Ayashi - Der Weg zur Wahrheit von abgemeldet ((überarbeitet)) ================================================================================ Kapitel 131: ------------- Es waren nur wenige Tage vergangen, seit Ayashi die Welt der Lebenden verlassen hatte, doch es kam Sesshoumaru wie eine Ewigkeit vor. Er hatte Fukuoka nicht verlassen, seit er Kataga die schreckliche Nachricht von Ayashis Tod überbracht hatte, und hatte gemeinsam mit dem Vater auf Katsumoto, Ayame und einige Bekannte Ayashis gewartet. Nun saß Sesshoumaru in seinen Gemächern, stützte sich mit den Händen leicht auf seinen Oberschenkeln ab und blickte auf die geschlossene Tür, die ihm den Blick in den prächtigen Garten des Schlosses in Fukuoka verwehrte. Hinter der Tür lagen duftende Blumenbeete, Gräser, Teiche mit wunderschön geschwungenen Brücken. Vögel, Frösche und kleine Tiere tummelten sich an den Ufern und im niedrigen Gebüsch. Und dort lief auch Ayashi leichtfüßig und barfuß über das frische Gras, lachte ihm zu, winkte ihn zu sich, doch drehte sich dann um und verschwand zwischen den Bäumen. „Täusch’ mich nicht so grausam, mein Herz.“ flüsterte Sesshoumaru und schloss die Augen, ehe er den Kopf senkte, die Augen wieder öffnete und auf seine verkrampften Hände blickte. Immer wieder glaubte er, Ayashis Stimme, ihre Schritte und ihren Atem zu hören. Immer wieder glaubte er, dass sie bald wieder neben ihm sein würde, ihre Hand über ihn gleiten lassen würde, mit ihm lachen würde, mit ihm sprechen würde, und ihm einfach nahe sein würde, doch sein Herz betrog ihn. Immer wieder fiel er für kurze Zeit auf die Lüge und vorgegaukelte Vorstellung herein, dass sie wirklich zurückkehren würde. Doch im nächsten Moment sank dann das schmerzende Bewusstsein tief in ihn. Ayashi würde nicht zurückkehren. Sie war fort. Und es spielte keine Rolle, dass er alles an ihr vermisste. Es wurde Zeit, dass er das akzeptierte, auch wenn es schmerzte, doch er fürchtete sich davor, Ayashi wirklich gehen zu lassen. Er hatte das Gefühl, dass er sie nicht gehen lassen durfte, dass er verhindern konnte, dass sie endgültig ging, wenn er sich nur weigerte, dieses verdammenswürdige Schicksal anzunehmen. Er wollte Ayashi in seinen Gedanken gefangen halten. Sie durfte ihn nicht verlassen. Und dabei wusste er genau, warum er sich weigerte: Er liebte sie eben. Entgegen aller Vernunft, die in diesem Fall nun einmal keine Rolle spielte, brachte er nicht die Kraft auf, sich von ihr zu verabschieden. Er konnte nicht zugeben, dass er sie verloren hatte, denn sonst musste er zugeben, dass er sich bei ihrem Tod selbst verloren hatte. Kataga saß ebenfalls in seinen Gemächern, während Ayame neben ihm saß und schwieg. Ihre rechte Hand lag in der Hand des Vaters, doch ihre linke wischte immer wieder ihre eigenen Tränen von den Wangen. Immer wieder warf sie einen Blick zu ihrem Vater, doch er schien das nicht einmal zu bemerken. Er hatte kein Wort gesprochen, seit sie mit Katsumoto, Ninshiki, Taido und Ishiki in Fukuoka angekommen war, nachdem ein Bote die Nachricht von Ayashis Tod nach Kochi getragen hatte. Es schmerzte ihn wohl zu sehr, überlegte Ayame, und versuchte nicht, ihn zum Sprechen zu animieren. Sie konnte seine Gefühle vielleicht nicht vollständig nachvollziehen, doch sie wusste, dass es ihn schmerzte. Auch sie litt unter Ayashis Verlust, dessen Nachricht sie so plötzlich erreicht hatte, dass ein Teil von ihr immer noch nicht glauben wollte, dass ihre große, wunderschöne Schwester wirklich getötet worden war. Sie war doch so glücklich gewesen, das hatte Ayame gewusst. Ihre Briefe, die sie ihrer jüngeren Schwester immer wieder geschickt hatte, hatten vor Lebensfreude, Glück und Zuversicht, Zukunftsplänen und Freude gesprüht. Die Nachricht ihres Todes schien so absurd, doch es wurde wohl langsam Zeit, dass Ayame sie endlich annahm. „Ich bin sehr froh, dass du hier bist, Ayame.“ brach Kataga schließlich sein Schweigen und Ayame nickte. „Ich wünschte, ich könnte mehr tun.“ flüsterte sie, da ihre zugeschnürte und tränenbittere Kehle ihr nicht erlaubte, lauter zu sprechen. „Du musst nicht mehr tun. Was redest du denn da?“ gab Kataga zurück, blickte sie an und schüttelte den Kopf, während er ihre Hand drückte. „Diese Zeiten sind für uns alle sehr schwer, aber wir… werden wohl mit unserem Leben fortfahren müssen.“ „Ayashi hätte es so gewollt.“ vermutete Ayame und senkte den Kopf. „Ja, das hätte sie wohl.“ meinte Kataga nachdenklich und drückte Ayame einen sanften, väterlichen Kuss auf die Stirn, ehe er ihre Hand entließ und sich erhob. „Wird es schon Zeit?“ fragte Ayame, da sie jegliches Gefühl für Dauer und Zeit verloren hatte, doch Kataga nickte, weshalb sie sich ebenfalls erhob und in die Gemächer ging, die sie schon lange nicht mehr bewohnt hatte. Es waren die Gemächer, die sie als kleines Mädchen erhalten hatte, und immer dann bewohnt hatte, wenn sie bei ihrem Vater zu Besuch gewesen war. Wie lange war sie nicht mehr hier gewesen? Fünf Jahre ungefähr, dachte sie, und nickte bei sich. Kataga hatte es in der letzten Zeit vorgezogen, dass er sie in Kochi besuchte, wenn er in der Nähe war – und das war er oft gewesen. Nicht selten hatte er Nachricht und Grüße von Ayashi überbracht. Nicht selten hatte Ayame Kataga bis Shimonoseki begleitet und war einige Tage bei Ayashi und Sesshoumaru geblieben, während Kataga weiter nach Fukuoka gereist war. Wieder traten ihr dicke Tränen in die Augen. Ayame bemerkte überhaupt nicht, wie die Dienerinnen ihre Gewänder wechselten, und sie für die Zeremonie richteten, die am Abend durchgeführt werden sollte. Sie hing ihren Gedanken nach. Ayashi. Ihre Schwester. Ihre ältere, geliebte Schwester war nicht mehr. Sie konnte sich ungefähr vorstellen, was Sesshoumaru empfand, glaubte sie, doch je länger sie darüber nachdachte, desto mehr verwarf sie den Gedanken. Sie konnte es nicht. Kataga hatte ihn nach Ayashis Tod als ihren Gefährten anerkannt – und ihm damit jedes Vorrecht gestattet, was bezüglich ihres Todes unternommen werden sollte. Wenn Kataga diesen Schritt ging, dann musste er sich sicher sein, dass sie beiden sich wahrlich geliebt hatten, und wirklich Gefährten gewesen waren. Dann hatten Ayashis und Sesshoumarus Herz im Gleichklang geschlagen, dann waren sie füreinander bestimmt gewesen – und dann war es für Ayame unvorstellbar, was Sesshoumaru nun fühlte. Vielleicht konnte sie als Schwester, die eine Schwester verloren hatte, einen Bruchteil seiner Trauer nachfühlen. Einen winzigen Bruchteil. „Hime-Sama, versucht bitte, nicht mehr zu weinen. Eure Tränen…“ meinte eine Dienerin vorsichtig, doch Ayame schüttelte rasch den Kopf. „Verbietet mir meine Tränen nicht. Ich vergieße sie aus gutem Grund.“ entgegnete Ayame allen Dienerinnen, fuhr sich aber mit den Händen über die Wangen, um die nassen Spuren etwas zu beseitigen. Sie würde noch mehr weinen. Viel mehr. Sesshoumaru hatte angeordnet, dass Ayashi zumindest ein symbolisches Begräbnis erhalten sollte. Ihr Körper hatte sich zwar – wie Sesshoumaru gesagt hatte, in silbernes Licht aufgelöst, doch er wollte einen kleinen Schrein für sie errichten und eine Zeremonie abhalten lassen. Ayame wusste, dass er als Ort die Ebene gewählt hatte, in der sie gestorben war, und sie wusste, dass sie dort noch viel mehr Tränen vergießen würde. Sesshoumaru kleidete sich für die Zeremonie in frische, weiße Gewänder. Es war Zeit, zumindest offiziell Abschied von Ayashi zu nehmen, und ihr eine angemessene, wenn auch ruhige und stille Begräbniszeremonie zukommen zu lassen, das wusste er. Dass er innerlich noch nicht bereit dazu war, war natürlich, doch Ayashis Ansehen als Hime, verlangte eine Zeremonie und er würde sie ihr gewähren, auch wenn ihm der Sinn und sein Herz wahrlich nicht danach stand. Er würde im engsten Kreis ihrer Familie Abschied von ihr nehmen, wie es von ihm erwartet wurde – und dies als ihr Gefährte somit auch ihren Angehörigen erlauben. Er würde Abschied nehmen, Ayashi für sein Versagen um Vergebung bitten, und sein Schwert, das ihr in diesem Kampf nicht das Leben hatte bewahren können, dort am Schrein niederlegen. Sesshoumarus Blick glitt zu seinen Waffen und verharrte einen Augenblick, ehe er dann sowohl das Schwert, mit dem er gegen Yari gekämpft hatte, als auch Tenseiga an sich nahm. Er hatte vor einigen Tagen geschworen, fortan keine Waffe mehr außer Tenseiga zu führen und sich so immer an sein Unvermögen erinnern. Denn er hatte Ayashi mit der schneidenden Waffe so gut geschützt, als habe er das nicht schneidende Tenseiga geführt. Es hätte keinen Unterschied gemacht, welches der Schwerter er geführt hätte. Er war nicht in der Lage gewesen, ihr Leben zu schützen. Er hatte versagt. Tenseiga würde ihm das immer vor Augen halten. Jeden einzelnen trostlosen Tag und jede einzelne, beinahe endlose Nacht. Tenseiga und das fehlende Tessaiga an seiner Seite, das sein Vater Inu-no-taishou ihm verwehrt hatte, und mit dem er Ayashi nun sicher noch an seiner Seite gehabt hätte. Wut stieg zusätzlich zur Trauer in Sesshoumaru auf und er schloss einen kurzen Moment die Augen. Seine Vernunft rief ihm zu, dass seine Gedanken irrational waren, doch einem weitaus größeren Teil war das gleichgültig. Wie hatte sein Vater nur so entscheiden können? Wieso hatte ihm sein Vater verwehrt, was er an jenem Tag so bitter nötig gehabt hätte? Er war sich sicher, dass er den Kampf mit Tessaiga viel schneller hätte beenden können. Es wäre vielleicht nie dazu gekommen, dass Ayashi und Tsukiyomaru in den Kampf eingegriffen hätten. Er wusste es nicht. Er konnte es nur vermuten, doch er wusste ganz sicher, dass er Ayashi mit Tessaiga hätte schützen können. Im Augenblick dieser Erkenntnis schwor er sich, nicht eher zu ruhen, bis er in den Händen hielt, was ihn rechtmäßig zustand: Tessaiga. Doch nun musste Sesshoumaru wieder an Ayashi denken und an den würdevollen Abschied von ihr. Er hatte veranlasst, dass ein Schrein am nördlichen Berghang der Ebene errichtet wurde, und sich davon überzeugt, dass alles für die Zeremonie vorbereitet war. Sesshoumaru atmete tief ein und verdrängte die unsagbare Wut tief in sich, doch er spürte, dass er nur bedingt erfolgreich war. Jeder Atemzug, den er ohne Ayashi tat, war zu viel für ihn. Die Wut blieb und loderte tief in ihm weiter – und wurde fester Bestandteil seines Wesens, das spürte er ganz deutlich, auch wenn er nach außen kühl und kontrolliert erschien. Sesshoumaru wusste, dass der Schrein fertig war und auch die beiden Stelen, die ihren und seinen Namen trugen, vorbereitet waren und nebeneinander am Schrein standen. Ihr Name war als Erinnerung eingemeißelt worden, dass sie nicht mehr in dieser Welt weilte, und würde das Gedenken an sie aufrechterhalten, bis die gnadenlose Zeit irgendwann den Schleier des sanften Vergessens über ihre Existenz legte. Sein Name stand neben ihrem und er würde die gemeißelten Schriftzeichen als Teil der Zeremonie mit roter Farbe nachzeichnen, die erst dann entfernt wurde, wenn er selbst ebenfalls gestorben war. Ein Teil von ihm konnte diesen Tag nicht erwarten, doch er schob die düsteren Gedanken so weit von sich, wie er konnte. Er sah zwar kaum noch Sinn darin, doch er konnte diese Welt noch nicht verlassen. Er hatte noch viel zu tun. Er musste über sein Land herrschen. Er musste mit Kataga, Katsumoto und Tsukiyomaru und seinen anderen Verbündeten die Ordnung des Rates wiederherstellen, denn ohne die Instanz des Rates drohte ein Krieg zwischen allen Youkai, hatte Kataga ihn darauf hingewiesen, als er mit dem Gedanken gespielt hatte, Ayashi zu folgen. Und in dieser Sache hatte Kataga Recht, musste Sesshoumaru zugeben. Das bedeutete, dass es nur eine Möglichkeit gab: Der alte Rat musste aufgelöst werden, doch das war beinahe nicht mehr nötig. Die Mitglieder des Rates – sowohl die korrupten als auch die, die nichts von Yaris Überleben gewusst hatten – fürchteten ihn und seine furchtbare Rache - aus gutem Grund, dachte Sesshoumaru, doch es verschaffte ihm keine Genugtuung. Die korrupten hatten sich in den letzten paar Tagen durch ihre Flucht verraten. Die verbleibenden Mitglieder waren bereit, auf seine Forderungen einzugehen und er wollte die Neubildung des Rates und die Bestrafung der korrupten Mitglieder vor dem neuen Rat. Sie waren einverstanden gewesen und hatten ihm bereits den Vorsitz des Rates angetragen, was er allerdings abgelehnt hatte. Kataga war für diese Machtposition und Stellung deutlich besser geeignet, fand Sesshoumaru, und stillschweigend war diese Forderung auch schon so gut wie akzeptiert worden. So viel zu tun gab es also doch nicht mehr, schoss Sesshoumaru durch den Kopf, doch eine leise Stimme flüsterte ihm zu, dass das nichts an seiner Entscheidung ändern sollte, am Leben zu bleiben. Doch warum sollte er auf diese Stimme hören? Es gab nur eine Person, die ihn daran hindern konnte, seinem Schmerz zu entfliehen. Ayashi. Sesshoumaru schloss für einen kurzen Moment die Augen und atmete tief durch. Was sollten diese Gedanken? Wie schwach war er denn? Er sollte sich vor sich selbst in Grund und Boden schämen, das wusste er. Ayashi würde seine Gedanken, sein Leben zu beenden, mit Sicherheit nicht für gut heißen. Immerhin hatte er ihr versprechen sollen, nicht aufzugeben, und auch wenn er es im Augenblick ihres Todes nicht gekonnt hatte, so wollte er sie nun nicht in dieser Hinsicht auch noch enttäuschen. Seine Zeit war noch nicht gekommen. Und bis sie gekommen war, sollten alle Wesen die leuchtende, rote Farbe in den Schriftzeichen seines Namens an ihrem symbolischen Grab sehen können. Denn die Farbe verdeutlichte das letzte Versprechen, das er Ayashi geben konnte: Er würde sie wiedersehen und seine Seele würde sich nach seinem Tod mit ihrer in der Unterwelt wieder vereinen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)