Father Dest's Erbe von Pansy (Fortsetzung zu "Sinnlose Versprechen") ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Ein liebes Dankeschön an alle, die sich für eine Fortsetzung von „Sinnlose Versprechen“ ausgesprochen haben. Das hat mich wirklich bestärkt! *^_^* Viel Spaß bei „Father Dest’s Erbe“!!! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Prolog „Weitreichender Einfluss und unanfechtbare Macht prägen noch lange keinen Helden.“ Mit Macht schafft man sich Untertanen, Ehrfurcht und Narzissmus. Ignoriert man dabei die Missgunst und den natürlichen Feind – den Menschen selbst –, so gereichen Autorität respektive Prestige zu einer hohen Stellung in der Gesellschaft. Ansehen und Reputation so weit das Auge reicht. Ruhm als Garantie für die Expansion der Macht. Gesponnene Fäden, ein Fundament des Ziehens und Spielens. Ein Einzelner, der im Verborgenen hämisch lacht. Die Welt gleicht einem riesigen Marionettentheater, die Menschheit einem bedingt nutzbaren Werkzeug. Aufheben und Wegwerfen. Begehren und Hass. Tatenloses Zusehen um des lieben Friedens Willen? Oder kämpfen, dem sicheren Untergang geweiht? Was ist eigentlich ein Held? Ein Sieger? Ein Hauptdarsteller? Eine Berühmtheit? … … Doch vergessen alle Synonyme den wahren Kern. Und genau der bringt letztendlich jeden Helden irgendwann zu Fall… Kapitel 1: - 1 - ---------------- - 1 – „Am vierten November? Ich wäre Ihnen sehr verbunden.“ Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen lief Jason Sartaren, ehemaliger Bürgermeisterkandidat von Asht-Zero, im Zimmer auf und ab. Als er gerade eines der beiden großen Fenster passierte, blieb er abrupt stehen und schaute über die Dächer der Stadt hinweg. „Ich lasse Ihnen meine Notizen zukommen… Den wünsche ich Ihnen auch.“ Zufrieden klappte er sein Handy zu und schob es in seine linke Hosentasche. Wieder einmal hatte er eines dieser unabdingbaren und zugleich lästigen Gespräche hinter sich gebracht. Seit bereits gut einem Monat tätigte er täglich um die drei bis vier solcher Telefonate. Nicht alle waren erfolgsversprechend und bei weitem nicht aufbauend oder gar fruchtbar, aber gerade in diesem Moment fühlte sich Jason gut. Wenn nicht sogar richtig gut. Frimmingway würde abermals seinen Ghostwriter mimen und dieser Mann war weitaus begabter als er selbst. Nicht umsonst war er berühmt für seinen Artikel ‚Berg- und Talfahrt in Asht-Zero’. Killian Frimmingway war ein anerkannter Kritiker und kaum einer wusste von seinen nebenberuflichen Aktivitäten als Ghostwriter. Und genau das machte sich Jason seit dem Zeitpunkt, wo er eher durch Zufall davon erfahren hatte, zunutze. Es hatte ihn einige Mühe gekostet, den angesehenen Schriftsteller für seine Zwecke zu gewinnen, doch er hatte es geschafft und das war die Hauptsache. In einer Woche würde also sein nächster getarnter Angriff gegen Zundersby in der Zeitung erscheinen. Langsam, aber sicheren Schrittes schlich er sich in das Denken der Bevölkerung. Unterschwellig manipulierte er die Meinung der Bürger, um ihnen irgendwann durch einen gezielten Stoß die Augen zu öffnen. Nur die unbescholtenen Menschen würden die Macht innehaben, die Korruption, die in Asht-Zero zuhauf vertreten war, zu sprengen oder zumindest einzudämmen. Dazu brauchte Jason aber die Gesamtheit all derjenigen, die nicht in das weitreichende Netz des Verrates und Betruges verstrickt waren. Und sie konnte er nur subluminal auf seine Seite ziehen. Er hatte seine Chance, öffentlich aufzutreten, vor einem halben Jahr verspielt. Ja, er war naiv und arglos gewesen. Hatte kaum darüber nachgedacht, was er tat oder in was er sich hineinmanövrierte. Doch so sehr er seine Gutgläubigkeit auch bereute, so hatte sie ihm immerhin die Wahrheit beschert. Sein Vater hatte etwas in Gang gesetzt, das das Leben in dieser Stadt grundlegend verändern sollte. In seinem Vorhaben, Tyrone von Zundersby das Handwerk zu legen, hatte er sein Leben gelassen… Mit einem Mal schwand das Lächeln aus Jasons Gesicht und er sank mit der Stirn gegen die Fensterscheibe. Der Gedanke an Kelvin brachte jedes Mal eine gewisse Melancholie mit sich, die ihn für einen Moment der Welt entriss. Dass sein Tod kein natürlicher war, ließ ihn immer von neuem an allem zweifeln. Und gleichzeitig schöpfte er aus diesem Wissen Kraft. Ihm kam dieser Zwiespalt vollkommen absurd vor, aber diese Quelle der Hoffnung wollte er auch nicht aufgeben. Mit glänzenden, braunen Augen sah er gen Himmel und in das klare Blau, das für den Herbst fast schon eine Besonderheit war. Seit dem Vorabend hatte der Dauerregen der vergangenen Woche endlich ein Ende und doch konnte sich Jason nicht an dem Wetter erfreuen. Denn er assoziierte dieses kräftige, dunkle Blau grundsätzlich mit einem Augenpaar, das er am liebsten vergessen hätte. Er war es, der Lance auf dem Friedhof hat stehen lassen, und doch hatte sein Herz nie gänzlich mit diesem Kapitel seines Lebens abschließen können. Manchmal verfluchte er die Liebe, da sie nichts als Leid und Schmerz mit sich brachte. Seit dem Tag, an dem er Lance das letzte Mal geküsst hatte, hatte er nicht mehr diese Leidenschaft gespürt, die jener in ihm auslösen konnte. Und Jason redete sich immer wieder ein, dass er sie nicht brauchte. Dass er prächtig ohne sie zurecht kam. Schließlich hatte er noch seinen Verstand und den Teil seines Herzens, der nicht… verseucht war. Als immer wieder eine Klingel ertönte, schrak er auf. Manchmal vergaß er, dass er nun alleine wohnte und nicht mehr Holly zur Tür ging, wenn er in Gedanken war. Vier Monate waren auch lange genug gewesen, wo er sich bei ihr eingenistet und sich ihr aufgedrängt hatte. Auch wenn sie gut miteinander ausgekommen und sich selten in den Haaren gelegen hatten, hatte er doch seinen neuen Tätigkeiten nur bedingt nachgehen können. Bisher wusste Holly nichts von seiner langsam anwachsenden zweiten Identität und sie sollte es nach seinem Dafürhalten auch nicht erfahren. Je weniger Personen von seinem anderen Ich wussten, desto besser. Ohnehin würde dieses Wissen für die Eingeweihten nur eine Gefahr darstellen. Und ein weiteres Opfer wollte Jason nicht bringen. Seine Wohnung bestand lediglich aus einem Wohnzimmer, das zugleich Esszimmer und Küche war, aus einem Schlafzimmer und einem Bad, wobei die Zimmer allesamt durch einen kleinen Flur miteinander verbunden waren. „Hi“, öffnete er das stabile Holz der Haustür mit einer angedeuteten Verneigung. „Meine Erziehungsmaßnahmen greifen also immer noch“, grinste Holly, als sie an ihm vorbei in die Wohnung trat. „Das ehrt mich.“ Behände streifte sie ihren knielangen Mantel ab und drückte ihn ihrem Freund in die Hand. „Dann kannst du den hier gleich aufhängen.“ „Ich hätte ihn dir sogar abgenommen.“ „Ach?“, zog sie eine Braue hoch. „So viel Kavalier passt gar nicht zu dir. Außerdem“, legte sie beide Arme um seinen Hals, „muss ich ja nun nicht mehr hinter dir herräumen, da habe ich noch genug Kraft, mich selbst auszuziehen.“ Einen leichten Kuss drückte sie ihm noch auf die Wange, ehe sie wieder von ihm abließ. „Hinter mehr herräumen?“, echote er sarkastisch. „Das lief eher so ab, dass ich geputzt habe, während du faul auf dem Sofa lagst.“ „Am besten mit der Fernbedienung in der Hand und schlafend.“ „Natürlich“, erwiderte er gelassen. „Alles klar. Und morgen geht die Welt unter“, winkte sie ab und ging geradewegs in die Wohnküche, wo sie sich gewohnheitsgemäß selbst bediente. Sie wusste, dass Jason ihr etwas anbieten würde, doch dazu ließ sie es meist nicht kommen. So häuslich wie er sich bei ihr die Wochen über gefühlt hatte, fühlte sie sich bei ihm auch. Und das hieß für sie nun mal, dass sie sich selbst versorgen konnte. „Gibt’s irgendwas Neues?“, ließ sich Jason auf einen der vier Esszimmerstühle fallen. „Sonst wäre ich ja nicht hier“, biss sie vergnügt in einen Apfel und sah ihn verschmitzt an. „Die werte Dame gebietet mir also nur die Ehre, wenn sie Neuigkeiten hat, die sie keine vierundzwanzig Stunden für sich behalten kann.“ Herausfordernd erwiderte er ihren Blick und wartete auf das feurige Funkeln, das immer dann einsetze, wenn sie vor Rededrang bald platzte. Seit seiner übereilten Idee, Bürgermeister werden zu wollen, hat sich ihre Freundschaft um einiges vertieft und Holly weihte ihn bisweilen in alles ein, was in ihrer Redaktion vor sich ging. Sie tat das mehr aus der Intention heraus, Jason die Möglichkeit zu bieten, irgendwann seine Bestimmung zu finden, ob durch eine Spendenaktion ausgelöst oder durch eine gemeinnützige Veranstaltung. Sie hoffte, dass er seinen Weg, etwas Gutes zu bewirken, auf diese Weise finden würde. Doch Jason nutzte ihre Informationsbereitschaft für seine ganz eigenen Vorhaben. Es war armselig von ihm, ihre gut gemeinte Freimütigkeit derart hinterlistig zu missbrauchen, aber er redete sich immer wieder ein, dass er das nicht für sich, sondern für alle Bürger der Stadt tue. Wer behauptete, dass es leicht war, seiner besten Freundin seine wahren Ziele vorzuenthalten und gute Miene zum bösen Spiel zu machen, der hatte sich mächtig geschnitten. Manchmal war er kurz davor, ihr alles zu erzählen, doch seine Vernunft obsiegte am Ende jedes Mal. Wissen stellte nur eine Bedrohung dar und Holly durfte ihn nicht auch noch verlassen. Das würde er nicht ertragen. Mit ernstem Blick musterte er die brünette Frau, die mit dem Rücken am Kühlschrank lehnte. Seit sie ihm die Wahrheit offenbart hatte, wirkte sie wesentlich gelassener und unversperrter. Und sie scherzten viel mehr miteinander. Das lenkte ihn oft von Aspir ab, sein jüngeres Ich, mit dem er im Verborgenen agierte. „Plötzlich schweigsam?“, fragte er sie nun leise lächelnd. „Ich habe nur darauf gewartet, dass du vor mir auf die Knie fällst und um die Neuigkeiten winselst. Aber da würde ich letztendlich hier nur fest wachsen“, meinte sie schulterzuckend. „Darf ich daraus auf deine heimlichen Neigungen schließen?“, grinste er nun breit. „Bekommt Eddy dann auch die Gelegenheit, seine Fantasien auszutesten?“ Ohne Vorwarnung flog der Apfel, von dem Holly eben noch abgebissen hatte, in seine Richtung, den er problemlos auffing. Vor gut einem Monat hat er von der Beziehung der beiden erfahren, was sicherlich auch zur Lockerheit seiner Freundin beitrug. „Unsere nächtlichen Erlebnisse gehen dich gar nichts an“, entgegnete sie heiter. „Und die am Tag auch nicht“, fügte sie zwinkernd an. „Wenn du einmal davon anfangen würdest zu erzählen, wüsste ich danach ohnehin mehr Details als mir lieb wäre.“ Unbeteiligt biss er ein Stück Apfel ab, ehe er ihn ihr wieder zuwarf. Sie verkniff sich einen weiteren Kommentar, ansonsten hätte sie Jason nur gekränkt und das wollte sie partout nicht. Mit der Trennung von Lance hatte er schon genug Probleme zu bewältigen, da brauchte er nicht noch ihr mangelndes Taktgefühl. „Ich soll dir einen schönen Gruß von ihm ausrichten“, erwiderte sie daher schlicht. „Danke. Übrigens finde ich es wirklich toll, dass ihr endlich zueinander gefunden habt.“ „Endlich… wie das klingt.“ „Das hat jeder gesehen, dass es zwischen euch funkt“, erwiderte Jason, während er auf einen der Stühle sich gegenüber verwies. „Komm. Setz dich.“ „Jetzt wirst du ungeduldig“, grinste sie, ließ sich aber brav auf einem der Stühle nieder. Langsam fuhr sich Jason durchs Haar. Informationen waren für ihn nun mal bisweilen sehr wertvoll, da konnte er sich keine entgehen lassen. „Nein, ich möchte dir lediglich ein guter Zuhörer sein“, meinte er ruhig. Einen Moment lang beäugte sie ihn kritisch, legte dann aber den halben Apfel zur Seite und begann zu berichten: „Mike versucht immer noch herauszufinden, von wem der Artikel stammt, der Tyrone von Zundersby zwar kritisiert, ihn aber keineswegs angreift, zumindest nicht auf den ersten Blick. Nur wer ihn ein paar Mal liest, kann die wahre Botschaft darin erkennen… Der Autor ist wirklich sehr gerissen.“ In Jasons Augen zeichnete sich das gleiche Funkeln wie in Hollys grau-grünen ab. Doch im Gegensatz zu ihr wusste er, von wem jener stammte: Frimmingway! In seinem Namen, nur mit einem Kürzel versehen, das gewiss nicht auf ihn schließen ließ. „Ich frage mich selbst, wer sich hinter R.I. verbergen mag“, fuhr Holly unbeirrt fort. „Seit der Bürgermeisterwahl steht Tyrone unter Argusaugen, doch er gibt sich keine Blöße. Und gegen den Artikel hat er auch nichts unternommen. Irgendwie kommt mir diese Ruhe so…“ Sie überlegte. „… irreal vor?“, ergänzte Jason und sah sie halb fragend, halb zustimmend an. „Ich glaube, nach diesem Wort habe ich gesucht“, nickte sie vor sich hin. „Wenigstens kommen meine Kollegen nicht auf den dummen Gedanken, dass du dich hinter R.I. verbirgst“, seufzte sie und hatte im gleichen Moment keinen blassen Schimmer davon, dass sie ins Schwarze damit getroffen hätte. „Ich wiederhole die Witze lieber nicht, die sie immer dann reißen, wenn sie mich abwesend meinen.“ Obwohl es Jason verletzte, dass hinter seinem Rücken immer noch derart negativ über ihn geredet wurde, so erleichterte es ihn andererseits. Denn genau das hatte er bezwecken wollen, als er seinen Brief an den Stadtrat geschickt hatte. In diesem hatte er nicht nur seine Kandidatur zurückgezogen, sondern noch beteuert, dass sein Gang in die Politik der reinste Fehler gewesen war und er Derk Vanrim zu Unrecht in ein schlechtes Licht gerückt hätte. Damit hatte er endgültig die Lacher der Stadträte auf sich gezogen, doch das war pure Absicht gewesen. Entgegen aller Seriosität hatte Vanrim einige Sätze seines Briefes mehrmals in der letzten Woche des Wahlkampfes zitiert, aber dass er Jason auf diese Weise auch noch geholfen hatte, hatte dieser nicht erahnen können. Menschen wie Derk Vanrim waren manchmal eben doch vollkommen berechenbar. Sie würden alles tun, um sich über andere zu stellen. „Jason?“ Hollys Stimme klang besorgt. „Schon gut“, winkte er ab. Er musste wohl getroffener ausgesehen haben als er in Wahrheit war. „Davon lasse ich mich nicht unterkriegen. Wenn sie damit Spaß haben, dann sollen sie sich keinen Zwang antun.“ „Dan hat letztens einen Anpfiff von mir bekommen, als ich ihn erwischt dabei habe, wie er dich beschimpfte“, verteidigte sie Jason, obwohl es dieser nicht darauf hat anlegen wollen. „Und, hat er sich wenigstens schuldig gefühlt danach?“, wollte er aber dann doch wissen. „Nicht wirklich“, seufzte sie. „Dachte ich mir. Lass sie einfach reden, okay?“, suchte er ihren Blick auf. „Irgendwann verlieren sie die Lust daran, dann hören sie ganz allein damit auf.“ „Aber wenn ich auch nur ein Wort davon höre“, ballte sie ihre Rechte zur Faust. „Setze deine Karriere nicht wegen mir aufs Spiel“, schlichtete Jason ihren Zorn. „Solange ich damit leben kann, solltest du es auch tun.“ Qualvoll sah sie ihn an. „Gar nicht so leicht, wenn man das bald täglich mitbekommt.“ „Weißt du was?“ „Ja?“, zog sie ihre Brauen kraus. „Danke.“ „…“ „Ich schätze mich wirklich glücklich, eine Freundin wie dich zu haben.“ Ein leichter Rotschimmer zierte nun ihre Wangen. „Ach, so toll bin ich gar nicht“, wehrte sie ab, aber man sah ihr dennoch an, dass sie sich über seine Worte freute. „Aber nicht nur über R.I. wurde heute eifrig diskutiert“, fuhr sie alsbald fort. „Es kam eine Nachricht rein, die alle ziemlich schockte. Für den Bau einer Fabrik soll die alte Kapelle im Süden der Stadt abgerissen werden.“ Jasons Augen weiteten sich. „Sie sei so baufällig, dass sich eine Restauration nicht lohnen würde, hieß es.“ „Steht sie nicht unter Denkmalschutz?“, wunderte sich der junge Mann, der nicht glauben konnte, dass wieder ein Stück Kultur zerstört werden sollte. Insbesondere eines, das ihn an seinen Vater erinnerte. Als kleiner Junge hatten sie die Kapelle öfter zusammen aufgesucht, denn anhand ihrer Porösheit hatte Kelvin ihm die Sterblichkeit der Menschen erklärt. Auf diese Weise war er mit dem Tod vertraut worden. Und wie man durch ein wenig Willen dennoch etwas erhalten konnte, was man schätzte. „Der ist anscheinend aufgehoben“, antwortete Holly kopfschüttelnd. „Ich kann das immer noch nicht glauben. Solche Bauten sollte man erhalten. In ihnen stecken so viel Wissen und Erinnerungen! Man kann sie doch nicht einfach einreißen, nur um mehr Bauplatz zu haben“, endete sie ein wenig verzagt. „Vanrim…“, ächzte Jason und biss sich im selben Moment auf die Lippe. Er war sich sicher, dass ihr neuer Bürgermeister zusammen mit Zundersby dahinter steckte, aber er hatte seine Vermutung eigentlich nicht laut äußern wollen. „Unser werter Herr Bürgermeister kann endlich mal zeigen, ob er der Richtige für dieses Amt ist, findest du nicht auch?“, meinte er daher gepresst und dennoch mit einer gewissen Ironie in der Stimme. Lange blickte Holly ihn nachdenklich an und drehte währenddessen das bisweilen leicht bräunliche Obst auf dem Tisch im Kreis. „Er schneidet sich ins eigene Fleisch, wenn er diesen Frevel durchgehen lässt“, sagte sie leise. „Dann müssen wir wohl nur noch abwarten, wie die Bürger auf diese Nachricht reagieren werden. Der Artikel erscheint sicherlich morgen?“ „So was kann man nicht lange geheim halten“, nickte sie. „Ich bin gespannt“, legte sich ein Lächeln auf Jasons Lippen. Nachdem Holly ihren Freund ein weiters Mal lange und mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck angesehen hatte, stand sie auf und schenkte sich ein Glas Wasser ein, das sie in einem Zug leerte. „Wir laden dich übrigens fürs Wochenende ein“, plauderte sie nun wieder völlig frei heraus. „Eddy und ich wollen eine kleine Feier unter Freunden machen. Es gibt keinen sonderlichen Grund dafür, aber wir erwarten dich am Samstag gegen 19 Uhr.“ „Solange ihr nicht die ganze Zeit vor meinen Augen herumturtelt“, grinste er. „Wir sind keine fünfzehn mehr“, kam sie auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Schulter. „Außerdem musst du nicht hinsehen.“ Jason lachte kurz auf, auch wenn er sich eher dazu zwang. Denn sein Herz zog sich unwillkürlich zusammen, als er an eine intakte Beziehung dachte. „So sehr ich dich auch erheitern mag, ich muss nun wieder los“, drückte Holly ihm einen Kuss auf die Stirn und lief gen Tür. „Ach ja, das wegen dem Apfel tut mir leid. Und ich finde allein den Ausgang“, zwinkerte sie ihm zum Schluss noch zu. Erst war Jason etwas verwirrt, doch dann traf sein Blick das nun ungenießbare Obst auf dem Tisch. Ein wenig lethargisch nahm er es am Stil in die Hand und schwang es vor seinem Gesicht hin und her. Doch alsbald legte sich wieder ein erwartungsvolles Lächeln auf seine Lippen. Er war wirklich gespannt darauf, was sich Vanrim einfallen ließ, um sich aus der Affäre zu ziehen. Kapitel 2: - 2 - ---------------- - 2- Es war Freitagabend und Jason lief geschäftig in seiner Wohnung auf und ab. Immer wieder nahm er das Telefon in die Hand, legte es aber grundsätzlich unbenutzt wieder zur Seite. Er würde es den Bürgern von Asht-Zero überlassen müssen, ob sie Vanrims Stellungnahme wirklich durchgehen ließen. Der neue Bürgermeister der Stadt hatte den Abriss der Kapelle bestätigt und dabei herzensschwer verkündet, dass selbst er den Denkmalschutz nicht aufrechterhalten könne. Schließlich obläge die Gesetzgebungskompetenz beim Bundesland und nicht bei der Stadt, die nur das Amt der Unteren Denkmalschutzbehörde innehatte. Das entscheidende Recht habe daher nicht Asht-Zero und läge damit nicht in seiner Hand. Auf die Frage hin, was mit dem Öffentlichen Interesse, also dem Gemeinwohl der Stadt, sei, da den Bürgern nicht nur Raum genommen würde, sondern auch die Verschmutzung zunähme und eine wichtige Gedenkstätte dem Erdboden gleichgemacht würde, hatte Vanrim nur die Schultern gezuckt und gemeint, dass er es ebenso bedauere wie alle Bewohner von Asht-Zero. Im gleichen Atemzug hat er aber beteuert, dass er sich um diese Angelegenheit nochmalig kümmern und sein Bestes geben würde, um die Kapelle der Stadt zu erhalten. „Verflucht!“, stieß Jason hervor. Dieser Derk Vanrim schaffte es immer wieder, die Bürger zu umgarnen. Nur missfiel es Jason, dass nicht nur diese aufgesetzte Unschuldsmiene Erfolg hatte, sondern der Kerl auch noch mit allem Recht hatte. Wie viel Schmiergeld dabei den Besitzer wechselte war vollkommen belanglos. Das Oberhaupt von Asht-Zero allein konnte die Aufhebung des Denkmalschutzes nicht zurücknehmen, dazu bedurfte es des Einschreitens des zuständigen Ministeriums. Mit seiner rechten, zur Faust geformten Hand stützte Jason sich an der nächstbesten Wand ab. Seine Haltung drückte genau die Verzweiflung aus, die er im Innern spürte. Er war einfach nicht geboren für diese korrupte Welt. Die letzten Monate hatten einiges an Überwindung, Selbstdisziplin und Verzicht gekostet. Und ab und an war er an einem Punkt, an dem er gerne alles hinschmeißen würde. Er war allein. Es gab keinen, der ihm stützend unter die Arme griff. Der ihm neue Hoffnung gab oder einfach nur da war, um mit ihm gemeinsam den Kampf für das Gute durchzustehen. Lance hatte es ihm von Anfang an prophezeit. Vielleicht war dessen Abneigung gegen die Politik auch in der Sorge um ihn begründet gewesen… Ein schwaches Lächeln stahl sich auf Jasons Lippen. Er musste den Glauben an die bedingungslose Liebe endlich aufgeben. Lance hat seinen Vater sterben lassen und ihm konnte nicht einfach vergeben werden. Kelvin war seine Familie gewesen, die ihm von einem Tag auf den anderen genommen worden war. Auch wenn Jason den Umstand berücksichtigte, dass sich sein Vater selbst in das Gefecht mit Zundersby hineinmanövriert hatte, so versuchte er dennoch sein Herz davon zu überzeugen, dass die Beziehung zu Lance der Vergangenheit angehörte. Die nicht wiederholt werden durfte. Als er sich mit dem Rücken an die Wand lehnte, seufzte er einmal laut auf. Vielleicht mochte er nicht der knallharte Mensch sein, der sich auf Biegen und Brechen Macht verschaffte, die er brauchte, um seine Wünsche zu erfüllen. Aber er war auf einem guten Weg, die Kontakte zu knüpfen, die er benötigte, um Zundersby auffliegen zu lassen. Und die Bevölkerung las bisweilen seine durch ihn initiierten Artikel und ließ sich hoffentlich durch sie beeinflussen. Irgendwie musste er ja für seine Anliegen einstehen. Und bisweilen entsprang der Wunsch, in der Stadt ein wenig mitzumischen, wirklich seinem Herzen. Als Jason Bürgermeister hatte werden wollen, war er nicht gänzlich bei der Sache gewesen. Er hatte zwar das Verlangen gespürt, etwas zum Guten verändern zu wollen, aber nicht so innig wie es vonnöten gewesen wäre. „Aber welchem Teil meines Herzens…?“ Seine geflüsterten Worte, die sich eigentlich in der Weite hätten verlieren sollen, drangen immer wieder zu ihm zurück. Sein Bestreben, Zundersby einen Strich durch die Rechnung zu machen, war immer von dem Gedanken an Lance geprägt. Meist hatte er ein Bild vor sich, das ihm den Atem raubte. Wie Lance dicht hinter Zundersby stand, die Augen fest auf die Waffe gerichtet, und sich keinen Millimeter regte, während Zundersbys Finger den Abzug betätigte… Fest kniff Jason seine Augen zusammen. Es war wieder einmal an der Zeit, alle Gedanken abzuschütteln und sich auf das Wesentliche zu besinnen. Während er sich langsam durchs Haar fuhr, biss er sich in quälender Manier auf die Unterlippe. Erst als er den gewohnt eisenhaltigen Geschmack auf seiner Zunge schmecken konnte, schlug er die Lider wieder auf und nickte. Er hatte ein wichtiges Ziel und das galt es zu verfolgen. „Ich lasse Ihnen die Notizen per Mail zukommen“, klappte Jason sein Handy zu. Bis Montag würde Killian Frimmingway genug Zeit haben, den Artikel seinen Vorstellungen gemäß zu beenden. Seit zwei Stunden tat der Sohn von Kelvin Sartaren nichts anderes als sich darüber Gedanken zu machen, was er im selbigen Artikel hinsichtlich des bevorstehenden Abrisses der Kapelle unternehmen könnte. 48 Stunden waren für solch ein Genie wie Frimmingway genug, noch hier und da eine kleine Spitze gegen Vanrim einzubauen. Das genervte Aufstöhnen des begnadeten Schreibers hatte Jason während ihres Gespräches immer wieder geflissentlich überhört. Schließlich entlohnte er ihn nicht nur zufriedenstellend, sondern teilte auch noch im Kern die gleiche Meinung mit ihm. Auch Frimmingways Familie war durch das Netz der Korruption in Mitleidenschaft gezogen worden. In welcher Weise wusste Jason nicht genau. Aber er hatte es aus einem ihrer ersten Gespräche herausgehört. Und seitdem hoffte er unentwegt, dass Killian nicht aus Angst vor einem weiteren durch Zundersby veranlassten Eingriff in sein Leben abspringen würde. Bis jetzt hat er eine äußerst befriedigende Arbeit verrichtet, doch man konnte sich nie sicher sein, dass das so bliebe. Während Jason seinen Laptop aufklappte, richtete sich sein Blick auf die Fotos in der hinteren Ecke des Tisches, der nicht nur zum Essen, sondern auch zum Arbeiten diente. Wie eh und je beschlich ihn ein dumpfes Gefühl, wenn er sich seinen Vater betrachtete. Father Dest war bei dem Versuch, die seidenen Fäden des Betruges zu durchtrennen, gestorben. Ob ihn dasselbe Schicksal ereilen sollte? Doch Jason schüttelte nur den Kopf und starrte von nun an angestrengt auf den Bildschirm. Nicht umsonst hat er bisher alle Strapazen auf sich genommen, um sich und seinem Vater irgendwann gerecht werden zu können. Nach den ganzen Entbehrungen, die er auf sich genommen hatte und noch nehmen würde, würde er Zundersby schon noch auf den Zahn fühlen können. Das musste er sich strikt einreden. Sehr geehrter Killian Frimmingway, anbei der Artikel, über den wir gesprochen haben. Mit freundlichen Grüßen, A. Jason war sehr darauf bedacht, dass man seinen Mails nicht entnehmen konnte, welchen Inhalt sie tatsächlich trugen. Falls Frimmingways Nebenjob als Ghostwriter irgendwann öffentlich würde, hoffte er, dass man die Spur nicht zu ihm zurückverfolgen könne. Den Account, den er für Aspirs Angelegenheiten nutzte, hatte er eigens für solche Zwecke eingerichtet und ausreichend verschlüsselt. Anonymizer gab es im Internet genug zu finden, die seine wahre Identität wahrten. Und bis Zundersby und Konsorten dem auf die Schliche kamen, würde er schon dafür sorgen, dass sie keine Indizien, die ihn belasten würden, vorfänden. Sein schlechter Ruf und seine nicht existierende Präsenz in der Politik ließen ohnehin nicht auf ihn schließen. Doch Vorsicht war allemal besser als Nachsicht. Und wie ausreichend sein kleines Polster der Unschuld war, das er sich geschaffen hatte, würde sich erst noch herausstellen müssen. Zudem wusste Frimmingway nicht, dass er Jason Sartaren, der Sohn von Kelvin alias Father Dest, war. Schließlich kannten sie sich nur durch ihre gemeinsamen Telefonate und der seltenen Emailkorrespondenz, die niemals lange im Speicher währte. Mit trübem Blick sah Jason vom Bildschirm auf. Dass Killian ihm sozusagen vertraute, obgleich sie sich nie real begegnet waren, war erstaunlich. Aber auch dieser Mann hatte ein Ziel. Und das war Jasons nicht unähnlich… „Schön, dass du gekommen bist“, strahlte Holly Jason an, als sie ihm die Tür aufmachte. Eddy stand dicht hinter ihr und lächelte ihm ebenfalls zu. „Lange nicht gesehen“, streckte Eddy ihm die Hand entgegen. „Euch scheint es gut zu gehen“, nickte Jason und drückte Eddys Rechte. „Natürlich“, schmiegte sich der groß gewachsene Mann an Holly. „Sie hat ja endlich eingesehen, dass sie nicht mehr ohne mich leben kann.“ Lasziv strich er ihr über die Wange und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Also…“, räusperte sie sich, als ihr Jasons ein wenig wehmütiger und doch amüsierter Blick gewahr wurde. „Komm doch rein, Jason“, nahm sie ihn bei der Hand und zog ihn ins Wohnzimmer hinein, das man sofort betrat, wenn man in ihre Wohnung kam. Als Jason den Geruch von gebratenen Nudeln wahrnahm, fuhr er sich lächelnd durchs Haar. Die letzten Stunden waren schneller vergangen als er gedacht hätte. Nachdem er Frimmingway die Email hat zukommen lassen, hat er sich eine halbe Ewigkeit im Bett herumgewälzt. Und nach einem äußerst unruhigen Schlaf hat er den ganzen Tag krampfhaft mit dem Versuch vergeudet, nicht an Lance zu denken. Es war so absurd. Immer wenn er glaubte, sein Ziel unabdingbar vor Augen zu haben, überkam ihn ein Gefühl der Einsamkeit. Eines, das sich an der Sehnsucht nach einem jungen Mann nährte, die es so nicht geben dürfte. „Was möchtest du trinken?“, wurde Jason aus seinen Gedanken gerissen. Obwohl er ein Lächeln im Gesicht trug, fühlte er, wie sein Herz verzweifelt in seiner Brust schlug. Auch wenn er Aspir als sein Schicksal erachtete, so war er nicht wahrlich glücklich. „Hast du Wein da?“, fragte er jovial. Keiner sollte wissen, wie es in ihm tatsächlich aussah. Und Holly war die Einzige, die mit ihrem Charme ein wenig Linderung in ihm bewirken konnte. „Lieber rot oder weiß?“, lief die Journalistin an ihm vorüber gen Küche. „Rot“, antwortete er und ließ sich neben Eddy auf das Sofa nieder. „Wie läuft es in der Druckerei?“, wendete er sich an Hollys Freund. „Momentan sehr gut. Der Hehl um den Abriss der Kapelle kommt uns zugute. Seitdem Vanrim zum Bürgermeister gewählt wurde und der Rummel um deine Person, entschuldige“, zuckte Eddy mit den Schultern, was Jason mit einer Hand abwinkte, „… seitdem du nicht mehr im Mittelpunkt der Presse stehst, ging unser Absatz ein wenig zurück, doch nun läuft das Geschäft wieder. Du weißt ebenso gut wie ich, dass Vanrim nichts dergleichen unternehmen wird, was er gesagt hat.“ Als sich ihre Blicke trafen, zuckte Jason unmerklich zusammen. Eddy sah sehr ernst aus und schien durch ihn hindurchzusehen. Die Fassade zu durchbrechen, die er all die Monate schon so mühsam aufrechterhielt. Doch nachdem der andere unschuldig zu lächeln begann, glaubte er, sich für einen Moment nur eingebildet zu haben, dass sein Freund ihn enttarnt hatte. Unbewusst atmete Jason laut aus und erwiderte das Lächeln. „Vanrim ist ein Hochstapler“, meinte er dann zustimmend. „Leider denken nur wenige wie wir. Insbesondere die weibliche Bevölkerung lässt sich zu leicht in die Irre führen.“ „Wann?“, kam Holly mit einer Flasche Wein zurück und sah die beiden mit hochgezogenen Brauen an. Sie seufzte. „Ich glaube, ich möchte gar nicht wissen, was ihr gerade miteinander gesprochen habt.“ Abwehrend hob Eddy die Hände. „Nicht das, was du denkst.“ „Ach ja?“, schielte sie ihn über das Glas, das sie gerade voll schenkte, hinweg an. „Was denke ich denn?“ Eddy verzog das Gesicht und Jason verkniff sich ein lautes Auflachen. So kannte er Holly und er war froh, dass sie nicht ihn im Visier hatte. Als ihr messerscharfer Blick dann aber auch ihn traf, sackte sein Kopf auf seine Brust. Er hatte sich zu früh gefreut. „Naja…“, versuchte Eddy sich aus der Affäre zu ziehen. „Wie sollen wir wissen, was du denkst?“, kam ihm Jason zu Hilfe. Abwägend sah sie noch einmal von einem zum anderen und schüttelte dann den Kopf. „Manchmal weiß ich das selbst nicht so genau“, grinste sie und reichte Jason eines der drei Gläser. „Danke“, nahm er es erleichtert an. Holly konnte ab und an ein wenig in ihrer Art übertreiben, doch davor schien er vorerst verschont zu bleiben. Obwohl er sie sehr gerne hatte und gerade ihr manchmal aufbrausendes Gemüt das Strahlen in ihm zurückbrachte, wollte er an diesem Abend einfach ein paar ruhige Stunden mit seinen beiden Freunden verbringen. „Habt ihr eigentlich irgendwelche neuen Pläne?“, wollte er ein neues Thema anschlagen. „Wie kommst du darauf?“, wurde Holly skeptisch und stellte ihr Glas zurück auf den Tisch, von dem sie es erst einen kleinen Moment vorher hochgehoben hatte. Eddy hüstelte neben ihm. „Ja, also…“, begann Holly. „Der Grund, weshalb wir dich für heute Abend eingeladen haben“, fuhr Eddy fort. „… ist, naja…“ Eine beklemmende Stille trat ein. Man konnte fast den Wind in den Bäumen rauschen hören, bis Eddy und Holly einen vielsagenden Blick austauschten. Behände stand der Drucker auf und legte einen Arm um Hollys Schultern. „Sagt nicht, dass ihr heiratet!“, platzte es aus Jason heraus. Nicht nur Holly wurde rot. „Nein, so weit sind wir noch nicht“, meinte sie aber bestimmt. „Wir wollen erst einmal zusammenziehen. Eine Wohnung haben wir auch schon.“ „Das ist eine erfreuliche Nachricht“, erhob sich der jüngste Anwesende und hob sein Weinglas. „Auf euch!“ Sowohl Eddy als auch Holly hoben ihre Gläser ebenfalls in die Luft. „Auf einen schönen Abend!“ Und den hatten sie gewiss. Knapp zwei leere Weinflaschen später hing Eddy halb über dem Couchtisch und richtete sich an die brünette Journalistin: „Ich l-l-liebe d-dich.“ „Er verträgt wohl genauso wenig wie ich“, lachte sie und schob ihm liebevoll eine Strähne aus der Stirn. „Jason, fang du bitte aber nicht auch noch das Lallen an, ja?“ Der Blondschopf zwinkerte ihr zu. „Mach isch dasch nich schonnn?“ „Unddd d-dich lieb ich auch, Jasss-on“, hob Eddy seinen Kopf kurz an und verzog seinen Mund zu einem missglückten Grinsen. „Ihr zwei“, verdrehte Holly die Augen. „Was ist mit uns?“, tat Jason ihr Seufzen mit unschuldiger Miene ab. „Tu nicht so. Du hast ihn schließlich abgefüllt.“ „Er hätte ja nicht trinken müssen.“ Im Laufe des Abends hat er eben dann doch keinen ganz ruhigen Verlauf bevorzugt. Außerdem musste das Zusammenziehen der beiden gebührend gefeiert werden. „Männer werden eben bei gewissen Dingen schwach“, knuffte Holly ihm in den Unterarm. „Bei welchen denn noch?“, grinste er. Ob der Anspielung schlug sie sich eine Hand vor das Gesicht. „Könnt ihr an mehr als Alkohol und Sex denken?“ „Wie kommst du auf Sex?“ Mit glühenden Wangen sah sie ihn an. „Du hast nicht…?“ „…“ „Natürlich hast du!“, lenkte sie von sich ab. Alsbald erfüllte schallendes Gelächter den Raum. Selbst Eddy stimmte ein, obgleich er nicht den Anschein erweckte, verstanden zu haben, worum es gerade ging. „Idiot“, knuffte sie ihn erneut. „Nicht nur, dass du einen gestandenen Mann unter den Tisch – besser gesagt auf den Tisch – getrunken hast, nein, du hast es auch noch geschafft, mich in Verlegenheit zu bringen. Und das kommt nur von diesem Zeug hier“, nahm sie die Flasche vom Tisch und goss Jason den letzten Schluck aus ihr ein. „Der Wein geht eben an keinem spurlos vorbei“, grinste der Blondschopf. Auch nicht an ihm. Denn der Alkohol benebelte seinen Verstand insoweit, dass ihn seine zweite Identität in diesem Moment kaum belastete. Vielmehr fühlte er sich irgendwie gelöst. „Und was machen wir nun mit ihm?“, deutete sie auf ihren Freund. „Ins Bett bringen?“, schlug Jason vor. „Jas-sson? Kom-mm unsch doch ma-al bes-suschen… ja?“ Ungelenk arbeitete sich Eddy gen Jason vor und bettete eine seiner großen Hände auf dessen Knie. Mit der anderen tastete er nach dem recht vollen Weinglas, doch Holly kam ihm zuvor. „Du hast genug für heute“, meinte sie streng und reichte Jason das Glas. „Trink es aus, bevor es der Falsche tut.“ Belustigt setzte er es wie geheißen an seinem Mund an, doch im selben Moment spürte er weiche Finger um sein Kinn und heißen Atem an seinem Hals. Ein wenig erschrocken sah er alsbald in Eddys hellbraune Augen. „Dasch gehörd mir“, griff jener nach dem Glas. Obwohl sich Eddy etwas zu unsittlich auf seinem Oberschenkel abstützte, konnte Jason den Wein noch rechtzeitig außer Reichweite bringen. Das wäre ihm niemals gelungen, wenn der Drucker nüchtern gewesen wäre aufgrund der rund fünfzehn Zentimeter, die er von ihm überragt wurde. Bei dem Versuch, abermals das Glas zu ergreifen, erschlaffte Eddy plötzlich und sank auf Jason zusammen. Dabei kam er mit seinem Gesicht auf Jasons Schulter zum Erliegen. Der junge Sartaren spürte die unermessliche Wärme, die von dem anderen ausging, und mit einem Mal schoss ihm ein Bild in den Kopf, das ihn die Augen weit aufreißen ließ. „Eddy“, hörte er Holly sich echauffieren. Und dann spürte er, wie das Gewicht nach und nach von ihm genommen wurde. „Hilf mir bitte, Jason.“ Ehe er Eddy restlich von sich schob, kniff er seine Augen kurz und fest zusammen. Blinzle einmal und die Welt sieht gleich wieder anders aus… Mit vereinten Kräften schafften sie Eddy ins Schlafzimmer und Jason ließ Holly mit ihrem Freund allein. Während sie ihn auszog und zudeckte, setzte sich der Blondschopf zurück aufs Sofa und leerte das Glas, weswegen Eddy ihm zu nahe getreten war und eine Erinnerung in ihm ausgelöst hatte, die er nun belächelte. „Tut mir leid“, seufzte Holly, als sie zurückkam. „Nicht der Rede wert. Denn ich habe das ja herausgefordert, nicht?“ Mit einem Grinsen ließ sich Holly nun neben ihn auf die Couch fallen. „Damit werde ich ihn morgen aufziehen.“ Unschlüssig sah er sie an. „Diese Peinlichkeit kann ich ihm nicht ersparen“, erklärte sie sich. „Aber nimm das nicht persönlich, ja?“ „Was?“ „Dass ich ihm sagen werde, dass er sich an dich herangemacht hat“, lachte sie. „Schon gut“, winkte er ab. „Hauptsache, du hast deinen Spaß.“ Es machte ihm wirklich nicht aus. „Den werde ich haben… Und du?“, wurde sie ernst. „Keine Sorge. Lance ist Vergangenheit.“ Nur musste das sein Herz auch endlich begreifen, zumal der Wein allmählich an Wirkung zu verlieren schien. Er fühlte bisweilen mehr als ihm lieb war. „Sicher?“ „Sicher“, nickte er und belog damit nicht nur Holly. „Ich werde langsam mal aufbrechen. Ist schon ziemlich spät“, stand er auf und zog seine Jacke an. „War schön, dass du hier warst“, lief sie ihm nach. Er nickte nur noch, ehe er die Tür hinter sich schloss. Er hatte keine Ahnung, wie lange er Holly noch etwas vormachen konnte. Kapitel 3: - 3 - ---------------- - 3 – Kalt wehte der Wind um Jasons Gesicht, das zusätzlich vom Wein, den er bei Holly getrunken hatte, gerötet war. Fluchtartig hatte er ihre Wohnung verlassen und setzte nun schon seit einer knappen halben Stunde unruhig einen Fuß vor den anderen. Der Himmel über ihm war tiefschwarz und zugleich sternenklar. Hier und da funkelten die kleinen Lichtpunkte wie Diamanten. Doch Jasons Augen waren nur starr auf die fast menschenleere Straße gerichtet und durchtrat dabei immer wieder die orangenen Lichtkegel der Laternen. Aus mehreren Gründen hat er eine Wohnung am äußersten Stadtrand bezogen. Auf der Suche nach den eigenen vier Wänden hat er viel Wert darauf gelegt, sich nicht nur so weit wie möglich von Lance zu entfernen, sondern auch einen Ort zu finden, der nicht von Stadtratsmitgliedern bevölkert war. Am Tag seines Einzugs hatte er die feindseligen Blicke seiner neuen Nachbarn regelrecht auf sich gespürt, doch sie hatten ihn weder beleidigt noch in anderer Weise verstoßen. Es gab bisweilen sogar den ein oder anderen, der mit ihm Smalltalk betrieb oder ihn einfach nur grüßte. Und keiner ahnte, weshalb er diesen Ort noch auserwählt hatte. Mit seiner Rechten fuhr sich Jason durchs Haar und strich sich auf diese Weise ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. Nun glitt sein Blick doch gen Himmel und haftete sich für einen Moment auf einen der kleinen funkelnden Sterne, der schon längst erloschen sein konnte. Yasses, so hieß der Stadtteil, in dem er nun seit gut zwei Monaten lebte, war für seine ruhige Lage bekannt und vor allem für die friedvollen Menschen, die nicht das Bedürfnis hegten, auf die Straße zu gehen und ihre Meinung lauthals zu verkünden. Jason erhoffte sich, dass alle glaubten, er sei dorthin gezogen, um seine unbedarfte Art zu bereuen und sich von seinen Nachbarn ordentlich den Kopf waschen zu lassen. Sich ihr ruhiges Leben anzueignen. Nach außen hin tat er das auch. Er ging fünf Tage die Woche arbeiten – seine Arbeitskollegen akzeptieren ihn bisweilen wieder, wobei hier von Mögen nicht unerlässlich die Rede sein durfte -, er fiel durch keine naiven, politischen Handlungen mehr auf und war ein guter Mieter. Solange keiner in sein Herz schauen konnte oder hinter seine Wohnungstür, war seine zweite Identität für niemanden existent, außer ihm selbst. Und genau deswegen musste er sich zusammenreißen und sich der Melancholie, die ihn immer wieder befiel, ein für allemal entledigen. In einem Zustand der Schwermut verlor man seinen klaren Verstand und genau das durfte Jason nicht passieren. Ein falsches Wort und er flöge auf. Ein falscher Anruf und Zundersby würde kurzen Prozess mit ihm machen. Ob ihm der Schlossherr sein neues, inaktives Leben überhaupt abnahm, bezweifelte Jason stark. Doch er musste dafür sorgen, dass Tyrone keinen Anlass hatte, ihm auf irgendeine Weise nachzustellen oder ihn wieder beschatten zu lassen, wie er es kurz nach der Wahl von Vanrim bereits einmal getan hatte. Wie lange Zundersbys Leute hinter ihm her gewesen waren, konnte Jason nur ahnen, denn sie hatten ihre Arbeit wirklich gewissenhaft erledigt. Aber doch nicht bedacht genug. Ein Spiegel im Supermarkt hatte Jason erst auf einen Mann um die Mitte dreißig aufmerksam gemacht, den er in den Folgetagen dann öfter entdeckt hatte, wenn er seinen Blick unauffällig in seiner Umgebung schweifen ließ. Ein weiteres Mal wollte der Blondschopf gewiss nicht von Zundersbys Männern beschattet werden. Mittlerweile glaubte er, dass sie ihm zwar nicht mehr auf Schritt und Tritt folgten, aber das Interesse verlor der Spinner der Fäden der Korruption sicherlich nie an ihm. Denn schließlich war Father Dest sein Vater und schon dies allein machte ihn zu seinem Feind. Abrupt blieb Jason stehen. Seine Augen schwirrten in seinen Höhlen hin und her und seine Stirn legte sich in Falten. Tyrone von Zundersby schien schon vor seinem Eintritt in die Politik gewusst zu haben, wer er war. Stand er vielleicht schon vor seinem negativen Bekanntheitsgrad in Tyrones Visier? Seit wann wusste der Schlossherr, dass Father Dest und Kelvin Sartaren ein und dieselbe Person waren? – Darüber hat Jason noch nicht konkret nachgedacht. Aber ihn befiel in diesem Moment eine Gänsehaut, die ihn unangenehm erbeben ließ. Wiegte er sich zu sehr in Sicherheit? Als er Geräusche von zwei Personen wahrnahm, die gerade aus einer Seitenstraße kamen, begann Jason loszulaufen. Schnellen Schrittes ging er nach Hause und sank an die Tür, die er hastig hinter sich schloss. Langsam glitt er an dem schweren Holz hinab, bis er festen Untergrund unter sich spürte. Der Laminatboden war ziemlich kalt und doch blieb er einige Minuten auf ihm regungslos sitzen. Nur seine Brust hob und senkte sich in einem ungestümen Takt. Er ließ sich eindeutig zu sehr von seinen Gefühlen verwirren. Und dabei musste gerade er vorsichtig sein. Abgeklärt. Kontrolliert. Und dennoch höflich. Vor allem menschlich. Eine Kombination, die Ausgeglichenheit und oder Zufriedenheit erforderte. Von beidem hatte er nicht gerade viel inne. Fest verschloss er seine Augen und horchte auf die Stille, die ihn umgab. Er wollte in die Fußstapfen seinen Vaters treten. Er wollte für eine Veränderung der Machtverhältnisse sorgen. Er wollte glücklichere Gesichter sehen. „Warum dann diese Niedergeschlagenheit?“, murmelte er und seine Worte wurden sogleich von der Leere des Flures geschluckt. Lance gehörte der Vergangenheit an. Holly und Eddy schienen glücklich zu sein. Und der Tumult um seine Person war längst erloschen. Was bekümmerte ihn dann so? Er brauchte nichts als seinen klaren Verstand. Und den konnte er wiedererlangen, wenn er endlich den Teil seines Herzens aufgab, der ohnehin nicht mehr mit Wärme gefüllt werden konnte. Mühsam richtete sich Jason auf und ging ins Bad, wo er seinen Kopf unter kaltes Wasser hielt. Mit tropfnassen Haaren hob er sein Haupt wieder an und sah in den Spiegel. Die Entschlossenheit in seinen rehbraunen Augen wuchs von Sekunde zu Sekunde. Von nun an würde er der Sohn sein, den sich sein Vater sicherlich gewünscht hatte! Es war mittlerweile Sonntagabend und Jason stellte seinen Wecker für den nächsten Morgen. Die roten Ziffern zeigten 20:31. Noch war es zu früh, schlafen zu gehen, weshalb er zum dritten Mal an diesem Tag das Wirtschaftsjournal von Asht-Zero zur Hand nahm. Er durchblätterte Statistics and Articles 06 mit regem Interesse, denn er gab die Hoffnung nicht auf, in dem Journal einen Hinweis auf Tyrone von Zundersbys Schuldigkeit zu finden. Die gut 200 Seiten starke Ausgabe erschien jährlich Ende Dezember und war eine Sammlung sämtlicher Artikel, die die Wirtschafts- und politische Lage der Stadt widerspiegelten. Darunter waren Bilanzen fast aller Unternehmen in und rund um Asht-Zero zu finden, Statistiken verschiedener Branchen und Gehälter, Bevölkerungsanalysen und so gut wie alle Artikel, die über das Jahr hinweg veröffentlicht worden waren, die insbesondere politische Themen zum Inhalt hatten. Innerhalb von 365 Tagen sammelte sich vieles an. Und Jason scheute dennoch keine Mühen, sich immer weiter in die Materie zu vertiefen. Denn er musste verstehen, wie Zundersby handelte. Um vielleicht irgendwann seinen nächsten Zug vorhersehen zu können. Er musste sich in ihn hineinversetzen können und dazu brauchte er Informationen. Viele Informationen. Jason langte hinter sich und drehte die kleine Halogenleuchte, die gerade einzig im Schlafzimmer brannte, weiter in seine Richtung. Das fahlgelbe Licht schien nun direkt auf die aufgeschlagene Seite, die fast ausschließlich Zahlen aufwies. Je länger sich Jason mit ihnen beschäftigte, desto mehr war er der Überzeugung, dass sie an einigen Stellen manipuliert worden waren. Die Bürger von Asht-Zero sollten nicht schwarz auf weiß sehen, wie sie insgeheim hintergangen wurden. Wie ihr Geld im Netz des Betruges versickerte. Doch wie sollte Jason nachweisen, dass er mit seinen Vermutungen richtig lag? Dazu saß er nicht an der rechten Position. Und darum musste er seine eigenen Fäden weiterspinnen, um irgendwann an die Personen zu gelangen, die ihm stichhaltige Beweise lieferten. Vielleicht war es wirklich unumgänglich, Korruption mit Bestechung zu vergelten. Mit Geld erreichte man vieles. Und verzichtete Jason nicht deshalb auf den Komfort eines Autos? Auf eine große, helle Wohnung? Auf das eine oder andere Luxusgut? Frimmingway würde gewiss nicht der einzige Mensch bleiben, den er bezahlte. Menschen waren nun mal käuflich und daran würde sich so schnell nichts ändern. Sofern man sie ihren eigenen Zielen näher brachte oder sie unterdrückte, so wie Tyrone es mit Bestimmtheit des Öfteren tat, mussten nur die Scheine fließen, um sich ihrer Unterstützung für einen bestimmten Zeitraum sicher zu sein. Nur musste Jason noch einschätzen lernen, wann der Punkt kam, die Quelle, der er sich bediente, aufzugeben, damit sie nicht gegen ihn agierte. Nachdenklich blätterte er ein paar Seiten weiter und überflog derweil den einen oder anderen Artikel, den er heute bereits schon einmal gelesen hatte. Bisher war nichts dabei, was sein Herz schneller schlagen ließ. Was ihn in seinem Tun bestärkte. Und doch konzentrierte er sich immer stärker auf die Worte, die sein Blickfeld streiften. Schwarze Lettern, die so viel Bedeutung maßen, wenn man ihren Sinn verstand. … deshalb hat sich der Stadtrat gegen die Ausweitung des Bibliothekenbestandes entschieden. Insbesondere Alan Northburg hat betont, dass dies aber nicht bedeute, dass die Stadt in der Zukunft keine neuen Bücher bekäme. Nur ließe der Etat momentan keinen Hinzukauf der wertvollen Publikationen zu… Mit einer Hand am Kinn schlug Jason die nächste Seite um. … Erneut entfachte die Diskussion um die Bestellung der Aufsichtsratmitglieder im größten Unternehmen der Stadt. Es hieße, dass bisweilen drei Stadtratmitglieder im Aufsichtsrat säßen und der amtierende Bürgermeister von Asht-Zero, Alan Northburg, ein weiteres dort einsetzen möchte. Rison Season möchte hierzu keine Stellungnahme abgeben… Überall hatte Zundersby verdeckt seine Finger im Spiel, doch er wurde, wie nicht anders erwartet, mit keinem Wort erwähnt. Warum sollte auch ein angesehener Schlossherr durch den Dreck gezogen werden? Manchmal war die Welt wahrlich ungerecht. Jason lehnte seinen Kopf zurück an die anthrazitfarbene, geschwungene Querstrebe des Bettes und seufzte einmal laut auf. Egal, was er las, nichts lieferte einen konkreten Hinweis auf Tyrone von Zundersbys Machenschaften. Zundersby war ein Mann, der wusste, wie man sich im Verborgenen hielt. Es mochte grotesk sein, aber von ihm konnte Jason noch viel lernen. Ein ironisches Grinsen umspielte seine Lippen, während er sich wieder aufrichtete. Vom Mörder seines Vaters lernen!? Das grenzte wirklich an makabere Absurdität… Und doch steckte darin ein Körnchen Richtigkeit. … in diesem Jahr schreibt die Firma erstmals schwarze Zahlen. Keiner hat daran geglaubt, dass sich Inoris Magenta erholen würde, aber Richard Trunk, Vorsitzender des mittelständisches Unternehmens, hat bestätigt, dass die befürchtete Insolvenz vorerst auszuschließen sei. Über den plötzlichen Erfolg auf dem Markt schwieg er sich allerdings aus… „Es muss nur das nötige Kleingeld fließen“, hauchte Jason in die abgekühlte Luft des Zimmers. Er legte das Journal zur Seite und stand auf. Während er sich seinen Pullover über den Kopf zog, lief er zum Fenster auf der gegenüberliegenden Seite und warf dann einen Blick hinaus auf die Kehrseite der Stadt. Asht-Zero wirkte in den feinen Nebelschwaden so unendlich friedlich. Als ob nichts und niemand den unschuldigen Schein der Stadt trüben könne außer der kondensierten Luft, die sich durch die Straßen und um die Bäume schlängelte. Alsbald fokussierte sich sein Blick auf sein reflektierendes Spiegelbild. Das Glas machte ihn blasser als er war. „Ich finde einen Weg, Tyrone von Zundersby!“, beschlug sein Atem die Scheibe. „Hast du ihn schon gelesen?“, drang Hollys aufgeregte Stimme an seine Ohren. Durch das Telefon hinweg klang sie noch aufdringlicher als sie es vermutlich real getan hätte. „Ich grüße dich auch“, erwiderte Jason gelassen. „Du siehst auf deinem Handy doch, dass ich es bin. Also können wir uns solch höfliche Floskeln sparen“, seufzte sie. Unwillkürlich musste Jason grinsen. „Und das aus deinem Mund.“ „Hast du den Artikel nun gelesen oder nicht?“, fragte sie ihn ungeduldig. „Den von R.I.?“ „Welchen denn sonst?“, kam es genervt zurück. Langsam schien er ihren Spannungsbogen zu überdehnen. „Ja, heute morgen.“ Mit zwei Fingern spielte Jason mit der Gabel, die auf einem kleinen Teller vor ihm auf dem Tisch lag. Er war gerade dabei gewesen, eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen, als sein Handy zu klingeln begann. Die Frage, ob er den Artikel gelesen habe, war vollkommen unnötig. Natürlich hat er das. Er war am Morgen sogar so früh aufgestanden, dass er die Zeitung persönlich dem Zeitungsboten hätte abnehmen können. Frimmingway ließ ihm nie die endgültige Fassung des Artikels zukommen, denn das hätte eine zu große Verbindung zwischen ihnen hergestellt. Nicht nur Jason musste auf der Hut sein, auch Killian durfte sich keinen Fehler erlauben. Als anerkannter Kritiker stand er oft in der Öffentlichkeit und das war auch Tyrone von Zundersby bekannt. Und jedwede Form des Verdachtes musste vermieden werden, selbst wenn Killian Frimmingway nicht als Autor der neuen Revolte bekannt war. Ob des Kürzels R.I., das er durch die Zeitung neben seinem Teller vor Augen hatte, musste Jason schmunzeln. Rex iustus – der gerechte König - war eine wahre Übertreibung, doch er hatte diese Worte aus einem Impuls heraus gewählt, den er sich selbst nicht erklären konnte. „Und?“, hörte er wieder Hollys unerbittliche Stimme. „Ganz nett.“ Er konnte förmlich sehen, wie ihre Kinnlade herunterfiel. „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“ Unbemerkt zuckte er die Schultern. Schließlich hatte er schon vor wenigen Tagen gewusst, was in dem Artikel stehen würde. Zwar war er selbst neugierig gewesen, wie Frimmingway seine Gedanken umsetzen würde, doch im Endeffekt war das Ergebnis keine Überraschung für ihn gewesen. „Was denn zum Beispiel?“ Nun stöhnte sie laut in den Hörer. „Ist dir die Politik wirklich mittlerweile so egal?“ Er zögerte und schob die Gabel auf den Tellerrand. „Ich bin einfach nicht der Richtige für dieses Geschäft.“ „Aber das heißt nicht, dass du ihr den Rücken zuwenden musst. Zudem glaube ich…“, hielt sie plötzlich inne. „Ja?“, fragte er nach. „Was hältst du nun von seiner Anschuldigung?“, wich sie der Frage aus. Jason war sichtlich beeindruckt. Die Denunziation Vanrims war nicht wirklich offensichtlich gewesen, selbst wenn er gewollt hatte, dass zumindest ein paar Leute sie verstehen sollten. „Du hast sie also auch herausgelesen?“ „Also habe ich mich wirklich nicht geirrt. Bisher habe ich nur mit Eddy über den Artikel gesprochen. Er war sich nicht wirklich sicher, ob ich Recht habe oder nicht.“ „Das war ich mir auch nicht“, meinte Jason aufrichtig. Dass Holly den Wink in seinem neuen indirekten Angriff gegen Vanrim verstand, hatte er nicht unbedingt erwartet. Zwar war sie als Journalistin prädestiniert für das Durchblicken solcher Wortspiele, die Frimmingway beherrschte, aber es verwunderte ihn dennoch ein wenig. Und doch machte es ihn ein wenig stolz. Auf sein Werk und natürlich auf Holly selbst. „Glaubst du dem Vorwurf?“ „Dass Vanrim für den Abriss der Kapelle bezahlt wird?“ „Ja“, nickte Jason, auch wenn sie das nicht sehen konnte. „Ich könnte es mir zumindest vorstellen“, hielt sie sich vage. „Nur sollte dieser R.I. hoffen, dass das unser Bürgermeister nicht herausgelesen hat. In der Redaktion wurde heute zwar auch viel über den Artikel diskutiert, aber keiner hat auch nur ein Wort über diese Anschuldigung verloren. Wenn dies herauskäme, würde sich die Suche nach R.I. mit Bestimmtheit ausweiten.“ Für einen Moment starrte Jason ins Leere. „Wer solche Artikel veröffentlicht, weiß sich zu tarnen. Oder nicht?“ „Nun… Wie schafft es dieser R.I. überhaupt, den Verlag dazu zu bringen, sie zu drucken?“ Darum kümmerte sich Frimmingway höchstpersönlich, weshalb Jason die Frage nicht beantworten konnte, selbst wenn er unter Eid stünde. „Dazu müsstest du schon Eddys Konkurrenz fragen.“ In Asht-Zero gab es zwei Tageszeitungen. Eine davon brachte Eddys Druckerei heraus, die andere gehörte Abigail Eren, der Witwe von Marlon Erlen, dessen Vater den Verlag vor gut 60 Jahren gegründet hatte. Jason abonnierte seit seinem Einzug nur Erens Zeitung, auch wenn das Holly nicht guthieß. Doch wie sollte er sonst die Artikel von Frimmingway lesen? Beide Zeitungen konnte er sich nicht mehr leisten. Dazu floss zu viel von seinem Geld in eine andere Brieftasche. „Entweder kennt R.I. Abigail Eren oder sie spielt gerne ein wenig mit den Leuten. Und beides klingt aus der Luft gegriffen“, schloss Holly etwas zerknirscht. „Mhh…“, dachte Jason nach. „Wir werden es wohl nicht so schnell erfahren.“ „Das bezweifle ich auch. Jedenfalls bin ich irgendwie erleichtert, dass ich nicht schon Halluzinationen habe. Dieser ganze Aufruhr um R.I. in der Redaktion scheint mich mehr zu beeinflussen als ich gedacht hätte. Ansonsten ist es in Asht-Zero eigentlich eher still um ihn, so viel ich beurteilen kann.“ „Das verwundert mich nicht“, entgegnete er. Seine Anfeindungen waren gut versteckt. Und doch hegte er die Hoffnung, dass sich die Bürger unwissentlich von ihnen beeinflussen ließen. Manchmal nahm man unterbewusst mehr wahr als man glaubte. „Ich wusste, dass du dir über den Artikel Gedanken gemacht hast“, meinte sie plötzlich sehr ernst. Jasons Hand, die auf dem Tisch lag, ballte sich zur Faust, doch er sagte nichts. „Die Wahl liegt nun schon Monate zurück. Langsam kannst du deine Zurückhaltung, was die Politik angeht, ablegen. Zumindest mir gegenüber. Wir reden schließlich oft genug über sie.“ „Ich wollte dich nicht verletzen“, kam es verzögert zurück. Das Abwägen, was er sagen durfte oder nicht, ohne sich zu verraten, war oft ein schwieriges Unterfangen und ehe er sich versprach, zog er es vor, möglichst unbeteiligt zu wirken. Nur fühlte sich Holly dadurch sichtlich gekränkt. „Ach, heuchle jetzt bloß keine Entschuldigungen“, lachte sie auf einmal los, was Jason die Stirn runzeln ließ. „Werde bloß wieder der Alte, mehr will ich gar nicht.“ Auf der Unterlippe kauend nahm Jason die Gabel in die Hand und schnitt sich mit ihr ein Stück Kuchen ab. „Ich soll dir übrigens noch was von Eddy ausrichten“, fuhr Holly nach ein paar bedrückenden Sekunden heiter fort. „Er lässt sich nie wieder von dir abfüllen!“ „Das werden wir noch sehen“, verzog sich Jasons Mund nun zu einem leichten Lächeln. „Das habe ich ihm auch gesagt, aber daraufhin hat er nur die Augen verdreht. Naja,… Kommst du am Mittwochabend wieder zu uns? Wir wollen ein paar Filme aus der Videothek holen und vorher zusammen kochen. Eddy möchte sich revanchieren.“ „Habt ihr genug Wein da?“ „Natürlich“, grinste sie. „Kannst du Eddy noch mal betrunken ertragen?“ „Natürlich“, wiederholte sie. „Gut, ich komme.“ „Das wollte ich hören. Ah, da kommt er schon.“ Jason hörte Hollys Wohnungstür und Eddys Stimme dumpf durch das Handy. „Passt dir 18.30Uhr?“ „Spricht nichts dagegen.“ „Schön, bis bald.“ „Bis bald.“ „Ist das Jason?“, hörte er Eddy noch sagen, doch da legte Holly bereits auf. Als Jason sein Handy zuklappte, verschwand jedwede Regung aus seinen Augen. Kapitel 4: - 4 - ---------------- - 4 – „Xander, schau’ mal, wer da kommt!“, ächzte ein schlaksiger Jugendlicher und klopfte seinem Kumpel auf die Schulter. Seine Augen, von einem hellen Grün, blitzten Jason belustigt entgegen. „Schön, dich wieder zu sehen“, grinste Xander, der überhaupt nichts mehr von seiner unschuldigen Ausstrahlung von ihrem allerersten Aufeinandertreffen innehatte. Jason hob halbherzig die Hand zum Gruß, als er direkt an den beiden vorbeilief. Dabei bedachte er Jeremy flüchtig mit einem Blick, der bloßen Abscheu widerspiegelte. „Wohin geht denn das kleine Muttersöhnchen so spät am Abend?“, stichelte Xander weiter. „Sicherlich zum Friedhof, um ihr dort zu erzählen, wie böse die Menschen doch zu ihm sind“, meinte Jeremy mit einem Grinsen auf den Lippen. Unbeteiligt lief Jason weiter, doch er hörte die Schritte, die ihm folgten, und auch das leise Kichern, das aus ihrer beider Münder drang. Aus der unmittelbaren Umgebung schlug die Kirchturmuhr einmal und erfüllte die Stadt für einen Augenblick mit einem dumpfen Vibrieren. Es war bereits halb sieben und Holly wartete mit Sicherheit schon mit ziemlicher Ungeduld auf ihn. Ein wichtiges Telefonat hatte ihn aufgehalten, weshalb er sich zu seiner eigenen Unzufriedenheit verspätete. Seit Montag plante Jason seinen Tagesablauf äußerst akribisch und jedes Ereignis, das ihn aus ihm herausriss, löste in ihm eine Unruhe aus, die ihn reizbar machte und die er dennoch bisher gut kontrollieren konnte. „Die Gräber liegen aber dahinten, Schwuchtel.“ Die Stimme gehörte dem Anführer dieser Pseudogang, die den jungen Sartaren bereits zum dritten Mal mit ihrer Anwesenheit behelligte. „Macht erst wieder den Mund auf, wenn ihr ein wenig mehr Intelligenz habt“, presste Jason kalt hervor. Nur noch zwei Straßenecken und er würde doch noch einigermaßen pünktlich bei Holly und Eddy auftauchen. „Wer hat denn die ganze Stadt gegen sich, weil er von Dingen gesprochen hat, von denen er keine Ahnung hat?“, entgegnete Xander ebenso kühl. Jason blieb kurz stehen und drehte sich nach den beiden um. „Die Politik interessiert mich nicht mehr“, zuckte er gleichgültig mit den Schultern. Die Lügen kamen immer leichter über seine Lippen und dann auch noch ohne jedwede Reue. Er hatte einfach keine Lust, sich mit diesen überheblichen Kindern abzugeben. „Es würde dich ohnehin keiner wählen. So viel Abschaum braucht die Stadt nicht.“ Jeremy schaute seinen Freund stolz an, der nach seinen Worten immer noch ein verzerrtes Grinsen im Gesicht trug. „Der Kleine hat mehr auf dem Kasten als du“, richtete Jason das Wort an den schlaksigen Typen. „Das würde mir zu denken geben.“ Obgleich er in Eile war, konnte er sich seine Kommentare einfach nicht verkneifen. „Bastard“, keuchte Jeremy und ballte seine Hände zu Fäusten. „Du lässt dich zudem immer noch so leicht provozieren. Lerne dein Gemüt zu zügeln“, fuhr der Blondschopf ungeniert fort und hob verklärt seine rechte Braue. „Gehen wir“, meinte Xander und spuckte vor Jasons Füße auf den Boden. „Hast du dir so leicht den Posten des Anführers abnehmen lassen, Jeremy?“, spottete der älteste Anwesende und wandte sich sogleich von den beiden Jugendlichen ab. Bis er links in die nächste Straße einbog, konnte er Jeremys tödlichen Blick regelrecht auf sich spüren, wofür Jason kein bisschen Mitleid übrig hatte. Nur Augenblicke später richteten sich drei von Jeremys Anhängern wie eine Wand vor ihm auf. Das Gesicht des einen überheblicher als das des anderen. Innerlich stöhnte Jason auf. „Du hast dich viel zu gut erholt“, meinte der ganz rechts Stehende von den dreien. Mit einem angedeuteten Kopfschütteln wich Jason auf die Straße aus, doch im selben Moment wurde er von hinten gepackt und zurück auf den Bürgersteig gezerrt. „Nicht so schnell“, verströmte sich warmer Atem an seinem linken Ohr. „Ich bin mit dir noch nicht fertig.“ „Und dazu brauchst du deine Taugenichtse hier?“, erwiderte Jason verächtlich. „Sie können noch einiges von mir lernen“, fuhr Jeremy flüsternd fort, so dass nur er ihn verstehen konnte. „Von dir?“, drückte Jasons Mimik genau den Unglauben aus, den seine Stimme auch in sich trug. Mittlerweile hatten ihn die anderen eingekreist und Xander hatte sich direkt vor ihm postiert. Der Junge hatte wahrlich nichts mehr von der unbefleckten Natur von vor gut einem halben Jahr. Die Selbstsicherheit in dessen dunklen Augen anstatt der Beklommenheit, die jene einmal ausgemacht hatten, war Jason nur zu gut vertraut. „Du hast niemanden“, lächelte Xander ihn an. Das hatte Jason bereits einmal gehört. „Das hat dir wohl eine ganz schlaue Ratte geflüstert“, erwiderte er ihm fest in die Augen blickend. Der Druck um seine Schultern verstärkte sich und Jeremys Atem verteilte sich immer intensiver in seinem Nacken. Obgleich Jason die Nähe zu diesem Kerl zuwider war, regte er sich nicht. Seine Aufmerksamkeit galt einem ganz anderen. Xander. „Deine politische Karriere war wirklich überaus glorreich“, wiederholte sein Gegenüber weiter die Worte, die Jason vor einiger Zeit auf dem Marktplatz von dem ihm am meisten verhassten Menschen zugeraunt worden waren. „Macht es Spaß, dich an den Worten eines anderen zu ergötzen?“, parodierte er. „Xander!“, mischte sich nun Jeremy ein. Dass ihm die Situation dermaßen entglitt, missfiel ihm aufs äußerste Maß. Doch sein Kumpel beachtete ihn gar nicht, sondern heftete immer noch unentwegt seine Augen auf Jason. „Er wusste, dass sie sich dir eingeprägt haben. Übrigens soll ich dir etwas von ihm ausrichten“, trat Xander einen Schritt auf sein Gegenüber zu und ignorierte weiterhin das Schnauben, das von seinem manierlosen und oftmals ungehobelten Freund ausging. „Jetzt muss er schon andere schicken?“, zog Jason Xander weiter auf und seine Mundwinkel umspielte ein verächtliches Lächeln. „Von wem redet ihr?“, schnaufte Jeremy und krallte seine Finger durch Jasons Jacke in das warme Fleisch. Abermals zog er das Interesse nicht auf sich. „Er lehrt mich vieles. Und er weiß, dass ich dir noch ebenbürtig werde.“ Xander stand nun dicht vor Jason und strich ihm eine Strähne aus der Stirn. Der letzte Satz hatte den Blondschopf aufhorchen lassen. Tyrone von Zundersby schien ihn also doch nicht zu unterschätzen. Und Holly und Eddy waren auf einmal gänzlich vergessen. „Jedenfalls hast du mehr Verstand als alle anderen hier zusammen“, meinte Jason anerkennend. „Aber dann solltest du erkennen können, dass es mir egal ist, was er macht. Die Bürger der Stadt wollten nicht auf mich hören, dann sollen sie doch mit den Konsequenzen leben.“ Er versuchte alles, um seine Mimik mit Gleichgültigkeit und Mitleid zugleich zu durchtränken. Abwägend legte Xander seinen Kopf schief und betrachtete Jason eindringlich. „Das tut nichts zur Sache“, fuhr er dann langsam fort und legte eine kalte Hand auf Jasons Wange. „Der Tod deines Vaters soll dir für immer eine Lehre sein.“ Xander blinzelte nicht einmal, während die Worte wie messerscharfe Klingen über seine Lippen kamen. Jasons Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und die Unruhe, die er die ganze Zeit über in sich verspürt hatte, ließ sich kaum noch zügeln. Bemüht unterdrückte er die Reize seines Körpers, die ihn sicher nur verraten hätten. „Könnt ihr meinen Vater nicht endlich ruhen lassen?“, erwiderte er scharf. „Ich habe meine Familie verloren, reicht euch das immer noch nicht?“ Gänzlich unerwartet wurde Xander zur Seite gestoßen und eine Faust flog in Jasons Richtung. Durch den kräftigen Schlag, den er nicht vorhergesehen hatte, kippte sein Kopf nach links weg und funkelnde Sterne begannen, vor seinen Augen zu tanzen. „Jetzt reicht’s! Können wir der Schwuchtel nicht endlich eine Abreibung verpassen?“ Ein großer, braunhaariger Junge hatte sich aus dem Kreis gelöst und blickte verhasst auf Jason hinunter. Jeremy, der Jason noch immer an den Schultern gepackt hielt, drängte ihn mit sich einen Schritt vorwärts. „Warte noch einen Moment!“, raunte er dem anderen zu. Dann verpasste er Jason einen Tritt in die Kniekehlen, so dass dieser zu Boden sank. Unwirsch vergrub er eine Hand in dem blonden Haar und riss Jasons Kopf schmerzhaft nach oben. . „Das ist das Gesicht eines Köters!“, spie Jeremy aus und Jason sah sich durch das spiegelnde Glas eines Schaufensters direkt in die Augen. Ungeachtet wanderten sie jedoch alsbald weiter und begutachteten Xanders Reflexion, der sich von seiner Gang abgewandt hatte. Xander hatte wohl seinen Part für diesen Tag erfüllt. Ein Schatten hinter dem Jungen, der von der anderen Straßenseite herrührte und Jasons Aufmerksamkeit sofort nach Xander innehatte, ließ ihn seinen Kopf zu weit drehen, denn nun bemerkte Jeremy, dass jener sich nicht selbst anstierte, wie er es gewollt hatte. Grob legten sich zwei Hände auf Jasons Wangen und zwangen ihn auf die Weise, sich von der Erscheinung zu lösen, die das Geschehen gewiss erblickt hatte. Doch Lance würde sicherlich nicht kommen, um ihm zu helfen. Dazu besaß er keinen Grund. Außerdem widerstrebte es Jason, seinem Freund hier und jetzt zu begegnen. Hatte er ihm zudem nicht strikt verboten, auf mehr als zwanzig Metern an ihn heranzukommen? Sogar als er seine Sachen aus Lance’ Wohnung geholt hatte, hatte sich dieser daran gehalten, denn er war nicht zuhause gewesen während der ganzen Stunden, die Jason mit Hilfe von Holly und Eddy ausgezogen war. „Sieh dich an!“, schrie Jeremy schon beinahe. Ihm war die Ignoranz, die ihm zuteil geworden war, nicht ganz bekommen. „Wem gehört die Stadt nun?“ „Gewiss nicht dir“, konnte es sich Jason nicht verkneifen. Er fühlte Schmerzen an seinem Körper, doch sein Geist war vor ihnen gefeit. „Dir werde ich deine Arroganz noch austreiben“, ließ Jeremy sein Knie in Jasons Rücken fahren, der seine Zähne fest aufeinanderbiss. Nach einem weiteren, heftigen Tritt brach ein großer Tumult aus. Obwohl Jeremy und einer seiner Helfer nicht von ihm abließen, konnte Jason hören und aus dem Augenwinkel sehen, wie der Kreis um ihn herum zunehmend gelichtet wurde. „Geht nach Hause!“, drang eine vertraute Stimme an seine Ohren. Unsanft wurde erst Jeremy, dann der andere Typ, der ihn festgehalten hatte, von ihm gerissen. Unter lautem Protest suchte die Gang das Weite. „Dass du immer Ärger heraufbeschwören musst“, legte Lance beide Arme um Jasons Oberkörper und zog ihn auf die Beine. „Du hättest sie ruhig sich austoben lassen können“, entgegnete Jason gefühllos und sah seinen Freund geringschätzig an. Dabei streifte sein Blick zwei weitere bekannte Gesichter. „Folgt den Tunichtguten, denn daran würdet ihr gut tun.“ Jason sah auf die Uhr und kehrte dann der FA den Rücken. „Auf Wiedersehen“, hob er die Hand und ging ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen oder auch nur auf eine Silbe zu hören, die von den dreien gesprochen wurde. „Warum mischst du dich immer ein?“, hauchte er vor sich hin, als er vor Hollys Haus stand. Mit einem leicht entseelten Gesichtsausdruck öffnete er die Haustür und trat ins Treppenhaus. Weiße Wände zogen an ihm vorüber, als er die Stufen einzeln nach oben nahm. Lance hatte sich kein bisschen verändert. Ebenso schwarze Haare und meerblaue Augen wie vor einem halben Jahr. Und derselbe Ausdruck in den Augen. Wie auf dem Friedhof, der Ort, an dem sie sich das letzte Mal geküsst hatten. An dem er ihn das letzte Mal so nah bei sich gewusst hatte. Ihn gespürt hatte. Die kurze Begegnung löste in Jason verwirrende Gefühle aus. Noch immer konnte er die starken Arme um seinen Oberkörper spüren und die tiefe Stimme in seinen Ohren hören. Langsam führte er seine Rechte vor sein Gesicht und besah sich jeden einzelnen Finger, der mit Lance in Berührung gekommen war. Dann mischte sich dazu ein Bild vor sein inneres Auge, das ihn seine Hand zur Faust ballen ließ. Lance hatte wieder diesen schuldbewussten Ausdruck in seinen Augen gehabt! „Mistkerl!“, stieß Jason kaum hörbar hervor. Wie hatte Lance mit ihm fast zwei Jahre zusammenleben können, ohne auch nur ein Wort von seinem Wissen preiszugeben? Warum hatte er seinen Vater sterben lassen? Jason drängte seinen Körper an die Wand und kniff die Augen fest zusammen. Er musste diese Bilder und diese Fragen ein für allemal hinter sich lassen. Er durfte sich nicht durch eine einzelne Berührung von Lance derart beeinflussen lassen. Seine Existenz galt einem ganz anderen Ziel. Im Visier hatte er Tyrone. Tyrone von Zundersby, der an allem Schuld war. Der Schlossherr würde für alles büßen. Für alles! Der Rache entsprungener Lüstergedanke, vereint mit des Herzens reinen Wunsch, nährt sich von unterdrückten Ekstasen, entflohen der zutiefst gepeinigten Seele. Ob der geraubten Herzenswärme, in Vergessen der Gnade und der Vergebung, bedarf es schon mehr als einer flüchtigen, fast nicht existierenden Zärtlichkeit. Die Seele brennt nach Vergeltung in harmonischem Einklang mit dem Verstand. In Verachtung der Vernunft entglittener Worte wird sie auf ewig schmerzlich lodern. Wer kann retten, was jedweder Perle des Glückes entsagt? Wer kann richten, wenn bereits die Hoffnung am Kummer nagt? Im Tode werden Zeit und Schmerz gleichermaßen vergolten. Und die Seele, ja die Seele überdauert. Wenige Minuten später verlagerte Jason sein Gewicht gänzlich auf seine Beine zurück und hob seinen Kopf mit einem eiskalten Lächeln auf den Lippen an. Mit beiden Händen fuhr er sich durchs Haar und stieg die letzten Stufen zu Hollys Wohnung hinauf. Vor ihrer Tür verharrte er noch einen Moment, ehe er die Klingel betätigte. „Da bist du ja endlich“, wurde das Holz vor ihm barsch aufgerissen und Holly zog ihn sofort ungestüm und wütend in das große Zimmer. „Tut mir leid“, lächelte Jason sie entschuldigend an. „Ich wurde aufgehalten. Hi Eddy“, wandte er sich an Hollys Freund, der aus der Küche lugte. „Hi Jason“, nickte dieser ihm zu und grinste. „Bin ich dir wirklich zu nahe getreten?“ „Wie viel Wein verträgst du heute?“, entgegnete der Blondschopf nur und zwinkerte ihm zu. „Aufgehalten. So so“, beschwerte sich Holly weiter und dirigierte ihn zum Sofa, auf das sie ihn regelrecht schubste. Für einen winzigen Augenblick verloren seine rehbraunen Augen jedweden Glanz, doch im nächsten begannen sie heiter zu funkeln. „Auf die Art musste ich immerhin nichts helfen“, erwiderte er neckisch. Süffisant beugte sie sich nach vorne und tippte mit ihrem rechten Zeigefinger gegen Jasons Stirn. „Dafür darfst du nachher den Abwasch machen.“ „Was für eine Ehre“, seufzte er auf. „Sie hat dich ganz schön unter ihren Fittichen.“ Belustigt stellte Eddy ein Tablett vor Jason auf den gläsernen Tisch. „Zähle nicht noch mehr von unseren Gemeinsamkeiten auf, sonst wird sie noch eifersüchtig“, konterte Jason souverän und sein Freund wurde um die Nasenspitze ein wenig rot. „Tja, mein Lieber“, stemmte Holly ihre Hände in die Hüften. „Ich sagte dir doch, dass du dich förmlich an Jason rangeschmissen hast.“ Zuerst sah Eddy konsterniert zu seiner Freundin, doch dann tat er etwas, womit vor allem Jason nicht gerechnet hatte. Nicht nur dass er sich dicht an dicht neben ihm auf die Couch fallen ließ, nein, er legte auch noch einen Arm um seine Schultern und drückte ihn an sich. „So in etwa?“, hauchte er ihm ins Haar. „Dein Gesicht müsstest du sehen“, brach Holly in Gelächter aus. Auch Eddy begann zu lachen und wuschelte Jason durchs Haar. „Köstlich“, kommentierte er und rückte ein Stück zur Seite. Der Blondschopf sah von einem zum anderen und strich sich seine Kleidung glatt. „Das gefällt euch, mh?“ „Natürlich“, nickte Holly und ließ sich auf der anderen Seite von Jason nieder. Plötzlich verschwand jedwede Freude aus ihrem Gesicht und sie bettete ihre Rechte auf Jasons Wange. „Jason, das entgeht mir nicht, auch wenn du das denken solltest.“ „Vielleicht haben wir doch übertrieben“, meinte Eddy, doch Holly brachte ihn mit ihrer freien Hand zum Schweigen, die sie signalisierend in die Höhe hob. „Seit Wochen hast du etwas wichtiges verloren“, blickte sie Jason besorgt in die Augen. „Du reimst dir da etwas zusammen“, wollte er sie beschwichtigen, doch sie schüttelte leicht den Kopf. „Ich mache mir Sorgen, Jason“, fuhr sie unbeirrt fort. „Du warst fest der Meinung, ich würde ihn nicht erkennen. Den Verlust… Aber du hast vergessen, dass ich dich kenne. Jason Sartaren, tu mir den Gefallen und finde sie wieder.“ In seinen Augen stand nicht einmal die Frage nach dem ‚was’ geschrieben, und dennoch fügte sie an: „Du weißt sehr genau, was ich meine.“ „…“ „Wer hat alles Hunger?“, fragte Holly auf einmal fröhlich in die Runde, nachdem sie die Hand von Jason genommen hatte. „Äh“, machte Eddy und konnte sich gerade nicht besser artikulieren als irritiert die Hand zu heben. „Dann begebt euch mal an den Esstisch“, dirigierte sie weiter und ging schon mal voraus in die Küche. Jason blieb regungslos auf dem Sofa sitzen und Eddy tat es ihm gleich. „Alles in Ordnung?“, fragte der Drucker und zog seine Brauen verwundert zusammen, da er immer noch keine Ahnung hatte, was gerade vor sich gegangen war. Wie hatte er nur glauben können, dass Holly nichts mitbekommen hatte? Er hatte sie eindeutig unterschätzt. Schließlich war es zudem sie gewesen, die den versteckten Inhalt seines neuesten Artikels erkannt hatte. Stellte sie mit ihrem Wissen eine Bedrohung für ihn dar? Apathisch stierte er die gegenüberliegende Wand an. Er musste noch härter an sich arbeiten! „Ja“, nickte er knapp in Eddys Richtung. „Alles bestens“, fügte er versichernd hinzu und stand auf. „Es duftet herrlich“, lächelte er seinem Freund zu und ging zu Holly in die Küche, wo bereits das Essen dampfend auf dem Tisch stand. Es war das zweite Mal an diesem Tag, dass er merkte, dass er seine Situation falsch eingeschätzt hatte. Tyrone von Zundersby hetzte sogar schon einen seiner Anverwandten auf ihn und Holly hatte in sein tiefstes Inneres geblickt. Dass Xander kein gewöhnlicher Verfechter von Zundersbys Meinung war, davon war Jason überzeugt. Diese Berechnung in den Augen hatte ihn sofort an den Schlossherrn erinnert. „Ich hoffe, ihr esst brav und artig auf“, hob Holly den Deckel vom Topf, der randvoll mit Nudeln gefüllt war. Und Holly? Was würde er unternehmen müssen, damit sie ihm zukünftig glaubte? Wissen war Macht. Macht, die sich schnell ins Gegenteil umkehren konnte. Sie war der letzte Mensch, den er noch hatte. Sobald er auf ihr heiteres Gemüt verzichtete… Sobald auch sie aus seinem Leben verschwand… Schmunzelnd schob er sich eine Gabel voll Nudeln in den Mund. „Das werden wir schon schaffen“, meinte er nach der kleinen Kostprobe und leerte das halbe Glas Wein, das für ihn auf dem Tisch stand. Wohlig warm rann die rote Flüssigkeit seine Kehle hinunter, vorbei an seinem Herzen, das von Minute zu Minute mehr erstarrte. Kapitel 5: - 5 - ---------------- - 5 – Silbern leuchtete der Mond am Nachthimmel und tauchte Jasons Gesicht in einen leicht verträumten Schein. Abwesend sah der junge Mann hinunter auf die Straße und fuhr sich nachdenklich durch das blonde Haar. „Die frische Luft tut gut, nicht wahr?“, rückte Holly näher an ihn heran und folgte seinen Blicken. „Die für diese Jahreszeit ziemlich warme Nacht lockt viele Menschen aus ihren Wohnungen.“ Lange sah sie den Bürgern der Stadt dabei zu, wie sie gut gelaunt durch die Straßen schlenderten, bis sich Jason irgendwann an sie wandte: „Das Essen war sehr schmackhaft. Ich danke dir für die Einladung.“ Behände drehte sie sich um hundertachtzig Grad und stützte sich mit beiden Ellbogen auf die Balkonbrüstung. „Ich habe dich eben gern bei mir“, erwiderte sie aufrichtig. „Wann zieht ihr eigentlich um?“ Er machte es ihr gleich und lehnte nun auch mit dem Rücken am Geländer. „Anfang nächsten Monat. Das heißt, wir werden jeden Tag nach der Arbeit nutzen müssen, um uns bis Weihnachten ein gemütliches Heim zu schaffen.“ Jason nickte nur und blickte durch das große Fenster auf Eddy, der allein auf dem Sofa saß, aber in keiner Weise einsam wirkte. Der Fernseher lief und hatte seine ungeteilte Aufmerksamkeit inne und war dafür verantwortlich, dass sich Amüsement in seinem Gesicht abzeichnete. Das Weinglas in seiner Hand, das er immer mal wieder an seinen Lippen ansetzte, unterstützte die reine Zufriedenheit in seinen Zügen. „Mit ihm an Heiligabend vor dem Kamin unterm geschmückten Christbaum sitzen, seine Hand auf…“, fuhr sie flüsternd fort, brach aber sogleich in ihren Ausführungen ab. „Das klingt kitschig“, lächelte sie Jason schwach an. „Macht nichts“, tat er ihre Verlegenheit mit einem Wink ab. „Für den Sinn für Romantik muss man sich nicht schämen. Die Welt ist ohnehin bieder genug.“ „Ich möchte dich nicht verletzen, Jason, aber… Lance kann dir keiner ersetzen, aber…“ Unsicher schüttelte sie den Kopf und vergrub eine Hand in ihrem smaragdgrünen Rollkragenpullover. „Zwinge dich nicht, jegliches Gefühl zu unterdrücken“, seufzte sie. „Du brauchst dir keine Sorgen machen.“ „Und warum kommt das dann so nüchtern über deine Lippen?“ Vorsichtig griff sie nach seiner Hand und hielt sie in ihre gebettet. „Du musst für niemanden stark sein. Bei mir darfst du dich fallen lassen, Jason. Du hast kein einziges Mal… geweint, als du die Ursache für den Tod deines Vaters erfahren und Lance verlassen hast.“ „Sein Tod ist fast zweieinhalb Jahre her“, entgegnete er gelassen. „Tränen von heute sind vollkommen überflüssig.“ „Und die Trennung von Lance?“ „Er ist selbst schuld.“ Sie schluckte. „Und was empfindest du wirklich?“ Böse sah er ihr in die Augen, doch seine Mimik wurde von Sekunde zu Sekunde weicher, bis er laut stöhnte: „Ich habe ihn geliebt.“ „Und er fehlt dir.“ Jasons Blick wanderte auf seinen Arm und er spürte erneut Lance’ Finger. Ein bitteres Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Egal, was ich auch machen würde, er lässt mich nicht los.“ „Wahre Liebe vergeht nicht einfach, aber sie wird tagtäglich verblassen. Und irgendwann wirst du bereit sein, dich auf jemand neues einzulassen.“ Eigentlich wollte Holly ihn trösten, doch ihr kamen ihre eigenen Worte vollkommen heuchlerisch vor. „Ich rede schon wieder ohne groß nachzudenken“, senkte sie die Augen gen Boden und ließ seine Hand wieder los. „Wer weiß schon, was die Zukunft bringt“, legte er seine Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an. „Solange ich dich habe, habe ich Hoffnung.“ Seine einzige Hoffnung, doch das musste sie nicht wissen. „Störe ich?“, drang Eddys Stimme an ihrer beider Ohren. Sich streckend stand er im Türrahmen, aber weder Skepsis noch Misstrauen ging von ihm aus. Holly runzelte die Stirn ob seines unpassenden Timings und doch trat sie von Jason zurück und auf ihren Freund zu. „Wir haben uns nur darüber unterhalten, wie herrlich die Nacht doch ist.“ „Selten für einen späten Herbsttag“, nickte er und legte seine Arme um Hollys Hüften, hauchte einen Kuss auf ihre Wange. Unwillkürlich schmiegte sie sich an ihn. „Und doch trägt die Luft den Duft von Schnee in sich.“ „Auf die kleinen, weißen Flocken… kann ich verzichten“, schmunzelte Eddy und ignorierte ihren gekränkten Blick. „Oder möchtest du jeden Morgen zur Arbeit schliddern?“, sah er zu Jason. „Fataler Fehler“, erwiderte der blonde Mann zwinkernd. „Heute Nacht wirst du wohl die Couch näher kennenlernen dürfen“, fuhr er scherzend fort. Pikiert blickte Eddy von einem zum anderen und Holly verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Ich dachte, ich hätte einen Freund, der sich ein wenig mehr an den schönen Dingen erfreut“, meinte sie. „Aber… Es ist eben lästig, wenn… Ich kann rutschige Straßen eben nicht ausstehen“, verteidigte er sich verzweifelt. „Na, dann bereinige die Sache mal“, ging Jason grinsend an ihm vorbei in die Wohnung zurück. Langsam ließ er sich auf das Sofa nieder und betrachtete Eddy, der wild gestikulierend auf Holly einredete, die ihm kurz zulächelte. Es war sehr erheiternd, dem Drucker dabei zuzusehen, wie er sich Stück für Stück wieder aus dem Fettnäpfchen arbeitete, in das er getreten war. Zwar war Holly eigentlich gar nicht wirklich gekränkt, dass er nicht viel für die weißen Flocken übrig hatte, aber sie ließ ihn wohl gerne ein wenig zappeln. Jason musste sich von der brünetten Journalistin zukünftig weitestgehend fernhalten, selbst wenn sie sein einziger Halt war. Er durfte nicht zulassen, dass sie aufgrund ihres bisherigen Wissens herausbekam, dass er sich hinter den Artikeln von R.I. verbarg und einen Gegenschlag plante. Tyrone von Zundersby würde sicherlich nicht tatenlos zusehen, wenn sie von seiner zweiten Identität wüsste. Und Jason war sich mittlerweile sicher, dass der Schlossherr Taten seinerseits vermutete. Aspir war äußerst gefährlich und sie musste vor ihm geschützt werden. Doch wie konnte Jason dies bewerkstelligen, außer vor ihr in gewisser Hinsicht zu flüchten? Bisher dachte sie noch, dass er lediglich unter der Trennung von Lance litt. Aber in ihm sah es ganz anders aus. Er wollte Rache. Rache für seinen Vater und für sich selbst. Mit hinderlichen Gefühlen konnte Aspir nichts anfangen. Die Sehnsucht nach Vergeltung war die einzige Emotion, die er beherbergen konnte. Mit Liebe konnte er keine wichtigen Personen auf seine Seite ziehen. Mit Glückseligkeit konnte er niemanden bezahlen. Und Herzlichkeit wurde lediglich mit Füßen getreten. Er brauchte Macht, um sich behaupten zu können. Und Macht musste man sich erkämpfen. Dazu bedarf es mehr als das Verarbeiten einer Beziehung, die ohnehin eine Lüge war. „… wohl Glück gehabt.“ Eddy lief seiner Freundin hinterher, die bereits mit beiden Füßen im Zimmer stand, und strich sich locker durchs Haar. „Und nun zu dir, Jason“, lächelte er dem blonden, jungen Mann zu. „Ich hole uns jetzt noch eine Weinflasche und dann nimm dich in Acht.“ „Ob das eine gute Idee ist?“, hob Holly die Brauen. „Am Ende dürfen wir dich wieder ins Bett tragen.“ „Nein, nein. Das wird schon nicht passieren.“ „Ach, ja?“, zweifelte sie. „Ja“, bestätigte er. „Ich lasse ihn trinken“, deutete er auf Jason. „Da habe ich wohl noch ein Wörtchen mitzureden“, erhob sich der junge Sartaren. „Seid mir nicht böse, aber ich bin müde.“ „Du drückst dich jetzt nicht wirklich, oder?“, beklagte sich der Drucker und erntete von Holly den nächsten recht abwertenden Blick. „Was habe ich denn jetzt schon wieder gesagt?“, folgte ein Seufzer. Obwohl sie grinsen musste, widmete sie ihre Aufmerksamkeit Jason. „Es war schön, dich hier zu haben.“ „Macht euch noch einen schönen Abend“, streckte er Eddy die Hand hin, die jener enttäuscht ergriff. „Das werden wir. Komm gut nach Hause“, meinte Holly und sah ihn ein letztes Mal eindringlich in die braunen Augen, ehe sie ihn umarmte. „Nächstes Mal darfst du wieder auf dem Tisch liegen und dümmlich grinsen“, hob Jason die Hand und lächelte Eddy herausfordernd an. „Nur feige Menschen verkrümeln sich jetzt“, erwiderte Eddy feixend. „Eddy!“, presste Holly hervor, doch Jason legte beschwichtigend eine Hand auf ihre Schulter. „Er hat doch Recht“, zuckte er die Schultern. „Heute würde ich den Kürzeren ziehen und darum gehe ich jetzt.“ Mit einer angetäuschten Verneigung schritt er rückwärts und war schneller aus der Wohnung verschwunden als die beiden schauen konnten. Jason und Aspir konnten verschiedener gar nicht sein. Während den einen das Verlangen nach Liebe und Zuneigung zerriss, labte sich der andere an dem Schmerz der Einsamkeit. Letzterer brauchte ihn nicht, um sich am Leben zu wissen, er benutzte ihn, um stärker zu werden. Und je mehr Jason unter dem Verlust litt und sich aus der Welt zurückzog, desto mehr gewann Aspir die Oberhand. Wahrlich kein harmloser Zwiespalt. Und doch… … konnte er nicht aufgehalten werden. Obwohl es sternenklar war, wehte recht warme Luft durch die Straßen von Asht-Zero. Jason gesellte sich zu den Menschen, die immer noch draußen unterwegs waren, und war dennoch keiner von ihnen. Weder trug er diese irgendwie unwirkliche Unbeschwertheit in seinen Zügen noch lachte er aus voller Kehle. Mit jedem Schritt straffte sich sein Körper und sein Gesicht drückte alsbald eine Entschlossenheit aus, die fast schon an Manie grenzte. Seine Augen wirkten irgendwie geisterhaft. Ganz als ob sie aus reiner Kälte bestünden. Seine Hände ballten sich immer wieder zu Fäusten, bis die Spannung aus ihnen wich und Jason sie in seinen Hosentaschen vergrub. Fast eine Viertelstunde lang setzte er unermüdlich einen Fuß vor den anderen und glitt unscheinbar durch die Straßen. Vorbei an gut gefüllten Kneipen und laut johlenden Jugendlichen. Genauso sollte es sein. Unauffällig und dennoch bedeutend. Unsichtbar und doch schicksalsträchtig. Unbemerkt schweifte sein Blick immer wieder in enge Gassen oder auf die gegenüberliegende Straßenseite. Vielleicht mochten die meisten Bürger ihn wahrlich nicht zur Kenntnis nehmen. Diejenigen, die er unterschwellig auf seine Seite ziehen wollte. Deren Augen er irgendwann öffnen wollte. Aber das galt nicht für eine ganz bestimmte Sorte von Menschen. Individuen, die ihm in die Quere kommen konnten. Die ihm anscheinend misstrauten. Lance’ plötzliches Erscheinen war kein Zufall gewesen. Ebenso das Einschreiten der FA. Da Tyrone ihm so einiges zuzutrauen schien, wieso sollte es dann Father’s Addendum nicht ebenfalls tun? „Ich weiß, dass ihr hier seid“, hauchte er in die klare Luft. Für sie war er der Gejagte. Die Beute. Doch für ihn waren sie nur einfältige Geschöpfe, die ihn aus entlegenen Winkeln beschatteten. Umkreisten wie ein wildes Tier. Aspir bemächtigte sich zunehmend Jasons und ungesehens übernahm er die Kontrolle. Jasons Schöpfung, die ihm eigens immer mehr zum Verhängnis wurde. Wenn sich der reine Herzenswunsch die Verselbstständigung ersucht… Wenn der Schwächere dem Kampf der Geister erliegt… „Dann nehmt euch vor Aspir in Acht!“, umspielte ein freudloses Lächeln seine Lippen. Unsanft wurde er im nächsten Moment an die nächste Hauswand gedrückt. „Jason“, drang Lance’ erstickte Stimme an seine Ohren. Krampfhaft umschlangen den blonden, jungen Mann zwei kräftige Arme und er fühlte warmen Atem auf seinen Nacken strömen. Irritiert blinzelte er und seine rehbraunen Augen überzog sogleich ein scheinender Glanz. Jason versuchte seinen Kopf zu drehen, um den anderen ansehen zu können. „Lance?“, fragte er verwirrt. Laute Rufe von Unbekannten hallten durch die Straße und übertönten das unkontrollierte Atmen, das von seinem schwarzhaarigen Freund ausging. „Lass mich los“, meinte er irgendwann einigermaßen besinnt und Lance tat wie geheißen. Die abrupte Unterbrechung der Berührung ihrer Körper ließ Jason sich mit einer Hand an der Hauswand abstützen. Nicht nur, dass er keine rechte Ahnung hatte, wie er bereits so weit von Hollys Wohnung entfernt sein konnte, die plötzliche Nähe zu Lance riss ihm zusätzlich den Boden unter den Füßen weg. Ein winziger Augenblick reicht, um zu obsiegen… „Ein halbes Jahr…“, hörte Jason Lance seufzen und seine Finger bohrten sich unwillkürlich in das harte Gestein des Hauses. Sich auf die Unterlippe beißend sah er zu Boden und versuchte seine Situation, in der er sich unvermittelt befand, zu begreifen. „Ich…“, legte sich eine von Lance’ Händen auf seine Schultern und erneut fühlte er den gestählten Körper in seinem Rücken. Von dort begann eine besänftigende Wärme durch seine Adern zu fließen und ein Kribbeln zu hinterlassen, das seine Härchen sich aufrichten ließ. Doch ein ungutes Gefühl keimte simultan in ihm auf. Eines, das so befremdlich wirkte und seinen Körper merklich versteifen ließ. „Geh!“, rief er aus und wand sich aus der Umklammerung. „Das Verbot, sich mir zu nähern, gilt immer noch“, fuhr er leiser fort und sah Lance drakonisch in die meerblauen Augen. Lance erwiderte den Blick voller Trauer, bis er laut ausatmete und nickte. „Pass gut auf dich auf“, hauchte er verzagt. Dann drehte er sich um und verschwand als Schatten mit zwei weiteren in der Nacht. Jason war vollkommen aufgewühlt. Seine zur Faust geballte Hand zitterte, ebenso wie der Rest seines Körpers. Um die sechs Monate lang hatte er es geschafft, Lance kein einziges Mal in Asht-Zero zu begegnen. Ihm aus dem Weg zu gehen und sich Stück für Stück von ihm zu entfernen. Und ein einziger Tag – nur ein Abend - machte seine ganze Aufopferung zunichte. Die Sehnsucht nach seinem Freund war dermaßen schmerzhaft, dass sie sich unaufhaltsam in sein Herz bohrte und ihn zu zerreißen drohte. Er hatte den Teil seines Herzens für immer ausblenden wollen, der von Lance durchtränkt war, doch nun war genau dieser so präsent wie noch nie zuvor. Es schlug krampfhaft nach dem schwarzhaarigen, jungen Mann, der soeben aus seinem Blickfeld verschwunden war. Die Hände im Haar vergrabend sank er auf die Knie und wollte schreien. Sein Mund öffnete sich, aber kein laut drang über seine Lippen. Es wäre ein markerschütternder Schrei gewesen, wenn er denn seiner Kehle entsprungen wäre. Stattdessen rann eine stumme Träne seine Wange hinab und tropfte über sein Kinn hinweg zu Boden. Das salzige Wasser verschmolz sofort mit dem rauen Untergrund und war alsbald nur noch ein Schatten seiner selbst. Ein winziger Augenblick reicht, um zu obsiegen. Kapitel 6: -6- -------------- - 6 – Lang ausgestreckt lag Jason auf seinem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Augen starr zur Decke gerichtet. Die rubinrote Bettdecke bedeckte ihn nur bis knapp über seinen Bauchnabel und hing zur Hälfte über die Matratze hinweg gen Boden. Klassische Musik erfüllte den Raum und brachte ab und an das Mobiliar zum Vibrieren, immer dann, wenn chorale Gesänge oder Schlaginstrumente ertönten. Vor dem Fenster rieselten kleine Schneeflocken zur Erde und mehrten die dünne weiße Schicht auf den Straßen von Asht-Zero. Holly hatte mit ihrer Vermutung Recht gehabt und freute sich nun sicherlich über den ersten Schnee der Saison. Doch Jason warf keinen einzigen Blick auf das Schauspiel der Natur. Er hatte die Flocken noch nicht einmal bemerkt, die vom Himmel stoben. Seitdem er am Morgen aufgewacht war, war er nur einmal aufgestanden, um kurz ins Bad zu gehen und auf dem Rückweg die Musik anzumachen. Das hieß, dass er schon seit gut drei Stunden im Bett lag und sich kaum regte. Immer wieder rief er sich den Ablauf des Vorabends ins Gedächtnis, doch er konnte sich immer noch nicht erklären, wie er eine Art kleinen Filmriss haben konnte. Die beiden Begegnungen mit Lance blendete er immer wieder gekonnt aus und konzentrierte sich einzig auf das Verlassen von Hollys Wohnung bis hin zu der Hauswand, vor der er sozusagen überfallen worden war. Die Nacht war relativ warm gewesen und er ist einigen Leuten begegnet, die äußerst heiter zu sein schienen. Aber er bekam das dumpfe Gefühl nicht los, dass ihm einige Sekunden oder gar Minuten in seiner Erinnerung fehlten. Er war zwar auf dem Weg nach Hause in Gedanken gewesen, aber selbst dann müsste er gewisse markante Straßenecken vor Augen haben, wenn er die Szene Revue passieren ließ. Bald die halbe Strecke bis hin zum Zusammentreffen mit Lance erschien jedoch maximal verschwommen in seinem Erinnerungsvermögen. Nie und nimmer hatte er genug Alkohol in seinem Blut gehabt, um dieses Phänomen zu erklären. Er hatte Wein getrunken, aber einfach nicht reichlich genug, um nun nicht ins Grübeln zu geraten. Irgendwie wäre es ihm gerade lieber, er hätte es. Ungewissheit war etwas, was Jason ordentlich stresste. Insbesondere seit seiner Bürgermeisterkandidatur, die ihm so einiges offenbart hatte. Vielleicht zerbrach er sich gänzlich umsonst den Kopf, doch die Tatsache, dass er glaubte, etwas nicht zu wissen, verunsicherte ihn enorm. Ruhelos zog er immer wieder mit den Zähnen seines Oberkiefers seine Unterlippe ein. Sie sandte bereits Schmerzsignale aus, aber er ignorierte sie. Obwohl sich der Tag schon fast dem Mittag neigte, wurde es draußen kaum heller. Jasons Schlafzimmer lag in einem Halbdunkel und die musikalische Untermalung verstärkte die elegische Atmosphäre. Alsbald wippte sein rechter Fuß auf und ab, der über dem anderen lag und brachte die Bettdecke zum Rascheln, das jedoch meist in der Komposition von Carl Orffs Carmina Burana unterging. Seufzend wand er sich irgendwann in seinem Bett, doch sein Blick streifte lediglich die Wand, die in diesem Augenblick völlig kalt wirkte. Seit seinem Einzug hatte er sich noch nicht die Mühe gemacht, das Weiß durch Farbgebungen welcher Art auch immer zu durchbrechen. Viel zu sehr war er mit wichtigen Telefonaten beschäftigt gewesen. Und mit Lesen und mit Nachforschungen, mit Denken und Planen. Jason hat sich bisweilen eine vernünftige Basis geschaffen, um Tyrone von Zundersby zum gegebenen Zeitpunkt zu kontrahieren oder – wenn es gut lief – zu stürzen. Und doch war es vermessen zu behaupten, dass Jason allein diese Grundlage für seine Ziele ausreichend genug ausbauen könnte, insbesondere wohl kaum in einem ansprechenden Zeitraum. Und auch nicht mit den wenigen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Weder er als der Sohn von Kelvin Sartaren noch er als Aspir war dazu in der Lage, genügend Geld aufzutreiben oder Artikel schreiben zu lassen, um sein eigenes Netz des Einflusses groß genug zu spinnen. Doch davor schloss Jason lieber die Augen. Dieser Wahrheit bewusst zu sein war eine Sache, doch an ihr festzuhalten eine ganz andere. Bedächtig schloss er seine Lider und rief sich ein weiteres Mal die gestrige Nacht vor Augen. Nur dieses Mal intensivierte sich seine Erinnerung und er schaffte es nicht, Lance erneut auszublenden. Starke Arme umschlossen ihn und zogen ihn fest an einen warmen Körper, der sich perfekt dem Seinen anpasste. In seinem Nacken begann es zu kribbeln, als er abermals heißen Atem auf ihm spürte. Seine Ohren summten, als er neuerlich die vertraute Stimme – so verzagt sie auch klang – hörte. Erst die Berührung durch Lance hatte ihn in die Realität zurückgeholt. Ein Fakt, der ihn noch mehr beunruhigte. Doch er erklärte immer noch nicht, was vorher geschehen war, dass ihm sein Nachhauseweg so unwirklich erschien!? Es quälte ihn. Unwissen war eine wahre Tortur für ihn. Und dass er Lance in jeder Faser seines Körpers spürte, verbesserte seinen Zustand auch nicht. Holly hatte erkannt, wie sehr ihn die Trennung von Lance belastete, auch wenn er alles daran getan hatte, es sich nicht anmerken zu lassen und seine Gefühle zu verdrängen. Doch tief in ihm waren sie die ganzen Monate über präsent gewesen, verborgen im Schein des Wunsches, Asht-Zero von der übermächtigen Korruption zu befreien. Sein Verlangen, Tyrone das Handwerk zu legen, entsprang wahrlich seinem Inneren. Doch war es all die Opfer wert? Als er seine Augen wieder öffnete, flackerten seine Lider und offenbarten immer wieder im Wechselspiel ein intensives und ein emotionsloses Braun seiner Iriden. „Ja, ist es“, hauchte er alsbald in die Leere des Zimmers und erhob sich langsam. Wenn er seinen Zielen näher kommen wollte, durfte er nicht den ganzen Tag tatenlos sein. Zudem musste er in etwa einer Stunde zur Firma. Freie Arbeitszeiteinteilung konnte zwar vorteilhaft sein, aber die Arbeit machte sich dadurch dennoch nicht von allein. Er wurde immer noch nicht so gerne dort von seinen Kollegen gesehen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er den Job brauchte, um Killian Frimmingway und all seine Nachfolger, die noch kommen werden, zu bezahlen. Geld war ein Stück Macht. Eines, das er sich nicht nehmen lassen konnte. Er schüttelte all die Lethargie von sich, die das Gefühl, Lance zu vermissen, lediglich verstärkte. Der Vergangenheit nachtrauern half ihm auch nicht. Und die verschwommenen Momente in seinem Gedächtnis musste er vorerst als Hirngespinst einstufen, selbst wenn er sie eigentlich nicht für unwichtig befand. Doch was brachten ihm hindernde Emotionen, wenn er den großen Clou vor Augen hatte? So rannen die Tage ins Land und Jason widmete sich wieder voll und ganz seiner Erbschaft. In der Tat bezeichnete er seine zweite Identität insgeheim als solche. Dass Aspir derweil immer mehr sein Wesen verkörperte und seine Handlungsweise bestimmte, überging er geflissentlich. Aspir bedeutete Stärke, Zielstrebigkeit, Durchsetzungsvermögen und Einfluss. Prädikate, über die er ohne ihn nicht in solchem Ausmaß verfügte. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen las er den neuesten Foreneintrag der Homepage der Stadt. Er hatte am Vortag eigens einen Thread – Verschwindet unser Geld im Nichts? - eröffnet und die Reaktionen waren teils sehr vielversprechend, teils aber einfach nur amüsant. Die einen nahmen seine aufgeworfenen Fragen sehr ernst und sprachen auch den einen oder anderen Punkt an, auf den er selbst noch gar nicht gekommen war, und die anderen wiederum schienen noch nie darüber nachgedacht zu haben, warum sie am Ende des Monats rote Zahlen schrieben. Jason hatte seinen Eintrag eher allgemein gehalten, denn er hatte nicht direkt auf den Fakt anspielen wollen, dass dies alles eine Taktik des Stadtrates war. Solch relativ hohe Gebühren für die Abfallentsorgung oder das Abwasser im Vergleich zu anderen Städten waren im Grunde nicht nötig, um die verursachten Kosten zu decken. Doch Northburg und nun Vanrim achteten sehr genau darauf, dass die Beträge nur minimal zu hoch angesetzt waren, damit erst gar keine Diskussion entfacht würde. Mit kleinen Erhöhungen fanden sich die Menschen meist schnell ab, doch sie hatten allesamt ihre Rechnung ohne Jason Sartaren gemacht. Er hat nun einen weiteren Stein ins Rollen gebracht und die Reaktionen bestätigten ihn nur zu deutlich. Renthouse 10.November 10:47 Hi Leute, es ist äußerst erbauend, dass ich nicht der einzige bin, dem diese Unerhörtheiten aufgefallen sind. Da wollte ich mit meiner Frau ein Grundstück kaufen und mir sind fast die Augen rausgefallen, als mir der Preis dafür genannt wurde. Der Besitzer wies meine Vorwürfe bescheiden lächelnd zurück, dass er selbst den Gesetzen unterläge. Leute, habt ihr euch mal damit mal beschäftigt? Die Grundsteuer ist der pure Hohn! So toll ist Asht-Zero nun auch nicht. Weder campieren hier irgendwelche hochkarätigen Berühmtheiten noch finden hier alljährlich irgendwelche Festakte statt, die den Preis derart in die Höhe schrauben. Das kann doch alles nicht wahr sein! Die wollen uns auf ganzer Linie abzocken und denken auch noch, dass wir so blöd sind und das einfach so runterschlucken. Nicht mit mir. Ach, und auf meine Vorgängerin zu sprechen zu kommen. Letti, meinst du nicht, du bist hier falsch? Mach mal deine hübschen blauen Äuglein auf, Süße, vielleicht siehst du dann, dass die Realität kein Zuckerschlecken ist. Aber vielleicht sollten dir deine Eltern auch einfach die Kreditkarte nehmen. Die Welt geht zugrunde! Mfg, euer Renthouse Jason scrollte weiter nach unten, ließ Lettis Eintrag geflissentlich an sich vorbeirauschen – und obwohl sie nichts zu sagen hatte, hatte sie eine Menge geschrieben! – und scrollte dann wieder nach oben. Es gab zwei neue Vermerke, die in der letzten Minute erst hereingekommen sein mussten: Zunder 11.November 19:13 Tach auch, was geht denn hier ab? Da komme ich gerade aus dem Urlaub zurück und erblicke einen Thread, der mir aus der Seele spricht. Das ist voll krass. Fielen euch endlich die Schuppen von den Augen, was? Nein, nein, ich möchte hier niemanden beleidigen, aber schon dieser… ach wie hieß der Typ noch mal???... ihr wisst schon, dieser Typ, der Bürgermeister werden wollte… scheißt drauf, jedenfalls hat der endlich das angesprochen, was gemeinhin bekannt ist. Zumindest in meinen Kreisen. Und alle, die es leugnen, sind Heuchler! Fuck, ich werde hier doch nicht gleich gesperrt werden? Ganz locker, Kinder! Diese Stadt raubt einem den Verstand. An einem Tag bekommt man Kohle, am anderen ist sie schon weg. Und habe ich was davon? Nee, außer vielleicht ’ner warmen Wohnung. Welch Luxus! Tzz, da braucht man aus beruflichen Gründen ’ne Zweitwohnung und was machen die diätenfressenden Fettärsche? Die ziehen mir alles aus der Tasche, was ich durch meinen Schweiß verdiene. So ein Teufelspack! Warum lassen wir uns das eigentlich gefallen? Na, wann steigt die Revolte? Seid euch sicher, dass ich euch durch meine Präsenz beehren werde. Da schaut ihr, was? Ja, selbst so ein Penner wie ich kann sich gewählt ausdrücken. Hochachtungsvoll, der von nebenan The rule 11.November 19:14 Ich bin das Gesetz! Ich horte euer Geld! Und meine Taschen sind groß! Sehr groß! Peace! Als sich Jason vom Monitor abwandte, verdrehte er kurz die Augen. Manche sahen in dem Thread wieder nur die Möglichkeit, sich zu profilieren, aber schon zuckte er die Achseln. Ihm sollte es recht sein. Solange die Diskussion am Leben war, würde der eine oder andere intensiver darüber nachdenken, was in dieser Stadt vor sich ging. Dass Tyrone von Zundersby der Drahtzieher war, musste dafür keiner wissen. Zumindest noch nicht. Erst musste das Feuer zum Brennen gebracht waren, ehe es sich ausbreiten und damit immer größer werden konnte. Jasons Augen funkelten, als ob sie die lodernde Glut verkörperten. Er stellte sich ans Fenster und sah auf Asht-Zero, das unter einem dichten Regenschleier verborgen war. Es klingelte. Sein Blick wanderte hinauf gen Himmel, von dem die nassen Tropfen fielen. Die Wolken hangen schwer und schienen sich immer weiter verdichten zu wollen. Wie sehr er dieses Wetter einmal verabscheut hatte. Doch nun… Es klingelte erneut. Doch nun fand er, dass es zur Stadt passte. Asht-Zero und Sonne? Die reinste Antithese in seinen Augen! „Hrmpf“, knurrte er und wand sich vom Fenster wieder ab, als jemand begann, auf seine Wohnungstür einzuschlagen. „Jason?“, drang nun Hollys Stimme zu ihm. „Ich weiß, dass du da bist. Mach auf!“ Ruckartig zog er die Tür auf und Holly fiel ihm fast in die Arme. „Was ist denn in dich gefahren?“, fragte er sie ernst und beäugte sie kritisch. „Gott sei dank!“, umfasste sie mit kalten Händen sein Gesicht und zog ihn dann an sich. Ein unterdrücktes Schniefen erfüllte alsbald den Flur und Jason wusste nicht, was sich gerade abspielte. „Holly?“, schob er sie von sich an und suchte ihren Blick. „Alles okay?“ „Das fragst du mich?“, stieß sie schluchzend hervor. „Du gehst nicht ans Handy, du lässt dich tagelang nicht bei mir blicken, meldest dich nicht und du fragst, ob bei mir alles okay ist?“ Mit der flachen Hand schlug sie ihm auf die Brust. „Und ich, Idiotin, mache mir auch noch Sorgen!“ Als sie seinen verständnislosen Blick sah, schüttelte sie mit dem Kopf und lief dann an ihm vorbei in das nächstgelegene Zimmer. Während sie direkt zum Kühlschrank ging, um sich ein Wasser gegen das Kratzen im Hals zu holen, seufzte sie. Fahrig fuhr sie sich durchs Haar und machte dann den Kühlschrank auf, der lediglich gähnende Leere aufwies. „Isst du nichts?“, drehte sie sich zu Jason um, der ihr gefolgt war. „Morgen ist auch noch ein Tag zum Einkaufen“, tat er ihre Frage nonchalant ab. Plötzlich knallte sie die Kühlschranktür wieder zu und eilte wie ein Wirbelwind durch die Gegend. Dabei sah sie sich genauestens um, öffnete und schloss Schränke, sah in Dosen und Kannen, und wühlte sogar in Schubfächern. „Kannst du mir mal verraten, was das werden soll?“, versperrte Jason ihr irgendwann den Weg, als sie sich einem Schrank genähert hatte, der sie partout nichts anging. „Geh zur Seite“, erwiderte sie nur und wollte sich an ihm vorbeischleichen. Doch er packte sie am Arm und zog sie zum Küchentisch und zwang sie, auf einem der Stühle Platz zu nehmen. „Du tust mir weh“, fauchte sie. Er lächelte. „Du platzt hier rein und durchwühlst meine Sachen, da darf ich doch wohl erst mal den Grund dafür erfahren.“ „Du willst es ja nicht anders!“, schnaubte sie weiter, besann sich aber dann eines besseren und atmete erst einmal tief ein. Im nächsten Augenblick prägte Kummer ihren Gesichtsausdruck. „Nimmst du Drogen oder hortest du irgendwo Unmengen von Alkohol?“ „Bitte?“, konnte er ihre Frage kaum glauben. „Wie kommst du nur auf so was?“ „Ich habe doch gesehen, mit welchem Schmerz in deinen Augen du letzte Woche meine Wohnung verlassen hast. Und seitdem hast du dich rar gemacht und als du den ganzen Tag nicht auf dem Handy gehört hast, da…“ Sie brach ab und rang nach Fassung. „Jason, wenn du deinen Kummer auf eine Art und Weise verdrängen solltest, die nicht ganz… naja koscher ist, dann redest du mit mir darüber, ja?“ Jason wandte sich von ihr ab und schenkte ihr ein Glas Wasser ein, das er ihr anschließend hinhielt. „Auf was für Gedanken du kommst“, zog er eine Braue nach oben und spürte für einen Moment ihre Finger, als sie ihm das Glas abnahm. Es war ein merkwürdiges Gefühl, das ihn beschlich, als er Holly so vor sich sah. Den Tränen nahe und regelrecht verzagt. Etwas regte sich in seinem Herzen, das er die letzten Tage nicht verspürt hatte. Es war das Gefühl der Geborgenheit. Mit einem Mal sank er auf die Knie und bettete seinen Kopf auf ihrem Schoß. Das war eine Geste, die er noch nie zuvor hat durchbrechen lassen. Wie von selbst vergrub sich ihre Rechte in seinem Haar. Und ihm fehlten von jetzt auf nachher die Worte. Holly war es, die ihm immer noch zeigen konnte, dass er etwas von dem alten Jason in sich trug. In diesem Moment nahm sie eine Rolle ein, die ihr gewiss niemals in den Sinn gekommen wäre. Und doch tat sie genau das unterbewusst, was sie darin noch verstärkte. Sie spendete ihm in gewisser Weise Trost und gab ihm eine Nestwärme, wie sie eigentlich nur Müttern zu Eigen war. Der Vergleich mochte sehr seltsam anmuten… „Ich kann mir gut vorstellen, was du durchmachst, Jason“, erhob sie ihre Stimme ganz sachte. „Immer, wenn ich dir in den letzten Monaten in die Augen gesehen habe, habe ich die Trauer gesehen, die dich innerlich zerfrisst. Außer mir nahm sie anscheinend keiner wahr…“ Ab und an fuhr sie ihm mit der Hand über die Wange. Nebenbei horchte sie auf das unregelmäßige Atmen, das von ihm ausging. „Ich hatte gehofft, dass du sie überwinden wirst, doch als ich nun seit gut einer Woche nichts von dir hörte,… Ich sehe ja, dass ich mit meiner Hoffnung falsch lag…“ Sie schloss die Augen und senkte ihren Kopf ab, um Jason einen Kuss auf die Stirn zu hauchen. In dem jungen Sartaren herrschte plötzlich Chaos. Er spürte das Blut in seinen Ohren rauschen und sein Herz in seiner Brust pochen. Er fühlte Emotionen, die er für unwichtig erachtet hatte. Doch der andere Teil von ihm, der, der unentwegt an seinem Vorhaben, Tyrone das Handwerk zu legen, festhielt, rief Bilder vor sein inneres Auge, die ihm durch Mark und Bein gingen. Fratzenhafte Gestalten, tiefrotes Blut und sonst nur Schutt und Asche. Zuerst versuchte er, die Bilder zu verdrängen, doch umso dringender er dies tat, umso heftiger wurden sie. Als er Hollys Lippen auf seiner Haut spürte, schreckte er auf und fiel rücklings auf seinen Hintern. „Jason?“ Hollys Stimme klang wie von weit her und verlor sich in einem Nebel aus Wolken. Gebilde, die hier und jetzt nicht hätten vorherrschen dürfen. Jason richtete sich auf und lief durch den Dunst, versuchte es, mit seinen Händen zu lüften. Sich einen Weg zu bahnen, doch er wurde von den Schwaden immer stärker umhüllt. Schmerzen durchzuckten ihn, obwohl er nur die undurchsichtige Luft berührte. Er wollte aufschreien, doch kein Laut entsprang seiner Kehle. Der Dunstschleier legte immer fester seine Arme um ihn und drohte ihn zu ersticken. Wie verrückt schlug er um sich und wollte sich wehren, doch die Dunkelheit, die ihn zusätzlich umhüllte, wurde immer verlangender. Sie verlangte nach ihm. Sie verzehrte sich nach ihm. Bis sie siegte… „…son? … Jason? … … son?“ Sanfte Worte, die fast einer Melodie glichen und sich wohlig über die Taubheit legten, die all seine Glieder einnahm. Ein kleiner Lichtstrahl stahl sich in die Finsternis. Erst rechts, dann links. Und dann spürte er eine schleichende Kälte auf seiner Brust. Nur vage und doch glaubte er, nicht zu träumen. Zaghaft schlug er die Augen auf und schloss sie sogleich wieder, als grelles Licht ihn traf. „Jason?“ Etwas Warmes strich über seinen Kopf. „Die Werte sind vollkommen normal.“ Unwillkürlich versteifte er sich. „Das ist nur Doktor Jensworth.“ Erneut öffnete er die Augen und dieses Mal konnte er verschleierte Umrisse wahrnehmen, ehe er sie wieder schloss. „Falls er erneut zusammenbricht, verständigen Sie mich bitte. Dann lasse ich ihm eine Überweisung fürs Krankenhaus zukommen“, wandte sich der Arzt an die brünette junge Frau, die immer noch hinter der Couch kniete und Jason behutsam über den Kopf strich. „Also ist es nichts Ernstes?“, sah sie zu ihm auf. „Sie sagten, er war vollkommen fertig und schien kaum etwas zu essen?“ Holly nickte. „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich vermute, dass er in den letzten Tagen fast nichts zu sich genommen hat.“ „Dann braucht er nur einen Tag Ruhe und jemanden, der darauf Acht gibt, dass er etwas isst“, lächelte er sie freundlich an. „Dafür werde ich sorgen“, versprach sie ihm mit Nachdruck. „Er wird Ihnen dankbar sein.“ „Das hoffe ich doch“, blickte Holly zu Jason und lächelte dann Doktor Jensworth an. „Ich danke Ihnen dafür, dass Sie so schnell kommen konnten.“ „Auf Wiedersehen“, reichte er ihr die Hand, nachdem er seinen schwarzen Koffer geschlossen hatte, in dem er sein Stethoskop wieder verstaut hatte. „Wiedersehen“, nickte sie ihm zu und hörte wenig später die Haustür, wie sie ins Schloss fiel. „Jason?“, legte sie ihre Hand nun auf seine Wange. Jason hatte dem Gespräch die ganze Zeit über gelauscht und je mehr Sekunden verstrichen waren, desto klarer war sein Verstand geworden. Die letzten Worte hatte er wieder völlig deutlich vernommen. Langsam öffnete er die Augen ein weiteres Mal, doch dieses Mal machte ihm das Licht überhaupt nichts mehr aus. „Wie geht’s dir?“, fragte Holly nun eine Spur heiterer. Vorsichtig richtete er sich auf und sie nahm umgehend neben ihm Platz. „Gut.“ „Wirklich?“ Er drehte seinen Kopf ein paar Mal hin und her, rieb sich kurz den Nacken und ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. „Ja, wirklich.“ Hollys Hände hatte mittlerweile die Seine umschlossen. „Gut“, stieß sie die Luft aus und lächelte ihn dann an. „Mhmm… Eddy wartet sicher auf dich.“ „Er weiß, dass ich heute Nacht nicht komme.“ „Mir geht’s wirklich wieder gut. Du hast doch gehört, dass meine Werte in Ordnung sind“, versuchte er sie zu beschwichtigen. „Wegen mir braucht ihr nicht auf euch zu verzichten.“ „Du wirst mich heute aber nicht mehr los“, zuckte sie gelassen mit den Schultern. „Du gehst jetzt ins Bett und ich koche dir derweil eine heiße Suppe. Irgendwas werde ich in deinen spärlichen Vorräten schon dafür finden.“ „Holly…“, setzte er an, doch ein Finger auf seinen Lippen brachte ihn zum Schweigen. „Du gehorchst mir oder ich rufe Eddy an, damit er dich zur Vernunft bringt. Und du willst nicht wissen, wie“, fügte sie zwinkernd an. Er stöhnte, stand aber dann auf und ging wie befohlen ins Schlafzimmer. Doch dort legte er sich nicht ins Bett, sondern er stellte sich ans Fenster, legte eine Hand auf seine linke Brust und sah hinaus. „Schon wieder“, hauchte er. „Schon wieder weiß ich nicht, was mit mir passiert ist.“ Der Regen hatte sich zu vorhin noch intensiviert und prasselte nun peitschend auf die Dächer der Stadt. Asht-Zero weilte unter den schweren Wolken verborgen. Und Jason begann bereits erneut zu ignorieren… Kapitel 7: - 7 - ---------------- - 7 - "Die Wahrheit kann nicht auf ewig ins Nichts verbannt werden." Er konnte ihr kaum ins Gesicht sagen, dass er lieber allein sein würde. Das würde ihm Holly nicht nur übel nehmen, sie würde seiner Bitte auch nicht nachkommen. Mit einem lauten Seufzen nahm Jason wahr, wie die Tür zu seinem Schlafzimmer vorsichtig geöffnet wurde und ein Duft von Minze sofort den Raum erfüllte. Sah sie denn nicht, dass er sich von seinem kleinen Blackout körperlich und auch psychisch wieder bestens erholt hatte? "Du brauchst nicht wie bei einem Totkranken herumschleichen", richtete sich Jason ein wenig auf. "Mir geht's wieder gut, selbst wenn du das nicht glauben möchtest. Es reicht schon, dass du mich hier festhältst." Er deutete auf das Bett, in dem er nun schon seit gut einer Stunde ergeben lag. Holly hatte ihm mit einer Holzhammernarkose gedroht, falls er auch nur den leisesten Versuch unternehmen würde, aufzustehen. Obgleich er ihr kräftemäßig überlegen war, verspürte er nicht den Drang, sich mit ihr anzulegen. Ungeachtet seiner Worte setzte sie sich zu ihm aufs Bett und reichte ihm eine Tasse mit heißem, dampfendem Tee, den sie für ihn in der Küche aufgesetzt hatte. "Trinken und nicht jammern." Widerwillig griff er nach dem Porzellan. "Bist du heute kühl", murmelte er. Zwei Finger bohrten sich schmerzhaft in seinen Oberarm. "Das tut weh", mokierte er sich. "Jetzt hör auf zu schmollen. Du hast dich selbst in diese deine Lage hineinmanövriert." Unerbittlich nötigte sie ihn mit einem Fingerzeig dazu, endlich einen Schluck Tee zu sich zu nehmen. Während er mit den Augen rollte, kam er ihrer Aufforderung endlich nach und schon legte sich ein sanftes Lächeln auf ihre Lippen. "Jetzt zufrieden?" "Wenn du nun noch ein wenig mehr Höflichkeit an den Abend legst, dann ja", erwiderte sie. Ungläubig starrte er sie einen Augenblick an, ehe er mit dem Kopf schüttelte. "Stur wie ein Bock." Plötzlich wurde Jason rabiat das Kissen aus dem Rücken hervorgezogen. Da er damit nicht gerechnet hatte, ließ er nicht nur die Tasse fast aus der Hand fallen, er verschüttete auch die Hälfte ihres Inhalts. Schnell sickerte die Flüssigkeit durch sein Hemd hindurch und legte sich heiß auf seine Haut. "Was soll-", fluchte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. "Noch ein freches Wort und das hier landet in deinem Gesicht!" Holly wedelte mit dem Kissen in der Tat bedrohlich vor seiner Stirn herum. "Sieh dir lieber an, was du angerichtet hast", deutete er auf sich und auf das teils immer dunkler werdende Laken. "Halb so schlimm", tat sie die Unflätigkeit, für die sie verantwortlich war, ab. Jason suchte ihren Blick. "Ach ja?" "Ja", nickte sie überzeugt und nahm das Kissen immer noch nicht wieder herunter. Lange stierten sie sich an und von draußen drang das Aufheulen eines Motors in den Raum, vibrierte kurz sachte an den Wänden, ehe es sich in der Weite verlor. "Bist du nun gehorsam?", verzogen sich Hollys Mundwinkel zu einem Lächeln. Irgendetwas veränderte sich mit einem Mal in Jasons Blick. Das Braun seiner Augen wurde ebenfalls nun von einem Glanz wie Hollys grau-grüne überdeckt, doch es schien keiner Erheiterung zu entspringen. Eher glichen seine Iriden nun denen eines gefangenen Tieres. Wild und unbarmherzig. Holly schrak zurück und fiel halb vom Bett, als sie Halt auf ihren Füßen suchte. Das Kissen hielt sie sich nun schützend vor die Brust. "Jason?", wisperte sie kläglich. Der junge Sartaren erhob sich und bewirkte damit, dass Holly drei weitere Schritte vor ihm zurückwich. Mit beiden Händen fasste er sich über die Schultern hinweg an den Rücken und krallte seine Finger in den dunklen Stoff. Es sah für sie so aus, als ob er sich selbst in Stücke reißen wolle. Als sie wieder auf ihn zugehen wollte, erhob er seine Stimme in einem ziemlich barschen Ton: "Ich kann selbst auf mich aufpassen." Dann zog er sein Hemd über den Kopf und schmiss es achtlos auf den Boden. Danach ging er unvermittelt dazu über, seine Bettdecke zur Seite zu heben, um an das dreckige Laken zu kommen. Trotz aller Bedenken, die sie auf einmal hegte, griff sie nach der unteren Hälfte des Betttuches und zog es über die Ecken. "Danke, aber das kann ich noch allein." "Ich trage die Schuld, also muss auch ich mich ums Bett kümmern", entgegnete sie bestimmt, aber dennoch respektvoll. Er schmiss sich auf die blanke Matratze und rollte sich auf den Rücken. "So vorteilhaft deine Hartnäckigkeit im Beruf auch sein mag, sie kommt dir nicht immer zugute." "So unbekümmert du einmal warst, Jason, so verbittert bist du jetzt", flüsterte sie hauchzart in die angespannte Luft. Sie wusste nicht, ob er sie verstanden hatte. Jedenfalls ließ seine Haltung, die sich nicht versteift hatte, nicht darauf schließen. Obwohl sie keine rechte Angst vor ihm hatte, schlich sie förmlich zum großen Schrank und öffnete möglichst lautlos seine rechte Tür. "Auf der anderen Seite", drang seine Stimme an ihre Ohren. Sie schrak zusammen, obgleich nichts Böses in seinen Worten lag. Während sie die andere Tür öffnete und erstere simultan schloss, hörte sie ihn seufzen. Als sie einen Blick über die Schulter zu ihm warf, drehte er sich gerade auf den Bauch und vergrub sein Gesicht in dem Kissen, das bis eben noch an der unteren Kante des Bettes gelegen hatte. Sie hatte sich ursprünglich sogleich wieder der frischen Bettwäsche zuwenden wollen, doch nun konnte sie ihre Augen nicht von Jason nehmen. Bemitleidenswert war nicht das rechte Wort, das ihn gut beschrieben hätte. Denn er wirkte eher kühl und in sich gekehrt. "Du darfst dich nicht verschließen." Als sie realisierte, dass sie ihren Gedanken laut ausgesprochen hatte, war es zu spät. Er neigte seinen Kopf nach links und sah sie an. Direkt an. "Und du sollst dich nicht ständig in die Angelegenheiten anderer Leute einmischen.“ Er herrschte sie nicht an, sondern stellte diesen Fakt einfach nur nüchtern fest. „Einer muss dir aber sagen, dass der alte Jason vermisst wird.“ Mit leeren Händen schritt sie auf ihn zu und ließ sich abermals auf dem Bett neben Jason nieder. „Damit der Spott von neuem losgehen kann? Damit die Stadt wieder mich als Sündenbock hat und weiter in der Familiengeschichte, die ja sooo verpönt und dennoch sooo tragisch ist, herumstochern kann? Nein, danke. Darauf habe ich wirklich keine Lust.“ Erneut verbarg er sein Gesicht im Kissen. Innerlich war er vollkommen entspannt, auch wenn er vorher noch dachte, vor Wut zerplatzen zu müssen. Seitdem er als Aspir seine Unternehmungen gegen Tyrone von Zundersby fortführte, fand er viel schneller seine Beherrschung wieder. Er war um einiges bedachter und verantwortungsvoller. Holly mochte denken, er habe nicht genug gegessen und sei deswegen ohnmächtig geworden. Und er dachte nicht daran, sie zu berichtigen. Vielleicht hatte er nicht übermäßig viel in den letzten Tagen zu sich genommen, aber er hatte keineswegs gehungert. Nicht genug, um seinen Schwächeanfall, wie Holly ihn bisweilen betitelte, zu rechtfertigen. Was es dann war?... Selbst wenn er es wissen würde, schwiege er sich darüber lieber aus. „Es verlangt keiner, dass du dich erneut in der Politik versuchst. Jason, bitte verstehe mich nicht immer wieder falsch. Ich möchte doch nur, dass du glücklich bist“, fuhr sich Holly fahrig durch ihr Haar, das in braunen Strähnen über ihre Schultern fiel. Jason lachte auf und seine Laute wurden weitestgehend vom Kissen unter ihm erstickt. „Was ist daran so lustig? Ich mache mir Sorgen, verdammt!“ Sie legte eine Hand auf seine linke Schulter und strich verzagt viele Male über sie, während sein Körper unter ihren Finger unablässig zu vibrieren schien. „Weshalb lachst du jetzt?“, wollte sie mit Nachdruck wissen. Entmutigt sah sie auf Jason hinab und biss sich dabei auf die Unterlippe. Die Ratlosigkeit, was sie noch tun könnte, um ihrem Freund zu helfen, stand ihr regelrecht ins Gesicht geschrieben. Abrupt richtete sich Jason auf und sah ihr belustigt in die Augen. „Der alte Jason“, betonte er absichtlich verächtlich, „wird in der Stadt nicht gern gesehen. Daher habe ich keinen Grund, wieder zu ihm zurückzufinden. Also, weshalb verlangst du das ständig von mir?“ „Weil…“, stockte sie und erhob sich vom Bett. „Weil ich dich in letzter Zeit manchmal kaum wieder erkenne.“ „Was ist an mir denn so anders? Nur weil ich die Medien ein wenig mehr an mir abprallen lasse? Weil ich es aufgegeben habe, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, was ich alles hätte anders machen können? Habe ich mich dadurch wirklich so verändert?“, zuckte er mit den Schultern. „Das ist es nicht!“, rief sie aus und schüttelte energisch den Kopf. „Ich habe dir vor kurzem schon einmal gesagt, was dir abhanden gekommen ist. Finde sie wieder, verdammt noch mal!“ Damit drehte sie sich um und rannte aus dem Zimmer. Jason hörte das Schluchzen, das von ihr ausging, doch das amüsierte Lächeln, das noch immer auf seinen Lippen lag, schwand nicht. Nach einer kleinen Ewigkeit erhob er sich und lief zum Schrank, um sich endlich ein frisches Laken zu holen. Als er das Bett wieder hergerichtet hatte, ging er in die Küche, um sich einen neuen Tee zu machen. Sein Blick streifte den Garderobenhaken im Flur, während er die Tür zum Wohnraum hinter sich schloss. Holly war gegangen. Und das war ihr sicherlich nicht leicht gefallen. Mit relativ ausdrucksloser Miene setzte er Wasser auf und blätterte solange in der Zeitung, bis das Sprudeln der klaren Flüssigkeit laut genug war, um ihm zu verkünden, dass er den Topf wieder vom Herd nehmen konnte. Mit purer Gemütlichkeit füllte er das dampfende Wasser in eine Tasse ab und nahm sie dann in die Hand. Er drehte sich um und lehnte sich an die Arbeitsplatte. Und… schloss die Lider. Er hatte Holly nie wehtun wollen. Gewiss nicht ihr, nach dem, was sie alles für ihn getan hatte. Durch sie war er in seiner Wahl überhaupt so weit gekommen. Sie hatte ihm Möglichkeiten gegeben, an die er niemals von allein gekommen wäre. Sie gab ihm das Gefühl, nicht gänzlich verloren zu sein. „Und doch kann ich das nicht für dich werden…“, hauchte er in seine Tasse hinein. Tyrone war sein Ziel, das er nicht leichthin aufgeben wollte. Er hatte an diesem Tag bereits genug Schwäche gezeigt, wenn nicht gar schon zu viel. Es gab wesentlichere Dinge. Er setzte sich auf einen der Küchenstühle, direkt vor seinen Laptop, der immer noch aufgebaut und laufend auf dem Tisch stand. Nachdem er den Bildschirmschoner weggeklickt hatte, nickte er bedächtig. Holly war tatsächlich so neugierig gewesen und hat nachgesehen, was er gemacht hatte, bevor sie gekommen war. An Aspirs Angelegenheiten hätte sie dennoch nicht herankommen können, selbst wenn sie sogar sämtliche Ordner durchwühlt hätte, die unter dem Benutzernamen zu finden waren. Dafür hatte Jason einen ganz eigenen eingerichtet und verwendete ihn nicht für solche Lappalien wie im Forum der Stadt herumzusurfen. Das Stöbern diente zwar auch seinem Vorhaben, aber dafür war er nicht so nachlässig, irgendwelche Schlüsse auf Aspir zuzulassen. Schließlich war es keine Seltenheit, dass Holly bei ihm ein- und ausging und er musste auf alle möglichen Eventualitäten vorbereitet sein. Zum einen neugierig, zum anderen doch eher desinteressiert las er die neuen Einträge in ‚seinem’ Thread. Und es schaffte wirklich nur einer, seine Aufmerksamkeit mehr als nur eine Sekunde zu wecken: Sweet Memories 11.November 00:07 Ich kann euch gar nicht sagen, wie dankbar ich dem Eröffner dieses Threads bin. Aber bevor ich nun auf die Knie falle und dem unbekannten Schönling – so stelle ich mir A. Hero einfach mal vor ;-) – die Füße küsse, möchte ich mich an ein paar Personen wenden, die hier bereits ihre Meinung kundgegeben haben: Es läuft vieles in Asht-Zero schief und ich freue mich, dass ihr das erkannt habt. Die Steuern sind in der Tat zu hoch angesetzt und selbst der Kindergarten und die Bücherei greifen den Bürgern zu tief in die Tasche. Auf genaue Beträge darf ich aus bestimmten (beruflichen) Gründen nicht eingehen, aber das erledigt ihr sicherlich auf nette Art und Weise für mich. Und doch sind nach meinem Geschmack noch viel zu wenige User in diesem Forum beteiligt. Asht-Zero ist eure Stadt! Tretet allen in den Hintern und führt sie notfalls in Ketten gelegt an den Monitor, damit sie die Augen öffnen und sich an ihrem eigenen Wohl beteiligen. Nehmt euch ein Beispiel an Jason Sartaren. Ich höre schon die Beschwerden und ich weiß durchaus, welcher Hintergrund seine Person prägt. Doch könnt IHR euch auf Gedeih und Verderb mit eurem Vater identifizieren? Wollt IHR mit eurem Vater aufs Haar genau verglichen werden? Schieben wir Jason Sartarens Herkunft doch einmal beiseite. Übrig bleibt ein junger Mann, der ehrenvolle Ziele hatte. Er outete sogar Tyrone von Zundersby, unseren geschätzten Schlossherren, als Waffenhändler. Und wer hat es geglaubt? Keiner! Zumindest haben die Medien Sartarens Behauptung sofort als unerhörte Anschuldigung hingestellt. Wissen wir denn überhaupt, ob er sich diese Geschichte wirklich nur aus den Fingern gezogen hat? Oder ist ein Körnchen Wahrheit in Sartarens Worten gewesen? Weshalb lassen wir uns eigentlich derart von Stories in Zeitungen und im Fernsehen beeinflussen? Sind wir nicht mehr fähig, uns unsere eigene Meinung zu bilden? Ich möchte hier keinem zu nahe treten – und ich schätze all diejenigen, die hier bereits die vorherrschenden Verhältnisse beanstandet haben -, aber lasst bitte auf eure Worten auch Taten folgen. Es sind nicht alle dazu befugt, aus welchen Gründen auch immer und das verstehe ich nur allzu gut, aber ein wenig Einsatz kann jeder vollbringen. Schon jede Nuance Auflehnung ändert das System. Und zuguterletzt falle ich tatsächlich auf die Knie und verneige mich vor demjenigen, der die Initiative ergriffen und diesen Thread ins Leben gerufen hat. Sweet Zufrieden lehnte sich Jason in seinem Stuhl zurück. Er hätte nicht geglaubt, dass dieser eine Name durch jemand anderes als ihn selbst fallen würde. Doch die Bürger haben sich wohl von seiner Aktivität anstecken lassen. Die Entwicklung im Forum bestätigte ihn ungemein. Mit ruhigem Gewissen schaltete er seinen Laptop aus und ging zurück ins Schlafzimmer, wo er die Augen schloss und traumlos den Rest der Nacht verbrachte. „Die Wahrheit kann nicht dauerhaft ignoriert werden.“ Recht kühle Wassertropfen rannen vereinzelt Jasons Oberkörper hinab, während sich der junge Mann im Spiegel betrachtete. Der Tag war bis dato sehr erfolgreich verlaufen. Sowohl in der Arbeit als auch – was für ihn von enormerer Bedeutung war – in Aspirs Angelegenheiten. Er hatte einen neuen Mittelsmann in Aussicht, der beim lokalen Nachrichtensender arbeitete. Naid Greensthrow war ein anerkannter Moderator, der eigentlich fast immer die Interviews mit den wichtigen Persönlichkeiten der Stadt führte. Ob dies glorreiche Leistungssportler waren, amtierende Bürgermeisterkandidaten – so weit hatte es Jason nicht geschafft – oder irgendwelche Eventmanager. Immer war Greensthrow der gefragte Mann, wenn es um das Ansehen der Stadt ging. Innerhalb von Asht-Zero musste schließlich der Schein von Glanz und Ordnung gewahrt werden. Mit einem pastellgrünen Handtuch rieb sich Jason über den Kopf und legte es dann beiseite, um sich mit den Fingern durch die Haare zu streichen und sie auf diese Weise ein wenig zu richten. Anschließend schlüpfte er in eine alte Jeans und öffnete das Badezimmerfenster. Nach einem tiefen Atemzug und einem flüchtigen Blick in den dunklen Abendhimmel ging er in die Küche, nahm sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und setzte sich damit auf das Sofa. Er hatte nicht einmal die Zeit, nach dem Stapel Blätter zu greifen, der neben ihm auf der Couch lag, da klingelte ein Telefon. „Ja?“, meldete sich Jason knapp. „Guten Abend, F. hier“, drang eine dunkle Stimme an seine Ohren, die äußerst aufgeregt klang. „Frimmingway“, hauchte Jason lautlos in die Luft. „Ich weiß, wir hatten vereinbart nicht zu telefonieren, aber ich muss Ihnen so schnell es geht etwas mitteilen.“ Als Frimmingway nicht mehr weiter sprach, räusperte sich Jason bewusst laut und provokant. „Ja?“, fragte er betont höflich, nachdem sein Gesprächspartner immer noch nichts wieder sagte. „Ich steige aus.“ „Das können Sie nicht“, erwiderte Jason gelassen. Schließlich hatte er ihn bereits für den nächsten Artikel im Voraus bezahlt. Und er hatte diesen bereits in Stichpunkten aufgesetzt. Frimmingway konnte jetzt nicht einfach aus ihrem Vertrag heraus. Es gab zwar keine schriftliche Form dessen, aber selbst mündlich war er dazu verpflichtet, seinen Auftrag bis zum Ende auszuführen. „Sie erhalten es zurück“, meinte Frimminway verhalten. Jason konnte die Unsicherheit in Killians Worten hören und ein überhebliches Lächeln stahl sich auf seine Lippen. So anerkannt der Kritiker in Asht-Zero auch sein mochte – oder gerade deswegen! -, er konnte ihn sich nicht durch die Lappen gehen lassen. Er wollte alsbald alle Medien in seinem Feldzug gegen Zundersby einbeziehen und dazu brauchte er Frimmingway noch. „Ich kann das nicht mehr tun“, fügte der Schreiber an. „So einfach kann ich Sie aber nicht gehen lassen“, entgegnete der junge Sartaren immer noch vollkommen ruhig. „Und ob Sie das können. Ich bin Ihnen zu nichts mehr verpflichtet. Sehen Sie sich Ihre Auszüge an.“ Frimmingways Stimme war bisweilen immer noch nicht die festeste, aber er schien dennoch den Eindruck zu machen, seine Worte ernst zu meinen und keinen Kompromiss eingehen zu wollen. „Denken Sie wirklich, ich kann Ihnen das durchgehen lassen?“, richtete sich Jason auf und begann damit, durch seine Wohnung zu laufen. Er brauchte eine Möglichkeit, Frimmigway an sich zu binden. „Mein Entschluss steht fest!“, presste Killian zwischen seinen Lippen hervor. Jason konnte die Angst förmlich spüren, die von dem Kritiker ausging. „Sie wissen, dass ich Ihre Identität als R.I. publik machen kann? Sucht die Polizei nicht ohnehin nach einer Spur des vermeintlichen Unruhestifters? Ach nein, so haben sie ihre Ermittlungen ja gar nicht begründet...“ Leise lachte der junge Mann in sich hinein. Es wusste kaum jemand, dass verdeckte Ermittlungen gegen R.I. überhaupt im Gange waren. Kaum einer verstand die wahre Botschaft in den durch Jason initiierten Artikeln. Aber war es nicht trotzdem ein gutes Druckmittel? „Ich stand die ganze Zeit hinter Ihnen und habe Ihre Ziele für ehrenwert gehalten“, wurde Frimmingway lauter. „Aber Sie fallen mir derart in den Rücken?“ Jason sagte nichts. „Und ich habe tatsächlich geglaubt, dass diese Stadt noch zu retten sei“, fuhr Killian enttäuscht fort. „Ich lasse mich nicht erpressen.“ „Und wenn ich Ihnen keine andere Wahl lasse?“ Abrupt blieb Jason stehen und umfasste sein Telefon so fest, dass das Weiß seiner Knöchel zum Vorschein kam. „Es gibt immer eine Alternative“, antwortete Frimmingway knapp. „Die Sie aber leider nicht haben.“ Allmählich begann Jasons Körper zu beben. Keiner hatte sich mit ihm anzulegen, wenn es indirekt um Tyrone von Zundersby ging! „Ich habe mehr gegen Sie in der Hand als Sie gegen mich.“ „Was können Sie gegen mich schon ausrichten?“, spottete Jason und umfasste mit seiner Rechten die eiserne Stange des Deckenfluters unweit seines Sofas. „Fordern Sie mich nicht heraus“, kam es ernst zurück. „Wie war noch gleich die Nummer der Polizei?“, lächelte Kelvin Sartarens Sohn kalt. „An Ihrer Stelle würde ich es nicht wagen.“ „Und das trauen Sie sich wahrhaftig, mir zu sagen? Mut haben Sie schon, das muss ich Ihnen lassen.“ „Ich warne Sie nur ein einziges Mal. Entweder Sie entlassen mich auf friedsame Weise aus unserem Bündnis oder Sie werden es bereuen.“ Jasons Finger hätten sich in die silberne Eisenstange gebohrt, wenn sie es gekonnt hätten. „Sie werden das tun, wofür ich Sie be...“ Er schüttelte wild mit dem Kopf. „Hören Sie mir gut zu-“ „Nein, das werden Sie nun tun, Jason Sartaren!“, unterbrach ihn Frimmingway barsch. „Wenn die Uhr elfmal schlägt, haben wir uns nie gesprochen. Keiner unternimmt je etwas gegen den anderen und...“ Doch der blonde junge Mann nahm die Worte gar nicht mehr wahr. In seinem Kopf herrschten nur noch zwei Worte: Jason Sartaren Frimmingway wusste, wer er war. Wütend stieß er die Lampe um, deren milchiger Schirm sofort auf dem harten Boden zerbrach, und kappte gleichzeitig die Verbindung zu Killian Frimmingway. Schnell hob und senkte sich seine Brust und pures Adrenalin schoss durch seinen Körper. Wie hatte das der Kritiker nur herausfinden können? Kapitel 8: - 8 - ---------------- - 8 - „Die Wahrheit ist das, wovor sich die Menschen oftmals schützen wollen.“ Achtlos ließ Jason den kaputten Deckenfluter hinter sich und setzte sich auf einen der Küchenstühle. Er stützte seinen rechten Ellbogen auf dem Tisch ab und bettete seine Stirn in seine flache Hand. Killian Frimmingway wusste also, dass er – sein Auftraggeber – Jason Sartaren war. Das war wirklich bitter, denn das bedeutete einen Fehler seinerseits. Und Unbedacht war das, was ihn als Aspir nicht prägen durfte. Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich mit jedem Moment, der verstrich, während sich schwere Gewitterwolken draußen am Himmel zunehmend verdichteten. In der Finsternis der Nacht konnte man mit bloßem Auge allerdings kaum erkennen, was sich dort oben gerade abspielte. Ein Schnauben erfüllte den Raum. Die Frage nach dem woher – woher wusste Frimmingway, wer er war? - würde Jason letztendlich auch nicht weiterbringen. Ihm vielmehr den Verstand rauben, den er nun nötiger als je zuvor hatte. Er hob die Lider und sah nur verschwommen seinen Laptop, der immer noch unentwegt auf seinem angestammten Platz verweilte. Jasons Fokus lag zunächst auf seinem Unterarm, auf dem Nachtblau seines Hemdes, das seine Pulsader freigab. Ein eiskaltes Lächeln stahl sich auf seine Lippen, während er sich vorstellte, wie das Blut stetig durch seine Adern rauschte. Gleichzeitig hallten gespenstische Klänge an den Wänden wider. Es war nichtig, woher der anerkannte Kritiker die Information hatte. Frimmingway würde gegen den jungen Sartaren nichts unternehmen. Das war sein eigener Vorschlag gewesen. Solange Jason nichts in die Wege leitete, um ihn des Schreibens der angriffslustigen Artikel zu bezichtigen, würde jener auf der sicheren Seite sein. Bis dato hatte Frimmingway Jason gute Dienste geleistet. Daher war der Verlust vielleicht nicht leicht hinzunehmen, aber hatte Jason nicht ohnehin nun Naid Greensthrow im Auge? Das Fernsehen erreichte nicht unbedingt mehr Aufmerksamkeit und Erfolg, aber Naids Zuschauerzahlen waren nicht zu verachten. Und das Nichtwiederauftauchen von R.I. war möglicherweise auch nicht so verkehrt. Schließlich würde das die Spuren nicht verdichten, die er anscheinend wider aller Vorsicht hinterlassen hatte. Er war unvorsichtig gewesen... Nachdenklich schüttelte er den Kopf. Er wüsste nicht, wo. Wo er sich den Fehler erlaubt haben sollte. „Mhh...“, stöhnte er und nahm dann seinen Arm vom Tisch. Mit seiner Rechten drehte er seinen Laptop zu sich und positionierte sie danach auf der schwarzen Maus, die nur wenige Zentimeter entfernt gelegen hatte. Sachte fuhr er mit dem Zeigefinger der anderen Hand über jede einzelne Taste und starrte kurz blicklos auf den Bildschirmschoner. Ehe er sich jedoch in den ständig wechselnden Bildern verlieren konnte, kniff er seine Lider einen Augenblick lang zusammen und betätigte simultan die linke Maustaste. Als er seine Augen wieder öffnete, sah er auf die Homepage der Stadt, deren Forum beträchtlich viele Einträge aufwies. Der durch ihn ins Leben gerufene Thread könnte glatt in der Masse untergehen und doch haben sich schon mehr Menschen an ihm beteiligt als er gedacht hätte. Es erfüllte ihn mit tiefster Zufriedenheit, wenn er an den letzten Eintrag, den er gelesen hatte, dachte. Wer brauchte schon Killian Frimmingway? Es gab noch andere Wege und Mittel, Unmut gegen Tyrone von Zundersby und die korrupte Politik der Stadt zu schüren. Nicht zuletzt der direkte Weg, mit den Bürgern zu kommunizieren. Und das Internet war das Kommunikationssystem Nummer 1 heutzutage. Vor allem, wenn man jüngere Menschen erreichen wollte. Ein paar Klicks später scrollte Jason in seinem Thread zu dem Eintrag von Sweet Memories. Seitdem sie ihn verfasst hatte, war bald ein Tag vergangen und einige weitere Einträge waren hinzugekommen. Und genau diesen wollte Jason nun seine Aufmerksamkeit zollen. Hungry 11.November 03:20 Hey Leute, ich verfolge den Thread schon eine ganze Weile und habe mich endlich dazu durchgerungen, auch ein paar Zeilen lang meinen Senf dazu zu geben. Ich muss schon sagen, dass es wirklich reiner Idiotie gleicht, ein solches Thema gerade auf der HP der Stadt zu diskutieren. Insbesondere wenn ganz gewisse Namen fallen. Habt ihr denn nicht gesehen, was passiert, wenn man wider der Vorstellungen unseres ehrenwerten Stadtrates handelt? An eurer Stelle würde ich ein wenig vorsichtiger sein. Also mir ist mein Leben lieb. Und auch mein Ruf. Anscheinend ist es euch egal, was passiert, wenn der Falsche hier zufällig vorbeischaut. Naja, nicht mein Problem. Und nun hole ich mir endlich was zu essen... Nachdenklich fuhr sich Jason mit der Zunge über die Lippen. Gerade der Reiz des Wagnisses hatte ihn den Thread eröffnen lassen. Asht-Zero sollte sehen, dass nicht alle Bürger hinter den Urteilen von ein paar wenigen Menschen standen. Dass nicht der Stadtrat allein für die unterschiedlichsten Individuen Entscheidungen fällen konnte, ohne dabei ihre Wünsche und Vorstellungen auch nur einmal in Betracht zu ziehen. Geld mochte die Welt regieren, aber noch lange nicht jede einzelne Seele. Mit einem leicht fiebrigen Glanz in den dunklen Augen las Jason weiter: Beast 11.November 06:01 „Ich bin euer aller Untergang! Gehorchet mir oder ihr werdet es bitter bereuen! Auch nur eine Tat gegen mich und ihr seid verwünschet!“ So kommt mir die Politik hier vor... Free Opinion Speaker 11.November 08:48 Übertreibt ihr nicht ein wenig? Beast 11.November 08:50 Schere dich zum Teufel, oh Ignorant! Free Opinion Speaker 11.November 08:53 Ich habe nie verlauten lassen, dass alles Gold ist, was glänzt. Beast 11.November 08:59 Kritik vor allem anderen ist nicht immer ratsam, oh Angeklagter! Free Opinion Speaker 11.November 09:04 Und du willst richten? Tut mir leid, aber da verzieht sich mein Mund schon zu einem höhnischen Lächeln. Beast 11.November 09:12 Jeder ist ein Richter! Nun spreche dich aus! Free Opinion Speaker 11.November 09:33 Ungerechtigkeit wird es immer geben und vielleicht mag sie hier und da ausgeprägter und damit erschütternder sein. Jede Stadt wird durch eine Reihe von Menschen repräsentiert, die von den Bürgern selbst gewählt wird. Sich der Stimme enthalten ist kein Weg, um die Situation, in der wir uns alle bis auf wenige Ausnahmen befinden, zu ändern. Die Liste allerdings bedarf einiger Überarbeitung. Es muss dort angesetzt werden, wo der Fluss das Leben erhält. Die Quelle, der Ursprung. Der Beginn unserer Unzufriedenheit. Dort, worauf man an sich keinen Einfluss hat... Beast 11.November 9:45 Du deutest an, wir schwingen hier nur große Reden und haben im Grunde keine Ahnung, was nötig ist, um zu siegen? Free Opinion Speaker 11.November 09:51 Darum wiederhole ich mich an dieser Stelle: Ihr neigt zur Übertreibung! Der Disput zwischen den beiden erstreckte sich noch fast über eine Seite. Und ein Ende war noch nicht wirklich in Sicht. Dafür hatte Jason aber nicht die Nerven, obgleich ihn der Dialog schon etwas amüsierte. Zumindest zeigten sie Interesse und trotz des ersten Scheins steckte hinter beiden Argumentationssträngen im späteren Verlauf einiges an Wissen. Gerade als er das Forum schließen wollte, aktualisierte sich die Seite und ein neuer Name tauchte auf. The Judge... Zunächst vermutete er, dass es sich dabei um Beast handelte, doch die Worte, die unter dem Namen standen, ließen ihn aufmerken. Unwissentlich biss er sich auf die Unterlippe. Die Enttarnung! Jason Sartaren versucht euch, auf diesem Weg gegen den neuen Bürgermeister aufzuhetzen. Er kann die Schmach seiner Niederlage nicht ertragen! Jemand wollte sicherlich nur wieder eine Hetzkampagne gegen ihn starten. Und stellte ihn als den Initiator und gleichzeitig als einen Übeltäter hin. Mehr konnte nicht dahinter stecken. Ein Schuss ins Blaue, um die Gemüter wieder gegen ihn aufzulehnen. Mit einem Schulterzucken tat er den Eintrag ab und doch konnte er die Augen nicht vom Display lassen. Solange keiner darauf ansprang, würde die Parallele zu ihm niemals geglaubt werden. Jeder war der Meinung, er habe endgültig von der Politik genug und würde unter Garantie keinen Finger mehr rühren, wenn es auch nur im entferntesten Sinne etwas mit den Obersten der Stadt zu tun hatte. Die Medien hatten ihn schließlich genug durch den Dreck gezogen. Das würde eine Lehre für ihn sein. Es konnte keiner wissen, dass er sich dennoch exakt gegenteilig zur einschlägigen Meinung verhielt! Aspir war als Name nie gefallen und sein wahrer Name ohnehin nie in diesem Zusammenhang. Außer Frimmingway wusste keiner, dass er weiterhin politisch engagiert war. Frimmingway... Das würde der Kritiker nicht wagen! Nicht, nachdem seine eigene Existenz auf dem Spiel stand. Und wenn er... alles so hinbiegen würde, erpresst worden zu sein? Eisenhaltiger Geschmack breitete sich in Jasons Mund aus. Killian Frimmingway war ein ehrenvoller Mann, obgleich er von ihm vorhin noch vor den Kopf gestoßen wurde! Dieser Mann würde ihn nicht an die Stadt verkaufen, wo er doch selbst gegen sie auf seine Art und Weise kämpfte. Wenn er Frimmingway also ausschloss, dann konnte es sich bei dem User nur um jemanden handeln, der persönliche Abneigungen ihm gegenüber hegte. Jeremy? Oder gar Tyrones neuer Geselle selbst? Xander? Das würde vielleicht sogar einen Sinn ergeben. Hatte jener nicht selbst ausgerichtet, dass er nicht unterschätzt würde? Die Beschattungen mochten aufgehört haben. Aber wurde er womöglich auf andere Art und Weise überwacht? Waren seine Sicherheitsvorkehrungen nicht sicher genug gewesen? Mit einer Hand fuhr sich Jason durchs helle Haar und rief sich dabei zur Räson. Er musste nun Ruhe bewahren. Noch ein Fehler war nun das allerletzte, was er sich leisten konnte. „Verflucht!“, stieß er laut aus und stand auf, um sich aus dem Kühlschrank eine Flasche Cola zu holen. Er brauchte irgendetwas, um sich abzulenken. In abgehakten Bewegungen schraubte er die Kapsel von der Plastikflasche und setzte letztere dann an seinem Mund an. Während er sich einen Schluck nach dem anderen auf Ex einverleibte, wanderten seine Augen wieder zum Bildschirm. Als er einen neuen Eintrag erblickte, stellte er die Flasche neben dem Laptop auf den Tisch. Castlerock 11.November 23:50 So ein Schwachsinn!!! Nach DEN Berichterstattungen würde ich an seiner Stelle gewiss nicht so was hier abziehen. Eben! Genau das wollte Jason nach außen hin vermitteln. Zwei weitere Meinungen erschienen und bestätigten ihn in seinen Taten der letzten Monate. Keiner glaubte, was The Judge oder Frimmingway oder Xander oder wer auch immer dahinter stecken mochte behauptet hatte. Ein überhebliches Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Er hatte bereits einen Teil der Stadt auf seiner Seite. Das würde dem Verfasser seiner Enttarnung – die keiner für bare Münze nahm – gewiss nicht gefallen. „Und jetzt?“, fragte er an seinen Laptop gewandt, das im Begriff war, das Forum erneut zu aktualisieren. Doch es kam keine Antwort zurück. Er begann zu lachen. „Keiner wird dir glauben!“, schallte beängstigend aus seinem Mund. Donnergrollen mischte sich unter die Laute, die sich in der Leere des Raumes alsbald verloren. Eine neue Nachricht blinkte auf: Admin 12.November 00:08 Der Thread weist allmählich zu viel feindliche Gesinnung auf. Entweder das ändert sich oder er wird unter Vorbehalt gesperrt werden. Jasons Augen verengten sich. Seit wann interessierte das jemanden auf der Homepage!? Als die Menschen gegen ihn propagiert haben, war das noch völlig in Ordnung gewesen. Und es gab nicht gerade wenige Einträge, die ihn in ein überaus schlechtes Licht rückten. Manche beleidigten ihn sogar bis auf das äußerste Maß! Interessierte man sich plötzlich dafür, weil sein Name nun ein zweites Mal gefallen war? „Das könnt ihr nicht machen!“, knurrte er. Ein weiterer Verlust war nicht tragbar. Er legte seine Hände auf der Tastatur auf und... Er wusste nicht, wie er darauf reagieren konnte. Alles, was ihm einfiel, würde ihn outen. „So ein verdammter M-“ Das Wort blieb ihm im Hals stecken, als unerwartet etwas in seiner Hose zu vibrieren begann. Es war das Handy, das nur für Aspirs Zwecke zum Einsatz kam. Zu dieser Zeit? Verwundert holte er das Hightechgerät aus seiner Tasche und begutachtete das Display. Unbekannter Anrufer. „Ja?“, fragte er barsch in den Lautsprecher, nachdem er etwas zögerlich abgehoben hatte. „Wie gefällt dir unser Admin?“, kam es höhnisch zurück. Tyrone höchstpersönlich? Jason schluckte. Dann richtete er seinen Blick wieder auf den Bildschirm seines Laptops, der einen neuen Eintrag im Forum parat hielt: Beast 12.November 00:13 Jason Sartaren, mein Held! Selbst wenn Sie sich nicht hinter diesem Thread verbergen sollten, so verneige ich mich mit größtem Respekt vor Ihnen. Die Politik in Asht-Zero ist so korrupt wie die ganze, verdammte Welt! In Ergebenheit, Beast Dann blinkte auf: Free Opinion Speaker 12.November 00:15 Beast, das war das dümmste, was du machen konntest... „Ist das nicht Grund genug, um die Sperre endgültig zu verhängen?“, schallte es belustigt aus dem Lautsprecher. Jasons Finger umfassten starr das Telefon in seiner Hand. Laut und unregelmäßig entfloh der Atem seinem Mund. Ein roter Balken durchzog den Bildschirm, der eben noch viele schwarze Lettern aufgezeigt hatte. „Oh, das hat dir die Sprache verschlagen“, spottete Tyrone weiter. „Unser kleiner Möchtegernheld ist wieder einmal gescheitert. Wie fühlt sich die Schmach an, die dich erneut durchtränkt?“ „...“ Das höhnische Summen einer Melodie drang aus der Leitung an seine Ohren. „Wer zuletzt lacht...“, presste Jason kalt hervor. In seinen Augen zeichnete sich die reinste Abscheu ab. „Nichts wird dir nützen“, erwiderte Zundersby gelassen. „Das werden wir noch sehen!“ Damit legte Jason auf. Tyrone von Zundersby... ! Wie konnte sich dieser Kerl nur erdreisten, ihn erneut derart bloßzustellen? Wie war er nur an diese Nummer gekommen? Der Kerl hatte wahrlich überall seine Fäden gesponnen. Gierige, unsichtbare Dinger, die sich um alles und jeden spannen. Das war widerlich! Ließ sich denn wirklich jeder mit ein paar Geldscheinen aus der Reserve locken? Tief einatmend ließ sich Jason auf das Sofa fallen. So beherrscht er durch Aspir auch handeln konnte, DAS hatte ihn nun wahrlich kalt erwischt. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Damit hatte er nicht gerechnet. „Tyrone von Zundersby“, fauchte er und ballte seine Hände zu Fäusten. Nun würde ihm nur noch fehlen, dass Greensthrow auch noch den Schwanz einzog. Wenn Zundersby Frimmingway dazu bringen konnte – und Jason war sich nun sicher, dass er ihn auf irgendeine Weise aufgesucht hatte! -, dann war auch Naid Greensthrow vor ihm nicht gefeit. Sehr zu seinem Leidwesen vermutete der junge Sartaren, dass Tyrone auch von diesem Mann wusste. Denn wenn er die Nummer länger als einen Tag besitzen sollte, dann ließ er ihn unter Garantie auch abhören. Der Kerl war doch zu allen Gesetzesbrüchen fähig! Fahrig fuhr sich Jason durchs Haar. Wie konnte nur ein Mann derart mächtig werden, ohne dass andere etwas dagegen unternahmen? Selbst die FA war bisweilen gescheitert. Selbst sein Vater hatte es nicht vollbracht, Tyrone das Handwerk zu legen. Das konnte alles nicht wahr sein. Einfach ein böser Traum, aus dem man wieder erwachen konnte. Mit einem gefährlichen Glanz in den Augen stand Jason wieder auf und nahm ein Bild seines Vaters in die Hand. Kelvin war durch Zundersbys Hand gestorben... Seine Miene verzog sich nach einer Weile des stummen Verweilens zu einer Fratze. Der Drang, Tyrone zu stürzen, war mächtiger denn je. Vorsichtig stellte er das Porträt zurück an seinen Platz und lief dann rastlos durch die Wohnung. Was würde er nun tun? Die Antwort sollte ihm sogleich wie von selbst gegeben werden, als sein Telefon abermals an diesem Abend klingelte. „Bitte?“, ging er unfreundlich ran. „Hier ist Greensthrow.“ Jason hatte es geahnt und doch traf es ihn mitten ins Herz. „Womit kann ich dienen?“ Freundlicher war er immer noch nicht. „Ich wollte Ihnen nur sagen, dass-“ „... Sie aussteigen“, beendete er den Satz für den Moderator und stöhnte entnervt auf. „Woher wissen Sie...?“ Naid Greensthrow beendete seine Frage nicht, weshalb Jason nochmalig aufstöhnte. „Weil Sie ein verdammter Feigling sind!“, stieß er wütend hervor. Es klickte. Naid hatte die Leitung gekappt. Und Jason dankte ihm mit einem Tritt auf die Küchentür. Tyrone von Zundersby hatte ganze Arbeit geleistet. Für was hatte er sich monatelang abgeschuftet? Nur um sich nun noch mehr wie ein Spielball des Schlossherren zu fühlen? Dann tat Jason etwas, das er seit einer Ewigkeit nicht mehr gemacht hatte. Er ging raus in die Kälte und rannte sich die Seele aus dem Leib. Ohne Ziel, ohne Plan. Völlig außer Atem lehnte er sich Minuten später an eine große Eiche und fasste sich an die Seite, die betäubende Schmerzsignale aussandte. Unablässig prasselte der Regen, der schon vor einer Weile eingesetzt und das Gewitter begleitet hatte, auf ihn hernieder. Er war vollkommen durchnässt, weshalb er nicht lange stehen blieb, sondern sich zurück zu seiner Wohnung schleppte. Unter einem Ächzen schloss er die Haustür hinter sich und verlor seine Kleidung auf dem Weg ins Bad. Er schaute nicht in den Spiegel, als er unter die Dusche stieg. Sonst hätte er vielleicht die absolute Leere in seinen rehbraunen Augen gesehen. Heiße Perlen flossen ungeachtet über seinen Körper, sammelten sich auf dem weißen Boden und stürzten alsbald in die Untiefen der Kanalisation. Wie in Trance rieb sich Jason mit duftendem Duschöl ein und nahm eigentlich gar nicht wahr, wie der Raum plötzlich nach frischem Pfirsich roch. Feine Nebelschwaden zogen sich allmählich durch das Bad und beschlugen den Spiegel, dem Jason auch später keine Beachtung schenkte. Mit einem Handtuch um die Hüften ging er in die Wohnküche und ließ sich dort auf dem Sofa nieder. Seit er seine Wohnung betreten hatte, arbeitete es gewaltig in ihm. Er hatte noch nicht verloren, egal ob das Tyrone behauptet hatte oder nicht. Dieser Kerl mochte ihm einflussreiche Leute genommen haben, aber er hatte immerhin noch sich selbst. Er hatte sich in den letzten Monaten eingehend mit Asht-Zero beschäftigt. Welche Leute an welchem Hebel saßen und wo Zundersby überall seine Finger im Spiel hatte. Natürlich hatte er nicht jedes Detail herausfinden können, denn dazu hat er die Mittel nicht besessen. Darum hatte Tyrone ihn wohl auch so kalt erwischt. Dass er selbst die Telefonleitungen überwachen konnte, hatte Jason nicht ahnen können. Und doch zeigte das nur auf, wie korrupt die Stadt wirklich war. Das Wissen, das er sich angeeignet hatte, musste er nur auf einem anderen Weg geschickt einsetzen. Und er hatte bereits einen Plan. Einen, der Tyrones Männer und Tyrone selbst von ihm ablenken würde. Er mochte sich vielleicht der Menschen aus der Öffentlichkeit nicht bedienen können, aber was war mit solchen, die nicht im Rampenlicht standen? An denen Zundersby ohnehin ein gewisses Interesse hatte? Kapitel 9: - 9 - ---------------- - 9 - „Du kannst dich nicht verstecken! Die Wahrheit kommt immer ans Licht! Früher oder später wirst du dich ihr stellen müssen!“ Fast eine Woche hat sich Jason Zeit gelassen, um über sein weiteres Vorgehen nachzudenken. Tyrone von Zundersby hatte sich, seitdem er ihm jedwede Kommunikation mit der Außenwelt zu Aspirs Zwecken genommen hatte, nicht mehr gemeldet. Und obgleich das Jason mehr als nur recht war, so war er dennoch noch vorsichtiger geworden, was seine politische Aktivitäten anbelangte. Er verzichtete auf den gesamten Email-Verkehr und auch auf sein Telefon. Auch Holly hat nichts mehr von sich hören lassen. Ebensowenig hat er sich bei ihr blicken lassen. Er verdrängte jeden Gedanken an den Schmerz in ihrem Gesicht. An die Furcht, die sie letztens eindeutig verspürt hatte. Die er in ihr ausgelöst hatte! Eigentlich schottete er sich noch mehr ab als vorher. Und doch war er immer zufriedener mit sich. Sein nächster Schritt war bald vollends ausgereift und wartete nur noch darauf, in die Tat umgesetzt zu werden. Die FA würde noch die Zeit erhalten, sich zu wünschen, sich nicht mit ihm angelegt zu haben. Jedes einzelne Mitglied, das keine großen Stücke auf ihn gehalten hatte. Das ihn herabwürdigend angesehen und behandelt hatte. Und Lance,... der für den Tod von Kelvin Sartaren mitverantwortlich war. Die Macht, die die FA gewiss innehatte – daran zweifelte nicht einmal er –, war das ideale Mittel für den Gegenschlag. Tyrone hat sich zu oft in sein Leben eingemischt. Und in das anderer Leute. Die Stadt war nicht Zundersbys Territorium, selbst wenn dieser davon fest überzeugt war. Jason wollte seinen Einfluss brechen. Ihn fallen sehen. In die Erbarmungslosigkeit der Tiefe! Mit strenger Miene sah Jason in den Spiegel und strich sich das Haar zurück. Seine rehbraunen Augen funkelten nur matt und selbst der wenige Glanz, der in ihnen zu finden war, entsprang mehr dem Gefühl der Selbstherrlichkeit als dem der Leidenschaft. Den Kopf hin- und herdrehend beäugte er sich selbstkritisch, nickte aber nach geraumer Zeit. Er war so weit. Bedächtig überprüfte er ein weiteres Mal an diesem Abend den Inhalt einer schwarzen Ledertasche, ehe er sie sich über die Schulter warf. Anschließend schlüpfte er in ein paar dunkler Halbschuhe und perfektionierte sein tadelloses Erscheinungsbild. Leise öffnete er die Haustür und machte sich im Schutz der Dunkelheit auf den Weg. Egal, wie oft er einen Fuß vor den anderen setzte, fühlte er sich so stark wie noch nie zuvor, obgleich er genau wusste, unentwegt beobachtet zu werden. Tyrone von Zundersby hat abermals seine Leute auf ihn gehetzt und die Beschattung seit seinem Anruf verstärkt. Der Schlossherr mochte Jason für einen Nichtsnutz halten, der seinem Vater nicht das Wasser reichen konnte, und doch ließ er nichts anbrennen. Zumindest ließ er ihn keine Sekunde aus den Augen, auch wenn das nur in Form irgendwelcher Männer war, denen er anscheinend genug Geld geboten hat, dass sie ihm als willenlose Diener fungierten. Auf Jasons Lippen legte sich ein starres Lächeln. Wie konnte man diesem Menschen nur folgen? Wie konnte man nur sein letztes bisschen Verstand opfern, um Befehle dieses Kerls auszuführen? Vermutlich waren sie so blind vor Gier, dass sie nicht einmal sahen, wie er ihnen selbst Schaden zufügte. Gleichgültig schüttelte der junge Sartaren den Kopf. Sollten diese Männer doch in ihr Unglück laufen. Er hatte die Stadt vor Tyrone gewarnt und kaum einer hat ihn ernst genommen. Bisweilen verfolgte er ein anderes Ziel als Asht-Zero in eine bessere Zukunft zu führen. Die Bürger hatten ihm - bis auf wenige Ausnahmen - nicht helfen wollen. Dann sollten sie sich am Ende aber auch nicht beschweren, wenn sie immer unzufriedener und ärmer wurden. Jason hatte nur noch ein Ziel vor Augen: Tyrone alles zu nehmen, was ihm lieb und teuer war! Und das war die Macht, die er innehatte. Der weit reichende Einfluss, den er stets vollends auszuschöpfen versuchte. Jason musste dort angreifen, wo er am verwundbarsten war. Als sich die kühle Luft wie ein Schraubstock um seinen Körper wand, begann ein hohes Gebäude vor ihm aufzuragen. Von der ersten Etage an wirkte es fast wie ein Koloss, den nichts und niemand zum Einsturz bringen konnte. Und doch verlieh es den Eindruck von reiner Anmut. So zwiespältig das Gebäude auch wirken mochte, es diente einzig dem Zweck, den Anschein zu geben, der FA keinen Unterschlupf zu gewähren. Es war viel zu auffallend, als dass man dort Mitglieder einer wichtigen, unentdeckt bleiben wollenden Organisation vermuten würde. Und doch war es rein aus diesem Grund errichtet worden: Es war in der Tat der Aufenthaltsort von Fathers Addendum. Erneut verzog sich Jasons Mundwinkel zu einem Schmunzeln. Die Information hierzu hatte er durch ein Mitglied der FA selbst. Dass er zwar nicht durch rechte Mittel an sie gekommen war, überging er geflissentlich in seinen Gedankengängen. Lance hätte ihn ja nicht allein aus ihrer gemeinsamen Wohnung ausziehen lassen müssen. Selbst schuld, wenn er nicht anwesend gewesen war. Verbot hin oder her… Sicheren, aber langsamen Schrittes näherte er sich stetig dem beeindruckenden Bauwerk. Dass Tyrones Männer ihm dicht auf den Fersen waren, tat er gedanklich mit einem Schulterzucken ab. Zum einen würden sie die FA ebenso wenig hier vermuten wie der Rest der Stadt, zum anderen wollte Jason die Aufmerksamkeit ohnehin von sich ablenken. Solange Zundersby ihm nicht sofort hierher folgte, konnte sein Plan mühelos aufgehen. Daher hielt er sich auch nicht lange vor der gläsernen Tür auf, die in das Innere des Gebäudes führte. Selbstbewusst löste er den Sensor aus und trat in die große Eingangshalle, die man schon von außen zum größten Teil begutachten konnte. Doch ihn interessierten weder die marmornen Fliesen, die den Boden schmückten, noch der lupenreine Glanz, der überall vorzuherrschen schien, als ob sich niemals ein Staubkorn in das Gebäude verirren würde. Geradewegs lief er auf den Informationsschalter zu, der von zwei Frauen in schwarzem Kostüm, in dessen linker Brusttasche eine rote Blume steckte, besetzt war, die ihn freundlich anlächelten. „Guten Abend“, erhob die sichtlich jüngere von beiden die Stimme. Jason nickte nur, aber umgarnte die blonde junge Dame mit seinen Blicken. Doch sie ließ keine Regung außer der übertriebenen Freundlichkeit in ihrem Gesicht erkennen. Nicht einmal ein sanfter Rotschimmer überzog ihre Wangen. Irgendwie wunderte das Jason überhaupt nicht. Schließlich gehörten mit Sicherheit alle Mitarbeiter des Unternehmens, hinter dessen verschlossenen Türen jedoch die FA tagte, zu Fathers Addendum. Als er von dem Firmensitz erfahren hatte, war der junge Sartaren äußerst misstrauisch gewesen. Doch bis dahin hatte er hinter der Versicherung auch keine Organisation vermutet, die mit seinem Vater gemeinsame Sache gemacht hatte. Also warum sollte dann jemand anders hinter das Versteck der FA kommen? Es war klar, dass sich die Anhänger seines Vaters irgendwo treffen mussten, doch selbst er hätte einen wenig bewohnten, unauffälligen Stadtteil vermutet. Da es aber letztendlich nicht von Belang war, wo er die FA finden würde, nickte er ein weiteres Mal der jungen Dame zu, ehe er an ihr vorbeiging gen Aufzug. Die beiden Frauen wussten gewiss, wer er war, weshalb sie ihn ohne weitere Höflichkeitsfloskeln ziehen ließen. Er war kein gewöhnlicher Kunde und seine Anwesenheit schien dennoch bisher keinen besonderen Eindruck zu hinterlassen. Trotz allem lag eine Spannung in der Luft, die die Moleküle zum Vibrieren zu bringen schien. Als die Fahrstuhltür aufging, rannte ein groß gewachsener Mann mit einem Telefon am Ohr Jason beinahe um. Kaum dass er an ihm vorbei war, drehte er sich zu dem jungen Sartaren um. Neugierig musterte er ihn, hielt sich aber nicht lange damit auf und führte sein Telefonat fort, das er für einen Moment unterbrochen hatte. Obgleich Jason die Blicke auf sich spürte, betrat er gleichgültig den Lift und drückte zielsicher auf die weiße 9 auf einem kreisrunden Untergrund. Kaum dass er den Finger wieder zurückgezogen hatte, schlossen sich schon die Türen und der Fahrstuhl setzte sich mit einem kaum hörbaren Summen in Bewegung. Während er sanft nach oben glitt, streifte Jason seinen Mantel glatt, ebenso sein Jackett, das er unter ihm trug. Er hätte nervös sein müssen. Er hätte eine unbändige Unruhe in sich verspüren müssen. Und doch war so beherrscht wie noch nie zuvor. Jedes noch so kleine Detail hatte er hundertmal durchdacht und nichts in seinem Vorhaben hat ihm auch nur einmal größere Sorgen bereitet. Er wusste genau, wie er zu handeln hatte, um den Erfolg zu erzielen, den er sich erhoffte. Seine Augen wurden von Minute zu Minute gefühlskälter, was sich in seiner gesamten Haltung widerspiegelte. Er war nicht hierhergekommen, um sich mit zwei Wimpernschlägen abfertigen zu lassen. Nein, heute würde er triumphieren. Nur er. Und sonst keiner. Der Fahrstuhl hielt an und er atmete ein letztes Mal tief ein. Mit einem überheblichen Lächeln auf den Lippen trat er direkt in einen großen Konferenzraum und unwillkürlich ruhten mehr als ein Dutzend Augenpaare auf ihm. „Guten Abend, die Herren“, ließ er mit einer angedeuteten Verneigung verlauten und trat ein paar Schritte auf die Männer zu, die ihn erwartet hatten. Das ließen nicht nur ihre Mienen erkennen. Einer von ihnen deutete auf einen leeren Stuhl. Jason kam der stummen Aufforderung nach und ließ sich zwischen zwei älteren Männern nieder. Dass immer noch alle Augen auf ihn gerichtet waren, ließ ihn unbeeindruckt. Vielmehr genoss er jede Nuance der Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde. Die FA würde sich noch wundern. Oh ja, das würde sie! Langsam ließ er seine Augen von einem zum anderen wandern. Die meisten der Anwesenden hatte er noch nie gesehen, doch als auf zwei meerblaue Seelen traf, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck merklich. Er schenkte Lance jedoch nicht mehr Beachtung als den anderen Mitgliedern. „Wie ich sehe, ist es für Sie keine Überraschung, dass ich hier erscheine“, fuhr Jason nach einer ganzen Weile des einvernehmlichen Schweigens selbstsicher fort. „Sehr schön, denn so können wir gleich zum Geschäftlichen kommen.“ Mit einem Knall beförderte er die mitgebrachte Tasche auf den dunkelbraunen, ovalen Tisch und nahm das Zusammenzucken des Mannes zu seiner Rechten mit Wohlwollen zur Kenntnis. „Kelvin Sartarens Sohn“, meldete sich jemand zu Wort. Jason sah auf und suchte die Person, die eben gesprochen hatte. Es war ein gut, wenn nicht sehr gut gekleideter Mann mit kurzem dunkelbraunen Haar und matten eisblauen Augen. Jason schätzte ihn auf Anfang vierzig, obgleich er wesentlich jünger gewirkt hätte, wenn sich nicht die ersten tiefen Falten in seinem recht markanten Gesicht abgezeichnet hätten. „Es ist uns eine Ehre, Sie hier willkommen zu heißen.“ „Sparen Sie sich Ihre Lügen“, erwiderte Jason scharf und holte im selben Moment eine dunkelblaue Mappe hervor. „Ihre Ungezügeltheit ließ sie scheitern“, kam es maßregelnd zurück, doch Jason ließ die Worte einfach an sich abprallen. „Ich habe Ihnen etwas mitgebracht“, verkündete er und schnippte die Mappe von sich weg, so dass sie über den Tisch glitt. Punktgenau kam sie vor dem Mann mit den eisblauen Augen zum Erliegen. Nachdem er es gewesen war, der die Stimme erhoben hatte, vermutete Jason, dass er der Verantwortliche hier war. „Diese Informationen dürften Sie interessieren.“ Eine große Hand legte sich auf das Dunkelblau. „Welche Gegenleistung?“ „Wir verstehen uns“, lächelte Jason überheblich. „Du willst mit diesem Nichtsnutz doch nicht etwa wirklich verhandeln?“ Seufzend lehnte sich ein ihm wohl bekannter Mann in seinem Stuhl zurück. Dunkelgraue Augen fokussierten Jason geringschätzig. „Mit dir “, betonte Jason verächtlich, „habe ich nicht geredet.“ Der andere schüttelte nur den Kopf. In seinem Gesicht stand deutlich das Wort Versager geschrieben. Aber Jason war es gleich, für was er ihn hielt. „Wer die Mahnungen meines Vaters als hirnrissig bezeichnet und dann behauptet, mich zeichne nichts aus, der steht nicht auf meiner Verhandlungsliste.“ Als er wieder zu dem Mann sah, dessen Hand noch immer ungerührt auf der Mappe ruhte, streifte er für einen Moment Lance‘ Silhouette. Er zwang sich, seine Blicke nicht länger als nötig auf ihr haften zu lassen. Lance war neben ein paar anderen eben das Übel, das er in Kauf nehmen musste, um sein Ziel zu erreichen. „Du lässt dich wie damals viel zu leicht provozieren“, drang es belustigt an seine Ohren. „Wenn du dich da mal nicht irrst“, wandte Jason seinen Kopf noch mal nach links. Das Lächeln in seinem Gesicht war eiskalt. Den Mitgliedern der FA schien das nicht entgangen zu sein, denn ihre Mienen verloren mit einem Mal an Geringschätzung. „Nun zurück zum Wesentlichen“, fuhr er berechnend fort und sein unmittelbarer Gegenüber nickte zustimmend, während er die Mappe weiterhin unter seinen langen Fingern vergrub. Bisweilen hielt er beide Hände auf ihr ineinander verschränkt. „Was verlangen Sie für dies hier?“, beugte sich der braunhaarige Mann nach vorne und stierte Jason offen an. „Nun“, meinte Jason gedehnt und reizte damit die Nerven, die um ihn herum immer blanker lagen, gezielt aus. „Überschätze dich nicht, Kleiner.“ Abermals war es das Mitglied, dem Jason vor gut einem halben Jahr im Park begegnet war. Es hatte durch seine Ansagen als Ersatz des Mülleimers gedient, den Jason aus seinen Angeln gekickt hatte. Dass er dabei den kürzeren gezogen hatte, sollte jener noch bereuen. „Das darf ich zurückgeben“, zuckte der blonde junge Mann nur mit den Schultern, beachtete jenen aber nicht mehr weiter. Um ihn herum herrschte absolute Stille. Nur ein gelegentliches Räuspern erfüllte den steril wirkenden Raum. „Spielt die Informationen gegen Tyrone von Zundersby aus“, lächelte er. Intensive Blicke ruhten unentwegt auf ihm, die nun noch stechender wurden. Er hatte viele Informationen zu Lasten Zundersbys beschafft, nur hatte er keine Mittelsmänner mehr, sie geschickt auszuspielen. Wer also sonst war dafür prädestiniert neben Fathers Addendum? Zweifellos besaßen sie die richtigen Mittel, um Tyrone ein Schnippchen nach dem nächsten zu schlagen. Bis er irgendwann fiel. Nur würde die FA dabei ihre Anonymität verlieren, das heißt, sie müsste sich zu erkennen geben. Und das war genau das, worauf der Schlossherr wartete. Jason spielte mit dem Feuer, aber je länger er hier im Konferenzraum saß, desto mehr Spaß bereitete es ihm. „Unter meiner Führung, versteht sich“, fügte er verspätet, aber genießend an. „Wieso sollten wir darauf eingehen?“, hob sein Gegenüber die rechte Braue. „Weil ihr dann den bis dato mächtigsten Mann der Stadt fallen seht. Den Mann, der meinen geschätzten Vater und euren Anführer getötet hat.“ Für den Bruchteil einer Sekunde sah er zu Lance, der schon die ganze Zeit regungslos, aber nicht minder aufmerksam als die anderen, auf seinem Stuhl saß. „Das Netz wird in sich zusammenfallen, sobald sein Fadenspinner vernichtet wurde. Ist es nicht das, was ihr begehrt?“ Diabolisch grinsend bettete er sein Kinn auf seine übereinander gelegten Hände, während seine Ellbogen auf dem Tisch gestützt waren. Ein Raunen glitt durch die Reihe. Alle Blicke hafteten nun an dem Mann mit den eisblauen Augen, der jedoch immer noch keine Miene verzog. Er bestand wahrlich aus Selbstbeherrschung und -disziplin pur. Doch das war genau das, was Jason als Aspir so mochte. Denn es waren exakt die Eigenschaften, die ihn so weit gebracht hatten. Wer glaubte, Tyrone hätte ihm die Zügel aus der Hand genommen, der hatte sich mächtig geschnitten. Jetzt begann die ganze Schose erst richtig! „Mhh“, machte der Mann in den Vierzigern und richtete sich anschließend auf. „Wie wäre es mit einer Abstimmung?“, fragte er in die Runde. Plötzlich redeten alle durcheinander. Selbst jene, die bis eben keinen Laut von sich gegeben hatten, begannen mit ihren Nachbarn angeregt zu diskutieren. Zwar verstand Jason immer wieder nur Bruchteile, doch er erkannte nach geraumer Zeit, dass die Tendenz, seinem Vorschlag zuzustimmen, dominierte. Selbstgefällig lehnte er sich zurück und beobachtete das bunte Treiben mit Hochgenuss. Erst knapp eine halbe Stunde später kehrte wieder die fast schon gespenstische Ruhe ein, die zuvor vorgeherrscht hatte. „Einigkeit über allem anderen?“, brachte Jasons Gegenüber die Luft zum Vibrieren. Alle nickten, wenn auch der ein oder andere nur zaghaft. „Jason Sartaren“, fuhr der Mann fort. „Wir gehen nur unter einer Bedingung auf Ihren Handel ein.“ „Bedingung?“, wiederholte Jason spöttisch. Die FA hatte es bislang nicht geschafft, Tyrone das Handwerk zu legen und stellte jetzt eine Bedingung? Am liebsten hätte er aufgelacht, doch er zügelte sich. Schließlich brauchte er Fathers Addendum. „Wir führen gemeinsam“, kam es ernst zurück. „Keine Hinterhalte, keine Versteckspielchen, keine Intrigen. Jede Entscheidung beruht auf einer Absprache zwischen uns allen und erst bei einer Übereinstimmung wird gehandelt.“ Jason kehrte für einen Moment in sich. Dass er nicht allein das Zepter in der Hand halten sollte, widersprach seinem Plan. Doch würde sich das negativ auf das Ergebnis auswirken? Konnte er die Mitglieder in die Richtung lenken, in der er sie haben wollte? Mittels Diplomatie? Wohl oder übel musste er sich unterordnen, wenngleich ihm das äußerst missfiel. Er hatte viel dazugelernt und er würde seine Vorgehensweise irgendwie durchsetzen können. Und manchmal waren sinnvolle Vorschläge weiterer Personen ohnehin sehr nützlich, wenn sie dasselbe Ziel anstrebten. „Einverstanden“, willigte Jason ein. Als der Vertrag mündlich geschlossen war, war der Inhalt der Mappe, die Jason mitgebracht hatte, schneller auf dem Tisch verstreut als er schauen konnte. Mit einem Lächeln nahm er zur Kenntnis, wie die Informationen bei den Männern ankamen. Teils nickten sie anerkennend, teils legten sie ihre Stirn in Falten, als ob sie nicht glauben könnten, was sie da lasen. Doch alles, was schwarz auf weiß gedruckt stand, war wahr. Selbst für den Waffenhandel hatte Jason seit zwei Tagen einen Beweis. Zwar nur einen dürftigen, aber er hatte immerhin einen. Seine Quellen würde er allerdings niemals preisgeben. In dem Durcheinander stand er irgendwann unbemerkt auf und stieg in den Fahrstuhl. Als sich die Türen vor seiner Nase schlossen, fuhr er sich galant durchs blonde Haar. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Schlacht zwischen der FA und Tyrone von Zundersby ihren Höhepunkt erreichte. Die Wahrheit! Ja, die Wahrheit! Auch du wirst sie sehen müssen!“ Sanft glitt die Fahrstuhltür auf und Jason betrat die Eingangshalle, die bisweilen nur noch spärliches Licht beleuchtete. Die beiden Damen von vorhin waren nirgends zu sehen, weshalb sich Jason freimütig auf einem der Stühle an der Wand niederließ und seinen Kopf in den Nacken legte. Mit geschlossenen Lidern atmete er leise ein und aus und genoss seinen Triumph. Er hatte die FA in der Hand! Und wie sie nach den Informationen und Beweismitteln lechzten, die er mitgebracht hatte! Wie räudige Hunde nach Futter! Abermals glitt die Fahrstuhltür auf und alsbald hallten Schritte durch die große Halle. Jason machte sich nicht die Mühe zu schauen, wer unweit von ihm stehen blieb. Allein der Geruch verriet Lance. Er trug immer noch dasselbe Aftershave. Das würde sich wohl nie ändern. Es vergingen einige Minuten, in denen Jason Lance‘ Blicke auf sich spürte und in denen er ihnen keine Beachtung schenkte. Irgendwann schlug er seine Lider dann doch auf und begann kalt zu lächeln. „Ich erwarte von dir zukünftig mehr Vorsicht“, begrüßte er den schwarzhaarigen jungen Mann und untergrub den Spott in keiner Weise, den er offen auf den Lippen trug. Lance erwiderte nichts, sondern blickte ihn nur weiterhin an. Seine meerblauen Augen funkelten, seine Lippen waren fest aufeinandergepresst. Und doch wirkte er vollkommen entspannt, wie er so lässig dastand, die Rechte locker in der Hosentasche vergraben. „Habe ich dir mal wieder die Sprache verschlagen?“, grinste Jason. „Und komm mir bloß nicht mit irgendwelcher Reue, falls du ihr wieder mächtig werden solltest.“ Langsam stand er auf und sah Lance herabwürdigend an. Doch jener entgegnete immer noch nichts. Jason schüttelte darüber nur den Kopf und machte ein paar Schritte auf den Lift zu. „Deine Lakaien hatten nun genug Zeit, die Unterlagen auswendig zu lernen“, hob er eine Hand und drückte dann auf einen Knopf, der die Fahrstuhltür öffnete. Aber er kam nicht dazu, ihn zu betreten, denn er wurde plötzlich von zwei starken Armen gepackt und an einen festen Körper gedrückt. „In Einsamkeit möchte ich dich nicht fallen sehen“, hauchte Lance in Jasons Ohr. „Und dort“, fuhr er über die linke Brust seinen Freundes, „tief versteckt, lodert etwas, das du nicht auf ewig verbannen kannst.“ Obgleich Jason seine Augen zu schmalen Schlitzen verengte und immer noch ein kaltes Lächeln auf den Lippen trug, begann sich eine Wärme in ihm auszubreiten, deren Ursprung in Lance‘ Berührungen lag. „Hast du dich mit Holly abgesprochen?“, kam es gefühllos aus seinem Mund, während er sich nicht rührte. „Du weißt es, Jason. Die Wahrheit offenbart sich dir jeden Tag aufs Neue.“ Lance‘ Worte waren immer noch nicht mehr als ein Flüstern. Sacht strichen sie über Jasons nackte Haut seines Halses. „Die Wahrheit hilft einem auch nicht immer weiter“, meinte Jason gleichgültig und zuckte mit den Schultern. Die Arme um seinen Körper übten unentwegt leichten Druck aus. Er spürte jeden einzelnen Zentimeter, der nicht dorthin gehörte und dennoch das Blut in seinen Adern rauschen ließ. „Aspir…“ Es glich nur einem Zischen und doch versteifte sich Jason. „Er wird nicht auf ewig schlummern!“, fügte Lance laut und deutlich an. Dann ließ er Jason los. „Willst du dich ihm ausliefern?“ Lange hallten seine Worte an den Wänden wider. Gemächlich drehte sich Jason zu Lance um. Seine Miene war von reiner Kälte durchtränkt. „Dir liefere ich mich gewiss nicht mehr aus.“ Fest sah Lance ihn an. „Ich werde“, bohrte er einen Finger in Jasons Brust, „sie in dir wiedererwecken.“ Damit stieg er in den Fahrstuhl und ließ die Tür schließen. Ehe sie ihm jedoch den Blick auf Jason gänzlich verwehrte, raunte er: „In Einsamkeit lass ich dich nicht...“ Und doch verschluckte sie sein letztes Wort. Untergehen? Hatte Lance das sagen wollen? Er? Dass er nicht lachte! Der nächste, der dem Untergang geweiht war, war Tyrone von Zundersby. Und kein anderer! Kapitel 10: - 10 - ------------------ Ich weiß, es ist unsagbar! Ich habe ewig gebraucht, um euch endlich wieder ein Kapi zum Lesen geben zu können, doch der Stress um mich herum nimmt Überhand und ich habe die Feiertage dazu genutzt, ein wenig weiter zu schreiben. Hoffentlich seid ihr nicht böse auf mich, denn ich bemühe mich, die Story auf jeden FAll abzuschließen. Vor allem jetzt, wo sich die Beziehung zwischen Jason und Lance immer weiter zuspitzt! *^__~* Ich danke allen, die mir ihre Meinung zu meiner Geschichte sagen! *glücksbringerverteil* ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ - 10 - Wenn das Leben nur so einfach wäre. Jason konnte noch so lange voller Verachtung die Fahrstuhltür anstarren, das Kribbeln in seinem Körper hatte nicht vor aus ihm zu weichen. Überall dort, wo Lance ihn berührt hatte, schien seine Haut wie Feuer zu lodern. Lance hatte es gewagt, ihm seinen Untergang zu prophezeien. Und was tat er? Er stand seit Minuten reglos da und spürte, wie seine Hände, die zu Fäusten geballt waren, zitterten. Es fehlte nur noch, dass er auf seine Knie sank und den Gefühlen, die in seinem Innern beben wollten, nachgab. Er brauchte sie verdammt noch mal nicht! Er war hergekommen, um den größten Clou seines Lebens zu machen und Tyrone von Zundersby ein- für allemal das Handwerk zu legen. Einzig aus diesem Grund stand er nun hier in diesem getarnten Unterschlupf von Father's Addendum. Aus diesem Grund und aus keinem anderen! Erst weitere zehn Minuten später wandte er sich vom Lift ab und trat nach einigen Schritten an die kühle Nachtluft. Tief sog er das Gemisch aus Sauerstoff und Stickstoff ein. Seine Augen verloren mit jedem Atemzug an Glanz und auch an Ausdruck. Nein, er würde nicht untergehen. Dieses Mal war es an Zundersby, das Zepter aus den Händen zu legen! Und das für immer! Es dauerte nicht lange, bis Jason seine Fassung wiedererlangt hatte. Vielleicht sogar mehr als diese, selbst wenn ihm das in diesem Moment nicht bewusst war. Mit einem kalten Lächeln auf den Lippen begab er sich zurück in den Konferenzraum, in dem Lance auf seinem Stuhl saß und ihn mit einem besorgten Blick bedachte. Jason erwiderte ihn selbstgefällig. Ein weiteres Mal würde er sich nicht von ihm derart vorführen lassen. Und es war gewiss nicht er, der dem Untergang geweiht war. „Haben die Herren bitte die Ehre, sich zu setzen?“, wandte er seine Stimme an die Mitglieder der FA, die in der hinteren Ecke des Raumes standen und sich unterhaltend Kaffee tranken. Augenblicklich verstummten sie und stellten die Tassen beiseite. Die Informationen, die er ihnen geliefert hatte, schienen ihre Haltung ihm gegenüber maßgeblich beeinflusst zu haben. Zum ersten Mal brachten sie ihm Respekt entgegen. Aber nicht alle zollten ihm den Respekt, der ihm seiner Meinung nach gebührte. Dunkelgraue Augen blitzten ihn an. „Du gibst hier noch lange nicht den Ton an!“, wurde Jason angezischt. Doch so herablassend ihn das Mitglied der FA auch musterte, selbst er fügte sich und setzte sich auf seinen Platz. Jason beobachtete dies mit der reinsten Genugtuung. Wer stand nun über wem? Er schenkte dem Mann, gegen den er einmal den Kürzeren gezogen hatte, ein überhebliches Grinsen, ehe er sich ebenfalls auf seinem Stuhl niederließ. „Du wirst ihm Folge leisten, Jackson.“ Es war der bisherige vermeintliche Anführer von Father's Addendum, der Jasons Widersacher maßregelte. Jackson tauschte mit Kenham - Jason hatte seinen Namen bei der Diskussion einige Male fallen hören - einige scharfe Blicke aus, doch am Ende nickte er lammfromm, wenn auch nicht glücklich. Das ließ er Jason mit einem weiteren stechenden Blick spüren. Kalt hefteten sich seine Augen auf den jungen Sartaren, der sich davon aber nicht im Geringsten beeindrucken ließ. Mit einem nicht wahrnehmbaren Schulterzucken tat er Jacksons Geste ab. „Von nun an herrscht eine Zeit des Wandels in Asht-Zero“, erhob Jason abermals laut seine Stimme und er bemerkte mit Wohlwollen, dass die Augen der meisten förmlich an seinen Lippen hingen. „Jeden Tag wird Tyrone von Zundersby dem Abgrund ein Stück näher rücken. Und er wird keine Möglichkeit haben, sich gegen den tiefen Fall, der ihm bevorsteht, zu wehren. Wir alle, die in diesem Raum sind, werden dabei zusehen können, wie er seine Macht einbüßt.“ Effektvoll stand er auf und begann damit einmal um den Tisch zu laufen. „Wir bringen den Mann zu Fall, der Kelvin Sartaren kaltblütig erschossen hat! Wir richten den Mann zugrunde, der sich über jeden Einzelnen stellt! Wir stürzen den Mann, der tiefstem Abscheu gleicht!“ Lautlos setzte sich Jason zurück auf seinen Stuhl. Schweigen umhüllte ihn. Eisige Stille, die keiner zu durchbrechen wagte. Bis auf einer. Langsam richtete sich Kenham auf. „Es ist spät“, nickte er in die Runde. „Morgen um neunzehn Uhr finden wir uns wieder hier ein.“ Er sah zu Jason und holte sich eine Bestätigung dafür ein, dass er nicht gegen seinen Willen handelte. Der junge Mann hob beschwichtigend die Hand und deutete damit an, dass er nichts dagegen einzuwenden hatte. „Gute Nacht!“, verkündete Kenham und verließ als erster den Raum. Der Lift glitt mit einem sanften Rauschen nach unten, von wo aus der einstige Anführer der FA in der Finsternis der Nacht verschwand. Alsbald befanden sich nur noch zwei Menschen im Konferenzraum. „Geh schlafen, Lance. Ich kann dich nur munter und bei vollem Verstand gebrauchen.“ Geringschätzig ließ Jason seine Augen über die Gestalt seines Freundes schweifen. „Du hattest schon bessere Tage… oder Nächte.“ Kalt funkelten Jasons Augen auf. Es bereitete ihm Vergnügen, dass sich Lance‘ Miene immer weiter verhärtete. Obwohl sich Lance in der Tat dem Fahrstuhl zuwandte, wusste Jason genau, dass jener nur widerwillig ging. „Wenn du der Wahrheit endlich ins Auge siehst, werde ich bei dir sein!“ Mit diesen Worten trat Lance in den Lift und drückte sofort den Knopf, der die Türen hinter ihm schloss. „Was kannst du schon ausrichten?“, fragte Jason abwertend die stählerne Tür. Das letzte Mal an diesem Abend fuhr der Lift nach oben und Kenham betrat als letzter den großen Konferenzraum. Es war eine Minute vor neunzehn Uhr und er ließ seinen Blick mit einem zufriedenen Funkeln in den Augen über jeden Einzelnen der am Tisch sitzenden Mitglieder der FA schweifen. Auch Jason, der denselben Platz wie am Vortag eingenommen hatte, sah er kurz an und nickte ihm unauffällig zu. „Guten Abend“, raunte er leise in die Menge und ließ sich Jason gegenüber nieder, setzte die Ellbogen auf dem ovalen Tisch auf und bettete sein Kinn auf seine ineinander verschränkten Hände. „Auf Jackson müssen wir heute verzichten. Er leitet bereits unseren ersten Paukenschlag ein.“ Keiner sagte etwas. Aber Jasons Mundwinkel verzogen sich zu einem hämischen Lächeln. Ihm war bereits aufgefallen, dass ein Mitglied fehlte, und ihm tat dies gewiss nicht leid. So blieben ihm weitere verbale Angriffe immerhin erspart. Zudem konnte er auf diese Weise vielleicht endlich das Sagen an sich reißen. Abwägend musterte er Kenham und versuchte den Mann einzuschätzen, dem Father's Addendum bedingungslos zu vertrauen schien. Kenhams eisblaue Augen waren unverwandt auf ihn gerichtet in diesem Moment, doch Jason hatte keine Mühe, dem Blick standzuhalten. „Ein einziger Gegenschlag gegen Zundersby reicht bei Weitem nicht aus“, erhob er seine Stimme und verlieh jeder Silbe Nachdruck. Alsbald spürte er alle Blicke auf sich, doch er konzentrierte sich rein auf ein Augenpaar. Auf Kenhams. „Derjenige, der die besten Kontakte zur Presse hat, wird für einen Artikel sorgen, der Tyrone von Zundersbys illegalen Waffenhandel in alle Münder bringt. So zweifelhaft der Beweis auch sein mag, den ich euch geliefert habe, ich erwarte, dass ihr ihn perfekt in Szene setzt. Niemand muss glauben, was er liest. Allein schon die negative Propaganda, die durch Klatsch und Tratsch die ein oder andere unvorhersehbare Wendung bringt, wird seinen nächsten Handel mit Sicherheit beeinträchtigen. Wer will schon mit einem Mann Geschäfte machen, über den hinter verborgener Hand geredet wird?“ Matt spiegelten Jasons Iriden das Licht der Neonröhren wider, die sich an der Decke über die Weite des Raumes erstreckten. Kenham zeigte keinerlei Regung, während die ersten Mitglieder der FA damit begannen, sich leise untereinander zu unterhalten. Immer noch sahen sich er und Jason unverwandt an. „Randy, das wirst du übernehmen. Morgen früh möchte ich die Titelseite mit Tyrones Bild geschmückt sehen!“, wies der Mann in den Vierzigern seinen rechten Tischnachbarn an. Dieser nickte und presste seinen Lippen zu einem dünnen Strich aufeinander. Anschließend stand er auf und verließ den Konferenzsaal per Fahrstuhl, der wie immer sachte in seinen Schienen nach unten glitt. Für einen Moment gab Jason seinen Gegenüber frei und sah zu Lance. Der dunkelhaarige junge Mann hatte einige Blätter vor sich auf dem Tisch verteilt liegen und schien etwas zu lesen. „Wie ich sehe, hält es nicht jeder in diesem Raum für nötig, aufmerksam unseren Plänen zu folgen“, meinte Jason mit einem fiesen Lächeln auf den Lippen. „Erhebt jemand Einwände, wenn ich dem uns allseits geehrten Lance DeOrton den nächsten Auftrag dieses Abends erteile?“ Augenblicklich wurde es um Jason totenstill. Alle sahen von ihm zu Lance und wieder zurück. Unter Garantie wusste jeder, dass sie einmal ein Paar gewesen waren; bevor sich Jason scheinbar aus der Politik zurückgezogen hatte. Lance hatte nicht aufgesehen, als sein Name gefallen war, doch nun hob er langsam seinen Kopf an und gab seine dunkelblauen Augen preis. Unerwartet neugierig erwiderten sie Jasons eiserne Miene. „Meine Dienste stehen Father's Addendum jederzeit zur Verfügung.“ „Keinem hier dürfte entgangen sein, dass Tyrones Geld in alle möglichen Firmen der Stadt fließt“, wandte sich der junge Sartaren der Runde zu. Auch wenn keiner antwortete, so sah er doch die zustimmenden Gesichter. Diese Kunde dürften auch keinem vor seinem Erscheinen unbekannt gewesen sein. Nur gab es da etwas, das sicherlich bisher keiner gewusst hatte. „Und die FA stellt kein einziges Mitglied in einem der zahlreichen Aufsichtsräte.“ Provozierend grinste er Lance an, der sein Lächeln in keiner Weise erwiderte. Alle sahen Lance an, bis einer die unausweichliche Frage stellte: „Wie soll Lance in den Aufsichtsrat kommen?“ „Gar nicht“, kam auch schon Jasons Antwort. Seine Worte glitten förmlich durch den Raum und schienen sich um jeden Einzelnen wie ein Schraubstock zu winden. Verwirrung machte sich in den Gesichtern der Anwesenden breit, nur Kenhams blieb von ihr verschont. „Das wäre viel zu auffällig“, gab der Mann mit den kurzen dunklen Haaren zu verstehen und schnippte einmal mit den Fingern. Diese Geste hatte keinerlei Bedeutung und doch hatte er auf einmal alle Aufmerksamkeit bei sich. „Wir müssen vorsichtiger denn je agieren. Mit unserem Artikel gehen wir schon ein sehr beachtliches Risiko ein. Zundersby beherrscht so ziemlich alle Kommunikationswege in Asht-Zero und doch hat er es bisher noch nicht geschafft, unsere beiden Hauptzeitungen unter seine Kontrolle zu bekommen. Er wird wissen, wer den Artikel in die Wege geleitet hat. Vielleicht weiß er auch seinen wahren Initiator“, fokussierte er Jason an und verengte seine Augen dabei zu schmalen Schlitzen. „Wie dem auch sei“, wandte er sich wieder von dem jungen Sartaren ab, „wir müssen uns auf eine ganze andere Ebene konzentrieren.“ „Sehr richtig!“, meinte Jason mit hochgezogener Braue. „Wer außer den Aufsichtsratmitgliedern selbst hat Zugang zu den geheimen Akten. Oder zu dem vielleicht nicht ganz so wertvollen Abfall, der jeden Tag in den Papierkörben landet?“ Kalt sah er hinüber zu Lance und ließ einen Stift galant zwischen seinen Fingern hindurch auf den Tisch gleiten, so dass er effektvoll auf dem Tisch landete. Der Mann neben ihm lachte auf und schlug sich im nächsten Moment eine Hand vor den Mund. Die Lage war ernst und das begriff auch er, zumal er von überallher wütende Blicke erntete. So steif und diszipliniert die Mitglieder der FA auch wirken mochten, sie waren auch nur Menschen. „Die Vorstellung, wie er im Dreck wühlt,…“ murmelte er vor sich hin und verschluckte den Rest des Satzes, als ihm ein Ellbogen in die Seite gehauen wurde. Jason überging die Szene, die sich direkt neben ihm abspielte, mit einem leichten Kopfschütteln. Vielmehr interessierte es ihn, wie Lance auf seine neue Aufgabe reagierte. Doch Lance saß nur still da und sah zu Kenham. Beides brachte das Blut in Jasons Adern zum Kochen, doch er ließ sich nichts davon anmerken. Lance würde ihm noch früh genug für die überaus anspruchsvolle Aufgabe danken. Spätestens dann, wenn er entnervt von Friston allabendlich zurückkehrt und sich über den nichtsnutzigen Schrott beschwert, den die Arbeiter dort wegwerfen. „Du musst dich in ihren Konferenzraum schleichen“, sprach Jason laut und durfte sich endlich über seinen Exfreund amüsieren, denn dieser warf ihm einen verächtlichen Blick zu. „Ich weiß, was zu tun ist“, erwiderte der Ältere betont freundlich. „Du kommst am besten an die Stelle, wenn-“ „Mach du dir über andere Dinge Gedanken!“, unterbrach Lance Jason unwirsch. „Aber gerne doch“, grinste der junge Sartaren. Noch etwa eine Stunde lang wurden Aufgaben an die Mitglieder von Father's Addendum verteilt. Eigentlich bestand die Unterhaltung, die vorherrschte, aus einem Dialog zwischen Kenham und Jason, doch obwohl die Stimmung sehr darunter litt, wagte es keiner, den beiden Widerstand zu leisten. Dass sich Kenham und Jason gegenseitig immer wieder argwöhnisch beäugten, entging sicherlich fast niemanden, doch auch darüber wurde sich erfolgreich ausgeschwiegen. Die Atmosphäre war gespannt und fast schon als brenzlig zu bezeichnen. „Jeder weiß, was er zu tun hat!“, leitete Kenham aufgrund der immer größer werdenden Unruhe im Saal frühzeitig das Ende ihrer Sitzung ein. „Ja“, kam es erleichtert zurück und die ersten ließen es sich nicht nehmen, schleunigst aufzustehen und zu gehen. Jason war es gleichgültig, dass die Menschen augenscheinlich vor ihm flohen. Sie waren ohnehin nur ein Mittel zum Zweck. Und solange sie ihre Pflichten gewissenhaft erfüllten, scherte er sich nicht um sie. Er spürte eine bisweilen vertraute innere Gelassenheit in sich. Ein nicht vorhandenes Gefühl, das ihn stark machte. [style type=„italic“]Aspir[/style] brachte ihn zu dem Erfolg, den er das letzte halbe Jahr nicht verbuchen konnte. Nur noch wenige Stunden und Tyrone von Zundersby würde realisieren, dass seine Tage gezählt waren! „Der Kampf kann beginnen!“, lächelte Jason und sah vom leeren Konferenzraum hinunter auf die Stadt. Kapitel 11: - 11 - ------------------ Ich habe mich riesig gefreut, als sich so viele von euch auf meinen letzten Teil gerührt haben. Vielen Dank!!! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ - 11 - Feine Nebelschwaden durchwoben die Straßen von Asht-Zero. Die Luft war eisig kalt und die Wolken am Himmel zogen dicht an dicht über Jasons Kopf hinweg gen Süden. Nicht mal ein Tag war vergangen, seit er das große, fast schon kolossale Gebäude hinter sich gelassen hat. Als er durch die gläserne Tür nach draußen getreten war, waren ihm die Schatten auf der gegenüberliegenden Straßenseite gewiss nicht entgangen. Ebenso wenig wie er sie jetzt nicht übersehen konnte. Ob Tyrones Männer wussten, dass sie so nachlässig waren? Oder wollten sie gar gesehen werden? Jason vergrub seine Hände immer tiefer in seinen Manteltaschen und zog die Schultern immer weiter an. Die Kälte war unerbittlich und so sehr er sich auch in seiner wärmenden Kleidung vermummte, so wachsam waren seine Augen. Immer wieder ließ er seinen Blick nach rechts und nach links gleiten. Doch im Gegensatz zu gewissen anderen Menschen tat er dies völlig unbemerkt und wenn möglich durch einen Blick in ein Schaufenster getarnt. Ein leises Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er Xander unter seinen Beschattern entdeckte. Er besah sich gerade ein paar Schuhe, als er sein Gesicht erblickte. Was für ein Narr! Noch offensichtlicher konnte dieser Junge nicht um die Ecke spähen! Jason amüsierte sich köstlich. Tyrone hatte einen wahrlich perfekten Spion ausgebildet. Auch heute führte er Zundersbys Gefolgschaft wissentlich zu Fathers Addendum. Dass die Männer eins und eins zusammenzählen konnten, traute er sogar Xander zu, selbst wenn dieser sichtlich ein Vollblutlaie im Beschatten war. Dass in dem Versicherungsunternehmen geheime Treffen stattfanden, sollte auch er mittlerweile begriffen haben. Das Grinsen auf Jasons Lippen wurde breiter. In Gedanken schüttelte er den Kopf über den Jungen. Und er selbst war als unbedarft bezeichnet worden! Was war dann ein laut fluchender Möchtegernspion, der anderen auf die Füße trat und sich darüber beschwerte, dass man ihm im Weg stand? Die Stimme hätte Jason auch ohne Wissen unter Hunderten wieder erkannt. Schließlich war es Xander gewesen, der ihm Tyrones Nachricht hat zukommen lassen, mit derselben Verachtung wie sein Lehrmeister. Für einen Moment flackerten Jasons Lider, als er an seinen Vater dachte, doch im nächsten Moment drückten seine dunklen Iriden wieder dieselbe Leere aus wie zuvor. In wenigen Minuten würde er zum dritten Male in Folge am späten Abend den Firmensitz der FA betreten. Zum dritten Male mit Xander im Schlepptau. Am Morgen hat die Tageszeitung in der Tat den Bericht über Tyrones Waffenhandel gebracht. Bisher hat es allerdings noch keine Reaktion seitens Zundersbys gegeben. Keine öffentliche Stellungnahme, kein Kommentar durch einen Pressesprecher und auch keine erneute Intrige gegen Jason. Tyrone wusste unter Garantie, dass der Artikel durch ihn initiiert war, aber entweder hatte er den Rückschlag einfach geschluckt oder er wollte einen passenderen Moment für seine Rache abwarten. Und Jason vermutete letzteres. Vielleicht wollte Tyrone von Zundersby auch sehen, was er noch so alles gegen ihn unternahm? Vielleicht sollte er sich ihm nicht nur selbst ausliefern, sondern die FA gleich mit? „Die kannst du gerne haben!“, formte Jason tonlos mit seinen Lippen, die er anschließend fest aufeinander presste. Das große Versicherungsgebäude baute sich zusehends vor ihm auf. Und er freute sich ungemein auf ein Wiedersehen mit Lance! Der dunkelhaarige junge Mann saß bereits auf seinem Stuhl, als Jason den großen Konferenzsaal betrat. Ihre Augen trafen sich für einen kurzen Augenblick, doch Jason konnte diesen besorgten Ausdruck in Lance‘ Iriden immer noch nicht abhaben. „Guten Abend!“, verkündete er laut und wenn er die Aufmerksamkeit bis jetzt noch nicht innegehabt haben sollte, dann hatte er sie spätestens jetzt. Wortlos ließen sich alle Mitglieder der FA auf ihren Stühlen nieder, die meisten sahen ihn forschend an. Bis auf wenige Ausnahmen. Lance widmete sich bisweilen wieder einmal einem Stapel Unterlagen, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Jackson lächelte verächtlich vor sich hin und zog es vor, über seinen Kopf hinweg gen Lift zu sehen. Und Kenham hielt die Tageszeitung in den Händen und las den Artikel anscheinend zum ersten Mal an diesem Tage, so vertieft wie er war. Jason knöpfte in aller Ruhe seinen Mantel auf und hing ihn anschließend feinsäuberlich zusammengefaltet über seine Stuhllehne. Er genoss die Stille in dem großen Raum; ebenso die fast schon krampfhaft angespannte Atmosphäre. „Lance?“, begann er mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht. Fast schon arrogant sah er von oben auf seinen Exfreund hinab. Der Ältere von beiden sah langsam von einem weißen Zettel auf. „Bitte?“, erwiderte er fast schon zu freundlich, um wahr zu sein. „Du weißt, was ich hören möchte.“ Jason tippte mit seinem rechten Zeigefinger an sein Kinn und durchbohrte Lance mit seinen Blicken. „Es ist alles geregelt“, entgegnete Lance nun selbstgefällig. „Du musst dir also keine unnötigen Sorgen machen.“ Jason schwieg und richtete seinen Blick auf Kenham, der die Zeitung gerade aus den Händen legte. „Ich bezweifle, dass Tyrone etwas unternehmen wird.“ Kenham nickte. „Auch wenn ich Ihre Druckmittel gegen Zundersby schätze und Ihren wachsamen Verstand,…“ Er sprach nicht weiter, sondern schüttelte lediglich den Kopf. Schließlich hatte er gewusst, worauf er sich bei ihrem Handel eingelassen hatte. „Achten Sie meine Männer ein wenig mehr“, bat er dennoch leise. Jason sah undefinierbar von einem zum anderen. Er könnte ihm diesen Gefallen tun. Solange sie ihm von Nutzen waren, könnte er immerhin so tun als ob er sie schätzen würde. Was danach war… Innerlich lachte er laut auf, nach außen verzog er keine Miene. „Randy, Sie haben Ihre Aufgabe bravourös erledigt“, nickte er dem Mann neben Kenham zu und ließ sich dann endlich auf seinem eigenen Stuhl nieder. Obwohl er Jason immer noch nicht über den Weg traute, rang sich Kenham ein sympathisches Lächeln ab. „Der Artikel ist Tyrone sicher ein Dorn im Auge.“ „Das soll er auch sein“, nahm Jason wieder das Wort auf. „Wir müssen allerdings schnell handeln, denn lange wird er sich das nicht gefallen lassen.“ Nicht umsonst trafen sie sich jeden Abend. Jason wollte all seine Trümpfe mehr oder minder auf einmal ausspielen. Er hatte gesehen, dass es nichts brachte, sich monatelang Kontakte aufzubauen. Denn Tyrone saß eindeutig am längeren Hebel. Sie mussten viel flinker und unvorhergesehener agieren, um gegen den mächtigsten Mann der Stadt anzukommen. „Sind alle weiteren Vorbereitungen getroffen?“, fragte er betont höflich. „Danton!?“, wandte sich Kenham an einen eher unscheinbaren Mann, der mit seinem graumelierten Dreitagebart und seiner eher schlaksigen Statur wie seinen abwesend wirkenden Augen neben all den anderen wahrlich nicht auffiel. Danton stand auf und stellte sich an die Tafel in seinem Rücken. Erst jetzt realisierte Jason, dass auf ihr einiges geschrieben stand. Ihm blieb allerdings kaum Zeit, einen genaueren Blick in aller Ruhe auf die schwarzen Lettern zu werfen, denn das Mitglied der FA begann zu erzählen: „Mit dem Artikel haben wir ein erstes Zeichen gesetzt. Lance tritt morgen seine Stelle als Raumpfleger bei Friston an und wenn ich Randy richtig verstanden habe, können wir den Vorwurf gegen Tyrone, er würde illegal mit Waffen handeln, möglicherweise bald mit weiteren Beweisen untermauern. Jackson hat dafür gesorgt, dass Tyrone ab heute 0 Uhr keine weiteren Telefonüberwachungen mehr vornehmen kann. Bisher weiß unser geschätzter Schlossherr noch nichts davon, aber sobald er das herausfindet, müssen wir uns in Acht nehmen. Diesbezüglich gebe ich unserem jungen Sartaren Recht, wir dürfen keine Zeit verlieren. Nun geht alles Schlag auf Schlag.“ „Danke“, lächelte Jason Danton an. Er bemühte sich, nicht allzu selbstherrlich zu klingen. Schließlich verrichtete Fathers Addendum saubere Arbeit. „Die Sache mit der Steuerhinterziehung“, fuhr Danton ungeachtet dessen fort, „ist auch in die Wege geleitet worden…“ Jason hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Ihm war nichts von all dem neu, was in Stichworten auf der Tafel stand, worauf Danton aber nun in aller Ausführlichkeit einging. Er war es, der der FA die Fakten geliefert hat, also war es vollkommen unnötig, sie sich vortragen zu lassen. Nach einer Weile schweifte sein Blick zu Lance, der seine Augen im Gegenzug auf seinen Kollegen gerichtet hatte. Lance hatte sich kein bisschen verändert. Vielleicht sah er ein wenig müder und geschaffter als sonst aus, aber dennoch war er noch derselbe. Mehr als ein halbes Jahr lebten sie nun schon getrennt. Doch Jason kam das wie gestern vor, dass er aus ihrer gemeinsamen Wohnung ausgezogen war. Als Aspir hatte er sich unentwegt mit Tyrone beschäftigt, wie er diesen Mistkerl ein für allemal loswerden konnte. Jeder Tag war von neuem für Nachforschungen und Kontakte knüpfen verstrichen. Und jeder Tag hatte ihn neuerlich erfüllt. Nun sah er, wie weit er gekommen war. Sogar all die Menschen, die ihn verachtet hatten, arbeiten sozusagen nun für ihn. Zumindest in seinem Auftrag. Sie setzten all das um, was er an Daten gesammelt hat. An Holly und Eddy dachte er kaum noch. Ebenso seinen Zusammenbruch verdrängte er ganz weit in seinen Gedanken. Nicht einmal sein Herz begann schneller zu schlagen, wenn er so wie jetzt Lance anblickte. Selbst als ihn die grünen Seen trafen, als sich Lance kurz nach ihm umdrehte, spürte er keine Veränderung in seiner Brust. Ein kaltes Lächeln stahl sie wie so oft in letzter Zeit auf seine Lippen. Nein, so leicht würde er sich nicht mehr aus der Fassung bringen lassen! Da konnte Lance ihn noch so oft berühren oder ihm mit besorgter, aber fester Miene sagen, dass er ihn nicht allein dem Untergang überlassen würde. Von wegen Untergang! Hier wurde gerade das perfekte Exempel statuiert! Mittels des hohen Engagements und der extremen Vorsicht seitens Fathers Addendum, dieser bedingungslosen Einsatzbereitschaft und dem großen Einfluss war es Tyrone, der bald am Rande des Abgrunds stand! Abwesend strich sich Jason durchs helle Haar. Tyrone würde für all das büßen, was er ihm angetan hatte! Für all die Schmach! Für all die Pein! Für all den Schmerz! Und für seinen Vater! Erst als die Gespräche um ihn herum lauter wurden, bekam Jason mit, dass Danton seinen Bericht beendet und sich wieder gesetzt hatte. Als sein Blick klar wurde, sah er genau in Lance‘ Gesicht. Funkelnde grüne Iriden begutachteten ihn nachdenklich. Er verdrehte die Augen und versuchte den Gesprächen, die zu seiner Rechten immer hitziger wurden, zu folgen. „Das ist unmöglich!“, gestikulierte ein Mitglied der FA wild, dessen Namen Jason nicht kannte. Dabei fiel ersterem eine Strähne seines pechschwarzen Haars in die Stirn, die er sich wild wieder zurückstrich. „Wie soll man solch ein Interview in so kurzer Zeit auf die Beine stellen?“ „Vergiss nicht, dass Laslinger uns immer noch einen Gefallen schuldet“, redete ein hoch gewachsener Mann auf seinen Tischnachbarn ein. „Das mag richtig sein, aber achtundvierzig Stunden sind niemals genug! Denk mal an die ganzen Vorbereitungen, die getroffen werden müssen. Asht-Zero ist nicht gerade eine Stadt, die ständig im Fernsehen vertreten ist! Du kennst unseren Stadtrat! Bloß keine Nachrichten nach außen dringen lassen.“ Bald schon resigniert fuhr er sich übers Gesicht und sank in seinem Stuhl zurück. „Ich kann Laslinger fragen, aber ich sehe schwarz.“ „Jetzt mal nicht den Teufel an die Wand. Dieses Mal wird es uns gelingen, Zundersby das Handwerk zu legen. Mit oder ohne diesem Interview.“ „Warum musste auch ich das abbekommen?“, fuhr er weiterhin stöhnend fort. „Zwei Tage!… Zwei Tage!“ „Auch über Nacht kann man solch ein Interview arrangieren“, mischte sich Jason ein und ließ es sich nicht nehmen, den beiden provokant zuzuzwinkern. Mit Hollys Hilfe hatte er das bei seiner Bürgermeisterkandidatur auch geschafft und die FA war bei weitem einflussreicher als die brünette Journalistin. „Ich überlasse dir die Aufgabe gerne“, meinte der Mann mit dem pechschwarzen Haar und wedelte mit seiner Rechten vor seinem Körper. „Ich schlage mich nicht drum.“ Jason stand auf, ging auf den anderen zu und klopfte ihm auf die Schulter. „Das schaffst du schon“, lächelte er ihn dann aufmunternd an. Was ihn dazu bewogen hat? Kenhams eisiger Blick! Das Oberhaupt der FA schien alles mitzubekommen, jede noch so kleine Spitze, die Jason austeilte. Der Mann vor ihm seufzte laut auf. „Ja, ich werd‘s ja versuchen!“ Danach schüttelte er Jasons Hand ab, die letzterer beabsichtigt auf seiner Schultern hat ruhen lassen. Jason setzte nun weiterhin einen Fuß vor den anderen und umrundete den Tisch. Hinter Lance blieb er einen Moment stehen und sah auf ihn herab. Der Ältere bekam dies natürlich mit und sein Körper versteifte sich in eben jenem Moment. Jason nahm dies wohlwollend zur Kenntnis, ehe er weiterlief und sich alsbald wieder auf seinem Stuhl niederließ. „Jason?“, hörte er Kenhams Stimme laut zu sich dringen. „Ja?“, erwiderte er den forschenden Blick seines Gegenübers. Um sie beide herum wurde es abermals totenstill, doch Jason störte sich nicht daran. Im Gegenteil, auch dieses Mal genoss er diese Vibration in der Luft. „Für eine Aufgabe sind Sie allein prädestiniert.“ Kenham faltete seine Hände und legte sie vor sich auf den Tisch. Da Jason nicht wusste, um welche es sich handelte, wartete er schweigend ab. Starr hielt er seinen Blick auf Kenham gerichtet und verzog keinerlei Miene. Weder vor Neugierde noch vor Ungeduld. Ruhig saß er da und fokussierte den anderen eisern. Doch nicht alle übten sich in solcher Beherrschung. Jason sah aus dem Augenwinkel heraus, wie sein rechter Nachbar unstet mit seinem Bein zappelte. „Tyrone hat den Mord an Ihrem Vater erfolgreich unter den Teppich gekehrt“, fuhr Kenham etliche Sekunden später mit ruhiger Stimme fort. „Er hat sämtliche Beweise verschwinden lassen und nun ist es an Ihnen, ihn des Mordes zu bezichtigen.“ Tief holte der Mann zu Jasons Rechten Luft und stieß sie unkontrolliert wieder aus. Auch Kenham schien kurz mit sich zu hadern, eher er weitersprach: „Selbst wenn Sie seine Leiche ausgraben müssen, um stichhaltige Beweise zu finden, die Sie gegen Zundersby ausspielen können, ohne sie bringen wir ihn vermutlich nicht hinter Gittern.“ Auch wenn jeder denken mochte, jegliche Farbe würde nun aus seinem Gesicht weichen, lächelte Jason. „Wenn es weiter nichts ist“, spottete er und richtete sich in seinem Stuhl auf. Der Konferenzraum leerte sich in den Folgeminuten. Jason blieb am heutigen Abend nicht als letzter zurück, sondern fuhr zusammen mit Danton im Fahrstuhl gen Erdgeschoss. Jason begutachtete sich den Mann neben sich noch einmal. Danton hatte wirklich nichts Auffälliges an sich. Er würde in jeder Menschenmenge perfekt untergehen. Er konnte sich mit Sicherheit an jeden heranschleichen, ohne dass man ihn wahrnehmen würde. Selbst ihm war er bis heute nicht aufgefallen. Abermals musste Jason über Xander lächeln. Der Junge könnte sich wahrlich eine Scheibe von Danton abschneiden. Danton behielt er im Auge, als sie hintereinander aus dem Gebäude traten. In der Dunkelheit der Nacht schmiegte sich seine Silhouette sofort in die langen Schatten, die die Laternen entlang der Straße warfen, ein. Das war der perfekte Spion und man konnte nie wissen, ob man ihn als solchen nicht noch irgendwann gebrauchen könnte. Jason behielt sich ihn zumindest im Hinterkopf. Kapitel 12: - 12 - ------------------ 12 - „Welch Elefant stapft da hinter mir?“ Mit einem unbeschreiblich amüsierten Lächeln auf den Lippen blieb Jason stehen und wandte sich abrupt um hundertachtzig Grad. Zunächst starrte er auf eine scheinbar leere, schwach beleuchtete Straße. Nichts regte sich. Doch dann trat jemand aus den Schatten, gefolgt von drei weiteren Personen. Sie kamen stetig näher und Xander positionierte sich direkt vor dem jungen Sartaren, der seine Hände lässig in seinen Manteltaschen ruhen hatte. „Dich hört man sogar eine Meile gegen den Wind“, spottete er weiter und ließ seinen Blick verächtlich über Xanders Silhouette schweifen. Er sah, wie sich Xanders Hände zu Fäusten ballten und dabei mächtig zitterten. Doch der Junge hatte sich bald wieder unter Kontrolle, schloss dazu allerdings für einen Moment die Augen und bemühte sich, ruhig ein- und auszuatmen. „Ich ersehne den Moment, dich endgültig fallen zu sehen!“, zischte er dann. Einer der Männer hinter ihm machte einen Schritt auf ihn zu und legte gebieterisch eine Hand auf seine Schulter. Er formte seinen Namen wortlos mit seinen Lippen, doch seine Augen sagten eindeutig, dass Xander sich zu zügeln hatte. „Fasst mich nicht an“, wirbelte er herum und blitzte Tyrones Anhänger an. „Und nun zu dir, Jason Sartaren, Sohn von Father Dest, dem Verräter und Taugenichts“, wandte er sich wieder dem Älteren zu und seine Miene wurde eiskalt. „Du beeindruckst mich nicht“, entgegnete Jason kühl und fuhr in der Luft die Konturen von Xanders Gesicht nach, was jener mit einem kritischen Augenzwinkern zur Geltung nahm. „Wie lebt es sich ohne Lance?“, fasste sich Xander schnell wieder und begann damit, vor Jason hin- und herzulaufen. „Wie ist es, nur ein billiger Abklatsch zu sein?“, kam prompt die Gegenfrage, doch dieses Mal ließ Xander keine Regung erkennen. Lange verweilten sie an Ort und Stelle und stierten sich einfach nur an. Die drei Männer, die Xander begleiteten, waren allesamt einen Meter zurückgetreten und ließen die beiden gewähren. Doch man sah ihnen an, dass sie jederzeit kampfbereit waren, falls Jason auch nur eine falsche Bewegung machen sollte. „Wer tritt denn in die Fußstapfen seines Vaters?“, hauchte Xander irgendwann und verzog seine Mundwinkel zu dem fiesesten Grinsen, das Jason bis dato gesehen hatte. „Was bist du schon für Tyrone?“ Xander stellte sich direkt vor Jason und sah ihm tief und voller Abscheu in die Augen. „Wie ist es, seinen Vater nur noch als Gerippe auf dieser Welt zu haben?“ Fast schon zärtlich strich er mit seiner Rechten über Jasons Wange. „Gar keine Reaktion? Keine verzweifelten Tränen? Und dort?“, legte er seine Linke auf die Brust des jungen Sartaren. Durch den schweren Stoff des Mantels hindurch konnte er zwar ohnehin nichts spüren, aber dennoch meinte er: „Was ist aus dem sensiblen, leidenschaftlichen Jungen geworden, der ohne Rücksicht auf sich selbst den Posten des Bürgermeisters erobern wollte, um die Stadt vor dem bösen, bösen Tyrone zu schützen? Schlägt dort wohl gar kein Herz mehr?“ Jason rührte sich nicht, einzig seine Lippen bewegten sich: „Hast du allmählich deine Neigung zum männlichen Geschlecht entdeckt?“ Er hatte fest damit gerechnet, dass Xander vor Schreck zurücktaumelte, doch stattdessen kam er ihm noch näher, verströmte seinen warmen Atem auf Jasons Wange. „Und wenn dem so wäre, Jason Sartaren?“ Langsam stellte Xander wieder Abstand zwischen ihnen her. „Selbst wenn ich auf Männer stehen würde, dann gewiss nicht auf dich.“ „Sicherlich liegst du lieber Tyrone zu Füßen.“ Aus den Augenwinkeln heraus sah er, dass Xanders Begleiter ungeduldig wurden. „Lieber sehe ich dabei zu, wie du zu ihm gekrochen kommst und um Gnade winselst.“ Xander sah nach rechts und nickte einem der Männer zu. „Ich freue mich auf unser Wiedersehen, Schwuchtel.“ Damit machte er auf dem Absatz kehrt und lief im Schutz der anderen davon. „Feigling“, hauchte Jason ihm hinterher, ehe er sich auf den Heimweg machte. Obwohl die Nacht bitterkalt war, hatte er die Kälte während ihres Gespräches nicht gespürt. Doch nun fühlte er die eisige Luft an seinem Körper von den Füßen aufwärts kriechen. Sein physischer Zustand war einfach viel zu anfällig! Innerlich verfluchte er die Schwäche des menschlichen Körpers. Der Geist konnte noch so wachsam und klar sein und trotzdem war er seinem Gegenpart unterlegen. Als er seine Wohnung betrat, stieß er laut einen Fluch aus und begab sich sofort ins Bad, wo er sich heißes Wasser in die Wanne einließ. Warum reichte der Verstand allein nicht aus, um zu existieren? Kaum hatte er sich in die Wanne gelegt, schlossen sich seine Lider und er sah in das dunkle Nichts der Finsternis. Kenham hatte ihn offensichtlich herausfordern wollen. Ob er es verkraftete, gescheitert zu sein? Jason würde die nötigen Beweise beschaffen, auf welchem Weg auch immer. Es war sicherlich richtig, dass der Tod an Kelvin Zundersby genug belasten könnte, um ihn in dem Ansehen der Bürger zu erschüttern. Selbst die Polizei oder der Gerichtsmediziner konnte sich bei einem solchen Vorwurf nicht mehr korrumpieren lassen. Es war sowieso an der Zeit, dass dieser Mann seine gerechte Strafe bekam. Und der bedingungslose Fall war gerade gerecht genug. Zögerlich kämpfte sich die Sonne hinter den schweren, grauen Wolken hervor und tauchte Asht-Zero in ein unheimliches, fahlgelbes Licht. Der Zeiger der Uhr in Jasons Schlafzimmer sprang auf die zwölf und deutete damit den Beginn einer neuen Stunde an. Ganz sachte konnte man die Turmglocken der Kirche schlagen hören. Und wenn man genau hinhorchte, konnte man dabei bis acht zählen. Jason hatte sich spontan krank gemeldet, so dass er den ganzen Tag für seine Nachforschungen zur Verfügung hatte. Er würde diese Aufgabe ebenso gewissenhaft angehen bis seine bisherigen Vorgehen gegen Tyrone von Zundersby. Es galt, Tyrone des Mordes zu bezichtigen! Kein leichtes Unterfangen, aber eine machbare Aufgabe. Und wenn er dazu wirklich Kelvins Grab ausheben musste! Den Anfang bildete die Sterbeurkunde samt aller dazugehörigen Formalitäten. Jason breitete alle Unterlagen auf seinem Bett aus und setzte sich im Schneidersitz auf sein Kopfkissen. Kelvins Tod hatte eine gewisse Olivia VanChole bestätigt, wie er ihnen entnehmen konnte. Auch wenn sich Jason dachte, dass der Name reiner Erfindung glich, so nahm er dennoch sein Telefon in die Hand und rief die Auskunft an. Sein Verdacht bestätigte sich. Es gab keine Olivia VanChole in Asht-Zero. Immerhin konnte er wieder unbedarft sein Telefon benutzen. Bisweilen durfte Tyrone damit begonnen haben, einen Plan gegen ihn zu schmieden, nachdem er nun auch noch der Überwachung der Gespräche beraubt worden ist. Xander hatte sicherlich auch bereits von ihrem Aufeinandertreffen berichtet und den Hass gegen ihn geschürt. Doch das rang Jason höchstens ein mattes Grinsen ab. Vielleicht sollte er Zundersby mal stecken, was für ein toller Spitzel der Junge ist. Über den Gedanken schüttelte er nur den Kopf. Wenn Tyrone das übersah, dann war er dümmer als je zu vermuten gewagt. Und das konnte sich Jason beim besten Willen nicht vorstellen. Ein Mann, der fast eine ganze Stadt in der Hand hatte und mit den Menschen nach Belieben spielte, war klug genug, um zu sehen, dass sein treuer Handlanger nicht viel taugte. Warum er ihm dann überhaupt so viel Verantwortung übertrug? Aus Liebe? Dass Jason nicht lachte! Xander war doch ebenso nur ein Werkzeug wie alle anderen. Doch konnte er sich da wirklich sicher sein? „Gefühle“, knurrte er niederträchtig. Was waren schon Gefühle? Ein hinderliches Instrument beim Spiel um Leben und Tod! Und nichts anderes. Gleichgültig widmete sich Jason wieder den ganzen Unterlagen, die noch immer verstreut auf dem Bett lagen. Mit den erwähnten Namen konnte er also nichts anfangen. Das wäre auch zu leicht gewesen. Die Frage war nur, wie nicht existierende Namen auf urkundliche Papiere kamen? Wer zeichnete sie in Asht-Zero wirklich ab? Derjenige steckte auf jeden Fall in Tyrones Machenschaften mit drin. Notariell beglaubigen durften nicht viele Menschen in der Stadt. Jason musste also nur herausfinden, wer es durfte und sich einen nach anderen vorknöpfen. Bedächtig stand er auf, packte alles wieder feinsäuberlich zusammen und machte sich auf den Weg zum Standesamt, den Ort, wo unter anderem Sterbeurkunden ausgestellt wurden. Mit einem „Guten Morgen“ trat er an eine junge Frau heran, die sehr beschäftigt wirkte. Zumindest hatte sie bis eben eifrig ihre Finger über die Tastatur des vor ihr stehenden Computers fliegen lassen, nebenbei immer wieder den Kalender neben sich durchblättert und bis eben obendrein ein Telefonat geführt. Als sie aufblickte, war keinerlei Hektik in ihren dunkelbraunen Augen zu lesen. Sie schien den Stress auf dem Standesamt gewohnt zu sein. „Guten Morgen“, erwiderte sie mit einem sanften Lächeln. „Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Wie kann ich herausfinden, wer vor gut zweieinhalb Jahren hier die Sterbeurkunden unterschrieb?“, fragte er geradeheraus und mit ernster Miene. Er hielt nichts von Umschweifen. Die junge Frau sah ihn konsterniert an. „Das ist ja mal eine ungewöhnliche Frage“, begann sie dann zu lächeln. Jason erwiderte das Lächeln, auch wenn seine Augen davon unberührt blieben. „Ich tue mein Bestes.“ „Ich denke, Francis Kolme tritt hier bereits sein zwanzigstes Dienstjahr an, also sollte er auch vor zweieinhalb Jahren für die Sterbeurkunden verantwortlich gewesen sein“, sinnierte sie nachdenklich, während sie mit zwei ihrer Finger über ihre Stirn rieb. „Ist außer ihm noch jemand befugt, solche Bescheinigungen zu unterschreiben?“, hakte Jason weiter nach. Das freundliche Lächeln auf seinen Lippen hielt er bemüht aufrecht. „Heute nicht mehr“, runzelte sie die Stirn und wurde allmählich skeptisch. „Warum interessiert Sie das?“ „Also hat es jemanden gegeben, durch dessen Hände ebenfalls Sterbeurkunden gewandert sind?“, fuhr er unbeirrt fort. „Herr Kolme hatte in der Tat Unterstützung gehabt“, nickte sie, die Skepsis in ihrem Gesicht wuchs aber rasch. „Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein? Möchten Sie heiraten? Organisieren Sie eine Beerdigung?“ Obwohl sie immer noch freundlich war, merkte man ihr ihre zunehmende Unsicherheit an. „Nein, danke“, entgegnete Jason kühl. „Außer Sie können mir den Namen seines Helfers sagen.“ Da er keine Antwort erwartete, verbarg er seinen Zynismus auch nicht mehr länger. „Es ist besser, wenn Sie gehen“, stand Sie auf und dirigierte ihn mit einer Handbewegung zur Tür. „Sehr wohl, die Dame“, zückte er einen imaginären Hut und deutete eine Verbeugung an. Ohne Zeit zu verlieren verließ er das Standesamt. Wer war es, der die Sterbeurkunde seines Vaters mit einem falschen Namen unterschrieben hat? Ihm kam spontan eine Idee. Er zückte sein Handy und rief bereits zum zweiten Mal an diesem Tag die Auskunft an. „Verbinden Sie mich bitte mit Francis Kolme im ansässigen Standesamt.“ Kurz darauf tutete es. „Kolme, Standesamt Asht-Zero, schönen guten Morgen“, drang alsbald eine tiefe Stimme durch die Leitung. Jason entschied sich abermals für die direkte Art, wobei er sie dieses Mal mit ein paar Unwahrheiten schmückte: „Guten Morgen. Ich habe ein Problem mit der Sterbeurkunde meines Vaters. Aufgrund der damaligen Trauer ist mir nicht aufgefallen, dass sein Geburtsdatum nicht stimmt. Kann ich das bei Ihrem Kollegen ändern lassen?“ „Generell ist solch eine Änderung möglich, nur müssen Sie mit mir Vorlieb nehmen“, schmunzelte Kolme gen Ende seines Satzes. Kolme schien bisher keinen Verdacht zu schöpfen. Jason bemühte sich, noch ein wenig naiver zu klingen, damit der andere weiterhin seine Masche abnahm. „Oh, Ihr Kollege war damals so nett zu mir. Dann kann ich ihm ja gar nicht für seine aufbauenden Worte danken. Sie haben mich nämlich bis heute begleitet.“ Zum Glück konnte sein Gesprächspartner seine verächtliche Miene nicht sehen. Es war ihm zuwider, derart einfältig und treuherzig zu klingen. „Meinen Sie wirklich André Gaston? Das wäre mir neu, dass er mit Trauernden Mitgefühl hat.“ Nach einer kurzen Pause fuhr Kolme fort. „Vielleicht habe ich ihn doch all die Monate falsch eingeschätzt. Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht verletzen.“ Lächelnd klappte Jason sein Handy zu. „Sie haben mir mehr geholfen als Sie sich vorstellen können“, hauchte er leise vor sich hin. André Gaston hieß also der Schuldige. Mehr hatte er gar nicht wissen wollen. Kolme saß nun sicherlich verdutzt vor seinem Telefon, aber das interessierte ihn nicht. Nicht umsonst hatte er seinen Namen verschwiegen. Menschen konnten so leichtgläubig sein! Man musste ihnen nur etwas vorspielen und schon hatte man sie in der Hand. Da Kolme nur von Monaten sprach, hatte Tyrone Gaston sicherlich nur provisorisch als Angestellter im Standesamt untergebracht. Für den Fall, dass etwas Unvorhergesehenes passierte. Oder war der Tod von Kelvin gar geplant? Hatte sich Zundersby ihm schon immer auf diese Weise entledigen wollen? Ganze neue Perspektiven taten sich auf. War der Mord an seinem Vater in der Tat gewollt? Bis ins kleinste Detail geplant? Warum sonst sollte man einen Verbündeten in das Standesamt schmuggeln? Rein als Provisorium konnte solch eine Stelle dann doch nicht dienen. In Jasons Augen funkelte es. Ja, er zeigte gerade Gefühle. Unbändigen Zorn! Unverblümten Hass auf den Schlossherrn Tyrone von Zundersby! Auch wenn ihm alles andere egal war, seinen Vater hatte er geliebt. „Das wirst du mir büßen!“, presste er mühsam zwischen seinen Zähnen hervor. Nun galt es, diesen André auszumachen, womit er den Rest des Tages verbrachte. Die Stunden rannen dahin und Jason kam nur mühselig in seinen Nachforschungen voran. Es war gar nicht so leicht, diesen Mann ausfindig zu machen. Denn in Asht-Zero schien er nicht mehr zu wohnen, wenn er dort überhaupt jemals unter diesem Namen gelebt hat. Tyrone hatte in seinem Vorhaben, Kelvin aus dem Weg zu schaffen, anscheinend alle Register gezogen. Das musste Jason ihm anerkennen, wenn auch nur widerwillig. Doch es gab Zeugen des Mordes. Warum hatte Fathers Addendum nie Anklage gegen Tyrone erhoben? Warum hat selbst die FA den Mord vertuscht? Warum war weder Kenham noch Lance zur Polizei gegangen? Eigentlich konnte Jason sich die Frage leicht selbst beantworten. Nicht mal die Exekutive der Stadt war frei von Korruption und Bestechung. Hätte beispielsweise Kenham Anzeige erstattet, so wäre vermutlich er als Tatverdächtiger geendet. Tyrone hätte die Tatsachen in der Weise verdreht, dass Kenham kein Tageslicht mehr erblickt hätte. Und das wäre mit jedem anderen Mitglied der FA ebenfalls geschehen. Zudem bediente sich Fathers Addendum auch nicht immer rechter Mittel. Der eine oder andere Gesetzesbruch oder die eine oder andere Bestechung war auch auf ihrer Seite zu verbuchen. Unschuldslamm war keiner von ihnen. Ohne ein wenig Geld hierhin und dorthin zu schieben, konnte man sich keine Macht aufbauen. Und mit jeder Aktion in dieser Hinsicht hatten sie sich strafbar gemacht. Die FA muss im Verborgenen bleiben. Vielleicht schon aus dem Grund, weil Kelvin Sartaren alias [style type=„italic“]Father Dest der meist gesuchtes Mann der Stadt gewesen war. Käme heraus, dass sie für beziehungsweise mit ihm gearbeitet haben, wäre das das Ende. Für Jason stellte sich die nächste Frage. Warum hatte Tyrone diese Männer nie an den Pranger gestellt? Als seine Gedanken das hohe Versicherungsgebäude streiften, wusste er warum. Bis vor zwei Tagen hatte Tyrone keine Ahnung, wo ihr Geheimversteck war. Er hatte nichts gegen sie in der Hand gehabt. Langsam wurde es spannend. Sie lieferten sich gegenseitig einen Wettlauf gegen die Zeit, so wie es schien. Welche Seite würde am Ende triumphieren? Ein siegessicheres Lächeln zierte alsbald Jasons Lippen. Konzentriert ging er erneut das Telefonbuch von Asht-Zero durch. Es gab wirklich keinen André Gaston. Auch das Internet lieferte keine Adresse oder Telefonnummer. Zumindest nicht für diese Stadt. Unter seinem Namen gab es mehrere Treffer in der Suchmaschine zu verbuchen, wenn nicht sogar eine Menge. Der Name schien weit verbreitet zu sein. Das machte die Sache noch viel prekärer. Wie konnte Jason herausfinden, welcher André Gaston der Richtige war? Er wusste nichts über diesen Mann. Die Suche hatte er sich wesentlich leichter vorgestellt. Allmählich verblasste das Lächeln in seinem Gesicht. Doch Resignation machte sich noch lange nicht in ihm breit. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er einen Clou landete. Von ihr blieb ihm zwar nicht viel, aber er war nicht der Typ, der verlor. „Freu dich nicht zu früh, Tyrone von Zundersby“, meinte er in die Leere des Raumes. Bisweilen war er wieder bei sich zuhause und saß am Küchentisch, der Laptop stand direkt vor ihm, das Telefonbuch lag immer noch daneben. Der Abend rückte stetig näher und er hatte immer noch kein zufriedenstellendes Resultat zu verbuchen. In weniger als zwei Stunden stand das Treffen mit der FA an. Würde er dort mit leeren Händen auftauchen? Kapitel 13: - 13 - ------------------ - 13 - In der Tat kehrte er an diesem Abend mit leeren Händen in die Runde von Fathers Addendum zurück. Bisher hatte er den richtigen André Gaston nicht gefunden. Immerhin war er sich ziemlich sicher, dass das der wahre Name des von ihm gesuchten Mannes war. Denn bei der Einstellung in solch eine öffentlichen Einrichtung wie dem Standesamt war schon anzunehmen, dass die Daten des Bewerbers gründlich geprüft wurden. Selbst für Tyrone würde es schwer sein, dort seinen Einfluss vollkommen auszuspielen. Die völlige Korruption konnte man nicht ausschließen, aber ihre Wahrscheinlichkeit war verschwindend gering. Mit betont ernster Miene ließ er sich auf seinem Stuhl nieder und verschränkte die Hände, die er auf seine Beine bettete. Er versuchte sich lässig zurückzulehnen und sich die Anspannung nicht anmerken zu lassen, die trotz seines Widerstrebens in ihm immer weiter anwuchs. Er hasste diese Schwäche und selbst als Aspir konnte er sie nicht einfach in Nichts auflösen. Nur bemüht ruhig ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. Einige Augenpaare konzentrierten sich bereits auf ihn und weitere folgten alsbald. Jacksons Lippen beherbergten bereits ein abfälliges Grinsen. Dieses versuchte Jason ebenso zu übergehen wie die mitleidvolle Miene von Lance. Langsam schloss er die Lider. Immer wieder sog er die warme Luft des Saales tief in sich ein. Er hörte nun die ersten leisen Gespräche über seine Person aufkeimen… „Ihr solltet eure Zungen im Zaum halten!“ Seine Worte waren keinesfalls gerufen, eigentlich hatte er sie lediglich mit einem rauen Unterton von sich gegeben. Und doch war es auf einmal mucksmäuschenstill im Konferenzraum. Noch immer hatte er seine Augen geschlossen und als er sie eine ganze Weile später wieder öffnete, konnte er sehen, wie die Mitglieder der FA zurückwichen, selbst wenn es sich nur um ein paar Zentimeter handelte. Die absolute Kälte, die er ausstrahlte, ließ die Männer sogar teils das Atmen vergessen. Jasons Mundwinkel verformten sich zu einem eisigen Lächeln. „Ihr habt alle tatenlos dabei zugesehen, wie Kelvin Sartaren ermordet worden ist“, fuhr er vollkommen emotionslos fort. „Darum habt ihr kein Recht, über mich zu richten. Ihr wisst nichts über mich.“ Lance‘ Finger, die sich in die Stuhllehne krallten, quittierte er mit einem eisigen Blick. „Keiner hier hat sich je darum geschert, dass die Wahrheit mit meinem Vater zusammen begraben worden ist. Und gerade ihr beauftragt mich damit, Beweise an dem Mord zu sammeln. Ich muss euch wirklich ein Kompliment zusprechen, meine Herren. Dies ist der beste Weg, um einen unliebsamen Störenfried aus dem Weg zu räumen. Doch ihr habt euch verkalkuliert. Ich war es, der euch neue Hoffnung für den Sturz von Tyrone von Zundersby gab.“ Jason stand auf und stützte sich auf seine Hände, die er auf der Tischplatte auflegte. „Ich bin nicht der labile Mensch, für den ihr mich anscheinend hieltet. Ich bin näher an der Wahrheit als ihr euch vorzustellen wagt.“ Er hielt einen kurzen Moment inne und fuhr sich mit der Rechten übers Kinn. Dass noch immer Stille um ihn herum herrschte, unterstützte sein Vorhaben. Eigentlich hatte die FA ihm unsäglich geholfen. Nur wusste sie das noch nicht. „Dank euch habe ich eine Möglichkeit gefunden, mich ohne jedwede Hilfe Tyrone von Zundersbys zu entledigen. Darum kann ich euch nun sagen“, setzte er einen Schritt nach dem anderen zurück, den Fahrstuhl in seinem Rücken wissend, „dass seine Gehilfen seit Tagen vor diesem Gebäude lauern. Nun kann ich euch ihnen getrost ausliefern.“ Schallende Laute entflohen seinem Mund, ohne dass er darauf überhaupt Einfluss hatte. Er drückte den runden Knopf an der Wand neben dem Lift und hörte die Türen sanft aufgleiten. Erst als sie sich vor ihm wieder schlossen und sein Antlitz vor Fathers Addendum verbargen, verstummte er abrupt. „Solche Narren!“, schüttelte er unmerklich den Kopf, als er vor das große Gebäude an die frische Nachtluft trat. Warum war er eigentlich nervös gewesen? Die Frage tat er mit einem Schulterzucken ab. Denn er wusste es selbst nicht. Es stimmte. Er brauchte die FA nicht mehr. Sie hatte sich selbst das Messer in den Rücken gerammt, als sie ihm die scheinbar unlösbare Aufgabe gab, Tyrone des Mordes zu bezichtigen. Er war näher an der Wahrheit dran als ihnen lieb war. Er würde André Gaston finden, koste es, was es wolle. In den letzten Monaten hatte er viele Indizien sammeln können und das ohne ein einziges Mitglied der ehemaligen Anhänger seines Vaters. Er brauchte Fathers Addendum nur noch für eine Sache: Um sich Tyrone für ein paar Tage vom Hals zu halten! Der Schlossherr würde seine ganze Aufmerksamkeit auf Kenham, Jackson und die anderen lenken müssen, um gegen sie Herr zu werden. Und genau diese Zeit würde Jason zu nutzen wissen. Ein paar Tage vollkommener Handlungsfreiheit. Auch wenn Xander ihm auf den Fersen bleiben sollte, tat dies nichts zur Sache. Mit diesem Bengel würde er mit links fertig werden. Kaum hatte er an ihn gedacht, erblickte er ihn auf der anderen Straßenseite. Provozierend hob Jason seine Rechte und sah Xander direkt in die Augen. Zumindest dorthin, wo er sie vermutete. Der Jüngere hielt sich bewusst in den tiefen Schatten der Häuserschlucht und war für Jason nur schemenhaft zu erkennen. Er selbst stand dafür direkt im fahlen Schein einer Straßenlaterne, so dass sein Gegenüber keine Schwierigkeiten hatte, sein Gesicht zu erkennen. Auch jetzt strahlte er immer noch reine Kälte aus. Langsam trat Xander gefolgt von zwei Männern aus den Schatten heraus und überquerte die Straße, ohne Jason auch nur für eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Auf seinen Lippen lag weder ein Lächeln noch verzog er seine Mundwinkel zu einer anderen Gefühlsregung. Er wirkte bald so kalt wie der junge Sartaren, der sich nicht rührte und auf die Ankunft des Abgesandten seines schlimmsten Feindes wartete. Xander blieb direkt vor Jason stehen, seine beiden Begleiter hielten sich gut zwei Meter von ihm entfernt. „Ich hoffe, du erwartest keine Gegenleistung“, erhob Xander seine Stimme. Seine Worte drangen leise, aber bestimmt an Jasons Ohren. „Die erbringst du mir auch ohne dein wissentliches Zutun“, erwiderte Jason gleichgültig. Die harte Miene von Xander wackelte und doch schien er sich im letzten Moment wieder zu fangen, ehe er seine Unsicherheit völlig offenbarte. Doch es war bereits zu spät. Jason hatte sie längst erkannt. Xander war eben doch nur ein Nichtsnutz, auf den Tyrone fälschlicherweise baute. Aber was sollte es. Für ihn war das nur von Vorteil. „Du bist ziemlich selbstherrlich geworden, Jason Sartaren.“ Es hatte eine ganze Weile gedauert, ehe Xander wieder das Wort ergriffen hatte. Dafür trat er nun noch einen letzten Schritt an Jason heran, so dass sein heißer Atem die Wange des anderen ungehindert streifen konnte. „Wo ist nur der idealistische Bürgermeisteranwärter hin, der voller Leidenschaft und Gefühl eine bessere Welt schaffen wollte?“, hauchte er zart gegen Jasons Haut. „Möchtest du mir gleich das geben, was ich von dir verlange?“ Jason antwortete nicht auf die ihm seinerseits gestellte Frage. Und seine Gegenfrage ließ Xander leicht zusammenzucken. Der schien allmählich zu begreifen, auf was Jason hinauswollte. Doch anstatt zurückzuweichen, drängte er sich noch ein Stück näher. Er ging sogar so weit, eine Hand in Jasons Nacken zu betten und seine Finger sacht auf- und abstreichen zu lassen. Der Ältere begann kalt aufzulachen. „Dachtest du wirklich, ich würde mich durch dich beschmutzen wollen?“ Ehe Xander ihn verdutzt ansehen konnte, packte Jason seine Hand, die ihn verbotenerweise berührt hatte und ritzte mit seinen Fingernägeln die Haut auf ihrem Rücken auf. Ein Schrei erfüllte die Nacht und Xanders Getreue realisierten erst jetzt, was vorgefallen war. Doch ehe sie etwas gegen ihn unternehmen konnten, packte er Xander und hielt ihm eine Hand an den Hals. Dies glückte ihm aber nur, weil der Jüngere gerade nicht bei Sinnen war. Der Überraschungseffekt arbeitete für ihn. Doch das würde er nicht lange tun, weshalb er nun schnell handeln musste. „Wenn ihr ihn unversehrt wiederhaben wollt, dann tretet fünf Meter zurück!“, zischte Jason gefährlich. Die Männer waren für einen Moment hin- und hergerissen, doch sobald sie in Xanders verwirrtes Gesicht sahen, beschlossen sie, Jasons Aufforderung nachzukommen. Sie konnten den jungen Mann nicht einschätzen und zogen die sichere Variante hervor. Hätten sie allerdings gewusst, dass Jason noch immer ihrem Schützling kräftemäßig unterlegen war, hätten sie anders gehandelt. Doch diese ihre Chance, sich an Jason zu vergehen, sollten sie nie in Anspruch nehmen können. „Ich liefere euch die FA aus. Im Gegenzug dürft ihr euch um ihn hier kümmern“, versetzte er Xander einen kräftigen Stoß, so dass er den anderen beiden fast in die Arme fiel. Die allseitige Irritation nutzte er, um die Beine in die Hand zu nehmen und zu verschwinden. Bis er Xanders wütenden Befehl „Fasst ihn!“ hörte, war er nicht nur schon außer Reichweite, sondern konnte sich auch noch in ein Taxi retten, das auf Bereitschaft stand. Während Jason nach Hause gefahren wurde, zierte wieder ein eiskaltes Lächeln sein Gesicht. Nun hatte er Xander so richtig wütend gemacht. Eine Gefühlsregung, die den Jungen mit Sicherheit unvorsichtig werden ließ. Hatte er nicht gesagt, dass er ihm die Gegenleistung unwissentlich erbringen würde? Mit Zorn und Rachegelüsten würde Xander jedweden Ratschlag seiner Gehilfen in den Wind schlagen und sein eigenes Ding durchziehen. Nur war er dabei nicht besonders achtsam. Und genau das würde ihm zum Verhängnis werden und Jason zum Vorteil gereichen. Nun hatte er sich die Zeit verschafft, die er brauchte, um Tyrone das Handwerk zu legen. Der Schlossherr war mit der FA vollauf beschäftigt und mit Xander hatte er ein leichtes Spiel. Was sollte jetzt noch schief gehen? Besser konnte der Tag eigentlich nicht enden. Er drückte dem Mann vor ihm einen Geldschein in die Hand, verzichtete auf das Wechselgeld und stieg aus. Frische Luft umspielte sein Gesicht, die er jedoch nicht wahrnahm. In Gedanken war er bereits dabei, sich zu überlegen, wie er an André Gaston kam. Wo steckte der Kerl, der die Sterbeurkunde seines Vaters mit einem falschen Namen unterschrieben hat? Obwohl er die halbe Nacht an einem neuen Plan gefeilt hatte, stand er punkt acht Uhr am Morgen unter der Dusche und wusch sich den Schlaf aus den Augen. Unaufhaltsam perlten die Wassertropfen an seinem Körper ab und fielen achtlos in die Tiefe. Das Braun seiner Iriden heftete sich starr auf das makellose Weiß der Fliesen. Wenn sein Körper nicht nach Schlaf gelechzt hätte, hätte er ihm nicht einmal die dreieinhalb Stunden gegönnt, die er sich mit Gewalt genommen hatte. Ihm blieb nicht viel Zeit, um die Beweise für den Mord an seinem Vater zu sammeln, und kostbare Minuten verstrichen nur für solch unnötige Bedürfnisse wie schlafen und essen. Mit einer Handbewegung drehte er den Hahn ab und band sich ein Handtuch um die Hüften, mit dem er sich vorher notdürftig abtrocknete. Kaum trat er aus der Dusche, warf er sich über den Spiegel einen berechnenden Blick zu und ging anschließend barfuss in die Küche, um sich eine Tasse Kaffee einzuschenken. Ihm war jedes Mittel recht, um seinen Körper auf Touren zu bringen. Diese nutzlose Hülle, ohne die der Geist leider nicht existieren konnte. Während er das Porzellan an seinen Lippen ansetzte, ließ er sich auf einem der Küchenstühle nieder und klappte seinen Laptop auf. Auch wenn es in diesem Land viele André Gastons gab, würde er mit ein wenig Geschick und mit Hilfe eines ausgetüftelten Ausschlussverfahrens die Auswahl bedeutend verringern können. Doch ehe er seine Suche begann, stand er noch mal auf und sah aus dem Fenster. Ob der Bestätigung seiner Vermutung musste er lächeln. Trotz helligten Tages standen die beiden Männer, die Xander in der Nacht begleitet hatten, unten auf der Straße an die gegenüberliegende Hauswand gelehnt. Wenn sie dachten, er würde sich dadurch aus der Ruhe bringen lassen, hatten sie sich geirrt. Vielmehr amüsierte es ihn, dass Xander ihm seine Männer auf dem Präsentierteller auslieferte. Jason griff zum Telefon und wählte eine kurze Reihenfolge von Ziffern. Als sich eine Dame von der örtlichen Polizeibehörde meldete, meinte er mit aufgeregter und verstellter Stimme: „Bei unseren Nachbarn wird gerade eingebrochen. Zwei große Männer in langen Mänteln versuchen seit ein paar Minuten, das Fenster mit einer Brechstange aufzuhebeln.“ Die Frau am anderen Ende der Leitung versuchte ihn zu beruhigen, doch er ließ sich nicht aus seiner Rolle drängen und gab ihr nach ein paar nervösen Seufzern die Adresse durch, bei der der vermeintliche Einbruch stattfände. Als er auflegte, straffte er seine Haltung wieder und schüttelte den Rest seiner gespielten Aufgebrachtheit ab, die ihm noch anhaftete. Xanders Männer würden in ein paar Minuten erst einmal für eine Weile beschäftigt sein, wodurch er ungesehen seine Wohnung verlassen können würde. Und genau das hatte er vor. Nach einer kurzen Recherche im Internet, notierte er sich einen Namen auf einem kleinen gelben Zettel, ging kurz ins Schlafzimmer, streifte sich dort ein paar Kleidungsstücke über, zog dann Schuhe und Jacke an und wartete auf Lauerstellung auf das Eintreffen der Polizei. Als er die ersten Häuserblöcke hinter sich gelassen hatte, blieb er abrupt stehen und sah in die Richtung, aus der er gekommen war. Das war eigentlich viel zu leicht gewesen. Xanders Gehilfen schienen in der Tat vollkommen überrumpelt gewesen zu sein, als die Polizisten auf sie zutraten. Jason schüttelte schon gar nicht mehr den Kopf über so viel Dummheit und Unprofessionalität. Vielleicht war ihre Verwirrung auch nur vorgetäuscht und er wurde weiterhin beschattet, eventuell durch Xander höchstselbst, doch das konnte er sich nicht vorstellen. Zwar schloss er diese Option nicht völlig aus, aber so recht glaubte er auch nicht an sie. Vielmehr hakte er diesen seinen Gedanken als unsinnig ab. Xander war ein Vollblutlaie und würde das auch immer bleiben. Spitzeleigenschaften konnte er nun mal nicht sein eigen nennen. Genauso wenig traute Jason ihm das Planen im Voraus zu. Allmählich baute sich vor dem jungen Sartaren die Stadtbibliothek auf. Er brauchte einen Ort, um in Ruhe nach weiteren Informationen über André Gaston suchen zu können. Da er Xanders Männer nicht wissen lassen wollte, wo er ist, zudem eine Überwachung seines Internetanschlusses nicht ausschließen konnte, musste er auf probatere Mittel zurückgreifen. Und wer würde ihn schon in der Bibliothek vermuten? Er sollte besseres zu tun haben als nach Büchern zu suchen. Aber dass dort bisweilen Computer samt der Möglichkeit, im Internet zu surfen, zu finden waren, bedachte man meist nicht. Auch er hat sich nur durch Zufall daran erinnert, als er in der Nacht darüber nachgedacht hat, wo er seine Nachforschungen fortführen sollte. Er musste den Kreis der André Gastons deutlich einschränken und ihm blieb nicht viel Zeit dafür. Schnellen Schrittes durchquerte er den lang gezogenen Eingangsbereich und erspähte auch schon die besagten Computer. Glücklicherweise waren nicht alle belegt, obwohl ziemlich viel los war. Einige, wenn nicht gar sehr viele Menschen tummelten sich in dem großen Saal, in dem er sich nun befand und auf einem einfachen, schwarzen Plastikstuhl niederließ. Entgegen aller Erwartungen schienen Bücher wieder groß in Mode zu sein. Oder die Leute hatten einfach zu viel Langeweile und dachten sich, ein sporadischer Besuch in der Bibliothek könnte ganz nett sein. Jason war das gleichgültig. Was interessierten ihn die Belange anderer? Tyrone war der einzige, dem er Aufmerksamkeit zollte! Tyrone von Zundersby und niemand anderem! Innerhalb von dreißig Minuten hatte er den Kreis um den wahren André Gaston sehr eng gezogen. Einige Suchkriterien, die er sich überlegt hatte, waren wahre Goldgruben gewesen. Allerdings saß Jason mit eiserne Miene vor seinem Monitor und verzog seine Mundwinkel zu keinerlei Gefühlsregung. Er konnte keine Freude darüber empfinden, dass immer noch 14 Personen auf seiner Liste standen, die allesamt das Beweisstück Nummer 1 gegen den selbstgefälligen Schlossherrn verkörpern konnten. Kritisch ließ er seinen Blick über die Namen schweifen. Immer derselbe Name und doch war keiner gleich dem anderen. Jeder hatte andere Eigenschaften, die ihn eindeutig identifizierten. Sei es durch eine Mitgliedschaft in irgendeinem Sport- oder Musikverein, durch das Führen einer Homepage oder durch das Erwähnen in irgendeinem Online-Artikel. Und dennoch kamen sie alle in Frage, die von ihm gesuchte Person zu sein. Mittels kleiner, aber effektiver Projektionen hatte Jason bisher die Zahl der Verdächtigen deutlich verringern können. Sei es durch eine Intervallspanne des Alters gewesen oder aufgrund von Fotos, die im Netz zu finden waren. Schließlich wusste Jason, dass der Mann kein Sympathieträger war. Und doch konnte er unter den Verbliebenen nicht sagen, wer der Richtige war. Er hob den Kopf an und ließ seinen Blick durch den großen Saal schweifen. Xander oder seine Gefolgschaft waren nirgends zu sehen. Und auch sonst schien ihn keiner wahrzunehmen. Jeder war auf sich selbst und die zahlreichen Bücher in den Regalen konzentriert. Nur der kleine Junge, der direkt neben ihm an einem der anderen Computer saß, starrte ihn mit großen Augen an. Selbst als Jason den Blick erwiderte, ließ sich der Kleine nicht einschüchtern. Es war schon erstaunlich, dass solch gestandene Männer wie die FA vor ihm zurückgewichen waren und so ein Kind keine Angst vor ihm zu haben schien. „Komm, Ryan“, legte eine junge blonde Frau ihre Hände auf die Schultern des Kleinen. „Mama ist fertig. Außerdem habe ich dir schon hundert Mal gesagt, dass es sich nicht gehört, andere Leute so offen anzustarren.“ Entschuldigend nickte sie in Richtung Jason, doch sie beachtete ihn nicht weiter. Vermutlich zu ihrem Glück. Hätte sie in diese kalten braunen Iriden gesehen, wäre sie ohnehin nur erschrocken. Jason sah den beiden nicht nach, als sie gen Ausgang liefen, sondern heftete seinen Blick bereits wieder starr auf das Display direkt vor ihm. Was kümmerte ihn das Familienleben anderer. Es gab Wichtigeres. Und dieses Etwas hieß Tyrone von Zundersby. Vielleicht war er besessen. Aber was war so schlimm daran, den Mörder seines Vaters fallen sehen zu wollen? Kapitel 14: - 14 - ------------------ - 14 - Besessenheit konnte gefährlich sein. Und sie war nicht unabdingbar ein Grund erfolgreich zu sein. Jason hatte bereits zwölf der verbliebenen André Gastons von seiner Liste eliminieren können und doch wurde er immer noch nicht nervös. Eigentlich empfand er nichts außer der Freude, Tyrone von Zundersby den Stoß des Verderbens setzen zu können. Seine Augen wanderten über den Zettel, der vor ihm lag und auf dem nur noch zwei Adressen standen, die nicht mittels einer fetten, roten Linie durchgestrichen waren. Es war nicht Freude üblicher Art, die ihn durchtränkte. Nicht dieses positive Gefühl, wenn man etwas Schönes oder Aufregendes erwartete. Ihn durchflutete nicht die Emotion, die man kannte und als völlig normal erachtete. Er wollte Tyrone leiden sehen. Er wollte ihm alles nehmen, was ihm wichtig war. Die Macht! Den Einfluss! Das Netz der Korruption, das von ihm gesponnen worden war! Ihm alles wegnehmen, was sein Leben verkörperte. Und auf diesen Moment des Untergangs des verachtungswürdigen Schlossherrn wartete Jason. Er ersehnte diesen Augenblick seiner rühmlichen Tat! Und das tat er so sehr, dass er dafür alles tat. Und wenn hier von allem die Rede ist, dann ist damit wahrhaftig alles gemeint. Bisweilen war es zwei Uhr und Xanders Männer haben sich immer noch nicht blicken lassen. In der Bibliothek herrschte reges Kommen und Gehen, doch unter den vielen Menschen war niemand, auf den Jason besonders Acht geben müsste. Eigentlich war es ziemlich ruhig um ihn herum. Wie es sich für eine Bibliothek auch nicht anders gehörte. Ab und an hätte er sogar seine eigene Atmung hören können, wenn er genau auf sie geachtet hätte. Selbst die Lüfter der etwa zehn Computer waren erstaunlich leise. Doch Jason konzentrierte sich einzig auf sein Vorhaben, obgleich seine Gedanken des Öfteren dennoch abschweiften. Immer wieder fluteten Bilder sein Gehirn, die ihm alle möglichen Szenarien zwischen Zundersbys Männer und Fathers Addendum zeigten. Mit Sicherheit bekriegten sie sich weder mit Fäusten noch mit anderen körperlichen Einsätzen. Ihre Vorgehensweise der gegenseitigen Bekämpfung beruhte eher auf einer etwas harmloseren Weise. Zumindest was die körperlichen Qualen anging. Mittels Mord und Totschlag brachten sie sich nur selbst in Schwierigkeiten, selbst wenn Tyrones Seite die Vertuschung eines Mordes bereits einmal gelungen war. Doch auch hier gab es Grenzen. Nicht einmal ein Mann wie Tyrone von Zundersby konnte ständig Männer unter die Erde befördern und ungeschoren davon kommen. So weit reichte sein Einfluss nicht! Oder etwa doch? Darüber machte sich Jason keine Gedanken. Er brauchte die FA nicht mehr. Also was kümmerte es ihn, ob sie lebendig in ihrem Konferenzzimmer verweilte und nichts Erfolgreiches gegen Tyrone unternahm oder ob sie mit dem nächsten Leichenwagen davonfuhr? Vor seinem geistigen Auge taten sich ohnehin eher Bilder auf, die irgendwelche hochkarätigen Dokumente, Verträge, Artikel und triumphale Gesichter aufzeigten. Bilder des unterschwelligen Gefühls, der anderen Partei eins ausgewischt zu haben. Mit Hilfe von Intrigen, Verleumdungen und anderen skurrilen Methoden. Sollten sie doch tun und lassen, was ihnen beliebte! Er würde schon selbst dafür sorgen, dass Zundersby seine gerechte Strafe bekam. Alles andere war nicht von Wichtigkeit. Das Herunterfallen eines Buches ließ Jason doch noch einmal aufsehen, schließlich traute er Xander aufgrund seiner Schusseligkeit eine Menge zu. Doch als er zu der Stelle sah, von wo das laute Knallen ertönt war, erblickte er nur ein junges Mädchen, das sich immer wieder für ihre Unachtsamkeit beim Bibliothekar entschuldigte. Ihrer ungeachtet senkte Jason seinen Blick wieder. André Gaston… Ein Name, der viele Gesichter hatte. Und nur eines gehörte Tyrones Helfer. Für Geld taten Menschen alles. Selbst den Mord an einem ehrenwerten Mann vertuschen. Unbewusst ballte sich Jasons Linke zu einer Faust. Die Finger seiner rechten Hand verweilten unentwegt auf der Maus und durchforsteten mittels ein paar Klicks das world wide web. Es war schon wirklich bemerkenswert, was man über fremde Personen im Internet herausfand. Nicht nur Adresse, Telefonnummer konnte man über sie Erfahrung bringen, sondern meist auch ihren beruflichen Werdegang, ihre alte Schule und noch mehr privater Dinge. Eigentlich war es schon erschreckend, dass die Anonymität heutzutage nur noch mehr einem Schein glich. Im Prinzip konnte man so ziemlich alles über einen Menschen erfahren, wenn man nur lange genug und mit einer gewissen Methodik danach suchte. Darum bewerkstelligte es Jason endlich, den vorletzten Namen von seiner Liste zu streichen. Ein Mann Mitte Vierzig, der seit vier Jahren seine Mutter pflegte und als Postbote sein Geld verdiente, kam nicht als Verdächtiger in Frage. Was man mit Hilfe von Foren und Chats nicht alles erfahren konnte. Jason nahm den Rotstift zur Hand und kastelte den zuletzt verbliebenen André Gaston ein. Fünf Stunden intensiver Suche waren vorüber. Er hatte ihn! Vollkommen gelassen schloss Jason die zig Fenster des Browsers, in denen er sich all die Informationen beschafft hatte. Anschließend stand er auf und schob den Stuhl, auf dem er bis eben gesessen hatte, sorgfältig bis an die Tischkante. Mitsamt aller gewonnen Daten über den einzig wahren André Gaston lief er durch den großen Saal. Ehe er nach draußen auf die belebte Straße trat, streifte er sich seine Jacke über und schloss ihren Reißverschluss in aller Gemächlichkeit. Solange ihm keiner in die Augen sah, nahm ihn auch keiner wahr. Er hatte an diesem Tag nichts Auffälliges an sich, bis auf diesen kalten, berechnenden Blick, den er fast schon sein eigen nennen konnte. So kalt das Braun seiner Iriden auch war, so unscheinbar konnte er auf andere wirken. Zwar müssten ihn alle aufgrund seiner Bürgermeisterkandidatur in Asht-Zero kennen, doch wer nahm schon einen jungen Mann wahr, der in seinen Augen kläglich gescheitert war und über den man seit Monaten keine Schlagzeilen mehr las? Aus den Augen, aus dem Sinn. Während man im einen Moment im Interesse aller stand, war man im nächsten ein Nichts, der es nicht einmal mehr wert war angesehen zu werden. Doch Jason konnte es nur recht sein. Somit musste er lediglich auf Xander und Konsorten achten, die er weder in seiner unmittelbaren Nähe noch auf der gegenüberliegenden Straßenseite ausmachen konnte. Er lief langsam die lange Treppe seitlich des Bibliotheksgebäudes hinab gen Innenstadt. Er benötigte ein Telefon, das mit hundertprozentiger Sicherheit nicht überwacht wurde. Selbst wenn Kenham für eine einwandfreie Telefonleitung gesorgt haben sollte, so wollte sich Jason nicht darauf verlassen. Tyrone war zuzutrauen, immer eine kleine Hintertür zu finden. Und Hintertüren hab es in der Politik zuhauf. Und der Schlossherr wusste, wie sie zu finden waren. Aber dazu würde er nicht mehr lange die Möglichkeiten haben. Dafür würde Jason schon sorgen! Kurz bevor es zum Marktplatz ging, stand eine Reihe von frei nutzbaren Telefonapparaten auf der rechten Straßenseite. Trotz des technischen Fortschritts konnten noch Münzen eingeschmissen werden. Zum ersten Mal in seinem Leben dankte Jason dem vergreisten Stadtrat, denn er besaß werde eine Telefonkarte noch wollte er mit seiner EC-Karte das Gespräch bezahlen. Stattdessen kramte er in seinem Geldbeutel nach ein paar Münzen und warf sie in den Automaten. Als das Freizeichen ertönte, wählte er eine zehnstellige Nummer. Der von ihm gesuchte André Gaston wohnte um die zweihundert Kilometer entfernt in einer kleinen Stadt namens Findin Rasp. Bis zu seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr hat er dort ganz in der Nähe Jura studiert und ist vor gut zwei Jahren erst wieder dorthin gezogen. Seine Karriere als Anwalt war nur von kurzer Dauer gewesen. Nach einem Dutzend verlorener Fälle in Folge hatte ihn keiner mehr engagieren wollen. Über sein nachfolgendes Leben war im Netz nicht viel zu finden gewesen. Doch allein die Tatsache, dass er jetzt als Beamter in der Gemeinde von Findin Rasp arbeitete, war für Jason eine Bestätigung, dass es sich um den richtigen Mann handeln musste. Zumal er alle anderen aufgrund verschiedenster Merkmale hatte ausschließen können. Es läutete. „Gaston?“, ertönte nach dem vierten Läuten eine tiefe Stimme, die einen leicht melancholischen Unterton innehatte. Jason hatte sich in der Nacht lange Gedanken darum gemacht, wie er dem wahren André Gaston begegnen würde. Eine falsche Identität würde nicht genug Überzeugungskraft besitzen, um die nötige Hilfe von dem Mann zu erwarten, der ihm als einziger Tyrone ausliefern konnte. Er musste genug Druck auf Gaston ausüben können, um diesen zu einem Geständnis zu bewegen. Nur mit direkter Konfrontation konnte er sein Ziel erreichen! „Hier spricht Jason Sartaren“, erwiderte er offensiv. Er wartete auf ein alarmiertes Signal des anderen, doch weder drang ein Seufzen durch die Leitung noch zog Gaston die Luft scharf ein. Es kam lediglich ein fragendes „Wer?“ zurück. Jason wiederholte seinen Namen nicht, dafür sprach er laut und deutlich: „Asht-Zero, Fälschen von Sterbeurkunden.“ Noch immer reagierte Gaston nicht auf seine Anspielungen. „Mit wem spreche ich?“, fragte er abermals eher irritiert als schockiert. „Hat es Ihnen Spaß bereitet, einem Mann wie Zundersby einen Mord durchgehen zu lassen?“, setzte Jason eins oben drauf. Wenn Gaston nun immer noch den Unschuldigen mimte, dann hatte er eiserne Nerven als angenommen. „Mit wem rede ich verflucht noch mal?“, kam es nun um einige Nuancen erhitzter zurück. Gaston war doch kein Mann aus Drahtseilen! „Wie viel hat Tyrone Ihnen geboten? Konnten Sie sich damit ein Haus kaufen? Oder gar eine Luxuslimousine?“ Jason fuhr dort fort, wo er geendet hatte. Warum ein weiteres Mal seinen Namen preisgeben? Vielleicht war es vorläufig von Vorteil, wenn Gaston nicht wusste, mit wem er sprach. Er würde noch bald genug erahnen können, mit wem er es gerade zu tun hatte! „Oder eine Yacht? Was hat er Ihnen geboten, André Gaston?“ „Was erdreisten Sie sich?“ „War Ihnen nicht klar, dass ich Sie finden werde? Es war nur eine Frage der Zeit, bis man Ihnen auf die Schliche kommen würde!“ „Das muss ich mir nicht länger bieten lassen.“ Doch ehe Gaston auflegen konnte, sagte Jason etwas, das ihn stocken ließ: „Wie geht‘s Ihrer Tochter Yasmin?“ Gaston hatte eine Familie, zumindest nach dem Stand von vor zwanzig Jahren. Zu seiner Zeit als Anwalt hatte er zusammen mit seiner Frau zwei Kinder, ein Mädchen und einen Jungen, bekommen. Was war ein besseres Druckmittel als das eigen Fleisch und Blut? Immerhin hatte Jason nun Gastons volle Aufmerksamkeit. Dies war ein guter Anfang. André Gaston brauchte eine Weile, ehe er wieder etwas sagte. Doch das, was er dann von sich gab, klang dafür umso schneidender: „Lassen Sie die Finger von meiner Tochter!“ „Wenn Sie mir im Gegenzug eine Aussage unterschreiben“, zuckte Jason gleichgültig die Schultern, wenngleich das sein Gesprächspartner nicht sehen konnte. Doch in seiner Stimme war das Desinteresse an der Drohung seitens Gastons deutlich zu hören. „Was wollen Sie eigentlich von mir?“ Endlich kamen sie auf den Punkt! Mit dem Zeigefinger seiner Rechten fuhr Jason den Grundriss des Telefonautomaten nach. „Sagen Sie gegen Zundersby aus. Bestätigen Sie, dass er Sie im hiesigen Standesamt angestellt hat, um den Mord an Kelvin Sartaren zu vertuschen.“ „Ich verstehe immer noch nicht…“, kam es verwirrt zurück. „Wer ist dieser Zundersby überhaupt?“ „Stellen Sie sich nicht dumm!“, entgegnete Jason nun forsch. Allmählich wurde es ihm zu bunt mit diesem André Gaston. Er hatte nicht die Zeit, ihm groß und breit zu erklären, was er von ihm wollte. Außerdem war dies nicht mal nötig, da Gaston genau wissen sollte, um was es hier ging. „Ich habe wirklich noch nie von diesem Zundersby gehört. Was ist nun mit meiner Tochter?“, fügte Gaston besorgt an. „Wir wissen beide, dass Ihre Karriere als Anwalt mehr schlecht als recht war“, meinte Jason gelassen. „Und um an das nötige Kleingeld zu kommen, haben Sie sich von Zundersby kaufen lassen, um für ihn die Drecksarbeit zu erledigen. Und als man Sie nicht mehr brauchte, sind Sie zurück nach Findin Rasp gezogen.“ „Ich habe wirklich keine Ahnung, wovon Sie reden. Ich kann Ihnen nur raten, die Finger von Yasmin zu lassen. Wenn Sie ihr auch nur ein Haar krümmen, werden Sie das bitter bereuen.“ In Gastons Worten lag Ehrlichkeit. Und das irritierte Jason. „Nun geben Sie schon zu, dass Sie sich bestechen ließen und kurzfristig Zundersbys Gefolgsmann waren!“, versuchte es der junge Sartaren noch einmal ruhig und herausfordernd. „Ich habe mich nie von irgendwem kaufen lassen! Vielleicht habe ich als Anwalt versagt, ja kann sein, aber deshalb habe ich meine Familie noch lange nicht auf unehrliche Art und Weise über die Runden gebracht!“ Jasons Finger bohrten sich schmerzhaft in das metallene Gehäuse des Münzapparates. Er konnte sich nicht vertan haben! Oder etwa doch? „Sie wollen mir sagen, dass Sie niemals im Auftrag von Zundersby in Asht-Zero gelebt haben, um für den Fall der Fälle eine einzige Sterbeurkunde in seinem Namen zu unterschreiben?“ Da er es nicht glauben konnte, sich geirrt zu haben, forderte er Gaston noch einmal heraus. Mit allem Nachdruck, den er aufbieten konnte. „Kommen Sie schon, Gaston“, fuhr er auch sogleich fort. „Geben Sie es zu. Jeder braucht mal Geld. Vor allem wenn er zwei Kinder durchzubringen hat.“ „Lassen Sie endlich meine Familie aus dem Spiel… Sie sind tot!“ Es schien, als ob Gaston in Tränen ausbrechen würde. Ein undefinierbares Schluchzen war aus der Leitung zu vernehmen. „Randy und Francis sind tot!… Und ich rate Ihnen“, kam es nun wieder gefasster zurück, „sich von meiner Tochter fernzuhalten. Ich habe nie in Asht-Zero gelebt. Zudem kenne ich keinen Zundersby. Suchen Sie sich einen anderen Sündenbock!“ Damit legte Gaston auf. Erst Sekunden später hängte Jason den Hörer wieder auf die Gabel. Sein Blick durchbohrte das Telefon. Vielleicht war André Gaston doch nicht der wahre Name von Tyrones Gehilfen gewesen. Vielleicht hatte er sich in seiner Auswahl doch vertan? - Eine Möglichkeit, die er nicht in Betracht zog, aber die dennoch bestand. Er hatte keine andere Wahl. Nun gab es nur noch einen Weg, um Tyrone zu belasten. Er hatte nicht mehr die Zeit, um weitere Nachforschungen anzustellen. Möglicherweise wusste Xander bereits, wo er sich gerade aufhielt. Und mehr als ein oder zwei Tage gab er weder Zundersby noch Kenham, um ihren Disput auszutragen. Tyrone von Zundersby hatte nur darauf gewartet, um zu erfahren, wo sich Fathers Addendum aufhielt. Jasons nächstes Ziel war der Friedhof. Und wenn er mit seinen Händen die Leiche seines Vaters ausgraben musste. Er würde an den Beweis kommen, um Tyrone das Handwerk zu legen. Er war zu allem bereit! Mit einem geisterhaften Lächeln vergrub er seine Hände in den Jackentaschen und strebte den Weg zum städtischen Friedhof an. ~~~ In zarten Schwingen der Welt enthoben ~~~ Sira Sartaren 07.Januar 1968 † 25.August 1984 (geb. Withdon) Kelvin Sartaren 14.März 1961 † 10.Juni 2005 Das Grab seiner Eltern. Der schwarze, marmorne Stein mit seinen weißen Lettern war vor nicht allzu langer Zeit für ihn heilig gewesen. Doch seit seinem letzten Besuch hatte sich einiges geändert. Viel war geschehen. Die Welt hatte sich unaufhaltsam weiter gedreht. Ein paar Monate waren vergangen. Mit viel zu nüchternem Blick sah er auf den Stein hernieder. Zwar las er die Inschrift, die Namen seiner Eltern, aber es weckte keine Emotion in ihm. In seinem Kopf spukte nur eines: Finde den Beweis, um Tyrone zu stürzen! Besessenheit konnte krankhaft sein. Und obwohl sich Jason einmal für eine bessere Welt eingesetzt hatte, kniete er nieder und begann die Blumen aus der Erde zu reißen. „Das ist nicht dein Ernst, oder etwa doch?“ Kapitel 15: - 15 - ------------------ - 15 - „Das ist nicht dein Ernst, oder etwa doch?“ Wenn es nicht sein Ernst wäre, wäre er nicht hier und würde gerade nicht mit bloßen Händen das Grab seiner Eltern zerlegen. Er würde seine Hände nicht immer wieder tief in die Erde drücken, um sie anschließend achtlos zur Seite zu schaufeln. Er würde nicht den Dreck tief unter seinen Fingernägeln spüren und die ersten blutigen Kratzer von kleinen Steinchen, die seine Haut zerrissen, gleichgültig hinnehmen. Warme zähe Flüssigkeit vermischte sich mit der kalten braunen Schicht, die einst eine Gedenkstätte für ihn bildete. Sein Vater war der einzige Beweis, den er hatte. Die Leiche seines Vaters, um genau zu sein. Die Wunde an seinem Körper, um es noch näher zu spezifizieren. Ein Einschussloch. Das Indiz schlechthin für einen Mord. Ein Mord, den Zundersby verübt hat. Wie eine Maschine tauchte er seine Arme immer wieder in die Erde und zog sie voll geladen wieder heraus. Irgendwo tief unten lauerte der Sturz Zundersbys. Das erbarmslose Reißen der Tiefe, die nur noch nach dem Schlossherrn lechzte. Jason hörte sie bereits höhnen. Er hörte das spöttische Rufen, den verächtlichen Gesang des Untergangs. Schweißperlen bildeten sich ungeachtet auf seiner Stirn, die sich einen Weg über seine Wangen hinweg gen Kinn bahnten, um letztlich herniederzufallen, um sich mit der Erde zu vereinen. Er wurde eins mit dem Grab seiner Eltern. „Weißt du eigentlich, was du tust?“ Da war sie wieder. Die Stimme, die ihn missachtete. Der Mensch, der für alles verantwortlich war. Es wäre ein Leichtes gewesen, Tyrone aufzuhalten. Eine kleine Bewegung. Eine winzige Reaktion. Was war schon ein Verrat seinerseits, um einen ehrenwerten Mann zu retten? Seine Identität ist anschließend doch ohnehin aufgeflogen. Warum hat er nicht gehandelt, als er die Chance dazu hatte? Was wollte Lance von ihm? Warum konnte er nicht dorthin verschwinden, wo er hergekommen war? Und diese Verachtung in seinen Worten. Natürlich wusste er, was er hier tat! Er war dabei, sich den einzig verbliebenen Beweis zu verschaffen. Wie sollte er Tyrone von Zundersby sonst fallen sehen? Alles! Wirklich alles wollte er diesem selbstherrlichen, egozentrischen und blutrünstigen Mörder nehmen! All die Macht, die er besaß! All den Ruhm, den er in der Stadt genoss! All die Anhänger, die er um sich geschart hatte! Einfach alles! Dieser Mann sollte sehen, wie es war, dem Abgrund immer näher zu rücken und irgendwann haltlos in die Tiefe zu stürzen. Immer weiter hinab gen ungnädiger Finsternis. Die einen packt! Einen umhüllt! Und einen nie wieder freigibt! Zundersby sollte am eigenen Leib erfahren, wie es ist, dem Untergang geweiht zu sein. Ein Untergang, von dem er sich nie wieder erholen würde. Ja, genau das war die gerechte Strafe. Ein irres Lächeln befiel Jasons Gesichtszüge. Umrahmt von den salzigen Perlen, die unaufhörlich von seiner Stirn hinab rannen. Am Himmel brach die graue Wolkendecke auf und ein paar Sonnenstrahlen tauchten den Friedhof in ein warmes fahlgelbes Licht. Irgendwie wirkte der Ort mit einem Mal vollkommen friedlich und freundlich. Als ob man dort sorgenfrei und unbeschwert wandeln könnte. Als ob dort nicht Tod und Trauer verborgen lagen. Um Jason funkelte es auf einmal. Die Blumen, die er herausgerissen hatte, erstrahlten plötzlich. Doch als ob es der Himmel gewusst hätte, dass ihn das berührte, schloss er sich wieder. Zurück blieb dieselbe Trostlosigkeit, die schon vor dem kurzen Spiel mit den Farben vorgeherrscht hatte. Jason dachte nicht darüber nach, wie seine Hände zu agieren hatten. Sie gruben von ganz allein. In seinem Kopf herrschte nur noch der Durst nach Rache. Er stellte sich vor, wie Tyrone erfuhr, dass er ausgespielt hatte. Wie ihm all das genommen wurde, was ihm wichtig war. Wie er Stück für Stück aus seinem Leben gerissen wurde. Wie er immer wieder laut Jasons Namen schrie und peu a peu dem Abgrund näher rückte. Ja, so wollte Jason den Schlossherrn sehen. Tyrone sollte quälend langsam von der Dunkelheit verschlungen werden und sich Schritt für Schritt der unabdingbaren Verzweiflung hingeben. Jason hatte jedwedes Zeitgefühl verloren. Er wusste nicht, wie lange er dafür gebraucht hatte, um das Grab vor sich zu ebnen. Nun hieß es, richtig in die Tiefe zu graben. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich Schaufel oder Spaten zu besorgen. Er hatte keine wertvolle Sekunde verlieren wollen, um hierher zu kommen und endlich den einzig wahren Beweis in Händen zu halten. Auf allen vieren buddelte er nach dem Sarg seines Vaters. „Jason!“, legte sich mit Gewalt ein Arm um seine Hüfte. Doch er machte weiter. Immer wieder berührten seine Hände die Erde und stießen sie beiseite. Sein Blick war völlig leer. Außer dem Sarg in der Tiefe gab es nichts mehr. Nicht einmal mehr den marmornen Grabstein nahm er mehr wahr, obwohl er direkt vor ihm stand. Vollkommen unbewusst wehrte er sich gegen die Kraft, die auf seinen Körper ausgeübt wurde. Immer wieder glitt sein Ellbogen nach hinten, um die Gewalt loszuwerden, die ihn daran hindern wollte, an die Leiche seines Vaters zu dringen. Er fühlte nichts als den Wunsch, Tyrones verhasstes Gesicht entgleiten zu sehen. Er war Zundersbys Untergang so nah. Nicht einmal drei Meter trennten ihn und Tyrones Sturz. Wie ein Kartenhaus würde das Netz seiner Macht einstürzen. „JASON!“ Wie konnte Lance in diesem Moment nur so vorwurfsvoll klingen? Er war so dicht dran, dem Schlossherrn das Handwerk zu legen. Der junge Mann hinter ihm sollte stolz auf ihn sein, zumal er alles verschuldet hatte. Ohne ihn würde Kelvin Sartaren noch leben. Wider aller Vernunft hieb er um sich und versuchte immer wieder eine handvoll Erde zu erhaschen, die er auf den angehäuften Berg schmiss. Er wollte graben. Immer weiter graben. Bis er auf die harte Holzkiste stieß! Er konnte jetzt nicht aufhören! Nein, er wollte sich nicht immer weiter von Tyrones Untergang entfernen! Er musste zurück! „Ich muss zurück!“, schrie er aus voller Kehle. Warum wurde er gerade jetzt von dem Grab weggezogen? Er war doch so nah! So nah! Der Beweis war so nah! Er konnte jetzt nicht aufhören! Er wollte zurück! „ZURÜCK!“ Seine Stimme hallte tausendfach in der Ferne wider. Und doch wurde er nicht erhört. Er wollte doch nur zurück. Kein Schlag nützte, um sich aus dem klammernden Griff zu befreien. Mit Händen und Füßen wehrte er sich. Doch er kam nicht frei. So sehr er sich auch streckte, er erreichte die Erde nicht mehr. Das durfte nicht wahr sein! Er war doch so nah! Verdammt! So nah! Nur noch dieses bisschen Erde. Nur noch ein bisschen Erde, bis er den Beweis in Händen halten würde. Er konnte jetzt doch nicht aufhören. Nicht jetzt. Nicht jetzt… „Lass mich los!“, klang er vollkommen bestimmt und kalt. „Niemals.“ Es war nur ein Flüstern, das an Jasons Ohren drang. Ebenso leise wurden die nächsten Worte gehaucht. „Ich hätte es niemals so weit kommen lassen dürfen. Jason, es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da war.“ „Lass mich los!“, befahl Jason ein weiteres Mal, ohne Lance‘ Worte wirklich aufzunehmen. Sie prallten an ihm ab wie ein Ball an einer Wand. „Ich kann nicht… Wenn ich dich jetzt das machen lassen würde, was du vorhast, verlierst du dich völlig. Merkst du denn nicht, was mit dir geschehen ist? … … … Wie kannst du ihn dich nur beherrschen lassen? … Auch wenn du Tyrone auf diese Weise beseitigst, wirst du nicht glücklich sein. Nicht zufrieden, um es mit Aspirs Emotionen auszudrücken. Nicht mal Aspir wird mit diesem Resultat leben können. Denn seine Existenz verliere an Bedeutung. … Und am Ende wärst du es, Jason, der die Macht an sich reißt. Der das Netz der Korruption spinnt und der die Menschen unterdrückt. … Und der vielleicht sogar tötet. Ohne mit der Wimper zu zucken. … Dann bist du es, der gestürzt wird. So war es immer. Und so wird es immer sein.“ Jasons Blick war immer noch völlig leer. Aber er wehrte sich nicht mehr. Er hieb und schlug nicht mehr um sich. Der Griff um ihn lockerte sich dennoch nicht. Sein Ziel war so nah. So greifbar. Tyrones Fall war so verdammt nah. „Ich habe da mal einen jungen Mann kennen gelernt“, fuhr Lance hinter ihm uneingeschüchtert fort, „der davon träumte, die Welt zu verändern. Er wollte alles tun, um eine Stadt in ein besseres Leben zu führen. Dieser Mann wollte nicht tatenlos bleiben und war mit Herz und Leidenschaft ein Verfechter des Guten. Er ging sogar so weit, Bürgermeister werden zu wollen, um zusammen mit den Bürgern für eine aussichtsreichere Zukunft zu kämpfen. Es waren ehrenwerte Ziele. Und er war mitsamt seinem großen Herzen und seiner Liebe ein verehrenswürdiger Mann. … Leider liegen Leidenschaft und Wahnsinn dicht beisammen. Im Kampf für die Gerechtigkeit verliert man das wahre Ziel leicht aus den Augen. … Macht ist ein wahrlich gefährliches Instrument. Man lässt sich von ihr viel zu leicht verleiten. Man hat nicht die Macht im Griff, sondern die Macht denjenigen, der sie innehat. Sobald man an sie gelangt, ist man ihr schutzlos ausgeliefert. Man denkt, man würde für das Gute einstehen und ein Ziel verfolgen, das niemandem schadet, doch man lässt sich blenden. Aus einem guten Vorhaben entstehen grausame Taten…“ Lance schluckte schwer. „Jason, sieh dir an, was du mit dem Grab deiner Eltern gemacht hast. Du hast es entweiht. Ist es Tyrone von Zundersby wert, dass du dich selbst vergisst? Dass du nach einem Leben trachtest, das von Einsamkeit geprägt ist? Möchtest du an seine Stelle treten? Die Fäden ziehen und am Ende dasselbe traurige Schicksal erleiden?“ Stille umhüllte Jason. Seine Augen hefteten sich auf das Grab vor ihm. Weiße Lettern brannten sich in sein Gehirn. Namen, die ihm so vertraut vorkamen. Sira… Kelvin… Kelvin Sartaren, einst Father Dest. Dest wie Destiny. Die Vorsehung. Das Schicksal. Sein Vater hat sich bis zuletzt für das Gute eingesetzt. Doch er hat anderen Menschen vertraut. Er hat sein Leben in die Hände eines anderen gegeben. Er hat nicht allein gekämpft. Er hatte treue Gefährten, die ihn begleiteten. Auch wenn sie sich Fathers Addendum nannten, so waren sie ihm ebenbürtig gewesen. Kelvin hatte niemanden unterdrückt, niemanden gezwungen, mit ihm zu gehen… Lance‘ Hand krallte sich in seine Jacke über seiner linken Brust. Und genau dort spürte er plötzlich etwas. Es fühlte sich seltsam an. So warm. Heiß… Lodernd. Mit einem Mal spürte er dieselbe Wärme unter seinen Lidern. Seine Sicht verschleierte sich zunehmend. Tränen? Woher kamen die Tränen? Was geschah mit ihm? Warum fühlte er sich mit einem Mal so allein gelassen? Und so hilflos? Erinnerungen kamen in ihm hoch. Er dachte an den Tag zurück, an dem er beschlossen hatte, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Er hatte genau hier gestanden und seinem Vater versprochen, dass er bald stolz auf ihn sein könne. Aus diesem Grund hatte er sich den Namen Aspir gegeben. Aspir wie Aspiration. Die Hoffnung. Die Sehnsucht. Er hatte gehofft, dass er seinem Vater ebenbürtig sein könne. Dass er ebenso gute Absichten verfolgen könne wie er. Und er hatte Sehnsucht. Sehnsucht nach ihm. Und Sehnsucht nach dem Erreichen von etwas Gutem. Sein Blick schweifte über die verstreute Erde. Auf das Loch vor dem Grabstein. Alles, was er erreicht hat, war die Entweihung seines großen Vorbildes. „Es…“ Er stockte und rang nach Atem. Was ging nur in ihm vor sich? Alles drehte sich. Und diese unermessliche Hitze, die ihn durchflutete, brachte ihn zum Erzittern. Seine Augenlider zuckten ebenso unkontrolliert wie sein restlicher Körper. „Es tut mir leid, Dad“, schlug er die Hände vors Gesicht und verbarg damit das Chaos, das er angerichtet hatte. Er war dem Fall Zundersbys so nah gewesen. Und er hatte damit wirklich alles in Kauf genommen. Selbst den Verlust seiner Seele… Er schluchzte nicht. Die Tränen waren bisweilen auch versiegt. Und doch klebten sie noch heiß auf seinen Wangen und brannten sich schmerzhaft in seine Haut. Er war zu einem Menschen geworden, der er nie sein wollte. „Es ist nicht zu spät“, hörte er Lance sagen. Er hatte das Grab seiner Eltern geschändet! Er hatte alles verraten, was ihm lieb und teuer war! „Es ist nie zu spät, Jason. Es gibt immer Hoffnung… Nein, nicht Aspir… Definiere dich nicht über etwas, das dir nur den Verstand raubt. Du hast ganz andere Möglichkeiten. Um seine Ziele zu erreichen, bedarf es nicht immer eiskalter Vorgehensweise und der Abstumpfung gegenüber jeglicher Emotion. Du darfst fühlen! Du darfst empfinden! Sei es Trauer! Sei es Wut! Sei es Leidenschaft! Oder gar Liebe! Aber eines darfst du nie! Dich selbst aufgeben! Du brauchst Aspir nicht. Du brauchst dich selbst. Und deine Liebe. Vor allem deine Liebe… Jason, ohne dem hier“, drückte Lance seine Hand auf die linke Brust seines Freundes, „kannst du nicht leben. Vor allem du nicht. Ich habe diese extreme Leidenschaft, mit der du Dinge angehst, immer bewundert. Dein Enthusiasmus und deine Tatenfreude habe ich geliebt. Und ich liebe sie immer noch. Ich liebe dich immer noch. Und ich werde dich immer lieben… … … Aus Schuldgefühlen wollte ich mich dir nähern. Doch schon als ich dir das erste Mal in die Augen blickte und dieses Feuer darin sah, wusste ich, dass ich nie wieder von dir loskommen werde. Ich habe es von der ersten Sekunde an bereut, nicht eingeschritten zu sein. Noch heute verfolgt mich dieser Moment in meinen Träumen. Aber auch bei Tag lassen mich diese Bilder nicht los. Es ist unverzeihlich, was ich getan beziehungsweise, was ich nicht getan habe. … Ich bin deiner nicht würdig. Und doch kann ich dich nicht loslassen. Ich kann dich nicht deinem Schicksal überlassen, für das du dich entschieden hast. Ich kann es nicht…“ Er hatte das Grab seiner Eltern geschändet! War das wirklich der Weg gewesen, für den er sich entschieden hatte? Jason schloss die Lider und sah direkt auf seinen Vater. In seiner linken Brust pochte es quälend. Er durfte empfinden? Wollte er denn empfinden? Es tat so weh! Obwohl er diesen Schmerz nicht vermisst hatte, tat er so verdammt gut. Tief sog er die kalte Luft ein und stieß sie hart wieder aus. Seine Lunge schrie vor Schmerz. Doch dieser war nichts im Vergleich zu dem seines Herzens. Er hatte alles um sich herum ausgeblendet gehabt. Er hatte sich monatelang selbst verleugnet. Und war dennoch der Meinung gewesen, das Richtige zu tun… Er wollte am Ende derjenige sein, der an Tyrone Rache übt. Der sich für seinen Vater rächt. Er wollte für seinen Vater ein Held sein. Doch hat sich seine einstige Leidenschaft in Wahnsinn verwandelt. Jeder Held begann mit Leidenschaft, Gutes zu tun. Und genau diese ist bisher jedem zum Verhängnis geworden. Die Leidenschaft brachte jeden zu Fall, sobald sie von niemanden mehr kontrolliert wurde… Kelvin Sartaren hat sich in die Hände anderer begeben. Er hat es gewusst! Er hat gewusst, was ansonsten mit ihm geschehen würde. Er wollte nicht fallen. Er hat sich selbst nicht vergessen. Jason sah auf den schwarzen Grabstein und in seinem Leben hatte er sich noch nie so geschämt wie zu diesem Zeitpunkt. Er war seinem Vater nicht ebenbürtig. Ganz im Gegenteil. „Es ist nie zu spät, Jason.“ Noch fester schlangen sich Lance‘ Arme um den blonden jungen Mann. „Gemeinsam werden wir es schaffen… Er wird nicht ungeschoren bleiben. Das schwöre ich dir. Tyrone wird fallen. Dafür werde ich sorgen… Jason, ich liebe dich. Damit habe ich nie aufgehört…“ Die Worte wurden immer leiser gesprochen. Und doch verstand Jason jedes einzelne. Er hörte jede noch so eigentlich unhörbare Silbe. Er fühlte sie. Er fühlte sie mit seinem Herzen… Kapitel 16: -16- ---------------- Vielen lieben Dank für die Kommentare. Das folgende Kapitel ist noch einmal ziemlich von Gefühlen geprägt. Es ist leider nicht allzu lang, aber ich wollte die Atmosphäre nicht durchbrechen und die wird sich im 17.Kapitel erheblich wandeln. Ich wünsche euch wie immer viel Spaß beim Lesen! Vielen Dank für eure Treue *^__^* - 16 - Leise raschelte der Wind in den Bäumen. Sachte wogen die dürren Äste im Takt der himmlischen Melodie. So idyllisch die Atmosphäre rings um die beiden jungen Männer auch war, die vor dem geschändeten Grab der Sartarens kauerten, so zerrissen waren ihrer beider Herzen. Noch immer hielt Lance Jason fest umschlungen. Seine Arme hielten den blonden jungen Mann noch immer fest umschlossen und seine Rechte krallte sich weiterhin in den Stoff über Jasons linker Brust. Jasons Augen waren nur einen spaltbreit geöffnet und doch sah er genau das Chaos, das er angerichtet hatte. Er sah es nur allzu deutlich. Er wollte es nicht sehen und dennoch konnte er seine Augen nicht davor verschließen. Immer wieder fragte er sich, wie er es so weit hatte kommen lassen können. In seinem Kopf spielten die Gedanken regelrecht verrückt. Unentwegt machte er sich Vorwürfe und nährten die immer wachsenden Schuldgefühle. Ja, er war es gewesen, der mit bloßen Händen das Grab seiner Eltern entweiht hat. Ja, er war es gewesen, der den Sarg von Kelvin Sartaren öffnen wollte. Allein die Vorstellung, diese Absicht in der Tat verfolgt zu haben, war so grotesk, dass er sie kaum glauben konnte. Doch er hatte den Beweis direkt vor sich. Die aufgetürmte Erde seitlich des Grabes. Das Loch vor dem schwarzen, marmornen Grabstein. Und die achtlos zu Boden geschmissenen Blumen. Diese fixe Idee, auf diese Weise Tyrones Fall zu erzwingen, überhaupt je erwogen zu haben, war unverzeihlich. Was musste Lance nun von ihm denken? Oder gar Holly? Holly… Er hatte nicht nur ihre Freundschaft für seine Rache geopfert. Er hatte sein ganzes Leben aufgegeben. Es war bis zu einem gewissen Punkt nicht leicht für ihn gewesen, sein komplettes Dasein für den Kampf gegen Zundersby zu ändern. Anfangs hatte er ein Doppelleben geführt, das ihn immer weiter von den Menschen entfernt hatte, die ihm wichtig waren. Aber irgendwann hatte er damit begonnen, nur noch Aspirs Leben zu leben. Und das hatte er nicht einmal realisiert. Die künstlich erschaffene Lebensweise war zur Gewohnheit geworden. Einst lästige Telefonate waren alltäglich geworden. Die erzwungene Kühle, mit der agiert hatte, war ein Teil von ihm geworden. Er hatte die vollkommene Wandlung nicht bemerkt. Denn Aspirs Leben war plötzlich normal für ihn gewesen. Als ob er schon immer nach seinen Maßstäben gehandelt hätte. Wochenlang hatte er es nicht mehr gespürt. Und jetzt schlug es verzweifelt gegen seine Brust. Er fühlte. Er fühlte all den Schmerz, den er tief in sich verborgen hatte. Die Trauer. Die Wut. Und auch den Hass auf Tyrone von Zundersby. Doch da gab es noch etwas anderes… Eine Emotion, die Aspir völlig fremd war: die Liebe. Mit vollem Einsatz hatte er der Korruption in Asht-Zero ein Ende bereiten wollen. Und er hatte wirklich Bürgermeister werden wollen, so aussichtslos dieses Unterfangen von Anfang an auch gewesen sein mochte. Er hatte daran geglaubt, etwas Gutes bewirken zu können! Die Menschen mit seinen Worten und Taten erreichen zu können! Ihnen die Augen öffnen zu können, damit sie sahen, was um sie herum geschah! Doch er spürte die Liebe noch in ganz anderer Form. Tief sog er die Luft ein und nahm jede einzelne Nuance des Geruches wahr, den sein Freund verströmte. So nah war er Lance schon ewig nicht mehr gewesen. Vielleicht war er es sogar nie gewesen. Vielleicht waren sie nie so verbunden gewesen wie in diesem Moment. Er genoss den festen und bestimmten Kontakt zwischen ihnen. Den Druck, den Lance‘ Arme auf ihn ausübten. Den verzweifelten Griff, der ihm Halt gab. Er war sich sicher, dass er endlos fallen würde, würde Lance ihn nicht derart festhalten. Als er erfahren hatte, dass Lance den Tod seines Vaters hätte verhindern können, hatte er ihn von einem Tag auf den anderen verlassen. Er hatte sich geschworen, dass Lance dafür büßen würde, dass er Tyrone nicht daran gehindert hat, auf Kelvin zu schießen. Es wäre nur eine verdammte klitzekleine Reaktion gewesen! Vorschnellen und Tyrones Arm packen! Nichts weiter… Lance hatte behauptet, er sei ihm nicht ebenbürtig. Doch was war ein Mensch, der sogar dazu bereit war, die Leiche seines Vaters auszugraben? Abermals schweifte sein Blick über den Erdhaufen, der einst das Grab seiner Eltern gewesen war. Dieser Mensch musste ein Irrer sein. Ein Wahnsinniger. Es musste sich um jemanden handeln, der nicht bei Verstand war. Wie sollte er also besser sein als Lance? Allmählich schlich sich kriechend die Kälte in ihre Glieder und trotz der einsetzenden Taubheit hatte Jason nicht die Kraft aufzustehen. Besser gesagt, er besaß nicht den Willen. Sobald er sich regen würde, würde er sich endgültig eingestehen müssen, was er eben getan hatte. Zwar sah er unentwegt auf das zerstörte Grab, doch in einem Zustand der Trance ähnlich war dies viel leichter hinzunehmen als bei klarem Verstand. Und er konnte mitnichten von sich behaupten, dass er gerade klar denken konnte! Er hatte erkannt, was er getan hatte, doch er konnte es noch nicht recht glauben. Dieses Bewusstsein würde er in den nächsten Stunden erst noch schmerzhaft erlangen. Darum wollte er einfach noch ein wenig auf dem kalten Boden sitzen bleiben und die Nähe zu Lance beibehalten. Irgendwann vernahm er aber die sanfte, tiefe Stimme, die er so noch nicht oft gehört hatte, die ihn aufforderte, aufzustehen. Jason wusste, dass er gehorchen sollte, um dem sicheren Tod zu entgehen, dennoch ließ er sich gerne ein zweites Mal von Lance bitten: „Sei vernünftig, Jason. Steh auf.“ Die Worte wurden mit so viel Milde gesprochen, die gar nicht zum Szenario um ihn herum passte. Er müsste lautstark darauf hingewiesen werden, was er getan hatte. Lance müsste ihn eigentlich anbrüllen und ihm eine Ohrfeige verpassen, damit er aufwachte und sah, was er angerichtet hatte. Nur sah er dies bereits. Er sah sein Werk auch ohne darauf hingewiesen zu werden. Und Lance war dennoch so sanft. Langsam verlagerte Jason sein Gewicht auf seine Beine und drehte sich anschließend zu seinem Freund um. Er hatte gedacht, er würde ihn aufgrund seines Nichteinschreitens gegen Zundersby hassen. Er hatte geglaubt, Lance müsste für seine Tat bezahlen. Aber in Wahrheit… In Wahrheit hat er selbst nie damit aufgehört, Lance zu lieben. Seine braunen Iriden trafen auf das makellose Blau seines Gegenübers. Er las in den Augen von Lance weder Verachtung noch Wut noch Ablehnung. Das einzige, was er in ihnen sah, war der Ausdruck von Sehnsucht. „Ich habe dich vermisst“, wurde sein Eindruck auch noch durch leise Worte bestätigt. Ihm wurde nach und nach bewusst, wie sehr er sich nach Lance verzehrt hatte. Als Aspir mochte er diese Gefühl noch so gut verdrängt haben, doch jetzt spürte er das Verlangen nach seinem Freund umso mehr. Möglicherweise konnte er Lance nie hundertprozentig verzeihen, doch ein Leben ohne ihn wollte er nicht führen. Er brauchte ihn. Vielleicht schon allein aus dem Grund, weil er ihn immer an seinen Vater erinnern würde. Wie von selbst umfasste Jason mit seinen Händen Lance‘ Gesicht. Sie waren beide nicht von Unschuld geprägt. Sie hatten beide eine ziemliche Bürde auf ihren Schultern zu tragen. Es war nicht wahr, dass Lance ihm nicht ebenbürtig sein sollte. Wenngleich ihre Taten nicht wirklich vergleichbar waren, so hatten sie mit ein- und demselben Menschen zu tun. Und Kelvin hatte Lance vertraut. Er hatte freiwillig sein Leben in die Hände des dunkelhaarigen jungen Mannes gelegt. Er hatte wohlweislich so agiert und vor allen Dingen aus eigenem Willen. Jason kam Lance‘ Gesicht immer näher und umschloss die vertrauten Lippen vorsichtig mit den Seinen. Kelvin hatte gewusst, auf was er sich einließ. Und insbesondere hatte er gewusst, wann es an der Zeit war, seine Taten durch andere bewerten zu lassen. Er hatte gewusst, wem er vertrauen konnte und wer ihn unterstützen würde. Er war ein wahres Vorbild gewesen, das sicher nicht nur Jason immer im Herzen tragen würde. Erst nach einer schieren Ewigkeit löste Jason ihren Kuss. „Hilfst du mir?“ Er brauchte nicht erst auf das Grab deuten, um Lance mitzuteilen, was er meinte. Lance hatte natürlich nicht verneint und binnen einer Stunde sah das Grab wieder halbwegs annehmbar aus. Nachdem Jason die letzte Blume wieder an ihre alte Position gesetzt hatte, kniete er sich vor dem Grab nieder und sah auf die Namen seiner Eltern. „Ich hoffe, ihr könnt mir irgendwann verzeihen“, hauchte er ihnen entgegen. Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter. „Das werden sie“, meinte Lance, der seine Augen ebenfalls auf den marmornen Grabstein gerichtet hatte. Dazu sagte Jason nichts, sondern stand lediglich wortlos wieder auf. Mit einem Blick deutete er Lance an, dass er nun gehen wolle. Automatisch verflochten sich ihre Finger ineinander und gemeinsam verließen sie den Friedhof. Jason war nicht nach reden zumute. Mit einem völlig wahnsinnigen Vorhaben war er hergekommen und mit völlig schwerem Herzen ging er wieder. Wäre Lance nicht gewesen, würde er nun die Leiche seines Vaters in den Händen halten. Nicht nur, dass dies gänzlich makaber war, sondern es entsprach auch noch der Wahrheit. Er war drauf und dran gewesen, den toten Leib seines Vaters auf ein Einschussloch zu überprüfen und es als Beweismittel gegen Tyrone von Zundersby einzusetzen. Zwar mochte dieses wahrlich ein Mittel sein, um Tyrone der Macht zu berauben, die er innehatte, aber es war moralisch einfach nicht hinzunehmen. Allein schon der Gedanke an sich war vollkommen krank. Eine andere Bezeichnung würde allemal zu harmlos sein. Und verharmlosen durfte man das, was er beinahe getan hätte, keinesfalls. Ohnehin war er viel zu weit gegangen. Er warf einen Blick zurück auf das schmiedeeiserne Tor, das den Friedhof vom Rest der Stadt abgrenzte. Zweifellos lag dort eine Chance begraben, Tyrone das Handwerk zu legen. Und ja, vielleicht trauerte er ihr ein wenig nach. Und trotzdem war er dankbar, dass Lance ihn vor dem letzten Schritt des Verderbens bewahrt hat. Sobald er den Sarg ausgegraben und geöffnet hätte, hätte es kein Weg mehr zurück gegeben. Angesicht zu Angesicht hätte er seinem Vater erneut gegenübergestanden. Einer Leiche. Einem Toten. Einem Menschen, dem er niemals mehr die letzte Ehre hätte erweisen können. Jason wollte nicht mehr daran denken, weshalb er sein Gesicht dem Friedhof wieder abwandte. Jeder Schritt, mit dem er sich dem Grab seiner Eltern entfernte, war ein Schritt gen nagender Gewissheit. Er wusste, zu was er fähig war. Er wusste, zu welchen Taten er sich hinreißen lassen konnte. Darum fürchtete er sich selbst. Er selbst war sein größter Feind. Wie lange würde Lance ihn schützen können? Wann würde er ihm unterlegen sein und ihn gezwungenermaßen handeln lassen? War er eine tickende Zeitbombe, deren Explosion nicht vorhergesagt werden konnte, aber unweigerlich irgendwann erfolgen würde? Die Welt gleicht einem riesigen Marionettentheater, die Menschheit einem bedingt nutzbaren Werkzeug. Aufheben und Wegwerfen. Begehren und Hass. Tatenloses Zusehen um des lieben Friedens Willen? Oder kämpfen, dem sicheren Untergang geweiht? Was ist eigentlich ein Held? Ein Sieger? Ein Hauptdarsteller? Eine Berühmtheit? … … Doch vergessen alle Synonyme den wahren Kern. Und genau der bringt letztendlich jeden Helden irgendwann zu Fall… Er hat nicht zusehen wollen! Er hat die Stadt verändern wollen! Er hat gekämpft. Er hatte für seinen Vater ein Held sein wollen. Nur hat er vergessen, die Menschen vor ihm selbst zu bewahren. Er ist gefallen. Sogar bevor er noch zum Helden werden konnte. Und obwohl er es nicht verdient hatte, hat Lance ihn aufgefangen. Derselbe junge Mann, der die Stütze seines Vaters gewesen war. Manchmal passierten Dinge, die man nicht verstehen konnte. Manchmal geschahen Dinge, die man nicht einzuordnen wusste. Manchmal war es einfach Schicksal. Gemeinsam liefen sie durch die Straßen von Asht-Zero. Und ehe sich Jason versah, stand er vor der Tür zu ihrer einst gemeinsamen Wohnung. Mit einem unbehaglichen Gefühl trat er über die Schwelle und doch empfand er es richtig, wieder dort zu sein. An dem Ort, wo so vieles begonnen hatte. Kapitel 17: - 17 - ------------------ Tut mir wahnsinnig leid, dass das so ewig gedauert hat, aber nun geht's endlich mit FDE weiter ^^ Grüß euch ganz lieb! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ - 17 - In tief gehülltem Schweigen waren Jason und Lance in fast alt vertrauter Zweisamkeit nach Hause gekehrt. Lance hatte Jasons Hand gehalten; es hatte den Anschein gemacht, als ob zwischen ihnen nie etwas vorgefallen wäre. Doch manchmal trügt der Schein, wie auch in diesem Fall. Man sah dem Älteren von beiden deutlich an, dass er Distanz wahrte. Sei es der in sich gekehrte Blick oder die Haltung, die er seit dem Betreten der Wohnung angenommen hatte. Mit verschränkten Armen stand er am Fenster und sah über die Dächer von Asht-Zero hinweg. Jason, der auf der Couch zu seiner Linken saß, beachtete er nicht. Doch der blonde, junge Mann stierte seinen Freund dafür umso mehr an. „Ich habe dich etwas gefragt“, kam es ein wenig barsch über seine Lippen. Dass er nicht mehr wie das Häufchen Elend wirkte, das er vor einer Stunde am Grab seiner Eltern noch gewesen war, hatte vielerlei Gründe. Nicht nur die heiße Dusche hatte seine Seele etwas milder gestimmt, sondern vor allem der Blick in den Spiegel, der einem immer erbarmungslos die Wahrheit zeigte, hatte ihn aus seiner Lethargie geholt. Als er sein Antlitz sah, wurde er sich schlagartig bewusst, dass er immer noch nicht aufgegeben hatte. Sein Ziel war es immer noch, Tyrone von Zundersby seiner Macht zu berauben. Er wollte dem Schlossherrn alles nehmen, was ihm wichtig war. Und das war der unanfechtbar scheinende Einfluss, den er in dieser Stadt innehatte und gewissenhaft pflegte. Zweifellos war es unverzeihlich, was Jason getan hatte. Und tief in seinem Inneren spürte er diese seine Sünde, gewiss etwas deutlicher auf der Oberfläche seiner Gefühle, aber er brauchte einen halbwegs klaren Verstand, wenn er sein Ziel verfolgen wollte. Es durfte wahr sein, dass ihn das zu einem schlechten Menschen machte, dass eine gute Stunde bei Weitem nicht genug war, um damit begonnen zu haben, das Geschehene zu verdrängen. Aber wer konnte besser über ihn richten als er selbst? Und er wusste durchaus, was er getan hatte. Oh ja, er war sich darüber in vollem Maße im Klaren! Doch wenn er noch eine letzte Chance haben wollte... eine letzte Möglichkeit, Tyrone das Handwerk zu legen... dann musste er JETZT handeln. Jetzt, wo sowohl Tyrone, inklusive seiner Gefolgschaft, als auch Fathers Addendum im Aufruhr waren. „Um am Ende erfolgreich zu sein, müssen wir ausnutzen, dass sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Solange sie sich untereinander bekriegen, messen sie uns... mir nicht die nötige Aufmerksamkeit bei.“ Nur fehlte ihm der Plan. Wenn er einen parat gehabt hätte, wäre er nie über das Grab seiner Eltern hergefallen. „Wenn du mich schon nicht nach dem nötigen Druckmittel suchen lässt“, so derb es auch war, er spielte tatsächlich auf die Schusswunde seines Vaters an, „dann verrate mir wenigstens, wie wir nun vorgehen werden!“ Jason klang viel gereizter als gewollt. Aber Lance hatte ihn noch überhaupt keines Blickes gewürdigt, seit er zu ihm ins Wohnzimmer gekommen war. Und er hatte seine Frage noch nicht beantwortet. Er hatte noch absolut gar nichts gesagt. Und Jason brauchte nichts dringlicher als eine Perspektive. Vielleicht war er imstande, seine Tat von heute zu überspielen und an seinem Ziel, Tyrone zu stürzen, festzuhalten, doch wie lange ging das gut, wenn die Zukunft ungewiss war? Wenn alle Strapazen bisher gar umsonst gewesen sein sollten? Mit einem Totalversagen konnte und wollte er sich nicht abfinden. Er war schon tief gefallen. Aber noch tiefer...? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis sich Lance ihm endlich und etwas zögerlich zuwandte. Der besorgte Ausdruck in den dunkelblauen Augen machte ihm ziemlich zu schaffen. Wortlos sah er Lance dabei zu, wie er sich vom Fenster löste, langsam auf ihn zuschritt und sich dann seitlich von ihm niederließ. „Es kann gefährlich werden“, kam es beinahe tonlos über Lance' Lippen. Jason nickte nur. Zu mehr war er in diesem Moment nicht fähig. Auf einmal fühlte er sich wie gelähmt. Seine Hitzigkeit war spurlos verraucht und die Schwere seiner Tat legte sich plötzlich erdrückend auf seine Glieder. Und umhüllte unbarmherzig sein Herz. Unvermittelt begannen seine Hände zu zittern, weshalb er sie unter seinen Oberschenkeln vergrub. „Ich bin zu allem bereit“, mühte er sich zu sagen. Seine Worte waren aber viel überzeugender als er zu hoffen gewagt hatte. Aber er merkte, dass da Aspir aus ihm sprach, und er wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Monatelang hat er als Aspir gelebt, vielmehr war er zu ihm geworden, und egal, welch schlimme Dinge sich ereignet hatten, binnen weniger Stunden konnte man sein Wesen nicht ändern. Und so einen Menschen wie Aspir konnte man nicht rein erschaffen, er musste von Anfang an irgendwo in einem schlummern. Er musste nur geweckt werden und konnte vielleicht nie wieder zum Schlafen gebracht werden... „Wir dürfen nichts übereilen und müssen trotzdem forsch und riskant sein, wenn nicht gar völlig unverschämt.“ Lance stand noch mitten im Satz auf und schritt zur Tür, verließ sogar das Zimmer. Ehe Jason die Stirn runzeln konnte, kehrte er mit einer Flasche Wasser und zwei Gläsern in den Händen wieder. So nachdenklich Lance wirkte, so bedächtig schenkte er die beiden Gläser voll und stellte davon eines vor seinem Freund auf den niedrigen Tisch. Anschließend befeuchtete er seine Lippen und setzte sich wieder hin. „Die ganze Zeit über habe ich dich beobachtet“, fing er zu erzählen an und suchte sich einen Punkt auf der gegenüberliegenden Wand, den er fixieren konnte. „Dies ist auch der Grund, warum ich dich vorhin... retten konnte. Du hast gute Arbeit geleistet, doch um Tyrone von Zundersby einzuschüchtern und ernsthaft zu gefährden, bedarf es mehr. Man muss ihn dort packen, wo es ihm am allermeisten schadet. An der Wurzel, am Ursprung seiner Existenz. Verstehst du?“ Aber Lance wartete keine Antwort ab, sondern fuhr sogleich fort: „Dein Vater hatte es fast geschafft, doch er bezahlte mit seinem Leben, ehe er es vollenden und Zundersby entmachten konnte. Ich weiß, ich bin schuld... an seinem Tod... aber ich möchte es für ihn... und für dich... zu Ende bringen.“ Er rang sich ein zuversichtliches Lächeln ab, das mehr qualvoll als alles andere wirkte. Dabei fixierte er immer noch die Wand gegenüber. „Dein Thread auf der Homepage der Stadt war wirklich gut, nur hat er Zundersby nicht ein Haar gekrümmt. Einige Bürger von Asht-Zero haben positivere Reaktionen gezeigt als ich vermutet hatte. Sie ließen auch mich für kurze Zeit unbegründet hoffen. Doch die Menschen sind schwach. Sie haben Angst. Angst vor den Konsequenzen einer öffentlichen Stellungnahme. Was ist ein Gesetz schon wert, wenn Tyrone die längeren Zügel in Händen hält? Redefreiheit! Das ist doch nur ein Wort in einem Buch, das unser Volk schützen soll. Doch die Wahrheit sieht oft anders aus. Ein paar wenige bestimmen nach Belieben, was recht und was schlecht ist. Die ganze Obrigkeit ist nur ein Netz der Korruption. Mit einem Anführer, der sich zu tarnen weiß“, beendete Lance knurrend seinen Satz. Fest drückte er seine Kiefer aufeinander. Erst Sekunden später entspannte er sich wieder. „Glaubst du, auch nur einer von denen, die dich auf der Homepage unterstützt und gefeiert haben, tut etwas, um die Lage in Asht-Zero zu ändern? Nachdem ihre Anonymität mitnichten gewahrt war? Jeder einzelne von deinen Anhängern zieht spätestens jetzt wieder den Schwanz ein. Die Menschen fürchten die Folgen. Jason, ich frage dich nun ein einziges Mal und ich werde es danach nie wieder tun: Bist du wirklich bereit, jedwede Gefahr auf dich zu nehmen?“ Plötzlich sah sich Jason mit einem ernsten, direkten Blick konfrontiert. Er musste sich zusammennehmen, um nicht zusammenzuzucken. Er hatte reglos den Worten seines Freundes gelauscht und war auf eine derartige Konfrontation nicht eingestellt gewesen. Dennoch zögerte er keinen Moment zu viel. „Ja, das bin ich“, entgegnete er bestimmt. Wenn er etwas wirklich wollte, dann war es Tyrone alles zu nehmen. Der Schlossherr hatte ihm seinen Vater genommen und dafür und für vieles mehr wollte er sich revanchieren. „Auge um Auge. Zahn um Zahn“, zitierte er das alte Testament. Sein Körper mochte in diesem Augenblick schwächlich wirken, doch sein Geist war es nicht. Er war eigentlich schon viel zu weit gegangen, weshalb ihm nun alles einerlei war. Schlimmer konnte es nicht mehr werden. Die Todsünde schlechthin hat er bereits begangen, er war der sicheren Hölle geweiht, also was hatte er noch zu verlieren? Wie ein festes Band schnürte sich die Erinnerung an das geschändete Grab um sein pochendes Organ, und er schloss die Augen. Auch wenn Jasons Anblick alles andere als Entschlossenheit ausdrückte, Lance hatte keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Worte. „Ich habe entgegen Kenhams Diktat gehandelt“, machte Lance dort weiter, wo er geendet hatte. „Zwar habe ich weiterhin als Mitglied der FA agiert, aber nicht ausschließlich. So sehr ich Kenham, Jackson und die anderen schätze, so vehement haben sie meine Bemühungen abgewehrt, Tyrone wirklich dort anzugreifen, wo es am meisten Sinn macht. Sie haben ebenso viel Angst wie die restlichen Bürger von Asht-Zero und ich kann es ihnen nicht verdenken“, zuckte er mit den Schultern. „Aber das hielt mich nicht davon ab, meinen eigenen Weg zu gehen. Ähnlich wie du habe ich auf eigene Faust gehandelt.“ Da Lance nicht weiterredete, nutzte Jason die Gelegenheit, um sich nachzuschenken. Er hatte in den letzten zwei Minuten sein Glas auf Ex geleert. Er konnte nicht beschreiben, was er fühlte, aber er wusste, dass er dagegen ankämpfen wollte. Und manchmal musste man sich dazu einfach beschäftigen, und sei es, sinnlos Wasser in sich hineinzuschütten. Obwohl er vor kurzem noch am Rande der Verzweiflung gewesen war, spürte er neuen Tatendrang in sich aufkeimen. Und er befand diesen als schier grotesk, wenn man bedachte, was sich an diesem Tage auf dem Friedhof abgespielt hatte. Wie konnte er jetzt schon wieder alles hinter sich lassen und einzig an Tyrones Fall denken? Wären da nicht die grausamen Bilder, sie sich ständig vor seinem inneren Auge auftaten, würde er von sich selbst behaupten, unmenschlich zu sein. Doch da war auch noch das beklemmende Gefühl der Unruhe. Er trug Emotionen in sich, und er merkte, dass er sie vermisst hatte, egal wie schmerzlich sie sein oder wie ruhelos sie einen machen konnten. In ihm schwoll der Wunsch an, aufzustehen und Tyrone abermals die Stirn zu bieten. Von der endlosen Verzweiflung, von der schieren Ausweglosigkeit zu neuem Mut und neuer Hoffnung. Und er hätte im Leben nicht geahnt, dass es Lance sein würde, der ihn befähigte, nicht endgültig in sich zusammenzubrechen und vielleicht jetzt die Leiche seines Vaters zur Polizei zu schleppen, in völliger emotionaler Kälte. In Gedanken legte er dem dunkelhaarigen Mann eine Hand in den Nacken und zog ihn zu einem tiefen Kuss zu sich hinab. In Wahrheit aber blieb er an Ort und Stelle sitzen und drehte bedächtig sein Glas zwischen den Händen hin und her. Sein Herz pochte bei der Vorstellung und doch lahmte es, denn im Gegensatz zu seinem Verstand hatte es kein bisschen vergessen, was sich vorher zugetragen hatte. In ihm tobte ein Zwiespalt. Tatendrang gegen Trauer und unendlichen Schmerz. Zweites versuchte er niederzukämpfen. Denn er wollte Tyrone entmachten, mit Leib und Seele! „Vielleicht war es nicht rechtens“, hörte er Lance weitererzählen, „die FA auf diese Weise zu hintergehen, aber deshalb hatte ich nie Schuldgefühle und die werde ich gewiss auch nicht mehr bekommen. Wir können ja leider sehen, wie weit Fathers Addendum gekommen ist. Tyrone von Zundersby setzt wahrlich alles daran, uns nicht zum Zuge kommen zu lassen. Und wenn wir glaubten, doch endlich was gegen ihn ausrichten zu können, dann spielte er mit uns. Er bekommt immer, was er will.“ Ein sachtes Kopfschütteln begleitete das traurige Lächeln auf seinen Lippen. „Egal, was man ihm vorwirft, selbst wenn es zu hundert Prozent der Wahrheit entspricht, weißt er geschickt ins Gegenteil zu verkehren oder einfach an sich abprallen zu lassen. Das Schlimme und Unverständlichste ist nur, dass er die Menschen haufenweise um sich schart. Sie gehorchen ihm aufs Wort und begehen ein Unrecht nach dem anderen, als ob es das Normalste auf der Welt wäre. Was dieses verdammte Geld anrichten kann...!“ „Menschen sind von Natur aus machthungrig“, meinte Jason leise, wurde aber mit seinen folgenden Worten zunehmend lauter. „Sie greifen nach jedem Strohhalm, der sich ihnen bietet, um ihren Einfluss auszuweiten. Dabei ist es ihnen vollkommen gleichgültig, was sie anderen damit antun. Hauptsache, sie können über andere verfügen. Das Gefühl, andren überlegen zu sein, lässt sie erkalten und auch erblinden...“ Er selbst wusste dies schließlich am besten. Lance sah zu Jason, der seine Augen jedoch immer noch auf sein Glas gerichtet hatte. „Ich habe wirklich alles versucht, um dich von der Idee, Bürgermeister werden zu wollen, abzubringen.“ „Damit ich die Wahrheit nie erfahre und weiterhin an das Gute glaube?“, hob Jason nun doch den Kopf und erwiderte den Blick. „Deinen Glauben an das Gute wollte ich um jeden Preis schützen“, bejahte der Ältere von beiden. „So wie du mich vor der Wahrheit über die Identität und den Tod meines Vaters und damit dich selbst schützen wolltest?“ Jason klang nicht einmal vorwurfsvoll und doch sah er den Schatten, der über Lance' Gesicht huschte. Mit einem Mal war es still im Raum. Durch das geschlossene Fenster drang nur ganz sacht das Rauschen des Windes, der die großen, hellgrauen Wolken am Himmel begleitete. Erst Minuten später, so schien es Jason, griff Lance zu seinem Glas und benetzte seine Kehle mit Feuchtigkeit. „Ich kann es nicht leugnen“, sagte er dann frei heraus. Darauf erwiderte Jason nichts. So viel Offenheit war er von seinem Freund nicht gewohnt und er wollte sie nicht mit einem weiteren angriffslustigen Satz oder Geste zunichte machen. Er brauchte und liebte Lance, wenngleich er sich das in den letzten Monaten nicht im geringsten eingestanden hatte. Aspir mochte ohne ihn leben können, doch er war viel mehr als Aspir. Er war ein Mensch aus Fleisch und Blut, der verschiedenste Bedürfnisse hatte. Und dazu zählte zweifellos die Liebe; zu lieben und geliebt zu werden. Es war nur natürlich, dass man sich nach diesem Gefühl verzehrte. Und wenn er genauer darüber nachsinnte, dann musste er erkennen, dass Aspir gar nicht so viel anders war. Nur war es bei ihm der Hass, der ihn leitete. So gegensätzlich ihre Motive waren, so vereinbar waren sie. Jason war nicht grundlos zu einem kaltblütigen, rachedurstigen und isolierten Monster geworden... denn nichts anderes war er das letzte halbe Jahr gewesen. „Und auch falls du das jetzt nicht hören möchtest, ich wollte mit meinem Verhalten die Reinheit deiner Seele bewahren, obwohl es nicht rechtens war, dir die Wahrheit zu verschweigen. Du hattest stets gute Absichten und ich wollte nicht, dass du an der Realität zer-“ „Du hast ganz Recht! Ich will das nicht hören!“, fuhr Jason dazwischen. Er setzte sein Glas an den Lippen an und trank es aus, den Blick starr nach vorne gerichtet. Lance seufzte in sich hinein, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich nach hinten sinken, bis sein Kopf auf der Sofalehne auflag. „Ich...“, begann er, führte seinen Satz aber nicht weiter. Jason drehte kurz sein Gesicht seinem Freund zu, wandte es aber sogleich wieder ab. „Wie gehen wir nun vor?“, fragte er eigentlich viel zu nüchtern für diesen Moment, doch Lance ging bereitwillig auf die Frage ein. Sofort straffte sich sein Körper wieder und ein verräterisches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Wir werden Tyrone dort kitzeln, wo er am Verwundbarsten ist“, meinte er beinahe versonnen. „Das wäre wo?“ Auch Jason richtete sich sitzend so weit auf wie möglich. Er wollte Tyrone fallen sehen und so bald wie möglich! Abrupt wurde er von einer Hand im Nacken gepackt und alsbald fand er sich dicht vor Lance' Gesicht wieder. „Das werde ich dir gleich erläutern, doch vorher...“ Und schon wurden seine Lippen versiegelt. Schwer atmend löste sich Lance von seinem Freund und bettete für einen kleinen Moment seine Stirn auf der von Jason. Es schien, als wollte er etwas Dringendes sagen, doch er sprach nie aus, was er in diesem Augenblick dachte. Kaum dass er wieder Abstand zwischen sich und Jason hergestellt hatte, griff er nach Stift und Papier. Jason hatte den Kuss ungehindert geschehen lassen. Vielmehr hatte er ihn innig erwidert. Noch immer fühlte er die feine Gänsehaut, die mit einem Mal seinen Körper befallen hatte. „Lass hören“, forderte er den dunkelhaarigen, jungen Mann neben sich mit einer Handbewegung auf. Er konnte es kaum mehr erwarten. „Nun gut“, umspielte Lance' Mundwinkel ein spöttisches Lächeln, das gewiss nicht Jason galt, sondern einem Menschen, der ihm schon lange zuwider war. „Tyrone wird vielleicht sogar überrascht sein, aber falls nicht, müssen wir umso bedachter und auch... trickreicher sein.“ Seine Augen waren von einem geheimnisvoll schimmernden Glanz überzogen. Als er Jasons immer noch fordernden Blick sah, fragte er ihn unvermittelt: „Hast du schon mal etwas von 'Terry's factory' gehört? Da Jason spontan die Stirn runzelte, legte Lance ihm seine Rechte freundschaftlich auf die Schulter. „Dachte ich es mir.“ Erst nach einer Pause, als der blonde junge Mann unter seinen Fingern, wenn auch schweigend, sichtlich unruhig wurde, fügte er an: „Dann möchte ich dir nun ein wenig über Tyrones klägliche Anfänge erzählen.“ Kapitel 18: - 18 - ------------------ Es gibt Tage, die für einen mehr parat halten, als einem lieb ist. Es gibt Tage, an denen sich weitaus mehr ereignet, als man sich vielleicht erhofft. Es gibt Tage, an denen alles anders kommt, als man denkt. Jason konnte seinen Ohren nicht recht trauen. Alles, was Lance ihm erzählte, klang so unwirklich und an den Haaren herbeigezogen. Immer wieder schüttelte er den Kopf über die Details, die ihm so ungewohnt bereitwillig offenbart wurden. Sollte er die letzten Monate über in einer Parallelwelt existiert haben, so abgehoben und realitätsfern das auch klang? „Du spinnst doch!“ Er machte eine abfällige Geste, stand auf und postierte sich vor dem Couchtisch. Dann sah er auf Lance hinab und verdrehte die Augen. „Und das soll ich dir abnehmen?“ Seltsamerweise blieb Lance völlig gelassen und auch ernst, wie die ganze letzte halbe Stunde schon. „Wenn nicht, dann ziehe ich das eben allein durch“, bemerkte er wie beiläufig. Ganz als ob es ihm einerlei wäre, ob Jason sich nun beteiligen würde oder nicht. „Ich habe mir wochenlang jegliche Informationen über ihn eingeholt und da willst du mir solchen Unsinn weismachen!?“, fuhr Jason aufgebracht fort. „Unter Garantie hätte ich zumindest auf ein oder zwei Indizien für seine damaligen Taten stoßen müssen. Das ist viel zu abwegig. In dem Alter hatte er doch noch gar nicht den Einfluss besessen, den er für eine Vertuschung brauchte. Und das bei dieser Größenordnung!“ Unruhig begann Jason damit, im Zimmer auf- und abzugehen. Fast hätte er dabei seine Hände in die Hüften gestemmt, verkniff sich aber diese Geste dann doch ob seiner ohnehin schon unbeherrschten Art. Außerdem wäre er sich lächerlich vorgekommen. Und wenn er jetzt eines ausdrücken wollte, dann war es Ernsthaftigkeit. „Komm wieder runter und setz' dich bitte wieder“, bat Lance in einem viel zu vernünftigen Tonfall, der Jason ebenso missfiel wie die Story, die ihm eben aufgetischt worden war. Doch um nicht undankbar zu erscheinen – schließlich schien ihm Lance nach allem, was geschehen war, zu vertrauen – und keinen Streit anzufangen, gehorchte er. Dennoch ziemlich widerwillig stoppte er in all seinen Bewegungen und ließ sich zurück auf das Sofa fallen. „Gut. Gehen wir das noch mal langsam durch.“ Den Daumen von sich abspreizend meinte er: „Erstens: Tyrone hatte schon frühzeitig Ambitionen auf Macht. Dagegen spricht absolut nichts, zumal es seinem widerwärtigen Naturell entspricht.“ Jason hielt anschließend den Zeigefinger von sich gestreckt. „Zweitens: Er gründete ein Unternehmen und scheiterte, wenn auch nicht offiziell. Auch darin sehe ich keine Widersprüche. Doch nun kommen wir zu den ganzen Ungereimtheiten.“ Provokativ hob er seine andere Hand hoch und hielt sie Lance vor das Gesicht. „Davon gibt es zu viele, um sie an einer Hand abzuzählen“, kommentierte er überflüssigerweise, denn Lance hatte den Wink mit dem Zaunpfahl auch so schon verstanden. 'Weiter', deutete der dunkelhaarige junge Mann durchaus geduldig mit einem Fingerzeig seinerseits an. „Tyrone hat 'Terry's factory' gegründet, in der Hoffnung, damit den Markt von Asht-Zero in Sachen Hausbau zu erobern“, machte Jason weiter, ohne allzu sehr auf die Gelassenheit seines Freundes zu achten. Wohlweislich. „Seine Architekten bauten die schönsten Häuser zu den besten Konditionen. Ein Irrwitz, wenn man bedenkt, dass er daran nie und nimmer verdienen konnte. Ja?“ Bereitwillig nickte Lance und sah dabei in die funkelnden Augen von Jasons. Das Braun flackerte geradezu. „Er hätte mit jedem Haus einen derben Verlust erleiden müssen, doch er heimste dennoch genug Kohle ein, um sich nicht nur mal eben so über Wasser halten zu können. Mit den billigsten Baustoffen, mangelhaftem Material und schlechter Bezahlung von Arbeitskräften hat er in den Augen vieler das Unmögliche möglich gemacht. Dieser Mistkerl“, Jason hätte ihn gern noch mieser beschimpft, ließ es aber für diesen Moment bleiben. „Er hat die Bauherren dazu gezwungen, teilweise auf wichtige, tragende Wände und oder Stützpfeiler zu verzichten. Die Häuser sollten trotz aller Rücksichtslosigkeiten nach außen hin sicher wirken und es am besten auch noch sein. Einwände?“, höhnte er in Lance' Richtung, den er sowieso nicht mehr aus den Augen ließ. Selbst die kleinste Regung, die Lance outen würde, ihm einen Bären aufgebunden zu haben, würde ihm nicht entgehen. Obwohl sich der Ältere bisher wirklich gut hielt, hatte Jason nicht vor, zu glauben, was angeblich die Wahrheit war. Während seiner eigenen Nachforschungen über Zundersby hätte er doch darauf stoßen müssen. Etwas anderes wollte er nicht wahrhaben. Es ging einfach nicht. „Da du nichts sagst, interpretiere ich das mal als ein 'Nein'. Anfangs haben sich Tyrones Angestellte also über ihn hinweggesetzt, meintest du, und die Häuser gegen seinen Willen nicht unzulänglich gebaut. Zundersby verstärkte daraufhin den Druck auf sie und begann mit seinen ersten Erpressungen...“ Jason seufzte laut. „Ich trau ihm das ja alles zu, so ist es ja nicht, aber es geht hier um mehr als ein paar nicht der Norm entsprechenden Häuser.“ Kurz verbiss er sich in seiner Unterlippe und fuhr sich geistesgegenwärtig durch Haar. „Verdammt!!! Es geht hier um Menschenleben!“, brach es dann ungestüm aus ihm heraus. „Du willst mir doch nicht sagen, dass man den Tod von drei Menschen einfach unter den Tisch kehren kann? Zundersby war gerade Mal Mitte Zwanzig.“ So alt wie ich, fügte er in Gedanken an. „Wie soll er da schon die Mittel dazu gehabt haben? Heute ist das was anderes...“, verstummte er, als er einen Stich im Herzen spürte. Tyrone hatte es immerhin geschafft, den Mord an seinem Vater zu vertuschen. „Wenngleich du das nicht einsehen möchtest, er hat es geschafft, den Tod der Familie als unglücklichen Unfall zu verkaufen“, erwiderte Lance nüchtern. „Unglücklicher Unfall“, echote Jason abfällig. „Dieses Arschloch ist echt zu allem fähig.“ Er konnte sich nicht mehr beherrschen. Zu tief saß der Schmerz, der ihm von diesem Mann zugefügt worden war. Schon vor über drei Jahrzehnten soll es Tote auf Kosten von Zundersby gegeben haben, ohne dass er dafür belangt worden war. Das war zu viel. „Verdammt noch mal! Kann dieses widerwärtige Etwas nicht endlich das bekommen, was es verdient hat?“ Mit rasendem Pulsschlag vergrub er seine Finger in seinen Haaren. „Sshhhh“, legte Lance behutsam seine Hände auf die Hüften des anderen und zog ihn nah an sich heran. Bedächtig fuhr seine Rechte unter Jasons Hemd und legte sich sanft auf die erhitzte Haut. „Dieser Verbrecher wird noch büßen!“, knurrte der blonde, junge Mann und stemmte beide Hände gegen Lance' Brust. Wild stierte er ihn an und biss die Kiefer fest aufeinander, bis die Zähne knirschten. Eine Weile lang sahen sie sich nur an und Lance begann damit, seine Hand Jasons Rücken auf- und abzufahren. Hauchzart wanderten seine Finger die Wirbelsäule hoch und runter und spürte wohlwollend die sich ausbreitende Gänsehaut. „Und du bist dir wirklich sicher, dass sein Schloss von einem seiner damaligen Architekten entworfen worden ist? Und dass wir dort einen Hinweis dafür finden werden, dass er gegen alle möglichen Sicherheitsvorkehrungen und gesetzliche Vorlagen verstoßen hat? Tut mir wirklich leid, wenn ich das so unverblümt sage, aber das klingt vollkommen lächerlich.“ Herausfordernd blitzte er seinen Gegenüber an, der sich immer noch nicht aus der Ruhe bringen ließ und sogar uneingeschüchtert mit seinen sachten Liebkosungen fortfuhr. Jason spürte deutlich die Hitze, die in ihm zu wallen begann, ließ sich aber nicht auf die Gefühle ein, die in ihm peu a peu geweckt wurden. „Spielen wir doch mal meine Theorie weiter durch“, meine Lance mit leiser, fester Stimme. „Stell dir vor, du bist Zundersbys Angestellter und wirst auf einmal – ohne jegliche Vorwarnung – zu eindeutigen Sabotagen gezwungen. Auf deine Gegenwehr hin folgt Erpressung. Vielleicht gar Erniedrigung oder Morddrohung. Tyrone scheut schließlich vor nichts zurück.“ Andächtig ließ er seinen Zeigefinger um Jasons Bauchnabel kreisen. „Und nun würdest du dazu angehalten werden, ihm ein Schloss zu bauen, das nur von Prunk und Luxus so strotzt. Insbesondere in dem Wissen, dass jederzeit Menschen wegen deiner bewusst begangenen Fehler sterben können. Würdest du nicht irgendeinen Beweis hinterlassen, der Zundersby hinter Gitter bringen kann? Irgendein Indiz dafür, dass er Unschuldige bereitwillig zu opfern bereit ist? Wenn der Hinweis auch noch so klein und unbedeutend anmuten mag, würdest du es nicht wenigstens versuchen? Sei es nur aus dem Grund, nicht endgültig die Hoffnung zu verlieren?“ Intensiv sah er seinen Freund an. „Oder würdest du der vollkommenen Ohnmacht ob deiner grauenvollen Taten den Vorzug gewähren?“ Unauffällig wanderten seine Hände nach oben und legten sich in den Nacken des anderen. Kaum merklich begannen seine Finger Druck auszuüben. Jason blickte Lance unablässig in die blauen Augen und zog seine Brauen ein Stück weit zusammen. „Du möchtest mir sagen, dass in dem Schloss des Mistkerls irgendwo ein Beweis für seine Unehrlichkeit und seinen Betrug schlummert? Das klingt nicht nur absurd, das ist es auch. Und selbst wenn nicht“, hakte er gleich selbst ein, „weder du noch ich können einfach so hineinstolzieren und danach suchen.“ „Warum nicht?“, begann Lance zu schmunzeln. „Wie stellst du dir das vor? Reingehen und sagen 'Hier bin ich'? Sicher...“ „Warum nicht?“, wiederholte Lance. Leicht den Kopf schüttelnd schmiegte sich Jason den kraulenden Händen entgegen. „Natürlich“, ächzte er. „Darauf sind sie beim besten Willen nicht vorbereitet. Mit Vorankündigung brauchen wir dort nicht auftauchen, das ist klar. Da können wir unser Todesurteil gleich selbst unterschreiben. Aber“, überging er sofort seinen letzten Satz, der der Wahrheit viel zu nahe kam, „wenn sie nicht damit rechnen, dass einer von uns dort auftaucht, können sie – ER – nicht schnell genug reagieren. Der Vorteil läge auf unserer Seite.“ „Einer von uns?“ Fragend beugte sich Jason etwas nach vorne, um Lance wieder besser im Blick zu haben. Er fühlte dessen Finger immer noch in seinem Nacken, ließ sich davon aber nicht beirren. „Denkst du, ich lasse ich dich allein in die Höhle des Löwen gehen?“ „Das sollst du ja gar nicht, auch wenn ich dich lieber sicher zuhause wissen würde.“ Als Jason nach einer Minute immer noch nichts entgegnete, fügte er hinzu: „Wenn Zundersby wüsste...“ Weiter kam er nicht, denn dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten, seine Lippen stürmisch auf die von Jason zu pressen. Gierig verschaffte er sich Einlass und keuchte erregt auf, als er plötzlich leidenschaftliche Hände auf seinem Rücken spürte. Doch so intim ihr Kuss auch war, er wurde jäh unterbrochen. Ehe Lance Jason ins Gesicht blicken konnte, hatte dieser es abgewandt. Es pochte. Es schlug so wahnsinnig derb gegen seine Brust. Jason krallte in den dünnen Stoff über seinem wild schlagendem Herzen und rang um Fassung. Genau in dem Moment, wo er sich Lance' Berührungen hingegeben hatte, war es aufgeblendet. Wie aus dem Nichts. Und völlig ernüchternd. So schnell konnte kein Mensch verdrängen! Geschehenes ließ sich nicht rückgängig und erst recht nicht an einem Tag vergessen machen. Das wäre viel zu schön, um wahr zu sein. Nein, er hat seine Sünde noch nicht vergessen. Gewiss nicht. Schließlich fühlte er auch jetzt noch die Erde unter seinen Fingernägeln, wenngleich er sie unter der Dusche wie ein Irrer gereinigt hatte. Er mochte Aspir in sich tragen, doch Lance hatte Jason zurück an die Oberfläche geholt. Den Teil seines Seins, der seine Eltern zutiefst verehrte und der genau wusste, was er angerichtet hatte. Emotionale Kälte mochte kein probates Mittel im täglichen Leben sein, doch insgeheim wünschte er sie sich doch zurück. Trotz seiner Erkenntnis, dass er ohne Liebe nicht leben wollte oder auch konnte. Mit leicht bebenden Fingern strich er sich durchs Haar, sah dabei den Couchtisch vor sich an oder mehr durch ihn hindurch. Oh ja, er wollte Tyrone von Zundersby zur Strecke bringen, doch der Preis, den er dafür bezahlen musste, war hoch. Den er bereits dafür bezahlt hatte, weitaus höher... Wenn er jetzt nicht die Kraft besaß, diesem elendigen Wesen noch einmal die Stirn zu bieten, dann war alles umsonst. All die Strapazen, all der Schmerz, die Schmach, die Isolation, Aspir... alles hätte er sich von Anfang an sparen können. Nichts konnte mehr so sein wie es war. Sein Leben hatte sich drastisch verändert, er hatte sich einmal im Kreis gedreht und das Schicksal herausgefordert. Es gab kein Zurück mehr. „Zundersby wird bezahlen“, knurrte er, als Lance' Hand seine Schulter berührte. Mit wild blitzenden Augen blickte er auf. „Was muss ich tun?“ „Versuchen, unsichtbar zu sein.“ „Nichts leichter als das“, antwortete Jason mit einem aufgesetzten Lächeln. „Ich meine es ernst.“ „Ich auch.“ Abwägend streiften sich ihre Blicke. „In der Tiefe liegt die Wahrheit. Geschützt von all jenen Wänden, die um sie errichtet wurden. Nur der kann sie finden, der hinter alles blickt, das ihn zu täuschen vermag. Das ist deine wahre Aufgabe, Jason.“ „Einfach gesagt, ich soll mich hineinschleichen und nach etwas suchen, das mit bloßem Auge nicht sofort zu erkennen ist, während du alle ablenkst.“ „Ganz richtig.“ „Keiner außer dir wird wissen, dass ich mich ebenfalls dort aufhalte... Gar nicht unklug.“ „Danke“, erwiderte Lance charmant, rühmte sich aber nicht wirklich. Zu viel lag noch vor ihnen. Die eigentliche Gefahr drohte ihnen erst noch. Er konnte Jason kaum ins Gesicht sagen, dass ihr Leben am seidenen Faden hing, sobald sie auch nur in die Nähe des Schlosses kamen. Mit oder ohne Ankündigung war dabei einerlei. Doch Jason wusste dies auch so. Es brauchte ihm keiner zu sagen. Während er seinen Körper straffte und eiserne Miene zum bösen Spiel machte, dachte er an seinen Vater. An Father Dest, der bis zu seinem Tod für das Gute gekämpft hatte. Gegen Tyrone und seine leidigen Artgenossen. Mit seinen eigenen Mitteln und Methoden. „Morgen früh werden wir Zundersby einen Besuch abstatten.“ Kapitel 19: - 19 - ------------------ Eigentlich wusste Jason nicht einmal, warum er so plötzlich Lance` Plan zugestimmt hatte und sich auch noch darauf freute, Zundersbys Schloss aufzusuchen; er spürte die Zweifel und die Angst nur allzu deutlich, die seine Glieder lähmten. Er musste verrückt sein zu glauben, dass Hoffnung bestand. Weil Tyrone zu überführen sei! Und dann noch aufgrund längst vergangener und vergessener Verbrechen! Überhaupt klang die ganze Story von weit her geholt. War er denn noch bei Trost, den Morgen gar nicht mehr erwarten zu können? Am liebsten hätte er sich jetzt aus Lance` Umarmung und aus dem Bett geschält, ganz schwarz angezogen, um eins mit der Nacht werden zu können und zu Tyrone zu gehen. Ein Irrwitz! Das war doch alles nur ein Hirngespinst seiner selbst. Durch das Dunkel hindurch versuchte er einen Blick auf den Stuhl gegenüber des Bettes zu erhaschen. Doch mehr als eine schwache Silhouette von diesem konnte er nicht erkennen. Den Rucksack darauf konnte er schon rein gar nicht sehen. Vielleicht wäre wenigstens dieser ein Anhaltspunkt, um nicht zu glauben, lediglich zu halluzinieren. Eine Tasche voller Werkzeug, Taschenlampen, Stiften und Papier. Selbst eine Digicam befand sich unter den Sachen, die ihm dabei dienen sollten, DAS Indiz für Zundersbys Schuldigkeit zu finden. Auch wenn das wie aus einem schlechten Film klang. Gab es diesen Hinweis denn in Wahrheit? Hatte sich Lance da nur etwas zusammengesponnen? Aber alles war besser als vor dem totalen Nichts zu stehen. Alles war erträglicher als die völlige Hoffnungslosigkeit. Selbst wenn sich Lance das alles nur erdachte hatte, um ihm vor dem unausweichlich scheinenden Wahnsinn zu retten, dann sollte er ihm dafür einfach nur dankbar sein. Er hatte die Welt nicht mehr mit eigenen Augen gesehen, sondern mit denen eines Besessenen; eines Irren, der zwar denselben Wunsch hatte, dabei aber vergaß, dass es noch so etwas wie Werte gab. Seine Eltern zu ehren zum Beispiel, um nur einen von ihnen zu nennen. Sobald Jason die Augen schloss, sah er es vor sich. Nicht einmal ein Sturm hätte das Grab derart verwüsten können. Er hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Voller Hohn schlug er sich gedanklich selbst auf die Schulter. Plötzlich stieß er heftig den Atem auf. Ruckartig befreite er sich aus Lance` Griff, der zu blinzeln begann. „Wo gehst du hin?“, gähnte der Ältere verschlafen. „Zu Tyrone“, fauchte Jason. Er konnte nicht still und untätig herumliegen, während irgendwo vielleicht doch eine Chance auf ihn wartete, Zundersby endlich zu erledigen. „Es ist mitten in der Nacht.“ Lance stützte sich auf seine Ellenbogen auf und sein Blick folgte Jason durch das dunkle Zimmer. „Na und? Dann ist der Überraschungseffekt umso größer.“ Murrend warf er sich sein Hemd über die Schultern. Wie sollte er die vier Stunden überstehen, bis der Morgen graute? Er hatte vergeblich versucht zu schlafen; Ruhe zu finden. Er konnte nicht einfach nur daliegen und abwarten. So benommen sich sein Körper auch fühlte ob der Zweifel, die ihn bezüglich seiner Erfolgsaussichten plagten, er musste etwas tun! Egal was! Hauptsache etwas unternehmen, das ihn Tyrones Fall näher brachte. „Jason...“ Mit sanfter Stimme versuchte Lance seinen Freund zu beruhigen, doch das bewirkte vielmehr das Gegenteil. „Jason“, blaffte der blonde, junge Mann und knöpfte seine Jeans zu. „Das bringt jetzt auch nichts. Wir müssen uns das Tageslicht zunutze machen. Vielleicht schreckt Tyrone vor Augenzeugen zurück und so weiter und so fort. Ich weiß!“, schrie er schon beinahe und ließ sich dann steif auf die vorderste Bettkante nieder. „Aber ich werde hier noch ganz verrückt. Ich bin sogar schon so weit, deiner absurden Geschichte Glauben zu schenken, nur um dem Wahnsinn zu entgehen, der mir sonst bevorstünde. Du hast mir eine Möglichkeit versprochen, Zundersby zu entmachten, weißt du das?“ „Ja, ich weiß“, kam es mit leichter Verzögerung zurück. Jason sah Lance nun direkt an, konnte aber dessen Gesicht nur schemenhaft erkennen. „Wenn wir scheitern, dann ist das mein Ende.“ Eisige Stille legte sich über die beiden. Die Worte hingen wie schwere Gewitterwolken im Raum, die keiner zu vertreiben vermochte. Selbst Jason war auf einmal wie erstarrt. Er hatte das ausgesprochen, was ihm seit dem Verlassen des Friedhofs in Wirklichkeit zu schaffen machte. Wenn Tyrone ungeschoren davonkam, dann konnte ihn nichts mehr retten. Das wäre sein Niedergang. Zundersby hatte seinen Vater auf dem Gewissen. Der Schlossherr hatte ihm das Amt des Bürgermeisters vereitelt, hatte ihn zum Gespött der Stadt gemacht und trampelte immer noch nach Herzenslust auf ihm herum. Dieser Mann hatte ihm so vieles genommen: Seinen Vater, seine Ehre, seine Tugenden und seinen Glauben. „Ich werde nicht zulassen, dass wir scheitern“, erhob Lance nach einer gefühlten Ewigkeit die Stimme. Weder er noch Jason waren fähig sich zu regen. Zum Liegen verdammt hoffte er darauf, dass seine Worte seinen Freund erreichten. Doch Jason hatte gar nicht mitbekommen, dass Lance etwas gesagt hatte. Schockiert und fassungslos starrte er ins Nichts. Dass ein Mensch so viel Macht über ihn haben konnte, war doch purer Leichtsinn. Er durfte von einem Individuum nicht derart abhängig sein... und trotzdem war er es. Tyrone war dermaßen präsent in seinem Verstand, seinem Denken und seinem Herzen, dass er gerne aufgeschrien hätte. Alles in seinem Leben drehte sich einzig nur noch um einen Menschen, der das Böse verkörperte. Und er war sich dessen bis dato nicht einmal bewusst gewesen. Zumindest hatte er bis jetzt erfolgreich die Augen davor verschlossen gehabt. Und alles hatte mit seinem Bestreben begonnen, Asht-Zero zu einer Stadt zu machen, in der nicht die Korruption an erster Stelle stand. Der Glaube an das Gute und an die Menschen an sich hat ihn zu dem gemacht, was er nun war: Völlig labil und zerbrechlich. Tyrone müsste ihn nur an anhauchen und er würde in tausend Stücke zerbersten. „Ich bin ein Wrack“, hauchte er niedergeschmettert. Wie hatte es nur so weit kommen können? Als Aspir war alles leichter gewesen. Mit einem einzigen Gefühl – erbarmungslose Rache – geriet man nicht ins alles vernichtende Chaos. Man erkannte nicht, was wirklich mit einem geschah. Einzig zählte der Gedanke des Untergangs, aber gewiss nicht des eigenen... nicht sein eigener. „Wir werden ihn besiegen“, streifte Lance` warmer Atem sein linkes Ohr. Obwohl das die einzige Berührung war, die zwischen ihnen stattfand, konnte Jason seinen Freund am ganzen Körper spüren. Mit einem Mal kribbelte es überall und alles um ihn herum begann zu erzittern. Die Wand, die er angestarrt hatte, vibrierte plötzlich unablässig. Als er merkte, dass er es war, der am ganzen Leib bebte, ließ er sich zurücksinken und lehnte sich an Lance` starke Brust. „Ehe er uns besiegt, möchte ich dich noch einmal spüren...“ Er brauchte nicht laut auszusprechen, was er damit meinte. Und doch regte sich Lance nicht. Jason spürte einzig seine unregelmäßig auf- und absenkende Brust. Möglicherweise musste er noch ein Stück mehr dem Wahnsinn verfallen, um einigermaßen ernüchtert wieder aus ihm aufzutauchen. Mit Lance hier zusammen auf dem Bett zu liegen, kam einem Traum gleich, den er sich in dem Dunkel seines gefangenen Geistes ersponn, um nicht gänzlich dem lockenden Ruf der Apokalypse zu folgen. Wenn es kein Mittel gegen Zundersby gab... war die Welt für ihn verloren. Im Grunde war das alles verrückt und krank und totaler Schwachsinn! Aber er brauchte nur einen Augenblick auf sein Herz zu hören und schon glich es der bitteren Wahrheit. „Berühr` mich!“, forderte er Lance auf. Doch der junge Mann hinter ihm rührte sich noch immer nicht. Befand Lance diese Situation für falsch? Dachte er, er würde einen gebrochenen Menschen nur ausnutzen? Es gab hier kein richtig oder falsch! Zumindest nicht für Jason. Und wenn er etwas als richtig erachtete, dann war es Lance hier und jetzt zu lieben! „Berühr` mich“, flehte er mit leiser Stimme. Er konnte nicht mehr. Am ganzen Körper zitternd suchte er Lance` Hände mit den Seinen auf und umgriff sie. Dann schloss er die Augen und konzentrierte sich allein auf die Finger, die er auf sich fühlen wollte. Als er sie langsam nach vorne führte und sie über seinen Bauch streifen ließ, wehrte sich Lance nicht. „Bitte...“ Mach schon!, schrie er in Gedanken. Er wollte in eine Welt entfliehen, die ohne Tyrone von Zundersby auskam. Ein Universum, das diesen Mistkerl nicht kannte, in dem er nicht existierte. An den Rand der völligen Ekstase wollte er getrieben werden, um wenigstens für einen kleinen Augenblick alles zu vergessen. War das wirklich zu viel verlangt? Unmittelbar in seinem Nacken spürte Jason Lance` Lippen, die sich heimlich dorthin geschlichen hatten. Hauchzart striffen sie immer wieder unterhalb seines Haaransatzes hinweg, während Lance` Hände einfach nur still auf seinem Oberkörper lagen, dort, wo er sie selbst hingeführt hatte. Diese Sanftheit war eine Qual, doch nichts anderes wollte er. Alles sollte so konträr wie möglich sein zu dem harten und tiefen Schmerz, den er empfand und den er für diesen Moment ausblenden wollte. Auch wenn er die Augen langsam wieder öffnete, nahm er nicht mehr als den weichen Mund auf seiner bloßen Haut wahr. Alles in ihm versteifte sich auf das zarte Fleisch, das irgendwann vorsichtig an ihm zu saugen begann. Fliehen. Er wollte fliehen. Dem Wahnsinn entrinnen und sich ihm gleichzeitig ein Stück weit mehr hingeben. Lance hier und jetzt zu empfinden, glich einem totalen Realitätsverlust. Vor weniger als vierundzwanzig Stunden noch hat er nichts als Rache in sich gespürt. Als Aspir war er zum Grab seiner Eltern gegangen, hatte sein größtes Verbrechen in seinem bisherigen Leben verübt und war mit einem Mal aus der Welt, in der nur Tyrone und er selbst existierten, herausgerissen worden. Nein, es hatte sich zwar im ersten Moment so angefühlt. In Wahrheit aber war nur ein Mensch hinzugekommen. Lance... Der nun dicht an ihn geschmiegt hinter ihm auf dem Bett saß und seine Lippen fortwährend über seinen Nacken fahren ließ. Allmählich begannen sogar seine Finger sanfte Kreise zu ziehen. Fast wie in Trance bewegten sie sich über Jasons Brust hinweg. Obwohl Jason es sich einzureden versuchte, langsam reichte ihm das nicht mehr. Er wollte mehr. Er wollte Lance fester, leidenschaftlicher und auch... heftiger spüren. Man konnte es fast schon als grob bezeichnen, wie er Lance` Hände packte und von sich weg stieß. Ungestüm drehte er sich um, drückte Lance zurück in die Laken und presste seine Lippen auf die Seinigen. Wild stieß er mit seiner Zunge in die ihm sich darbietende Höhle und plünderte so tief und ausdauernd er konnte. Auch Lance` Haltung hatte sich rapide verändert. Er erwiderte den Kuss genauso erbarmungslos wie er ihm aufgezwängt wurde. Unhaltbar glitten seine Hände Jasons Rücken auf und ab und verloren sich alsbald auf dessen Hintern. „Das Anziehen hättest du dir sparen können“, raunte er ihm zwischen ihren Lippen entgegen. In seinen Augen funkelte pure Lust, was Jason zwar nicht sehen, aber dafür umso deutlicher spüren konnte. Und genau das heizte ihn noch mehr an. „Noch habe ich alles an“, gab er lapidar und zugleich herausfordernd zurück, als er seine Lippen von denen von Lance löste, nur um sie wenig später auf dessen eines Schlüsselbein zu drücken. Während er sich Stück für Stück zu Lance` linker Brustwarze vorarbeitete, nahm er grinsend zur Kenntnis, wie ihm sein Hemd langsam von den Schultern rutschte. Sofort breitete sich eine unbändige Hitze auf ihm aus, als gierige Finger seine nackte Haut erkundeten. Vergessen. Er wollte nichts als vergessen. Oh ja, er war gerade dabei zu vergessen! Für einen Moment eine Welt zu betreten, in der es nur Lance und ihn gab. Ihre traute Zweisamkeit und ihr stürmisches Verlangen. Unkontrolliert krallte Jason seine Hände in Lance` dichtes Haar, während seine Zunge enge Kreise um den verführerischen Bauchnabel zog. Bisweilen bekam er mit, wie seine Jeans in seinen Kniekehlen hing. Für einen winzigen Augenblick brach er alles ab und schüttelte das störende Stück Stoff von sich ab. „Viel besser“, lächelte er mit lustverhangenem Blick und widmete sich wieder der kleinen Rundung auf Lance` Bauch. Wie ein tosendes Meer brach die Welle der unerschütterlichen Gier über ihn herein. Ihn verlangte immer noch nach mehr. Jedwede Zurückhaltung, die er vorher noch aufbringen konnte, warf er endgültig über Bord und er stürzte sich auf seinen Freund wie ein Wolf auf das bereits am Boden liegende Reh. Er nahm nur noch den betörenden Geruch wahr, den Lance verströmte. Jede Facette seines Seins wollte er berühren, liebkosen und letztlich verschlingen. Er wollte Lance in sich aufsaugen und den Verstand dabei verlieren. Ihn interessierte nicht, was er tat, wie heftig er war oder ob er ihm Schmerzen bereitete. Er tat einfach nur das, nach was er sich verzehrte. Und die Zügellosigkeit, die ihm entgegengebracht wurde, bestärkte ihn nur noch mehr. Alsbald verloren sie sich in einem Kampf, der wie ein Sturm tobte. Austeilen, einstecken, auf Biegen und Brechen die Oberhand gewinnen, um im nächsten Moment der zu sein, der unten lag und den haltlosen Rhythmus des anderen spürte. Keuchen. Stöhnen. Aufbegehren. Die Luft vibrierte. Die Atmosphäre knisterte. Die Umgebung schwand und kehrte sogleich erschütternd scharf wieder. Lidflattern. Völliger Wahnsinn. Tauche hinab und kehre wieder. Nur der, der ihn erfahren hat, weiß, wie elend er ist. Tauche tiefer hinab und vergiss nicht... zurückzukehren. Kapitel 20: - 20 - ------------------ Manchmal interessiert es mich brennend, ob meine Story überhaupt noch gelesen wird (mit Ausnahme von Morrigan, die mir das immer mitteilt *knuffel*). Aber auch wenn ich es nicht weiß, habe ich weiterhin Spaß an der Geschichte und werde sie auf jeden Fall zuende bringen! ;-) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ - 20 - Finster wie die Nacht... Obwohl er Lance´ warmen Körper an seinem wusste, fühlte er ihn nicht. Auch wenn er seinen Arm bewegen und vor Augen führen konnte, war er völlig taub. Obgleich er den Raum eindeutig erkennen konnte, glaubte er, nicht dort zu sein. Es war wie eine Ohnmacht, nur mit dem Unterschied, im wachen Zustand dazuliegen und alles um sich herum wahrzunehmen. Wahrnehmen hieß aber nicht begreifen und auch nicht recht realisieren. Dinge zu sehen war nicht gleichbedeutend damit, sie zu fühlen, sie als solches zu erkennen, was sie waren; ob eine Zudecke, ein Laken oder ein menschliches Wesen. Es war vollkommen gleich, um was es sind handelte. Jason sah, aber er reagierte nicht. Er hörte, aber er antwortete nicht. Er beobachtete, nahm aber nicht wirklich teil. Es war, als ob die Welt ganz normal ihren Lauf nähme, aber dabei vergaß, dass er ein Teil von ihr war und ihn auf ihrer Reise mitzunehmen hatte. All die Leidenschaft, das Verlangen und die unstillbare Gier der Nacht waren wie ausgelöscht. Als ob er nie über Lance hergefallen wäre und als ob es die von Wildheit gezeichneten Berührungen zwischen ihnen nie gegeben hätte. Das Spiel ihrer Zungen, das Treffen von nackter Haut auf nackte Haut und das laute, unbändige Stöhnen waren nur noch vage Erinnerungen. War Wahnsinn, all das zu verdrängen, was einem wichtig war? Bedeutete Wahnsinn, zwar am Leben, aber unfähig zu sein, sich in die Umgebung zu integrieren? Sie nicht im geringsten zu spüren, zu fühlen oder aktiv an ihr teilzunehmen? Glich Wahnsinn einem Zustand, in dem man zwar atmete, aber sich ansonsten aus der Welt herausgelöst fühlte? Wie aus weiter Ferne nahm Jason wahr, dass Lance aufwachte, den Arm, der um ihn gelegen hatte, wegzog und sich langsam aufrichtete. „Guten Morgen.“ Lance´ Stimme war nur ein hölzernes Gemurmel, das durch zig dicke Wände hindurch zaghaft zu Jason durchdrang. Er gab keine Antwort. Er rührte sich nicht einmal. Ausschließlich mit seinen Augen folgte er den weiteren Bewegungen seines Freundes. Die Minuten schienen unaufhaltsam zu verstreichen, in denen er einfach nur dalag und zusah. Fast als ob er abends auf dem Sofa liegen und einen Film schauen würde. Die Szene, selbst wenn sie sich direkt vor ihm abspielte, war nicht greifbar. Jede von Lance´ Bewegungen kam ihm vor, als ob sie in Zeitlupe und nicht an diesem Ort ausgeführt würde. Kein Windhauch streifte seine Wange. Nicht einmal das Absinken des Bettes, als Lance sich setzte, um seine Strümpfe anzuziehen, bemerkte er. Ganz als ob er stummer, unbeteiligter und rein geistiger Zuschauer wäre. Körperlich mochte er mit Anwesenheit brillieren können, aber ein Körper, der keine Signale sendete...? War es Wahnsinn, das Alltägliche nicht zu spüren? War es Wahnsinn, wenn Dinge, die so real waren, plötzlich spurlos an einem vorüber rannen? Und dann kam Lance immer näher. Sein Blick war starr auf ihn geheftet, das dunkle Blau wirkte noch tiefer und geheimnisumwobener als üblich. Dennoch kam es einer Halluzination gleich, als sich die bekannten Lippen auf die Seinen legten. Jason wusste aufgrund von Lance´ Bewegungen, dass er den Kuss erwiderte, aber er spürte ihn nicht. Er fühlte Lance´ Lippen nicht! Warum löste Lance den Kuss nicht, wenn er ihn eigentlich doch gar nicht erwidern konnte? Er fühlte nichts! Rein gar nichts! Warum hing Lance noch immer an seinen Lippen, wenn sie doch gar keinen Gegendruck ausübten? War Wahnsinn eine Form des stumpfen Empfindens, tatenloser Zuschauer zu sein, während Dinge geschahen, die man nicht beeinflussen konnte? Die Zeit verstrich unaufhaltsam, doch die Emotionen blieben aus. So sehr er sie sich herbeiwünschte, so wenig vorhanden waren sie. Kein Herzrasen, keine Schmetterlinge im Bauch, nicht einmal das kleinste Gefühl von Aufregung, Erregung oder Glück. Er sah wortwörtlich dabei zu, wie Lance' Lippen die Seinen umwarben... Aber sehen war nicht fühlen! In Gedanken schüttelte er den Kopf, denn das konnte doch unmöglich der Realität entsprechen! Doch nicht einmal das konnte er mehr bewerkstelligen. Sein Kopf tat nicht das, was er wollte. Überhaupt gehorchte sein Körper nicht mehr. Nicht einmal der Arm, den er eben noch – auch wenn mehr schlecht als recht – bewusst bewegt hatte, vollführte das, was er dachte. Er wollte mit seiner Rechten über Lance´ Rücken streichen, um wenigstens etwas zu empfinden oder aus eigenem Antrieb zu handeln, aber selbst dieser Dienst wurde ihm nicht erwiesen. Stumm sah er dabei zu, wie sie sich in der Zudecke verkrallte. In stetig wachsender innerer Aufruhr schloss er die Augen und konzentrierte sich auf seinen Tastsinn. Nichts. Da gab es nichts zu entdecken. War Wahnsinn, völlig den Verstand zu verlieren? Er mochte gedacht haben, die Augen geschlossen zu haben, aber wie er nun bemerkte, konnte er Lance direkt in die tiefblauen Seelen blicken. Sah sein Freund, welche Panik in ihm zu wüten begann? Dass er gerade nicht im geringsten wusste, was mit ihm geschah? Lance löste sich nach schier endloser Zeit, hob seinen Kopf ein paar Zentimeter an und starrte ihn plötzlich an. Seine Lippen formten Worte, die Jason nicht verstehen konnte. Er konnte sie zwar hören, aber sie ergaben einfach keinen Sinn, so dumpf und verworren wie sie zu ihm drangen. Immer wieder dieselben Silben, die dem Anschein nach mit Nachdruck gesprochen wurden... ...as... ...son... „Jason!“ Jason... Natürlich! Mit einem Ruck war er hellwach. Doch die Szenerie hatte sich mit einem Mal vollkommen gewandelt. Er lag zwar immer noch im Bett, doch Lance stand nicht mehr vornübergebeugt über ihm, sondern lag neben ihm mit bloßem Oberkörper, die Zudecke lose über seinen Beinen. Irritiert ließ Jason seinen Blick ein paar Mal von oben nach unten wandern. „Geht´s dir gut?“, rückte Lance näher und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. Jason nahm jede noch so zarte Berührung wahr: Das Absinken der Matratze, als sich Lance mit einem Ellenbogen auf sie stützte, den Atem, den sein Freund verströmte und zuguterletzt die weichen Lippen, die seine Haut liebkosten. „Ich... hab´ nur geträumt“, stellt er mehr fest, als dass er antwortete. Immer noch desorientiert, aber erleichtert wandte er sich Lance zu und presste nahezu grob seine Lippen auf dessen Mund. „Beiß` mich!“, forderte er ihn zwischen ihren Lippen auf, obwohl er bereits jetzt wusste, dass er jede noch so kleine Berührung empfinden konnte. Als Lance seiner Bitte nicht nachkam, schob er ein flehendes „Mach einfach!“ nach. Und tatsächlich! Er fühlte nur allzu deutlich, wie sich die spitzen Eckzähne in sein Fleisch gruben. Ein wohliges Seufzen entwich seiner Kehle, während er die Augen schloss und sich Lance immer weiter entgegendrückte. Wahnsinn verbarg sich überall. In Träumen. Im Denken. Wahnsinn war das Leben. „Ich werde vorsichtig sein“, meinte Jason zu Lance, der seit geraumer Zeit unruhig aus dem Fenster sah. Er wollte sich seine Nervosität nicht anmerken lassen, doch Jason nahm sie dennoch mehr als deutlich wahr. Der schwarzhaarige junge Mann reagierte nicht, sondern fuhr damit fort, seine Augen auf die Wolken zu heften, die in grauen Schwaden an ihnen vorüberzogen. Das Wetter verhieß Unheil und die düstere Atmosphäre schien sich wie Blei auf Lance´ Glieder zu legen. Jason trat näher und legte eine Hand auf Lance´ linke Schulter. Gemeinsam sahen sie hinaus. Würden sie Tyrone heute das Handwerk legen können? Ein folgenschwerer Tag stand ihnen bevor und auch Jasons Inneres war alles andere als von Ruhe geprägt. Nicht nur der Traum vom Morgen hing ihm nach, sondern auch der Gedanke an seinen Vater machte ihm schwer zu schaffen. Würde es ihm gelingen, Zundersby dingfest zu machen mit fast legalen Mitteln? Sich in ein bewachtes Schloss zu schleichen, entsprach nicht gerade einer gesetzlich unterstützten Methode, um an belastende Beweise zu gelangen. Aber hatten sie eine Wahl? Ganz Asht-Zero war ein einziges Netz der Korruption. Tyrone hatte es ungesehens geschafft, Morde unter den Teppich zu kehren, und ohne Unterstützung seitens der Polizei oder der Judikative wäre ihm das niemals derart reibungslos gelungen. Er war ein Mann, vor dem alle Angst hatten und der dem einen oder anderen eine Menge Geld einbrachte. „Warum lassen sich die Menschen immer wieder kaufen?“ Dies war eine Frage, die ihm keiner beantworten konnte. Auch Lance nicht, der ohnehin fortwährend aus dem Fenster blickte und seinen ganz eigenen Gedanken nachzuhängen schien. Immer wieder sah Jason das Abbild seines Vaters in den sich ständig wandelnden Wolkenfeldern. Die Ereignisse der letzten Stunden hatten sich vollkommen überschlagen, doch im Mittelpunkt hatte für Jason immer Kelvin Sartaren gestanden. Er war kurz davor gewesen, den größten Fehler seines Lebens zu begehen, nur um am Ende etwas in den Händen zu halten, womit er vielleicht nie das erreicht hätte, was er wollte. Als Aspir wäre er womöglich wirklich mit der Leiche seines Vaters auf den Armen zur Polizei gegangen, doch wäre er überhaupt so weit gekommen? Was hätten die Behörden mit ihm gemacht, wenn sie das gesehen hätten? Ihn für geisteskrank erklärt und hinter Gittern gesperrt? Genau dorthin, wo Tyrone hingehörte? Wäre das die wahrste Ironie des Schicksals gewesen? Eigentlich wollte er nicht darüber sinnen, doch die Gedanken verfingen sich in seinem Denken wie fein säuberlich gefädelte Spinnweben. Die eine riss er ein und schon tauchte die nächste auf. Die eine Erinnerung verdrängte er und schon plagte ihn die nächste. Vage bekam er mit, wie sich Lance´ Haltung rapide veränderte. Er wollte seinem Blick nach unten auf die Straße folgen, doch dazu kam er nicht, denn er wurde vorher rücklings gen Sofa geschoben und auf dieses niedergedrückt. Ehe er auch nur einen Laut der Empörung und der Verwunderung von sich geben konnte, versank er in den Tiefen seines Freundes, die ihn entschlossen wie unsicher anvisierten. Jason wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Dass jetzt etwas kam, das er unter Garantie nicht hören wollte. „Was ist es?“, merkte er scharf an. Seine eigene Unsicherheit ließ ihn wesentlich härter klingen als beabsichtigt. Doch die Stille, die ihm mit einem Mal noch viel beklemmender als ohnehin schon vorkam, ließ sein Herz bis in den Hals schlagen und seinen Puls in Nirwana jagen. Laut atmete Lance aus und sah für einen Augenblick zur Seite. Seine Hände lagen fest auf Jasons Schultern, so dass dieser nicht gewaltfrei aufstehen konnte. „Ich muss dir etwas wichtiges sagen“, meinte er dann und spürte Jasons Körper unter seinen Fingern sich versteifen. Mit was musste Jason nun rechnen? Ihm war, als ob sich die ganze Welt drehte. Als ob die Gedanken in seinem Kopf nun vollends verrückt spielten. Warum hatte Lance ihn eigentlich die ganzen letzten Monate beschattet und war auch noch im richtigen Moment am richtigen Ort gewesen, um ihn zu... retten? Warum hat Lance ihm keinerlei Vorwürfe gemacht und ihn mit keinem einzigen Blick getadelt? Schließlich war er drauf und dran gewesen, das Grab seiner Eltern auseinanderzulegen! Er war dabei gewesen, Kelvin und Sira der letzten Ehre zu berauben! Und Lance hatte ihn einfach mit hierher genommen, ihm vertraut und dann auch noch mit ihm geschlafen! Den ganzen Morgen schon ging sein Freund auf Distanz und war äußerst verschlossen, sagte kaum etwas. Jason hatte das als ganz normal hingenommen, da es ihm nicht besser erging und ihr Vorhaben von einem solch schweren Kaliber war, dass man nicht einfach darüber hinwegsehen konnte. Er wusste genau, dass sie mit ihrer beider Leben spielen würden, sobald sie in die Nähe von Tyrone von Zundersby kamen. Und dass Lance nicht wollte, dass er mitging, aber ihm keine andere Möglichkeit blieb. „Du willst mich doch nicht etwa davon abbringen, endlich etwas gegen Tyrone in der Hand zu haben?“ Entrüstet sah er seinen Gegenüber an, der ein ziemlich sarkastisches „Könnte ich das?“ von sich gab. Was war es dann? Jason hatte keinen blassen Schimmer und die Unruhe in ihm wuchs mit jeder Sekunde, die in sicher nicht einvernehmlichen Schweigen verstrich. Lance´ Blick war ernst und zugleich unstet, bis er das tiefe Blau verbarg und den Kopf ein Stück weit senkte. „Ich habe gestern etwas getan, das dir sicherlich missfällt... Als du unter der Dusche warst, habe ich ...“ In Jason zog sich alles zusammen. Würde gleich Tyrone vor der Tür stehen? Hatte Lance ihn ausgeliefert? Gerade war für ihn selbst das Unmögliche möglich! Unbändig begann er sich unter Lance´ Händen zu regen, doch dieser verstärkte den Druck und zwang ihn immer tiefer ins Sofa hinein. „Wa... rum?“, drang es verstört aus Jasons Mund, der nur noch den Mann vor sich sah, der ihm alles genommen hatte. Lance überging seine Frage und hauchte ihm einen Kuss auf die verschwitzte Stirn. Sollte das der Kuss der Verrates sein?, höhnte es in Jasons Verstand. „Es tut mir leid, aber ich konnte nicht anders.“ Sollte das Reue sein? Was tat Lance leid? Dass er ebenso käuflich war wie der Rest der Stadt? Was hatte Tyrone ihm geboten? Ein sorgloses Leben bis zu seinem Tod? Einen Platz in seinem Schloss, Edelsteine und/oder Xander als willenloses Lustobjekt? „Ich habe Holly hierher zitiert.“ Eine bittere Vorstellung! Xander und La- Jason riss die Augen weit auf. „Holly?“ Lance ließ ihn los und deutete zur Tür. „Darf ich sie reinlassen?“ Benommen sah Jason von Lance´ Zeigefinger zur Tür und starrte das Holz eine gefühlte Ewigkeit lang an. Sein Herzschlag normalisierte sich allmählich, ebenso seine Blutzirkulation. Holly? Wenn er gekonnt hätte, hätte er hysterisch zu lachen begonnen. Doch er war nicht einmal fähig, den winzigsten Laut über seine Lippen zu manövrieren. Aber was sollte Holly hier? Warum hatte Lance sie angerufen und hergeschickt? „Du...“, krächzte er hilflos. „Du willst sie... doch nicht... etwa mitnehmen?“ „Wir brauchen einen Zeugen“, kam es überzeugt und bejahend zurück. Jason wusste nicht, was schlimmer war: Tyrone jetzt in die Hände zu fallen oder seine Freundin dieser Gefahr auszusetzen. Seit Wochen hat er sie nicht mehr gesehen, hatte jedweden Kontakt zu ihr abgebrochen und nun stand sie anscheinend vor der Tür, um ihn in einem Vorhaben zu unterstützen, das an Waghalsigkeit nur schwerlich zu übertreffen war. Sie hatte keinen driftigen Grund, ihm überhaupt noch einmal in die Augen zu sehen geschweige denn ihm zu helfen. Sie wollte und hatte ihm so vieles gegeben und er hatte es ihr mit Ignoranz und Lügen gedankt. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Lance hätte ihn verraten... Während sich ein tiefer Schatten über sein Gesicht legte, stand Lance auf und verließ das Wohnzimmer. Jason hörte kurz darauf leise Stimmen, doch am liebsten hätte er sie ausgeblendet. Je mehr er versuchte, sie nicht wahrzunehmen, desto deutlicher drangen sie in seinen Verstand. Lance kehrte mit einer brünetten Frau zu seiner Linken zurück. „Holly...“, formten Jasons Lippen und er konnte den Blick nicht von ihr abwenden, so gern er es auch getan hätte. Er hätte verstanden, wenn sie ihn keines Blickes gewürdigt hätte. Er hätte nachvollziehen können, wenn sie auf ihn zugestürmt wäre und ihm eine gelangt hätte. Er hätte sich gewünscht, dass sie ihn mit ihrem aufbrausenden Temperament verbal attackiert hätte. Aber dass sie ihn mitleidvoll und erfreut zugleich ansah, versetzte ihm einen Stich nach dem anderen. Seine Schuldgefühle nahmen mit jedem Augenblick, in dem sie einfach nur dastand und ihn ansah, zu. Eine weitere Gestalt erschien hinter den beiden. „Hi Jason“, gab Eddy wie immer lässig von sich. Auch er trug keinerlei Abneigung oder Schmach in seinen Zügen, erst recht nicht in seiner Stimme. Jason war völlig elend zumute. Kapitel 21: - 21 - ------------------ - 21 - »In gläserner Stille hörst du jeden Ton zerbersten. Jeder Blick bohrt sich tief in deine Seele und schnürt dir die Kehle nur noch mehr zusammen. Unter Argusaugen fasst du dir an die Brust, unter der dein Herz zu schmerzen beginnt. Je mehr du vergessen möchtest, desto deutlicher zeichnen sich die Bilder deiner Vergangenheit vor dir ab. In Gedanken schlägst du auf sie ein, doch du kämpfst lediglich die Schlacht der Verlorenen. Schon lange kannst du dich deiner Gefühle nicht mehr erwehren, die nun wieder einen Weg an die Oberfläche gefunden haben. Aspir, eine Maske, die Seinesgleichen erst noch finden muss, verdeckte nur das, was du mühsam zu unterdrücken versuchtest. Doch es schlummerte derweil stets in dir. Auch du bist bloß ein Mensch. Fleisch und Blut. In gläserner Stille kann man alles hören, selbst deine lautlosen Schreie.« Wie in Trance sah Jason auf Holly, die unermüdlich auf der Türschwelle zum Wohnzimmer stand. Eddy ruhte seit geraumer Zeit hinter ihr und hatte seine Hände um ihre Taille gelegt. Sie wirkten beinahe wie Statuen, denn nur das stete Auf und Ab ihrer Oberkörper ließ darauf schließen, dass sie lebendig waren. Es war, als ob jemand die Zeit angehalten hätte. Als ob jemand die Szene eingefroren hätte und nicht gewillt war, sie wieder freizugeben. Wie lange war es her, dass Jason Holly gesehen hatte? Wochen? Monate? Sie hatte sich kein bisschen verändert. Ihr haftete trotz der scheinbaren Starre eine starke und gefühlsbetonte Ausstrahlung an. Ihre grau-grünen Augen trugen wie immer ihre Stimmung offen zur Schau. Nur gefiel Jason ganz und gar nicht, was er in ihnen sah. Mitleid übertrumpfte bei weitem alles andere, selbst die Enttäuschung, die sie zurecht empfand, und auch die Freue über das Wiedersehen, welche ihm einen tiefen Stich versetzte. Er hatte ihre Freundschaft auf eine sehr harte Probe gestellt und er wusste nicht, ob sie das überstanden hatte. Dass Holly nun hier vor ihm stand und ihn bei seinem waghalsigen Vorhaben unterstützen wollte, hieß noch lange nicht, dass sie ihm je wieder so nah wie früher sein konnte oder dass sie überhaupt noch eine Bindung zueinander hatten. Als Aspir war er ihr kühl, beherrscht und abweisend gegenübergetreten. Er hatte jede ihrer Bemühungen vollends abgeblockt und sie als Person schlichtweg links liegen lassen. Obwohl er seine Wut, dass sie ihm die wahre Todesursache seines Vaters verschwiegen hatte, lieber auf Lance projiziert hatte und ihr versichert hatte, dass er ihr keine Schuld gäbe, so hatte er doch unterbewusst eine Sperre errichtet. Er hatte niemandem mehr vertraut, selbst ihr nicht. Er verstand gut, dass Eddy sie begleitete. Ihnen stand die wohl gefährlichste Aufgabe ihres Lebens bevor und mit Tyrone von Zundersby war wirklich nicht zu spaßen. Rücksicht und Skrupel waren die letzten Eigenschaften, mit denen Tyrones Charakter beschrieben werden konnte. Nicht nur Jason hatte dies bisher am eigenen Leib erfahren dürfen. Mehr als ein Mensch war durch die Hand des Schlossherrn zu Tode gekommen und dies ließ gewiss nicht darauf schließen, dass man einfach mal sein Anwesen betreten und auf etwaige Beweise für seine Schuldigkeit absuchen konnte. Dass Eddy nicht nur ein schützendes Auge auf seine Freundin warf, war nur allzu verständlich. Freundschaft sollte über allen Dingen stehen. Jasons Herz schnürte sich mit jedem bekümmerten Schlag mehr zusammen. „Setzt euch doch“, schallte plötzlich Lance´ Stimme durch den großen Raum. Mit einer ausladenden Bewegung ging er an den beiden vorbei und warf Jason einen besorgten Blick zu. Danach beachtete er ihn eine Weile nicht mehr, sondern kümmerte sich um Getränke und ein paar Häppchen. „Wer weiß, wann wir wieder dazu kommen werden“, meinte er mit einem unruhigen Gesichtsausdruck, während er in eine Brötchenhälfte biss. Unter Garantie war auch ihm nicht nach essen zumute, doch er wollte wohl die Atmosphäre, die so gespannt war wie eine Gitarrensaite, ein wenig auflockern. Dass man von seinem Gesicht auf seine Gefühle schließen konnte, war eine echte Seltenheit. Unter normalen Umständen hätten sich seine Hände auch nicht in den Stoff seiner Kleidung verkrampft, um das für ihn höchst ungewöhnliche Zittern zu verbergen. „Danke, dass du mir Bescheid gegeben hast“, wandte sich Holly nun an Lance und befreite Jason zum ersten Mal seit ihrer Ankunft von ihren Blicken. Bisher hatten weder sie noch Eddy etwas gesagt und Lance musste sich wie ein Idiot vorgekommen sein, Gäste zu bewirten, ohne von ihnen recht zur Kenntnis genommen zu werden. Jasons saß auf seiner Couch, sah von einem zum anderen und stierte letztlich doch nur die Wand weit hinter ihnen an. Seine Lippen bebten – nahm dies denn keiner wahr? Auf seiner Zunge lagen tausend Worte, hörte sie denn keiner? „Auch wenn ich es nicht gutheiße, dass wir euch einer solchen Gefahr aussetzen, so musste ich uns, vor allem Jason, eine Sicherheit geben.“ Entschuldigend blickte Lance von Holly zu Eddy und wieder zu Holly. „Wenn niemand über unser Vorhaben Bescheid weiß und wir spurlos verschwinden, kann Tyrone für nichts belangt werden.“ Mühsam versuchte er zu lächeln, während er mit den Schultern zuckte, doch er scheiterte kläglich daran. Mehr als eine verzerrte Fratze bekam er nicht zustande. „Es war richtig, mich anzurufen“, bekundete Holly und drückte einmal kräftig Eddys Hand, die auf ihrem Oberschenkel ruhte. „Euer Plan ist so schon töricht genug, da müsst ihr nicht auch noch riskieren, dass...“ Sie führte ihren Satz nicht zuende, sondern richtete ihre Augen stattdessen wieder auf Jason, der bisweilen am ganzen Körper zu beben begonnen hatte. „Jason?“ Ihre Stimme war mit einem Mal ganz weich. Die Augen des jungen Mannes weiteten sich mit jeder Sekunde, die nun wieder in aller Stille verstrich. Aller Augen waren erneut auf ihn gerichtet. Er spürte jedes einzelne in ihn dringen. Verzweifelt biss er sich auf die Unterlippe und überging den Schmerz, den er sich damit zufügte, indem er seinen Körper in einem steten Rhythmus vor- und zurückbewegte. Er konnte all die Worte hören, die die drei gerne ausgesprochen hätten, und es nur aus Rücksicht auf ihn nicht taten. Der schwarze Grabstein seiner Eltern blitzte vor seinem geistigen Auge auf und wurde geraume Zeit später von den verletzten Blicken seitens Holly abgelöst. „Ihr habt ja Recht!“, rief er mit einem Mal ganz außer sich aus. „Ich habe es nicht verdient, hier unter euch zu verweilen und euch an meiner Seite zu wähnen! Aber...“ Er begann zu lachen und sich die Haare zu raufen. „Aber“, wiederholte er voller spottender Selbstverachtung. Als er sich wieder ein wenig beruhigt hatte und wieder einigermaßen entspannt dasaß, ließ er seinen Kopf sinken und murmelte: „Es tut mir leid.“ Seine letzten Worte konnte keiner recht verstehen und doch wussten alle, die immer noch ziemlich entsetzt auf ihn blickten, was er gesagt hatte. Holly war die erste, die ihre Fassung wiedergewonnen hatte. Langsam stand sie auf und näherte sich Jason vorsichtig. Als sie vor ihm angelangt war, ließ sie sich auf ihre Knie nieder und legte behutsam ihre Hände um Jasons, der sie beinahe zurückgezogen hätte. „Sieh mich an“, forderte sie ihn mit leiser Stimme auf. Er tat wie geheißen, auch wenn es ihm Mühe kostete. „Ich kann nicht ´vergeben und vergessen´ sagen, aber ich kann dich gut verstehen. Und eines kann ich dir mit reinem Gewissen gestehen: Wir sind Freunde und werden es auch immer bleiben.“ Da saßen sie. Vier Menschen, die ein dasselbe Ziel verfolgten. Und obgleich sie dieselben Grundsätze und Wertvorstellungen, zumindest in ihren Grundzügen, teilten, konnten sie sich alle kaum mehr voneinander unterscheiden. Lance, eher der stille, geheimnisumwobene Typ, der nicht sinnlos redete und sein Tun gründlich durchdachte. Holly, die eher hitzköpfige und temperamentvolle Frau, die ihren Mund nach Belieben sprechen ließ und auch oft einfach das tat, was ihr im Sinn stand. Und Eddy, der unauffällig durchs Leben ging, es aber faustdick hinter den Ohren hatte. Zuguterletzt Jason, der nachdenklich von einem zum anderen sah und sich glücklich schätzen konnte, derart gute Freunde zu haben. „Seid ihr euch wirklich sicher, mich zu Tyrone begleiten zu wollen?“, fragte er in die kleine Runde hinein. „Warum wären wir sonst hier?“, erwiderten Holly und Eddy wie aus einem Mund. „Mach dir keine Gedanken um uns, sondern konzentriere dich einzig auf dein Vorhaben. Damit wirst du bereits genug zu tun haben“, fügte Eddy mit ernster Miene an. „Aber denke immer daran, dass wir in deiner Nähe sind und Hilfe holen, wenn es die Umstände erfordern.“ Holly schenkte Jason ein aufmunterndes Lächeln. Sie hoffte inständig, dass es diese ´Umstände´ nicht geben würde, aber bei Zundersby konnte sie sie leider nicht ausschließen. Zwischen ihnen herrschte eine permanente beklemmende Atmosphäre, die alle ein wenig lähmte. Jason brauchte nur an den Schlossherrn denken, da überlief ihn ein kalter Schauer. Um nicht mit völlig weichen Knien den Weg ins Verderben – wie er seinen Plan insgeheim nannte – anzutreten, musste er ein wenig was von Aspirs Kälte und Beherrschung zurückgewinnen. Das war nicht leicht, wenn man bedachte, zu was ihn Aspir getrieben hatte. Obwohl Aspir weiterhin in ihm existierte, ein Teil von ihm war, fürchtete er sich davor, ihn wieder zum Vorschein kommen zu lassen. Denn er wusste nicht, in wie weit er ihn kontrollieren konnte. Würde er abermals sein gesamtes Handeln bestimmen? Würde er ihn wieder zu dem von ihm verhassten Menschen machen, der vor nichts zurückschreckte? „Wir sollten es nicht länger vor uns herschieben“, meinte Lance und stand auf. Ohne weitere Worte verließ er den Raum. „Er hat Recht“, bekundete Holly und erhob sich ebenfalls. Eddy machte es ihr nach, packte gleichzeitig Jason am Arm und zog ihn mit sich auf die Beine. „Bereit?“, blickte Holly Jason fragend an. „Kann man diesbezüglich jemals wahrhaft ´bereit´ sein?“, erwiderte er und nickte dennoch. Ehe Holly Eddy aus dem Zimmer folgen konnte, hielt Jason sie zurück und drückte sie bestimmt an sich. Ihr warmer Körper passte sich perfekt seinem an und ihre Arme schlangen sich nur eine Schrecksekunde später um ihn. Eine Weile standen sie einfach nur da und sogen den Geruch des jeweils anderen ein. „Ich danke dir“, flüsterte er irgendwann in Hollys lockiges Haar hinein. „Ich weiß wirklich, was ich an dir habe, auch wenn ich dich in letzter Zeit etwas ganz anderes habe spüren lassen. Ich war nicht ich selbst und zugleich war ich es doch. Es war sicher nicht leicht für dich...“ Holly löste sich ein Stück von Jason, um ihm in die Augen sehen zu können. Das dunkle Braun war von einem hauchdünnen Schleier umwoben, das dadurch matt glänzte. Mit einer Hand strich sie ihm über die Wange und raunte ihm ein „Nein, das war es wirklich nicht“ zu. Dann begann sie aber zu lächeln und drückte ihm einen Kuss auf die andere Wange. „Und nun darf Tyrone sein wahres Wunder erleben!“, schallte ihre Stimme mit einem Mal durch die Wohnung und fuhr Jason durch Mark und Bein. Kurz darauf hörte er ein zustimmendes „Auf geht's“ aus dem Flur. „Lass uns gehen“, streckte Holly ihm eine Hand hin, die er wohlwollend ergriff. „Und als Sieger wiederkehren“, fügte er an und hatte in diesem Moment Zundersby vor Augen, dessen Antlitz silbern funkelnde Gitterstäbe zierten. Steinerne Mauern und ein schmiedeeisernes Tor grenzten Zundersbys Anwesen vom Rest der Stadt ab. Sein Schloss lag etwas außerhalb von Asht-Zero und prankte regelrecht vor künstlerischen Feinheiten und luxuriösen Details. Er hatte wirklich keine Kosten gescheut, um sich ein Heim zu schaffen, das sich von anderen in allen Einzelheiten unterschied. „Mit welchen Geldern er das bloß finanziert hat“, knurrte Jason vor sich hin, während er den großen Springbrunnen aus feinstem weißen Marmor hinter den Stäben des Tores betrachtete. Zwei grazile Frauen und zwei muskulöse Männer posierten in leicht obszöner Haltung und das Wasser ergoss sich über ihre nackten Körper und sprudelte aus der ein oder anderen Öffnung. „Widerlich“, hörte er Holly hinter sich raunen. Ein angewidertes Schnauben folgte. Ob sie nun den anstößigen Brunnen oder Zundersbys Hang zur Provokation im Allgemeinen meinte, war dabei nicht ganz zu vernehmen, doch es machte keinen Unterschied. Tyrone hatte den Unmut aller vier auf seiner Seite, selbst wenn er in der schäbigsten Baracke hausen würde. Das, was er ihnen und anderen Menschen angetan hatte, reichte mühelos aus, um Feindseligkeit zu säen. Doch nur die wenigsten Bewohner von Asht-Zero kannten sein wahres Ich, er wusste es geschickt zu tarnen. Als barmherziger Samariter und regelmäßiger Geldspender hatte er sich ein hohes Ansehen in der Stadt verschafft. Von seiner vorgegaukelten Großzügigkeit wurde oft genug in den Zeitungen berichtet. Eine Tarnung war nicht alles, auch die Zundersbys nicht. Manchmal, so glaubte Jason, verschlossen die Menschen absichtlich die Augen vor den offensichtlichsten Dingen. Erhofften sie sich damit, verschont zu bleiben? Welch Widersprüchlichkeit! Umso weniger sie gegen die Menschen etwas unternahmen, die Unterdrückung und Macht als Lebensziele hatten, desto abhängiger machten sie sich von ihnen. Tyrone von Zundersby spann sein Netz der Korruption ungehindert immer weiter und kaum einer dachte auch nur daran, etwas dagegen zu tun. „Passt auf, dass ihr nie in die Reichweite der Überwachungskameras kommt“, gab Lance Holly und Eddy die letzten Anweisungen. „Nur weil Jason und ich Tyrone mit offenen Armen empfangen, müsst ihr das nicht auch noch tun. Von eurer Anwesenheit darf keiner etwas wissen.“ Kurz lugte er hinter dem Busch hervor, der ihnen bisher ausreichend Schutz geboten hatte. „Geht nicht weiter heran, aber haltet das Tor wachsam im Auge. So viel ich weiß ist dies der einzige Weg nach draußen.“ „Wir wissen, was zu tun ist“, klopfte Eddy Lance aufmunternd auf die Schulter, der das mit einem grimmigen Blick quittierte. Jedem von ihnen klopfte das Herz bis zum Hals, doch keiner wollte es mehr dem anderen zeigen. Jetzt waren sie hier. Zwar gab es noch ein Zurück, nur zog keiner von ihnen diese Möglichkeit in Erwägung. Tyrone gehörte entmachtet, das wusste der eine so gut wie der andere. Und solange es auch nur den Hauch einer Chance dafür gab, so würden sie nicht kampflos den Rückzug antreten. Kelvin Sartaren hatte sein Leben lassen müssen, Jasons Intention als Bürgermeister der Stadt eine positive Entwicklung herbeizuführen und der Korruption ein wenig Einhalt zu gebieten war im Keim erstickt worden und Aspir war erwacht. Was musste noch geschehen, bis er endlich unschädlich gemacht werden konnte? Selbst Fathers Addendum war gescheitert, obwohl es weit mehr Einfluss als alle vier Anwesenden zusammen innehatte. Wie der Tag wohl enden würde? - Diese Frage ging allen immer wieder durch den Kopf, doch keiner traute sich, auf sie zu antworten. Nicht einmal im Stillen für sich. Ihre Aussichten waren alles andere als vielversprechend, aber hieß es nicht ´Wer nicht wagt, der nicht gewinnt´? Jason lag ein verächtliches Lachen auf den Lippen, doch er schluckte es mühsam herunter. Er wollte die anderen jetzt nicht entmutigen. Es genügte schon, dass er die größte Mühe hatte, auf den Beinen zu bleiben und nicht vor Nervosität und auch Furcht in sich zusammenzubrechen. „Jason?“, richtete Lance seine Aufmerksamkeit nun auf ihn. Auch ohne die Worte auszusprechen, wusste er, dass er wissen wollte, ob es losgehen könne. Ein stummes Nicken war die Antwort. „Viel Glück“, raunte Holly, als die beiden sich zu voller Größe aufrichteten, und konnte die Besorgnis dabei nicht vollends aus ihrer Stimme verbannen, die sie fast völlig einnahm. Lance griff nach Jasons Nacken und zog ihn zu sich. Drängend legte er seine Lippen auf die seines Freundes und stöhnte auf, als seine Forschheit unerwartet erwidert wurde. Nach einem einander verzehrenden Kuss lehnte Lance seine Stirn an Jasons. „Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert.“ Seine Worte strichen wie eine Feder hauchzart über Jasons Gesicht hinweg. Ins Unermessliche steigerte sich Jasons Puls und er trennte sich abrupt von Lance, ehe der Drang, ihn auf ewig festzuhalten und Tyrone einfach zu vergessen, übermächtig werden konnte. Ohne noch einen Blick auf die anderen zu werfen, setzte er sich in Bewegung. Erst als er direkt vor dem Tor stand, wandte er sich wieder Lance zu, der ihm gefolgt war, und suchte dessen Blick. „Nun weiß er definitiv, dass wir hier sind.“ Ein seltsames Funkeln glomm in seinen Augen. „Lass uns Katz und Maus mit ihm spielen!“, fügte er kaum hörbar hinzu, denn es war unschwer zu erkennen, dass sie nicht allein waren. „Xander!“, rief er mit gespielter Freude aus und war mit einem Mal wie verwandelt. Kapitel 22: - 22 - ------------------ - 22 - Für einen Moment fühlte sich Jason in die Vergangenheit zurückversetzt. Er sah Xander neben Jeremy stehen und fast vor Angst beben. Doch auch wenn Xander einmal der schüchterne Junge, der keine Fliege etwas zu leide tat, gewesen sein sollte, so hatte er jetzt wahrhaftig nichts mehr von ihm inne. Schon bei ihrem letzten Zusammentreffen hatte sich gezeigt, dass er zu allem bereit war, obgleich er sich noch ein wenig ungeschickt anstellte. Aber Jason war sich aus welchen Gründen auch immer sicher, dass nach der Blöße, die er ihm beschert hatte, Xander keinen weiteren Fehler begehen würde. Einmal vor seinen Leuten vorgeführt zu werden, würde ihm für Lebzeiten reichen. „Jason Sartaren“, kam es frivol über die schmalen Lippen, die sich allmählich zu einem bösartigen Lächeln verzogen. „Allein hast du dich wohl nicht zu mir getraut?“, nickte Xander geringschätzig in Lance´ Richtung. „Wer will schon zu dir?“, warf Jason seinem Gegenüber mitten ins Gesicht und missachtete die Hand, die sich an seinen Rücken legte. Wollte Lance ihm etwa damit bekunden, dass er sich zurückhalten sollte? War es nicht er gewesen, der gemeint hatte, Tyrones Anwesen so forsch wie möglich zu betreten? Und genau das tat er! Und wenn er dabei ein wenig Spaß hatte, war es doch umso besser, oder etwa nicht? Provokativ stützte er sich mit der rechten Schulter gegen das Tor und blickte Xander zwischen den Stäben hindurch direkt in die Augen. „Weil ich etwas habe, was du bestimmt zurückhaben möchtest?“, zog Xander in gelassener Manier die Schultern nach oben und machte eine unschuldige Handbewegung. Kurz sah er nach links, fixierte aber sogleich wieder den blonden, jungen Mann, der seinem Blick automatisch gefolgt war. „Lass mich überlegen“, legte Jason einen Finger an die Lippen und tippte zweimal gegen sie, „... ich glaube nicht, dass gerade du etwas haben kannst, was ich begehre oder zurückhaben möchte, wie du es nennst.“ Ein Schnauben begleitete seine letzten Worte, aber dennoch verhielt sich Lance ansonsten still. Nur die Finger der Hand auf seinem Rücken begannen, sich in den Stoff von Jasons Jacke zu krallen. War Lance mit seiner Vorgehensweise unzufrieden? - Wenngleich er selbst dieser Ansicht sein müsste, so kümmerte es ihn nicht. Ohnehin spürte er seine Gefühlsregungen stetig erkalten. Es zeichnete sich deutlich ab, dass Aspir die Kontrolle übernahm, er wusste es sogar, und trotzdem ließ er ihn ungehindert gewähren. Er selbst besaß nicht genug Kraft, um sich gegen Zundersby aufzulehnen, doch in Verbindung mit Aspir... war er zu allem fähig. Er hatte es tief in sich schon die ganze Zeit über gewusst, dass es so kommen würde. Die Angst vor den Folgen würden immer existent sein, doch Aspir konnte sie perfekt untergraben. Sollte er sich wirklich auf Gedeih und Verderb gegen ihn wehren und sich mit zitternden Knien zur Beute machen? Gegen Zundersby hatte er in seinem derzeitig labilen Gemütszustand keine Chance. Mit Aspir aber war das schon etwas anderes. „Doch nur geblufft, mh?“, forderte er Xander weiter heraus. Xanders Haltung blieb unverändert, ebenso das überlegene Lächeln in seinem Gesicht. Abermals schweifte sein Blick nach links und abermals tat es Jason ihm unbewusst nach. Ohne mit der Wimper zu zucken, hob der Jüngere von beiden die Hand und schnippte mit den Fingern; anscheinend ein Zeichen, denn im nächsten Moment ertönte ein gellender Schrei. Eindeutig von einer Frau. Jasons Kopf drehte sich ruckartig nach hinten in Richtung der Ansammlung von Büschen und Bäumen, wo sich Holly und Eddy aufhielten oder besser gesagt aufhalten sollten. Waren sie etwa die ganze Zeit über beschattet worden und das eben war...? Jason merkte, wie Panik in ihm aufstieg. „Das wagst du nicht!“, hörte er beißend über seine Lippen kommen. Seine Augen verengten sich indes zu schmalen Schlitzen. Erst dann realisierte er einen heftigen Schmerz. Lance´ Finger hatten sich tief in seine Schulter gegraben. Ein Seitenblick verriet ihm, dass auch sein Freund sofort an Holly gedacht hatte. Die Vermutung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben; doch es vergingen keine zehn weitere Sekunden, bis Lance sich wieder unter Kontrolle hatte. „Du elender Bastard.“ Lance´ Worte waren nur ein Knurren. Xander schien die Wirkung, die er erzielt hatte, reichlich zu genießen. Ein leichtes Funkeln in seinen Augen zeugte eindeutig von Freude, die gut und gerne boshaft genannt werden konnte. „Du meinst doch nicht etwa mich?“, entgegnete er bittersüß. „Oh doch und ob ich dich meine“, setzte Lance plötzlich nach vorne und griff mit einem Arm durch die Gitterstäbe. Doch Xander stand zu weit weg, als dass er ihn hätte packen können. Kalt lachte er auf und presste nun seine Stirn gegen die Stäbe. „Ich hätte es mir denken können.“ „Jetzt ist es zu spät“, grinste Xander und formte mit Zeigefinger und Daumen ein O. Kurz darauf wurde tatsächlich Holly von zwei kräftigen Männern in legeren, dunkelgrauen Anzügen vor das Tor gezerrt. Bisweilen war sie geknebelt, aber man sah ihr die Wut und das Entsetzen auch ohne Worte deutlich an. „Wer hat sich denn da hinter einem Busch versteckt?“, trat Xander auf sie zu und strich ihr mit den Fingerknöcheln seiner Linken über die Wange. Ihr eines Bein trat reflexartig aus, doch sie wurde von ihren beiden Wächtern geschickt nach unten gedrückt, so dass sie Xander um einige Zentimeter verfehlte. „Bringt sie weg!“, befahl er seinen Männern und wandte sich dann triumphierend wieder Jason und Lance zu. „Ist sie nicht bezaubernd?“ Die Süffisanz in seiner Stimme erregte Jason, der, auch wenn es in seinen Augen unruhig funkelte, beherrscht erwiderte: „Weil ich mich von dir nicht anfassen lasse, greifst du dir das nächstbeste Mädchen, oder was? Wie erbärmlich du doch bist!“ Xander trat ungerührt ans Tor heran. „Wollt ihr nicht erst mal hereinkommen? So ein Gespräch zwischen Tür und Angel liegt mir nicht sonderlich.“ Er streckte die Hand aus. „Ach, ehe ich es vergesse: Versucht erst gar nicht, über mich herzufallen, ihr würdet nicht viel erreichen.“ Schon wieder gab er ein Zeichnen, dieses Mal kreuzte er zwei Finger, und um die zwanzig Männer, alle in eben denselben dunkelgrauen Anzügen, versammelten sich um ihn. Es klickte und das Tor glitt geräuschlos auf. Jason und Lance standen wie angewurzelt da und blickten von Xander zum jeweils anderen. Sie mussten sich nichts sagen, um zu wissen, was der andere dachte. Zwar lief alles anders als geplant, aber sie waren gewiss nicht hergekommen, um zu kneifen. Und jetzt, nachdem Xander Holly in seiner Gewalt hatte, erst recht nicht. Wenn Xander oder Tyrone glauben sollten, dass sie sich einschüchtern ließen, zumindest soweit, dass sie sich das anmerken ließen, dann hatten sie sich gewaltig geirrt. Aspir, der Jason zwar in den Hintergrund drängte, aber ihn nicht völlig verdrängte, würde nie an Kleinbeigeben, Resignation oder dergleichen denken. Und auch Lance nicht. Sie mussten es zumindest versuchen. Zundersby zu stürzen war an sich ein utopisches Ziel, aber wenn sie jetzt gingen und damit nicht nur Holly ihrem Schicksal überließen, würden sie dies auf immer bitter bereuen. Mit ernsten Mienen traten sie an Xander vorbei und setzten zum ersten Mal einen Fuß auf Tyrones Anwesen. Doch das stimmte nicht ganz – Lance war schon dort gewesen und das nicht nur einmal... Details so weit das Auge reichte. Bis in den kleinsten Winkel ausgefeilte Kunst und Prunkstätten, die schon an krankhaften Perfektionismus grenzten. Hinter einer Allee aus beschnittenen Bonsaibäumen, an denen nicht einmal der winzigste Ast unsauber herausragte, führten zwei symmetrisch angelegte Pfade nach Südosten und Nordwesten. Die quadratischen Platten, die die Wege bildeten, waren ganz exakt ausgerichtet und maßen alle denselben Abstand. In die Platten waren Figuren eingearbeitet, die nacheinander betrachtet eine kleine Geschichte erzählten. Jason wandte seinen Kopf nach vorne und schritt gut zwanzig Männer, die ihn jederzeit packen und verschleppen konnten, in seinem Rücken wissend auf Zundersbys Schloss zu. Zwei Türme ragten im Hintergrund in die Höhe, die je mit einem spitz zulaufenden Dach, einer Art Kegel, endeten. Eine breite, weitläufige Treppe führte gesäumt von weißen Statuen hinauf zum doppeltürigen Eingang. Geradewegs steuerte Jason auf diesen zu. Ihm war es gleichgültig, was Zundersby hat alles errichten lassen, um sich zu rühmen und um seine Stellung in der Gesellschaft zu verdeutlichen. Wie Schatten glitten die leblosen Statuen, deren steinerne Mienen keinen Ausdruck in sich bargen, an ihm vorüber. Stufe für Stufe kam er seinem Widersacher näher, den er am Boden liegen sehen wollte. Jener hatte ihn dazu gebracht, Hand an das Grab seiner Eltern zu legen und damit große Schande über sich und seine Familie zu bringen. Und dafür gab es weder eine Entschuldigung noch eine Ausrede. Zundersby würde dafür büßen und sei es, ihm die Hände an die Keh... Jäh wurde Jason aus seinen Gedanken gerissen, denn zwei starke Hände legten sich bestimmt auf seine Hüfte und hätte er nicht diese vertraute Stimme, deren Tiefe er so liebte, vernommen, hätte er für nichts garantieren können. „Sei vorsichtig, Süßer“, raunte Lance in sein Ohr. Ein Schauer durchjagte seinen Körper. Beinahe hätte er sich wirklich selbst vergessen. Sich Tyrone so verdammt nah zu wissen, war in der Tat gefährlich. Darüberhinaus zu wissen, dass sich Holly in seinen Fängen befand und vermutlich auch Eddy,– den er seit vorhin hinter den Büschen nicht mehr gesehen hat – war Anlass genug, um den Verstand gegen das starke Gefühl der Rache einzutauschen. Für einen Augenblick schloss er die Lider und spürte, dass sich in ihm etwas regte. Er fühlte eine Veränderung, die viel angenehmer als erwartet war. Es fand eine Verschmelzung statt, die schon lange vonnöten war, ausgelöst durch die Kraft, die Lance ihm gab. Jason barg nicht länger Aspir, eine Seite an sich, die gefühlskalt und berechnend war, in sich, nein, er wurde eins mit ihm. Und diese Eintracht, die plötzlich in ihm herrschte, war so unbeschreiblich und so zufriedenstellend, dass er kurz vergaß, wo er sich gerade befand. Doch die Erinnerung daran kehrte schnell wieder. „Keine Sorge“, flüsterte er rauh zurück. Eine Gestalt glitt an den beiden vorbei und sogleich richtete sich Xander vor ihnen zu seiner vollen Größe auf. Mit geringschätzigem Blick schweiften seinen Augen über Lance´ Hände, die noch immer auf Jasons Körper verweilten. Verächtlich spuckte er vor ihren Füßen auf den Boden und störte sich nicht an dem Schnauben einer seiner Gefolgsmänner oder Lakaien, wie Jason sie in Gedanken nannte. Noch immer horchte Jason in sich. Es war etwas eingetreten, das er insbesondere jetzt nicht für möglich gehalten hatte. Aber war dies verwunderlich, wenn er bis vor wenigen Tagen nicht einmal richtig realisiert hatte, welche andere Seite in ihm steckte und was sie verkörperte? Er war in einem schleichenden Prozess zu Aspir geworden und hatte dies erst bemerkt, als es zu spät war und Lance ihn dennoch vor dem Gröbsten bewahrt hatte. Immerhin hatte er nicht wirklich die Leiche seines Vaters in den Händen gehalten... Trotz der wärmenden Sonnenstrahlen, die den Eingang des Schlosses in ein helles Licht tauchten, erschauderte er. „Ein Meisterwerk, nicht wahr?“, sah er Xander die Arme ausbreiten, während sich seine feinen Härchen im Nacken langsam wieder legten. „Mehr als ein Jahr Bauzeit, die sich wirklich bezahlt gemacht hat. Gancarlo de Garcia Mélon höchstpersönlich fertigte die-“ „Wen interessiert´s“, unterbrach Jason ihn barsch und hob genervt eine Braue an. „Bring uns zu Tyrone und verschone uns bitte mit diesem unwichtigen Gerede.“ Xander blieb erstaunlich ruhig und lächelte ungezwungen, ja kalt. „Ich habe also einen Kunstbanausen vor mir stehen. Und gleich sagst du mir auch noch, dass du Gancarlo de Garcia Mélon nicht kennst.“ Ein wenig legte er seinen Kopf schief und zwinkerte seinem Gegenüber überlegen zu. „Du hättest zum Theater gehen sollen“, war das einzige, was der junge Sartaren darauf entgegnete. Lance hielt sich währenddessen immer noch dezent zurück, Jason spürte jedoch den immer stärker werdenden Druck, den dessen Hände auf seinen Hüften ausübten. Sein Freund wollte also genauso schnell wie er ins Schloss, hinein zu Tyrone von Zundersby, um endlich dem Mann gegenüberzutreten, der ihnen einen der wichtigsten Menschen genommen hat; der sich hier zielsicher verschanzte und seinen Männern die Drecksarbeit überließ, und der sich selbst nach außen hin stets als spendierfreudiger Wohltäter präsentierte. Dass er den Menschen von Asht-Zero damit nur einen kleinen Teil ihres eigenen Geldes wiedergab, müssten sie doch wissen. Dazu müssten sie diesem Kerl doch nur in die Augen sehen, wenn er auf einer von ihren Dankesfeiern war. Die Augen einfach vor der Wahrheit verschließen, war so einfach! Aber machte es auf die Dauer glücklich? Es war an der Zeit, sich Zundersby endgültig zu stellen. Lance und er waren mit nicht mehr als der Kleidung, die sie am Leib trugen, gekommen. Ihre einzige Hoffnung kauerte nun irgendwo im Schloss und stand nur ihretwegen Todesängste aus. Sie trugen keinerlei Waffen bei sich, waren bisweilen vollkommen schutzlos und hatten einen Plan ausgesonnen, den jeder andere als völlig hirnrissig bezeichnet hätte. Aber der wesentliche Fakt, der sie von allen anderen unterschied, war, dass sie nun hier vor Zundersbys Schloss standen und alles dafür taten, diesen Mann nicht länger als König der Korruption agieren zu lassen. Selbst wenn sie es schaffen sollten, Tyrone der absoluten Macht zu berauben, würde der nächste an seine Stelle treten. Dies war eine Tatsache, die ihnen nur allzu bewusst war. Aber es würde Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, ehe er Zundersby würdig ersetzen konnte. Vielleicht würde er ihm niemals ebenbürtig sein, vielleicht würde er ihn um Längen übertreffen. Keiner wusste, was die Zukunft in Wahrheit alles in sich barg. Aber die beiden wussten, dass sie an der jetzigen Situation etwas ändern wollten und dass sie Tyrone von Zundersby nicht länger auf dem Platz der Sonne duldeten. Xander fuhr in der Tat seine Leier ungeniert fort. Er erzählte von der unübertrefflichen statischen Beschaffenheit des Schlosses und von der Einmaligkeit der Statuen und des grazilen Brunnens. Sowohl Jason als auch Lance ließen Xanders Ausschweifungen nun schweigend über sich ergeben, aber Interesse bekundeten sie nicht an ihnen, vielmehr standen sie gelangweilt da und warteten auf das Ende, das irgendwann kommen musste. Auch Xanders Wissen, das leider gerade unerschöpflich zu sein schien, hatte seine Grenzen, die Frage war nur, wo diese waren. Nach geschlagenen fünfundzwanzig Minuten war sein Repertoir glücklicherweise erschöpft und er kam ins Stocken. Dieses Mal war es Lance, der nun nicht mehr still sein konnte: „Nachdem du uns ausreichend über die Kunst und Architektur des Schlosses aufgeklärt hast, könnten wir doch hineingehen und uns selbst von deinen Lobeshymnen überzeugen.“ Er nahm seine Hände von Jason und machte einen Schritt nach vorne, um seinen Worten genug Ausdruck zu verleihen. „Sehr gerne“, zog Xander einen unsichtbaren Hut und wies einen der Männer an, die Türen zu öffnen. Es war viel heller und freundlicher als Jason erwartet hätte. Trotz der Größe des Saales, in den sie traten, strahlte er beinahe schon eine heimelige Atmosphäre aus. Jason hätte es nie für möglich gehalten, dass Zundersby darauf Wert legte, warme Farben und viel Licht in seinen Räumen zu haben. Wahrlich beeindruckt ließ der junge Sartaren seinen Blick umherschweifen, was Xander natürlich nicht entging. „Ich habe nicht zu viel versprochen“, meinte er mit stolz geschwellter Brust. Auch wenn es Jason nicht wollte, nickte er anerkennend. „Warte nur, bis du die Bibliothek siehst.“ Xander führte sie eine breite Treppe nach oben, auf deren Stufen feinste rote Teppiche lagen, nicht zuletzt, um die Trittlaute zu dämmen, aber vielmehr um das Gesamtbild des Saales zu unterstreichen, was sie zweifellos taten. Sie durchquerten einen langen Gang mit einigen Türen zu seiner rechten Seite. Vor der ersten Tür, die links in ein Zimmer führte, blieben sie stehen. Xanders Gefolge hatte sich mittlerweile im Schloss verteilt, ihre Schritte klangen noch immer leise nach. Ein weiterer Punkt, der so nicht gedacht war, und Jason spürte das Missfallen darüber in seinen Gliedern, denn sie waren auf einmal von einer leichten Taubheit erfasst. Er versuchte alles, um sein Körpergefühl wiederzuerlangen, und obwohl er dies einigermaßen bewerkstelligt hatte, ehe die Tür zur Bibliothek aufging, erstarrte er von jetzt auf nachher zu einer Salzsäule. Die Tür war von innen geöffnet worden und Jason sah sich plötzlich nur noch mit Tyrones stechenden Augen konfrontiert. Kapitel 23: - 23 - ------------------ Ja, es ist wahr! Es geht endlich weiter! Und neue Kapis werden hoffentlich bald folgen. Danke für eure Treue! ^__^ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ - 23 - Wenn es Jason nicht besser wüsste, würde er meinen, Tyrone von Zundersby sei eine Ausgeburt der Hölle. Diese Adleraugen fixierten ihr Opfer und gaben es aus ihrem Blick nicht mehr frei, bis sie sich hinabgestürzt und es gefressen haben. So in der Art kam sich der junge Sartaren vor: Tyrone, der hungrige Greifvogel, und er, das schutzlose Opfer. Und Zundersby war keiner, der den Worten Gnade und Recht viel Bedeutung zumaß. Auch wenn das Recht auf Leben oberste Priorität hatte, so schreckte der Schlossherr vor Mord keineswegs zurück. Jener würde dies gewiss auch dann nicht tun, wenn der zum Tode Verurteilte regelrecht um Gnade winseln würde. Alles an Tyrone hatte satanische Wesenszüge. Und dennoch musste es zwei Menschen auf dieser Welt geben oder gegeben haben, die für seine widerliche Existenz verantwortlich waren. Selbst nach seiner eigenen kalten Berechnung und schamlosen Auslieferung von Father´s Addendum fragte sich Jason, wie es Eltern zulassen konnten, dass ihr Kind das Gefühl der Liebe überhaupt nicht zu kennen schien. Und er zweifelte dieses bei Tyrone zu Hundert Prozent an! Allmählich fühlte sich Jason der Kontrolle über seinen Körper wieder mächtig und er spürte seine Hände sich zu Fäusten ballen. Doch ehe er in irgendeiner Form auf Tyrones plötzliche Anwesenheit adäquat reagieren konnte, trat Lance an ihm vorbei. “Es überrascht dich nicht, uns hier zu sehen”, sagte jener eher feststellend als den Angesprochenen wirklich meinend. So viel zu Lance´ grandiosem Plan. Alles war von Beginn an schief gelaufen. Sie waren beschattet worden, Holly befand sich geknebelt in Zundersbys Gewalt und Tyrone zeigte keinerlei Überraschung, dass sie den Mut besaßen, hier auf seinem Schloss aufzutauchen. Und wie es Eddy ging, konnte Jason lediglich erraten. War er ebenfalls geknidnapped worden? Hat er fliehen können oder lag er verletzt oder gar tot im nächstbesten Erdloch? Jason hätte auf seinen Verstand hören und sich nicht überzeugen lassen sollen. Doch der Hauch dieser letzten ihnen gebliebenen Möglichkeit, Tyrone überhaupt noch etwas anhaben zu können, hatte schnell ausgereicht, um ihn nicht vollends verzagen zu lassen. Er sollte für dieses Bisschen Hoffnung dankbar sein, so seltsam dies auch anmuten mochte. Und letztlich war er dies auch. Tyrone leibhaftig in seinem eigenen Reich gegenüberzustehen, hatte eine gewisse Genugtuung an sich. Jener Mann hatte ihm nichts zugetraut, hatte ihn vor der gesamten Stadt angeklagt und ihm die Bürgermeisterkandidatur vermasselt. Erst seine Bemühungen im Hintergrund, sein wachsender Einfluss und nun seine reale Anwesenheit… Tyrone konnte mit diesem Jason nicht gerechnet haben! Es gab dem jungen Mann eine Art Bestätigung und löste nun ein selbstbewusstes Lächeln in seinem Gesicht aus. Genau mit diesem folgte er Lance in die Bibliothek. Die Wände bestanden regelrecht aus Büchern. Dicke, aber auch zahlreiche dünne Bücherrücken füllten die bis an die Decke reichenden Regale. Unter ihnen befanden sich einige aus echtem schwarzen, altem und gut erhaltenem Leder. Sie kosteten zweifellos ein Vermögen, vor allem dem schützendem Glas nach zu urteilen, das sie umgab. Jason konnte darauf wetten, dass Tyrone nicht jeden in ihre Nähe kommen ließ. “Der junge, nichtsnutzige Sartaren und Lance, der einmal meine Füße küsste”, erhob Zundersby den Sarkasmus nicht verbergend seine Stimme. “Nichtsnutzig?”, erwiderte Jason und hob selbstgefällig eine Augenbraue. “Dies ist also der Dank dafür, dass ich dir geholfen habe?” Er wandte seinen Blick wieder von Tyrone ab und lief zwei Schritte vorwärts, um wahllos ein Buch aus einem der Regale entnehmen zu können. Desinteressiert schlug er es auf und blätterte dann darin herum, ohne auf die Worte zu achten, die sich ihm offenbarten. “Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich dieses Pack finde. Du hast sie lediglich verkürzt, das ist alles. Dafür gebührt es dir nicht an Dank, aber ich muss schon zugeben, dass mir dadurch einiges erspart blieb. Dein Vater wäre mit Sicherheit sehr stolz auf dich.” Schmerzhaft biss sich Jason auf die Unterlippe, um alle Worte, die ihm in diesem Moment auf der Zunge lagen, für sich zu behalten. Er musste Ruhe bewahren, denn was brachte es ihm, die letzte ihm gebliebene Chance - sofern man von ihr überhaupt noch sprechen konnte - durch unkontrollierte Rage zu zerstören? Einige Sekunden vergingen, in denen er tief ein- und ausatmete, während er seinen Blick wieder über die Bücher schweifen ließ, in der Hoffnung, niemand sähe seinen Kampf, den er innerlich ausfocht. Auch wenn er Tyrones kaltes Lächeln förmlich spürte, so wollte er ihm die Genugtuung nicht gönnen, ihm in diesem Augenblick in die Augen sehen zu können. “Was für eine Sammlung!”, wehrte er letztendlich all die Gedanken ab, die in ihm kreisten, angefangen bei dem Wunsch all dem den Rücken zuzuwenden und wegzulaufen bis hin, Tyrone hier und jetzt die Hände an den Hals zu legen und zuzudrücken, so fest er konnte. “Ich hätte nicht gedacht, dass du auch nur den Ansatz von Kultiviertheit in dir trägst.” Beiläufig schob er das Buch, das er bis jetzt mehr oder minder unbeachtet in den Händen gehalten hatte, zurück in eines der riesigen Regale. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie Lance auf ihn zukam und alsbald fühlte er einen Arm um seine Hüfte. Sanfte Lippen hauchten einen Kuss auf seine Stirn. Ehe Verwirrung sich in ihm ausbreiten konnte, hörte er Tyrones leises Knurren. Bis Jason ihn von oben herab angrinste, schien der Schlossherr nicht bemerkt zu haben, dass dieser Laut seiner Kehle entsprungen war. Aber Tyrone ließ sich nicht beirren. Mit völlig unterkühltem Ausdruck in den Augen nickte er. “Viele der hier stehenden Exemplare sind wahre Raritäten. Ihr seht hier eine Sammlung, für die jeder Museumsbesitzer sterben würde.” Ein kurzes, amüsiertes Flackern umspielte seine Adleraugen. “Xander?” Jasons Körper verhärtete sich, als Xander durch die offene Türe auf seinen Onkel zutrat. Ihre Blicke begegneten sich und in Xanders war eindeutig der glorreiche Glanz eines Triumphators zu erkennen. Abermals musste Jason seine Gefühle bändigen, obwohl er Xander nur allzu gerne jeden Zahn einzeln gezogen hätte. Wer sich an Holly vergriff, musste büßen. Wenn nicht jetzt - und gerade war in der Tat kein passender Zeitpunkt -, dann später. Abermals streiften Lance´ Lippen seine Stirn, woraufhin sich Xanders Augen verengten. So wie es aussah, konnten beide Männer der Zundersbys Linie diesen Anblick nicht ertragen. Sollte das ihre Waffe sein? Genau mit dieser Frage im Kopf wandte sich Jason seinem Freund zu. Er erhielt einen kurzen, aber dafür umso leidenschaftlicheren Kuss als Antwort. “Es macht sie rasend. Vielleicht genug, um eine Lücke in ihrer Defensive zu finden.” Lance’ Stimme war nur ein Wispern, aber Jason verstand jedes einzelne Wort, als ob man sie ihm direkt ins Ohr gebrüllt hätte. In Jasons Kopf überschlugen sich die Gedanken und doch dachte er nur ein einziges Wort: L-a-n-c-e. Er spürte den fiebrigen Glanz, der seine Augen überzog, doch er konnte sich in diesem Moment nicht dagegen erwehren. Er musste seinen Freund einfach mit diesem starken Gefühl in der Brust ansehen… Er hatte keine Ahnung, wie schnell - oder langsam -die Sekunden verstrichen, aber er wurde des stechendes Blickes mit der Zeit immer deutlicher gewahr, der von der anderen Seite des Raumes aus seinen Rücken durchbohrte. “Xander”, umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel, “es hat dich keiner gezwungen, uns zuzusehen.” Während er sprach, sah er Lance unbeirrt in die Augen. “Liebling?”, fügte er keck an. “Ja?”, hob Lance seine rechte Braue und verstärkte den Druck seiner Hände, die Jason bisweilen an der Hüfte hielten. Ein künstliches Husten ertönte von der Türe, aus der Xander eilte. “Habe ich dir heute schon gesagt, wie sehr ich dich liebe?” Mit einem Finger strich er seinem Freund über die Wange. Auch wenn er ihre Situation am liebsten verdrängt hätte, so war er sich der Anwesenheit von Tyrone nur allzu deutlich bewusst. Spielerisch legte er nun beide Hände in Lance´ Nacken und schmiegte sich ein wenig enger an ihn. Ein Keuchen erfüllte für einen Augenblick den Raum. “Dabei habe ich dich nicht einmal unsittlich berührt”, lachte Jason und zwinkerte Lance heimlich zu. “Aber das ließe sich nachholen.” Sie konnten hören und aus dem Augenwinkel beobachten, dass auch Tyrone im Begriff war, das Zimmer zu verlassen. “Nicht so schnell, Zundersby.” Jason löste sich von Lance und richtete seine ganze Aufmerksamkeit nun wieder auf den Schlossherrn. Zwar hielt dieser in seiner Bewegung inne, doch anscheinend nur, um einem seiner Untergebenen einen Befehl zu erteilen. “Sag Xander, dass ich ihn in fünf Minuten sehen möchte.” Tyrones Stimme war kalt und fordernd. Mit schnellen Schritten entfernte er sich anschließend. Jason sah Lance irritiert und fragend zugleich an. Was nun? Lance zuckte nur mit den Schultern. “Zeit zum Umsehen, würde ich sagen.” “Das wird sich nicht so leicht gestalten”, deutete der Jüngere auf die kleine Herrschar von Männern, die sich mit undurchdringlichen Mienen vor der Tür aufgereiht hatten. “Zundersby scheint uns nicht zu trauen”, fügte er lauter an und lächelte ihren Wächtern provokativ zu. “Lass das meine Sorge sein”, streifte warmer Atem seine Wange und im nächsten Atemzug steuerte Lance bereits auf Tyrones Gefolge zu. “Arif, mein Freund!” Einer der Männer kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und erwiderte die Freude, mit der Lance ihn gegrüßt hatte, nicht im geringsten. “´Freund!´”, spuckte er verächtlich aus. “Es tut mir leid, dir deiner Bitte nicht nachgekommen zu sein”, hob Lance beschwichtigend die Hände. “Aber das konnte ich dir einfach nicht antun.” “Gesell dich wieder zu deinem Spielgefährten und lass mich in Ruhe”, knurrte Arif, der sich durch seine dunkle Hautfarbe von den übrigen Männern abhob. “Spielgefährte?”, drehte Lance sich kurz zu Jason um. “Er ist viel mehr als das”, wandte er sich wieder Arif zu. “Ich bin nicht wie Tyrone, Arif, mein Freund. Ich spiele nicht mit ihm. Mein Herz gehört ihm, so wie mir seines gehört. Wenn ich mich auf einen Menschen einlasse, dann ganz. Wenn ich mich jemandem anvertraue, dann nur, weil ich den Menschen achte und schätze. Arif, auch wenn ich dich enttäuscht habe, so habe ich in deinem Interesse gehandelt. Ich konnte dich nicht…”, seine Augen schweiften über die vier anderen Männer, die immer noch dicht an dicht den Weg aus der Bibliothek versperrten, “dieser Gefahr aussetzen.” “Sei endlich still!” Doch egal wie schroff die Worte aus Arifs Mund drangen, die Verletztheit, die in seinen Worten mitschwang, schien nicht einmal seinen Kollegen zu entgehen. Plötzlich brach lautes Gemurmel aus, das der größte unter ihnen mit einer herrischen Handbewegung wieder zum Verstummen brachte. Der glatt rasierte Mann mittleren Alters machte einen Schritt nach vorne und baute sich vor Arif auf. Die Luft zwischen ihren Gesichtern schien zu vibrieren. “Hast du dich mit diesem Taugenichts etwa verbündet?” Wie eisige Klingen schnitten die Worte die Luft. “Wieso sollte ich? Der Kerl war mir von Anfang an zuwider.” Mit einem verächtlichen Blick sah er Lance an. “Der ist es nicht einmal wert, als Rattenfutter zu enden… Red”, sprach er seinen Genossen wieder direkt an, als dieser ihn weiterhin misstrauisch beäugte, “du kennst mich lange genug. Ich würde mich nie auf so einen dahergelaufenen Jüngling einlassen. Wenn es hochkommt, habe ich zwei Sätze mit ihm gewechselt. Und auch nur, weil ich mit ihm zusammen Wache schieben musste. Wie hätte ich ihm sonst Befehle erteilen sollen”, endete er mit einem verschmitzten Grinsen. “Es tut mir so leid, Arif.” Lance trat einen Schritt nach vorn und streckte seinen linken Arm aus, als ob er ihm die Hand auf die Schulter legen wollte. Zwar war er dafür noch weit genug entfernt, doch Red und die anderen waren dennoch sofort in Alarmbereitschaft. Ihre Haltung veränderte sich schlagartig und ihre Gesichter waren mit einem Mal hasserfüllt. Alle konzentrierten sich auf Lance, während Jason gänzlich vergessen schien. “Ich weiß, ich habe dich enttäuscht, mein Freund”, hörte der blonde junge Mann Lance weiterreden. “Aber ihr geht es gut, Arif, ihr geht es gut!” Jason konnte beobachten, wie Red mit einem Mal einen Satz nach vorne machte und Lance grob am Arm packte. “Was faselst du da?” “Ich habe sie gefunden, Arif”, fuhr Lance unberührt fort. “Ihr geht es gut”, wiederholte er dann. “Arif?”, spuckte Red den Namen seines Kollegen aus. “Von wem redet der?” Der Griff um Lance´ Arm verstärkte sich deutlich und Jason musste sich zurückhalten, dazwischenzugehen. Er musste die Gunst der Stunde nutzen, für alle unsichtbar zu sein. Lance sollte nicht umsonst gerade sein Leben so leichtfertig aufs Spiel setzen. Der junge Sartaren hatte schon lange genug der Szene, die sich vor ihm abspielte, beigewohnt, dabei war seine Aufgabe doch eine ganz andere. “Auch Yasmin erfreut sich bester Gesundheit. Du hast ihr alle deine guten Gene mit auf den Weg gegeben. Du hättest sie deinen Namen aussprechen hören sollen!” “Die Verräterin lebt?”, ächzte Red. “Arif, mein Freund, ich konnte dich nicht mitnehmen. Es tut mir so leid, mein Freund…” Jason nahm Lance´ Stimme zunehmend leiser wahr. Mit aller Kraft versuchte er sich auf das Zimmer zu konzentrieren. Auf die Wände, auf das Mobiliar und vor allen Dingen auf die Bücher. Bücher konnten so vieles beherbergen. Biographien, historische Daten und Geschehnisse, Romane und Geschichten, Sagen und Märchen, und… Pläne. “Baupläne”, murmelte Jason. Er spürte die plötzliche Anspannung seines Körpers. ´Nur die Ruhe bewahren´, redete er in Gedanken auf sich ein. Möglichst unauffällig näherte er sich den großen Bücherregalen zu seiner Rechten und versuchte durch gezielte Blicke auszumachen, ob die Bücher in irgendeiner Form geordnet waren. Er überflog die Namen der Autoren sowie die Titel. Zundersby war erstaunlicherweise in der Tat äußerst organisiert. So weit es Jason nach einigen Sekunden beurteilen konnte, waren die Bücher thematisch sortiert. Er stand vor einem Regal, das hauptsächlich Kunstbücher enthielt. Rechts daneben befanden sich Geschichtsbücher und links von ihnen Geografiebücher. Ein alter, handangefertigter Atlas füllte den gläsernen Kasten in der Front. Würde Tyrone wirklich Baupläne hier aufbewahren, die ihn ans Messer liefern konnten? Sollte er wirklich so naiv sein, die alten Pläne überhaupt über die Jahre hinweg behalten zu haben? Wenn ja, dann unter Garantie in einem Tresor. Entmutigt wandte sich Jason wieder von den Büchern ab. Bisweilen stand Red zwischen Lance und Arif und sah überaus mordlustig aus. Welchen Sinn hatte Lance´ Aufopferung, wenn es hier nichts zu finden gab? Was erwartete Lance von diesem Raum? Was sollte es preisgeben? “Wo hält sich Shahar, das Biest, auf?”, fragte Red mit gefletschten Zähnen abermals an Lance gewandt. Gelassen zuckte letzterer die Schultern. “Ich weiß es nicht.” Arifs Gesichtszüge verrieten mittlerweile die Trauer, die er um seine Frau hatte. Am Rande hatte Jason mitbekommen, dass Shahar einst zu Tyrones Leuten gehörte und als sie schwanger wurde aus Furcht um ihr Kind der Polizei heimlich Informationen über Zundersbys Machenschaften zuspielte und flüchtete. Da Jason darüber bisher nichts gewusst hatte, nahm er an, dass Tyrone es einmal mehr geschafft hatte, eine weiße Weste zu bewahren und seinen Namen aus allen Zeitungen herauszuhalten. “Du weißt es nicht?”, legte Red eine Hand in Lance’ Nacken und zwang ihn zu Boden. “Würdest du etwa an dem Ort verweilen, an dem du bereits einmal gefunden wurdest?” Lance klang noch immer beherrscht. Auf die Frage folgte Stille, die nur von Arifs unkontrollierter Atmung unterbrochen wurde. “Was ist hier los?” Tyrone kehrte mit Xander im Schlepptau zurück und seiner herrischen Stimme nach zu urteilen war er über die Szene, die er erblickte, nicht gerade erfreut. “Shahar lebt”, war alles, was Red antwortete. Was danach folgte, lief vor Jasons Augen wie ein Film beim Vorwärtsspulen ab. Tyrone ließ Arif von zwei Männern in ihren dunklen Anzügen abführen, Red zog Lance zurück auf seine Beine und schleifte ihn vor sich her, Tyrone und Xander nach, gefolgt von den letzten beiden Männern, die bis eben noch als Wächter dienten. Obwohl Jason gar nicht die Möglichkeit hatte, währenddessen aus ihrem Gesichtsfeld zu entschwinden, fand er sich alsbald völlig allein wieder. Er hörte die tiefen Stimmen sich immer weiter entfernen. Irritiert stand der junge Sartaren an Ort und Stelle. Er brauchte eine Weile, um zu realisieren, was eben geschehen war. Hatte Lance das alles geplant? Dass Jason nicht unbemerkt ins Schloss kommen konnte, war ihnen klar gewesen. Hatte Lance das hier gemeint, als er gesagt hatte, Jason solle versuchen, unsichtbar zu sein? Hatte Lance erahnen können, dass sich alle Aufmerksamkeit mit einem Mal auf ihn richten würde? Spielte diese Shahar eine solch tragende Rolle? Warum hatte Lance sie nie mit auch nur einem Sterbenswörtchen erwähnt? Jason benötigte all seine Selbstbeherrschung, um seine Fassung wiederzuerringen. Denn diese hatte er nun nötiger als je zuvor in seinem Leben. Das Leben dreier Menschen, die ihm wichtig waren, hing auf des Messers Schneide und alle Hoffnung ruhte nun auf ihm. In diesem Bewusstsein strich er sich eine Strähne aus der Stirn und lief auf die gegenüberliegende Seite des Raumes, wo eine kleine Adlerskulptur in einem der Regale thronte. Es war verrückt zu glauben, dass diese einen Geheimgang öffnete, doch er war mittlerweile bereit, alles in Erwägung zu ziehen, was ihnen von Nutzen sein konnte. Egal, wie absurd der Gedanke auch anmuten mochte. Natürlich passierte nichts, als er die Skulptur drehte. “Wenn du dich nur beobachten könntest!” Erschrocken fuhr Jason herum und erblickte Xander, der lächelnd am Türrahmen lehnte. “Hat dich Onkel Tyrone wohl nicht am Verhör teilhaben lassen, kleiner Xander?”, lächelte Jason nun überheblich zurück. Musste dieser Junge gerade jetzt wieder hier auftauchen? Lange starrten sie sich in die Augen, bis Xander den Blick senkte, nach der Türklinke griff und die Tür hinter sich schloss, gegen die er sich anschließend lehnte. “Nun sind wir ganz allein. Keiner hier, der mir Einhalt gebieten könnte. Ist das nicht herrlich?”, schloss er mit einem schneidigen Gesichtsausdruck. Wortlos trat Jason auf einen der beiden bequem aussehenden Sessel zu, die in der hinteren Ecke der Bibliothek standen, und ließ sich lässig auf ihm nieder. “Durchaus”, nickte er dann. Nach einem Moment des Zögerns - so schien es Jason - durchquerte Xander bedächtig den Raum. “Du hast ja keine Ahnung, wie lange ich von diesem Moment geträumt habe. Endlich sind wir die lästigen Hündchen meines Onkels los und ich habe dich ganz für mich allein… Nur du und ich.” Seine Hand streifte die Rückenlehne des Sessels, auf dem Jason saß, während er sich hinter diesen stellte. “Weißt du, Jason, als wir uns das erste Mal begegneten, sahst du nur einen eingeschüchterten Jungen, der sich nicht zu wehren wusste. Jeremy mochte der Anführer unserer Gang gewesen sein und mich lange Zeit herumgescheucht haben, wie es ihm beliebte, aber das ist Vergangenheit. Eine Vergangenheit, für die er ausreichend bezahlt hat. Heute bin ich nicht mehr der kleine Junge, der sich alles gefallen lässt. Auch von dir nicht, Jason Sartaren, Sohn von Kelvin Sartaren, oder soll ich sagen: Der Sohn von Father Dest, dem Loser?” Jason blieb ungewohnt gelassen. Während er den Kopf neigte, um Xander ins Gesicht sehen zu können, zierte sogar ein leichtes Lächeln seine Mundwinkel. “Mein Vater mochte den Kampf gegen Tyrone verloren haben, doch nun sitze ich hier.” “Du meinst, du wirst mehr Erfolg haben als er?” Xander fuhr sich durchs Haar. “Deine Naivität erheitert mich”, überzog nun ein Schmunzeln seine zuvor unterkühlte Miene. “Du mimst den starken Nachfolger des ach so großen Father Dest und in Wahrheit bist du nur ein großes Nichts, das bisweilen mit seinen kleinen Freunden in der Höhle des Löwen festsitzt. Was erhoffst du dir? Doch nicht etwa, dass du uns irgendwas nachhängen kannst? Möchtest du uns tatsächlich hinter Gittern sehen? Wie schade”, glitt seine Rechte tiefer und legte sich auf eine von Jasons Schultern, “du würdest so einiges verpassen.” Geduldig ertrug Jason Xanders Hand auf sich, er ging sogar so weit, sie mit seiner zu umfassen. “Wer macht sich hier gerade lächerlich?”, war alles, was er entgegensetzte. “Wer steht schon auf den Sohn eines Verlierers?”, hob Xander verächtlich die Brauen. “Macht und Reputation sind das einzige, was mich interessiert. Und das sind Prädikate, die du gewiss nicht zu bieten hast.” “Soll ich mich so getäuscht haben?” Jason erhob sich langsam und behielt Xanders Hand dabei weiterhin in seiner. Mit der anderen streifte er hauchzart das noch leicht jungenhafte Gesicht ihm gegenüber. “Ich dachte immer, es würde eine Spannung zwischen uns existieren, die nicht unbedingt mit Hass zu erklären sei. Aber vielleicht habe ich mich ja doch geirrt”, zuckte er dann mit den Schultern und tat seine Anspielung einfach wieder ab und ließ gleichzeitig Xanders Hand los. “Tja, wie sagtest du: Wie schade.” Damit drehte er sich um. Doch ehe er sich entfernen konnte, umgriffen ihn zwei Arme. “Du hast es auch gespürt?” Xanders Stimme klang überrascht und flehentlich zugleich. In diesem Moment wurde Jasons Miene eiskalt. “Seit ich dich das zweite Mal gesehen habe, verspüre ich ein unbändiges Verlangen in mir”, säuselte er, froh darüber, dass Xander hinter ihm stand und sein Gesicht nicht sehen konnte. Der Griff um seinen Körper wurde stärker. Er fühlte warme Lippen in seinem Nacken, die ihn die Augen in ihren Höhlen rollen ließen. “Ich habe gewiss nicht von einem solchen Verlangen gesprochen.” Jedwedes Gefühl war seiner Stimme entwichen. “Nimm deinen dreckigen Mund von mir und wage es ja nicht, mich noch einmal anzufassen!” Xanders Arme sackten tatsächlich zu seinen Seiten ab und alsbald spürte er den jungen Mann hinter sich einen Schritt zurücktreten. Dies nahm er zum Anlass, um sich erneut um hundertachtzig Grad zu drehen. “Das einzige Verlangen, das du in mir auslöst, ist, dich am Boden kriechen und um Gnade winseln zu sehen.” Als er sah, welche Wirkung seine Worte erzielten, setzte er nach: “Schau in den Spiegel und sieh, wie erbärmlich du bist. Und wenn du ernsthaft geglaubt haben magst, ich würde dich auch nur mit meinem kleinen Finger berühren wollen, dann kannst du mir nur Leid tun.” Obwohl Jason nicht wusste, was ihn vor der Bibliothek erwarten würde, steuerte er geradlinig auf die Tür zu. Als er die Klinke nach unten drückte, hörte er ein leises, aber bedrohliches “Du entkommst mir nicht.” “Xander, gib auf, du hast keine Chance.” Damit öffnete er die Tür und sah sich unverzüglich mit zwei Männern in dunklen Anzügen konfrontiert. “Ich sagte doch, dass du mir nicht entkommst”, lachte Xander nun direkt hinter ihm. Kapitel 24: - 24 - ------------------ - 24 - Flatternde Dunkelheit umspielte seine Sicht. Schleichende Kälte kroch durch seine Glieder, während sich seine Finger in den harten Boden zu krallen versuchten. Fröstelnd schlug er die Augen endgültig auf und horchte weiterhin auf die ewige Stille, die ihn umgab. Er wusste nicht recht, wie lange er hier schon lag, ohnehin hatte er sein Zeitgefühl - in den letzten Stunden? - gänzlich eingebüßt. Obwohl er Xander richtig eingeschätzt hatte, so bereute er gerade ein wenig, ihn derart provoziert zu haben, denn jeder Atemzug löste eine erneute Schmerzenswelle in seinem Körper aus. Aus diesem Grund zog er es vor, noch ein wenig liegen zu bleiben und sich so wenig wie möglich zu rühren. Das Ausmaß seiner Verletzungen war ihm noch nicht bekannt und noch war er auch nicht darauf erpicht, näheres über sie zu erfahren. Auch wenn die Sorge um Lance, Holly und Eddy stetig wuchs, er konnte einfach noch nicht aufstehen und… Ein Keuchen zu seiner Linken riss ihn aus den Gedanken. Schlagartig setzte er sich auf und unterdrückte einen Schrei des Schmerzes, der ihm durch Mark und Bein fuhr. Er hatte gewusst, warum er eigentlich hatte liegen bleiben wollen! Seine Augen brauchten noch etwas, ehe sie sich richtig an das dämmrige Licht gewöhnten, das hier vorherrschte. Jason vermutete, sich in einer Art Kellergewölbe zu befinden, und die kalten, nackten Steine, der raue, harte Untergrund sowie die vergitterten Fenster, auf die er wenig später blickte, bestätigten seine Vermutung. Sein Blick glitt nun nach links und was er dort erblickte, ließ sein Herz schneller schlagen. “Holly!”, brach aus ihm hervor und er stürzte regelrecht auf seine Freundin zu. Sanft legte er seine Hände um das schlafende Gesicht und mit einem Mal umspielte ein erleichtertes Lächeln seine blutverkrusteten Lippen. Ihre tadellose Kleidung, ihre reine Haut und ihr ganzes Erscheinungsbild deuteten eindeutig darauf hin, dass es ihr den Umständen entsprechend gut ging und Tyrone die Finger von ihr gelassen hat. “Holly, wach auf”, streichelte er über ihre Wangen. Zaghaft öffneten sich ihre Lider. “Jason?”, wurden ihre Augen mit einem Mal groß. “Gott sei dank, Jason!”, fiel sie ihm um den Hals. “Nicht so fest”, stöhnte er nach einer Weile und verbiss sich einen weiteren Schrei, der sich in seiner Kehle aufstaute. Abrupt ließ Holly von ihm ab und betrachtete ihn sich. “Was haben die Mistkerle dir nur angetan?” Ihre Stimme war nicht mehr als nur ein Wispern. “Nur das, was ich wollte”, zuckte er mit den Schultern. Sie bettete eine Hand auf seiner Stirn. “Du scheinst ganz schön was abbekommen zu haben.” Er lächelte. “Mein Hirn funktioniert noch einwandfrei, glaub mir.” “Bist du dir da sicher?” “Ja, bin ich”, wurde er ernster. “Ich musste Xander reizen, um hier runter zu kommen.” “Was ist passiert? Wo ist Lance?” Irritation überzog Hollys Gesichtszüge und ihr Blicke schnellten durch den Raum. “Er ist nicht hier”, entgegnete Jason leise. “Und ich weiß auch nicht, wie wir hier wieder rauskommen”, fügte er tonlos an. Ehe Holly darauf reagieren konnte, legte er ihr beschwichtigend die Hände auf die Schultern. “Aber ich kann dir erzählen, was passiert ist. Okay?” “Okay.” Sie nickte, doch ihr Blick verriet die Unsicherheit, die sie verspürte. Vorsichtig setzte sich Jason neben die Journalistin und ächzte leise, als er sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte. “Die haben dich ganz schön zugerichtet.” “Danke für die Blumen”, lächelte er sie etwas gequält an. “Nur die Wahrheit”, war es dieses Mal an ihr, mit den Schultern zu zucken, doch sie streckte eine Hand aus, um sich eine von Jasons zu greifen, die sie anschließend immer mal wieder drückte. “Nun, mit Xander zu spielen hat eben so seine Konsequenzen.” “Könntest du mir endlich der Reihe nach erzählen, was vorgefallen ist, und warum du hier nun blutverschmiert neben mir sitzt?” Allmählich reizte sie seine stoische Gelassenheit. “Das meiste hast du selbst mitbekommen”, begann er einige Sekunden später ihrer Bitte nachzukommen. “Ich hätte wissen müssen, dass sie dich schnappen und uns dies zum Druckmittel wird. Und ich weiß immer noch nicht, was sich Lance dabei gedacht hat, dich dieser Gefahr auszusetzen.” “Es hätte auch anders kommen können”, warf sie ein. “Dann wäre die Polizei nun hier und -” “Die Polizei!”, zischte der junge Sartaren. “Die korruptesten Leute der Stadt? Damit sie uns zusammen mit Tyrone heimlich entsorgen wie all die anderen?” Holly sah Jason von der Seite nur an, doch sagte nichts. Auch sie wusste, dass er recht hatte. “Wenn wir mal davon absehen, wie aberwitzig unsere Situation ist, dann können wir nur versuchen, das Beste draus zu machen. Tyrone hat es verdient, zu büßen, und das weiß jeder in Asht-Zero, nur keiner traut sich, sich gegen ihn aufzulehnen. Und diejenigen, die es tun, landen hier… Nur wollte ich keinesfalls, dass auch du hier bist.” “Könntest du mal zur Sache kommen?” Er seufzte kurz. “Schon gut. Also, als du abgeführt wurdest, mussten wir uns einen langweiligen Vortrag von Xander über die Schlossarchitektur anhören. Der Kerl hat einfach nicht kapiert, dass uns sein Gerede nicht interessierte, aber zuguterletzt hat er uns dann geradewegs zu Tyrone geführt. Zundersby hat eine erstaunliche Büchersammlung und frage lieber nicht, wie er sich diese wohl finanziert haben mag. Jedenfalls sahen Lance und ich uns ziemlich in die Enge getrieben. Und dann begann der ganze Wahnwitz erst so richtig. Du wirst es nicht für möglich halten, aber sowohl Xander als auch Tyrone höchstselbst können den Anblick nicht ertragen, wenn Lance und ich uns nahe kommen.” Verschmitzt begann er zu lächeln, doch als seine funkelnden Augen Hollys ernst dreinblickenden begegneten, erlosch sein Lächeln. “Wir turtelten ein bisschen, um zu testen, ob wir damit wirklich recht behielten”, fuhr er fort, “und die beiden verließen tatsächlich fluchtartig den Raum. Dies kam uns sehr gelegen, nur hatten wir natürlich ein paar Aufpasser. Um die kümmerte sich Lance…” Da Jason einfach verstummte und nicht den Anschein machte, gleich weiterzureden zu wollen, drückte Holly noch einmal seine Hand, ehe sie sie losließ und sich aufrichtete. Kurzerhand zog sie ihre Jacke und den Pullover, den sie unter ihr trug, aus. Nachdem sie sich die Jacke wieder übergestreift hat, zerrte sie am Ärmel des smaragdgrünen Stoffes. “Darf ich dir helfen?”, schmunzelte Jason. Sie rollte mit den Augen, gab den Pullover aber weiter. Jason riss ihn mühelos entzwei, auch wenn er dabei sein Gesicht vor Schmerzen verzog. Seine rechte Schulter hatte anscheinend einiges abbekommen. “Xander hatte wohl kein Erbarmen”, versuchte er Hollys anklagendem Blick zu entgehen. Ehe sie ihm den Befehl erteilen konnte, streifte er sein Hemd und sein Shirt von den Schultern oder zumindest die Fetzen, die davon übrig geblieben waren. Er sah an sich hinab. “Ja, er hat ganz Arbeit geleistet.” “Du hast dich ganz schön verändert, Jason”, meinte Holly, als sie damit begann, die roten Striemen und blutigen Wunden zu begutachten. “Tyrone ließ mir keine andere Wahl.” Zum Ende hin verebbte seine Stimme. “Ich meinte das nicht negativ.” Behutsam tastete Holly die schwarz-rot leuchtende Schulter ab. “Vielmehr bin ich froh, dass du erstarkt bist. Ich hatte mir große Sorgen um dich gemacht und ich hatte keine Ahnung, wie du deine Niederlage bei der Bürgermeisterwahl und die Kenntnis über die wahre Todesursache deines Vaters wegstecken würdest. Monatelang hatte ich Angst um dich. Ich konnte ja nicht wissen, dass du dich nicht aufgegeben hast, sondern…” Sie sah ihn an und begann zu lächeln. “Es war eine schwere Zeit, für uns alle. Und ich bin einfach glücklich darüber, dass du jetzt so bist wie du bist.” Mit geschickten Handgriffen bandagierte sie Jasons verletzte Schulter. “Lance hatte irgendwelche Insiderinformationen.” Nachdenklich senkte Jason den Kopf und reagierte nicht auf Hollys Worte. Er fragte sich immer noch, warum Lance ihm nichts über Shahar erzählt hatte. “Vielleicht wollte er sie schützen…” “Wärst du so gütig, mich endlich aufzuklären?” Sachte stupste sie ihn an und ließ sich dann wieder neben ihm nieder. “Lance wollte mich unsichtbar machen, indem er die Wachen ablenkt. Den Vorteil nutzend, selbst einmal für Tyrone gearbeitet zu haben, ging er auf sie zu und sprach einen von ihnen namentlich an. Er entschuldigte sich die ganze Zeit und brachte Arif - so heißt sein ehemaliger Kollege - in arge Bedrängnis. Anscheinend hielten alle seine Frau für tot, die sie als Verräterin erachten. Als Lance ihre wohl gemeinsame Tochter erwähnte, waren plötzlich alle alarmiert. Wenn ich nun so darüber nachdenke, heißt das, dass wir eine Verbündete dort draußen haben -” “- die garantiert aus Sorge um ihr Kind nichts unternehmen wird”, beendete Holly den Satz, ehe Jason es tun konnte. “Was ist eigentlich mit Eddy?” Die Frage schien in Holly etwas auszulösen, das sie bis dato verdrängt hatte. “Ich weiß es nicht.” Sie neigte den Kopf zur Seite und rang um Fassung. “Ihm geht es bestimmt gut.” Sanft strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Verächtlich schnaubte sie. “Kannst du das beschwören?” Sein Gesichtsausdruck sagte alles. Natürlich konnte er das nicht. Vielmehr befürchtete er das exakte Gegenteil, genau wie sie. “Was hat Xander nun mit der ganzen Sache zu tun?”, versuchte sie von ihrem Freund abzulenken und deutete auf Jasons misshandelten Körper. “Tyrone und Xander tauchten plötzlich wieder auf und ließen Lance abführen. Ich blieb allein in der Bibliothek zurück. Ich dachte die ganze Zeit, dass Lance mich genau dort haben wollte, damit ich das finde, wofür wir überhaupt hier sind. Ich ging sogar so weit zu glauben, dass ich urplötzlich einen Geheimgang finde”, er musste immer noch über sich selbst lachen, als er daran dachte. “Wie es nicht anders zu erwarten war, blieb meine Suche erfolglos. Und als Xander dann plötzlich in der Tür stand, wusste ich, worauf Lance in Wahrheit abgezielt hatte. Zwar habe ich noch keine Ahnung, wie er das planen konnte, aber wie du siehst, befinde ich mich nun ja hier.” Noch immer verständnislos hob sie die Brauen. “Ich habe Xander provoziert und glaube mir, bei ihm hat man damit wirklich keinerlei Mühe. Man muss ihm nur ein wenig nahe kommen und ihm was vorsäuseln. Darauf reagiert er wie ein seit Jahren unbefriedigter…” Nur leider fand er keinen Vergleich. “Wie auch immer. Ich habe ihn eiskalt abblitzen lassen.” Ungläubig warf Holly ein: “Xander steht auf dich!?” Jason verdrehte lediglich die Augen. Er wollte gar nicht daran erinnert werden. “Das war meine Waffe”, meinte er dann. “Und seine waren wohl Fäuste.” “Ich habe ihn vielleicht ein klein wenig zu sehr provoziert.” “`Ein klein wenig`, sehe ich.” “Immerhin tobte er sich nur mit Schlägen an mir aus.” Vielsagend blickte er sie an und er sah ihr Frösteln. Sie hatte also verstanden, auf was er anspielte. “Ergo, es hätte schlimmer kommen können.” “Jetzt verstehe ich allmählich deine Gelassenheit.” Sie musste sich wohl gerade vorstellen, wie Xander leidenschaftlich über Jason herfiel, denn sie schüttelte sich regelrecht. “Und was glaubst du hier unten zu finden?” “Ich stelle gerade fest, dass Lance auch euch einiges verschwiegen hat. Als ich mich mit euch plötzlich im Wohnzimmer konfrontiert sah, dachte ich, ihr wüsstet über alles Bescheid. Bisher habe ich keinen Gedanken daran verschwendet, dass ihr vielleicht gar nicht wisst, was wir uns zu finden erhoffen.” Er nickte. “Klar. Wenn wir euch diese absurde Idee im Detail offenbart hätten, wärt ihr sofort wieder gegangen.” “Jason!” Ihr Stimme klang anklagend. “Ich wusste, dass ihr verrückt seid, aber ich hätte euch niemals im Stich gelassen. Und nun sage mir endlich, nach was wir suchen, damit wir Tyrone der Öffentlichkeit ausliefern können.” Jason musste bei dem Gedanken, den Plan laut auszusprechen, lachen. “Es ist so wahnwitzig”, meinte er nach seiner kleinen Lachsalve nur. “Obgleich du es vorhin abgestritten hast, nun glaube ich tatsächlich, dass dein Kopf auch so einiges abbekommen hat.” Mit ernster Miene stand sie auf und begann, sich näher umzusehen. Für einen Moment kam sich Jason total lächerlich vor, aber dann tat er es Holly gleich und erhob sich ebenfalls. “Tut mir leid. Vielleicht hat Xander das ein oder andere Mal doch zu fest zugeschlagen.” Doch dann zuckte er nur die Schultern. “Hast du schon mal von Terry’s factory gehört?” Während Holly überlegte, tastete ihre Rechte die hintere Wand aus kalten, kargen Steinen ab. “Nein, ich kann mich nicht entsinnen, den Namen jemals gelesen zu haben.” “Und das offenbart mir eine Journalistin.” Er konnte es sich einfach nicht nehmen lassen, sie zu necken. Es war nicht der passende Ort und auch nicht der geeignete Zeitpunkt für solche Aufziehereien, doch als er ihre gespielt beleidigte Reaktion sah, durchzuckte ihn eine Welle der Erleichterung. Er war erleichtert, dass sie unbeschadet war. Und er war erleichtert, dass das Band der Freundschaft immer noch zwischen ihnen existierte. Nachdem er ihr das wenige, aber entscheidende, was er über Terry’s factory wusste, erzählt hatte, fügte er an: “Ein unfruchtbares Unterfangen also.” “Tyrone hat noch mehr Menschenleben auf dem Gewissen? Warum wundert mich das nur nicht…” “Das Netz der Korruption ist in Asht-Zero weitgesponnen. Ohne die Hilfe aus den Reihen der Polizei und der Judikative hätte er es niemals geschafft, seinen Namen aus allem herauszuhalten.” “Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was er noch alles zu verantworten hat.” “Weißt du, an was ich gerade denken muss?” Holly sah Jason fragend an, der antwortete: “Ich wollte Bürgermeister werden, um in dieser Stadt etwas zu bewegen. Mit völliger Naivität und auch Unschuldigkeit stürzte ich mich in die Kandidatur und mein einziges Ziel war, die Menschen ein wenig wachzurütteln und ihre Lebenssituation aufzuwerten. Ich wollte eine Gemeinschaft bilden, die hinter mir steht und mit der ich zusammen etwas Gutes erschaffen kann. Doch anstatt auch nur irgendwas zu erreichen, musste ich erfahren, wer mein Vater wirklich war. Ich musste erfahren, dass ihr, du und Lance, mich jahrelang belogen habt. Und ich musste am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn plötzlich eine ganze Stadt gegen dich ist. Aber das ist nichts im Gegensatz zu der Tatsache, dass der Mann, der hier die Fäden spinnt, meinen Vater ermordet und dafür nie die gerechte Strafe erhalten hat.” Er schüttelte ihre Hand ab, die sie ihm auf die Schulter gelegt hatte. “Ist schon gut, Holly. Ich wollte dir damit eigentlich was ganz anderes sagen. Sobald man die Augen öffnet und sich dafür einsetzt, etwas zum Guten zu verändern, landet man selbst im Sumpf des Verbrechens. Das ist schon irrwitzig, nicht wahr?” “Gäbe es diese Menschen aber nicht, würde alles nur noch schlimmer werden. Stell dir vor, es gäbe keinen Gegenpol, der der Macht der Korruption Einhalt gebietet. Jedes Auflehnen, jedes Bemühen hat auch eine gute Seite. Der ein oder andere Faden wird ausgelöscht, das Gleichgewicht wird gestört. Jason, du hast viel bewegt. Ich bin mir sicher, dass sich dein Bestreben in dem einen oder anderen Kopf verankert hat. Und es wird weitere Personen geben, die deinem Beispiel folgen werden. Wir werden nie in der Lage sein, die Ungerechtigkeit zu besiegen, aber durch unseren Kampf verhindern wir, dass wir gänzlich als Marionetten enden, die ihre Arme und Beine ausschließlich durch den Einfluss einer höheren Macht bewegen können. Verstehst du, was ich meine, Jason? Wir durchtrennen einzelne Fäden! Womit wir in der Lage sind, wieder etwas eigenständig zu handeln und hoffentlich auch etwas Gutes zu bewirken.” “Selbst wenn ich vor der Entscheidung stünde, die Wahrheit über meinen Vater und alles, was mit ihr verbunden ist, zu kennen oder nicht, ich würde mich immer für sie entscheiden. Mir sind die damit verbundenen Schmerzen lieber als in Unwissenheit unbeschwert zu leben.” Jason ging auf eines der kleinen Fenster zu, vor dem parallele Eisenstäbe ein Gitter bildeten. “Seit ich weiß, wer mein Vater wirklich war, habe ich vieles begriffen. Nun weiß ich, was er mir mit seinen Worten mit auf den Weg geben wollte. Er wollte, dass ich hinter die Fassaden blicke und auch das erkenne, was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist. Auch wenn er mich meinen eigenen Weg bestreiten ließ und vor mir sein zweites Gesicht verbarg, so hoffte er doch stets, dass ich auf meine Weise seinen Weg bestreite. Er hat niemals gewollt, dass ich mit Tyrone in Kontakt gerate und mir mit ihm einen Kampf liefere, so wie er es tat; ich denke, er wollte einfach, dass ich meine Augen nicht vor dem Offensichtlichen verschließe. Hätte ich in der Tat in seine Fußstapfen treten sollen, hätte er mir nicht all das verschwiegen, wofür er lebte… Doch auch wenn nun alles so gekommen ist, wie es ist, bin ich glücklich darüber, dass ich nun weiß, wer mein Vater wirklich war. Ich bin ihm näher als jemals zuvor.” “Er war ein guter Mensch, auch wenn er in der Stadt… verpöhnt ist.” “Ja, das war er.” Jason hatte alle Mühe, nicht die Bilder des verschandelten Grabes in sich aufsteigen zu lassen. “Und er wäre sehr stolz auf dich.” Damit sprach Holly das aus, was er immer noch bezweifelte. Sie wusste nicht, was er getan hatte, darum konnte sie das behaupten. Doch er hielt es für besser, sie darüber in Unwissen zu lassen. Er wollte die Szene nicht noch einmal mit Worten durchleben, es genügte, dass er nachts davon träumte. Langsam schloss er die Augen und hielt sie eine ganze Weile lang geschlossen. “So sehr ich es mir auch wünsche, ich kann nicht zu Ende bringen, was er begonnen hat.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)