Father Dest's Erbe von Pansy (Fortsetzung zu "Sinnlose Versprechen") ================================================================================ Kapitel 16: -16- ---------------- Vielen lieben Dank für die Kommentare. Das folgende Kapitel ist noch einmal ziemlich von Gefühlen geprägt. Es ist leider nicht allzu lang, aber ich wollte die Atmosphäre nicht durchbrechen und die wird sich im 17.Kapitel erheblich wandeln. Ich wünsche euch wie immer viel Spaß beim Lesen! Vielen Dank für eure Treue *^__^* - 16 - Leise raschelte der Wind in den Bäumen. Sachte wogen die dürren Äste im Takt der himmlischen Melodie. So idyllisch die Atmosphäre rings um die beiden jungen Männer auch war, die vor dem geschändeten Grab der Sartarens kauerten, so zerrissen waren ihrer beider Herzen. Noch immer hielt Lance Jason fest umschlungen. Seine Arme hielten den blonden jungen Mann noch immer fest umschlossen und seine Rechte krallte sich weiterhin in den Stoff über Jasons linker Brust. Jasons Augen waren nur einen spaltbreit geöffnet und doch sah er genau das Chaos, das er angerichtet hatte. Er sah es nur allzu deutlich. Er wollte es nicht sehen und dennoch konnte er seine Augen nicht davor verschließen. Immer wieder fragte er sich, wie er es so weit hatte kommen lassen können. In seinem Kopf spielten die Gedanken regelrecht verrückt. Unentwegt machte er sich Vorwürfe und nährten die immer wachsenden Schuldgefühle. Ja, er war es gewesen, der mit bloßen Händen das Grab seiner Eltern entweiht hat. Ja, er war es gewesen, der den Sarg von Kelvin Sartaren öffnen wollte. Allein die Vorstellung, diese Absicht in der Tat verfolgt zu haben, war so grotesk, dass er sie kaum glauben konnte. Doch er hatte den Beweis direkt vor sich. Die aufgetürmte Erde seitlich des Grabes. Das Loch vor dem schwarzen, marmornen Grabstein. Und die achtlos zu Boden geschmissenen Blumen. Diese fixe Idee, auf diese Weise Tyrones Fall zu erzwingen, überhaupt je erwogen zu haben, war unverzeihlich. Was musste Lance nun von ihm denken? Oder gar Holly? Holly… Er hatte nicht nur ihre Freundschaft für seine Rache geopfert. Er hatte sein ganzes Leben aufgegeben. Es war bis zu einem gewissen Punkt nicht leicht für ihn gewesen, sein komplettes Dasein für den Kampf gegen Zundersby zu ändern. Anfangs hatte er ein Doppelleben geführt, das ihn immer weiter von den Menschen entfernt hatte, die ihm wichtig waren. Aber irgendwann hatte er damit begonnen, nur noch Aspirs Leben zu leben. Und das hatte er nicht einmal realisiert. Die künstlich erschaffene Lebensweise war zur Gewohnheit geworden. Einst lästige Telefonate waren alltäglich geworden. Die erzwungene Kühle, mit der agiert hatte, war ein Teil von ihm geworden. Er hatte die vollkommene Wandlung nicht bemerkt. Denn Aspirs Leben war plötzlich normal für ihn gewesen. Als ob er schon immer nach seinen Maßstäben gehandelt hätte. Wochenlang hatte er es nicht mehr gespürt. Und jetzt schlug es verzweifelt gegen seine Brust. Er fühlte. Er fühlte all den Schmerz, den er tief in sich verborgen hatte. Die Trauer. Die Wut. Und auch den Hass auf Tyrone von Zundersby. Doch da gab es noch etwas anderes… Eine Emotion, die Aspir völlig fremd war: die Liebe. Mit vollem Einsatz hatte er der Korruption in Asht-Zero ein Ende bereiten wollen. Und er hatte wirklich Bürgermeister werden wollen, so aussichtslos dieses Unterfangen von Anfang an auch gewesen sein mochte. Er hatte daran geglaubt, etwas Gutes bewirken zu können! Die Menschen mit seinen Worten und Taten erreichen zu können! Ihnen die Augen öffnen zu können, damit sie sahen, was um sie herum geschah! Doch er spürte die Liebe noch in ganz anderer Form. Tief sog er die Luft ein und nahm jede einzelne Nuance des Geruches wahr, den sein Freund verströmte. So nah war er Lance schon ewig nicht mehr gewesen. Vielleicht war er es sogar nie gewesen. Vielleicht waren sie nie so verbunden gewesen wie in diesem Moment. Er genoss den festen und bestimmten Kontakt zwischen ihnen. Den Druck, den Lance‘ Arme auf ihn ausübten. Den verzweifelten Griff, der ihm Halt gab. Er war sich sicher, dass er endlos fallen würde, würde Lance ihn nicht derart festhalten. Als er erfahren hatte, dass Lance den Tod seines Vaters hätte verhindern können, hatte er ihn von einem Tag auf den anderen verlassen. Er hatte sich geschworen, dass Lance dafür büßen würde, dass er Tyrone nicht daran gehindert hat, auf Kelvin zu schießen. Es wäre nur eine verdammte klitzekleine Reaktion gewesen! Vorschnellen und Tyrones Arm packen! Nichts weiter… Lance hatte behauptet, er sei ihm nicht ebenbürtig. Doch was war ein Mensch, der sogar dazu bereit war, die Leiche seines Vaters auszugraben? Abermals schweifte sein Blick über den Erdhaufen, der einst das Grab seiner Eltern gewesen war. Dieser Mensch musste ein Irrer sein. Ein Wahnsinniger. Es musste sich um jemanden handeln, der nicht bei Verstand war. Wie sollte er also besser sein als Lance? Allmählich schlich sich kriechend die Kälte in ihre Glieder und trotz der einsetzenden Taubheit hatte Jason nicht die Kraft aufzustehen. Besser gesagt, er besaß nicht den Willen. Sobald er sich regen würde, würde er sich endgültig eingestehen müssen, was er eben getan hatte. Zwar sah er unentwegt auf das zerstörte Grab, doch in einem Zustand der Trance ähnlich war dies viel leichter hinzunehmen als bei klarem Verstand. Und er konnte mitnichten von sich behaupten, dass er gerade klar denken konnte! Er hatte erkannt, was er getan hatte, doch er konnte es noch nicht recht glauben. Dieses Bewusstsein würde er in den nächsten Stunden erst noch schmerzhaft erlangen. Darum wollte er einfach noch ein wenig auf dem kalten Boden sitzen bleiben und die Nähe zu Lance beibehalten. Irgendwann vernahm er aber die sanfte, tiefe Stimme, die er so noch nicht oft gehört hatte, die ihn aufforderte, aufzustehen. Jason wusste, dass er gehorchen sollte, um dem sicheren Tod zu entgehen, dennoch ließ er sich gerne ein zweites Mal von Lance bitten: „Sei vernünftig, Jason. Steh auf.“ Die Worte wurden mit so viel Milde gesprochen, die gar nicht zum Szenario um ihn herum passte. Er müsste lautstark darauf hingewiesen werden, was er getan hatte. Lance müsste ihn eigentlich anbrüllen und ihm eine Ohrfeige verpassen, damit er aufwachte und sah, was er angerichtet hatte. Nur sah er dies bereits. Er sah sein Werk auch ohne darauf hingewiesen zu werden. Und Lance war dennoch so sanft. Langsam verlagerte Jason sein Gewicht auf seine Beine und drehte sich anschließend zu seinem Freund um. Er hatte gedacht, er würde ihn aufgrund seines Nichteinschreitens gegen Zundersby hassen. Er hatte geglaubt, Lance müsste für seine Tat bezahlen. Aber in Wahrheit… In Wahrheit hat er selbst nie damit aufgehört, Lance zu lieben. Seine braunen Iriden trafen auf das makellose Blau seines Gegenübers. Er las in den Augen von Lance weder Verachtung noch Wut noch Ablehnung. Das einzige, was er in ihnen sah, war der Ausdruck von Sehnsucht. „Ich habe dich vermisst“, wurde sein Eindruck auch noch durch leise Worte bestätigt. Ihm wurde nach und nach bewusst, wie sehr er sich nach Lance verzehrt hatte. Als Aspir mochte er diese Gefühl noch so gut verdrängt haben, doch jetzt spürte er das Verlangen nach seinem Freund umso mehr. Möglicherweise konnte er Lance nie hundertprozentig verzeihen, doch ein Leben ohne ihn wollte er nicht führen. Er brauchte ihn. Vielleicht schon allein aus dem Grund, weil er ihn immer an seinen Vater erinnern würde. Wie von selbst umfasste Jason mit seinen Händen Lance‘ Gesicht. Sie waren beide nicht von Unschuld geprägt. Sie hatten beide eine ziemliche Bürde auf ihren Schultern zu tragen. Es war nicht wahr, dass Lance ihm nicht ebenbürtig sein sollte. Wenngleich ihre Taten nicht wirklich vergleichbar waren, so hatten sie mit ein- und demselben Menschen zu tun. Und Kelvin hatte Lance vertraut. Er hatte freiwillig sein Leben in die Hände des dunkelhaarigen jungen Mannes gelegt. Er hatte wohlweislich so agiert und vor allen Dingen aus eigenem Willen. Jason kam Lance‘ Gesicht immer näher und umschloss die vertrauten Lippen vorsichtig mit den Seinen. Kelvin hatte gewusst, auf was er sich einließ. Und insbesondere hatte er gewusst, wann es an der Zeit war, seine Taten durch andere bewerten zu lassen. Er hatte gewusst, wem er vertrauen konnte und wer ihn unterstützen würde. Er war ein wahres Vorbild gewesen, das sicher nicht nur Jason immer im Herzen tragen würde. Erst nach einer schieren Ewigkeit löste Jason ihren Kuss. „Hilfst du mir?“ Er brauchte nicht erst auf das Grab deuten, um Lance mitzuteilen, was er meinte. Lance hatte natürlich nicht verneint und binnen einer Stunde sah das Grab wieder halbwegs annehmbar aus. Nachdem Jason die letzte Blume wieder an ihre alte Position gesetzt hatte, kniete er sich vor dem Grab nieder und sah auf die Namen seiner Eltern. „Ich hoffe, ihr könnt mir irgendwann verzeihen“, hauchte er ihnen entgegen. Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter. „Das werden sie“, meinte Lance, der seine Augen ebenfalls auf den marmornen Grabstein gerichtet hatte. Dazu sagte Jason nichts, sondern stand lediglich wortlos wieder auf. Mit einem Blick deutete er Lance an, dass er nun gehen wolle. Automatisch verflochten sich ihre Finger ineinander und gemeinsam verließen sie den Friedhof. Jason war nicht nach reden zumute. Mit einem völlig wahnsinnigen Vorhaben war er hergekommen und mit völlig schwerem Herzen ging er wieder. Wäre Lance nicht gewesen, würde er nun die Leiche seines Vaters in den Händen halten. Nicht nur, dass dies gänzlich makaber war, sondern es entsprach auch noch der Wahrheit. Er war drauf und dran gewesen, den toten Leib seines Vaters auf ein Einschussloch zu überprüfen und es als Beweismittel gegen Tyrone von Zundersby einzusetzen. Zwar mochte dieses wahrlich ein Mittel sein, um Tyrone der Macht zu berauben, die er innehatte, aber es war moralisch einfach nicht hinzunehmen. Allein schon der Gedanke an sich war vollkommen krank. Eine andere Bezeichnung würde allemal zu harmlos sein. Und verharmlosen durfte man das, was er beinahe getan hätte, keinesfalls. Ohnehin war er viel zu weit gegangen. Er warf einen Blick zurück auf das schmiedeeiserne Tor, das den Friedhof vom Rest der Stadt abgrenzte. Zweifellos lag dort eine Chance begraben, Tyrone das Handwerk zu legen. Und ja, vielleicht trauerte er ihr ein wenig nach. Und trotzdem war er dankbar, dass Lance ihn vor dem letzten Schritt des Verderbens bewahrt hat. Sobald er den Sarg ausgegraben und geöffnet hätte, hätte es kein Weg mehr zurück gegeben. Angesicht zu Angesicht hätte er seinem Vater erneut gegenübergestanden. Einer Leiche. Einem Toten. Einem Menschen, dem er niemals mehr die letzte Ehre hätte erweisen können. Jason wollte nicht mehr daran denken, weshalb er sein Gesicht dem Friedhof wieder abwandte. Jeder Schritt, mit dem er sich dem Grab seiner Eltern entfernte, war ein Schritt gen nagender Gewissheit. Er wusste, zu was er fähig war. Er wusste, zu welchen Taten er sich hinreißen lassen konnte. Darum fürchtete er sich selbst. Er selbst war sein größter Feind. Wie lange würde Lance ihn schützen können? Wann würde er ihm unterlegen sein und ihn gezwungenermaßen handeln lassen? War er eine tickende Zeitbombe, deren Explosion nicht vorhergesagt werden konnte, aber unweigerlich irgendwann erfolgen würde? Die Welt gleicht einem riesigen Marionettentheater, die Menschheit einem bedingt nutzbaren Werkzeug. Aufheben und Wegwerfen. Begehren und Hass. Tatenloses Zusehen um des lieben Friedens Willen? Oder kämpfen, dem sicheren Untergang geweiht? Was ist eigentlich ein Held? Ein Sieger? Ein Hauptdarsteller? Eine Berühmtheit? … … Doch vergessen alle Synonyme den wahren Kern. Und genau der bringt letztendlich jeden Helden irgendwann zu Fall… Er hat nicht zusehen wollen! Er hat die Stadt verändern wollen! Er hat gekämpft. Er hatte für seinen Vater ein Held sein wollen. Nur hat er vergessen, die Menschen vor ihm selbst zu bewahren. Er ist gefallen. Sogar bevor er noch zum Helden werden konnte. Und obwohl er es nicht verdient hatte, hat Lance ihn aufgefangen. Derselbe junge Mann, der die Stütze seines Vaters gewesen war. Manchmal passierten Dinge, die man nicht verstehen konnte. Manchmal geschahen Dinge, die man nicht einzuordnen wusste. Manchmal war es einfach Schicksal. Gemeinsam liefen sie durch die Straßen von Asht-Zero. Und ehe sich Jason versah, stand er vor der Tür zu ihrer einst gemeinsamen Wohnung. Mit einem unbehaglichen Gefühl trat er über die Schwelle und doch empfand er es richtig, wieder dort zu sein. An dem Ort, wo so vieles begonnen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)