Junischnee von Leira ================================================================================ Kapitel 1: Das Geständnis ------------------------- Bonjour, heute also ist es soweit… die Veröffentlichung meiner zweiten Fic beginnt hiermit. An dieser Stelle heiße ich alle willkommen, die auch meine erste Fic gelesen haben und mir quasi ‚treu’ geblieben sind; ich hoffe, ich erfülle eure Erwartungen. Und dann natürlich noch ein herzliches Hallo an alle, die neu hinzugekommen sind: Hi! Freut mich, dass ihr hierher gefunden habt! Nun, der Name dieser Fiction verrät nicht wirklich, um was es geht, aber das war Absicht; tatsächlich hat sich der Titel noch sehr kurzfristig geändert. Im ersten Kapitel also geht es um etwas, das wohl allen hier hinreichend bekannt sein dürfte… Shinichi ist wieder da und nun geht’s daran, Ran irgendwie zu beichten, wer er die letzte Zeit über gewesen ist… Was hinterher folgt, sprich, ab Kapitel zwei, ist meine Überlegung… wie’s laufen könnte, nach der Zerschlagung der BO. Ich bin gespannt, was ihr sagt. Viel Spaß beim Lesen wünscht euch Eure Leira ______________________________________________________________________ Shinichi Kudô, seines Zeichens Meisterdetektiv, saß im Büro von Kommissar Meguré und wartete. Wie lange er das schon tat, wusste er nicht. Zeit spielte keine Rolle mehr. Gedankenverloren betrachtete er die kalten, lindgrün gestrichenen Wände. Das ganze Zimmer war eher spartanisch eingerichtet; alles deutete auf Funktionalität hin - hier drin wurde gearbeitet, und sonst nichts. An den Wänden reihten sich Aktenschrank an Aktenschrank und an der einzigen Wand, die nicht zugestellt war, hingen ein Stadtplan von Tokio und Umgebung, gespickt mit unzähligen roten Pinnadeln, und ein Kalender. Er saß auf einem mit schwarzem Leder bezogenen Metallstuhl vor dem großen, dunkelbraunen Schreibtisch des Kommissars, der voll gestellt war mit Akten, Ordnern, ein paar Bilderrahmen und leeren Kaffeebechern. Shinichi nahm einen der Rahmen, betrachtete die Frau, die auf dem Foto abgebildet war und stellte ihn wieder zurück. Midori Meguré. Wenigstens etwas, was dem Raum ein wenig Persönlichkeit, Wärme verlieh, abgesehen von der Zimmerpflanze in der Ecke. Der Chefsessel hinter dem Bürotisch war leer. Shinichis Gedanken schweiften ab, als sich seine Augen in der hellgrünen Unendlichkeit der Wände verloren. Heute, nach ziemlich genau drei Jahren Martyrium hatte er es endlich geschafft. Er hatte die die Organisation ausgehoben, war wieder so alt, wie er sein sollte und… er war zurückgekehrt. Lebend- was an ein Wunder grenzte, bedachte man, was er in den letzten Tagen durchmachen hatte müssen. Begonnen hatte alles damit, dass die Organisation ihm einen unmissverständlichen Brief geschickt hatte, in dem sie ihm klarmachte, dass sie wusste, wer er war und was sie mit denen anstellen würde, die er liebte, sollte er sich nicht stellen, den Schutz des FBI verlassen… Also hatte er sich gestellt. Um diesen Entschluss zu fällen, hatte es keiner langen Überlegung bedurft. Unter den Personen, die er liebte, befand sich auch Ran; und er wollte unter keinen Umständen, dass man ihr etwas antat. Also fand er sich am beschriebenen Ort zu festgelegten Zeit ein, wie versprochen ohne Begleitung und FBI. Die Tage, die dem folgten, waren die Hölle gewesen. Wie er befürchtet hatte, hatte man sich nicht damit zufrieden gegeben, ihn einfach zu erschießen… nein, sicher nicht. Das wäre ja human gewesen, und wenn diese Leute eins nicht waren, dann war das human. Menschlich. Er versuchte zu verdrängen, was man ihm angetan hatte; zumindest solange, bis der Kommissar seine Aussage aufzeichnen würde. Ihm graute davor… allein der Gedanke daran verursachte bei ihm ein Gefühl von Übelkeit. Er nahm einen Schluck Kaffee aus dem Plastikbecher, den ihm Miwako Sato gereicht hatte, als sie ihn hier drin abgesetzt hatte. Seine Flucht… er war durch die Lüftungsschächte gekrochen. Sie hatten sich damit zufrieden gegeben, ihn mit Handschellen an einem Heizungsrohr festzuketten, was an und für sich schon qualvoll gewesen war, schließlich sprach man vom kältesten Juni in Japan seit Beginn der Wetteraufzeichung. Überall drehten die Menschen in den Häusern die Heizungen auf, denn draußen war die Temperatur herbstlich kühl… und da die Organisation sich in der Hinsicht von den anderen Bürgern Tokios nicht unterschied, war das Rohr da drin folglich dementsprechend heiß gewesen. Wobei er sich sicher war, diese Verbrecher hätten auch es auch bei hochsommerlichen Außentemperaturen extra für ihn angestellt… damit er nicht fror, nur für alle Fälle. Ein sarkastisches Lächeln umspielte seine Lippen. Der Punkt war, er war allein gewesen im Raum. Also hatte er seine Hände aus den Handschellen gezogen, eine Aktion, die ihre Spuren hinterlassen hatte… und war in den Lüftungsschacht geklettert. Das war gestern gewesen. Irgendwann in der Nacht war er dann bei der Polizei aufgekreuzt und seit den frühen Morgenstunden nahmen die Beamten den Laden auseinander. Die Polizei war immer noch mit den Festnahmen beschäftigt und er war jetzt hier, im Büro des Kommissars, um seine Aussage zu machen… dann wollte er heim. Einfach nur nach Hause… versuchen zu vergessen. Und er wollte zu Ran… und ihr die Wahrheit über seinen Verbleib während der letzten Jahre erzählen. Die Wahrheit über Conan Edogawa. Das Geräusch der aufgehenden Tür riss ihn aus seinen Gedanken. „Aaaah…Hallo Kudô. Ich hoffe, du nimmst mir nicht übel, dass ich dich ein wenig warten lassen musste.“ Der Kommissar warf ihm einen entschuldigenden Blick zu und nahm, wie immer, auch in seinem Büro seinen Hut nicht ab. Shinichi wusste, wieso. Er schüttelte leicht den Kopf. „Schon gut.“ Meguré setzte sich. „Du siehst grauenhaft aus.“, meinte er mit einem Blick auf seinen Zeugen. Shinichi zog eine Augenbraue hoch. „Danke, Sie auch.“, murmelte er zynisch. Der Kommissar hingegen lachte. „Wie schön zu hören, dass du deinen Humor noch nicht verloren hast.“ Shinichi seufzte. Humor? Seit wann setzte man Zynismus mit Humor gleich? Kommissar Meguré zog eine Schublade heraus und holte ein Aufnahmegerät hervor. „Können wir?“ Shinichi nickte kaum merklich. „Bringen wir’s hinter uns.“, murmelte er tonlos. Die Uhr schlug vier Uhr nachmittags. Das Verhör war jetzt vier Stunden her; Shinichi war danach nach Hause gegangen –in sein Zuhause! Und er war endlich mal wieder in der Lage gewesen, die Klinke des Gartentores allein herunterzudrücken, welch eine Leistung!- und hatte sich erstmal unter die Dusche gestellt. Da sich verständlicherweise nichts Essbares im Kühlschrank befunden hatte, war er anschließend, wenn auch eher unwillig, zum Professor gegangen. Er wollte eigentlich vermeiden, Shiho über den Weg zu laufen. Er wollte nicht darüber reden, was er erlebt hatte. Als er ihr nach dem Verhör das Gegengift vorbeigebracht hatte, bevor er in seinem Haus verschwunden war, hatte sie ihn schon so komisch angesehen, den Mund geöffnet, als ob sie ihm etwas sagen wollte... Als er geklingelt hatte, war sie diejenige gewesen, die ihm geöffnet hatte. Er hatte Shiho Miyano zwar noch nie gesehen, nicht in ihrer richtigen Größe, hieß das, aber er hatte sie sofort wieder erkannt. Sie hatte nichts gesagt (wofür er tief dankbar war) und auch er hatte sich wortlos an ihr vorbei durch die Haustür gedrückt. Der Professor hingegen redete wie ein Wasserfall die nächsten zwei Stunden auf ihn ein. Er hatte ihm etwas zu Essen und eine Tasse Tee hingestellt und überflutete den jungen Detektiven mit einem waren Wortschwall, darunter eigentlich hauptsächlich Ratschläge… Er solle doch ins Krankenhaus gehen, sagte der Professor. Shinichi schüttelte den Kopf. Nein, auf gar keinen Fall. Alles, bloß kein Krankenhaus. Er hasste Krankenhäuser. Aber er müsse sich doch ausruhen, sagte Agasa. Könne er auch daheim, hatte Shinichi gemeint. Zu seinen Eltern nach LA fliegen, schlug der alte Mann vor. Die säßen wohl schon im Flieger und kämen morgen, hatte Shinichi geantwortet. Das stimmte auch; Shinichi hatte sie noch vor dem Verhör angerufen, und sie hatten ihm versprochen, den nächsten Flug nach Tokio zu nehmen. So ging das über zwei Stunden hinweg; irgendwann hatte Shinichi, als der Professor erneut den Mund öffnete, um einen weiteren Vorschlag zu machen, ihm das Wort mit einem „Danke fürs Essen, Professor!“ abgeschnitten und sich verabschiedet. Der Grund für seinen Aufbruch war nicht nur die erdrückende Fürsorge von Hiroshi Agasa gewesen; was an und für sich allein schon gereicht hätte, dachte Shinichi, als er in den Park schlenderte. Er hatte den Professor selten so erlebt… er hatte sich wohl wirklich ernsthafte Sorgen gemacht und tat es offensichtlich noch immer. Nein… der zweite und Hauptgrund dafür war der gewesen, dass Shinichi, bevor er zum Professor gegangen war, Ran angerufen hatte, mit der Bitte, ihn um vier im Park zu treffen, an der Bank am See. Sie hatte sich etwas verwirrt angehört, als er ihr am Telefon nicht sagen wollte, warum er sie sprechen wollte, aber eingewilligt, da zu sein. Die Bank kam in Sicht und genau, wie er sich gedacht hatte, wartete sie schon. Er setzte sich wortlos neben sie und eine Weile schwiegen sie sich an. „Also bist du auch mal wieder im Lande.“ Shinichi hörte die Wut in ihrer Stimme. Und einen Hauch von Misstrauen. Er war selber Schuld. „Ja.“ Er sah nicht auf, wusste aber, dass sie ihn ansah. „Ich nehme an, du willst mir wieder nicht sagen, wo du gewesen bist? Und was ist jetzt eigentlich mit Conan? Der war auch plötzlich weg…“ Shinichi hob nun doch den Kopf und sah ihr ins Gesicht. Sie war verärgert und er konnte ihr das nicht übel nehmen. Schließlich hatte sie ja auch keine wirklich überzeugende Antwort auf ihre Frage bekommen, wohin der kleine Grundschüler vor gut einer Woche verschwunden war. Er biss sich auf die Lippen. Rans Gesichtsausdruck änderte sich etwas…wurde sanfter, milder. Sah sie ihm an, wie er mit sich rang? Wie schwer ihm das alles fiel? Welche Angst er hatte? Und die hatte er. Eine Scheißangst, sie zu verlieren, für immer. Er konnte es ihr nicht mal verübeln, wenn sie ihn für den Rest seines Lebens hasste, für das was er ihr angetan hatte. Für das, was er war. Ein Lügner. Betrüger. Mistkerl. „Was ist los mit dir?“ Sie hörte sich besorgt an und das war genau das, was er nicht wollte. Dass sie sich schon wieder Sorgen machte. „Nichts. Ich…“ Er blinzelte, dann sah er ihr in die Augen. „Bevor ich dir das sage, was ich dir sagen will, weswegen ich dich hierher bestellt habe…möchte ich, dass du mir eins versprichst.“ Sie starrte ihn an. „Was denn?“ „Bleib hier und hör mich an, bis ich fertig bin. Bitte. Mir ist wichtig, dass du die ganze Geschichte von A-Z hörst, denn nur dann kannst du vielleicht verstehen, warum ich das alles gemacht hab. Was du hinterher machst, ist deine Sache und ich habe für all deine Reaktionen, die eventuell kommen, vollstes Verständnis. Versprichst du’s mir?“ „Sicher.“ Sie setzte sich etwas seitlich hin, um ihn besser ansehen zu können. Er war sehr blass. Gut, Shinichi war nie besonders braungebrannt gewesen, aber heute… heute war er kreidebleich. „Ran, mir ist das wirklich ernst. Du hörst dir alles an?“ Sie starrte ihn an und langsam begriff sie. Es war ihm wirklich wichtig… „Ich bleibe… ich schwör’s.“ Sie hob eine Hand zum Schwur und legte die andere auf ihr Herz. Shinichi atmete tief durch und knetete nervös seine Hände. Ihr fiel das auf; und daneben noch etwas. Sie griff nach seiner Rechten und schob den Ärmel seines weißen Hemds zurück. Der Arm war bandagiert. Der andere auch. Sie starrte ihren Freund entsetzt an. „Shinichi, was ist…“ „Dazu komm ich gleich.“ Er entzog ihr seine Hand und räusperte sich. „Conan…Conan Edogawa existiert nicht mehr.“ Rans Augen weiteten sich. „Ist er… Ist er... tot?“ „Nein… nein so ist das nicht. Du hast es ohnehin schon so oft vermutet und… es stimmt. Conan Edogawa hat nie existiert. Ich bin Conan gewesen.“ Rans Magen fühlte sich an, als ob sich ein Pfund Eiswürfel darin befände. „Du…“ Er hörte die Wut in ihrer Stimme aufflackern. „Ja. Ich. Hör zu, du hast versprochen…“ „Schön.“, antwortete sie säuerlich. „Ich bin gespannt wie du das alles rechtfertigen willst.“ Shinichi zuckte zusammen. „Bevor ich mit den Rechtfertigungen anfange, sollte ich dir wohl besser erklären, wie es überhaupt zu Conan Edogawas Auftritt kam… Erinnerst du dich an unser…“, er räusperte sich, „Date im Tropical Land?“ Ran, die ein wenig rot bei dem Wort Date geworden war, nickte. „Dann weißt du sicher noch, dass damals dieser Mordfall war… dieser eklige Zwischenfall mit der Perlenkette. In unserem Zug saßen damals doch auch noch zwei merkwürdig aussehende Männer in Schwarz. Sie hatten zwar mit diesem Fall nichts zu tun, aber mir kamen sie sehr verdächtig vor.“ Er seufzte. „Als wir heimgehen wollten, sah ich einen von ihnen. Den Kürzeren. Ich beschloss, ihm zu folgen, denn er benahm sich höchst merkwürdig. Sah sich ständig um, wirkte nervös. Also rief ich dir noch zu, du solltest vorgehen, ich würde nachkommen, weißt du noch?“ Er sah von seinen Schuhen auf und in ihr angespanntes Gesicht. Sie nickte nur. „Das hätte ich nicht tun sollen. Ich habe nie wieder etwas so bitter bereut wie diese Entscheidung. Ich hätte dich heimbringen sollen, wie ich’s immer getan habe wenn wir weg waren…“ Er drehte den Kopf und schaute einem Eichhörnchen zu, das den Baum raufkletterte. Der Wind raschelte leise in den Blättern und kräuselte das Wasser des Sees. Dann fuhr er fort. „Ich schlich ihm also hinterher und ertappte ihn dabei, wie er einen Waffenhändler erpresste. Und vor lauter Fotoschießen hab ich nicht bemerkt, dass…“ „…der zweite von ihnen hinter dir stand? Der große Blonde?“, wisperte Ran. „Genau. Ich hab’s erst gespannt, als er mir von hinten eins übergebraten hat.“ Ran zuckte zusammen. Er langte sich unwillkürlich an den Hinterkopf. „Ich wurde also niedergeschlagen und durfte mir mitanhören, wie sie mit mir zu verfahren gedachten. Wodka, so war der Kodename des kleineren, wollte mich erschießen, doch der andere, Gin, hielt ihn davon ab. Es würde noch zu sehr von Polizisten wimmeln, man hätte den Schuss gehört.“ Ran war kalkweiß geworden. Gerade wurde ihr klar, dass sie um ein Haar ihren Freund verloren hätte. Erschossen. „Gin meinte, sie sollten ein Gift an mir ausprobieren, neu entwickelt und im Blut nicht nachweisbar. Sie steckten mir also die Pille in den Mund, ich konnte mich nicht wehren, ich war von dem Schlag auf den Kopf betäubt. Ich verlor das Bewusstsein und als ich wieder aufwachte…“ Er lachte bitter. „…fiel mir noch nicht einmal auf, dass etwas anders war. Erst als ich beim nach Hause laufen in ein Schaufenster gesehen hab, hab ich’s gesehen. Ein Grundschüler in viel zu großen Klamotten.“ „Hast du’s gespürt? Das…“ „Schrumpfen? Ich wusste da noch nicht, was mit mir passierte, aber ja… ich hab’s gespürt. Ich hatte eigentlich geglaubt, ich würde sterben. Es war… furchtbar. Nichts, was ich zur Nachahmung empfehlen würde.“ Er versuchte gelassen, witzig zu klingen, aber Ran wusste, das hinter diesen ironischen Anspielungen viel mehr steckte. Er wollte nur nicht, dass sie sich sorgte. Mitleidig wurde? „Warum sagst du nicht, dass du höllische Schmerzen hattest? Und streite es nicht ab, ich hab dich kurz vor und nach diesen…Verwandlungen gesehen, das weißt du…“ Shinichi fuhr hoch und starrte sie an. „Ich… ich will nicht, dass du mir vor lauter Mitgefühl vorschnell vergibst. Du weißt, was ich alles gemacht hab, all die Lügen, all diese…fadenscheinigen Ausreden, all den Kummer und die Schmerzen die ich dir bereitet habe – und nun fang du bloß nicht an, das abzustreiten, ich weiß es, ich hab dich weinen sehen, mehr als einmal und du weißt das auch… Ich will, dass du das vor lauter Mitleid nicht vergisst. Wenn du mich nach unserem Gespräch hassen willst, dann tu das. Ich will nicht, dass du den Blick für die Realität verlierst. Ich hätte verdient, wenn du mich hinterher nie wieder sehen willst. Aber ich will, dass du weißt, warum ich dass alles gemacht habe. Bestimmt nicht aus Vergnügen oder weil… weil ich nicht nachgedacht habe, oder du mir egal wärst…“ Ran schluckte. „Also, dann schieß mal los. Warum hast du mir nicht einfach gesagt, was mit dir passiert ist? Warum all die Lügen und Ausflüchte?“ Shinichi seufzte. „Weil… weil ich dich beschützen wollte…“ „Ich kann auf mich selber aufpassen!“, brauste Ran auf. „Ich streite ja auch nicht ab, dass du dich nicht verteidigen kannst. Aber sieh’s mal andersrum: ich bin auch schon oft in heiklen Situationen gewesen, aber dieser Fall -und ich geb’ das ungern zu- ist sogar mir fast über den Kopf gewachsen. Es gab Zeiten, wo ich nicht mehr wusste, wie das weitergehen oder enden soll. Ich nicht mehr wusste, was ich machen soll. Nicht einmal mehr wusste, wer ich bin.“ Ran schaute ihn bedrückt an. „Trotzdem…“ „Ran, diese Organisation besteht nicht nur aus zwei Personen, sondern aus hunderten. Sie operieren nicht nur hier sondern auch in den Staaten. Das sind keine Kleinkriminellen gewesen. Ich wollte nicht, dass dir etwas passiert, wegen mir. Wegen meiner Dummheit. Sie hielten mich für tot und so sollte es auch bleiben. Hätten die herausgefunden, dass ich noch lebe, hätten sie alles versucht, um mich noch zu kriegen, und das hätte nicht nur mich in Lebensgefahr gebracht, sondern alle, die mir nahe stehen. Meine Eltern, den Professor… dich. Ich hätte mir nie vergeben können, wenn dir wegen mir was zugestoßen wäre. Also hab ich die Klappe gehalten und die Identität von Conan Edogawa angenommen. Bin in die Grundschule gegangen…“ Er lächelte schief. „Nach drei Tagen kam die erste Schwierigkeit. Du. Du machtest dir Sorgen um mich. Also hat der Professor“, er zog eine Ran nur allzu gut bekannte rote Fliege aus seiner Jackentasche, „diesen Stimmenimitator erfunden. Und dazu gleich das hier auch noch. Das Narkosechronometer.“ Ran starrte ihn an. Sie ahnte, was jetzt kommen würde. „Mit dem Verzerrer hab ich nicht nur dich angerufen, sondern auch…“ „Paps’ Stimme nachgeahmt und seine Fälle gelöst.“ „Fast alle, ja. Mit den Narkosepfeilchen wurde er cirka zwanzig Minuten betäubt, in der Zeit löste ich den Fall, dann wachte er wieder auf und heimste den Ruhm ein.“ Er sagte das ohne eine Spur von Neid oder Vorwurf in der Stimme. „Er bringt mich um, wenn er das alles erfährt.“ „Sagst du’s ihm?“ „Ja. Aber vom Telefon aus, nur zur Sicherheit.“ Er seufzte. „Soweit, so gut. Wo waren wir? Ach ja. Das Handwerkszeug des Lügners.“ Er lächelte bitter. „Was dann kam, weißt du. Ich hab dich angelogen, dir zwei verschiedene Personen vorgegaukelt, die in Wirklichkeit nur eine waren und… hab mich gehasst. Tag und Nacht.“ Er bemerkte ihren überraschten Gesichtsausdruck. „Wirklich, das kannst du mir glauben. Wenn es eine Person auf dieser Welt gibt, der ich nicht wehtun, die ich nicht anlügen will, nie weinen sehen will, dann bist das du. Ich hab mich vor mir selbst geekelt und wusste doch nicht, was ich ändern konnte. Es gab nichts zu ändern.“ Rans Herz hatte bei seinen Worten begonnen, schneller zu schlagen. Er hingegen schaute auf den Boden. „Nun. Da dein Vater nun berühmt war, und gelegentlich der Schwarzen Organisation ins Gehege kam, gerieten er und somit auch du zunehmend ins Schussfeld. Was natürlich nicht beabsichtigt war. Irgendwann fanden sie heraus, dass es nicht dein Vater war, der die Fälle löste. Und sie entdeckten, dass das Gift nicht jeden tötete… Gleichzeitig erkannten sie die Verbindung zwischen meinem „Todestag“ und dem erstmaligen Auftauchen von Klein Conan bei den Môris. Vor eineinhalb Wochen landete dann dieser Brief bei mir.“ Er zog das mittlerweile völlig zerschlissene Blatt Papier heraus. Shinichi reichte es Ran, die es mit zitternden Händen leise las. Shinichi Kudô, wir wissen wer du bist. Solltest du dich nicht freiwillig stellen, wird deine hübsche Freundin dafür bezahlen. Wir erwarten dich Freitag um Mitternacht in der alten Lagerhalle im Hafenviertel, neben der Kneipe „Zum ertrunkenen Fisch“. Du kommst allein, ohne Freunde, Polizei oder FBI. Sei dir sicher, dass wir jeden deiner Schritte verfolgen werden und es mitbekommen, wenn du beschattet wirst oder verwanzt bist. Du weißt wer wir sind. Ran hielt den Brief so fest, dass sie ihn fast zerriss. Ihr ganzer Körper bebte und sie starrte ihn mit Tränen in den Augen an. Der Wind blies ein paar farbige Blätter vor sich her, nahm sie mit auf den See hinaus, fing sich in Rans Haaren und wehte sie ihr ins Gesicht. Er zupfte ihr die Strähnen vorsichtig aus den Augen und zog ein Taschentuch heraus, reichte es ihr, nahm ihr den Brief vorsichtig aus den Händen, faltete ihn und steckte ihn wieder in seine Jacke. Sie blies sich nicht die Nase und tupfte sich nicht die Augen. Sie krampfte ihre Hände in das Tuch und fuhr fort ihn anzustarren. „Du bist gegangen.“ Es war kaum mehr als ein Flüstern. „Ja.“ „Daher auch…“ Sie deutete auf seine Handgelenke. „Handschellen. Ja.“ „Warum?!?“ Ihre Stimme war wieder lauter geworden. War er so blöd oder tat er nur so, da allein hinzugehen, alleine?! „Weil ich mir sicher war, dass sie ihre Drohung war machen würden. Du wärst nicht die erste Leiche gewesen, die ihren Weg pflastert.“ Ran atmete heftig, Tränen rannen ihr übers Gesicht. Langsam wurde ihr klar, dass ihr Freund, Shinichi, den sie seit dem Kindergarten kannte, in den letzten drei Jahren schon mindestens zweimal wirklich nur ganz knapp dem Tod entronnen war. „Aber…WARUM? Verdammt noch mal, Shinichi! Die hätten dich töten können, du Idiot…“ „Das war mir klar.“ Sie starrte ihn verständnislos an. „Was?“ „Ich sagte, das mir das durchaus bewusst war, Ran.“ Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. Aber trotzdem war jedes seiner Worte genau zu verstehen. Ran sah ihn an. „Ist dir denn dein Leben so wenig wert?“, hauchte sie. Er blinzelte. „Ich lebe gerne, versteh mich nicht falsch. Ich stelle nur… ein anderes Leben über mein eigenes. Das ist alles.“ Ran schluckte. „Meins? Du würdest eher sterben, als mitanzusehen, dass ich…“ Er seufzte. „Ich hab dir doch vorhin schon mal erklärt, dass ich es mir nie, nie verzeihen könnte, wenn dir wegen mir was passiert. Ich könnte es nicht ertragen… Könnte nie wieder in den Spiegel sehen… Also ja…ich würde eher sterben, als mitanzusehen, dass du getötet wirst. Wenn ich das verhindern kann… dann tu ich es auch.“ Shinichi hatte sehr, sehr leise gesprochen. Die letzten Worte waren kaum mehr hörbar gewesen, seine Stimme verlor sich in der Ferne genauso wie sein Blick. Eine Weile herrschte Stille. Ran erfasste langsam die ganze Tragweite dessen, was Shinichi ihr gerade erklärt hatte. Sie wusste nicht, ob sie wollte…dass er für sie sterben würde… sie…liebte ihn doch. Sie musste es wissen. „Shinichi?“ Er drehte den Kopf und schaute sie an. „Hm?“ „Wieso würdest du für mich sterben?“ „Du willst einen Grund?“ „Ja.“ Er schaute zu Boden und Ran spürte, wie schwer es ihm fiel, die nächsten Worte auszusprechen. Wie unendlich schwer. Und sie fühlte die Angst, die er vor ihrer Reaktion hatte. „Weißt du…“, begann er. „Ich wollte es dir schon im Restaurant sagen, du weißt schon, der Tag nach dem Schulfest… aber…das Gegengift war nur temporär, und ich wusste das nicht. Hätte ich es gewusst, hätte ich den Fall sausen lassen…“ „Shinichi…“ Er sah auf. „Den Grund…bitte…“ Ihre blauen Augen schienen in ihm zu lesen wie in einem offenen Buch. Unverwandt starrte sie ihn an. Shinichi schluckte. Jetzt oder nie. „Ich liebe dich.“ Ran blinzelte. Sie glaubte einfach nicht, was sie gerade gehört hatte. Shinichi drehte sich weg. Er fühlte sich irgendwie idiotisch… da saß er nun, und offensichtlich war es ihr…peinlich? Oder vielleicht hatten sich ihre Gefühle ihm gegenüber ja geändert und nun war es ihr unangenehm… „Sag das noch mal.“ Er wandte ruckartig seinen Kopf und starrte sie an. Ein flehender Ausdruck lag in ihren Augen und er wusste nicht, warum… „Ich liebe dich. Ich könnte nicht ertragen, wenn dir etwas wegen mir zustößt weil ich dich…“ Weiter kam er nicht mehr. Ran fiel ihm in die Arme und weinte hemmungslos. „Ich liebe dich auch…“, schluchzte sie in seine Schulter. Er schlang vorsichtig seine Arme um ihren Körper, streichelte ihr über den Rücken. „Das weiß ich… du glaubst nicht wie sich das angefühlt hat.“ Ran lachte leise, ihr Gesicht tränennass, und richtete sich auf. Sie konnte sich an den Abend nur allzu gut erinnern. Dieser Tag, als sie Conan kennengelernt hatte und mit ihm nach Hause gegangen war…einen kleinen Jungen an der Hand führend, der eigentlich... „Weißt du, du bist das Mädchen weswegen ich Asami Utchida – nein, lass mich ausreden…“ Ran hatte ihren Mund erstaunt geöffnet. „…einen Korb gegeben habe. Aber ich hab mich nie getraut, dir gegenüber irgendwelche Andeutungen zu machen, weil ich unsere Freundschaft nicht komplizieren oder gefährden wollte, denn was wäre denn gewesen, wenn du nicht genauso… empfinden würdest wie ich? Also hab ich die Klappe gehalten. Und nie mitgekriegt dass du… mich liebst. Erst an diesem Abend. Ich hab dir die Frage eigentlich nur spaßeshalber gestellt, mit der Antwort hätte ich nie gerechnet…war wie ein Schlag ins Gesicht, das kann ich dir sagen. Genau das wollte ich schon lange hören, und als ich es hörte… war ich nicht in der Lage, dir…“ Ran nickte nur. Sie verstand ihn. Er wischte ihr zärtlich die Tränen von den Wangen. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht… dann schob sie ihre Hand in seinen Nacken und zog seinen Kopf zu sich, schloss die Augen… spürte seine Lippen auf ihren, ganz sanft zuerst, fühlte, wie er ihr übers Haar strich, sie dann dichter an sich zog, ihr Kuss langsam an Leidenschaft gewann… Und sie fühlte sich glücklich. Er war endlich bei ihr. Endlich... Wie lange sie noch so auf dieser Parkbank gesessen und sich geküsst hatten, sie in seinen Armen gelegen hatte und seine Nähe genossen hatte, konnte sie hinterher nicht mehr sagen. Kapitel 2: Shigeru Katsuragi ---------------------------- Mesdames, Messieurs, es geht weiter… Wo im letzten Kapitel ein noch eher bekanntes Thema behandelt wurde… beginnt mit diesem Kapitel die eigentliche Geschichte. An dieser Stelle möchte ich auch noch herzlich Shi_ran-chan und Shellingfordw willkommen heißen! Und ja, man erfährt von Shinichis Telefonat mit Kogoro, sehr bald schon; und nein, über das, was Shinichi, während er in den Fängen der Organisation war, wird nichts erzählt. Er will darüber nicht reden und ich respektiere das *g* Nun… kurzer Rede langer Sinn… ich wünsche viel Vergnügen. Ach ja. *einenHaufenTaschentücheraufdenBodenwerf* Da einige von euch wohl etwas nah am Wasser gebaut sind… könnten die eventuell von Nutzen sein. Jetzt verzieh ich mich aber. Man sieht sich in ´ner Woche ;) Mit freundlichen Grüßen, Leira :) _________________________________________________________________________________ Shinichi lag auf seinem Bett, starrte die weiße Zimmerdecke über ihm an und dachte nach. Vor anderthalb Stunden hatte er Kogorô angerufen. Er hatte diesen Anruf ohnehin schon hinausgezögert, bis es nicht mehr ging; der Nachmittag im Park war jetzt schon eine Woche her. Heute hatte er Rans vorwurfsvollen Blick schließlich nicht mehr ertragen können. Sie hatte das Thema nicht wörtlich angeschnitten, nein… aber ihr Blick sagte alles. Also hatte er sich das Telefon gegriffen, die Nummer der Detektei gewählt und gebeichtet. Er befühlte vorsichtig sich sein rechtes Ohr. Shinichi hatte knappe fünf Minuten gebraucht, um Kogorô Môris ungefesselten Zorn auf sich zu ziehen, dem dieser dann auch lautstark Luft gemacht hatte. „Du kleiner, elender, dreckiger Bastard! DU WAGST ES…!!!“ Die ersten fünf Wörter hatten Shinichi noch in voller Lautstärke erreicht- dann hatte er den Hörer endlich auf Armeslänge von seinem malträtierten rechten Ohr entfernt und ließ die nächsten zwanzig Minuten von Kogorôs wort- und stimmgewaltigen Wutausbruch, nun in etwas gedämpfterer Version, über sich schwappen. Er hatte es ja verdient. Als dann aber nach eben diesen zwanzig Minuten immer noch kein Ende zu hören war, wurde es Shinichi schließlich zu bunt. Er nahm den Hörer an den Mund (nicht ans Ohr, wohlgemerkt. Sonst würde ihm womöglich sein Trommelfell doch noch platzen) und brüllte zurück, um auch gehört zu werden: „Jetzt halt mal die Luft an!!“ Stille in der Leitung. Dann kam ein sehr genervtes „Was?!?“. „Was ich noch sagen wollte, bevor du mir mein Ohr kaputtgebrüllt hast… war… Es tut mir Leid.“ Wieder Stille. Schließlich… „Was?“ Erstaunter Tonfall, diesmal. „Ich hab gesagt, dass es mir Leid tut.“ „Warum erzählst du mir das alles eigentlich? Wär’s für dich nicht viel bequemer, einfach die Klappe zu halten und den blöden alten Kogorô ins Messer laufen zu lassen…?“ „Ich hab nie gesagt, dass du blöd und alt bist. Außerdem, auch wenn du mir das nicht glaubst, hab ich so was wie ein Gewissen. Und ich hab’s dir gesagt, weil Ran…“ Shinichi biss sich auf die Lippen. Oha. Er hörte wie am anderen Ende tief Luft geholt wurde und beeilte sich, den Hörer wegzuhalten. Er ahnte, was jetzt kam. „DU LÄSST DEINE DRECKIGEN FINGER VON MEINER TOCHTER!!!“ „Paps!“ Rans Stimme. Anscheinend war sie gerade nach Hause gekommen. Er hörte die Tür zufallen. „Schrei ihn gefälligst nicht an!“ Shinichi seufzte. Na klasse. Jetzt stritt sie wegen ihm mit ihrem Vater. „Ich schreie an, wen ich will, wie ich will, wann ich will!“ „Aber nicht Shinichi!“ Sie klang wirklich sauer. Shinichi schluckte. Er sah Kogorôs Gesicht förmlich vor sich, wie es in seinem Kopf arbeitete… wie sich sein Gesichtsausdruck langsam vor Wut verzerrte, als er die richtigen Schlüsse zog. „Mausebein, jetzt sag nicht…“ „Was soll ich nicht sagen?“ Ein herausfordernder Ton lag in ihrer Stimme. „Ihr beide seid nicht zusammen.“ Er war kaum zu verstehen. Shinichi vermutete, dass er den Hörer hatte sinken lassen, weil auch Rans Stimme im nächsten Moment sehr viel leiser klang. „Doch. Genau das sind wir. Und sehr glücklich damit.“ „Ich verbiete es dir! HÖRST DU! Das machst du nicht! Du wirst dich fernhalten von diesem Lügner, diesem dahergelaufenen…“ „Ich bin fast zwanzig Jahre alt und lass mir von dir bestimmt nicht verbieten, mit wem ich mich treffe! Ich liebe ihn nämlich, weißt du? Und er mich auch. Und außerdem versteh ich dein Problem nicht, schließlich konntest du ihn ja in den letzten drei Jahren besser kennen lernen und…“ „Nein! Ich erlaube das nicht.“ Plötzlich war Kogorôs Stimme wieder dichter an seinem Ohr. „Und wenn du weißt, was gut für dich ist, dann hältst du dich fern von meiner Tochter!“ Er hörte Ran im Hintergrund vor Wut tief Luft holen und zu einem weiteren Argument ansetzen. In der Hinsicht war sie genau wie Eri. Dann ertönte das Freizeichen. Er seufzte bei dem Gedanken daran entnervt auf. Na super. Einerseits fragte er sich, ob Kogorô wirklich dumm genug war zu glauben, er ließe sich von ihm den Umgang mit Ran verbieten, andererseits wollte er Ran, falls es dazu kam, nicht vor die Wahl stellen. Sie liebte ihren Vater nun mal auch. Er seufzte, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als es an der Haustür schellte. Seine Mutter öffnete; er erkannte es an ihrem Gang. „Guten Tag, Kommissar Meguré! Was kann ich für Sie tun?“ Ihre Stimme klang erstaunt. Shinichi war überrascht. Also stand er auf und ging zur Tür, auf den Gang und beugte sich leicht über Geländer, um besser hören zu können. Sein Verhör war, wie gesagt, eine gute Woche her; was konnte der Kommissar also jetzt noch wollen. „Hallo Yukiko. Darf ich vorstellen, das hier ist Herr Akai vom FBI. Wir müssten mit dir und Yusaku sprechen. Und mit Shinichi.“ Shinichi zog die Stirn kraus. FBI? Akai? Was zur Hölle wollte das FBI bitte jetzt noch von ihm? Das Gesicht seiner Mutter erschien unter der Treppe und blickte geradewegs in seins hoch. „Du hast den Kommissar gehört, nehm’ ich an…“ Shinichi nickte, stieß sich vom Geländer ab und ging nach unten, wo die anderen auf ihn warteten. „Yusaku ist in der Bibliothek, folgen Sie mir doch bitte.“, meinte sie höflich. Shinichi ging mit seiner Mutter voraus, allerdings nicht, ohne einen Blick in die Gesichter der beiden Männer zu werfen. Irgendetwas stimmte nicht. Sein Vater saß an seinem Schreibtisch in der großen Bibliothek und brütete über einem Manuskript. Er sah hoch, als er die Truppe hereinkommen hörte. „Jûzô, womit kann ich dir helfen?“, meinte er beim Anblick des Kommissars und stand auf, um ihm die Hand zu geben. „Oh, Yusaku, mir gar nicht, denke ich. Darf ich dich auch noch bekannt machen, Shuichi Akai vom FBI. Ihr beide kennt euch ja bereits, nehme ich an.“ Damit schaute er von Shinichi zu Shuichi und wieder zurück. Der junge Detektiv und der FBI-Beamte nickten kurz. „Schön…“, murmelte Yukiko. „Dann setzen wir uns am besten, und ich geh uns Tee kochen…“ Sie wollte sich gerade umdrehen, aber Meguré hielt sie zurück. „Das wird nicht nötig sein, Yukiko, Danke. Ich schätze, es ist besser, wir setzen uns nur kurz.“ Yusaku warf ihm einen durchdringenden Blick zu und Shinichi spürte, dass sein Vater seine Unruhe teilte. Irgendwas war faul hier. „Nun“, begann der Kommissar, als alle saßen; Shinichis Eltern hatten links und rechts von ihm Platz genommen. „Es geht um die Organisation, der euer Sohn, Shinichi, das Handwerk gelegt hat.“ „Ja, und? Weiter?“ Shinichi wurde nervös. „Es…uhm…hat Probleme gegeben.“ Yusaku kniff die Augen zusammen. „Probleme, Jûzô? Welcher Art?“ Der Kommissar seufzte bedrückt. „Ja. Es konnten nicht alle gefasst werden, einigen gelang es, sich abzusetzen.“ Yukiko schaute ihn mit geweiteten Augen an. „Das heißt…“ „Dass Shinichi in Gefahr schwebt, ja. Er ist derjenige gewesen, der sie zerschlagen hat, und an ihm werden sie sich mit Sicherheit noch rächen wollen, das ist zumindest anzunehmen…deswegen…“ Er brach ab. „Deswegen was?“, fragte Shinichi drängend. „Deswegen haben wir vor, dich ins Zeugenschutzprogramm aufzunehmen.“ Shuichis Stimme war kalt wie Eis. Shinichi brauchte ein paar Sekunden, bis er realisiert hatte, was er gehört hatte. Yukiko ergriff seine Hand. Dann- „NEIN!“ „Shinichi…“, begann Meguré, „Das ist nur zu deinem Besten, die werden dich sonst umbringen…“ „Das ist mir egal…!“, brauste der junge Detektiv auf. „Ich geh ganz bestimmt nicht…“ „Das hast du nicht zu entscheiden.“, begann Akai, wurde aber von Yusaku unterbrochen. „Warum denn gleich das Zeugenschutzprogramm? Reicht es nicht, wenn wir umziehen? Nach Europa oder in die USA?“ „Nein, tut es nicht. Und zwar, weil diese Organisation weltweit operiert; egal wo sie sich mit ihm aufhalten, sie hätten Ihren Sohn innerhalb kürzester Zeit aufgespürt. Und entschuldigen Sie bitte, aber…“ Er lächelte ein winziges, kühles Lächeln, emotionslos, kalt… „Sie sind nicht gerade das, was man unauffällig nennt, Herr Kudô.“ Yusaku holte Luft und starrte sein Gegenüber verärgert an. „Aber…“ Meguré schüttelte betrübt den Kopf. „Ich fürchte, ihr habt da keine Wahl, Yusaku. Das Risiko, dass jemand euren Sohn auf offener Straße erschießt, oder wie auch immer tötet, ist zu hoch. Glaub mir, wir haben uns das genau überlegt, in der vergangenen Woche. Der einzige Grund, warum sie’s noch nicht versucht haben, ist der, dass sie momentan damit beschäftigt sind, unterzutauchen. Hätten sie’s jetzt schon probiert, dann hätten sie sich ja in kürzester Zeit hinter Schloss und Riegel wieder gefunden. Nein. Ich… Wir denken, dass sie, sobald sich die Wogen ein wenig geglättet haben und sie sich halbwegs wieder organisiert haben, als ersten Tagesordnungspunkt die Ermordung von Shinichi auf ihrem Plan haben. Wirklich, es fällt mir auch nicht leicht… Aber ich denke, es ist die beste Lösung ihn ins Zeugenschutzprogramm zu nehmen…“ In Shinichis Kopf herrschte Chaos. Zeugenschutzprogramm hieß umziehen, einen neuen Namen, eine neue Identität annehmen, alles, jeden zurücklassen, den er bis jetzt gekannt hatte, ein neues Leben ohne Vergangenheit… Ein Leben ohne seine Eltern, ohne Professor, ohne Heiji… Ein Leben ohne Ran… Er wollte nicht gehen. Er wollte nicht von hier weg. Er wollte nicht von ihr weg… „Nein.“, wiederholte er noch einmal. Akai starrte ihn an. „Ich dachte, das wäre geklärt.“ „Dann dachten Sie falsch. Ich gehe hier nicht weg, ich will mich nicht verstecken, das alles zurücklassen, ich will…“ „Einen sehr frühen, unerwarteten Tod sterben, ja?“ Er schaute ihm in die Augen. Shinichi starrte zurück, ohne zu blinzeln. „Ich werde nicht ins Zeugenschutzprogramm gehen.“ „Shinichi…“ Yukiko schaute zuerst Yusaku, dann ihren Sohn an. „Ich lass dich ungern gehen…ich liebe dich, du bist mein einziger Sohn…“ Eine Träne rann ihr übers Gesicht. „Aber ich will nicht, dass du stirbst. Ich will nicht… ich könnte es nicht ertragen, eines Tages an deinem Grab zu stehen, Shinichi… das musst du doch verstehen…?“ Shinichi starrte sie entsetzt an. Sie wich seinem Blick aus und fing leise an zu weinen. Er wandte sich seinem Vater zu. Yusaku Kudô schwieg lange, dann… „Es tut mir Leid.“ Yusaku wandte sich ab, als er dem anklagenden Blick seines Sohns nicht mehr standhalten konnte. „Aber wie es aussieht, geht es nicht anders. Ich fürchte… Ich denke auch, es ist das Beste für dich…“ Shinichi schnappte nach Luft. Bitte, das darf nicht war sein. Das ist nur ein Alptraum… das ist nicht wahr… nicht wahr… „Aber ich will das nicht! Wisst ihr, was das heißt? Ihr seht mich wahrscheinlich nie mehr wieder!“ Er stand auf, blickte fassungslos von seinem Vater zu seiner Mutter. „Ich will hier nicht weg…“ „Shinichi… sie wird es verstehen…Ran wird…“ Yusaku war ebenfalls aufgestanden. „Wenn du es ihr erklärst, wird sie es verstehen…“ Shinichi blieb die Luft weg. „Ihr könnt mich nicht zwingen.“ „Doch, das können sie.“ Akai war ebenfalls aufgestanden. „Du bist noch nicht volljährig…“ „Ich werde nächste Woche zwanzig!“ „…und dein Flieger geht morgen um acht Uhr früh.“ Shinichi stand da, schluckte, blinzelte, fühlte sich, als wäre alles in ihm plötzlich zu Eis erstarrt. Morgen früh? „Ihre Unterschrift, bitte.“ Der Mann vom FBI war um den Tisch herum getreten und reichte Yusaku ein Formular und einen Kugelschreiber. Er starrte seinen Sohn an. „Glaub nicht, dass mir das leicht fällt…aber es ist das Beste für dich.“ Er setzte zu seiner Unterschrift an. „Nein!“ Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Shinichi wollte ihm in den Arm fallen, ihn aufhalten, aber Akai hielt ihn fest. „DAS KÖNNT IHR MIR NICHT ANTUN! Das könnt ihr nicht… ihr könnt mir das nicht antun!“ Er merkte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete und schluckte, blinzelte heftig. Er wollte hier nicht weinen… Ohnmächtig starrte er seine Mutter an. Yukiko unterschrieb ebenfalls und reichte das Blatt zurück. Dann eilte sie laut schluchzend aus dem Raum. Shuichi Akai ließ ihn los. Shinichi verlor das Gleichgewicht und wäre fast gestürzt. Er fing sich gerade noch ab, atmete heftig. Das hier gerade ist doch nicht passiert… es kann nicht passiert sein... Tatsache war allerdings, dass er genau wusste, dass das hier die Realität war, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Er wusste es. Er konnte nicht entkommen. Der Kommissar starrte Shinichi mit einem um Verzeihung heischenden Blick an, dann wandte er sich an seinen Vater. „Wir finden alleine raus, Yusaku, Danke.“ Meguré, dicht gefolgt von Shuichi Akai, ging ebenfalls. Shinichi starrte seinen Vater an. Seine Augen brannten immer mehr. „Ich hasse dich.“, sagte er tonlos. Yusaku erwiderte nichts. Er stand da, schaute ihn nur mit einem sehr seltsamen Ausdruck in den Augen an und schwieg. Shinichi eilte nach draußen, überholte den Kommissar und Akai auf dem Gang, schlüpfte aus seinen Pantoffeln in seine Turnschuhe und stürmte nach draußen. Völlig außer Atem kam er bei der Detektei an, eilte die Treppen zur Wohnung hoch und klingelte Sturm. Kogorô öffnete die Tür. „Was willst du? Hab ich mich etwa nicht klar genug ausgedrückt?!“, grollte Kogorô und packte ihn am Hemdkragen, nur um ihn gleich darauf wieder loszulassen und ein erstauntes „Wie siehst du denn aus?“ anzufügen. Ran schaute um die Ecke. „Shinichi…?“ Sie zog ihn herein, warf ihrem Vater einen warnenden Blick zu und wartete, bis er seine Schuhe ausgezogen hatte. Schließlich schleifte ihn in ihr Zimmer, wo sie ihn auf ihr Bett drückte. Dann setzte sie sich neben ihn. „Du siehst aus, als ob du ein Gespenst gesehen hast, Shinichi… was ist los?“ Er starrte sie an. In seinen Augen brannten Tränen. Er wollte nicht weinen. Nicht vor ihr. Es würde, auch ohne dass er die Nerven verlor, schlimm genug für sie werden. „Ich muss weg.“, presste er hervor. Ran wurde bleich. „Warum? Wohin?“ Er schluckte. „Zeugenschutzprogramm. Keine Ahnung wohin.“ Er krallte die Hände in ihre Bettdecke. Rans Herz machte einen Aussetzer. „Ins Zeugenschutzprogramm? Heißt das nicht…“ „Dass ich irgendwohin gebracht werde, eine neue Identität bekomme und alle Brücken hinter mir abbrechen muss? Ja.“ Seine Stimme klang bitter. „Aber…“, wisperte Ran. „Ja, genau.“, antwortete er auf ihre unausgesprochene Frage. „Kannst du nicht…?“ „Nein. Ich bin noch minderjährig…meine Eltern haben unterschrieben. Eigentlich kann ich ihnen keinen Vorwurf machen, sie haben nur Angst um…“ „Dich.“ Die ersten Tränen begannen über ihr Gesicht zu laufen. „Ran…“ Sie fing an zu schluchzen. Er starrte sie hilflos an. Sie schon wieder weinen zu sehen machte ihn fertig. „Ran, bitte… bitte hör auf…“ Er schaute sie an, sah den Schmerz, die Verzweiflung in ihren Augen. „Wann?“, wisperte Ran mit tränenerstickter Stimme. Er schluckte. „Wann musst du gehen?“ Er antwortete immer noch nicht. Ihm wurde kalt. Sie packte seinen Hemdkragen, zog ihn näher an sich, zwang ihn, ihr ins Gesicht zu blicken. „Wann, Shinichi?! Wann? Sag schon! WANN?“ Immer mehr Tränen strömten über ihre Wangen. Er schaffte es nicht, ihr noch länger in die Augen zu sehen. „Morgen früh.“, murmelte er nur. Zu mehr war er nicht imstande. „NEIN!“ Sie schrie gequält auf und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals, ihre Hände krallten sich in seine Haare und sein Hemd. Shinichi schluckte. Ihr Schmerz, ihr Kummer machten es für ihn nur noch schlimmer. Die Verzweiflung schnürte ihm die Kehle zu. Ihm ging es doch selber nicht besser… Er hätte eigentlich auch jemanden gebraucht, der ihn tröstete, ihm Mut zusprach. Stattdessen musste er jetzt für Ran da sein. Versuchen, ihren Schmerz zu lindern, es ein wenig leichter für sie zu machen. Er hasste sein Leben. „Nein…nein…nein…“ Sie wimmerte. Er schluckte, strich ihr über Haar. „Schh… Ran bitte… bitte hör auf zu weinen Ran…“ „Ich will nicht dass du gehst… ich will dich… nicht verlieren, nicht schon wieder, nicht für… immer…“ Sie starrte ihn an. Er nahm ihr nasses Gesicht in ihre Hände, fühlte, wie jeder ihrer Schluchzer ihren Körper erbeben ließen. „Ich liebe dich. Das darfst du nie vergessen. Egal wo ich bin, egal wie’s mir geht, ich werde dich immer lieben... Egal was noch kommen mag.", murmelte er leise. Sie schloss die Augen, wurde wieder ein wenig ruhiger. Genoss seine Berührung…die sie heute wohl zum letzten Mal spüren würde. Sie fühlte wie er seine Stirn an ihre lehnte, zog ihn näher an sich heran, vergrub ihre rechte Hand in seinen Haaren, zog sein Hemd aus seinem Hosenbund, knöpfte es auf und berührte mit ihrer anderen seine Haut, schlang ihren Arm um ihn. Spürte seine Wärme… Sie öffnete die Augen wieder, schaute ihn an. Ihre Augen glänzten feucht. „Ich will nicht, dass du gehst. Ich will es nicht. Ich liebe dich, ich liebe dich doch, das können sie mir doch nicht antun… uns nicht antun...“ Eine Träne rollte ihr über die Wange. Shinichi strich sie weg. Langsam, zärtlich und vorsichtig. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Dann küsste er sie. Sie erwiderte den Kuss, schmiegte sich an ihn, wollte ihm so nah wie möglich sein. Als sie sich trennten, schaute sie in seine Augen. In ihnen stand Trauer und Schmerz. Die Realität holte sie wieder ein, traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Er würde sie morgen verlassen. Sie konnte nichts tun, als neue Tränen über ihr Gesicht strömten. „Warum?“, hauchte sie, eine Ausdruck tiefer Verzweiflung auf dem Gesicht. Er seufzte auf. Er ertrug das nicht, sie so zu sehen… „Das weißt du doch.“ Seine Stimme klang rau. Als ob sie jeden Moment brechen, versagen würde… Dann schlang er seine Arme um sie, drückte sie an sich, ließ sich nach hinten aufs Bett kippen und hielt sie fest. So fest es nur ging. Er spürte, wie der Weinkrampf ihren Körper erneut zittern ließ und wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. Was er noch sagen konnte, um sie ein wenig zu beruhigen. „Nein, nein, nein…“ In diesem Moment wurde ihm erst richtig bewusst, was er verlor. Wen er verlor. Was er ihr antat… Und was man ihm antat, indem man ihn zwang, sie zu verlassen. Seine Ran, seine erste und einzige Liebe… zu verlassen. Für immer. Stumm rannen ihm die Tränen übers Gesicht. Kogorô ging von der Tür weg. Eigentlich hatte er nur lauschen wollen, um sicherzugehen, dass da drin alles… „jugendfrei“ zuging. Mit dem, was er dann zu hören bekam, hatte er nicht gerechnet. Sie taten ihm Leid. Beide. Unsagbar Leid. Erst jetzt, wo Shinichi gehen sollte, wurde ihm erst klar, wie sehr er ihn eigentlich mochte. Trotz ihrer nicht weg zu diskutierenden Differenzen. Und erst jetzt, am heutigen Tag, wurde ihm eigentlich klar, wie viel dieser Kerl seiner Tochter bedeutete. Er und Ran hatten noch lange geredet, nachdem er den Hörer auf die Gabel gelegt hatte… und er musste zugeben, dass Ran es mit ihrer Wahl wohl tatsächlich schlimmer hätte treffen können. Er hatte Conan ja schließlich wirklich gemocht. Er war fast der Sohn für ihn gewesen, den er nicht hatte. Das einzige, was ihn jetzt eigentlich hinderte, auch Shinichi zu mögen, war die Sorge jedes Vaters; nämlich sein kleines Mädchen an einen anderen Mann zu verlieren. Tatsache war allerdings auch, dass er erst jetzt, nachdem er die beiden belauscht hatte, wirklich verstand, dass Shinichi Kudô seine Tochter liebte. Er liebte Ran. Er liebte sie so, wie Ran wohl keinen Zweiten mehr finden würde. Und nun war sie im Begriff, ihn für immer zu verlieren und keiner konnte etwas dagegen tun. Nach zwei Stunden öffnete sich die Tür und ein sehr blasser Shinichi kam heraus. Er traf auf Kogorô, der in der Küche am Tisch saß, vor sich eine Tasse Kaffee, und auf ihn gewartet hatte. „Wie geht’s ihr?“ Shinichi seufzte. Ein leicht gequälter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. „Beschissen, denke ich. Sie schläft jetzt. Sei so gut und lass sie schlafen… Sie wollte zwar morgen mit zum Flughafen fahren, aber…ich wär’ ihr nicht böse, wenn sie nicht kommt. Am besten sie vergisst alles. Vergisst, wer ich war und was wir hatten.“ Er wischte sich unwillig eine Träne aus dem Augenwinkel. Kogorô starrte ihn an. „Und wie geht’s dir?“ Shinichi schaute überrascht auf. „Noch beschissener als Ran, wenn das möglich ist.“ „Du… du liebst sie wirklich, nicht war?“ Shinichi blinzelte. Was war den hier los. Dann nickte er. „Ja.“ „Willst du eine Tasse Kaffee?“ Kogorô schaute ihn fragend an. Shinichi überlegte kurz, dann schüttelte er bedauernd den Kopf. „Nein… danke. Ich… Ich würde mich gern noch mit dir unterhalten, ehrlich. Ich schätze das sehr, dass du jetzt doch versuchst, dich mit mir zu arrangieren, aber…“ „Du musst gehen.“ „Ja. Leider. Und… falls wir uns nicht mehr sehen… Leb wohl, Kogorô.“ Damit ging er. Yusaku Kudô sah von seinem Skript auf, als er die Haustür zuschlagen hörte. Er war also wieder da. Er hörte, wie sein Sohn die Treppe rauf ging, und dabei nicht im Geringsten versuchte, seine Frustration und seine Wut zu verstecken. Yusaku sah auf, als Yukiko ihm von hinten ihre Arme um den Hals schlang, ihren Kopf an den seinen lehnte. „Was tun wir ihm an, Yusaku?“ Oben wurde eine Tür lautstark zugeknallt. „Ich weiß es nicht.“ Yusaku schob seine Blätter auf einen Haufen, packte sie und ließ sie in eine Schublade gleiten. „Aber ich will nicht, dass man ihn umbringt. Das Risiko ist zu groß.“ Yukiko schniefte leise. Er stand auf, drehte sich um und nahm sie in die Arme. „Das wird schon wieder werden, Yuki. Bestimmt…“ Yukiko klammerte sich an ihren Ehemann und begann hemmungslos zu weinen. Shinichi schrie auf und schlug mit den Fäusten gegen die Wand. Den pochenden Schmerz, der sich einstellte, ignorierte er. Er war frustriert… und verzweifelt. Zeugenschutzprogramm. Himmel, wie hatte es soweit kommen können? Er wollte hier nicht weg. Er hätte alles gegeben, um die Zeit zurückdrehen zu können… Gedankenverloren streckte er sich, um den Koffer vom Schrank herunter zu ziehen. Er ließ ihn aus der Hand fallen und starrte ihn an. Voller Abscheu. Als sei dieser Koffer sein persönlicher Feind. Als wäre allein der Koffer Schuld an seiner Misere. Er stieß ihn mit dem Fuß auf, zog die Schranktüren auf, und begann wahllos, Klamotten hineinzuwerfen. Als er damit fertig war, klappte er ihn zu. Er seufzte. Hatte er noch etwas vergessen? Im Prinzip war ihm das allerdings auch egal… Er schaute sich um. Langsam, sehr langsam drehte er sich um die eigene Achse, ließ seine Augen durch den Raum wandern. Sein Zimmer. Sein Zuhause. Irgendetwas schnürte ihm die Kehle zu, legte sich auf seine Brust, machte ihm das Atmen schwer. Morgen würde er das alles wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen verlassen. Er seufzte, dann verließ er das Zimmer, schlurfte den Gang entlang und die Treppe nach unten. Er musste noch jemanden anrufen. Shinichi nahm das Telefon und ging damit in die Küche. Er setzte sich an den Tisch und wählte Hattoris Nummer. Es war jetzt kurz nach ein Uhr früh. Müde ließ Shinichi sich auf sein Bett sinken. Er hatte noch lange mit Heiji geredet; mit seinen Eltern kein Wort mehr. Er wusste, er war unfair ihnen gegenüber. Und wenn er in das verheulte Gesicht seiner Mutter blickte oder das bleiche Gesicht seines Vaters, dann sah er nur allzu deutlich, dass er sie ungerecht behandelte. Aber er konnte jetzt nicht mit ihnen reden. Er wusste, irgendwann würde er bereuen, an diesem letzten Tag den er mit ihnen verbrachte, so abweisend gewesen zu sein. Aber er konnte nicht mehr. Er wollte auch nicht. Sein Blick blieb auf dem Foto am Nachttisch hängen. Er durfte nichts mitnehmen, was Zeugnis über sein altes Leben abgeben könnte, das wusste er. Er nahm das Foto in die Hand. Es zeigte ihn und Ran. Ran hatte das gleiche Bild in ihrem Zimmer, er hatte es gesehen. Ohne es kontrollieren zu können und ohne irgendetwas dagegen machen zu können, begannen zum zweiten Mal an diesem Tag Tränen über sein Gesicht zu laufen. Er wollte nicht weg. Das Foto fiel ihm aus der Hand. Klirrend zerbarst die Glasscheibe auf dem Holzboden. Shinichi sank in sich zusammen, vergrub sein Gesicht in seinen Händen und weinte. Die Verzweiflung, Trauer, der Trennungsschmerz… sie übermannten ihn, überrannten ihn, rissen ihn mit sich. Er kippte seitlich aufs Bett, krallte seine Hände in sein Kopfkissen und starrte ins Leere. Irgendwann schlief er endlich ein. Ran, Kogorô und Eri kamen zum Flughafen. Shinichi stand da, sein Gesicht bleich wie der weiße Marmorboden der Flughafenhalle, seinen Koffer in einer Hand, einen Brief in der anderen. Seine Eltern standen neben ihm. Yukiko Kudô schaute immer noch verheult aus. Sie hatte sich zwar momentan im Griff, aber es sah nicht aus, als wäre dieser Zustand von Dauer. Ihre Augen schimmerten schon wieder verdächtig feucht, ihr Blick war seltsam glasig. Yusaku Kudô hatte einen Arm um sie gelegt, starrte seinen Sohn an. Am Gate stand Akai und wartete. Ran lief Shinichi entgegen. Ihr Gesicht war tränennass. Sie fiel ihm in die Arme und drückte sich an ihn, versuchte sich alles an ihm zu merken. Seinen Geruch, wie sich seine Haut anfühlte, den Klang seiner Stimme… dann trat sie ein wenig zurück und sah ihn an, seine Augen, seine Lippen… seine Haare. Sie wollte ihn nicht vergessen. Nie. „Die Möglichkeit besteht, dass du zurückkommst?“ Sie wisperte es, leise, flehend. Er schluckte. Er hasste diesen Hauch von Hoffnung in ihrer Stimme. „Ran, du weißt…“ „…sie ist verschwindend gering. Ja, weiß ich. Aber sie besteht, definitiv?“ „Ja. Sollten sie jemals alle von denen eingebuchtet haben, komm ich zurück.“ „Dann,“ meinte sie, und versuchte zu lächeln, „werde ich auf dich warten.“ „Ran…“ „Nein, Shinichi. Du hast dich gestern noch deutlich genug ausgedrückt bevor ich… eingeschlafen bin… ich weiß, du würdest es mir nicht übel nehmen, wenn ich „mein Leben lebe“, wie du’s gesagt hast. Aber ich will nicht. Ich werde warten. Und wenn es für immer sein soll. Ich liebe dich. Und werde dich immer lieben.“ Eine Träne rollte über ihre Wange. Shinichi strich sie weg, vorsichtig, dann nahm er ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie. Lange, sanft und innig. Als sie sich schließlich trennten hatte er Tränen in den Augen. „Hier, für dich. Und ich…“ Er schluckte, drückte ihr den Umschlag in die Hand. „Ich liebe dich auch. Werde immer nur dich lieben. Und hoffe, dass wir nicht umsonst warten.“ Ran starrte ihn an. Die letzten Worte, die er an sie gerichtet hatte. Das letzte Mal, das er sie ansprach. Nur mit ihr redete... Er strich ihr noch ein letztes Mal übers Gesicht, reichte Kogorô und Eri die Hand zum Abschied, dann wandte er sich seinen Eltern zu. „Lebt wohl.“, wisperte er. Seine Mutter drückte in laut aufschluchzend an sich und auch sein Vater nahm ihn in die Arme, eine Geste, die er von ihm nicht gewohnt war. „Ich hoffe du…“ „Ich… es tut mir Leid, was ich gesagt habe, gestern…ich…“, begann Shinichi. Yusaku schüttelte nur den Kopf. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, mein Sohn. Wirklich nicht.“ Er schluckte. „Ich und deine Mutter werden jeden Tag an dich denken.“ Shinichi nickte. „Und ich jeden Tag an euch.“ Damit ging er, ohne sich noch einmal umzublicken. „Ich liebe dich!“ Es war Ran, die geschrieen hatte. Shinichi schloss die Augen, schluckte… Ran… Vor seinem inneren Auge sah er sie, auf den Boden gesunken und weinend. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um das zu wissen. Er hörte Gemurmel und Stimmen ihm Hintergrund. Seine und ihre Eltern würden sich um sie kümmern. Bestimmt. Akai packte ihn am Arm und zog ihn weiter, als sein Schützling immer langsamer wurde. Dann waren sie außer Sicht. Shuichi Akai führte ihn im Flugzeug zu ihren Sitzen und schwieg. Shinichi vergrub seine Hände in seinen Jackentaschen, fühlte etwas Weiches, Flauschiges in seiner Rechten, umschloss es mit seiner Hand und zog es heraus. Es war der gleiche Talisman, den er Ran einmal geschenkt hatte. Nur, dass dieser hier neu war. Und ein kleiner Zettel dran hing. Für immer. Ran XXX Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Er steckte ihn zurück, damit Akai den kleinen Plüschbären nicht sah, hielt ihn aber weiterhin fest in seiner Hand. Irgendwann drückte der Mann vom FBI ihm einen Umschlag in die Hand. „Was ist das?“ „Das kannst du dir doch denken.“, antwortete er knapp. Shinichi öffnete den Umschlag mit zitternden Händen, zog einen Pass heraus und klappte ihn auf. Drin war sein Foto. Darunter stand- Shigeru Katsuragi Kapitel 3: Nachbeben -------------------- Guten Morgen, Ladies und Gentlemen, Zuerst einmal ein herzliches Willkommen an melaangel2002 und Seiji_Takashi! Freut mich, dass euch meine Geschichte bis jetzt gefällt! Viel gibt’s diesmal eigentlich sonst nicht zu sagen… Hier nun also das nächste Kapitel… lasst uns sehen, wie Ran damit zurecht kommt… *vorsorglichTemposaufdenTischlegt* Nunja… viel Vergnügen beim Lesen, MfG, eure Leira ;) _________________________________________________________________________________ Für Ran war der Tag gelaufen. Sie hatte geweint… im Flughafen, auf dem Weg vom Flughafen raus zum Wagen, im Auto auf der Rückfahrt… vom Auto raus in die Wohnung… und jetzt lag sie in ihrem Bett, wo sie gestern noch mit ihm gelegen hatte, vergrub ihre Nase in ihrem Kissen und atmete tief ein. Es roch nach ihm. Und immer noch rollten ihr die Tränen übers Gesicht. Mit der einen Hand umklammerte sie den Umschlag, den er ihr gegeben hatte, die andere hatte sie in ihre Bettdecke gekrallt, sich halb darin eingewickelt und durchlebte den Heulkrampf ihres Lebens. Gestern war es zwar auch schon schlimm gewesen, aber gestern… gestern war er noch da gewesen, um sich an ihm festzuhalten, sich von ihm trösten zu lassen… Bitte… das konnte doch nicht wahr sein. Er konnte doch nicht für immer… gegangen sein. Heute war sie allein. Sie schluchzte erneut auf. Von ihrer anfänglichen Gefasstheit, als sie ihm am Flughafen Lebewohl gesagt hatte, war nicht das Geringste mehr übrig. Sie vermisste ihn jetzt schon. Es war kaum eine Stunde her, dass er gegangen war und sie vermisste Shinichi jetzt schon mehr, als sie je etwas anderes in ihrem Leben vermisst hatte. Er hatte Japan jetzt vielleicht schon für immer verlassen, war hoch über den Wolken, flog übers Meer… Sie fragte sich, wie es ihm ging. Ob es ihm genauso beschissen ging wie ihr. Ob er genauso wie sie dachte, nie mehr glücklich sein zu können. Das alles war so… so irreal. So unwirklich. Es war doch so schön gewesen. So perfekt. Das konnte doch nicht einfach so vorbei sein. Sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass er sie nun nicht mehr zur Schule abholen kam, sie nicht mehr zum Lachen bringen würde… oder zur Weißglut trieb; und sie nie mehr auf diese Art und Weise anschauen würde, wie nur er es tat… Dass er sie nie wieder in den Arm nehmen würde, nie wieder ihre Haut streicheln, ihr Haar um seine Finger wickeln würde… und sie ihm im Gegenzug nie wieder berühren würde, sich nie mehr an ihn drücken würde, seinen Atem auf ihrem Gesicht fühlen konnte, ihre Hand in seinen Haaren… Und dass er sie nie wieder küssen würde. Sie nie wieder seine Lippen auf ihren spüren würde… Sich ihm nie wieder so unglaublich nah fühlen würde… Sich nie mehr so geliebt fühlen würde. Eine Liebe, die so anders war als die Liebe der Eltern. Eine Liebe, die ihr so gut getan hatte… Liebe… Sie schluchzte erneut. Weg, weg, alles weg. Sie merkte, wie etwas auf ihr Bett hüpfte. Sekunden später fühlte sie etwas samtig Weiches an ihrem Arm. Sie drehte den Kopf und sah in Goros grüne Augen. Die Katze miaute zart, legte sich hin und schmiegte sich an sie. Ran legte den Arm um das Tier und zog es näher an sich. Ihre Mama hatte ihn mitgenommen, aus ihrer Wohnung. Ihr Vater hatte seine Frau gestern noch angerufen und ihr mitgeteilt was los war. Eri war ohne Umschweife und lange Überlegung sofort hergefahren, mit Goro und einem Koffer, um (zumindest für die nächsten Tage) wieder hier einzuziehen. Um sich um ihre Tochter zu kümmern. Um ihr in ihrem Kummer beizustehen. Ran freute sich irgendwo, dass sie gekommen war. Dass sie wieder bei ihnen wohnte. Ihre Mutter und ihr Vater hatten noch kein einziges Mal gestritten und gestern hatte sie sie sogar Arm in Arm und sich leise unterhaltend auf dem Sofa liegen sehen. Das alles hatte sie sich so gewünscht. Allerdings hätte sie sofort darauf verzichtet, dass sich ihre Eltern wieder näher kamen, wenn Shinichi dafür hätte bleiben können. Der Gedanke erschreckte sie zwar, aber er war wahr. Der Preis dafür war viel zu hoch gewesen. Dann ging die Tür auf. Es war ihr egal, wer es war, also drehte sie sich nicht um. Sie wollte allein sein. Allein mit ihrem Kummer. Höchstens der kleine Goro konnte bleiben… das Katerchen versuchte wenigstens nicht, sie mit leeren Worten zu trösten. Worte halfen hier nichts. Er war weg. Das konnte keiner schönreden. Auf Durchhalteparolen konnte sie ebenfalls dankend verzichten. „Geh weg.“, murmelte sie also. Beim Sprechen tropfte ihr eine Träne auf die Lippen. Salzig. Sie schniefte. „Ran…“ Es war ihre Mama. „Geh. Weg.“, wiederholte Ran. „Aber Ran, Liebes…“ „Ich will jetzt allein sein, ist das so schwer zu verstehen?“ „Ran, Kleines. Shinichi hätte bestimmt nicht gewollt, dass du seinetwegen…“ Eri war näher getreten. Ran richtete sich auf. Ihre Haare waren zerzaust, ihr Gesicht kalkweiß, ihre Augen vom Weinen gerötet. Sie starrte wütend ihre Mutter an. „Was verstehst du schon?!“, fauchte sie. „Die Liebe deines Lebens musste dich ja heute Morgen nicht auf Nimmerwiedersehen verlassen! Du kannst mit Paps zusammen sein, wenn du willst, jederzeit! Aber ich… ich…Shinichi… wir…“ Ran vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, ihr ganzer Körper bebte, als sie von neuem losschluchzte. „Ran!“ Eri schaute ihre Tochter betroffen an. „Ich kann mir denken, wie du dich fühlen musst, Kleines…“ Sie streckte ihre Hand vor um Ran an der Schulter zu berühren, doch das Mädchen schlug sie unwirsch beiseite. „Ach, kannst du das?! Das glaub ich kaum. Du hast keine Ahnung, du kannst es nicht wissen, weil du noch nie in einer solchen Situation warst. Und für Paps gilt das Gleiche. Ihr habt beide… keine… Ahnung… wie ich mich fühle. Wie er sich fühlen muss. Keine Ahnung. Hörst du? Keine Ahnung!!! Und sag du mir nicht, was Shinichi gewollt hätte, das hat er schon selber getan!“ Sie lächelte bitter. Dachte an die Worte am Flughafen. Und an gestern Abend. Du solltest versuchen, es zu vergessen, Ran. Es sollte wohl nicht sein. Ich komme wahrscheinlich nie mehr zurück, wirf dein Leben nicht weg, indem du auf etwas wartest, was wahrscheinlich nie passiert… Sie hatte in seinen Armen gelegen, als er das gesagt hatte. Und obwohl seine Stimme voll Schmerz geklungen hatte, waren diese Worte wie ein Schlag ins Gesicht für sie gewesen. Sie hatte sich umgedreht ihm in die Augen gesehen und erschrocken festgestellt, dass auch er geweint hatte. Shinichi hatte geweint. Sie hatte ihn nie, noch nie, weinen sehen… Ran starrte ihn an. Was er da von ihr verlangte konnte doch unmöglich sein Ernst sein. Was redest du da? Ich… denke es ist besser für dich. Nein. Nein! Wie kannst du so was denken, wie kannst du das von mir verlangen? Shinichi? Nach allem was wir durchgemacht haben, soll ich… soll ich dich vergessen? Soll ich vergessen, was zwischen uns passiert ist? Soll ich vergessen…? Er hatte den Kopf weggedreht. Ja. Du solltest vergessen… Ran hatte sich aufgesetzt und ihn entgeistert angestarrt. Schau mich an. Er hatte sich nicht gerührt; einzig ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Kehle. Sieh mir ins Gesicht und sag mir das noch mal. Wenn du dich traust. Schau mich an, und sag mir, dass ich dich vergessen soll. Dass ich alles hinter mir lassen soll, was zwischen uns passiert ist. Sag es mir, und schau mir in die Augen dabei, denn erst dann glaube ich es dir. Hörst du? Schau mich an… und sag mir, dass du das wirklich willst, Shinichi. Schließlich hatte Shinichi sich doch aufgesetzt. Sich ihr zugewandt. Und sie hatte ihn seine blauen Augen gestarrt und gewartet. Eine ziemliche Weile lang. Mit dem, was dann kam… hätte sie nie gerechnet. Eine Träne rollte aus seinem Augenwinkel. Er hob die Hand, um sie wegzuwischen, doch sie hielt sie fest. Sah dem Tropfen zu, wie er über seine Wange rollte. Dann küsste sie ihn weg. Sag mir noch mal, dass ich dich vergessen soll, Shinichi. Sieh mir in die Augen und sag es. Er hatte ihr seine Hand entzogen. Dann hatte den Kopf weggedreht, sein Gesicht kurz in seinen Händen vergraben und tief durchgeatmet, um seine Fassung gekämpft- Dennoch hatten seine Lippen gezittert, als er dann sprach. Sag du’s mir… Sag mir was ich tun soll, Ran. Ich weiß nicht weiter. Es ist besser für dich, wenn du mich vergisst, aber eigentlich… will ich es nicht. Was soll ich machen… was…? Ran hatte geseufzt und ihn in die Arme genommen, ihn wieder in die Kissen gezogen, sich an ihn gekuschelt und seinem Atem gelauscht. Warte auf mich. So wie ich auf dich warten werde. Und wenn es für immer sein soll. Er hatte ihr über den Arm gestrichen und nichts mehr gesagt. Sie selbst war kurz danach eingeschlafen. Er wusste, dass es ihr ernst damit war. Irgendwann hatte er es eingesehen, dass er sie nicht mehr loswurde… Aber dennoch, waren seine Worte für sie schon bitter gewesen… Warum schlug er ihr vor, etwas zu tun, das ihm selbst nur wehtun würde? Liebte er sie so sehr, dass er alles ertrug, nur damit sie glücklich war? Oder zweifelte er an ihr? Wollte er gleich von vornherein aufgeben, um hinterher nicht enttäuscht zu werden? Sie seufzte. Das war eine Frage, die er ihr wohl nie mehr beantworten würde. Ran wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Eri sich aufs Bett setzte. „Ich sagte doch, du sollst verschwinden, Mama. Ich will jetzt allein sein.“ Ihre Mutter schaute sie ernst an. „Meine liebe Tochter.“ Ran blickte irritiert auf. „Ich weiß nicht, was gestern zwischen euch gelaufen ist. Aber egal was er dir gesagt hat… ich hab ihn heut am Flughafen gesehen und sein Blick sprach Bände. Er liebt dich. Das er dich zurücklassen muss, nimmt ihn unglaublich mit. Ich hab ihm sehr Unrecht getan, indem ich ihn immer mit allen Detektiven in einen Topf geworfen habe. Nun gut, diese Sache mit Conan, die er da abgezogen hat… du musst zugeben, er gab mir genügend Gründe…“ Sie grinste leicht. Ran konnte sich nicht verkneifen, auch ein wenig zu lächeln. „Nimm dich in Acht vor Sandkastenfreunden und Schülerdetektiven.“, wiederholte sie die Worte ihrer Mutter. „Ja. Vergiss, was ich sagte. Dieser Satz mag auf einige zustimmen, aber nicht auf Shinichi Kudô. Der Junge liebt dich wirklich.“ Sie seufzte. „Weißt du, was ich denke? Ich denke, er wird dir vorgeschlagen haben, ihn zu vergessen, hab ich Recht? Dir jemand anders zu suchen? Er wär der Typ für so was. So selbstlos…“ Ran nickte. „Was hast du ihm gesagt?“ „Dass er sich das getrost abschminken kann. Nun, nicht wortwörtlich, aber…“ „Ich versteh schon.“ Eri lehnte sich nach hinten und streichelte Goro, der auf ihren Schoß gehüpft war. Der kleine Kater schloss die Augen genießerisch und begann zu schnurren. „Denkst du, dass er dich vergessen wird?“ Ran schluckte und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Ich… hoffe, das er es nicht tut…“ „Ran, das ist wichtig. Denkst du, dass er dir treu bleiben wird? Egal wie lange? Für immer?“ Ran schaute aus dem Fenster. Sah sein Gesicht, so deutlich, als stünde er vor ihr. Ich liebe dich auch. Werde immer nur dich lieben. Und hoffe, dass wir nicht umsonst warten. „Ja,“ sagte sie dann bestimmt. Es musste einfach so sein. „Dann“, meinte Eri, „tu was dein Herz dir sagt und warte auf ihn. Aber…“ Sie streichelte ihrer Tochter über die Wange und legte ihr die Hand schließlich auf die Schulter, beugte sich näher zu ihr hin. „Versinke nicht in Trauer, lass dich nicht so gehen. Weine um ihn, du hast Kummer, das ist verständlich. Aber lass dich nicht von deinem Schmerz auffressen. Sperr dich nicht ein, versinke nicht in Trübsal, denn das… das hätte er nicht gewollt. Das war es, was ich dir sagen wollte.“ Damit ging Eri, den kleinen Goro auf ihrer Schulter, aus dem Zimmer. Ran seufzte und ließ ihren Blick gedankenverloren durch den Raum schweifen. Ihre Augen blieben an ihrem Zimmerbonsai hängen. Ein Baum mit panaschierten Blättern, weiß und grün. An seinen Zweigen hingen im Juni, also jetzt, unzählige weiße Blüten. Daher auch sein Name… Junischnee. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie sie Shinichi mit in ihr Zimmer genommen hatte. An jenem Abend, als sie zusammengekommen waren. Vor gerade mal einer Woche. Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Irgendwann war es im Park zu kalt geworden und Rans Vater war auf Sauftour mit seinen Kumpels gewesen. Also waren sie zu ihr gegangen. Er hatte den Bonsai betrachtet, mit einem schwer zu deutenden Ausdruck auf seinem Gesicht. „Warum bleiben sie so klein?“ „Man lässt sie nicht wachsen. Man schneidet ihre Wurzeln und Äste; das nimmt ihnen die Kraft.“ Ran stellte sich neben ihn. Er runzelte die Stirn. „Das weiß ich doch. Du bist nicht der einzige Japaner in diesem Raum. Aber sag mal… Ist das nicht irgendwie… komisch? Wer kam auf die Idee, Miniaturbäume als Zimmerpflanze zu kultivieren?“ Ran lachte, als seinen Gesichtsausdruck sah. „Keine Ahnung. Aber hör dir doch mal seinen Namen an. Er heißt Junischnee.“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Junischnee? Klingt… paradox. Im Juni schneit es doch nicht…“ Sie lächelte und zog ihn an sich. „Ja, da hast du Recht. Aber ich finde ihn doch sehr schön. So poetisch. Junischnee.“ Sie hauchte das Wort. Er lächelte ebenfalls und küsste sie zärtlich. „Warum ist das so?“ „Was?“ „Warum heißt er jetzt so? Einen Grund muss es doch geben, außer, dass es ‚poetisch’ klingt…“ „Weil er ihm Juni so bedeckt ist von vielen, kleinen, schneeweißen Blüten, dass man meinen könnte, es liegt Schnee auf seinen Ästen. Sieht man doch.“ Junischnee. Ran seufzte und ließ sich zurück aufs Bett fallen. Am späten Nachmittag kamen Kazuha und Heiji. Heiji sah fertig aus, stellte Ran erschrocken fest. Er schien seinen besten Freund auch zu vermissen; soweit sie das jetzt mitbekommen hatte, hatte Shinichi ihn noch angerufen. Gestern Abend. Aber Heiji hatte ja noch Kazuha. Er konnte sich glücklich schätzen. Sie gingen ins Wohnzimmer und nahmen Platz. Und Kazuha sich auch. Ihr Freund war noch da. Sie hatten ein wenig geplaudert, völlig belangloses Zeug. Und da… Kazuha lehnte sich an Heiji. Eine Geste, die jeden anderen kalt gelassen hätte. Aber nicht Ran… nicht unter den gegebenen Umständen. Als sie die beiden so neben einander auf der Couch sitzen sah, da… brach es wieder aus ihr heraus. Seit Mittag hatte sie sich wieder einigermaßen im Griff gehabt, nach dem Gespräch mit ihrer Mutter, aber jetzt… Sie saß da, stellte ihre Tasse Tee auf den Tisch und brach in Tränen aus. Kazuha beeilte sich, um den Tisch zu laufen und Ran tröstend in die Arme zu nehmen, als es an der Tür klingelte. Herein kamen Sonoko, der Professor und Shiho. Rans beste Freundin und die junge Forscherin peilten die Lage sofort und nahmen an der Seite ihrer weinenden Freundin Platz, wo sie ihr zusammen mit Kazuha leise gut zuredeten und sie abwechselnd in den Arm nahmen. Heiji stand auf und ging zusammen mit Professor Agasa zu Eri und Kogorô in die Küche. Er konnte hier nicht helfen, die drei Mädchen machten das viel besser als er. Eri stand wortlos auf und machte zwei weitere Tassen Kaffee. Kogorô starrte Heiji an. „Sie reagiert wohl ein wenig… seltsam… auf deine Anwesenheit.“ „Möglich.“, murmelte Heiji. „Ich meine, du bist ja schließlich auch Schülerdetektiv, warst Shinichis bester Freund…“ „Und bin mit Kazuha zusammen. Ich denke, das ist der springende Punkt. Wir sind noch zusammen und sie hat ihn verloren. Das ist ungerecht und das nimmt sie sehr mit. Zu sehen, was sie gehabt hat, und wahrscheinlich nie wieder bekommt.“ Der junge Mann aus Osaka schluckte. „Ich kann es immer noch nicht fassen. Danke.“, meinte er zu Eri und nahm den Kaffee entgegen. Er nahm einen großen Schluck, bevor er fortfuhr. „Ich meine, dass er weg ist. Ich kann es nicht fassen. Ich…“ Der Professor klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter. „Wir vermissen ihn alle.“ Eri schaute Agasa fragend an. „Wie geht’s den Kudôs?“ Hiroshi Agasa seufzte und schüttelte den Kopf. „Yukiko weint nur noch. Und Yusaku… Yusaku sagt nicht viel, aber man sieht ihm an, wie es an ihm zehrt. Er macht sich Vorwürfe. Er weiß nicht, ob das, was er getan hat, richtig war. Er wirft sich vor, Shinichis Leben kaputtgemacht zu haben.“ Eri rührte schweigend ihren kalten Kaffee um. Ihr Gatte räusperte sich. „Sie hatten doch keine Wahl… und Shinichi weiß das auch. Ich denke nicht, dass sie sich irgendwelche Vorwürfe machen müssen…“ „Nun…“, murmelte der Professor. „Yukiko hat mir so ungefähr erzählt, wie’s gestern abgelaufen ist. Es muss wohl ziemlich… emotional gewesen sein, denn er wollte nicht gehen. Shinichi hat sich geweigert. Danach hat er dann weder zu ihr noch zu Yusaku irgendwas gesagt. Sie den ganzen Abend angeschwiegen. Tatsächlich muss er seinem Vater an den Kopf geworfen haben, dass er ihn hasst, auch wenn, wie Yukiko sagt, er sich heut morgen noch dafür entschuldigt hat. Und Yusaku… ist eigentlich nicht mal wütend darüber, dass ihm sein Sohn so was an den Kopf wirft, sondern zutiefst getroffen. Noch dazu meint er, die Entschuldigung wäre nicht nötig gewesen, Shinichi hätte ja recht gehabt. Er meint, er hätte seinen eigenen Sohn verraten.“ Kogorô, Eri und Heiji atmeten hörbar ein. „Aber… Shinichi hat die Entschuldigung doch ernst gemeint? Wir waren dabei, heute früh, wir hatten zwar keine Ahnung, für was er sich entschuldigt, aber… sie klang durchaus ehrlich.“, meinte Eri. „Das streitet ja auch keiner ab. Aber Yusaku meint, Shinichi hätte Recht gehabt, ihn zu hassen. Sie hätten mit ihm drüber reden sollen, anstatt einfach so über seinen Kopf hinweg zu entscheiden.“ Heiji seufzte. „Wo er jetzt wohl ist?“ Die drei Erwachsenen wandten sich ihm zu und schwiegen. Aus dem Wohnzimmer war leises Gemurmel und Geschluchze zu hören. Kapitel 4: Gedanken ------------------- Bonjour, bonjour allerseits ;) So... vielen Dank an der Stelle gleich mal für die Kommentare zum letzten Kap! Und ein herzliches Willkommen an Choppi-chan, Rosenbluete001 und Black_Taipan :) Zu diesem Kapitel... nun, als erstes: Ja, Eri_Kisaki und ShinichiKudo_17, ihr hattet Recht mit eurem Tipp, dass Shinichi (oder Shigeru) in diesem Kapitel wieder auf den Plan tritt. Tadaaa: hier ist er. Dann an alle, die fragten, obs ein Happy End gibt... das sag ich euch nicht. Damit verderb ich euch nur die Spannung, Leute. Wartet es ab. Ansonsten... lest einfach selbst, würd ich sagen. Ich weiß nicht, ob die noch jemand braucht, aber... ich lass vorsorglich mal welche da. *eineFamilienPackungTaschentücheraufdenTischstellt* Ich persönlich fands nicht ganz so weinkrampfprovozierend wie die letzten zwei, aber ich bin in der Hinsicht als Autorin wohl kaum objektiv. Nun verschwind ich aber. Viel Spaß beim Lesen! Bis nächste Woche, MfG, Leira ;) PS: Falls es jemand auffällt: ich habe bewusst nicht Englisch geschrieben, um euch den Lesefluss nicht zu stören. Sollte die Mehrheit drauf bestehen, dass die Dialoge englisch sein sollen, sagt es, und ich mach es. Kein Problem. ________________________________________________________________________________ Eine Woche ist es jetzt her… es fühlt sich an wie eine halbe Ewigkeit… Shinichi ließ sich erschöpft auf sein Bett fallen. Er seufzte tief und starrte die weiß getünchte Decke über ihm an. Das Zimmer war eigentlich ganz schön. Es hatte sogar den Luxus eines eigenen Badezimmers und eine Küche. Sogar ein kleiner Balkon gehörte dazu. Dennoch konnte er dem Ganzen nichts Erfreuliches abgewinnen. Wen, zum Teufel, scherte schon ein eigener Balkon? Was für eine höchst überflüssige Sache so ein Balkon doch war. Es war ihm egal. Ihn interessierte es einfach nicht. Er brauchte keine Balkone... er brauchte sie. Es dämmerte bereits, aber er machte das Licht nicht an. Er sah zu, wie die Schatten wuchsen und verschwammen, alles im Zimmer langsam die Farben zu verlieren schien, immer trüber wurde… bis die Sonne endgültig untergegangen war, alles Bunte mit sich genommen hatte und lediglich graue Tristesse zurückließ. Ein Umfeld, das seinem gegenwärtigen Gemütszustand vollstens entsprach. Grau, trist… hoffnungslos. In Gedanken ließ er die letzten Tage noch einmal Revue passieren. Sie waren nach New York geflogen, hatten ihn im Einwohnermeldeamt registriert, die Staatsbürgerschaft hatte er bereits zusammen mit dem Namen und den ganzen Dokumenten erhalten… dann wurde er an einer Highschool angemeldet, in den Abschlussjahrgang, schließlich fehlte ihm der Schulabschluss noch. Theoretisch war er zwar fast schon zu alt dafür, aber man hatte ihn als spät eingeschult ausgegeben. Anschließend hatte ihm Akai eingeschärft, wie er sich zu verhalten habe und ihm erzählt, welche Geschichte zu Shigeru Katsuragi gehörte… nicht, dass er das nicht aus der Geburtsurkunde auch erfahren hätte. Shinichi lächelte säuerlich. Shigeru Katsuragi ist gebürtiger Amerikaner, Sohn japanischer Immigranten. Mutter hieß Norie Usami, Vater Takeo Katsuragi. Beide Eltern starben bei einem Verkehrsunfall vor fünf Monaten. Er selbst stellte einen Antrag auf vorzeitige Anerkennung der Volljährigkeit, der aufgrund seines Verantwortungsbewusstseins und seines erwachsenen Auftretens bewilligt wurde. Also zog Shigeru von daheim aus und in ein Wohnheim, wechselte deswegen die Schule, weil diese hier günstiger zu seinem neuen Zuhause liegt. Zuhause. Dann kamen die üblichen Hinweise. Weihe niemandem in dein Geheimnis ein. Versuche, dich nicht fotografieren zu lassen. Verhalte dich unauffällig, halte dich heraus aus allen Situationen, in denen du mit Verbrechen in Kontakt kommen könntest. Benimm dich wie ein Amerikaner, sei so natürlich wie möglich. Weihe niemandem in dein Geheimnis ein! Shinichi seufzte. Dann waren sie in ebendieses Wohnheim gefahren. Und nun saß er hier. In seinem neuen Zuhause. Vor ihm lag der aufgeklappte Koffer, weil er es noch nicht über sich gebracht hatte, ihn auszupacken, und eine Tüte mit Einkäufen. Auf dem Schreibtisch stapelten sich seine Bücher. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, es sich wohnlich einzurichten. Dafür saß der Schock noch zu tief. Dafür hasste er das hier alles viel zu sehr. Er krallte seine Hände in die Bettdecke und biss sich auf die Lippen, bis er Blut schmeckte. Guter Gott, das war ein Alptraum. Ein Alptraum. Er vermisste seine Familie, seine Freunde und ganz besonders Ran. Die Nächte hier waren besonders schlimm… ihre Gesichter, sie verfolgten ihn bis in den Schlaf… waren so nah, dass er meinte, sie berühren zu können - und doch so unerreichbar fern. Und der Gedanke, sie alle nie wieder zu sehen, machte ihn fast wahnsinnig. Diese Machtlosigkeit... und die Gewissheit, nichts an seiner Situation ändern zu können... Er fühlte sich eingesperrt, hilflos... entwurzelt und zerissen. Und nie in seinem Leben... niemals vorher hatte er sich einsamer gefühlt. Nicht einmal die Zeit als Conan war vergleichbar unerträglich gewesen. Damals war er wenigstens noch bei seinen Freunden, seiner Familie gewesen… bei Ran. Auch wenn er sie hatte anlügen müssen, sie nicht wusste, wer er war... Er war dennoch bei ihr gewesen. Und sie bei ihm. Auf irgendeine Weise immer zusammen… Jetzt war er allein. Ganz allein. Er fröstelte. Wie sollte er das durchstehen? Morgen wieder in die Schule gehen, so tun, als ob nichts gewesen wäre…? So tun, als ob er ein ganz normaler High School- Schüler wäre? Wo sich doch schon allein beim Gedanken an… Ran… seine Eltern oder Heiji, oder wen auch immer, sein Magen verkrampfte, ihm richtig gehend schlecht wurde... Was war das für ein Leben… nur Verluste. Er vermisste sie so sehr, so sehr, sie alle. Jeden Tag rief er sich ihre Gesichter, ihre Stimmen in Erinnerung, aus Angst, sie eines Tages zu vergessen. Er wollte nicht vergessen. Nichts. Nicht eine einzige, noch so unbedeutende und banale Erinnerung verlieren. Auch wenn es ihn quälte, weil er wusste, er würde sie nie wieder sehen. Wie sollte er das anstellen, ein normales Leben führen, mit all diesen Erinnerungen? Glücklich sein? Ohne… Ran? Shinichi sehnte sich nach ihr... nach ihrem Lachen, nach dem Gefühl, das er empfand, wenn sie ihre Hand in seine schob, sich festhielt… ihn festhielt. Nach ihrer Unbeschwertheit… ihrer Zuneigung. Seitdem sie getrennt waren, fühlte er sich nicht mehr… ganz. Er konnte es dieses Gefühl nur schwer in Worte fassen… es war etwas abstraktes, ein kaum greifbares Phänomen… er fühlte, als ob ein Teil von ihm verschwunden war. Das einzige, was er mit Sicherheit sagen konnte, war, dass sich dieser Teil wohl in Tokio befand. Er war bei ihr. Shinichi zog gedankenverloren den kleinen Teddy aus seiner Jacketasche. Ran… Wahrscheinlich werde ich dich nie mehr wieder sehen… Er merkte, wie sich seine Kehle bei dem Gedanken zuschnürte, ein unsichtbares Gewicht auf seinen Brustkorb drückte, ihm das Atmen schwer fiel. Dieser eine Gedanke, der nahezu Gewissheit war. Ein Gedanke nur... Er würde sie nie wieder sehen. Shinichi seufzte laut, zuckte zusammen, als irgenwo im Haus lautstark eine Tür zuknallte. Er atmete heftig aus, ballte seine Faust um den Talisman. Wie geht es dir? Was machst du? Er schluckte schwer. Wie sollte das denn weitergehen? Er wollte wieder nach Hause. Einfach nur zurück... Dann klopfte es an der Tür, riss ihn aus seinen Gedanken. Shinichi stöhnte entnervt auf. Scheiß Wohnheim. Man hatte seine Ankunft wohl letzten Endes doch mitbekommen. Es wunderte ihn schon fast, dass man ihn noch nicht früher heimgesucht hatte. Es klopfte erneut. „Hi? Jemand zuhause? Wenn ich dich störe, dann geh ich jetzt einfach und komm später wieder…“ Eine Mädchenstimme. Auch das noch. Benimm dich wie ein Amerikaner, sei so natürlich wie möglich. Er wollte keine neuen Freunde. Es stimmte, er fühlte sich einsam. Aber er wollte sein altes Leben zurück, kein Neues. Er wollte hier nur seine Ruhe haben, eigentlich. Er wollte allein sein, aber… Amerikaner waren gesellige Leute. Also machte er sich schon dadurch verdächtig, indem er jetzt nicht mal Hallo sagte. Er war in einem Wohnheim, da kannte man sich untereinander. Also musste er jetzt da wohl durch. Shinichi verstaute den Bären wieder sicher in seiner Jackentasche. Dann seufzte er, setzte sich auf, ging zur Tür und schloss auf. Draußen stand nicht nur ein Mädchen. Neben ihr stand ein ziemlich verlegen dreinblickender Junge. Beide waren wohl ungefähr in seinem Alter. Und sie kamen ihm irgendwie bekannt vor. Dann fiel ihm ein, wo er sie schon mal gesehen hatte. Sie gingen in einen seiner Kurse. Da er keine Freunde haben wollte, hatte er seinen neuen Klassenkameraden bisher keinerlei Beachtung geschenkt. „Hi! Also hast du dich doch noch dazu entschlossen, aufzumachen!“ Das Mädchen lächelte ihn freundlich an. Sie hatte lange, lockige braune Haare und Sommersprossen. Der Junge neben ihr hatte ebenfalls braune Haare und Sommersprossen. Er hatte sie noch nie genauer angesehen, aber jetzt, bei näherer Betrachtung, stellte er fest, sie sahen sich sehr ähnlich. Geschwister, vermutete Shinichi, und wie sich zeigte, hatte er Recht. „Scheint so.“, antwortete er nun schlicht, um die peinliche Pause, die entstanden war, zu überbrücken. „Das ist aber nett von dir!“, sie lachte ungerührt, ignorierte seine Unhöflichkeit und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich bin Danielle Ackerley und das ist mein Zwillingsbruder David. Vielleicht erinnerst du dich, wir gehen ins gleiche Seminar. Wir haben gesehen, dass du auch hier wohnst. Hallo.” Er schaute sie an. Dann ergriff er ihre Hand und drückte sie kurz, bevor er sich ihrem Bruder zuwandte. „Ich heiße Shi…geru. Shigeru Katsuragi. Nett, euch kennen zu lernen.” Shinichi schluckte. Beinahe hätte er sich verplappert. Das erste richtige Gespräch, und schon verriet er sich fast. Schön, dich kennen zu lernen! Du bist also Japaner?“ „Jaah… nein. Ich wurde in den USA geboren, meine Eltern waren japanische Immigranten.” „Wow.” Danielle starrte fasziniert ihn an. Ja, in der Tat beeindruckend, nicht? Wenn ihr wüsstet… Shinichi hielt an sich, um sich nicht durch einen zu ironischen Gesichtsausdruck verdächtig zu machen. „Wie alt bist du denn?“, mischte sich nun auch David ein. „Ich werde Zwanzig im August. Und ihr?“ Dann fiel es ihm erst ein. Zwanzig. Er wurde heute zwanzig. Man hatte seinen Geburtstag vom Zeugenschutz aus nach hinten verlegt, aber… eigentlich war er heute. Er schluckte. Heute. Wären sie doch heute erst gekommen… dann stünde er jetzt bestimmt nicht hier und machte Smalltalk mit amerikanischen Jugendlichen. Nein, sicher nicht. „Neunzehn im Juli.”, riss ihn David aus seinen Gedanken. „Wie kommt’s dass du erst jetzt kommst? Bist du allein hier?” Shinichi schluckte. Ja, er war allein… „Meine Eltern starben vor fünf Monaten bei einem Verkehrsunfall. Deswegen bin ich hier; ich bin aus unserem Haus ausgezogen. Also ja, ich bin allein.”, betete er brav seine Geschichte herunter und fühlte sich schrecklich dabei. „Genau wie wir, unsere Eltern sind auch tot. Obwohl wir ja immer noch uns haben…” Danielle warf ihrem Bruder einen liebevollen Blick zu. David nickte zustimmend. Ihr Glücklichen… „Kommst du mit auf eine Tasse Kaffee, Shigeru? Wir wollten gerade ein wenig in die Stadt, du hast bestimmt noch nicht viel gesehen.”, bot Danielle ihm an. „Jah, komm, Alter. Du siehst aus, als würde dir die Decke hier drin auf den Kopf fallen, wenn wir dich allein lassen.”, meinte David gutmütig. Shinichi seufzte und wandte sich um. Eigentlich wollte er allein sein. Allerdings… einsam würde er noch oft genug sein. Er fragte sich, ob er wirklich so aussah, als würde ihm die Decke auf den Kopf fallen, wenn man ihn allein ließe. Sah er wirklich so elend aus? Nun, gesetzt den Fall, sein Gemütszustand spiegelte sich in seinem Gesicht wieder, so lautete die Antwort auf diese Frage wohl ja. Er war zwar nicht ausgenommen scharf drauf, sich New York mal wieder zeigen zu lassen, aber er hatte wohl nicht wirklich eine Wahl. Shigeru Katsuragi war ein Amerikaner, allein und neu in diesem Wohnheim, in diesem Stadtteil. Also sollte er mal lieber sein Image des netten amerikanischen Staatsbürgers pflegen und sich durch die City schleifen lassen. Gegen einen Kaffee war wohl auch nichts einzuwenden. Also war es wohl ganz gut, wenn er sich ein wenig Ablenkung verschaffte. Er musste ja nicht gleich zum besten Freund der beiden werden, aber sich einen gewissen Bekanntenkreis aufzubauen, darum würde er wohl nicht herum kommen. Im Prinzip war’s wohl egal. „Also schön. Aber nicht lange, ich hab nämlich noch ne Menge zu tun, heute...“ Er holte seine Geldbörse, ging dann zu den Zwillingen auf den Gang, sperrte sein Zimmer ab und folgte ihnen hinunter und raus auf die Straße, Rans Talisman in seiner Tasche fest umklammert. Tausende Sterne funkelten am Himmel. Der Wind spielte sacht mit ihrem lockigen Haar, als Yukiko Kudô am Balkon ihrer Villa in Los Angeles stand und hinaufstarrte, nach oben in das blauschwarze Firmament, das Himmelszelt, das Universum… Unzählige strahlend helle Sterne waren zu sehen… eine absolut klare Nacht. Nicht eine einzige Wolke trübte den Himmel, und es war Neumond, ein Umstand, der sie noch brillanter glitzern ließ. Tränen rannen über ihr Gesicht. Ihre Hände krallten sich um die Brüstung. Wisst ihr, was das heißt? Ihr seht mich wahrscheinlich nie mehr wieder! Ein Schluchzer entrang sich ihrer Kehle. Fast eine Woche war es jetzt her, seit Shinichi weg war. Yusaku, der gerade an einem Manuskript arbeitete, sah auf. Sein Blick glitt suchend durchs Zimmer und fand das Balkonfenster offen. Er stand auf, ging hinaus und fand seine Frau, die leise vor sich hinschluchzte. Er hatte sich also nicht verhört. „Yukiko?“, flüsterte er, um sie nicht zu erschrecken. Sie wandte ihm ihren Kopf zu. Ihre Tränen hatten ihr Maskara gelöst und schwarze Linien auf ihr Gesicht gemalt; ihre Unterlippe bebte. „Yukiko…“, seufzte er betroffen, näherte sich ihr und drückte sie an sich. Sie hielt sich an ihm fest, bettete ihren Kopf an seine Schulter und begann hemmungslos zu weinen. Er streichelte ihr sanft über den Kopf. So standen sie eine Weile, völlig bewegungslos und still, bis auf Yukikos mehr oder weniger leise Schluchzer, während unter ihnen das Leben der Stadt pulsierte. Ein schier endloses Lichtermeer, das den Sternen am Himmel Konkurrenz machen zu wollen schien. „Heute, Yusaku… “ Yukiko strich sich die letzten Tränen aus den Augen, wobei sie ihre Wimperntusche noch ein wenig weiter verwischte. „Ich weiß.“ Er schluckte. Heute. Wären der Kommissar und der FBI-Agent heute erst gekommen, hätte Shinichi es selber in der Hand gehabt. Stattdessen kamen sie an jenen Nachmittag vor fast einer Woche, an dem er selber… sein Schicksal besiegelt hatte. Ich hasse dich. Er seufzte. Shinichi hatte sich dafür entschuldigt, bevor er gegangen war, ja, aber… im Prinzip hatte er doch recht gehabt. Er hätte jeden Grund gehabt, ihn zu hassen. Er hatte ihm sein Leben weggenommen. „Haben wir das Richtige getan, Yukiko?“ Die hübsche Frau schaute ihren Mann unsicher ins Gesicht. „Ich weiß es nicht, Yusaku. Wir werden das wohl nie erfahren… es ist noch nicht mal eine Woche her, aber… aber es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denke. An dem ich mir nicht vorwerfe, sein Leben zerstört zu haben. Und ihrs, Rans. Und es gibt keinen Tag, an dem ich ihn nicht vermisse. An dem ich mich nicht frage, wie’s ihm geht. Was er macht. Wie er lebt. Wie er sich fühlt… was die Zukunft für ihn noch bereithält…“ „Er kommt klar.“ Yusaku ließ sie los und trat ans Geländer des Balkons. Starrte nun seinerseits hinauf in den Himmel. „Meinst du?“ Sie schaute ihn an. Entschlossenheit spiegelte sich auf seinem Gesicht. „Ja. Er ist schließlich mein Sohn. Unser Sohn. Eine unglaublich starke Persönlichkeit. Der hält was aus… auch wenn ich mir für ihn ein anderes Leben gewünscht hätte. Wirklich. Ich wünschte, es wäre nie soweit gekommen.“ Yukiko trat neben ihm und ergriff seine Hand. „Also… denkst du, es geht im gut? Er wird glücklich, da wo er ist?“ „Nein. Das hab ich nicht gesagt. Ich weiß nicht, ob es ihm gut geht oder ob er glücklich wird. Erstens ist es dafür noch zu früh, als dass es ihm gut gehen könnte und… Wahrscheinlich wird er nie so glücklich, wie er sein könnte, wäre er bei…“ „Ran?“ „Hmmm. Ja… ich meine… sie kannten sich schon ewig, aber ein Paar waren sie erst seit einer Woche, als er weggehen musste. Sie hatten nur so wenig Zeit… so wenig Zeit miteinander. Er ist erst zwanzig Jahre alt, und doch musste er seine große Liebe, seine Familie, seine Freunde, seine eigene Identität, das was er all die Jahre gewesen war, zurücklassen. Das hinterlässt Spuren. Ich denke, er vermisst das alles. Jetzt und solange er lebt. Und wer so viel zu vermissen hat wie er, kann nie vollkommen glücklich sein. “ „Aber er kommt klar?“ „Er kommt klar.“ Yukiko seufzte. „Manchmal, nein oft, denke ich, wir haben uns viel zu wenig um ihn gekümmert. Wir waren richtig egoistische Eltern. Nach LA zu ziehen, der Karriere wegen, wo er doch noch so jung war. Wir haben ihn zurückgelassen, uns so selten blicken lassen. Und als er dann in diesen Fall geriet, und das alles durchmachen musste… seine unfreiwillige zweite Kindheit… waren wir nicht da. Nur ganz selten, und da haben wir uns einen Spaß draus gemacht ihn damit aufzuziehen, meistens. Wir waren fast nie da, um ihm beizustehen. Er hat so sehr gelitten, darunter, was mit ihm geschehen war, dass er Ran so hintergehen musste, so vielen Leuten jemanden vorspielen musste, der er nicht war… und als er sich stellte… sich ausgeliefert hat… Wir waren nicht für ihn da. Er hätte sterben können, verdammt, Yusaku. Wir kamen erst, als er uns angerufen hat, als es vorbei war. Er ist mit seinen Sorgen nie zu uns gekommen. Wir kannten Shinichi nicht so, wie Ran ihn kannte. Oder der Professor. Selbst dieser Heiji kannte ihn wahrscheinlich besser, als wir, seine Eltern.“ Yusaku verzog das Gesicht. „Ja, da hast du wohl Recht. Er hat es uns auch viel zu einfach gemacht. Er war so früh so selbstständig… so erwachsen. Um ehrlich zu sein, es war so bequem zu glauben, er kommt allein klar. Kam er auch meistens. Er hat auch nie viel durchblicken lassen, was ihn beschäftigte. Sollte uns das nicht zu denken geben?“ „Ich denke nur noch daran.“ Eine neue Träne rollte ihr über die Wange. Sie schwiegen eine Weile. „Heut ist sein zwanzigster Geburtstag.“, murmelte Yukiko schließlich. „Wie könnte ich das vergessen.“ Yusaku schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, atmete in tiefen Zügen die kühle Nachtluft ein und versuchte, nicht die Kontrolle zu verlieren. Er war kein Mann, der leicht in Tränen ausbrach, aber diese Sache nahm in sehr mit. „Volljährig...“, hauchte Yukiko. Dann hob sie den Kopf wieder und stupste mit ihrer Nase an das Kinn ihres Gatten, damit er sie wieder ansah. „Weißt du, was mir gestern eingefallen ist?“, fragte sie, als er ihrer unausgesprochenen Aufforderung nachgekommen war. „Nein, was?“, hakte er nach. „Ich hab so nachgedacht… und mir die alten Fotoalben angesehen. Und da fiel mir ein, das er uns, als er noch klein war, bis zu seinem zehnten Geburtstag etwa, jedes Jahr die gleiche Antwort gab, als wir ihn fragten, was er sich wünscht…“ Sie schaute ihn an. Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Einen Hund. Er wollte immer einen Hund. Wir haben ihm nie einen erlaubt.“ Yusaku lächelte traurig. „Ja. Daran kann ich mich erinnern… ein Hund. Er kam immer gut mit Tieren aus, besonders mit Hunden…“ Sie nickte. „Yukiko, wenn er je zurückkommt, bekommt er seinen verdammten Hund. Ob er nun gerade Geburtstag hat oder nicht. Und mir scheißegal, ob er überhaupt noch einen will.“, meinte er entschlossen und grinste. Sie lachte leise. Dann wurden sie wieder ernst. „Denkst du das? Das er zurückkommen wird?“ „Ich glaube fest daran.“, meinte er und drückte ihre Hand. „Und das solltest du auch.“ Yukiko nickte und legte den Kopf in den Nacken. Schaute in die Sterne, mit dem Gedanken, dass ihr Sohn irgendwo auf dieser Welt auch in den Himmel schaute… und dieselben Sterne sah wie sie. Alles Gute zum Geburtstag, Shinichi… Kapitel 5: Rückfall ------------------- Hallo allerseits! Danke für eure Kommentare zum letzten Kapitel! Na, Kilma, ich hoffe doch, du wirst deine Bratpfanne hier nicht brauchen… *lacht* Freu mich, dass du auch hier bist! Tja, dieses Kapitel… nun. Ich möchte an dieser Stelle mal nicht zuviel verraten, außer der Feststellung, dass ein paar von euch mit euren Vermutungen durchaus richtig lagen *g* Und ja, alle die sie schon vermisst haben… auch Ran ist hier mal wieder mit von der Partie. Also. Ich hoffe inständig, dass die jetzt keiner mehr braucht, aber… *TemposaufdenTischstellt* *Kopfschüttel* Na, ich geh dann wieder. Ich wünsch euch viel Spaß beim lesen! MfG, eure Leira :) PS: Ich hoffe doch, alle wissen, was ein Lockenstab ist *g* Das ist ein beheizbarer Metallstab, um den man die Haare wickeln kann und sie wie in einer Zange einklemmt … durch die Hitze werden dann Locken geformt. PPS: Jetzt ist es amtlich; nachdem ich gestern nochmal meine Kapitel überprüft habe, kann ich hiermit verkünden: Leute, es ist Halbzeit! ________________________________________________________________________________ Eine Fahrradklingel schrillte. Gleich darauf erschallte empörtes Gekreische. „Aaaah! Willst du mich umbringen, oder was? Nur weil du so ein bescheuerter Fahrradkurier bist, brauchst du nicht glauben, dass die Straße nur dir gehört!“ Shinichi stand am Balkon und betrachtete das geschäftige Treiben unter sich, ohne wirklich etwas davon wahrzunehmen. Es war halb sieben Uhr abends; der Feierabendverkehr hatte gerade eingesetzt. Gedankenverloren richtete er seine Fliege. Heute war Abschlussball. Und ob er wollte oder nicht, er musste dahin. Im Prinzip hätte er gut und gerne drauf verzichten können, aber… Er ging zusammen mit Danielle. Er seufzte müde. Unter ihm quietschten Reifen und jemand hupte laut. „Du verdammter Vollidiot, bist du farbenblind oder einfach nur lebensmüde!?“ Erneutes Gehupe und das unfreiwillige Aufheulen eines Motors waren zu hören, als der Fahrer das Gaspedal rüde bis zum Anschlag durchtrat. Shinichi ignorierte es. Szenen wie diese waren in der Rushhour nichts Ungewöhnliches. Seine Gedanken kreisten immer noch um den heutigen Abend. Er betrachtete das als reinen Freundschaftsdienst. Auch wenn er sich eigentlich vorgenommen hatte, keine Freundschaften zu knüpfen, verband ihn mit Danielle und David doch etwas mehr als eine einfache Bekanntschaft. Er war die beiden einfach nicht mehr losgeworden, seitdem er an jenem Tag mit ihnen Kaffeetrinken gegangen war. Also hatte er sich bereit erklärt, mit Danielle auf den Ball zu gehen. David ging in Begleitung seiner Freundin, Heather. Müde strich er sich übers Gesicht. Er war jetzt schon ein Vierteljahr weg von zuhause. Obwohl er unter dem laufenden Schuljahr hinzugekommen war, hatte er seine Prüfungen trotzdem mit Bravour bestanden. Da er nicht zuviel nachdenken wollte, sich beschäftigen, ablenken wollte, füllte er seine Zeit einfach mit Lernen. An und für sich eine sinnvolle Beschäftigung, die allerdings nur bedingt ihren Zweck erfüllte, denn… Immer noch verging kein Tag, an dem er nicht an sie dachte. An seine Familie, Freunde… an Ran. Ran… Wie es ihr wohl jetzt ging? Nach drei Monaten? Er drehte sich um und betrachtete den kleinen Bonsai auf seinem Schreibtisch. Nach einem Monat hatte er sich endlich dazu aufraffen können, es sich doch ein wenig einzurichten hier. Den ersten Schritt zu Verschönerung seines Zimmers war die Anschaffung des kleinen Bäumchens gewesen. Junischnee. Er hatte ihn im Supermarkt gesehen und an sie gedacht. Ohne zu zögern hatte er daraufhin den Baum gekauft. Seine gärtnerischen Talente hielten sich zwar mehr als in Grenzen, aber er wollte unbedingt diesen Baum durchbringen. Nur diese eine Pflanze. Weil er sie mit ihr verband. Seine Gedanken schweiften ab. Ironischerweise war an der Teitan Oberschule heute ebenfalls Abschlussball. Das hieß, mit ein paar Stunden Zeitverschiebung zwar, aber das gleiche Datum. Wie gern wäre er mit ihr dahin gegangen. Sie hatten schon darüber geredet, er und Ran… das Datum stand ja schon seit Schuljahresanfang fest. Er stellte sich vor, wie er sie von zuhause abholte. Wie sie wohl aussehen mochte, heute, an diesem Tag… Bestimmt trug sie ein Abendkleid. Ein richtiges Ballkleid. Und in diesem Kleid würde sie wohl atemberaubend schön aussehen. Nicht, dass sie das nicht immer tat. Sie sah immer atemberaubend schön aus. Aber am heutigen Abend… wahrscheinlich frisierte sie sich die Haare… vielleicht schminkte sie sich auch ein wenig. Legte ein Parfum auf. Gedankenverloren fragte er sich, welchen Duft sie wohl benützte. Wie gern hätte er mit ihr getanzt, gelacht und Pläne für ihre Zukunft geschmiedet, für das Leben nach der Schule… ihr gemeinsames Leben…? Sie hätten diesen Abend genossen… Er wäre mit ihr später raus gegangen, Arm in Arm, hätte sich mit ihr auf die Bank unter dem Baum auf dem Pausenhof gesetzt, über ihnen die Sterne, und dann… Shinichi spann den Gedanken nicht weiter. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Sich auszumalen, wie schön alles hätte werden können, wenn er… ja wenn… wenn er bei ihr wäre… Darüber nachzugrübeln tat ihm nicht gut. Das wusste er. Er verbrachte Nächte damit sich zu quälen, indem er davon träumte, wie es wäre, wenn… wenn das alles nie passiert wäre. Immer und immer wieder wurde ihm dadurch nur umso deutlicher klar, wie sehr er sie vermisste… Sich danach sehnte, ihre Stimme zu hören, sie sehen zu können, den Duft ihrer Haare und ihrer Haut einzuatmen und sie zu berühren, zu küssen, ihr einfach nah zu sein… Er seufzte schwer und verbannte diese Gedanken aus seinem Kopf, fürs erste. Es tat zu weh. Stattdessen drängte sich ihm andere Frage auf. Ob sie wohl auch jemanden hatte, mit dem sie hinging? So wie er mit Danielle? Bevor er sich allerdings darüber das Hirn zermartern konnte, klopfte es an der Tür und er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Shinichi schloss die Balkontür, ging mit langen Schritten durch sein Zimmer und öffnete. Wie erwartet waren es David und Danielle, hinter ihnen stand Heather. David trug wie er selber einen schwarzen Anzug. Danielle sah mit hochgesteckten Haaren in ihrem smaragdgrünen Taftabendkleid umwerfend aus. Aber nicht atemberaubend… „Können wir?“, fragte David. Shinichi nickte, trat auf den Gang und schloss ab. Ran stand vor dem Spiegel und drehte ihre Haare um einen Lockenstab. Warum zur Hölle sie sich das überhaupt antat, wusste sie nicht. Hinter ihr kam Sonoko ins Zimmer, mit zwei in Plastikfolie verpackten Ballkleidern über dem Arm. „Ran…“ „Nein. Sag nichts.“ Sie merkte, wie es in ihren Augen zu brennen anfing. Schon wieder. Das ging den ganzen Tag schon so… seit sie heute früh aufgewacht war… Und Shinichis Foto auf ihrem Nachttisch gesehen hatte. Da hatte sie dran denken müssen, wie auch schon ab und zu während den letzten Tagen und Wochen, als die Vorbereitungen für den Ball angelaufen waren, wie gern sie mit ihm dahin gegangen wäre. Als sie dann heut am Morgen sein Foto auf ihrem Nachttisch gesehen hatte, war es vorbei gewesen mit ihrer Selbstbeherrschung. Wegen jeder Kleinigkeit stiegen ihr jetzt die Tränen in die Augen. Zum Beispiel heute früh. Als ihr das verdammte Spiegelei in der Pfanne angebrannt war. Ein mittlerer Heulkrampf war die Folge gewesen; und Kogorô und Eri hatten alle Hände voll zu tun gehabt, sie zu beruhigen. Dann, als ihr die Einkaufstüte geplatzt war, im Treppenhaus zur Wohnung hoch. Als sie das Telefonat mit Kazuha beendet hatte, die gefragt hatte, ob sie mit ihr und Heiji einen Endlich-Schule-aus!-Urlaub auf Izu machen wollte. Sie hatte zugesagt, aufgelegt und war in Tränen ausgebrochen. Wie gern hätte sie mit ihm die freie Zeit zwischen Schulabschluss und Studienbeginn genossen. Seliges Nichtstun, unendlich viele Stunden, die man zusammen hätte verbringen können… Tja. Daraus wurde nichts. Also fuhr sie ohne weitere Begleitung mit Heiji und Kazuha nach Izu. Genauso, wie sie heute ohne Begleitung auf den Ball ging. Es war ihr egal, was die anderen sagten. Seit Shinichi weg war, machten ihr viele Jungs Avancen, und jeden hatte sie in die Wüste geschickt. Die wollten doch gar nicht mit ihr befreundet sein... Das einzige, auf das sie sich eingelassen hätte, wäre eine rein platonische, kumpelhafte Freundschaft gewesen. Aber die wollten alle mehr… und zu mehr war sie nicht bereit. Also ging sie allein. Man lebte ja schließlich im Zeitalter der Emanzipation. Sie wäre nur mit ihm gegangen… mit Shinichi. Ran ließ die Locke los, wickelte die Strähne um ihren Finger, dann steckte sie sie mit einer perlenverzierten Haarnadel am Hinterkopf fest. Nachdem sie befestigt war, wandte sie sich der nächsten Haarsträhne zu. Sie hörte es rascheln, als Sonoko die Kleider auf Rans Bett legte und sie auszupacken begann. „Ran, Süße… warum tust du dir das an. Bleib doch zuhause…“ Ran versuchte, Sonoko zu ignorieren und löste die Locke vom heißen Metall des Stabs. Locke eindrehen, festhalten, Haarnadel reinstecken… Nächste Strähne um den Lockenstab wickeln. „Ran, es nimmt dir keiner übel, wenn du daheim bleibst. Du bist doch mit den Gedanken gar nicht bei der Sache. Willst du den ganzen Abend über rumsitzen und dich mit Ananasbowle abfüllen, und dir ausmalen, wie schön es hätte sein können, wenn er da gewesen wäre?“ Ananasbowle? Ran starrte in den Spiegel und runzelte die Stirn. Locke lösen, Locke eindrehen, festhalten, Haarnadel reinstecken… Nächste Strähne um den Lockenstab wickeln. Nein. So tief, dass sie ihr Selbstmitleid in Ananasbowle ertränken musste, war sie noch nicht gesunken. Sie lächelte zynisch. Warum sie allerdings auf den Ball gehen wollte, ahnte sie mehr, als dass sie es wusste, denn von hingehen wollen konnte nicht die Rede sein. Sie glaubte, es ihm zu schulden. Wenn er schon nicht da sein konnte, dann eben nur sie. Alleine da sitzen, und Pläne über eine Zukunft schmieden, die nicht nur in den Sternen stand, sondern wohl in den Sternen einer anderen Galaxie… Locke lösen, Locke eindrehen, festhalten, Haarnadel reinstecken… Nächste Strähne um den Lockenstab wickeln. Was für ein schöner, monotoner Arbeitsablauf. „Ran! Du willst doch gar nicht dahin. Du hast heut schon mindestens drei Mal geheult, das sieht man dir an. Shinichi hätte nicht gewollt, dass du dich zum hingehen zwingst…“ Ran schaute in den Spiegel. Für einen Moment dachte sie, sein Gesicht sehen zu können. Shinichi. Als sie dann ihre Haare vom Lockenstab lösen wollte, passierte es. Sie verbrannte sich die Finger, ließ den Lockenstab los und - fing zu weinen an. „Ran… hast du dir weh getan?“ Sonoko eilte heran und zog Rans Hand zu sich. „Ach… lass doch… die Hand…!“ Ran sank zu Boden und schluchzte. Sonoko seufzte, setzte sich neben Ran und zog sie in die Arme. „Dacht ich’s mir doch…“, flüsterte sie leise und streichelte ihrer Freundin beruhigend über den Rücken, als Ran sich ausweinte. Eine Weile sagte keine der beiden jungen Frauen etwas. Dann war es Ran, die das Schweigen brach. „Es hätte so schön sein können... wir wollten heut miteinander hingehen, weißt du?“, schniefte sie und wischte sich über die Augen, erfolglos. „Wir wollten hingehen, und tanzen, und unseren Schulabschluss feiern. Pläne für unsere Zukunft machen. Ich wollte umwerfend aussehen für ihn… so umwerfend, dass er sprachlos gewesen wäre. Ich wollte, dass es wunderschön wird. Ich wollte, dass es wie im Märchen wird. Und jetzt… muss das Märchen ohne Prinz auskommen…“ Sie lächelte hilflos. „Du hältst mich für verrückt, nicht wahr?“ Sonoko schüttelte den Kopf. „Nein, Ran. Ganz und gar nicht. Ich bin doch genauso… mit dem Unterschied, dass mein Prinz hier ist…“ Sie seufzte. „Es wäre bestimmt ein wundervoller Abend geworden. Voll Zauber und Romantik...“ Sonoko grinste und fischte sich das Foto vom Nachttisch. „Er hätte im Anzug bestimmt todschick ausgesehen. Ein Prinz wie er im Buche steht.“ Ran versuchte zu lächeln. „Mit Sicherheit hätte er das, Sonoko. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, eine graue Fliege aus Satin. Hätte ihm bestimmt super gestanden.“ „Na, du hast dir das ja schon ganz genau ausgemalt. Jetzt musst du dir das für euere Hochzeit aufheben…“, murmelte Sonoko grinsend. Und damit hatte sie es geschafft. Ran lachte. „Hochzeit?!“ Dann wurde sie wieder ernst. „Dafür muss er erstmal wiederkommen…“ „Du vermisst ihn sehr, nicht wahr?“ Sonoko zupfte ihrer Freundin eine Locke aus den Augen. Ran nickte. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht wünsche, er wäre wieder hier. Ich kann an seinem Haus nie vorbeigehen, und nicht schauen, ob in seinem Zimmer Licht brennt. Ich kann nicht vergessen, wie es sich angefühlt hat… mit ihm zusammen zu sein…“ Sie angelte sich ein Taschentuch, wischte sich zuerst über die Augen damit und blies sich dann die Nase. „Und ich will auch gar nicht…vergessen…“ Sonoko drückte sie noch einmal an sich. „Ich bin mir sicher, ihm geht es genauso. Gib die Hoffnung nicht auf…“ Sie stand auf und zog dann Ran auf die Füße. „So, meine Liebe, wenn du immer noch wild entschlossen bist, da hin zu gehen, dann machen wir es folgendermaßen. Wir beide machen uns jetzt ganz unglaublich schick. Und ich mach Fotos, damit du Shinichi eines Tages zeigen kannst, was er verpasst hat. Später werden ich, du, meine Eltern, deine Eltern und Makoto einen Tisch miteinander nehmen und dann sehen wir zu, dass wir für diesen Abend das unter diesen Umständen beste Ergebnis erzielen!“ Sie stemmte ihre Hände in die Hüften schaute Ran herausfordernd an. „Also schön…“, murmelte Ran. „Versuchen wir’s.“ Sie wandte sich wieder ihren Haaren zu. Bevor sie jedoch wieder mit dem Eindrehen begann, wandte sie sich noch einmal Sonoko zu. „Danke…“ Sonoko schüttelte nur lächelnd den Kopf und begann Schminksachen zu sortieren. Er wusste, sie starrte ihn an. Und es war ihm verdammt unangenehm. Vor ihnen gingen Heather und David, eng umschlungen, und er ging mit Danielle hinterher. Shinichi seufzte leise. Er versuchte unbemerkt auf die Seite zu spähen, um seinen Verdacht zu bestätigen- und tatsächlich, sie schaute ihn an. Shinichi drehte den Kopf wieder weg, als er merkte, wie sie nach seiner Hand griff. Er war so perplex, dass er sie ihr erst nach ein paar Sekunden wieder entzog, woraufhin sie ihm einen – ja, was? Erstaunten, verwirrten, enttäuschten, verletzten? – Blick zuwarf. Shinichi rückte unwillkürlich ein paar Schritte zur Seite. Hatte er ihr in den vergangenen Monaten etwa irgendwelche Hoffnungen gemacht? Oder hätte er doch lieber „nein“ sagen sollen, als sie ihn gefragt hätte, ob er sie auf den Ball begleitete? Wahrscheinlich… Diese ewige Höflichkeit. In Gedanken verfluchte er seine Eltern für seine Erziehung. „Shigeru?“ Gott, wollte sie jetzt darüber reden? Doch nicht, oder? „Shigeru?“ Sie stellte sich vor ihn, als er ihr offensichtlich zu lange mit einer Antwort gebraucht hatte. Er blieb stehen und sah auf. Sie blickte ihn an. Fragend, verwirrt. Ran… „Shigeru, was ist los mit dir? Du bist doch sonst nicht so… abweisend? Wenn dir das unangenehm ist, dann brauchst du es doch nur zu sagen, ich meine, wenn dir das mit uns deiner Ansicht nach zu schnell geht…“ UNS??? Welches „uns“, verdammt?! Wie kam sie denn darauf? Wie… Dachte sie etwa, sie wären ein Paar? Er hatte doch in den letzten drei Monaten bestimmt nicht mehr Zeit mit ihr als mit ihrem Bruder verbracht, noch dazu waren sie ohnehin meistens zu dritt gewesen. Wie kam sie darauf… Zu seiner anfänglichen Überraschung gesellten sich jetzt Schuldgefühle. Er schaute sie an. Sie blickte zurück, ohne zu blinzeln. Rückte wieder etwas näher… Offensichtlich hatte sich Danielle in ihn verliebt und er merkte es, wie immer, viel zu spät. Jetzt lag es an ihm, ihr einen Korb zu geben, und das so sanft wie möglich. Er wollte ihr ja nicht wehtun. Nichts weniger als das. Danielle war ein nettes Mädchen. Aber er liebte Ran. Nur Ran. „Danielle…“, begann er, in der Absicht, ihr zu erklären, dass sie darüber nach dem Ball reden würden. Er wollte ihr den Abend nicht verderben. Und währenddessen würde er sich ein wenig weniger nett verhalten. Einfach ein wenig… abweisender. Nicht verletzend, nein. Nur ein wenig abweisender, nur so, dass sie merkte, dass er nicht wollte. Nicht das wollte, was sie wollte. Gerade, als er weiterreden wollte, hörten sie ihn. Den Schrei. Shinichis Kopf fuhr herum, dann blickte er nach oben. Er sah sie fallen. Die Frau fiel vom Hochhaus neben ihnen. Er packte Danielle, die den Sturz der Frau mit schreckensgeweiteten Augen verfolgte und zog sie beiseite. Ein Schauer jagte ihm über den Rücken, als er den dumpfen Aufprall und das Brechen von Knochen hörte, als der Körper hinter ihnen auf dem Boden aufschlug. Innerhalb von Sekunden füllte sich die Straße mit Schaulustigen. Shinichi und die anderen standen da und starrten auf die Frau, die mit zerschmetterten Gliedern auf dem Gehsteig lag. „Noch so eine Selbstmörderin. Und so jung noch dazu. Passiert so häufig in diesen Tagen. Tragisch ist das.“, hörte er jemanden neben sich murmeln. Shinichi schluckte, ließ seinen geübten Blick über den Körper der Toten gleiten. Begann, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, ohne es überhaupt zu registrieren… Sie war wohl nur ein paar Jahre älter als er. Dreiundzwanzig, schätzte Shinichi. Sie hatte blonde, sorgfältig gestylte und hochtoupierte Haare, die jetzt etwas ungeordnet in der Gegend rumhingen… Sie trug ein lindgrünes Kostüm samt Blazer, darunter eine seines Erachtens nach für diese Tageszeit etwas zu offenherzige, verspielte, mit Volants und Rüschchen besetzte Bluse, getönte Seidenstrümpfe, die einige Laufmaschen aufwiesen und ebenfalls lindgrüne Lackpumps mit Riemchen. Dazu Ohrringe aus grüner Jade sowie eine dazu passende feingliedrige, silberne Halskette mit einem gleichfarbigen Jadeanhänger. Auf dem Revers steckte ein Schildchen. Nathalia McEvans Personal Management Assistant Eine nur allzu bekannte Anspannung nahm von ihm Besitz. Er war nervös und aufgeregt, merkte, wie seine Hände kalt zu werden begannen… Shinichi trat einen Schritt näher und fing an, Schlüsse zu ziehen. Sie blutete viel zu wenig. Ihr Schädel war eindeutig gebrochen und sie hatte eine große Platzwunde am Hinterkopf, aber sie blutete kaum. Die Frau war außerdem grell geschminkt; knallrote Lippen, viel Rouge, violetter Lidschatten. Auch die Fingernägel waren feuerrot lackiert. Auffällig. Eine Frau, die ihr Outfit so umsichtig abstimmte, ruinierte es doch nicht mit völlig übertriebenem Make-up… Er beugte sich nach vorn. Der Nagellack war an ein paar Stellen verschmiert. Welche Selbstmörderin lackierte sich die Nägel und sprang dann aus dem Fenster, bevor der Lack getrocknet war? Noch dazu, wenn man so auf sein äußeres Erscheinungsbild bedacht war? Das war doch hirnrissig. Er ging noch ein wenig näher ran. Und dann sah er es. Unter den Nägeln schimmerte es blau, an den Stellen, wo der Lack verschmiert war. Ein Verdacht keimte in ihm auf. Er zog ein sauberes Taschentuch aus seiner Sakkotasche und tupfte den Lippenstift am Mundwinkel ein wenig weg. Blau. Gift. Das deutete auf einen als Selbstmord getarnten Giftmord hin. Kein normaler Mensch nahm Gift und sprang dann noch aus dem Fenster. Die Frau war zuerst ermordet, dann grell geschminkt worden, um die Vergiftungszeichen zu überdecken und anschließend aus dem Fenster geworfen worden, um den Selbstmord vorzutäuschen. Das würde auch das wenige Blut erklären. Und bis die Polizei herausgefunden hätte, dass es sich um ein Täuschungsmanöver handelte, wäre der Täter unter Umständen schon längst über alle Berge. „Was zur Hölle machst du da?“ Shinichi erschrak und drehte sich um. Hinter ihm stand ein Streifepolizist. „Das war kein Selbstmord.“, murmelte er. „Ach ja? Und woher kam der Schrei?“ „Selbstmörder schreien normalerweise nicht. Ihr Mörder muss geschrieen haben, als er sie aus dem Fenster warf. Die Frau war tot, bevor sie auf der Erde aufschlug.“ „Woher willst du das wissen, Grünschnabel? Dass sie schon tot war, meine ich?“ „Ihre Lippen und Finger… sie sind blau. Das deutet auf eine Vergiftung hin. Sie wurde vergiftet, und ihre Leiche anschließend aus dem Fenster geworfen, um es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen…“ Der Polizeibeamte nahm ihm das Taschentuch ab und wischte nun seinerseits mehr Lippenstift weg. Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen. „Nicht zu fassen. Du hast Recht! Sie sieht wirklich aus, als wäre sie vergiftet worden…“ Shinichi zog die Augenbrauen ungeduldig zusammen. „Natürlich habe ich Recht. Sehen sie in ihrem Büro nach, da finden sie sicher irgendwo Spuren von…“ Dann erst merkte er, was er hier eigentlich tat. Er spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Shinichi schaute dem Polizisten erschrocken ins Gesicht, mit dem er gerade geredet hatte. „Entschuldigen Sie bitte! Ich… ich weiß nicht…was in mich gefahren ist…“ Das war eine glatte Lüge. Er wusste sehr wohl, was in ihn gefahren war. Sein altes Leben nämlich. Er ging rückwärts, starrte den Mann weiterhin an, als wäre er ein Gespenst. „Hey…! Wo willst du denn hin? Dir passiert doch nichts! Ich hätte nur gern deine Aussage, du scheinst ein schlaues Bürschchen zu sein…“ Doch Shinichi antwortete nicht mehr. Er drehte sich auf dem Absatz um, erhaschte einen Blick in die schockierten Gesichter seiner Freunde um und eilte davon. Rannte durch die Menschenmenge ohne Rücksicht auf Verluste. Weg hier. Weg, weg, weg… Und dann sah er sie. Sie winkte einem Taxi und der Fahrer öffnete ihr die Tür. Er sah sie nur schräg von hinten, sie drehte sich nicht um, aber er hegte keinen Zweifel, dass sie es war. Er blieb so abrupt stehen, als hätte er auf der Stelle Wurzeln geschlagen. Er musste ihr Gesicht nicht sehen, um zu wissen, dass sie es war, allein ihre pure Anwesenheit brachte sein Blut dazu, in den Adern zu gefrieren. Vermouth. Er war vielleicht fünf Meter von ihr entfernt. „Zum Kennedy-Airport, bitte.“, hörte er sie sagen. Shinichi ging rückwärts, sein Herz raste. Sie durfte ihn hier nicht sehen. Dreh dich nicht um. Dreh dich nicht um. Dreh dich bitte, bitte nicht um. Der Fahrer nickte, packte ihre kleine Reisetasche in den Kofferraum und setzte sich ans Steuer. Hinter ihr fiel die Taxitür zu und der gelbe Wagen jagte in die entgegengesetzte Richtung davon. Shinichi merkte, wie seine Knie langsam nachgaben. In ihm tobte es. Einerseits wollte er sofort das nächste Taxi anhalten und den Wagen verfolgen. Andererseits… riskierte er damit sein Leben. Und er hatte ihr doch versprochen zu versuchen, zurückzukommen… keine Dummheiten zu machen. Und nicht zu vergessen… Verhalte dich unauffällig, halte dich heraus aus allen Situationen, in denen du mit Verbrechen in Kontakt kommen könntest. Sein Blut rauschte überlaut in seinen Ohren, sein Mund war trocken und seine Hände zitterten vor Anspannung. Er wollte ihr nach. Sein Gefühl sagte es ihm, drängte ihn förmlich die Verfolgung aufzunehmen, ihr nach zu fahren… den Kampf gegen die Organisation wieder aufzunehmen. Sein Verstand sagte ganz klar Nein. Wenn er sich jetzt hinreißen ließ, machte er das alles vielleicht nur noch schlimmer. Wenn er jetzt diesem Drang nachgab, riskierte er damit sein Leben. Er wäre wahrscheinlich tot, bevor er auch nur widersprechen konnte… geschweige denn sich wehren, oder sie überwältigen. Sie hatte mit Sicherheit einen Revolver dabei. Ihre Treffsicherheit war legendär, ebenso wie ihre Skrupellosigkeit. Sie hätte ihn erschossen, ohne mit der Wimper zu zucken, in Sekundenbruchteilen, wenn es darauf ankam. Ihm war es ja fast schon egal, allerdings nur fast… solange er nicht tot war, solange er noch lebte, konnte er noch hoffen. Konnte Ran noch hoffen… Und… Wenn er sich zeigte, dann setzte er nicht nur sein Leben aufs Spiel, sondern auch das seiner Eltern, Rans Leben… denn wenn die Organisation wusste, wo er war, wer er war, dann würde sie nicht zögern, ihnen etwas anzutun, um an ihn heranzukommen. Solange niemand wusste, wo er war, konnte man ihn nicht erpressen… Wenn die Organisation seinen Lieben etwas antat, ohne ihn damit in der Hand zu haben, würden sie sich unter Umständen nur ins eigene Fleisch schneiden, weil sie das Risiko für ihre Festnahme drastisch erhöhten, ohne ihren eigentlichen Zielen näher zu kommen. So dumm war sie nicht. Wenn er jetzt nichts unternahm, blieb er vielleicht auf ewig hier, weil Vermouth, wenn das Schicksal es wollte, unter Umständen als einzige nie gefasst werden würde. Wenn er nichts tat, war er ein Feigling, der lebte. Wenn er etwas tat und dabei draufging, was ziemlich wahrscheinlich war, war er ein Idiot, der tot war, weil er damit nichts erreicht hätte. Genauso gut könnte er sich jetzt gleich vor den nächsten Lastwagen werfen. Aber hier sitzen und nichts tun… nichts tun, wo er doch eine Spur hatte…! Das ging gegen seine Natur. Er wischte sich fahrig mit den Händen übers Gesicht. Wie er es auch drehte und wendete, er wusste nicht, was er tun sollte. Diese Entscheidung wurde ihm allerdings jetzt abgenommen. Danielle, David und Heather waren hinter ihm her gerannt und hatten ihn jetzt endlich eingeholt. „Hey! Shigeru!“ David packte ihn am Arm und drehte ihn herum. „Was zur Hölle war das gerade?!“ „Nichts... lass mich los, bitte.“ Er versuchte, überzeugend zu klingen. Es gelang ihm nicht einmal ansatzweise. In Shinichis Kopf herrschte immer noch Chaos. Er wich Davids Blick aus und versuchte, seinen Arm zu befreien, aber David ließ nicht locker. „Nach nichts sah das aber nicht aus! Weißt du, wie viele Leute sich weggedreht haben, weil ihnen schlecht wurde? Und was machst du? Du gehst noch näher ran! Und dann deinen Schlussfolgerungen über die Todesursache, die auch noch richtig zu sein scheinen, das ist…“ „Nichts weiter als ein verrücktes Hobby. Ich liebe Krimis. Ich lese zu viel. Und jetzt lass mich los. “ Ein leicht drohender Unterton schwang in seiner Stimme mit. Langsam wurde er ungeduldig… und nervös. „Ja, sicher!“ David drückte ihn gegen die Hausmauer. „Das kannst du jemand anderem erzählen, aber nicht mir, das da eben sah nicht so aus, als ob du das nur rein hobbymäßig machst! Und außerdem fassen selbst ganz harte Krimifans noch lange keine Leichen an, Shigeru!“ Shinichi holte tief Luft. „Und was bin ich dann deiner Meinung nach, Holmes?! Und du sollst mich loslassen, vedammt!“, zischte er erbost und schaffte es endlich, seinen Arm los zu bekommen und stieß David von sich weg. Er starrte ihn wütend an. David schluckte und sagte nichts mehr. Shinichi klopfte sich den Staub aus der Anzugjacke. „Im Übrigen sollten wir gehen, wir kommen sonst noch zu spät.“ Damit drehte er sich um und ging voran, mit versteinerter Miene, ohne noch mal in die fragenden Gesichter der drei anderen zu blicken. Nach außen hin sah er ruhig und abgeklärt aus, in ihm jedoch herrschte Aufruhr. Über ein Vierteljahr war sein letzter Fall jetzt her und er hatte wirklich geglaubt, das alles läge hinter ihm. Er wollte doch nichts mehr damit zu tun haben. Wirklich. Er wollte nicht… Warum konnte das nicht endlich ein Ende haben… seine blöde Angewohnheit, seine Nase in Sachen zu stecken, die ihn nichts angingen, brachte ihn nur in Schwierigkeiten. Immer und immer wieder fing es von vorne an. Immer und immer wieder schaltete sich irgendwas in seinem Gehirn ab, wenn er irgendwo das Wort Verbrechen auch nur hörte… Immer musste er damit anfangen, nachzuforschen… nach der Wahrheit zu suchen. Dabei… dabei hatte er doch die Nase voll davon. Oder nicht? Das alles war der Grund, warum er hier war. Warum er nicht bei Ran war. Seinen detektivischen Ambitionen hatte er sein Elend zu verdanken. Dieses Detektivsein machte ihn kaputt. Dieser eine Tag im Tropical Land hatte sein Leben zerstört, er sollte doch eigentlich seine Lektion daraus gelernt haben, aber nein, anstatt einmal brav die Hände in den Taschen zu lassen und sich umzudrehen, einfach wegzugehen, hatte er mal wieder den großen Meisterdetektiven raushängen lassen müssen. Es schien wie eine Droge zu sein. Er hatte keine Ahnung, wie lange es wohl noch dauern würde, bis er endlich los davon kam. Aber er musste doch. Egal ob er es nun wollte oder nicht. Um seinetwillen, um Rans Willen und… Er musste seine neue Identität aufrechterhalten, und Shigeru Katsuragi war kein Detektiv. Sollte herauskommen, wer er wirklich war, war er tot. Und mit ihm wohl auch alle, die ihm etwas bedeuteten. Dieses Mal war es wirklich knapp gewesen. Er hatte mehr von sich blicken lassen, als gut für ihn war. Viel mehr. David verdächtigte ihn eindeutig. Für wen er ihn jetzt hielt, konnte Shinichi nicht sagen, aber David sah in ihm nicht mehr den Shigeru, als den er ihn kennen gelernt hatte, das konnte er in seinen Augen lesen. Danielle war momentan einfach nur geschockt gewesen. Man würde sehen, was sie darüber dachte. Und natürlich konnte das nicht einfach nur ein Mordfall gewesen sein, nein… noch dazu kam jetzt die Sache mit Vermouth… wahrscheinlich war es sogar sie gewesen, die die junge Angestellte umgebracht hatte. Ein etwas plumpes Vorgehen zwar, aber sie war ja letzten Endes damit durchgekommen. Sie jetzt noch zu verfolgen machte keinen Sinn. Er würde sie am Flughafen nie im Leben finden, er war viel zu groß und sie eine viel zu gute Verwandlungskünstlerin. Er schluckte. Außerdem würden ihn David und Danielle mit Sicherheit nicht abhauen lassen, so wie er sich eben benommen hatte. Das FBI zu informieren, selbst wenn er Akais Nummer hätte, brachte ebenfalls nichts mehr. Die würden sie am Flughafen auch nicht mehr finden. In der Reisetasche waren zweifellos alle Utensilien, die man für ein neues Aussehen und eine neue Identität brauchte, vorhanden gewesen. Sie würden sie nicht finden. Sie würde in einen Flieger steigen und sonst wohin reisen. Verschwinden. Eher noch würden sie ihn wieder umsiedeln, wenn er ihnen von ihr erzählte, und dazu hatte er keine Lust. Wirklich nicht. Shinichi stöhnte frustriert auf. Er war zu langsam gewesen. Die Chance seines Lebens vielleicht auf immer vertan. Der Rest des Abends schien normal zu verlaufen. Weder David noch einer der anderen schnitt das Thema noch einmal an, und Shinichi hütete sich davor, sich verdächtig zu benehmen. Er versuchte, sich wie alle anderen hier zu verhalten, tanzte mit Danielle, lachte, plauderte belangloses Zeug und fühlte sich mies dabei. Die jüngsten Ereignisse wollten ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Aber er versuchte, nicht aus der Rolle zu fallen. Der Abend war schon ziemlich weit fortgeschritten, als er sich allein im Park der Schule wieder fand. Ihm war drinnen alles zu laut und zu heiß geworden, und als er weder David noch Heather oder Danielle sehen konnte, ging er nach draußen. Ein kühler Wind wehte, blies raschelnd durch die Blätter. Shinichi vergrub seine Hände in seinen Jackentaschen, seufzte leise, schloss die Augen kurz und hing seinen Gedanken nach. Ran… wenn du wüsstest… wie schwer das alles für mich ist. Ich hoffe, du hast es leichter. Er reagierte fast zu spät. Sie stand so plötzlich vor ihm. Danielle. Schlang ihren Arm um seinen Hals und zog ihn zu sich runter. Shinichi konnte es nicht fassen. Vorsichtig, um ihr nicht wehzutun, aber dennoch bestimmt entzog er sich ihrer Umarmung, stolperte ein paar Schritte zurück und starrte sie fassungslos an. Er stand da, schluckte, atmete heftig… er konnte es kaum glauben, was gerade fast passiert wäre. Sie hatte ihn küssen wollen. Danielle hatte ihn tatsächlich küssen wollen. Sie schaute ihn an, ihre Unterlippe zitterte, in ihren Augen glitzerte es verdächtig. Er schaute betreten weg, fuhr sich mit den Händen über die Augen und durchs Haar. Dann sah er sie an. „Wir müssen reden, Danielle.“ Eine Träne rollte ihr übers Gesicht. Er legte ihr eine Hand in den Rücken und führte sie ein wenig abseits, fand eine Bank, drückte auf die Sitzfläche und ließ sich neben ihr nieder. „Du liebst mich nicht.“, wisperte sie. „Nein.“, flüsterte er betroffen. Das hier war ihm sehr unangenehm. Er hasste es, jemandem einen Korb geben zu müssen. „Wenn ich dir jemals Hoffnungen gemacht habe, so tut mir das wirklich sehr Leid. Das wollte ich nicht.“ Sie schniefte. „Du warst immer so nett. So hilfsbereit. So ganz anders als die anderen.“ „Ja, das wird mir regelmäßig zum Verhängnis.“ Er schaute sie an und grinste schief. „Es… es tut mir so Leid…!“ Sie wurde rot und eine Träne rollte über ihre Wange. „Schon gut. Solange du’s nicht wieder versuchst…“ Ein Lächeln huschte ihr über die Lippen und sie nahm das Taschentuch an, das er ihr anbot. Sie tupfte sich vorsichtig die Tränen weg, um ihr Make-up nicht zu verwischen und blies sich dann die Nase. Eine lange Zeit saßen sie einfach nur da und sagten gar nichts. Gedämpft drang der Verkehrslärm von der Straße zu ihnen hinüber, leise wehte die Musik aus dem Ballsaal zu ihnen herüber. Schließlich war es Danielle, die das Schweigen brach. „Du bist mir also nicht sauer?“ Er seufzte. „Nein. Es ist ja nichts weiter passiert.“ Sie beugte sich nach vorn und schaute ihm ins Gesicht. Er sah so müde aus. Und irgendwie… traurig. „Du hast vorhin so geschockt ausgesehen. Um ehrlich zu sein…“, begann sie. „Hm?“ „… du hast ausgesehen, als hättest du Angst, was Schlimmes getan zu haben. Was in dieser Situation eigentlich nur bedeuten kann, du hast Angst, jemanden betrogen zu haben. Ich kann dich beruhigen, das hast du nicht. Und jetzt sei so ehrlich und sag mir, ob es da eine andere gibt.“ Er seufzte gequält. „Sieht man mir das an?“ Er hatte sich tatsächlich kurz schuldig gefühlt. Was absurd war, schließlich hatte er sie nicht geküsst, nicht mal küssen wollen. Aber der erste Gedanke, der ihm in den Sinn gekommen war, war Ran. Ran. „Also?“ „Hmm…“ „Shigeru…“ „Ja.“, murmelte er schließlich. „Du bist in eine andere verliebt?“, wisperte Danielle. Sie schaute ihn neugierig an. „Sag mal, macht dir das Spaß?“, fragte Shinichi mit hochgezogenen Augenbrauen. „Was? Dich mit Fragen zu löchern, bis ich eine zufrieden stellende Antwort kriege? Ja.“ Sie grinste. „Also?“ „Ja.“ Er seufzte leise. Ran... „Und? Liebt sie dich auch?“ Shinichi blickte vom Boden auf, lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die Sterne. Ran… „Ja, das tut sie.“ „Wie heißt sie? Wie ist sie? Wo wohnt sie?“ „Das geht nur mich was an.“ „Ach… so ist das. Es geht mich also nichts an. Schön. Warum hängst du dann hier allein rum? Warum gehst du mit mir zum Ball, anstatt dass du sie mitnimmst?“ Danielle schmollte. „Weil es nicht geht.“ „Warum?“ „Hör bitte auf zu fragen, Danielle. Ich kann dir darauf keine Antwort geben.“ „Kannst nicht oder willst du nicht?“ Er biss sich auf die Lippen. „Oder darfst du nicht?“ Shinichi zuckte zusammen. Wie kam sie darauf? Sie sog scharf die Luft ein. Er hatte sich verraten. „Du darfst nicht. Du darfst es nicht sagen. Nicht sagen, wer sie ist, und warum ihr nicht zusammen seid, stimmt’s? Warum nicht?“ Shinichi wandte den Kopf ab. Er merkte, wie ihm heut schon zum zweiten Mal alle Farbe aus dem Gesicht wich. Dieses Gespräch entwickelte sich in eine sehr gefährliche Richtung. „Wer bist du wirklich?“ Er kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Danielle seufzte. „Du verhältst dich öfter mal seltsam. Du lachst fast nie, bist sehr verschlossen, erzählst so gut wie nichts über deine Vergangenheit... nichts über deine Eltern, oder Freunde, andere Verwandte… über deine alte Schule, nichts. Es ist, als verheimlichst du was. Du gibst vor jemand zu sein, der du nicht bist, das ist meine Meinung. Also… Wer bist du?“ Er schloss die Augen und schüttelte erneut, hilflos, den Kopf. Es ging nicht. Er durfte nichts sagen. Und wollte auch nicht. Es ging keinen was an. „Als du heute diesen Selbstmord untersucht hast… das warst du… wirklich du, nicht war?“ Er schwieg weiterhin beharrlich. Sie stand auf, ging um die Bank herum und starrte ihn an. Waren ihre Worte vorher noch von eher fragender Natur, so stellte sie ihn nun vor vollendete Tatsachen. „Du bist nicht der, der du vorgibst zu sein. Das dachte ich mir schon lange.“ Sie ging um ihn herum, bis sie ihm in die Augen sehen konnte. „Ich möchte, dass du weißt, dass ich nichts, was wir hier beredet haben, je weitererzählen werde. Auch David nicht. Wenn du mir nicht sagen willst, was mit dir los ist, dann ist das deine Entscheidung und ich akzeptiere das. Wer auch immer du bist… ich hoffe nur, wir bleiben befreundet, ja? Nachdem ja jetzt die Missverständnisse unter uns ausgeräumt sind.“ Sie lächelte entschuldigend. Shinichi atmete innerlich erleichtert auf. Sie hatte gewusst, wann sie aufhören musste. „Sicher.“, meinte er leise. „Dann lass ich dich jetzt mal allein. Du siehst nicht eben aus, als wäre dir nach Gesellschaft.“ Sie wandte sich zum Gehen. Dann drehte sie sich doch noch einmal um. „Ich hoffe, deine Freundin, wer sie auch ist und wo immer sie sich befindet, weiß, was sie an dir hat. Ich wünsch es dir, von ganzem Herzen, denn du scheinst sie wirklich zu lieben. Sie sollte so schlau sein und auf dich warten, so jemanden wie dich findet man nicht oft.“ Damit ging sie. Er seufzte, stand auf und machte sich auf den Heimweg, durch die immer noch vor Leben und Licht pulsierende Stadt. New York schlief nie. Er sollte Danielle nur noch ein einziges, weiteres Mal sehen. Nämlich zwei Tage später am Flughafen, als er sie, David und Heather verabschiedete, die zu dritt eine Reise nach Europa machen wollten um ihre neu gewonnene Freiheit genießen. Er, der zurückbleiben musste, winkte ihnen nach, bis sie im Gate verschwunden waren, schaute dann aus dem Fenster dem Flugzeug hinterher, bis er es nicht mehr sehen konnte, ehe er sich schließlich umwandte. Sie kamen nie zurück. Sie kamen in Europa nicht einmal an. Aus den Nachrichten sollte er am nächsten Tag erfahren, dass ihr Flugzeug über dem Atlantik abgestürzt war. Ran stand am Fenster ihres Zimmers und starrte in die Nacht. Ihre kunstvoll getürmte Frisur verlor langsam ihren Halt und begann sich dem Gesetz der Schwerkraft wieder zu beugen. Sie strich über ihr Kleid, azurblauer Taft, passend zu ihren Augen. Ein Traum von einem Kleid. Sie war mit Komplimenten gerade zu überschüttet worden. Aber eigentlich hatte sie nur von einer Person ein Kompliment hören wollen, und genau diese Person… war nicht da, um ihr Komplimente zu machen. Der Abend auf dem Ball war dank Sonokos Mühen doch noch, wie sie es ausdrückte, zu einem „unter diesem Umständen bestmöglichen Ergebnis“ gelangt. Makoto hatte sie sogar ein paar Mal zum Tanzen aufgefordert, damit sie nicht immer allein am Tisch saß. Sie hatten gelacht, geredet… und Ananasbowle getrunken. Sonoko deutlich mehr als sie selbst. Ran lächelte. Ja, doch, es war an und für sich ein schöner Ballabend geworden... Nichtsdestotrotz war sie während des ganzen Abends in Gedanken nur bei ihm gewesen. „Shinichi…“, seufzte sie, während der Wind mit einer Locke, die sich bereits aus ihrer Frisur gelöst hatte, sanft spielte. Kapitel 6: Zufallstreffer ------------------------- Wie wahrscheinlich ist der Zufall? Nun… ich habe keine Ahnung, und ich gestehe, ich war noch nie gut in Stochastik, Statistik und Kombinatorik, also allem, was mit Wahrscheinlichkeitsrechnung zu tun hat. Das war schon immer ein Buch mit sieben Siegeln für mich – ich hab wohl lediglich die ersten drei Siegel aufgebracht, das Buch gelesen hab ich also nie… Aber faszinierend find ich’s trotzdem, das Phänomen des Zufalls… so faszinierend, dass ich diesem Kapitel gleich eine ganze Reihe Zufälle habe… dieses Kapitel basiert sozusagen auf dem Zufallsprinzip. Wie wahrscheinlich es ist, bleibt dahingestellt. Ich wünsch euch wie immer viel Spaß beim Lesen, und verbleibe hiermit bis zum nächsten Kapitel eure Leira PS: Natürlich hab ich mir bei der „Sache mit Danielle“ was gedacht, Eri_Kisaki *g* Fragt sich nur, ob wir das gleiche dachten. Wenn du’s herausfinden willst, kannst du mir ja deine Vermutung per ENS schicken. Fakt ist jedoch, dass das Kapitel David, Danielle und Heather (die ja eigentlich nur ne Komparsenrolle hatte, die Gute) offiziell abgeschlossen ist. Ach ja, ist beim Fictionschreiben nicht alles Autorenwillkür? Also... das FBI hat den Flieger nicht abgeschossen. *g* ________________________________________________________________________________ Shinichi wachte auf, weil der Wecker nicht klingelte. Er blinzelte in die Sonne, die durch einen Spalt im Vorhang hereinschien, gähnte, wischte sich den Schlaf aus den Augen und warf einen Blick auf die Uhr. Dann betrachtete er schlaftrunken das Muster, das der Sonnenstrahl auf den Teppichboden malte. Verschlafen ließ er sich wieder in die Kissen sinken. Plötzlich saß er kerzengerade im Bett. Ihm wurde ihm siedendheiß. Der Wecker hatte nicht geläutet? Sein Kopf fuhr herum und er starrte erneut auf die Uhr. Rot blinkte ihm die Uhrzeit vom Display entgegen. Zahlen, die nicht logen. Shinichi blinzelte. „Scheiße!“, schrie er und sprang aus dem Bett, wobei er sich in der Decke verfing und stürzte. Er rappelte sich hoch und rannte ins Bad. Der Wecker hatte geklingelt. Er hatte ihn überhört. Er war fast eine Stunde zu spät dran… Und das ausgerechnet heute… „U-Bahn, Yusaku?!“ Yukiko verschränkte die Arme vor der Brust um ihrer Empörtheit Ausdruck zu verleihen, was sie nicht lange durchhielt, weil sie neben ihrem Ehemann im Laufschritt durch die Hotellobby eilte. „Mit der U-Bahn?!“, wiederholte sie entrüstet. „Ja, U-Bahn.“, echote er genervt. „Ich hab’s dir bereits erklärt, Yukiko, mit dem Taxi schaffen wir das nicht. Es ist viel zu voll auf den Straßen, der Berufsverkehr hat gerade begonnen.“ Er stieß selber die Tür auf, was den überraschten Portier fassungslos machte, und rannte die Treppe runter. Wie um ihn zu bestätigen, schallte ihnen wildes Gehupe von der Straße her entgegen. Das allmorgendliche Verkehrschaos hatte begonnen. Er bog nach links, wobei er seine Tasche mit seinen wertvollen Manuskripten eisern umklammert hielt. Yukiko, immer noch schimpfend wie ein Rohrspatz, stöckelte hinter ihm her. „Hättest du mir das nicht früher sagen können? Dann hätte ich mir passende Schuhe angezogen!“ „Als ob du so was besitzt, meine Teuerste. Unter sieben Zentimeter Absatzhöhe gibt es doch in deinem Schuhschrank nichts mehr.“, feuerte ihr Göttergatte zurück. „Haha.“, schnaubte Yukiko humorlos. Yusaku eilte die Treppe zum Bahnsteig runter und zog für sich und seine Frau jeweils ein Ticket. Er atmete durch. Sie waren nicht zu spät dran. Dann suchten sie sich ihr Gleis in aller Ruhe und warteten auf den Zug. „Wie kommt es eigentlich, dass ausgerechnet du an der New Yorker Uni einen Vortrag halten sollst? In Literaturwissenschaften?! Du mit deinen Trivialromanen?“ „So hat er es immer genannt.“ Yukiko nickte bedrückt. Yusaku hingegen lächelte. Unter seinem Arm, zwischen seinen Unterlagen klemmte sein neuestes Buch. Sein Bestes, wie er befand. Er starb vor Neugierde zu wissen, was Shinichi dazu gesagt hätte. An diesem hier gab es nichts auszusetzen. Wenn die Kritik seines Sohnes an seinen anderen Werken doch vielleicht manchmal berechtigt war, dieses hier war unfehlbar. Es lautete Stille Wasser gründen tief. Der vertrackteste und perfekteste Mordfall, den er je ersonnen hatte. Und er hatte den Roman ihm gewidmet. In jedem Buch würden vorne, auf der allerersten Seite, diese Worte zu lesen sein. Für jemand ganz Bestimmten. Du bist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Du ahnst nicht, wie sehr du mir fehlst. Kein Tag vergeht, an dem ich nicht an dich denke. Yusaku hoffte, dass er es irgendwann lesen würde… Irgendwann, irgendwo vielleicht dieses Buch sehen würde… und es lesen. Die Ausgabe, die er mit sich trug, war sogar noch signiert. Es war das allererste gedruckte Exemplar. Zusätzlich mit zweiter Widmung; eine Widmung, die nur ihn betraf, mit seinem Namen. Ein Buch, nur für eine Person auf dieser Welt gedacht. Für meinen Sohn Shinichi Kudô Dieser Roman ist für dich. Ich begann ihn an dem Tag, als sie bei uns waren. Als ich über dein Schicksal bestimmt habe, ohne auf das zu hören, was du zu sagen hattest. Es tut mir Leid, Shinichi… es tut mir so Leid. Ich hoffe nur, da, wo du jetzt bist, geht es dir einigermaßen gut… auch wenn ich weiß, was du verloren hast. Deine Mutter und ich vermissen dich sehr. Ich hoffe, dass du irgendwann zu uns zurückkehren kannst. Ich weiß nicht, was ich alles dafür geben würde, um dich wieder bei uns zu haben. Wir werden stets auf dich warten. Ich wünsche dir viel Freude mit diesem Roman und hoffe, dir damit gerecht werden zu können. In Liebe, Dein Vater Yusaku Kudô Deswegen umklammerte er das Buch auch so fest. Er hatte es immer dabei. Sollte der Zufall es wollen, und er ihm irgendwo, irgendwann über den Weg laufen, würde er es seinem Sohn in die Hand drücken. „Also?“, bohrte Yukiko nach, riss ihn aus seinen Gedanken, als sie in die Bahn stiegen, die gerade angekommen war. „Hä?“ „Warum du?“ „Ich kenne den hiesigen Professor. Er ist ein riesiger Fan von Kriminalliteratur. Und als ich ihm ein paar Seiten meines Manuskriptes schickte, war er begeistert und sagte, ich solle das Buch vorstellen, wenn es herauskommt. Also… Morgen wird es publiziert, heute stelle ich es vor, wie versprochen.“ Hinter ihm fiel die Tür des Wohnheims zu. Shinichi rannte den Gehsteig entlang, kollidierte fast mit einem Fahrradkurier, versuchte, so wenige Passanten wie möglich anzurempeln und murmelte wohl hundertmal „Excuse me!“ und „Sorry!“, ehe er die Treppe zu den U-Bahnsteigen erreicht hatte. Er hatte verschlafen. So eine Scheiße aber auch. Ausgerechnet heute. Heute, wo er Prüfung hatte. Verdammt, verdammt, verdammt…! Nachdem er gestern noch viel zu lange seine Unterlagen wiederholt hatte, war er irgendwann todmüde ins Bett gefallen… und hatte heute Morgen schlicht und ergreifend den Wecker überhört. Er hastete weiter die Straße entlang. Er musste unbedingt diese U-Bahn noch kriegen. Die, die er normalerweise nahm, war schon längst weg; wenn er die hier auch noch verpasste, konnte er die Prüfung vergessen, und es war ein verdammt wichtiger Test, den er heute zu schreiben hatte. Warum musste er auch nur verschlafen? Warum, warum, warum? Schneller, schneller, schneller… Er lief die Treppe zur Subway hinab, wich einer Horde japanischer Touristen aus, die, alle mit Kameras bewaffnet, fröhlich schnatternd selbige heraufströmten und joggte weiter, stopfte seine Monatsfahrkarte in den Stempelautomaten, wartete ungeduldig bis die Schranke ihn durchließ und hastete los, durch Gänge und weitere Treppen rauf und runter, bis er sein Gleis gefunden hatte. Er warf einen Blick auf die Anzeigentafel. Shinichi atmete auf, und versuchte seine Atmung wieder unter Kontrolle zu kriegen. Er hatte es geschafft. Gesetzt den Fall, die Bahn hatte keine Verspätung, kam er nicht zu spät zum Test. Neben ihm erschien Stuart, ebenfalls nach Luft japsend und außer Atem. Stuart Fisher hatte mit ihm die ersten paar Semester studiert; dann hatte er festgestellt, dass der Beruf nichts für ihn war und war zu den Literaturwissenschaftlern übergesiedelt. Shinichi warf ihm einen schrägen Blick zu. „Na? Auch verschlafen?“ Stuart nickte schnaufend und hielt sich die Seite. „Ja. Und das gerade heute.“ Shinichi zog die Augenbrauen fragend hoch. „Schreibst du heute auch was? Das wusste ich ja gar nicht.“ „Nein, ich schreib heut keine Prüfung. Heut ist ein besonderer Tag. Heute ist der Tag. Der Tag, auf den wir fünf volle Jahre gewartet haben. Ein bedeutender Tag für die Literaturgeschichte. Ein großer Tag. In der Tat...“ Stuart sagte das alles so voller Überzeugung und mit einer derart ernsten Miene, dass Shinichi sich abwenden musste, damit sein Kommilitone nicht seinen Kampf um seine Fassung mitbekam. Beinah hätte er laut losgelacht. „Welcher mittelmäßige Autor veröffentlicht denn diese Woche?“, meinte er schließlich, als er sich soweit wieder unter Kontrolle hatte. „Mittelmäßig? Mittelmäßig?! “, entrüstete sich Stuart, wobei er ein paar Zentimeter größer zu werden schien. „Der Meister seiner Zunft überhaupt veröffentlich morgen sein neues Buch! Kriegst du denn überhaupt nichts mit, Banause?“ Shinichi seufzte genervt. „Entweder, du sagst es mir jetzt, Stu, oder du lässt es. Nicht jeder kann sich seine Zeit mit dem Lesen von Trivialliteratur um die Ohren schlagen.“ Stuart schaute ihn böse an. „Trivialliteratur!? “ Shinichi schüttelte den Kopf und seufzte. Die U-Bahn fuhr ein. „Weißt du was? Vergiss es.“ Er beobachtete die vorbeifahrenden Abteile auf der Suche nach freien Plätzen. „Fünf Jahre hab ich dran gesessen. Fünf Jahre.“, murmelte Yusaku. „Das weiß ich. Du hast an dem Tag angefangen, als Meguré und Akai ihren folgenschweren Besuch bei uns gemacht haben.“ Yukiko seufzte schwer. „Was meinst du, wie geht es ihm? Was macht er wohl?“ „Keine Ahnung. Aber was würde ich darum geben, es zu wissen. Was würde ich dafür geben, ihn nur einmal noch zu sehen, erfahren, was aus ihm geworden ist, wie er es verkraftet hat…“ „Du hoffst ihn irgendwo zu finden und ihm das Buch geben zu können, nicht war? Ich hab die persönliche Widmung gesehen.“ Yusaku nickte. „Ja.“ Sie fuhren in den nächsten Bahnhof ein. „Müssen wir hier schon aussteigen?“, fragte sie und starrte nach draußen. „Nein, hier noch nicht.“ Er folgte ihrem Blick. Der Zug wurde immer langsamer. Gesichter tauchten an den Fenstern auf, die Gesichter der Leute, die sich noch in die U-Bahn quetschen wollten. Er riss die Augen auf. Yukiko schrie leise auf und er wusste, er hatte sich nicht getäuscht. Ein paar Sekunden schien die Welt sich in Zeitlupe zu drehen. Er hörte gedämpft das Quietschen der Bremsen, als der Zug in den Bahnhof einfuhr und langsam zum Stehen kam… Die Fenster glitten neben ihm vorbei, die Reflektion der Neonlichter hüpfte von einer Scheibe auf die nächste, dahinter lauter unbekannte Gesichter… Verzerrt von der Geschwindigkeit, Schatten ihrer Selbst, ein bloßer Schleier aus Farben und Formen… Dann sah er sie. Erkannte sie sofort. Die Gesichter seiner Eltern. Für Sekundenbruchteile schien die Zeit still zu stehen. Gestochen scharf konnte er sie sehen. Dann waren sie vorbei, der Lärm, die Hektik und die Betriebsamkeit brachen wieder über ihn herein. Das quietschende Geräusch der Bremsen war einem lauten Stimmengewirr gewichen, von Leuten, die in den Zug drängten oder herauswollten, sich verabschiedeten, sich begrüßten, beschimpften, entschuldigten, lachten, weinten und schrieen... Shinichi ließ vor Schreck die Tasche fallen. Ruckartig drehte er den Kopf nach rechts, aber sie waren schon vorbei. Konnte das… sein? War das möglich? Oder spielten ihm seine Augen einen Streich? Er blinzelte heftig, wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Ein Passant, der sich an ihm vorbei in den Zug drängelte, stieß ihm seinen Ellenbogen in die Seite, aber Shinichi bemerkte es gar nicht. Er stand da, wie zur Salzsäule erstarrt und versuchte zu begreifen, was er gerade gesehen hatte. Ob das, was er meinte, gesehen zu haben, auch wirklich da gewesen war… oder ob er nun schon anfing zu halluzinieren. „Hey, Katsuragi!“ Stuart packte ihn am Ärmel und hob seine Tasche auf. „Was ist los, die Bahn fährt noch ohne uns ab!“ Immer noch redend zerrte er seinen Freund in die U-Bahn, die mittlerweile voller Menschen war. Das Warnsignal zur Schließung der Türen ertönte und die Bahn setzte sich in Bewegung. Shinichi nahm Stuart seine Tasche ab und starrte in die Neonlichtröhre an der Decke, bis sich das Nachbild bildete. Zufallstreffer? Er blinzelte verwirrt. Yukiko war kreidebleich im Gesicht. „Yusaku…“, wisperte sie. „War er das? Bitte sag, dass ich mich nicht täusche, bitte…“ Yusaku wiegte langsam den Kopf. „Ich denke nicht, dass du dich irrst. Es ging zwar ziemlich schnell, aber… ja, ich denke auch, er war es.“ „Gehen wir ihn suchen!“ Yukiko wollte schon aufstehen, aber ihr Mann hielt sie zurück. „Wie willst du das anstellen, Yuki, die Bahn ist gesteckt voll. Die Leute stehen hier drin wie Sardinen in der Dose. Ich denke, wir bekommen noch unsere Chance. Ich traue mich wetten, dass er studiert. Und wenn er das tut, kriegen wir es mit, weil er an der gleichen Haltestelle aussteigt wie wir und dann brauchen wir ihm nur noch zu folgen… und warten bis er mal allein ist.“ Sie ließ sich wieder auf ihren Platz sinken. „Yusaku Kudô!“, sagte Stuart voller Stolz. Shinichi wurde aus seinen Gedanken gerissen und starrte ihn entgeistert an. Hatte er die beiden Gesichter im Fenster eben auch gesehen? „Häh?“ „Er veröffentlicht, Schlaumeier. Der große Meister der Kriminalliteratur, der Godfather of criminal fiction himself stellt an unserer Fakultät sein neuestes Werk vor. Sein allerneuestes, an dem er fünf“, er hob die Hand und zeigte seine fünf Finger, um seine Rede zu unterstreichen, „lange Jahre gearbeitet hat. Er stellt es uns heute exklusiv vor. Heute! Und morgen liest es die Welt. Was für eine Ehre… Ich werde ihn sehen. Mit ihm im gleichen Zimmer sein… Die gleiche Luft wie er atmen…“ Stuart verdrehte versonnen die Augen. Shinichi stöhnte auf und ließ den Kopf nach hinten fallen. Sein Vater an seiner Universität… „Und ich kann nicht hin, weil ich Prüfung schreibe. Wie grausam kann die Welt sein?“, murmelte er verzweifelt. „Endlich mal ein Hinweis, dass auch du Geschmack hast, Katsuragi.“ Shinichi warf Stuart einen genervten Blick zu. Wenn du wüsstest, mein Freund. Wenn. Du. Wüsstest. Es wäre so schön, sie mal wieder zu sehen. Nur sehen, sich vergewissern, dass es ihnen gut ging… Bitte… das musste doch machbar sein. Ein Ruck ging durch den Zug, als der Fahrer abrupt bremste. Shinichi konnte sich gerade noch an einer Haltestange festhalten, damit er nicht umfiel, und warf Stuart, der dieses Glück nicht gehabt hatte, einen verwirrten Blick zu. „Was war das denn?“ „Eine Notbremsung?“, rätselte Stuart und zog sich an Shinichis Arm hoch, den dieser ihm reichte. Aufgeregtes Gemurmel wurde laut. Shinichi zog die Augenbrauen zusammen. „So schlau war ich auch, das herauszufinden. Aber warum? Es dürfte gerade mal die Spitze des Zugs im Tunnel sein… der Rest steht noch am Bahnsteig.“ Sein Kommilitone zuckte mit den Achseln. „Was weiß ich? Ich bin Literaturwissenschaftler, kein Hellseher.“ „Dann sehen wir doch mal nach.“ Shinichis Neugier war geweckt worden. Er betätigte den Türöffner und erstarrte. Schreie drangen von draußen herein. Entsetzte Schreie. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er stürzte nach draußen. Hinter ihm wurde das Gemurmel und Getuschel immer lauter, leise Panik begann um sich zu greifen. Seinen Test total vergessend rannte er nach vorne zur Lok. Eine kleine Stimme irgendwo in seinem Kopf flüsterte ihm zu, wieder in den Zug zu steigen. Sich nicht einzumischen. Sich einfach umdrehen und gehen. Umdrehen und gehen. Nur… war diese Stimme im Moment etwas zu leise, um von ihm beachtet zu werden. Sie war nicht mal ansatzweise laut genug, als dass er sie hören konnte. Schließlich war er vorne angekommen. Den Anblick, der sich ihm bot, würde er sein Leben lang nicht mehr vergessen. Er merkte, wie sich seine Haare im Nacken aufstellten. Auf den Gleisen lag der Körper eines jungen Mädchens. Shinichi starrte sie an. Sein Herz setzte einen Schlag aus, um dann mit erhöhter Frequenz Blut durch seinen Körper zu pumpen. Sie war noch gar nicht alt. Er schätzte sie auf fünfzehn Jahre. Sie trug ein hellgrünes Sommerkleid mit pastellgelbem Blütenmuster am Rocksaum. Sie war sehr hübsch; schlank, lange, rote Haare, dunkelgrüne Augen, sinnliche Lippen, ein paar Sommersprossen auf dem Gesicht. Das hieß, sie war wohl mal sehr hübsch gewesen… bevor sie von einer Untergrundbahn erfasst worden war. Ihr Kleid war dreckig, blutgetränkt und zerrissen, ihr Körper zerschmettert, ihre Glieder verdreht und gebrochen, ihre Haare von ihrem Blut verklebt… Aus ihrem Mund rann ein rotes Rinnsal, ihre Augen starrten blicklos an die Tunneldecke und ein Ausdruck tiefen Erstaunens lag auf ihrem Gesicht. Die ersten Schaulustigen begannen gerade, auf das Gleis zu klettern. Shinichi suchte mit den Augen den Lokführer, und fand ihn, kreidebleich und zitternd, offensichtlich unter Schock stehend, an den Zugwagen gelehnt. Er war also keine große Hilfe. „Hände weg von der Leiche!“, brüllte er. Nicht schon wieder. Er biss sich auf die Lippen. Bitte, das musste ein Alptraum sein. Seit damals… seit dem Tod der jungen Frau… hatte er sich rausgehalten, aus allem, was auch nur ansatzweise nach einem Kriminalfall aussah. Hatte die Hände in seine Manteltaschen gesteckt, sich umgedreht und war gegangen. Hatte dem Drang widerstanden, die Wahrheit zu finden, das Feld anderen überlassen, auch wenn es ihm schwer fiel. Aber hier und heute wollte es nicht klappen. Warum nicht? Warum? Shinichi wurde unruhig. An dieser Sache war etwas nicht in Ordung. Irgendetwas stimmte nicht. „Stuart, ruf die Polizei.“ Der Angesprochene reagierte nicht. Shinichi drehte sich um und schaute ihn an. Stuart sah aus, als ob er sich gleich übergeben würde. Shinichi interessierte das allerdings gerade herzlich wenig. Er wedelte ungeduldig mit der Hand vor seinem Gesicht herum und drückte ihm, als sein Freund ihn endlich anschaute, sein Handy in die Hand. „Ruf die Polizei.“ Er selber stieg aufs Gleis hinunter und zog einen neugierigen Passanten weg vom Körper des Mädchens. „Die Tote nicht anfassen!“, wiederholte er ungehalten. Dann kam der Wachmann der Bahn. „Was ist los hier? Eine Selbstmörderin?“ „Kann man noch nicht sagen. Sorgen Sie dafür, dass keiner das Gleis verlässt.“, entgegnete Shinichi leise. „Aber… sie liegt auf dem Gleis! Sie muss gesprungen sein!“ Shinichi starrte den Mann mit einer Mischung aus tiefer Verachtung und absoluter Verständnislosigkeit an. Du hast deine Dienstmarke wohl auch im Lotto gewonnen. „Sie kann auch gestoßen worden sein. Also riegeln Sie jetzt das Gelände ab oder wollen Sie warten, bis Ihnen ein potentieller Mörder davonkommt?“, bemerkte er mit zusammengebissenen Zähnen. Einen Polizeibeamten zu beleidigen war keine gute Idee, also schluckte er die Bemerkung, die ihm auf den Lippen lag, hinunter. Er schaute das Mädchen nochmals an. Dieser überraschte Ausdruck auf ihrem Gesicht… so sah keine Selbstmörderin aus. Nein. Sicher nicht. Der Beamte verschwand, jedoch nicht ohne ihm einen verärgerten Blick zuzuwerfen. Gedankenverloren schaute Shinichi sich um. Auf dem Bahnsteig tummelten sich die Menschen, die auf die nächste Bahn gewartet hatten, gemischt mit denen, die aus seiner U-Bahn ausgestiegen waren. Das waren eine Menge Verdächtige. Die auseinander zu sortieren um nur die Wartenden verhören zu können würde die Hölle sein. Sein Blick wanderte von einem Gesicht zum anderen. Geschockte, neugierige, verängstigte, genervte Gesichter… Plötzlich erbleichte er. Sein Atem wurde flach und schnell, Kälte kroch ihm in die Finger und von da aus in jede Faser seines Körpers. Langsam ließ er sich an der Front der Lokomotive nach unten gleiten, als er merkte, dass seine Beine unter ihm nachgaben, jedoch ohne seine Augen von diesem einen Gesicht abzuwenden. Das einzige Gesicht, das mörderisch aussah. Vodka. Gott, nein, nein, nein! Dann durchfuhr ihn ein weiterer Gedanke. Er zog sich an der Gleiskante hoch und starrte zum Ende der Bahn. Da sah er sie. Seine Eltern. Sie mussten hier weg. Sofort. Gleichzeitig wusste er, dass das nicht ging. Er selbst hatte den Wachmann auf die Mordidee gebracht, ihm geraten, das Gleis abzusperren, und genau das tat er gerade mit seinen mittlerweile ebenfalls angekommen Kollegen vom NYPD. Nein. Nein! Er merkte, wie er panisch wurde. Er wusste, er kam hier nicht weg. Er konnte nicht entkommen. Er musste sich etwas einfallen lassen, und das schnell. Shinichi wandte sich wieder um und schaute auf die Leiche des Mädchens. Neben ihr lag ihre Schultasche. Er atmete tief ein, versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu kriegen, stand auf und griff sich die Tasche. Dann ging ein Stück weiter in den Tunnel, der eine Kurve machte, und warf sie aufs Gleis, sodass es aussah, als ob sie weggeschleudert worden war. Kein Polizist hatte den Tatort gesehen, und mit etwas Glück hatte der Wachmann nicht aufgepasst, ob die Tasche über ihrer Schulter gehangen hatte oder nicht. Hoffentlich klappte sein Plan. Dann ging er zu seinen Eltern. Wenigstens warnen musste er sie. Yusaku und Yukiko starrten ihn an, als er auf sie zuschritt. „Shinichi! Was…“, begann Yukiko flüsternd, kam aber nicht weit. „Ihr dürft euch nicht blicken lassen.“, sagte er leise und versuchte das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. Seine Hände hatte er in den Taschen seines Mantels zu Fäusten geballt, damit sie nicht verraten konnten, wie aufgewühlt er wirklich war. Shinichi legte den Kopf in den Nacken und seufzte tief. „Seht ihr den Kerl da drüben? Den im schwarzen Anzug?“ Er nickte in die betreffende Richtung. Seine Eltern wandten den Kopf. Yusaku verstand sofort. „Das ist…?“ „Vodka.“ Shinichi nickte ernst. „Hört zu, ich… ich denke, dass er weiß, dass ich hier bin. Da vorne liegt ein Mädchen auf den Gleisen, und die Polizei tippt wohl noch auf Selbstmord. Ich glaube nicht, daran… ich... ich denke, sie ist gestoßen worden. Er hat mich wohl beim Einsteigen gesehen, und um mich nicht wer weiß wo in New York zu verlieren, musste er den Zug anhalten. Er… scheint mich zwar noch nicht gesehen zu haben, aber lange wird’s nicht mehr dauern. Ich will nicht, dass euch etwas passiert, also haltet euch außer Sichtweite... bitte!“, fügte er hinzu, als sein Vater zu einer Unterbrechung ansetzte. „Ich bitte euch, geht irgendwo hin, wo er euch nicht findet. Geht wieder in den Zug, das wird das Beste sein.“ Er ließ seine Tasche von seiner Schulter gleiten. Bei der Bewegung sah er Stuart, der auf ihn zueilte. „Ach ja. Der da…“, er nickte in die Richtung, aus der sein Kommilitone kam und schaute seinen Vater verhalten lächelnd an, „betet dich an. Wenn du nicht einen Aufstand verursachen willst, geh ihm aus den Weg.“ Gleich darauf wurde er wieder ernst. „Bitte... bitte geht jetzt!“ Ein flehender Ton schwang in seiner Stimme mit. Dann schluckte er hart, nickte ihnen noch einmal zu, ging Stuart entgegen und zog ihn mit sich, ohne sich noch einmal umzublicken. Yusaku seufzte. „Ich fürchte, er hat Recht. Wir sollten in den Zug gehen. Wir beobachten ihn vom Fenster aus.“ „Aber…!“, begann Yukiko, wurde aber sofort von ihrem Mann unterbrochen. „Yuki, ich weiß was du denkst, aber wenn wir hier bleiben, sind wir ein unkalkulierbares Risiko für ihn. Wenn uns dieser Kerl bedrohen würde, würde Shinichi alles tun, um uns zu retten, das weißt du. Er ist erwachsen, er kann auf sich aufpassen. Wenn wir hier bleiben, riskieren wir sein Leben, weil er erpressbar wird durch uns.“ Er zog den Roman aus seiner Tasche, riss ein Blatt Papier aus einem kleinen Notizblock, in dem er immer seine Geistesblitze notierte, schrieb eine Zeile auf und steckte ihn ins Buch. Dann stopfte er es in Shinichis Tasche. Yukiko starrte ihn erstaunt an. „Na, was meinst du, warum er seine Tasche gerade hier liegengelassen hat?!“, murmelte Yusaku. „Komm jetzt. Wir gehen rein und beobachten ihn von drinnen.“ Shinichi atmete tief durch. Dann schickte er Stuart mit der Aufgabe, der Polizei zu sagen, wo die Tasche lag und dass sie nach einem Abschiedsbrief darin suchen sollten, weg, und ging auf Vodka zu. Jetzt oder nie. Er war schon einmal zu feige gewesen. Der Mann schaute ihn mit unbewegter Miene an, dann grinste er. „Sehr schlau von dir, dich zu stellen, Kudô. Du rettest damit vielen hier das Leben.“ „Ja, das weiß ich. Also, was ist jetzt?“ Vodka packte ihn an der Schulter, zog einen Revolver aus seiner Jackeninnentasche, versteckte ihn im Ärmel und drückte ihm den Lauf in die Seite. Shinichi schluckte. Gott, das fühlte sich nicht gut an. „Willst du mich hier erschießen, Blödmann? Es wimmelt von Polizisten, dank deiner Aktion, das Mädchen zu töten. Das warst doch du?“, zischte er ihn dennoch ungehalten an. Vodka starrte ihn nur kalt an. „Ja. Ich konnte dich doch nicht verschwinden lassen, wo ich dich gefunden habe. Gin wird wütend sein, wenn er erfährt, dass ich dich kalt gemacht habe, und Vermouth… nun sie wird mit Sicherheit nicht amüsiert sein, soviel ist sicher. Auf ihre Anweisung hin suchen wir dich schließlich, sie spielt sich momentan ein wenig auf, die Gute. Aber ich lass mir die Gelegenheit doch nicht entgehen…“ Er presste die Waffe noch ein wenig stärker gegen Shinichis Rippen. „Also, wo gehen wir hin, um dir dein Lebenslicht auszupusten?“ „Na, wohin wohl.“, antwortete Shinichi trocken. Yukiko war einem Nervenzusammenbruch nahe, als sie ihren Sohn mit seinem Verfolger im Gang verschwinden sah. „Yusaku!“ Yusaku Kudô war leichenblass geworden in den letzten Minuten, schüttelte aber bestimmt den Kopf. „Wir bleiben hier.“ „Aber!“ Die ersten Tränen liefen ihr übers Gesicht. „Yuki, dieser Mann hat ihn mit einer Waffe bedroht. Wenn wir ihm nachgehen, erschießt er ihn sofort. Shinichi weiß, worauf er sich einlässt, und er hat das nicht planlos gemacht. Er wird wissen, was er tut, und wir dürfen in seiner Rechnung nicht zu einer unbekannten Variablen werden. Wir bleiben hier.“ Sie starrte ihn nur an. Ihre Unterlippe zitterte. Er schüttelte betrübt den Kopf. „Meinst du, ich habe keine Angst? Glaubst du allen Ernstes, ich mach mir keine Sorgen? Wenn ich wüsste, ich würde ihm helfen, wenn ich ihm nachlaufe, dann würde ich es machen, auf der Stelle. Ich würde mich umbringen lassen, wenn dieser Mann dafür sein Leben verschont, sofort, aber so ist es nicht. Er will ihn. Wir müssen hier warten, es bleibt uns nichts anderes übrig.“ Er seufzte frustriert, setzte sich und zog seine Frau neben sich, nahm sie in die Arme und versuchte, sie ein wenig zu beruhigen. Shinichi ging mit Vodka zur Lok nach vorne. Er versuchte, möglichst unauffällig, Stuart zu finden und entdeckte ihn schließlich neben einem Polizisten, mit dem er heftig debattierte. Okay. Hoffentlich bringt ihm sein Literaturwissenschaftenstudium was und er überredet diesen Volltrottel schnell. Er stieg auf das Gleis hinab und begann in den Tunnel zu gehen, Wodkas Revolver im Rücken. Kein Mensch beachtete sie. Die Aufregung um die Leiche war noch zu groß, der Tumult, die Menschenmenge, zu unübersichtlich und es waren viel zu wenig Polizisten vor Ort, um das Chaos einzudämmen. Ich will nicht sterben. Dann waren sie da. An der Stelle, an der er die Tasche deponiert hatte. Er ging noch ein paar Meter weiter in den stockfinsteren Tunnel hinein, um Vodkas Verdacht nicht zu erregen, und blieb dann stehen. „Ich denke, das reicht.“, sagte er tonlos. Er begann wieder zu zittern. Am ganzen Körper. Er konnte es nicht kontrollieren, konnte nichts dagegen tun, er hatte Angst. Todesangst. Ran… Vodka lachte. „Angst?“ Shinichi schüttelte stur den Kopf. Ich will nicht sterben. „Rüber an die Mauer.“ Shinichi schluckte, tat aber, wie ihm geheißen. „Dreh dich um.“ Shinichi stutzte. Starrte den schwarz gekleideten Mann fassungslos an. „Was bitte?“ „Du sollst dich umdrehen.“ Nicht mit mir. Ein zynisches Grinsen breitete sich auf Shinichis Gesicht aus. Plötzlich fiel sie ab, die Angst, zog sich zurück in den hintersten Winkel seines Kopfes, wo sie hergekommen war, machte einem anderen Gefühl Platz: Aufregung. Anspannung. Während er vor Sekunden noch gedacht hatte, seinem Schicksal nicht entrinnen zu können, sein Plan nicht aufgehen würde, so erwachte nun sein Kampfgeist zu neuem Leben. Wer war er denn? Er hatte doch noch nie aufgegeben. Egal, wie ausweglos die Situation war… und er würde auch heute nicht aufgeben. Er würde keinem die Genugtuung geben, ihn gebrochen zu haben. Er würde um sein Leben kämpfen, würde kämpfen um seine Zukunft, um die Chance, wieder zurückzukehren, zu seinen Eltern und Ran... Ran... und wenn er starb, dann starb er hoch erhobenen Hauptes und bestimmt nicht mit einer Kugel im Hinterkopf. „Du willst mich von hinten erschießen? Von hinten? Du traust dich nicht mal, mir ins Gesicht zu sehen, wenn du mich umbringst?! Gott, was bist du für ein Feigling…“ „Halt die Klappe!“, fauchte Vodka. „Und dreh dich endlich um!“ Shinichi verschränkte die Hände vor der Brust und lehnte sich gegen die Mauer. Dann schaute er seinem Gegenüber gelassen ins Gesicht. „Den Teufel werd’ ich tun. Entweder du machst es so, oder du lässt es.“ „Umdrehen!“, schrie Vodka und schoss in die Wand neben ihm. Shinichi zuckte nicht einmal zusammen. Schön, schön… mach weiter so einen Lärm, und sie werden uns bald gehört haben, du Vollidiot. „Glaubst du, das macht mir Angst? Fast wünschte ich mir ja, du wärst Gin oder Vermouth, die hätten genug Arsch in der Hose, mir von Angesicht zu Angesicht mein „Lebenslicht“, wie du’s so schön nennst, auszublasen…“ Vodka schrie nicht mehr. Er schoss nur noch. Shinichi ließ sich fallen und schlug die Hände schützend über seinen Kopf, drückte seinen Körper in den Boden, um mit ihm zu verschmelzen, in der Dunkelheit unsichtbar zu werden… Wagte kaum zu atmen, sich zu bewegen... Dann hörte er sie. Schreie, Rufe und noch mehr Schüsse. Die Polizei und Stuart, die zur Untersuchung der Tasche gekommen waren. Fast ein wenig spät, aber lieber zu spät als nie. Im Tunnel herrschte unglaublicher Lärm. Alle Geräusche hallten wieder, wurden verstärkt und verzerrt… es fiel ihm schwer, festzustellen, wie nahe die Polizisten schon waren oder von woher geschossen wurde. Und ganz plötzlich war es still. Shinichi stand auf, so leise wie möglich, starrte auf Vodkas leblose Gestalt am Boden an der Tunnelwand gegenüber und lief, so leise wie möglich, weiter in den U-Bahnschacht hinein, um nicht gesehen zu werden. Hier gefunden zu werden bedeutete nur viele, viele lästige Fragen. Sollte sich die Polizei mal hübsch ohne ihn den Kopf zerbrechen, wen ein bewaffneter Mann im U-Bahntunnel hatte erschießen wollen. Die Möglichkeit, dass man ihn hörte, war ohnehin sehr gering, dafür machten die Polizisten selber zu viel Lärm. Und sehen würden sie ihn auch nicht wirklich; schon als er Vodka gegenübergestanden hatte, war dieser nicht mehr als ein Schemen für ihn gewesen, allein in den Gläsern seiner Sonnenbrille hatte sich ein dämmriger Lichtstrahl reflektiert. Als er glaubte, weit genug weg zu sein, blieb er stehen. Laut rauschte das Blut in seinen Ohren, sein Atem stand in trüben Wolken vor seinem Gesicht. Er schwitzte und zitterte gleichzeitig, merkte, wie sein Adrenalinspiegel wieder sank, und langsam aber sicher der Schock in seine Glieder fuhr. Er lehnte sich an die Mauer, spürte den kalten Stein im Rücken, krallte seine Finger Halt suchend fest. Er hörte, wie die Polizisten Vodkas Tod feststellten und wieder gingen, um einen Leichensack zu holen. Erst als er nichts mehr hörte, wagte er es, wieder nach vorn zum Bahnsteig zu gehen. Er umrundete den Zug und näherte sich der Unfallstelle von der hinteren Seite. Stuart lief ihm aufgeregt entgegen. „Hey, wo warst du? Weißt du, was gerade eben passiert ist? Im Tunnel war eine echte Schießerei! Da hinten liegt jetzt die Leiche von so einem komischen Kerl, die Polizisten haben ihn erschossen. Er hat wohl jemanden töten wollen, denn wir sind durch das Geräusch von Schüssen auf ihn aufmerksam geworden, allerdings war er allein, als wir ankamen… seltsam, nicht? Und das war noch nicht alles. Er war, soweit man das im Licht der Taschenlampen sehen konnte, ganz in Schwarz gekleidet...“ Erst dann fiel ihm das äußere Erscheinungsbild seines Kommilitonen auf. „Meine Fresse, Shigeru, wie siehst du denn aus?“ Shinichi schaute an sich herab. Er starrte vor Staub und Dreck. „Bin auf den Gleisen gestolpert und hab mich hingelegt.“, log er, ohne rot zu werden. Dann begann er, seine Hose abzuklopfen. „Na, wie dem auch sei, weißt du was? Die Polizei hat ein paar Zeugen gefunden, die deine Theorie untermauern! Sie haben einstimmig ausgesagt, ein schwarz gekleideter Typ habe die Kleine geschubst. Vielleicht war’s ja der im Tunnel? Was meinst du?“ Shinichi schaute auf. Er schluckte. Erst jetzt… erst jetzt, nach der Aufregung, wurde ihm eigentlich klar… dass… Dass das Mädchen seinetwegen hatte sterben müssen. Schulgefühle übermannten ihn, überrannten ihn, rissen ihn mit sich… Er blinzelte Stuart an. „Ja, wahrscheinlich. Scheint ja ein Irrer gewesen zu sein.“, flüsterte er tonlos. Jemand hatte seinetwegen sein Leben lassen müssen. Es war seine Schuld. Seine Schuld… Er hörte auf, seine Hose saubermachen zu wollen und ging, ließ Stuart, der gerade mit einer langen Rede über Psychopathen begonnen hatte, wortlos stehen. Er fand seine Tasche, griff sie auf und stieg in den Zug. Er suchte nach ihnen. Seinen Eltern. Shinichi wusste, es wäre besser gewesen, er täte es nicht, aber… Er fand sie, setzte sich ihnen gegenüber und konnte nicht verhindern, dass ihm die Tränen übers Gesicht zu laufen begannen. Yukiko und Yusaku setzten sich wortlos neben ihn. An der Uni angekommen ging er, ohne sich zu verabschieden. Er fand keine Worte, die das beschreiben konnten, was er empfand, diesen Schmerz… er drückte sie nur kurz an sich und verschwand in der Menge der Studenten. Der Professor, bei dem er seine Prüfung hätte ablegen sollen, akzeptierte seine Entschuldigung, wohl auch wegen seines mitgenommenen Aussehens, und gewährte ihm nach dem allgemeinen Prüfungsende noch eine Nachschreibezeit. Shinichi wusste nicht, was er geschrieben hatte, als er das Blatt nach Stunden schließlich abgab. Auf dem Nachhauseweg ging er zu Fuß, auch wenn er dadurch eine Stunde länger brauchte als mit der U-Bahn. Er konnte da jetzt nicht runter gehen. Er war aufgewühlt… dieser Tag heute hatte ihn sehr mitgenommen. Seine Gedanken drifteten ab, wanderten zu seinen Eltern… und zu Vermouth, Gin und Wodka. Vodka war tot, ja. Einer weniger auf der Liste, von der er nicht wusste, wie lang sie noch war. Aber um welchen Preis… um welchen Preis? Ein junges Leben ausgelöscht, grundlos, sinnlos… nur seinetwegen. Ihn ihm wuchs das Verlangen nach Rache. Rache für sich und für das Mädchen. Und wenn er sein Leben dabei riskierte, war es ihm auch egal. Lieber gar kein Leben als dieses hier. Der Mord an der Schülerin, die kurze Begegnung mit seinen Eltern hatten ihn ihm alte Wunden wieder aufgerissen… Langsam begann er, wieder etwas ruhiger zu werden, seine Gedanken wieder zu ordnen, den heutigen Tag wieder klarer zu sehen. Er wusste, er hatte sie nicht umgebracht. Er konnte sich nicht für alles die Schuld geben. Er tat es trotzdem. Und damit würde er jetzt leben müssen... es war nicht zu ändern. Was heute geschehen war, war passiert, er musste sich abfinden damit, das wusste er. Aber das würde nicht einfach werden. Und dann war da noch… diese Sache… Er hatte seine Eltern gesehen. Seine Eltern. Gedankenverloren schob er den Trageriemen seiner Tasche wieder weiter auf die Schulter hoch. Alles in allem war der heutige Tag eine einzige Berg- und Talfahrt gewesen. Von allem war etwas dabei gewesen, Wiedersehen und Abschied, Freude und Leid, (Über-)leben und Tod… Und das alles nur, weil er heute verschlafen hatte. Hätte er die erste U-Bahn noch bekommen, wäre das alles wahrscheinlich nie passiert. Währe er früher gefahren, hätte Vodka am Bahnhof gestanden und niemanden gesehen, seine Eltern wären ohne auszusteigen an die Universität gefahren und wären nie in Lebensgefahr geraten… Wenn, wenn, wenn… Und überhaupt- wie wahrscheinlich war es denn, dass sie alle vier zur selben Zeit am selben Ort waren? Was für ein Zufall… Die Welt war nicht gerecht. Er lächelte zynisch. Welche Erkenntnis. Schließlich war er im Wohnheim angekommen- ging in seine Wohnung hoch und sperrte auf... Der zweite Abschied von seinen Eltern. Also ob einmal nicht reichen würde. Er legte seine Tasche auf den Tisch, und erst da fiel es ihm wieder ein. Hastig öffnete er sie und… sah es. Das Buch. Beinahe ehrfürchtig zog er es heraus, strich über den Einband, schlug es auf und ließ die Seiten durch seine Finger rascheln. Dann bemerkte er den Zettel und zog ihn heraus. Deine Meinung würde mich interessieren. Shinichi seufzte. Vielleicht komm ich ja noch dazu, sie dir zu sagen, irgendwann… Er ging duschen, kochte sich eine Tasse Kaffee und machte es sich mit dem Buch auf dem Sofa bequem. Bedächtig schlug er es auf und las die Widmung. Einmal, dann noch mal und schließlich ein drittes Mal. Ein sanftes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Er atmete tief durch, blinzelte einmal heftig und trank einen Schluck Kaffee. Keine Frage, Abschiede waren grausam. Aber zu wissen, dass seine Eltern wohlauf waren und an ihn dachten… tat unglaublich gut. Vermouth saß hinter ihrer Ausgabe von Time Magazine im Café in der Hotellobby und beobachtete den Eingang des Hotels. Vor ihr stand ihre fünfte Tasse schwarzer Kaffee und in ihrer rechten Hand, die sie lässig auf der gläsernen Tischplatte aufgestützt hatte, hielt sie, elegant wie eh und je, eine Zigarette, von der sie gelegentlich einen Zug nahm. Sie wartete. Wartete darauf, dass die Kudôs wieder zurückkommen würden. Sie beschattete sie, um herauszufinden, wo sich ihr Sohn aufhielt. Sie wusste, die Chance, ihn dadurch zu finden, war gering, aber immer noch höher, als frei nach Lust und Laune in der Weltgeschichte rumzureisen, so wie die anderen es machten, inklusive Gin und Vodka. Anfänger. So wartete Vermouth darauf, dass die beiden wieder ins Hotel kamen. Sie hatte sie an diesem Tag nicht verfolgt, was eine reine Vorsichtsmaßnahme gewesen war. Yusaku Kudô war ein Mann, dessen detektivisches Talent nicht zu unterschätzen war. Er hatte zwar dem Metier den Rücken zugekehrt, aber das hieß nicht, dass er aus der Übung war… dieser Sinn für Verbrechen war angeboren. Fakt war, in den letzten zwei Tagen hatte er sich auffällig oft umgeblickt. Einmal hätte er sie fast gesehen. Er war misstrauisch. Er ahnte wohl, dass sie verfolgt wurden. Also hatte sie beschlossen, seine Zweifel ein wenig zu zerstreuen, indem sie das Ehepaar heute mal in Ruhe ließ. Sie würde ohnehin an ihren Gesichtern ablesen können, was Sache war. Ob sie ihren Sohnemann gefunden hatten oder nicht. Vermouth lächelte kühl und zog an ihrer Zigarette, dann klopfte sie die Asche auf den Boden. Den Aschenbecher auf dem Tisch ignorierte sie. Die beiden waren außergewöhnlich oft auf Reisen gegangen im letzten Jahr, und ihr Ziel war stets ein anderes gewesen. Das deutete nur auf eines hin. Sie suchten ihn. Ganz eindeutig. Und sie hatte die Gelegenheit am Schopf gepackt sich an ihre Fersen geheftet, nachdem ihre Suche bisher erfolglos geblieben war. Diesmal hatte er zwar diese Einladung gehabt, aber das musste ja nicht heißen, dass die Kudôs deswegen nicht die Augen offen halten würden. Der Portier öffnete geschäftig die Tür. Vermouth verengte die Augen, entspannte sich aber gleich wieder. Es war nur ein mitteleuropäisches Urlauberpaar. Sie legte ihre Zeitung beiseite und nahm einen Schluck Kaffee. Es war schon nach sechs. Langsam könnten die beiden aber wieder zurückkommen, sie bekam nämlich Hunger. Andererseits… wenn sie hinterher noch zum Essen gingen, würde sie hier beim Warten noch schwarz werden. Ein amüsiertes Lächeln huschte ihr über die Lippen. Was für ein nettes Wortspiel. Vermouth zog die Speisekarte des Cafés zu sich heran und spielte gerade mit dem Gedanken, sich ein mit Käse überbackenes Shrimp-Gemüse Sandwich zu bestellen, als erneut Bewegung in die ansonsten starre Form des Portiers kam. Da waren sie. Vermouth sog scharf die Luft ein und starrte sie an, ohne zu blinzeln. Verfolgte jede ihrer Bewegungen mit ihren eisblauen Augen… nicht eine Regung auf ihren Gesichtern blieb ihr verborgen. Sie beobachtete die beiden so angespannt, dass sie nicht einmal bemerkte, als die Asche ihrer Zigarette abbröselte und auf ihre Zeitung fiel. Enttäuscht ließ sie sich zurücksinken. Weder ein Anzeichen freudiger Erregung, das darauf hinwies, dass sie ihn gefunden hatten, noch ein Ausdruck tiefster Verzweiflung auf ihren Gesichtern, der darauf hinwies, dass sie ihn wieder zurücklassen hatten müssen. Nur der ihr mittlerweile allzu bekannte Ausdruck von Trauer und Schmerz auf Yukikos Gesicht und Yusakus starre Miene. Der Mann zeigte nicht allzu viele Gefühle, auch wenn er die sicher hatte. Einer musste ja den Starken spielen. Yukiko zumindest wäre in Tränen aufgelöst gewesen, hätte sie ihren Sohn gefunden, dessen war Vermouth sich sicher. Yusaku… nun, wie er genau ausgesehen hätte, wenn er Shinichi gefunden hätte, wusste sie nicht. Aber nicht so, soviel war gewiss. Ein wenig genervt faltete die Profikillerin die Zeitung wieder zusammen, versenkte ihre Zigarette in ihrem Kaffee und stand auf. Selbstbewusst, der zahlreichen Blicke, die ihr die Männer um sie herum zuwarfen deutlich bewusst, steuerte sie auf die Tür zu und machte sie selber auf. Der Portier starrte ihr nur mit einem Ausdruck tiefer Verständnislosigkeit auf dem Gesicht nach. „Was ist den heute los?!“, fragte er den Pagen, der gerade mit dem Autoschlüssel eines Hotelgastes hereinkam. „Die ist schon die zweite heute! Für was bezahlt man mich denn hier eigentlich?“ Vermouth jedoch hörte ihn schon nicht mehr; und wen dem so gewesen wäre, so interessierte sie das nicht. Sie würde jetzt erst einmal schön essen gehen und dann ihre weitere Vorgehensweise bedenken. New York war gelaufen, fürs erste. Dass sie von Vodka nie wieder etwas hörte, wunderte sie nicht. Er hatte ja nie sagen wollen, wo er nach ihm suchte, also wusste sie auch nicht, wo er verschwunden war. Vielleicht hatte er sich abgesetzt. Oder, was sie viel stärker vermutete, war er wohl dem FBI in die Hände gefallen, dieser unterbelichtete Prügelknabe. Yukiko schaffte es noch bis in ihre Suite, ehe sie auf den Boden sank und in Tränen ausbrach. Yusaku schaute sie nur schweigend an, einen sehr schwer zu deutenden Ausdruck auf dem Gesicht, kämpfte vehement um seine Fassung. Dann nahm seine Frau in die Arme, zog sie hoch und setzte sich mit ihr aufs Hotelbett. „Schhh… ich weiß es ist hart…“ Yukiko schluchzte nur und klammerte sich an ihrem Ehemann fest. Kapitel 7: Der Brief -------------------- Good-day to you! Tja… Leute, jetzt war das letzte Kapitel doch eh schon so lang… wo hätte ich denn die liebe Ran noch hinstecken sollen? Ins Fahrradabteil der U-Bahn? *g* Nein, ernsthaft… es war volle Absicht, dass Ran in diesem Kapitel aktiv gar nicht und „passiv“ eher sporadisch vorkam. Der Schwerpunkt sollte auf Shinichi, seinen Eltern und Vodka, sowie am Ende Vermouth liegen. Ran hätte da nicht wirklich mehr reingepasst. Außerdem bemühe ich mich, die Kapitel in einer Länge zu halten, die für euch noch angenehm zu lesen ist. Also… da ihr sie aber sooo vermisst habt, hier ist sie wieder, Ran… und etwas, dass sie seit langer Zeit schon mit sich rumschleppt. Hat sich von euch denn nie einer gefragt, was aus Shinichis Umschlag geworden ist? *g* Ach ja… und noch ein paar Leutchen werden wir wieder sehen, in diesem Kapitel… lasst euch da mal überraschen. Tja… that’s all, folks, ich wünsch euch viel Spaß beim Lesen! MfG, eure Leira :) PS: Action, Kilma? War das nicht genug Action im letzten Kap? Ich muss dich enttäuschen, dieses Kapitel wird wieder eher nachdenklicher. Action kommt erst wieder im nächsten… Im Übrigen herrscht in diesem Lesezimmer ab sofort Bratpfannenverbot. Sei so gut und häng sie an den Haken vor der Tür. *g* *sichducktundwegrennt* PPS: Schlagt mich nicht, wenn ihr gleich erfahrt, wie viel Zeit schon vergangen ist… das muss leider so sein. _______________________________________________________________________________ Durch das geöffnete Fenster wehte der Wind neben einer lauwarmen Brise auch den Lärm der Straße herein. Autos hupten fast ununterbrochen… und manchmal hörte man auch das schrille Klingeln einer Fahrradglocke, Menschen plauderten gesellig miteinander oder schrieen sich im Verkehrschaos Beschimpfungen zu. Ran saß in ihrem Büro, seufzte laut auf und schichtete einen Berg Akten um, auf der Suche nach ihrem aktuellen Fall. Wo ist er nur, wo ist er nur… Wo ist er nur, wo ist er nur, wo ist er nur … Gedankenverloren kratzte sie sich an der Nase und schob den nächsten Ordner zur Seite. Wo, wo, wo… Als sie im Aktenchaos auf ihrem Schreibtisch nicht fündig geworden war, begann sie eine Schublade nach der anderen aufzuziehen und zu durchsuchen. Die oberste- nichts. Irgendwo muss er doch sein! Die zweite… alles nur bereits bearbeitete und abgeschlossene Fälle. Wo bist du, zeig dich, du hast gegen mich sowieso keine Chance… früher oder später kriege ich dich doch… Ran zog die dritte auf und begann deren Inhalt auf den Boden zu werfen, als sie innehielt. Gedankenverloren strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Dann öffnete sie die unterste Schublade ihres Schreibtisches. Eine Schublade, die leer war… leer, bis auf zwei Dinge. Eines davon war ein sorgfältig gerahmtes Foto. Sie nahm es mit beiden Händen langsam heraus. Es zeigte sie selbst… und Shinichi. Sonoko hatte es aufgenommen, in der einen Woche, die ihnen beiden als Paar vergönnt gewesen war. Es war ein schöner, sonniger Tag gewesen und sie hatten den Nachmittag und den Abend zusammen mit Sonoko und Makoto im Vergnügungspark verbracht. Irgendwann hatte Sonoko –so typisch für Sonoko- darauf bestanden ein Pärchenfoto von Ran und Shinichi zu machen. Also hatte sie die Beiden vor das Riesenrad dirigiert. Ran konnte sie sich noch ganz genau an diese paar Minuten erinnern. Der Ausdruck in seinen Augen, als sie sich dem Riesenrad genähert hatten. Ran wusste, warum er sich in dessen Nähe nicht mehr wohl fühlte. Als sie ihm angeboten hatte, Sonoko zu überreden woanders das Photo zu machen, hatte er gelacht und abgewunken - sie sollten sich doch von seiner dämlichen Riesenradphobie nicht abhalten lassen, hatte er gemeint, und sein Mund hatte gelächelt. Seine Augen nicht. Shinichi hatte seine Arme um ihre Taille geschlungen und vor ihrem Bauch verschränkt, seinen Kopf auf ihre Schulter gelehnt und sie sich an ihn gelehnt, eine Hand auf seine gelegt, mit der anderen an seinen Hals berührt… und beide hatten sie in die Kamera gelacht. Und dieses Lachen war echt gewesen. In ihrer Nähe hatte er sich wohl gefühlt. Er hatte es ihr gesagt, damals. Sekunden, bevor Sonoko auf den Auslöser gedrückt hatte. Sonoko… war jetzt mit Makoto verheiratet. Seit fast einem Jahr. Das erste Kind war schon unterwegs. Neben diesem einen Foto hatte es noch zahlreiche weitere gegeben. Auf ein paar von ihnen hatte Sonoko –ebenfalls sehr typisch für Sonoko- sie beide beim Küssen abgelichtet, als sie ihnen nachspioniert hatte, nachdem sie sich kurz abgesetzt hatten. Dieses Foto jedoch… wenn sie es betrachtete, dann war es fast, als würde er sie ansehen. Als könnte sie fühlen, wie er sie in die Arme nahm. Das Ganze war jetzt sieben Jahre her. Sieben Jahre. Sie seufzte. Sieben Jahre, in denen sie kein Lebenszeichen von ihm erhalten hatte. Sieben Jahre, in denen auch die Polizei Tokios und das FBI ihr nicht gesagt hatten, wie weit sie mit den Festnahmen gekommen waren. Sieben Jahre, vierundachtzig Monate, ziemlich genau zweitausendsechshundertvier Tage, etwa 62496 Stunden, ungefähr 3749760 Minuten, und damit 224985600 Sekunden… und diese Zahlen wurden immer größer. Sie wusste, dass er kein Foto von ihr hatte. Er hatte keines mitnehmen dürfen. Ob er überhaupt noch wusste, wie sie aussah, nach so langer Zeit? Ob er noch genauso aussah wie auf dem Foto? Oder wie damals, auf dem Flughafen? Eine Träne rollte ihr über die Wange. Ach Ran. Sei nicht kindisch. Unwillig wischte sie sie mit ihrem Handrücken weg. Sie wusste, sie sollte sich damit abfinden, dass er nicht mehr wiederkam. Sieben Jahre war eine verdammt lange Zeit. Wahrscheinlich hatte er sich ein hübsches neues Leben aufgebaut, wo auch immer er jetzt war… und sie sollte es ihm gönnen. Sie sollte sich freuen für ihn. Er hätte es doch verdient… Trotzdem… bei dem Gedanken, er könnte eine andere lieben… wurde sie rasend vor Eifersucht. Er war ihr Freund. Die Vorstellung… dass sich eine andere Frau an ihn schmiegte, ihn küsste… Ihm nah war… Sie schloss die Augen und verdrängte das Bild aus ihrem Kopf. Sie wollte ihn nicht teilen… sie wollte ihn wiederhaben. Endlich wiederhaben. Immer, wenn solche Gedanken ihr im Kopf herumspukten, pflegte sie sich seine letzten Worte in Erinnerung zu rufen. Ich liebe dich. Das darfst du nie vergessen. Egal wo ich bin, egal wie’s mir geht, ich werde dich immer lieben, bis ans Ende meiner Tage. Komme was wolle. Es hatte wie ein Versprechen geklungen. Ein Versprechen… Ein Versprechen bricht man nicht. Und erst recht nicht, wenn man Shinichi Kudô hieß. Ironischerweise hieß er momentan anders. Sie seufzte, schaute auf den kleinen üppig weiß blühenden Bonsai, der vor ihr auf dem Tisch stand. Junischnee. Ein paradoxer Name… erst recht für einen Baum. Sie lächelte, dann zupfte sie vorsichtig eine welke Blüte ab. Sie hatte den Baum nur hier, weil er sie an ihn erinnerte. An einen der wohl schönsten Tage in ihrem Leben – der Tag, an dem sie zusammengekommen waren. Der Tag, an dem er ihr gesagt hatte, dass er sie liebte. Ein Bild erschien vor ihren Augen, eine Erinnerung an eine Zeit, als die Welt noch in Ordnung gewesen war… Dann griff sie noch einmal in die unterste Schublade. Der zweite Gegenstand darin war ein Brief. Sein Brief. Der, den er ihr am Flughafen in die Hand gedrückt hatte. Derjenige, den sie sich in all den Jahren nicht getraut hatte zu öffnen. Sie hatte auf ihn aufgepasst und behütet wie einen Schatz; wo sie war, begleitete er sie, ohne je gelesen worden zu sein. Ran seufzte. Ihre Gedanken schweiften ab. In den sieben Jahren, die seither vergangen waren, hatte sie, um es ihrer Mutter gleichzutun, und weil der Beruf sie interessierte, Jura studiert. Vor anderthalb Jahren hatte sie ihr Studium erfolgreich abgeschlossen und war bei ihrer Mutter in die Kanzlei eingestiegen. Ran hatte es schnell zu etwas gebracht; es dauerte nicht lange, und die ersten Erfolge stellten sich ein. Sie arbeitete zwar noch nicht lange richtig als Verteidigerin, aber in der Zeit war sie stets ungeschlagen geblieben, genauso wie ihre Mutter, und nichts deutete darauf hin, dass sich das in nächster Zeit ändern würde. Sie war engagiert, couragiert, ehrgeizig und intelligent, und dabei auch noch mitfühlend, pflichtbewusst und hatte einen stark ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, sowie ein ungeheures Durchhaltevermögen. Sie ließ sich nicht einschüchtern. Niemals. Aufgeben war keine Option. Weder beruflich noch privat. In den Jahren, die vergangen waren, hatte sie zahlreiche neue Freundschaften geknüpft… doch die einzigen, von denen sie sich verstanden fühlte, blieben nach wie vor Sonoko –die sich als echte Freundin erwiesen hatte-, Kazuha, Heiji, der Professor und Shiho, sowie seine Eltern, die Kudôs- die nach dem Verschwinden ihres Sohnes nicht mehr die gleichen waren. Tatsächlich… waren sie irgendwie noch seltsamer geworden, in den letzten Jahren. Es gab eindeutige Anzeichen, dass sie sich verändert hatten… sie waren irgendwie… verschlossener geworden. Ran hatte schon oft darüber nachgegrübelt, und wenn sie es so recht bedachte, hatte diese Veränderung wohl vor zwei Jahren stattgefunden. Die beiden waren in New York gewesen, weil Yusaku sein neues Buch an einer Universität vorgestellt hatte, daran konnte sie sich noch genau erinnern. Sie selbst hatte auch ein Exemplar geschenkt bekommen… das Buch für Shinichi. Sie waren also in New York gewesen, ein paar Tage nur – und als sie zurückgekehrt waren, waren sie irgendwie anders gewesen. Wie ausgewechselt. Sie benahmen sich seltsam zurückhaltend ihr gegenüber. Gut, Yusaku hatte schon immer nicht sehr viel geredet, aber Yukiko, die sie bisher mit aller Herzlichkeit wie ihre eigene Tochter behandelt hatte, wich ihr aus. Scheute oft sogar den Blickkontakt. Manchmal hatte Ran direkt das Gefühl, die beiden hätten ihr gegenüber wegen irgendetwas ein schlechtes Gewissen. Weshalb auch immer. Zusätzlich waren die beiden bei weitem nicht mehr so oft in Tokio wie vorher. Warum? Verheimlicht ihr mir etwas? Wenn ja, was? Und wieso? Hatte es vielleicht etwas mit Shinichi zu tun? Sie hatten ihn doch nicht etwa gefunden? Ran legte die Stirn in Falten. Nein, das war doch absurd. Sie hätten ihr das doch sicher gesagt. Sicher. Oder etwa nicht? Ach Ran, hör auf damit. Ihn irgendwo auf diesem Erdball zu finden gleicht nicht etwa der Suche einer Nadel in einem Heuhaufen, sondern der Suche einer Nadel in einem Heulager mit hunderten von Heuhaufen... Das war doch der Sinn des Zeugenschutzprogramms… dass man ihn nicht fand. Shinichi… Sie war ihm treu geblieben. Immer. Und das, obwohl ein paar der Männer, die Interesse gezeigt hatten, und die sie abgewiesen hatte, durchaus ehrliche Absichten gehabt hatten. Die Sorte Männer, die ihr Shinichi wohl empfohlen hatte, als er gemeint hatte, er würde es verstehen, wenn sie ihr Leben ohne ihn lebte. Alles was sie gemacht hatte, war einen Korb nach dem anderen zu verteilen… etwas, das sie immer noch machte. Körbe verteilen. Sie wollte keinen anderen. Sie wollte nur ihn. Immer noch… nur ihn. Shinichi… Das Papier knisterte in ihrer Hand, als sie zu fest zudrückte und holte sie aus ihren Gedanken. In all der Zeit hatte sie sich nicht getraut, das Kuvert zu öffnen. Es nicht gewagt, den Umschlag aufzuschneiden, aufzureißen, um nachzusehen, was drin war. Sie wollte dieses letzte Geheimnis, das er ihr hinterlassen hatte, nicht zerstören. Heute jedoch… Sie befühlte den Umschlag… er war an einer Stelle ausgebeult. Heute schien der richtige Tag zu sein. Sie wusste selbst nicht, warum sie zum Brieföffner griff. Die Akte, die sie eigentlich gesucht hatte, war mittlerweile total vergessen. Ran atmete tief durch, setzte das Messerchen an und zog die scharfe Klinge langsam, genussvoll durchs Papier. Hörte das Geräusch von reißendem Papier, sah winzige Papierfasern wie Staub an den Schnittkanten aufwirbeln. Dann war er offen. Ran schloss die Augen, steckte die Hand in den Umschlag und holte zwei Dinge heraus. Das eine war ein Brief. Das zweite ein kleines, in Packpapier gewickeltes Päckchen. Entschuldige die Verpackung stand drauf. Ran grinste. Typisch Shinichi. Dann zog sie die Klebestreifen ab und packte es langsam aus. Sie zelebrierte es fast; sie wollte es nicht einfach aufmachen und sehen, was drin war… sie wollte ihm ihre Wertschätzung zeigen, indem sie nichts übereilte, aus jedem Moment einen wichtigen Moment machte… Hervor kam ein weiteres, in dunkelblauen Samt geschlagenes, mit einer goldfarbenen Schleife zugebundenes Päckchen. Sie zog die Schleife auf, die er mal zugebunden haben musste… und der Samt fiel auseinander. Drin lag ein Ring. Ein silberner Ring, filigran gearbeitet, mit einem kleinen blauen Stein verziert. Ran merkte, wie ihr wieder die Tränen in die Augen stiegen. Ein leiser Schluchzer entrang sich ihrer Brust, als sie die Gravur bemerkte, die in der Innenseite zu sehen war. Für immer. Shinichi Sie probierte ihn an. Er passte wie angegossen. Dann faltete sie den Brief auseinander und brach, noch während sie las, in Tränen aus. Eine Stunde später, als Sonoko und Shiho sie zur Mittagspause abholen wollten, saß sie mit schwer verheulten Augen in ihrem Stuhl, den Brief immer noch in der Hand. Sie hatte ihn gelesen, gelesen, gelesen, immer und immer wieder… gelesen… Mittlerweile wusste sie jedes Wort auswendig. Sie hatten geklopft und waren ohne auf eine Antwort zu warten eingetreten. Shiho hatte sich erneut geweigert, ins Zeugenschutzprogramm zu gehen; lediglich ihren Namen hatte sie ändern lassen, sich eine Brille zugelegt und ihre Haare trug sie jetzt braun, ihre einzigen Zugeständnisse an die Tatsache, dass auch sie auf der Abschussliste der Schwarzen Organisation stand. Sie hatte damals die Wahl gehabt- für sie konnte kein Vormund mehr entscheiden, sie war volljährig. Er nicht. Die erste Zeit war nicht leicht gewesen für sie- er war der beste Freund gewesen, den sie jemals gehabt hatte, sich nicht einmal von ihm verabschiedet zu haben -dass er sich nicht von ihr verabschiedet hatte- hatte sie schon getroffen. Gezeigt hatte sie ihre Trauer über diese Tatsache und seinen Verlust nie, sie hatte es hingenommen, akzeptiert. Denn sie hatte stark sein wollen. Stark für Ran, die zu der Zeit eine Freundin gebraucht hatte- jede Freundin dringend gebraucht hatte, die sie kriegen konnte. Geteiltes Leid war halbes Leid. Nun stand sie in der Tür, starrte die junge Anwältin an. „Mein Gott, Ran, was ist denn los?“ Sie kam beunruhigt näher, Sonoko dicht auf ihren Fersen. Dann bemerkte sie das Foto. Und den Umschlag. Und schließlich auch den Brief in ihren Händen. Ein zaghaftes Lächeln breitete sich über ihr Gesicht aus. Ran lächelte sanft zurück. Dann kramte Shiho ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und reichte es ihr. Ran dankte leise und begann sich die Tränen wegzutupfen. Währenddessen ließen sich Sonoko und Shiho in die Besucherstühle ihr gegenüber fallen. „Also hast du ihn endlich gelesen. Das wurde Zeit, meine Liebe.“, bemekrte Shiho. Sonoko, die jetzt erst geschnallt hatte, worum es ging, fuhr wie von der Tarantel gestochen hoch, ließ sich allerdings gleich wieder langsam in den Stuhl zurücksinken und streichelte ihren dicken Bauch. „Entschuldige... Meine Güte, bin ich froh, wenn du endlich da bist.“, murmelte sie leise und seufzte. Dann beugte sie sich neugierig nach vorn, schenkte ihre Aufmerksamkeit wieder Ran. „Du hast ihn gelesen? Wie jetzt? Wir reden schon von dem Brief, oder?“ Ran nickte. „Stand was Nettes drin?“, fragte Shiho lächelnd. Ran nickte erneut und seufzte, dann warf sie einen letzten, liebevollen Blick auf das Schreiben, faltete es sorgfältig zusammen und steckte es zusammen mit dem Samttuch, dem Packpapier und der Schleife wieder in den Umschlag. „Was war da drin?“, fragte Sonoko wissbegierig. „In dem Samttuch? Was war da drin?“ Ran hob die Hand. Sonoko und Shiho beugten sich vor. „Ein schönes Stück.“, murmelte Shiho. Sonokos Augen weiteten sich. „Hat er dir in dem Brief etwa einen Antrag gemacht?!“ Shiho und Ran schüttelten ihre Köpfe gleichzeitig. „Nein, das hätte er nicht gemacht. Er hätte nie von ihr verlangt, sich an ihn zu binden, wo er doch nicht wusste, oder weiß, wann und ob er jemals wiederkommt.“, erklärte die brünette Forscherin. Ran seufzte und neigte den Kopf, deutete ein Nicken an. Dann glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. „Aber dennoch… bedeutet mir das sehr viel. Sehr, sehr viel.“, flüsterte sie leise. Gedankenverloren wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie dachte an die Gravur. Für immer. Shinichi Dachte er so noch immer? Oh bitte, ja. Ich weiß, ich bin egoistisch, aber bitte, lass es so sein. Sonoko nahm das Foto in die Hand und grinste. „Ach… mein Gott, ist das lang her. Man muss zugeben, er hat schon verdammt gut ausgesehen. Wo hast du denn die anderen?“ Ihr Grinsen wurde noch breiter. Ran wurde rot. Shiho schaute von der einen zur anderen und zog die Augenbrauen hoch. „Welche anderen?“ „Die, auf denen ich die zwei beim…“ „Sonoko!“ Rans Hautfarbe glich einer sonnengereiften Tomate. Verschämt zog sie den Kopf zwischen die Schultern, hielt sich die Hand über die Augen und lugte zögernd zwischen ihren Fingern hervor. „…Küssen erwischt hab. Uhhh… kuck mal wie rot sie wird.“ Sonoko freute sich diebisch, das sah man ihr an. Auch die sonst eher ernste Shiho grinste. „Echt, so was gibt’s? Wie interessant… die muss ich mir bei Gelegenheit auch mal ankucken. Hat er sie gesehen?“ Ran wurde auf einen Schlag wieder bleich. „Nein.“, wisperte sie. „Er war nicht mehr lange genug da, um sie zu sehen.“ Sie starrte Sonoko und Shiho an. Ein Hauch von Verzweiflung lag in ihrem Gesicht. „Seid ehrlich, klammere ich mich an einen Strohhalm, wenn ich hoffe, dass er zu mir zurückkommt? Nach all der Zeit? Kann er da noch an mich denken, mich immer noch so lieben, wie er’s damals getan hat? Vermisst er mich so, wie ich ihn vermisse…? Sagt mir, bitte… hoffe ich umsonst? Mach ich mich lächerlich, mach ich mir selbst was vor…?“ Sonoko stellte das Foto wieder hin und schüttelte bestimmt den Kopf. „Nein, Ran. Und Nein, nein, nein. Ich bin mir sicher, er kommt wieder. Ich weiß, die Zeit muss unerträglich lang für dich sein, ich seh’s dir an, wie sehr er dir fehlt, aber irgendwann kommt er wieder, ganz bestimmt. Und ich bin mir sicher, er liebt dich immer noch. Wo auch immer er jetzt ist, was auch immer er gerade macht, wie auch immer es ihm geht, ich bin mir sicher, es vergeht kein Tag, an dem er nicht an dich denkt, an dem er sich nicht nach dir sehnt, so wie du dich nach ihm. So etwas wie die Liebe, die dich und Shinichi verband, gibt es nicht oft. So eine Verbindung lässt sich nicht so einfach durch räumliche oder zeitliche Trennung kappen. Nicht war Shiho?“ Shiho nickte zustimmend. „Da hat sie völlig Recht, Ran. Er hat sich noch durch nichts aufhalten lassen, um wieder zu dir zurückzukommen. Und er wird sich auch diesmal nicht aufhalten lassen. Nicht auf ewig zumindest. Du darfst ihn nur nie in Frage stellen. Zweifle nie an dem, was ihr habt. Zweifle nie an ihm.“ Ran nickte, drehte sich um und starrte aus dem Fenster. Fast konnte sie sein Gesicht sehen. Hoffentlich geht es dir gut, wo auch immer du bist. Und hoffentlich kommst du bald wieder. Bitte… bitte… ich liebe dich. „Also, wohin gehen wir essen? Wir beide haben langsam Hunger“, fragte Sonoko und strich sich lächelnd über ihren Babybauch. Ran wandte sich wieder um und auch ihr huschte nun ein Lächeln übers Gesicht. „Sucht euch was aus.“ Er hatte die Schnauze voll. Gestrichen voll. Nicht nur, dass es den ganzen Tag schon goss wie aus Kübeln, ihm eine Windböe seinen Regenschirm umgestülpt und dadurch unbrauchbar gemacht hatte, er deswegen jetzt immer nasser wurde und ihm nichts anderes übrig blieb, als mit gesenktem Kopf durch die Straßen New Yorks nach Hause zu hasten, nein… Vorgestern Morgen war die Heizung ausgefallen. Nur der liebe Gott allein wusste, wann der Heizungstechniker endlich kam – und ihn damit wieder in den Genuss warmen Wassers brachte. Gestern Abend hatte ihm ein netter, neuer Internetvirus seine Festplatte gelöscht, was einem Super-GAU gleichkam; all seine Arbeiten, seine Skripts, Dokumentationen und Mitschriften waren weg. Gut, ein paar hatte er noch handschriftlich, aber das meiste würde er sich wieder zusammensuchen müssen. Und heute war… heute war ein Mistwetter und… Jahrestag. Jahrestag. Heute jährte es sich… zum siebten Mal. Ran… Sag, Ran… denkst du noch daran? Denkst du noch… an mich? Er seufzte. Er hatte es satt. So satt. Dieser Zustand war noch schlimmer als Conan es je hätte sein können. Diese Machtlosigkeit, diese Unwissenheit machten ihn verrückt. Nicht mehr lange und er drehte durch hier. Seit der Sache mit Vodka waren jetzt zwei Jahre vergangen. Zwei Jahre, in denen nichts passiert war. Nichts. Er hatte dem FBI selbstredend nichts gesagt. Nichts über Vodka… und auch nichts über die Tatsache, dass er von seinen Eltern gefunden worden war, denn das hätte wohl zweifelsohne dazu geführt, dass man ihn umsiedeln hätte müssen, und er hatte nach wie vor keine Lust auf eine weitere, neue Identität… außerdem… die sagten ihm doch auch nichts, da sah er gar nicht ein, sie über was auch immer zu informieren. Nein. Er lächelte bitter. Nicht ein einziges Mal in sieben Jahren hatten sie sich bei ihm gemeldet, diese... Ein Lastwagen fuhr an ihm vorbei und bedachte ihn mit einem Schauer aus eiskalten Wassertropfen. Shinichi holte tief Luft und fing an lautstark zu fluchen. Das hier war ein Alptraum. Er hätte heute im Bett bleiben sollen, verdammt. Einfach nicht aufstehen. Umdrehen und weiterschlafen. Was, zur Hölle, hatte er denn angestellt um das zu verdienen?! WAS? Er stöhnte frustriert auf, schüttelte seine Ärmel, von denen das Wasser troff, während seine Gedanken langsam abdrifteten… Seine Eltern… sie hatten ihn wie versprochen, nicht mehr besucht. Das eine Mal hatte schon gereicht. Er hatte noch tagelang an nichts anderes gedacht, als an dieses kurze Treffen. Der ganze Trennungsschmerz, den er bis dato verdrängt hatte, hatte sich mit voller Wucht zurückgemeldet, es war… war fast unerträglich gewesen. Tagelang hatte er nicht gewusst, wie er jetzt weitermachen sollte. Wie er sein Leben weiterführen sollte, jetzt, wo ihm auf einmal wieder so schmerzlich bewusst war, was ihm fehlte… was man ihm genommen hatte… Und… nicht zu vergessen, hatte sein Vater die Bemerkung geäußert, dass er befürchte, beschattet zu werden. In dem Fall war es ohnehin vernünftiger, ihn nicht mehr zu sehen, um seine Feinde letzten Endes nicht doch noch zu ihm zu führen. Das Buch… er hatte nicht nur einmal, sondern dreimal hintereinander gelesen… insgesamt jetzt wohl an die sechs Mal. Es hatte ihm wirklich gefallen. Er musste zugeben, sein Vater hatte seine Sache bei diesem Roman wirklich gut gemacht. Shinichi seufzte. Er fragte sich, ob sie das andere Versprechen, dass er ihnen abgenötigt hatte, auch gehalten hatten. Nämlich, Ran nichts zu sagen. Er konnte sich noch gut an das Gesicht seiner Mutter erinnern. Sie hatte ihn nur angestarrt, mit einem Ausdruck tiefster Verständnislosigkeit auf dem Gesicht. Bis er seine Gründe erklärt hatte. Der erste war, dass er nicht wollte, dass sie auf die Idee kam, ihn zu besuchen. Dies wiederum war von zwei Punkten her gesehen nicht… vernünftig. Was für ein dummes Wort. Vernünftig. Vernünftig, vernünftig, vernünftig… Punkt a war, weil er nicht wollte, dass sie sich mit einem Treffen gegenseitig schadeten. Wenn sie ihn immer noch so liebte wie er sie, dann würde ihr das nur wehtun, und ihm auch… Es würde furchtbar wehtun, weil sie doch beide wussten, dass dies nichts auf Dauer sein könnte, dass sie nicht zusammen bleiben konnten – der Schmerz nach einer neuerlichen Trennung würde kaum auszuhalten sein. Punkt b war, dass es besser war, sie blieb wo sie war, um nicht eventuell Verfolger auf seine Spur zu locken und sich damit auch selbst zu gefährden. Die Geschichte mit der Erpressbarkeit seiner Person, wieder einmal. Und… was am allerwichtigsten war… Er wollte doch, dass sie glücklich war. Wüsste sie, wo er war, dass er sie immer noch so sehr liebte, dann würde sie höchstwahrscheinlich warten… bis er zurückkam. Und wenn das niemals eintraf, wäre ihr wohl auch egal. Sie würde warten… Wenn nötig sogar ihr ganzes Leben lang, er traute ihr das durchaus zu. Sie würde ihr Leben verschwenden… und das wollte er nicht. Er wollte, dass sie all das hatte, was sie sich wünschte, eine Familie… Einen Mann, der für sie da war, immer für sie da war, Kinder, die sie liebten… Und wenn sie ihn dafür vergessen müsste, dann… musste es wohl so sein. Der Gedanke, dass er dieser Mann nicht sein würde, und dass ihre Kinder nicht von ihm wären, schmerzte zwar… unwahrscheinlich sogar. Tat unglaublich weh… Aber er durfte, verdammt noch, mal nicht so egoistisch sein. Auch wenn ihm dabei die Luft wegblieb. Auch wenn er eigentlich wollte, wirklich wollte, dass sie auf ihn wartete. Dieser Zustand konnte doch nicht für immer sein. Bitte… Er wollte doch, dass sie noch da war, für ihn da war, wenn er wiederkam. Er wollte der Mann sein, ihr Mann, er wollte für sie da sein, der Vater ihrer Kinder sein… Er wollte mit ihr eine Familie gründen, bis an sein Lebensende mit ihr zusammen sein… Shinichi biss sich auf die Lippen. Theoretisch könnte diese Überlegung ja ohnehin schon zwecklos sein, weil sie ihn vielleicht ernst genommen hatte, damals am Flughafen, und einen anderen hatte. Sie hätte es verdient. Er sollte sich freuen, wenn es so war. Ich sollte mich freuen… Er nieste, schlug den Kragen seines Mantels wieder hoch, den ihm der Wind runtergeklappt hatte und stemmte sich gegen den Wind. Er war jetzt schon tropfnass. Keine fünf Minuten waren vergangen und er war fast bis auf die Haut durchnässt. Unwillig schob er den Trageriemen seiner Tasche wieder weiter auf die Schulter und strich sich eine nasse Haarsträhne aus den Augen, bevor er seine Hand wieder in die Manteltasche steckte. Ein Scheißtag. Ihn fröstelte. Er hob kurz den Kopf. New Yorks Straßen waren verhältnismäßig leer. Die einzigen, die noch draußen waren, eilten versteckt unter ihren Regenschirmen die Gehsteige entlang. Wasser spritzte hoch, wenn jemand in eine Pfütze stieg, gelegentlich begleitet von einem mehr oder weniger leisen Schimpfen und Zetern. Keiner, der nicht musste, hielt sich bei diesem Dreckswetter draußen auf. Er wollte gerade wieder mit der Beobachtung des Bodens vor seinem Füßen fortfahren, als ihm eine Person ins Auge fiel und seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Shinichi hielt inne. Der Mann stand ebenfalls ohne Schirm im Regen und schaute nur gelegentlich auf seine Armbanduhr. Er schien auf jemanden zu warten. Das Haar klebte ihm in der Stirn, von seinen Ärmeln tropfte das Wasser. Aber er schien sich nicht daran zu stören. Shinichi blinzelte. Was für ein Zufall. Ohne Hast näherte er sich dem Wartenden. Dann tippte er ihm von hinten auf die Schulter. „Buh.“ Akai drehte sich um. „Sieh sich mal an, wen wir da haben.“, bemerkte er kühl. Shinichi schaute ihn skeptisch an. „Tja. Wenn das mal nicht mein Lieblings-FBI-Agent ist. Und, was macht die Kunst?“ Akai grinste humorlos. „Ich denke nicht, dass dich das was angeht.“ Er wandte sich wieder ab, schaute den Regentropfen beim Fallen zu, wie es schien. Shinichi drehte den Kopf weg und räusperte sich. „Wenn ich Sie fragen würde, wie weit ihr seid, würden Sie mir eine Antwort geben?“ „Nein.“ Shinichi seufzte frustriert, wollte schon fast wieder gehen, als... „Wie geht es dir?“ Shinichi glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. Shuichi Akai, seines Zeichens der große Schweiger des FBI, fragte ihn, wie es ihm ging? „Ist das jetzt eine rhetorische Frage?“ Akai schüttelte den Kopf. Shinichi schaute ihn schräg an. „Nun, bestens. Ich befolge brav Ihre Anweisungen. Ich benehme mich wie ein Amerikaner wenn ich vor Publikum bin, ich lass mich nicht fotografieren, ich hab keinem gesagt, wer ich wirklich bin und halte meine Nase schön aus allem heraus, was auch nur ansatzweise nach Verbrechen riecht, so gut es geht… Kurz gesagt, ich bin nicht mal ansatzweise der, der ich sein will. Oder der, der ich mal war.“ Seine Stimme triefte vor Zynismus. „Du bist frustriert.“, stellte Akai fest, immer noch, ohne ihn anzusehen. Shinichi schnaubte. „Ach, wie kommen Sie darauf. Nein, nicht doch. Ich bin nicht frustriert. Ich bin ja nur seit sieben Jahren nicht mehr daheim gewesen, ich weiß nicht, wie es meiner Familie“, er schluckte bei dem Gedanken an seine Eltern, „geht und meinen Freunden und…“ „Ran?“ Shinichi biss sich auf die Lippen. „Ich will Antworten. Ich will wissen, ob das hier überhaupt einen Sinn macht. Oder ob ich mir das völlig umsonst antue.“ „Nun, du lebst doch noch. Das war doch der Sinn der Sache.“ Akai schaute ihn nun endlich wieder an. Shinichi lachte bitter auf. „Ja, klar. Sehr tröstlich. Ich lebe noch.“ Er holte tief Luft. „Wissen Sie, dass gerade diese Tatsache mich momentan am allerwenigsten interessiert?!“ Seine Stimme war während der letzten Worte immer lauter geworden. Er drehte den Kopf und starrte den FBI-Beamten wütend an. „Ich will wissen, ob die anderen noch leben. Die Môris, Heiji, Kazuha, der Professor und Shiho, meine Eltern…“ Er wurde leise. In zwei Jahren konnte viel passieren. „… und… Ran… Ich will wissen, wie es ihnen geht. Ob sie noch an mich denken. Ob sie mich auch nur ansatzweise so sehr vermissen, wie ich sie. Ob ich irgendwann wieder zu ihnen zurückkann. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an sie denke, mir nicht mein altes Leben zurückwünsche, mich nicht immer noch so entwurzelt, so zerrissen vorkomme wie am ersten Tag hier, also sagen Sie mir jetzt, bitte, bitte, wie weit seid ihr damit, den Rest der Organisation dingfest zu machen? Wie lange geht das noch so? Ich hasse es, ich hasse dieses Leben, in dem nichts, aber schon rein gar nichts so läuft, wie ich es mir vorgestellt hatte, und ich will jetzt verdammt noch mal wissen, ob sich daran noch mal was ändert, denn sonst…“ „Sonst was…?“ Er starrte Shinichi in die Augen, ohne zu blinzeln. „Drohst du mir?“ Shinichi blickte ihn entschlossen an. „Ganz richtig. Ich drohe Ihnen. Und zwar damit, die Sache allein in die Hand zu nehmen, wenn ihr offensichtlich nicht in der Lage seid, irgendeine Veränderung in der Sache zu bewirken.“ „Das wagst du nicht.“, knurrte Akai leise. „Und ob ich das tue.“, flüsterte Shinichi herausfordernd. Eine Zeitlang sahen sie sich nur schweigend an. Schließlich war es Akai, der das Wort wieder ergriff. Als er sprach, schwang ein leicht drohender Unterton in seiner Stimme mit. „Sag mal, Shigeru… du hast in letzter Zeit nicht zufällig etwas von ihnen gehört… Von unseren lieben Freunden?“ Shinichi blinzelte und wandte den Kopf ab. „Definieren Sie ’in letzter Zeit’...“ Wie viel weißt du? „Nun… als wir gestern mal unsere Kollegen vom NYPD besucht haben, haben die uns einen ganz seltsamen Fall vorgelegt… vor zwei Jahren wurde die Leiche eines ganz in Schwarz gekleideten Mannes im U-Bahnschacht auf der Strecke gefunden, die du wohl genommen haben musst, wenn du von zuhause aus an die Uni gefahren bist. Er war erschossen worden. Eine Identifizierung durch eine FBI-Agentin ergab, dass es sich bei dem Toten um Vodka handelte, bürgerlicher Name Saboro Uosuka. Ein junger Mann gab laut Protokoll zudem an, du wärst am Tatort gewesen. Hättest der Polizei den Tipp gegeben, dass es sich bei dem angenommenen Selbstmord eines jungen Mädchens, das kurz zuvor von einer U-Bahn erfasst worden war, um Mord handeln könnte. Hab ich jetzt deinem Gedächtnis genügend auf die Sprünge geholfen?“ Stuart. Ach du Scheiße, den hab ich ja total vergessen… Shinichi atmete tief ein. „Also, weißt du was?“ Akai packte ihn an der Schulter und drehte ihn herum. Shinichi hob seinen Kopf, schaute in kühl an. Akai starrte mit seinen blauen Augen forschend zurück, ohne zu blinzeln. „Ich hab ihn nicht erschossen.“, antwortete Shinichi schließlich. Abstreiten brachte nichts, aber über seinen Eltern würde er nichts sagen. Das gab bestimmt nur Ärger. Der FBI-Beamte sog scharf die Luft ein, Wut spiegelte sich auf seinem Gesicht. „Weißt du, was du damit hättest anrichten können, du hirnverbrannter Vollidiot?! Deine Identität hätte auffliegen können! Ich hab dir gesagt, halt dich da raus, misch dich nicht ein, ich hab dir gesagt…“ „Er hat mich einsteigen sehen. Er war es, der die Kleine vor den Zug gestoßen hat, damit ich ihm nicht entkomme! Ich hatte keine Wahl, als mir etwas einfallen zu lassen… mich einzumischen... Ich konnte nicht weg, das Gleis war abgeriegelt, verdammt, wo seid ihr denn, wenn man euch mal braucht?!? Was hätte ich den tun sollen, Ihrer Meinung nach? Also maulen Sie mich gefälligst nicht an, wenn ich versuche, am Leben zu bleiben, wo das doch offensichtlich euer Hauptziel ist hier!“ Shinichi war wieder laut geworden. Er hatte es satt, sich immer diese Vorwürfe anhören zu müssen… sich ewig Vorschriften lassen machen zu dürfen. Akai schaute ihn eine Weile wortlos an. Shinichi hatte die Hände in seinen Taschen zu Fäusten geballt. Er kochte vor Wut. „Warum hast du uns nicht informiert?“, fragte der FBI-Agent schließlich sachlich. Er beherrschte sich nur mühsam, Shinichi konnte ihm das ansehen. „Ihr informiert mich doch auch nicht.“, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen. „Das ist kein Grund…“, ereiferte sich der FBI-Agent. „Für mich schon.“, konterte Shinichi. „Verdammt noch mal, du elender Sturkopf, du hättest es uns sagen müssen, wir hätten überprüfen müssen ob wir dir eine neue Identität-“ „ICH WILL ABER VERDAMMT NOCHMAL KEINE NEUE IDENTITÄT! WOLLTE ICH NIE UND WILL ICH AUCH JETZT NICHT!“ Shinichi atmete heftig. Er war aufgebracht, ihm war heiß und trotz der Tatsache, dass seine Kleidung nasskalt und klamm an ihm klebte, seine Hände zitterten, trat ihm der Schweiß auf die Stirn… Er hatte es satt… Akai schüttelte den Kopf. Er konnte ihn ja verstehen. Es musste die Hölle auf Erden für ihn sein. Er hatte ihm gerade eben deutlich genug zu verstehen gegeben, wie sehr er sein Leben im Moment hasste. Er seufzte. „Na schön. Schön. Da offensichtlich alles noch mal gut gegangen ist, lassen wir das.“ Er strich sich seine tropfnassen, schwarzen Haare nach hinten und warf Shinichi einen Blick aus den Augenwinkeln zu. „Vier fehlen noch. Und dafür, dass ich dir das sage, hältst du dich jetzt endlich da raus, haben wir uns?!“ Shinichi schluckte und schaute kurz zu Boden. Vier also. „Welche vier?“, fragte er und schaute wieder auf, stellte allerdings fest, dass Akai seine Aufmerksamkeit etwas anderem schenkte. Jemand anderem, um genau zu sein. Shinichi wandte den Kopf nach links, um seinem Blick zu folgen. Eine Frau, mit einem magmaroten Mantel bekleidet, eilte auf sie zu, was ihr einigermaßen schwer viel, und zwar einerseits durch ihre schwarzen, hochhackigen Lederstiefel, die sie trug und andererseits, weil sie mit beiden Händen den großen Schirm festhalten musste, auf dem ein großer Apfel prangte. Ein typischer Souvenirschirm für Touristen. Die Frau drückte Akai den Schirm in die Hände und umarmte Shinichi fest. „Hey! Cool guy, wie schön, dich zu sehen!“ Sie strahlte ihn fröhlich an. Erst jetzt erkannte der, um wen es sich handelte. Der Schirm hatte zuvor ihr Gesicht vollständig bedeckt. „Hi Jodie.“ Er lächelte höflich, wandte sich dann wieder zu Akai um, um ihn seine Frage noch mal zu stellen, allerdings… Bei dem Anblick, den der jetzt bot, mit dem Big Apple Schirm in der Hand, hatte er damit zu tun, ein breites Grinsen zu unterdrücken. Akai starrte ihn kalt an. „Wag. Es. Ja. Nicht.“ Dann wandte er sich seiner Partnerin zu. „Jodie? Was soll das?“ Er rüttelte ärgerlich am Schirm, wobei viele kleine Wassertropfen auf Shinichi herunterprasselten. Der warf ihm einen wütenden Blick zu. „Tut mir Leid, Shuichi, darling, aber einen anderen Schirm gab es nicht mehr zu kaufen. Und ich weiß gar nicht, was du hast.“ Sie nahm ihm den Schirm ab und hielt ihn über sich und Shinichi. „Und jetzt erzähl mal, Shinichi, was hast du in den letzten Jahren so gemacht?“ „Jodie, wir sind nicht zum Quatschen hier!“, bemerkte Akai bissig, bevor Shinichi auch nur den Mund öffnen konnte. „Und überhaupt, was denkst du, ihn so zu nennen, auf offener Straße? Was, wenn dich jemand hört?“ Jodie Starling lächelte ironisch. „Shuichi, my dear, wenn mir keiner sagt, wie ihr ihn genannt habt, wie soll ich ihn denn anders anreden? Und außerdem ist bei diesem Wetter sowieso keiner unterwegs. Und glaub mir, sie geht bei diesem Regen erst recht nicht außer Haus. It’s raining cats and dogs here!“ „Vermouth?“ Jodie und Akai starrten Shinichi an. Der blinzelte einen Regentropfen weg, der ihm aus den Haaren auf die Wimpern getropft war. „Reden Sie von ihr, ist sie hier? Vermouth?“ Jodie zuckte mit den Schultern. „Um ehrlich zu sein, das wissen wir nicht. Wir haben Hinweise, dass sie sich in den Staaten aufhalten soll, aber wo genau, weiß niemand… deswegen untersucht das FBI gerade jede amerikanische Großstadt, die infrage kommen könnte, aber es muss nicht New York sein. Wir sind nur hier, um dieser Vermutung nachzugehen, aber bis jetzt gibt es noch keine Spur von ihr.“ Sie seufzte. Shinichi schaute auf den Boden. „Kopf hoch. Das wird schon noch.“ Er jedoch schüttelte den Kopf. „Sieben Jahre, Jodie. Sieben Jahre, in denen sie euch immer und immer wieder entkommen ist. Wer sagt euch, dass das nicht noch sehr, sehr viel länger so weitergeht?“ „Weil ich das nicht zulassen werde. Ich hab mit der bitch auch noch ein Hühnchen zu rupfen, schon vergessen?“ Sie starrte mit einem Ausdruck grimmiger Entschlossenheit auf die Hausmauer gegenüber. „Ich krieg sie noch. Sie kann sich nicht ewig vor mir verstecken…“ Shinichi schaute sie nur traurig an. „Wissen Sie auch schon, wann ungefähr das sein wird?“ Jodie, die gerade damit angefangen hatte, sich das Wasser mit ihren Fingern aus ihren Haaren zu ziehen, schaute ihn mitfühlend an. „Du vermisst sie sehr, nicht wahr? Ran? Liebst du sie denn immer noch?“ „Immer noch… und für immer.“, murmelte er leise, den Blick auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. Er schwieg kurz, bedachte seine Worte, bevor er sich der FBI-Agentin wieder zuwandte. „Ich vermisse sie jeden Tag, Jodie. Nach all der langen Zeit immer noch genauso wie am Tag nach meiner Abreise. Sie fehlt mir. Einerseits habe ich Angst, dass sie…“, er seufzte gequält. „Dass wir uns voneinander entfernt haben. Auseinander gelebt haben. Dass sie… sie eine neue Liebe gefunden hat. Ich weiß, ich sollte für sie glücklich sein, wenn es so wäre… Ich sollte mich freuen für sie, wenn sie jemanden gefunden hat, der für sie da ist, wo ich es doch nicht sein kann. Ich wünsche es mir für sie. Ich wünsche ihr ein schönes Leben. Wirklich. Aber andererseits tut das weh, weil ich weiß, dass ich… Dass ich dann allein sein werde, noch einsamer als jetzt schon, weil ich dann nicht einmal mehr hoffen kann... Denn ich werde niemals eine Frau finden, die an Ran herankommt. Für die ich auch nur annähernd dasselbe empfinden könnte wie für sie. Ich weiß, es klingt kitschig, aber ich brauche sie, brauche sie ebenso wie die Luft zum Atmen. Ich… es ist kaum auszuhalten, nicht zu wissen, was kommt, wie es ihr geht, ob wir überhaupt noch eine Zukunft haben… ich bin ein egozentrischer Mistkerl, ich weiß…“ Jodie legte ihm ihre Hand auf seinen tropfnassen Arm und drückte ihn kurz. „Nein, das bist du nicht. Und noch wartest du nicht umsonst.“, wisperte sie. Er starrte sie an. „Woher wollen Sie das wissen?“ Sie zuckte mit den Schultern und lächelte. „A secret makes a woman woman, cool guy.“ Er verdrehte die Augen. „Der Satz nervt. Ernsthaft.“ „Da geb’ ich dir ausnahmsweise mal Recht.“, grollte Shuichi. „Und wenn ihr beide euer Schwätzchen jetzt beendet habt, dann würde ich vorschlagen, Jodie, wir gehen jetzt. Wir haben einen Auftrag. Und du…“ Er wandte sich an Shinichi. „Wir arbeiten dran. Vertrau uns, wir werden sie kriegen. Ich weiß, es ist frustrierend für dich, gerade für dich, der du selber ein brillanter Ermittler wärst. Ein junger Mann, der immer voller Tatendrang, voller Ungeduld ist und nahezu wahnsinnig wird, wenn er weiß, dass ihm die Hände gebunden sind. Aber ich bitte dich, halt den Kopf unten und misch dich nicht ein. Nicht noch einmal. Das nächste Mal geht es vielleicht nicht so glimpflich aus. Pass auf dich auf, damit du noch lebst, wenn der Tag deiner Rückkehr kommt. Versprich mir, dass du sie nicht suchen wirst.“ Shinichi wandte den Kopf ab. Wasser tropfte von seiner Nase. „Versprich es mir.“ „Ich kann… ich kann das nicht…“ „Versprich es mir!“ Akai packte ihn an den Schultern und zwang ihn, ihm ins Gesicht zu sehen. „Versprich mir, dass du dich ab jetzt da raushalten wirst! Du wirst dich nie wieder mit denen anlegen, das ist Sache des FBI!“ Shinichi schluckte. Er kniff die Lippen zusammen, schaute in den Himmel, blinzelte, als ihm der Regen in die Augen tropfte und seufzte tief. „Also schön.“, wisperte er. „Gut. Vergiss es nicht.“ Damit zog der FBI-Agent seine Partnerin unter den Schirm und gemeinsam gingen sie die Straße hinunter, wo sie schon bald nur noch als verschwommene Schatten im Regen zu erkennen waren… bis sie dann ganz aus seinem Blickfeld verschwanden. Er stand noch lange da und schaute ihnen nach. Eine seltsame Unruhe erfasste ihn. Er drehte sich um, aber ihm fiel nichts Ungewöhnliches auf. Er seufzte laut und vergrub seine Hände in seinen Manteltaschen. Noch vier. Die elegant in Schwarz gekleidete blonde Frau, die im Schatten ihres ebenfalls pechschwarzen Schirms scheinbar in Gedanken versunken und absolut unauffällig in einer kleinen Galerie die Auslage eines Modehauses in der gleichen Straße begutachtet hatte, drückte sich kurz wieder um die Ecke, als er sich umgeschaut hatte. Ein amüsiertes Lächeln umspielte ihre Lippen. Also bist du doch hier… Sie zog ihr Handy aus ihrer Handtasche und wählte eine Nummer. Seine Nummer. „Er ist nicht in New York.“, sagte sie kurz angebunden, als sich ihr Gesprächspartner gemeldet hatte. Dann legte sie auf und steckte es wieder weg, entfernte sich langsam in die entgegen gesetzte Richtung. Sie würde Kudô bestimmt nicht an diesen Psychopathen Gin ausliefern. Nein. Bis jetzt lief alles nach ihren Plänen. Alle bis auf sie selbst, Chianti, Korn und Gin waren gefasst worden, und sie würde dafür sorgen, dass auch sie noch in ihre Falle tappten. Sie wollte die Organisation, wie sie bestand, zerstören… sie wollte Rache. All die Jahre, die sie sich den Befehlen der Oberen unterwerfen hatte müssen, all die Jahre, in denen sie gesehen hatte, was sie getan hatten… Dafür bezahlten sie jetzt. Er hatte damals ihre kühnsten Erwartungen noch übertroffen, als er vor nunmehr sieben Jahren die Organisation hatte hochgehen lassen. Dass damals nicht alle gefasst werden konnten, war nicht seine Schuld, und dennoch bezahlte er jetzt dafür einen hohen Preis. Einen verdammt hohen Preis. Und ganz nebenbei hatte er Vodka noch ausgelöscht, wie sie eben gehört hatte. Nicht schlecht. Dafür hatte er sich noch ein bisschen Lebenszeit verdient. Dafür hatte er einen besonderen, einen ehrenvolleren Tod verdient als den, den Gin für ihn bereithielt, dieser Wahnsinnige. Er hasste Kudô wie keinen Zweiten auf dieser Welt. Und dann… wenn der Zeitpunkt gekommen war… Dann würde sie ihn töten. So Leid es ihr auch tat. Sie wollte es eigentlich nicht, nicht nach allem, was er für sie getan hatte... Vermouth wollte ihn eigentlich nicht töten. All die Jahre hatte sie sich davor gedrückt, und all die Jahre hatte sie gewusst, irgendwann musste es sein. Er oder sie, denn… sie beide zur gleichen Zeit auf dieser Welt… das ging auf Dauer nicht gut. Es war zwar definitiv Schade um ihn, und ihr fiel das keinesfalls leicht, nach allem, was passiert war, was sie ihm verdankte… Aber sie konnte ihn nicht frei rumlaufen lassen, er war ihr Sargnagel. Er war ihr Untergang. Der einzige, den sie fürchtete. Der einzige, der ihr gewachsen war. Er hatte es oft genug bewiesen. Der einzige, von dem sie sicher war, dass er ihr ihr Ende bringen konnte… und würde. Shinichi Kudôs Wissen und Können waren viel zu groß, als dass sie ihn unterschätzen durfte. Und er war viel zu moralisch, um auf ihre Seite zu wechseln. Noch dazu war er schlauer, als die Polizei es erlaubte. Sie grinste bei dem Gedanken spöttisch. Wäre das FBI nicht so dumm oder arrogant oder auch beides, zu glauben, dass sie auch ohne ihn genauso schnell schaffen würden, sie alle festzunehmen, anstatt ihn um Mithilfe zu bitten… dann wären sie wahrscheinlich schon vor Jahren dingfest gemacht worden. Er war ein Meister seines Fachs. Ihn jetzt so zu sehen, wie er da im Regen stand, zum Warten und Nichtstun verdammt, ein Gefangener seiner selbst, berührte sie auf eine ganz eigenartige Art und Weise. Wahrscheinlich würde der Tod eine Erlösung für ihn sein. Er hasste doch sein Leben, wie es jetzt war, und solange sie frei war, würde er nicht zurückkönnen. Ja… Erlösung… Sie hielt inne, drehte sich um und schaute die tropfnasse Gestalt am anderen Ende der Straße fast mitfühlend an. „Dein Leben muss die Hölle sein für dich…“, murmelte sie leise. Jetzt, wo sie wusste, wo er war, konnte sie das alles viel entspannter angehen lassen. Er konnte hier nicht weg. Er würde hier bleiben müssen, gewissermaßen auf sie warten, bis sie wiederkam, ohne dass er sich dessen im Geringsten bewusst war. Sie lächelte ihm zu und beobachtete, wie er sich wieder auf den Weg machte. Bis bald... Silver bullet. Kapitel 8: Wermutstropfen ------------------------- Aloha! Na, was sagt ihr zu dem Titel? Einer der wenigen, die ich mal einigermaßen gut finde. Ich hab ewig überlegt, wie ich Kap sieben nenne, und mir fiel nichts besseres ein, aber dieser hier... war irgendwie sofort klar. Nun, Leute… wir sind jetzt noch drei Kapitel vom glorreichen Ende entfernt. Gut, ob’s glorreich ist, weiß ich nicht – aber Fakt ist, dies ist das vorvorletzte Kapitel. Was ich damit sagen will, ist folgendes: Setzt euch besser hin. Langsam geht's dem Höhepunkt entgegen. Für alle, die’s interessiert hat: in diesem Kap wird verraten, was er studiert hat… ich hab lange (laaaaaaaaange) überlegt und festgestellt, dass außer einer Karriere bei der Kriminalpolizei oder als Privatdetektiv wohl dieser Beruf noch nahe liegend wäre… unter den Umständen meiner Fic zumindest. So, Kilma, es kommt Aktion! Und deine Bratpfanne sollst du deswegen draußen lassen, weil ich Angst vor dem Ding hab- selbstverständlich kannst du damit Akai eine rüberbraten, aber nicht mir, bitte. Wenn du mir versprichst, sie an der Leine zu lassen, darfst du sie wieder mit reinbringen… *g* Mit Äpfeln wird hier auch nicht geworfen, oder der der wirft, bleibt hinterher zum Dreck wegputzen da! An dieser Stelle ein etwas verspätetes „Herzlich Willkommen“ an Anime-Wolf :) So. *TaschentücheraufdenTischlegt* Könnte sein, das manche die brauchen. Wenn nicht, is auch gut. Das ist meine letzte Amtshandlung für heute. Ich mach jetzt besser mal die Fliege. Viel Vergnügen beim Lesen! MfG, eure Leira :) _________________________________________________________________________________ Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Er wusste nicht, wie lange er schon hier saß; er wusste nur, dass es höchste Zeit war, heimzugehen. Er gehörte ins Bett. Shinichi saß an seinem Schreibtisch, in seinem Büro, den Kopf schwer auf seinen rechten Arm gestützt. Mit der Linken hielt er eine Tasse Kaffee, die mittlerweile wohl auch schon kalt geworden war. Er seufzte. Schlafen… er wollte schlafen… Was für ein Tag. Nicht nur, dass er völlig übermüdet war, nein… schon den ganzen Tag wurde er von so einer seltsamen Unruhe erfasst. Er konnte es sich nicht wirklich erklären, woher sie kam. Er fühlte sich beobachtet. Verfolgt. Warum? Gedankenverloren ließ er seinen Blick durch sein Büro schweifen. Alles war ordentlich und aufgeräumt, von den zahllosen Büchern, allesamt medizinische Fachliteratur, und Aktenordnern in den Regalen bis hin zum sorgsam gestutzten Bonsai auf dem Tischchen vor dem Fenster. Junischnee. Der kleine Baum mit den grünweißen Blättern. Es war immer noch derselbe, den er sich einst gekauft hatte, als er doch noch sein Wohnheimzimmer wohnlicher einrichtete. Später, als er mit seinem Studium fertig war und eine eigene Wohnung bezahlen konnte, war der Baum mit umgezogen. Jetzt stand er hier, um sein Büro ein wenig zu verschönern. Er hatte ihn nun schon fast acht Jahre lang. Er erinnerte ihn an sie. Immer noch. Damals, als er ihn bei ihr gesehen hatte… seitdem dachte er bei seinem Anblick an Ran. Der Baum, der im Juni unzählige kleine, schneeweiße Blütensterne trug. Ganz so dass es aussah, als läge Schnee auf seinen Blättern… Es war jetzt Juni… und er blühte in voller Pracht. So üppig wie in all den Jahren nicht, in denen er ihn besaß. Shinichi lächelte traurig und bedachte den Miniaturbaum mit einem fast liebevollen Blick. Dann blinzelte er und ließ seine Augen weiter durchs Zimmer wandern. Die Wände des Büros waren weiß gestrichen, die Regale schwarz, genau wie sein Tisch, sein Sessel und die beiden Besucherstühle vor ihm. Auf dem Tisch lagen ein paar Akten verstreut und auf einem Stapel Bücher lag sein Pager. Vor ihm lag ein angefangener Untersuchungsbericht und darauf ein offener Füller, der langsam, aber sicher eintrocknete. Er versuchte, sich noch einmal auf den Bericht zu konzentrieren, ohne Erfolg. Er hasste diese Bereitschaftsdienste. Diese überlangen Schichten brachten seinen Rhythmus, sofern er so was in der Art noch besaß, total durcheinander. Im Übrigen hätte er eigentlich ohnehin schon seit Stunden Dienstschluss gehabt. Er sollte wirklich längst im Bett sein. Und schlafen, schlafen, schlafen… Er gähnte und fuhr sich müde über die Augen. Dann war heute früh das kleine Mädchen eingeliefert worden, ein absoluter Notfall. Und das Wohl des Patienten ging natürlich vor. Also hatte er sich noch einmal für ein paar Stunden geopfert, Untersuchungen und Tests gemacht und sich im Labor die Beine in den Bauch gestanden um herauszufinden, was ihr fehlte. Mit dem Ergebnis, dass er erfolgreich gewesen war; das Mädchen würde wieder gesund werden… und er war völlig erschöpft in sein Büro gewankt. Auch Koffein in rauen Mengen war hier an seine Grenzen gestoßen. Eigentlich hatte er nur kurz den Untersuchungsbericht schreiben und sich ein wenig ausruhen wollen, bevor er ins Auto stieg um heimzufahren; schließlich wollte er keinen Unfall provozieren. Soweit die Theorie. Die Praxis war, dass er jetzt schon seit anderthalb Stunden im Halbschlaf über seinem Bericht dämmerte und weder das eine Ziel, nämlich den Bericht fertig zu stellen, noch das andere, und zwar wach genug zum Autofahren zu werden, erreicht hatte. Sein Blick blieb auf dem Bildschirm seines Computers hängen. Unten rechts waren unter anderem auch Uhrzeit und Datum zu lesen. Shinichi hob den Kopf. Jetzt hätte er diesen besonderen Tag doch fast vergessen. Morgen… Er griff nach vorne, zog ein Namenschild zu sich heran, nahm es in die Hand und las schweigend den Namen, der draufstand. Dr. med. Shigeru Katsuragi Diagnostik Facharzt für Infektionskrankheiten Shinichi seufzte schwer. Acht Jahre wurden es morgen. Vor acht Jahren war er in dieses Flugzeug eingestiegen. Nach der High School hatte er seinen Bachelor gemacht, dabei insgesamt zwei Semester übersprungen… und dann das Medizinstudium begonnen. Zuerst nur aus dem Grund, weil ein Medizinstudium ihn so sehr beschäftigen würde, dass er kaum Zeit hätte, an andere Dinge zu denken. Und weil… weil es gewissermaßen seinem detektivischen Denkmuster entgegenkam. Auch hier gab es Fälle, die es zu lösen galt - die Patienten, denen er helfen wollte. Er hatte sich also in sein Studium gestürzt – und sich als Ausnahmetalent erwiesen. Nach der Assistenzarztzeit hatte er sich auf die Diagnostik spezialisiert, weil ihm das Suchen nach der Ursache der Krankheit, das Untersuchen und Nachforschen von Symptomen und Testergebnissen lag. Er hatte es drauf, aus Hinweisen und Fakten, durch Beobachten und Fragen stellen das richtige Ergebnis zu schlussfolgern, und das kam nicht von ungefähr, das wusste er. Jeder der Ärzte hier hatte damit gerechnet, dass er in die Diagnosemedizin einsteigen würde. Es war offensichtlich gewesen. Neben seiner unglaublichen Beobachtungsgabe, seinem Spürsinn, seiner Kombinationsgabe prädestinierte seine gute Menschenkenntnis ihn geradezu, in diesem Zweig der Medizin tätig zu sein. Sein Talent war absolut augenscheinlich- alles andere wäre Verschwendung gewesen. In diesem Gebiet war er genial, eine Koryphäe, und das trotz seines jungen Alters. Er war nicht ganz achtundzwanzig Jahre alt und Leiter einer Abteilung. Jetzt suchte er eben hier nach der Wahrheit. Und er fand sie. Immer. Sein Ehrgeiz trieb ihn dazu, unerbittlich, erbarmungslos. Ließ ihn nicht in Ruhe, bis er den Fall nicht gelöst hatte. Ihm graute vor dem Tag, an dem der erste Patient, der erste Fall, kam, an dem er scheiterte. Er wusste nicht, was er tun würde, wenn er jemandem nicht helfen können würde… denn obgleich dieser Beruf eigentlich nur zweite Wahl war, übte er ihn doch pflichtbewusst und mit wachsender Begeisterung aus. Sein Herz steckte in der Sache. Jetzt verhinderte er, dass die Menschen starben, anstatt herauszufinden, warum sie gestorben waren. So entkam er langsam seinen Kriminalfällen… es war, als ob ein Raucher sich das Rauchen mit Kaugummikauen abgewöhnte. Er hoffte, dass er jetzt gänzlich auf Kaugummi umgestiegen war. Das alles, dieses Detektivsein, musste ein Ende finden, er ruinierte sich damit. Das war ihm klar. Also arbeitete er hier im Krankenhaus als Facharzt. Er lebte für die Arbeit, Tag und Nacht, machte Überstunden und nahm selten Urlaub- um sich abzulenken, sich nicht erinnern zu müssen. Und um nicht auf dumme Gedanken zu kommen. Was, wie er immer wieder feststellte, nicht jedesmal funktionierte. Seine Gedanken schweiften zu seinen Eltern ab. Er erinnerte sich an jenen Tag, als sie in der Universität aufgetaucht waren, als ob es gestern gewesen wäre. Er fragte sich, ob sie stolz auf ihn waren… und ob sie jetzt, drei Jahre später, immer noch an ihn dachten. Und er dachte an Vermouth. Ob sie wohl noch frei herumlief? Hatte er seine Chance vertan, damals vor fast acht Jahren, bekam er denn nie mehr eine zweite? Er ballte seine Faust und biss die Zähne zusammen. Er lebte zwar, versuchte klarzukommen… aber hatte dieses Leben so satt. Das Gefühl, hier nicht herzugehören, nicht in dieses Land, nicht in diese Stadt und nicht in dieses Krankenhaus, verließ ihn nie. Das hier war nicht sein Zuhause. Nicht einmal seine Zweitwohnung. Das hier war nichts für ihn, hatte keinerlei Bedeutung… in dem Jahr seit seinem Treffen mit Shuichi hatte sich daran kaum etwas geändert. Er hätte keine Versprechen geben sollen, die er nicht einhalten wollte. In letzter Zeit fiel es ihm immer schwerer, sich nicht einzumischen. Sich nicht irgendwie absichtlich verdächtig zu machen, damit sie ihn fanden. Obwohl… vielleicht hatten sie das schon? Vielleicht… wussten sie ja schon längst, wo er war. Wer er war… und warteten nur auf einen geeigneten Augeblick um zuzuschlagen. Wie ein schwarzer Panther, der sich tief ins dichte Gras duckt, kurz bevor er zum Sprung ansetzt, sich auf seine Beute stürzt… Jäger und Gejagter. Aus irgendeinem Grund stand er schon seit drei Tagen unter Strom. Er… Irgendetwas ging hier vor sich. Es fühlte sich fast an, wie wenn er vor einer Bombe stünde, von der er wusste, dass sie hochgehen würde. Und von der er wusste, dass er sie nicht entschärfen konnte. Sie würde explodieren, und sie würde Opfer fordern… und er konnte es nicht verhindern. Unwillig riss er sich wieder am Riemen und versuchte sich, endlich wieder auf den Untersuchungsbericht zu konzentrieren, damit er heute auch mal heimkam. Er fuhr sich übers Gesicht und las die ersten Zeilen seines Berichts. Patient: Susan Maria Baker Uhrzeit (Einlieferung): 8.35 am Behandelnder Arzt: Dr. Shigeru Katsuragi Diagnose: Dann wurde die Tür so heftig aufgestoßen, dass er vor Schreck seinen Kaffee umkippte. Eine junge, rothaarige Frau steckte ihren Kopf herein. „Dr. Katsuragi?“ Sie bemerkte, was sie angerichtet hatte und wartete höflich, bis ihr Vorgesetzter halbwegs ansprechbar war. Shinichi fluchte leise vor sich hin. Er zog seinen Bericht mit zwei Fingern an einer Ecke aus der Kaffeelache, fluchte etwas lauter und schaute zu seiner Assistenzärztin. „Dr. Sullivan, wie kann ich Ihnen helfen?“ Die Ärztin wurde rot. „Ich… äh… die Eltern des Mädchens wollten Sie…“ „Welche Eltern von welchem Mädchen?“, unterbrach er sie und fragte sich in Gedanken, warum sich diese Assistenzärzte keine Namen merken konnten. „Das Mädchen, das die Bleikügelchen zum Beschweren des Angelköders aus der Angeltasche ihres Vaters verschluckt hat… die Bleivergiftung und die operative Entfernung der Bleiteilchen…“ Er zog die Augenbrauen hoch. Shinichi konnte nicht leiden, wenn man Patienten mit ihren Krankheiten betitelte. Oder dem, was dem Begriff „Krankheit“ am nächsten kam, in diesem Fall. „Susan Bakers Eltern, ja?“ Der Teint der jungen Frau erreichte nun fast das satte Rot einer sonnengereiften Tomate. „Äh. Ja. Die Eltern der kleinen Sue würden gerne noch mal mit Ihnen reden, Dr. Katsuragi.“ Shinichi seufzte. „Schön, natürlich. Warten Sie doch schnell vor der Tür auf mich, ich mache nur noch schnell Ordnung hier.“ „Ja. Danke. Selbstverständlich.“ Die Frau verschwand und Shinichi ließ den unrettbaren Untersuchungsbericht durch den Aktenvernichter sausen. Er würde ihn neu schreiben müssen. Während er dem Gerät zuschaute, wie es das Blatt in lauter kleine, dünne Streifen zerschnitt, trank er seinen kalten Kaffee aus. Acht Jahre. Dann schnappte er sich seinen Pager vom Buchstapel, ließ ihn in der linken Tasche seines weißen Kittels verschwinden, bedachte den Bonsai mit einem letzten Blick und machte sich auf den Weg. Als er wieder auf dem Weg zurück in sein Büro war, war er zwar immer noch müde, aber glänzender Laune. Wie sich herausgestellt hatte, würde das kleine Mädchen wieder völlig gesund werden und die Eltern wollten ihm nur noch einmal ihren Dank aussprechen. Der Vater würde wohl nie wieder seine Angelsachen so offen herumliegen lassen. Dann stand er vor der Tür in seinem Büro - und zögerte. Irgendetwas stimmte nicht. Er konnte durch das Milchglas nicht nach drinnen sehen, konnte nicht sehen, warum so ein komisches Gefühl ihn beschlich… Seine Hand zitterte, als er sie nach dem Griff ausstreckte. Warum? Er unterdrückte den Drang, sich umzudrehen und wegzulaufen, schnell, schnell von hier zu verschwinden… Was ist los… mit mir? Er umklammerte den Türgriff. Das war doch albern. Was sollte schon sein? Er hatte doch das Zimmer gerade erst verlassen. Da war bestimmt nichts. Und doch… er merkte, wie die Unruhe in ihm wuchs, der Wunsch, weit, weit weg zu gehen von dieser Tür, immer stärker würde. Und dann wusste er es. Angst. Das Gefühl, das ihn schon die ganze Zeit beschlichen hatte… war Angst. Er hatte Angst. Shinichi atmete leise aus. Wieso? Er schüttelte den Kopf. Wieso hatte er Angst, zum Teufel? Weshalb sollte er sich vor seinem Büro fürchten? Oder dem, was darin war? Er biss sich auf die Lippen. Wenn er nicht hineinschaute, würde er es wohl nie herausfinden… Er drückte die Klinke nach unten, stieß die Tür zu seinem Büro auf und erstarrte. Jemand saß in seinem Sessel. Jemand, den er nur allzu gut kannte. Shinichi löste sich vom Türrahmen, ging hinein, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich gegen das kalte Glas. Da war sie. Seine zweite Chance. Die, auf die er all die Jahre gewartet hatte. Sie saß in seinem Büro, in seinem Chefsessel, und drückte gerade ihre Zigarette auf seinem Schreibtisch aus. Er quittierte es mit ärgerlich hochgezogenen Augenbrauen. „Was suchst du hier? Du solltest eigentlich wissen, dass ich die Polizei rufe…“ Nicht nur eine Spur von Ärger und Hass schwang in seiner Stimme mit. Seine Müdigkeit war mit einem Schlag verflogen. Er war hellwach; und wusste nun auch, weshalb er den ganzen Tag schon so seltsam unruhig gewesen war. Und woher die Angst kam… Sein Verfolgungswahn war wohl doch keine Einbildung gewesen. Er wollte zum Hörer des Telefons an der Wand neben der Tür greifen, hielt allerdings inne, als seine Besucherin wie beiläufig einen Revolver mit Schalldämpfer auf den Tisch legte. „Na, wer wird denn gleich so schlecht gelaunt sein?“, fragte Vermouth, ein humorloses Lächeln auf ihren Lippen. Dann hielt sie gelassen ein sauber durchtrenntes Telefonkabel hoch. Shinichi verdrehte die Augen. „Sperr die Tür ab.“ Sie lächelte immer noch. Ihre Lippen waren blutrot geschminkt ihre Zähne makellos weiß wie eh und je. Shinichi wusste nicht, warum er es tat, aber er schloss ab; allerdings, ohne ihr den Rücken zuzuwenden. „Willst du dich nicht setzen, Shigeru?“ Sie stellte das Namensschild wieder auf seinen Platz, das sie gerade in die Hand genommen hatte, um zu lesen, was draufstand. „Diagnostiker, wie nett. Passt zu dir. Hallo Onkel Doktor…“ Shinichi spürte, wie die angesammelte Wut von zehn Jahren in ihm hoch kochte. Diese Frau war mit Schuld, dass er hier war… Als Shinichi keinerlei Anstalten machte, sich von der Tür wegzubewegen, fuhr die blonde Frau fort. „Was deine Frage betrifft… du weißt doch, wen ich suche. Was jetzt kommt. Du wirst sterben.“ Er starrte sie nur wortlos an, schluckte hart. Irgendwie hatte er es immer gewusst. Es hatte ja so enden müssen… „Du musst wissen, dass mir das sehr Leid tut. Dass ich dich nur äußerst ungern umbringe.“ Sie blickte ihn unschuldig an. Irgendwie nahm er es ihr sogar ab, dass es ihr Leid tat. Nur… trösten konnte ihn das nicht im Geringsten. Und rechtfertigen würde es das auch nicht. Sie seufzte. „Nun. Um ehrlich zu sein, bin ich nicht einmal im Namen der Organisation hier, sondern weil ich persönlich ein Problem mit dir habe. Kann ich eine Tasse Kaffee haben?“ Shinichi runzelte irritiert die Stirn aufgrund ihrer unvermittelten Frage. Vermouth warf einen Blick auf Shinichis Kaffeemaschine, die auf einem Tisch neben einem der Regale stand. „Nein.“, antwortete er kurz angebunden. Würde dieser Alptraum denn nie ein Ende nehmen? Warum erschoss sie ihn nicht einfach, hier und jetzt, und machte damit endlich ein Ende? Er beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Wie es aussah, sollte er ohnehin heute sterben, da machte ein bisschen Neugierde jetzt auch keinen Unterschied mehr. „Zumindest nicht, bevor du mir nicht ein paar Fragen beantwortet hast. Was meinst du damit, wenn du sagst, du bist nicht auf Befehl der Organisation hier? Von welchem persönlichen Problem sprichst du? Und…“ Weiter kam er nicht. „Ich meine, dass die Organisation als solche nicht mehr existiert. Ich hab die restlichen Mitglieder zusammengesammelt und der Reihe nach auflaufen lassen, das FBI, die japanische Polizei und nicht zuletzt du waren mir dabei eine große Hilfe.“ Sie lächelte spöttisch. „Ich wollte sie aus dem Weg haben. Ich wollte mich rächen, für alles, was sie mir angetan hatten, schon lange. Und all diese Verbrechen in all den Jahren… nun, sie haben bezahlt dafür. Man sollte sich halt nicht mit einer Frau anlegen… nicht mit einer wie mir, zumindest.“ Er starrte sie ungläubig an. „Du hast sie ins offene Messer laufen lassen? Ausgerechnet du? Vermouth, die skrupelloseste Profikillerin die heutzutage auf dieser Erde wandelt, hat auf einmal so etwas wie ein schlechtes Gewissen? Ich hoffe, du glaubst nicht im Ernst, dass ich dir das abnehme.“ „Doch, ja, genau das. Und es hat mir eine fast schon diabolische Freude bereitet, dass kann ich dir sagen. Die Rächerin zu spielen meine ich. Und du warst eines meiner Werkzeuge…“ Sie machte eine Pause und schaute ihn versonnen an. „Silver bullet…“, hauchte sie. Shinichi schaute sie verständnislos an, zog die Augenbrauen hoch. „Silver bullet? Was soll das nun wieder heißen?“ „Das warst du. So habe ich dich genannt. Die silberne Kugel, die den Dämonen, den Werwolf, töten kann. Der Mensch, der der Organisation das Rückgrat bricht. Du hast deine Sache gut gemacht… du schon. Nur andere leider nicht.“ Er schluckte. Was geht hier vor? Vermouth drehte gedankenverloren eine ihrer blonden Locken um ihren rechten Zeigefinger und beobachtete interessiert, wie sie sich schwungvoll löste, als sie die Haarsträhne losließ. „Wo war ich? Ach ja… diese Stümper vom FBI und der Polizei schafften es nicht, alle einzubuchten, wie dir ja bekannt sein dürfte.“ Sie lächelte zynisch. Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte sie verachtend an. Sie zuckte mit den Schultern und fuhr fort. „Also… führte ich das Werk, das du begonnen hattest, zu Ende, wenn man so will. Über die Jahre hinweg habe ich zwei Dinge nie aus den Augen verloren: dem FBI immer mal wieder einen von ihnen zum Fraß vorzuwerfen und nach dir Ausschau zu halten... Vor drei Jahren dann wollte es der Zufall, dass ich dich fand. Damals waren nur noch ich, Korn, Chianti und Gin auf freiem Fuß. Du standst mit Jodie und Akai im strömenden Regen… vielleicht erinnerst du dich.“ Shinichi blinzelte. Also hatte er sich damals doch nicht getäuscht… „Warum hast du…“ „…dich nicht sofort niedergeschossen oder Gin die Drecksarbeit machen lassen? Erstens, weil das FBI da war. Und zweitens aus Dankbarkeit. Ich war dir dankbar.“ Sie lächelte ihn an. Er schluckte. „Dankbar für was?“ „Dafür, dass du mir damals in New York das Leben gerettet hast. Der grauhaarige Serienkiller, der deine Freundin bedroht hat, Ran… Angel… das war ich… Und ich bin dir dankbar dafür, dass du die Organisation hast hochgehen lassen, davon rede ich doch die ganze Zeit. Du hast mir viel Arbeit gespart, meinen Plan überhaupt erst durchführbar gemacht… du hast meine Erwartungen an dich vollstens erfüllt, nein, sogar noch überflügelt. Deine Brillanz, deine Kombinationsgabe, dein Mut, dein einmaliger Spürsinn und dein messerscharfer Verstand haben das alles erst möglich gemacht. Nur Schade, wie gesagt, dass weder die Tokioter Polizei noch das FBI mit dir Schritt halten konnte… Schade für dich. Nicht ganz so schade für mich, weil ich durch ihre Unfähigkeit noch frei bin. Frei… Nun… du hattest dir meinen Respekt verdient… ich wollte dich nicht irgendwem ausliefern, erst Recht nicht Gin, obwohl der Gute besessen war von der Idee, dich zu töten. Ich beschloss, du solltest noch ein bisschen Zeit haben… ich wollte dich für mich. Dir ein würdigeres Ende bereiten. Deswegen bin ich heute hier. Sie sind alle unschädlich gemacht worden; entweder, sie sitzen im Knast oder sind tot, wie Vodka zum Beispiel. Ich bin die Letzte, die noch auf freiem Fuß ist. Solange du noch lebst, kann ich keinen Frieden finden, weil ich weiß, du als einziger kannst und wirst mich finden, irgendwann, wenn dir das hier zu dumm wird, wenn du deine Vorsicht, deine Vernunft endlich in den Wind schießt… Nicht das FBI, nein, du wirst mich kriegen und mich für alles zur Rechenschaft ziehen, was ich mir habe zu Schulden kommen lassen… du hast es damals prophezeit, auf der Treppe dieses Lagerhauses, im strömenden Regen, du warst gerade mal fünfzehn Jahre alt, und doch… ich zweifle nicht daran, dass du dein Versprechen noch einlösen wirst. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, auch wenn du es jetzt noch nicht glaubst. Ich bin die Einzige, die dich davon abhält, nach Hause zu gehen… Irgendwann wird dein Hass auf mich, deine Verzweiflung über deine jetzige Situation, deine Sehnsucht nach deiner Liebsten groß genug sein, um deine Rachegelüste zu wecken. Und soweit kann und will ich es nicht kommen lassen. Ich will frei sein. Ich will leben. Solange du noch existierst, kann ich das nicht. Wir können nicht glücklich nebeneinander bestehen; solange ich noch da bin, wirst du ein Gefangener sein, und umgekehrt werde ich meine Fesseln nicht lösen können, solange ich weiß, dass du noch irgendwo da draußen bist… du auf der Lauer liegst. Du bist wie eine Bombe, von der ich nicht weiß, wann sie hochgeht. Ich muss sie entschärfen… Deswegen… musst du gehen. Wenn ich zwischen unseren beiden Leben entscheiden muss, dann wähle ich meines, soviel sollte dir doch klar sein.“ Er atmete tief ein. „Und warum erschießt du mich dann nicht endlich, wo es doch ohnehin darauf hinausläuft?“ Sie legte den Kopf schief und lächelte zuckersüß. „Weil ich dir erklären wollte, warum das jetzt sein muss. Du hast das verdient. Verdient zu wissen, dass du sterben musst und warum; und dass ich es sein werde, die dich umbringt. Ausgerechnet ich, die schon so oft die Gelegenheit hatte, es zu tun, und es doch nicht getan hat. Nun, das hätten wir hiermit erledigt. Ich finde, das war ich dir schuldig.“, antwortete sie sachlich. „Dann wollte ich dir noch eine Frage stellen. Und mich verabschieden, gebührend. Es wird schließlich ein Abschied für immer sein.“ Sie lehnte sich zurück und schlug gelassen ein Bein übers andere. „Und welche Frage wäre das?“, wisperte Shinichi leise. Ehe Vermouth jedoch zu ihrer Antwort ansetzen konnte, klopfte jemand an die Tür. Shinichi starrte Vermouth an. Die nickte kurz, dann drehte er den Schlüssel so leise um, dass man das Klicken kaum hörte und öffnete die Tür einen Spalt. „Was ist denn?“ Draußen stand Dr. Richard Anderson, Chefarzt des Krankenhauses. Er warf einen fragenden Blick in das bleiche Gesicht seines Diagnosearztes. „Shigeru? Was ist denn los? Du siehst nicht gut aus…“ „Nichts. Nichts, wirklich. Ich bin nur müde, das ist alles. Ich sollte ins Bett. Was führt dich her?“ „Ein Anruf für dich. Er wollte unbedingt und sofort mit dir sprechen. Er sagte, es wäre äußerst dringend.“ Richard hielt ihm das schnurlose Telefon entgegen, mit einem Blick, der nur allzu deutlich sagte, dass, sosehr er seinen Diagnostiker auch schätzte, er es nicht leiden konnte, als Botenjunge für ihn degradiert zu werden. „Dankeschön, Richard. Ich bring dir das Telefon zurück, du musst nicht warten.“ Shinichi machte die Tür zu, tat so, als würde er wieder zusperren und ging ans Telefon, wobei er Vermouth nicht aus den Augen ließ. „Dr. Katsuragi, ja, bitte? Mit wem spreche ich?“ „Ist sie bei dir?“ Akais Stimme klang mehr als nervös. Etwas ganz Neues bei ihm. Shinichi blinzelte kurz, hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle und hoffe, dass Vermouth seine Überraschung nicht bemerkt hatte. „Ja, der kleinen Susan geht’s blendend, Madam.“ „Ist sie bewaffnet?“ „Sie spielt gerade mit ihrem Lieblingsspielzeug.“ Schweigen in der Leitung. „Seid ihr in deinem Büro? Was will sie?“ Shinichi überlegte fieberhaft. „Keine Sorge, sie ist ein sehr artiges Mädchen und hat sich schon bei mir bedankt. Jetzt dann wollte sie mir noch gern zeigen, wie ihr Spielzeug funktioniert…“ „Bleib wo du bist! Wir sind sofort da!“ Akais Stimme klang angespannt und nicht unbedingt so, als ob sie Widerspruch dulden würde. Keine gute Idee. Shinichi ärgerte sich in Gedanken über den FBI-Agenten. Jedes Mal glaubte der Kerl, ihm Vorschriften machen und Befehle erteilen zu können. Hier im Büro zu bleiben war viel zu gefährlich. „Nein, das halte ich für zu riskant.“ Shinichi merkte es gerade rechtzeitig. Vermouth griff nach ihrer Waffe und machte Anstalten, aufzustehen. „Hören Sie, Mrs Baker, ich muss jetzt leider Schluss machen, ich muss zur Visite. Ja. Eine todkranke Patientin. Ich hoffe, Sie kommen Ihre kleine Tochter bald besuchen. Sie freut sich bestimmt. Auf Wiederhören.“ Damit legte er auf. Sie stand vor ihm und drückte ihm die Pistole an die Brust. „Wer war das?“, fragte sie. Ein drohender Unterton schwang in ihrer Stimme mit. Als er antwortete, schaute er ihr in die Augen, ohne zu blinzeln. „Mrs Baker, hast du doch gehört. Die Mutter von Susan Baker, einer Patientin von mir.“ Er versuchte, ruhig, gefasst zu klingen. Er war nicht der beste Lügner, und sie musste ihm das jetzt abkaufen. Nur keine Panik aufkommen lassen. Unverständlicherweise musste er sich das gar nicht sagen. Er war nicht panisch. Und er hatte auch keine Angst mehr. Ganz im Gegenteil. Es war wie seinerzeit im U-Bahnschacht. Oder damals, vor acht Jahren, als er sich gestellt hatte… „Nein, war es nicht. Das war Akai…!“ „Nein, das war Mrs Baker. Leider verbietet es mir meine ärztliche Schweigepflicht, dir zu sagen, was ihrer Tochter-“ „Lüg mich nicht an!“ Sie drückte ihm die Pistole fester an die Brust. Shinichi schluckte, schaute ihr so ruhig wie möglich geradewegs ins Gesicht. Er war… ganz ruhig. Eher erwartungsvoll. „Tu ich nicht. Du kennst mich doch Sharon, ich bin ein schlechter Lügner. Jetzt sieh mir in die Augen und sag, dass ich dich anlüge…“ Endlich wird alles ein Ende finden, heute… Sie starrte ihn prüfend an. Ihr Gesichtsausdruck war angespannt, ihre Augen zusammengekniffen. Er fühlte ihren Atem auf ihrem Gesicht, merkte, dass sie nervös war. Er wusste nicht, inwieweit das, was er hier vorhatte, gut ging. Aber - es war fast vorbei. So oder so. Er atmete regelmäßig ein und wieder aus und wich ihrem Blick nicht aus. Dann schob er den Revolver mit einer Hand beiseite. „Wenn du nicht vorhast, es gleich zu tun, dann ziel' mit dem Ding bitte nicht auf mich, das macht mich ganz krank.“ Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. Sie schaute weg, drehte sich um und lehnte sich gegen den Tisch. „Es ist mir egal, ob er kommt oder nicht. Ich weiß, er ist in New York – sollte er ebenfalls hier auftauchen, umso besser für mich, umso schlechter für ihn. Er lebt sowieso schon viel zu lange.“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus den Augen. Shinichi seufzte. „Deine Frage?“ „Was?“ Shinichi legte das schnurlose Telefon ins Regal neben ihm und verschränkte die Arme wieder vor der Brust. „Na, du sagtest vorhin etwas von erklären, fragen und verabschieden. Wenn ich noch richtig dabei bin, dann wären wir jetzt beim Punkt "Fragen stellen".“ Seine Stimme klang provozierend. Und genau das war seine Absicht. Nur nicht klein beigeben. Vermouth starrte ihn an, dann wandte sie sich wieder ab. „Wo ist Sherry?“, fragte sie schließlich. Er zog die Augenbrauen zusammen und als er sprach, triefte seine Stimme vor Sarkasmus. „Was weiß ich? Ich bin im Zeugenschutzprogramm, falls dir das nicht aufgefallen ist. Shigeru Katsuragi ist nicht mein Künstlername, Vermouth.“ „Ach nein?“ Sie lächelte ironisch. „Dann stimmt es also, was sie einem in Zeugenschutzprogramm antun, ja? Du hast von all deinen Lieben während der letzten acht Jahre nichts gehört? Nicht ein Wort?“ Shinichi legte den Kopf in den Nacken. „War’s das? Deine Frage? Oder was willst du noch von mir?“, murmelte er ungeduldig. Vermouth schaute in schräg an. „Nein, das war eigentlich nicht die Frage, die ich dir stellen wollte. Es kam mir nur so in den Sinn… die liebe Sherry – Staatsfeind Nr. 2. Nummer eins bist du.“ „Was ist es dann, das du wissen willst?“, fragte er ungehalten. „Muss man dir alles aus der Nase ziehen?“ Sie legte den Kopf schief und musterte ihn lange, bevor sie schließlich sprach. „Wie fühlt es sich an… allein zu sein? Wie fühlt es sich an, nicht der sein zu können, der man ist, wie fühlt sie sich an, diese Zerrissenheit, diese Machtlosigkeit… wie fühlt sich das an für dich?“ Ein fast mitleidiger Ausdruck war auf ihrem Gesicht erschienen. Nein. Nicht fast mitleidig, dachte er. Sie hat Mitleid mit mir. Wenn es eine Person auf dieser Welt gab, von der er nicht bemitleidet werden wollte, dann war sie das. Er wollte ohnehin kein Mitleid; und erst recht nicht von ihr. Sie war doch schuld… Sie drehte den Kopf, schaute weg. Brachte es nicht fertig, ihm weiter ins Gesicht zusehen. Shinichi zog die Augenbrauen zusammen und starrte sie unwillig an. „Das geht dich gar nichts an. Warum fragst du? Fühlst du dich etwa schuldig?“ Er schaute wieder auf, lächelte sie zynisch an. „Wirst du etwa sentimental auf deine alten Tage… Sharon?“ Sie beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. „Ha. Ha. Ha. Sehr witzig, wirklich. Da stellt man ihm mal eine ernsthafte Frage, und alles was er kann, ist dumm daherreden. Kann ich jetzt endlich Kaffee haben?“ Shinichi sah sie genervt an. Was sollte das?! „Warum machst du ihn dir nicht selber? Oder haben sie euch das Kaffeekochen in eurem netten Verein nicht beigebracht?“ Er blickte sie höhnisch an. „Außerdem ist das ohnehin ein Vollautomat. Du musst im Prinzip nur ein Knöpfchen drücken, das wirst du doch wohl noch alleine fertig bringen.“ Vermouth starrte ihn wutentbrannt an. „Wage es nicht, mich zu beleidigen, oder…“ „Oder was? Erschießt du mich dann? Jetzt krieg ich aber Angst.“ Er sah sie gelangweilt an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Glaubst du wirklich, das macht mir noch was aus? Ihr habt mir mein Leben genommen, meine Zukunft zerstört… ich habe keine Angst vorm Sterben, Vermouth. Ich verliere nichts dadurch. Tu was du nicht lassen kannst. Wenn du meinst, du musst mich umbringen, bitte, tu dir keinen Zwang an. Aber dann tu’s auch endlich und sprich nicht nur davon.“ Er spürte, wie sein Herz ihm bis zum Halse schlug. So ruhig er nach außen auch schien, in ihm herrschte Aufruhr. Er wollte nicht sterben… eigentlich nicht. Was er gerade tat, war alles auf eine Karte zu setzen, ohne zu wissen, welche Karte das war. Und welche Karten sie hatte. Ein riskantes Spiel – aber die einzige Option, die er hatte. Sie schaute ihn merkwürdig an. „Es tut mir Leid.“ „Ach hör doch auf. Ich kann’s nicht mehr hören. Wenn du so ein Problem damit hast, dann lass es. Oder bezahl jemanden dafür, dass er es für dich erledigt.“ Er schaute sie verärgert an, seine Gedanken rasten. Er musste sie irgendwie aus diesem Büro rauslotsen. Der Raum war ziemlich gut isoliert, keiner würde es hören, wenn sie ihn hier drin mit einer schallgedämpften Waffe erschoss. Oder wenn er nach Hilfe rief. Sie betrachtete den kleinen Baum auf dem Tischchen. „Ich meine das durchaus ernst, Shinichi. Es tut mir wirklich Leid. Für dich und für Yukiko… und für Ran. Es tut mir schrecklich Leid für Ran…“ Shinichi seufzte gequält. „Ran…“ Dann starrte er sie verärgert an. „Hör auf, ihren Namen in den Mund zunehmen.“ Ran… Ran, die Liebe seines Lebens, die er jetzt wohl nie wieder sehn würde. Nun, falls sie noch allein war, konnte sie sich jetzt ruhigen Gewissens einen anderen suchen… Ich liebe dich… „Hör zu, Dummkopf, es tut mir wirklich Leid für dich und Angel. Ich meine das ernst. Aber ich muss das tun. Du verstehst das doch.“ „Nein, tue ich nicht.“ Er kniff die Lippen zusammen. Wie konnte sie für so was sein Verständnis erwarten… Dann wandte sie sich der Kaffeemaschine zu; und diesen Moment ihrer Unachtsamkeit nutzte Shinichi aus. Das war seine Chance - er riss die Tür auf und begann zu laufen. Er wusste, sie würde nicht schießen; nicht, bevor sie nicht allein wären. Wenn sie ihn jetzt auf offenem Flur erschoss, mitten unter all den Leuten, dann wäre sie geliefert. Der Krankenhauswachdienst hätte sie innerhalb von Minuten aufgegabelt. Das wäre es dann gewesen mir ihrer Freiheit… So hörte er sie nur einmal kurz zornig aufschreien, dann vernahm er, fast übertönt vom Krankenhauslärm, das Klappern der Absätze ihrer schwarzen Lackpumps. Sie sollte ihm nur folgen. Nicht nahe genug kommen, um ihn zu fassen zu kriegen, nur folgen, nicht aus den Augen verlieren… Er rannte fast gegen einen seiner Kollegen, versuchte auszuweichen und streifte ihn doch noch mit der Schulter; er verlor das Gleichgewicht und wäre beinahe gestürzt, fing sich an der Wand gerade noch ab und hastete weiter ohne auf das empörte Geschrei hinter ihm zu hören. „Hey, Katsuragi?! Spinnst du oder was? Mach die Augen auf und pass auf wo du hinrennst! Eine Entschuldigung hast du wohl auch nicht nötig, was?!“ Shinichi ignorierte ihn, hetzte weiter. Sein Atem ging schnell, sein Herz hämmerte in seiner Brust. Nicht sterben… er hatte zwar nicht wirklich Angst davor, aber… er wollte nicht sterben, nicht hier, nicht jetzt, nicht heute… nicht so. Nicht, ohne Ran wenigstens noch einmal gesehen zu haben. Er wollte nicht sterben. Es stimmte, er verlor nichts, wenn er starb. Nichts hier bedeutete ihm soviel, dass es sich dafür zu leben lohnte, wo er doch gleichzeitig so darunter litt. Wenn er wusste, dass sich nichts ändern würde an diesem Zustand, hätte er sie sogar vielleicht einfach schießen lassen. Aber… eine Sache gab es noch. Hoffnung. Die Hoffnung, doch noch zurückzukehren… alles, was ihn all die Jahre am Leben erhalten hatte, weshalb er nicht einfach aufgegeben hatte, war diese Hoffnung. Nie war er der Erfüllung seiner Träume näher gewesen. Sie war das letzte Hindernis, das noch zwischen ihm und seinem alten Leben stand. Sie war die einzige Tür, die noch verschlossen war, und der Schlüssel war zum Greifen nah. Gab er jetzt auf, war seine Chance vertan. Auf immer. Hoffentlich hatte Akai seinen Tipp verstanden. In ihrem Büro konnten sie sie nicht stellen, die Gefahr, dass sie angesichts des FBIs und ihrer bevorstehenden Festnahme durchdrehte und nach ihm den Nächstbesten auf dem Gang vor seinem Büro erschoss war zu groß. Er musste sie an einen ruhigeren Ort locken. Und es gab keinen besseren ruhigen Ort als den, auf den er jetzt zuhielt. Er hastete die Gänge entlang zum Personaltreppenhaus, immer darauf bedacht, den Abstand zwischen ihnen konstant zu halten. Er kratzte die Kurve um die Ecke und rempelte eine Krankenschwester, die nicht rechtzeitig ausgewichen war. Es klirrte und schepperte laut, als ihr das Metalltablett, auf dem sie Pillengläser transportiert hatte, aus der Hand gerissen wurde. Scherben, Pillen und Kapseln rollten und hüpften unter lautem Geklirre und Geprassel davon. Er starrte die junge, weiß gekleidete Frau kurz an, schnappte nach Luft. „Sorry!“ Dann wirbelte er herum, rannte weiter, wobei es bei seinen ersten paar Schritten noch laut knirschte, als er die verschütteten Medikamente zu Staub trat. Dass ihm jeder im Gang verblüfft hinterher starrte, bekam er nicht mit. Auch die wüsten Beschimpfungen der Schwester drangen nicht mehr zu ihm vor. Alles, was er noch hörte, war das Blut, das in seinen Ohren rauschte und das Klack-Klack-Klack ihrer Schuhe. Eine fast schon vergessene Anspannung hatte von ihm Besitzt ergriffen. Nervosität. Abenteuerlust. Rachegefühle. Risikofreude… all diese Gefühle vermischten sich in ihm, ließen seinen Adrenalinspiegel steigen, sein Herz rasen. Heute würde er es zu Ende bringen. Und wenn er dabei draufging… sein Leben so weiter zu führen konnte keiner von ihm verlangen. Und er hatte doch nur noch diese eine Chance… er musste kämpfen. Für sich selbst und… sie. Für Ran… falls sie ihn noch immer liebte. Einmal mehr hoffte er, dass Akai seine Andeutungen verstanden hatte. Er stürzte die letzte Treppe fast runter, konnte sich nur noch am Geländer festhalten und rannte weiter. Endlich war er im Keller angekommen. In der Pathologie… dem wahrscheinlich ruhigsten Ort im ganzen Krankenhaus. Er lächelte bitter und schaute sich um. An den Wänden reihten sich die Schubfächer, in denen all die Patienten lagen, denen man nicht mehr helfen hatte können. Warteten darauf, dass man sie zur ewigen Ruhe bettete… Ewige Ruhe… Das klackernde Geräusch war verstummt. Shinichi drehte sich um. Sie stand hinter ihm, atmete heftig. Sie war kreidebleich im Gesicht. „Schön. Dann eben hier. Bringen wir’s hinter uns. Kommen wir zum letzten Punkt… dem Abschied.“ Sie ging näher, zielte abwechselnd auf seinen Kopf und seine Brust. „Bevor ich dir Farewell sage, silver bullet… verrate mir, wo stirbt man schneller? Du als Arzt solltest das doch wissen…“ „Woher willst du wissen, dass er in der Pathologie ist?!“, keuchte Jodie Starling, als sie neben Shuichi Akai eine Treppe mehr hinunterfiel als hinunterlief. „Weil er es mir gesagt hat.“ „Ach so. Na dann ist es ja gut, darling.“ Jodie verdrehte die Augen. „Toll, dass du immer sooo gesprächig bist, mein Lieber!!!“, fauchte sie dann los. „Geht das mal auch ein ganz klein wenig genauer? Er wird’s dir wohl kaum wortwörtlich gesagt haben, wenn diese Schlampe bei ihm war?!“ „Er hat gesagt, er muss auf Visite zu einer todkranken Patientin. Er hat das „tod“ stark betont. Und er hat gesagt, er hofft, dass ich meine Tochter bald besuche. Und seit wann nimmst du solche Ausdrücke in den Mund?“ „Also will er, dass du kommst. An den Ort, wo der Tod ist.“, resümierte Jodie und ignorierte Akais letzte Bemerkung. Jetzt hatte sie es verstanden. „Ja. Und er lockt sie da runter. Ich hoffe nur, wir kommen nicht zu spät wegen dieser dummen Oberschwester.“ Tatsächlich waren sie nach dem Telefonat von einer Oberschwester minutenlang belehrt worden, was für Auswirkungen Handystrahlen auf Krankenhausapparaturen haben konnten. Jodie grinste verhalten. Das war wirklich Pech gewesen. „So, jetzt sind wir ganz unten. Wir sollten sie bald gefunden haben.“ Shuichi und Jodie hetzten den nächsten Gang entlang. „Nun, wo? Wo leidest du am wenigsten, darling? Ich will dir nicht wehtun, ich will nicht, dass du leiden musst. Also sag’s mir…“ Shinichi wich nicht zurück, als sie näher kam, aber er konnte nicht verhindern, dass seine Gesichtsfarbe sich langsam der Farbe seines Kittels anglich. Er würde jetzt sterben. Letzten Endes war sein Plan wohl nicht aufgegangen. Das kam davon, wenn man sich auf andere verlassen musste… Poker um den Einsatz seines Lebens spielte, wenn man nicht mal die eigenen Karten kannte. Nun, einen Versuch war es wert gewesen. Er schloss kurz die Augen, dann schaute er wieder in ihr Gesicht. Sie brachte ihm den Tod. Die beste Freundin seiner Mutter… Sharon Vineyard, seine Mörderin… Ran… leb wohl. Ich hab’s versucht…ich hab getan was ich konnte. Wirklich. Aber ich habe versagt… bitte verzeih mir. Verzeih mir. Er schluckte. Er hatte keine Angst vor dem Tod an sich. Vor dem Sterben… er war zu oft zu nah dran gewesen. Aber der Gedanke, dass er jetzt gleich… erschossen werden würde… es diesmal… endgültig sein würde… Dass er diesmal sein Leben verlieren würde. Mein Leben… „Warum sollte ich dir das sagen… Warum sollte ich dir glauben, woher will ich wissen, dass du dann nicht genau das Gegenteil machst?“, wisperte er. Sie war jetzt nur noch drei Meter von ihm weg. „Nun, da muss ich dir Recht geben, mein Lieber. Also muss ich diese Entscheidung wohl selber treffen… ich werde dich nicht in den Kopf schießen, dann sieht dein hübsches Gesicht schaut hinterher nicht so entstellt aus. Yukiko wird dich noch einmal ansehen können… sich verabschieden können. Das bin ich ihr schuldig, diese Möglichkeit muss ich ihr lassen. Ich werde auf dein Herz zielen, Shinichi. Ich finde das sehr romantisch, weißt du... Du wirst auf den Boden sinken und aussehen, als würdest du schlafen. Ins Herz getroffen… das Organ, das wir als Hort unserer Gefühle auserkoren haben… was natürlich Irrsinn ist. Keiner weiß das besser als du, als Mediziner.“ Plötzlich wurde sie ernst. Als sie sprach, war ihre Stimme kaum mehr, als ein Wispern. „Jedes meiner Worte vorhin war ernst gemeint, Shinichi… ich wollte dich eigentlich nie umbringen. Nicht dich. Wirklich. Das weißt du, ich hätte dich schon sehr viel früher töten können. Ich wollte es nicht. Bei dir wurde ich… sentimental, wie du es so nett ausdrückst. Aber du lässt mir keine Wahl mehr. Es tut mir Leid.“ „Wie du meinst.“ Er blinzelte. Langsam wurde ihm kalt. „Deine Eltern wären stolz auf dich.“ „Das werde ich wohl nie mehr erfahren… dank dir.“, murmelte er bitter. Seine Stimme klang rau, brüchig. Er konnte es nicht verhindern, konnte nicht kontrollieren, als seine Augen zu Brennen begannen. Er presste sie zusammen, wollte nicht… wollte nicht weinen. Ran… Er konnte ihr Gesicht vor sich sehen. Dieses hübsche Gesicht, umrahmt von diesen seidigen Haaren. Er wusste noch, wie sie sich angefühlt hatten. Wonach sie geduftet hatten. Shinichi sah ihre Lippen… erinnerte sich daran, wie er gewesen war, ihr erster Kuss… er war so nervös gewesen damals, auf dieser Parkbank, und trotzdem… es war so unglaublich schön gewesen. Und er erinnerte sich an ihren letzten Kuss. Er hatte salzig geschmeckt… salzig von den Tränen, die ihr auf die Lippen getropft waren. Es war ein Kuss so voller Sehnsucht gewesen… Er blickte in ihre blauen Augen… blau wie der Himmel und das Meer, unergründlich. Sie schimmerten feucht. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Shinichi sah sie weinen. Damals, als er es ihr gesagt hatte, als er ihr gesagt hatte, dass er gehen musste, da hatte sie geweint. Und wieder, als sie am Flughafen waren. Sie weinte… weinte um ihn. In ihren Augen hatte ein Ausdruck von Trauer und Schmerz gelegen, der für ihn nur schwer zu ertragen war, wusste er doch, dass er schuld daran war. Er war schuld an ihren Tränen. Und doch… ein winziger Funken Hoffnung hatte in ihnen geglimmt. Sie hatte ihm versprochen zu warten, zu warten, bis er wiederkam… hatte gehofft, dass sie doch noch eine gemeinsame Zukunft hatten, und darauf wollte sie warten. Sie hatte umsonst gewartet. Er kam nicht wieder. Diese Erkenntnis machte ihn fertig. Nichts war schlimmer, als ihr das anzutun. Ihr die Hoffnung zu nehmen. Er öffnete die Augen wieder und ihr Gesicht verschwand. Eine einzelne Träne verließ seinen Augenwinkel, rollte seine Wange hinab zum Kinn und tropfte auf den Boden. Hilflosigkeit und Verzweiflung schnürten ihm die Kehle zu, machten ihm das Atmen schwer. „Ran…“, wisperte er, ohne es zu wollen. Ihr Name kam einfach über seine Lippen. „Du liebst sie immer noch nicht wahr?“, flüsterte Sharon mitfühlend. „Es wird ihr das Herz zerreißen, wenn sie erfährt, dass euer Opfer umsonst war… es… es tut mir so leid... Ich werde ihr ausrichten, dass du sie bis an dein Lebensende geliebt hast, ihr immer treu warst, wenn dich das ein wenig trösten kann…“ Sie lächelte traurig und entsicherte ihre Waffe, zielte auf sein Herz und krümmte ihren Zeigefinger um den Abzug. „Du warst ein würdiger Gegner.“ In ihrem Augenwinkel glitzerte eine Träne. „Hiermit verabschiede ich mich von dir. Sag... Sag Lebwohl.“, wisperte sie. Shinichi sagte nichts mehr. Er schloss die Augen. Da war es wieder… das einzige, das er sehen wollte, wenn er von dieser Welt ging. Ihr Gesicht. Ran… es tut mir so Leid, Ran… Ich liebe dich… Dann fiel der Schuss. Kapitel 9: Schneewahrscheinlichkeit ----------------------------------- Hiho! Tja, Leute. Dass ich im letzten Kap an der Stelle aufhörte, war doch klar *g* Ich muss gestehen, ich hab mich zweimal drüber gefreut- das erste Mal, als ich die Stelle schrieb und das zweite Mal, als ich das Kap hochgeladen hab. Soo oft hab ich mich selber schon geärgert, wenn ein Autor an der spannendsten Stelle abgebrochen hat, jetzt wollt ich’s auch mal machen. Und jetzt weiß ich auch, warum er oder sie das macht. Es erhält nicht nur die Spannung- nein. Es macht Spaß. *g* Ach House. Der Zyniker vor dem Herrn. Ich liebe ihn. Irgendwo hab ich gewusst, ein paar würden Shinichi mit Dr. House verbinden, obwohl’s nicht geplant war. Aber ich dachte mir, bei Shinichis Fähigkeiten drängt sich der Beruf doch auf… Wusstet ihr, das House als medizinischer Sherlock Holmes gedacht war? Es gibt erstaunliche Parallelen… z.B. House und seine Tablettensucht. Holmes war Kokainsüchtig. Dann das Schlussfolgern aus Hinweisen und Motiven, oft ohne direkt mit dem Menschen gesprochen zu haben – Das House patientenscheu ist und wenig Freunde hat, ist bekannt; genauso verhält es sich auch mit Sherlock Holmes - auch er hat nur wenige Freunde und zieht seine Schlüsse auch eher durch Hinweise und Indizien als durch Aussagen seiner Klienten. Jetzt könnte ich weitermachen mit Vergleichen, aber ich lass das mal... das ist schließlich nicht Gegenstand der Fic und dieser Vorspanntext darf nicht zu lang werden :) Nay. Und langsam wird auch klar, warum dieser Titel für diese Fic, meine Lieben. Obwohl… so richtig hau ich’s euch erst im letzten Kap um die Ohren. An dieser Stelle noch herzlich Willkommen an NadeThoorn und Apollon-Clio! Danke fürs Kommentieren! Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und hoffe, ihr genießt das vorletzte Kapitel. MfG, eure Leira *dieFliegemach* ______________________________________________________________________________ Das Echo hallte von den gefliesten Wänden wieder. Akai stand im Gang, hielt sich an einer der Schubladen fest und atmete schwer. Hinter ihm stand Jodie, kreideweiß im Gesicht, und umklammerte ihren Revolver zitternd mit beiden Händen, die Arme ausgestreckt. Langsam öffnete er die Augen. Sein Blick wanderte nach unten… er betrachtete seinen Oberkörper. Der Kittel war immer noch so makellos weiß wie vor ein paar Sekunden… keine roten Flecken, kein Loch. Er befühlte seine Brust, wie um sich zu vergewissern, dass er noch lebte. Er konnte es kaum glauben, wagte seinen Augen kaum zu trauen. Zu fest überzeugt war er gewesen, dass es diesmal soweit war... Er war nicht einmal zusammengezuckt, als die Kugel an ihm vorbeigeschossen war- und das… erschreckte ihn schon fast. Als er sich schließlich doch davon überzeugen konnte, noch nicht mit den Englein zu singen, sondern am Leben und unverletzt zu sein, hob er den Kopf und warf kurz einen Blick nach hinten. Er erblickte Jodie mit ihren Revolver, die sich immer noch nicht gerührt hatte. Dann wandte den Kopf wieder um und starrte runter auf die Frau, die vor ihm auf dem Boden lag. Ihr Haar lag ausgebreitet um ihren Kopf, in sanften Wellen wie tausende Fäden glänzend goldener Seide, ihr Gesicht kreidebleich, ihre Lippen blutrot geschminkt. Ein schönes Bild. Wie das Motiv eines Coverfotos für ein Modemagazin. Doch es gab etwas, das diesen Einruck abrupt zerstörte. Vermouth stöhnte auf und presste ihre linke Hand auf die Schusswunde in ihrer Brust, aus der ihr Blut sickerte. Ein purpurner See bildete sich um sie herum auf den weißen Fliesen, der sich rapide immer weiter ausbreitete, unaufhörlich, unaufhaltsam… Die Frau atmete schnell und flach, ihr Gesicht war leichenblass, ein Ausdruck von Schmerz und Anstrengung lag in ihren Zügen. Shinichi ging ein paar Schritte nach vorne und starrte, ohne irgendeine Gefühlsregung in sich finden zu können, auf sie herab. „Leb wohl.“, murmelte er. Sie starrte ihn angsterfüllt an. „Du bist Arzt!“, presste sie schließlich hervor. Ihre Stimme klang anklagend. „Hilf mir! Bitte… bitte hilf mir!“ Er blinzelte, schaute ihr ins Gesicht. „Es ist zu spät für dich.“ Seine Stimme klang sachlich. Verzweiflung machte sich ihn ihr breit. In ihren Augen stand die nackte Angst. Sie fürchtete sich entsetzlich. Fürchtete sich vor dem Tod. „Wie meinst du das?“, wisperte sie. „Du wirst sterben, Sharon. Chris. Wie auch immer. Die Kugel hat dich in die Brust getroffen und dabei mindestens eine wichtige Arterie verletzt, wie’s aussieht. Du verlierst viel zu schnell viel zu viel Blut, und noch dazu füllt es deine Lunge. Darum fällt dir auch das Atmen so schwer. Du wirst verbluten, und das innerhalb der nächsten zwei bis drei Minuten.“ Sie schaute ihn entsetzt an. Sie begann zu zittern, ihre Zähne schlugen aufeinander. „Nein…“, hauchte sie. Er schluckte. Er wusste nicht warum, aber… aus irgendeinem Grund tat sie ihm jetzt... Leid. Vor ein paar Sekunden, ein paar Wimpernschläge vorher, bis gerade eben noch, war sie ihm egal gewesen… er hatte sie nicht einmal hassen können, für das, was sie ihm angetan hatte… antun wollte… geschweige denn, Mitleid empfinden. Aber jetzt… wie sie so vor ihm lag, hilflos, verletzt, sterbend… bettelnd. Um ihr Leben flehend. Und dieser ängstliche Gesichtsausdruck auf ihrem blassen Gesicht… Er verspürte Mitgefühl… und wusste nicht warum. Wollte es doch eigentlich auch nicht. Sie hatte… sie hatte sein Mitgefühl doch gar nicht verdient. Wirklich nicht. Und dennoch… Er ließ sich neben sie sinken, nahm ihr die Waffe aus ihrer rechten Hand und drückte ihre Finger. Wollte sie beruhigen. Es ihr… etwas leichter machen. „Es… es tut mir Leid, aber - dir kann man wirklich nicht mehr helfen, Sharon. So schnell wie du dein Blut verlierst, kann man es dir nicht zurückgeben, auch nicht durch Bluttransfusionen. Bis das Notfallteam hier unten ist, bist du dreimal gestorben.“ Er seufzte. Die nächsten Worte, die seine Lippen verließen waren sehr leise, kaum zu verstehen. „Die Zeit, die du dir von mir geliehen hast, läuft ab, Sharon. Die Zeit, die ich dir damals in New York geschenkt habe, als ich dir, ohne es zu wissen, das Leben gerettet habe… ist um.“ Er merkte, wie seine Stimme rau wurde und fragte sich, warum. Warum zur Hölle tat sie ihm denn Leid? Warum tat sie ihm so Leid, dass ihm sogar seine Stimme versagte? Sie drückte seine Hand fest, so fest, dass es fast wehtat. „Ich will aber nicht sterben…! Bitte, tu was, ich will nicht sterben! Es muss doch etwas geben, das du tun kannst…!“ Er schluckte. „Das wollte ich auch nicht. Sterben, meine ich. Ich wollte auch nicht sterben. Es war dir egal. Der Grund, warum ich nicht tot bin, bist nicht du, sondern das FBI. Du hättest geschossen. Ohne zu zögern. Du hattest kein Mitleid.“ Ihre Augen weiteten sich. „Ich weiß, du hast Recht. Du hast Recht! Aber… du bist nicht so wie ich, du bist anders… Du bist nicht so kalt, so emotionslos, du kannst mich nicht einfach sterben lassen. Schon allein, dass du hier sitzt, mit mir sprichst, nicht einfach gegangen bist, zeigt das. Bitte… hilf mir…“ Er schluckte. Das hier war eigentlich viel zu viel für ihn. Er saß hier am Boden und leistete seiner Beinahe-Mörderin Gesellschaft beim Sterben. Er merkte, wie ihm der Kopf schwirrte, in ihm das Chaos ausbrach. „Es tut mir Leid, das kann ich nicht, Sharon. Auch wenn ich es will, ich kann es nicht. Niemand kann das. Es… es wird bald vorbei sein… versuch dich zu entspannen, dann tut es nicht so weh…“ Sie schaute ihn fassungslos an. Langsam verstand sie, dass das, was er sagte, die Wahrheit war. Sie spürte, wie sie ihr Leben verließ, mit jedem Tropfen Blut, der durch ihre Finger quoll. Es ging so schnell… Vermouth holte tief Luft; dann lächelte sie sarkastisch. „Dann hatte ich also Recht…“ Sie wollte sich aufrichten, stöhnte schmerzerfüllt auf und ließ sich von ihm wieder zurück auf die Fliesen drücken. Shinichi schaute sie fragend an. „Du bist mein Untergang… du hast mir mein Ende gebracht.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, das war Jodie, nicht ich. Jodie hat den Schuss auf dich abgegeben. Ich war unbewaffnet, das weißt du.“ Sie bewegte den Kopf einmal nach links und einmal nach rechts, das war alles, was sie an Kopfschütteln noch zustande brachte. „Nein. Du warst das. Ich bin nur wegen dir hier. Wäre ich nicht so besessen gewesen von meiner fixen Idee, dir den Tod zu bringen, wäre ich nicht hierher gekommen, hätte dich nie getroffen… dann wäre ich dem FBI auch nicht in die Arme gelaufen. Und du warst es, der mich hier herunter gelockt hat. Du. Du hast mir eine Falle gestellt. Du wusstest, ich würde es nicht wagen, auf dem Gang, unter all den Leuten auf dich zu schießen, wenn ich nicht unbedingt muss, also hast du mich hierher gebracht… mich in mein Verderben geführt…“ Er blinzelte. „Das… tut mir…“ Shinichi biss sich auf die Lippen. Hatte er sich etwa gerade entschuldigen wollen? Entschuldigen dafür, dass er nicht umgebracht werden wollte? Er schluckte den Rest des Satzes hinunter, fing von Neuem an. „Ich wollte nicht sterben. Nicht heute. Nicht wo ich wusste, dass ich noch eine Chance habe…“ Sie nickte verständnisvoll. „Nun, du warst der bessere von uns. Kein Grund, dir einen Vorwurf zu machen.“ Sie hustete. Blut rann ihr aus dem Mundwinkel. Shinichi kramte in seiner Kitteltasche nach einem Taschentuch, fand eins und wischte ihr den roten Tropfen weg. „Danke…“, murmelte sie schwach. „Ich weiß doch, wie eitel du bist.“, meinte er leise. Sie lächelte. „Ja, das war ich immer schon. Aber deine Mum auch, machen wir uns nichts vor.“ Sie schloss die Augen, versuchte ruhiger zu atmen. Dann öffnete sie sie wieder, suchte seinen Blick und fand ihn. „Es tut mir Leid…“, fing sie wieder an. „Das sagtest du bereits…“, wisperte er. Ihre Finger wurden langsam kalt. Er wusste, was das hieß. Eine Träne rann aus ihrem Augenwinkel. Immer mehr folgten ihr. „Und ich meinte es auch. Bitte…Verzeih mir… was ich dir angetan habe. Was ich dir antun wollte…“ Er sog scharf die Luft ein, wandte den Kopf ab. Wie konnte sie es wagen… Wie konnte sie ihn darum bitten, ihr verzeihen? Wie konnte sie glauben, er könnte das alles vergessen? All das Leid, dass er durch ihr Mitverschulden hatte ertragen müssen… die Jahre als Conan Edogawa, die Woche, als er in ihrer Gefangenschaft war, als er sich gestellt hatte… die acht Jahre Zeugenschutzprogramm… und nicht zu vergessen, sie hätte ihn gerade eben beinahe erschossen. Vergebung? „Wieso sollte ich dir vergeben… du bist heute gekommen, um mich umzubringen, um nur mal einen Grund von vielen zu nennen, dir nicht zu verzeihen…“ „Bitte…“ Sie wimmerte leise. „Du verlangst zu viel von mir…“, flüsterte er emotionslos. Dass sie ihre Fehler einsah und Reue zeigte, war ja schön und gut, aber... Sie zog an seiner Hand, brachte ihn damit dazu, sie wieder anzusehen. Ein flehender Ausdruck lag in ihren Augen. „Bitte! Bitte, ich weiß, was du wegen mir durchmachen musstest… ich weiß, dass es dir unmöglich scheint, aber ich sterbe, ich sterbe, Shinichi… Bitte vergib mir… vergib mir… es tut mir so Leid…“ Eine weitere Träne rollte ihr über die Wange, ein schwarzer Tropfen, der seine Bahn zog… ihr Mascara löste sich langsam auf, zeichnete eine dunkle Linie über ihr Gesicht. Er starrte an die Wand gegenüber, merkte, wie es in seinen Augen zu brennen anfing. Himmel, was ist los mit mir? Er hörte sich seine nächsten Worte sagen, ohne dass er begriff, warum er sie aussprach. Sie waren einfach da… und er sprach sie aus. „Also schön.“ Er schluckte hart, sah sie wieder an. In den letzten anderthalb Minuten war sie noch blasser geworden. Der purpurne See um sie herum wuchs, der Blutstrom aus der Schusswunde in ihrer Brust ließ sich auch von ihrer Hand nicht aufhalten. „Du vergibst mir?“, wisperte sie. „Ja. Ich vergebe dir. An mir soll es nicht scheitern, dass du deinen Frieden findest…“ „Danke…“, antwortete sie. Ihre Stimme war kaum mehr wahrzunehmen, doch die Erleichterung, die in ihr mitschwang, war nicht zu überhören. „Und danke dafür, dass du mir Beistand geleistet hast, jetzt. Das ist mehr, als ich von dir verlangen konnte…“ Sie lächelte schwach. Drückte seine Hand, hustete erneut. „Grüß Yukiko schön von mir… und Ran. Werde... werde glücklich…“ Ihre Lippen zitterten, als sie es sagte. Er nickte nur. Strich ihr eine Haarsträhne, die ihr ins Gesicht gefallen war, aus den Augen. „Farewell… Shinichi…“ Sie blinzelte, atmete langsam und schwer aus… und nicht wieder ein. Er merkte, wie der Druck ihrer Hand nachließ. Ihre Augen starrten glasig und leblos ins Leere, doch ein zufriedener Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Sie war tot. Sharon Vineyard war gestorben. Shinichi atmete tief aus, starrte an die Decke, blinzelte heftig. Warum… so? Warum musste das so enden…? Ich oder du? Er seufzte, fuhr sich mit seiner freien Hand fahrig übers Gesicht und durch die Haare. Dann beugte er sich vor und schloss ihr die Augen. „Lebwohl.“, murmelte er sanft. Shinichi zog seine Hand aus ihrer und legte sie neben ihre linke Hand auf ihren Brustkorb. Ein, zwei Minuten saß er einfach nur da. Versuchte zu verstehen, was gerade passiert war, und damit klarzukommen. Dann stand er auf und wandte sich schließlich um. Auf Jodies Gesicht lag ein Ausdruck von Fassungslosigkeit und Entsetzen. In ihrer ausgestreckten Hand hielt sie immer noch ihren Revolver. Akai stand da und starrte zuerst die blonde Frau an, dann Shinichi. Und in dem Moment schien er seine Stimme wieder zu finden. „Alles in Ordnung mit dir? Verdammt noch mal, sie hätte dich fast erschossen, wenn wir nicht gekommen wären, du könntest jetzt schon tot sein! Du kannst von Glück sagen, das Jodie schneller geschossen hat als Vermouth! Warum bist du nicht im Büro geblieben, so wie ich es dir gesagt habe? Was bildest du dir eigentlich ein, einfach…“, setzte er an, als Shinichi ihn unterbrach. „Mir fehlt nichts. Und was bilden Sie sich ein, einfach über mein Leben bestimmen zu wollen?! Mir Befehle geben zu wollen? Wäre ich oben im Büro geblieben und hätte auf sie gewartet, dann wäre ich entweder jetzt schon tot, oder sie wäre bei ihrem Anblick ausgerastet und hätte sehr wahrscheinlich inklusive von euch beiden und mir wahllos Menschen erschossen, die sich draußen auf dem Gang befanden…“ Akai machten den Mund auf – und wieder zu. Er war sprachlos, was Kudô da sagte, machte durchaus Sinn. „Wie konntest du ihr verzeihen?“, fragte er schließlich mit leiser Stimme. Shinichi hob kurz den Kopf, warf Sharon Vineyard noch einen letzten Blick zu. „Ich weiß es nicht.“, wisperte er. „Ich kann es nicht sagen.“ Shuichi nickte nur, dann trat er neben ihren leblosen Körper und hob ihre Waffe auf. Shinichi trat zu Jodie und nahm ihr den Revolver aus der Hand. „Hey?“ Er legte ihr die Hand auf den Arm. Die blonde FBI-Beamtin blinzelte und schaute ihn an. „Letzten Endes… hast du sie doch gestellt.“ Er schüttelte nur den Kopf. „Wenn ihr nicht rechtzeitig gekommen wärt, wäre ich jetzt tot. Du hast mir das Leben gerettet, Danke…“ Er drückte ihr vorsichtig den Arm. Dann suchte er in den Taschen seines Arztkittels nach Traubenzucker, den er immer bei sich hatte - für seine kleinsten Patienten und gelegentlich auch für Studenten, die ihm während einer Untersuchung umkippten. Er fand ein Stück und reichte es ihr. „Da, iss das mal. Im Mund zergehen lassen. Hilft ein wenig gegen den Schock. Wie fühlst du dich?“ Jodie wiegte nachdenklich den Kopf, wickelte das Bonbon aus und schob es sich in den Mund. „Ich weiß nicht... So lange habe ich mir gewünscht, ihr eines Tages alles heimzahlen zu können, und jetzt…“ Shinichi nickte nur. Er verstand sie. Dann wurden Schritte laut. Dr. Richard Anderson lief um die Ecke, sah eine erschossene Frau am Boden, seinen Diagnosearzt mit einer Waffe in der Hand und zwei dubiose Gestalten- alle in seinem Leichenschauraum. Zuerst blieb er nur wie angewurzelt stehen und wurde kreideweiß im Gesicht. Dann verdrehte er die Augen, würgte ein hilflos klingendes „Wasisnlosier??“ hervor und sackte bewusstlos zu Boden. Akai seufzte. „Na los, hilf mir mal. Wir tragen ihn in dein Büro, und dann müssen wir es ihm erklären. Sonst zeigt er dich noch als Mörder bei der Polizei an.“ Shinichi nickte, dann half er dem Beamten vom FBI, seinen Chef über Hintertreppen und kaum benutzte Personalgänge in sein Büro zu tragen, um nicht allzu viel Aufsehen zu erregen. Ein paar Minuten später saßen sie alle in Shinichis Büro, jeder mit einer dampfenden Tasse Kaffee vor sich, und verdauten die jüngsten Ereignisse. Richard war mittlerweile aufgewacht und saß nun, nachdem er anfangs einen Riesenaufstand gemacht hatte und erst zur Ruhe zu bringen gewesen war, als Jodie und Shuichi ihm ihre FBI-Marken gezeigt hatten, in einem Besucherstuhl. Ungläubig starrte er seinen Facharzt an und sagte nichts mehr. Was für ein Tag… Mord und Totschlag in seiner Pathologie. FBI. Sein Diagnosearzt mit einer Waffe in der Hand...! Was hatte das alles zu bedeuten?! Er massierte sich die Schläfen, als sich ein pochender Schmerz in seinem Kopf breit machte. Er seufzte genervt. Immer wenn er sich aufregte, bekam er Kopfweh. „Nun,“ begann Akai, nachdem er an seinem Kaffee genippt und es sich in Shinichis Bürosessel bequem gemacht hatte, „es ist wohl an der Zeit, Ihnen ein paar Dinge über Ihren Diagnostiker“, er nickte Shinichi anerkennend zu, „zu erzählen.“ Er trank erneut einen Schluck Kaffee. Richard hörte auf, sich den Schädel zu massieren und schaute den schwarzhaarigen FBI-Beamten musternd an. „Nur keine Hemmungen.“, murmelte er. Akai zog die Augenbrauen hoch und räusperte sich. „Gut. Nachdem er selbst ja momentan nicht besonders gesprächig scheint“, er warf Shinichi, der nun doch die Nachwirkungen des gerade Erlebten in Gestalt eines leichten Schocks zu spüren bekam und jetzt auf der Tischkante saß, sich ein Traubenzuckerbonbon nach dem anderen einwarf und in seinen Kaffee starrte, einen prüfenden Blick zu, „werde ich das wohl übernehmen müssen. Nun… Ihr Diagnosearzt ist nicht der, der er zu sein scheint.“ Dr. Anderson schaute seinen Diagnostiker überrascht und gleichermaßen entsetzt an. „Was meint er damit, Shigeru? Was hat das alles hier eigentlich zu bedeuten? Das FBI in meinem Krankenhaus, in unserem Keller liegt jetzt eine Leiche… und du, mit einer Waffe in der Hand…“ „Dick, ich…“, begann Shinichi zögernd. Es war ihm gar nicht recht, dass sein Chef auf diese Art und Weise von seiner Identität erfuhr. Er und Richard pflegten ein Verhältnis, das man wohl fast als freundschaftlich bezeichnen könnte. Sie hegten voreinander großen Respekt und kamen eigentlich glänzend miteinander aus. Aber wie sollte er das hier alles erklären? Bevor er jedoch seine Satz zu welchem Ende auch immer bringen konnte, fiel ihm Jodie ins Wort. „Erstens, entschuldigen Sie bitte, aber in Ihrem Keller liegen immer Leichen, Sir.“ Sie lächelte ironisch. „Außerdem hat er sie nicht erschossen, ich war das. Er nahm mir nur die Waffe, meine Dienstwaffe, aus der Hand.“ Sie hielt ihren Waffenschein, den sie aus ihrer Brieftasche gezogen hatte und den Revolver hoch, so das man die Seriennummer erkennen konnte. „Wie Sie sehen, ist diese Schusswaffe auf mich registriert. Und ich versichere Ihnen, wenn Sie drauf bestehen, machen wir einen Schmauchspurentest; er wird keine an den Händen oder seiner Kleidung haben, ich dafür genügend. Er hat keinen umgebracht.“ Richard seufzte. „Der Test wird nicht nötig sein. Ich glaube Ihnen auch so. Aber Sie müssen verstehen, es sah etwas fragwürdig aus, gerade eben, in der Pathologie…“ Shuichi nickte und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. „Ja, das streitet auch keiner ab... Nun, es dürfte sie interessieren, wer diese Frau ist- oder war. Die Tote in Ihrer Pathologie heißt Chris Vineyard, Schauspielerin und Profikiller. Sie war schon seit Jahren hinter ihm…“, er nickte erneut in Shinichis Richtung, der seinen Kaffee gerade auf Ex austrank, „...her. Sie wollte ihn töten, deswegen war sie heute hier. Was uns zu der wahren Identität Ihres Angestellten führt. Ihr Diagnosefacharzt heißt eigentlich nicht Shigeru Katsuragi, sondern Shinichi Kudô.“ Shinichi stand auf und holte sich eine weitere Tasse Kaffee. Er wusste, dass Richard ihn anstarrte, aber momentan war ihm das egal. Der Schock saß ihm tiefer in den Knochen als er zugeben wollte. Ihm war immer noch eiskalt und seine Hände zitterten. Immer und immer wieder sah er Sharon, die seine Hand drückte und um Hilfe flehte… Sharon, die ihn um Vergebung bat… Sharon, die nicht mehr atmete… Er kniff die Augen fest zusammen, wartete, bis die Tasse voll gelaufen war und schüttete dann, ohne den Löffel dafür zu benutzen, eine Menge Zucker in die schwarzbraune, dampfende Flüssigkeit, rührte um und nippte daran. Er verzog das Gesicht. Viel zu süß, aber es tat seine Wirkung. Langsam ging es ihm besser. Shuichi unterdessen schien das nicht zu stören, oder wenn doch, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken. „Naja. Außerdem… begnadeter Arzt, der er ist, so schätze ich doch, dass ich richtig lieg, wenn ich behaupte, dass er, wenn sein Leben in den Bahnen verlaufen wäre, die er sich gewünscht hätte, wohl nie Medizin studiert hätte.“ Dr. Anderson schaute den Mann vom FBI fragend an. „Und wie kommt es dann, dass er, obwohl er eigentlich nicht Medizin studieren wollte und eigentlich ganz anders heißt, doch als hervorragender und äußerst erfolgreicher Diagnostiker mit Namen Shigeru Katsuragi für mich arbeitet?“ „Sie haben doch sicher den Begriff Zeugenschutzprogramm schon einmal gehört?“, mischte sich nun auch Jodie wieder in das Gespräch ein. Anderson blickte zuerst sie, dann Shinichi überrascht an. „Sicher. Wer hat das nicht? Aber…“ Erst jetzt schien es ihm langsam zu dämmern, auf was die FBI-Agenten hinauswollen. Überrascht und ein wenig ungläubig riss er die Augen auf. „Wollen Sie mir damit etwa sagen…?“ „Ja, genau. Shinichi Kudô hat sich im Alter von siebzehn Jahren mit einer Verbrecherorganisation angelegt, die ihresgleichen sucht. Über fast drei Jahre hinweg hat er den Kampf gegen dieses Syndikat aufgenommen und letztendlich gelang es ihm sogar, ihm das Handwerk zu legen. Eine Leistung, die auch heute immer noch unübertroffen ist. Der Haken an der Sache war der, dass es der Tokioter Polizei und dem FBI damals leider nicht gelungen ist, alle Mitglieder dieses Rings festzunehmen, und er schwebte deswegen in höchster Lebensgefahr. Also beschloss man, ihn zu seinem eigenen und dem Schutz seiner Angehörigen ins Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Shinichi Kudô war damals nicht ganz zwanzig Jahre alt. Er machte hier seinen Abschluss an der High School, seinen Bachelor und absolvierte sein Medizinstudium. Den Rest kennen Sie ja.“ Richard Anderson nickte. Er starrte Shinichi mit einer Mischung aus Mitleid, Erstaunen und Bewunderung an. „Die Frau… sie war also Chris Vineyard? Die berühmte Schauspielerin, Tochter von Sharon Vineyard, ja? Wir reden schon von der, oder?“ Akai und Jodie nickten nur. Dem Chefarzt jetzt auch noch zu sagen, dass Sharon und Chris ein- und dieselbe Person waren, würde zu weit führen. Ihm das jetzt glaubhaft zu machen, wäre wohl ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, zumindest in so kurzer Zeit. Nein, so wie es jetzt war, war es gut. Anderson resümierte weiter. „Sie war also ein Mitglied dieser Organisation, die Shig… Shinichi umbringen wollte und hatte ihn also endlich gefunden. Jetzt wird mir einiges klar. Er war im Zeugenschutz… Deswegen verhielt er sich auch immer so seltsam. So verschlossen. So distanziert… fremd.“ Shinichi schaute zu Boden. „Das hier ist nicht dein Zuhause, nicht war? Das war es nie und wird es nicht werden.“ Anderson war aufgestanden um mit seinem Diagnosefacharzt auf gleicher Augenhöhe zu sein. Der schüttelte den Kopf. „Nein, da hast du Recht. Ich hab mich in den ganzen acht Jahren nie heimisch gefühlt. Ich hab’s auch nicht wirklich versucht, mal ganz davon abgesehen…“ Der Chefarzt steckte eine Hand in die Tasche seines Kittels. Mit der anderen schob er sich seine Brille wieder etwas höher auf die Nase. Dann wandte er sich wieder zu den Leuten vom FBI um. „Und darf ich jetzt auch noch wissen, warum Sie hier sind? Wieso haben Sie die Frau nicht vorher festgenommen, wenn Sie doch wussten, dass sie hierher kommt?“, fragte der Chefarzt. Akai trank seinen Kaffee leer, ehe er sich zu einer Antwort bequemte. „Ach ja. Genau. Das hätte ich jetzt doch bald vergessen… Nun, wir wussten es nicht. Dass sie hierher, ins Krankenhaus, kommt, meine ich. Der Tipp, dass Chris Vineyard nach New York unterwegs war, kam buchstäblich in letzter Minute. Wir wussten, sie suchte ihn, aber nicht wo genau. Wir vermuteten, dass sie, woher auch immer, erfahren hatte, wer er war, und da sie… da sie die Letzte ist, die von diesem Verbrechersyndikat noch frei herum lief, dachten wir…“.“ Shinichi durchfuhr es siedendheiß. Das… das bedeutete ja, dass… Er blinzelte. Nein, nicht doch… „Ihr habt mich ohne mein Wissen als Lockvogel missbraucht?!“ Er starrte sie wütend an. Jodie nickte reumütig. „Ja. Wir waren zu deiner Beschattung abgestellt, um dich im Notfall beschützen zu können und sie aufzuspüren, aber das lief irgendwie aus dem Ruder… wir sahen sie ganz kurz in der Innenstadt, und auf einmal war sie weg. Wir konnten nichts anderes machen, als hierher zu kommen, in der Hoffung, schneller als sie zu sein.“ Shinichi seufzte entnervt. „Das fasse ich nicht. Ich fass’ es einfach nicht. Wie konntet ihr nur… Zuerst dieses ewige Misch-dich-nicht-ein-Gefasel und dann- dann lasst ihr mich einfach so ins Messer laufen… ohne mir auch nur einen Ton zu sagen! Ihr hättet mir davon erzählen müssen! Wisst ihr, wie ich mich gefühlt habe, als ich in mein Büro kam und sie in genau dem Sessel saß, in dem Sie sich gerade breit machen?! Ihr hättet es mir sagen müssen, ich hätte ein Recht darauf gehabt!“ Shuichi hob die Hände von den Lehnen und besah sich den Stuhl. „Wirklich? Hier saß sie?“ Shinichi stöhnte frustriert auf. „Ja, verdammt! Genau da! Vor Ihnen auf dem Tisch ist noch das Brandloch, das sie mit ihrer Zigarette reingemacht hat!“ Akai beugte sich interessiert vor. „Die Gute hatte einfach keine Manieren. Obwohl… du hast ja keinen Aschenbecher hier, wo sollte sie also hin damit.“ Er grinste, blies die Asche vom Tisch und berührte mit dem Zeigefinger den Brandfleck. Shinichi beherrschte sich nur mühsam. Was glaubte dieser Mensch eigentlich, wer er war? Er stemmte sich mit den Händen auf seinem Schreibtisch ab, seine Rechte immer noch die Kaffeetasse umklammernd, und starrte Akai zornig an. „Was habt ihr euch dabei gedacht?!“, fauchte er. „Nun,“ meinte Akai, „bevor du jetzt gleich wütend aus dem Raum rennst oder andere unüberlegte Sachen tust… wie gesagt…“ Ein breites Grinsen breitete sich plötzlich auf dem Gesicht des ansonsten so unterkühlt dreinblickenden Mannes aus. Er stand auf. Shinichi wich unwillkürlich zurück, nahm die Hände wieder vom Tisch. „Sie war die Letzte. Es gibt jetzt keinen Grund mehr, dich noch länger hier festzuhalten. Du kannst wieder nach Hause, nach Tokio, mit einem Pass, in dem dein Name unter deinem Bild steht. Wir haben die Papiere schon dabei, weil wir hofften, dass wir Vermouth diesmal kriegen…“ Ein lautes Klirren ertönte. Shinichi schaute zuerst auf die Scherben seiner Lieblingstasse, die ihm gerade aus der Hand geglitten war, dann in das Gesicht von Shuichi Akai. „Wenn das ein Scherz ist…“, begann er leise. Seine Stimme war kaum zu hören. „Ist es nicht.“ Jodie lächelte ihn an. Shinichi schluckte schwer. Sein Mund fühlte sich seltsam trocken an. „Ich… ich darf nach Hause? Jetzt gleich?“ „Nun, “ sagte Akai, „wenn du einen Flieger findest, der jetzt gleich fliegt und dein Chef dir jetzt gleich freigibt, dann ja, du kannst jetzt gleich heim. Das heißt, heute noch, nicht jetzt gleich, denn zuerst müssen wir dir deine Unterlagen noch aushändigen.“ Shinichi legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Kraftlos sank er auf die Tischkante. Sein Magen fühlte sich flau an und er wusste, wenn er jetzt versuchen würde, wieder aufzustehen, würden seine Beine unter ihm nachgeben. Dann fiel sein Blick auf den mit weißen Blüten übersäten Bonsai. Junischnee… Schnee im Juni. Er dachte an den Brief, den er ihr geschrieben hatte. Den, den er ihr damals, am Flughafen gegeben hatte… Ich werde die Hoffnung nicht aufgeben, eines Tages doch wieder zu dir zurückkehren zu können. Auch wenn die Hoffnung auf ein Wiedersehen so winzig ist wie die Wahrscheinlichkeit auf Schnee im Juni… Was als bloße Metapher gedacht war… schien plötzlich Realität zu werden. Er seufzte leise. „Nach Hause…“, murmelte er nur. Akai nickte. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Er gönnte es Kudô. Er gönnte es ihm wirklich. Kapitel 10: Jahrestag --------------------- Hallo. *räusper* Tja… Überraschung! Das letzte Kapitel dieser Fic… Da wärt ihr ohne Hinweis wohl nicht drauf gekommen, was? *g* Ein denkwürdiger Augenblick. Das Finale furioso, das glorreiche Ende, der krönende Abschluss… oder, um’s mit Stuarts Worten zu sagen: Heut ist ein besonderer Tag. Heute ist der Tag. Der Tag, auf den wir sechs volle Tage gewartet haben. Ein bedeutender Tag für die Literaturgeschichte. Ein großer Tag. In der Tat… Nun. Übertreiben wollen wir’s mal nicht *g* Wie auch immer. Wie gut es nun geworden ist, das zu entscheiden liegt einzig und allein bei euch. Gut, jetzt hör ich aber auf, sentimental zu werden. Es wird im letzten Kap hier gleich noch sentimental genug… *g* Zuerst einmal, eine große Frage meinerseits an euch, bevor ich daran gehe, euch alle Fragen, dir ihr noch habt, zu beantworten: Wer sagt eigentlich, dass er nach Hause kommen wird? Bin ich so vorhersehbar? *heul* Ich hab ja wirklich versucht, mir alle Optionen offen zu lassen. *g* Ähem. Nun zu den Fragen, die noch offen stehen: Kommt er nun nach Hause, oder stürzt mal wieder ein Flugzeug ab? Kommen Shinichi und Ran letztendlich doch zusammen, gibt es ein Happy End? Was wurde aus Heiji und Kazuha? Haben Yukiko und Yusaku ihr Versprechen gehalten? (die Antwort ist ein ganz klares Jein, aber lest selber…) Was stand noch alles in dem Brief? Und, was am allerallerwichtisten ist: Was zur Hölle ist nun mit dem Hund?!? *tiefLufthol* Viel Vergnügen, Leute. *sichebenfallsetzt* *Taschentücheranalleverteilt* ______________________________________________________________________ Es goss in Strömen. Ran blickte aus dem Fenster, sah den dicken Regentropfen zu, wie sie spritzend auf der Scheibe aufschlugen und dann daran herunter liefen. Die Welt dahinter sah grau und trist aus. Sie sah genau so aus, wie sie sich fühlte. Ran schluckte und seufzte schwer. Dann wandte sie sich vom Fenster ab, ging zu ihrem Nachttischchen und zog die erste Schublade auf. Sie war leer. Leer, bis auf ein zerknittertes, vergilbtes Blatt Papier. Sie holte es heraus, setzte sich aufs Bett und begann, es auseinanderzufalten. Es war der Brief. Der Brief, den er ihr damals am Flughafen gegeben hatte. Sie las ihn noch mal, obwohl sie ihn wohl schon hunderte Male gelesen hatte; jedes Mal, wenn sie glaubte, es nicht mehr aushalten zu können, wenn ihr die Hoffnung schwand, zog sie ihn heraus und las ihn durch. Sie konnte ihn schon auswendig, Wort für Wort - trug die Botschaft stets in ihrem Herzen. Aber ihn so zu lesen, das Papier in ihren Händen zu fühlen und seine Handschrift zu sehen, machte Shinichi irgendwie greifbarer für sie. Ran, ich weiß eigentlich gar nicht, was ich dir hier hinschreiben soll. Mir gehen so viele Dinge im Kopf herum, so viele Sachen, die ich dir noch sagen wollte, und… und ich weiß, ich habe vielleicht nie wieder die Gelegenheit dazu. Also dachte ich mir, ich schreibe dir diesen Brief. Ich…was ich unbedingt noch einmal loswerden will ist, dass ich es ernst gemeint habe, gestern. Du weißt schon…was ich gesagt habe, bevor du eingeschlafen bist. Die Sache mit… als… ich sagte, wenn du…wenn du während meiner Abwesenheit jemanden kennen lernen solltest, der es…der es wirklich ernst mit dir meint und den du auch… liebst, dann zögere nicht. Ich könnte es verstehen. Zögere nicht meinetwegen, denn ich komme vielleicht, nein, wahrscheinlich, nie mehr wieder. Weise das Glück nicht ab, wenn es an deine Tür klopft. Was ich noch sagen wollte… Danke. Danke, für alles was wir hatten. Danke, dass du mich geliebt hast. Danke, dass ich dich lieben durfte. Danke für die schönste Woche in meinem Leben. Ich danke dir… Ansonsten bleibt mir nur noch zu sagen, wie sehr ich dich liebe. Schon eine Ewigkeit. Und dass ich dich immer lieben werde, egal was kommt. Du bist mein Engel. Die einzige, die ich um mich haben will, die einzige, mit der ich für immer zusammenbleiben will, mit der ich alt werden will... Ich werde die Hoffnung nicht aufgeben, eines Tages doch wieder zu dir zurückkehren zu können. Auch wenn die Hoffnung auf ein Wiedersehen so winzig ist wie die Wahrscheinlichkeit auf Schnee im Juni… Ich werde dich nie vergessen; in meinen Gedanken werde ich stets bei dir sein. Ich liebe dich. Mehr als alles andere auf dieser Welt. Für immer. Dein Shinichi Ran seufzte und faltete das Blatt wieder zusammen. Gedankenverloren packte sie es weg und hielt sich ihre rechte Hand vors Gesicht. Am Ringfinger glitzerte der schmale, mit einem blauen Stein verzierte Silberring. Sie zog ihn ab und las die Gravur, die an der Innenseite entlanglief. Für immer. Shinichi Sie steckte ihn wieder an und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Heute waren es acht Jahre. Sie vermisste ihn. Vermisste ihn so sehr, dass es fast körperlich wehtat. Ihre Augen schweiften durchs Zimmer und blieben an dem kleinen Bäumchen hängen, das auf dem Fensterbrett stand. Junischnee. Es war übersät von kleinen weißen Blüten. Schließlich war Juni. Sie hatte einen hier in ihrer Wohnung und einen in ihrem Büro. Damit sie ihn immer sah. Immer hoffen konnte. Daher wohl auch seine Anspielung im Brief… Schnee im Juni. Aber es gab ihn. Wenn auch anders als gewohnt. Also bestand auch die Hoffnung… die Hoffnung, dass er eines Tages doch wiederkam. Endlich zu ihr zurückkam. Gedankenverloren stand sie auf und ging ins Badezimmer. Sie wollte sich noch fertig machen, denn sie wollte hübsch sein, wenn sie fuhren. Shinichi saß im Flugzeug und gähnte. Gedankenverloren schaute er aus dem Fenster. Über den Wolken strahlte die Sonne fast blendend hell und tauchte das Wolkenfeld unter ihnen in goldenes Licht. Am Fenster glitzerten filligrane Eisblumen. Er griff in seine rechte Jackentasche und zog ihn heraus… den kleinen Plüschbären, den Talisman. Er hatte immer noch den kleinen Zettel um den Hals. Für immer. Ran XXX Er seufzte. Shinichi hatte niemanden mehr angerufen, bevor er in den Flieger gestiegen war. Richard hatte ihm sofort Urlaub gegeben, nachdem er seine ganze Geschichte gehört hatte. Sein Chef war jetzt auch der Besitzer des kleinen Bonsais in seinem Büro. Erstens, weil er keinen hatte, der ihn gießen würde, und zweitens… als Dankeschön und Andenken. Er war zwar momentan nur beurlaubt, aber… wenn alles gut lief, wenn einmal alles so lief, wie er es sich wünschte, würde er wohl nur noch in dieses Krankenhaus zurückkehren, um sein Büro auszuräumen. Jodie und Shuichi hatten ihm seine Papiere ausgehändigt und einen Flug für ihn gebucht. Er hatte nicht einmal mehr Zeit zum Packen gehabt, nur das Nötigste in eine kleine Tasche gepackt. Seit er im Flugzeug saß, machte er sich Gedanken. Wie es seinen Eltern ging, dem Professor, Shiho, Heiji und Kazuha, den Môris…und Ran. Ob sie alle noch lebten, gesund waren, ob sie wohlauf waren… und in Rans Fall, ob sie allein geblieben war. Er wusste, er hatte kein Recht, böse oder enttäuscht zu sein, wenn sie es nicht war. Aber allein der Gedanke daran, dass sie… dass sie jemand anderes… Nein, schalt er sich. Jetzt nur nicht durchdrehen. Du hast soviel durchgemacht, um bis hierher zu kommen. Jetzt verlier bloß nicht die Nerven. Shinichi seufzte, steckte den Bären wieder ein. Er wünschte es sich doch. Er wusste, es war egoistisch, aber er wünschte sich, dass sie noch immer auf ihn wartete. Er vermisste sie so sehr. Dann erklang die freundliche, angenehme Stimme der Stewardess aus den Lautsprechern. „Sehr geehrte Damen und Herren, wir setzen nun zum Landeanflug an. Bitte begeben Sie sich alle auf ihre Plätze und legen Sie die Sicherheitsgurte an. Ladies and Gentlemen, we are now starting with the take-down. Please resume your seats and fasten your seat-belts. Chères mesdames et messieurs…” Shinichi seufzte und schnallte sich an. Egal wie die Lage war, er würde es bald herausfinden. Regen strömte gegen das Fenster des Autos und verwandelte die Welt in ein Wirrwarr aus graublauen Schlieren und wilden Formen. Ran lehnte ihren Kopf gegen die kühle Glasscheibe, während Sonoko, laut fluchend über das Wetter ( „Kein Zustand für Juni!!! “), die Heizung des Wagens aufdrehte. „Sagt mal, wo fahren wir denn eigentlich hin?“ Heiji runzelte die Stirn und starrte durch die Windschutzscheibe nach draußen. Sonoko steuerte das Auto in eine Kurve. Auf der Rückbank saßen Ran und Kazuha. Kazuha hatte sich nach seiner Frage interessiert nach vorn gebeugt. Ran war teilnahmslos sitzen geblieben und schaute hinaus, ohne irgendwas Bestimmtes anzusehen. „Zum Flughafen.“, meinte Sonoko knapp und setzte erneut den Blinker. „Flughafen?“, fragte Kazuha neugierig. „Wen holen wir ab?“ „Niemanden, aller Wahrscheinlichkeit nach.“, antwortete Sonoko einsilbig und trat auf die Bremse, als vor ihr ein Fußgänger über die Straße hastete. „Du hast Rot, du Volltrottel, bist du lebensmüde?!“, keifte sie vor sich hin. „Niemanden?“, wiederholte Heiji. „Warum fahren wir dann hin? Noch dazu bei diesem Dreckswetter?“ „Weil wir hinfahren.“ Kazuha runzelte die Stirn und sah zu Ran rüber. Heiji starrte Sonoko entnervt an. „Warum fahren wir dahin? Gibt’s da was umsonst, oder was?!“ Sonoko platzte nun der Kragen. „Hört mal zu, ihr zwei, es ist nicht meine Schuld, wenn ihr euch langweilt. Ihr wolltet den Tag unbedingt mit Ran verbringen, obwohl sie euch gesagt hat, dass sie eigentlich keine Zeit hat, also beschwert euch nicht. Ihr habt euch bereiterklärt, mitzufahren, also haltet jetzt verdammt noch mal die Klappe und hört auf…“ „Sonoko.“ Ran hatte ihren Kopf gehoben und schaute in den Rückspiegel, wo sie Sonokos blaue Augen erkennen konnte. Die Angesprochene brach ihre Tirade ab und konzentrierte sich wieder auf den Verkehr. Heiji drehte sich zu Ran um und schaute sie an. Er konnte es sehen… den Schmerz in ihren Augen. Und dann verstand er. „Mein Gott… das hab ich fast vergessen. Es war heute nicht? Heute vor… wie lange ist es jetzt her? Vor acht Jahren…?“ „…ist Shinichi gegangen, ja. Acht Jahre.“ Rans Stimme hörte sich brüchig an. Heiji starrte sie an. „Jetzt sag bloß, du fährst jedes Jahr an diesem einen Tag zum Flughafen und…“ „…setzt sich den ganzen Tag vor Gate 6 und wartet. Doch. Jedes Jahr seitdem er weg ist. Gut, letztes Jahr war’s nicht der ganze Tag, sondern erst ab Mittag, weil vorher noch eine Verhandlung stattfand, an der Ran teilnehmen musste. Aber sonst hat sie immer den ganzen Tag vor diesem Gate gesessen. Und ich…“, antwortete Sonoko an Rans Stelle, „fahre jedes Mal mit und warte mit ihr. Damit sie das nicht allein durchmachen muss.“ Kazuha starrte ihre Freundin an. Das muss wahre Liebe sein. Ob er genauso…? Ran hatte ihren Kopf wieder ans Glas gelehnt. „Ihr haltet mich jetzt bestimmt für verrückt… wie gesagt, ihr müsst nicht…“ „Lass stecken Ran. Und nein, wir halten dich nicht für verrückt, ganz im Gegenteil. Du hättest es mir ruhig früher sagen können, ich wär’ gern mitgefahren.“ Heiji seufzte und hing wieder seinen Gedanken nach. Es stimmte. Er wäre mitgefahren. Er konnte sich noch zu gut an jenes Telefongespräch erinnern… als Kudô ihn mitten in der Nacht angerufen hatte, um ihm zu sagen, dass er gehen musste. Und ihm für seine Freundschaft, seine Loyalität und seine Verlässlichkeit gedankt hatte. Heiji schluckte. Sie hatten lange telefoniert, in dieser Nacht. Er hatte Shinichi noch nie so aufgewühlt erlebt. So fertig. Er hatte ihn trösten wollen, aufmuntern, irgendwie… irgendwas…sagen… aber alle diese Mutmach-Sprüche waren ihm im Hals stecken geblieben. Stattdessen hatte er nur einen Satz gesagt. Sieh zu, dass du wiederkommst. So einen Freund wie dich werde ich nie wieder finden, Kudô. Danke für alles… Und er sollte Recht behalten. Keine der Freundschaften, die er seither geknüpft hatte, konnte sich mit der messen, die ihn mit Shinichi Kudô verbunden hatte. Keiner dieser Freunde reichte auch nur annähernd an dessen Zuverlässigkeit, Integrität und Ehrlichkeit heran. Von keinem hatte er sich jemals so verstanden gefühlt. Er seufzte. Die restliche Fahrt über schwiegen sie. Schließlich bog Sonoko auf den Flughafenparkplatz ein und stellte den Wagen ab. Mit zwischen die Schultern gezogenen Köpfen hasteten sie durch den strömenden Regen auf das Flughafengebäude zu. Als sie in die Eingangshalle gingen, bemerkte nur Ran das Flugzeug, das über ihnen Schleifen flog, als es auf die Landeerlaubnis wartete. In der Halle blieben sie erst einmal stehen. Ran sah sich um. Es hatte sich nicht viel verändert. Ihre Augen blieben an der großen Anzeigentafel haften. Flug 806 aus New York blinkte. Der Flieger war wohl gerade angekommen. Dann zog Sonoko sie sanft weiter in Richtung Gate 6. Ran fragte sich, warum sie das eigentlich machte. Sie wusste, es war albern, absurd. Jedes Jahr an diesem Tag hierher zu fahren… wer wusste, wo es ihn hin verschlagen hatte? Nach Europa, Amerika, Afrika vielleicht? Wie dem auch sei, die Chance, dass er ausgerechnet am selben Datum, an dem er abgeflogen war, wiederkam, und dann auch noch am selben Gate ausstieg, war denkbar gering. Die Wahrscheinlichkeit dafür tendierte wohl gegen null. Ihre Gedanken schweiften wieder zum Flug, der auf der Anzeigentafel geblinkt hatte. Der Flug aus New York, Flug 806. Jetzt, wo sie dran dachte, hatte hinter dem Flug nicht die 6 gestanden? Für Gate 6? Die Passagiere waren jetzt vielleicht schon in der Passkontrolle. Sofern sie über die Gangway ins Gebäude gekommen waren. Wenn das Flugzeug auf dem Rollfeld bleiben musste, dann würden sie mit dem Bus fahren müssen, was das Ganze etwas verzögern würde. Und warum machte sie sich darüber eigentlich Gedanken? Sie waren am Gate angekommen. Sonoko machte sich auf, um Kaffee und Gebäck für alle zu kaufen, während Kazuha und Heiji sich schon mal hinsetzten. Ran blickte zu ihnen hinüber. Sie war ihnen wirklich dankbar, dafür, dass sie mitkamen. Sie hier nicht allein ließen. Sie schlenderte zum großen Panoramafenster, das den Blick auf den Rollplatz, die Start- und Landebahnen freigab. Die ersten drei Jahre waren schrecklich gewesen. Sie wusste noch, wie fertig sie jedes Mal gewesen war. Wie sie jedes Mal in Tränen ausgebrochen war, wenn der Tag vorüber ging und er wieder nicht dabei gewesen war. Wenn sich um sie herum so viele Leute freuten und sie nur dieses Gefühl von Leere und Einsamkeit in sich verspürt hatte. Diesen Schmerz über seinen Verlust. Sie starrte aus dem Fenster und schluckte. Ein Flugzeug erregte ihre Aufmerksamkeit. Ein Bus stand daneben, startete gerade und fuhr weg. Sie folgte ihm mit den Augen, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Dann drehte sie sich um und ging zu Sonoko, die mit Kaffee, Gebäck und Zeitschriften wieder aufgetaucht war. Shinichi stieg aus dem Bus und ließ sich von der Menge mit treiben. Dann schob er sich durch den Gang und blieb schließlich neben einem Fenster stehen, um die anderen Passagiere vorbeizulassen. Er hatte es nicht eilig, im Gegensatz zu ihnen. Sie hasteten an ihm vorbei, in vielen Gesichtern stand die Vorfreude geschrieben, die Gewissheit, von jemandem erwartet, empfangen und begrüßt zu werden. Andere telefonierten bereits. Ihn erwartete keiner. Er blickte aus dem Fenster. Drüben am Rollfeld stand der Flieger… Flug 806. Was für nette Zahlenspielereien. Im Juni vor acht Jahren war er gegangen… mit Flug 806 kam er zurück. Ebenfalls im Juni. Sogar am selben Datum. Und es goss in Strömen. Genauso ein beschissener, regnerischer Tag wie der, an dem er gegangen war. Vielleicht hätte er doch anrufen sollen. Er seufzte. Jetzt musste er sich erst einmal ein Taxi besorgen, um nach Hause zu fahren. Und dann herausfinden, ob er überhaupt noch erwünscht war. Als alle Passagiere ihn überholt hatten, schob er den Trageriemen seiner Reisetasche zurecht und ging ebenfalls weiter. Ran saß auf der Wartebank, ihren Kaffee in der Hand und starrte in die blitzsauberen Bodenfliesen unter ihr. Was war, wenn er… wenn Shinichi eine andere hatte? Plötzlich rollte ihr eine Träne übers Gesicht. Eine Menge Gedanken kamen ihr plötzlich in den Sinn. „Was ist, wenn er mich nicht mehr will, eine andere hat? Mich nicht mehr liebt? Oder tot ist?“, schluchzte sie leise. Sonoko, die neben ihr saß, legte ihre Zeitung weg, in der sie gerade noch gelesen hatte und nahm Ran den Kaffee aus der Hand, der überschwappte, weil sie stark zitterte. Kazuha stand von ihrem ursprünglichen Sitz auf und ließ sich auf den anderen Platz neben Ran nieder. „Ran…“, murmelte sie leise. Sonoko räusperte sich vernehmlich. „Meine Liebe… wenn Shinichi Kudô tot wäre, dann hätte die Zeugenschutzbehörde doch seinen Eltern gewiss Bescheid gegeben. Und die Kudôs hätten es dir doch sicher gesagt, oder? Man hätte seine Leiche überführt und er hätte ein schönes Begräbnis gekriegt. Nun frage ich dich: Haben wir in letzter Zeit einen jungen Mann eingebuddelt?“ Ran rang sich ein Lächeln ab. „Nein, du hast Recht. Er ist nicht tot. Er kann nicht tot sein… aus diesem Grund nicht und aus einem anderen auch nicht.“ „Weil du das spüren würdest?“, murmelte Kazuha verhalten. Ran nickte sacht. „Aber, was ist, wenn er eine andere…?“ Tränen rannen ihr übers Gesicht. Sonoko starrte sie betroffen an. „Das kannst du doch nicht wirklich glauben, oder Ran? Warum wärst du denn sonst hier?“ „Aber…“ Verzweiflung stieg in ihr hoch. Sie starrte auf Gate 6, aus dem die ersten Passagiere strömten, um von ihren Angehörigen freudig begrüßt zu werden. Familien, die wieder vereint waren, Paare, die sich in den Armen lagen, sich küssten… „Ich will ihn wiederhaben…ist das denn zuviel verlangt? Ich will doch nur mit ihm glücklich werden, will dass er bei mir ist, warum kann ich das, was für die meisten anderen das Natürlichste auf der Welt ist, nicht auch haben? Warum ich nicht? Was hab ich getan, was hat er getan, dass wir das verdienen…?“ Sie begann hemmungslos zu schluchzen. Während Sonoko und Kazuha sich um ihre Freundin kümmerten, stand Heiji auf und wanderte zum Gate. Er konnte hier nichts ausrichten, nicht helfen, die beiden Frauen konnten das besser als er. Und außerdem hatte er selber genug damit zu kämpfen. Auch er wünschte sich, dass er wiederkam. Heiji seufzte schwer. Er wollte es für sich und für Ran. Er fühlte sich in gewisser Hinsicht wie ein Verräter, weil ihm etwas beschieden war, was seinem Freund nicht vergönnt war. Er blickte zu Kazuha. Sie würden heiraten, dieses Jahr noch. Und er wollte keinen lieber als Trauzeugen haben als Shinichi. Seine Augen wanderten umher, blieben hie und da an einem Gesicht hängen. Dann erstarrte er; seine Hände wurden kalt und feucht vor Nervosität. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Konnte das sein? Sein Blick haftete an einem jungen Mann, der es im Gegensatz zu allen anderen Leuten hier nicht im Geringsten eilig zu haben schien; er war der Letzte, der mit einigem Abstand den anderen hinterher ging. Groß, schlank, dunkelhaarig… Er hatte auch, im Gegensatz zu allen anderen, nur eine kleine Reisetasche an einem langen Riemen über die Schulter hängen. Er sah ihm auffällig ähnlich. Heiji schluckte. Er wünschte sich so sehr, dass er es war. Shinichi. Aber er konnte sein Gesicht nicht sehen. Der junge Mann starrte mehr als nur verbohrt in den Boden vor seinen Füßen. Schau her...schau her, Mann. Jetzt schau doch mal her…! Heiji schaute über seine Schulter. Seine Begleiterinnen schienen nichts mitgekriegt zu haben. Ran starrte in den Boden vor ihren Füßen und die anderen beiden streichelten ihr mitfühlend über den Rücken. Er drehte sich wieder um. Der Mann, von dem er hoffte, dass es Shinichi Kudô war, war nun fast am Ende des Ganges angekommen. Und dann passierte es. Als die junge Japanerin, eine Flughafenangestellte, die am Eingang des Gates allen Passagieren ein fröhliches „Welcome to Japan!“ wünschte, auch ihn ansprach… sah er auf. Er lächelte die Dame kurz an und nickte höflich. Heiji musste an sich halten, um nicht laut aufzuschreien. Er war es! ER WAR ES! Er war es wirklich… Der junge Mann aus Osaka hastete seinem Freund entgegen, der wieder auf den Boden starrte und stellte sich ihm in den Weg. Shinichi seufzte und schlängelte sich durch all die glücklichen Menschen. Er hätte wohl doch jemanden anrufen sollen, warf er sich zum wiederholten Male vor. Dann stutzte er und sah auf, als ihm jemand partout den Weg vertrat. Als er erkannte, wer da vor ihm stand, klappte ihm die Kinnlade nach unten. „Heiji?“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Heiji nickte und umarmte seinen Freund stumm. Shinichi erwiderte die Geste, dann schob er ihn ein wenig weg von sich, um ihn besser ansehen zu können. „Zur Hölle, Hattori, was machst du hier? Ich hab doch niemanden angerufen, dass ich wieder auf freiem Fuß bin… wie konntest du das wissen? Oder wartest du auf jemand anderen?“ Heiji grinste, wischte sich eine Freudenträne aus dem Augenwinkel und klopfte Shinichi gönnerhaft auf die Schulter. „Ich wusste es nicht. Und ich bin eigentlich auch nur zufällig hier… Mein lieber Freund, streng deine kleinen grauen Zellen mal an. Hast du vergessen, was für ein Tag heut ist?“ Shinichi schaute ihn verwirrt an, blickte dann auf das Schild, auf dem groß und deutlich die Nummer sechs stand. Er schüttelte den Kopf. „Wie könnte ich das vergessen?“, murmelte er leise. „Seit Tagen denke ich an nichts anderes.“ Heiji nickte. Shinichi blickte auf. „Heut vor acht Jahren. Heut vor acht Jahren bin ich gegangen… und seltsamerweise war es dieses Gate… aber warum bist du jetzt eigentlich hier?“ Heiji grinste. „Weil am heutigen Datum, jedes Jahr seit acht Jahren eine gewisse Person den ganzen Tag am Flughafen vor genau diesem Gate verbringt und wartet… und heute haben ich und Kazuha ebendiese Person begleitet.“ Shinichis Augen weiteten sich ungläubig. „Ran?“ Heiji sagte nichts, sondern deutete nur hinter sich auf die drei jungen Frauen, die immer noch auf der Bank saßen. Shinichi erstarrte. Es klatschte laut, als ihm seine Reisetasche, die er sich von der Schulter gezogen hatte, aus der Hand glitt und zu Boden fiel. „Na geh schon, ich denke, sie hat lange genug gewartet. Und du auch.“ Heiji lächelte und versetzte seinem Freund einen leichten Stoß in den Rücken, der ihn nach vorne taumeln ließ. Shinichi drehte sich noch einmal kurz um. Heiji nickte ihm aufmunternd zu und hob die Tasche auf. Langsam, wie in Trance, ging Shinichi auf Ran zu. Seine Hände waren eiskalt und fingen an zu zittern, als sein Kreislauf ein wenig absackte. Er hatte ein mehr als einfach nur flaues Gefühl im Magen. Tatsächlich war er schrecklich nervös. Er wusste nicht, wie er sich sein Wiedersehen mit Ran vorgestellt hatte, wusste nicht, was er ihr sagen sollte, nach so langer Zeit… Warum hatte er sich denn darüber keine Gedanken gemacht?! Acht Jahre hatte er dafür Zeit gehabt… und doch hatte er nicht eine Sekunde daran verschwendet, sich zu überlegen, was er ihr sagen konnte, wenn er ihr endlich gegenübertrat. Was mach ich jetzt? Sonoko schaute auf, als sie bemerkte, wie jemand näher kam. Sie dachte, es wäre Heiji und wollte ihm gerade etwas zurufen, als sie erkannte, wer es wirklich war. Ihr Mund öffnete sich erstaunt, dann stieß sie ihre Freundin in die Seite. „Ran! Ran, sieh doch! Ran!!!“ Ran seufzte unwillig und starrte weiter in ihr verheultes Spiegelbild am Boden. Aber Kazuha sah auf. „Shinichi ist wieder da.“, murmelte sie leise. Kazuha blinzelte. Tatsache. Er war wieder da. Ran schaute sie verwirrt an. Sie hatte mitgekriegt, als Heiji vorhin aufgestanden war, dem aber nicht weiter Beachtung geschenkt. Was laberte Kazuha da für ein Zeug? „Was? Dein Freund heißt Heiji, schon vergessen?“, meinte sie launisch. Kazuha sagte nichts, sondern nahm nur Rans Kopf in beiden Hände und drehte ihn in die Richtung, aus der er kam. Ran begann zu zittern, als sie ihn sah. Sie erkannte ihn sofort. Diese Haare, das Gesicht… die Statur… gut, er sah ein wenig älter aus, aber er war es. Er war es wirklich. Ohne jeden Zweifel. „Shinichi.“ Ihr Mund formte seinen Namen, aber kein Laut verließ ihre Lippen. Shinichi blieb stehen und schluckte, starrte sie an. Dann schob er seine Hand in seine Jackentasche, ohne dabei seine Augen von ihr abzuwenden und zog etwas heraus, zeigte es ihr. Ran wusste sofort, was es war. Es war der Talisman. Sie stand auf, dann hob sie ihre Hand, so dass er ihn sehen konnte. Den Ring. Er machte einen Schritt auf sie zu- und Ran begann zu rennen, Tränen begannen ihr von neuem über die Wangen zu laufen. Laut schluchzend fiel sie ihm in die Arme, krallte sich an ihm fest, vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Er roch noch genauso wie früher… Sie merkte, wie er seine Arme um sie legte, sie an sich drückte. Er stand da und hielt sie fest. Hielt sie einfach nur fest, legte seinen Kopf auf ihren, atmete den Duft ihrer Haare ein und schloss die Augen. Seine Gefühle überwältigten ihn fast. So lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet, und jetzt war er gekommen. Endlich. „Du bist wieder da…“, hauchte sie. „Endlich, endlich bist du da…“ „Ja…“ Ihr warmer Atem auf seiner Haut jagte ihm einen wohligen Schauer über den Rücken. Dann schob er sie sanft ein wenig weg von sich, um sie anzusehen. Sie war immer noch so wunderschön wie früher… „…und immer noch so nah am Wasser gebaut.“, meinte er grinsend, als ihr eine weitere Träne übers Gesicht rollte. Er wische sie zärtlich weg. „Idiot.“, murmelte sie zaghaft lächelnd. Ihre Tränen hörten nicht auf, ihr über die Wangen zu laufen- sie weinte aus Freude und Glück, konnte kaum fassen, dass er wieder da war, wagte es fast nicht, ihren Augen zu trauen. Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und schaute ihn an. Sah in seine Augen, dieselben blauen Augen, in die sie sich verliebt hatte. Die ihr soviel erzählten, auch heute. Mit ihren Fingern berührte sie seine Nase, seine Lippen… er hatte sich kaum verändert. Sie lächelte. „Shinichi...“ Dann wurde sie schlagartig ernst. „Du hast also gewartet?“ Shinichi zog aufgrund ihres plötzlichen Stimmungswandels erstaunt die Augenbrauen hoch. „Sieht fast so aus, nicht?“, flüsterte er. Ran schluckte. Die Frage aller Fragen… „Warum?“ „Warum?!“ Er schaute sie irritiert an. „Ja… warum? Du musst doch einen Grund gehabt haben…“ Da fiel bei ihm der Groschen. Eine Parkbank und ein lauer Juniabend kamen ihm in den Sinn. „Shinichi…“ Er sah auf. „Den Grund…bitte…“ Ihre blauen Augen schienen in ihm zu lesen wie in einem offenen Buch. Unverwandt starrte sie ihn an. Shinichi schluckte. Jetzt oder nie. „Ich liebe dich.“ Er lehnte seine Stirn gegen ihre, schaute ihr in die Augen und nahm nun seinerseits ihren Kopf in beide Hände, vergrub seine Finger in ihren langen Haaren. „Ich habe gewartet, weil ich dich liebe, Ran. Nur dich… immer nur dich.“, flüsterte er leise. Sie strahlte ihn glücklich an. Das, genau das, hatte sie hören wollen. Sie legte eine Hand auf seine Brust, schmiegte sich an ihn, legte ihren anderen Zeigefinger an sein Kinn. Er schaute sie an, schluckte… Sie sah ihm an, dass er nervös war. Sie wusste, dass er es wollte, sich genauso danach sehnte wie sie… aber er hatte Angst. Er war aufgeregt… genauso wie sie. Ran lächelte sanft, strich mit ihrem Zeigefinger von seinem Kinn aus seinen Hals entlang… und schloss die Augen. Er spürte, wie sein Herz in seiner Brust hämmerte, war aufgeregt wie damals, vor acht Jahren, auf dieser Parkbank… Dann, langsam kam er ihr näher, überbrückte die wenigen Zentimeter, die sie noch trennten. Das Gefühl, als seine Lippen endlich, ganz vorsichtig, die ihren berührten, war unbeschreiblich. Sie vergrub ihre Hand in seinen Haaren, zog ihn noch näher an sich heran, legte ihre andere Hand an seine Wange … Sie wollte ihn nie wieder loslassen, weggehen lassen… es war fast, als wäre er nie weg gewesen. Es fühlte sich so gut… so richtig an. Sie erwiderte seinen Kuss, spürte, wie er langsam immer leidenschaftlicher wurde, fühlte so ein angenehmes Kribbeln im Bauch... und genoss es einfach. Es war genauso, wie sie es sich erträumt hatte. Endlich war die Welt gerecht zu ihr… Sie hatte ihn wieder und er liebte sie immer noch. Sie würde ihn nicht mehr gehen lassen. Nie wieder. Um Nichts auf der Welt. „Also… kommst du dann jetzt mit nach Hause?“, fragte sie ein wenig atemlos, als sie sich schließlich voneinander lösten. „Wenn du… mich noch immer willst…“, antwortete er und küsste zuerst ihre Stirn, dann noch mal ihre Lippen. „Als ob sich diese Frage stellen würde.“, wisperte sie leise und ergriff seine Hand. Sie starrte ihn an. „Ich liebe dich, Shinichi. Immer nur dich. Ich hab so gehofft, all die Jahre, dass du wiederkommst. Du brauchst nicht zu glauben, dass ich dich noch mal gehen lasse, jetzt, wo du wieder bei mir bist.“ Er seufzte zufrieden. Langsam beruhigte er sich wieder. Er war wieder zuhause- und sie war bei ihm. Die Welt war endlich wieder in Ordnung. Ein Gefühl von Wärme und Erleichterung durchströmte ihn, vertrieb all die Zweifel und Ängste, die ihn bis gerade eben im Flugzeug noch beschäftigt hatten. Er war glücklich. Seit langer Zeit einfach nur glücklich... „Ich will auch gar nicht mehr gehen, glaub mir. Aber… ich hatte Angst… Angst, dass wir uns fremd geworden sind, nach all den Jahren…“ Ran nickte. „Ich auch. Aber es fühlt sich nicht so an… nicht wahr?“ „Nein…“, murmelte er leise, ein Schmunzeln auf den Lippen. „Nein, es schaut wohl nicht so aus, als ob wir uns fremd geworden wären…“ Er tippte ihr auf die Nasenspitze. „Ich weiß, ich hab gesagt, ich wär’ dir nicht böse, wenn du dir jemand anderen suchst, aber ich muss gestehen, ich bin froh… dass du’s nicht getan hast… Bin ich jetzt egoistisch?“ Ran lächelte verschmitzt. „Wenn du’s bist, dann bin ich es auch…“ Er legte seine Arme um ihre Taille und drückte sie an sich. „Ich hatte schon Angst, das wird nichts mehr…“ Ran stupste ihm mit der Nase an. „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ „So ist es.“ Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er lächelte. Dann wurde er ernst. „Sag mal… Heiji hat erzählt, du wartest hier seit acht Jahren immer am heutigen Datum…“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Warum?“, fragte er wispernd. „Frag nicht.“, antwortete sie und gab ihm einen weiteren, sanften Kuss auf die Lippen. „Ich weiß es nicht.“ „Meine Güte… das wurde aber auch verdammt noch mal Zeit! Noch ein Jahr hätte ich das nicht ausgehalten…“, rief Sonoko, die mittlerweile näher gekommen war, in gespielter Verzweiflung aus und klopfte den beiden auf die Schultern. „Ich habe nie von jemandem verlangt, dass er mitkommt…!“, brauste Ran auf, aber Sonoko unterbrach sie. „Aaah ja, weiß ich doch, meine Süße. Schön, dass du wieder da bist, Kudô!“, meinte sie grinsend und umarmte Shinichi kurz. „Danke, Sonoko. Kyogoku heißt du jetzt, Mama von Klein-Shizuka, stimmts? Freut mich auch dich zu sehen.“ Er lächelte. Sonoko grinste. „Ich sehe, du bist up-to-date, mein Lieber.“ „Wenn man so berühmt ist wie du und dein werter Göttergatte, ist das nicht schwer. Man liest es in der Zeitung oder im Internet, meine Liebe.“ Dann umarmte ihn Kazuha, und wischte sich eine Träne aus den Augen. „Weißt du, dein Timing ist perfekt! Heiji und ich wollen nämlich heiraten und Heiji hat sich so sehr gewünscht, dass…“ Sie brach ab, als sie Heiji sah, der Shinichi seine Tasche in die Hand drückte, und lächelte ihren Verlobten an. „Ich wollte dich fragen, ob du meinen Trauzeugen machst.“, vollendete dieser ihren Satz. Shinichi schaute ihn überrascht an. Dann lächelte er. „Wenn du das willst, Heiji, gerne... Ich fühl mich geehrt. Echt.“ Heiji klopfte ihm auf die Schulter. „Danke.“ „Keine Ursache.“ Sie machten sich auf den Weg nach draußen. „Sag mal…“, begann Heiji erneut. „Was haben sie jetzt eigentlich aus dir gemacht?“ Ran drückte seine Shinichis Hand. Diese Frage hatte sie auch schon eine Zeitlang beschäftigt. Shinichi schaute vom einen zum anderen. „Nun, wie ihr wisst, bin ich mit dem Flug aus New York hergekommen. Dort habe ich auch die letzten Jahre gewohnt und gearbeitet… ich hab meinen Schulabschluss gemacht und Medizin studiert…“ „Du bist Arzt?“, unterbrach ihn Sonoko ungläubig. Er zog die Augenbrauen hoch. „Nicht einfach irgendein Arzt, Sonoko, sondern Diagnostiker. Leute, die nicht wissen, was ihnen fehlt, kommen zu mir und ich darf es dann herausfinden, damit man ihnen helfen kann …“ Er brach ab, als alle um ihn herum nach Luft schnappten. „Was? WAS? Ich musste doch auch mit irgendwas meine Brötchen verdienen und im Krankenhaus ist man gut beschäftigt… und abgelenkt…“ Ran küsste ihn auf die Wange. Sie wusste, was er meinte. Heiji kräuselte die Stirn. „Was für eine Verschwendung.“ Shinichi schaute ihn stirnrunzelnd an. „Glaubst du das wirklich?“ „Nein… so hab ich das nicht… gemeint… aber… du, gerade du, der wohl brillanteste Geist heutzutage…“ „Du findest, ich hätte Detektiv werden sollen.“ „Ja.“ „Nun. Glaubst du im Ernst, die hätten das zugelassen? Da hätte ich doch gleich eine Anzeige in der New York Post aufgeben können, mit meiner genauen Adresse drin und mein Haus mit der Aufschrift „Hier wohnt Shinichi Kudô, kommt und holt mich!“ versehen können. Nein. Das wäre auf die Dauer viel zu auffällig geworden.“ Heiji nickte. Das hörte sich logisch an. „Und selbst wenn ich es hätte tun dürfen, hätte ich es nicht gemacht.“ Ran schaute auf. „Warum nicht?“ „Weil es beinah mein Leben ruiniert hätte. Diese acht Jahre bringt mir keiner wieder. Ich habe zwar den Fall meines Lebens gelöst, aber durch diese Sache hätte ich fast die Menschen, die mir am meisten bedeuten, für immer verloren. Ich wäre selber fast draufgegangen dabei, und das öfter als nur einmal. Und nicht nur das... wegen mir mussten unschuldige Menschen ihr Leben lassen..." Seine Augen starrten ins Leere. Er dachte an das Mädchen im New Yorker U-Bahnschacht. Sah ihre blicklosen Augen, ihren gebrochenen Körper vor sich, so deutlich, als wäre es gestern gewesen. Ran schaute ihn an und sah, dass ihn etwas quälte. Sanft berührte sie mit ihrer anderen Hand sein Gesicht und drehte seinen Kopf in ihre Richtung. Er blinzelte, schaute sie an. Dann schluckte er und fuhr fort. „Nein, wirklich. Das muss ein Ende haben. Ich hab abgeschlossen damit. Das ist nichts für mich. Es wird mich nie ganz loslassen... wahrscheinlich. Aber... irgendwo muss man Prioritäten setzen. Wenn ich in diesen acht Jahre eins gelernt hab, dann, dass ich nicht so leben will. Ich will nicht Schuld am Leid von anderen sein. Ich will mich nicht verstecken müssen, Angst haben müssen, dass ein Morgen nicht mehr kommt... Ich will keine Angst um mein Leben und das all derer, die mir nahe stehen, haben. Ich will nicht auf meine Familie, Freude und auf... Ran... verzichten. Ich will das nicht. Und wenn der Preis ist, dass ich das Detektivsein offiziell an den Nagel hängen muss, dann bezahl ich ihn." Er schaute sie an und schluckte. „Das ist mir klar geworden. Spätestens gestern, als Vermouth in meinem Bürostuhl saß, vor sich ihren Revolver, und mir verkündete, dass ich jetzt sterben werde…“ „WAS?!“ Heiji starrte ihn an. Rans Gesicht war kreidebleich und auch Sonoko und Kazuha schauten ihn geschockt an. „Das ist eine etwas längere Geschichte, aber das Ende vom Lied ist, dass sie jetzt tot ist.“ Er schaute ihn ihre erschreckten Gesichter. „Was denkt ihr von mir?! Ich hab sie nicht erschossen. Jodie war das. Hört zu, ich erzähl euch die ganze Geschichte, aber der Flughafen ist wohl nicht der richtige Ort dafür. Auf alle Fälle bin ich fertig damit. Ich hab die Nase voll davon.“ Ran drückte seine Hand. Heiji seufzte. „Da hast du wohl Recht. Ich hoffe, dir gefällt dein neuer Beruf wenigstens…“ „Der Sherlock Holmes der Ärzte… “, fügte Sonoko frotzelnd hinzu. „Na, es ist eigentlich gar nicht übel. Die Bereitschaftsdienste hängen mir zwar zum Hals raus, aber ansonsten… die Arbeit ist der Gesundheit wesentlich zuträglicher als die Detektivarbeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand einen umbringen will, ist verschwindend gering.“ Er grinste breit. „Also suchst du dir hier einen Job als Arzt?“, fragte Kazuha. „Ja. Allerdings muss ich dazu erst meine alte Stelle kündigen. Mein wunderschönes, eigenes Büro ausräumen. Mein Team und meine Assis- uhm, Assistenzärzte, kriegt dann wohl auch ein anderer…“, meinte er gespielt wehmütig. „Dick wird gar nicht begeistert sein. Aber sag mal, du könntest ja mitkommen? Dir meine Wohnung und New York ansehen… mal wieder.“, meinte er zu Ran gewandt. Sie nickte lächelnd. Dann schaute er noch mal in die Runde. „Ich bin mal gespannt, was mein werter Erzeuger dazu sagt. Der wollte ja immer, das etwas Anständiges aus mir wird.“ Dann hielt er inne. „Hört ihr das auch?“ Alle waren still und lauschten. Da war es wieder. Handyklingeln. Ran schreckte auf. „Das ist meins! Wer ruft mich denn an?“ Sie kramte das Mobiltelefon aus ihrer Handtasche, einhändig, weil sie mit der anderen Hand immer noch die von Shinichi festhielt und hob ab. „Môri Ran?“ „Hallo Ran… ich bin’s, Yukiko…“ Ran hielt das Handy kurz weg und starrte Shinichi an. „Es ist deine Mutter!“ „Aha.“ Er schluckte. „Na, mich wird sie wohl kaum sprechen wollen. Sie kann nicht wissen, dass ich da bin. Aber ich kann mir denken, was jetzt kommt…“ Sein letzter Satz ging in Gemurmel unter. Ran schaute ihn fragend an, kam aber nicht mehr dazu, etwas zu sagen, weil sich Yukikos Stimme aus dem Handy zurückmeldete. „Ran? Bist du noch dran?“ „Ja, ich bin noch dran.“ Ran drückte auf den Lautsprecher und schaute Shinichi prüfend an. Der biss sich auf die Lippen und sah weg. Sie zog ihn an ihrer Hand näher. „Gibt’s was, was du mir sagen willst?“ Shinichi kniff die Lippen zusammen und blickte sie schuldbewusst an. „Ja, das will ich.“, Yukikos Stimme zitterte ein wenig. Erst jetzt wurde Ran bewusst, dass sie die Frage, die eigentlich ihrem Sohn gegolten hatte, auch gehört hatte. „Weißt du, vor drei Jahren, als wir in New York…“ „Yukiko! Wir haben es ihm versprochen…!“ Yusaku. Er war anscheinend gerade ins Zimmer gekommen. „Er war… ist in New York! Shinichi…“ „Lass das- du – Yusaku, gib mir- nein, du kriegst den Hörer nicht- ICH musste es – nein- es ihr sagen - sie hat ein Recht - nein hat sie - doch! …“ Am anderen Ende der Leitung war nur mehr Stimmengewirr und Wortfetzen zu hören. Ran räusperte sich vernehmlich und trat näher an Shinichi, ließ seine Hand los und griff in die Haare an seinem Hinterkopf. „Ja, das weiß ich jetzt auch.“ Stille. „Wie, du weißt es auch?!“ Es war Yusaku, der da sprach. Shinichi unterdessen versuchte Rans Finger aus seinen Haaren zu lösen, aber sie hielt sich an ihm fest, grinste ihn nur hinterhältig an. „Weil er es mir vor cirka fünf Minuten selbst erzählt hat.“ Yukiko atmete tief aus. „Sag bloß, du bist in New York!“ „Nein, er ist in Tokio. Und ich werde ihm gleich den Hals umdrehen… ihr hättet es mir sagen müssen, ihr…“ Sie atmete tief durch, merkte, wie ihre Augen feucht wurden. Wenn sie gewusst hätte… wo er war… wie es ihm ging… „Ran hör zu, wir haben ihm versprechen müssen, dir nichts zu sagen. Wir hätten ihn genau genommen gar nicht treffen dürfen, es war eigentlich purer Zufall… und…“ Yusaku seufzte. „Ran.“ Shinichi hatte es geschafft, ihre Hand loszuwerden und nahm ihr das Handy aus der Hand. „Wir rufen gleich zurück.“, sprach er hinein. Damit legte er auf. „Ran… hör zu. Ich weiß, du bist sauer…“ Er nahm ihre Hände in seine, ließ sie wieder los- berührte zaghaft ihre Schultern und ließ dann etwas hilflos seine Arme sinken. Er schaute in ihr verärgertes Gesicht. „Okay. Du bist nicht sauer, sondern wütend. Das verstehe ich auch, wirklich. Ich… es tut mir sehr Leid. Aber… es ging nicht anders… wenn sie es dir gesagt hätten, was hättest du getan?“ „Dich gesucht!“ Er schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an. „Genau. Und jetzt denk mal nach. Was für Konsequenzen hätte das haben können…?“ Sie schloss die Augen, presste kurz die Lippen aufeinander. „Ich versteh schon…“ Sie seufzte und öffnete die Augen wieder. „Du wolltest nicht, dass ich weiß wo du bist, damit ich dich oder mich und dich in Gefahr bringe, falls ich beschattet worden wäre. Ich hätte diese Leute zu dir geführt.“ Er atmete tief aus. „Auch, aber nicht nur deswegen. Ein weiterer Abschied wäre… du… ich wollte wohl, dass du mir nicht nachweinst, mich vielleicht sogar loslässt. Vergisst… und wenn du gewusst hättet, wo ich bin, und vielleicht außerdem, dass ich… das ich dich immer noch so sehr geliebt habe, dich so unglaublich vermisst hab… dann hättest… hättest du wahrscheinlich nie…“ Er brach ab. Sie nickte schwer. „Aber hör mal, ich hatte dir doch versprochen, dass ich auf dich warten würde… ich halte meine Versprechen, das weißt du doch.“ Er lächelte bitter. „Natürlich. Aber ich wollte, dass du glücklich wirst. Selbst wenn das bedeutet hätte, dass du mich vergessen müsstest. Und wenn du gewusst hättest…“ „Hätte ich dich erst recht nicht vergessen können. Wenn ich gewusst hätte, wie sehr du…mich liebst…“ Shinichi schluckte. „Mir ist das nicht leicht gefallen… wirklich nicht. In all den Jahren hab ich mir nichts mehr gewünscht, als dich noch mal zu sehen. Nun… Ich bin ihnen, meinen Eltern, nur durch Zufall begegnet, wie mein Vater schon sagte. Es war in der U-Bahn, und es war schon hart genug für mich, als sie wieder gingen. Wie wäre es dann erst mit dir gewesen… dich noch mal verlassen zu müssen…“ Er schaute sie gequält an. Ran sah ihn mitfühlend an. Langsam erfasste sie die ganze Tragweite der Situation, in der er sich zu diesem Zeitpunkt befunden hatte. In der er all die Jahre gesteckt war. Einsamkeit. Sie hatte noch ihre Freunde gehabt, er keinen. Er war allein gewesen… ganz allein. Sanft berührte sie mit beiden Händen sein Gesicht, hielt es fest und gab ihm einen zarten Kuss auf die Lippen. „Schon gut. Es ist schon gut. Du musst dich nicht weiter rechtfertigen, ich versteh das. Und außerdem…“ Sie nahm nun ihrerseits seine Hände in ihre. „Alles was zählt, ist, dass du wieder hier bist. Dass du jetzt endlich bei mir bist… endlich bei mir…“ Sie lächelte glücklich. „Und jetzt mach schon, lass uns deine Eltern anrufen. Die werden schon ganz aus dem Häuschen sein!“ Sie grinste vergnügt. Er lachte leise und tippte die Nummer ein. Ein Jahr später Shinichi Kudô stand im Wohnzimmer und starrte aus dem Fenster. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er seinen Eltern beim Einparken zusah. Auf dem Gehweg näherten sich Shiho, die wieder erblondet war, und der Professor, die beim Anblick des Autos stehenblieben, geduldig warteten und den Wagen ebenfalls beim Rangieren zusahen. Neben ihm stand ein kleines Kinderbettchen, eine Wiege, an dessen Vorhang ein kleiner, zerliebter Teddy gepinnt war. Ihm hatte der Talisman Glück gebracht. Jetzt sollte er jemand anderem Glück bringen. Ran erschien im Zimmer, sah ihren Mann am Fenster stehen und gesellte sich zu ihm. An ihrer rechten Hand glitzerte jetzt ein goldener Ring. Den silbernen trug sie an einer Kette um den Hals, mit dem Gedanken, ihn eines Tages, wenn sie alt genug war, an ihre Tochter weiter zu reichen. „Sie sind ja schon da!“, freute sie sich. Dann legte sie Shinichi das Baby, das sie bis jetzt gehalten hatte, in die Arme. Er nahm es ihr ab und drückte ihm vorsichtig einen Kuss auf die Stirn. „Ja. Und sie haben wohl nicht nur ein Geschenk für Sayuri mitgebracht.“ Er grinste und beobachtete Yukiko und Yusaku Kudô beim Ausladen. „Das ist so typisch für sie. Immer müssen sie es übertreiben.“ Er merkte, wie sein Töchterchen nach seiner Hand griff und den Daumen mit ihrer kleinen Faust umschloss. Er lächelte erneut. Ran legte ihr Kinn auf seine Schulter, fuhr ihm mit einer Hand durchs Haar. „Ja. Aber mach dir nichts draus. Meine Eltern waren auch nicht besser.“ Sie blickte auf einen Haufen Geschenke, die zum Teil noch unausgepackt auf einem Tisch in der Ecke lag. „Worin waren wir auch nicht besser, Mausebein?“ Kogorô betrat das Zimmer und wanderte zu seiner Tochter und seinem Schwiegersohn. Als er das kleine Mädchen in den Armen ihres Vaters sah, verzog sich sein Gesicht vor Verzückung. „Na, wo ist denn mein kleines Schatziputzi?“, rief er aus. „Schatziputzi?! “ Shinichi zog eine Augenbraue hoch. „Schatziputzi?! Zuerst machst du so einen Terror, weil du unbedingt wolltest, dass wir unsere Tochter nach deiner Mutter benennen, und kaum tun wir dir denn Gefallen, betitelst du sie mit Schatziputzi?“ Er zog das Wort angeekelt in die Länge. „Schatziputzi, echt jetzt!“ „Was? Was machst du eigentlich zuhause? Musst du nicht im Krankenhaus den Detektiven raushängen lassen?“, grollte Kogoro. Shinichi schaute ihn scheel an. „Ich habe Urlaub, so was soll’s geben. Und pass lieber auf was du sagst, sonst…“ Ran stemmte ihre Hände in die Hüfte. „Shinichi! Paps! Jetzt seit lieb zu einander und benehmt euch!“ Ran schaute von einem zum anderen warf ihnen tadelnde Blicke zu. Sie grinste, als sie deren Gesichter sah. Dann nahm sie Shinichi das Baby ab, wobei sie erst einmal die kleine Hand von seinem Daumen loseisen musste. „Ich geh jetzt mal nach draußen, begrüße deine Eltern und zeige ihnen Schatzipu…“ Sie wich lachend Shinichis Finger aus, der sie in die Seite pieksen wollte, und gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. „Ich liebe dich…“, hauchte sie. „Ich dich auch…“, murmelte er, berührte mit seiner Stirn die ihre. „Und jetzt hau schon ab und zeig ihnen ihre Enkelin. Die warten doch schon seit Tagen drauf sie zu sehen… konnten nachts wahrscheinlich kein Auge zutun vor Neugier. Und wahrscheinlich haben sie beschlossen, mich zu enterben, weil wir unsere Tochter nicht nach der Mutter meines Vaters benannt haben...“ Er zog eine Grimasse, dann grinste er sie an, sie lächelte zurück. Dann drehte sie sich um und lief, ihr Töchterchen auf dem Arm, in die Eingangshalle. Shinichi seufzte, vergrub seine Hände in den Hosentaschen und schaute ihr nach. Kogorô räusperte sich. „Nun, dann geh ich jetzt wohl auch Hallo sagen.“ „Mach das.“ Kogorô wandte sich ab und machte ein paar Schritte Richtung Tür. Aus der Eingangshalle war aufgeregtes Hundgebell zu hören. Aus Shinichi unerfindlichen Gründen hatten ihm seine Eltern, als sie ihn das erste Mal seit seiner Rückkehr vor fast einem Jahr besuchten, einen Hund mitgebracht. Er hieß Marô und war ein schwarzer Neufundländer. Ein Monster von einem Hund. Shinichi grinste. Ein toller Hund. Dann wurden die ersten Begeisterungsrufe laut. „Was für ein niiieedliches Baby! Kuck mal Yusaku!“ Yukiko. Ganz klar seine Mutter. Nur eine schaffte es, ihre Stimme in derart ungeahnt hohen Tonlagen quietschen zu lassen. „Ja, nicht? Ein wahnsinnig hübsches Mädchen, oder? Und sie ist unserer Ran wie aus dem Gesicht geschnitten!“ Eri. Den Satz hatten sie seit der Geburt der Kleinen jeden Tag mindestens dreimal zu hören gekriegt. „Ja, aber die Haare hat sie von meinem Sohn.“ Yusakus dunkle Stimme. Das mit den Haaren stimmte tatsächlich. Es sah ganz so aus, als würde seine Tochter mal die widerspenstigen Stirnfransen ihres Vaters haben. Sie tat ihm jetzt schon Leid. Gedankenverloren zupfte er an seinen Ponyfransen rum. „Von unserem Sohn!“, widersprach ihm Yukiko. „Schön. Von unseren Sohn. Natürlich.“, bestätigte sein Vater, nicht ohne Stolz. „Tja. Unübersehbar von eurem Sohn.“, bemerkte Shiho sachlich. „Solche unmöglichen Haare hat nur einer.“ Shinichi grinste säuerlich. Danke, Shiho. „Hallo du Süße! Na, wo ist der Papa?“ Der Professor. Er erinnerte sich noch gut daran, als er wieder hier eingezogen war. Er hatte den alten Mann selten so glücklich gesehen. „Wo steckt er denn?“ „Drinnen. Er und Paps haben sich mal wieder in den Haaren, wie immer. Aber es ist verdächtig still. Wahrscheinlich haben sie’s jetzt geschafft und haben sich gegenseitig umgebracht.“ Ran lachte. Shinichi und Kogorô warfen sich schiefe Blicke zu. „Und wie macht sich mein Sohnemann als Papa?“ Shinichi verzog das Gesicht. Diese Frage hatte ja kommen müssen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte. Die Kleine war jetzt grad mal eine Woche alt. Erst eine Woche- und schon stellte sie sein Leben auf den Kopf. Mehr noch, als das Zeugenschutzprogramm es getan hatte, aber auf eine ungleich angenehmere Art und Weise. Nicht zu fassen, das Leben konnte auch schön sein… lange genug hatte es gedauert. „Fantastisch.“ Er konnte das warme Lächeln auf ihren Lippen vor sich sehen. Nun, ich geb mir Mühe… Er seufzte zufrieden. Yusaku ergriff wieder das Wort. „Ich freu mich so für euch. Wirklich, ich freue mich sehr. All die Jahre hab ich mich gefragt, was ich ihm antue… ihn von dir zu trennen. Jetzt zu sehen, dass ihr endlich glücklich seid, eure eigene Familie gegründet habt…“ „Danke…“, wisperte Ran. Das Baby gluckste, was Yukiko zu einem weiteren Begeisterungsruf veranlasste. „Was für ein süüüßes Baby. Ich könnte dich fressen, so süß bist du!“ Shinichi lächelte in sich hinein. Er konnte sich Ran gut vorstellen, wie sie draußen stand, ihre kleine Sayuri im Arm hielt und stolz in die Runde strahlte. Kogorô räusperte sich erneut und wandte sich wieder um, ging auf Shinichi zu und klopfte ihm etwas unbeholfen auf die Schulter. „Hör zu, und bild dir ja nichts darauf ein, aber… es ist wohl an der Zeit, dass ich es dir mal sage… es ist gut, dass du wieder da bist. Ich freu mich auch… sehr für euch.“ Damit ging er. Shinichi blickte ihm sprachlos und einigermaßen erstaunt hinterher. Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Kurz darauf mischte sich seine Stimme in das Gewirr der anderen. Ganz deutlich konnte Shinichi ihn heraushören. „Ja, wo ist denn mein kleines Schatziputzi? Wo ist das Baby? Woooo… ist das Baby? Wo ist…“ Er hörte die Kleine kichern und lächelte erneut. Dann machte auch er sich auf den Weg in die Eingangshalle um seine Eltern, den Professor und Shiho zu begrüßen… und ihnen beim Hereinschleppen der Geschenke zu helfen. Beim Verlassen des Zimmers fiel sein Blick auf ein kleines Bäumchen auf einem Tisch nahe dem Fenster. Junischnee. Er grinste bei dem Namen. Die Wahrscheinlichkeit für Schnee im Juni ist höher, als man glaubt… Wer hätte das gedacht… _________________________________________________________________________________ Was wohl noch zu sagen ist, nachdems nun mehrere Leute erwähnt haben: Ja, er ist Diagnostiker geblieben; es ging nicht anders. Während der ganzen Fic hab ich schließlich geschrieben, dass er festgestellt hat, das nicht mehr tun zu können, das Detektiv sein. Ich hab geschrieben, wie er und Ran unter der Trennung gelitten haben; und dass der Grund dafür ja sein Fall mit der Organisation war. Seine Berufung als Detektiv... Wenn ich ihn jetzt also wieder Detektiv sein lasse, dann... damit setzt er doch wieder sein Leben aufs Spiel; riskiert, dass er wieder wegmuss, wenn er mal wieder Mist baut, oder dass er sogar stirbt. Also fand ich, ist es nur eine logische Konsequenz, dass er die Finger davon lässt, nach allem, was er deswegen durchgemacht hat. Manchmal muss man eben Prioritäten setzen. Und ja... was noch angemerkt wurde *inShi_Ran-chans Richtung schau*: woher weiß man denn, dass er nicht ab und an Heiji oder der Polizei auf die Sprünge hilft *g* ______________________________________________________________________________ Was ich jetzt noch loswerden will, ist eine kleine Statistik und ein großes Dankeschön; zuerst die Statistik: Also… das war’s nun. Hoffentlich hat’s euch gefallen… und ich hoffe, nun ist der Titel der Fic klar geworden *g* - Diese Fic war auf meiner Festplatte bei Word, Verdana 10, also die gleiche Schriftart und Schriftgröße wie hier bei Mexx, sage und schreibe 50.101 Wörter und damit 113 Seiten lang. (Natürlich ohne mein übliches Vorgeplänkel gerechnet.) - Ursprünglich sollte „Junischnee“ deutlich kürzer werden als „Bis das der Tod euch scheidet“, könnt ihr euch das vorstellen? Das Teil ist richtig ausgeufert… - Mein überaus liebenswerter Rechner hat mir beim Speichern auf den USB-Stick tatsächlich die ganze Fic gelöscht. Damals war sie etwas zur Hälfte fertig; ich hatte nur die ersten zwei Kaps noch getrennt gespeichert. Himmel, hab ich geflucht. Und mein Gedächtnis ist erste Sahne, hab ich bei der Gelegenheit festgestellt… Soweit zur Statistik. Nun zum grooooßen Dankeschön: Ich danke zwar allen, die meine Fic gelesen haben, und ein besonderes Dankeschön an all die Favos; aber mein gaaaanz besonderer Dank geht an meine treuen Kommentarschreiber, die mich miterleben ließen, wie diese Fic, mein Hirngespinst, mit anderen Augen gelesen wird… Vielen, vielen Dank deswegen an: - foxgirl - ShinichiKudo_17 - Black_Taipan - Kilma_Mora - Shelling_Ford - Shi_Ran-chan - Choppi-chan - Eri_Kisaki - Rosenbluete001 - Anime-Wolf - Seiji_Takashi - Nade_Thoorn - Apollon-Klio - hinata07 - meer Danke! Danke für euer Feedback und für eure Zeit! Es hat Spaß gemacht, diese Fic für euch alle zu schreiben! An dieser Stelle, eine kleine Eigenwerbung: ich schreibe bereits an meiner nächsten Fic - allerdings kann es noch ein wenig dauern, bis sie online geht. Ich habe schließlich auch noch ein Leben außerhalb von Mexx… *g* Wer Interesse hat, kann sich bei mir melden, dem gebe ich Bescheid, wenn ich das erste Kap poste. Ansonsten: Arigatou! Merci beaucoup! Thankyou very much! Gracie! Gracias! Danke… *verbeug* Mit freundlichen Grüßen, eure Leira :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)