen und seiner Art, denn er entsprach nicht dem, was sie vermutet hatte und was ihr beigebracht worden war. Man hatte ihr gesagt, Dämonen und Youkai solle sie meiden, da sie gefährlich waren, doch sie lernte ihn schätzen. Er war der Führer der Wolfsyoukai aus dem Westen… Kataga. Sie verliebte sich in ihn und in ihr erwachte abgesehen von tiefer Zuneigung ein Gefühl, das sie sich nicht erklären konnte. Sie fühlte sich, als sei sie nach Hause gekommen.“ „Das war sie in gewisser Weise auch, nicht wahr? Midoriko spürte etwas in sich, ihr Youkai-Wesen, das begraben gewesen war, doch sie konnte es dennoch wahrnehmen. Nur erklären und verstehen konnte sie es nicht.“ entgegnete Ayashi und Kodachi nickte, wobei Ayashi eine große Traurigkeit in ihren Augen zu entdecken glaubte. Kapitel 127: ------------- Ayashi hatte viele Fragen, doch sie wusste nicht, wie sie auch nur eine einzige von ihnen ausdrücken sollte. In ihrem Kopf rasten die Gedanken hin und her, und sobald sie glaubte, dass sie etwas begriffen hatte, löste sich das Wissen in Luft auf und verschwand. So fühlte es sich zumindest an. Midoriko besaß göttliches und Youkai-Blut. Kein menschliches, wie sie bisher angenommen hatte. Das machte aus Ayashi selbst eine Youkai – und keine Hanyou, wie sie bisher geglaubt hatte. Sie war Youkai. Nicht dass das im Moment irgendeine Rolle spielen würde oder in ihrem Leben je gespielt hatte, denn ihr Vater hatte sie als Youkai erzogen, seine Verbündeten wagten nicht, deshalb irgendetwas zu sagen, und Sesshoumaru hatte keinen Wert darauf gelegt. Oder wusste ihr Vater Kataga, dass Midoriko Youkai gewesen war… Warum hatte er es niemals gesagt, wenn er es wusste? Ayashi schüttelte den Kopf, da sie diese Frage auf jeden Fall noch stellen musste, es im Augenblick aber durchaus wichtigere gab. Midoriko war also als Youkai geboren, damit ihre Erbanteile sich nicht gegenseitig bekämpften, doch sie war zur Miko erzogen worden, weshalb ihr Youkai-Wesen geschwächt worden war. Ayashi zog eine Augenbraue hoch. Vielleicht hatte ihr Vater auch nicht gewusst, wer Midoriko wirklich war. Es schien ihr zumindest möglich. Sie war sich inzwischen sicher, dass er es ihr gesagt hätte. „Heiwa-Sen hatte nichts gegen die Verbindung zwischen Midoriko und Kataga.“ holte sie Kodachis Stimme ein Stück aus ihren Gedanken in die Gegenwart zurück, worauf sie nickte, und Kodachi fortfuhr: „Immerhin fühlte er sich in seinem Handeln und der Prophezeiung bestätigt, denn das Kind dieser Verbindung würde nun Youkai-Blut von der Mutter und vom Vater erben. Er akzeptierte Midorikos Entscheidung und sie wurde zu Katagas Gefährtin.“ Gefährtin. Dieses Wort ließ Ayashi aufhorchen, obwohl sie die ganze Zeit schon zugehört hatte. Gefährtin. Die Fragen, die sie hatte, machten sie beinahe wahnsinnig. Gerade als Kodachi fortfahren sollte, bat sie: „Kodachi… halt! Ich kann nicht mehr. Ich habe so viele Fragen, und ich…“ Ayashi brach ab, doch setzte neu an. „Midoriko hat das Zeichen eines Sterns auf der Stirn. Und du hast dasselbe Zeichen auf der Stirn. Warum? Warum… seht ihr euch so ähnlich? Warum sagtest du mir, du seiest meine Mutter? Und wieso glaube ich dir das? Wieso habe ich das Gefühl, dass es stimmt? Wieso ist nicht Midoriko meine Mutter, wenn sie… die Gefährtin meines Vaters war? Warum sagte mir Katsumoto einmal, dass die erste Gefährtin meines Vaters den Namen Kodachi hatte? Warum…“ Wieder sprach Ayashi nicht zu Ende, doch sie war überrascht, wie gut ihr die Fragen doch über die Lippen gekommen waren. Sie hatte keine Ahnung, was sie zurückgehalten hatte, diese Fragen zu stellen. War es dasselbe gewesen, weshalb sie nie nach der Vergangenheit ihres Vaters gefragt hatte, auch als sie von der ersten Gefährtin erfahren hatte? Sollte sie es nicht wissen? Wieder schüttelte Ayashi den Kopf. Das konnte nicht sein. Sie hatte ein Recht darauf, zu wissen, was geschehen war und nun vor sich ging. Kodachi lächelte eine Weile und antwortete dann: „Es ist schwierig, das zu verstehen, Ayashi. Ich wollte dir alles der Reihe nach erzählen und versuchen, es dir zu erklären. Ich wusste, dass das nicht einfach ist. Es ist…“ „… kompliziert, ich weiß, aber das ist keine Antwort auf meine Fragen.“ warf Ayashi ein, worauf Kodachi seufzte. „Du hast jedes Recht, ungeduldig zu sein.“ meinte sie mehr zu sich als zu Ayashi, dann sagte sie: „Kataga gab Midoriko einen Kosenamen. Er nannte sie, wenn sie unter sich waren, nach ihrer Lieblingswaffe, dem Kodachi.“ Ayashi wollte etwas sagen, doch sie konnte nicht. Sie hatte bisher angenommen, der Name sei ein sprechender Name mit Bedeutung, eine Zusammensetzung aus mehreren Wörtern und spiele vielleicht auf ihre Herkunft an, wie ‚die aus dem weiten Land’ oder ‚die von der hohen Ebene’ oder ‚die von ehrenvollem Blut’, doch sie hatte eben nie das Schriftbild gesehen. Das Kodachi war natürlich die kürzere Variante des Tachi, vom Gewicht leichter als das Katana und konnte deshalb schneller geschwungen werden als beide anderen Waffen. „Er sagte einmal, dass sie ihn so schnell, so tief und so zielsicher in seinem Herzen berührt habe, als habe sie wirklich ihr kürzeres Schwert geführt. Er liebte es, sie trainieren zu sehen, mit ihr zu trainieren, immer darauf bedacht, sie keinen Schaden nehmen zu lassen, und ihr trotzdem nicht das Gefühl zu geben, sie zu schonen. Das konnte er gut. Das konnte er sehr gut.“ fuhr Kodachi nachdenklich fort, ließ ihren Blick in die Ferne schweifen, als ihr Tränen in die Augen stiegen. Still saß Ayashi dort und fühlte, wie auch ihr die Tränen hervortraten, als sie verstand, aber keine Worte fand. Midoriko und Kodachi waren eine Person, Midoriko ihr richtiger Name, Kodachi der Kosename. Kodachi war ihre Mutter. Midoriko war ihre Mutter. Beide waren ihre Mutter. Und ihre Mutter vermisste ihren Gefährten, den sie immer noch liebte. Wie war das überhaupt möglich? Ayashi fühlte tief in sich eine seltsame Ruhe, die sie sich nicht erklären konnte. Sie hätte aufgeregt sein sollen. Nervös. Zittrig. Vielleicht ein wenig wütend, da sie das alles nun erst erfuhr, doch nichts von all diesen Gefühlen verspürte sie. Nur Ruhe. Und Traurigkeit. Sie teilte diese Traurigkeit mit ihrer Mutter, stellte sie fest. Ihre Verbindung musste stärker sein als sie verstehen konnte und tief im Unterbewusstsein vergraben gewesen sein. Nun brach sie endgültig hervor. „Ich werde dir alles erklären, Ayashi. Ich werde dir genau erklären, wie ich mit Midoriko in Verbindung stehe, wie das möglich ist, was ich dir gerade gesagt habe. Hab’ noch ein wenig Geduld.“ erwiderte Kodachi wieder mit festerer Stimme, da sie sah, dass Ayashi ebenfalls beinahe weinte und die Zusammenhänge nicht ganz verstand. „Wenn ich es dir jetzt erkläre, müsste ich später zum Zeitpunkt deiner Geburt zurückspringen und ich…“ „Ich werde dich nicht mehr unterbrechen. Du entscheidest über die Reihenfolge, in der du mir alles erzählst.“ meinte Ayashi, doch es kostete sie dennoch noch einige Überwindung. Sie wollte immer noch alles wissen – am besten wollte sie schon alles wissen, denn es ging ja auch um sie, doch sie sah, dass es Kodachi schwer fiel. So schwer, dass Ayashi sie nicht drängen wollte, denn ihr wurde bewusst, dass sie sehr gelitten haben musste. Kodachi nickte, atmete tief durch und kehrte dann zu ihrer Erzählung zurück: „Wie ich schon gesagt habe, fühlte sich Heiwa-Sen in seinem Handeln bestätigt. Midoriko erwartete als Gefährtin Katagas bald ein Kind von ihm und gebar an einem eisigen Wintertag.“ Ayashi nickte, um ihr zu zeigen, dass sie ihr zuhörte, doch im Stillen fragte sie sich, warum Kodachi immer noch Midoriko und nicht ich sagte, doch sie fragte nicht. „Heiwa-Sen machte den Vorschlag, dir den Beinamen Kibonohana zu geben, denn das warst du für ihn. Und auch für Kataga und Midoriko, die deshalb zustimmten und dir den Namen gaben. Ayashi nickte wieder. Sie verstand. Sie konnte nachvollziehen, was Kodachi ihr erzählte, auch wenn sie natürlich keine eigenen Erinnerungen an ihre Geburt und die Tage danach hatte. Ihre erste bewusste Erinnerung war der Abschied von Midoriko, als Ayashi drei Jahre alt gewesen war. „Heiwa-Sen wollte, dass Midoriko mit dir in die Welt der Götter kommt, um dich dort aufzuziehen und auf deine Aufgabe vorzubereiten. Midoriko weigerte sich, da sie nun auch von der Prophezeiung gehört hatte. Sie verstand: Ihr Vater hatte der Verbindung nur wegen der Prophezeiung zugestimmt. Er wollte eine Enkelin. Das war alles. Es ging ihm nicht um sie und nicht um ihr Glück.“ meinte Kodachi und machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach: „Midoriko war furchtbar enttäuscht, wie du dir vorstellen kannst. Sie blieb an Katagas Seite, doch wollte sich auch nicht mit ihrem Vater Heiwa-Sen entzweien. Deshalb solltest du zumindest zum Teil dieselbe Erziehung wie sie selbst erhalten, um Heiwa-Sen zu zeigen, dass sie sich nicht grundsätzlich gegen ihn stellte, doch sie machte klar, dass weder sie noch Kataga bereit waren, ihre Tochter aufzugeben.“ „Ich erhielt niemals eine priesterliche Erziehung… und das kann nicht nur daran gelegen haben, dass sie… du… meine Mutter starb.“ erwiderte Ayashi, da sie sich nicht zurückhalten konnte. „Ja, das ist richtig. Midoriko hatte eine besondere Gabe, die sie während ihrer Ausbildung zur Miko entwickelte. Sie hatte Visionen von der Zukunft.“ „Und sie…“ entgegnete Ayashi und brach ab, ehe sie fortfuhr: „Sie hatte auch Visionen über mich, über mein Leben und meine Zukunft. Wolltest du das sagen?“ „Ja. Sie sah in einer Vision deine Zukunft in der Welt der Götter – eine schreckliche Zukunft voller Schmerz und Entbehrungen. Sie erfuhr auch Genaueres über die Prophezeiung. Sie erfuhr, dass nicht du selbst, sondern dein Tod die Welten retten würde. Da sie das natürlich nicht gutheißen konnte, solltest du in Fukuoka als Youkai aufwachsen und ein glückliches Leben führen.“ „Heiwa-Sen dürfte davon nicht begeistert gewesen sein.“ meinte Ayashi vorsichtig und Kodachi nickte mit düsterem Gesichtsausdruck. „Er war wütend, doch er konnte nicht viel dagegen tun. Er konnte dich nicht gewaltsam in seine Hände bringen – und schon gar nicht, wenn er den Frieden zwischen Youkai und Göttern nicht gefährden wollte.“ entgegnete Kodachi. „Das einzige, mit dem er Einfluss nehmen konnte, war Midorikos letzte verbliebene Kräfte zu blockieren, ihr deutlich zu machen, dass sie sterblich war, und sie damit irgendwie zur Einsicht zu bewegen, doch sie entschied nicht anders über deine Zukunft. Wie auch? Wie hätte sie das als Mutter tun können?“ Kodachi machte eine kleine Pause und überlegte eine Weile, als wolle sie sich ganz genau an die Geschehnisse erinnern, die sich zugetragen hatten. Schließlich sprach sie weiter: „Midoriko war verzweifelt und hatte große Angst um dich. Sie wollte dich unter allen Umständen schützen und gab auch nicht nach, als sie wusste, dass sie in ihrem geschwächten Zustand wieder in den Kampf ziehen würde. Soweit ich weiß, sagte sie Kataga nichts darüber. In ihren Augen war der Streit mit ihrem Vater ihre Sache, und nichts, womit sie ihn belasten oder beunruhigen sollte.“ „Hätte er ihr helfen können?“ fragte Ayashi leise, doch Kodachi schüttelte den Kopf. „Nein, vermutlich nicht im Streit mit ihrem Vater, doch er hätte sie nicht in diesen Kampf ziehen lassen, der ihr letzter wurde. Er wäre ihr mit Sicherheit zur Seite gestanden, doch sie… sah es nicht, konnte es vielleicht nicht sehen. Ich denke, sie hat sich falsch entschieden.“ „Sie dachte, es war die richtige Entscheidung.“ „Ja. Sie war davon überzeugt, doch sie war verzweifelt. Sie war so verzweifelt, dass sie eine Vision übereilt interpretierte – und damit falsch lag. Sie wusste, dass du sterben musstest, um deine Aufgabe zu erfüllen, vor der sie dich unbedingt bewahren wollte. Und als sie dann in einem kurzen Bild sah, dass Inu-no-taishous Sohn über deinen blutüberströmten Körper gebeugt war, entschied sie zu schnell, dass dies der Moment war, in dem er dich töten würde. Dass er um dich weinte, dass er selbst keine Waffe in den Händen hatte, sah sie nicht.“ Kapitel 128: ------------- Ayashi kämpfte mit den Tränen und strich sie sich gleich von den Wangen, als sie den Kampf verlor. Das war es also gewesen: Ihre Mutter hatte Sesshoumaru gesehen, wie er sie gehalten hatte, während sie tödlich verwundet war. Dieses eine Bild, das nur kurz Bestand gehabt hatte, hatte ihr frühes Leben bestimmt. Deshalb war sie ohne Wissen von Sesshoumarus Existenz aufgewachsen. Deshalb hatte ihr Vater nicht gewollt, dass sie ihn traf. Doch letztendlich war das Bild dennoch Wirklichkeit geworden. Nur das Bild, und nicht seine Interpretation durch Midoriko. „Sie nahm Kataga das Versprechen ab, dass du Sesshoumaru niemals begegnen würdest, doch das weißt du ja.“ fuhr Kodachi fort, als Ayashi stumm blieb. „Ja, das weiß ich.“ stimmte Ayashi zu und meinte nach einer Weile: „Sie hat dennoch irgendwie Recht behalten, auch wenn sie das Bild falsch gedeutet hat. Durch meinen Tod bin ich nun hier und… soll eine Aufgabe erfüllen. … Was ist meine Aufgabe eigentlich? Ich verstehe immer noch nicht, warum ich hier bin. Ich sollte tot sein, und ich kann es nicht fassen, aber ich würde es verstehen, wenn ich nun tot wäre, und mich nicht hier befinden würde. Was ist also meine Aufgabe?“ Kodachi überging ihre Fragen und entgegnete: „Das Bild wurde wahr, da hast du Recht, doch wäre es auch so gekommen, wenn sie nichts gesagt hätte? Wenn du Sesshoumaru, dem Sohn eines Verbündeten, als Tochter deines Vaters begegnet wärst, hätten eure Leben vielleicht eine andere Wendung genommen. Vielleicht wärst du niemals in dieser Ebene gewesen. Du könntest noch leben und auch bei Kataga oder Sesshoumaru sein. Wer weiß das schon?“ „Ich lege keinen Wert darauf, das zu wissen.“ gab Ayashi zu und fügte hinzu: „Aber ich glaube, ich hätte dieselben Gefühle für Sesshoumaru entwickelt – ganz gleich, wie wir uns begegnet wären und unter welchen Umständen wir uns kennen gelernt hätten.“ „Ja, das kann ich mich gut vorstellen.“ „Unsere Wege hätten sich gekreuzt und wir wären ein großes Stück des Weges zusammen gegangen. Sesshoumaru in meinem Leben zu haben… gehabt zu haben, werde ich niemals bereuen. Dass der Weg mich hierhin geführt hat, dass ich Sesshoumaru verlassen musste, macht mich wütend, aber stelle ich mir vor, ich könnte noch in der Welt der Lebenden sein, wenn ich mein Leben nicht mit Sesshoumaru verbracht hätte, so kann ich nicht anders, als die Vorstellung zu verwerfen. Sesshoumaru wird immer derjenige sein, an dessen Seite ich mich wahrlich zu Hause fühlen werde.“ „Ihr beide… seid wunderbar zusammen.“ meinte Kodachi lächelnd, weshalb Ayashi sich kurz fragte, was Kodachi alles über ihr Leben wusste. „Wir waren es.“ erinnerte Ayashi bitter, doch Kodachi schüttelte den Kopf. „Ihr seid es immer noch. Solange einer von euch lebt – und ihr lebt beide und seid nur getrennt voneinander – sind eure Herzen erfüllt vom anderen, strecken eure Seelen sich in Sehnsucht dem anderen entgegen, ist euer tiefster Wunsch, euch wieder zu sehen und in die Arme zu schließen. Du magst eure Verbindung vielleicht nicht mehr so deutlich spüren wie in der Welt der Lebenden, Ayashi, doch sie ist noch da. Und nichts und niemand kann das unsichtbare Band zwischen euch zerstören.“ Ayashi nickte und schluckte ihre Tränen hinunter, doch warum eigentlich? In gewisser Weise wollte sie trauern, da sie ihn und alles andere verloren hatte. Sie wollte ihrem Schmerz Ausdruck verleihen. Sie wollte… wenigstens irgendetwas spüren, das mit Sesshoumaru verknüpft war. Wenn es im Moment nur Schmerz war, war das in Ordnung, denn der Schmerz versicherte ihr, dass sie wirklich am Leben war. Wenn sie sich vorstellte, wie es ihm ging, der nicht wusste, dass sie am Leben war, dann fühlte sie seinen Schmerz tief in sich, seine Verzweiflung, und wünschte sich sehnlich, dass sie ihm seinen Schmerz nehmen konnte, da sie doch für ihn verantwortlich war. Es tat ihr unsagbar leid, dass sie ihm so viel Kummer bereitete. Sie wäre bereit, all seinen Schmerz auf sich zu nehmen, doch dieser Wunsch war unerfüllbar, das wusste sie. „Bitte, erzähl’ weiter.“ bat Ayashi, zog ihre Gedanken von diesen Wünschen ab, schloss für einen kurzen Moment die Augen und hörte dann, wie Kodachi fortfuhr: „Heiwa-Sen hatte Midoriko ihre Kräfte also genommen und sie zog in den Kampf. Du weißt, dass sie versuchte, die Seele des Riesendämons zu ergreifen und auszutreiben, und dabei selbst den Tod fand und dabei unfreiwillig das Juwel der vier Seelen erschuf.“ „Ja, sie erzählte es mir, als ich in der Höhle war, in der sie gestorben ist. Oder warst das… du?“ wollte Ayashi wissen und Kodachi schüttelte den Kopf. „Nein, das war ich nicht. Das war Midoriko. Bei der Erschaffung des Juwels wurde Midorikos Seele auseinander gerissen. Die priesterliche, reine Seele, die ich immer nach dem richtigen Namen Midoriko nenne, blieb im Juwel zurück, um gegen die Seelen der Dämonen zu kämpfen. Die Youkai-Seele wurde ausgestoßen und konnte sich in dieser Sphäre, in der Götterwelt, dauerhaft manifestieren. Sie nannte sich Kodachi.“ „Du. Das bist du.“ meinte Ayashi und Kodachi nickte. „Deshalb also… hast du bisher immer von Midoriko gesprochen und nicht von dir. Du warst zwar vorher auch immer in ihr und damit meine Mutter, aber kein eigenständiges Wesen. Du bist eine… Seelenmanifestation.“ „Ja, Midoriko und ich waren ein Wesen, doch seit der Juwel existiert, existiere auch ich abgetrennt von ihr. Ich bin frei und kann auch andere Welten bereisen, doch ich besitze nicht die Macht, mich jedem Wesen zu zeigen. Manche sehen mich, Ayashi. Manche gehen einfach durch mich hindurch und fühlen nicht einmal etwas dabei. Dass ich dich berühren kann, ist das größte Glück, das ich seit langer Zeit empfinde.“ Ayashi streckte ihre Hand nach ihr aus und ergriff die Hand ihrer Mutter. Jetzt, da sie wusste, dass ihr eine Seele gegenübersaß, die es geschafft hatte, sich einen Körper zu formen, war es umso erstaunlicher, dass sie wirklich da war. Ihre Mutter. Kodachi. Die Seele ihrer Mutter in der Form des Körpers ihrer Mutter. „Ich fühle mich dir näher, als ich es jemals für möglich gehalten hatte, obwohl ich ohne dich aufgewachsen bin… Oder warst du da?“ „Ich war da, Ayashi, aber es wäre zu viel gesagt, dass ich jeden deiner Schritte beobachtet habe. Es strengt mich an, längere Zeit in der Welt der Lebenden zu sein und es ist schwierig, überhaupt dorthin zu gelangen. Die Unterwelt ist leichter zu erreichen und da ich nicht richtig lebe, droht mir dort keine Gefahr, doch von dort zurückzukommen ist manchmal ein wenig kompliziert. Die Grenzen sind streng bewacht und deshalb ziehe ich es vor, nicht zu häufig in die jenseitige Welt mit ihrer tiefen Dunkelheit zu reisen.“ Ayashi nickte, obwohl sie weder verstand noch sich vorstellen konnte, was in der Unterwelt war. Sie hatte es nie gesehen… Wie auch? Vielleicht war es die Dunkelheit, die sie umgeben hatte, bevor sie hier zu sich gekommen war, doch sie wusste es nicht. „Kataga war für dich da, das wusste ich, und ich vertraute ihm. Ich habe mich aber immer gefreut, dich zu sehen, zu bemerken, dass du eine wunderbare Youkai wurdest, wie glücklich du warst, wie mitfühlend und wie kämpferisch du sein konntest. Ich habe mit dir gelitten, als du gelitten hast, doch ich war auch immer davon überzeugt, dass du deinen Weg im Leben finden würdest.“ Ayashi nickte nachdenklich. Wenn sie gefragt würde, wen sie als ihre Mutter betrachtete, würde sie wahrscheinlich Kodachi nennen, doch war das nicht natürlich? Kodachi war Youkai und war wirklich hier, während der Teil im Juwel… ferner war. „Versuche nicht, dich zu entscheiden, wer deine Mutter ist. Midoriko und ich sind irgendwie immer noch eine Persönlichkeit. Midoriko steht jetzt eben nur für den Teil, der immer noch – als Priesterin erzogen – im Juwel gegen die Dämonen kämpft, und ich bin der Teil, dessen Wesen nie gefördert wurde, der aber dennoch immer da war.“ meinte Kodachi und Ayashi nickte ein wenig überrascht, da Kodachi gewusst hatte, was in ihr vorgegangen war. „Was geschah dann, nachdem das Juwel entstanden war? Und wie hängt das alles mit dem Leben zusammen, das ich mich erinnere in der Neuzeit gehabt zu haben… Das ist sehr verwirrend, finde ich.“ meinte Ayashi und Kodachi nickte. „Heiwa-Sen war auf eine solche Machtquelle wie das so eben entstandene Juwel der vier Seelen nicht vorbereitet und niemand konnte es unter Kontrolle bringen. Durch das Juwel erlangte Okii-Konzatsu, das Chaos, so viel Macht, dass es ihm gelang, seinem ewigen Widersacher Heiwa-Sen beinahe alle Kräfte zu entziehen und ihn in ein magisches Gefängnis zu sperren. Die Götter konnte er tatsächlich täuschen, sodass er unbemerkt Heiwa-Sens Platz einnehmen konnte. Er wollte herrschen und tat es folglich auch – mit der Macht des Juwels. „Ihm bin ich dann also begegnet… werde ich begegnen? Wie auch immer…“ „Ja, er war es, doch ich will der Reihe nach erzählen, sonst kannst du mir doch nicht folgen. Okii-Konzatsu trachtete in dieser Zeit auch dir nach dem Leben, da er von der Prophezeiung wusste und sie auch für wahr befand. Nach der Prophezeiung warst du die einzige, die seine Pläne durchkreuzen und ihn noch aufhalten konnte. Du musstest also sterben.“ „Ich war drei Jahre alt!“ warf Ayashi ein und Kodachi nickte. „Kurz bevor er in das Gefängnis gesperrt wurde, wurde Heiwa-Sen bewusst, dass nun zwar der Augenblick gekommen war, in dem er auf deine Hilfe angewiesen war, aber du aufgrund deines jungen Alters deine Aufgabe noch nicht erfüllen konntest. Er glaubte allerdings fest daran, dass du es irgendwann tun würdest, also brachte er dich in Sicherheit.“ „Wie?“ „Er entzog dich Okii-Konzatsu, indem er dich in die Zukunft und in ein anderes Leben schickte. Okii-Konzatsu besaß nicht dieselben Kräfte wie Heiwa-Sen und war nicht Herrscher über die Zeit. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten, bis die Zeit kam, in der du dich befandest, bis er deiner habhaft werden konnte und Dämonen nach dir aussenden würde.“ Ayashi bemühte sich, Kodachis Erklärungen zu folgen. Sie erinnerte sich an die Begegnung mit Okii-Konzatsu und daran, dass er gesagt hatte, sie in ihr altes Leben zurückzuschicken, doch dass das wirklich wahr gewesen war, musste sie erst einmal verstehen. Oder zumindest als wahr und wirklich geschehen annehmen, denn grundsätzlich verstand sie es ja. Kapitel 129: ------------- Ayashi ließ sich die Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Sie war in der Vergangenheit geboren worden, doch da sie zu jung gewesen war, die Aufgabe, die ihr prophezeit wurde, zu erfüllen, hatte sie ein anderes Leben bekommen. Ein Leben in der Zukunft, in der Neuzeit… ihr Leben eben, das sie dann doch wieder zu Okii-Konzatsu gebracht hatte, der sie dann wieder in die Vergangenheit befördert hatte, damit sie dort noch einmal lebte. Nein, wie sie es drehte und wendete, es hörte sich in ihren Gedanken nie besser und nie weniger verwirrend an. Vielleicht sollte Kodachi einfach weiter erzählen. Vielleicht würde dann alles klar werden. Vielleicht brauchte sie einfach Zeit, bis das neue Wissen nicht mehr ganz so neu war. „Erzähl’ bitte weiter, Kodachi. Ich erinnere mich an mein Leben in der Neuzeit. Ich erinnere mich, dass ich bei Koyuki und Nobutada Sanada aufgewachsen bin und… dass du sie einmal besucht hast.“ bat Ayashi deshalb und blickte Kodachi auffordernd an. „Das weißt du?“ fragte Kodachi überrascht. Ayashi nickte. „Ich bin aufgewacht, habe euch gehört, mich hinunter geschlichen und gelauscht.“ „Dann weißt du, dass ich nicht wollte, dass du in dem Glauben aufwächst, ein normales Mädchen zu sein, denn das warst du nicht. Du hattest immer noch deine Aufgabe, auch wenn ich das lange nicht wahr haben wollte. Ich habe dich gesucht, nachdem du in eine andere Zeit geschickt worden warst, und es hat eine Weile gedauert, bis ich dich in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Kyoto wieder gefunden habe.“ „Du hast lange nicht eingesehen, dass ich eine Aufgabe hatte? Du wolltest nicht, dass ich… damit aufwachse, aber hast dann doch Koyuki und Nobutada aufgesucht?“ „Ja, ich sah deine Aufgabe darin, die Ordnung in der Welt wiederherzustellen, denn ich wusste, dass Okii-Konzatsu Heiwa-Sens Platz eingenommen hatte und die Ordnung gestört war. An Götter konnte ich mich nicht wenden, denn sie sahen mich zu dieser Zeit nicht. Du warst meine einzige Chance und wenn ich dich schützen wollte, so musste ich dich – wie die Ironie des Schicksals es will – irgendwie auf das vorbereiten, was dir bevorstand, obwohl ich das als Mutter zutiefst fürchtete.“ entgegnete Kodachi. Ayashi nickte nachdenklich. „Um mich zu schützen, musstest du mich der Gefahr aussetzen. Ich verstehe, dass du keine andere Möglichkeit hattest.“ sagte Ayashi nach einer Weile. „Ich wollte dich mit mir nehmen, obwohl ich noch nicht wusste, wohin genau ich dich bringen würde. Oder wie ich es anstellen würde. Deine ersten Eltern waren schwach. Sie haben mir sofort vertraut und sie hätten auch dämonischen Handlangern von Okii-Konzatsu sofort vertraut. Zudem hatte ich die Befürchtung, dass irgendwann das Wissen um deine wahre Herkunft von selbst in dir hervorbricht. Und ich fürchtete, dass dann niemand da sein würde, dir die Erklärungen zu geben, die du brauchtest.“ „Nobutada und Koyuki wollen mich aber nicht hergeben.“ „Nein, natürlich nicht. Sie waren deine Eltern geworden und obwohl sie mir geglaubt haben, dass du nicht ihre richtige Tochter bist, fühlten sie sich dir in einem großen Maß verbunden.“ meinte Kodachi. Kodachi machte eine kleine Pause, ehe sie fortfuhr: „Okii-Konzatsu fand dich durch mich. Ich hatte nicht für möglich gehalten, dass er mich verfolgte oder überhaupt wahrnahm, da er nie ein Anzeichen gegeben hatte, doch er hatte mich getäuscht. Da ich zu unvorsichtig war, fand er dich durch mich und schickte Dämonen zu deinem Zuhause, um dich zu töten. Zum Glück warst du nicht da.“ „Koyuki hatte das Glück nicht.“ bemerkte Ayashi, worauf Kodachi nickte. „Ja, die Dämonen trafen sie an, und nicht dich. Sie töteten sie, da sie da war.“ „Wieso haben sie nicht auf mich gewartet, wenn sie wegen mir kamen?“ „Sie haben gewartet, doch dann kam der Priester Kitaro und wollte zu Koyuki. Sie haben die Flucht vor ihm ergriffen. Mit einem Priester hätten sie es nicht aufnehmen können, da sie nicht sonderlich stark waren.“ „Hast du ihn zum Haus geschickt?“ wollte Ayashi wissen, da ihr Kitaros Erscheinen nicht wie ein Zufall erschien. „Ja, ich habe ihn beeinflusst. Für Koyuki konnte ich nichts mehr tun, doch dich konnte ich so noch schützen.“ gab Kodachi zu und allmählich begann Ayashi zu verstehen, dass Kodachi über sie gewacht hatte, so gut sie konnte. „Nobutada muss die Verbindung gesehen haben, die zwischen meinem Besuch und Koyukis Tod bestand, und er verstieß dich. Kitaro konnte dich schützen, ohne dass du davon etwas bemerkt hast, nicht wahr? Er belegte dich mit einem starken Schutz und brachte dich bei einer neuen Familie unter, bei der du die nächsten Jahre sicher sein würdest.“ „In Kyoto war ich ungefähr noch zehn Jahre lang. Dann zogen wir nach Toyko und es kamen auf irgendeine Art Erinnerungen zurück… oder zumindest Ahnungen. Die Katze auf dem Dachfirst und Inuyasha am Heiligen Baum… „Kitaro musste den Schutz lösen. Bisher hatte er ihn durch seine relative Nähe zu dir aufrechterhalten. Als du mit deinen Eltern nach Tokyo zogst, fragte er mich, was er tun solle. Ich dachte, es sei Zeit, dass ein wenig in Bewegung kommt. Du warst alt genug.“ erklärte Kodachi. Ayashi nickte langsam, da Kodachi Recht hatte: Wenn sie eine Aufgabe hatte, musste sie irgendwann anfangen, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Mit achtzehn war sie wohl alt genug dafür gewesen. „Aber was hat es mit dem Zusammentreffen mit Nobutada auf sich. Wer hat dafür gesorgt, dass er mich sucht? Wer hat dafür gesorgt, dass er mir die Dinge sagt, die er mir gesagt hat?“ fragte Ayashi, als sie an die Begegnung mit ihrem ersten Stiefvater dachte, und diese nicht in irgendeinen Zusammenhang einordnen konnte. „Er glaubte, die Götter hätten ihn bestraft, dich so behandelt zu haben, doch es waren die Dämonen Okii-Konzatsus, die ihn auf die Suche nach dir schickten und ihn dadurch beinahe in den Wahnsinn trieben. Nobutada Sanada ist ein bedauernswertes Geschöpf.“ „Ein Opfer, das man wohl ohne Weiteres bringen konnte, nicht wahr?“ fragte Ayashi, doch ihre Worte klangen härter und anschuldigender, als sie es vorgehabt hatte. Kodachi blickte sie einen Moment an, dann seufzte sie. „Ayashi, du überschätzt meine Macht. Ich bin nur eine Seelenmanifestation, das habe ich dir gesagt. Es ist mehr oder minder Zufall, wer mich wann sieht. Ich kann nicht tun, was ich will. Ich kann nicht Steine ins Rollen bringen. Ich kann kaum handeln. Ich kann ein wenig beeinflussen und ich kann an Orte und zu Personen gelangen, denen ich mich besonders verbunden fühle, und dennoch muss ich mit meinem Handeln immer darauf bedacht sein, Midoriko im Juwel nicht zu schaden, denn tue ich etwas Schlechtes, etwas Unreines, so hat das Auswirkungen auf sie, jedoch stärke ich sie nicht, wenn ich etwas Gutes tue. Es ist nicht so einfach.“ „Verzeih’ mir, Mutter.“ bat Ayashi und senkte den Blick. „Ich habe dich verletzt. Das wollte ich nicht.“ Kodachi sagte eine Weile nichts, doch sie strich Ayashi über den Kopf, um ihr zu zeigen, dass sie nicht böse war. Es war viel Neues, das ihre Tochter erfuhr. Sie hatte Verständnis, dass das alles nicht leicht für sie war. „Von Nobutadas Worten musstest du zu dem Schluss kommen, dass du zur Hälfte Youkai, zu einem Viertel Göttin und zu einem Viertel Mensch warst, doch Nobutada hatte falsche Informationen, da er sie hauptsächlich von Okii-Konzatsu hatte. Ich weiß nicht genau, was Okii-Konzatsu wusste oder weiß. Ich weiß nur, dass er dein Wissen – du musstest es auch nur glauben, dass du etwas weißt – schürte, damit du empfänglicher für seine Pläne warst. Du musstest glauben, dass du die Welt verlassen würdest, um eine Aufgabe zu erfüllen.“ „Ja, ich dachte wirklich, dass ich etwas Großes zu tun hätte… Nun, ja.“ „Falsch war es ja nicht, denn du hast etwas Großes getan, doch Okii-Konzatsu konnte das nicht wissen. Ich konnte nur noch eines für dich tun, Ayashi. Ich sandte dir dein Schwert Tenkaichi, die Tracht – verzeih’ mir, ich musste damit weiterarbeiten, was mir Okii-Konzatsu als Vorlage gegeben hat, und die Kette mit dem Anhänger von Sesshoumaru.“ Ayashi tastete unwillkürlich nach der Kette und schloss ihre Finger um den Anhänger. „Sie würde mich schützen, sagte das Spiegelbild… und sie hat mich geschützt. Aber wie ist das möglich? Diese Kette hat keine Kräfte in sich, oder doch?“ fragte Ayashi. „Die Kette, Ayashi, hat Sesshoumaru für dich anfertigen lassen. Sie ist nicht nur ein Geschenk, sondern das Versprechen, das Sesshoumaru dir gegeben hat. Nach der Tradition der Inu-Youkai wurde das Edelmetall der Kette und des Anhängers nach seiner Formung in Sesshoumarus Blut gekühlt. Blut und Metall verband sich miteinander. Seine Liebe und sein Schutz liegen in diesem Amulett. Wenn du, für die diese Kette von Anfang an bestimmt war, sie trägst, wird sie dich schützen. Okii-Konzatsu wollte dich töten, als er nach dir griff, und der Schutz wurde aktiv.“ „Aber ich fühlte Schmerzen, als Okii-Konzatsu vom Amulett abgewehrt wurde.“ erinnerte sich Ayashi. „Sesshoumarus Liebe und Schutz wirkte zwar, doch auch deine Erinnerungen an die schmerzvolle Trennung von ihm, die Trennung von zwei Seelen, die zusammengehören, wurden wachgerufen. Deshalb hast du einen Schmerz empfunden, den du nicht erklären konntest. Es war ein Gefühl, das in dir lag, du aber noch nicht selbst erlebt hattest.“ erklärte Kodachi und Ayashi schloss die Augen, da sie diesen Schmerz auch jetzt spüren konnte. „Dann ist es so ähnlich wie mit der Katze auf dem Tempeldach? Dass ich etwas gespürt habe, das ich erst noch erleben musste, das aber in gewisser Weise schon da war, da es in der Vergangenheit liegt.“ „Ja, versuche dich einfach – unabhängig von der Zeit – als eine Person zu sehen, und es wird dich leichter fallen, es nachzuvollziehen.“ meinte Kodachi und fuhr fort, als Ayashi nickte: „Okii-Konzatsu wollte dich töten, doch konnte es auch bei seinem zweiten Versuch nicht. Du hast den Göttern die Augen geöffnet, als du gesagt hast, er wäre nicht der echte Heiwa-Sen – und er hat sich auch selbst verraten, doch er sandte dich noch zurück in die Vergangenheit, damit du dein Leben noch einmal lebst. Er hoffte, dass er dann die nächste Chance bekäme und die Dinge anders für ihn kommen konnten.“ Kapitel 130: ------------- Ayashi wusste nicht recht, was sie von diesen Neuigkeiten halten sollte, doch langsam ergab alles einen Sinn: Obwohl sie irgendwann ein Leben in der Neuzeit geführt hatte, gehörte sie doch in die Vergangenheit. Okii-Konzatsu hatte dafür gesorgt, dass sie noch einmal lebte – ihr drittes Leben insgesamt und ihr zweites Leben, das in der Vergangenheit begann, doch etwas war seltsam und störte Ayashi daran. „Weshalb haben sich die Dinge nicht genauso wiederholt, wie sie beim ersten Mal verlaufen sind? Okii-Konzatsu hatte doch genau darauf spekuliert, oder nicht?“ fragte sie deshalb. „Das ist richtig, doch Heiwa-Sen lernte dazu und konnte verhindern, dass Okii-Konzatsu jemals in diese Machtstellung kam.“ stimmte Kodachi zu. „Wie darf ich das verstehen?“ „Gewisse Dinge sind anders verlaufen, da Heiwa-Sen anders gehandelt hat. Er ist nämlich – im Gegensatz zu seinem Gegenspieler, der nur Chaos stiftet, - lernfähig und dadurch auch fähig, Pläne zu fassen und logisch zu durchdenken. Während Okii-Konzatsu darauf wartete, dass beim zweiten Mal alles genauso geschah, sorgte Heiwa-Sen dafür, dass dies eben nicht der Fall war.“ Ayashi überlegte, doch sie bemerkte, dass sie Kodachi nicht recht folgen konnte. Wenn Heiwa-Sen sein Verhalten änderte, so bedeutete das doch, dass er stets um alles gewusst hatte. Wieso hatte er dann nicht Midoriko davon abgehalten, das Juwel zu erschaffen, und sie vor dem Tod bewahrt? „Seine Wege sind nicht leicht zu verstehen, Ayashi.“ meinte Kodachi, als sie den Blick ihrer Tochter sah. „Nicht leicht ist gut! Ich verstehe es überhaupt nicht. Er hat seine Tochter in den Tod gehen lassen!“ entgegnete sie aufgebracht. „Und auch seine Enkelin. Dich.“ fügte Kodachi nickend hinzu. „Das ist…“ begann Ayashi, doch brach ab, da ihr nicht das geeignete Wort einfiel, das sie auch vor ihrer Mutter in den Mund nehmen wollte. „Du wurdest geboren und Midoriko zog in den Kampf.“ „Das Juwel, das Okii-Konzatsu zu Macht verholfen hatte, entstand doch aber auch zum zweiten Mal. Das hat sich doch nicht geändert.“ „Sicher, das verhinderte Heiwa-Sen nicht, doch er wusste nun zumindest, dass er das Juwel schützen musste. Deshalb bildete er Priesterinnen aus, die die Einflüsse des Juwels kontrollieren würden, damit es seine Macht nicht entfalten konnte.“ „Das war der einzige Unterschied? Das allein konnte garantieren, dass Okii-Konzatsu seine Macht nie erhielt? Wenn Okii-Konzatsu nicht Heiwa-Sen gestürzt hat, dann braucht man mich doch gar nicht…“ „Dass du Okii-Konzatsu bei deinem ersten Aufenthalt hier als den entlarvt hast, der er war, war nicht deine Aufgabe. Die Prophezeiung blieb bestehen. Und auch Midorikos Vision und die falsche Interpretation blieben. Du hast immer noch deine Aufgabe. Ein andere zwar, aber immer noch eine Aufgabe.“ „Hängt meine Aufgabe damit zusammen, dass die Priesterin Kikyo das Juwel mit sich… verbrannt hat?“ fragte Ayashi nach einer Weile „Du begreifst schnell, Ayashi.“ meinte Kodachi. Ayashi schüttelte den Kopf. Dass sie darauf kam, war nicht so schwer. Sie hatte die Nachricht an Kikyo überbracht. Sie war kurz nach Kikyo gestorben – und Heiwa-Sen hatte gewusst, dass das so kommen würde. „Heiwa-Sen sah, dass es nach Kikyo keine Nachfolgerin geben würde, die die Fähigkeiten hätte, das Juwel zu schützen. Kikyo war einfach zu jung, selbst eine Priesterin auszubilden, und niemand sonst hatte die Kraft dazu, ihre Aufgabe zu übernehmen. Deshalb hat er dich zu ihr geschickt, damit du ihr ausrichtest, dass sie das Juwel mit aus der Welt der Lebenden nehmen soll, wenn sie stirbt.“ „Er fürchtete sich doch noch davor, dass sich die Geschehnisse wiederholen könnten. Das Juwel ohne Hüterin… das hätte Okii-Konzatsu wieder mächtig machen können.“ erwiderte Ayashi, während sie bei sich nickte, als sie langsam begriff. „Ja, Kikyo befolgte zum Glück deinen Rat. Das Juwel konnte die Welt der Lebenden verlassen und gelangte in die Götterwelt.“ „Wo es nicht hingehört.“ murmelte Ayashi. Kodachi nickte nachdenklich und wollte schon etwas entgegnen, als Ayashi fortfuhr: „Und ich wurde während des Kampfes schwächer, als das Juwel die Welt verließ, damit ich ihm… folgen konnte. Hat Heiwa-Sen etwa meine Kräfte auch blockiert? Hat er mich genauso geopfert wie seine Tochter?“ Kodachi zögerte, was Ayashi nicht glauben konnte. Sie hatte insgeheim schon vermutet und befürchtet, dass es so war, doch durch Kodachis Zögern wurden ihre Gedanken bestätigt. „Heiwa-Sen muss schwere Entscheidungen treffen, um das Gleichgewicht zu erhalten…“ „Nein! Ich will das nicht hören. Es ist schlimm genug, hier zu sein, aber dass ich nur gestorben bin, um hier zu sein und eine Aufgabe zu erfüllen, die ich nicht erfüllen will, ist das letzte!“ „Ayashi, von deiner Aufgabe und ihrer Erfüllung hängt nun alles ab.“ versuchte Kodachi, sie zu beruhigen, doch Ayashi schüttelte vehement den Kopf, da sie das überhaupt nicht ruhiger machte, sondern nur noch mehr aufregte. „Und dafür soll ich jetzt wohl noch dankbar sein, ja?“ wollte sie wissen, doch erwartete keine Antwort. „Ich will ihn sehen! Heiwa-Sen. Ich will in das Gesicht des Wesens blicken, das solche Entscheidungen trifft!“ fuhr sie aufgebracht fort. Kodachi senkte traurig den Kopf und entgegnete vorsichtig: „Das ist nicht möglich.“ „Wieso nicht?!“ „Du würdest es nicht… Seine Erscheinung ist überwältigend. Er besteht aus purer Energie. Dafür bist du noch nicht bereit, glaub’ mir.“ Sie hatte keine Lust mehr. Sie wollte nicht mehr. Sie wollte … tot sein. In der Unterwelt war es mit Sicherheit besser als in dieser Götterwelt, in der sich ihr gerade alle verzwickten und endgültigen Entscheidungen eröffneten, die ein völlig Fremder ohne Rücksicht auf sie für sie getroffen hatte! „Ayashi, versuch’ bitte, zu verstehen, dass du… sehr wichtig für Heiwa-Sen bist. Nur deshalb hat er…“ „Sesshoumaru war sehr wichtig für mich. Kataga war sehr wichtig für mich. Mein Leben war sehr wichtig für mich.“ presste Ayashi zwischen den Zähnen hervor und atmete genervt aus, während sie einen Moment die Augen schloss. „Was ist also meine Aufgabe? Und weich’ mir bitte nicht wieder aus.“ fügte sie etwas ruhiger hinzu. „Sobald das Juwel hier eintraf, seine Kräfte nicht mehr durch eine Priesterin kontrolliert und die dämonische Energie gereinigt wurde, erstarkte Okii-Konzatsu.“ „Das bedeutet aber nicht, dass er zurück ist, oder?“ fragte Ayashi dazwischen, worauf Kodachi den Kopf schüttelte. „Nein, noch nicht. Er versucht aber zurückzukehren. Die Dämonen im Juwel wollen ihm helfen und auch die Dämonen in der Unterwelt drängen gegen die Grenze zwischen den Welten. Sie hoffen, durch die Macht des Juwels der Unterwelt durch die Götterwelt zu entkommen und wieder in die Welt der Lebenden zurückzukehren. Du weißt, was das bedeutet: Chaos würde ausbrechen – und mit dem Chaos würde Okii-Konzatsu herrschen.“ „Die Dämonen der Unterwelt wollen die Götterwelt also als Durchgang zu der Welt der Lebenden benutzen?“ „So ist es. Midoriko kämpft im Juwel gegen die Dämonen an, doch die reine Aura dieses Ortes, in dem sich das Juwel nun befindet, macht die Dämonen im Inneren des Juwels wilder, anstatt sie zu reinigen oder läutern. Das vermag nur eine Priesterin.“ „Weshalb brachte Heiwa-Sen das Juwel überhaupt hierher, wenn es niemand…“ „Hier gibt es die Möglichkeit, den Schaden zu begrenzen. In der Welt der Lebenden wären die Ausmaße der Katastrophe unvorstellbar.“ unterbrach Kodachi ihre Tochter und fuhr fort: „Midoriko kann nur gegen die Dämonen im Inneren des Juwels kämpfen und somit dafür sorgen, dass das Juwel nicht durch die angelockten Dämonen zu stark verunreinigt wird, aber sie kann es nicht allein.“ „Sie braucht also Hilfe… von außen. Verstehe ich das richtig?“ fragte Ayashi, worauf Kodachi nickte, und Ayashi erinnerte sie dann an eine ziemlich wichtige Tatsache: „Ich bin aber keine Priesterin.“ „Deshalb wurdest du auch nicht hierher gerufen. Du sollst das Juwel nicht läutern.“ erwiderte Kodachi. Ayashi zog eine Augenbraue hoch, da sie nun doch nicht verstand, was sie dann tun sollte. „Du wurdest gerufen, um diese Dämonen, die aus der Unterwelt angelockt werden, daran zu hindern, sich des Juwels der vier Seelen zu bemächtigen und die Welt der Lebenden zu betreten. Das ist deine Aufgabe.“ „Ich werde diese Dämonen und Geister also bekämpfen. Das ist meine Aufgabe? Warum kann das kein Gott oder keine Göttin tun?“ wollte Ayashi wissen. Kodachi zuckte die Schultern. „Im Grunde brauchen sie eine fähige Kämpferin – und Kämpfer sind die Götter wahrlich nicht, Ayashi. Du bist es. Du bist Youkai und kannst dich dem Einfluss des Juwels entziehen. Seine Existenz und Macht interessieren dich nicht einmal – und das ist gut so. Du wirst die Dämonen, die an die Grenze treten, zurückschlagen und somit die Götterwelt und die Welt der Lebenden schützen.“ meinte Kodachi. Ayashi hörte, dass Kodachis Stimme kaum Widerspruch zuließ, doch nicht, da sie besonders hart oder bestimmt gesprochen hatte, sondern da sie beinahe traurig klang. „Wieso sollte ich das tun?“ fragte Ayashi dennoch mit rauer und belegter Stimme. „Kannst du die Welten wirklich zu einem derartigen Schicksal verdammen?“ wollte Kodachi wissen, als wüsste sie schon, dass Ayashi eh ihre Aufgabe annehmen würde, auch wenn es noch eine kleine Weile dauern würde, bis sie sich mit ihr abfand. „Wozu hat das Schicksal mich denn verdammt?“ entgegnete Ayashi bitter, doch sie erhielt keine Antwort. „Ich habe keine Wahl, oder?“ fragte sie deshalb mit gesenktem Blick, während sie noch hoffte, den nächsten Worten zu entgehen, mit denen sie schon fest rechnete. „Nein, es tut mir leid, aber die hast du wirklich nicht.“ sprach Kodachi. Ayashi nickte und fühlte sich ausgeliefert und wütend zugleich. Sie hielt nichts von ihrem Schicksal. Sie wollte das nicht. Sie hasste es, ein Spielball für Heiwa-Sen zu sein – und dennoch zu tun, was er von ihr verlangte, da sie keine Wahl hatte. Was würde mit ihr geschehen, wenn sie sich weigerte? Kaum hatte sich dieser Gedanken in ihrem Kopf geformt, meinte Kodachi: „Ich würde gerne gemeinsam mit dir kämpfen, Ayashi, aber ich bin nicht so stark, da ich eigentlich nur eine Seele bin. Nicht einmal jetzt kann ich dich unterstützen und dir zur Seite stehen.“ „Dich trifft keine Schuld an meiner Situation.“ gab Ayashi leise zurück. Sie war hin und her gerissen, doch tief in sich empfand sie eine seltsame Ruhe, die sie am liebsten wieder vertrieben hätte. Ayashi wusste, was diese Ruhe bedeutete: Dass sie ihre Aufgabe annahm. Das gefiel ihr nicht, aber sie konnte sich nicht mehr gegen diese Akzeptanz wehren, weshalb sie ihren Worten hinzufügte: „Wie lange muss ich hier bleiben?“ „Deine Aufgabe wird erfüllt sein, wenn das Juwel die Welt der Götter verlassen hat.“ „Wie wird das geschehen?“ „Es wird eine Auserwählte geben, in deren Körper das Juwel in die Welt der Lebenden zurückkehren wird, doch wann dieses auserwählte Mädchen zur Welt kommt, weiß noch niemand.“ „Es ist also nicht klar, wie lange es dauern wird.“ fasste Ayashi zusammen. „Die Zeit verrinnt hier anders. Während wir sprechen, vergingen bereits mehrere Tage in der Welt der Lebenden. Wie du die Zeit empfindest, die verstreicht, hängt davon ab, was du tust.“ erklärte Kodachi. „Und ich werde kämpfen… Wird es schneller gehen?“ „Davon gehe ich aus, aber ich bin mir nicht sicher. Zeit war für mich lange nicht mehr von Interesse.“ Ayashi nickte nachdenklich und blickte sich in dem leeren Nichts um, in dem sie sich seit ihrem Tod und ihrer Wiederauferstehung von den Toten befand. Es war trostlos und einsam, obwohl ihre Mutter bei ihr war. „Was wird mit mir geschehen, wenn ich meine Aufgabe erfüllt habe? Werde ich dann sterben?“ fragte sie schließlich, doch Kodachi lächelte ihr zuversichtlich zu. „Du darfst in deine Welt zurückkehren.“ antwortete sie und Ayashi blickte sie nur einen Augenblick fassungslos an. „Ich werde zurückkehren? Zu Sesshoumaru und meinem Vater? In mein Leben, das ich verloren habe?“ hakte sie ungläubig nach, doch sie freute sich bereits so, dass sie glaubte, ihr Herz müsste zerspringen. „Ja, Heiwa-Sen sagte, wenn deine Aufgabe erfüllt ist, wirst du dein Leben dort weiterführen, wo es geendet hat.“ versicherte Kodachi. Ayashi konnte es immer noch nicht recht fassen, doch sie fühlte eine unbändige Vorfreude in sich. Unter diesen Aussichten fiel es ihr viel leichter, ihre Aufgabe wirklich mit ganzem Wesen anzunehmen. Sie würde kämpfen. Ein unendliches Glücksgefühl tobte durch sie hindurch und bereitete ihrem Herz erneut unregelmäßige Sprünge. Ja, sie würde die Dämonen zurückschlagen und eben tun, was Heiwa-Sen wollte, doch dann… Ayashi wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken, doch schließlich kam er ihr unhaltbar laut und deutlich in den Sinn: Erfüllte sie ihre Aufgabe, harrte sie diese lange, bisher nicht näher bestimmte Zeitspanne aus, dann konnte sie irgendwann zu Sesshoumaru zurückkehren. Und dafür würde sie alles tun. Ohne Ausnahme, das wusste sie. Kapitel 131: ------------- Es waren nur wenige Tage vergangen, seit Ayashi die Welt der Lebenden verlassen hatte, doch es kam Sesshoumaru wie eine Ewigkeit vor. Er hatte Fukuoka nicht verlassen, seit er Kataga die schreckliche Nachricht von Ayashis Tod überbracht hatte, und hatte gemeinsam mit dem Vater auf Katsumoto, Ayame und einige Bekannte Ayashis gewartet. Nun saß Sesshoumaru in seinen Gemächern, stützte sich mit den Händen leicht auf seinen Oberschenkeln ab und blickte auf die geschlossene Tür, die ihm den Blick in den prächtigen Garten des Schlosses in Fukuoka verwehrte. Hinter der Tür lagen duftende Blumenbeete, Gräser, Teiche mit wunderschön geschwungenen Brücken. Vögel, Frösche und kleine Tiere tummelten sich an den Ufern und im niedrigen Gebüsch. Und dort lief auch Ayashi leichtfüßig und barfuß über das frische Gras, lachte ihm zu, winkte ihn zu sich, doch drehte sich dann um und verschwand zwischen den Bäumen. „Täusch’ mich nicht so grausam, mein Herz.“ flüsterte Sesshoumaru und schloss die Augen, ehe er den Kopf senkte, die Augen wieder öffnete und auf seine verkrampften Hände blickte. Immer wieder glaubte er, Ayashis Stimme, ihre Schritte und ihren Atem zu hören. Immer wieder glaubte er, dass sie bald wieder neben ihm sein würde, ihre Hand über ihn gleiten lassen würde, mit ihm lachen würde, mit ihm sprechen würde, und ihm einfach nahe sein würde, doch sein Herz betrog ihn. Immer wieder fiel er für kurze Zeit auf die Lüge und vorgegaukelte Vorstellung herein, dass sie wirklich zurückkehren würde. Doch im nächsten Moment sank dann das schmerzende Bewusstsein tief in ihn. Ayashi würde nicht zurückkehren. Sie war fort. Und es spielte keine Rolle, dass er alles an ihr vermisste. Es wurde Zeit, dass er das akzeptierte, auch wenn es schmerzte, doch er fürchtete sich davor, Ayashi wirklich gehen zu lassen. Er hatte das Gefühl, dass er sie nicht gehen lassen durfte, dass er verhindern konnte, dass sie endgültig ging, wenn er sich nur weigerte, dieses verdammenswürdige Schicksal anzunehmen. Er wollte Ayashi in seinen Gedanken gefangen halten. Sie durfte ihn nicht verlassen. Und dabei wusste er genau, warum er sich weigerte: Er liebte sie eben. Entgegen aller Vernunft, die in diesem Fall nun einmal keine Rolle spielte, brachte er nicht die Kraft auf, sich von ihr zu verabschieden. Er konnte nicht zugeben, dass er sie verloren hatte, denn sonst musste er zugeben, dass er sich bei ihrem Tod selbst verloren hatte. Kataga saß ebenfalls in seinen Gemächern, während Ayame neben ihm saß und schwieg. Ihre rechte Hand lag in der Hand des Vaters, doch ihre linke wischte immer wieder ihre eigenen Tränen von den Wangen. Immer wieder warf sie einen Blick zu ihrem Vater, doch er schien das nicht einmal zu bemerken. Er hatte kein Wort gesprochen, seit sie mit Katsumoto, Ninshiki, Taido und Ishiki in Fukuoka angekommen war, nachdem ein Bote die Nachricht von Ayashis Tod nach Kochi getragen hatte. Es schmerzte ihn wohl zu sehr, überlegte Ayame, und versuchte nicht, ihn zum Sprechen zu animieren. Sie konnte seine Gefühle vielleicht nicht vollständig nachvollziehen, doch sie wusste, dass es ihn schmerzte. Auch sie litt unter Ayashis Verlust, dessen Nachricht sie so plötzlich erreicht hatte, dass ein Teil von ihr immer noch nicht glauben wollte, dass ihre große, wunderschöne Schwester wirklich getötet worden war. Sie war doch so glücklich gewesen, das hatte Ayame gewusst. Ihre Briefe, die sie ihrer jüngeren Schwester immer wieder geschickt hatte, hatten vor Lebensfreude, Glück und Zuversicht, Zukunftsplänen und Freude gesprüht. Die Nachricht ihres Todes schien so absurd, doch es wurde wohl langsam Zeit, dass Ayame sie endlich annahm. „Ich bin sehr froh, dass du hier bist, Ayame.“ brach Kataga schließlich sein Schweigen und Ayame nickte. „Ich wünschte, ich könnte mehr tun.“ flüsterte sie, da ihre zugeschnürte und tränenbittere Kehle ihr nicht erlaubte, lauter zu sprechen. „Du musst nicht mehr tun. Was redest du denn da?“ gab Kataga zurück, blickte sie an und schüttelte den Kopf, während er ihre Hand drückte. „Diese Zeiten sind für uns alle sehr schwer, aber wir… werden wohl mit unserem Leben fortfahren müssen.“ „Ayashi hätte es so gewollt.“ vermutete Ayame und senkte den Kopf. „Ja, das hätte sie wohl.“ meinte Kataga nachdenklich und drückte Ayame einen sanften, väterlichen Kuss auf die Stirn, ehe er ihre Hand entließ und sich erhob. „Wird es schon Zeit?“ fragte Ayame, da sie jegliches Gefühl für Dauer und Zeit verloren hatte, doch Kataga nickte, weshalb sie sich ebenfalls erhob und in die Gemächer ging, die sie schon lange nicht mehr bewohnt hatte. Es waren die Gemächer, die sie als kleines Mädchen erhalten hatte, und immer dann bewohnt hatte, wenn sie bei ihrem Vater zu Besuch gewesen war. Wie lange war sie nicht mehr hier gewesen? Fünf Jahre ungefähr, dachte sie, und nickte bei sich. Kataga hatte es in der letzten Zeit vorgezogen, dass er sie in Kochi besuchte, wenn er in der Nähe war – und das war er oft gewesen. Nicht selten hatte er Nachricht und Grüße von Ayashi überbracht. Nicht selten hatte Ayame Kataga bis Shimonoseki begleitet und war einige Tage bei Ayashi und Sesshoumaru geblieben, während Kataga weiter nach Fukuoka gereist war. Wieder traten ihr dicke Tränen in die Augen. Ayame bemerkte überhaupt nicht, wie die Dienerinnen ihre Gewänder wechselten, und sie für die Zeremonie richteten, die am Abend durchgeführt werden sollte. Sie hing ihren Gedanken nach. Ayashi. Ihre Schwester. Ihre ältere, geliebte Schwester war nicht mehr. Sie konnte sich ungefähr vorstellen, was Sesshoumaru empfand, glaubte sie, doch je länger sie darüber nachdachte, desto mehr verwarf sie den Gedanken. Sie konnte es nicht. Kataga hatte ihn nach Ayashis Tod als ihren Gefährten anerkannt – und ihm damit jedes Vorrecht gestattet, was bezüglich ihres Todes unternommen werden sollte. Wenn Kataga diesen Schritt ging, dann musste er sich sicher sein, dass sie beiden sich wahrlich geliebt hatten, und wirklich Gefährten gewesen waren. Dann hatten Ayashis und Sesshoumarus Herz im Gleichklang geschlagen, dann waren sie füreinander bestimmt gewesen – und dann war es für Ayame unvorstellbar, was Sesshoumaru nun fühlte. Vielleicht konnte sie als Schwester, die eine Schwester verloren hatte, einen Bruchteil seiner Trauer nachfühlen. Einen winzigen Bruchteil. „Hime-Sama, versucht bitte, nicht mehr zu weinen. Eure Tränen…“ meinte eine Dienerin vorsichtig, doch Ayame schüttelte rasch den Kopf. „Verbietet mir meine Tränen nicht. Ich vergieße sie aus gutem Grund.“ entgegnete Ayame allen Dienerinnen, fuhr sich aber mit den Händen über die Wangen, um die nassen Spuren etwas zu beseitigen. Sie würde noch mehr weinen. Viel mehr. Sesshoumaru hatte angeordnet, dass Ayashi zumindest ein symbolisches Begräbnis erhalten sollte. Ihr Körper hatte sich zwar – wie Sesshoumaru gesagt hatte, in silbernes Licht aufgelöst, doch er wollte einen kleinen Schrein für sie errichten und eine Zeremonie abhalten lassen. Ayame wusste, dass er als Ort die Ebene gewählt hatte, in der sie gestorben war, und sie wusste, dass sie dort noch viel mehr Tränen vergießen würde. Sesshoumaru kleidete sich für die Zeremonie in frische, weiße Gewänder. Es war Zeit, zumindest offiziell Abschied von Ayashi zu nehmen, und ihr eine angemessene, wenn auch ruhige und stille Begräbniszeremonie zukommen zu lassen, das wusste er. Dass er innerlich noch nicht bereit dazu war, war natürlich, doch Ayashis Ansehen als Hime, verlangte eine Zeremonie und er würde sie ihr gewähren, auch wenn ihm der Sinn und sein Herz wahrlich nicht danach stand. Er würde im engsten Kreis ihrer Familie Abschied von ihr nehmen, wie es von ihm erwartet wurde – und dies als ihr Gefährte somit auch ihren Angehörigen erlauben. Er würde Abschied nehmen, Ayashi für sein Versagen um Vergebung bitten, und sein Schwert, das ihr in diesem Kampf nicht das Leben hatte bewahren können, dort am Schrein niederlegen. Sesshoumarus Blick glitt zu seinen Waffen und verharrte einen Augenblick, ehe er dann sowohl das Schwert, mit dem er gegen Yari gekämpft hatte, als auch Tenseiga an sich nahm. Er hatte vor einigen Tagen geschworen, fortan keine Waffe mehr außer Tenseiga zu führen und sich so immer an sein Unvermögen erinnern. Denn er hatte Ayashi mit der schneidenden Waffe so gut geschützt, als habe er das nicht schneidende Tenseiga geführt. Es hätte keinen Unterschied gemacht, welches der Schwerter er geführt hätte. Er war nicht in der Lage gewesen, ihr Leben zu schützen. Er hatte versagt. Tenseiga würde ihm das immer vor Augen halten. Jeden einzelnen trostlosen Tag und jede einzelne, beinahe endlose Nacht. Tenseiga und das fehlende Tessaiga an seiner Seite, das sein Vater Inu-no-taishou ihm verwehrt hatte, und mit dem er Ayashi nun sicher noch an seiner Seite gehabt hätte. Wut stieg zusätzlich zur Trauer in Sesshoumaru auf und er schloss einen kurzen Moment die Augen. Seine Vernunft rief ihm zu, dass seine Gedanken irrational waren, doch einem weitaus größeren Teil war das gleichgültig. Wie hatte sein Vater nur so entscheiden können? Wieso hatte ihm sein Vater verwehrt, was er an jenem Tag so bitter nötig gehabt hätte? Er war sich sicher, dass er den Kampf mit Tessaiga viel schneller hätte beenden können. Es wäre vielleicht nie dazu gekommen, dass Ayashi und Tsukiyomaru in den Kampf eingegriffen hätten. Er wusste es nicht. Er konnte es nur vermuten, doch er wusste ganz sicher, dass er Ayashi mit Tessaiga hätte schützen können. Im Augenblick dieser Erkenntnis schwor er sich, nicht eher zu ruhen, bis er in den Händen hielt, was ihn rechtmäßig zustand: Tessaiga. Doch nun musste Sesshoumaru wieder an Ayashi denken und an den würdevollen Abschied von ihr. Er hatte veranlasst, dass ein Schrein am nördlichen Berghang der Ebene errichtet wurde, und sich davon überzeugt, dass alles für die Zeremonie vorbereitet war. Sesshoumaru atmete tief ein und verdrängte die unsagbare Wut tief in sich, doch er spürte, dass er nur bedingt erfolgreich war. Jeder Atemzug, den er ohne Ayashi tat, war zu viel für ihn. Die Wut blieb und loderte tief in ihm weiter – und wurde fester Bestandteil seines Wesens, das spürte er ganz deutlich, auch wenn er nach außen kühl und kontrolliert erschien. Sesshoumaru wusste, dass der Schrein fertig war und auch die beiden Stelen, die ihren und seinen Namen trugen, vorbereitet waren und nebeneinander am Schrein standen. Ihr Name war als Erinnerung eingemeißelt worden, dass sie nicht mehr in dieser Welt weilte, und würde das Gedenken an sie aufrechterhalten, bis die gnadenlose Zeit irgendwann den Schleier des sanften Vergessens über ihre Existenz legte. Sein Name stand neben ihrem und er würde die gemeißelten Schriftzeichen als Teil der Zeremonie mit roter Farbe nachzeichnen, die erst dann entfernt wurde, wenn er selbst ebenfalls gestorben war. Ein Teil von ihm konnte diesen Tag nicht erwarten, doch er schob die düsteren Gedanken so weit von sich, wie er konnte. Er sah zwar kaum noch Sinn darin, doch er konnte diese Welt noch nicht verlassen. Er hatte noch viel zu tun. Er musste über sein Land herrschen. Er musste mit Kataga, Katsumoto und Tsukiyomaru und seinen anderen Verbündeten die Ordnung des Rates wiederherstellen, denn ohne die Instanz des Rates drohte ein Krieg zwischen allen Youkai, hatte Kataga ihn darauf hingewiesen, als er mit dem Gedanken gespielt hatte, Ayashi zu folgen. Und in dieser Sache hatte Kataga Recht, musste Sesshoumaru zugeben. Das bedeutete, dass es nur eine Möglichkeit gab: Der alte Rat musste aufgelöst werden, doch das war beinahe nicht mehr nötig. Die Mitglieder des Rates – sowohl die korrupten als auch die, die nichts von Yaris Überleben gewusst hatten – fürchteten ihn und seine furchtbare Rache - aus gutem Grund, dachte Sesshoumaru, doch es verschaffte ihm keine Genugtuung. Die korrupten hatten sich in den letzten paar Tagen durch ihre Flucht verraten. Die verbleibenden Mitglieder waren bereit, auf seine Forderungen einzugehen und er wollte die Neubildung des Rates und die Bestrafung der korrupten Mitglieder vor dem neuen Rat. Sie waren einverstanden gewesen und hatten ihm bereits den Vorsitz des Rates angetragen, was er allerdings abgelehnt hatte. Kataga war für diese Machtposition und Stellung deutlich besser geeignet, fand Sesshoumaru, und stillschweigend war diese Forderung auch schon so gut wie akzeptiert worden. So viel zu tun gab es also doch nicht mehr, schoss Sesshoumaru durch den Kopf, doch eine leise Stimme flüsterte ihm zu, dass das nichts an seiner Entscheidung ändern sollte, am Leben zu bleiben. Doch warum sollte er auf diese Stimme hören? Es gab nur eine Person, die ihn daran hindern konnte, seinem Schmerz zu entfliehen. Ayashi. Sesshoumaru schloss für einen kurzen Moment die Augen und atmete tief durch. Was sollten diese Gedanken? Wie schwach war er denn? Er sollte sich vor sich selbst in Grund und Boden schämen, das wusste er. Ayashi würde seine Gedanken, sein Leben zu beenden, mit Sicherheit nicht für gut heißen. Immerhin hatte er ihr versprechen sollen, nicht aufzugeben, und auch wenn er es im Augenblick ihres Todes nicht gekonnt hatte, so wollte er sie nun nicht in dieser Hinsicht auch noch enttäuschen. Seine Zeit war noch nicht gekommen. Und bis sie gekommen war, sollten alle Wesen die leuchtende, rote Farbe in den Schriftzeichen seines Namens an ihrem symbolischen Grab sehen können. Denn die Farbe verdeutlichte das letzte Versprechen, das er Ayashi geben konnte: Er würde sie wiedersehen und seine Seele würde sich nach seinem Tod mit ihrer in der Unterwelt wieder vereinen. Kapitel 132: ------------- Sesshoumaru stand erneut vor Ayashis Schrein und blickte auf die Gravur ihrer beider Namen hinab. Er hatte gerade eben die rote Farbe in den Schriftzeichen seines Namens erneuert und beugte sich hinab, um seine Fingerkuppen an dem alten Schwert zu verletzen, das er dort vor so vielen Jahren niedergelegt hatte, und ein wenig seines Blut zur Farbe zu mischen. Es kam ihm vor, als sei es erst gestern gewesen, dass er hier mit Ayashis Verwandten und engsten Freunden Abschied von ihr genommen hatte, doch es war bereits fünfzig Jahre her. Fünfzig Jahre. Sesshoumaru schüttelte leicht den Kopf, als er sich das klar zu machen versuchte, doch daran scheiterte. Die Zeitspanne von fünfzig Jahren war für einen Youkai keine allzu große, doch er fühlte sich, als sei sie länger als alle Zeit, die er bisher gelebt hatte. Ayashi fehlte ihm immer noch sehr, doch er hatte sich ihrem Wunsch gemäß verhalten – und das verschaffte ihm ein wenig Trost. Dass sein Handeln, dass die Tatsache, dass er nicht aufgegeben hatte, dass er sein Leben nicht beendet hatte, bestimmt ihre Zustimmung fand, half ihm ein wenig. Dennoch kam er jedes Jahr hierher an ihren Schrein und ließ vor seinem inneren Auge wehmütig Revue passieren, was an jenem Tag und in der Zwischenzeit geschehen war. Gesund konnte das für sein Herz nicht sein, das spürte er, doch nun brauchte er dieses Ritual, um mit seinem Schmerz umzugehen. Ein Ritual, das sich regelmäßig jährlich wiederholte, obwohl er natürlich auch sonst an Ayashi dachte. Er mochte nicht darauf verzichten, einmal im Jahr wirklich allein mit ihr zu sein, wenn er doch sonst seinen Schmerz und seine Trauer hinter einer undurchsichtigen Maske verbergen musste, damit er seine Herrschaftsansprüche und sein Gesicht wahren konnte. Sesshoumaru atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen, als wolle er sich so besser daran erinnern können, was in der Zwischenzeit geschehen war, an dem Ayashi leider nicht teilhaben konnte. Er hatte mit Kataga einen neuen Rat eingesetzt. Was sich an jenem Tag vor fünfzig Jahren abgezeichnet hatte, war wirklich eingetreten. Kataga hatte seit damals den Vorsitz im Rat von Kyoto inne und machte eine gute Politik, die es Sesshoumaru erlaubte, sich so oft wie möglich aus den Geschäften zurückzuziehen, denn das hatte er so gewünscht. Er führte immer noch seine Gebiete, erschien aber nur noch zu den wichtigsten Sitzungen. Er war gefürchtet und wurde infolgedessen auch nicht herausgefordert, was ihn nicht im Geringsten störte. Sie respektierten ihn alle als Herrn des Westens, doch Seshoumaru war sich sicher, dass sich die einen oder anderen hinter seinem Rücken wünschten, dass er sich mehr in die Geschicke ihrer Gesellschaft einmischte. Doch wozu? Der Welt der Youkai hatte in den letzten fünfzig Jahren nicht einmal ein Krieg oder eine heftigere Auseinandersetzung gedroht. Es war nicht nötig sich einzumischen. Direkt nach der Einrichtung des Schreins für Ayashi hatte Sesshoumaru härter als je zuvor sein Training wieder aufgenommen. Es hatte ihn wütend gemacht, dass er gegen Yaris Gift nicht immun gewesen war, denn die Wirkung des Gifts eines Inu-Youkai sollte bei einem anderen Inu-Youkai überhaupt nicht anschlagen. Das sollte ihm nie wieder geschehen, hatte er sich vorgenommen – und vor wenigen Jahren hatte er es vollbracht: Kein Gift konnte ihm mehr etwas anhaben. Niemand würde ihm mehr hinterhältig schaden können. Er war nachweisbar stärker als damals geworden. Seinem guten Freund Tsukiyomaru hatte das nichts genützt, denn der hatte ihn nicht zur Hilfe gerufen, als er sie so nötig gebraucht hätte. Nun war er tot. Ermordet vom eigenen Vater. Seine kleine Tochter Shiori war nach einigem Hin und Her sicher bei der sterblichen Mutter, und Sesshoumaru hatte beschlossen, es dabei zu belassen. Vermutlich hätte er das Kind unter anderen Umständen zu sich genommen, da es das Kind seines Freundes gewesen war, doch sie hatte noch ihre Mutter. Sesshoumaru blickte in den dämmrigen Himmel. Er konnte nicht anders, als auch sein Versagen zu sehen. Noch immer hatte er Tessaiga nicht in seinen Besitz bringen können, obwohl er sich das geschworen hatte. Was hatte er nicht alles unternommen, um seine Ziele zu erreichen, die ihm dennoch verwehrt geblieben waren? Und dabei war es nicht einmal mehr so, dass er das Schwert nur nicht finden konnte, wie es lange Zeit der Fall gewesen war. Es war schlimmer gewesen: Er wusste genau, in wessen Hand es sich befand. In der unwürdigen Hand seines Halbbruders. Sesshoumarus Inneres sträubte sich vehement gegen dieses Wort. Er ertrug es leichter, ihn beim Namen zu nennen. „Inuyasha.“ knurrte er verachtend. Es spielte keine Rolle für ihn, dass er nach und nach die Kräfte seines Tenseigas kennen gelernt hatte. Es machte ihn wütend, dass sein Vater ihm verheimlicht hatte, wozu Tenseiga fähig war. Niemals hätte er es liegen lassen, als er zum Duell mit Yari aufgebrochen war, wenn er gewusst hätte, dass Tenseiga ein Wesen wieder zum Leben erwecken konnte. Es hätte es von vornherein niemals abgelegt. Was das Schweigen seines Vaters alles angerichtet hatte, war kaum zu glauben. Doch wie schon gesagt: Es spielte ohnehin keine Rolle. Er hatte zwar die kleine Rin zum Leben wiedererweckt, sodass sie ihm nun überall hin folgte, doch Tessaiga wurde immer noch von Inuyasha geführt. Inuyasha, der ihm nicht geholfen hatte. Inuyasha, ohne dessen Verrat Ayashi noch leben könnte. Inuyasha, der von einer närrischen Priesterin gebannt worden war. Nicht, dass Sesshoumaru sonderlich traurig darüber gewesen wäre, doch er hatte zutiefst bedauert, dass er seinen Bruder deshalb nicht zu einem Zweikampf hatte fordern können. Inuyasha, der von seinem Vater bevorzugt worden war. Selbst jetzt, da Sesshoumaru zugeben musste, dass sich seine Einstellung zum Schwert Tessaiga ein wenig geändert hatte, und er vielleicht sogar ansatzweise eingesehen hatte, dass es zu Inuyasha gehörte, so war er doch nicht dazu bereit, ihm dies jemals zu verzeihen. Nichts hatte sich daran geändert, seit ihn diese andere Miko… das seltsame Mädchen mit den seltsamen Kleidern und Manieren – Kagome – von seinem Baum befreit hatte. Zu welchen Sinn und Zweck hatte sie das überhaupt getan? Sie brachte nur Unruhe und Unannehmlichkeiten. Wenn er da nur an das Juwel der vier Seelen und diesen unnützen Naraku dachte, den er nun zum persönlichen Feind hatte. Es war hart genug, Inuyasha schon wegen ihres gemeinsamen Feindes in letzter Zeit öfter zu sehen. Als Sesshoumaru an Naraku dachte, musste er unweigerlich auch an dessen Abkömmlinge denken. Kagura, die Herrscherin des Windes, war am vorigen Tag vernichtet worden – von Naraku selbst, da der von ihrem Verrat erfahren hatte. „Sie hat mich ein wenig an dich erinnert, Ayashi.“ gab Sesshoumaru zu und legte den Kopf schief. „Ein ganz klein wenig. Vielleicht lag das an ihrem starken Wunsch nach Freiheit. Oder an dem Wind, den sie beherrschte.“ meinte er. Ayashi war nach ihrem Tod zu Wind geworden, der seinen Armen entglitten war. Unwiederbringlich. Lautlos. Einige Male hatte er nach Ayashis Tod geglaubt, Ayashis Stimme im Windhauch zu hören. Des Öfteren hatte er sich vorgestellt, dass Ayashis Finger der Wind seien, und dass sie ihm durch ihre Zärtlichkeiten Trost spenden wollte. Dann war eines Tages Kagura aufgetaucht. Zuerst hatte er sie als widerlichen Abkömmling eines dreckigen Halbdämons gesehen. Immerhin hatte sie den Wind für ihn beschmutzt, der bisher für ihn Ayashi gewesen war. Doch dann… Konnte er sagen, dass er sie näher kennen gelernt hatte? Nein, vermutlich war das zu viel. Trotzdem konnte er sagen, dass er zum Schluss keinen Hass und keine so große Verachtung mehr für Kagura übrig gehabt hatte. Sie hatte ihm leid getan – etwas, das er schon lange nicht mehr empfunden hatte, und eine Regung, die er geglaubt hatte, nie mehr empfinden zu können. Eine Art von Mitgefühl. Er erinnerte sich genau an den Duft von Blut und Blüten zurück, der von Kagura kurz vor ihrem Tod ausgegangen war, und der ihn zu ihr geführt hatte, obwohl er zu jedem Zeitpunkt gewusst hatte, dass es nicht Ayashi war. Es war ähnlich gewesen. Das hatte ihm genügt, um zu ihr zu gehen. Sesshoumaru hatte noch nicht verstanden, warum er sie mit Tenseiga nicht hatte retten können, doch das war nun nicht mehr zu ändern. Kagura hatte gelächelt, als sie gestorben war. Und er freute sich beinahe für sie oder mit ihr, dass sie ihre Freiheit, die sie so sehr geliebt und ersehnt hatte, vor ihrem Tod noch erlebt hatte. Das Licht des Tages wich allmählich der Dunkelheit der Nacht und Sesshoumaru wusste, dass es Zeit wurde, den gemeinsamen Lagerplatz aufzusuchen, den er für die Nacht für Yaken und Rin gewählt hatte. Er wollte die beiden nicht unnötig lange allein lassen, zumal Naraku immer wieder angreifen konnte. Sesshoumaru war sich der Gefahr bewusst, der Rin ausgesetzt war, solange sie bei ihm blieb, doch er wusste auch, dass es keinen Ort gab, an dem sie vor Naraku wirklich sicher war. An seiner Seite und unter seinem Schutz war sie immer noch am sichersten, denn Naraku wusste genau, dass er über das Menschenmädchen an den mächtigen Youkai herankam. Er hatte es mehr als einmal versucht. „Ich glaube, du hättest sie gern.“ murmelte Sesshoumaru und ließ seinen Blick noch einmal über die Schriftzeichen gleiten. „Ich muss gehen.“ flüsterte er und strich noch einmal mit seinen Fingern über die Stelen. Es fiel ihm schwer, diesen Ort zu verlassen, doch er wusste, dass es sein musste. Rin. Er musste sie weiterhin schützen. Nachdem er ihr einmal wieder das Leben gerettet und sie so oft schon beschützt hatte, würde er nicht zulassen, dass sie jemand verletzte. Und dafür und für den Kampf gegen Naraku, der sich seinem Gefühl nach dem Ende näherte, brauchte Sesshoumaru immer noch Ersatz für sein kürzlich zerbrochenes Schwert Tokijin. Kapitel 133: ------------- Ayashi wirbelte herum und rammte dem niederen Dämon ihr Schwert in den Leib, verharrte jedoch nicht in einem flüchtigen Siegesgefühl, sondern wehrte bereits den nächsten Dämon ab. Kodachi war an ihrer Seite und stärkte ihr den Rücken, obwohl sie nur sehr begrenzt eingreifen konnte. Es half Ayashi schon, ihre Mutter an ihrer Seite zu wissen. Nachdem sie auch noch zwei weitere Dämonen zurückgedrängt hatte, sammelten sich die übrigen, die es ebenfalls versucht hatten, und kehrten freiwillig in die Welt der Toten zurück. Ayashi sah den Kreaturen nach, wie sie sich davonstahlen, da sie Ayashis Klinge und Kraft fürchteten. Die furchtlose Youkai hielt ihr Schwert bereit, sollte es sich einer der Dämonen doch noch anders überlegen, und ließ sie nicht aus den Augen, bis sich die Grenze der Welten wiederherstellte. Das Dunkel mit den zahlreichen Sternen, Planeten und Sternnebeln verschwand und nur der helle Raum des Nichts blieb, in dem Ayashi seit ihrer Ankunft in der Götterwelt kämpfte. „Die Grenze ist geschlossen.“ meinte Kodachi, als habe ihre Tochter das noch nicht bemerkt. Langsam ließ Ayashi ihr Schwert sinken und schob es in die Scheide zurück, bewegte sich jedoch ansonsten nicht von der Stelle. „Für den Moment.“ entgegnete sie. Kodachi ging einige Schritte nach vorne in den Raum hinein, wo bis vor wenigen Momenten noch der Riss zwischen den Welten einen Blick auf die Unterwelt freigegeben hatte. Ayashi folgte ihr nicht, sondern lauschte in die Stille, denn neue Risse und somit auch neue Versuche der Dämonen, das Totenreich zu verlassen, kündigten sich durch das Geräusch eines heftigen, immer lauter werdenden Sturmes an. „Sie werden es nicht so schnell wieder wagen. Sie fürchten dich sehr.“ vermutete Kodachi, worauf Ayashi nickte. „Sie haben allen Grund dazu.“ erwiderte sie knapp. „Zürnst du ihnen, dass sie in das Leben zurück wollen?“ „Natürlich nicht.“ versicherte Ayashi, überlegte einen Moment, wie sie das erklären sollte, und fuhr dann fort: „Ich will dasselbe wie sie. Wie könnte ich ihnen verübeln, dass sie es immer wieder versuchen. Wenn ich entkommen könnte….“ „… wärst du auch nicht mehr hier.“ beendete Kodachi den Satz ihrer Tochter. Ayashi nickte nachdenklich und schloss dann zu ihrer Mutter auf. Sie wusste nicht, wie lange sie schon Dämonen, die aus der Unterwelt entkommen wollten, genau daran hinderte. Sie wusste nicht, wie lange sie das noch tun würde. Zeit spielte keine Rolle für sie. Zeit existierte für sie nicht mehr. Sie selbst existierte außerhalb der Zeit. Wie sollte es also anders sein, als dass die Zeit ihre Bedeutung verlor? Ayashi schritt eine Weile schweigend neben Kodachi durch die unendliche Weite. Oder waren es Tage? Monate? Es hatte einen entscheidenden Vorteil, dass sie Zeit nicht mehr wahrnahm: Es schien ihr nicht lang. Oder kurz. „Ich finde es seltsam, dass ich Heiwa-Sen noch nie gesehen habe.“ meinte Ayashi plötzlich, doch es war nicht so, dass sie das erste Mal bemerkte. Sie wusste auch schon, was ihre Mutter nun sagen würde, denn diese Antwort hatte Kodachi ihr schon oft gegeben – oft im selben Wortlaut. Trotzdem klang sie nie ungeduldig oder verstimmt. „Heiwa-Sens Macht ist so groß, dass es für jedes Wesen mit starken Schmerzen verbunden ist, ihn zu sehen. Seine Erscheinung ist so überwältigend, da er aus purer Energie besteht. Nicht selten sind sogar Götter zeitweise erblindet. Ich bin froh, wenn ich ihm nicht nahe sein muss. Und du solltest das auch sein.“ entgegnete Kodachi geduldig. Ayashi lächelte. Genau auf diese Worte hatte sie gewartet, doch ihr war nicht klar, warum sie sie immer wieder hören wollte. Vielleicht lag das daran, dass sie es nicht einsehen wollte, dass es so war. Sie verabscheute die Tatsache, dass sie für jemanden kämpfte, den sie nicht sehen konnte. Das sprach sie nun nicht mehr aus, denn die Antwort darauf, die Kodachi immer vorbrachte, wenn sie es sagte, sorgte dafür, dass Ayashi sich selbstsüchtig vorkam. ‚Du kämpfst nicht für Heiwa-Sen, sondern für das Wohlergehen und Fortbestehen der Welten. Du kämpfst für deinen Vater, deine Schwester und auch deinen Sesshoumaru.’ Trotzdem blieb Heiwa-Sen und seine Anmaßung, über Ayashis Leben entscheiden zu wollen, der Grund für ihre Anwesenheit in der Götterwelt. Edle oder höhere Gründe spielten dabei eher eine untergeordnete Rolle für Ayashi. „Vergiss’ nicht, was er dir versprochen hat, Ayashi.“ mahnte Kodachi ihre schweigsame Tochter, worauf diese stumm nickte, doch dann entgegnete: „Und wann soll der Augenblick gekommen sein? Wann kehrt das Juwel endlich in die Welt der Menschen zurück?“ Kodachi schüttelte den Kopf. Ayashi korrigierte sich: „Ich meine, wann wird der Mensch geboren, der die Macht den Juwels kontrollieren kann?“ „Ich weiß es nicht.“ „Wie solltest du es auch wissen? Heiwa-Sen weiß es bestimmt selbst nicht.“ gab Ayashi zurück und wollte noch etwas hinzufügen, als sie das hohe Pfeifen von Wind hörte. Ayashi sah sich um und bemühte sich, die Richtung zu bestimmen, aus der das Windgeräusch kam. Sie griff ihr Schwert und zog es, näherte sich dann dem Ursprung des Windes und sah wenig später, wie sich ein kleiner Riss in der Luft bildete, der rasch größer wurde. „Sie versuchen es schnell wieder.“ sagte Kodachi, die etwas hinter Ayashi stehen blieb. Ayashi nickte, doch entgegnete nichts. Es fühlte sich nicht so an, als ob niedere Dämonen versuchten, die Grenze zu überqueren. Die Energie, die sie wahrnahm, war stärker und reiner. Sie war beinahe wie… „Mutter, bitte tritt weiter zurück.“ bat Ayashi, festigte den Griff um ihr Schwert und nahm einen kampfbereiten, federnden Stand ein. Kodachi wich nicht sofort auf ihre Bitte, doch schließlich hörte Ayashi, wie sie zurücktrat. Dann konzentrierte sich Ayashi wieder auf die Energie, die sie verspürte, und sah zwei niedere Dämonen, die aus dem Spalt zwischen den Welten drangen. Wendig ließ sie ihr Schwert durch die Luft gleiten, versetzte den beiden einen Schnitt, der, wenn beide noch lebendig gewesen wären, tödlich gewesen wäre, worauf sie zurücktaumelten und wieder in der Finsternis versanken. „War das schon alles?“ wollte Kodachi wissen, doch Ayashi schüttelte den Kopf. Im nächsten Moment trat eine groß gewachsene, reich gewandete Gestalt aus der Unterwelt und blickte, ohne sonderlich große Furcht zu zeigen, auf Ayashis gezogenes Schwert, als wüsste sie, dass ihr keine Gefahr drohte. „Ajisai-Sama!“ sprach Ayashi, als sie den Namen über die Lippen bringen konnte. „Warum… seid Ihr hier?“ „Mein Sohn…“ begann Ajisai, zögerte kurz und fuhr dann fort: „Es gibt Dinge, die ich ihm sagen muss.“ Ayashi konnte sich nur schwer beherrschen. Sesshoumaru. Sesshoumarus Mutter. Sie kannte die Youkai nicht sonderlich gut, doch sie wusste dennoch genug über sie. Langsam ließ Ayashi ihr Schwert sinken. „Werdet Ihr mich nicht bekämpfen?“ fragte die Youkai, wobei sie Ayashis Schwert nicht aus den Augen ließ. „Nein.“ entgegnete Ayashi. „Ayashi, bitte… Was tust du?!“ fragte Kodachi, warf ihr einen flehenden Blick zu und sah dann zu Ajisai. „Das müsstet Ihr, oder? Ihr müsstet mich in die Unterwelt zurücktreiben wie einen der niederen Dämonen.“ wollte diese prüfend wissen. Ayashi entgegnete nichts, schob aber das Schwert zurück in die Schwertscheide und entspannte ihren Stand ein wenig, ehe sie sich wieder an Ajisai wandte. „Ihr wollt zurück in die Welt der Lebenden? Bitte, geht!“ meinte Ayashi und trat zur Seite, um Ajisai den Weg freizugeben. „Warum?“ „Ihr wollt zu Sesshoumaru. Das ist etwas, das ich sehr gut verstehe.“ antwortete Ayashi und gab sich einen kurzen Moment der Vorstellung hin, jetzt mit Ajisai tauschen zu können. „Er bedeutet Euch sehr viel.“ bemerkte die ältere Youkai erstaunt. „Ja.“ gab Ayashi so schlicht wie möglich zu. „Ihr habt keine Vorstellung davon, was für einen Dienst Ihr ihm damit erweist, dass Ihr mich gehen lasst. Ich danke Euch… und werde ihm sagen, dass Ihr unser Wiedersehen ermöglicht habt.“ erwiderte Ajisai, was einen kleinen Hoffnungsfunken in Ayashi entzündete. „Das ist unmöglich.“ zerstörte Kodachi diesen sofort wieder und erklärte: „Wenn Ayashi Euch gehen lässt, was ich nicht im Geringsten unterstütze, doch wogegen ich wohl nichts tun kann, dann kehrt Ihr zwar in die Welt der Lebenden zurück, doch Ihr werdet Euch nicht an die Umstände und Euren Weg zurück erinnern können.“ „Geht, Ajisai-Sama. Ich halte Euch nicht auf.“ wiederholte Ayashi nach einem kurzen Augenblick des Schweigens und Ajisai verließ die Welt der Götter. Ayashi blickte ihr nach, wie sie sich auflöste und schließlich ganz verschwand. Kodachi stand regungslos bei ihr, doch brach das Schweigen zuerst. „Ayashi, du weißt nicht, was du getan hast.“ flüsterte sie, doch Ayashi zuckte nur die Schultern. Plötzlich erklang ein lautes Tosen. Ein Sturm erfasste Ayashi und riss an ihrer Kleidung und an den Haaren. Kräfte, die unvorstellbar stark waren, zerrten an ihr und wirkten auf sie. „Wie kannst du es wagen!“ dröhnte eine tiefe Stimme laut und wütend, stürzte auf sie ein und bedrohte sie. „Das ist Heiwa-Sen.“ flüsterte Kodachi, doch Ayashi hatte diese Erklärung nicht mehr gebraucht. „Was wollt Ihr tun?“ schrie Ayashi gegen den Sturm an. „Du hast das Gleichgewicht zwischen den Welten gefährdet!“ donnerte Heiwa-Sen zurück, doch Ayashi zeigte sich weiter unbeeindruckt. „Ich frage Euch noch einmal: Was wollt Ihr tun? Ihr braucht mich noch, wenn ich mich nicht irre!“ „Ich würde dich zerschmettern, wenn es nicht so wäre!“ versicherte er und fügte hinzu: „Du hast nicht begriffen, welche Auswirkungen dein Verhalten haben kann!“ „Verlaufen die Dinge nicht, wie Ihr Euch es vorgestellt habt? Könnt Ihr die Zeit und alles andere nicht einfach noch einmal manipulieren? Vielleicht ist ja dann alles zu Eurer Zufriedenheit!“ rief Ayashi aufgebracht zurück. Heiwa-Sen entfesselte einen Teil seiner Macht auf Ayashi, dass sie das Gleichgewicht verlor, doch dann war es wieder still, als wäre überhaupt nichts passiert. Kapitel 134: ------------- Sesshoumaru war unvermittelt vor einem großen Wald stehen geblieben. Der Abend brach bereits herein und färbte den Himmel orangefarben. Er beobachtete die Gegend, schärfte seine Sinne und erforschte die Luft und die gesamte Gegend nach Gerüchen und Anzeichen, die ihm sagen konnten, was vor sich ging. Denn nachdem Totosai ihm das zu einer Waffe geschmiedete Tenseiga übergeben hatte, hatte Sesshoumaru geglaubt, eine Präsenz zu spüren, die er nur zu gut kannte. Es war die Energie seiner Mutter gewesen, die er wahrgenommen hatte. Seiner vor so vielen Jahren verstorbenen Mutter. Und das war bekanntlich nicht möglich. Er versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, doch er konnte es nicht. In diesem Gebiet, wo er sich nun aufhielt, konnte er aber ohne Zweifel die dämonische Energie seiner Mutter aufnehmen. Sesshoumaru lauschte in die Stille, die nur durch Rins und Yakens Stimmen unterbrochen wurde. Er ignorierte sie weitestgehend, damit ihn das Gespräch der beiden nicht zu sehr ablenkte, und bekam nur einige Wortfetzen mit, die ihm deutlich machten, dass Yaken wusste, dass er nach etwas suchte. Plötzlich pulsierte Tenseiga an Sesshoumarus Seite, was ihn doch verwunderte. Wollte es ihm etwas sagen oder deutlich machen oder einen Hinweis geben, dass er seinem Ziel nahe war? Ein leichter Wind kam auf und bewegte das hohe Gras, in dem Sesshoumaru regungslos stand. Ein wohlbekannter Duft drang ihm nun in die Nase und nun hörte er auch ein dunkles Grollen, welches nicht vom Wind kommen konnte, weshalb er den Blick in den Himmel hob. „Zeigst du dich endlich?“ fragte er in Gedanken, als er direkt hinter den Wolken die Gestalt eines riesigen Hundes schweben sah, als wollte der, dass Sesshoumaru ihn entdeckte. Sesshoumarus Augen verengten sich zu prüfenden Schlitzen. Wer immer es war, der hinter diesem Trick steckte, konnte sich auf etwas gefasst machen! Ein Trugbild konnte es nicht sein, denn dazu waren der Geruch und die Energie zu wirklich. Seine Mutter war dennoch tot. Wenn Naraku dahinter steckte, dann hatte Sesshoumaru den Halbdämon einmal mehr bezüglich seiner Fähigkeiten unterschätzt – und er würde ihn für seine Vermessenheit bezahlen lassen. Er mochte kein besonders herzliches Verhältnis zu seiner Mutter gehabt haben, doch es stand niemandem zu, die tote Youkai in irgendeiner Weise gegen ihn zu benutzen! Ohne ein Wort zu seinen Begleitern stieß er sich vom Boden ab und erhob sich in den Himmel. Sesshoumaru hörte, wie Yaken ihm nachrief, doch er ignorierte den Diener, und verwandelte sich stattdessen selbst in seine andere, dämonische Gestalt. Sesshoumaru nutzte seine dämonische Kraft und schnellte auf die andere Hundegestalt zu, setzte sich über sie und schließlich vor sie und drängte sie damit von ihrem Weg ab. Die andere Gestalt fauchte und fletschte die Zähne, doch griff ihn nicht ernsthaft an. Ihre Energie verband sich mit Sesshoumarus, als sie miteinander zu Boden stießen und Sesshoumaru stellte zu seiner großen Überraschung fest, dass er sich sehr getäuscht hatte. Sie war es wirklich. Beide verwandelten sich in ihre menschenähnliche Gestalt zurück und kamen mit Wucht auf dem erdigen Boden an, sodass sie eine ungeheure Menge Staub aufwirbelten, der sich nur langsam legte. Sesshoumarus Blick heftete sich auf die Gestalt seiner Mutter, die vor ihm stand, als sei sie niemals fort gewesen. Ihr Gewand, ihr Fell, ihr Schmuck, ihre Frisur waren so perfekt gewählt und angeordnet, wie er sich daran erinnerte. Und ihr Gesichtsausdruck war so ruhig und gelassen, wie er immer gewesen war. „Sesshoumaru, du bist es also tatsächlich.“ brach Ajisai das Schweigen, und während Sesshoumaru noch versuchte, seine Gedanken über das unvorhergesehene Zusammentreffen zu ordnen, schalt Yaken lautstark los und wedelte dabei aufgeregt mit dem Kopfstab herum, wie sie es wagen könne, den Herrn des Westens so respektlos und auch noch direkt anzusprechen. Ajisai ließ sich nicht beirren, wandte nicht einmal den Blick von Sesshoumaru ab und fuhr fort: „Du musst sehr viele Fragen bezüglich Tenseiga haben, das dir dein Vater hinterlassen hat, wenn du nun deine Mutter besuchen kommst. „Die… ver- … ver- … verehrte Mu- …. Mutter?!“ stotterte Yaken mit weit aufgerissenen Augen. „Was kannst du mir sagen?“ wollte Sesshoumaru wissen. Er war überfordert mit der Situation, seiner tot geglaubten Mutter nun wieder gegenüber zu stehen, das spürte er, doch er wollte sich auf keinen Fall etwas anmerken lassen. Er wusste, dass sie in allem gern die Oberhand behielt, also nutzte er das zu seinem Vorteil. Sollte sie glauben, er sei wegen seines Schwertes hierher gekommen, über das er in der Tat viele Fragen hatte. Er würde sich nicht die Blöße geben, vor ihr einzugestehen, er sei ihrer Präsenz aus Neugier oder sonstigen Regungen gefolgt. „Nicht hier, Sesshoumaru. Komm’ in das Heim deiner liebenden Mutter.“ meinte sie mit einer lieblicher Stimme, die nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass sie erwartete, dass er ihr folgte. „Wo residierst du?“ fragte Sesshoumaru nach, doch sie schwang sich bereits in die Lüfte. Sesshoumaru hatte keine andere Wahl, wenn er mehr über Tenseiga in Erfahrung bringen wollte, das wusste er. Sie musste tatsächlich etwas wissen. Mit zusammengepressten Zähnen packte er Rin und Kohaku, vertraute darauf, dass Yaken sich selbst irgendwo festhielt und folgte ihr durch die Wolken bis zu ihrer luxuriösen Wohnstätte. Ajisais Palast erhob sich in mehreren Ebenen, deren oberste Plattform durch eine mächtige Freitreppe zu erreichen war, über den Wolken. Mehrere Speerträger standen auf den Ebenen verteilt und veranlassten Sesshoumaru dazu, sich zu überleben, wie lange seine Mutter schon wieder ihren schwebenden Palast bezogen hatte. Die Frage brannte bereits auf den Lippen, doch er schluckte sie eisern hinunter. Er war lediglich wegen Tenseiga mit ihr gekommen, und es war klar, dass auch ihr nicht der Sinn nach einer fröhlichen Vereinigung von Mutter und Sohn stand. Darum war es ihr noch nie gegangen. Oben angekommen trat Ajisai mit gemächlichen Schritten an eine bequem aussehende Liege, die auf einer Seite zusätzlich zur einzigen Armlehne eine hohe Rückenlehne besaß, und ließ sich auf ihrem Thron nieder, während Sesshoumaru stehen blieb und sie beobachtete. „Sesshoumaru, hast du Menschen nicht einmal verachtet? Mir war etwas in der Art in Erinnerung. Dennoch hast du zwei Menschenkinder in deiner Begleitung… Hast du vor, sie zu verschlingen?“ fragte Ajisai mit echter Neugier, doch Sesshoumaru ging nicht darauf ein. „Du solltest davon gehört haben. dass man mit Tenseiga einen Pfad zur Unterwelt öffnen kann.“ begann er. „Ist das so?“ hakte Ajisai nach, wartete aber nicht auf Sesshoumarus Reaktion. „Nein, dein Vater hinterließ einfach nur diesen Stein hier. Er wird Meido-Seki genannt.“ fuhr sie fort und griff nach ihrer Halskette, an der ein großer, runder Anhänger mit einem blauen Stein in der Mitte hing. „Meido-Seki?“ „Er sagte, ich solle ihn benutzen, wenn du jemals zu mir kämst. … Ach ja, er erwähnte noch etwas anderes…“ entgegnete Ajisai und blickte den Stein in ihren Händen an. „Er sagte, ich würde dich großer Gefahr aussetzen, wenn ich den Stein verwendete, solle mich jedoch nicht ängstigen oder sorgen.“ Sesshoumaru war verleitet, eine Augenbraue hochzuziehen. Er wusste nicht genau, was er von den Worten seiner Mutter zu halten hatte. Rin flüsterte Yaken etwas zu, das auch er beobachtete: „Sie wirkt nicht sonderlich besorgt.“ Doch das hieß nicht, dass es ungefährlich war. Eher das Gegenteil, vermutete Sesshoumaru. Seine Mutter gehörte zu den wenigen Wesen, die ihre wahren Gefühle vor ihm verbergen konnten, da war Sesshoumaru sich sicher. „Nun, Sesshoumaru? Ich als deine Mutter bin natürlich furchtbar in Sorge um dich und dein Wohlergehen.“ fuhr Ajisai fort, worauf Sesshoumaru nur ein leises, nicht amüsiertes Lachen von sich gab. „Spar’ dir deine leeren Worte.“ forderte er sie auf. „Dann wirst du mich jetzt wohl gut unterhalten, nehme ich an.“ gab Ajisai zurück, drehte den Stein in die Vertikale, worauf dieser aufleuchtete und ein großes, hundeartiges Wesen aus dem dunklen Stein hervorbrach. Sesshoumaru zog sein Schwert und wandte Tenseigas neue Technik an. Ein sichelförmiger Eingang zur Unterwelt öffnete sich, doch sie konnte dem Hundewesen nichts anhaben. „Das ist also dein Pfad in die Unterwelt?“ meinte Ajisai nachdenklich zu sich selbst, legte ihre Hand an ihre Wange, sodass ihr Zeigefinger abschätzend gegen ihre Schläfe tippte. „Er besitzt nicht einmal ansatzweise die Form des Vollmondes.“ fügte sie hinzu und fuhr an Sesshoumaru gewandt fort: „Das ist ein Hund aus der Unterwelt. Sesshoumaru, es scheint, dein Schwert könne weder Schaden verursachen noch Gutes bewirken.“ In diesem Moment schnellte das Hundewesen wie auf einen Befehl nach vorne, verschluckte Rin und Kohaku und sprang durch die geöffnete Meido in die Finsternis. Sesshoumaru zögerte nicht und nahm die Verfolgung auf, doch Ajisai rief ihn zurück: „Warte, Sesshoumaru!“ und fuhr fort, als Sesshoumaru tatsächlich noch einmal inne hielt: „Du hast vor, den Pfad in die Unterwelt zu betreten, um zwei Menschenkinder zu retten? Du hast wirklich einen ziemlich milden und sanftmütigen Charakter entwickelt.“ „Ich will lediglich diesen Hund zerstückeln.“ gab Sesshoumaru eisig zurück, wandte sich ab und verschwand in der Meido, die sich hinter ihm schloss. Dass die Meido sich schloss, behagte Sesshoumaru nicht sehr, doch er war darauf gefasst gewesen. Die Meido schloss sich immer nach einer gewissen Zeit. Bisher hatte er das zwar nur von außen gesehen, doch er stellte nun fest, dass er sich nicht in völliger Dunkelheit befand. Er wusste nicht genau, woher das spärliche Licht kam, doch er erkannte in der düsteren Gegend vor sich einen Pfad ohne seitliche Begrenzung, der sich in die Ferne schlängelte. Rechts und links ging es in jähe Abgründe hinab. Sollte das etwa ein direkter Weg in die Unterwelt sein? „Das muss wohl so etwas in der Art sein.“ beantwortete er sich seine ungestellte Frage in Gedanken selbst und blickte sich weiter um. Schräg unter ihm sah er den Hund, der auf diesem relativ breiten Weg rannte, machte sich ohne Umschweife daran, einen Angriff mit seiner Klaue auszuführen, und schnellte lautlos hervor, doch der Hund wich aus, sodass Sesshoumarus Angriff nur den Boden traf und ein Stück des Weges in den Abgrund brach. Der Hund blieb mit gefletschten Zähnen stehen und fixierte Sesshoumaru feindlich, wie auch der Youkai seinen Widersacher betrachtete. Dort im Inneren, im Bauch des Hundes, befanden sich Rin und Kohaku, das konnte Sesshoumaru ganz deutlich sehen. Und noch etwas sah er deutlich: Die widerwärtigen Diener der Unterwelt. Sesshoumaru wusste, was er tun musste. Wenn diese Kreaturen da waren, war es Zeit für die heilenden Fähigkeiten von Tenseiga. Er zog sein Schwert erneut und führte einen Schlag aus, um die Todesbringer von Rin und Kohaku zurückzutreiben, wobei er den Hund gleichzeitig zerteilte, sodass Rin und Kohaku zu Boden fielen und regungslos liegen blieben. Was war mit ihnen? Sesshoumaru schob sein Schwert weg, kniete sich nieder und berührte Rins Wange. Sie war warm und sonst konnte er nichts Ungewöhnliches feststellen. Rin konnte nur bewusstlos sein, doch es war keine gewöhnliche Bewusstlosigkeit. Es war, als werde Rins Leben tief in ihrem Inneren gefangen gehalten. Kohaku bewegte sich leicht, rappelte sich ein wenig auf und war überrascht, Sesshoumaru zu sehen. „Es scheint, dass du in der Lage bist, dich zu bewegen. Das hängt mit der Kraft deines Juwelensplitters zusammen, nehme ich an.“ meinte Sesshoumaru, warf noch einmal einen Blick auf Rin und überlegte sich, was er nun tun sollte, als tief nicht weit von ihnen ein weiterer Abschnitt des Weges in sich zusammenbrach. Sesshoumaru hörte, wie sich Dämonen näherten – in der Luft und von den Tiefen, die so weit hinabreichten, dass selbst er den Grund nicht sehen konnte. „Nimm’ Rin mit dir und lauf’ davon!“ hieß Sesshoumaru den Jungen an und machte sich kampfbereit. Er beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Kohaku seinen Anweisungen sofort Folge leistete, und dachte einen kurzen Moment, was für ein pflegeleichtes Menschenkind der Junge war, da er keine Widerworte gab. Kohaku schulterte Rin und rannte los, sodass Sesshoumaru den Angriff auf die Dämonen begann. Sesshoumaru tötete einige von ihnen, doch dann gingen sie dazu über, den Weg zu zerstören, auf dem Kohaku lief. Schreiend stürzte er mit Rin den Abgrund hinab, sodass Sesshoumaru durch die Luft glitt, beide rechtzeitig auffing und sie wieder auf sicherem Boden absetzte, ehe er die restlichen Dämonen erledigen konnte. Dann hielt er inne und blickte in die Ferne, wo sich scheinbar endlos der Weg in schlängelnder Form fortsetzte. Wenn er weiterging… Würde er dann etwas finden, das ihm half, seine Technik Meido Zangetsuha zu verbessern? Sesshoumaru blickte sich kurz in die Richtung um, aus der die Dämonen hauptsächlich gekommen waren und entschied, in entgegengesetzter Richtung auf dem Weg weiter zu gehen. Einen Rückweg gab es eh nicht mehr, seit sich die Meido geschlossen hatte. Einen Ausweg gab es vielleicht ohnehin nur dort vorne. Und wenn er dabei noch etwas in Erfahrung bringen konnte, das er bisher über sein Schwert noch nicht wusste, sollte es ihm nur recht sein. Ohne sich vor seinem jungen Begleiter zu erklären ging er voran, während Kohaku ihm mit Rin auf dem Rücken folgte. Nach einer langen Zeit, in der Sesshoumaru und Kohaku schweigend auf dem Weg in der Düsternis gegangen waren, versuchte der Junge offenbar, Rin wieder zu Bewusstsein zu bringen, was Sesshoumaru daraus schloss, dass er Kohaku des Öfteren Rins Namen sagen hörte. „Sesshoumaru-Sama…“ rief Kohaku plötzlich und fuhr fort, noch ehe der Youkai reagiert hatte: „Rin atmet nicht mehr!“ Sesshoumaru blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Er verstand nicht. Er konnte nicht verstehen. Wieso war sie tot? Wieso war sie nicht mehr am Leben, wenn Kohaku noch am Leben war? Wenn sie vorhin noch am Leben gewesen war – und das war sie mit Sicherheit gewesen – und was hatte sich verändert, das nun zu ihrem Tod geführt hatte? „Rin ist tot?“ fragte er mit gefasster Stimme nach, obwohl er sich schon dachte, dass der Junge das wohl gut beurteilen konnte. Er scheute sich davor, selbst mit seinen Youkai-Sinnen nach dem Schlagen ihres Herzens zu lauschen. Tief in seinem Inneren wusste er sogar, dass er sich vor der Stille fürchtete, die er vernehmen würde, wenn er es tat. „Sie atmet nicht mehr.“ wiederholte der Junge. „Und ihr Körper wird schnell kälter.“ Rin war tot. Sesshoumaru wandte den Kopf und befahl Kohaku, Rin niederzulegen, ehe er Tenseiga zog. Er musste sie retten. Rin. Er konnte nicht zulassen, dass sie tot blieb. Sie musste leben. Und sie würde leben! Sesshoumaru rief Tenseigas Macht, doch das Schwert antwortete nicht. Es schwieg. Es reagierte nicht, und Sesshoumaru wusste auch, weshalb das so war. In Rins Nähe tummelten sich keine Diener der Unterwelt. Nicht eine einzige dieser niederen Kreaturen schlich sich hinterhältig und verschlagen zu Rin, beugte sich über sie und berührte sie mit dem Tod selbst. Er sah niemanden. Was hatte das nun zu bedeuten? War es… Rins Tod etwa endgültig? Nein! Das konnte nicht wahr sein! Sesshoumarus Atem stockte. Sein Herz setzte einige Schläge aus und verfiel dann kurze Zeit in einen unregelmäßigen Rhythmus. Seine Augen weiteten sich vor Schreck und Entsetzen, als er sich fragte, ob es wahr sein konnte, dass Rin für immer verloren war. Nein! Das durfte nicht wahr sein. Nicht Rin! Nicht die unschuldige Rin, die sich… auf ihn verlassen hatte, die ihn einmal versorgt hatte, obwohl er sie nicht darum gebeten hatte. Nicht das fröhliche Mädchen! „Warum, Tenseiga?“ fragte er stumm und verzweifelt sein Schwert. „Antworte mir!“ flehte er in Gedanken. Kapitel 135: ------------- Doch natürlich antwortete ihm niemand. Tenseiga schwieg weiter. Natürlich erfuhr er nicht, woran es lag, dass er Rins Leben nicht retten konnte. Natürlich sagte ihm niemand, warum das Mädchen hatte sterben müssen. „Vergebt mir, Sesshoumaru-Sama. Ich war bei ihr und trotzdem…“ meinte Kohaku traurig und blieb neben Rin sitzen. Sesshoumaru interessierte sich nicht für die Worte des Jungen. Er gab ihm nicht die Schuld an Rins Tod. Es war einfach nicht Kohakus Schuld, dessen war sich Sesshoumaru sicher, doch er konnte keine tröstenden Worte für den Jungen finden, auch wenn er noch sehr nach ihnen gesucht hätte. Nein, in ihm herrschten seine eigenen Gedanken – und die setzten ihm zu. Es war allein seine – Sesshoumarus – Schuld, dass Rin tot war. Niemals hätte er Rin mit sich nehmen dürfen. Niemals hätte er sie dieser Gefahr aussetzen dürften. Und dennoch: Wie oft hatte er es getan? Wie oft war sie wegen ihm in Gefahr gewesen? Wie oft hatte Naraku versucht, Rin als Waffe gegen ihn, Sesshoumaru, zu verwenden? Er hatte Rin nicht nur einmal gerettet, ja, doch mit welchem Recht hatte er sie mit sich genommen, als er sie das erste Mal von den Toten zurückgeholt hatte, nachdem sie von wilden Wölfen zerfleischt worden war? Hatte ihm diese Tat etwa das Recht gegeben, ihr Leben immer wieder einem Risiko auszusetzen? Wie hatte er so blind sein können und… die Augen davor verschließen können, dass das sterbliche Mädchen in einem Dorf der Menschen am besten aufgehoben war? Er war sich sicher, dass er ein Dorf oder eine Familie gefunden hätte, wenn er eine gesucht hätte. Eine Familie, die das Mädchen aufgenommen hätte. Rin könnte noch am Leben sein, wenn er nicht wäre. Nein. Kohaku hatte keine Schuld. Er allein trug die Schuld an Rins Tod. Niemand sonst, das wusste er nur zu gut – und es schmerzte unglaublich und raubte ihm beinahe den Verstand. Plötzlich näherte sich ein bedrohliches Geräusch aus der Düsternis und in ihr bewegte sich etwas. Obwohl Sesshoumaru Kohakus alarmiertem und angstvollem Blick aufmerksam folgte und ebenfalls in die Ferne spähte, erkannte er zu spät, worum es sich handelte: Es war die Dunkelheit selbst, die schwarze, undurchdringliche Dunkelheit, die sich bewegte, sich ausbreitete und schließlich über die legte, sodass Sesshoumaru nichts mehr sehen konnte. Als sich das Dunkel wieder etwas lichtete und schließlich verschwunden war, war Rins kleiner Körper mit ihr verschwunden. Die Dunkelheit hatte sie mit sich fortgerissen. „Nein!“ schoss es Sesshoumaru nur durch den Kopf. Er konnte das nicht akzeptieren! Er würde das nicht akzeptieren! Sesshoumaru nahm sofort die Verfolgung auf, doch er konnte sich nicht selbst täuschen. So entschlossen er auch war, Rin zurückzuholen, so musste er sich doch fragen, was er eigentlich tat. Glaubte er im Ernst, Jagd auf die Dunkelheit machen zu können? Hatte er Hoffnung, den Tod selbst zu fangen? Wenn Tenseiga jetzt schon schwieg, dann war es doch vergebens… Trotzdem schien er keine andere Wahl zu haben und diesem inneren Drang folgen zu müssen. Er wollte keine andere Wahl haben. Es ging um Rin, und wenn es auch nur irgendwie eine noch so kleine Chance gab, das Mädchen zu retten, dann würde er sie wahrnehmen. Er würde Rin nicht dem Tod überlassen. Koste es, was es wolle! Und wenn er den Wächter der Unterwelt selbst töten musste! Rin musste wieder leben. Sesshoumaru ging unbeirrt weiter durch die Unterwelt. Rins Geruchs war stärker geworden, somit wusste er, dass er auf dem richtigen Weg war. Das Angebot seiner Mutter, die Unterwelt zu verlassen, indem er das Trugbild ihres Palastes betrat, hatte er ausgeschlagen. Es kümmerte ihn nicht, dass sie ihm vorhergesagt hatte, dass er niemals in der Lage sein würde, das Totenreich zu verlassen, sollte er diese Gelegenheit nicht ergreifen. Es ging nicht um ihn. Kohaku hatte er die Möglichkeit gegeben, aber selbst der Junge hatte sich dafür entschieden, mit Sesshoumaru zu kommen, und weiter nach Rin zu suchen. Inzwischen vermutete Sesshoumaru, dass er den Grund dafür kannte, aus dem Kohaku noch am Leben war. Der Juwelensplitter musste ihn auf irgendeine Art und Weise beschützen. Doch das konnte er nicht einmal mit Gewissheit sagen. Nun tauchte vor Sesshoumaru und Kohaku ein dunkler Kreis auf, dessen Rand von einem flammend roten Schein umgeben war. Sesshoumaru drängte zügig nach vorne, da er nun ganz deutlich den Geruch des Todes wahrnehmen konnte, der immer stärker wurde und heftig und ungestüm gegen die empfindlichen Sinne des Youkai stieß. Ein unvermittelt aufgekommener Wind, dessen Ursprung Sesshoumaru nicht ausmachen konnte, verstärkte sein unbehagliches Gefühl, genauso sehr wie das Ungetüm, das vor ihm aufgetaucht war und in seiner rechten Klaue Rins leblosen Körper umklammert hielt. „Rin!“ rief Kohaku, während Sesshoumaru versuchte, sich einen Reim daraus zu machen, was er sah: Das Ungetüm. Rin. Den Kreis mit den umgebenden Flammen. Ein riesiger Berg von Leichen. Mehrere Berge eigentlich, die überall verteilt waren. „Ich vermute, das ist der Wächter der Unterwelt.“ entgegnete er, worauf sich das Ungeheuer bewegte. Ein Strudel im Kreis öffnete sich, und saugte viele der Leichen in sich auf. Sie betraten wohl endgültig die Unterwelt, wenn sie dort hindurch gezogen wurden, vermutete Sesshoumaru, gerade als Kohaku von einer starken Böe erfasst wurde. Sesshoumaru riss ihn zurück und setzte ihn unsanft wieder auf den Boden. „Bereite mir keine unnötigen Schwierigkeiten. Ich kann mich nicht davon ablenken lassen, für deine Sicherheit zu sorgen.“ sagte der Youkai und heftete seinen Blick auf das Ungetüm. Er würde nicht zulassen, dass Rin dasselbe Schicksal erlitt wie die anderen Leichen. Sie würde nicht eingesaugt werden! Und diesen Wächter… würde er töten. Vielleicht würde Rin dann wieder zum Leben zu erwecken sein. Entschlossen zog Sesshoumaru Tenseiga, schnellte hervor und zerteilte den Wächter der Unterwelt in der Mitte vom Scheitel bis zur Körpermitte. Das Wesen fiel mit einem ächzenden und grollenden Schrei auseinander, ließ Rin aus seiner krallenbesetzten Klaue fallen, sodass Sesshoumaru sie in der Luft mit seinem linken Arm auffing und gemeinsam mit ihr auf festem Boden landete. Es war still. Der Wind hatte sich gelegt. Um ihn und Rin türmten sich immer noch die Leichen, doch sie wurden nicht mehr eingesaugt. Der Strudel war geschlossen. Er hatte den Wächter besiegt. Das Leben konnte nun in Rin zurückkehren. „Rin, wach’auf!“ bat Sesshoumaru. „Rin!“ wiederholte er etwas lauter, doch es blieb still. Rin rührte sich immer noch nicht. Sie war immer noch kalt und starr und von der Hand des Todes ergriffen, die sie nicht loslassen wollte. Sesshoumaru bewegte sich ebenfalls nicht. Das konnte doch nicht sein! Er hatte den Wächter der Unterwelt getötet! Warum wachte dann also Rin nicht auf? Sollte es… nicht möglich sein? Konnte es… „Sie kann nicht gerettet werden?“ dachte er. Sesshoumaru ließ Tenseiga aus seiner Hand gleiten. Die Klinge des Schwertes bohrte sich in den erdigen Boden und blieb stecken, doch es war ihm egal. „Ich kann sie nicht retten?“ fragte er sich stumm. „Wieder nicht? Habe ich wieder versagt? Habe ich wieder jemanden nicht geschützt, den ich schützen wollte? Jemanden, der sich auf meinen Schutz verließ? Habe ich wieder jemandem dem Tod bereitet?“ Sesshoumaru musste einen verzweifelten Aufschrei mit aller Willenskraft zurückhalten. Erst Ayashi. Nun Rin, die seinen Schutz noch viel nötiger gehabt hatte. Er hatte Rins Leben einmal gerettet – und es wäre seine verdammte Pflicht gewesen, dies immer und immer wieder zu tun. Doch nun… hatte er sie getötet. Er schüttelte den Kopf und behielt Rin im Arm. Fassungslos blickte er auf sie hinunter, warf aber einen kurzen Blick auf Tenseiga und murmelte den Namen seines Schwertes. Es war ihm noch nie in seinem gesamten Leben so unwichtig erschienen. Was sollte das alles überhaupt? Das Schwert… Tenseiga. Das Erbe seines Vaters. „Ich ließ für dieses … Ding… in meiner Hand sterben.“ dachte er und stellte dann für sich in Gedanken fest: „Nichts könnte jemals den Verlust von Rins Leben wert sein!“ Nichts. Niemals. Sesshoumaru drückte Rins kraftlosen und leblosen Körper an seinen und presste fest die Zähne zusammen, um den Schmerz stumm ertragen zu können. „Vergib’ mir, Rin.“ bat er sie in Gedanken. „Es tut mir leid. Vergib’ mir.“ wiederholte er und spürte mit jeder Faser seines Körpers, dass er es so meinte. Plötzlich antwortete Tenseiga seiner Verzweiflung. Es schwang. Es pulsierte. Licht bildete sich um die Waffe, doch es schien aus ihr selbst zu entstehen und die Klinge zu durchdringen. Kleine Lichtpunkte schwebten von ihr aus und schwirrten um die Klinge und den Griff, breiteten sich langsam etwas weiter aus. Bewegung kam in die Leichen, als würden sie vom Schwert angezogen werden. Sie streckten ihre Hände nach Tenseiga aus. Sesshoumaru schloss für einen kurzen Moment die Augen. Sie alle sehnten sich also danach, erlöst zu werden? Von ihren Schmerzen. Von ihrem Leid. Von ihrem Kummer. Langsam kniete er sich mit Rin auf dem Arm zu Boden, griff nach seinem Schwert, zog es aus dem Boden und entfesselte die Macht des Schwertes, die er so rein und glänzend noch niemals zuvor gespürt hatte. Er wusste nicht genau, was mit dem Schwert geschehen war, dass es sich so gebärdete, doch er stellte fest, dass es auf eine Veränderung in seinem Besitzer reagierte, der nun etwas tat, was er die vergangenen Jahre für unmöglich gehalten hatte: Er teilte Tenseigas heilende, erlösende Macht mit denen, die sich so sehr nach ihr sehnten, und das einfach nur, weil er sie ihnen gewähren wollte, obwohl er selbst keinen Vorteil davon hatte. Ajisai beobachtete die Wandlung ihres Sohnes durch den Meido-Seki und wunderte sich sehr über ihn. Er hatte nicht nur jede Hilfe ausgeschlagen, die sie ihm angeboten hatte, sondern hatte das Mädchen über alles andere gestellt, das er vorher für so wichtig erachtet hatte. Nur so hatte er also Tenseigas wahre und volle Kraft entfesseln können. Er war ein bemerkenswerter Youkai, musste sie zugeben. Dennoch ließ sich Ajisai nichts von ihrer Verwunderung anmerken und verdrängte einen Anflug von mütterlichem Stolz auf den Youkai, den sie so wenig kannte. Der kleine Dämon irritierte sie bereits genug, da brauchte sie ihm nun nicht auch noch ihre Gefühle zu zeigen. Schließlich erklang Sesshoumarus Stimme, der die Technik der Meido Zangetsuha benutzte, um die Unterwelt zu verlassen. Bald erschien er mit seinen zwei Begleitern und trat durch die größer gewordene Öffnung. „Sesshoumaru-Sama!“ rief der Krötendämon erfreut, was Ajisai völlig ignorierte. „Du bist zurückgekehrt.“ stellte sie nur fest. Sesshoumaru sagte nichts, sondern bettete das tote Mädchen auf das Polster des Throns, erhob sich dann wieder und blickte seine Mutter an. Yaken kletterte zu Rin und setzte sich neben sie, während Sesshoumaru sie immer wieder aus den Augenwinkeln anblickte. „Wo liegt das Problem, Sesshoumaru?“ fragte Ajisai. „Du siehst bedrückt aus.“ Als Sesshoumaru nichts erwiderte, fügte sie hinzu: „Tenseiga ist stärker geworden, wie du es wolltest, und der Zugang zum Pfad in die Unterwelt hat sich geweitet. Solltest du dich jetzt nicht freuen?“ „Wusstest du, dass das mit Rin geschehen würde?“ wollte Sesshoumaru wissen, ohne auf ihre Bemerkungen einzugehen. „Du hast Tenseiga schon einmal benutzt, um das Mädchen wiederzubeleben, nicht wahr?“ wollte sie wissen, doch wieder sagte er nichts. „Tenseiga kann ein Wesen nur ein einziges Mal von den Toten zurückholen. Nicht öfter.“ fuhr sie fort. Sesshoumaru zuckte unmerklich zusammen. Daran lag es also. Er hatte Rin schon einmal vor dem Tod gerettet, indem er sie ihm im Nachhinein entrissen hatte. Doch wie hatte er wissen sollen? Er hatte über Tenseiga so vieles – eigentlich alles – erst später erfahren. Ja, er hatte immer erst zu spät erfahren, welche Möglichkeiten und Grenzen Tenseiga hatte. „Das ist doch nur selbstverständlich. Ein Leben ist nur als eine begrenzte Zeit vorgesehen. Das macht es ja gerade so wertvoll. Es ist keine Belanglosigkeit, die du beliebig oft retten oder verlängern kannst.“ fuhr Ajisai fort. „Sesshoumaru, hältst du dich etwa für einen Gott? Glaubtest du, du müsstest den Tod nicht fürchten, so lange du Tenseiga in den Händen hältst? Du musstest endlich den Wunsch, das Leben eines geliebten Wesens zu retten, kennen lernen, aber auch das Leid und die Angst, die den Verlust begleiten.“ Ayashi. Hatte er nicht genug unter ihrem Verlust gelitten, um Leid wirklich zu kennen? „Leid und Angst.“ wiederholte er die Worte seiner Mutter in Gedanken. Sesshoumaru war bisher der Meinung gewesen, dass das so war. Was hätte er in dieser Hinsicht noch lernen sollen? Leid und Trauer kannte er wirklich. Und auch den Wunsch, jemanden, den er liebte, zu schützen. Oder? Er gäbe auch nun noch alles darum, Ayashi wieder zurückzuholen. Und auch Rin. Doch meinte seine Mutter das auch wirklich mit ihren Worten? Jahrelang hatte er nach Ayashis Tod niemanden mehr an sich heran gelassen, sodass es ihn auch nicht schmerzen würde, sollte derjenige oder diejenige wieder aus seinem Leben treten. Rin hatte das geändert. Rin hatte von Anfang an hinter seine Fassade geschaut und sich nicht von seiner Kälte beeindrucken lassen. So hatte sie Stück für Stück einen Platz tief in seinem Inneren für sich beansprucht. „Dein Vater sagte, Tenseiga sei ein Schwert, um zu heilen. Du kannst es zwar als Waffe führen, aber du musst das Leben wertschätzen und ein mitfühlendes Herz haben, wenn du deine Feinde zurückschlägst. Das ist das, was für den erforderlich ist, der Tenseiga führt und die Techniken anwendet. Tenseiga ist ein Schwert, das einhundert Leben retten kann, während es gleichzeitig seine Feinde in die Unterwelt schicken kann.“ erklärte Ajisai und warf einen Blick auf Sesshoumarus dämonischen Begleiter, als Sesshoumaru nichts sagte. „Kleiner Dämon, weinst du?“ fragte sie erstaunt. „Sesshoumaru-Sama würde seinem Wesen nach niemals Tränen vergießen, also werde ich das an seiner statt tun.“ gab der Krötendämon unter Tränen zurück. „Du bist traurig, Sesshoumaru?“ wollte Ajisai wissen und wandte sich wieder Sesshoumaru zu, doch ihr Sohn blickte sie nur an, während seine Züge keinen einzigen seiner Gedanken verrieten. Ajisai zögerte einen Moment, als überlege sie, was sie tun oder sagen solle. Dann nahm sie ihre Kette ab, trat zu Rin und legte ihr diese um. Der Stein leuchtete auf und verbreitete eine weiße Energie, die hell erstrahlte und Rin umgab. „Das Licht…“ sagte Kohaku. „Es ist das Leben des kleinen Mädchens, das in der Unterwelt zurückgelassen wurde.“ erklärte Ajisai, während Sesshoumaru beobachtete, was weiter geschah, doch das Licht verschwand bald wieder. Und dann geschah das Unglaubliche: Rin öffnete langsam die Augen. Sesshoumaru glaubte, er sehe nicht richtig. Er glaubte zu träumen. „Rin!“ riefen sowohl Kohaku als auch Yaken. Rin hustete und ihr Husten riss Sesshoumaru aus seiner beobachtenden Starre. Er kniete sich zu ihr hinab, legte seine Hand an ihren Kopf und streichelte ihre Wange. Rin legte ihre Hand auf seine, und als sie seinen Namen murmelte und seine Hand drückte, lächelte Sesshoumaru flüchtig. „Jetzt ist alles wieder in Ordnung.“ versicherte er zärtlich. „Ja.“ entgegnete das Mädchen leise. Yaken wandte sich an Ajisai, doch Sesshoumaru hörte ihrem Gespräch nicht zu. Stattdessen half er Rin auf und brach bald mit seinen Begleitern auf. Rin war gerettet worden, und auch wenn er seiner Mutter nicht selbst danken würde, da sie seinen Schützling immerhin wissentlich der Gefahr ausgesetzt hatte, so wusste er, dass er ihr im Stillen sehr dankbar war. Ajisai hatte keine Veranlassung gehabt, dem Mädchen das Leben zurückzugeben – und doch hatte sie es wegen ihm, ihrem Sohn, getan. Dass Rin am Leben war und bald wieder fröhlich um ihn herum springen und lachen würde, erfüllte Sesshoumaru tief in seinem Inneren mit einem unglaublich großen Glücksgefühl. Dennoch erkannte er in diesem Moment, dass er früher oder später seine Konsequenzen aus diesen Geschehnissen ziehen musste. Irgendwann würde es einen Abschied von Rin geben müssen, da ihr Platz einfach nicht bei ihm war. Wenn der Kampf gegen Naraku vorbei war, sollte es soweit sein, entschloss er bei sich. Dann sollte sie das weitaus ungefährlichere Leben bei den Menschen kennen lernen, das sie kennen musste, damit sie sich später vielleicht selbst entscheiden konnte, wo sie leben wollte. Sesshoumaru wusste, dass er Rin diese Entscheidung nicht nehmen durfte, indem er sie zu lange bei sich behielt, bis sie gar nicht mehr zurückkehren konnte. Kapitel 136: ------------- Die Zeit verging, ohne dass sich für Ayashi irgendetwas geändert hätte, doch irgendwann war der Augenblick gekommen. Sie fühlte es. Sie fühlte, dass die Welten ruhig und friedlich wurden. Sie wusste intuitiv, dass die Grenzen zwischen den Welten nun nicht mehr aufreißen würden. Sie wusste, dass sie die Grenze nicht mehr bewachen musste. Das Juwel hatte seine Hüterin gefunden. Doch wie konnte sie sich so sicher sein? Woher nahm sie diese Gewissheit? Kodachi blickte ihre Tochter fragend an, doch stellte ihr keine Fragen. Spürte sie es auch? Konnte das denn wirklich sein?, fragte sich Ayashi. „Kann es… möglich sein, dass ich gehen darf?“ brachte Ayashi schließlich leise und ungläubig hervor. Es war nicht so, dass sie gerade den letzten Dämon zurückgedrängt hatte. Es war nicht so, dass sie sich ein letztes Mal bewiesen hatte. Sie hatte keinen Endkampf bestritten. Nichts hatte das Ende ihrer Aufgabe eingeläutet. Es war einfach gekommen. Leise. Still. Unvorhergesehen. „Ich denke, du weißt, was du fühlst.“ entgegnete Kodachi und lächelte ihre Tochter an. Sie freute sich für sie, doch sie war auch ein wenig traurig. In den letzten Jahren und Jahrzehnten… vielleicht sogar Jahrhunderten … hatte sie jedoch ihre geliebte Tochter für sich gehabt. Es war nur gerecht, dass sie jetzt zu ihren Lieben zurückkehrte. Zu Kataga. Zu ihrer Schwester. Und letztendlich auch zu Sesshoumaru, ihrem Gefährten. „Es macht dich traurig, nicht wahr?“ wollte Ayashi wissen. Kodachi nickte, doch lächelte weiter. „Ich gönne dir von Herzen, dass du jetzt wieder glücklich werden kannst. Ich freue mich sehr für dich.“ „Es macht mich auch traurig zu gehen, aber ich… werde dich doch wahrnehmen können, oder?“ fragte Ayashi. „Ich weiß es nicht, aber das ist doch auch nicht wichtig. Wir haben uns kennen gelernt – und das war in gewisser Hinsicht mehr als ich je erwartet hatte.“ erwiderte Kodachi, während sie Ayashi sanft über die Wange strich. „Ja, ich hätte es auch niemals für möglich gehalten, Mutter.“ stimmte Ayashi zu. Es stimmte. Sie hatte ihre Mutter wirklich kennen gelernt, auch wenn es spät in ihrem Leben und nicht als Kind gewesen war. Es bedeutete ihr etwas – und sie wusste, dass sie das niemals verlieren würde. Trotzdem traten ihr die Tränen in die Augen, denn ein Abschied war und blieb es dennoch. Sie redete sich ein, dass sie nicht traurig sein musste. Sie versuchte, sich davon zu überzeugen, dass doch jetzt endlich der Augenblick gekommen war, den sie so sehr und lange ersehnt hatte. „Ich wollte immer von hier weg und in mein altes Leben zurück. Und jetzt, wo der Moment gekommen ist, fühlt es sich dennoch nicht richtig an.“ flüsterte Ayashi, doch Kodachi schüttelte den Kopf. „Es wird sich richtig anfühlen, wenn Sesshoumaru dich in seine Arme schließt. Du wirst keine Zweifel mehr haben, wenn Kataga und Ayame außer sich vor Freude sind.“ entgegnete Kodachi. Ayashi nickte. Ihre Mutter hatte bestimmt Recht. Wie sollte es anders sein? Sie musste einfach Recht haben. „Aber was, wenn… Sesshoumaru mich nicht mehr…“ „Ayashi, bitte rede keinen Unsinn! Sesshoumaru? Dich nicht mehr lieben? Das glaubst du doch selbst nicht!“ unterbrach Kodachi ihre zweifelnde Tochter, die daraufhin den Kopf schüttelte. Nein, das glaubte sie wirklich selbst nicht. Egal wie lange sie voneinander getrennt gewesen waren, war das, was sie mit Sesshoumaru geteilt hatte, größer und stärker als die Zeit. Wenn er auch nur noch einen Bruchteil des Gefühls empfand, das Ayashi immer noch für ihn hegte, so war das bereits genug, sie wieder in die Arme zu schließen und unendlich froh zu sein, sie nicht mehr entbehren zu müssen. Eine Weile sagten Ayashi und Kodachi nichts, sondern sahen sich nur an. Ayashi ließ die vielen Kämpfe noch einmal durch ihre Erinnerung durchlaufen und lächelte flüchtig, als sie sich daran erinnerte, dass sie Ajisai hatte gehen lassen. Nun würde sie selbst wieder an Sesshoumarus Seite sein. Bald zumindest, korrigierte sie sich in Gedanken. „Ihr solltet Euch voneinander verabschieden.“ drang Heiwa-Sens tiefe Stimme ohne Vorwarnung aus dem Nichts hervor, weshalb Ayashi und Kodachi zusammenzuckten. Kodachi schloss Ayashi sofort in ihre Arme und flüsterte an ihr Ohr: „Ich wünsche dir alles Gute.“ „Ich danke dir. Ich werde dich vermissen.“ entgegnete Ayashi und ließ sich widerwillig von ihrer Mutter ein Stückchen zurückschieben, damit diese sie ansehen konnte. „Das musst du nicht. Du wirst einen Teil von mir immer in dir tragen, jetzt da du mich kennst.“ versicherte sie. Ayashi wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, also nickte sie nur. Sie sah, dass Kodachi einige Schritte von ihr zurücktrat und ihr aufmunternd zulächelte. „Was geschieht nun?“ fragte Ayashi Heiwa-Sen, an dessen gestaltlose Anwesenheit sie sich wohl niemals so richtig gewöhnen konnte. „Ich werde dich in deine Zeit zurückschicken. Dein Leben, aus dem du so jäh gerissen wurdest, wird genau zu dem Zeitpunkt für dich wieder beginnen.“ „Wie?“ wollte Ayashi wissen, doch Heiwa-Sen lachte nur leise. Ayashi verstand nicht. Er würde sie in die Ebene zurückschicken? Zum Augenblick des Kampfes? Sollte sie ihren damals letzten Kampf noch einmal bestreiten, und nun siegen, da er ihre Kräfte nicht blockierte? „Ich bin der Herr der Zeit. Lass’ das meine Sorge sein.“ entgegnete er. Im nächsten Moment fühlte Ayashi, wie ein warmer Windhauch aufkam, der immer stärker wurde, bis seine Energie sie gänzlich einhüllte. Sie spürte sie Macht und Kraft um sich und auch in sich. „Das Juwel ist in dem auserwählten Mädchen aktiviert worden. Du kannst nach Hause zurückkehren.“ sagte er. Ayashi wunderte sich darüber, dass er das sagte. Warum sprach er, der so wenige Worte machte, und schon gar nicht oft etwas erklärte, Worte aus, die ihr einen Sachverhalt erläuterten, den sie längst begriffen hatte. Sie verstand nicht. Unsicher blickte sie zu ihrer Mutter – und in deren entsetztes Gesicht. „Nein!“ rief Kodachi. „Nein, das kannst du nicht tun!“ Ayashi wurde panisch. Wieso reagierte ihre Mutter so? Was konnte Heiwa-Sen nicht tun? Was? Was geschah mit ihr? Was tat er mit ihr? Die Sicht vor ihren Augen verschwamm. Sie verlor das Gefühl für jegliche Richtungen und wusste nicht einmal, wo oben und unten war. Die Energie riss an ihr und ließ sie das Gleichgewicht verlieren. „Was ist? Was tut er? Was tut er mit mir? Mutter!“ rief Ayashi laut, doch Kodachi antwortete ihr nicht. Konnte sie sie nicht mehr hören? Ayashi kämpfte gegen Heiwa-Sens Macht an, doch es war zwecklos. Der Sog war zu stark und sie fühlte, wie sie fiel und von der Energie gnadenlos mitgerissen wurde. „Kodachi! Was macht er?!“ rief sie noch einmal verzweifelt, doch nicht Kodachi, sondern Heiwa-Sen antwortete ihr. „Du hast meine Befehle missachtet.“ donnerte er. „Das stimmt nicht!“ widersprach Ayashi wütend. „Ist dein Gedächtnis so schlecht? Ajisai hast du nicht daran gehindert, in die Welt der Lebenden zurückzukehren.“ „Das war…“ begann sie, doch kam nicht weit. „Es war gegen meine Anweisungen und es ist nicht entschuldbar!“ fuhr Heiwa-Sen sie an. Ayashi sagte nichts, da ihre Stimme versagte. Sie wollte schreien. Sie wollte ihn anschreien und verwünschen, doch sie fand nicht die Kraft dazu. „Nun brauche ich dich nicht mehr, Ayashi, doch hab’ keine Angst: Töten werde ich dich nicht. Ich habe mir eine andere Strafe ausgedacht. Eine Strafe, die ich dir noch zukommen lasse, da es nur gerecht ist, dass du für deine Unvorsicht und Eigenmächtigkeit zahlst.“ „Bist du so rachsüchtig? Eine ziemlich niedere Charaktereigenschaft!“ warf ihm Ayashi mit letzter Kraft vor. „Es geht mir um das Gleichgewicht, Ayashi, aber du hast nichts begriffen! Wie solltest du auch? Eine Youkai wie du?“ erwiderte er. Ayashi kochte vor Wut. Hatte sie nicht sonst alle seine Befehle ausgeführt? „Ich verabscheue dich!“ presste sie zwischen den Zähnen hindurch. „Du bist bald von mir erlöst. Ich kenne dich von nun an nicht mehr. Und ich entlasse dich aus jeder Pflicht mir gegenüber. In dein Leben mische ich mich nie wieder ein. Das ist doch, was du wolltest.“ Ayashi schloss die Augen. Sie wusste nicht, was sie zu erwarten hatte, doch sie wusste, dass sie nicht mehr die Kraft hatte, sich der Energie länger zu widersetzen. Sie gab auf. Und ließ sich davontragen. Von weiter Ferne hörte sie noch die Stimme ihrer Mutter nach ihr rufen. „Nein! Ayashi! Such’ die Brücke… zwischen dir und Sesshoumaru. Hörst du? Es gibt eine Verbindung zwischen euch! Ein Ort, an dem ihr beide…“ Dann hörte sie nicht nichts mehr, doch es schien nicht wichtig zu sein. Der Strudel riss sie endgültig mit sich fort. Selbst die Worte, die sie gehört hatte, verstand sie nicht, da sie keinen Sinn für Ayashi ergaben. ________ So, ihr Lieben! Die Geschichte Ayashi neigt sich dem Ende zu. Insgesamt werden es wohl 140 Kapitel, d.h. euch erwarten nun noch vier Kapitel, dann habt ihr es geschafft. *g* Liebe Grüße! Elena/Laurea. Kapitel 137: ------------- Ayashi kam wieder zu sich und stellte fest, dass sie in einem weiß bezogenen Bett lag, dessen Matratze mehr als unbequem war. Langsam öffnete sie die Augen einen Spalt und blinzelte in grelles, elektrisches Licht. Ein nervtötender, aber durchaus regelmäßiger Piepton war das einzige, das sie einen Moment lang hören konnte. Dann drangen noch weitere Geräusche zu ihr durch. Der dumpfe Lärm von Autos, Bussen und LKWs auf einer Straße, die sehr weit unter ihr liegen musste. Schritte auf einem Flur vor ihrem Zimmer. Das Knarren eines Bettes im Nachbarzimmer. Rauschen von Wasser durch Leitungen in der Wand. Das Klappern von Geschirr auf dem Gang. Das ratternde Rollen eines Wagens mit kleinen Rädern an ihrer geschlossenen Zimmertür vorbei. Wo war sie? Desorientiert wollte sich Ayashi die Augen reiben oder an die Stirn fassen, doch etwas ziepte an ihrem Handrücken, als sie die Hand hob, weshalb sie einen flüchtigen Blick nach unten warf. Eine Infusionsnadel. Das erklärte einiges. Zumindest die Frage, wo sie war. Krankenhaus. Ayashi schauderte unwillkürlich, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, jemals Angst vor Krankenhäusern oder Ärzten gehabt zu haben. Erst jetzt bemerkte Ayashi, dass an ihrem linken Zeigefinger irgendeine Plastikding befestigt war, das sie ein wenig störte. Ein photoelektrisches Pulsmessgerät, schoss es Ayashi durch den Kopf, obwohl sie nicht ganz verstand, woher sie das wusste. Sie war verwirrt, schob es aber auf die Umstände, die ihr so unklar waren. Wenn sie ruhig blieb, würde sich schon alles klären. In der Tat erschloss sich Ayashi nach einer Weile auch das Pieps-Geräusch: Es gab ihren Herzschlag wieder. Was war geschehen? Was hatte sie ins Krankenhaus gebracht? Sie erinnerte sich nicht. Auch wenn sie sich noch so sehr anstrengte. Das letzte, an das sie sich erinnerte war das Zusammentreffen mit Nobutada Sanada… Sie hatte ihn doch wirklich getroffen, oder? Hatte er etwas zu ihr gesagt? Hatte sie mit ihm gesprochen? Was war danach geschehen? Oder täuschte sie sich? Hatte sie ihn sich gerade nur eingebildet? War er überhaupt nicht da gewesen? Noch während Ayashi herauszufinden versuchte, welche Umstände sie ins Krankenhaus gebracht hatten, wurde die Tür vorsichtig geöffnet und eine Schwester kam herein. Sie trug ein kleines Tablett vor sich und einen neuen Infusionsbeutel und achtete dabei überhaupt nicht auf Ayashi. Sie trat ans Bett, ließ ihren Blick nun wie beiläufig über Ayashi streifen – und erschrak fürchterlich, was auch Ayashi zusammenzucken ließ. „Oh, mein Gott!“ murmelte sie, tastete nach einem roten Knopf über Ayashi in der Wand, der wohl einen Arzt herbeirufen sollte, und schüttelte immer wieder den Kopf, bis sie schließlich herausbrachte: „Wie geht es dir? Hast du Schmerzen?“ Ayashi schüttelte nur den Kopf. Sie fühlte sich nicht so schlecht. Vielleicht ein wenig matt, doch ansonsten konnte sie sich nicht beklagen. Nun, bis auf die Tatsache, dass sie immer noch nicht wusste, warum sie hier war. Und… Ayashi runzelte die Stirn ein wenig. Noch etwas anderes war seltsam: Sie fühlte sich, als herrsche eine unendliche Leere tief in ihr. Es war, als fehle etwas, von dessen Existenz sie überhaupt nichts wusste - und das konnte sie sich überhaupt nicht erklären. Nicht einmal zwei Minuten später stand ein Arzt mittleren Alters im Zimmer, der ans Bett trat, und Ayashi ungläubig ansah. „Ich bin Dr. Masamori. Kannst du mich verstehen?“ wollte er wissen, worauf Ayashi erst einmal einen Blick zur Schwester, und dann wieder zum Arzt warf. „Ich …“ begann sie, doch ihre Stimme war nicht zu hören. Sie zog eine Augenbraue hoch, konzentrierte sich mehr, räusperte sich und setzte noch einmal an: „Ja.“ brachte sie schließlich beim zweiten Versuch heraus, doch ihre Stimme klang heiser und war nur leise. „Das ist ein Wunder!“ flüsterte die Schwester, worauf der Arzt seine Unterlagen auf dem Nachttisch ablegte, eine kleine Taschenlampe zückte und Ayashi in die Augen leuchtete. Ayashi zuckte zusammen, gab ein widerwilliges Geräusch von sich und presste die Lider fest zu. Spinnte der? „Entschuldige, Ayashi. Ich hätte dich vorwarnen sollen.“ Sehr richtig, dachte Ayashi. „Bitte, lass’ mich noch einmal die Reaktion deiner Pupillen kontrollieren.“ bat er, doch Ayashi schüttelte den Kopf. „Schwester Nanami, informieren Sie bitte sofort ihre Eltern, damit sie hierher kommen.“ Ayashi öffnete ihre Augen wieder einen Spalt und sah, dass die Schwester mit eiligen Schritten den Raum verließ. Der Arzt hatte die Taschenlampe noch immer griffbereit, was Ayashi nicht sonderlich behagte, doch sie sah ein, dass er nur seine Arbeit machte, weshalb sie den Blick zu ihm wandte. „Was bringt das?“ fragte Ayashi und wies mit einer vagen Kinnbewegung auf die Taschenlampe, und richtete sich ein wenig weiter auf. „Ich werde dir in ein Auge leuchten, um festzustellen, ob sich dann beide deiner Pupillen verengen. Damit kann ich Hirnschäden ausschließen und feststellen, ob die Verschaltung deiner Sehnerven und Nerven, die die Iris zusammenziehen, richtig ist.“ Ayashi nickte kurz. Wieder leuchtete Dr. Masamori in Ayashis Augen und nickte schließlich zufrieden. „Können wir noch etwas versuchen?“ fragte er, nachdem er etwas in seine Unterlagen eingetragen hatte. „Natürlich. Ich fühle mich gut.“ meinte sie, worauf er sie doch ein wenig seltsam anblickte. „Kannst du versuchen, dem Lichtpunkt auf der Wand mit deinen Augen zu folgen? Ich möchte sehen, ob du…“ begann er und bewegte schon die Taschenlampe so, dass der kleine helle Fleck langsam über die Wand schlich. „… fokussieren kannst.“ Ayashi heftete ihren Blick auf den Punkt und folgte ihm ohne Anstrengung. Was wollte er damit beweisen? Dass sie etwas, das die Geschwindigkeit einer Schnecke besaß, nicht aus den Augen verlor? Der Arzt bemerkte, dass Ayashi keine Probleme mit seiner zu leichten Aufgabe hatte, ließ den Punkt schnell verschwinden und an einem anderen Ort wieder auftauchen, doch Ayashi hatte den Punkt gleich wieder fixiert. „Bemerkenswert.“ flüsterte er, schob die Taschenlampe in die Brusttasche seines Kittels zurück und notierte sich etwas auf das Krankenblatt, das er anschließend an sich nahm. „Dein Sehen ist nicht beeinflusst. Schäden am Hirn kann ich ausschließen. Deine Reaktionen sind ebenfalls sehr gut. So gut, als seien sie überhaupt nicht in Mitleidenschaft gezogen worden.“ „Darf ich etwas fragen?“ wollte Ayashi wissen und fand, dass ihre Stimme schon viel besser klang. „Sicher.“ entgegnete Dr. Masamori und klappte die Krankenakte zu, klemmte sie unter den Arm und sah Ayashi an. „Was ist passiert? Warum bin ich hier?“ fragte Ayashi endlich. „Du hattest einen Unfall. Ein Mann hat dich mit dem Auto angefahren.“ erklärte der Arzt vorsichtig, um seine Patientin nicht zu erschrecken. „Wieso kann ich mich nicht erinnern?“ wollte sie wissen. „Das ist nicht ungewöhnlich, keine Sorge. Du wirst dich bald erinnern, vielleicht nicht morgen oder übermorgen, aber die Erinnerung kommt bestimmt wieder.“ „Wie lange bin ich schon hier?“ „Vier Monate.“ gab der Arzt nur widerstrebend Auskunft. „Vier Monate?!“ rief Ayashi entsetzt, richtete sich schnell auf, sodass sie überhaupt nicht mehr an die Kissen gelehnt war, worauf der Arzt eine beschwichtigende Geste machte, die Ayashi aber nicht zurückhielt. „Das ist noch nicht… Ihr Ernst!“ „Du lagst im Koma. Es grenzt an ein Wunder, dass du wieder erwacht bist. Und noch dazu in einem solch gesunden Zustand.“ Koma? Koma?! Sie fühlte sich nicht im Geringsten so, als sei sie gerade aus dem Koma erwacht. Nun, wieso eigentlich nicht? Sie hatte keine Ahnung, wie man sich zu fühlen hatte, wenn man gerade aus dem Koma erwacht war. Das war einfach zu unglaublich. Koma… „Wann kann ich also nach Hause?“ drängte Ayashi, als sie wieder Worte fand. Dr. Masamori schüttelte leise lachend den Kopf, warf einen kurzen Blick durch das große Fenster im Krankenzimmer, ehe er sich wieder Ayashi zuwandte. „Es geht dir zwar sehr gut, aber ich möchte dich noch einige Tage zur Beobachtung hier behalten. Ich möchte sicher gehen, dass wirklich alles in Ordnung ist.“ meinte er, doch Ayashi war wenig glücklich darüber. „Deine Eltern müssten bald hier sein. Wieso ruhst du dich bis dahin nicht noch ein wenig aus?“ schlug Dr. Masamori vor und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen. „Ja, meine Eltern…“ begann Ayashi, ließ den Satz aber unbeendet, sank auf das Kissen zurück und behielt für sich, dass sie keinerlei freudige Aufregung und tiefe Verbundenheit empfand, wenn sie an Yoko und Taka dachte. Sie musste kurz eingeschlafen sein, denn als die Tür erneut aufging, erwachte sie. Die Menschen, die das Zimmer betraten, näherten sich ihr, als sei sie ein scheues Tier, das sie nicht aufschrecken wollten. Ayashi wäre es am liebsten gewesen, sie wären wieder gegangen. „Sie ist tatsächlich wach… Oh, Yoko, sieh’ doch!“ sagte Taka, als könne Ayashi sie nicht hören. „Ja, ich bin wach.“ gab Ayashi zurück und blickte ihren Eltern entgegen. Warum regte sich nichts in ihr? Warum freute sie sich nicht, die beiden wieder zu sehen? Warum freute sie sich nicht mit ihnen, die sich so offensichtlich freuten, dass es ihr gut ging? Es waren doch ihre Eltern! Yoko und Taka traten näher, strahlten, doch wussten nicht recht, was sie sagen sollten. Ayashi kam ihnen zuvor, als sie das lächelnde Schweigen nicht mehr ertragen konnte: „Es geht mir gut. Der Arzt sagt, ich muss nur noch einige Tage hier bleiben, dann kann ich nach Hause.“ Nach Hause. Irgendwie beschlich sie das seltsame Gefühl, dass es hier kein Zuhause für sie gab. Es schien alles so weit weg. So, als gäbe es hier für sie nichts, das wirklich irgendetwas für sie bedeutete. „Ayashi, ist wirklich alles in Ordnung?“ wollte Yoko wissen, der sie beobachtet hatte, und nicht sonderlich überzeugt schien. „Ja, ich bin nur noch… etwas müde. Und…“ entgegnete Ayashi, sprach aber nicht weiter, da Taka sie unterbrach: „Das ist doch selbstverständlich. Du musst erst einmal richtig gesund werden, und dann ist alles wieder gut.“ Ayashi nickte und zwang sich zu einem Lächeln, als Taka unter Freudentränen meinte, wie unglaublich froh sie seien, dass sie wieder erwacht sei. Yoko legte seiner Frau den Arm um die Schultern und beruhigte sie, warf einen Blick zu Ayashi und nickte ihr zu. Ayashi schloss die Augen und wünschte sich, das alles einfach nur hinter sich lassen zu können. Sie war so unendlich müde. Kapitel 138: ------------- Einige Tage später konnte Ayashi nicht einmal mehr erahnen, dass sie sich vor so kurzer Zeit schwach und matt gefühlt hatte. Es schien ihr, als habe sie sich von einer anstrengenden Reise ausgeruht, und nun fühlte sie sich wieder völlig hergestellt. Nur das seltsame Gefühl herrschte noch tief in ihr. Ein Gefühl, dass ihr etwas fehlte. Ein Gefühl, das ihr klar machte, dass sie keine Verbundenheit zu irgendetwas in ihrer Umgebung empfand. Es war ein Gefühl, das keine Ruhe ließ, wenn sie es nicht eisern und stur ignorierte, was sie gerade tat, als sie ihre Sachen aus dem Krankenzimmer in die Tasche packte, die Taka ihr am vorigen Tag mitgebracht hatte. Sie war nicht einmal mehr wackelig auf den Beinen, also was sollte dieses störende, an den Nerven zerrende Gefühl, das sie nicht verstand? Heute wurde sie entlassen. Heute begann ihr Leben in der Welt der Gesunden, der Lebendigen. Sie war lange genug davon ausgeschlossen gewesen. Heute schloss sie mit diesem Unfall und allem, was damit zusammenhing ab. Ein für alle Mal. Heute wollte sie fröhlich sein. Sie hatte doch allen Grund dazu! Ayashi atmete tief durch, legte den Kopf einen kurzen Moment in den Nacken und hielt inne. Taka und Yoko würde sie nicht sagen, was sie dachte oder empfand. Sie war der Meinung, dass es die beiden nichts anging, und sie wollte auch generell nicht darüber reden. Es würde sie sowieso niemand verstehen, unkte eine Ahnung in ihr, nach der sie auch handeln wollte, wobei sie sich sicher war, dass sich dieses Gefühl bald legte. „Bist du soweit?“ fragte Yoko, der nach einem leisen, kurzen Klopfen vorsichtig den Kopf zur Tür hereinstreckte. „Ja, gleich.“ gab Ayashi zurück. Obwohl sie etwas erstaunt darüber war, dass sie weder das Klopfen gehört noch erschrocken war, als ihr Vater… Stiefvater das Wort an sie gerichtet hatte, legte sie ihre Haarbürste als letztes in die Tasche als ob nichts wäre, zog den Reißverschluss zu und nahm die Tasche über die Schultern. „Lass’ doch. Ich mach’ das schon!“ sagte Yoko, eilte zu ihr und nahm einer verdutzten Ayashi die Tasche ab. „Das … ist aber nicht nötig. Der Arzt hat offiziell bestätigt, dass er mich guten Gewissens entlässt. Ich bin gesund. Ihr solltet euch also gar nicht erst angewöhnen, mich wie ein rohes Ei zu behandeln.“ kommentierte sie sein Handeln, doch er winkte nur ab. „Du lagst bis vor kurzem noch im Koma.“ bemerkte er, worauf Ayashi nachdenklich nickte. „Ich möchte so schnell wie möglich wieder in die Schule. In meine alte Klasse. Ich will kein ganzes Jahr verlieren.“ meinte sie, während sie das Zimmer verließen und auf den Fahrstuhl warteten, da Ayashi ihre Entlassungspapiere bereits unterschrieben hatte und sie so schon gehen konnten. „Den versäumten Unterrichtsstoff kann ich bestimmt in Zusatzkursen oder Wochenendstunden nachholen.“ fuhr sie fort. „Ayashi…“ „Bitte, Yoko. Wie oft soll ich noch sagen, dass es mir gut geht?“ „Ich finde nur, du solltest es langsam angehen lassen.“ „Das finde ich nicht.“ widersprach Ayashi, betrat den Lift und fuhr mit ihm nach unten. Sie verließen gemeinsam das Krankenhaus und Yoko fuhr Ayashi nach Hause, wo Taka sie bereits mit einem frisch zubereiteten Festessen erwartete. Taka war genauso wenig begeistert von Ayashis Vorschlag, möglichst bald wieder in die Schule zu gehen, wie es Yoko gewesen war, doch Ayashi setzte ihren Kopf beim Essen hartnäckig durch, indem sie immer nur dieselbe Argumente hervorbrachte: Erstens ging es ihr soweit wieder gut, dass sie sich nicht mehr schonen musste. Zweitens wollte sie nicht mehr Zeit verlieren, denn sie brauchte ja nur noch dieses und das nächste Jahr beenden, dann konnte sie ihren Abschluss machen. Drittens wurde die Wiederaufnahme des Unterrichts immer schwieriger, je länger sie damit wartete. Viertens wollte sie unbedingt in ihre alte Klasse zurück, in der auch ihre Freundinnen Yukiko, Suki, Aoko und Minami waren. Fünftens wollte sie ihr Leben wieder in die eigene Hand nehmen – und die Schule würde ihr das Gefühl geben, wirklich etwas zu tun. Ayashi wusste, dass sie ihre Stiefeltern damit erweichen konnte, also setzte sie einen flehenden Blick auf, worauf Taka schließlich als erste zustimmte, und dann auch Yoko nickte. „Ich finde es zwar immer noch keine so gute Idee, aber gut… Wenn Taka auch meint, dass du deinen Willen haben sollst, dann … gut.“ meinte er abschließend zu diesem Thema, worauf Ayashi zufrieden lächelte. Yoko erzählte eine Weile von der Arbeit. Ayashi konnte sich an viele der Namen der Kollegen nicht erinnern, doch ließ sich nichts anmerken, da der Arzt ja gemeint hatte, dass ihr Erinnerungsvermögen bald zurückkommen würde. Sie nickte nur ab und zu und hörte interessiert zu. Taka berichtete später über ihre neue, blühende Freundschaft mit der Nachbarin Rumiko Higurashi, an die sich Ayashi noch erinnerte. Sie unternahm viel mit der zweifachen Mutter. „Habt ihr eigentlich Yukiko oder Suki Bescheid gegeben, dass ich… nun, ja, ihr wisst schon.“ fragte Ayashi nach einem Augenblick des Schweigens. Yoko und Taka blickten sich an, dann nickte Taka, ehe sie meinte: „Die Mädchen haben dich oft im Krankenhaus besucht. Sie wollten kommen, als ich ihnen Bescheid gegeben habe, aber… nun, wie soll ich sagen? Ich hielt es für das Beste, wenn du den Zeitpunkt selbst bestimmst.“ „Gut, danke.“ entgegnete Ayashi, trank einen Schluck aus ihrem Glas und schielte zum Telefon. „Kann ich…?“ begann sie, worauf Yoko sofort nickte. Ayashi stand auf, schob den Stuhl an den Tisch und nahm das Telefon mit nach oben in ihr Zimmer, in das sie bisher nur ihre Tasche gebracht hatte. Sie würde später auspacken, dachte sie, während sie sich auf das Bett fallen ließ und sich überlegte, welche ihre Freundinnen sie anrufen sollte. Ayashi hatte sich für Yukiko entschieden, da sie ihre Nummer sicher auswendig wusste, und sie zu müde gewesen war, noch einmal vom Bett aufzustehen, um ihre Telefonliste mit allen Nummern ihrer Klassenkammeraden von ihrer Pinnwand über ihrem Schreibtisch zu holen. Yukiko war auch die Freundin, die am meisten in sich ruhte und besonnen war. Ayashi hatte gewusst, dass sie nicht durchdrehen würde, wenn sie sich meldete. Yukiko hatte ohne große Gegenfragen Ayashis Fragen beantwortet, doch nun, da sie Ayashi über den Unterrichtsstoff auf den neusten Stand gebracht hatte, meinte sie: „Hast du dir das wirklich gut überlegt? Du könntest doch mit Sicherheit noch einige Tage oder sogar Wochen … blau machen.“ „Ich glaube, ich habe mich lange genug ausgeruht.“ lachte Ayashi und fügte hinzu: „Im Ernst, ich habe das Gefühl, dass ich etwas tun muss. Ich fühlte mich unruhig. Da gibt es so viel überschüssige Energie, die ich irgendwie einsetzen muss.“ „Hm, wenn du meinst, dass du dafür in die Schule musst… Bitte.“ gab Yukiko amüsiert zurück und fuhr fort: „Wie hast du vor, den Stoff nachzuholen?“ „Ich werde auf jeden Fall eines dieser Nachhilfeinstitute besuchen. An den Wochenenden und nach der Schule, aber ich habe gehofft, dass ich vielleicht bei Heiji ein bisschen Unterstützung in Physik und Mathematik bei Kenjiro in Chemie bekommen könnte. Das waren schon immer die Fächer, in denen ich mehr als in allen anderen machen musste.“ „Heiji, hm…? Kenjiro?“ hakte Yukiko nach, wobei sie das Lächeln in ihrer Stimme nicht ganz verbergen konnte. „Sie sind die besten in unserem Jahrgang.“ gab Ayashi etwas verwirrt zurück. „Nun, zumindest diejenigen, die am besten aussehen.“ „Habe ich etwas Wesentliches verpasst?“ wollte Ayashi wissen, da ihr nicht geläufig war, dass ihre Freundinnen und sie jemals irgendwelches Interesse an Kenjiro oder Heiji gezeigt hatten. Natürlich konnte sich das geändert haben. Ayashi war längst nicht mehr auf dem Laufenden, doch sie hatte ihre Freundinnen nicht so… schwärmerisch und aufgeregt in Erinnerung, dass sie kreischend und nervös einen oder mehrere Jungen verfolgten und mit hochrotem Gesicht kein Wort herausbrachten, wenn sie tatsächlich angesprochen wurden. Ging ihre Fantasie mit ihr durch? So konnte es doch nicht sein, oder? „Suki. Und Minami.“ sagte Yukiko nur, lachte kurz und fügte hinzu: „Tu’ mir einen Gefallen und schließ’ dich ihren Schwärmereien nicht an. Wenn du zurückkommst, haben Aoko und ich – der geistig noch zurechnungsfähige Teil unserer Clique – ein wenig Unterstützung.“ „Klar, ich geb’ mir Mühe… Nein, ich verspreche es, dass ich mich nicht den geistig Unzurechnungsfähigen anschließe. Sind sie sich wenigstens einig, wer für wen schwärmt?“ „Nein, das scheint auch nicht wichtig zu sein. Sie machen das eher gemeinsam. Ich vermute ja, dass sie sich nicht entscheiden können, und selbst wenn sie es könnten, würde das auch überhaupt keinen Unterschied machen. Und wenn sie es könnten, würde das auch nichts ändern. Kenjiro und Heiji sind so… beschäftigt, da sie ja schon ganz genaue Zukunftspläne haben. Sie bekommen von ihrer Schwärmerei mit Sicherheit überhaupt nichts mit.“ „Glaubst du, sie haben dann überhaupt Zeit für…“ „Für dich! Das, glaube ich, brauchst du nicht ernsthaft zu bezweifeln.“ gab Yukiko gut gelaunt zurück, und während Ayashi sich noch fragte, wie ihre Freundin das nun wieder meinte, fuhr diese schon fort: „Ich freue mich so, dass du bald wieder kommst. Du hast uns so gefehlt und nun wird es wieder genauso sein wie früher!“ „Ja.“ entgegnete Ayashi, doch sie fand nicht den gleichen Enthusiasmus. Würde er sich bald einstellen? Sie hoffte es sehr. Ayashi wusste, dass sie wirklich ihr Leben in den Griff bekommen wollte. Sie wusste, dass sie verrückt würde, wenn sie noch zu Hause bei Taka und Yoko blieb, ohne in die Schule zu gehen, zu lernen, ihre Freunde zu sehen. Es war auch nicht so, dass sie die Masse an Lernstoff fürchtete oder vermeiden wollte, denn das war ja unmöglich und völliger Unsinn. „Wir haben übrigens geeinigt, wohin wir unsere Abschlussfahrt machen.“ riss Yukiko Ayashi aus ihren Gedanken. „Unsere Abschlussfahrt… Die ist doch erst in anderthalb Jahren!“ rief Ayashi. „So etwas muss aber gründlich geplant werden!“ beschwerte sich Yukiko über Ayashis Entsetzen und Unverständnis. „Und wohin fahren wir?“ wollte Ayashi wissen, da sie fest davon ausging, dass Yukiko beleidigt war, wenn sie nicht fragte – oder ihr sowieso erzählen würde, wonach sie nicht gefragt hatte. „Wir wollen eine Art Rundreise machen, aber die letzte Planung ist noch offen. Bisher sehen unsere Etappen so aus: Wir werden von Tokyo nach Osaka fliegen, dann mit dem Bus nach Kobe fahren. Dann geht es weiter und bei Ayajijima über die Oo-Naruto-Kyo-Brücke auf die Insel Shikoku, die wir dann wieder über die Seto-Brücke Richtung Okayama verlassen. Den Rückweg wollen wir über die Bergkette machen, aber das ist noch überhaupt nicht geplant. Wahrscheinlich werden wir mit dem Bus bis Kyoto fahren und von dort aus dann wieder fliegen.“ „Hm, klingt gut… und lang. Wie lange soll das Ganze dauern?“ „Du tust gerade so, als ob es furchtbar schlimm wäre!“ gab Yukiko gespielt beleidigt zurück. „Nein, das stimmt nicht. Wie lange also?“ wiederholte Ayashi. „Eine Woche. Vielleicht etwas länger.“ gab Yukiko Auskunft. Ayashi nickte bei sich. Eine Woche. Eine Woche, die erst in anderthalb Jahren stattfinden würde, aber heute schon geplant wurde. Es fühlte sich nicht richtig an. Aber auch nicht falsch. Ayashi wusste nicht, was sie fühlen sollte. Oder denken. „Wollen wir uns morgen vielleicht treffen? Ich kann dir meine Aufzeichnungen geben, damit du dir schon einmal selbst ein Bild von allem machen kannst, bevor du Kenjiro oder Heiji um ihre Hilfe bittest.“ „Ja, das wäre gut. Kommst du vorbei? Taka dreht durch, wenn ich morgen schon das Haus verlasse, als ob nichts gewesen wäre.“ „Am Montag muss sie dich doch aber eh gehen lassen.“ „Ja, stimmt.“ gab Ayashi zu, dann fügte sie hinzu: „Aber bis Montag sind es noch fünf Tage. Diese Tage kann ich mich ja mehr nach ihren Wünschen verhalten und es langsam angehen lassen. Da hat sie noch ein bisschen Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen und sich damit abzufinden, dass bald wieder Alltag einkehrt.“ Yukiko stimmte ihr zu, dann verabschiedeten sich die Freundinnen, nachdem sie ausgemacht hatten, dass Yukiko nach der Schule zu Ayashi kam, und vielleicht auch Aoko, Suki und Minami mitbrachte. Ayashi legte das Telefon weg und ließ sich nach hinten auf ihr Kissen fallen. Sie fühlte sich plötzlich so alt und so erwachsen, doch woher kam das? Lag das einfach nur an dem langen Krankenhausaufenthalt und daran, was mit ihr geschehen war? Brauchte sie einfach nur ein wenig Zeit, um selbst wieder in der Wirklichkeit anzukommen? Sicherlich würde es ihr helfen, wenn sie sich ohne Ausnahme an alles erinnern könnte, doch wie lange das noch dauern konnte, wusste sie nicht genau. Eine zweifelnde Angst beschlich Ayashi, als sie sich langsam wieder erhob, da es an ihrer Tür geklopft hatte. Würde sie überhaupt noch zu ihren Freundinnen passen? Würde sie noch mit ihnen auskommen? „Ayashi? Bist du fertig mit Telefonieren? Kann ich hereinkommen?“ hörte sie Yokos Stimme vom Gang und rief sich zur Ordnung. Wenn er sie so verwirrt und ratlos sah, würde er ihr noch verbieten, am nächsten Montag wieder in die Schule zu gehen, dachte Ayashi, während ihr ein seltsamer Gedanke durch den Kopf schoss: Yoko Kanno konnte ihr überhaupt nichts verbieten. „Ja, komm’ herein!“ rief sie zurück, streckte sich kurz und schüttelte den Kopf, um diesen freizubekommen, bevor Yoko das Zimmer betrat. Er sah sie aufmerksam und prüfend an, was Ayashi nicht entging, weshalb sie ihn anlächelte, das Telefon auf den Nachttisch legte und ihn ebenso aufmerksam anblickte. Sie war schon auf die Frage gefasst, die sie inzwischen am meisten nervte – ‚Wie geht es dir?’ – doch er stellte sie nicht. Stattdessen begann er ohne Umschweife, nachdem er sich auf Ayashis Schreibtischstuhl gesetzt hatte. „Ich werde den Tag nie vergessen, als ich aus einer geschäftlichen Besprechung geholt wurde, da zwei Polizisten mit mir sprechen wollten. Das Krankenhaus hatte bereits versucht, Taka und mich telefonisch zu informieren, doch hatte uns nicht erreicht. Im ersten Moment dachte ich, dir sei etwas viel Schlimmeres passiert. Ich war so erleichtert, als ich erfuhr, dass du noch am Leben warst.“ erzählte er und schien gedanklich gänzlich in die Erinnerung versunken zu sein, doch er sprach bald weiter: „Ich habe nicht mehr daran geglaubt, dass du jemals wieder so … dass du jemals wieder erwachen würdest und keine Folgeschäden von deinem Unfall davontragen würdest.“ „Wieso erzählst du mir das alles, Yoko?“ fragte Ayashi, als er wieder eine kleine Pause machte. „Ich möchte mich bei dir entschuldigen, Ayashi.“ entgegnete er und neigte den Kopf. „Es gab keine nennenswerte Hoffnung, dass du jemals genesen würdest. Ich habe deshalb mehr als einmal gedacht, dass es … besser gewesen wäre, wenn der Unfall tödlich gewesen wäre.“ gab er zu. Ayashi wusste nicht, was sie erwidern sollte. Welche waren die passenden Worte? Sollte sie wütend sein? Enttäuscht? Verständnislos? Oder doch verständnisvoll? Sollte sie ihm irgendetwas sagen, dass sie ihm seine Gedanken verzieh? „Ich verstehe.“ brachte sie nur heraus, worauf Yoko den Kopf hob und sie anblickte. „Ich nehme an, dass die Monate sehr schwer für euch waren. Für Taka und dich.“ Yoko nickte nur, als wolle er noch etwas sagen, doch dann schien er es sich anders zu überlegen. Er stand wieder auf und zog etwas aus seiner Hosentasche. „Das haben sie dir im Krankenhaus abgenommen. Du hattest es um, als du eingeliefert wurdest.“ meinte er und reichte Ayashi etwas, nach dem sie die Hand ausstreckte, ohne zu wissen, was sie entgegennahm. „Eine Kette?“ fragte sie verwundert, als der Anhänger an der silbernen Kette in ihrer Handfläche lag. Ihr Blick haftete an dem Anhänger, der auf der einen Seite einen zunehmenden Mond und einen sich windenden Drachen, auf der anderen Seite drei ineinander übergehende Kreise mit jeweils einem kleinen Stein in der Mitte trug. Sie konnte sich nicht erinnern, solche ein Schmuckstück besessen zu haben, doch es kam ihr vertraut vor. „Gehört sie nicht dir?“ wollte Yoko wissen. „Doch.“ entgegnete Ayashi bestimmt und schloss aus einem Impuls heraus schnell ihre Finger um die Kette. „Gut.“ entgegnete Yoko schlicht. Ayashi blickte ihrem Stiefvater nach, der langsam das Zimmer verließ, öffnete ihre Hand wieder und blickte noch einmal die Kette an, ehe sie sie sich um den Hals legte. Ihre Finger glitten über das edle Metall und Ayashi schloss die Augen. Sie gehörte ihr. Und sie war sich sicher, dass ihr auch wieder einfallen würde, von wo sie das Schmuckstück hatte. Oder – dachte sie intuitiv – von wem… Kapitel 139: ------------- Es war ein warmer Samstagnachmittag im Juni – der zweite Juni, seitdem sie aus dem Koma erwacht war - und Ayashi saß im Garten unter einem Baum, unter dem der Schatten und das Licht, das durch die Blätter auf den Boden fiel, ausgelassen miteinander zu spielen schienen, wenn ein leichter Lufthauch die Baumkrone und die feinen Äste bewegte. Aufmerksam sog Ayashi den Duft von frischem Gras und leicht feuchter Erde in sich ein und lauschte mit geschlossenen Augen genau auf ihre Umgebung. In der Ferne rauschte mit einem dumpfen Geräusch der städtische Verkehr vorbei, doch Ayashi blendete dieses Geräusch aus und konzentrierte sich auf das Vogelgezwitscher und das Rascheln der Blätter und der Grashalme, die durch den Wind bewegt wurden. Es war alles so friedlich und sie fühlte sich genau an diesem Ort wohl und ruhig. Sie liebte die Natur so sehr. Sie suchte sie regelrecht. War das auch schon vor ihrem Unfall und dem Koma so gewesen? War sie schon immer ein ‚Naturkind’ gewesen? Sie konnte es unmöglich sagen, aber irgendetwas in ihr sagte ihr, dass sie ohne die Natur und ohne die Verbindung zu ihr kein vollständiges Wesen sein konnte. Ayashi mochte es auch, allein zu sein, weshalb sie auch nicht selten die Einsamkeit suchte. Menschen hatte Ayashi in den letzten Monaten soweit es ging gemieden und nur Kontakte mit den Leuten aufrechterhalten, die sie schon vor ihrem Unfall näher gekannt hatte. Neue Bekanntschaften hatte sie überhaupt nicht gesucht. Woher kam dieser Charakterzug? Sie hatte Freundinnen, die sich auch in den letzten Monaten nicht davon abschrecken hatten lassen, dass sie ihnen auch öfters unter dem Vorwand des Lernens absagt hatte, also musste sie einmal kontaktfreudiger gewesen sein. ‚In einem anderen Leben’, schoss es Ayashi den Kopf, worauf sie diesen unwillig schüttelte. Immer wieder hatte sie solche Blitzgedanken, bei denen ihr ein Schauer über den Rücken lief, als sei das, was sie gerade gedacht hatte, eine wichtige Erkenntnis, die endlich wieder den Stellenwert und die Aufmerksamkeit erlangen wollte, die sie so lange vermisst hatte. Doch es half nicht: Ayashi wehrte sich. Ayashi hatte irgendwann aufgegeben, bestimmte Lücken in ihrem Gedächtnis mit Wissen und Erinnerung füllen zu wollen. Es gelang ihr nicht. Natürlich wusste das niemand außer ihr. Alle dachten, sie sei wieder völlig hergestellt, doch es gab immer noch Dinge, die hinter einem dichten Schleier verborgen lagen…. Wie zum Beispiel den Ursprung der Kette, die sie seit jenem Abend nur zum Schulsport ablegte. Ayashi fasste zwar unwillkürlich an das Schmuckstück, doch lenkte ihre Gedanken eisern wieder zu ihren Freundinnen Yukiko, Aoko, Suki und Minami, die hinnahmen, wenn Ayashi ihnen absagte, und es auch in gewissem Maß entschuldigten, da sie wussten, dass Ayashi die Schule sehr ernst nahm. Diese Ausrede fiel nun weg, das wusste Ayashi, denn seit knapp einer Woche waren die Abschlussprüfungen geschrieben worden. Gestern waren die große Zeugnisausgabe und das offizielle Abschlussfest gewesen. Es kam Ayashi immer noch alles unwirklich vor, doch die Schule und die letzten Monate harter Anstrengung waren tatsächlich vorbei. Theoretisch waren die ehemaligen Schüler nun für das Leben vorbereitet, das wollten zumindest die Schulleitung und die Familien glauben. Mit Eifer und Ehrgeiz schmiedeten die Absolventen nun alle ihre wichtigen Pläne für die Zukunft, wenn sie nicht gleich Universitätsplätze antreten würden, die ihre Eltern bereits im Kindergartenalter für ihre Sprösslinge reserviert hatten. Ayashi hatte ebenfalls Anspruch auf einen solchen Platz, doch sie hatte nicht die geringste Ahnung, was sie damit sollte. Sehr zum Leidwesen von Yoko und Taka, die ihr seit mehreren Wochen in den Ohren lagen, sie solle endlich entscheiden, welche Richtung ihr Leben nach der Schule einschlagen sollte. Ja, nun begann für sie alle wirklich eine Zukunft, deren Existenz Ayashi in den letzten Monaten immer ein wenig verdrängt hatte. Von ihrem Sitzplatz aus hörte Ayashi, dass es an der Haustür klingelte, doch vertraute darauf, dass Taka den Besuch schon hereinlassen würde. Entspannt lehnte sie den Kopf gegen den Baumstamm und schloss die Augen. Sie wusste, wer kam, aber sie hätte die Stimmen auch so leicht gehört und gleich erkannt, obwohl sie nicht laut waren. Ayashis hatte nach ihrem Unfall festgestellt, dass sie viel besser als alle andere zu hören schien, doch schnell gemerkt, kein Wort mehr darüber zu verlieren, wenn sie das Müllauto hörte, obwohl das noch vier Straßen entfernt war. Wie zur Bestätigung hörte Ayashi nun beschwingte Schritte durch das Haus hallen und auf die Terrasse und schließlich über den Rasen treten. Vier Paar Füße. Alle barfuß in Sandalen und Sandaletten. Erst Yukiko. Dann Minami. Und Suki und Aoko ein wenig hinter den ersten beiden. „Hallo, Ayashi!“ riefen sie und Ayashi öffnete die Augen, um festzustellen, dass sie Recht gehabt hatte. „Hallo! Was macht ihr denn hier?“ wollte sie wissen, da kein Treffen verabredet war, doch ihre Freundinnen setzten sich grinsend, gut gelaunt und fröhlich zu ihr ins Gras. „Ich dachte, wir sollten uns noch einmal wegen unserer Abschlussfahrt besprechen… Wer was mitnimmt… und so weiter.“ meinte Aoko und zupfte ein Grashalm aus dem Rasen, um es wenige duzend Zentimeter weiter wieder fallen zu lassen. Die Abschlussfahrt. Natürlich. Die lag nun noch vor ihr. Ayashi atmete unmerklich tief durch, während sie sich fragte, wie die Fahrt werden würde. Einerseits freute sie sich, denn es war immerhin ihre Abschlussfahrt, und damit die letzte Gelegenheit, noch einmal wirklich Zeit mit ihren Freundinnen zu verbringen, bevor alle mehr oder weniger getrennte Wege gingen und es eher unrealistisch war, dass sie es regelmäßig schaffen würden, sich zu sehen. Andererseits jedoch hatte sich an ihrem seltsamen Gefühl gegenüber Gesellschaft seit dem Unfall ja nichts geändert, obwohl sie das so gehofft hatte. Sie fühlte sich auch bei ihren Freundinnen nicht recht zugehörig, was zum Glück bisher keine von ihnen bemerkt hatte. „Nun?“ fragte Minami, worauf Ayashi aus ihren Gedanken schreckte. „Hatten wir das nicht schon besprochen?“ wollte Ayashi wissen, da sie sich nicht nur an ein derartiges Pläneschmieden erinnerte. „Teilweise, aber noch längst nicht alles.“ grinste Minami und fuhr fort: „Also, wir hatten besprochen, dass wir alle unsere Musik mitbringen, die wir so eben hören. Aoko bringt noch ihre kleinen Lautsprecher für die beiden Zimmer mit. Haben wir eigentlich schon abgemacht, wer mit wem ins Zimmer geht? Es sind ja Dreibettzimmer.“ „Ich glaube, Suki und du sollten auf jeden Fall in dasselbe Zimmer gehen. Dann könnt ihr euch so richtig vorschwärmen, wie toll Heiji und Kenjiro sind.“ meinte Yukiko im Scherz, sodass es ihr keine von den Angesprochenen verübelte. „Sehr witzig!“ lachte Suki und schüttelte den Kopf. „Nein, im Ernst.“ „Ich glaube, das war Yukikos Ernst.“ gab Ayashi amüsiert zurück und fuhr fort: „Sollen wir das nicht vor Ort spontan entscheiden? Wir haben ja an mehreren Orten Übernachtungen… und können uns ja auch abwechseln… Wann fahren wir eigentlich los?“ „In zwei Tagen. Montag.“ meinte Aoko und sah zur Terrasse, weil Taka mit einem Tablett mit Gläsern aus dem Haus trat. „Ja, das war mir auch klar, danke! Ich meinte die Uhrzeit.“ gab Ayashi zurück, erhob sich, um Taka das Tablett wenigstens abzunehmen, nachdem sie ihren Gästen schon nichts angeboten hatte, und kam zurück. „Um 8 Uhr sollen wir am Flughafen sein. Zu blöd, dass Sakaida mitgeht. Ohne Lehrer wäre es besser.“ entgegnete Minami und fügte hinzu: „Wir haben aber zum Glück den ersten Nachmittag zu unserer freien Verfügung. Dann können wir schon einmal die Stadt unsicher machen.“ Ayashi nickte und schmiedete dann mit ihren Freundinnen noch weitere Pläne, wobei sie sich schon überlegte, was sie alles einpacken musste. Irgendwie freute sie sich doch schon auf ihre Reise durch Japan. Ayashi konnte kaum glauben, wie schnell die Zeit verging. Es kam ihr vor, als sei sie erst am gestrigen Tag am Flughafen gestanden, um mit ihrer Klasse und ihrem Lehrer Herrn Sakaida nach Osaka zu fliegen, doch das war bereits am Montag gewesen und nun war schon Sonntag. Vielleicht lag ihr verändertes Zeitgefühl daran, wie viel sie in den paar Tagen gesehen hatte. In Osaka hatten sie den ersten Nachmittag wie geplant zur freien Verfügung gehabt und natürlich hatten Ayashi und ihre vier Freundinnen die Stadt schon einmal erkundet, bevor es am nächsten Tag zur Burg von Osaka, zu den beiden Shinto-Schreinen Sumiyoshi-Taisha und Osaka Tenman-gu und auf den Aussichtsturm Tsutenkaku gegangen war. Von Osaka aus war die Reise dann Richtung Kobe fortgesetzt worden. Dort hatten sie China-Town, das Nankin-Machi, und die ehemaligen Ausländersiedlung Kitano, wo heute noch die Häuser der amerikanischen und europäischen Einwanderer der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts in entsprechendem Stil standen, besucht. Anschließend hatte Ayashi die Besichtigung der modernen Akashi-Kaikyo-Brücke als sehr krassen Kontrast empfunden, doch es war trotzdem beeindruckend gewesen, und auch das Kosetsu Kunstmuseum war ein schöner Abschluss eines gut durchgeplanten Tages geworden. Der zweite Tag in Kobe hatte wieder mit der Besichtigung von Shinto-Schreinen begonnen, nämlich dem Ikuta-Schrein, dem Minatogawa-Schrein und dem Nagata-Schrein, ehe sie am Nachmittag den chinesischen Tempel Kanteibyo, die Nunobiki-Wasserfälle und den Nunobiki-Kräutergarten besucht hatten. Relativ früh am Freitagmorgen waren sie mit dem Bus weitergefahren, über Ayajijima und die große Seto-Brücke auf die Insel Shikoku, über die sie vor allem wegen der Landschaft reisen wollten. In der Mittagspause hatten sie in Sakashita gehalten und noch einen Shinto-Schrein, den Shiogama-Jinjya, angesehen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte sich Ayashi gefragt, wie viele Schreine sie noch sehen würde, doch sie hatte nichts gesagt. Andere Schüler und Schülerinnen hatten schon gemeckert und mehr Zeit zur freien Verfügung gefordert – unter anderem auch Aoko und Yukiko, die unbedingt noch eine Shopping-Tour machen wollten. Nach dem Versprechen Sakaidas, dass in Okayama kein Schrein besichtigt werden würde, waren sie nach Okayama weitergefahren. Dort besichtigten sie am ersten Tag einen der drei berühmtesten Gärten Japans, den Koraku-en, der im Jahr 1700 vollendet worden war, und am zweiten Vormittag die Burg in Okayama. Den Nachmittag hatten sie frei und Yukiko und Aoko konnten die anderen drei zu ihrer ersehnten Shopping-Tour überreden, denn die Geschäfte waren ja auch sonntags mindestens bis 20 Uhr geöffnet. Ayashi wusste nicht genau, wie oft sie schon ein einem der vielen kleinen Straßenstände im Einkaufsviertel stehen geblieben waren, doch es war ihr auch gleichgültig. Während Yukiko und Aoko mit Eifer und Begeisterung nach allen möglichen Souvenirs suchten, inspizierte Minami die Postkarten, die sie eigentlich schon in Osaka hatte schreiben wollen. Ayashi und Suki betrachteten die kitschigen Tücher, Schneekugeln, Porzellanfigürchen, Untersetzer, Scherzartikel und den übrigen Krimskrams eher skeptisch, doch amüsierten sich trotzdem. Plötzlich fühlte sich Ayashi, als würde sie beobachtet. Sie spürte das Augenpaar in ihren Rücken bohren. Langsam ließ sie ihre Hand sinken und legte den Kühlschrankmagnet in Form des Fuji zurück in den kleinen Korb zu seinen Artgenossen, ehe sie sich suchend umdrehte. Natürlich stand niemand hinter ihr und blickte sie an, doch weshalb fühlte sie sich dann so seltsam. „Was ist los, Ayashi?“ fragte Suki und blickte in die Richtung, in die auch ihre Freundin mit starrem, angestrengtem Blick sah. „Nichts.“ entgegnete Ayashi nach kurzem Zögern. „Nichts, ich dachte nur, ich… Ach, nichts!“ fügte sie hinzu und wandte sich wieder dem Souvenir zu, während das Gefühl tief in ihren Knochen stecken haften blieb. Dann huschte ein grauer Schatten schnell zwischen den drehbaren Ständen von Sonnenbrillen und Armbändchen mit Namen vorbei, der wieder Ayashis volle Aufmerksamkeit auf sich zog. „Hast du das gesehen?“ fragte sie Suki, die immer noch neben ihr stand. „Was? Hast du etwas gefunden, das du kaufen willst? Ich glaube, ich nehme die hier. Die ist irgendwie süß.“ erwiderte die Freundin und hielt Ayashi eine kleine rosafarbene Puppe mit Puschelhänden und Puschelfüßen und knalligem, pinkfarbenem Haar hin. Ayashi blickte Suki verwirrt an, schaffte es aber, den Kopf zu schütteln. „Nein, da war ein Schatten.“ erklärte sie, während sie noch zusätzlich auf genau die Stelle deutete, wo sie den Schatten gesehen hatte. Suki zog eine Augenbraue hoch, blickte erst auf die gezeigte Stelle und dann in den Himmel. „Es wird eine Wolke gewesen sein, die sich kurz vor die Sonne geschoben hat. Oder eine Lichtreflexion eines vorbeifahrenden Fahrrads. Oder so etwas in der Art. Auf jeden Fall habe ich nichts gesehen.“ „Hm.“ machte Ayashi nur und schaute sich die Puppe, die Suki in der Hand hielt, genauer an. „Ist die etwa für dich?“ „Nein, natürlich nicht.“ lachte Suki. „Die will ich meiner kleinen Cousine Cho mitbringen.“ Ayashi nickte, doch ehe sie etwas erwidern konnte, folgte ihr Blick unwillkürlich einem sich bewegenden Körper, dessen Bewegung sie nur aus dem Augenwinkel gesehen hatte. Sie konnte sich das doch nicht alles einbilden!, dachte sie und erspähte im nächsten Moment auf der anderen Straßenseite einen großen, grauen Wolf, der sie mit seinen gelben, schimmernden Augen direkt fixierte. „Siehst du! Da!“ rief Ayashi, stieß Suki an und wandte sich nur für einen kurzen Augenblick ihrer Freundin zu, um zu sehen, ob sie deren Aufmerksamkeit auch wirklich hatte. „Erschreck’ mich doch nicht so! Was denn?“ rief Suki aufgeregt zurück. „Ein Wolf!“ stieß Ayashi aus, doch das Tier war verschwunden. „Ein Wolf? Ich sehe keinen…“ „Da war aber einer!“ beharrte Ayashi, doch sie wusste selbst, wie das klingen musste. „Was ist bei euch denn los?“ fragte Yukiko und kam mit Aoko zu Suki und Ayashi, worauf auch Minami von ihren Postkarten Abschied nahm. „Ayashi hat einen Wolf gesehen.“ teilte Suki so neutral wie möglich zurück, doch Ayashi bemerkte, dass sie Mühe hatte, nicht zu kichern. „Wirklich!“ versicherte sie dennoch. „Also, ich weiß nicht… Wölfe sind in Japan längst ausgestorben… und dann noch mitten in Okayama… Ich halte das nicht nur für ziemlich unwahrscheinlich…“ meinte Minami diplomatisch, doch Ayashi ließ sie nicht ausreden. „… sondern auch für unmöglich.“ beendete sie den Satz, blickte noch einmal zu der Stelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo sie geglaubt hatte, einen Wolf zu sehen. Am nächsten Morgen stand eine kleine Wanderung von ungefähr zehn Kilometern Länge auf dem Programm, die schon vor Beginn für kurzes Murren sorgte. Ayashi hingegen freute sich auf die Natur, nachdem sie in der letzten Zeit nur Städte und Bauwerke gesehen hatten. Vielleicht konnte sie währenddessen ein bisschen darüber nachdenken, was sie in Okayama eigentlich gesehen hatte, wenn ihre Freundinnen sich nicht ständig mit ihr unterhielten, sondern auch damit beschäftigt waren, nicht über Steine und Wurzeln zu stolpern. Die Gruppe fuhr mit dem Bus eine gute Stunde nach Takebe und ein Stückchen weiter zu einem Parkplatz, in dessen Nähe sich ein kleiner Laden befand, falls jemand – trotz mehrfacher Ermahnung, nichts zu vergessen – doch noch etwas zu trinken brauchte. Tatsächlich gab es einige solcher Kandidaten, zu denen Sakaida daher meinte: „Gut, beeilt euch. In zehn Minuten gehen wir von hier los.“ Yukiko kicherte und schnürte ihre Wanderschuhe noch einmal richtig, während Ayashi ihren anderen drei Freundinnen nachsah, die mit einigen anderen zu dem Laden gingen. Sakaida seufzte, als er sah, dass mehr Schüler und Schülerinnen den Laden aufsuchten als am Bus blieben, und wechselte dann noch einige Worte mit dem Busfahrer über den Ort und Zeitpunkt, an dem sie wieder abgeholt werden wollten. „Ich dachte, wir hätten alle etwas zu trinken?“ wunderte sich Yukiko, als sie sah, dass nur noch Ayashi bei ihr stand. „Ich vermute, sie besorgen süße und zuckerreiche Wegzehrung.“ erklärte sie. „Ah… Das ist eigentlich eine gute Idee!“ meinte Yukiko, kramte nach ihrem Geld und rannte ebenfalls hinüber zu dem kleinen Geschäft. „Yukiko! Was ist denn nur noch?“ rief Herr Sakaida ihr hinterher, worauf sie nur entgegnete: „Ich bin ganz schnell wieder da! Die anderen sind ja auch noch nicht da!“ Ayashi zog eine Augenbraue hoch, konnte sich das Grinsen aber nicht verkneifen. Wenn Sakaida eins nicht mochte, waren das Zeitpläne, die aus Nachlässigkeit nicht eingehalten wurden. In den letzten Tagen war es sehr gut um die Pünktlichkeit der Schüler bestellt gewesen, stellte Ayashi selbst ein wenig verwundert fest. Nachdenklich und abwartend drehte sich Ayashi um, ging einige Schritte auf und ab und blickte dann in die Umgebung. Der Parkplatz lag an der Straße 53, die den Stadtteil Kawaguchi von Takebe durch ein Tal in Richtung Kume hinter sich lassen würde. Im Norden vor Ayashi floss ein kleiner Fluss mit dem Namen Tanjoji, doch hinter ihm erhob sich ein bewaldeter Bergkettenabschnitt, wie auch im Süden hinter ihr. Ließ sie den Blick nach Westen gleiten, so sah sie eine Ebene, die der Tanjoji zerschnitt, ehe er in den Fluss Asahi mündete, dessen Namen sie vor wenigen Minuten auf einem Schild gelesen hatte. Hinter dem Asahi erhob sich eine weitere bewaldete Bergkette. Ayashi sog die frische Bergluft in sich ein und betrachtete die Ebene mit ihren Feldern und Wiesen, den vereinzelten Ansammlungen von Häusern und dachte sich, dass ihr das alles so bekannt vorkam. Sie war allerdings noch niemals hier gewesen. Wie also sollte das sein? Sie wandte ihren Blick wieder nach Süden – und zuckte zusammen. Der graue Wolf stand wie am Tag zuvor auf der anderen Seite der Straße und blickte sie an. Ayashi schaute das Tier ebenfalls an, während sie das sichere Gefühl hatte, dass sie sich nicht irrte. Der Wolfs war da und blickte sie an. Unsicher blickte sie sich um, doch niemand sonst schien das wilde Tier gesehen zu haben. Sakaida unterhielt sich immer noch mit dem Busfahrer und inzwischen schienen fast alle Schüler das Geschäft aufgesucht zu haben. Diejenigen, die noch auf dem Parkplatz herumstanden, unterhielten sich angeregt und bemerkten das Tier nicht. Ayashi wandte sich wieder dem Tier zu, das dort in einer Entfernung von höchstens zehn Metern stand. Sein Fell sah unglaublich weich aus und war an den Beinen und Pfoten dunkel. Seine gelben Augen leuchteten, als er noch eine Weile regungslos dort stand, als wolle er sicher sein, dass Ayashi ihr gesehen und registriert hatte. Ayashi konnte nicht anders und nickte ihm zu, worauf der Wolf seinen Kopf in den Nacken warf und quer über die Straße trabte, stehen blieb und sie noch einmal anblickte. Kurz entschlossen setzte Ayashi ihren Rucksack ab und tat, was sie vor wenigen Tagen noch für unmöglich gehalten hatte: Sie folgte furchtlos dem wilden Tier, wohin es sie führen würde. Der Wolf trabte recht schnell die Landstraße entlang, sodass Ayashi zu laufen beginnen musste, dass sie einigermaßen Schritt halten konnte. Sie hielt Abstand, doch sie folgte ihm, worauf das wilde Tier Wert legen zu schien, denn immer wieder verlangsamte er seinen Schritt, sah sich nach ihr um und eilte dann weiter. Wenn jemand das sah, musste er glauben, er sehe nicht richtig, vermutete Ayashi, doch sie folgte hier keinem Trugbild und keiner Illusion. Nein, der Wolf war da. Sie wusste es nicht nur, da er sie führte, da sie ihm folgte, sondern auch, da tief in ihr irgendetwas äußerst zufrieden mit ihrer Entscheidung war, ihm zu folgen. Sie spürte, dass es richtig war. Sie spürte eine Zuversicht, eine Ruhe, die sie noch nie empfunden hatte. Das Vertrauen, das sie dem Tier entgegenbrachte, würde sie leiten. Es war richtig. Sie war davon überzeugt. Ayashi sah, dass der Wolf nach rechts in eine andere Straße bog, die direkt auf eine Brücke zuführte. Wohin wollte er? Wohin führte er sie? Das Tier blieb vor der Brücke stehen und wartete auf sie. „Dort hinüber?“ fragte sie und kam einige Schritte näher. Sie konnte nicht glauben, dass sie mit einem Wolf sprach, doch noch weniger konnte sie glauben, dass sie irgendwie mit einer Antwort rechnete. Seine gelben Augen musterten sie, dann trat er einige langsame Schritte auf sie zu, wartete, ob sie zurückschreckte und blieb dann so dicht vor ihr stehen, dass sie nur die Hand ausstrecken brauchte, um ihn zu berühren. „Wohin bringst du mich?“ fragte sie. Inzwischen war es ihr egal, ob ihr Verhalten an Wahnsinn grenzte. Sie hatte keine Angst. Sie fühlte sie sicher. Langsam und vorsichtig streckte sie ihre Hand nach vorne und berührte wenige Augenblicke später den warmen Kopf des Wolfes, ließ ihre Finger über seine Stirn gleiten und hielt seinen Blickkontakt mit ihrem Blick. Er schloss zuerst die Augen, rieb seinen Kopf an ihrer Hand, machte dann kehrt und lief über die Brücke. Ayashi folgte ihm, überquerte den Tanjoji und glaubte einen Moment lang, ihren Begleiter verloren zu haben, doch dann tauchte er wieder aus dem Unterholz auf, das sich rechts von ihr erstreckte, wartete auf sie und setzte sich wieder in Bewegung, als sie sich auf den Weg machte. Ayashi betrat den Wald und folgte ihrem tierischen Führer durch das unwegsame, ansteigende Gelände, womit sie sehr wenige Schwierigkeiten hatte, wie sie zu ihrem Erstaunen feststellte. Sie waren schnell, flink und geschickt. Beide. Beinahe gleichermaßen. Genauso sollte es sein, schoss ihr mit einer Gewissheit durch den Kopf, die sie sich nicht erklären konnte. Der Wolf heulte leise auf und Ayashi meinte, es als eine Art Aufforderung verstehen zu können. Er hatte es eilig? Nun, sie wollte ihn nicht unnötig warten lassen, also beschleunigte sie ihre Schritte noch ein wenig und drängte bald auf gleicher Höhe mit ihm durch den Wald, bis sie auf einen Weg stießen, der von weit unten kam und in mehreren Stufen aus großen, schönen, hellen Steinen durch ein holzfarbenes Torii, hinter dem Ayashi weitere Stufen und einen weiteren Eingang in einen heiligen Bezirk zu erkennen glaubte, den Berg weiter hinaufführte. „Ein Schrein?“ richtete sie das Wort an ihren Begleiter, blickte den Weg entlang nach unten, wo sie weitere Torii erblickte, und schaute dann wieder zum letzten Torii. „Sind wir da? Ist das der Ort, an den du mich bringen wolltest?“ fragte sie und blickte neben sich, doch der Wolf hatte bereits die ersten Stufen erklommen und das oberste Torii passiert, weshalb Ayashi ihm folgte, da ihr das Antwort genug war. Wenig später trat Ayashi in den Hof vor dem hölzernen, kleinen Schrein und fühlte, dass ihr Herz einen unerklärlichen Sprung machte, ihre Seele sich ausdehnte und weitete und sie sich – so unerklärlich ihr das am Anfang schien, desto deutlicher wurde es, je länger sie an diesem Ort weilte und je öfter sie den reichen Duft der Bäume, der Erde und der Sträucher einatmete – fühlte, als seien die Erinnerungen, die ihr fehlten, an genau diesem Ort zum Greifen nah. Und noch etwas bemerkte sie: Sie fühlte sich, als sei sie nach einer unfassbar langen Zeit endlich ihrer Heimat wieder so nah, dass es nur noch ein kleiner Schritt war, den sie unternehmen musste, um wirklich zu Hause zu sein. Kapitel 140: ------------- Sesshoumaru wusste, dass nun die Zeit gekommen war, sich von Rin zu verabschieden. Der Halbdämon Naraku war endlich mit vereinten Kräften besiegt worden und das Juwel der vier Seelen war verschwunden. Nun konnte Rin ein normales, sicheres Leben in diesem kleinen Dorf führen, in dem auch die alte Priesterin Kaede lebte. Die erfahrene Miko hatte bereits zugestimmt, sich um das Mädchen zu kümmern, dennoch hörte er immer noch ihre skeptischen Worte, die sie an ihn unter vier Augen gerichtet hatte. „Ich sehe die Sache wie Ihr, Sesshoumaru-Sama, aber Ihr dürft nicht vergessen, dass Rin einen ziemlich großen Teil ihres Lebens nun schon ohne eine Einbindung in eine Dorfgemeinschaft gelebt hat. Es kann gut sein, dass sie nicht damit zurechtkommt, nun hier zu sein.“ hatte Kaede gemeint, doch er hatte nur erwidert: „Rin ist ein kluges Kind. Sie wird sich anpassen. Ich werde immer wieder vorbeikommen, um nach Rin zu sehen, doch sie weiß und hat verstanden, dass sie vorerst hier bleiben soll.“ „Es wird ihr hier an nichts fehlen, das kann ich Euch versichern. Ich werde sie unterrichten und ihr beibringen, was ich weiß.“ Sesshoumaru hatte sich noch bei Kaede bedankt, ihre Hütte verlassen und hatte dann Rin aufgesucht, die mit Yaken auf ihn gewartet hatte. „Geht Ihr schon, Sesshoumaru-Sama?“ fragte sie und rannte ihm entgegen. „Ja, Rin.“ bestätigte er. Das Mädchen blickte zu ihm nach oben, wobei er meinte, ihre Lippen zittern und ihre Augen zucken zu sehen, als wolle sie gleich zu weinen beginnen. Sesshoumaru legte seinem jungen Schützling eine Hand zärtlich auf den Kopf. Es war ihm egal, dass Inuyasha, der Mönch und die Dämonenjägerin mit ihrem Bruder in Sichtweite standen. „Das Dorf ist nun der beste Ort für dich.“ meinte er, wobei er Rins Haar streichelte. „Wohin geht Ihr nun, Sesshoumaru-Sama?“ wollte das Mädchen wissen. Sesshoumaru setzte an, etwas zu sagen, doch brach ab und warf einen Blick auf sein neues Schwert Bakusaiga, das an seiner linken Seite ruhte, wobei ihm deutlich wurde, was er bisher nicht hatte bemerken wollen. Er hatte mit diesem Schwert nicht nur seinen verlorenen Arm zurückerhalten, sondern verstand nun auch eines mit einer beruhigenden Gewissheit: Es war nun unwichtig, was er in der Vergangenheit über seinen Vater gedacht und von seinen Entscheidungen gehalten hatte. Die Tatsache, dass er, Sesshoumaru, nun Bakusaiga besaß, bestätigte, dass Inu-no-taishou mit jeder seiner Entscheidungen Recht gehabt hatte. Nicht dem älteren Sohn Tessaiga zu geben, sondern dem jüngeren, war richtig gewesen. Tenseiga nur dem älteren Sohn zu vererben, damit er eine Technik für Tessaiga perfektionieren konnte, war ebenfalls richtig gewesen. Denn Bakusaiga war am Ende das Schwert, das für den älteren, für den Erben der Herrschaft, bestimmt war – und niemand hätte es ihm vererben können. Bakusaiga war sein Schwert, nicht das Schwert seines Vaters. Bakusaiga war das Schwert eines wahren Daiyoukai, des jetzigen Herrn des Westens, der Sesshoumaru nun wieder mit allen Konsequenzen sein würde. „Sesshoumaru-Sama?“ fragte Rin und ihn mit ihrer Frage aus seinen Gedanken. „Es gibt nun viel für mich zu tun, Rin, aber ich werde dich besuchen kommen.“ versprach er, was Rin ein zuversichtliches Lächeln auf das Gesicht zauberte. „Wann werdet Ihr zurückkommen, Sesshoumaru-Sama?“ Sesshoumaru blickte sich nach Yaken um, gab ihm ein Zeichen zum Aufbruch, beugte sich dann zu Rin hinunter und verabschiedete sich von ihr: „Sehr bald. Und ich bringe dir auch etwas mit.“ „Was denn?“ „Das ist eine Überraschung. Hör’ immer schön auf Kaede, hörst du?“ gab er zurück, richtete sich wieder auf, als Rin genickt hatte, und strich ihr noch einmal über die Wange, ehe er bemerkte, dass Kaede in der Nähe stand. „Ich danke Euch, Miko-Sama.“ richtete er das Wort noch einmal an sie, neigte leicht den Kopf und machte sich dann auf den Weg. „Sesshoumaru!“ rief Inuyasha ihm nach, worauf er noch einmal kurz stehen blieb, sich jedoch nicht umwandte. „Ich werde auf Rin aufpassen.“ „So?“ entgegnete Sesshoumaru, wobei er mit einer hochgezogenen Augenbraue jetzt doch über seine Schultern zurück zu seinem jüngeren Bruder blickte, der nun nickte und zu ihm aufschloss. „Wir haben Naraku gemeinsam besiegt.“ sagte Inuyasha, worauf Sesshoumaru zuerst nur nicken konnte, doch dann entgegnete er: „Du hast … gut gekämpft.“ „Du … auch.“ „Das hast du hoffentlich niemals ernsthaft bezweifelt.“ gab Sesshoumaru leicht drohend zurück. Inuyasha ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern, sondern klopfte seinem älteren Bruder auf die Schulter, was diesem ein leichtes Grollen entlockte. Sie hatten zwar gemeinsam gekämpft und gesiegt, doch das bedeutete noch lange nicht, dass er seinem jüngeren Bruder alle Versäumnisse verzeihen würde, die er zu verschulden hatte… auch wenn Naraku eigentlich an allem Schuld gewesen war. Sesshoumaru ergriff Inuyashas Handgelenk und hielt es fest, blickte seinem kleinen Bruder fest in die Augen und sagte leise: „Pass’ auf Rin auf, kleiner Bruder, wie du gesagt hast! Wenn ihr etwas zustößt, mache ich dich persönlich dafür verantwortlich.“ Inuyasha grinste ihn an, während er nickte. Sesshoumaru ließ seine Hand los und drehte sich schnell um, während er bemerkte, dass er selbst ein amüsiertes Schmunzeln unterdrücken musste. Er würde seinen kleinen Bruder noch eine Weile in dem Glauben lassen, der gemeinsame Sieg über Naraku habe nichts an der Beziehung zwischen ihnen geändert. „Yaken!“ rief Sesshoumaru seinen Diener, der sich daraufhin eilig an ihm festklammerte. „Sesshoumaru-Sama! Wohin gehen wir?“ fragte der kleine Dämon. „Fukuoka.“ gab Sesshoumaru knapp Auskunft und erhob sich schnell mit ihm die Lüfte. Ayashi trat langsam auf die kleine Halle des Schreins zu. Niemand war zu sehen, doch trotzdem konnte sie erkennen, dass man sich noch um den Schrein kümmerte. Das Holz war zwar schon alt, doch gepflegt und an manchen Stellen erst kürzlich erneuert worden. Dennoch schienen nicht viele Leute hierher zu kommen, denn keine farbigen Bänder, keine Zettel mit Wünschen, Gebeten oder Bitten oder keine kleinen Glöckchen waren an den Holzbalken befestigt. Die hohen Bäume wiegten sanft im Wind, der laut in ihren Ästen rauschte. Sonnenflecken tanzten über den festen erdigen Boden. Während Ayashi noch ihre Umgebung betrachtete, trottete ihr tierischer Begleiter weiter, wandte sich zu ihr um und wollte, dass sie ihm weiter folgte, doch sie sah ihn nicht einmal an. Er jaulte leise, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, worauf sie tatsächlich den Kopf zu ihm wandte, und sah, dass er vor zwei aufgerichteten Steinen auf einer ummauerten Fläche Halt gemacht hatte. Ayashi ging zu ihm und streichelte den Wolf über den Kopf, während sie die Steine genauer betrachtete und feststellte, dass es einst Stelen gewesen sein mussten, da sie eindeutig noch die vergangenen, undeutlichen Spuren von Schriftzeichen erkennen konnte. Ayashi ließ von dem wilden Tier neben sich ab und stützte sich mit beiden Armen auf dem Mauerstück ab, um näher zu kommen und besser sehen zu können, doch es half nichts: Die Schriftzeichen waren zu undeutlich, um sie lesen zu können. „Was ist das für ein Ort?“ fragte sie ihn, doch natürlich blieb er stumm. Stattdessen blickte er zum Eingang des Schreins und rannte dann ins Unterholz. Ayashi sah ihm etwas verdutzt nach, doch dann hörte auch sie schlurfende Schritte eines alten Mannes, überlegte sich, ob sie sich auf verstecken sollte, entschied sich aber dann dagegen. Ihn konnte sie bestimmt fragen, was dieser Ort genau war. Es dauerte lange, bis Ayashi den alten Mann schließlich erblickte, dessen Schritte sie schon so lange gehört hatte. Er war außer Atem, als er das Tor passierte, hielt sich am Rahmen fest, schnaufte einige Male heftig und hob dann den Blick zu ihr, als ob er gespürt hätte, dass sie ihn musterte. „Ah, Besuch…“ keuchte er, stieß sich am Torrahmen leicht ab und kam langsam und schlurfend auf sie zu. „Ich….“ begann sie schließlich, doch verneigte sich erst einmal vor dem alten Mann, als sie sich auf ihre Manieren besann, was ihn überraschte. „Gehörst du nicht zu der Schülergruppe, die unten in Kawaguchi in unseren Laden einmarschiert ist?“ wollte er wissen, worauf sie verwundert nickte. „Unbekannte Gesichter sind in dieser Gegend selten. Es liegt nahe, dass du zu ihnen gehörst. Du hast außerdem das Alter der Schüler, die ich eben unten gesehen habe.“ meinte er erklärend, worauf sie noch einmal nickte. „Was führt dich hierher?“ wollte er schließlich wissen, doch er war freundlich und freute sich scheinbar darüber, dass sie gekommen war. „Es war… Zufall.“ entgegnete sie, worauf er den Kopf schüttelte und eine Augenbraue hochzog. „Diesen Ort findet niemand zufällig. Vielleicht hätte ich fragen sollen, wer dich hierher geführt hat.“ „Wie bitte?“ erwiderte Ayashi, doch der alte Mann ließ sich nicht von ihrem gespielten Unverständnis täuschen. „Unser guter Herr der Wölfe ist doch bestimmt noch in der Nähe, oder nicht?“ fragte er. Sie konnte sich nicht erklären, wie das alles möglich war, wie der Alte vom Wolf wissen konnte, doch dann raschelte es im Unterholz und die Gestalt des Wolfes tauchte wieder auf. „Bringt er häufig jemanden hierher?“ fragte Ayashi, da der alte Mann offenbar tatsächlich Bescheid wusste, da er nun nicht erschrak, sondern den Wolf mit einer Verbeugung grüßte. „Nein.“ meinte er. „Okami-Sama hat bisher nur meine Vorfahren zu diesem Ort geführt. Seither kümmert sich meine Familie um die Erhaltung des Schreins.“ „Wofür… Warum wurde dieser Schrein einst errichtet?“ wollte Ayashi wissen, doch der Alte zuckte zögerlich die Schultern. „Das wissen selbst wir nicht genau, aber es heißt der Legende nach, dass er von der unglücklichen Liebe eines Fürstenpaares zeuge. Die Fürstin soll weit vor ihrer Zeit verstorben sein, worauf der Fürst ihr diesen Schrein errichten ließ. Was aus dem Fürsten wurde, darüber schweigt die Legende. Dort…“ meinte der Alte und wies auf die Stelen. „… standen angeblich einst ihre Namen, doch sie sind heute nicht mehr zu lesen.“ Ayashi nickte und fühlte eine große Traurigkeit tief in sich. Es war seltsam, doch sie fühlte sich, als ob… Der Wolf drückte seinen Kopf gegen ihre Hand, worauf sie in die Knie sank und ihn anblickte. „Du weißt etwas, das wir nicht wissen. Ist es nicht so?“ flüsterte Ayashi in sein Ohr und hörte nicht einmal, wie der Alte die Geister sämtlicher Kami beschwor, als der Wolf ihr sein Kinn auf die Schulter legte, als wolle er sie trösten, da er so etwas wahrlich noch nie gesehen hatte. Dann verließ der Alte schnell den Schrein, um jemandem davon zu berichten. Sesshoumaru spürte plötzlich eine Veränderung in der Luft, die ihn irritierte. Er hatte die Randbezirke des Chugoku-Gebirges längst passiert und gerade eben auch den Flusslauf des Ibo unter sich zurückgelassen, doch er war sich sicher, dass sich irgendetwas verändert hatte. Es war nicht der Geruch, der in der Luft lag. Sie wirkte einfach anders. Irgendwie schwerer und beinahe bleiern. Es war, als liege die Warnung für ein bald hereinbrechendes Unwetter bereits auf der Hand, doch so sehr Sesshoumaru den Horizont auch nach Sturmwehen und Gewitterwolken absuchte, er fand keinen einzigen Hinweis auf schlechtes Wetter. Sesshoumaru zog die Augenbrauen zusammen, da er – je weiter er kam – umso deutlicher spürte, was ihn verwirrte und er nicht verstand. Nun schien die Luft sogar durch eine elektrisierende Energie aufgeladen, und obwohl sie beinahe greifbar war, konnte Sesshoumaru unmöglich sagen, warum sie entstand oder woher sie kam. Er wusste nur eines: Sie gefiel ihm nicht. Sie machte ihn nervös. Sobald Sesshoumaru auch den Fluss Yoshii hinter sich gelassen hatte, bemerkte er, dass die fremde Energie genau aus der Richtung kam, in der auch der Schrein lag, den er für Ayashi hatte errichten lassen. Dort war sie also, diese Energie. Dort musste folglich auch etwas vor sich gehen – und dem musste er nun einfach nachgehen. Er war nicht weit vom Schrein entfernt, und selbst wenn er ganz Japan hätte durchqueren müssen, um dorthin zu gelangen, konnte ihn nichts davon abhalten, diesem inneren Drang nachzugeben, der zu stark war, als dass er ihn nun noch ignorieren konnte. Nein, er musste sehen, was dort geschah. Ohne Vorwarnung an seinen Begleiter änderte Sesshoumaru die Richtung von Südwest nach Nordwest und schnellte konzentriert und angespannt über den Himmel. Yaken kommentierte diesen schnellen Richtungswechsel nur mit einem erstaunten, kurzen Schrei des Schrecks und einige Klagen, verstummte dann aber wieder, wobei er sich tief in Sesshoumarus Fell drückte und krampfhaft festhielt Je näher Sesshoumaru dem Schrein kam, desto deutlicher nahm er das ganze Ausmaß und die ganze Stärke der Energie wahr. Nun bemerkte er auch, dass diese Energie aus einem Gefälle und einem Ungleichgewicht zwischen mindestens zwei großen Kräften herrührte. Es schien Sesshoumaru, als entstehe diese enorme Energie aus der Reibung zwischen unsichtbaren Kraftfeldern, doch er verstand trotzdem nicht, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Kurze Zeit später landete Sesshoumaru nicht weit vom Schrein entfernt und blickte sich suchend um. Die Energiequelle war verebbt. Wie konnte das sein? Noch immer behielt Sesshoumaru seine Hand bereit am Griff seines Schwertes Bakusaiga. Es war zwar mit Sicherheit keine dämonische Energie gewesen, die er wahrgenommen hatte, doch er wollte lieber vorsichtig sein, als später seine Unvorsicht zu bereuen. Doch wie konnte eine solche Energie so schnell verschwinden? Nun, sie war zwar fort, doch kleine Ausläufer spürte er auch jetzt noch. Über sich. Sesshoumaru hob den Blick in den Himmel, doch sah nichts. „Sesshoumaru-Sama, was ist mit Euch?“ fragte Yaken und störte seine Konzentration. Spürte der kleine Dämon etwa nichts? Sesshoumaru warf ihm einen prüfenden Blick zu – und tatsächlich schien Yaken überhaupt nicht zu bemerken, dass hier irgendetwas Seltsames vor sich ging. „Soll ich Euch alleine lassen, Sesshoumaru-Sama? Möchtet Ihr…“ „Still!“ unterbrach der Youkai den Diener unwirsch. Doch es war zu spät. Er lauschte in die Stille, witterte in die Luft, doch alles blieb still und nichts mehr wies darauf hin, dass irgendwelche Kräfte am Werk waren. Die Quelle der Energie war tatsächlich gänzlich verschwunden und hatte keinen Hinweis auf ihr Entstehen zurückgelassen. Hatte er sich etwa doch getäuscht? Waren es eventuelle Nachwirkungen vom Kampf gegen Naraku? Sesshoumaru ließ seinen Blick über den Schrein gleiten und seine Hand sank von Bakusaiga zurück, doch er blieb wachsam. „Yaken, lass’ mich allein. Warte am Flussufer auf mich.“ hieß er den Dämon nun an, der sich sofort entfernte, wie sein Herr es wünschte. Sesshoumaru blickte noch einmal in den Himmel und prüfte seine Umgebung noch einmal mit seinen scharfen Sinnen, doch wieder konnte er nichts mehr feststellen, das ihn beunruhigen konnte. Nein, die Kräfte und die Energie waren so rasch verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Vielleicht waren es wirklich nur Auswirkungen der Macht des Juwels gewesen, die sich zufällig an diesem Ort gesammelt hatte, bevor sie wie das Juwel verschwunden war. Er seufzte leise und trat zu den beiden steinernen Stelen. Das Rot in seinem Namen war noch klar zu erkennen, doch er hatte es ja auch erst vor wenigen Tagen erneuert. Nachdenklich entfernte er einige Blätter und kleine Zweige von den Stelen, die ein sehr starker Wind dorthin getragen haben musste. Einen Augenblick lang glaubte er, eine dünne Schicht von Moos auf den vor wenigen Tagen noch strahlend makellosen Steinstelen zu sehen, doch als er einen zweiten Blick auf sie warf, schüttelte er nur verwundert den Kopf, da er nichts mehr davon sah. Ayashi richtete sich auf, ließ den Wolf auf dem Boden sitzen und trat wieder zu den Stelen hinüber. Sie wusste nicht genau, warum sie es tat, doch der Wolf trat zu ihr und schubste sie sogar noch ein wenig weiter auf die Steine zu, weshalb sie vermutete, dass es richtig war. Ihr Blick glitt über die Oberfläche der Steinen – und sie erschrak fürchterlich: Im Stein konnte sie auf einmal die eingemeißelten Schriftzeichen lesen. Ayashi. Ihr Herz stoppte. Dann schlug es wieder. Einmal. Zweimal. Dreimal. Erst dann wurde ihr bewusst, dass es ihr Name war. Ayashi. Ihr Name wiederholte sich in ihren Gedanken – rasend schnell, doch nicht immer hörte sie ihn von ihrer eigenen Stimme ausgesprochen, sondern von vielen anderen Stimmen, die sich in ihrem Kopf zu einem einzigen Wirrwarr zusammenmischten, doch eine von ihnen drang deutlich zu ihr durch. Eine tiefe Stimme. Die Stimme eines Mannes. Angenehm. Seltsam vertraut. Liebend. Schon wieder traten Tränen in ihre Augen. Es waren wieder Tränen, die sie sich nicht erklären konnte. Ein unangenehmer Schmerz breitete sich in ihrer Brust aus und ließ ihr Herz krampfen. Warum nur? Der Wolf blickte sie von unten an, als sie die eine Hand gegen die Brust drückte und mit der anderen die Tränen von den Wangen wischte, ehe ihr Blick zu dem zweiten Namen wanderte. Sesshoumaru. Der Schmerz in ihrer Brust nahm zu und bemächtigte sich ihrer, sodass Ayashi kaum mehr klar denken konnte. Er stach. Er bohrte. Er zog. Sie konnte kaum noch atmen. Dann wurde ihr klar: Sie verspürte diesen unfassbaren Schmerz wegen ihm… Nein, nicht wegen ihm, sondern wegen seiner Abwesenheit, wegen seiner Ferne. „Sesshoumaru!“ rief sie endlich seinen Namen und fühlte einen Damm in sich brechen, der sie bisher blockiert hatte Bilder fluteten ihr Gedächtnis. Worte. Gedanken. Gefühle. Erinnerungen. Ihr Leben. Ihr Wesen. Nun wusste sie, weshalb sie weinte. Nun wusste sie, was sie verloren hatte, von wem sie getrennt war. Nun wusste sie, wer sie war. Nun wusste sie, woher sie kam und wohin sie wollte. Ayashi schluchzte und konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Sie wollte es auch gar nicht, denn endlich ergaben die Gefühle, die sie seit ihrer Genesung gehabt hatte, wieder einen Sinn. Es war doch völlig klar, dass eine Youkai nicht unter Menschen in einem menschlichen Körper leben konnte! Noch dazu eine Youkai, die dabei nicht ihre Familie um sich hatte, sondern für sie fremde Menschen. „Okami-Sama… Was soll ich nun tun?“ flüsterte sie heiser und stockend, doch der Wolf sah sie nur an und weitere Worte, die sie einst gehört hatte, kamen ihr in den Sinn: „Such’ die Brücke… zwischen dir und Sesshoumaru. Es gibt eine Verbindung zwischen euch! Ein Ort, an dem ihr beide…“ Nun verstand Ayashi, was Kodachi gemeint hatte! Es gab einen Ort, an dem Ayashi und Sesshoumaru nur durch die Zeit getrennt waren. Einen Ort, an dem sie beide sein konnten, wenn auch nicht zur selben Zeit. Dies war der Ort! Dieser Schrein, den Sesshoumaru, den Ayashi sofort mit dem Fürsten der Legende identifizierte, für sie errichtet hatte. Er musste es sein! Hoffnung keimte in Ayashi. Ihr Herz sprang. Hielt sich Sesshoumaru gerade auch am Schrein auf? War er am Schrein? Waren sie nur noch zeitlich voneinander getrennt? Sie ignorierte dieses ‚nur’, das nicht so gering war, wie Ayashi gerne glauben wollte, doch sie konnte sich jetzt auch nicht damit aufhalten. Sie war Sesshoumaru, wenn er tatsächlich in seiner Zeit an demselben Ort war wie sie in ihrer Zeit, schon so lange nicht mehr so nahe gewesen. Was interessierte sie die Grenzen, die es noch zwischen ihnen gab, wenn sie eine entscheidende bereits überwunden hatten? Ayashi streckte ihre Hand nach der Stele aus, auf der sein Name stand, fuhr ihn mit den Fingerspitzen nach, wanderte dann mit ihrer Hand zu ihrem eigenen Namen, um dasselbe zu tun, doch es war ihr, als lege sie ihre Hand auf eine männliche Hand, die schon an der Stelle ruhte. Erschrocken zuckte sie zurück und schnitt sich an einem Vorsprung des Steines in zwei ihrer Fingerkuppen, obwohl sie gehofft hatte, so etwas zu spüren. Das Blut tropfte auf den Boden, doch sie registrierte es nicht einmal richtig. Sie spürte den Schmerz nicht. Sesshoumaru galten ihre einzigen Gedanken. Er war da! Ganz nah! Es war seine Hand gewesen, da war sie sich so unglaublich sicher. Er war es! Plötzlich empfand Ayashi eine Wärme, die sich sehr dünn um ihren Hals gelegt zu haben schien, bis sie begriff, dass das Schmuckstück von Sesshoumaru sich erwärmte und immer heißer wurde, doch es war nicht unangenehm. Im Gegenteil: die Wärme war wohltuend. Es war fast so, als wolle ihr die Wärme Sesshoumarus Nähe bestätigen, doch… Konnte das überhaupt sein? Ayashi schob alle letzten Bedenken und Zweifel beiseite. Natürlich konnte es sein! Entschlossen griff sie mit ihren blutigen Fingern nach dem erhitzten Anhänger und schloss ihn fest in ihrer Hand ein. Sobald sich das Schmuckstück im Inneren ihrer Handfläche befand, ging die Wärme auf Ayashis Körper über und silberweißes Licht drang aus ihrer Faust hervor. Ayashi verharrte in ihrer Position und schloss die Augen wegen der Helligkeit. Sie spürte die silbernen Strahlen noch, die sie schließlich gänzlich ausfüllten und einhüllten. Eine merkwürdige Schwerelosigkeit erfasste Ayashi, doch sie wusste, dass sie keine Angst haben musste, und gab sich ihr hin. Sie ließ sich fallen, doch sie stürzte nicht hinab in einen gähnenden Abgrund. Das Licht trug sie und schützte sie. „Ihr habt die Grenzen der Zeit überwunden, Ayashi. Das Blut an deinen Fingern und sein Blut im Anhänger… Nun ist wieder vereint, was zusammengehört und niemand jemals mutwillig hätte trennen dürfen.“ drang eine leise Stimme zu Ayashi durch, die sie als die Stimme ihrer Mutter Kodachi erkannte. „Lebe dein Leben, meine Tochter.“ Schließlich war alles um sie herum still, bevor die leisen Geräusche einer ländlichen Umgebung für Ayashi zu hören waren. Das letzte Gezwitscher der Vögel während des hereinbrechenden Abends. Der leichte Wind über hohen Gräsern. Das Wasser, das sich munter und erquickend dem Lauf des Flusses folgend seinen Weg zum Meer bahnte. Die Wärme des Tages lag noch in der Luft, doch die Wärme, die vom Schmuckstück ausgegangen war, verschwand allmählich und Ayashi öffnete langsam die Augen. Das Licht war beinahe gänzlich verschwunden. Nur ein silberner Nebel tanzte mit abertausenden Kristallen noch um sie herum, lichtete sich aber ebenfalls zusehends. Ayashi warf einen Blick auf ihre Hände und Unterarme und stellte fest, dass sie noch leicht transparent waren, doch ihr Körper langsam wieder feste Formen annahm. Sie musste tatsächlich die zeitlichen Grenzen zwischen den Welten überwunden haben! Eine andere Erklärung gab es nicht für das zurückgebliebene, geringe Gefühl von Schwerelosigkeit, das unweigerlich der Anziehung weichen musste, die die Erde auf sie ausübte. Sie war froh, sich wieder dem Boden verankert zu fühlen. Es war wie eine Bestätigung, irgendwo – zu Hause – angekommen zu sein. Sesshoumaru fühlte eine präsente Energie hinter sich und wirbelte sofort kampfbereit herum. Nach dem, was er vorhin gespürt hatte, hätte er sich doch sehr gewundert, wenn er sich das alles nur eingebildet hatte. Die Energie, die aus den Kraftfeldern entstanden war, nahm er jetzt zwar nicht wahr, doch dafür etwas anderes. Er war die ganze Zeit wachsam gewesen, hatte seine Umgebung mit sämtlichen seiner Sinne durchsucht, auch als er vor kurzem gemeint hatte, etwas berühre seine Hand, doch was und wen er nun sah, traf ihn dennoch gänzlich unvorbereitet. Ayashi. Sesshoumarus Herz stoppte. Ayashi. Getaucht in silbernes Licht. Es schien ihm dasselbe Licht zu sein, das sie einst mit sich fort getragen hatte. Sesshoumarus Gedanken setzten aus. Langsam sah sie von ihnen Händen auf, die sie prüfend betrachtet hatte, und sah ihn direkt an. Ihn, Sesshoumaru, der sich nicht einbildete, dass sie ihn ansah. Ihr Blick wirkte, als wisse sie selbst auch nicht, wie ihr gerade geschehen war, doch keinen Wimpernschlag ihrer smaragdgrünen Augen später lief sie die wenigen Schritte auf ihn zu, breitete ihre Arme aus und im nächsten Augenblick fühlte er ihre Arme um seinen Nacken und ihren zierlichen, warmen Körper gegen seinen, atmete ihren Duft ein, spürte den Stoff ihrer seltsamen, fremdartigen Kleidung gegen seine Finger und Hände und hörte ihre tiefen, kurzen Atemzüge, die ihm deutlich machten, dass sie weinte. Seine Arme umfingen sie und pressten sie an sich. Sie sollte nicht weinen müssen, doch ihm fiel nichts ein, wie er ihre Tränen aufhalten konnte. Keine Worte. Keine Taten. Er war ja selbst kurz davor, die Fassung zu verlieren, musste er sich eingestehen, und er rang noch mit der Möglichkeit der Unmöglichkeit der Situation, obwohl die Beweise mehr als eindeutig waren und für Ayashis wirkliche Anwesenheit sprachen. „Sesshoumaru.“ hauchte sie seinen Namen, doch er konnte nichts sagen. Noch nicht. Er wünschte sich beinahe nichts sehnlicher, als ihr alles zu sagen. Er würde auch manches mehr als hundertmal zu ihr sagen, jetzt da er sicher sein konnte, dass sie ihn hörte und ihm auch antworten konnte. Sie war tot gewesen. Er hatte sie sterben sehen. Sie hatte diese Welt verlassen. Er hatte sie gehen lassen. Sie war… „Oh, Sesshoumaru, ich bin so… froh… glücklich… Ich weiß nicht, wie ich…“ murmelte sie und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. Er verstand nicht, was hier vor sich ging, und während ein Teil von ihm noch fürchtete, dass er gleich wieder verlieren könnte, wen er so fest in seinen Armen hielt, verstand ein kleiner Teil von ihm allmählich, dass er das gespürt hatte. Ihre Rückkehr. Die Energie. Die Kraftfelder. Sie mussten Vorboten ihrer Rückkehr gewesen sein… Doch war sie wirklich... hier bei ihm? Die Zweifel ließen ihn nicht los. „Ayashi… Sag’ mir, dass ich nicht träume. Sag’ mir, dass das die Realität ist. Sag’ mir… Bist du wirklich da?“ flüsterte er, ließ sie aber nicht los, sondern drückte sie weiter an sich. „Sesshoumaru, ich …“ begann Ayashi, doch er unterbrach sie. „Du warst tot.“ wisperte er ungläubig. „Ich weiß. Ich bin… zurückgekommen.“ versicherte Ayashi ruhig, was Sesshoumaru in diesem Augenblick völlig genügte. Er schob sie ein wenig zurück, um sie ansehen zu können, und seine Augen suchten ihren Blick. Sesshoumaru wusste, dass er noch eine Weile brauchen würde, das alles zu glauben, doch ihr schien es nicht anders zu gehen. Sie lächelte und seine Welt schien still zu stehen. Er konnte nicht anders, zog sie zu sich und berührte ihre weichen Lippen hungrig mit seinen. Sollte die Welt doch stillstehen! Das machte ihm nichts mehr. Nicht so lange seine Ayashi lebendig, atmend, gesund, bezaubernd… und so greifbar bei ihm war. Er hatte zu lange auf sie verzichtet, und obwohl er niemals damit gerechnet hatte, dass sich dieser verlustreiche Abschnitt in seinem Leben jemals irgendwie zu etwas anderem wandeln konnte, so war es nun, als sei sie nie fort gewesen. Ayashi stellte sich auf die Zehenspitzen, schlang ihre Arme fester um ihn und erwiderte seinen Kuss genauso verzweifelt wie er, doch dann unterbrach er ihre Leidenschaft, da er nun den Geruch von Blut an ihr wahrnahm. Ihr Blut. „Du blutest.“ stellte er verwirrt fest, doch sie schüttelte den Kopf. „Doch.“ beharrte er. „Ein kleiner Kratzer. Es ist nicht…“ beruhigte ihn Ayashi, doch sie kam nicht weiter. Seine Hand glitt zu ihrer und zog sie aus seinem Nacken zu seinen Lippen nach vorne, ehe er das Blut an ihren Fingerkuppen mit einem Kuss abnahm, was sie ein wenig perplex geschehen ließ. Ayashi zitterte leicht, da der intensive Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen ihren niemals verließ, und keinen Zweifel daran ließ, dass ihn diese geringe Menge ausgetauschten Blutes ebenfalls an die Schließung des Bundes erinnerte, den ein Youkai mit seinem Gefährten eingingen. Er lächelte, als er schließlich von ihrer Hand abließ, blickte sie jedoch ununterbrochen weiter an, als er ihre Wange streichelte, mit den Fingern eine Haarsträhne nach hinten legte und seine Hand vorsichtig über ihre Lippen, ihr Kinn, ihren Kiefer und ihren Nacken streicheln ließ. „Ich verstehe das alles immer noch nicht.“ gab er leise zu, doch unterbrach seine Liebkosungen nicht. „Ich verstehe es auch nicht vollkommen, aber ich glaube, ich kann dir trotzdem einiges erklären. Zumindest kann ich dir erzählen, was ich in der Zwischenzeit erlebt habe… und wie ich wieder zurückgekommen bin.“ entgegnete sie lächelnd. „Wie lange bin ich fort gewesen?“ wollte sie nun wissen. „Einundfünfzig Jahre, acht Monate und sechzehn Tage.“ antwortete er ohne große, notwendige Überlegung und gestand: „Ich konnte nicht anders, als die Tage zu zählen. Jeder einzelne von ihnen war… länger als gewöhnlich.“ Ayashi nickte und streichelte seine Wange. „Ich hoffe sehr, dass wir genügend Zeit haben, uns alles zu erzählen.“ fuhr Sesshoumaru unsicher und zweifelnd fort, da er dem guten Ausgang noch misstraute. „Ich habe nicht vor, so bald wieder zu gehen.“ meinte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Wenn du also nichts dagegen hast, würde ich nun gern bei dir bleiben.“ Sesshoumaru antwortete nicht, sondern zog sie nur ein einen erneuten Kuss, den er nach einer Weile nur unterbrach, da er sie bat, mit ihm zu kommen. „Wohin? Ich weiß, ich sollte jetzt so etwas sagen wie ‚bis ans Ende der Welt’, aber ich möchte dann doch wissen, wohin wir gehen.“ Sesshoumaru lachte leise – etwas, das er nicht mehr für möglich gehalten hatte, von sich selbst zu hören. „Ich war auf dem Weg zu deinem Vater nach Fukuoka.“ erklärte er. „Ja…“ flüsterte sie lächelnd, da sie die Freude, ihren Vater wieder zu sehen, überwältigte. „Natürlich… komme ich mit dir.“ versicherte sie, worauf sie spürte, dass seine Arme sie bestätigend umfingen, da ihre Knie offenbar etwas unter ihr nachgegeben hatten. „Lass’ uns gleich gehen, Sesshoumaru!“ bat sie und wollte sich schon von ihm losmachen. „Langsam, langsam. Ich muss dir vorher noch etwas gestehen.“ hielt er sie zurück, worauf sie ihn verwundert anblickte. „Ich hätte dich gerne gefragt, aber vor dem Gesetz ist das nun eigentlich überflüssig… Ich frage dich trotzdem noch einmal, wenn du willst.“ „Wovon redest du, Sesshoumaru?“ wollte Ayashi wissen, und konnte nicht leugnen, dass es ihr ein wenig Angst machte, wenn er so sprach. „Es wird dir vielleicht nicht gefallen, aber nachdem du von uns gegangen warst, akzeptierte dein Vater öffentlich unsere Verbindung…. „Sesshoumaru!“ rief Ayashi und fiel ihm um den Hals, da sie wusste, was das bedeutete. „Du bist die einzige Herrin des Westens und … meine anerkannte Gefährtin.“ fügte er trotzdem hinzu, umarmte sie und hörte, wie sie lachte. „Und das sollte mir nicht gefallen?!“ lachte sie, küsste ihn und sah dann zu ihm nach oben: „Ich glaube, diesen Irrtum müssen wir später eindeutig ausräumen. Und zwar so, dass bei dir darüber nicht auch nur der kleinste Funke Zweifel zurückbleibt.“ verkündete sie, worauf Sesshoumaru sie wieder zu sich zog, als sie sich langsam von ihm löste, und sie noch einmal küsste. „Ich lasse mich gern von dir belehren, das weißt du doch.“ entgegnete er, worauf sie wissend nickte. „Lass’ uns gehen.“ wiederholte sie, ließ sich von ihm küssen, und hörte erfreut, dass er ihr mit einem kehligen Geräusch zustimmte. Sie löste sich nach einem weiteren Kuss ganz von ihm, was Sesshoumaru nur schweren Herzens zuließ, und erhob sich in die Lüfte. Sesshoumaru sah sie an, wandte nicht den Blick von ihr, rief Yaken zu sich und schloss zu Ayashi auf, sobald sein Diener einigermaßen Halt im Fell des Daiyoukai gefunden hatte. „Dein Vater wird außer sich vor Freude sein.“ prophezeite Sesshoumaru. Ayashi nickte lächelnd, streichelte Sesshoumarus Wange und flüsterte ihm ins Ohr: „Komm’, beeilen wir uns! Ich kann es kaum erwarten, mit dir allein zu sein.“ Sesshoumarus Augen blitzten auf, da er genau wusste, was sie meinte. Versprechend ergriff er ihre Hand, führte sie zu seinen Lippen und küsste sie, ehe er sie wieder entließ. „Wir setzen Yaken auf unserem Weg nach Fukuoka in Shimonoseki ab.“ meinte er und wandte sich mit einer Anweisung an den Diener, die Ayashi sehr begrüßte: „Du wirst alles für unsere Ankunft vorbereiten lassen und dafür sorgen, dass wir ungestört sind.“ Sie warteten überhaupt nicht mehr auf Yakens Antwort, sondern brachen gemeinsam nach Fukuoka auf, um auch Kataga an ihrem lang verhinderten Glück teilhaben zu lassen. Sesshoumaru begegnete Ayashis Blick, sah, dass sie nachdenklich und mit Leichtigkeit neben ihm seine Geschwindigkeit hielt, und streckte seine Hand nach ihr aus. Ayashi legte ihre Hand in seine und ließ sich von ihm an sich ziehen, spürte seine Arme, die sie umfingen, und schloss für einen Moment die Augen. Sie war so glücklich, dass sie es überhaupt noch nicht begreifen konnte. „Lebe dein Leben.“ hatte Kodachi gesagt. Und genau das würden sie beide nun gemeinsam tun. Ihr Leben leben. Ihr Leben wiederaufnehmen. Ihr Leben gemeinsam fortsetzen. Ihr Leben als Youkai. Ihr Leben als Herr und Herrin des Westens. Ihr Leben als Gefährten. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)