Ayashi - Der Weg zur Wahrheit von abgemeldet ((überarbeitet)) ================================================================================ Kapitel 23: ------------ „Du bist nun also Ayashi, von der ich schon so viel gehört habe.“ dachte Karasu scheinbar laut nach. Ayashi nickte und betrachtete die Frau genauer. Sie war von hoher Geburt, aber ihre Züge strahlten eine gewisse Rohheit aus – eine Rohheit, die Ayashi eine gewisse Bereitschaft zu einem Konkurrenzkampf vermittelten. Was hatte Karasu vor? Glaubte sie im Ernst, dass Ayashi eine Gefahr für ihre Stellung im Schloss ihres Vaters war? Oder hatte Karasu, wenn sie schon so viel über Ayashi gehört hatte, vielleicht schon verstanden, dass Ayashi nach dem Tod ihrer Mutter die wichtigste Frau im Leben ihres Vaters war und auch bleiben würde? „Wie alt bist du nun?“ fragte Karasu und riss Ayashi mit dieser ungeziemenden Frage aus ihren Gedanken. „Ich lebe nun seit einhundert Jahren.“ gab sie Auskunft und ließ ihren Blick über den Hof streifen. „Da hast du ja noch Zeit, dir über den geeigneten Gemahl Gedanken zu machen, wobei ich annehme, dass das letzte Wort dein Vater haben wird. Ich habe einen Neffen, einen sehr eifrigen und achtsamen Neffen.“ fuhr Karasu fort und schürte in Ayashi das Unbehagen. „Ich denke, ich habe noch Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, wie du sagtest, Karasu. Allerdings denke ich, dass mein Vater meine Wünsche respektieren wird, und mich nicht in eine Heirat mit einem Mann geben wird, der nicht meinen Vorstellungen entspricht.“ entgegnete Ayashi und hoffte, damit das Thema zu beenden. „Hast du denn Vorstellungen? Hast du vielleicht sogar schon einen Kandidaten im Auge? Mein Neffe…“ „Karasu, ich danke dir, doch erwartest du allen Ernstes, dass ich deinen Neffen in Betracht ziehe, wenn ich nichts über dich und deine Familie weiß?“ „Ich dachte nur, dass du vielleicht…“ „Wenn du mich entschuldigen willst… Ich möchte ebenfalls Inu-no-taishou-Sama begrüßen.“ fuhr Ayashi ihr mit aufsteigendem Ärger über den Mund. „Er ist bestimmt in einer Angelegenheit hier, die nur Männer etwas angehen.“ warf Karasu ein. Ayashi achtete nicht auf ihre Worte, erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung und ging mit leichtfüßigen, kleinen Schritten über den Hof. Selbst wenn es geschäftliche Gespräche waren, würden beide diese gern unterbrechen, wenn Ayashi Inu-no-taishou begrüßen wollte. Karasu sah ihr missbilligend nach. Ayashi war tausendmal schöner und edler als sie selbst es war, das hatte sie leider bemerken müssen. Wie erst musste ihre Mutter ausgesehen haben, wenn sie diese Schönheit nur zu einem Teil ihrer Tochter weitervererbt hatte? Karasu wandte den Blick auf den Boden, als Ayashi den Gang in einen kleineren Hof betreten hatte. Konnte sie jemals Katagas Wünsche erfüllen und erhalten, was sie begehrte? Ayashi ging nicht direkt zu ihrem Vater und Inu-no-taishou, da sie erst noch Karasus Unverschämtheiten aus ihren Gedanken verbannen wollte. Sie wollte ihrem Vater nicht begegnen, wo gerade seine neue Gefährtin so unverfroren mit ihr gesprochen hatte. Außerdem wollte sie sich umziehen, das Miko-Gewand störte sie und hatte wahrscheinlich auch ihren Vater nicht erfreut. Ayashi suchte schnell ihre Gemächer auf, in denen bereits ihre beiden Dienerinnen Zhu-Lien und Zhang auf sie warteten. „Ayashi-Hime, willkommen zu Hause.“ begrüßten sie ihre Herrin und geleitete Ayashi in ihren Ankleideraum, um ihr beim Wechseln ihrer Gewänder zu helfen.“ „Ich danke Euch. Wie ist es Euch in meiner Abwesenheit ergangen?“ „Ihr habt uns gefehlt, Hime-Sama.“ gestand Zhu-Lien. „Wir waren Karasu-Sama zu Diensten, Hime-Sama.“ meinte Zhang und legte das Miko-Gewand über einen Stuhl, während Zhu-Lien die ersten Untergewänder eines Kimonos bereitlegte. „Seit wann ist sie im Schloss meines Vaters? Es kann nicht viel Zeit nach meiner Abreise vergangen sein.“ „Sie kam vor acht Monaten, Ayashi-Sama. Ihr wart gerade zwanzig Tage unterwegs.“ gab Zhang Auskunft und Zhu-Lien fügte hinzu: „Kataga-Sama wünschte nicht, dass Ihr unterrichtet werdet. Er sagte, Ihr solltet Eure Reise nicht unterbrechen müssen.“ Ayashi nickte und ließ sich die letzten Schlaufen ihres Kimonos binden, ehe ihre Dienerinnen sich an ihre Haare machen wollten. „Nein, danke. Das ist nicht nötig. Ich möchte sie nur locker zusammenbinden.“ wehrte Ayashi, als Zhu-Lien sie kunstvoll hochstecken wollte. „Wie Ihr wünscht, Ayashi-Hime.“ meinte sie und ordnete dann das Haar, um es mit einem blauen Band locker zu binden. Ayashi wechselte noch einige wohlwollende Worte mit ihren Dienerinnen, ehe sie hinaus in den Garten ging und langsam über die verwundenen Wege schlenderte. Die Kieselsteine knisterten unter ihren Schritten und ihr Bewusstsein fasste allmählich, dass sie zu Hause war – egal, ob Karasu unverschämt war oder nicht. Was daraus werden würde, konnte nur die Zeit beantworten. Die wenigen Youkai, die ihr begegneten, begrüßten sie angemessen und höflich zurückhaltend und hießen sie ebenfalls willkommen. Einige von ihnen schienen erleichtert zu sein. Vielleicht waren sie nicht glücklich über Karasu-Samas Aufenthalt im Schloss, doch das würde niemand von ihnen wagen auszusprechen. Ayashis Weg führte sie schließlich zu dem künstlich angelegten See und über die schmale Brücke, in deren Nähe ein Schrein für ihre verstorbene Mutter errichtet worden war. Nachdenklich setzte sie sich auf die Steinbank und griff mit der linken Hand nach einer abgefallenen, verwelkten Blüte. Sie dachte zurück an den verletzten Yaken und ihre Gedanken kehrten unwillkürlich zu Sesshoumaru-Sama zurück, den sie so gerne wiedersehen würde. Ein kühler Luftzug riss sie aus ihren Gedanken und ließ sie aufblicken. Die Bäume um sie herum verloren bereits einige Blätter und waren in den Tagen ihrer Reise auch anderswo schnell kahl geworden. Der Winter schien es in diesem Jahr eilig zu haben. Winter. Ayashi war im Winter geboren, das wusste sie, und jedes Mal, wenn der Winter anbrach und der erste Schnee fiel, sah sie ihren Vater, der mit einer befremdenden Schwere den Schrein ihrer Mutter aufsuchte. Sie wusste nicht genau, was er am Schrein tat, da sie ihn noch niemals begleitet hatte. Wahrscheinlich dachte er nach oder sprach mit Midoriko, sie konnte es nicht sagen. Danach allerdings, war er noch immer zu Ayashi gekommen, hatte sie ihn den Arm genommen und sie auf die Stirn geküsst. Dann hatte er ihr gesagt, dass er sie liebte. Würde er auch in diesem Jahr an dieser Tradition festhalten? Er hatte eine neue Frau an seiner Seite, die sein Kind unter dem Herzen trug. Hatte er deshalb aber ihre Mutter Midoriko in seinem Herzen endgültig sterben lassen? Hatte er sie gehen lassen und mit der Vergangenheit, deren Erinnerung er bisher gepflegt hatte, abgeschlossen? Plötzlich hörte sie, wie der Kies erneut knisterte und sich Schritte näherten, und blickte sich um. Kataga trat neben sie und setzte sich nun zu ihr. „Ist Inu-no-taishou bereits wieder aufgebrochen?“ fragte Ayashi, ohne ihren Vater anzublicken. „Ja, aber er kommt bald wieder. Du brauchst also nicht traurig zu sein, dass du ihn verpasst hast.“ entgegnete Kataga und folgte Ayashis Blick, der auf den Schrein gerichtet war. „Was ist sonst geschehen, während ich unterwegs war?“ fragte sie nach längerem Schweigen. „Komyos Gemahlin hat vor einigen Monaten einen gesunden Sohn geboren. Sein Name ist Higen.“ Komyo war ein angesehener Wolfsyoukai aus dem Ougebirge und sein erster Sohn Kouga war sein direkter Nachfolger. Der vierzehnjährige Kouga hatte also einen Bruder bekommen. Als Kataga bemerkte, dass Ayashi nickte, atmete er tief durch und sah seine Tochter lange an, bevor er leise weitersprach: „Ajisai-Sama ist verstorben.“ Ayashi schloss ihre Augen und schluckte schwer. Dann nickte sie wieder. „Dann sind die Gerüchte also wahr.“ flüsterte sie und blickte ihren Vater an. „Du hast davon gehört?“ fragte er verwundert. „Ich befand mich bereits auf dem Weg hierher, als ich Bauern über Ajisai-Samas Tod spekulieren hörte.“ erklärte Ayashi und sah wieder zum Schrein. Beide Gerüchte hatten sich als wahr erwiesen, doch dass Ajisai-Sama gestorben war, schmerzte sie mehr als die Tatsache, dass Karasu das Kind ihres Vaters erwartete. Wie mochte sich Sesshoumaru-Sama fühlen? Wusste er es überhaupt schon? „Wie ist Ajisai-Sama gestorben? War es… Es war doch kein Verbrechen?“ fragte Ayashi, doch Kataga nickte traurig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)